Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/13/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst möchte ich unserem Kollegen Dr. Wilfried Penner zu seinem 60. Geburtstag, den er am 25. Mai feierte, die besten Glückwünsche des Hauses aussprechen. ({0}) Der Abgeordnete Rainder Steenblock von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 1. Juni 1996 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Sein Nachfolger, der Abgeordnete Egbert Nitsch ({1}), hat am 4. Juni 1996 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit. ({2}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({3}), Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auswärtige Kulturpolitik: Den Standort neu bestimmen - den Stellenwert erhöhen - Drucksache 13/4844 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Brigitte Adler, Horst Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/ 4851 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Claus-Peter Grotz, Hartmut Koschyk, Armin Laschet, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Standortbestimmung der Auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 13/4863 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rezzo Schlauch, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Staatsferne und Selbstbestimmung des deutschen Auslandsrundfunks ({4}) - Drucksache 13/4846 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts - Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/4211, 13/4239, 13/4687, 13/4758, 13/4865 8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/4866 9. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({5}) a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS: Ergänzung des Eigenheimzulagengesetzes - Drucksache 13/ 4835 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Ausweitung des Sanierungsauftrages der Wismut GmbH - Drucksache 13/4836 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin Heyne, Albert Schmidt ({6}), Gila Altmann ({7}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erstellung eines Schienenbauplans als Anlage zum Bundesverkehrshaushalt - Drucksache 13/ 4874 10. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({8}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs ({10}) - Drucksachen 13/4689, 13/4726 Nr. 2, 13/4869 11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Haltung der Bundesregierung zu den Vorkommnissen bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin 12. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unzulässige Verschärfung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz - Drucksache 13/ 4858 13. Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P.: Verfassungsgebotene Einhaltung des bundeseinheitlichen Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch die Bayerische Staatsregierung - Drucksache 13/4879 14. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zwangzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksachen 13/4840, 13/ 4872, 13/4873 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Conradi, Detlev von Larcher, Dr. Peter Struck, Günter Verheugen und der Fraktion der SPD: Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 - Drucksache 13/4841 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({11}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - eine Gestaltungsaufgabe für die Zukunft - Drucksache 13/4703 17. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann ({12}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abwassereinleitung aus Schiffen in Binnenwasserstraßen - Drucksache 13/4842 18. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Matschie, Richard Schuhmann ({13}), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Sanierung des Wasserhaushaltes in den Lausitzer und Mitteldeutschen Braunkohlerevieren - Drucksache 13/4850 19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Elisabeth Altmann ({14}), Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratische, ökologische und soziale Prioritäten bei der Vertiefung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksache 13/4843 20. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Eine kohärente Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksache 13/4868 21. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von Bundesminister Dr. Theodor Waigel auf dem Sudetendeutschen Tag zu den deutsch-tschechischen Beziehungen 22. Erste Beratung des von den Abgeordneten Christine Scheel, Franziska Eichstädt-Bohlig, Kristin Heyne, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer - Drucksache 13/4838 23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Den Reichtum umverteilen - Für eine gerechte Ausgestaltung der Erbschaftsbesteuerung - Drucksache 13/4845 24. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aktionsprogramm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung - Drucksache 13/4859 25. Beratung des Antrags der Abgeordneten Oswald Metzger, Christine Scheel, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einstieg in eine umfassende Gemeindefinanz- und Unternehmensteuerreform - Drucksache 13/4870 26. Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Schulz ({15}), Christine Scheel, Margareta Wolf ({16}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Solidaritätszuschlag weiter notwendig - Drucksache 13/4871 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden. Ich weise darauf hin, daß unmittelbar nach der Debatte über die Auswärtige Kulturpolitik über den Einspruch des Bundesrates zum ArbeitslosenhilfeReformgesetz namentlich abgestimmt werden soll. Hierfür ist die Kanzlermehrheit erforderlich. Im Anschluß daran sollen die Anträge auf den Drucksachen 13/4865 und 13/4866 zur Anrufung des Vermittlungsausschusses in verbundener Debatte mit 30 Minuten beraten werden. Erst danach werden innerhalb der Kernzeit die Vorlagen zur Solarzellentechnologie beraten. Nach der Aktuellen Stunde zum Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin, die frühestens gegen 14.20 Uhr beginnen wird, sollen die Vorlagen zum Bayerischen Schwangerenberatungsgesetz mit einer Stunde beraten werden, an die sich eine namentliche Abstimmung anschließt. Darauf folgt die zweite und dritte Beratung des Diätengesetzentwurfs. Auch hierfür ist eine Debatte von einer Stunde vereinbart worden. Der Tagesordnungspunkt 10 zur Asyl- und Flüchtlingspolitik soll abgesetzt und dafür der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Sozial- und umweltverträgliche Mobilität" beraten werden. Des weiteren mache ich auf eine zusätzliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 104. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. Mai 1996 überwiesene nachfolgende Entschließungsantrag soll nachträglich dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwiesen werden: Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Grollen Anfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Helmut Lippelt, Gerd Poppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Iran-Politik der Bundesregierung - Drucksachen 13/1973, 13/3483, 13/4590 Überweisung: Auswärtiger Ausschuß ({17}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie die Zusatzpunkte 3 bis 6 auf: 3. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den deutschen Auslandsrundfunk - Drucksache 13/4708 - c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({18}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktivitäten und Ziele der Bundesregierung in der Auswärtigen Kulturpolitik; Nutzung der Potentiale für Demokratisierung und friedliche Konfliktbewältigung - Drucksache 13/4618 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({19}), Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auswärtige Kulturpolitik: Den Standort neu bestimmen - den Stellenwert erhöhen - Drucksache 13/4844 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Brigitte Adler, Horst Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/4851 ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Claus-Peter Grotz, Hartmut Koschyk, Armin Laschet, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Standortbestimmung der Auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 13/4863 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rezzo Schlauch, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staatsferne und Selbstbestimmung des deutschen Auslandsrundfunks ({20}) - Drucksache 13/4846 Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser heutiges Thema ist hochaktuell. Es geht um das Selbstverständnis und das Bild unseres wiedervereinten Landes. Es geht um unsere Rolle im Geben und Nehmen der Kulturen der Weltgemeinschaft. Deutschland ist nicht nur Industrie- und Handels-, sondern auch Kulturnation. Kunst und Kultur haben ihren Wert in sich. Sie entspringen einem elementaren Empfinden der Menschen. Unsere kulturellen Traditionen und Leistungen sind nicht nur ein unverzichtbarer Teil unserer Identität, unseres Selbstverständnisses als Deutsche und Europäer. Sie haben uns in der Vergangenheit mehr als alles andere dabei geholfen, die Achtung und Sympathie der Völkergemeinschaft zu gewinnen. ({0}) Die tausendfachen persönlichen Bande und Freundschaften, die vom Goethe-Institut, vom Akademischen Austauschdienst, der Alexander-vonHumboldt-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und anderen Kulturmittlern für unser Land geschlossen und gepflegt werden, sind ein ganz kostbares Gut. Dadurch wurden und werden oft lebenslange Brücken gebaut. Die Bundesregierung und auch der Bundestag - da bin ich sicher - werden diese Brücken auch in Zukunft pflegen. Das bleibt eine der Grundvoraussetzungen für eine gute Zukunft unseres Landes. ({1}) Der Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, über den wir heute debattieren, belegt: Die Auswärtige Kulturpolitik ist und bleibt für die Bundesregierung ein wichtiger, integraler, gleichberechtigter Bestandteil unserer Außenpolitik. ({2}) Trotz knapper Kassen und großer neuer Herausforderungen ist es gelungen, ihre Substanz und ihre Qualität zu bewahren und neue Chancen zu nutzen. Wir haben auf die Umbrüche seit 1989 auch im Bereich der Kultur mit einer großen Kulturinitiative in Mittel- und Osteuropa und in den GUS-Staaten reagiert. Die Bundesregierung hat damit für die deutsche Kultur und Sprache, soweit es unsere Kräfte zuließen, eine historische Chance genutzt. Das war zugleich ein wichtiges politisches Signal. Das wiedervereinte Deutschland ist sich nicht selbst genug, wie manche befürchtet haben. Wir verstehen uns als Europäer, als weltoffene und weltzugewandte Deutsche im Sinne Thomas Manns. Wir wollen und können auch von anderen lernen, vor allem natürlich auch aus unserer eigenen Geschichte. ({3}) Alles, was wir haben, ist immer im Austausch mit unseren Nachbarn entstanden, niemals ohne oder gegen sie. Deshalb ist unser Kurs ein für allemal europäisch. ({4}) Wir wissen. sehr genau, daß Interesse, Verantwortung und Solidarität in unserer einen Welt nicht voneinander zu trennen sind. In diesem europäischen partnerschaftlichen und verantwortungsbewußten Sinne verstehen wir Deutschland als Kulturnation. In unserem Haus der Kulturen der Welt in Berlin ist das zu einem praktischen Stück deutscher Politik geworden. Ja, all das erforderte und erfordert große Anstrengungen. Dafür gebührt vor allem den vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Mittlerorganisationen, allen voran des Goethe-Instituts, Dank und Anerkennung. ({5}) Sie haben mehr als einmal - leider Gottes war das in den letzten Jahren dringend notwendig - aus der Not eine Tugend gemacht und knappe Mittel mit viel Einsatz und Phantasie wettgemacht. Sie vertreten jeden Tag draußen in der Welt das Bild unseres Landes und die Prinzipien unserer Auswärtigen Kulturpolitik. Das sind: Dialog statt Monolog, Kulturstaat statt Staatskultur, globale Lerngemeinschaft statt simpler Kulturexport. ({6}) Unsere Mittler sind - es ist wichtig, das zu betonen - dabei organisatorisch unabhängig und gestalten ihr Programm in eigener Verantwortung. Gerade das ist zu einem unverwechselbaren Markenzeichen unserer Selbstdarstellung im Ausland geworden, und das muß auch so bleiben. ({7}) Nach dem Ende einer jahrzehntelangen ideologischen Auseinandersetzung hat die Frage des Zusammenlebens der Kulturen neue Aufmerksamkeit gefunden - zu Recht. Das Bewußtsein um die kulturelle Identität hat im globalen Dorf des ausgehenden 20. Jahrhunderts eine Renaissance erlebt. Das hat Positives, aber leider auch Negatives. Nicht nur in Bosnien, sondern weltweit erleben wir heute ein Wiederaufflammen längst überwunden geglaubter kultureller, religiöser und ethnischer Gegensätze und Konflikte. Es wäre schlimm, wenn wir nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zulassen würden, daß die Menschheit ihre Kräfte jetzt in einem Konflikt der Kulturen zerreiben würde. Deshalb ist der Dialog der Kulturen als Friedensstandort und gemeinsame Überlebenspolitik der Menschheit so wichtig geworden. Im übrigen muß sich auch der Westen mit seinen Werten hinterfragen lassen. Es wird immer wichtiger, die Erfahrungen und Diskussionen anderer Länder und Regionen in unsere kulturelle Öffentlichkeit einzubringen und von ihnen zu lernen. Das heißt: Kulturaustausch im Wortsinne als echte Zweibahnstraße. Das verlangt Zuhören, das verlangt Offenheit, und das verlangt Unvoreingenommenheit von allen Seiten. Die Verbreitung der Kultur und die Erziehung zu Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind unlösbar mit der Würde des Menschen verbunden. Dieser Satz aus der Präambel der UNESCO-Verfassung bringt unser Verständnis von Auswärtiger Kulturpolitik auf den Punkt. Für uns hat diese Auswärtige Kulturpolitik im Dreieck Freiheit, Menschenrechte und Entwicklung große und unersetzbare Bedeutung. ({8}) Das ist aber auch die große Bewährungsprobe, vor der der Dialog zwischen den Kulturen heute steht, vor allem gegenüber den islamischen Kulturen mit ihren 1,2 Milliarden Gläubigen. Unsere Kultur ist die einer offenen Gesellschaft. Wir diskutieren offen, auch selbstkritisch, über alle wichtigen Fragen. So stellen wir uns auch nach draußen dar. In den islamischen Ländern herrscht zum Teil ein anderes Verständnis vor. Das hat im wesentlichen Ursachen in der Geschichte. Also müssen wir mit unseren islamischen Partnern reden. Dialog ist notwendig und nicht Ausgrenzung. ({9}) Vor allem müssen wir uns vor falschen Pauschalurteilen und falschen Feindbildern hüten. Der Fundamentalismus umfaßt nicht den ganzen Islam. Die erbittertste Auseinandersetzung mit ihm wird innerhalb des Islam selbst geführt. Die islamischen Länder müssen andererseits wissen, daß Toleranz und Offenheit eine Zweibahnstraße sind und für gesellschaftlichen Rückschritt ein hoher wirtschaftlicher Preis zu zahlen ist. Diesen Preis zahlen leider die Menschen, nicht die Regierungen. Wer den Sprung der asiatischen Tiger analysiert, kommt an den konfuzianischen Tugenden nicht vorbei. Wer sich fragt, weshalb gerade die USA beim Schritt in die Informationsgesellschaft die Nase vorn haben, stößt auf die spezifische amerikanische Kultur des Fortschritts. Kurz ausgedrückt: Standortwettbewerb ist im Kern Kulturwettbewerb, Wettbewerb zwischen den Gesellschaften, ihre Einstellung zum Wandel, zum Fortschritt, zur Technologie und zur Erziehung. Jeder, der unsere Standortdiskussion verfolgt, weiß, wie wichtig es für uns Deutsche in unserer jetzigen Lage ist, auch auf diesem Gebiet dazuzulernen. ({10}) Nur wenn wir über unsere Grenzen hinausschauen, werden wir in der Lage sein, das Richtige für unser Land zu tun. Aber es geht nicht nur um Wettbewerb. Die UNO-Städtekonferenz in Istanbul hat gerade wieder verdeutlicht, wie sehr unsere Welt zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden ist. Kulturaustausch heißt in diesem Zusammenhang gemeinsames Nachdenken über gemeinsame Lösungen, über eine Kultur des Überlebens, die Mensch und Natur, Ökonomie und Ökologie wieder in Übereinstimmung bringt. Auch deshalb ist der Kulturaustausch eine so wichtige Zukunftsinvestition in den Standort Deutschland. Deshalb darf unsere Diskussion über den Standort Deutschland nicht allein auf das Wirtschaftliche verengt werden. Meine Damen und Herren, auswärtige Kulturpolitik ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern, Wirtschaft und Gesellschaft. Es muß aber in der Praxis noch deutlicher werden: Wenn wir den neuen Anforderungen vor dem Hintergrund knappen Geldes gerecht werden wollen, kommen wir an einer neuen, innovativen Bündelung der Kräfte nicht vorbei. Deshalb mein Anstoß zur Einberufung eines Beirates für auswärtige Kulturpolitik. Deshalb auch meine Initiative für eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen Kultur und Wirtschaft. Hier muß im Interesse unseres Landes stärker an einem Strang gezogen werden. Die kulturelle Ausstrahlung und Präsenz sind vom wirtschaftlichen Erfolg heute nicht mehr zu trennen. Ich denke zum Beispiel an engere Zusammenarbeit deutscher Verleger oder der Filmindustrie mit dem Goethe-Institut. Ein gutes Beispiel ist das von Goethe-Institut und DIHT gemeinsam entwickelte Konzept der Förderung von Deutsch als Wirtschaftssprache. Die Fulbright-Kommission ermöglicht für ihre US-Stipendiaten im Zusammenhang mit der Wirtschaft Praktika nach Abschluß ihres Studiums. Warum sollte eigentlich so etwas nicht auch in Deutschland gelingen, ebenso wie das Marketing von Stipendienprogrammen. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten der engeren Zusammenarbeit; wir müssen sie nur aufgreifen. Ein Beispiel ist die Nutzung der modernen Medien. Die revolutionären Entwicklungen in den Bereichen Information und Kommunikation stellen auch für die auswärtige Kulturpolitik eine Zeitenwende dar. Hörfunk und Fernsehen spielen eine immer größere Rolle. Darauf stellen wir uns ein. Im September 1994 gab es dazu in Asien einen hochrangig besetzten gemeinsamen Tisch. Gerade hier drängt sich doch fast zwingend die Notwendigkeit einer konzertierten Aktion aller gesellschaftlichen Kräfte auf. Das Auswärtige Amt und die Mittlerorganisationen haben auch die Herausforderung des Internets angenommen und daraus ein breites Angebot entwickelt. Es reicht von deutschlandkundlichen Informationen über Lehrmaterialien, Lehrveranstaltungen, Fortbildungsprogrammen bis hin zur Eingliederung der Büchereien der Goethe-Institute in den USA in den amerikanischen Bibliotheksverbund. ({11}) Ich finde, das sind interessante und gute Beispiele, wie wir vernetzt auch international vorgehen können. Eines jedenfalls ist klar: Wir können uns den Luxus früherer Jahre nicht leisten, nämlich Politik, Außenwirtschaft und Auslandskulturarbeit nebeneinander zu betreiben. Das wird weiter nicht möglich sein. ({12}) Wir müssen Querverbindungen schaffen, Querstreben einziehen und neue Kräfte mobilisieren. Lassen Sie mich allerdings dazu eines klar sagen: Instrumentalisierung oder Kommerzialisierung unserer Kulturarbeit kann und darf nicht das Thema sein. Die Bundesregierung will nicht Goethe sozusagen vor das „Made in Germany" spannen. Kultur und Wirtschaft spiegeln als komplementäre Größen das neue Bild Deutschlands in der Welt, und natürlich darf und soll Kultur nicht zum Hilfsmittel der deutschen Exportwirtschaft werden. Eine Gängelung der Kultur widerspräche auch dem Geist unserer Verfassung. Sie wäre kontraproduktiv, denn nur dort, wo die Kultur Freiraum hat, entfaltet sie ihre volle Ausstrahlung. ({13}) Meine Damen und Herren, historische Chancen im neuen Europa, neue Herausforderungen in Asien und Lateinamerika und dazu engere finanzielle Spielräume, das verlangt klare Prioritäten, regional wie sektoral. Das heißt Vorrang für Sprachförderung in Mittel- und Osteuropa, in den GUS-Staaten, Wissenschafts- und Forschungszusammenarbeit in Asien, Erhaltung des gut ausgebauten Schulwesens in Lateinamerika. Es geht um mehr als Sprache und Wissenschaftsbeziehungen. Kunst und Kultur sind viel mehr, gehen weit darüber hinaus. Konzerte, Ballette, Kunstausstellungen, Dichterlesungen - all das öffnet eigentlich erst die Herzen der Menschen, schafft Sympathie, wie es kein anderes Medium vermag. Wer dabei war, als der Leiter der Stuttgarter Bachakademie, Helmuth Rilling, im August 1995 das Requiem der Versöhnung in Stuttgart aufgeführt hat, ein Gemeinschaftswerk von 14 internationalen Komponisten, weiß, was ich meine. Ich bin gegenwärtig mit Yehudi Menuhin im Gespräch über ein Konzert, das im Oktober in Sarajevo stattfinden soll. Könnte man sich eine schönere Friedensbotschaft für diese leidgeprüfte Stadt vorstellen? Auch in Zeiten knapper Kassen dürfen wir deshalb nie vergessen: Gerade diese Art von Kulturaustausch ist kein überflüssiger Luxus. Er spricht die Menschen an und bewegt sie. Meine Damen und Herren, auch die europäische Einigung hat nicht nur eine politisch-wirtschaftliche, sondern auch eine geistig-kulturelle Dimension. Sie ist der Schlüssel für das Zusammenwachsen der Herzen. Nur so kann dem Nationalismus dauerhaft ein Riegel vorgeschoben werden. Deutschland trägt dafür aus seiner Geschichte heraus eine besondere Verantwortung. Das neue, ungeteilte Europa bietet unserem Land aber auch besondere Chancen, gerade für Kultur und Sprache. Wir haben sie erkannt und nehmen sie wahr, soweit es unsere Kräfte nur irgendwie erlauben. Dabei konnten wir - auch das muß man einmal sagen - auf den großen Leistungen der Spracharbeit der ehemaligen DDR aufbauen. Jeder polnische Germanistikstudent war ein Jahr in der DDR. Insgesamt sind dort rund 30 000 ausländische Akademiker ausgebildet worden. Der Deutsche Akademische Austauschdienst erfüllt hier eine große und wichtige Aufgabe der Nachbetreuung. ({14}) Unsere zusätzlichen Anstrengungen in Mittel- und Osteuropa und in den GUS-Staaten sind enorm. Der Anteil Mittel- und Osteuropas und der GUS-Staaten am Kulturhaushalt wurde seit 1989 von 6 auf 16 Prozent gesteigert. Seit 1992 wurden 19 neue Kulturabkommen geschlossen. 13 neue Goethe-Institute und zwei DAAD-Außenstellen haben in diesen Ländern ihre Arbeit aufgenommen. Der DAAD hat 1995, oft nicht in der Bedeutung, die er hat, anerkannt, den Austausch von 13 500 Studierenden, Graduierten und Wissenschaftlern gefördert. 130 DAAD-Lektoren bilden Germanisten und Deutschlehrer aus. Es gibt sage und schreibe 1 300 Hochschulkooperationen. Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland ist und bleibt für die Bundesregierung ein Schwerpunktanliegen. Denn die Sprache ist nun einmal bei weitem der wichtigste Schlüssel der Tür zu fremden Kulturen. Im zusammenwachsenden Europa, in einer eng zusammenrückenden Weltgemeinschaft gewinnt sie weiter an Bedeutung. Von den etwa 20 Millionen Menschen, die weltweit Deutsch lernen, leben rund zwei Drittel in Mittel- und Osteuropa und den GUS-Staaten. Natürlich wird Englisch auch dort seine Sonderstellung behalten. Aber Mehrsprachigkeit war immer das besondere Markenzeichen europäischer Zivilisation. In der Regel ist in dieser Region in den Schulen Deutsch hinter Englisch und vor Französisch die Nummer zwei in der Sprachausbildung. Die Mittel für die Förderung der deutschen Sprache wurden 1996 auf 73 Millionen DM erhöht. Zugleich wurde die zeitliche Befristung des Sonderprogramms aufgehoben. Die Nachfrage nach Deutschunterricht ist in diesen Staaten wirklich so enorm, daß sie kaum gedeckt werden kann. 552 Lehrer sind in die Region entsandt worden. Es fehlen nach den Anforderungen noch sage und schreibe 1 000. Ich möchte den Bundesländern von hier aus einmal sagen, daß wir da gemeinsam, Bund und Länder, noch weit mehr tun müssen, aber auch tun können. ({15}) Meine Damen und Herren, wenn wir von den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sprechen, ist auch die Rückführung von Kulturgütern ein wichtiges Thema für uns. Mit Rußland, der Ukraine und Georgien stehen wir in Gesprächen, die wahrhaftig nicht einfach sind, aber es gibt Fortschritte. So hat uns die georgische Regierung bei meinem dortigen Besuch vor kurzem zugesagt, 140 000 Bücher zurückzuführen, die aus verschiedenen deutschen Bibliotheken stammen. Sie sollen noch in diesem Jahr nach Deutschland zurückgebracht werden. Ich glaube, daß man gerade hier im Deutschen Bundestag die Sensibilität dieses Themas in allen angesprochenen Ländern versteht, und wir alle wissen sehr genau, daß Geduld und Feinfühligkeit notwendig sind. Aber die betroffenen Länder müssen wissen, daß das für uns eine wichtige Frage ist. Es geht nämlich in diesem Zusammenhang - das muß man deutlich sagen - um Vertrauen, es geht um Verläßlichkeit, und es geht auch um Freundschaft. ({16}) Die Trumpfkarte im Informationszeitalter ist ein hohes Bildungs-, Erziehungs-, Wissenschafts- und Forschungsniveau. Dabei wird die internationale Verflechtung immer wichtiger. Unsere Ausbildung muß sich weit stärker in die internationale Entwicklung einfügen. Wir müssen bei unseren Studienangeboten auch auf ausländische Standards und Erwartungshorizonte eingehen, ({17}) sonst geraten wir in die Isolierung. In den USA studieren derzeit 450 000 Ausländer, davon 82 000 Chinesen. Zum Vergleich: Bei uns sind es 5 000 Chinesen. Ähnlich drastisch ist das Verhältnis bei den japanischen Studenten: Auf 43 000 in den USA kommen 1 500 bei uns. Ähnlich ist das Verhältnis bei den indischen Studenten: Es gibt 38 000 in den USA und nur 600 bei uns. Das muß uns zu denken geben. Wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, daß sehr oft die Besten nicht zu uns kommen, sondern woanders hingehen. Das betrifft besonders den Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, gerade die Fächer, in denen traditionell die Führungseliten ausgebildet werden. Wir müssen uns schon fragen: Was bedeutet das für die Ausbildung des eigenen akademischen Nachwuchses? Geht unsere Ausbildung an dem vorbei, was die heutige moderne Welt verlangt? ({18}) Ich möchte damit niemand auf die Anklagebank setzen und um Gottes willen auch nicht unsere Hochschulen schlechtreden. Wir haben immer noch erstklassige Voraussetzungen, erstklassige Hochschullehrer und erstklassige Forschung. Vier Nobelpreisträger seit 1991 zeigen: Wir bringen immer noch Spitzenleistungen, aber auf den Erfolgen der Vergangenheit können und dürfen wir uns nicht ausruhen. Wir brauchen im Hochschulbereich unbedingt eine stärkere Anpassung an die internationalen Entwicklungen, und wir brauchen vor allem mehr Wettbewerb. In den letzten Monaten hat es vielfältige Anstrengungen und Vorschläge des Bundes und der Länder gegeben, wie die Internationalität unserer Hochschulen und die internationale Kompatibilität ihrer Studiengänge - das ist mit das Wichtigste - und Abschlüsse gestärkt werden können. Der Kollege Rüttgers und ich haben uns zu diesem Thema gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt. Wir meinen, daß folgendes notwendig ist: die Einrichtung spezieller internationaler zweisprachiger Studienangebote mit internationalen Abschlüssen als Pilotprojekte sowohl für deutsche als auch für ausländische Studenten. Notwendig ist die Erweiterung des Konzepts integrierter Studiengänge im Rahmen von Partnerschaften mit Hochschulen auch in Übersee, insbesondere in Asien und Lateinamerika. Notwendig ist weiterhin die Entwicklung maßgeschneiderter Aufbau- und Promotionsstudiengänge für ausländische Studierende mit Bachelor-Abschluß. ({19}) Im Verhältnis zur Türkei ist uns ein wichtiger Fortschritt gelungen: Besonders befähigte türkische Absolventen werden in Zukunft nach einer etwa zweijährigen Studienzeit, in der bestimmte Studienleistungen nachgeholt werden müssen, mit dem Ziel der Promotion an unseren Hochschulen zugelassen. Notwendig sind die Entwicklung besonderer Pilotprojekte im Sinne von „Servicepaketen" für ausländische Studierende mit sozialer, fachlicher und persönlicher Betreuung, die Verstärkung des Gastdozentenaustausches und die Sicherstellung der angemessenen Anerkennung deutscher Hochschulabschlüsse im Ausland. Wir brauchen - bisher meinten wir, das nicht nötig zu haben, aber wir haben es nötig - mehr Information und Werbung im Ausland, und wir brauchen Verbesserungen im Bereich der deutschen Sprache als Hochschulzugangsvoraussetzung. Briten und Franzosen haben dafür standardisierte Prüfungsverfahren. Schließlich brauchen wir - auch das müssen wir deutlich sagen - eine Überprüfung der visa- und ausländerrechtlichen Regelungen für ausländische Studierende. Wir müssen uns bemühen, ihnen das Hereinkommen und den Aufenthalt hier zu erleichtern und nicht zu erschweren. Ohne Anpassung unserer Bildungspolitik an die Realitäten des heutigen weltweiten Wettbewerbs werden wir ins Hintertreffen geraten, wenn das nicht schon geschehen ist, und deshalb muß schnell ein vernünftiges Paket geschnürt werden. Das hat übrigens auch etwas mit Föderalismus zu tun und ist nicht in erster Linie und allein Sache des Bundes. ({20}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen es so gut wie ich: Auch in umgekehrter Richtung des Hochschulaustausches gibt es Anlaß zur Sorge. Mit weitem Abstand zu wenige deutsche Studenten studieren im Ausland, besonders in Ländern außerhalb Europas und der USA. Die Gründe dafür sind vielfältig, vielschichtig. Neben Problemen der Anerkennung ausländischer Studienzeiten bei uns ist es oftmals auch mangelnde Mobilität, die viele junge Studierende vom Auslandsaufenthalt abhält. Aber unsere Führungskräfte von morgen brauchen Internationalität und Europafähigkeit, um den Herausforderungen gewachsen zu sein, und Sprachkenntnisse und Auslandserfahrungen werden eben immer wichtiger. ({21}) Meine Damen und Herren, der Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa darf nicht dazu führen, daß wir die Entwicklungen dort, wo sie am stürmischsten sind, in den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas, außer acht lassen. Staaten wie Japan, Singapur und Korea sind hochinteressante Wissenschafts- und Forschungspartner. Wir brauchen niemanden zu kopieren, aber lernen dürfen wir allemal, zum Beispiel vom Bildungsbewußtsein, der Veränderungsbereitschaft, der Disziplin und dem Arbeitsethos der dortigen Bevölkerungen. Der DAAD hat 1995 Asien zum Schwerpunkt gemacht. Mit über 5 500 geförderten Studierenden und Wissenschaftlern rangiert Asien nach Westeuropa und Mittel- und Osteuropa auf Platz 3. Die in diesem Jahr angelaufenen DAAD-Programme bieten im Sinne des Asien-Konzepts der Bundesregierung eine Verknüpfung von Hochschule, Industrie und Wirtschaft, zum Beispiel ein Austauschprogramm zwischen dem DAAD und der Korea Science and Engineering Foundation. Der im Austausch mit Japan überaus erfolgreiche Programmtyp „Sprache und Praxis" kann jetzt auch in China angeboten werden. An der Tongji-Universität in Schanghai wird der DAAD ein chinesisch-deutsches Hochschulkolleg mit den Fächern Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sowie Jura einrichten, das auf engste Wirtschaftskooperation ausgerichtet ist. An der Technischen Hochschule Hanoi soll ein deutsch-vietnamesisches Zentrum zum wissenschaftlich-technischen Austausch entstehen. In beiden Städten sind auch neue Goethe-Institute geplant. Für Asien tun wir also wirklich etwas. In Lateinamerika sind deutsche Sprache und Kultur durch die deutschen Einwanderer seit Jahrhunderten tief verwurzelt. Lateinamerika erhält bereits jetzt den größten Anteil der Mittel für die Dritte Welt. Nirgendwo sonst gibt es ein so dichtes und effizientes Netz deutscher Auslandsschulen. Von 114 deutschen Schulen in aller Welt sind allein 37 mit über 40 000 Schülern in Lateinamerika. Unsere Auslandsschulen sind Zentren deutscher Kultur und internationale Begegnungsstätten, und wer Schüler einer deutschen Auslandsschule war, wird sein Leben lang normalerweise besondere Bindungen an Deutschland haben. Übrigens kommen diese Auslandsschulen auch der deutschen Wirtschaft und damit dem Standort Deutschland zugute. Sie sind wichtig für den internationalen Personaleinsatz deutscher Unternehmen. Meine Damen und Herren, trotz der großen Sparzwänge wurde der Kulturhaushalt 1996 vom Rotstift doch wenigstens einigermaßen verschont. Auch von der im März verfügten Haushaltssperre wurde er völlig freigestellt. Ich möchte dem Haushaltsausschuß, den Berichterstattern und allen aus dem Hohen Hause für ihr großes Verständnis und die Unterstützung meiner Bemühungen danken. ({22}) Natürlich haben die notwendigen Schwerpunktverlagerungen und Rationalisierungen auch einige unliebsame Entscheidungen notwendig gemacht. Fünf Goethe-Institute mußten wir schließen. Wie schwer uns das gefallen ist, können Sie sich vorstellen. Es war ein nicht zu umgehender Schritt. Die Bundesregierung ist aber entschlossen, bereits 1997 im Haushalt der Mittlerorganisationen mit der Flexibilisierung Ernst zu machen, und wir wollen auch auf Regierungsebene die Abläufe straffen. Eine bessere Zusammenführung und Koordinierung der Kompetenzen in diesem Bereich tut not. Meine Damen und Herren, wir wollen unserem Land in der Welt einen Platz sichern, der den Wünschen und Hoffnungen unserer Bürger wie den berechtigten Erwartungen unserer Nachbarn und Freunde entspricht. Dabei wird uns auch in Zukunft die Auswärtige Kulturpolitik eine unentbehrliche Stütze sein. Sie hat das internationale Vertrauen mit bewirkt, das uns die Wiedervereinigung ermöglichte. Nach 1989 hat sie Europa und der Welt gezeigt, daß manche vorher gehegten Sorgen unbegründet waren. Heute muß uns unter anderem auch die Auswärtige Kulturpolitik helfen, in einer Welt im Wandel in weit größere Verantwortung hineinzuwachsen. Die Bundesregierung wird deshalb alle Anstrengungen unternehmen, um diese Politik auch in Zukunft trotz aller Haushaltszwänge auf - das ist ganz entscheidend - hohem Niveau fortzuführen. Dabei weiß sie sich von einem breiten Konsens im Parlament und auch in der deutschen Öffentlichkeit unterstützt. Vielen Dank. ({23})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Freimut Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister, das war die Rede des Außenministers Kinkel von heute, die die Rede des Außenministers Kinkel im Januar vor dem Börsenverein radikal kritisiert hat. Sie haben eine ganz andere Rede gehalten als damals. Das ist gut. Die Lernfähigkeit einer so großen Bundesregierung haben wir immer wieder eingeklagt. Jetzt hat sie sich als vorhanden erwiesen. Ich finde gut, daß Sie in vielen entscheidenden Punkten von der Werblichkeit und Public-Relations-Rede vom Januar abgekommen sind und hier wieder zu dem Konsens zurückgefunden haben, der uns bisher in der gemeinsamen Arbeit getragen hat. Ich komme nachher noch auf die problematische Bemerkung zurück, daß bei uns die weniger intelligenten Studenten aus dem Ausland ankommen. Es hat tiefe strukturelle Gründe, warum wir immer weniger Studenten aus dem Ausland bei uns haben. Einige haben Sie genannt. Es wäre natürlich ganz gut gewesen, Herr Bundesaußenminister, wenn Sie heute als Mitglied der F.D.P. auch gesagt hätten, daß die Friedrich-Naumann-Stiftung das Institut in Peking schließt. ({0}) - Geschlossen wird. Sie wird gezwungen, es zu schließen. - Ich freue mich darüber nicht. Es ist natürlich eine dramatische Entwicklung, die eigentlich heute hier angesprochen gehört hätte. ({1}) Liebe Kollegen, wenn Deutsche meiner Generation irgendwo im Ausland gefragt werden, warum sie stolz sind, Bürger dieser Bundesrepublik zu sein, dann können sie mit der Überzeugung antworten: weil wir die erste Generation eines Volkes waren, die furchtbaren Anlaß hatte zu sagen, wir definieren uns nicht nur aus den großen Taten der eigenen Geschichte oder gar wie Nationalisten aus der angeblichen Barbarei der je anderen, sondern aus beidem, aus der schönen und aus der schrecklichen Wahrheit unserer eigenen Geschichte. Darum empört mich das Wort „Büßerhemd", das ein verantwortungsloser Spitzenpolitiker in der letzten Woche für die große politische und kulturelle Leistung einer ganzen Generation benutzt hat, sehr. Es ist ein falsches Wort, und es sollte zurückgenommen werden. ({2}) Begriffen haben dieser Mann und auch seine Beifallklatscher nichts. Denn diese neue Qualität ist der Realismus, den das Europa und auch die anderen Länder des 21. Jahrhunderts brauchen. Darauf sind wir stolz, und darauf können die Mitarbeiter der Mittlerorganisationen stolz sein, die in den vergangenen 40 Jahren überall in der Welt dazu beigetragen haben, daß es dieses wirklichkeitsgetreue Bild von uns gibt. Sie haben für die einzige Kulturform gearbeitet, die der selbstbewußten Demokratie angemessen ist: die Kultur der Wahrhaftigkeit, der Gelassenheit und der Souveränität. Auch Bundespräsident Herzog bringt in vielen seiner Reden wie seine Vorgänger jene souveräne Gelassenheit zum Ausdruck, die auch der Auswärtigen Kulturpolitik gut ansteht. Hans Magnus Enzensberger, Wolf Lepenies, Rolf Michaelis und viele andere haben sich in der jüngsten Zeit sehr intensiv geäußert. Auch die „Fachleute" wie Hilmar Hoffmann, Joachim Sartorius, Theodor Berchem haben sich erklärend und mahnend zu Wort gemeldet. Wir hatten und haben seit vielen Jahren zum erstenmal eine öffentliche Debatte zu diesem Thema. Einige haben vor drohendem Mittelabbau gewarnt, andere vor der Gefahr, die große Herausforderung zu verpassen: die Herausforderung eines grundsätzlichen Wandels der Aufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik. Wir sollten all diesen Stimmen dankbar sein; ohne sie gäbe es diese Kulturpolitik gar nicht. ({3}) Vor über 30 Jahren notierte Günter Grass: „Bevor es überhaupt eine deutsche Nation gab, gab es Klopstock und Lessing, eine deutsche Literatur." Das gilt auch für unser Thema. Ohne die Künstler - Schriftsteller, Musiker, Maler, Bildhauer und Architekten - könnte es diese Auswärtige Kulturpolitik gar nicht geben. Es ist häufig so in vielen Gebieten des Lebens, daß sich die Mittler zu der Sache machen. Sie sind wichtig, aber ohne die Gegenstände des zu Vermittelnden gäbe es die ganze Sache gar nicht. ({4}) Damit sie möglich ist, muß es Filmer wie Rainer Werner Fassbinder, Autoren wie Peter Rühmkorf oder Sarah Kirsch, Musiker wie Hans Zender und Kameraleute wie Michael Ballhaus geben. Auch das Engagement eines Mannes wie Professor Gerd Albrecht, des Dirigenten, das in Prag auf soviel Beifall und zugleich auf soviel politische Mißgunst traf - auch das muß man hier erwähnen -, ist ein Teil unserer Auswärtigen Kulturpolitik. ({5}) Herr Außenminister, Sie haben im Januar dieses lockere und leckere Bild vom „Unternehmen Deutschland" in die Diskussion gebracht. Sie haben das heute stark korrigiert. Sie haben gemerkt, mit solchen Wortspielen kommen weder der ökonomische Aufschwung noch die Kulturpolitik in Gang. Die Korrektur heute war richtig. Wer durch Kultur erfolgreich werben will, darf mit der Kultur nicht als Werber auftreten. Das wäre ein Mißbrauch der Kultur. Dies ist der Ansatzpunkt, den wir in unserem Antrag so formuliert haben. Wir reden heute morgen über ein sehr kostbares Produkt unserer Außenpolitik, das seit Anfang der 50er Jahre entwickelt worden ist und das es verdient, zum Gegenstand eines historischen Rückblicks zu werden. Denn daran haben viele mitgearbeitet, manchmal kontrovers, häufig im fruchtbaren Konsens. Daran haben - das muß hier gesagt werden - auch die steuerzahlenden Bürger mitgewirkt. Nie hat es in Deutschland eine so peinliche Debatte gegeben - ich hoffe, es wird sie nie geben, und ich glaube auch nicht, daß es sie je geben wird - wie jene, die Newt Gingrich in den USA über die Kosten amerikanischer Kulturinstitutionen im Ausland angezettelt hatte. Ich danke unseren Bürgern, daß sie dieses bisher nie gemacht haben, und die Auswärtige Kulturpolitik ist nie ein wirklicher Gegenstand der Kritik gewesen. Das ist ein hohes Maß für die Qualität der Mitwirkung der Bürger in der Demokratie an etwas, bei dem sie nur indirekt die Vorstellung haben, daß sie partizipieren. ({6}) Herr Bundeskanzler - da Sie in den Bänken der Abgeordneten sitzen, könnte ich fast anspruchsvoll sagen: Herr Kollege Kohl (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Warum nicht!) lassen Sie mir eine kritische Erinnerung loswerden: Kollegen von der SPD und ich haben sich in Ihren 13 Regierungsjahren stets um einen Konsens in der Sache bemüht. Wir haben die Auswärtige Kulturpolitik nie so mißgünstig und kleinkariert angegriffen - daran muß ich erinnern -, wie dies aus den 70er Jahren im Gedächtnis haften geblieben ist. Damals gab es eine Opposition, die einzelne Veranstaltungen, Liederabende, Ausstellungen, selbst einzelne Buchtitel genutzt hat, um populistische Geschütze in Stellung zu bringen. Häufig erntete sie allerdings mehr Lach- als Schußsalven. Ich bin froh, daß es dies nicht mehr gibt. Vielleicht können wir uns für alle Zukunft darauf verständigen, daß dieser Weg der damaligen Opposition falsch war. ({0}) Wir haben uns um Konsens bemüht und werden uns weiterhin darum bemühen. Wenn es allerdings um grundlegende Fragen oder aktuelles drastisches Fehlverhalten und um den verantwortungslosen Umgang mit unseren gemeinsamen Institutionen geht, Herr Kollege Schäuble, werden wir uns deutlich zu Wort melden, gerade weil wir an diesen Grundpositionen festhalten wollen. Dazu gehört - das hat der Außenminister gesagt - das Prinzip des Dialogs; denn dies ist heute wieder gefragt und wird in Zukunft immer wichtiger. Wolf Lepenies hat davon gesprochen, daß in dieser globalen Weltkultur Lerngemeinschaften entstehen. Wir müssen uns also darauf einrichten. Die großen Mittlerorganisationen - sie werden staatlich finanziert, ihre Arbeit machen sie jedoch autonom - haben ihren Auftrag bisher gut bewältigt. Es ist ihnen gelungen, immer den jeweils historischen Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Dies geschah in vier Stufen, an die ich erinnern will: die behutsame Entwicklung der Formen und Inhalte in den 50er und 60er Jahren, was damals für Deutsche weiß Gott schwer genug war - ich erinnere an Dieter Sattler, der dazu viel beigetragen hat -; dann die große Leistung bei der Kulturhilfe nach der Unabhängigkeit vieler Staaten in Afrika und Asien in den 60er Jahren; auch die schwierige Arbeit in Diktaturen wie Portugal, Griechenland und der Türkei oder die Arbeit unter der Apartheid in Südafrika - überall haben diese Institute gezeigt, daß sie mit den jeweils anderen Herausforderungen umgehen können -; und schließlich der Zeitbruch nach 1989. In der letzten Zeit aber verstärken sich die Probleme, Fehlentwicklungen sind zu konstatieren, dramatische Signale sind zu hören. Alle großen Mittlerorganisationen, vor allem die Goethe-Institute, die Humboldt-Stiftung und der DAAD, haben in den vergangen vier Jahren gut reagiert. Trotz drohender bzw. vollzogener Schließungen konnte sogar noch ein Goethe-Institut im Inland eröffnet werden; das Inlandsangebot an Kursen wurde verbessert. Seit langem drängen die Mittler darauf, mehr Eigenverantwortlichkeit bei finanziellen Dispositionen zu erhalten. Das haben sie im Rahmen des bisher rechtlich Möglichen bekommen. Ich schließe mich dem Dank an die Haushälter an: Ohne die Mitwirkung dieser hätte es diese Öffnung zu mehr Eigenverantwortlichkeit nicht gegeben. Der Bundestag hat Wichtiges dazu beigetragen. Herr Außenminister, Sie haben über unser Universitätssystem geschrieben. ({1}) - Gesprochen. Geschrieben hat dazu Peter Glotz; das ist sehr gut. - Dieses Universitätssystem wird für Studenten und Wissenschaftler aus dem Ausland immer weniger einladend. Es gibt viel zu viele Barrieren, nach Deutschland zu kommen. Dabei handelt es sich nicht nur um Visa-Barrieren; Sie haben einige andere beschrieben. Darum finde ich es schon etwas peinlich, daß bei dieser Debatte heute die Vertreterin eines einzigen Bundeslandes anwesend ist, ({2}) obwohl die Bundesländer immer einklagen, an der Auswärtigen Kulturpolitik mitwirken zu wollen. ({3}) Wenn das nur eine formale Mitwirkung sein soll, dann bringt sie nichts. Sie sollte die Form einer tiefen Diskussion haben. Deshalb ist es schade, daß die Länder - bis auf eines - nicht vertreten sind. Die Humboldt-Stiftung hat für unser Land eine phantastische Bilanz vorzuweisen; diese darf auf keinen Fall weiter geschmälert werden. Die Zahl der Stipendiaten hat von 650 auf 450 zurückgehen müssen. Die Universitäten müssen einen neuen Anlauf nehmen, um auch Hochbegabte zu uns zu holen. Wir brauchen ernsthafte Bemühungen dafür, daß mehr Deutsche im Ausland und mehr Ausländer hier studieren. Hierzu gehören gerade kulturell und wissenschaftlich Begabte aus Asien oder aus der sehr differenzierten islamischen Welt. Bei den Naturwissenschaften werden wir auf Dauer nicht damit auskommen, von jedem - da unterscheidet sich meine Auffassung von der des Außenministers -, der hier forscht, in jedem Fall das Erlernen des akademischen Deutschstandards zu verlangen, wenn er im Internet dann wieder englisch schreiben soll. Hier liegt eine weitere Barriere für wissenschaftliche Zusammenarbeit vor. Wir haben ein stark abnehmendes Interesse junger Deutscher am Studium im Ausland festzustellen. Je enger die elektronischen Vernetzungen im Internet sind, desto geringer ist anscheinend das Interesse am Wechsel des Studienorts. Negativ ist die Entwicklung in einem ganz anderen Bereich. Ich erwähne das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, Herr Dr. Schäuble. Nach meinem Eindruck haben sich dort Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Mitarbeitern zu katastrophalen Folgen für das Ansehen auch anderer Mittlerorganisationen entwickelt. ({4}) Alle Anstrengungen nutzen nichts, wenn das Bewußtsein für die hohe Verantwortung bei dieser Aufgabe fehlt. Was sich die Leitung des IfA an Mißachtung der Kontrollaufgabe und an persönlichen Verfilzungen geleistet hat und leistet, spottet jeder Beschreibung. ({5}) Wenn parteipolitisch ernannte Direktoren glauben, fast 35 Prozent des Reiseetats für ihre eigenen Direktionsreisen und die ihrer engeren Mitarbeiter verbrauchen zu dürfen, wenn dann die Aufsichtsgremien erklären, es gebe keinen Anlaß zu Vorwürfen, und wenn die Vorsitzenden dieser Gremien zum Rücktritt gedrängt werden, so daß die Kontrollaufgabe zur Zeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden kann, dann wirft das einen schwarzen Schatten auf die Arbeit der Auswärtigen Kulturpolitik insgesamt. ({6}) Ich warne auch den Vorsitzenden von Inter Nationes: Wer fünf Tage vor dieser Debatte, ohne den Außenminister oder den Bundeskanzler darüber zu informieren, den Betriebsratsvorsitzenden per einstweiliger Verfügung absetzen läßt, wer immer wieder die Mitarbeiter des Hauses gegen sich aufbringt, der läuft in die Irre. Ich sage es ganz deutlich: Wenn parteipolitisch ernannte Leiter - das gilt im Grundsatz für alle Parteien - sich als unfähig erweisen, verantwortungsvoll mit ihrer Aufgabe und ihren Mitarbeitern umzugehen, dann sind sie fehl am Platz und müssen abgelöst werden, bevor noch größerer Schaden angerichtet wird. ({7}) Nach meiner Kenntnis der Sache habe ich das jetzt alles noch sehr vorsichtig und eher zurückhaltend formuliert. Ich warne davor, hier leichtfertig den drohenden Schaden zu verniedlichen. ({8}) - Nein, da ist nichts zusammengerührt. Man muß es einfach einmal ansprechen und darf es nicht immer verstecken und dann auch noch die Kritiker denunzieren, wie es in jüngster Zeit geschehen ist. ({9}) Die große Herausforderung, vor der wir stehen, ist nicht mit konkreten historischen Ereignissen oder Daten zu beschreiben. Die Veränderung durch die technische, vor allem elektronische Globalisierung ist in ihren Folgen für die Auswärtige Kulturpolitik nicht abzusehen. Informationen aller Art, sei es über ein Ereignis in Lübeck oder eines in Solingen, können mit wenigen Bildszenen die Warnehmung von Deutschland radikal und auf Dauer verändern. Darauf müssen die dem Wort gewidmeten Kulturprogramme auf ihre eigene, möglicherweise andere und neue Weise reagieren. Dieser tiefgehende Wandel, der durch die verschiedenen Kommunikationstechniken übernationale Kulturarbeit verändert, heißt Globalisierung. Das bedeutet aber nicht Vereinheitlichung der Welt - ganz und gar nicht - oder gar Konflikt der Zivilisationen. Die soziale Wirklichkeit verändert sich mit der Nutzbarkeit globaler Techniken ganz anders, als wir uns dieses noch vor einem Jahrzehnt vorgestellt hatten. Wir haben immer mehr Tourismus, der wichtig ist, dabei aber möglicherweise immer weniger Kulturbegegnungen. Möglicherweise ist er auch eine Antwort auf das Desinteresse am Studium im Ausland. So studieren immer weniger Deutsche in anderen Ländern. Da die Studenten ja bereits von ihrer Art her Globetrotter sind, stehen sie vor der Frage: Warum denn im Ausland noch studieren oder sich über Jahre beispielsweise auf Japan als unterscheidbare Gesellschaft mit besonderer Lebensart und Kultur einlassen? Eine weitere Herausforderung: die Reisen der Reichen und die Fluchten der Armen. Auf den großen Flugplätzen huschen wir aneinander vorbei, die einen blaß und voller Unsicherheit, die anderen fröhlich und lebenssicher. Das hat radikal die Motive für das Interesse der Armen an der Welt der Reichen verändert. Aus dem kulturpolitisch erhofften Interesse an uns ist häufig das individuelle Interesse an Modernisierungschancen geworden, wobei dann die Nähe zu einer anderen Sprache - meistens Englisch, Deutsch, Französisch - als wichtige Einlaßpforte vermutet wird, als zusätzliche Chance, vielleicht auch für den Job im reichen Land und damit die Auswanderung. Wir haben keine heile Welt der ausschließlich edlen Begegnungen. Wir haben beides: den Verfall sozialer Kulturen und das Entstehen neuer Chancen. Auswärtige Kulturarbeit einer sozialen Demokratie darf ihre Sensibilität für beides nicht verlieren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Claus-Peter Grotz.

Prof. Claus Peter Grotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000736, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Johann Wolfgang von Goethe ist ganz bestimmt nicht zufällig der Namensgeber für eine der größten Organisationen unserer auswärtigen Kulturarbeit; denn was früher die Möglichkeiten zu reisen betrifft oder dem Genie eines Johann Wolfgang von Goethe oder einer Madame de Staël, diese erlebten Eindrücke literarisch darzustellen, zu verdanken ist, nämlich die Begegnung, die Beschäftigung mit anderen Ländern, mit anderen Kulturen, wird in unserer heutigen Gesellschaft durch die auswärtige Kulturarbeit auf breitester Basis geleistet. Die heutige Plenardebatte zeigt einmal mehr, daß die Auswärtige Kulturpolitik beileibe kein Stiefkind der Politik ist. Im Gegenteil: Jenen Kulturschaffenden, die noch vor Monaten das Fehlen einer solchen Debatte beklagten, brummt mittlerweile - wie es diese Woche in einer Kolumne hieß - wegen ebendieser Debatte gar der Schädel. Diesen Brummschädel nehme ich gerne in Kauf, zeigt doch die außenkulturpolitische Debatte, daß dieses Feld in unserer Politik einen festen Platz hat. Es hat sich dabei das Bild von der dritten Säule eingebürgert. Ob nun dritte oder sonstwelche Säule: Auf jeden Fall - das ist doch entscheidend - ist die Auswärtige Kulturpolitik eine tragende Säule und keine Ziersäule unserer Außenpolitik. ({0}) Dies hat die Debatte der vergangenen Monate deutlich gemacht, ganz besonders aber auch eben die Regierungserklärung des Bundesaußenministers. Diese Erklärung, Herr Bundesaußenminister, findet unsere Unterstützung. Wir werden in diesen Tagen im zuständigen Unterausschuß für Auswärtige Kulturpolitik den Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für die beiden vergangenen Jahre beraten. Dieser Bericht bietet ein hervorragendes Panorama, wie die immerhin 3,5 Milliarden DM, die wir jährlich für auswärtige Kulturarbeit ausgeben, in Projekte, in Maßnahmen umgesetzt werden. Diese Mittel sind, finanzpolitisch betrachtet, Herr Finanzstaatssekretär, gut angelegtes Geld. Namens meiner Fraktion möchte ich herausstellen - dies ist keine bloße Pflichtübung -, daß Sie, Herr Bundeskanzler, gerade in der Auswärtigen Kulturpolitik ein wichtiger Motor und Anreger sind. Lassen Sie es mich salopp sagen: Wir auswärtigen Kulturpolitiker wissen Sie entweder zur Deckung in unserem Rücken oder gehen auch schon das eine oder andere Mal hinter Ihrem Rücken aufs Ziel zu. Aber auch der Herr Bundespräsident hat schon mehrmals auf die Bedeutung der Auswärtigen Kulturpolitik verwiesen. Sein Wort von der „Soft Power" trifft meines Erachtens den Kern der Wirkung von Kultur als Faktor in den internationalen Beziehungen. Wo klassische Diplomatie vielleicht noch auf Vorbehalte stößt, öffnet Kultur Verstand und Herzen. Es war und ist diese vielleicht leise daherkommende, aber dafür um so mächtigere und anhaltendere Wirkkraft der kulturellen und wissenschaftlichen Begegnung, die das Bild unseres Landes in den vergangenen Jahrzehnten zum Positiven verändert hat. Ohne die erfolgreiche auswärtige Kulturarbeit - davon bin ich überzeugt - wäre es uns nach 1945 nicht gelungen, das neue demokratische Deutschland - zunächst leider nur Westdeutschland - weltweit zu vermitteln. Insofern hatte die auswärtige Kulturarbeit in den Jahren 1989 und 1990 großen Anteil an der Zustimmung zur Wiedervereinigung unseres Landes. Daß die Wiedervereinigung jetzt neue, größere Herausforderungen an die gesamtdeutsche Kulturpolitik stellt, erfahren wir auf Schritt und Tritt im Ausland. Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die Auswärtige Kulturpolitik debattieren, dann ist mir eines noch wichtig: Auswärtige Kulturarbeit wird ganz hervorragend in vielen Städtepartnerschaften, binationalen Gesellschaften, Kulturinitiativen und Dritte-Welt-Gruppen geleistet. Ohne dieses breite bürgerschaftliche Engagement wäre unsere kulturelle Landschaft um vieles ärmer. Auf diesem breiten Fundament kann die Auswärtige Kulturpolitik des Bundes aufbauen, ohne natürlich die Länder aus dieser Aufgabe völlig entlassen zu wollen. Die Goethe-Institute, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung, Inter Nationes oder auch das Institut für Auslandsbeziehungen haben zu Recht einen guten Namen. Viele andere Länder beneiden uns um diese Einrichtungen. ({1}) Die Mitarbeiter dieser und anderer Organisationen - ich denke beispielsweise auch an die politischen Stiftungen - leisten eine gute Arbeit. Man muß es ihnen nicht sagen. Sie fühlen sich vielmehr selber - wie es am vergangenen Montag die Repräsentanten der Goethe-Institute sagten - als kulturelle Botschafter unseres Landes. Ich habe mich über dieses Wort - ausgesprochen von den Mitarbeitern - sehr gefreut. Das System der unabhängigen Mittlerorganisationen an Stelle einer staatlichen Zentralagentur - wie wir es in Deutschland haben - hat sich im großen und ganzen bewährt. Herr Kollege Duve, ich nehme es vor diesem Hintergrund lieber in Kauf, daß wir über die eine oder andere Maßnahme im Ausland einmal streiten, als das System insgesamt in Frage zu stellen. Die Kultur verträgt diesen Streit; sie braucht ihn auch. ({2}) Dieses System der unabhängigen, eigenständigen Mittlerorganisation muß sich jetzt allerdings bewähren, wenn es unter veränderten Bedingungen gilt, mehr Koordination und Flexibilität zu zeigen. Kulturelle Botschafter braucht unser Land notwendiger denn je. Denn während die Welt auf der einen Seite wirtschaftlich immer enger zusammenrückt, werden auf der anderen Seite kulturelle oder ethnische Unterschiede wieder stärker betont - mit zum Teil, wie wir im früheren Jugoslawien sehen, verheerenden Folgen. Wir können mit Abrüstungspolitik Waffen aus der Welt schaffen, aber nicht die Mentalität und die Einstellungen der Menschen prägen. Dazu bedarf es des langen Atems der Begegnung, des Gesprächs und des Kennenlernens über den eigenen Kulturkreis hinaus. Zu diesem Dialog der Kulturen leistet die Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen Beitrag, der meines Erachtens noch deutlich zunehmen wird. So verstanden wird Auswärtige Kulturpolitik auch zur Konfliktprävention. Der Preis dafür ist um vieles niedriger als der, den man zahlen müßte, wenn der Konflikt ausgebrochen ist. ({3}) In diesem Dialog der Kulturen, der vielleicht auch dann noch stattfinden können muß, wenn diplomatische Kanäle schon verstopft sind, bringen wir die tragenden Werte unserer politischen Kultur ein: Menschenrechte , Rechtsstaat und Demokratie. Unsere auswärtige Kulturarbeit ist immer auch ein Ausdruck unserer Werteordnung. Wer auswärtige Kulturarbeit betreibt, läßt sich auf einiges ein. Denn richtig verstandene Auswärtige Kulturpolitik ist keine Einbahnstraße, kein bloßer Kulturexport, sondern Dialog und Austausch. Dazu gehören Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Gegenseitiges Geben und Nehmen, einander zuzuhören, aufeinander zuzugehen, die Bereitschaft, die eigene Welt auf der Folie des Fremden zu prüfen, sind unverrückbare Prämissen. Dies muß sich dann allerdings auch politisch bewähren. Wenn wir nämlich beispielsweise feststellen, daß Deutschland als Studienort nicht mehr erste Wahl für Studenten aus anderen Ländern ist, dann ist Auswärtige Kulturpolitik auch ein Frühwarnsystem für Defizite im eigenen Land. ({4}) Deshalb ist die Debatte, die wir im Deutschen Bundestag in diesen Wochen und Monaten über viele Bereiche der Kulturarbeit führen, für mich auch eine Debatte, in der wir viel aus anderen Ländern lernen können und entsprechende Konsequenzen ziehen müssen. Im Wissenschafts- und Hochschulbereich geht es bei weitem nicht nur um Nebensächlichkeiten. Wissenschaft, Forschung und Lehre sind auf internationale Zusammenarbeit, auf Austausch angewiesen wie der Fisch aufs Wasser. Das totale Abschotten gegenüber dem Ausland, gegenüber dem internationalen Wissenschaftsaustausch usw. war im übrigen - davon bin ich fest überzeugt - auch einer der tieferen Gründe für den Zusammenbruch der ehemaligen DDR. Ein Land - darauf hat der amerikanische Historiker Kennedy hingewiesen -, das sich abschottet und abschließt, das auf Veränderungen und auf den Wandel im Inneren wie von außen nicht mehr reagiert, fällt zurück. Wir in der Bundesrepublik Deutschland können und wollen uns dies nicht leisten. Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich die Initiative von Minister Rüttgers und Minister Kinkel, die vor 14 Tagen ein Programm zur Steigerung der Attraktivität des Studien- und Forschungsstandortes Deutschland vorgelegt haben. ({5}) Gerade beim Wissenschafts- und Hochschulaustausch wird deutlich - um auch diesen Aspekt zu erwähnen -, daß die Mittel der Auswärtigen Kulturpolitik im besten Sinne des Wortes Investitionen in die Zukunft sind. Jährlich rund 500 Humboldt-Stipendien und rund 6 000 DAAD-Stipendien sind eine beachtliche Leistung, und meist entstehen daraus lebenslange Verbindungen. Viele dieser Stipendiaten sind später einmal für uns Ansprechpartner in wichtigen Funktionen und Ämtern. Dies ist auch - das ist doch völlig legitim und selbstverständlich - ein Berührungspunkt von Auswärtiger Kulturpolitik und den Interessen der Industrienation Deutschland. Insofern verstehe ich es nicht, wenn hier von der Opposition versucht wird, einen Gegensatz zwischen der Frankfurter Rede und dem, was heute gesagt wird, zu konstruieren. Das ist ein typisch deutscher Popanz. ({6}) - Es wird in vielen anderen Ländern, Herr Kollege Duve, nicht verstanden, warum wir hier ein Problem sehen, wo doch durch die Kooperation mit der Wirtschaft Chancen eröffnet werden, im Endergebnis zu mehr Kulturarbeit im Ausland zu kommen. Das wollen wir doch alle. ({7}) Eine ähnliche Schieflage sehe ich bei Ihrer Argumentation auch in bezug auf einen weiteren Kernbereich auswärtiger Kulturarbeit, die Sprachenarbeit. Wir hätten versagt, wenn wir nach 1989 nicht auf das gestiegene Interesse an Deutsch als Fremdsprache eingegangen wären. Auch dies war eine Bewährungsprobe für die Flexibilität unserer Auswärtigen Kulturpolitik, auf neue Herausforderungen schnell und angemessen zu reagieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Grotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?

Prof. Claus Peter Grotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000736, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie mit mir einer Meinung, daß bei dem Gespräch, das wir am Montag mit den Regionalbeauftragten geführt haben, sehr deutlich wurde, wie kritikwürdig viele der Maßnahmen sind, die in diesem Programm beschlossen worden sind, weil nämlich inzwischen von der Gesamtzahl der Institute nur noch 25 Prozent arbeiten und andere ihre Arbeit schon eingestellt haben? Das wurde uns dort gesagt; Sie saßen neben mir.

Prof. Claus Peter Grotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000736, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duve, es ist selbstverständlich, daß ein Programm wie das Sonderprogramm Sprachen für MOE und GUS nach einigen Jahren überprüft wird. Solange es aber noch Nachfrage nach Deutschunterricht gibt, solange noch Deutschlehrer fehlen, ist für mich klar, daß dies eine wichtige Aufgabe Auswärtiger Kulturpolitik bleiben muß. ({0}) Wir sind in der Lage, dort, wo es sich nicht bewährt oder wo wir an Hand des Verlaufs des Programmes sehen, daß wir umsteuern müssen, uns entsprechend anzupassen. Das spricht doch nicht gegen die Sache als solche. ({1}) Nur noch eines: Wenn hier von Ihnen etwas verkrampft gerade der Schwerpunkt „Deutsch als Fremdsprache" als Ideologie abgetan wird, möchte ich entgegnen: Uns hat der Fachverband „Deutsch als Fremdsprache" in seiner Dresdner Erklärung ins Stammbuch geschrieben, daß wir zu unserer Sprache auch durchaus stehen sollen. ({2}) Meine Damen und Herren, ein Debattenbeitrag wie meiner kann natürlich nur wenige Schwerpunkte benennen. Mit dem Antrag „Standortbestimmung der Auswärtigen Kulturpolitik", den wir dieser Tage im Bundestag eingebracht haben, nimmt die Koalition insgesamt eine Positionierung in der Auswärtigen Kulturpolitik vor. Mir ist im übrigen das heutige Thema der Auswärtigen Kulturpolitik zu wichtig, als daß wir in einem Schnellschuß noch einen Antrag zu Tibet daranhängen könnten. Vielmehr ist vereinbart und wäre der Sache auch angemessen, wenn wir den in schwierigen, langen Verhandlungen vereinbarten Antrag in der kommenden Woche zur Sache beraten. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf das Stichwort „Kulturgüterfrage" eingehen. Für viele ist diese Frage in der Auswärtigen Kulturpolitik in der Tat ein Randbereich, aber gerade in ihrer symbolischen Bedeutung ist sie nicht zu unterschätzen. Ich gehe davon aus, Herr Bundesaußenminister und Herr Bundeskanzler, daß wir, nachdem wir dieses Thema mit Rücksicht auf die Wahlen in Rußland wie vereinbart etwas zurückgestellt haben, zu dieser Frage langsam und sensibel - denn wir wollen Ergebnisse und keine lauten Töne - die Gespräche wieder aufnehmen. Ich weiß, daß gerade die Bundesregierung diesem Thema besonderen Stellenwert zuweist. Trotz oder vielleicht sogar wegen der gestiegenen Anforderungen und Erwartungen an die Auswärtige Kulturpolitik bei gleichzeitig beschränktem Finanzvolumen erlebt die Auswärtige Kulturpolitik im Moment nach 1989 meines Erachtens einen zweiten Aufbruch. Lassen Sie uns diesen Aufbruch nutzen! Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Altmann ({0}).

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesaußenminister! Sie sind eben wieder nach dem bekannten Schema vorgegangen: Erstens. Alles läuft bestens; denn wir stellen die Regierung. Zweitens. Das, was nicht gut läuft, wird verschwiegen. Sie redeten eben, Herr Bundesaußenminister, von der beträchtlich gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt. Sie sagen aber selbst, Herr Kinkel, daß die 0,25 Prozent des Gesamthaushaltes, die das Auswärtige Amt für Kultur aufwenden kann, zuwenig sind. Ich will unsere gewachsene Verantwortung an einem konkreten Beispiel festmachen. Die Hauptstadt Elisabeth Altmann ({0}) Zyperns, Nikosia, ist durch Mauern und Stacheldraht geteilt - wie Berlin es war. Wie vergiftet die Situation dort ist, zeigt der schlimme Vorfall in der letzten Woche, als ein 19jähriger griechischer Nationalgardist erschossen wurde, als er die Pufferzone betrat. Sie haben mit dem griechischen Ministerpräsidenten Stephanopoulos vorgestern sicher darüber gesprochen, Herr Bundeskanzler. Nikosia hat ein Goethe-Institut, das in dieser Pufferzone liegt. Nur dort können sich Menschen beider Volksgruppen friedlich treffen. Dort können wir die leidigen Erfahrungen aus unserer Geschichte übermitteln und helfen, die widernatürliche Spaltung zu überwinden. Beide Nationalitäten - Griechen und Türken - verbindet eine große Zuneigung zur deutschen Sprache und Kultur. Für uns ist das eine einmalige Chance für aktive Friedensarbeit. Doch was machen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition? Hans Magnus Enzensberger bringt es auf den Punkt: „Man geht mit einer Schäbigkeit vor, die ans Groteske grenzt." Das wirkt sich konkret so aus: Die reichhaltige Bibliothek des Goethe-Instituts wird wegen Geldmangels geschlossen. Die Stelle der Fachkraft, die vor allem Informationen über Studienmöglichkeiten in Deutschland liefern sollte, soll eingespart werden. Gleichzeitig, Herr Bundesaußenminister, stellen Sie sich hier hin und beklagen, daß junge Menschen aus dem Ausland das Interesse verlieren, in Deutschland zu studieren. Da helfen Ihre Worthülsen nicht, Herr Kinkel; denn genau das wird von der Bundesregierung durch Kleinlichkeit und Organisationswirrwarr verursacht. Wir benennen in unserem Antrag die wichtigsten Reformmaßnahmen: erstens schnelle gegenseitige Anerkennung der Studienabschlüsse. Sie beklagen die mangelnde Mobilität. Dann dürften Sie aber zweitens der gewünschten internationalen Mobilität nicht durch ein schikanöses Aufenthaltsrecht Riegel vorschieben. ({1}) Ich möchte als bayerische Abgeordnete eine Anmerkung machen. Ihr Minister Waigel mag es für Auswärtige Kulturpolitik halten, wenn er mit seinem Trachtenhut von München nach Bonn reist. Deutschland hat aber mehr zu bieten als Lederhosen und Oktoberf est. Gerade die Auswärtige Kulturpolitik ist ein Bereich, in dem die vorhandenen Mittel wesentlich effizienter eingesetzt werden könnten. Kulturelle Vielfalt lebt nicht im Durcheinander, und viele Solisten ergeben noch kein Orchester! Halten wir uns vor Augen: Nur knapp ein Drittel der Ausgaben für Auswärtige Kulturpolitik verantwortet das Auswärtige Amt. Zwei Drittel der Gelder, nämlich 2,6 Milliarden DM, finden sich irgendwo in acht weiteren Ministerien. Es ist doch absurd, wenn das Innenministerium kulturpolitisch für Bürger und Bürgerinnen aus Polen, Rußland und Usbekistan verantwortlich ist ({2}) oder wenn Betreuungsmaßnahmen für deutsche Soldaten im Ausland als Teil der Kulturpolitik des Verteidigungsministeriums dargestellt werden. Wo liegt denn da die kulturelle Kompetenz? In Ihrer Rede „Kunst und Kommerz", Herr Kinkel, mahnen Sie einen Dialog zwischen Auswärtiger Kulturpolitik und Exportwirtschaft an. ({3}) Wir wollen uns nicht dagegen sperren; ({4}) aber Auswärtige Kulturpolitik hat unabhängig zu sein. ({5}) - Ja, doch. - Die unwürdigen Vorgänge um die geplante chinesische Kulturwoche in München sind der aktuelle Beweis dafür, daß diese Bedenken nicht aus der Luft gegriffen sind. ({6}) Genau sieben Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens wollten die damaligen Mörder bestimmen, wer über was wann und wo in Deutschland referieren darf. ({7}) Wenn aber das Auswärtige Amt nicht schärfstens protestiert - das hat es nicht -, dann ist das ein feiger Kotau vor der chinesischen Regierung. ({8}) Herr Grotz, wo bleibt da die Werteordnung? Natürlich wäre es wirklichkeitsfremd, die Zusammenhänge zwischen Auswärtiger Kulturpolitik einerseits und Wirtschaft andererseits nicht zu sehen, und ungeschickt wäre es, diese nicht zu nutzen. So ist im Bericht über die Auswärtige Kulturpolitik, Herr Kinkel, zu lesen: In Übereinstimmung mit dem Asien-Konzept der Bundesregierung bleibt der Kulturbereich in der Dynamik unserer Gesamtbeziehungen zu dieser Region eingebettet. Was auch immer das heißt: Die Aussage ist vieldeutig. Wie sonst sollte man es sich erklären, daß das Goethe-Institut in Surabaya geschlossen werden soll? Surabaya ist ein Drehkreuz in Indonesien und hat eine Bevölkerung von sieben Millionen Einwohnern. Zentren wie Jakarta liegen 1 000 km entfernt. Dann eröffnet man eben ein anderes Goethe-Institut - in Hanoi. Aber Auswärtige Kulturpolitik ist doch kein Wanderzirkus! ({9}) Auch Ihre weiteren Schließungspläne sind unverständlich. Ich nenne das Beispiel Napoli. Ohne Rücksicht auf die freundschaftlichen Beziehungen zwiElisabeth Altmann ({10}) schen Deutschland und Italien, die hier soeben einige Male angesprochen wurden, sollte hier ein Institut stillschweigend geschlossen werden, das effektiv und hervorragend arbeitet. Aber sämtliche Hochschulen, Studenten und Studentinnen, musische und kulturelle Einrichtungen, der Bürgermeister Basso-lino, Abgeordnete, Politiker und Politikerinnen in Süditalien, selbst der Gemüsehändler an der Ecke setzten sich für das Institut ein. „Non chiudete il Goethe" hieß es: „Schließt unser Goethe-Institut nicht!" Dieser Proteststurm hatte ganz offensichtlich Erfolg. Sie hätten zu viel außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Alle Beispiele verdeutlichen: So kann der wichtige Beitrag zur kulturellen Zusammenarbeit nicht gesichert werden, Herr Kinkel. Das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland wird untergraben. Reformbedarf steht an allen Ecken und Enden an. Nicht nur die mißlichen Vorfälle beim Institut für Auslandsbeziehungen, die soeben von Freimut Duve hier benannt wurden, zeigen uns das. Mir liegt ein Papier des Haushaltsbeauftragten einer bekannten Mittlerorganisation vor. Darin heißt es: Heute, 24. 11. 1995, sind noch insgesamt 12,5 Mio. DM vorhanden. Das sind 31,6 % des Gesamthaushaltes. Weiter heißt es: Ich weise darauf hin, daß die zur Verfügung stehenden Mittel in diesem Jahr komplett ausgegeben werden müssen. Selbständige Haushaltsführung wäre die beste Prophylaxe gegen solches Dezemberfieber. ({11}) Herr Kinkel, Sie fordern in der „Welt" Deregulierung der erstarrten Haushaltspolitik. Wenn Sie hier nur die Erkennungsmelodie der F.D.P. pfeifen, dann geht unser Weg nicht zusammen. Sollten Sie aber ernsthaft an Globalhaushalten, an weniger Bürokratie und an mehr Transparenz interessiert sein, so haben Sie uns auf Ihrer Seite. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Altmann, kommen Sie zum Ende. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch ein Gedanke: Zentrale Aufgabe Auswärtiger Kulturpolitik muß es sein, Brücken zwischen Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen zu bauen, von außen zu uns und von uns nach draußen. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt die Kollegin Ina Albowitz.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß der Außenminister hier heute morgen eine Regierungserklärung zur Auswärtigen Kulturpolitik abgegeben hat und der Herr Bundeskanzler das Wort ergreift, unterstreicht die zunehmende Bedeutung der Auswärtigen Kulturpolitik. Das ist auch gut so. ({0}) Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist die Kultur der zweite große Eckpfeiler unseres Ansehens in der Welt - ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Es kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden. Deshalb haben die Liberalen und allen voran natürlich die liberalen Außenminister der Auswärtigen Kulturpolitik immer große Bedeutung beigemessen. Die Vermittlung der deutschen Sprache, die Förderung des Austausches von Forschung und Wissenschaft, Interesse zu wecken für unsere Literatur und Musik, für Geisteshaltungen und Wertvorstellungen sind hervorragende Bausteine, um im Ausland für unser Land zu werben und gleichzeitig durch Information und Kommunikation das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Es geht um einen allumfassenden Dialog, um partnerschaftliche Zusammenarbeit der Nationen und um Vertrauen - kurzum: es geht um Völkerverständigung. Die Auswärtige Kulturpolitik ist demokratisch, föderalistisch und pluralistisch organisiert. Das entspricht unserem Gesellschaftssystem, ergibt sich aber auch aus der Absicht, die wir verfolgen. Es geht nicht darum, ein idealisiertes Bilderbuch-Deutschland an den Mann und die Frau in fremden Ländern zu bringen. Wir wollen vielmehr das facettenreiche Spektrum der geistigen, kulturellen und sozialen Wirklichkeit unseres Landes weitergeben. ({1}) Diesen Grundwerten entspricht das in der Auslandskulturarbeit seit Jahrzehnten bewährte System verschiedener Mittlerorganisationen. Unter dem Dach des Auswärtigen Amtes entwickeln die Goethe-Institute, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Fulbright-Kommission, das Institut für Auslandsbeziehungen, der Deutsche Musikrat und Inter Nationes, um nur einige wenige zu nennen, kultur- und bildungspolitische Programme in ihren jeweiligen Bereichen und tragen sie mit Tausenden von Mitarbeitern und Studenten in die Welt. Selbstverständlich müssen die Grundlinien deutscher Außenpolitik dabei von allen mitgetragen und unterstützt werden. Die enge Zusammenarbeit mit den Ländern in unserem föderalistischen Staat, die für die Kultur zuständig sind, aber auch mit anderen staatlichen und privaten Kulturinstitutionen garantiert, daß ein breit gefächertes, von staatlicher Gängelung und politischer Einflußnahme unabhängiges Programm angeboten wird. Das gilt im übrigen auch für den Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, desIna Albowitz sen politische Eigenständigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist. Dieses dezentrale System hat sich bewährt und bietet deshalb die besten Voraussetzungen, die größeren Aufgaben und höheren Erwartungen zu erfüllen, die sich mit den enormen außenpolitischen Veränderungen der letzten Jahre auch für die Auswärtige Kulturpolitik ergeben haben. ({2}) Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Entstehung zahlreicher demokratischer Staaten in Mittel- und Osteuropa mußte, kulturpolitisch betrachtet, eine große Fläche auf der Landkarte mit Farbe und Leben erfüllt werden. Die abgebrochenen Brücken und Bindungen zu Mittel- und Osteuropa, zu Rußland und den anderen GUS-Staaten mußten Stück für Stück wiederaufgebaut werden. Damit haben wir aber auch dem großen Bedürfnis dieser Staaten nach intensiven Beziehungen zu Deutschland Rechnung getragen. Korrespondierend zu den veränderten, neuen außenpolitischen Anforderungen wird dieser Region auch in kultureller Hinsicht unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. ({3}) Daneben wollen wir selbstverständlich die alten und guten Beziehungen zu Westeuropa und Nordamerika hegen und pflegen. Auch der aufstrebende asiatische Raum wird von uns nicht vernachlässigt. Mit dem neuen Lateinamerikakonzept der Bundesregierung komplettieren wir unsere Bemühungen auf der anderen Seite des Globus. Diese Aufzählung, meine Damen und Herren, macht aber auch das Dilemma der auswärtigen Kulturpolitik deutlich. Es klafft eine Schere zwischen dem, was außen- und kulturpolitisch sinnvoll und wünschenswert wäre, und dem, was in Zeiten knapper öffentlicher Kassen bezahlbar ist. Selbstverständlich kann auch dieser Bereich nicht von den allgemeinen Sparbemühungen ausgeschlossen bleiben. ({4}) Deshalb sind wir Liberalen schon froh, daß es gelungen ist, die rund 3,6 Milliarden DM, die vom Bund für die auswärtige Kulturpolitik aufgebracht werden, zu halten. Führt man sich vor Augen, daß Wissenschaft und Kultur als Standortfaktoren eine immer größere Rolle im täglichen Leben der Menschen spielen, so wird klar, wie wichtig es ist, in einem harten internationalen Wettbewerb die Möglichkeiten der auswärtigen Kulturpolitik intensiv zu nutzen. Wenn Wirtschaft und Kultur vor Ort Hand in Hand zusammenarbeiten, können sich dadurch enorme Chancen ergeben. Mit Hilfe von sogenannten deutschen Häusern, also Einrichtungen, in denen Kulturinstitutionen und Wirtschaftsverbände unter einem Dach zusammenarbeiten, könnten wir unsere Stärken noch deutlicher machen. ({5}) Aber auch mit den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wird hervorragende Arbeit geleistet. Derzeit lernen rund 20 Millionen Menschen auf der ganzen Welt Deutsch, davon 13,5 Millionen in Mittel-und Osteuropa. Zur Zeit bemühen sich 151 GoetheInstitute in 78 Ländern um weltweite Kultur- und Sprachförderung. Seit 1990 haben 15 neue Institute schwerpunktmäßig in den osteuropäischen und den GUS-Staaten ihre Pforten geöffnet. Die Verbreitung der deutschen Sprache im mittel-und osteuropäischen Raum nimmt stetig zu und wird dazu beitragen, die Beziehungen zu verbessern und die Zusammenarbeit in Europa zu intensivieren. ({6}) Leider - ich bedaure das außerordentlich - blieb es auch dem Goethe-Institut, das sich in den mehr als 40 Jahren seines Bestehens eine hervorragende Reputation erarbeitet hat und während des Kalten Krieges manches Tor geöffnet hat, ({7}) nicht erspart, Institute zu schließen, um die Sparauflagen zu erfüllen. Generell ist angesichts der angespannten Haushaltslage eine Effektivierung des Mitteleinsatzes unumgänglich. Deshalb müssen wir dringend darüber nachdenken und vorurteilsfrei prüfen, ob es noch sinnvoll ist, Haushaltsmittel auf die vielen verschiedenen Ressorts zu verteilen. Eine Bündelung der Aktivitäten könnte sachdienlicher sein und zusätzliche Spareffekte bringen. ({8}) Bei den deutschen Auslandsschulen, die zu den ältesten und wichtigsten Eckpfeilern der auswärtigen Kulturpolitik gehören, muß auch über neue Wege nachgedacht werden. Die 113 Einrichtungen mit ihren rund 70 000 Schülern und über 1 500 aus Deutschland entsandten Lehrern verschlingen ein Drittel des Kulturbudgets des Auswärtigen Amtes. Viele dieser Schulen kämpfen um ihre finanzielle Existenz. Ich meine, es ist an der Zeit, auch hier die europäische Integration voranzutreiben und in Europa Partner zu suchen, um solche Schulen gemeinsam zu betreiben. Schließlich sind wir nicht die einzigen, denen die Finanzierung solcher Institutionen große Sorgen bereitet. Eine gemeinsame europäische Schule statt einer deutschen, einer französischen, einer englischen - um nur einige aufzuzählen - wäre doch ein schönes Pendant für ein vereintes Europa. ({9}) Die Auswärtige Kulturpolitik, meine Damen und Herren, ist ein elementarer Bestandteil einer modernen und zukunftsorientierten Außen- und Wirtschaftspolitik. Leider haben das noch nicht alle erkannt, und ich bedauere dies sehr. Wir Liberalen werden uns dafür einsetzen, daß diese großen Möglichkeiten forciert genutzt werden. Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung auch als Haushaltspolitikerin. Der Stellenwert und das Ansehen einer Kulturnation definieren sich an erster Stelle nicht dadurch, wieviel Geld wir dafür ausgeben, sondern dadurch, in welchem gesellschaftlichen Klima wir diskutieren, welche Freiräume wir Andersdenkenden geben und mit wieviel Liberalität wir den Menschen in unserem Land und auf der Welt begegnen. ({10}) Sie bestimmen sich allerdings auch dadurch, welche Prioritäten wir den kulturpolitischen Aktivitäten, die finanzielle Unterstützung brauchen, einräumen. Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich - das gilt nicht nur für die Auswärtige, sondern auch für die inländische Kulturpolitik -, bei finanzpolitischen Entscheidungen die Kultur nicht als überflüssigen Luxus zu betrachten, wo man bedenkenlos den Rotstift ansetzen kann, ({11}) sondern als wichtiges Grundbedürfnis des Menschen, denn er lebt nicht vom Brot allein. Ich danke Ihnen. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Zwerenz.

Gerhard Zwerenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002833, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß die etwas übermüdete, sauertöpfische Kulturdebatte, die bis jetzt gelaufen ist, dramaturgisch beabsichtigt ist; denn sie gibt dem Bundeskanzler die Möglichkeit, anschließend revitalisiert das Wort zu ergreifen. ({0}) - Lassen Sie mich doch erst einmal reden. Wenn Sie jetzt schon nervös werden, was wird dann anschließend passieren? ({1}) Ich will nur auf einen Maßstab hinweisen, zum Beispiel auf unsere Freunde in England. Schauen Sie doch einmal auf die letzte Londoner Unterhausdebatte. Sie hat ergeben, daß die englische Fußballmannschaft bisher so schwach gespielt hat, weil der Rasen im Wembley-Stadion zu hoch gewachsen ist. Was tut man in Britannien dagegen? Man debattiert darüber im Unterhaus, und zwar äußerst interessant. Die Presse schäumt. Man ist gegen die Deutschen, man ist gegen die eigene Mannschaft, und man kürzt diesen Rasen, indem man Rasenmäher rotieren läßt, die je Stunde einen Millimeter abtragen. ({2}) Außerdem ist - wenn Sie das noch hören wollen - folgendes für meine bayrischen Freunde hochinteressant: Man hat überlegt, ob man nicht englische Rinder über den Wembley-Rasen treiben soll. Aber da der BSE-Speichel unter Umständen den eigenen Fußballern schadet, hat man davon Abstand genommen. ({3}) - Natürlich gehört die Landwirtschaft, genauso wie der Sport, die Religion und die Kirchen, zur Kultur. Das können Sie doch in Ihren Unterlagen nachlesen. In der Kultur verläuft die Teilungsgrenze bei uns zwischen Innenpolitik und Außenpolitik. Innenpolitisch ist die Kultur Ländersache, außenpolitisch ist sie Bundessache. Hier sehe ich einen prinzipiellen Widerspruch, der wahrscheinlich auf Grund unseres Grundgesetzes nicht aufhebbar ist. Aber man muß diese Differenz beachten; denn in Wirklichkeit geht es darum, daß eine außenpolitische Kultur nur die Widerspiegelung der innenpolitischen Kultur sein kann. Das will hier niemand wahrhaben und anerkennen. Wir haben am Montag eine halbe Hundertschaft von Angehörigen des Goethe-Instituts im zuständigen kulturpolitischen Unterausschuß anhören können. Ich bin froh, daß ich dort war. Selbst der Präsident Hilmar Hoffmann, ein alter Kulturarbeiter der alten Bundesrepublik, war dabei. Es war insofern interessant, als ich feststellen mußte: Zwei Stunden lang wurde über Finanzen gesprochen. Daß die Finanzen für Kultur stets zu wenig sind, das wissen wir. Weshalb man aber ausgerechnet in diesem zuständigen Unterausschuß nur über Finanzen sprechen mußte, das entzieht sich meiner Kenntnis. Hilmar Hoffmann wußte dafür Tröstliches zu berichten, nämlich von einem Gespräch mit dem Bundeskanzler. Er ist also nicht nur in den Unterausschuß gekommen, sondern er war vorher bei einem Gespräch mit dem Bundeskanzler. Hilmar Hoffmann sagte dem Unterausschuß, dabei sei nicht über Geld gesprochen worden. Reaktion: Gelächter im Unterausschuß. Der Kanzler habe „die Auswärtige Kulturpolitik als staatliche Kernaufgabe gewürdigt, die auch bei knappen Kassen nicht eingeschränkt werden darf" . Das ist sehr schön formuliert. Das freut einen natürlich. Aber wir wissen, das ist ein widernatürlicher Spagat. Das gehört in die Sparte Kunst. Hier war auch ein Gelächter aus der Grube des Klassikers in Weimar zu hören. Bei den Mittlerorganisationen, die die Auswärtige Kulturpolitik hinauszutragen haben - neben den Goethe-Instituten auch viele andere Organisationen-, geht es wesentlich um fünf parteinahe politische Stiftungen, die von den Parteien mitfinanziert werden. Diese Stiftungen sind freilich so beschaffen, daß die Partei, für die ich hier stehe, die PDS, keine solche Stiftung finanziert bekommt. Hier besteht sowohl innenkulturpolitisch wie auch außenkulturpolitisch eine große Ungerechtigkeit; denn die PDS wird damit unterfinanziert. ({4}) - Wenn Sie uns fortwährend erzählen, wir verfügten über Milliarden, dann muß ich sagen: Zeigen Sie uns diese Milliarden, dann werden wir damit die außenpolitische Kulturarbeit forcieren! ({5}) Wenn ich nun nach den Kulturprojekten frage, so spreche ich jetzt nicht von dem gewiß wichtigen und verdienstvollen Sprachunterricht, ich spreche von den kulturellen Projekten, die ja von den Goethe-Instituten und den anderen Mittlerinstituten betrieben werden. Dieses Verhältnis zwischen Sprachunterricht, der notwendig ist, und kulturellen Projekten verschiebt sich fortwährend zuungunsten der Kulturprojekte. Wir haben als Zahlen für 1995 69 Prozent Mittel für Sprachunterricht und nur noch 31 Prozent für Kulturprojekte. Ich frage nun: Sollen diese Kulturprojekte fortwährend weiter eingeschränkt werden? Ich frage auch - und dies ist eine Frage, die vollkommen objektiv gemeint ist, denn ich überschaue die Arbeit der Mittlerorganisationen nicht genügend - Stimmt es - was gesagt wird -, daß nach dem Wegfall des Konkurrenzprinzips der beiden deutschen Staaten, durch die Schließung der DDR-Kulturinstitute nun die westlichen, unsere jetzigen Kulturinstitute diese Arbeit übernommen haben? Insbesondere frage ich - der Außenminister hat ja vorhin die Spracharbeit der ehemaligen DDR-Kulturarbeiter sehr belobigt; aber danach frage ich nicht, obwohl die Anerkennung in der ehemaligen DDR wahrscheinlich ganz gern gehört wird; sonst wird ja dort mit Anerkennung gespart - nach dem Anteil der Kulturprojekte. Werden auch sie übernommen? Wie ist das denn eigentlich mit Anna Seghers, mit Arnold Zweig, mit Strittmatter? Werden sie jetzt in den Goethe-Instituten auf den Platz gesetzt, auf den sie gehören, ({6}) wenn es sich um eine gesamtdeutsche Kulturarbeit, um eine Projektarbeit handelt? Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin ja schließlich selbst lange Zeit frei schwebender Schriftsteller gewesen. Ich kenne auch eine ganze Anzahl einzelner Goethe-Institute, bei denen ich gewesen bin. Kultur ist auch noch mehr als nur Sprachunterricht und Kulturprojekte. Ich frage nun einfach: Welchen Wandel haben Ihre Institute denn jetzt mitgemacht? Wir haben ja schließlich davon profitiert, daß in fast einem halben Jahrhundert Nachkriegskultur eine Literatur - wenn ich jetzt verengt von Literatur spreche, bitte ich das zu entschuldigen, ich habe nicht mehr Zeit - von Böll und Andersch und Borchert in diesen Goethe-Instituten vertreten worden ist, was wird denn da jetzt gelehrt? Wenn es darum geht, daß Außenkulturpolitik die Widerspiegelung der inneren Kulturpolitik ist, dann frage ich einmal: Wagen Sie das eigentlich? Sie haben doch einen ungeheuerlichen Umbruch in Ihrer inneren Kulturarbeit. Das reicht doch bis in den Bundestag hinein. Wie ist es denn mit der Deserteursdebatte? Wie ist es denn mit dem Verbot von Tucholskys Wort „Soldaten sind Mörder"? Hier ist doch ein ungeheuerliches Ende und ein Anfang gesetzt. Sie wollen eine andere Kultur. Haben die Goethe-Institute den Charakter, haben sie die Zivilcourage, dies auch in ihrer äußeren Kultur zu vertreten? Ist das also auch so, wenn insbesondere aus der Bundeswehr heraus diese neue Militärkultur vertreten wird? Ich spreche jetzt nur von einem einzelnen Bundeswehrprofessor, von Franz W. Seidler, der das schöne Buch über die Kollaborateure geschrieben hat. Haben Sie nun den Mut, diesen Herrn Professor Seidler in Norwegen über Quisling sprechen zu lassen? Haben Sie die Courage, ihn in Paris über Marschall Pétain sprechen zu lassen, in Belgien über Leo Degrelle, in der Slowakei über Tiso, in Rußland über Kaminski und Wlassow? Sollte dies dann nicht reichen für einen Kongreß der Weißwäscher? Dies gehört doch zur Kultur hinzu. Und wenn es in der inneren Kultur einen solchen Umbruch dahin gibt, dann muß sich das natürlich auch in der Außenpolitik, in der Kulturarbeit draußen widerspiegeln; sonst sind Sie eben unehrlich, sonst vertuschen Sie das, was hier geschieht, ({7}) nämlich die Umdeutung der deutschen Kriegsgeschichte, der Nachkriegsgeschichte und unserer gesamten Kultur. Sie sind jetzt für eine Militärkultur engagiert. Geben Sie dies zu, und zeigen Sie es auch dem Ausland. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Meine Damen und Herren! Ich denke, diese Debatte ist von einer Bedeutung, die es gebietet, daß wir jetzt nicht so abwegige Themen erörtern sollten wie die Frage, ob wir in Deutschland eine neue Militärkultur oder Vergleichbares paktizieren. ({0}) Ich bin froh, daß wir heute diese Debatte führen, auch wenn wir viele andere wichtige Probleme in unserem Lande erörtern. Denken Sie nur an die Fragen im Zusammenhang mit der Ökonomie und der Arbeitslosigkeit. Ich sehe darin - was mancher vielleicht tut - auch keinen Gegensatz. Ich sehe vor allem, daß es notwendig ist, einer Entwicklung zu widerstehen, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu beobachten ist. Vereinfacht will ich es so sagen: In der Zeit des Kalten Krieges stand im Zentrum der internationalen Debatte vor allem die Frage von Verteidigung, von Rüstungspolitik und all dem, was damit zusammenBundeskanzler Dr. Helmut Kohl hing. Wir haben jetzt in Europa - bei über 20 Millionen Arbeitslosen ist das ganz selbstverständlich - als vorrangiges Thema die soziale Sicherung, den Kampf um eine Verbesserung des Aufschwungs. Es gibt manche Zeitgenossen, die meinen, daß in diesem Zusammenhang die Diskussion über die Lage der Kultur, auch im eigenen Land, in Europa und der Welt zweitrangig sei. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen. Das vor allem ist der Grund, warum ich hier spreche. ({1}) Die Erfahrungen dieses Jahrhunderts haben uns Deutschen gezeigt, wie wichtig es ist, das kulturelle Bild unseres Landes offen und ohne jede Einschränkung darzulegen und zu zeigen. Nicht Zensur ist gefragt, sondern eine offene Gesellschaft, wie wir sie uns wünschen und wie sie unserer Verfassungsordnung entspricht. Deswegen möchte ich ausdrücklich all das unterstreichen, was der Kollege Kinkel heute im Namen der Bundesregierung zum Thema Auswärtige Kulturpolitik vorgetragen hat. Es ist für die Zukunft Deutschlands auch unter ökonomischen Gesichtspunkten - das ist kein Gegensatz - von großer Bedeutung, daß die Kulturnation Deutschland ihren Platz einnimmt. Wir sind eine lebendige Demokratie und stellen uns zu Recht immer wieder dem Vorwurf, daß wir die Kulturnation Deutschland nicht leidenschaftlich genug verteidigten und darstellten. Ich finde, die heutige Debatte ist eine gute Chance, einen Beitrag dazu zu leisten. ({2}) Daß es dabei Defizite gibt, daß es in einer Zeit, in der wir bei den Haushalten einsparen müssen, schwierig ist, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ergibt sich von selbst. Das ist übrigens keine spezifisch deutsche Erfahrung; das beobachten wir gegenwärtig in allen Parlamenten in der Welt. Die heutige Debatte setzt keinen Schlußpunkt. Vielmehr soll sie in die Öffentlichkeit ausstrahlen. Es geht um das Selbstverständnis der Kulturnation der Deutschen, um die Frage, was wir waren, was wir sind, was wir sein wollen, und natürlich auch darum, wie wir gesehen werden. Um hier überzeugend und erfolgreich zu sein, brauchen wir einen wachen Sinn für geistige Strömungen und kulturelle Entwicklungen, für den historischen Standort und für den Beitrag der Kultur der Deutschen zur Menschheit. Meine Damen und Herren, daß das jeweils strittig ist, weil die Standorte strittig sind, ist doch normal. Ich kann eigentlich nicht verstehen, wenn gelegentlich in der Debatte - das ist eben wieder geschehen - versucht wird, ideologische Mauern zu errichten. Die Verfassungsordnung unseres Landes und vor allem die Idee unserer Verfassung stellen auf geistige Offenheit ab. Das wollen wir auch in der Auswärtigen Kulturpolitik deutlich machen. ({3}) Wir haben schließlich unsere Erfahrungen. Wir haben die Erfahrung, daß die Kultur für die nationale Identität von allergrößter Bedeutung ist. In den Jahren der Trennung zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland war es wichtig, daß wir eine gemeinsame gewachsene Kultur hatten. Dies hat sich in den Jahrzehnten der Teilung als besonders wichtig und bedeutsam erwiesen. Ich bin mehr als einmal bei internationalen Besuchen gefragt worden: Ist Goethe eigentlich ein DDR- oder ein BRD-Deutscher? An diesem Beispiel konnte man sehr gut erkennen, daß eine solche Inbesitznahme abwegig und eine Verfälschung der Geschichte ist. ({4}) Der Versuch, auf deutschem Boden eine sogenannte sozialistische Nationalkultur zu errichten, zuvor eine nationalsozialistische, hat sich als untauglich erwiesen. Selbst die SED-Diktatur mußte in ihrer Endphase einsehen, daß ohne den Rückbezug auf die deutsche Kulturnation ein deutscher Staat nicht zu machen ist. Wir haben erlebt - auch das gehört in dieses Bild -, daß die deutsche Kultur schon der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten widerstand. Viele Träger der Kultur wurden damals verfolgt, gerade auch die jüdischen, und viele wurden vom Regime ermordet. Anderen gelang es zu entkommen. Sie wurden im besten Sinne des Wortes zu Botschaftern des besseren Deutschlands. Ich nenne für viele Thomas Mann, Paul Hindemith und Max Beckmann. Die Werke deutscher Emigranten haben mehr als vieles andere die Ästethik des modernen Films bis in unsere Tage hinein entscheidend geprägt. Sie alle haben mit ihren künstlerischen und intellektuellen Leistungen wertvolle kulturelle Traditionslinien in Deutschland lebendig erhalten, ja fortentwickelt. Sie boten den folgenden Generationen Orientierungen und Anknüpfungspunkte, nicht zuletzt in der kritischen und damit auch schöpferischen Auseinandersetzung mit unserem Erbe. Daraus vermochte die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland Überzeugungskraft und ein gutes Stück Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Sie hat Erfolg gehabt, weil wir nicht versucht haben, propagandistische Elemente einzubringen. Ich denke, wir sollten solchen Versuchen auch in Zukunft widersagen. ({5}) Die Wiedervereinigung unseres Landes, die Rückkehr der Staaten Mittel- und Osteuropas in die Familie der freien Völker, die rasante Globalisierung fast aller Lebensbereiche bringt uns neue Eckdaten. Auch mit Blick darauf müssen wir fähig sein, Inhalte und sicherlich auch Instrumente unserer Auswärtigen Kulturpolitik zu überdenken. Es muß der Satz gelten, daß wir nicht die Lehrmeister der Welt sind. Es handelt sich dabei um eine weitverbreitete Stimmungslage, die auch gelegentlich in diesem Haus zu beobachten ist. Wir können von anderen eine Menge lernen. Ich denke dabei nicht ohne Grund besonders an Asien und Lateinamerika, an jene Länder und Staaten, deren erstarkendes Identitätsbewußtsein auch eine Erklärung für zunehmende wirtschaftliche und kulturelle Anziehungskraft bietet. So verstanden, glaube ich, kann die Auswärtige Kulturpolitik dazu beitragen, die europäische Identität - genau das wollen wir doch - zu stärken und den Standort Europa attraktiver zu machen. Wenn wir den Standort Europa kulturell attraktiver machen, dienen wir in unser aller Interesse immer auch dem Standort Deutschland. ({6}) Es ist nicht der Anlaß, eine Föderalismusdebatte zu führen. Aber wir müssen uns bei vollem Respekt vor unserer Verfassung darüber im klaren sein: Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Wer glaubt, daß wir uns hier angesichts der nationalen Dimension sozusagen in kleine Parzellen zurückziehen könnten, der täuscht sich. Ohne eine kulturelle Dimension wird das europäische Einigungswerk unvollständig sein. Ich finde es bemerkenswert, daß Jean Monnet, einer der Väter Europas, am Ende seiner Tage gesagt hat, wenn er heute noch einmal Europas Aufbau zu beginnen hätte, würde er mit der Kultur beginnen. Die geistig-kulturelle Einheit Europas war in ihrer Vielgestaltigkeit schon einmal über lange Zeiträume Realität. Wenn wir der kulturellen Dimension Europas Gestaltung und Gewicht geben wollen, so ist das kein Wunschtraum, sondern es ist im besten Sinne des Wortes europäisches Erbe. Es ist das Erbe vom Christentum, von Humanismus und Aufklärung, das Erbe der gotischen Kathedralen, der italienischen Baumeister, das Erbe von Figuren wie Odysseus und Faust, die die Literatur des Kontinents beschäftigten. Picassos „Guernica" ist ein europäisches Werk. Und es ist ja kein Zufall, daß die 9. Symphonie Beethovens Europahymne geworden ist. Es war gut und es war richtig, daß im Maastrichter Vertrag - ich denke, wir dürfen mit Stolz sagen, daß die Bundesregierung dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet hat - der sogenannte Kulturartikel verankert wurde. Er ist zu Recht so ausgestaltet, daß die traditionellen Träger und Verantwortlichen der Kulturpolitik, die einzelnen Mitgliedstaaten, Länder, Regionen und Gemeinden, entsprechend dem wohlverstandenen Subsidiaritätsprinzip gestaltende Kraft sind und bleiben. Ich wünsche mir sehr, daß sich alle der zentralen Aufgabe europäischer Kulturpolitik verpflichtet fühlen, nämlich - wie es im Text heißt -, der „Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker". So formuliert es der Vertrag. Das Europa der Bürger, von dem so oft gesprochen wird, wird es mit Sicherheit nicht geben, wenn man den Bau dieses Hauses Europa den Regierungen und den staatlichen Instanzen allein überläßt; denn es muß ein Europa für Bürger von Bürgern sein. Hierbei ist die kulturelle Dimension von entscheidender Bedeutung. ({7}) Meine Damen und Herren, in dieser Stunde ist es keine Pflichtübung, daß wir die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittlerorganisationen würdigen. Sie dienen nach Kräften gerade auch dem geistig-kulturellen Europa. Sie haben in vielen Jahrzehnten Hervorragendes geleistet und zum Ansehen Deutschlands in der Welt ganz wesentlich beigetragen. Ich will die Mitarbeiter hier ausdrücklich rühmend erwähnen und ihnen danken: in den Mittlerorganisationen, im Goethe-Institut, im Deutschen Akademischen Austauschdienst, in der Alexandervon-Humboldt-Stiftung und in der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wenn ich das so sage, dann schließt das nicht aus, daß der eine oder andere - ich schließe mich ausdrücklich ein - bei diesem und jenem auch Grund zur Kritik hat. ({8}) Wer aber Auswärtige Kulturpolitik als ein Feld betrachtet, in dem keine Kritik mehr geübt werden kann, der versteht nichts von der Sache. ({9}) Wir bieten das volle Bild in seiner ganzen Buntheit. Dann haben wir auch zu gewärtigen, daß diese Buntheit nicht jedermann, auch mir nicht, zu jedem Zeitpunkt gefällt. ({10}) Wer das nicht erträgt, der hat ein Verständnis von Auswärtiger Kulturpolitik, das nicht zur Sache paßt. Zu den vielfältigen Aufgaben der Mittler gehört die Vermittlung eines Deutschlandbilds, das der Wirklichkeit entspricht. Darüber zu streiten ist natürlich leicht möglich. Zu dieser Wirklichkeit gehört die historische Dimension. Die historische Dimension der Deutschen hat düstere und beschämende Seiten, aber sie umfaßt eben auch die demokratische und die freiheitliche Tradition, die die Wirklichkeit des heutigen Deutschlands und ganz gewiß vor allem seine Zukunft bestimmen. Manchmal habe ich den Eindruck - auch das sage ich gerne einmal selbstkritisch -, als verfügten unsere Partner, oft auch unsere Freunde in der Welt über eine klarere Vorstellung von Deutschland heute als wir selbst. ({11}) Ich habe bei zahlreichen Begegnungen mit ausländischen Gesprächspartnern immer wieder erfahren, daß sie entsprechende Angebote unsererseits erwarten, also die Präsentation der verschiedensten - nicht nur einer - Epochen unserer Geschichte. Die deutsche Kulturgeschichte ist wahrhaft reich an guten Beispielen, die ein umfassendes Bild geben. Die Vermittlung unseres kulturellen Erbes eröffnet, so glaube ich, die historische Tiefenschärfe, aus der sich das heutige Deutschland verstehen läßt. Ein Land, das in diesem Jahrhundert zwei Weltkriege, die gigantischen Umbrüche, die Teilung erlebt hat, muß in seinen Tiefen vielschichtig sein. Sie ist schon für viele im eigenen Land schwer verständlich. Und dann stellen Sie sich die Frage: Wie stellt sich das dann für den Betrachter von draußen dar? Die Aufgabe der Mittlerorganisationen ist deswegen besonders wichtig, und sie ist noch gewachsen. Die verfügbaren Mittel - das ist wahr - sind begrenzt. Die Sparzwänge führen dazu, daß beispielsweise das Goethe-Institut auf Standorte verzichten mußte. Ich weiß auch - das soll nicht unterdrückt werden -, daß das Goethe-Institut seit der Wiedervereinigung 15 neue Zweigstellen hat eröffnen können und mit Weimar und Dresden neue, dringend notwendige Inlandsinstitute hinzugekommen sind. Die derzeitige Situation, der Geldmangel, hat große Nachteile; das ist unbestreitbar. Aber vielleicht kann er auch einen guten Zwang zu mehr Innovationsbereitschaft und administrativer Phantasie ausüben. ({12}) Gerade die mit Recht auf ihre Unabhängigkeit stolzen Mittlerorganisationen können einmal überprüfen, wo sie selbst Zeichen setzen können. Manches Mal habe ich den Eindruck, daß nicht nur in der Politik, sondern auch in diesem speziellen Bereich Koordinierung und Abstimmung der Aktivitäten verbesserungsfähig sind und daß die Frage des Prestiges in diesem Feld der Politik eine mindestens genauso große Rolle wie in anderen Feldern der Politik spielt. Die Debatte hier sollte dazu führen - dazu möchte ich auch die Kollegen im zuständigen Ausschuß einladen -, daß wir neue Überlegungen anstellen und vielleicht auch ein Stück Erneuerung ermöglichen. Wir müssen sicherlich überlegen, wie wir das bestehende System straffen, wie wir die Kräfte bündeln können. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich beziehe die Regierung und ihre Ressorts ausdrücklich ein. Meine Damen und Herren, ich bin nicht und war nie der Meinung, daß die Auswärtige Kulturpolitik eine schöngeistige Arabeske der Außenpolitik ist, sozusagen ein Luxus. Sie war immer ein ganz zentraler Pfeiler unserer Außenpolitik, deren Fundament Vertrauenswürdigkeit, Berechenbarkeit, Fähigkeit zur Partnerschaft und zum Dialog sind. Deswegen dürfen bei allen Sparzwängen die Kernaufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik nicht vernachlässigt werden. Hierzu zählen für uns - ich denke, für uns alle hier im Saal - vor allem die Vermittlung und Pflege der deutschen Sprache. Darüber besteht glücklicherweise breiter Konsens. Die entsprechenden Wünsche haben weltweit erheblich zugenommen. Wir alle wissen, wie hoch die Erwartungen gerade unserer östlichen Nachbarn sind. Wir würden sie sehr enttäuschen, wenn wir ihrem Wunsch nach mehr Sprachvermittlung nicht nachkämen. Bund und Länder haben diesem Wunsch mit gemeinsamen Programmen zur Entsendung von Lehrkräften entsprochen. Zur Zeit entsendet der Bund 355 und die Länder 197 Lehrkräfte. Ich will die Leistung des Bundes und auch die der Länder wahrlich nicht geringschätzen. Aber wenn wir auf der einen Seite die Chancen und auf der anderen Seite das, was wir uns leisten können, vielleicht auch leisten wollen, genau betrachten, können wir mit dieser Entwicklung nicht zufrieden sein. ({13}) ({14}) Vieles hat mit der dramatischen Umbruchsituation in der Welt, dem Ende des Kalten Krieges, dem Ende des kommunistischen Imperiums und der größeren Freiheit für viele Völker, zu tun. Viele unserer Nachbarn in Europa, aber noch mehr außerhalb Europas haben den Wunsch, sich mit der deutschen Sprache auch Inhalte zu erschließen. Das hat in vielen Fällen - das ist doch wahrlich nichts Schlechtes - auch etwas mit wirtschaftlichen Vorteilen zu tun. Die Europäische Union von heute und noch mehr die von morgen wird sicherlich eine Anzahl von rund 100 Millionen Menschen aufweisen, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Es ist doch ganz natürlich, daß viele auch in der Nachbarschaft fragen: Dieses Deutschland hat einen wichtigen Auftrag und spielt eine wichtige Rolle in der EU. Ist es nicht gut, diese Sprache zu erlernen? Das hat nichts mit Konkurrenzdenken zu tun. Wer sich einen Rest von Vernunft bewahrt hat, weiß, daß wir weder mit dem Englischen noch mit dem Französischen, noch mit dem Spanischen weltweit konkurrieren können. Aber wir können mehr tun als bisher. ({15}) - Aber das ist doch kein Gegensatz! Wenn Sie Deutsch lernen, können Sie das mit Qualität tun, und wenn Sie es gut beherrschen, können Sie vielleicht sagen, das ist Quantität. Es ist schon sehr schwer - das geht in den Bereich der Philosophie -, darüber zu streiten. Aber das ist eigentlich gar nicht unser Punkt. Ich finde, es ist eine gute Sache, wenn wir gegenwärtig - Herr Kinkel, ich hoffe, ich habe die Zahl richtig im Kopf - Anforderungen für 900 Lehrkräfte auf dem Tisch haben. Wenn ich sehe, wieviel Geld wir in vielen Bereichen aufbringen, müßte es doch mit einer neuen Prioritätensetzung bei Bund und Ländern - die Länder müssen aus vielen Gründen, auch aus Gründen der Verfassung, dabeisein - möglich sein, zu einer Verbesserung der jetzigen Lage zu kommen. ({16}) Denn die Sprachvermittlung - wenigstens das wird doch unbestritten sein - schließt stets auch die Vermittlung von Inhalten ein. Das kann doch nur in unserem gemeinsamen Interesse liegen. Das Ineinandergreifen beider Elemente wird im Bereich der neuen Medien besonders deutlich. Sie sind daher für unsere Auswärtige Kulturpolitik von eminenter Bedeutung. Diese steht wegen der wachsenden und weltumspannenden Computernetze und der zahllosen Satellitenprogramme unter einem sich noch steigernden Wettbewerbsdruck. Die Interessenten können immer mehr auswählen. Das erfordert neue Formen von Schwerpunkten in der Präsentation. Vor einigen Jahren hatten wir eine Idee, die zunächst auf Kritik stieß. Aber inzwischen ist sie Wirklichkeit geworden: das europäische Kulturprogramm Arte, das damals von François Mitterrand und mir initiiert wurde. ({17}) Es hat eine beachtliche Entwicklung genommen. Es wird natürlich nie ein Programm sein, das mit all den Programmen großer Fernsehstationen konkurrieren kann. Aber es ist deutlich spürbar, daß von diesem Programm eine große Wirkung ausgeht. Mit ihm wird in der täglichen Praxis bewiesen, daß - ungeachtet aller unterschiedlichen Traditionen und Partner - Gemeinsamkeit im Dienste der europäischen Kulturpolitik möglich ist. Was mich besonders erfreut, ist - das ist für mich ein gutes Zeichen -, daß nicht nur die Zuschauerzahlen steigen, sondern daß eine ganze Reihe von Sendern außerhalb der beiden Gründerstaaten mit Arte kooperieren und daß die Wirkung dieses Programms zunehmend auch im Bereich von Mittel- und Osteuropa spürbar wird. Wenn wir diese Gelegenheit nutzen und aufhören, von Polen als Teil Osteuropas zu reden, wären wir schon ein ganz entscheidendes Stück weitergekommen. ({18}) Meine Damen und Herren, wir sind uns - das zeigt auch die heutige Debatte - im klaren, daß die Auswärtige Kulturpolitik und der Zustand des künstlerischen und geistigen Lebens in Deutschland untrennbar miteinander verbunden sind. Ich will ausdrücklich das unterstreichen, was Klaus Kinkel eben zum Thema Wissenschaft, Hochschule und Bildungswesen gesagt hat. Daß die deutschen Hochschulen an Attraktivität für ausländische Wissenschaftler und Studenten verlieren, ist ein schwerwiegender Vorgang, der viele Gründe hat. - Ich bin ganz entschieden der Auffassung, daß das, was Jürgen Rüttgers und Klaus Kinkel in diesem Zusammenhang unternehmen, noch weiter verstärkt werden muß. Ich hoffe, das findet Ihrer aller Unterstützung. ({19}) Das berührt ganz unmittelbar die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Studienstandort, hat aber auch Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein so stark exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik kann sich auf gar keinem Feld - auf diesem schon gar nicht - Provinzialismus leisten. ({20}) Meine Damen und Herren, wer genau hinschaut - ich vergleiche meine eigene Studentenzeit in den 50er Jahren an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt mit den jetzigen Entwicklungen; das wird Ihnen ähnlich gehen -, der muß zugeben, daß diese Frage von weitergehender Bedeutung ist. Es hat sich die Entwicklung vollzogen, daß Auslandsaufenthalte während des Studiums nicht automatisch mit einem Bonus, sondern in vielen Fällen mit einem Malus versehen werden. Dies gilt übrigens ebenso für Teile der Wirtschaft wie auch für unsere Gymnasien. ({21}) Dies zeigt ein Maß an Kurzsichtigkeit in vielen Institutionen. Das ist nicht nur beklagenswert, sondern auf Dauer sogar gefährlich. ({22}) Für diese Entwicklung gibt es viele Gründe, unter anderem den, daß ein gigantischer bürokratischer Apparat aufgebaut worden ist. Es ist eigentlich bescheiden, wenn man hier sagt: Wir wollen die Verhältnisse des Jahres 1910 wiederherstellen. Damals konnte ein Student aus Bonn ohne jede Schwierigkeit an der Sorbonne oder in Oxford studieren und, wenn er das nötige Kleingeld hatte, auch noch nach Harvard gehen. Niemand kam auf den Gedanken, die Zertifikate des anderen Landes nicht anzuerkennen. - Es haben sich Entwicklungen ergeben, die junge Leute davon abhalten, diesen Weg zu gehen. Das sollten wir ändern. ({23}) Mich beunruhigt in diesem Zusammenhang insbesondere das sinkende Interesse junger Amerikaner, in Deutschland zu studieren, aber auch das junger Deutscher, in Amerika zu studieren. Wir haben in diesem Bereich schon einiges unternommen. So gibt es zum Beispiel das Programm der Bundeskanzlerstipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, das Fulbright-Programm, das gemeinsam mit Bill Clinton ins Leben gerufene Deutsch-Amerikanische Akademische Konzil. Alle diese Initiativen stehen und fallen damit, ob wir etwas zu bieten haben, ob wir ausländische Studenten ansprechen, ob sie den Eindruck haben: Es ist gut, ein oder zwei Jahre in Deutschland zu studieren. - Und das hat viel mit dem Klima in unserem Land zu tun.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Altmann?

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja, bitte.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundeskanzler, zum gerade von Ihnen angesprochenen Problem der mangelnden Studierwilligkeit in Deutschland bzw. - umgekehrt - im Ausland: Auf unsere Anfrage haben Sie geantwortet, daß daran die Überfüllung deutscher Hochschulen, Desorientierung in nicht strukturierten Studiengängen, überlange Studienzeiten und mangelnde Betreuung schuld sind. Sie haben weiter angegeben, daß es Äquivalenzprobleme gibt, daß Abschlüsse hier im Ausland oft unbekannt sind und falsch eingestuft werden. Weiter haben Sie in der Antwort auf die Anfrage ausgeführt: Die ausländerElisabeth Altmann ({0}) rechtlichen Regelungen werden oft als langwierig, bürokratisch und hinderlich empfunden. ({1}) Ferner: Eine im Ausland vermutete ausländerfeindliche Atmosphäre in Deutschland trägt nicht zur Steigerung der Attraktivität der deutschen Hochschulen bei. Jetzt frage ich Sie: Meinen Sie nicht, daß es Aufgabe der Politik, insbesondere der Bundespolitik, ist, dem entgegenzuwirken? Hätten Sie dem nicht in den letzten 12 Jahren massiv entgegenwirken können? ({2})

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Warum soll die Kollegin diese Frage nicht stellen dürfen? Es erleichtert ihr das Leben und uns das Beisammensein in diesem Saal. Ich habe keine Einwände dagegen, daß Sie diese Fragen stellen; ich greife sie gerne auf: Ich kann nachweisen, daß ich mich - mehr als viele andere in der deutschen Politik - um jeden einzelnen dieser Punkte bemüht habe. ({0}) Es gibt niemanden unter meinen Kollegen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der sich mehr darum gekümmert hat, der mehr dafür eingetreten ist und, wenn Sie wollen, mehr dafür gekämpft hat, mit Blick auf die Studenten in Europa die Grenzen zu öffnen - nicht nur durch das Beiseiteräumen von Schlagbäumen, sondern auch durch die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen -, um so beim einfacheren Zugang zu Zertifikaten hilfreich zu sein. Ich muß Ihnen allerdings ganz offen sagen: Wir stoßen bei unseren ausländischen Gesprächspartnern auch hin und wieder auf Unverständnis, weil wir unsere Probleme selbst nicht richtig lösen. ({1}) Sechs Jahre nach dem Tag der deutschen Einheit haben wir noch immer keine Einigung darüber erzielt, ob es acht oder neun Jahre dauern soll, um am Gymnasium den Abschluß zu erreichen. ({2}) Das können Sie dem französischen, britischen, niederländischen und amerikanischen Kollegen schwer klarmachen. ({3}) Ich gebe Ihnen als Bundeskanzler - auch als Vorsitzender meiner Partei - gerne zu, daß bei allem Einsatz die Erfolge in diesem Bereich relativ gering sind. Aber da auch Sie in der Landespolitik nun Verantwortung übernommen haben, könnten Sie einen wichtigen Beitrag auf diesem Felde leisten. Das wäre mir durchaus sympathisch. ({4}) Meine Damen und Herren, wie diese kurze Debatte gezeigt hat, empfinden wir ungeachtet unseres parteipolitischen Standorts die bestehende Situation als unbefriedigend. Ich halte es aber nicht für gut und habe deswegen kein Interesse daran - in wenigen Stunden habe ich den großen Vorzug, mit den deutschen Ministerpräsidenten zusammentreffen zu dürfen -, ({5}) daß wir uns hier jetzt in Schlachtordnung aufstellen: hie Bundespolitik, da Landespolitik. ({6}) - Das müßten Sie dann bitte denen sagen. Es steht mir nicht zu, diese Mängelrüge auszusprechen. ({7}) Sie haben ja einen amtierenden Fraktionsvorsitzenden; der ist voller Tatendrang. Vielleicht macht er das, vielleicht sogar mit einem gewissen Erfolg. Ich meine, wir sollten uns schon gemeinsam um dieses Thema bemühen. Es ist ja nicht irgendein Thema, es ist das Thema der Zukunft für unser Land im 21. Jahrhundert. ({8}) Ich möchte es einmal so sagen, wie ich es vor ein paar Tagen in einem Vortrag gesagt habe: Für mich wäre es eine wirklich glückliche Entwicklung, wenn wir in etwa zehn Jahren in jedem Lehrerkollegium eines deutschen Gymnasiums ein oder zwei Lehrkräfte hätten, die einige Jahre an Auslandsschulen verbracht haben. ({9}) Die sich daraus ergebende positive Wirkung an den Schulen brauche ich Ihnen nicht zu beschreiben. Im Sinne dieser Anregung schlage ich vor - ich bin gerne bereit, mit dabeizusein -, daß wir im zuständigen Ausschuß eine neue Gesprächsrunde eröffnen, daß wir auf dieser Ebene mit der Kultusministerkonferenz ein neues Gespräch eröffnen, als Bundesregierung und über die parlamentarischen Institutionen. Denn all das, was wir hier tun können, ist ein Stück Sicherung deutscher Zukunft. Meine Damen und Herren, kultureller Austausch ist Bedingung der deutschen Kulturnation. Die Auswärtige Kulturpolitik kann nur so lebendig und anziehend sein wie das geistig kulturelle Leben in unserem Land, dessen Kennzeichen Vielfalt ist. Wir wollen keinen Kulturzentralismus. Aber wir stehen zu der gemeinsamen Verantwortung für unser Land, und das heißt immer auch Verantwortung für das Bild Deutschlands in der Welt. Ich sage noch einmal: Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich mache Ihnen für die Bundesregierung gern erneut das Angebot, daß wir - ungeachtet unserer vielen anderen Gegensätze - auf diesem wichtigen Feld zusammenarbeiten. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Vergin.

Siegfried Vergin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002367, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik ist Grundlage - so würde ich nach dem Verlauf der jetzigen Debatte sagen - für eine weitere, fruchtbare Debatte im zuständigen Unterausschuß. Im jetzt vorgelegten schriftlichen Bericht der Bundesregierung vermisse ich aber eine Benennung noch bestehender Probleme und Fragestellungen, die sich aus der Auflösung des sogenannten Ostblocks ergeben. Ich will dies an einem Beispiel beschreiben: Auf Grund der vielfältigen Kontakte der ehemaligen DDR zu Ländern und Völkern in der arabischen Welt wurden in den 70er und 80er Jahren sehr viele Palästinenser - natürlich auch Libyer, Syrer und Libanesen - vor Ort, aber auch in der DDR selber ausgebildet. Sie erlernten die deutsche Sprache und lernten die Kultur Deutschlands schätzen. Auf Grund dieser Entwicklung und der vielfältigen Förderungen im Rahmen von sogenannten Freundschaftsverträgen und der vielen palästinensisch-deutschen Ehen sind Kenntnisse der deutschen Kultur und Sprache in der Nahostregion heute vorzufinden. Es ist deshalb nicht ausreichend, Herr Bundesminister, es den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu überlassen, mit kleinen Kultureinrichtungen zu helfen. Jassir Arafat hat mir bei meinem Besuch in Ramallah die Frage gestellt, warum die Bundesrepublik nicht deutlich sichtbar mit einem Goethe-Institut in Erscheinung treten will. ({0}) Auch mehrere deutschsprachige Abgeordnete des palästinensischen Autonomieparlaments haben mir ihr Bedauern darüber ausgedrückt, daß Frankreich und Großbritannien die Nase in ihrer Region vorn haben. Zu unserer Zielsetzung, den Friedensprozeß im Nahen Osten zu fördern, gehört auch, diese vorhandenen Kontakte zu nutzen und durch die Auswärtige Kulturpolitik einen vertiefenden Beitrag zur Verständigung zu leisten. ({1}) Dieses Beispiel zeigt, daß die Entscheidungen über die Schwerpunktsetzungen nicht einfacher geworden sind und daß die Bundesregierung gut beraten ist, ihre Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen. Warum sollte dies nicht ein Rat für Auswärtige Kulturpolitik in Parallelität zum Wissenschaftsrat sein? Die Erwähnung von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zeigt deutlich, daß, wie es heute wieder mehrfach betont wurde, die Länder mit ihrer Bildungs- und Hochschulpolitik Auswärtige Kulturpolitik genauso betreiben wie die Kommunen mit ihren vielen Städtepartnerschaften im Ausland. Abstimmung, Koordination, Schwerpunktsetzung, Ideenwettbewerb sind heute angesagt. Ein Rat für Auswärtige Kulturpolitik könnte hierbei segensreich wirken. Lassen Sie uns, meine Kolleginnen und Kollegen, darüber im Ausschuß weiter Gedanken austauschen. Kultur lebt von der Unabhängigkeit, den Möglichkeiten der Entfaltung und Kreativität - abseits staatlicher Selbstdarstellung. Wir begrüßen das kollegiale Miteinander. Wir befürworten den Einsatz neuer Technologien auch in der Auswärtigen Kulturpolitik. Aber wir warnen ausdrücklich vor jeder Form der Vereinnahmung. Kultur vermitteln, die Menschen in anderen Staaten dadurch zum Kennenlernen und zum Dialog ermutigen, das ist unser gemeinsames Anliegen. ({2}) Im Unterausschuß für Auswärtige Kulturpolitik versuchen wir parteiübergreifend, eine Rückbesinnung auf die immer noch gültigen Beschlüsse von 1975 zu formulieren. Hierbei setzt die SPD-Fraktion auf Dialog, damit unser gemeinsames Interesse an einer lebendigen, zukunftsorientierten Auswärtigen Kulturpolitik nicht dem parteipolitischen Strategiedenken zum Opfer fällt. Wir fordern die Bundesregierung deshalb eindringlich auf, das im September beabsichtigte Symposium, das auf die Zustimmung des Herrn Ministers Kinkel gestoßen ist, als kritisches Forum auch für die eigene Politik zu betrachten. Es geht bei der Debatte um den Bericht der Bundesregierung ganz konkret auch um die für Förderung zur Verfügung stehenden Mittel. Angesichts knapper Kassen verschließen wir nicht die Augen vor der Notwendigkeit, die Vergabe von Mitteln auf Effektivität und Erfordernis zu überprüfen. Wir begrüßen generell, daß der Kulturetat des Auswärtigen Amtes in 1996 gegenüber 1995 um 20 Millionen DM auf 1,19 Milliarden DM aufgestockt wurde. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Haushältern für die Leistung, die sie damit vollbracht haben. ({3}) Wir kritisieren aber, daß trotz der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes für die Auswärtige Kulturpolitik nur zirka ein Drittel der Mittel über den Haushalt des Auswärtigen Amtes laufen. Da die Bundesminister Kulturpolitik offensichtlich in die eigene Selbstdarstellung einbinden, betreiben unter anderem auch das Verteidigungsministerium, das Wirtschaftsministerium und der Bundesminister des Inneren Kulturpolitik und Kulturförderung im Ausland. ({4}) Da ich persönlich den Glauben an eine Änderung des jetzigen Finanzierungszustandes durch die Bundesregierung verloren habe, unterstütze ich die Bemühungen der Berichterstatter des Haushaltsausschusses, eine größere Effektivität der im Haushalt eingestellten Mittel zu erreichen. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie ermuntern, sich nicht zu scheuen, die innere Begründetheit mancher Haushaltsanforderungen für manches Ministerium zu bezweifeln und sie dem Auswärtigen Amt zurückzuführen. ({5}) Wir stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß „die Auslandsschulen" - wie es in dem Bericht der Bundesregierung steht - „zentrale Instrumente der Auswärtigen Kulturpolitik sind" . Entsprechend dieser Gewichtung war der Schulfunk am Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes mit 366 Millionen DM beteiligt, wobei mit 282 Millionen DM der Kostenanteil für die Lehrerentsendung am höchsten ist. Wir begrüßen diese Gewichtung, machen aber darauf aufmerksam, daß dieses zentrale Instrument nur dann weiter erfolgreich sein kann, wenn die Zahl der entsandten Lehrkräfte nicht weiter ausgedünnt wird. Über die Präsenz der Schulen in der Welt sollten wir im Ausschuß noch einmal sehr genau sprechen. Mir fällt besonders auf, daß der afrikanische und asiatische Raum sowie der Nahe Osten vernachlässigt werden. Die Bundesregierung beschränkt sich in ihrem Bericht überhaupt auf sehr allgemeine Ausführungen und vernachlässigt dabei aktuelle, nicht immer zufriedenstellende Entwicklungen. Ich nenne nur drei: So sind - erstens - im Auswärtigen Amt Befürchtungen von Lehrern speziell aus den USA bekannt, daß an den Schulen generell der Wunsch zum Erlernen der deutschen Sprache rückläufig ist. Zweitens gehen - das wurde heute hier schon des öfteren erwähnt - die Wünsche nach Stipendien zum Studium an den deutschen Universitäten zurück. Im Bereich der EU stellen wir - drittens - fest, daß das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur stagniert. Stellen sich diese Punkte auf den ersten Blick sehr verschieden dar, so lassen sich bei näherer Betrachtung doch verblüffende Gemeinsamkeiten feststellen. Ein wesentlicher Faktor für das Interesse an einem fremden Land, an dessen Sprache und Kultur ist die Lebendigkeit in der Darstellung und Vermittlung. Hierbei geht es nicht allein um den Einsatz neuer Medien, sondern um die Angleichung an politische Rahmenbedingungen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel kurz erläutern: Durch den Prozeß der europäischen Integration in den letzten Jahrzehnten verwischen die ursprünglichen Landesgrenzen. Seit den 50er Jahren boomt der Schüleraustausch. Die Perspektive für Europa liegt eindeutig im Miteinander, im Zusammenwachsen auch zwischen Ost und West. Somit wird auch der Bereich der Bildung immer mehr ein gesamteuropäischer. Anstrengungen nicht nur der nationalen Institutionen, sondern auch der europäischen Gremien, der UNESCO und anderer Organisationen sind spürbar, aber auch notwendig. Nicht mehr der nationalstaatlichen Schule wird die Zukunft gehören; Auswärtige Kulturpolitik in Europa wird immer mehr Geltung in innerstaatlichen Bildungsprozessen erhalten. - Frau Kollegin Albowitz, Sie haben schon darauf hingewiesen. In einigen Jahren werden europäische Schulen - natürlich nicht in der Form, in der sie heute für die privilegierten Mitarbeiter der europäischen Einrichtungen erstellt worden sind - in unseren Großstädten keine Ausnahme mehr sein. Sie dürfen es auch nicht sein. Das Berliner Beispiel wird Schule machen. Ein Ring europäischer Schulen wird die Bundesrepublik durchziehen. Das „Europäische Geschichtsbuch" - das ich mitgebracht habe, damit man auch daran glaubt, daß es seit dem Jahre 1992 so etwas gibt - wird helfen, zu lernen, wo unsere Gemeinsamkeiten liegen, worin die europäische Vielfalt besteht. Beides anzuerkennen führt zum Abbau von Vorurteilen. ({6}) Moderne Auswärtige Kulturpolitik wirkt heute immer auch in das Innere der Nation hinein. Dies zu begreifen fällt manchem schwer, es zu akzeptieren noch mehr. Doch sei es drum; so ist das nun einmal. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluß gilt mein Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in der gesamten Welt im Rahmen der Auswärtigen Kulturpolitik für die Bundesrepublik Deutschland tätig sind. Was sie als einzelne Personen in ihre Arbeit einbringen, verdient unser aller Achtung und Respekt und den Dank von uns allen. ({7}) Namens der SPD-Fraktion erkläre ich, daß wir den Überweisungen so, wie sie vorgeschlagen sind, zustimmen und daß wir den Entschließungsantrag zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Altmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Aktivitäten und Zielen der Bundesregierung in der Auswärtigen Kulturpolitik und zur Nutzung der Potentiale für Demokratisierung und friedliche Konfliktbewältigung unterstützen werden. Ich bedauere außerordentlich, Herr Bundeskanzler, daß Sie auf dieses Problemfeld nicht eingegangen sind. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerd Poppe.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Auswärtige Kulturpolitik erfolgreich sein soll, dann müssen unsere gemeinsamen Werte in jeder Hinsicht glaubhaft vermittelt werden. Der Bundeskanzler hat von Gemeinsamkeit gesprochen, und in vielen Fragen, die er und auch der Außenminister angesprochen haben, teilen wir diese Auffassung. Aber wir meinen, daß die deutsche Politik diese Werte jederzeit nicht nur respektieren, sondern sie auch selbst verkörpern muß. Das heißt nicht nur: die demokratische Ordnung zu bewahren und die Menschenrechte zu achten. Das heißt ebenfalls: andere Völker in ihrem Wunsch nach Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten zu unterstützen. ({0}) Das verpflichtet uns. Ich kann diese Aufgabe nicht von den vielfältigen anderen Aufgaben Auswärtiger Kulturpolitik trennen, anderen Völkern dabei behilflich zu sein, ihre eigene Kultur und ihre eigenen Traditionen zu bewahren. ({1}) Dabei müssen sicherlich Kompromisse eingegangen werden, wenn man erfolgreich sein will. Aber das kann nicht heißen, daß das allzu bereitwillige Einlenken, der faule Kompromiß, der Opportunismus gegenüber undemokratischen Regimen, die die Menschenrechte verletzen, hingenommen werden können. Ein solches Vorgehen ist das Gegenteil eines klugen Kompromisses und gefährdet oftmals auch das bereits Erreichte. ({2}) Unsere Fraktion hat heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, der auf aktuelle Fragen der Chinapolitik Bezug nimmt. Da nun alle Fraktionen gemeinsam einen Antrag zur Situation in Tibet eingebracht haben und eine entsprechende Debatte bevorsteht, möchte ich dieser Debatte nicht vorgreifen. Ich will aber ein Beispiel erwähnen. Die chinesischen Machthaber haben nach eigenem Ermessen einen neuen Pantschen-Lama, den nach dem Dalai-Lama nächst-höchsten Vertreter der buddhistischen Religion in Tibet, eingesetzt. - Die „Süddeutsche Zeitung" bemüht einen ironischen Vergleich: Man stelle sich vor, Fidel Castro würde den nächsten Papst ernennen. ({3}) Die Pekinger Kommunisten haben damit die religiösen Gefühle der Tibeter auf unerträgliche Weise verletzt und haben eine weitere Eskalationsstufe bei der systematischen Zerstörung der tibetanischen Kultur betreten. Zugleich haben sie dem Dalai-Lama einen Kampf auf Leben und Tod angekündigt und bedrohen inzwischen selbst diejenigen mit Repressionen, die in tibetischen Klöstern Bilder des Dalai-Lama aufhängen. Während die Pekinger Führung auf solch skandalöse Weise die Rechte des tibetischen Volkes verletzt, gibt der deutsche Außenminister in vorauseilendem Gehorsam dem offenen Druck der chinesischen Machthaber nach und veranlaßt die Streichung der Bundesmittel zur Finanzierung einer Konferenz, die sich den mit Füßen getretenen religiösen und kulturellen Rechten des tibetischen Volkes widmet und zu deren Besuch der Dalai-Lama soeben nach Bonn gekommen ist. Ich sagte es schon: Der Bundeskanzler und auch Herr Kinkel haben bei früheren Gelegenheiten durchaus die Aufgaben der Kulturpolitik und auch den Zusammenhang mit den Menschenrechten betont. Dieses befürworten wir ausdrücklich. Es reicht aber nicht. Es reicht nicht, diese Aufgaben und die deutschen Leistungen bei der Erfüllung dieser Aufgaben herauszuheben. Wir können nicht gleichzeitig zusehen, wie die Kultur eines anderen Volkes systematisch zerstört wird. ({4}) Die chinesische Führung hat ihr Mißfallen auf die uns altbekannte Weise zum Ausdruck gebracht, und der deutsche Außenminister hat nachgegeben. Das stellt die eigenen schönen Worte in Frage und desavouiert die Grundlagen der erklärten deutschen Menschenrechts- und Kulturpolitik. Was in diesem Fall geschehen ist, und zwar nicht zum erstenmal, ist der Kotau des Außenministers vor einem diktatorischen Regime. ({5}) Dieses Regime hat sich dafür bedankt, indem es entgegen seiner ursprünglichen Absicht den Bundesaußenminister nun doch nach Peking eingeladen hat. ({6}) Gleichzeitig hat es die Delegation des Unterausschusses Menschenrechte ausdrücklich ausgeladen, weil diese Delegation nicht bereit ist, auf das Reiseziel Tibet zu verzichten, und weil diese Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht bereit sind, von dem vorhin genannten interfraktionellen Antrag Abstand zu nehmen. ({7}) Ich meine, das ist eine Brüskierung des Deutschen Bundestages, die nicht hingenommen werden darf. ({8}) Ich will ganz ausdrücklich das Engagement der Friedrich-Naumann-Stiftung als Veranstalter der genannten Konferenz hervorheben, auch das Engagement von Abgeordneten der dieser Stiftung nahestehenden Partei, die durch Geldsammlungen zum Gelingen der Konferenz beitragen. Aber, meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie sollten sich noch einmal die Frage stellen und darüber nachdenken, wie dieser Unterschied zwischen den Worten, die auf Ihrem Parteitag gesprochen wurden, und der Realität, die Sie nun vorfinden, zustande kommt, wie er zu erklären ist und wie man ihn auflösen kann. Sie haben vor wenigen Stunden gehört, daß das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Peking geschlossen wird, daß also auch diese Stiftung für einen Vorgang gestraft wird, den wir gemeinsam unterstützen wollen. Diese Stiftung setzt sich nämlich ganz offen und eindeutig für die Wahrung der Kultur des tibetischen Volkes ein. Dafür wird sie abgestraft. Meine Damen und Herren, ich denke, wir können es nicht akzeptieren, wenn in Peking entschieden wird, welche Veranstaltung auf deutschem Boden durch die Bundesregierung unterstützt wird und welche nicht. ({9}) Ich frage mich, Herr Kinkel, was, wenn Ihre Reise zustande kommt - was ich nicht genau weiß; sie war aber vorgesehen -, bei dieser Reise unter diesen aktuellen Umständen anderes herauskommen kann als die erneute Bestätigung des Eindrucks, daß es vorrangig um die deutschen Wirtschaftsinteressen geht. Ich denke, wir sollten uns in der heutigen Debatte dessen bewußt sein, daß, während wir über die Vermittlung deutscher Kultur und deutscher Wertvorstellungen sprechen, in anderen Teilen der Welt die kulturellen Werte zerstört und diejenigen, die sie vertreten, verfolgt werden. Gerade weil wir diese Übereinstimmung in sehr wichtigen Fragen haben, fordere ich die Bundesregierung auf, sich auch in den Menschenrechtsfragen gegenüber Tibet, das heißt in ihrer Politik gegenüber China, dem Konsens, den die Fraktionen bereits erreicht haben, anzuschließen ({10}) und damit die wohlgesetzten Worte, die wir auch heute wieder vernommen haben, mit ihrem politischen Handeln in Einklang zu bringen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Karl-Hans Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nach dieser Debatte jetzt hier den Versuch unternehmen, in Anbetracht der mir zur Verfügung stehenden Zeit eine Zusammenfassung vorzunehmen. Ich darf noch einmal ausdrücklich die Position der Freien Demokraten darlegen, daß wir die Auswärtige Kulturpolitik als ein Instrument betrachten, das den lebendigen Austausch und die Zusammenarbeit fördert, daß nach dem Prinzip zu handeln ist: Offenheit für das andere, das Fremde. ({0}) Auswärtige Kulturpolitik kann nur in ihren Grundprinzipien formuliert werden. Sie unterliegt dem dynamischen Prozeß der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie kann und muß der Vielfalt und dem Pluralismus Raum geben. Das gilt auch - um auf den Einwand einzugehen - für das Verhältnis der Mittlerorganisationen zu anderen Ländern unabhängig von staatlichen Positionen. Ich denke, daß die Mittlerorganisationen und Institutionen, die frei und eigenständig den Kulturaustausch fördern und pflegen, diesem Grundsatz entsprechen. Ich will kurz auf das eingehen, was hier sehr ausführlich vom Bundeskanzler angesprochen worden ist, daß nämlich Sprache Grundvoraussetzung für das Verständnis unterschiedlicher Kulturen und für zwischenmenschliche Kommunikation ist - auch im Alltag. Eine breitangelegte Förderung der deutschen Sprache, wie sie der Bericht der Bundesregierung belegt, halten - es ist gut, das festzustellen - offenbar alle Fraktionen in diesem Hause für unverzichtbar. Natürlich und verständlicherweise richtet sich aus unserem Kulturverständnis heraus das Augenmerk auf die Sprache Goethes, auf die klassische deutsche Literatur. Aber lassen Sie mich hier feststellen: Unverzichtbar gehört dazu auch die Gegenwartsliteratur, wie auch insgesamt das aktuelle Gegenwartsbild deutscher Kultur vermittelt werden muß. ({1}) Genauso unverzichtbar, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist die Vermittlung der deutschen Alltagssprache. Hier gab es gelegentlich wohl Kritik. Aber das ist nun einmal die Sprache der Arbeits- und Geschäftswelt. Das ist die Sprache in Ausbildung und Studium. Auch das muß bei der Sprachvermittlung natürlich berücksichtigt werden. Zu Recht wird das nachlassende Interesse ausländischer Studenten, in Deutschland zu studieren, beklagt. Hier ist vieles dazu gesagt worden. Ich will nur eines feststellen: Das, was diskutiert wird, ist vorwiegend keine Frage knapper oder fehlender Finanzmittel, sondern eine Frage des Umdenkens und des guten Willens der Verantwortlichen, egal wo diese Verantwortlichen sitzen: im Bund, in den Ländern, aber auch in den Bildungseinrichtungen selbst. Wann endlich werden wir wach, um aus unseren ausgetretenen Schuhen herauszusteigen, Beharrungsstreben, Gleichgültigkeit einerseits und ein gehöriges Maß an Arroganz andererseits abzulegen? Wann begreifen wir, daß eine internationale Verflechtung von Bildung und Wissenschaft inhaltliche und strukturelle Veränderungen unseres Bildungssystems - ich meine, insbesondere unseres tertiären Bildungssystems - verlangt? Ich kann aus Zeitgründen leider nicht konkreter werden. Ich bin den Ministern Kinkel und Rüttgers ausgesprochen dankbar, daß sie diese Fragen thematisiert haben, und ich danke auch dem Bundeskanzler, der hier noch einmal nachdrücklich festgestellt hat, wie wichtig dieses Thema der Bundesregierung ist und wie sehr es in der Auswärtigen Kulturpolitik Beachtung findet. Es gehört in diesen Zusammenhang. Die äußeren Rahmenbedingungen sind nicht nur bei den Studierenden so, sie sehen auch bei jungen ausländischen Wissenschaftlern nicht anders aus. Es muß festgestellt werden, daß die große Nachfrage nach Stipendien - hier gibt es sie noch - auf Grund der Finanzlage nicht ausreichend befriedigt werden kann. Man muß sich in dem Zusammenhang auch darüber im klaren sein - das möchte ich besonders betonen -, daß die Nachbetreuung ehemaliger Stipendiaten und all der Ausländer, die nach ihrer AusbilDr.-Ing. Karl-Hans Laermann dung in ihre Heimat zurückgekehrt sind, zu dauerhaften Verbindungen, zu Freundschaften führt. Die Nachbetreuung erschließt überhaupt erst die Potentiale für dauerhafte und fruchtbare Zusammenarbeit sowie den Austausch auf kulturellem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet. Die Mittlerorganisationen und Stiftungen bemühen sich vorbildlich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aber diese Möglichkeiten gilt es zu verbessern. Auch bei knappen Haushaltsmitteln kann der Staat Entscheidendes dazu beitragen, indem er, wie im Antrag der Koalitionsfraktionen aufgeführt, weitere Flexibilisierungsinstrumente zuläßt und den Institutionen größere Handlungsspielräume gewährt. Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen zu: Hier bedarf es mehr administrativer Phantasie. Ich denke, wir können und müssen dieses Unternehmen auch in der gegenwärtigen Lage angehen. Die große Zahl von Nobelpreisträgern unter den ehemaligen Stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ist ohne Zweifel ein hoch anerkennenswerter Erfolg dieser Stiftung, eine verdiente Auszeichnung der Stiftungsarbeit. Wir sollten darüber aber nicht vergessen, unser Augenmerk und unser Interesse auch auf die bildenden und darstellenden Künstler zu richten. Sie sind es, die mit ihrem Wirken, ihrer Kreativität sozusagen die Empfindungen, die Gefühle, das innere Wesen eines Volkes darstellen. Die Einrichtungen zur Förderung deutscher Künstler sind im Bericht der Bundesregierung aufgeführt: Das Haus der Kulturen der Welt betreibt die Präsentationen ausländischer Kultur. Darüber hinaus gibt es zahlreiche ähnliche Aktivitäten von Museen und Galerien, vielfach auf privater Basis. Sie sind wertvolle Beiträge zur Auswärtigen Kulturpolitik. Das muß lobend anerkannt werden. Es wäre wünschenswert, im Sinne der Gegenseitigkeit von Kulturaustausch, auch ausländische Künstler zu fördern, und zwar solche, die noch nicht etabliert sind, hoffnungsvolle Nachwuchstalente. Wir sind uns gewiß alle darüber einig, daß ihrer Bedeutung für die Auswärtige Kulturpolitik entsprechend eine bessere finanzielle Dotierung wünschenswert wäre. Wir wissen auch alle um die angespannte Kassenlage. Es ist aber bisher trotz schwieriger Situation der Haushalte gelungen, die Substanz der Förderstrukturen zu erhalten, wenn auch zum Teil mit schmerzhaften Eingriffen. Die im Bundeshaushalt insgesamt bereitgestellten 3,6 Milliarden DM für die Auswärtige Kulturpolitik sind ein beachtlicher Betrag. Eine bessere Koordinierung und eine Konzentration der Zuständigkeiten - das ist heute morgen schon wiederholt angesprochen worden - sollten zu einem effizienteren Mitteleinsatz führen und auch finanzielle Handlungsspielräume eröffnen. Ich sehe dieses Bestreben auch in allen Anträgen, die zu dem Tagesordnungspunkt vorliegen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit!

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich denke, wir sollten bei den anschließenden Beratungen in den zuständigen Ausschüssen die Gemeinsamkeiten herausstellen. Dann erreichen wir etwas im Interesse der Auswärtigen Kulturpolitik. ({0}) Ich danke namens der F.D.P. insbesondere allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aller Mittlerorganisationen und Stiftungen für die hervorragenden Leistungen, die sie erbracht haben. Das muß man hier einmal erwähnen. Schönen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Riedl.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Appell, den Kollege Professor Laermann an uns gerichtet hat, daß wir nämlich eine große Gemeinsamkeit in der Auswärtigen Kulturpolitik haben, möchte ich als Berichterstatter im Haushaltsausschuß für die Auswärtige Kulturpolitik zum Anlaß nehmen, meine Freude darüber zum Ausdruck zu bringen - ich bin ja, wie Sie wissen, lieber ein streitbarer als ein konsensfähiger Abgeordneter -, daß wir dieses schöne Thema in schwieriger haushälterischer Zeit auch von der Seite der Kulturpolitiker her so überzeugend bescheiden und verantwortungsbewußt diskutieren. Das Gemeinsame zwischen den Haushältern und den Kulturpolitikern hat es auch ermöglicht, daß sich der Haushalt für die Auswärtige Kulturpolitik trotz großer allgemeiner finanzpolitischer Schwierigkeiten sehen lassen kann. ({0}) Ich möchte zu drei Punkten kurz Stellung nehmen. Erstens. Wir haben uns früher auch hier in Deutschland den Luxus geleistet, die drei Säulen unserer Außenpolitik, nämlich die klassische Diplomatie, die Außenwirtschaftspolitik und die Auswärtige Kulturpolitik, als einsame Säulen, als einsame Solitäre in den Himmel ragen zu lassen, ohne uns allzuviel Gedanken über Synergieeffekte und komplementäre Vernetzungen zu machen. Wenn wir ganz ehrlich sind: Standortfragen waren auch kein Thema. Das hat sich in der Zwischenzeit gründlich geändert. Heute müssen wir in Deutschland, müssen aber auch andere Länder um jeden Arbeitsplatz hart kämpfen und alles daran setzen, die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten und zu verbessern. Dr. Erich Riedl ({1}) Eine Exportnation wie Deutschland kann es sich eben nicht erlauben, Standortpolitik nur im eigenen Land zu betreiben. ({2}) Sie muß dabei auch immer das Umfeld ihrer ausländischen Märkte mit einbeziehen. Herr Minister Kinkel, das haben Sie ja sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Wenn unsere Forschung und Wissenschaft ihre internationale Einbindung verlieren sollten, weil der Hochschul-, Forschungs-, Wissenschafts- und Kulturstandort Deutschland unattraktiv wird, und zwar nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, und wenn unsere Studenten kein Interesse mehr an einem Auslandsstudium haben - Kollege Glotz hat das dargelegt - oder der Austausch sich nur in bestimmten Spezialfächern abspielt, wenn wir unsere Auslandsschulen vernachlässigen und das Netz der Goethe-Institute über das vertretbare Maß hinaus ausdünnen, dann geht es im Grunde nicht nur um die Auswärtige Kulturpolitik, sondern um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Das hat uns, die Kulturpolitiker, die Finanz-, Haushalts- und Außenpolitiker, heute gemeinsam zu dieser wunderschönen und sehr guten Diskussion zusammengeführt. ({3}) Zweitens. Ein wichtiger Aspekt für eine ergänzende außenkulturpolitische Standortbestimmung liegt in der Tatsache, daß wir einerseits eine wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Globalisierung erleben, andererseits aber beobachten, wie sich in der Welt kulturelle Konkurrenzverhältnisse herausbilden. Manche sprechen sogar vom Kulturkampf. Ich möchte nicht so weit gehen, aber doch die richtige Beobachtung darstellen, daß es eine wachsende Bedeutung des kulturellen Bewußtseins in der Welt gibt und daß dies mit einem Wettbewerb der Regionen in Verbindung gebracht wird. Aus Asien ist zum Beispiel immer wieder zu hören - jeder von uns, der auf Dienstreisen unterwegs ist, wird das hören -: Wir, sagen die Asiaten, haben die bessere Wirtschaft und deshalb auch die größeren Wachstumserfolge, weil wir eine euch gegenüber überlegene Kultur haben. Nach dem bekannten europäisch- asiatischen Gipfel wurde die Frage, warum sich Deutschland mit Investitionen und Wirtschaftserfolgen in Asien nach wie vor relativ schwertut, kurz und bündig mit dem Hinweis auf eine tiefe kulturelle Kluft und ein kulturelles Nichtverstehen beantwortet. ({4}) Vielleicht ist das Tibet-Problem auch eine Frage des gegenseitigen Nichtverstehens; das will ich aber hier nur kurz anschneiden. Herr Kollege Duve, Sie sind doch viel zu klug, als daß Sie diesen gescheiten Ausführungen von mir überhaupt widersprechen könnten. Hier liegt in der Tat ein Problem. ({5}) - Ja, da muß der Duve ein bißchen nachdenken, damit er begreift, was ich gesagt habe. Dafür habe ich Verständnis. Nicht nur wirtschaftliche Erfolge, Marktstrategien oder die Lenkung von Investitionsströmen stehen dabei im Vordergrund, sondern - darin sind wir uns jetzt bestimmt einig, Herr Duve - es geht um kulturelle und politische Grundwerte. Es geht um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und ich sage Ihnen, es geht natürlich auch um Menschenrechte und Pluralismus. Es geht aber auch um Marktwirtschaft, Arbeitsordnungen und soziale Systeme. Ich will ein Drittes sagen und noch einmal speziell auf das Geld zu sprechen kommen. Was heute über alle Fraktionen hinweg sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist, ist der Wille, mit dazu beizutragen, daß wir eine überzeugende Auswärtige Kulturpolitik brauchen, eingedenk der Tatsache, daß Deutschland in der Tat eine große Kulturnation ist. Gott sei Dank wird in der Öffentlichkeit nur sehr vereinzelt über die Haushaltsprobleme des Bundes und der Länder gejammert. Es wird schon gejammert, aber das geht manchmal am Thema reichlich vorbei. Tatsache ist, daß sich das Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen, der Bemühungen aller Fraktionen im Haushaltsausschuß sehen lassen kann. Der Haushaltsausschuß hat ja den Kulturhaushalt des Auswärtigen Amtes für 1996 um sage und schreibe 15 Millionen DM über den Regierungsansatz hinaus erhöht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, einen Augenblick, bitte. Ich möchte für etwas mehr Ruhe sorgen und bitte darum, daß der Mittelgang frei gemacht wird, damit die entsprechende Ruhe eintreten kann. ({0})

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Präsidentin, eine so charmante Hilfe habe ich im Parlament noch selten genießen dürfen. Ich sage es noch einmal, meine Damen und Herren: Der Haushaltsausschuß hat über den Regierungsentwurf hinaus 15 Millionen DM mehr etatisiert. Mit 1,19 Milliarden DM haben wir dem Auswärtigen Amt für dieses Jahr, für 1996, den zweithöchsten Kulturhaushalt in seiner Geschichte überhaupt beschert. Da gibt es doch nichts zu jammern, Herr Hoffmann vom Goethe-Institut! Das will ich Ihnen von diesem Pult aus einmal ganz deutlich sagen. ({0}) Dr. Erich Riedl ({1}) Und noch etwas, wozu ich dem Auswärtigen Amt ein großes Kompliment machen muß. Der Herr Bundesfinanzminister hat dem zustimmen können: Von der von ihm angeordneten Haushaltssperre, die für alle Etats gilt, konnte der Kulturhaushalt ausgenommen werden, weil das Auswärtige Amt an anderer Stelle Einsparungen erbracht und deshalb der Auswärtigen Kulturpolitik auch intern einen höheren Rang eingeräumt hat. Das sind doch ganz hervorragende Ergebnisse, die wir auch hier im Parlament festhalten sollten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, darf ich Sie noch einmal unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Riedl, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß 1993 und 1994 der Etat für Auswärtige Kulturpolitik erst einmal geschrumpft ist und daß er trotz Ihrer 15 Millionen jetzt immer noch unter dem Stand von 1992 liegt? Wollen Sie weiter zur Kenntnis nehmen, daß das, was Sie als Erfolg vermelden, lediglich auf die Übernahme der Kultureinrichtungen der ehemaligen DDR nach der Wende zurückzuführen ist?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das letztere nicht, das erstere ja, denn ich sagte Ihnen ja, daß der Haushalt für 1996 der zweithöchste Kulturhaushalt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes überhaupt ist. Sie haben recht, 1993 war das Haushaltsvolumen noch höher; es war um 4,8 Prozent höher als im Jahre 1996. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übrigen ist etwas anderes heute leider auch völlig untergegangen. Legen Sie es mir bitte nicht als intellektuelle Überheblichkeit eines Haushälters aus; überheblich will ich gar nicht sein. Ich glaube, daß die wenigsten von Ihnen im Einzelplan 05 die Übersicht 2 einmal in der Hand hatten, wo die gesamten Ausgaben des Bundes auf dem Gebiet der Auswärtigen Kulturpolitik über zehn andere Ministerien hinweg aufgelistet sind. Da kommen wir auf eine Summe, die weit über 3,6 Milliarden DM liegt. Das ist ein ganz beachtlicher Beitrag Deutschlands und der deutschen Steuerzahler für das, was wir unter Auswärtiger Kulturpolitik verstehen. Darf ich zum Schluß noch etwas anfügen, was man in Amerika immer sehr deutlich betreibt, das Sponsoring - dieses blöde Wort möchte ich hier einmal in den Mund nehmen - von Kultur durch die Wirtschaft. Bei uns wird ja schon die Wetterkarte gesponsert. Wenn man am Abend im Fernsehen bei öffentlich-rechtlichen Anstalten die Wetterkarte sieht, hat man das einer bestimmten Brauerei oder was weiß ich wem zu verdanken. Warum ist es denn eigentlich nicht möglich - und da möchte ich an die Mittlerorganisationen appellieren -, daß große deutsche Konzerne, die im Ausland arbeiten, tätig sind, dorthin exportieren und Gewinne machen, auch die Kultur fördern und dann von den Mittlerorganisationen erlaubt bekommen, daß das Signet der jeweiligen Firma zwar nicht im Mittelpunkt des Kulturobjektes, aber doch bescheiden mit angeführt wird. Hier hat doch die Kultur einen enormen Nachholbedarf. Das, was das Olympische Komitee in seiner absoluten Reinheit vor 20 Jahren eingeführt hat, daß es auch Sponsoring der Wirtschaft bei den Olympischen Spielen gibt, müßte doch bei der Kultur ebenfalls möglich sein. Ich bin absolut sicher, wenn in Verbindung mit steuerlichen Abschreibungen - die ja bei der Kulturförderung auch möglich sind - die Auswärtige Kulturpolitik von der Wirtschaft mehr beachtet wird, dann werden wir neben den Beiträgen, die der deutsche Steuerzahler erbringt, noch viele weitere hundert Millionen DM für die Auswärtige Kulturpolitik sammeln können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich schon auf die Beratung des Haushaltes 1997. Er wird wahrscheinlich noch etwas schwerer zu bearbeiten sein als der Haushalt 1996. Ich bin allerdings sicher - das will ich an die Adresse der Opposition sagen; ich hoffe, daß mir meine Parteifreunde nicht böse sind, wenn ich die Opposition heute etwas öfter lobe, als es ihr sonst zukommt -, wenn sie mit der gleichen großen Vernunft und mit dem gleichen Verantwortungsbewußtsein den auswärtigen Kulturhaushalt mit uns beraten wie beim letztenmal, dann werden wir auch im nächsten Jahr eine tolle Bilanz ziehen können. Ich möchte mich ganz zum Schluß bei den vielen tausend Mitarbeitern im Ausland, bei den Mittlerorganisationen, aber auch in den Botschaften und im Auswärtigen Amt sehr, sehr herzlich für die geleistete Arbeit bedanken, die oft nach Dienstschluß, oft außerhalb der normalen Arbeitszeit, am Wochenende, an den Feiertagen geleistet wird. Dies alles zusammen, meine Damen und Herren, gibt uns Deutschen das gute Gefühl, daß wir nicht nur gut sind in der Wirtschaft, in der Politik und im Handel, sondern auch in der Kultur. In diesem Sinne sollten wir weiterarbeiten, damit es auch auf diesem Gebiet weiter nach vorn geht. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Frau Dr. Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Um gleich an Herrn Riedl anzuschließen: Ein flammendes Plädoyer für das Sponsoring in der Kultur ist immer gut, nur sagen Sie dann bitte dazu, daß auch bei großzügigsten Geldspenden auf alle Fälle vermieden werden muß, daß irgendein Einfluß der Firmen auf die kulturelle Aktivität, die jeweils gefördert wird, ausDr. Cornelie Sonntag-Wolgast geübt wird. Darin sind wir uns einig. Dann ist das klar. Meine Damen und Herren, im Zeitalter der Medienvielfalt gehört die Frage nach Perspektiven, Auftrag und materieller Ausstattung der Deutschen Welle als wichtiges Thema in die Debatte über Auswärtige Kulturpolitik hinein. Denn wie die Bürger anderer Staaten unsere Auseinandersetzung mit den großen Problemen der Gegenwart und unsere Art des Umgangs mit aktuellen Ereignissen wahrnehmen, wird ja nicht unwesentlich von den Medien beeinflußt und durch Medien transportiert. Ich beschäftige mich deshalb in meinem kurzen Beitrag ausschließlich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über den deutschen Auslandsrundfunk, den wir ja heute in erster Lesung beraten und dem man jetzt zu dieser späten Debattenstunde doch noch einige Worte widmen sollte. Meine Damen und Herren, daß wir ein solches Gesetz brauchen, ist unstrittig. Das hat die SPD-Bundestagsfraktion schon vor einigen Jahren, als die ersten Entwürfe diskutiert wurden, unmißverständlich klargemacht. Auch andere Staaten - so Frankreich, Großbritannien und die USA - haben ihre im Ausland ausgestrahlten Fernseh- und Hörfunkprogramme auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Der Auslandsrundfunk hat seine Bedeutung für die Zukunft, und wichtig ist auch der Aufbau des Fernsehprogramms der Deutschen Welle, der seit einigen Jahren erfolgt. Da muß ich zunächst einmal ein Wort an die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sagen. Ich bin wahrhaftig auch keine Freundin von Werbung im öffentlichen Rundfunk. Sie wissen, in der Deutschen Welle soll künftig Werbung erlaubt sein. Sie verlangen nun wiederum Werbefreiheit, also totalen Verzicht auf Werbung. Das wird insofern nicht gehen, als die Deutsche Welle - so ist nun einmal die Situation - auch auf die Einnahmen aus der Werbung angewiesen ist. Außerdem ist die Zeit für Werbung nur kurz bemessen. Ihre Bemerkung, wie wichtig es sei, eine solche ins Ausland strahlende Anstalt ganz vor wirtschaftlichen Einflüssen zu schützen, kommt leider angesichts der Tatsache, daß wir seit eineinhalb Jahrzehnten in öffentlich-rechtlichen Sendern Werbung haben, ein bißchen verspätet und ist insofern ein bißchen realitätsfern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, würden Sie mir zustimmen, daß es ein gewisses Ärgernis darstellt, wenn die Deutsche Welle im Ausland an einem Sonntagabend die inzwischen unaktuell gewordenen Nachrichten vom Mittag ausstrahlt, statt zum Beispiel die Nachrichten von ARD oder ZDF zu übernehmen, besonders wenn dies an einem Wahlabend geschieht, am 24. März 1996, wenn man Wahlergebnisse wissen möchte, voller Freude im Ausland die Deutsche Welle einschaltet und dann einen Nachrichtenmitschnitt vom Mittag bekommt? Stimmen Sie mir zu, daß das ein Ärgernis ist?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich ist das ein Ärgernis, vor allem, wenn einem das Ergebnis nicht paßt; das kommt erschwerend hinzu. ({0}) - Ja. Ich sage „einem". Sie haben um meine Antwort gebeten. ({1}) Es ist natürlich so - das müssen Sie wissen, und das müßte Ihnen auch klar sein -, daß die Deutsche Welle auch in Regionen ausstrahlt, wo die Zeit noch nicht so weit fortgeschritten ist. Deswegen liest sich manches im Entwurf etwas kurios, weil es immer auch um die Zeitverschiebung geht. Das wird sich nicht vermeiden lassen, es sei denn, es gibt technische Möglichkeiten, das Programm von ARD und ZDF ins Ausland zu strahlen. Aber das würde eine neue rechtliche Vereinbarung erfordern. Meine Damen und Herren, zurück zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wir wollen einige kritische Anmerkungen machen, weil wir die Art und Weise, wie die Bundesregierung an das Thema herangeht, als kultur- und medienpolitisch einfach zu kurz gegriffen empfinden. Denn der Entwurf verordnet den Redakteuren und freien Mitarbeitern immer noch eine unnötige Regierungsnähe. Er bläht überdies die Aufsichtsgremien zu sehr auf. Er versäumt es andererseits, die Personalvertretung an wichtigen Entscheidungen ausreichend zu beteiligen. Vor allem aber verpaßt der Entwurf praktisch die Chance, vor dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen in der internationalen Politik, aber auch angesichts der revolutionären Entwicklung des Medienangebotes die zukünftige Rolle des öffentlichrechlichen Rundfunks neu, klug und zukunftsweisend zu beschreiben. ({2}) Ich will das zunächst am Programmauftrag illustrieren. Nun bin ich ganz froh darüber, daß im Vergleich zum früheren Entwurf die Journalisten der Deutschen Welle nicht mehr zu wahrer Regierungsfrömmigkeit verpflichtet werden. Es heißt nun Gott sei Dank nicht mehr, daß - ich zitiere aus dem alten Papier - die Berichterstattung in dem Bewußtsein erfolgen müsse, „daß die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik zu auswärtigen Staaten berühren können" . Das, liebe Kollegen und Kolleginnen, hätte eine kritische Auseinandersetzung etwa mit der Menschenrechtspolitik Chinas oder dem Tschetschenienkonflikt, um nur zwei Beispiele zu nennen, ungeheuer erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht. Jetzt steht im Entwurf, die Sendungen sollten „ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland vermitteln, einen objektiven Überblick über das Weltgeschehen geben und die Reaktionen der Öffentlichkeit sowie der wesentlichen staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland auf diese Ereignisse darstellen" . Auch das, meine Damen und Herren, greift noch in die grundgesetzlich verbriefte Presse- und Meinungsfreiheit ein; denn wer bestimmt letztendlich, was die sogenannten „wesentlichen Kräfte" in diesem Lande sind? Kommt da nicht etwa zuallererst die Riege der Minister oder der Koalitionsvertreter in Betracht? Nein, die beste Visitenkarte Deutschlands wäre ein umfassender, auch von kritischem Geist beseelter Journalismus, der unbeschönigt den gesellschaftlichen Disput in diesem Staat widerspiegelt und in andere Staaten überträgt. ({3}) Ich bin fest überzeugt: Das verträgt unsere Demokratie; das schadet auch nicht unserem Image - ganz im Gegenteil. ({4}) Außerdem kann mir niemand schlüssig erklären, warum der Rundfunkrat künftig aus sage und schreibe 30 statt, wie bisher, 17 Mitgliedern bestehen soll, nachdem dieses Gremium erst vor wenigen Jahren von elf auf 17 Personen aufgestockt worden ist. ({5}) Diese neue Aufstockung ist unangebracht. Außerdem erhalten staatliche beziehungsweise staatsnahe Institutionen zuviel Gewicht. Das ist den öffentlichen Sendern noch nie gut bekommen. Zudem arbeiten größere Gremien schwerfälliger und sind kostspieliger. Also fordern wir im Zeitalter der Verschlankung auch hier: Runter mit den Zahlen, dafür aber eine Stärkung des Gremiums Rundfunkrat nicht nach Zahl und Staatsnähe, sondern nach Kompetenzen und auch personellen Zuständigkeiten, wenn wir an die Entscheidung über künftige Direktoren denken! ({6}) Ansprechen möchte ich noch einen weiteren schwerwiegenden Mangel, nämlich den Mangel an Mitspracherechten und Mitwirkungsrechten der Belegschaft. Es soll eine Ermessensfrage des Rundfunkrates sein, ob er ein Mitglied des Personalrats hören will. Mit einer angemessenen Berücksichtigung der Belange und auch des Sachverstandes der Programmmacher hat das kaum etwas zu tun. Es ist auch überhaupt nicht einzusehen, warum die Mitarbeiter der Deutschen Welle gegenüber anderen öffentlich-rechtlichen Sendern in Fragen der Mitbestimmung schlechtergestellt sein sollen. Ein Schlußwort zur Standortfrage: Die Beschäftigten der Deutschen Welle haben keine leichten Zeiten hinter sich. Es gab Rationalisierungen und Personalabbau, und die Unsicherheit über den künftigen Sitz steckt noch in den Knochen. Ich will an dieser Stelle nicht auf die leidige Diskussion um das künftige Gebäude eingehen, das für das asbestverseuchte Hochhaus am Raderberggürtel in Köln als Ersatz dienen soll. Aber ein deutliches Bekenntnis der verantwortlichen Politiker zum Sitz in Köln bzw. später in Bonn haben die Betroffenen verdient. Das wird - das sei ausdrücklich erwähnt - im Gesetzentwurf gegeben. Ebenso klar sollte dann aber auch die feste Zusage für den zweiten Sitz in Berlin verstanden werden. Mein Fazit: In den Fragen der inhaltlichen Bestimmung und der personellen Mitsprache ist der Entwurf unzureichend. Die Deutsche Welle soll umfassend über kulturelle, politische, ökonomische und ökologische Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland informieren. Sie hat auch einen Auftrag zugunsten von Rechtsstaat und Demokratie, für das Eintreten für Menschenrechte, für Minderheitenschutz und für Solidarität in der einen Welt. Man beantragt bei uns ein wenig oft und fast schon inflationär Anhörungen. In diesem Fall einen gesellschaftlichen Disput in Form eines Fachforums oder eines Hearings über die künftige Rolle und den Auftrag des Auslandsrundfunks zu finden, halte ich für eine spannende und ergiebige Sache über die formale Zuständigkeit der jeweiligen Ausschüsse hinaus. Ich kann das nur anregen. Ich meine, dieses Thema wäre der Mühe wert. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Blank.

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor fast genau zwei Jahren haben wir in diesem Haus schon einmal das Gesetz über den deutschen Auslandsrundfunk beschlossen. Das vor zwei Jahren vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz fiel nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat der Diskontinuität anheim, so daß wir uns heute erneut in erster Lesung mit einem Deutsche-Welle-Gesetzentwurf befassen müssen. Ich habe das Protokoll der damaligen Debatte nachgelesen und möchte mich deshalb in dieser heutigen ersten Lesung auf die Fragen konzentrieren, die damals zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition streitig waren und die sich im Vergleich zum letzten Gesetzentwurf verändert haben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Moment, Herr Kollege. Ich versuche, für Ruhe hier im Haus zu sorgen. Es ist sonst für den Redner sehr schwer zu sprechen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In der Debatte vor zwei Jahren hatte vor allem die Formulierung des Programmauftrags der Deutschen Welle, wonach die Deutsche Welle „die deutsche AuffasDr. Joseph-Theodor Blank sung zu wichtigen Fragen darstellen und erläutern" soll, für viel Zündstoff gesorgt. Diese Formulierungen sind nun entfallen und durch eine neutrale Formulierung, Frau Sonntag-Wolgast, ersetzt worden. Der seinerzeit ebenfalls umstrittene Programmgrundsatz, wonach die Berichterstattung in dem Bewußtsein erfolgen sollte, „daß die Sendungen der Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu auswärtigen Staaten berühren können" , ist ebenfalls weggefallen. Von daher dürfte diese seinerzeit umstrittene Frage jetzt auch mit der Opposition konsensfähig sein. Umstritten war auch die Regelung der Finanzierung der Deutschen Welle. Herr Kollege Verheugen hat in der Debatte vor zwei Jahren eine lückenlose Globalfinanzierung der Deutschen Welle gefordert. Auch ich habe damals keinen Hehl daraus gemacht, daß ich mich gemeinsam mit anderen Medienpolitikern der Koalition dafür eingesetzt habe, eine Globalfinanzierung für die Deutsche Welle zu erreichen. Ich bin auch heute noch der Meinung, daß eine solche Regelung sinnvoll wäre, ({0}) um noch mehr Spielraum für wirtschaftliches Handeln und Denken zu eröffnen. Die Haushaltspolitiker aller Fraktionen haben uns unter Hinweis auf die im Gegensatz zu den gebührenfinanzierten Landesrundfunkanstalten haushaltsfinanzierte Deutsche Welle zu einem rundfunk- und haushaltsrechtlichen Interessenausgleich - ich sage es freundlich - veranlaßt. Sollte die Forderung nach Globalfinanzierung in diesem Haus, Frau Kollegin Albowitz, wieder erhoben werden, bezweifle ich, daß sich dies als mehrheitsfähig erweisen würde. Deshalb hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, in ihrem Gesetzentwurf keine entsprechende Regelung aufzunehmen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Autonomie einer Rundfunkanstalt einerseits und dem Budgetrecht des Parlaments andererseits muß deshalb in angemessener Weise gelöst werden. So sieht der Regierungsentwurf vor, daß die Deutsche Welle eine gesetzlich fixierte Finanzierungsgarantie erhält. Der Haushaltsplan, den die Anstalt entsprechend ihrer Programmautonomie selbständig aufstellt, bildet dabei die Grundlage für die Bemessung des Zuschusses aus dem Bundeshaushalt. Ein dritter Punkt, der auch schon vor zwei Jahren strittig gestellt wurde, ist die Neuregelung der Aufsichtsgremien. Beim letzten Entwurf ist der Vorwurf erhoben worden, das Gebot der Staatsferne sei nicht angemessen berücksichtigt. Ich habe diesen Einwand damals nicht für berechtigt gehalten. Gleichwohl wird im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf die Staatsquote nochmals reduziert und eine weitere gesellschaftliche Gruppe statt eines Staatsvertreters in den Rundfunkrat aufgenommen. Wer allerdings die Vergrößerung des Rundfunkrates, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, die nach meiner Meinung der gestiegenen Bedeutung und der weltweit erhöhten Präsenz der Deutschen Welle entspricht, kritisiert, der muß sich die Frage gefallen lassen, wie er die Effizienz der Kontrolle beim ZDF oder beim Deutschlandradio beurteilt. 30 Rundfunkratsmandate bei der Deutschen Welle sind geradezu bescheiden im Vergleich zu 77 beim ZDF und zu 40 beim Deutschlandradio. Eine letzte Bemerkung: Daß die Deutsche Welle künftig neben ihrem Sitz in Köln, der eines Tages nach Bonn verlegt wird, auch einen Sitz in Berlin haben soll, hat die Gemüter des Bundesrates erhitzt. Die Vorwürfe, die Bundesregierung leiste einer Abwanderung der Deutschen Welle nach Berlin Vorschub und begünstige eine weitere Schwächung der Region Köln/Bonn, sind allerdings völlig unbegründet. Die Festlegung eines zweiten Sitzes in Berlin hat lediglich den Hintergrund, daß der dortige Standort der Fernsehproduktion der Deutschen Welle eine Aufwertung erfahren soll. Um aber allen anderen Interpretationen der Doppelsitzregelung vorzubeugen, hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates vorgeschlagen, dies nun auch gesetzlich zu fixieren und das Recht der Deutschen Welle, diese Frage in ihrer Satzung zu regeln, zu streichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß wir nach der langjährigen Debatte um den Entwurf eines Deutsche-Welle-Gesetzes keine erneute Anhörung brauchen. Ich bitte alle Fraktionen, jedenfalls dafür Sorge zu tragen, daß dieses Gesetz nun zügig beraten wird, damit wir endlich die Neuordnung des Rundfunks auch auf Bundesseite abschließen können. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, hat das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Sie wissen, worum es geht: Ich will mein Abstimmungsverhalten für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begründen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung wird am kommenden Wochenende gemeinsam mit der tibetischen Exilregierung die zweite internationale Konferenz der Tibet-Unterstützungsgruppen im Wasserwerk des Bundestages abhalten. Frau Präsidentin, das Präsidium des Bundestages hat uns diese Räumlichkeiten dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. ({0}) Die Friedrich-Naumann-Stiftung akzeptiert und respektiert die in der Verantwortung und Zuständigkeit der Bundesregierung liegende Entscheidung, die ursprünglich in Aussicht gestellte Finanzierung in Höhe von 290 000 DM zurückzuziehen. Die Bundesregierung wertet eine Konferenz unter Mitwirkung der tibetischen Exilregierung als Gefährdung der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Dies ist eine Entscheidung, die ausschließlich in der Kompetenz der Bundesregierung liegt. Ich habe, wie Sie wissen, öffentlich um Spenden für die Tibet-Konferenz gebeten. Das Echo ist eindrucksvoll. Die Zuneigung der Deutschen zur Sache des Dalai Lama und der Tibeter wird dadurch deutlicher als durch eine öffentliche Subvention. ({1}) Ich werde vor diesem Hintergrund dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen. Die Konferenz - ({2}) - Herr Kollege Schulz, machen Sie erst einmal so viel für die Tibeter und den Dalai Lama wie ich, und dann rufen Sie „peinlich, peinlich" ! Mein Gott! ({3}) Die Konferenz in Bonn findet statt. Wir, meine Damen und Herren, die Friedrich-Naumann-Stiftung, wie alle anderen Stiftungen sind nicht die Bundesregierung. Aber als Nichtregierungsorganisation können und wollen wir unsere Auffassung von Freiheits- und Menschenrechten deutlicher und unkonventioneller formulieren. ({4}) Es ist geradezu der Sinn der deutschen politischen Stiftungen, daß sie einen größeren Spielraum als Regierung und Opposition haben, auch wenn sie aus öffentlichen Mitteln finanziert sind. ({5}) - Herr von Larcher, daß Sie mir hier das Wort nehmen wollen, werde ich mir merken, und dafür werde ich Sie öffentlich vorführen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aber, Herr Kollege, Sie müssen Ihr Abstimmungsverhalten begründen und dürfen nicht weiter debattieren. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich beantworte nur Zwischenrufe, Frau Präsidentin. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß ich hier, auch von Herrn Verheugen, mit Zwischenrufen unterbrochen werde, ich mißbrauchte die Geschäftsordnung. Ich werde meine Auffassung zu diesem Problem, die offensichtlich im Gegensatz zu der Ihren steht, und meinen Einsatz für das, was wir an diesem Wochenende tun werden, an anderer Stelle öffentlich deutlich machen. Daß die sozialdemokratische Fraktion einen daran hindern will, ({1}) in dieser Sache öffentlich Stellung zu nehmen, entspricht nicht dem, was Sie sonst bei allen schönen Gelegenheiten über Menschenrechte von sich geben. ({2}) Wir werden uns an diesem Wochenende im Sinne eines Entschließungsantrags, den Sie alle unterschrieben haben, für eine Sache einsetzen, bei der ich feststelle, daß die Deutschen - leider, muß ich sagen: offenbar mehr außerhalb dieses Hauses - sehr viel Mitgefühl, sehr viel Verständnis dafür haben, ({3}) daß wir uns für die Nöte und Sorgen eines kleinen Volkes im fernen Asien einsetzen. Wir bleiben auch dabei. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir kommen jetzt zum gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4889. Der Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4880 wurde zugunsten des gemeinsamen Entschließungsantrags zurückgezogen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4889? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 13/4708, 13/4844, 13/4846, 13/ 4851 und 13/4863 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe ({0}) - Drucksache 13/4867 Nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Das sind mindestens 337 Stimmen, also die Kanzlermehrheit. Wer also den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Da die absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie nach dem im Ältestenrat vereinbarten Verfahren - ich bitte Sie, jetzt genau zuzuhören - außer Ihrer Stimmkarte auch Ihren gelben Stimmausweis. Diesen können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Schließfach entnehmen. Bitte achten Sie darauf, daß Stimmkarte und Stimmausweis auch Ihren eigenen Namen tragen. Sie dürfen wie bei den zuletzt durchgeführten namentlichen Abstimmungen Ihre Stimme nur an der Urne abgeben, deren Buchstabengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt; sie sind gekennzeichnet. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen, übergeben Sie bitte den Stimmausweis einem der Schriftführer an der Urne. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich darauf zu achten, daß Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kollegen in die Urnen geworfen werden dürfen, die vorher auch ihren Stimmausweis übergeben haben. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratungen fort. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, würden Sie bitte Ihre Gespräche beenden, die Gänge frei machen und sich auf Ihre Plätze begeben, ({1}) damit wir die Beratungen fortsetzen können. Ich rufe nun die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts - Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/ 4211, 13/4239, 13/4687, 13/4758, 13/4865 ZP8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/ 3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/ 4866 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Ulf Fink. Bitte schön.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 24. Mai den vom Deutschen Bundestag am 29. Februar beschlossenen Gesetzen zur Reform der Sozialhilfe und zur Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes und anderer Gesetze seine Zustimmung verweigert. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die F.D.P., schlagen vor, daß der Deutsche Bundestag beschließt, die erneute Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen. Sie wissen, daß diesem bereits ein wochen- und monatelanges Vermittlungsverfahren vorausgegangen ist, das leider gescheitert ist, weil sich die Mehrheit der Länder, obwohl sie gerne die Entlastungen der Länder, die mit diesen Gesetzen verbunden sind, in Anspruch genommen hätte und darüber hinaus auch weitere Entlastungen zu ihren Gunsten im Vermittlungsausschuß beschlossen hatte, außerstande gesehen hatte, einer Einsparung zugunsten des Bundes von lediglich 500 Millionen DM zuzustimmen. Damit hat die Mehrheit der Länder einer Entlastung von insgesamt über 3 Milliarden DM zugunsten von Ländern und Gemeinden ihre Zustimmung verweigert. Ich nenne dies eine ganz unverantwortliche Blokkadehaltung. ({0}) Diese Blockadehaltung trifft besonders die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland. Man muß sich das einmal klarmachen: Im Vermittlungsausschuß sitzen Bund und Länder, und die Länder haben die verfassungsrechtliche Aufgabe, die Interessen der Gemeinden zu wahren. Sie sind dieser Aufgabe bei diesem Vermittlungsausschußverfahren in keiner Weise nachgekommen. Uns liegt ein Brandbrief der Spitzen der Gemeinden vor. Dieses Schreiben ist an den Bundeskanzler, an alle Ministerpräsidenten und an alle Fraktionsvorsitzenden gegangen. Mit Genehmigung der Präsidentin möchte ich aus diesem Schreiben, das vom Deutschen Städtetag, vom Deutschen Landkreistag, vom Deutschen Städte- und Gemeindebund unterzeichnet ist, kurz zitieren: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, auch wenn der vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform der Sozialhilfe - ich möchte frei übersetzen: in manchen Punkten den Erwartungen der Kommunen nicht entgegenkommt, darf es bei dem Scheitern jedweder Änderungen im Bereich der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht bleiben. Das Schreiben fährt fort: Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände appelliert deswegen an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat, nach dem Scheitern der Vermittlungsversuche . . . die Reformziele des BSHG und des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht aufzugeben, und bittet den Deutschen Bundestag, den Vermittlungsausschuß erneut anzurufen. Für die bevorstehenden Verhandlungen bieten wir unsere Hilfe an. Ich denke, die Mehrheit der Länder muß sich ernsthaft überlegen, ob sie es wirklich verantworten will, daß zum 1. Juli dieses Jahres, wenn dieses Gesetz nicht zustande kommt, die Sozialhilfesätze drei-, vier-, fünfmal so hoch wie die Nettolohnentwicklung gesteigert werden müssen. Die Länder müssen sich ernsthaft überlegen, ob sie es den Gemeinden zumuten, daß es dann keine Deckelung der Pflegesätze in den Heimen mit der Konsequenz gibt, daß Milliardendefizite zu Lasten der Gemeinden entstehen. Sie müssen sich ernsthaft überlegen, ob die vorgesehenen Verbesserungen zugunsten der Behinderten, besonders der Rechtstellung der Behinderten in den Werkstätten, die neu eingeführten Hilfen für 500 000 arbeitslose Sozialhilfeempfänger und die vom Deutschen Bundestag gemeinsam beschlossenen Aktivitäten, die dafür sorgen sollen, daß die Zahl der Obdachlosen zurückgeht und hierfür nachher nicht überhöhte Kosten zu zahlen sind, nicht zustande kommen. Sie müssen sich überlegen, ob weiterhin die Vorschläge scheitern sollen, endlich ein gemeinsames Sozialhilferecht in ganz Deutschland einzuführen, und dafür sorgen, daß Hunderttausende von Sozialhilfeempfängern aus dem Bereich der Sozialhilfe herauskommen, indem die Bundesanstalt für Arbeit und die Rentenversicherungsträger rechtzeitig ihre Leistungen auszahlen. Sie müssen sich sehr gut überlegen, ob sie wirklich bereit sind, all diese wichtigen Punkte scheitern zu lassen. ({1}) Dies ist um so unverständlicher, als sich die Mehrheit der Länder im Vermittlungsausschuß in großen Teilen bereits auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung zubewegt hat. Wie habe ich es vorher von der SPD-Fraktion gehört? Da hieß es: Ihr wollt die Regelsätze mit der Nettolohnentwicklung koppeln. Das sei ein schrecklicher Verstoß gegen das Bedarfsdekkungsprinzip. Die Mehrheit der A-Länder hat nunmehr genau das beschlossen, was wir ursprünglich vorgesehen hatten. Vorher hat es geheißen, die Deckelung der Pflegesätze in den Behindertenheimen sei nicht angemessen und gebe den Behindertenwerkstätten nicht genügend Geld. Jetzt aber hat der Vermittlungsausschuß mit seiner Mehrheit beschlossen, eine noch sehr viel stärkere Deckelung dieser Pflegesätze vorzusehen. Was habe ich von Ihnen in den Debatten gehört? Dort hieß es immer: Es ist nicht zumutbar, wenn man einem arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger, der keinen anderen Grund hat, nicht zu arbeiten, als daß er keine Lust hat, in diesen Fällen die Sozialhilfe um 25 Prozent kürzt. Damals haben Sie gesagt: Das ist menschenunwürdig. Die Mehrheit der A-Länder hat jetzt gesagt: Jawohl, das muß gemacht werden. Da wir doch so nah beieinander sind, ist es in keiner Weise zu verstehen, daß nach wie vor diese Blockade besteht. Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt nennen. Es ist schon eine merkwürdige Tatsache, wenn wir auf der einen Seite ein Gesetz zur Reform der Sozialhilfe vorschlagen. Dieses Gesetz muß notwendigerweise Einsparungen vornehmen, weil sonst die Gemeinden ihre Aufgaben nicht finanzieren können. Auch Sie wissen das. Zur gleichen Zeit haben wir auf der anderen Seite vorgeschlagen, entscheidende Strukturverbesserungen des Sozialhilfegesetzes vorzunehmen, um dafür zu sorgen, daß arbeitslose Sozialhilfeempfänger nach Möglichkeit eine neue Chance bekommen, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Wir haben dort eine ganze Fülle von Brücken gebaut. Wir müssen nunmehr sehen, daß diese wichtige Umbaumaßnahme, nämlich sparen - aber doch um zu gestalten -, von der Mehrheit der A-Länder und von Ihnen in keiner Weise akzeptiert worden ist. Das wird ein wichtiger Punkt im Vermittlungsausschuß sein. Arbeitslose Sozialhilfeempfänger sind keine schlechteren Arbeitslosen als andere, sondern sie brauchen eine neue Chance. Diese wollen wir ihnen geben. ({2}) Deshalb gilt mein Appell: Sorgen Sie bitte mit dafür, daß wir im Vermittlungsausschuß eine Mehrheit für einen wirklichen Umbau des Sozialstaates bekommen, ({3}) auch im Sinne von neuen positiven Leistungen für Behinderte, arbeitslose Sozialhilfeempfänger und Obdachlose. Dies sind ganz wichtige Maßnahmen, die auch in Fachkreisen von allen Beteiligten anerkannt sind. Sorgen Sie zweitens dafür, daß Sie Ihren gesamtstaatlichen Verpflichtungen nachkommen. Es kann doch nicht sein, daß ein Schwarzes-Peter-Spiel stattfindet; da einmal Bund, da einmal Länder und da einmal Gemeinden. Vielmehr muß für eine faire Aufgabenverteilung zwischen allen drei Ebenen gesorgt werden. Wenn schon der Bund, der davon keinen einzigen Pfennig bekommt, sagt, die Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsgesetz sollen reformiert werden, dann kann es doch nicht zuviel verlangt sein, von Ihnen die Zustimmung zu einer maßvollen Entlastung des Bundes auf der anderen Seite zu bekommen. Das gehört doch zu einer fairen Auf gaben-verteilung. ({4}) Ich möchte noch ein Letztes sagen. Wir müssen die Sozialhilfe umbauen; denn wir wissen alle, welch große Belastung diesem so wichtigen Netz unserer sozialen Sicherung aufgelastet ist. Deshalb ist es um so wichtiger, daß wir rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um dieses System auch in Zukunft tragfähig und armutsfest zu machen. Deshalb muß man jetzt handeln. Wer jetzt seine Zustimmung für eine Reform der Sozialhilfe verweigert, der hat es zu verantworten, wenn eine der wichtigsten Humansäulen unseres Sozialstaates in Mitleidenschaft gezogen wird. Deshalb appelliere ich nachdrücklich an Sie, mitzuhelfen, daß der Vermittlungsausschuß zu einem guten Ergebnis kommt, damit wir den Sozialhilfeempfängern wirklich sagen können: Ja, wir haben unsere Pflicht euch gegenüber getan. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Kollege Fink, ist durch Sachunkenntnis getrübt worden. ({0}) Ich verstehe überhaupt nicht, wieso Sie etwas aus dem Vermittlungsausschuß erzählen, dem Sie gar nicht angehören. Die Sitzungen des Vermittlungsausschusses sind meines Wissens nicht öffentlich. Sie behaupten hier etwas von angeblichen Gesprächen und Angeboten im Vermittlungsausschuß, von denen mir nichts bekannt ist. Ich bin bei den Gesprächen beteiligt gewesen, auch bei denen mit der Bundesregierung. Ihre Angriffe gegen Herrn Stoiber, Herrn Teufel und Herrn Biedenkopf verstehe ich nun ganz und gar nicht. Herr Kollege Fink, ich will einmal darauf hinweisen - vielleicht wissen Sie das gar nicht -, daß im Bundesrat nicht nur die von uns regierten Länder zu den Gesetzen nein gesagt haben, sondern auch die Länder Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg. Wenn Sie hier von Blockade reden, dann sagen Sie das gefälligst auch einmal Herrn Biedenkopf, Herrn Stoiber und Herrn Teufel! Es ist doch Unsinn, was Sie hier erzählen. ({1}) Hier nehmen Länder ein originäres Recht wahr. Das originäre Recht hinsichtlich der Gesetze, um die es jetzt geht, heißt ganz konkret: Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die Sie unter anderem im Asylbewerberleistungsgesetz untergebracht haben, würde für die Länder und Gemeinden in Deutschland zu einer Mehrbelastung um 500 Millionen DM führen. Daß die das nicht mitmachen, verstehe ich voll und ganz. ({2}) Statt dessen wird von seiten der Bundesregierung herumgetrickst: Wir packen Asylbewerberleistungen zusammen mit der originären Arbeitslosenhilfe, außerdem mit der freien Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personennahverkehr. Die Länder sollen gleich noch einmal 230 Millionen DM mehr bezahlen, damit der Bund entlastet wird. Daß die Länder - auch ein Herr Biedenkopf - dazu nein sagen, verstehe ich. Tun Sie doch nicht so, als hätte das etwas mit Parteipolitik zu tun! Das hat etwas mit dem Verfassungssystem in bezug auf Bund und Länder zu tun und mit der hier grundsätzlich festzustellenden Tatsache, daß es seit Jahren die Politik dieser Bundesregierung ist, sich auf Kosten der Länder und Gemeinden zu entlasten. Jetzt ist hier endlich einmal ein Schlußstrich gezogen worden. ({3}) Ministerpräsident Biedenkopf hat im Bundesrat an die Koalitionsfraktionen - nicht an uns - eine Warnung gerichtet: ({4}) - Frau Babel, Sie waren ja nicht dabei. Warten Sie doch erst einmal ab; ich lese es Ihnen vor. Ich würde es für ein Unglück halten, wenn der Bundesrat gezwungen wäre, bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen zur Wiederherstellung des Zusammenhangs - nämlich eines Paketes, in dem Einspruchs- und Zustimmungsgesetze gemischt werden - mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden. Ich möchte aber ausdrücklich feststellen, daß ich das nicht ausschließen will. Meine Damen und Herren, das heißt im Klartext, daß auch das Land Sachsen nicht bereit ist, sich irgendeiner Parteidisziplin oder der Disziplin einer Koalitionsfraktion - Herr Biedenkopf würde das angesichts einer Bundesregierung unter Kanzler Kohl sowieso nicht tun - zu unterwerfen, nur damit bei Ihnen irgendein einheitliches Stimmungsbild festgestellt werden kann und er zusätzlich 500 Millionen DM mit anderen Ländern zahlen muß. Ich sage: Wo Biedenkopf recht hat, hat er recht. Wir - die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Mitglieder im Vermittlungsausschuß - sind gerne bereit, zu versuchen, bei der Beratung der Gesetze, die dem Vermittlungsausschuß jetzt wieder vorgelegt werden, weil Sie die Anrufung verlangen, diese Fragen sehr sorgfältig zu prüfen, insbesondere die Fragen der Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern. Dazu gehört dann auch - das würde ich dem Bundesfinanzminister sagen wollen, wenn er noch hier sein könnte -, ({5}) daß wir, wenn wir in der nächsten Woche im Vermittlungsausschuß über die Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsgesetz reden, in die Überlegungen auch noch die Inhalte des Jahressteuergesetzes mit einbeziehen. Herr Waigel, ich kann mir nicht vorstellen, daß wir im Vermittlungsausschuß zu einvernehmlichen Ergebnissen - wie es das Wesen des Vermittlungsausschusses ist - kommen, die die anstehenden Probleme hinsichtlich der zusätzlichen Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern außer acht lassen. Das muß schon ein Gesamtpaket sein. Wir können über Gesamtpakete reden. Eines wird aber mit Sicherheit nicht herauskommen - das kann ich Ihnen gleich sagen -: Weder bei der Entscheidung über die Gesetze, die jetzt im Vermittlungsausschuß anstehen, noch bei der Entscheidung über das Jahressteuergesetz, das uns auch im Vermittlungsausschuß beschäftigen wird, wird herauskommen, daß wir der Abschaffung der Vermögensteuer und der Nichterhöhung des Kindergeldes zustimmen. Das sage ich Ihnen hier deutlich. Sie können sich darauf verlassen. Sie können sich alles das abschminken, was die Verschiebung der Kindergelderhöhung angeht. ({6}) Was die Sozialhilfe angeht, gibt es überhaupt keinen Streit darüber, daß das einzige Motiv, warum Minister Seehofer darauf besteht, unseren Vorschlägen, nämlich die Sozialhilfe in den Jahren 1996, 1997 und 1998 entsprechend der Nettorentenanpassung zu erhöhen, nicht zu folgen, ist, daß diese Bundesregierung im Jahre 1997 bei der Sozialhilfe eine Nullrunde durchsetzen will. Das machen wir nicht mit, und das werden wir auch nicht mitmachen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Kollege Fink hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage geäußert. Oder wollen Sie eine Kurzintervention machen? - Gut. Da Sie noch etwas Zeit haben, kann der Kollege Fink seine Zwischenfrage stellen. Bitte.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Struck, ich möchte die Frage an Sie richten, ob Sie es für unangemessen halten, daß der Bund, wenn er auf der einen Seite, auch gegen politische Widerstände, ein Einsparpaket von rund 3 Milliarden DM zugunsten von Ländern und Gemeinden vorschlägt, auf der anderen Seite erwarten kann, daß er die Zustimmung zu einer Einsparung auf seiner Seite in einer Größenordnung von 500 Millionen DM bekommt.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn das so wäre, würde ich das natürlich nicht für unangemessen halten. Ich kann schon rechnen. Nur, es verhält sich leider nicht so, Herr Fink. Sie können das nicht wissen, weil Sie nicht an den Beratungen beteiligt waren. Die Höhe, um wieviel denn die Länder und Gemeinden entlastet werden - Sie haben eben die Zahl 3 Milliarden genannt -, ist zwischen Bund und Ländern umstritten. Wie das bei Leuten üblich ist, die sich in der Materie nicht so sehr auskennen, haben wir versucht, in dieser Frage auf Staatssekretärsebene zwischen Bund und Ländern wenigstens Einigung darüber zu erzielen, wieviel gespart werden soll, was sozusagen von da nach dort geht. Dieses Einvernehmen war nicht herzustellen. Die Zahl von 3 Milliarden ist umstritten. Die Länder sagen: Wir machen dabei Minus. Was sollen wir denn darauf anderes entgegnen, als zu sagen: Dann müssen wir uns zusammensetzen. Aber das kann doch nicht so ablaufen, Herr Fink, daß sich der Bund durch Regelungen in bezug auf die originäre Arbeitslosenhilfe entlastet, weil er sie nicht mehr zu bezahlen braucht. Ob er um 800 Millionen oder 500 Millionen DM entlastet wird, ist strittig; aber ich streite mich jetzt nicht um 300 Millionen. Klar ist allerdings, daß diese Entlastung zu Lasten von Ländern und Gemeinden geht. So geht das absolut nicht. - Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? - Gern. ({0})

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die Zahlen von 3 Milliarden DM und 500 Millionen DM nicht strittig sind, darf ich die Frage an Sie richten: Setzen Sie sich dann für das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ein? ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich kann überhaupt noch nicht abschätzen, welches Ergebnis die Beratungen des Vermittlungsausschusses haben werden. ({0}) - Nun einmal langsam! Es verhält sich ja nicht so, daß ich hier für A-Länder zu sprechen hätte. Das wäre nicht im Einklang mit meinem Verfassungsverständnis. Ich nehme sehr Rücksicht auf Beiträge der Bayerischen Staatsregierung oder der baden-württembergischen Landesregierung für den Vermittlungsausschuß. ({1}) - Niedersachsen meine ich natürlich auch. Ich bin nämlich der Auffassung, wenn wir uns im Vermittlungsausschuß über einen Kompromiß verständigen sollen, dann müssen wir wenigstens Klarheit darüber haben: Wer wird wie neu belastet? Es geht bei diesen Gesetzen doch auch um Lastenverteilung. Wenn man allein einmal das Thema nimmt, daß sich der Bund um 230 Millionen entlasten will, indem er die Kosten für den unentgeltlichen Transport von Behinderten im öffentlichen Personennahverkehr auf die Länder und Gemeinden - im wesentlichen natürlich auf die Länder - verlagert, dann muß man doch Verständnis dafür haben, daß die Länder sagen: Wenn wir dies übernehmen - das haben wir ja in internen Gesprächen angeboten, daß man sich darüber verständigen kann -, dann muß dafür an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen werden. Es kann doch nicht immer nur so ablaufen, daß Waigel seinen Haushalt entlastet und alle anderen dafür bezahlen müssen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe auf Drucksache 13/4867 bekannt. Abgegebene Stimmausweise: 658. Abgegebene Stimmen: ebenfalls 658. Mit Ja haben 340, mit Nein haben 318 gestimmt. ({0}) Der Antrag ist damit angenommen worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 658 davon: ja: 340 nein: 318 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({2}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({3}) Hartmut Büttner ({4}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({5}) Peter Harry Carstensen ({6}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Dirk Fischer ({7}) Leni Fischer ({8}) Klaus Francke ({9}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({10}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({11}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({12}) Hansgeorg Hauser ({13}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({14}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({15}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({16}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({17}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({18}) Karl Lamers Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({19}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({20}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({21}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({22}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({23}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({24}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({25}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({26}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({27}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({28}) Klaus Dieter Reichardt ({29}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({30}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({31}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({32}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Roland Sauer ({33}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({34}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({35}) Andreas Schmidt ({36}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({37}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({38}) Gerhard Schulz ({39}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({40}) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz-Schilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({41}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({42}) Gert Willner Willy Wimmer ({43}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({44}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({45}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Horst Friedrich Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({46}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Detlef Kleinert ({47}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({48}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({49}) Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Arne Börnsen ({50}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({51}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({52}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({53}) Katrin Fuchs ({54}) Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Günter Graf ({55}) Angelika Graf ({56}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({57}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({58}) Stephan Hilsberg Frank Hofmann ({59}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({60}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({61}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({62}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({63}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({64}) Jutta Müller ({65}) Christian Müller ({66}) Volker Neumann ({67}) Gerhard Neumann ({68}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({69}) Ulla Schmidt ({70}) Dagmar Schmidt ({71}) Wilhelm Schmidt ({72}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({73}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({74}) Reinhard Schultz ({75}) Volkmar Schultz ({76}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({77}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({78}) Karsten D. Voigt ({79}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({80}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({81}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({82}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({83}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({84}) Elisabeth Altmann ({85}) Marieluise Beck ({86}) Volker Beck ({87}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({88}) Joseph Fischer ({89}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({90}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({91}) Cern Özdemir Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({92}) Wolfgang Schmitt ({93}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({94}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({95}) Margareta Wolf ({96}) PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({97}) Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat die Abgeordnete Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst vor drei Wochen haben wir hier in diesem Haus über dieses Thema debattiert. Damals sind starke Worte gefallen; heute haben wir sie wieder gehört. Die eine Seite spricht von der Blockadepolitik; die andere spricht von der Verweigerungshaltung. Vor drei Wochen hat Bundesminister Seehofer gesagt, nachdem das nun im Vermittlungsausschuß gescheitert sei, wolle er keinen neuen Versuch einer Sozialhilfereform machen. Schon damals standen diese starken Worte in einem krassen Widerspruch zu den Kompromissen, die in den Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses längst erarbeitet wurden. In diesen Arbeitsgruppen waren sich Bundesländer und Bundesregierung aus unserer Sicht gefährlich nahegekommen. Nicht mehr strittig waren mittlerweile die Deckelung der Pflege- und Sozialhilfesätze oder auch die Strafmaßnahmen bei der Verweigerung vermeintlich zumutbarer Arbeiten. Einig war man sich auch bei dem Vorhaben, Asylsuchende noch schlechter als bisher zu behandeln. Daß die Verhandlungen schließlich doch geplatzt sind, hat mehr strategische als inhaltliche Gründe. Je lauter sich die Auseinandersetzungen um das Sparpaket der Bundesregierung zuspitzten, desto mehr erschien einigen Akteuren der Theaterdonner geboten. Daß es so und nicht anders lief und daß die Verhandlungen doch wieder aufgenommen werden sollen, könnte man resigniert mit der Bemerkung abtun, daß Politik eben so sei und Show zum Geschäft gehöre. Es geht aber um mehr als um die dramaturgischen Qualitäten von Politik. Es geht um die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit denen um, die die Konsequenzen unserer Entscheidungen zu tragen haben? Mit welchem Respekt oder auch mit welcher Ignoranz verhalten wir uns eigentlich gegenüber den Asylsuchenden, den Sozialhilfeempfängern und den Behinderten, deren Lebenssituation durch die uns vorliegenden Gesetzentwürfe erheblich beeinflußt würde? Wie verhalten wir uns eigentlich gegenüber den behinderten Menschen, die seit Monaten zwischen Hoffen und Bangen hin- und hergerissen werden? Zuerst werden sie durch die Nachricht schockiert, daß sie nach den Plänen für die Sozialhilfereform nur noch dann in den eigenen vier Wänden leben dürfen, wenn ihre Versorgung nicht zu teuer wird. Dann sind sie erleichtert, weil selbst der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ihnen versichert, daß mit dem Scheitern der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß der Gesetzentwurf der Regierung endgültig vom Tisch sei. Nun, nur wenige Tage später, müssen sie befürchten, daß alles wieder von vorn los geht. Dieser selbstvergessene und unberechenbare Politikstil hat sehr viel mit der Rat- und Phantasielosigkeit seiner Akteure zu tun. Dieser Auseinandersetzung zwischen den Sparkommissaren, die sich einer unterschiedlichen Rhetorik bedienen, aber dasselbe Ziel verfolgen, fehlt jede inhaltliche und konzeptionelle Qualität. Die Qualität einer politischen Maßnahme wird nicht mehr daran gemessen, ob sie den Betroffenen hilft und die Risiken in einer modernen Gesellschaft abfedert, sondern daran, ob sie ihren Akteuren die eindrucksvolle Pose erlaubt und Kosten spart, ohne einflußreichen Interessengruppen auf die Füße zu treten. Dabei stellt die Debatte über die Sozialhilfe und den Umgang mit den Asylsuchenden wichtige Fragen an uns. Wie gehen wir mit einer Situation um, in der die sozialen Sicherungssysteme mit dem Zerfall Andrea Fischer ({0}) der Arbeitsgesellschaft und dem Wandel der Familie offensichtlich überfordert sind und immer mehr Menschen dauerhaft oder zeitweise in Armut geraten? Wie kann angesichts von Fluchtbewegungen, Einwanderungen und europäischer Integration das ursprünglich nationale Sozialstaatsmodell den Realitäten einer Weltgesellschaft angepaßt werden? Auf diese großen Fragen gibt es selbstverständlich keine leichten Antworten. Ich behaupte auch nicht, wir hätten die Antworten darauf in der Tasche. Wir müssen aber doch darum ringen und uns diesen Fragen stellen. Die kurzatmige Politik, die nur von Haushaltsloch zu Haushaltsloch läuft, verweigert sich dieser Herausforderung aber. Diese Politik spielt eine Gestaltungskraft vor, die sie im Konkreten nicht beweisen kann. Dieses unwürdige Schauspiel machen wir nicht mit. Deswegen lehnen wir eine Neuverhandlung der beiden Gesetzentwürfe im Vermittlungsausschuß ab. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In völliger Abwesenheit der Vertreter des Bundesrates haben wir heute in Mehrheit beschlossen, den Vermittlungsausschuß noch einmal anzurufen. Wir haben der Stellungnahme von Herrn Struck merkwürdigerweise entnehmen können, daß sich die gesamte große SPD hinter den Rücken von Herrn Biedenkopf und Herrn Stoiber, den beiden Ministerpräsidenten, versteckt. Meine Damen und Herren, Sie haben sich um die Kernfrage gedrückt, für die Sie Mitverantwortung tragen: ob Sie einer Reform der Sozialhilfe aufgeschlossen gegenüberstehen oder nicht. ({0}) Es war nicht von irgendwelchen Alternativen die Rede. Herr Struck hat lediglich angedeutet, daß das für ihn ein Punkt auf dem Basar sei, den er mit anderen Punkten gemeinsam verhandeln möchte, zum Beispiel mit der Vermögensteuer. Er hat aber nicht gesagt, ob er die Klage der Städte und der Sozialhilfeträger für berechtigt hält, daß es gesetzliche Änderungen geben muß, um einsparen zu können - die Kommunen leiden unter diesen Finanzlasten -, und daß es richtig ist, daß wir etwas tun. Frau Fischer, noch zu Ihnen. Es sind in diesem Paket, wie Sie wissen, Sonne und Schatten gemischt. Es ist ja nicht nur an Kürzungen gedacht, sondern es gibt einige Punkte, die wir sozialpolitisch für sehr vernünftig halten müssen. Denken Sie an die Möglichkeiten, wie wir Sozialhilfeempfänger in Arbeit integrieren. Denken Sie daran, daß jetzt vielleicht ein Instrument geschaffen wird, daß ein Sozialhilfeträger nicht immer verpflichtet wird vorzuleisten. Denken Sie daran, daß wir die Zeit, in der unsere Bürger im Status der Sozialhilfe leben, mit unseren Reformvorschlägen verkürzen wollen. Von alldem haben Sie nicht gesprochen, sondern Sie haben nur die alte Larmoyanz angestimmt, daß es hier um Kürzungen von Bedürftigen und Armen gehe. Damit kommen Sie politisch nicht mehr über die Runden. ({1}) Wir haben - das ist Ihnen schon vorgetragen worden - in einem Sparpaket von 3 Milliarden DM Ihnen 500 Millionen DM Einsparungen seitens des Bundes angeboten. Sie hatten zunächst einmal viel ehrgeizigere Ziele. Sie wollten auf Arbeitsebene sogar 37 Milliarden DM einsparen. Jetzt sind es offensichtlich nur noch 11 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, Sie haben nichts zu Wege gebracht; aber Sie hören wie wir die Klagen der Kommunen und der Spitzenverbände. Auch die SPD an der Spitze mit Lafontaine sieht das so. Nur, seine Forderung, der Bund möge für die Sozialhilfekosten aufkommen, ist eine originelle Idee. Hierbei handelt es sich wieder um eine Verlagerung zu Lasten des Bundes, und damit drückt man sich um die eigentliche Reform herum. Nicht jeder erhält im Leben eine zweite Chance. Nicht jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber wir wollen den Ländern und auch der SPD mit unserem Antrag eine zweite Chance verschaffen, über unser Paket noch einmal neu zu beraten und zu einem vernünftigeren Beschluß zu kommen. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. Nutzen Sie diese Chance. Machen Sie hier nicht so große Sprüche. Sie wissen, daß aus dem Vermittlungsausschuß manchmal doch ganz andere Sachen herauskommen, und Sie müssen hier dafür geradestehen. Glauben Sie, daß die Entlastung der Sozialhilfeträger eines der wichtigen politischen Reformvorhaben im Gesamtpaket ist und Sie sich hier nicht davonstehlen können. Sie sollten diese Chance für die Integration der Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt mit nutzen. Sie können die Situation in den Werkstätten verbessern. ({2}) - Ich weiß, Sie hören das nicht gerne. Wir verhandeln ja auch mit den Ländern. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die PDS lehnt die erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses zum sogenannten Sozialhilfereformgesetz und zum Asylbewerberleistungsgesetz ab, weil wir auch schon vorher die Gesetze abgelehnt haben und überhaupt keine Ansatzpunkte für neue Verhandlungen oder irgendwie geartete Kompromisse sehen. Die, wie es die Regierung zu nennen beliebt, Blokkadepolitik der Länder hat einen ganz positiven Effekt gehabt, nämlich den, daß die vielen Betroffenen in ihren Existenzsorgen für einen Moment aufatmen konnten. Ich weiß natürlich, daß Sie in Ihrer Energie die Leistungen für Sozialhilfeberechtigte, Arbeitslose, Flüchtlinge und Schwerbehinderte zu beschneiden nicht nachlassen werden. Ich finde es ein unwürdiges Hin und Her, was mit den Betroffenen gemacht wird und was allein an Finanzerwägungen geschuldet ist. ({0}) ({1}) Ich hoffe sehr, daß am kommenden Samstag die Hunderttausende hier in Bonn Ihnen in dieser Energie einen kräftigen Dämpfer versetzen werden. ({2}) Unsere Ablehnung ergibt sich aber auch aus der Erfahrung mit dem vom Vermittlungsausschuß angebotenen Kompromißvorschlag in Sachen Sozialhilfereform. Wir haben diesen aus guten Gründen abgelehnt; denn dieser Kompromißvorschlag unterschied sich hinsichtlich der Veränderungen im Sozialhilferecht nur unwesentlich von dem Regierungsentwurf. Das hat sogar Minister Seehofer bestätigt. Mir ist bis heute unklar, warum die Regierung da eigentlich nicht zugestimmt hat. Allein die Anbindung der Regelsatzerhöhung für 1996, 1997 und 1998 an die Rentenerhöhung im Bundesgebiet West macht in Zahlen ganze 0,46 Prozent Erhöhung der Sozialhilferegelsätze aus. Wir alle wissen, daß, wenn das nicht zustande kommt, laut Gesetz zum 1. Juli die Regelsätze um 8 bis 9 Prozent erhöht werden müßten, wenn es denn überhaupt noch nach Bedarfsorientierung geht. Dieses Prinzip gilt ja wohl bis jetzt noch. Wir fürchten also, daß sich Bund und Länder in der Verhinderung dieser Erhöhung treffen könnten. Die eigentliche Nagelprobe für die SPD-regierten Länder kommt dann in der Tat am 1. Juli. Auch beim Asylbewerberleistungsgesetz gab es leider keine prinzipielle Ablehnung dieser menschenunwürdigen Verschlechterungen seitens der SPD-regierten Länder. Die Einigung ist vor allen Dingen daran gescheitert, daß die Länder Zweifel hatten, ob bei der Ausweitung des Sachleistungsprinzips tatsächlich Einsparungen zustande kommen könnten, die höher liegen als die zusätzlichen Sozialhilfeausgaben für den Fall, daß die originäre Arbeitslosenhilfe gestrichen wird - ein reiner Finanzpoker also, nicht aber Überlegungen hinsichtlich der existenzbedrohenden Situation der Betroffenen. Ich wundere mich im übrigen auch über den Sinneswandel der Regierungskoalition. Ich habe noch gut im Ohr, daß Minister Seehofer versprochen hat, im Falle des Scheiterns im Vermittlungsausschuß eine erneute Initiative zur Sozialhilfeverschlechterung für diese Legislaturperiode zu unterlassen. Auch die Betroffenen haben das mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Und nun dieser erneute Vorstoß! Ich will gar nicht mehr darüber reden, was das für sie bedeutet. Ich vermute, die Regierungskoalition ist zu diesem Schritt unter anderem dadurch ermuntert worden, daß die Länderfinanzminister der Öffentlichkeit zwischenzeitlich eine Streichliste präsentiert haben, die wirklich Vergleichbares sucht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mein letzter Satz: Hier werden in bezug auf die Sozialhilfe noch schlimmere Angebote gemacht als jene, die die Regierung sich bisher ausgedacht hat. Wir glauben, daß im Vermittlungsausschuß nur Verschlechterungen herauskommen können, und lehnen deshalb die Anrufung ab. Danke. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 13/4865? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Antrag zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Asylbewerberleistungsgesetz, Drucksache 12/4866. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Michael Müller ({0}), Volker Junge ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Förderung der industriellen Solarzellentechnologie ({2}) - Drucksache 13/3812 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Simone Probst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Hans-Ulrich Klose 10-Punkte-Programm für den Einstieg ins Solarzeitalter - Drucksache 13/4481 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Scheer, SPD.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat einen Gesetzentwurf eingebracht, ein - so die Kurzfassung des Titels - 100 000-Dächer- und Fassadenprogramm für die Solarzellentechnologie. Dies ist ein Element des Schrittes in das Solarzeitalter. Der Eintritt in dieses Solarzeitalter ist eine historische Notwendigkeit. Die einzig interessante Frage ist: Kommt die globale Massen- und Breiteneinführung solarer bzw. erneuerbarer Energien noch so rechtzeitig, daß Klima- und andere Umweltkatastrophen noch abgewendet werden können und daß existentielle internationale wirtschaftliche und militärische Konflikte um knapper werdende herkömmliche Energieressourcen bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung und damit wachsender Zahl der Energieverbraucher noch vermieden werden können? Umweltsicherheit, Versorgungssicherheit, wirtschaftliche Sicherheit und äußere Sicherheit - dies alles können das Atomzeitalter und das Zeitalter fossiler Brennstoffe bzw. die atomar-fossile Energiewirtschaft immer weniger gewährleisten. Das Solarzeitalter wird dauerhafte Umwelt- und Versorgungssicherheit bringen und einen großen Beitrag zur Vermeidung künftiger wirtschaftlicher und politischer Konflikte leisten. Wer immer, gleich aus welcher Wirtschafts- oder Parteirichtung, die Abwendung von existentiellen Gefahren davon abhängig macht, ob sich eine zivilisatorische Sicherheit dieser Art rechnet, bewegt sich im Zustand geistiger Fehlschaltungen und falscher politischer Maßstäbe. ({0}) Das Solarzeitalter ist aus zwei unleugbar existentiellen Gründen eine historische Notwendigkeit: Erstens, die atomar-fossilen Energiequellen sind ohne Zweifel erschöpflich. Zweitens, wir können es uns gar nicht mehr leisten, alle noch vorhandenen Energievorkommen zu verbrennen, weil dies die Ökosphäre nicht aushält. ({1}) Wir müssen also lange vor der Erschöpfbarkeit herkömmlicher Energiequellen das Solarzeitalter nicht nur begonnen, sondern bereits eingeführt haben. Dies ist die große zivilisatorische Herausforderung der nächsten 50 Jahre. Mit energiewirtschaftlichem und energiepolitischem Business as usual werden wir vor dieser Herausforderung kläglich versagen. Wir müssen sie politisch lösen und können nicht auf die Energiewirtschaft warten. Das jüngste Programm der sieben großen EVUs, international des E-7-Gipfels, gestern veröffentlicht, mit einem Zehnmillionenprogramm für die Dritte Welt steht in einem grotesken Verhältnis von 1 : 10 000 für deren jährliche Investitionen in herkömmliche Energieversorgungsanlagen. Das Solarzeitalter bedeutet die vollständige Umstellung der Energieversorgung der Menschheit auf unerschöpfliche Energiequellen, das heißt auf solare Energien, die gleichzeitig die Ökosphäre nicht beeinträchtigen können. Wer immer die Möglichkeit bestreitet, dies zu realisieren, hat der Menschheit keine Zukunft mehr anzubieten. ({2}) Wer die Realisierung nicht bestreitet, sie aber dennoch aufschiebt, muß die Frage beantworten: Warum nicht jetzt den Sprung ins Solarzeitalter ansetzen durch entsprechende strategische Prioritätensetzung? Je länger wir nämlich warten, desto teurer wird es, weil die ökologischen Folgeschäden des herkömmlichen Energieeinsatzes zu einer immer untragbarer werdenden ökonomischen Bürde für die nächste Generation werden. Sollen wir der nächsten Generation sagen: Wir hätten eine Chance für die Vermeidung ökologischer Katastrophen gehabt, aber es hat sich leider nicht gerechnet? - Wer immer die Realisierung aufschiebt, muß also diese Frage beantworten. Das solare Potential ist so groß, daß das kein Problem darstellen kann. Die Sonne strahlt in 30 Minuten so viel Energie auf die Erde, wie die Menschheit in einem Jahr an fossilen und atomaren Energien verbraucht. Die Frage der Realisierung ist also allein eine Frage des Inputs an wirtschaftlichen, technologischen und finanziellen Anstrengungen, die wir aufbringen. Die Enquete-Kommission hat herausgearbeitet, daß auf 0,3 Prozent der Erdoberfläche das Dreifache des gegenwärtigen Weltenergiebedarfs mit solaren Technologien befriedigt werden könnte. Die Photovoltaik, also die Solarzellentechnologie, ist eine von mehreren Energieträgern zur Nutzung erneuerbarer Energien. Da diese alle einen unterschiedlichen Entwicklungsstand haben, sind die politischen Einführungsschritte zwangsläufig unterschiedlich. Bei einigen brauchen wir so etwas wie ein 100 000-Dächer-Programm nicht; bei anderen haben wir völlig andere Ansatzmöglichkeiten - etwa bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen. Aber die Photovoltaik ist die vielversprechendste unter den solaren Technologien, weil sie am breitesten anwendbar ist. Sie ist allerdings gegenwärtig ohne Zweifel die teuerste. Immerhin ist die Stromgewinnung aus Photovoltaik heute schon bei einem Einsatz in den nicht an ein Stromnetz angebundenen ländlichen Räumen der Dritten Welt nicht mehr teurer als eine konventionelle Stromerzeugung etwa durch einen Dieselgenerator. ({3}) Die Photovoltaik hat in den vergangenen Jahren eine beachtliche technologische Entwicklung genommen, nicht zuletzt in Deutschland. Die Solarmodule produzieren heute in zwei Jahren so viel Energie, wie für ihre Herstellung notwendig ist - allen Desinformationen zum Trotz -, bei einer Lebensdauer von 30 Jahren und mehr. Den theoretischen Fall unterstellt, wir würden den gesamten Strombedarf in Deutschland mit Solarzellentechnologie zu decken versuchen, so bräuchten wir dazu eine Fläche von 3 000 Quadratkilometern. Das sind weniger als 10 Prozent der in Deutschland überbauten Fläche. Aber das ist ein theoretischer Fall. Es wäre nämlich falsch, alles nur mit Photovoltaik zu machen; dann hätten wir ein großes Speicherproblem. Der entscheidende nächste Schritt ist der Übergang in die Massenproduktion, um den Teufelskreis zu durchbrechen: kein breiter Markt, weil zu teuer - zu teuer, weil kein breiter Markt. Die Marktchancen sind gegeben. Keine Technologie hat jemals vor ihrer Einführung so viel öffentliche Sympathie gehabt, auf keine wurde so sehr gewartet, wie das heute bei der Solartechnologie der Fall ist. Die politische Initiative für ein 100 000-Dächer-Programm ist nötig, um den Sprung in die Massenproduktion zu organisieren, die die Kosten drastisch senkt. Es ist ein industriepolitisches Programm, das die Voraussetzungen für einen sich anschließend selbst tragenden Markt schaffen kann und soll und das den Grundstein für einen neuen Industriezweig legt, der perspektivisch mehrere 100 000 Menschen in Produktion, Installation und Wartung beschäftigen wird. Diese industriellen Chancen öffnen sich demjenigen Industrieland, das als erstes den Schritt in die Massenproduktion unternimmt. Die entscheidende industriepolitische Frage ist heute: Erfolgt dieser Schritt bei uns, in Japan oder in den USA? Die USA haben ein breit angelegtes Exportförderprogramm aufgelegt und sind in den Märkten der Dritten Welt mit Hilfe der Weltbank und der Entwicklungsbanken aktiv, weil sie entsprechende Programme aufbieten, die wir noch nicht aufbieten. Aber sie haben einen schlechteren technologischen Entwicklungsstand als wir. ({4}) Japan legt ein 65 000-Dächer-Programm auf, es hat begonnen. Wer diesen Schritt in die industrielle Massenfertigung versäumt, wird den neben der Telekommunikation größten Technologiemarkt des 21. Jahrhunderts nicht beliefern können. ({5}) Diejenigen, die diesen Schritt verschleppen, gefährden damit die Zukunft des Technologiestandorts Deutschland bzw. Europa. Wir haben die besten technologischen Voraussetzungen auf Grund eines breiten wissenschaftlich-technologischen Know-hows. Aber wir verspielen diese leichtfertig, wenn wir nicht unverzüglich den Schritt in die Massenproduktion gehen. Dazu gibt es zwei strategische Ansätze. Der eine wäre die Einführung einer speziellen Tarifordnung für die Einspeisung von Strom aus Solarzellen nach dem Prinzip der kostengerechten Vergütung. Über 20 Städte in Deutschland haben dies beschlossen, unabhängig von den politischen Mehrheiten vor Ort. Die Grünen schlagen uns eine diesbezügliche Veränderung des Stromeinspeisungsgesetzes vor. Ich selbst bin einer der Wegbereiter dieses Vergütungsmodells und unterstütze es auch als bundespolitische Regelung. Der zweite Ansatz ist das hier vorliegende 100 000Dächer-Programm. Er steht nicht im Widerspruch zu einem kostengerechten Vergütungsmodell, sondern beschleunigt den Weg dorthin, ob jetzt bereits auf lokaler Ebene oder dann generell. Wir wollen nicht, daß dieser Ansatz in allzu üblichem Hickhack verspielt wird. In den Gemeindeparlamenten heben sich oftmals die klassischen Fraktionsgrenzen auf, wenn es um die Förderung und leider auch um die Blockierung erneuerbarer Energien geht. Wir wollen eine konstruktive zielorientierte Beratung in den Ausschüssen. Wir sind dabei flexibel in der Frage, welches Finanzierungskriterium für ein solches Programm das erfolgversprechendste ist. Wir sind auch flexibel in der Frage, für welchen finanziellen Deckungsvorschlag wir uns entscheiden sollten. Aber die Dekkung sollte in jedem Fall aus der Streichung einer nicht mehr gerechtfertigten Subvention eines konventionellen Energieträgers kommen. Allein die steuerfreien Rücklagen aus dem Betrieb von Atomkraftwerken machen 7 Milliarden DM Steuersubventionen pro Jahr aus. Allein die Streichung der Mineralölsteuerbefreiung für mineralölverarbeitende Betriebe würde dieses Programm finanzieren. Wir müssen also entscheiden, ob wir andere Schwerpunkte setzen. Es geht nicht um mehr Geld, sondern um einen alternativen Geldeinsatz. Das 100 000-Dächer-Programm verlangt also eine neue Prioritätensetzung. In den 50er Jahren wurde das „Atoms for Peace"Programm mit großem ideellem und finanziellem Aufwand gestartet. Die Gefahren der Atomtechnologie führten dazu, daß die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen an eine emissionsfreie und dauerhafte Stromversorgung enttäuscht werden mußten. In den 60er Jahren begeisterte sich die Menschheit an dem Apollo-Mondfahrtprogramm, das zum technologiepolitischen Highlight wurde. Die Solartechnologie wird das einlösen können, was die Atomenergie nicht einlösen kann: ein nichtfossiler, risikofreier Energieträger für die Menschheit zu sein. Und weil unsere Probleme auf der Erde und nicht auf dem Mond liegen, wird sie mehr Begeisterung in der jungen Generation auslösen als Raumfahrtprogramme. Dazu brauchen wir Mut zu einem großen Schritt. Dazu müssen wir endlich den Technikpessimismus überwinden, der seitens unserer Industrie gegenüber der Solartechnologie gepflegt wird, aus Angst vor einem Strukturwandel, der mit der Einführung der Solartechnologie beginnt. Es kommt auf die Politik an. Danke schön. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Scheer! Ich hatte bisher noch nicht das Vergnügen, Sie zum Thema Solar reden zu hören, habe natürlich das, was Sie dazu veröffentlichen, immer verfolgt und finde es auch wichtig und richtig, daß es jemanden gibt, der sich für Solartechnik einsetzt. ({0}) - Werden Sie doch nicht nervös! Ich wollte ihm gerade ein Kompliment machen, weil ich es toll finde, wenn es einen Kollegen gibt, der sich besonders für ein Thema schlägt und einsetzt. Es wird doch wohl keiner bestreiten, daß Herr Scheer das im Bereich der Solartechnologie tut. ({1}) - Sie werden schon nervös, bevor ich etwas sage, Herr von Larcher. Das ist wahr. Das Aber - das meine ich allerdings ganz ernst - liegt in der Sprache, die Sie gebrauchen, Herr Scheer. Sie wollen ein „Solarzeitalter" beginnen. Diejenigen, die in der Sache anderer Meinung sind als Sie, haben eine „geistige Fehlschaltung" . Das, was Sie tun, ist eine „historische Notwendigkeit" . Das sind Worte aus dem Sprachgebrauch des Fundamentalismus. ({2}) Deshalb habe ich Probleme damit. Wenn Sie hier sagen, keine neue Technologie hat soviel öffentliche Sympathie gehabt wie die Solartechnologie, dann ist das eine ahistorische Aussage. Nicht hier in diesem Saal, aber hier in diesem Parlament haben Vorgänger von uns gestanden, etwa mit den Namen Matthöfer, Ehmke oder Jochimsen, und sie haben auch davon gesprochen, daß alle Probleme beseitigt wären, wenn man denn konsequent auf Atomenergie setzt. Und heute wird gesagt, das war ein Fehlweg. Ich bin da ein Stückweit bescheidener ({3}) und will mich deshalb darauf konzentrieren, was in Ihren Papieren steht. Dann komme ich allerdings zu einer Erkenntnis aus der Bibel: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Denn das, was Sie konkret in Ihren Anträgen fordern, können Sie im Energieforschungsprogramm nachlesen, das vor wenigen Wochen vom Bundeskabinett vorgelegt worden ist. Was gut ist, wird bereits heute getan: Nutzung von Biomasse - fördern wir. Effizienzsteigerung - machen wir. Senkung des Energieverbrauchs - wird energisch vorangetrieben. Nachhaltige Energiewirtschaft - ist zentrales Ziel des Energieforschungsprogramms, konzentriert auf den Abbau von CO2. Bildung und Ausbildung für energiesparendes und umweltschonendes Verhalten - fördern wir. Förderung regenerativer Energieträger für Entwicklungsländer - machen wir auch. Das heißt, bei der Frage, daß wir im Bereich Solar- und regenerative Energiequellen weiterkommen müssen, gibt es wohl grundsätzlich Einverständnis zwischen allen Fraktionen. Was mit uns nicht zu machen ist, das ist die kopflose Flucht aus der Kernenergie. Ich glaube nicht, daß der Ausstieg auf absehbare Zeit möglich ist. Ich bin ganz sicher, daß das die Kernenergiegegner, auch die in diesem Haus, wissen und daß deshalb im Moment eine Strategie gefahren wird, die versucht, die Endlagerung heute zu verhindern, um so den Betrieb von Kernkraftwerken auf Dauer unmöglich zu machen. Das Paradoxe an der Situation ist, daß die Kernkraftbefürworter in einer vergleichbaren Situation sind. Auch sie wissen, daß mindestens bis zum Jahre 2005 niemand in Deutschland ein neues Kernkraftwerk bauen will. ({4}) Es gibt dazu weder einen aktuellen Bedarf noch öffentliche Akzeptanz. Akzeptanz wäre auch in Zukunft nach meiner Einschätzung allenfalls herstellbar, wenn es eine völlig neue Technologielinie gäbe. Ich glaube allerdings nicht - das scheint mir das aktuelle Problem zu sein -, daß es sich die Bundesrepublik Deutschland leisten kann, mangels Konsens in der Energiepolitik einen jahrelangen Stillstand zu erleben. ({5}) - Herr von Larcher, ist es denn nicht möglich, sich einmal anderen Argumenten zu öffnen, statt gleich zu brüllen, bloß weil jemand versucht, die Sache in größerem Zusammenhang darzustellen? ({6}) - Melden Sie sich doch, wenn Sie etwas zu fragen haben, statt dazwischenzurufen. ({7}) - Ich ärgere mich darüber, wenn da jemand sitzt, lieber Herr Müller, der die ganze Zeit nichts anderes zu tun hat, als dazwischenzurufen. ({8}) - Ich versuche es ja. ({9}) - Sie legen nicht fest, was das Thema ist. In diesem Parlament, Herr Müller, kann man noch sagen, was man will. Das bleibt auch so. Ich stelle die Frage, ob ein Übergangskonsens - ({10}) - Herr Präsident, muß man das alles ertragen?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das muß man nicht. Wenn Sie möchten, daß ich interveniere, tue ich das.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Ich bedanke mich herzlich. Ich stelle deshalb die Frage, ob ein Übergangskonsens bis zum Jahre 2005 möglich ist. Bis dahin muß geklärt werden, ob das CO2-Reduktionsziel erreicht wird, ob neue technische Optionen zur Verfügung stehen und welchen Anteil erneuerbare Energien für eine sichere und kostengünstige Energieversorgung ermöglichen können. Es ist klar, daß ein solcher Übergangskonsens im Kern ein Energieforschungskonsens wäre, weil die Klärung der genannten Fragen heute von niemandem von diesem Pult oder von irgendeinem anderen Katheder aus schlußendlich möglich ist. Ich will auch die SPD herzlich einladen, zu einem solchen Burgfrieden beizutragen, weil das für den Standort Deutschland und auch für das energiepolitisch angestrebte Ziel - auch dann, wenn man den verstärkten Einstieg in die Solarenergie will - ein wichtiger Schritt wäre. Ich glaube allerdings nicht, daß der vorgelegte Gesetzentwurf für die Förderung der industriellen Solarzellentechnologie zu einem solchen Burgfrieden beiträgt. Ich will das auch begründen. Die SPD schlägt vor, den Bürgerinnen und Bürgern in den nächsten zehn Jahren etwa 3 Milliarden DM aus den Taschen zu ziehen, um sie Bauherren zu geben, die das Geld für ein Solardach zusätzlich zu den Baukosten aufbringen können. ({0}) - Das ist schlichtweg die Verteilungswirkung, die darin liegt. Wenn das Geld nach zehn Jahren verpulvert ist, soll das bewirkt haben - so sagt es die Begründung -, daß die Stromgestehungskosten aus Solarzellen in Deutschland von heute 2 DM pro Kilowattstunde auf rund ein Zehntel gesunken sind. Ich glaube nicht, daß es ein solches Sonnenwunder gibt. Ich will auch konkret sagen, was hinter dem 100 000-Dächer-Programm, das Herr Scheer gerade vorgetragen hat, steht. Wir wissen, daß damit durch den Staat rund 5,1 Milliarden DM an öffentlichem und privatem Geld umgewälzt würden. Der Gewinn an Solarstrom für unsere gesamte Stromversorgung würde bei ganzen 0,04 Prozent liegen. Durch den massiven kurzfristigen Nachfrageschub würden die Preise für Solarzellen nicht sinken, sondern steigen. Der sprunghaft gestiegene deutsche Bedarf müßte hauptsächlich über Importe ausländischer Produkte gedeckt werden. ({1}) Da die Herstellung von Photovoltaikanlagen arbeitsintensiv ist, würden über die gesamte Förderungsdauer Niedriglohnstandorte bevorteilt. Privater Forschung und Weiterentwicklung in der Solartechnologie würde nach meiner Ansicht jeder Anreiz entzogen. Denn wer würde noch Materialforschung betreiben, wer würde noch in Wirkungsgradsteigerungen investieren, wenn ein solches massives staatliches Subventionsprogramm auch die Technik von gestern für die Abnehmer finanziell interessant machte? Wir wissen, daß die Wachstumsraten der Photovoltaikmärkte in den letzten Jahren bei durchschnittlich 15 Prozent lagen, und wir wissen, daß auch ohne Großsubventionen mit einem jährlichen Wachstum von 20 Prozent in Zukunft zu rechnen ist. Ich glaube nicht, daß es verantwortbar ist, ja, ich halte es sogar für Wahnsinn, eine derartige Entwicklung durch Subventionen noch anheizen zu wollen und dann zu glauben, man käme dadurch auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad, was ja wohl das Ziel sein muß. Deshalb trete ich für einen anderen Weg ein. Ich halte es zunächst einmal für erforderlich, konsequent und kontinuierlich Forschungsförderung in diesem Bereich zu betreiben. Ich glaube, daß das neue Energieforschungsprogramm mit 400 Millionen DM in der Finanzplanung dies auch gewährleistet. Dabei setzen wir von vier Seiten aus an. Erstens: Forschung zur Erhöhung des Wirkungsgrades von Solarzellen, was heißt, daß wir Maßnahmen von der Weiterentwicklung der Siliziummaterialien bis hin zur Prüfung neuartiger Zellenkonzepte vorantreiben müssen. Zweitens: Kostensenkung durch Verbesserung der Fertigungstechnik und die Automatisierung von Herstellungsprozessen für Zellen und Module. Drittens: Wegbereitung für innovative Anwendungen der Photovoltaik in Bereichen, in denen sie ihre besonderen Vorteile gegenüber leitungsgebundener Stromversorgung ausspielen kann. Das ist ein Punkt, den Herr Scheer angesprochen hat. Da gibt es Bereiche, in denen schon heute die Kosten vergleichbar sind, wenn man auch die Netzkosten jeweils in die Rechnung einbezieht. Ich glaube, daß wir auf diesem Gebiet noch einiges in Deutschland machen können. Der vierte Ansatzpunkt ist die Förderung der Solartechnologien in den Ländern der Dritten Welt. Auch das ist ein wichtiger und zentraler Punkt. Dieser Forschungsansatz reicht nach meiner Ansicht allein nicht aus. Ich habe das mit Wissenschaftlern in Deutschland diskutiert. Sie gehen davon aus, daß sie es über diesen Weg in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren schaffen, von den berühmten 2 DM je Kilowattstunde, die unstrittig sind, vielleicht auf die Hälfte der Kosten zu kommen. Deshalb habe ich darüber nachgedacht - damit Sie auch sehen, daß mir das sehr ernst ist -, ob das zentrale Argument von Herrn Scheer, nämlich gemäß der Bölkowschen Lernkurve über die Massenproduktion die Kosten zu senken, nicht einen Ansatzpunkt bietet, auf diesem Wege weiterzukommen. Ich sage noch einmal: Ich halte nichts von dem Subventionsweg des 100 000-Dächer-Programms. Allerdings glaube ich, daß der richtige Weg über die Tarifaufsichtsbehörden der Länder und die Innovationsfähigkeit der großen Energieversorgungsunternehmen führt. Wir haben eine Bundestarifordnung. Die Bundestarifordnung liefert den Ländern die Grundlage für eine innovationsorientierte Tarifaufsicht. Sie gibt den Ländern Spielraum, im Rahmen ihrer Strompreisaufsicht innovative Energieversorgungskonzepte bei der Tarifgestaltung zu honorieren. Das müßte von den Ländern nur konsequent mit dem Ziel angewandt werden, daß es für die EVUs interessant wird, selbst - die Betonung liegt auf „selbst" - Photovoltaikanlagen zu installieren und als dezentrales Kraftwerk zu betreiben. Dazu müßte vorgesehen werden, daß die hierbei entstehenden Mehrkosten der Solarstromerzeugung ebenso im Gefüge der Tarifordnung auf die Strompreise umgelegt werden können wie Einspeisungen von Selbstversorgern. Außerdem muß es für EVUs interessant werden, selbst Photovoltaikanlagen zu produzieren, und zwar für den Eigenbedarf sowie für den deutschen und den internationalen Markt; denn ich meine - auch da stimmen wir überein, Herr Scheer -, es ist schwer einzusehen, daß die kapitalstarken EVUs in Forschung und Entwicklung so völlig abstinent bleiben und die ganze Forschung und Entwicklung den Anlagenherstellern überlassen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheer?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Aber natürlich.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, so sehr ich den letzten Gesichtspunkt teile, stellt sich trotzdem die Frage: Ist Ihnen bewußt, daß ein Solarkraftwerk auf der grünen Wiese, das dann die Konsequenz wäre, im betriebswirtschaftlichen Vergleich deutlich teurer als hausinstallierte Anlagen ist und daß demzufolge, da wir, wie vorhin von mir ausgeführt, kein Flächenproblem haben, was die Integration in Gebäudestrukturen anbetrifft, der ökonomisch günstigere und rascher erfolgswirksame Weg nicht derjenige über von EVUs installierte Solarkraftwerke wäre, sondern daß der eigentliche Hinderungsgrund für die EVUs der ist, daß die Energieversorgung dann zwangsläufig in andere Hände geriete? Das ist der Strukturwandel.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Entweder, Herr Scheer, liegt ein Mißverständnis vor, oder wir sind unterschiedlicher Meinung. Wenn ich den Begriff „dezentrales Kraftwerk" gebrauche, meine ich damit nicht, was jetzt etwa in Kobern-Gondorf stattgefunden hat, den Versuch, irgendwo auf der grünen Wiese ein Solarkraftwerk hinzusetzen, sondern ich meine die Einbeziehung in die Gebäudestrukturen. Im Rahmen des Energieforschungsprogramms haben wir hierzu einen besonderen Programmteil entwickelt; denn ich glaube, daß das nicht nur eine Frage der Energieversorgung ist, sondern auch eine Frage des Städtebaus und der Architektur. Das, was bisher dazu angeboten ist, reicht - um das einzuflechten - für mein Verständnis von Städtebau und Architektur noch nicht aus. Ich denke nicht über irgendwelche großen Flächen nach, auf denen man solche Solarkraftwerke, wie Sie sie beschrieben haben, baut, sondern ich meine die Einbeziehung. Auch dies geht zusammen mit den EVUs. Denn wo steht bitte geschrieben, daß es eine bestimmte Größenordnung haben muß, damit sich die EVUs bei dieser Frage überhaupt engagieren? Beim durch Windenergie gewonnenen Strom praktizieren wir ebenfalls ein anderes Verfahren. Auch da machen wir es dezentral, egal, ob da ein Windrotor oder mehrere in einem kleinen Windpark stehen. Entweder haben Sie zuviel in meine Aussage hineininterpretiert, was ich nicht gesagt habe, oder wir sind, falls Sie der Auffassung sind, daß es nur als Alternative geht, anderer Meinung. Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, um das Ganze zusammenzufassen: Ich glaube, daß es notwendig ist, den Weg konsequent zu gehen. Ich mache das bescheidener als Sie, Herr Scheer. Ich glaube auch nicht, daß hier ein neues Zeitalter ausbricht. Am Schluß werden wir einen Mix bekommen. Ich persönlich - ich habe das auch öffentlich oft genug gesagt - glaube nicht, daß wir auf Kernkraft werden verzichten können. Ich bin nur sicher, wir werden uns in dieser Frage in der nächsten Zeit nicht einigen. Deshalb ist es vielleicht auch für Sie bei Ihrer Interessenlage, etwas für die Solarenergie zu tun, wichtig, darüber nachzudenken, ob wir nicht in dieser ideologischen Frage eine „Auszeit" miteinander vereinbaren und gleichzeitig, um in Sachen Solarenergie und regenerative Energien weiterzukommen, versuchen, die Entwicklung eines inhärent sicheren Kernkraftwerks voranzutreiben. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wollen wir Bilanz ziehen und feststellen, wieviel wir konkret umsetzen können. Das bedeutet natürlich, daß wir den Weg im Bereich Solarenergie gemeinsam gehen. Da gilt der von mir angesprochene Ansatz der Einbeziehung der EVUs. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, über einen subventionierten Ansatz weiterzumachen. Wir sollten versuchen, den anderen Weg zu gehen. Darüber wird man sicherlich im Ausschuß und darüber hinaus noch gemeinsam reden müssen. Diese Gespräche sind notwendig und beginnen mit der heutigen Debatte. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Rüttgers, ich finde tatsächlich, daß die Bundesregierung in Fragen erneuerbarer Energien außerordentlich bescheiden auftritt. Ich fände es besser, wenn Sie hier entschieden aufträten und endlich einmal sagen würden, wie Sie die erneuerbaren Energien tatsächlich fördern. ({0}) Fakt ist nämlich, daß wir uns bei der Förderung erneuerbarer Energien in diesem Lande auf einem absoluten Tiefstand befinden. ({1}) Das Förderprogramm von 1996 war schon am 8. Januar 1996 vollständig ausgebucht, auch das von 1997 ist ausgebucht. Die Baugesetzbuchregelung wird verschleppt. Das Stromeinspeisungsgesetz wird von den Stromkonzernen gesetzeswidrig boykottiert - hilfloses Achselzucken auf seiten der Bundesregierung. Die Energiesteuer wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Die Folge ist: Die Windkraftbranche muß schon wieder Arbeitskräfte entlassen, und ASE, der letzte Photovoltaikhersteller in Deutschland, hat das Handtuch geworfen und ist in die USA ausgewandert, weil er dort seine Produkte besser absetzen kann. In der Atomkraftdebatte gehen Sie mit zwei Ministern engagiert in die Bütt, da wird kein Konflikt mit der Bevölkerung gescheut, und es werden 50 Millionen DM für jeden Castor ausgegeben. Geht es aber um die erneuerbaren Energieträger, die uns die Natur klimafreundlich zur Verfügung stellt, dann äußern Sie Ihre Zweifel, Ihre Bedenken, Ihre Befürchtungen. Minister Rexrodt ist wegen Krankheit entschuldigt. Ich wünsche ihm von hier aus gute Genesung. Aber Frau Merkel müßte hier an der Debatte teilnehmen. Statt dessen kämpft sie nur für die Atomkraft. ({2}) Auch Sie, Herr Minister Rüttgers, haben die Hälfte Ihrer Redezeit für die Atomkraft verbraucht und kein Wort dazu gesagt, wie erneuerbare Energieträger tatsächlich gefördert werden. ({3}) Das ist die Pro-Atom-Politik der Bundesregierung. Erneuerbare Energieträger schaffen Arbeitsplätze mit Zukunft - vor allem im Mittelstand und bei kleinen Investoren -, die nicht am Dauertropf von Subventionsgeldern hängen. Das Wirtschaftsministerium müßte sich als begeisterter Vorkämpfer für die erneuerbaren Energieträger präsentieren. An die Adresse von Frau Merkel, die nicht hier ist - das findet sie anscheinend nicht interessant genug -, gerichtet frage ich: Wie, bitte schön, möchte sie das Klimaschutzziel 2005 und 2050 denn erreichen, ohne daß die Stromerzeugung Schritt für Schritt auf Sonne, Wind, Biogas und Erdwärme umgestellt wird? Aber nein, sie kämpft für die Atomkraft, nicht für die erneuerbaren Energieträger. Herr Minister Rüttgers, die Nutzung der Sonnenenergie schafft auch Innovation. Wer hier als erstes den Durchbruch schafft, wird weltweit auf diesem wachsenden Markt die Nase vorn haben. Aber immer mit der Ruhe: Wir haben die Entwicklung in der Computertechnologie schon verschlafen, und wir werden auch den Einstieg in das Solarzeitalter verschlafen. Sind Sie denn wirklich so phantasielos, daß Sie sich keine andere Energieerzeugung als auf der Basis von Kohle und Atomkraft vorstellen können? Die Technologie der Verbrennung fossiler Stoffe ist nur etwas über 100 Jahre alt, die Atomkraft gerade mal 50 Jahre. Glauben Sie etwa, daß die erdöl- und kohleabhängigen Energiesysteme die Energietechnologien des 21. Jahrhunderts sein werden? Es gäbe hier eine Chance, mit einer Innovationstechnologie zum Marktführer zu werden, gleichzeitig den Mittelstand zu fördern und dem Ziel näherzukommen, die Treibhauskatastrophe zu verhindern, und das bei vollster Unterstützung durch die Bevölkerung. ({4}) Wie man diese Chance vertun kann, verstehe ich überhaupt nicht. Die Zukunft beginnt nämlich heute, aber anscheinend nicht mit Ihnen. Wir fordern die Ausweitung des Stromeinspeisungsgesetzes um eine kostendeckende Vergütung, unter anderem für die Photovoltaik. Das ist unser Hauptinstrument, um die Massennachfrage in diesem Land zu fördern. Dieses Gesetz hat als Instrument ungeheure Vorteile. Es ist nämlich völlig unbürokratisch, es stellt keine Belastung des Haushalts dar - das ist in Sparzeiten besonders wichtig -, es gibt unabhängig von der Haushaltslage Investitionssicherheit, und es gibt gleichzeitig einen Anreiz zur Wirtschaftlichkeit und zu sorgfältiger Wartung der Anlage; denn wer besser und länger produziert, hat auch mehr Gewinn mit seiner Anlage. Ein ideales Instrument also, das absolut in diese Zeit paßt. Der bisherige Erfolg des Stromeinspeisungsgesetzes ist entsprechend beeindruckend. Es gab in den letzten fünf Jahren eine Steigerung um 1 800 Prozent im Bereich der Windkraft. In Holland wurde mit diesem Instrument die Kraft-Wärme-Kopplung auf über 40 Prozent gesteigert. In den letzten fünf Jahren wurden in diesem Bereich 10 000 neue innovative Arbeitsplätze durch die Windkraftbranche geschaffen. Zum Vergleich: In der gesamten Atomindustrie arbeiten gerade mal 16 000 Menschen. Das Stromeinspeisungsgesetz hat auch einen ungeheuer großen Innovationsschub im Bereich Windkrafttechnologien bewirkt. Die Anlagen wurden weiterentwickelt und sind in den letzten fünf Jahren wesentlich wirtschaftlicher geworden. Die spezifischen Kosten zur Erzeugung einer Kilowattstunde sind durch die Vergrößerung der Anlagen von 50 auf 500 Kilowatt, teilweise sogar 1 Megawatt, deutlich gesenkt worden. Wir haben damit inzwischen Dänemark überholt und haben die beste Technologie anzubieten. Wann hat es schon einmal solch eine positive Bilanz eines Gesetzes gegeben? Man muß doch verrückt sein, wenn man dieses Gesetz nicht ausbaut und nicht weiter auf dieses Instrument setzt. ({5}) Doch Sie wollen es nicht. Wenn man nach dem Warum fragt, dann kann man eindeutig sagen, Sie kuschen vor den großen Stromkonzernen. ({6}) Denn die wissen, wenn diese Dynamik anhält, bekommen sie eine echte Konkurrenz. Wenn die Bauern die Biogasanlagen bauen, wenn die Dorfgemeinschaften Windparks anlegen und wenn die Eigenheimbesitzer Solardächer bauen und Wärme und Strom erzeugen, dann wird Schritt für Schritt die Energieerzeugung von den Bürgern selbst in die Hand genommen. Die Macht der großen Stromkonzerne, der großen Monopole wird damit von unten aufgelöst. ({7}) Damit würde auch eine neue Gründerwelle entstehen, die diese unflexiblen Monopole endlich einmal auf Trab bringen würde. Es gibt nämlich in unserem Lande nicht nur Shareholder und Manager, die quasi halbe Beamte sind. Es gibt in diesem Lande noch echte Unternehmer, die etwas unternehmen wollen. Es gibt eine große Bereitschaft in diesem Land, Geld dafür in die Hand zu nehmen. Herr Salvamoser konnte es zum Beispiel innerhalb von ganz kurzer Zeit schaffen, für seine Produktion, die er anstrebt, Risikokapital von 4 Millionen DM zu gewinnen. Das ist in diesem Land völlig unüblich. Für Sonnenenergie jedoch besteht diese Bereitschaft. Ob jung, ob alt - alle lieben die erneuerbaren Energieträger, insbesondere die Sonnenenergie. Eine vom RWE in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage besagt, daß über 70 Prozent der Bevölkerung bereit wären, mindestens 5 DM mehr, als die Stromrechnung ausweist, zu bezahlen, wenn dieses Geld für erneuerbare Energieträger eingesetzt wird. Das heißt: Auch von seiten der Bürger erhalten wir grünes Licht, den Weg des Stromeinspeisungsgesetzes weiterhin zu verfolgen. Die Förderprogramme, wie die SPD sie vorgeschlagen hat, können in diesem Zusammenhang durchaus positiv ergänzend wirken. Dies gilt allerdings nur für Förderprogramme, die über den Umfang einer Portokasse, wie es die Bundesregierung vorsieht, hinausgehen. Ein 100 000-Dächer-Programm macht für die Sonnenenergie durchaus Sinn. Mit dem Einstieg in die Massenproduktion könnte man den Preis für die Photovoltaikzellen mindestens halbieren - das wurde hier schon gesagt -, wenn nicht sogar auf ein Drittel zurückführen. Deshalb wollen wir in unserem Stromeinspeisungsgesetz keinen Fixpreis angeben; die Vergütung soll sich vielmehr jedes Jahr nach dem neuesten Stand der Technik reduzieren. Das Förderprogramm kann das Stromeinspeisungsgesetz positiv begleiten, um die Verbreitung der Photovoltaik voranzubringen. Anstatt aber nur immer wieder über den Standort Deutschland zu jammern, wie es von seiten der Bundesregierung getan wird, und keine Antworten darauf zu haben, wie man das Klimaschutzziel erreichen kann, sollte endlich gehandelt werden. Ich gebe Ihnen einen Tip: Wenn Sie einen Energiekonsens wollen, dann durch den Einstieg in das Solarzeitalter. Hier nämlich besteht Konsens in diesem Lande. ({8}) Dieser realisierbaren Vision sollte man alle Steine aus dem Wege räumen. Das wichtigste Element ist das Stromeinspeisungsgesetz. Aber auch andere Ministerien müssen und sollen dafür die Ärmel hochkrempeln. Der Einstieg in das Solarzeitalter ist, wenn man es ernst damit meint, ein Reformprojekt für die gesamte Regierung. Deswegen müßte hier eigentlich die gesamte Ministerriege vertreten sein. Der Ausstieg aus der Atomtechnologie, Herr Rüttgers, wäre eine Initialzündung. Endlich wären die Überkapazitäten weg, die eine Blockade für Investitionen und neue Technologien darstellen. Deswegen wirkt auch Ihr über die BTO vorgeschlagener Weg nicht; denn die Stromkonzerne haben wegen der Überkapazitäten zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt kein Interesse an Neuinvestitionen. Natürlich wäre die Einführung einer Energiesteuer für die Heranführung erneuerbarer Energieträger an die Wirtschaftlichkeit außerordentlich hilfreich. Wenn man sich, wie Herr Rexrodt, an die Neuordnung der Energiewirtschaftsstruktur begibt, sollte man dies mit Blick auf die Zukunftstechnologien machen und sie in ihrer Entwicklung durch eine Struktur fördern und nicht schädigen, wie es die Konsequenz des Modells von Herrn Rexrodt wäre. Wir haben einen entsprechenden Vorschlag für ein neues Energiegesetz verabschiedet und werden dies im Bundestag einbringen. Statt das Geld noch immer schaufelweise für die Atomtechnologie rauszuschmeißen, sollte das Forschungsministerium die Mittel konsequent zugunsten der Sonnenenergie umschichten. Wir brauchen auch eine Ausbildungsoffensive für Architekten, Handwerker und Ingenieure; denn viel zu häufig wird den Bauherren und Baudamen die Bereitschaft, auf den Einsatz von Sonnenenergie zu setzen, durch schlechte und unqualifizierte Beratung genommen. Auch Herr Töpfer könnte etwas tun. Wenn wir uns jetzt an die Novellierung des Baugesetzbuches machen, sollten wir dafür sorgen, daß die erneuerbaren Energieträger bei privaten Bauvorhaben begünstigt und auch die Altbauten umgerüstet werden. ({9}) Gerade die Entwicklungs- und Außenpolitik könnte einen Beitrag leisten. Für viele Dörfer in den Entwicklungsländern ist die Versorgung mit Strom durch Photovoltaik billiger als durch Großkraftwerke; denn sie sind nicht an das Stromnetz angeschlossen. Hier brauchen wir im Dialog mit den Entscheidungsträgern vor Ort Joint-ventures. Daß unsere Windkraftanlagenbauer gerade einmal einen Export in Höhe von 10 Prozent verzeichnen, während dieser bei den Dänen 90 Prozent beträgt, hängt sicherlich auch damit zusammen, daß sie durch das Auswärtige Amt nur mangelhaft unterstützt werden. Das Auswärtige Amt nimmt die Großkraftwerksbetreiber zu jeder Wirtschaftsreise mit, die Windkraftanlagenbauer aber läßt es zu Hause. Zumindest meine Generation - das sage ich hier ganz deutlich - wird sich nicht damit abfinden, daß unsere Zukunft verpraßt wird. Ein von Kohle und Atomkraft abhängiges Energiesystem ist nicht das Energiesystem der Zukunft. Dieses Land wird sich ändern. Die Energiewirtschaft muß sich ändern. Wenn die alte Generation, die alte Bundesregierung, dies nicht packt, dann sollte sie ihren Platz für Jüngere frei machen. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende. Das Sonnenzeitalter beginnt, wenn dies viele Menschen wollen. Es hat schon begonnen - von unten, leider gegen die Bundesregierung. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Paul Friedhoff, F.D.P.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt zur Beratung der Gesetzentwurf der SPD zur Förderung der industriellen Solarzellentechnologie sowie der Antrag der Grünen für ein 10-Punkte-Programm für den Einstieg ins Solarzeitalter. Ich denke, wir sind lange im Solarzeitalter; denn Leben ist, glaube ich, auf der Welt ohne die Sonne überhaupt nicht möglich. ({0}) Wenn wir hier vom Solarzeitalter reden, dann meinen wir günstigstenfalls, daß wir ein ganz klein wenig Energie, gemessen an der Gesamtenergie, die täglich benötigt wird, um überhaupt Leben zu erhalten, aus anderen Quellen schöpfen. Deswegen wäre ich vorsichtig mit so großen Worten wie „Einstieg in ein Solarzeitalter". Seien Sie froh, daß die Sonne seit langem scheint, sonst wären wir alle nicht hier. Mit diesen Initiativen greift die Opposition energiepolitische Themen auf, die von großer Bedeutung sind und zu Recht zunehmend in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt sind. Ein Beweis dafür ist, daß wir uns damit heute im Bundestag befassen. Die Freien Demokraten begrüßen dies ausdrücklich. Frau Hustedt, Sie haben vorhin von Unternehmern gesprochen, die etwas unternehmen wollen. Dazu gehört auch, daß man Kosten unter Kontrolle hat; das sage ich Ihnen als Unternehmer. Sie behaupten dann, daß das Stromeinspeisungsgesetz ein so schönes Gesetz ist, weil es die „Haushalte" nichts kostet. Sie dürfen das aber nur auf die öffentlichen Haushalte und nicht auch auf die privaten Haushalte beziehen, denn die privaten Haushalte kostet das wohl sehr viel. Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, waren Kosten von 80 Millionen DM in der Diskussion. Mittlerweile bewegen wir uns auf 400 Millionen DM zu. Wenn alles, was in der Zwischenzeit angemeldet, im Bau oder geplant ist, ans Netz ginge, würde das Kosten von etwa 1,2 Milliarden DM bedeuten. Es kostet also eine ganze Menge, wenn auch nicht die öffentlichen Haushalte; aber wir sollten meiner Meinung nach den Bürger nicht über Gebühr strapazieren und uns sehr wohl überlegen, wie weit wir dieses Instrumentarium ausdehnen wollen. Aber bei Ihnen scheint das Geld der privaten Haushalte keine so große Bedeutung zu haben, das Geld in den öffentlichen Kassen aber um so mehr. ({1}) - Sie brauchen es ja nicht zu glauben. Ich erlaube mir trotzdem, die Gedanken vorzutragen, die ich mir dazu gemacht habe und die in meiner Fraktion auch entsprechende Mehrheiten haben. Neben der Einsparung von Energie liegt in der Nutzung der regenerativen Energiequellen der Schlüssel für eine umfassende Klimaschutzpolitik. Dies ist breiter Konsens in der Gesellschaft und auch zwischen den Parteien, wenn ich das richtig verstehe. Bei genauerer Betrachtung sind aber die Vorschläge, die Sie dazu abliefern, nicht zielgerichtet, sondern eine reine Forderung nach Subventionen. Wir haben vorhin ja wieder einen breiten Katalog gehört. Hinter diesen Vorschlägen steht eine handfeste Industriepolitik. Zusätzliche Programme in dreistelliger Millionenhöhe werden entworfen und gefordert. Der Bund, ohnehin in schwieriger Haushaltslage, soll - so sieht es die SPD vor - im ersten Jahr des Programms 200 Millionen DM, im zweiten und dritten Jahr 300 Millionen DM bezahlen, und als Obergrenze weiterer Belastungen sind irgendwo 350 Millionen genannt. Von „degressiv ausgestaltetem Förderprogramm" also überhaupt keine Spur.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Detlev von Larcher?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, sicher.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, halten Sie die Entlastung der mineralölverarbeitenden Industrie von der Mineralölsteuer für wichtiger als die Förderung durch ein solches Programm? Es geht dabei immerhin um 350 Millionen DM jährlich.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich halte jede Form von Subventionierung für falsch. Genauso halte ich die Förderung der deutschen Steinkohle mit 10 Milliarden DM nicht für zielgerichtet. Wir machen an dieser Stelle eine ganze Menge falsch, allerdings verhindert dies die Opposition an vielen Stellen nicht, sondern treibt uns geradewegs dorthin, wie bei dem von mir vorhin gebrachten Beispiel. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich lese Ihnen zur Verdeutlichung meiner Frage zunächst eine Liste vor. Die bisher angefallenen Investitionen des Bundes in die Endlager Gorleben, Schacht Konrad usw. betragen 4 Milliarden DM. Für die Beseitigung der Kernkraftruinen der ehemaligen DDR in Greifswald und anderswo zahlt der Bund mindestens 15 Milliarden DM. Für die Beseitigung des Wismut-Uranloches in der ehemaligen DDR-Zeit zahlt der Bund 15 bis 20 Milliarden DM. Für seine Beteiligung an der Sanierung russischer Kraftwerke vom Typ Tschernobyl zahlt der Bund 15 Milliarden DM. Für die Beseitigung der Reaktorsuppe im Forschungsreaktor Karlsruhe zahlt der Bund 1 Milliarde DM.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Hustedt, Fragen sollen nach der Geschäftsordnung kurz sein. Würden Sie bitte Ihre Frage stellen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zur Frage. Diese Liste kann man fortführen. Man kommt auf einen Subventionstatbestand innerhalb von 10 Jahren von mindestens 95 Milliarden DM. Jetzt frage ich Sie, da Sie von Subventionsgeldern reden, ob die Atomkraft in Ihren Augen subventioniert wird oder nicht. ({0})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Atomkraft wird heute aus verschiedenen Gründen bei der Erzeugung nicht subventioniert. Die Entwicklung ist selbstverständlich entsprechend subventioniert worden, weil es sich um einen Anschub handelte. Bei den Zahlen, die Sie gerade genannt haben, sollten Sie jetzt einmal folgendes dagegenhalten. Es wird etwa 30 Prozent der in diesem Land verbrauchten Menge an Elektrizität, auch aus Kernenergie, auf Grund der damaligen Einführung heute sehr kostenintensiv erzeugt. Ich halte das, was Sie mit Ihrer Frage implizieren wollten, für nicht zielführend, weil wir über eine Technologie reden, die eingeführt ist. Diese Technologie hat sich bewährt und ist im Moment ein ganz wesentlicher Pfeiler unserer Stromversorgung. Der Antrag der Grünen geht über die Forderungen der SPD weit hinaus. Man muß ehrlich sagen, daß Sie der Sicherheit halber die wahren Kosten nicht beziffern, die ein aus Ihrer Sicht notwendiges grundsätzliches Umdenken in der Energiepolitik zur Folge hat. Sie fordern den „Umstieg von einer zentralistischen Energiewirtschaft auf Basis von Atomspaltung und fossilen Brennstoffen zu einer dezentralen, bürgernahen Sonnenwirtschaft" . ({0}) Das liest sich wirklich toll. Bedenken Sie nur, was das in der Praxis kostet! Was daran am Ende noch bürgernah ist, steht auf einem völlig anderen Blatt. Ich denke, dieses Zitat aus dem 10-Punkte-Programm sagt vieles über die Wahrnehmung der Realitäten von Bündnis 90/Die Grünen aus. Für die F.D.P. ist die Energiepolitik ein integraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik, die selbstverständlich auch der Umwelt verpflichtet ist. Dazu gehört eine effiziente Klimaschutzstrategie; denn das Klima hat sich nach vorherrschender Meinung von KlimaPaul K. Friedhoff wissenschaftlern in den letzten 120 Jahren durch den Eintrag von Emissionen wie CO2 und anderen klimarelevanten Spurengasen in der Atmosphäre verändert. Deshalb hat die Bundesregierung ein CO2-Minderungsziel von 25 bis 30 Prozent bis zum Jahre 2005 auf der Basis des Jahres 1990 formuliert. Hieran arbeitet die Koalition. Im Gegensatz zu den Ansätzen der Opposition, die ihre Minderungsstrategie vor allen Dingen auf die Ausweitung und Nutzung von regenerativen Energiequellen, insbesondere den Einsatz der Photovoltaik, konzentriert, verfolgt die F.D.P. einen breiteren Ansatz. Für uns steht außer Frage, daß eine nationale Klimaschutzpolitik wirtschafts- und arbeitsplatzverträglich sein muß. Deshalb müssen die CO2-Minderungskosten für verschiedene Maßnahmekategorien sorgfältig geprüft werden. Relativ günstige Minderungsmöglichkeiten finden sich bei der rationellen Energieanwendung, insbesondere bei der Energieeinsparung bei Gebäuden, bei der besseren Ausnutzung von Erdgas sowohl in der Fernwärmeversorgung als auch in der Elektrizitätserzeugung und last but not least in der weiteren Nutzung der Kernenergie. Wesentlich sind darüber hinaus auch die technischen Maßnahmen im Straßenverkehr und die Ausschöpfung der wirtschaftlich vertretbaren Optionen bei den erneuerbaren Energiequellen. Die große Bandbreite der möglichen CO2-Minderungsmaßnahmen zeigt, wie wesentlich ein breiter Klimaschutz ist. Die Verengung auf das Thema der Förderung vorhandener Technologien zur Stromerzeugung aus Sonnenenergie genügt nicht; denn die Kosten und damit die gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen von unterschiedlichen Maßnahmen sind für ihren langfristigen Erfolg ausschlaggebend. Dreh- und Angelpunkt der Durchsetzung unserer klimapolitischen Ziele ist eine ökologische Weiterentwicklung unseres Steuersystems. Die F.D.P. will deshalb die ökologische Weiterentwicklung des Steuersystems in die Strategie zur Steuersenkung einbetten. Innerhalb des Steuersystems muß eine Umschichtung erfolgen. Wir wollen den Abbau ökologisch kontraproduktiver Regelungen im Steuerrecht und die Nutzung von Steuern zur Erreichung ökologischer Ziele. Für uns ist eine Besteuerung des Energieverbrauchs im Gebäudebestand und im Verkehr wesentlich; denn hier liegen die größten Einsparpotentiale. Einfach und systemgerecht wäre ein erhöhter Mehrwertsteuersatz für den Energieverbrauch, also auf Mineralöl, Erdgas, Heizöl und Strom. Dies muß allerdings europaweit erfolgen. Arbeitsplätze in Deutschland dürfen nicht noch mehr verteuert und gefährdet werden. Wir werden die Bundesregierung weiterhin bei der Förderung der Energieforschung unterstützen, auch im Bereich der Photovoltaik. Der noch nicht erfolgte industrielle Durchbruch der Massenfabrikation von Photovoltaikanlagen ist heute noch wesentlich in den sehr hohen Fertigungskosten, gepaart mit der immer noch geringen Ausbeute der Solarstrahlung, begründet. Daß wir durch das 10-Punkte-Programm des Bündnisses/Die Grünen dahin kommen, daß es sich rechnet, glauben wir nicht. Eine sprunghafte Verbesserung ist überhaupt nicht zu erwarten. Vielmehr besteht bei der Verwirklichung einer Großproduktion auf der Grundlage der derzeitigen Zellentechnik die Gefahr einer grandiosen Fehlinvestition, weil in einigen Jahren durchaus Konkurrenten mit neuen Techniken den Markt bedeutsam beeinflussen können. Wir wollen keine Industriepolitik, die lenkend in den Markt eingreift, ihn jedoch nicht antizipieren kann. Auch hier gilt: Gut gemeint ist nicht schon gut. Deshalb gilt den Vorschlägen der Opposition unser klares Nein. Ich bedanke mich. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Köhne, PDS.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wasser, Wind, Sonne, Biomasse und vorübergehend Kraft-Wärme-Kopplung sind die Stichworte einer zukünftigen Energieversorgung. Jeder - ich korrigiere mich: fast jeder - weiß das. Es passiert aber so gut wie nichts. Wie die Langfriststudie der Prognos AG zeigt, werden diese Energiequellen auch zukünftig kaum eine Rolle spielen. Das selbstgesteckte klimapolitische Ziel wird durch diese Bundesregierung nicht erreicht werden, auch wenn sie noch so sehr daran arbeitet. Die Ausführungen von Minister Rüttgers haben deutlich gemacht, warum es so ist und daß es so bleiben wird. Es ist wieder einmal deutlich geworden: Ohne einen Ausstieg aus der Atomenergie wird es offensichtlich keine Energiewende hin zu regenerativen Energiequellen geben. Es ist deshalb gut, daß sich die SPD hier und heute für die Photovoltaik einsetzt und einen Gesetzentwurf für ein 100 000-Dächer-Programm eingebracht hat. Dieser Gesetzentwurf findet ausdrücklich unsere Zustimmung. Ich stimme allen Ausführungen, die Kollege Scheer hier vorhin gemacht hat, zu. Wenn Minister Rüttgers meint, es würden 5 Milliarden DM ungerecht umverteilt werden, dann muß ich dazu feststellen: Diese Regierung verteilt andauernd Gelder von unten nach oben um; auch das ist ungerechtfertigt. Da finde ich es wesentlich günstiger, einmal in Richtung eines zukunftsfähigen Projektes Geld umzuverteilen. Auch die Forderungen der Grünen, das Stromeinspeisungsgesetz zu erweitern, mit Photovoltaik und Windkraft gewonnenen Strom im Binnenland kostendeckend zu vergüten, die Vergütung für die übrigen regenerativen Energien auf 95 Prozent der Abgabepreise zu erhöhen und endlich auch die KraftWärme-Kopplung in dieses Gesetz mit einzubeziehen, sind berechtigt. Es schreckt mich im übrigen auch gar nicht, wenn dafür jährlich 1,2 Milliarden DM von den Verbrauchern aufgebracht werden. Man teile das einmal durch 80 Millionen. Als Ergebnis kommt heraus: 15 DM pro Jahr und Bundesbürger. Ich gehe davon aus, daß die Menschen in diesem Land gerne bereit sind, diese 15 DM für ein vernünftiges Projekt zu zahlen. Die Menschen erschrecken viel mehr, wenn sie sehen, wieviel Geld in diesem Land unsinnig für andere Zwecke ausgegeben wird. ({0}) Es wäre aber vielleicht klüger gewesen, diesen Antrag separat einzureichen und ihn nicht mit den anderen Punkten zu verbinden, damit man in dieser Beziehung die Regierung besser hätte unter Druck setzen können. Soweit zu diesem Themenkomplex. Ich möchte jetzt noch einmal zu den Vorschlägen für ein neues Energiewirtschaftsgesetz, die sich unter Punkt I.2 im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen finden, etwas sagen. Ich finde, diese Vorschläge sind mutig und gewagt. Dort wird die organisatorische, buchhalterische und eigentumsrechtliche Trennung von Erzeugung, Transport und Verteilung von Energie gefordert, eine vollständige eigentumsrechtliche Trennung, also keine Aufspaltung in drei Tochtergesellschaften. Vielmehr sind die vollständige Ablösung des Leitungsnetzes vom Eigentum der EVUs und entsprechende gesetzliche Maßnahmen zum Betrieb dieses Netzes unter gesellschaftlicher Kontrolle geplant. Nun, das klingt gut. Eine solche Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit könnte der Bundesrepublik zu einer wahrhaft öffentlichen Energieversorgung verhelfen, wie sie in vielen europäischen Staaten üblich ist. Wie das Beispiel unserer Nachbarn zeigt, muß sich das nicht einmal negativ auf die Strompreise auswirken, im Gegenteil: Exorbitante Monopolprofite würden dann nicht mehr in den Fängen der Stromkonzerne hängenbleiben. Die Formulierung in Punkt I.2 des Antrages der Grünen, die heutige Monopolstruktur in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft sei aufzuheben, finde ich allerdings etwas verwirrend. Sicherlich wird von euch mit dem Begriff „Monopolstruktur" die Verbundstufe gemeint. Aber es gibt auch kommunale Monopolstrukturen, die wir durchaus erhalten sollten. Die kommunalen Stadtwerke spielen vielfach energie- und umweltpolitisch eine positive Rolle. Wir halten es ebenfalls für legitim, daß die Städte durch diese Stadtwerke Einnahmen erzielen, werden diese doch meist positiv - zum Beispiel zur Subventionierung des öffentlichen Personennahverkehrs - verwendet. Bezüglich der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes gibt es ganz andere Pläne, und zwar von seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft. Weil dort dieselbe Sprache gesprochen wird und weil man auch dort Monopolstrukturen aufbrechen will, muß man aufpassen, daß man nicht verwechselt wird. Dort wird nämlich an der Beseitigung planungsrechtlicher Hindernisse und vor allem an der Beseitigung kommunaler Monopole eifrig gearbeitet. Sollten sich diese Bestrebungen für eine Liberalisierung des Strommarktes durchsetzen, wird man sich über Kraft-Wärme-Kopplung und die Umwandlung kommunaler Energieversorgungsunternehmen in Energiedienstleister, die dann eine besondere Verpflichtung zur Energieeinsparung haben, nicht mehr zu unterhalten brauchen. Wenn durch Aushebelung des Wegerechtes der Kommunen die Städte und Gemeinden ihre Straßen und Wege jedem Stromkonzern zur Verfügung stellen müssen, dann werden sich die kommunalen Versorgungsunternehmen den übermächtigen Stromkonzernen gegenübersehen. Sie werden diesen Konkurrenzkampf auf Dauer nicht bestehen können. Darum geht es hier. ({1}) Eine beliebig mögliche, durch Planungsrecht nicht behinderte Verstärkung des Verbundnetzes wird eine fortschreitende Zentralisierung der Stromerzeugung mit sich bringen. Nicht die dezentrale Energieerzeugung, vielmehr wird die Zahl großer Kondensationskraftwerke zunehmen. Dies wird die ohnehin schon vorhandenen Überkapazitäten erhöhen, die Chancen regenerativer Energien weiter vermindern. Das ist das Problem. Es wäre deshalb an der Zeit, daß sich die Opposition in diesem Hause, zusammen mit den Städten und Gemeinden, für eine Abwehrschlacht zur Rettung der Stadtwerke rüstet. Nur so haben regenerative Energien auch zukünftig eine Chance. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Wilma Glücklich, CDU/CSU.

Wilma Glücklich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002661, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Natürlich ist die Verfügbarkeit von Energie eine der Grundvoraussetzungen für Freiheit, Wirtschaft und Wohlstand und damit zugleich eine der Grundlagen demokratisch verfaßter Staaten. Armut ist selbstverständlich ein großer Feind der Umwelt. Deshalb ist die Idee, die hinter Ihrer Forderung steckt, zunächst einmal auch so bestechend. Unbegrenzte Verfügbarkeit von Energie, Minimierung von Schadstoffen, die - wie wir wissen - das globale Klima bedrohen, und nachhaltige Energiewirtschaft werden gefordert. Dafür arbeitet die Bundesregierung bereits. ({0}) Natürlich kann man das nicht genug wiederholen. Die Situation unserer Umwelt ist allen bekannt. 1993 hat Deutschland 3 900 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie verbraucht, wovon nur gut die Hälfte auf die Industrie, die Energiewirtschaft und das Gewerbe entfielen. Das heißt, in der anderen Hälfte ist jede Menge Potential. Allerdings, meine ich, muß man das sehr klug angehen. Wir wissen, daß unsere Atmosphäre von CO2-Emissionen entlastet werden muß, um den drohenden Kollaps abzuwenden. Solartechnologie ist natürlich - genau wie die Windenergie - eine symbolträchtige und für die Bevölkerung ohne Zweifel am ehesten akzeptable Lösung, insbesondere da inzwischen natürlich bekannt ist, daß die Zeit der großen und zentralen Energieversorgungsunternehmen vorbei ist. ({1}) Wer die Umweltinteressen an diesem Punkt gegeneinander ausspielt, begeht allerdings einen schweren Fehler. Ich möchte es betonen: Die regenerativen Energien haben zur Zeit leider erst einen Anteil von 5 Prozent an der Stromgewinnung. Parallel müssen wir nach wie vor den Anteil an konventioneller Energie vorhalten, was unsere Umwelt doppelt belastet. Der Energiemarkt ist allerdings im Umbruch. Unsere Forschung hat dazu deutliche Ergebnisse erbracht. Der Preis für die Herstellung von photovoltaischen Zellen ist in den vergangenen 20 Jahren auf ein Fünftel gesunken. Ich denke, daß unsere Forschung seit Beginn der Regierung Kohl, seit 1983 - ich betone das ausdrücklich -, eine Verlagerung der Forschungsmittel von der damals ausschließlich in die Atom- und die fossile Energie zielenden Forschung in die breite Forschung aller Energieträger gebracht hat. Das können Sie nicht bestreiten. ({2}) Solartechnologie ist eine typische Insellösung. Das werfe ich ihr gar nicht vor. Das ist durchaus ein Vorteil, es muß nicht unbedingt ein Nachteil sein, wenn wir intelligent darangehen. Das ist es, was man fordern muß. Der alte Glaube an möglichst große Technik ist in Deutschland leider noch immer weit verbreitet, ({3}) insbesondere leider auch bei Ihnen, liebe Kollegen von der SPD. ({4}) Ich bewundere durchaus Ihre Energie, Herr Scheer, und Ihren Einsatz, wenn er auch nach meiner Ansicht zu sektoral ist. Ihr Gesetzentwurf zielt leider wieder auf Förderung von Massenproduktion ab. Die Konzentration auf Solartechnologie allein birgt meines Erachtens eine Gefahr. Sie suchen wieder nach einer Patentlösung, ({5}) obwohl ein wirklicher Fortschritt in der Kombination aller Energieformen und selbstverständlich insbesondere in der Einbeziehung erneuerbarer Energien, vor allem von Biomasse, besteht. ({6}) Solartechnologie ist Großtechnologie. Das können Sie nicht bestreiten. ({7}) Ich erspare mir jetzt einen Seitenblick auf das, was wir an Ökobilanzen - ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Glücklich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Wilma Glücklich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002661, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen. Solartechnologie ist Großtechnologie. Ich denke, daß die Ökobilanzen deutlich machen, auf welchen Irrweg Sie sich da begeben. ({0}) Meiner Meinung nach müssen und werden wir aus Umweltschutzgründen ganz andere Wege einschlagen. Natürlich wirken die in der Bevölkerung nicht halb so chic wie das, was Sie gerade vorgestellt haben. Sie sind technisch allerdings avanciert, weil sie alles einbeziehen. Sie sind vor allen Dingen umfassend auf der Umweltebene, das heißt sie sind auch auf der untersten Ebene durchführbar. Ich denke, das sollte ein wesentliches Ziel sein. Die CDU/CSU setzt sich jedenfalls für Entstaatlichung und Dezentralisierung dieses Sektors ein. ({1}) Ich bin überzeugt davon, daß staatliche Förderung, wie Sie sie erneut fordern, nur in die vorhandenen Monopole investiert. Dadurch schaffen wir auch auf dem privaten Kapitalmarkt, den wir in diesem Punkt noch viel zuwenig heranziehen, jeden Anreiz ab, Kapital in neue Ideen zu investieren, die Sie so sehr suchen. Ich denke, daß die notwendigen Kräfte so nicht freigesetzt werden, um Neues umzusetzen, und daß wir dadurch eher neue Beschränkungen initiieren. Wir setzen uns jedenfalls für Insellösungen ein. Dafür stehe ich absolut. Ich denke, daß Improvisationen und Kleinteiligkeit durchaus geeignet sind, die jetzige Situation in eine positive Entwicklung umzuwandeln. Kleinteiligkeit und Abkehr von Großlösungen heißt, daß wir den Abbau von staatlichen Subventionen und die Anlage von privatem Kapital wieder inWilma Glücklich teressant machen müssen. Insbesondere auf dem Energiemarkt haben wir das in den letzten Jahren noch viel zuwenig in Anspruch genommen. Wir müssen daneben ein Anbieterdienstleistungsverhältnis fördern, das die Energieversorgungsunternehmen bisher leider noch nicht pflegen. Solartechnologie ist durchaus ein wichtiger Schritt; aber wir dürfen ihn nicht isoliert betrachten. ({2}) Wir halten eine sektorale Lösung für eine Energieform für nicht mehr zeitgemäß. Integrierte Lösungen, insbesondere vielfältige Organisationsformen, wie zum Beispiel Energy switching, sind längst Stand der Technik. Auf diese Wege sollten wir weiter vertrauen. So unterschiedlich wie die Bundesrepublik selbst an ihren verschiedenen Orten ist, so unterschiedlich müssen natürlich auch die Energiegewinnungslösungen sein. Ich bin fest davon überzeugt, daß allein das Setzen auf das 100 000-Dächer-Programm keine Patentlösung ist. ({3}) Ich weiß durchaus, daß die Förderung von alternativen Energien in bestimmten Wirtschaftsbereichen auf Widerstand stoßen wird. Das ist völlig klar. Ich denke aber, daß wir in der Energieerzeugung weniger erreichen als in der Optimierung der Energiedienstleistungen, daß wir gerade dort Chancen für die Wirtschaft und die Beschäftigung bieten. Ich setze deshalb gegen Ihr Modell ein anderes. Ich sagte soeben schon: Es ist weniger chic und weniger glamourös als Technologien. Ich glaube, daß wir die Idee „Global denken und lokal handeln" mehr in den Vordergrund stellen müssen ({4}) und daß wir Fortschritte wirklich nur erreichen, wenn wir auf der untersten Ebene die Entscheidungsträger einbeziehen. ({5}) - Ich finde es außerordentlich bedauerlich, daß Sie mir nicht zuhören, sondern sich vor sich hin amüsieren. ({6}) Das wesentliche Manko an Ihrem Gesetzentwurf ist in der Tat das Setzen auf Technik. ({7}) Das, was ich dem entgegensetze, ist ein breiter Konsens in der Bevölkerung, ({8}) den Sie nicht allein durch die Förderung und die Mobilmachung von Kapital in Ihrem Sinne, von Subventionen, erreichen. Das, was wir machen müssen, ist, auf der untersten Ebene Entscheidungsträger an eine Stelle zu holen und die tatsächlich vorhandenen Potentiale im Energiesparbereich dem gegenüberzusetzen, was Sie an Technologieförderung hier präsentiert haben. Ich glaube im übrigen auch, daß wir sehr gut daran tun, zu schauen, wo wir am besten Energie sparen. Das kann durchaus nicht nur bei uns sein, sondern ist selbstverständlich auch auf die Dritte Welt bezogen. Insofern ist das, was wir in der Bundesregierung als Joint implementation betrachtet haben, ein wesentlicher Punkt dazu. Im Bereich Forschung und Technologie sind wir nach wie vor auf Platz eins, insbesondere in der Solartechnik. Insofern haben wir den richtigen Weg gewiesen. Wir sollten dafür sorgen, daß dieser Weg weiter beschritten wird. Ich meine allerdings, daß wir allein mit Forschung und Technologie den Weg für einen tatsächlichen Energiegewinnungsprozeß nicht erreichen würden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir auch andere Wege in Anspruch nehmen müssen. Ich danke Ihnen. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es richtig, daß die Debatte über Energiepolitik eine Debatte ist, in der wir versuchen sollten, Gemeinsamkeiten zu finden. Ich sage allerdings: Das fällt nach der bisherigen Debatte ziemlich schwer. Denn es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen den öffentlichen Bekundungen, daß wir mehr solare und insgesamt regenerative Energieträger fördern und mehr Energie einsparen wollen, und dem, was hier im Parlament, wo es darauf ankommt, gesagt wurde. Das paßt nicht zusammen. ({0}) Ich finde es sehr interessant, Frau Glücklich, daß Sie der SPD jetzt Technikeuphorie vorwerfen. ({1}) Ich habe mich nachhaltig an die Debatte über den Transrapid erinnert gefühlt. Übrigens, Herr Kollege Rüttgers, wenn ich es richtig sehe, sollen da rund 8 Milliarden DM für eine Technologie ausgegeben Michael Müller ({2}) werden, die nur eine Insellösung ist, während wir hier mit 3 Milliarden DM für eine Technologie, die weltweit gebraucht wird, doch sehr günstig dastehen. Das, was Sie vorbringen, stimmt also alles nicht zusammen. ({3}) Bei dem, was uns Sorgen macht, sollten wir uns einig sein. Das Prognos-Gutachten des Bundeswirtschaftsministers sieht nach dem Jahre 2000 sogar verstärkte energiepolitische Maßnahmen vor, weil man der Auffassung ist, daß all das, was heute gemacht wird, nicht ausreicht. Dieses Prognos-Gutachten kommt dennoch zu dem Ergebnis, daß im Jahre 2020 der Anteil der regenerativen Energien von heute 2,3 Prozent nur auf 3,6 Prozent des Primärenergieverbrauchs gestiegen sein wird. Wenn das eintritt, ist das für die Bundesrepublik ein Armutszeugnis. ({4}) Ihre Politik stimmt einfach nicht vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen, die wir alle bereit sind einzugehen. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, dann müssen wir die Solarenergie anders puschen, als das bisher der Fall ist. ({5}) Dann müssen wir dem, was Sie, Frau Glücklich, hier sagen - nämlich daß unser Antrag nur ein sektoraler Ansatz sei - entgegentreten und sagen: Dies ist ein wichtiger Baustein, der neben vielen anderen wichtigen Bausteinen steht. Aber es ist ein wichtiger Baustein. ({6}) In dem Prognos-Gutachten steht erstens, daß heute zu niedrige Energiepreise die effizienten und solaren Alternativen blockieren, und zweitens, daß die abgeschriebenen großen Atom- und Kohlekraftwerke mit ihren gewaltigen Überkapazitäten den Alternativen überhaupt keinen Raum lassen. Umgekehrt heißt das - ich will es auf den Punkt bringen -: Wenn die Politik keine Richtungsentscheidungen für den Einsatz der Solarenergie und für die Effizienzrevolution trifft, werden sie nicht kommen; dann bleibt auch der Umweltschutz ein Alibi für Sonntagsreden. ({7}) Deshalb: Wer - weil das eine zentrale Zukunftstechnik ist - mehr solare Energie will, wer die Vision des Solarzeitalters verwirklicht sehen will - die wir auch von der Enquete-Kommission Technikfolgenabschätzung her kennen -, wer will, daß der Anteil der Solarenergie in etwa 15 Jahren 10 Prozent ausmacht, der muß zuerst die Verantwortung der Politik einfordern, der muß von der Politik Lösungen verlangen, die sehr viel stärker als bisher an einer effizienten und solaren Energieversorgung ausgerichtet sind. Was ist die Ausgangssituation? Die öffentlichen Erzeugungskapazitäten betragen heute etwa 100 000 Megawatt. In den nächsten 15 Jahren müssen ungefähr 50 Prozent der Anlagen, also rund 50 000 Megawatt, erneuert werden. Die Schlüsselfrage ist: Wollen wir sie erneuern mit neuen Kraftwerken - was zum Teil vielleicht auch sein muß -, oder wollen wir nicht zumindest einen Großteil des zukünftigen Bedarfs wegsparen bzw. durch regenerative Energieträger ersetzen? Heute stellen wir die Weichen, ob wir die Effizienzrevolution einleiten und die Brücke in die Solarzeit bauen oder nicht. Diese Frage entscheidet sich nicht erst, wenn wir unmittelbar vor der Entscheidung stehen, ob neue Kohle- oder Kernkraftwerke - oder welche Kraftwerke auch immer - gebaut werden, sondern heute bei den Weichenstellungen, die wir auf diesen beiden zentralen Zukunftsfeldern vornehmen. Solange wir in der Logik der einseitigen Ausrichtung auf die Erzeugungskapazitäten verharren, wird dieser Strukturwandel nicht kommen. ({8}) Deshalb müssen heute die politischen Weichen anders gestellt werden. Vor dem Hintergrund von zwei in der nächsten Zeit anstehenden Entscheidungen möchte ich Sie nachdrücklich bitten, Ihre Positionen zu überdenken. Wenn Sie Ihr Reden von der Notwendigkeit der Energieeinsparung und des Einsatzes von Solarenergie ernst meinen, dann machen Sie bitte nicht mit bei dem Unsinn der EU-Energierichtlinie und der dort angestrebten Deregulierung. Damit ist im Kern die ökologische Alternative nicht mehr möglich, weil das den Rückzug der Politik aus der Gestaltung der Energieversorgung bedeutet. ({9}) Wir sind für mehr Wettbewerb. Allerdings muß dies Wettbewerb zugunsten von Einsparungen und verstärktem Einsatz von Solartechniken sein. Es darf nicht zugunsten von noch mehr monopolistischer Macht ausgehen, die Strukturen verfestigt und den Klima- und Umweltschutz unmöglich macht. ({10}) Auch die Energierechtsnovelle läuft auf einen Rückzug der Politik aus der Gestaltung der Energieversorgung hinaus. Dies ist genauso verhängnisvoll. Es ist so, Frau Glücklich: Wer die solaren und effizienten Energieträger fördern will, muß vor allem Dezentralisierung der Energieversorgung anstreben. Insofern sind per se Solarenergie und Effizienzenergie dezentrale Energien. Es ist falsch, was Sie hier über großtechnische Lösungen sagen. Das paßt von der inneren Logik her nicht zusammen. ({11}) Michael Müller ({12}) Aber gerade weil das so ist, dürfen wir uns bei der Neufassung des energierechtlichen Rahmens nicht einseitig auf Zuwachs, Expansion und Verkauf ausrichten wie in der Deregulierungslogik der Europäischen Kommission bzw. des Wirtschaftsministers, sondern müssen Strukturen schaffen, mit denen die beiden obersten Ziele - Effizienz und solare Energie - umgesetzt werden können. Das muß unser Leitziel sein. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen. ({13}) Sie haben gesagt, wir würden vor allem die Haushalte belasten. Ich sehe das nicht. Wenn die Rücklagen bei den Kraftwerken nach unseren Berechnungen in der Tat über 60 Milliarden DM betragen, ermöglicht das eine Lösung, wie sie in anderen Ländern auch praktiziert wird. Dann sollen diese Rücklagen in einen öffentlichen Fonds fließen, und von den Zinsen können wir ein Solarprogramm finanzieren, das weit über das hinausgeht, was hier gefordert wird. ({14}) Das wäre sinnvolle und verantwortliche Energiepolitik. Jedenfalls wäre es sinnvoller als das, was heute mit diesen Mitteln zum Teil gemacht wird, wo keine neuen Strukturen und erst recht keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. ({15}) Lassen Sie uns bitte diesen Weg gehen, denn das ist ein sinnvoller Weg. Eine abschließende Bemerkung: Unser Ansatz für ein 100 000-Dächer-Programm ist ein wichtiger Beitrag zu einer solaren Strategie. Das heißt nicht, daß wir unsere solarpolitischen Initiativen auf ein 100 000-Dächer-Programm reduzieren. Wir müssen auf die Anforderungen der unterschiedlichen Energieträger auch mit unterschiedlichen Strategien antworten. Beispielsweise braucht die Windkraft ein anderes Förderungsinstrumentarium als Solarzellen. Die Photovoltaik wiederum braucht ein industrielles Anschubprogramm. Das sind völlig unterschiedliche Instrumente. Wer das gegeneinander ausspielt, hat die Problematik nicht begriffen. ({16}) Was wir brauchen - und das ist kluge Industriepolitik -, ist ein Anschubprogramm für den Zukunftsmarkt der Solarzellen für die Erzeugung von photovoltaischem Strom. Dies ist Zukunftsvorsorge. Wer sie heute verspielt - ich möchte es auf den Punkt bringen -, der ist ein Technikfeind. ({17})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001274

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Debattenverlauf mit Beiträgen aus allen Fraktionen hat erkennen lassen, daß es für die eingebrachten Anträge und Programme in der vorliegenden Form offensichtlich keine Mehrheit geben wird. ({0}) Ich habe mich eigentlich hierhin gestellt, weil ich den Versuch unternehmen wollte, ({1}) zwischen dem Anliegen und den Möglichkeiten seiner Realisierung noch einmal zu unterscheiden und vielleicht einen Beitrag dazu zu leisten, daß weder auf der einen noch auf der anderen Seite die Verselbständigung von Gesichtspunkten, die - jeweils für sich betrachtet - eine gewisse Plausibilität haben, schon dem Versuch einer Verständigung über das, was vielleicht geht, und das, was jedenfalls jetzt nicht geht, im Wege steht. Diesen Versuch will ich schon gern unternehmen, auch wenn ich mir bei einer ganz kurzfristigen Betrachtung keine übertriebenen Hoffnungen auf das erreichbare Ergebnis mache. - Es gibt ja Debatten, ({2}) bei denen es nur auf das ankommt, was hinterher im Protokoll steht. Bei dieser, jedenfalls bei meinem Beitrag, kommt es mir nicht darauf an, was im Protokoll steht, sondern worauf wir uns hier in der Behandlung des Themas hoffentlich verständigen können - oder auch nicht verständigen können. Das Ziel, erneuerbare Energien sowohl im Interesse unserer Umwelt wie auch im Interesse der Sicherung endlicher Ressourcen und einer nachhaltigen Entwicklung verstärkt zu fördern, wird in der Öffentlichkeit weithin geteilt. Dieses Ziel ist auch in diesem Parlament völlig unstreitig. Worüber wir reden, gegebenenfalls auch streiten müssen, ist, in welcher Weise, in welchem Tempo, mit welchen beabsichtigten und vielleicht auch unbeabsichtigten Nebenwirkungen wir dieses Ziel tatsächlich erreichen können. Ich persönlich habe überhaupt keine Schwierigkeiten, der Zielsetzung des SPD-Gesetzentwurfs, die Fertigung und Installation von Solarzellen zu fördern, grundsätzlich zuzustimmen, weil ich die Einschätzung absolut teile, daß es sich bei der Photovoltaik um eine langfristig zukunftsträchtige Technologie mit strategischer Bedeutung und weltweit erheblichem Potential handelt. Ich meine auch, mindestens bis dahin müßte man eine breite Übereinstimmung erreichen können, die allerdings die Verständigung über die Art der Umsetzung nicht zwangsläufig nach sich zieht. Es wäre schon ein beachtliches Stück gewonnen, wenn man sich auf eine solche Art von Problem- oder ZielbeParl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert schreibung verständigen könnte, um dann gemeinsam darüber nachzudenken, ob überhaupt und wie ein solches Ziel erreicht werden könnte. Nun werden mir die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vielleicht auch von den Grünen nicht übelnehmen, wenn ich - wie sie ja selber auch - in dem von ihnen vorgeschlagenen Konzept noch eine Reihe von offenen Fragen finde. Zum Teil haben sie selber auf diese Fragen hingewiesen und erkennen lassen, daß man durchaus unterschiedliche Einschätzungen und ganz sicher unterschiedliche Umsetzungsvorstellungen im Auge haben kann. Trotz der ausdrücklichen Vorgabe des Kollegen Scheer, man dürfe ein Konzept mit einer solchen überragenden Bedeutung nicht an den üblichen Maßstäben messen und solle erst gar nicht mit handelsüblichen Einwänden wie dem kommen, das „rechne sich nicht", muß man am Ende natürlich Maßnahmen finden, die sich rechnen lassen, zumindest in dem simplen Sinne, daß sie finanziert werden können müssen. Deswegen hat mir der zweite Teil Ihrer einschlägigen Bemerkung unter dem Gesichtspunkt der Konsensbildung, wenn sie denn erfolgen soll, eher eingeleuchtet als der erste. Man muß darüber reden, wo es eher, wo es weniger und wo es vielleicht überhaupt nicht geht. Wir sollten jedenfalls Vorgaben vermeiden, die mit schöner Regelmäßigkeit eher Stolpersteine auf dem Weg zur Erreichung dieses Zieles sind als Möglichkeiten, es schnell zu erreichen. Wir müssen zweitens über realistische Stromgestehungskosten reden, die in dem Zusammenhang zu erwarten sind. Ich will mich im Augenblick gar nicht an Spekulationen beteiligen. Aber daß es neben den Einschätzungen, die etwa in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" Niederschlag gefunden haben, auch andere gibt, ist nicht zu übersehen. Darüber muß man ohne jeden Schaum vorm Mund unter Plausibilitätsgesichtspunkten reden. Belegen kann das heute niemand, jedenfalls nicht mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit. ({3}) - Natürlich gilt das für viele vergleichbare Sachverhalte. Es gibt drittens begründete Zweifel, ob die vorgesehenen fünf Jahre und 100 000 Anlagen ausreichen, um die Photovoltaik in die Nähe der Wirtschaftlichkeit zu bringen. Über die Dimensionierung unter dem Gesichtspunkt: Was braucht man mindestens, welchen Zeitraum, welches Fördervolumen im Sinne von Adressaten von Maßnahmen? wird man sicher reden müssen, aber hoffentlich doch auch reden können. Viertens. Über Beschäftigungseffekte, und zwar über saldierte Beschäftigungseffekte und nicht nur über solche mit einer Technologie unmittelbar verbundene, wird man ebenfalls reden müssen, um sich nicht gegenseitig in Begeisterung zu reden bzw. umgekehrt mit Totschlagargumenten jede Art von Weiterentwicklung unnötig zu blockieren. Schließlich ist fünftens die Frage alles andere als unbedeutend, wo die erhofften Beschäftigungseffekte tatsächlich entstehen, ob das hier oder anderswo der Fall ist und welche Arbeitsmarkteffekte sich in einem internationalen Vergleich daraus ergeben. Herr Kollege Rüttgers hat das vorhin schon angesprochen. Wenn man, was ich mit Interesse gehört habe, Herr Kollege Müller, darüber nachdenkt, ob eine Finanzierungsquelle nicht auch eine andere Verwendung heute gebildeter Rücklagen von großen Unternehmen für eine bestimmte, nicht mehr für besonders zukunftsfähig gehaltene Technologie sein könnte ({4}) - ja, das habe ich verstanden -, dann ist Voraussetzung für die Mobilisierbarkeit solcher Mittel eine Mindestverständigung über die Entsorgungskonditionen, deren nichtverbindliche Klärung eine, um nicht zu sagen: die zentrale Bedingung jedenfalls für die heutige Höhe dieser Rücklagen darstellt. Hier kommen wir schnell wieder auf Zusammenhänge, die gegen isolierte Problemlösungen sprechen. Wir sollten insofern von Anfang an die Illusion vermeiden, man könnte eine Insellösung für dieses Anliegen unter souveräner Ausklammerung aller anderen damit zumindest indirekt verbundenen Fragen finden. Deswegen möchte ich gerne dafür werben, daß wir dogmatische Festlegungen vermeiden, sowohl positiv als auch negativ. Für gute Ziele muß man überzeugende Wege finden. Das muß nach beiden Seiten gelten. Das schlichte Anmelden eines guten Ziels ist noch nicht der Nachweis der Realisierbarkeit vorgeschlagener Konzepte, so wie sich allerdings umgekehrt diejenigen, die sagen: „Das Konzept leuchtet mir noch nicht ein, aber das Anliegen finde ich durchaus sympathisch" , dann an der Suche nach überzeugenderen Lösungen beteiligen müssen. Das sage ich beispielsweise gerne zu, weil das Anliegen wichtig genug ist, um sich um einen solchen wirklich möglichst unideologischen, unverkrampften Weg gemeinsam zu bemühen. ({5}) Wir werden das, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht mit der Brechstange machen können. Wir dürfen vor allen Dingen auch keine Illusionen erzeugen und pflegen, die dann auf der Strecke das Ganze eher behindern als befördern. Die Kollegin Glücklich hatte ja sicher recht, wenn sie vorhin darauf hingewiesen hat, daß wir jedenfalls für die überschaubare Zukunft - und das haben ja auch ihre mit einem leicht resignativen Unterton, den ich gut verstehe, vorgetragenen Hinweise auf die Prognos-Studie gezeigt - mit einer überragenden Dominanz konventioneller Energien rechnen müssen, was wiederum sehr dafür spricht, daß wir intelligente Verbindungen zwischen dem einen und dem anderen suchen müssen und uns nicht in Alternativdiskussionen verlieren, die jenseits aller Realitäten sind, immer einbezogen mit der Bemühung um Alternativen. Dies gilt gerade dann, wenn man die gegenwärtige Erzeugung, VerParl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert teilung und den Verbrauch von Energien nicht für die letzte denkbare Lösung und auch nicht für die voraussichtliche Lösung des 21. Jahrhunderts hält; eine Einschätzung, die ich persönlich sehr teile. Ich will noch einen Hinweis geben. Es gibt ja eine Reihe von Beiträgen, die die Bundesregierung mit dieser Zielsetzung bereits leistet. Die sind vorgetragen worden; ich will sie jetzt gar nicht wiederholen. Ich will auf eine ganz bescheidene Möglichkeit hinweisen, von der ich den Eindruck habe, daß viele davon nicht einmal wissen, geschweige denn davon Gebrauch machen. Im Rahmen der Fördermöglichkeiten des 100-Millionen-Programms und der darin verbundenen Fördermöglichkeiten für Solartechnologie gibt es auch ein Programm „Sonne in der Schule", das Möglichkeiten der Förderung von Aktivitäten eröffnet - beispielsweise auch durch Meßstationen -, selber mit dieser Technologie, mit ihren Wirkungsmöglichkeiten, mit ihren Chancen, aber auch mit ihren Problemen vertraut zu werden. Dies wäre ganz sicher nicht der Befreiungsschlag zur Lösung des großen Problems, über das wir diskutieren, aber es könnte ein wichtiger Bestandteil der Verbreitung von Verständnis, auch von Risikoverständnis sein, das wir für die Beförderung dieses Anliegens jedenfalls brauchen. Deswegen weise ich darauf ausdrücklich hin. ({6}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will für das Bundeswirtschaftsministerium, für die Bundesregierung gerne zusagen, daß wir uns mit der Einstellung an den Ausschußberatungen beteiligen wollen, die ja nun bevorstehen und in denen wir alle miteinander den Versuch unternehmen sollten, nüchtern und unvoreingenommen Spielräume auszuloten, die es auf dem Weg in neue Strukturen geben muß. Wir sollten, wenn wir die Verständigung jetzt aus verschiedensten Gründen möglicherweise nicht erreichen, dies jedenfalls in einer Weise zu Ende bringen, daß die weitere Suche für die Zukunft nicht erschwert, sondern möglichst erleichtert wird. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz aktuell einsteigen. Sie wissen, es ist Fußballeuropameisterschaft. Nicht daß Sie denken, das habe nichts mit dem Thema zu tun. Die Sonne ist rund, und die Debatte dauert 90 Minuten. Stellen Sie sich bitte vor, Sie stehen bei der Fußballeuropameisterschaft nach guter Vorbereitung als Stürmer vor dem Tor, die Abwehr ist ausgespielt, Sie sind einschußbereit, und lässig soll der Ball über die Linie geschoben werden. Doch siehe da, statt zu verwandeln, setzen Sie sich bequem, mit der Sportzeitung ausgerüstet, neben den Ball und lesen nach, wie eine andere Mannschaft einen hohen Sieg erzielt hat. Paradox, nicht wahr? Und doch sind wir in Deutschland gerade dabei, eine mit großem Einsatz und viel Kreativität herausgearbeitete Chance leichtfertig zu vertun. Diese Chance besteht darin, unsere Spitzenstellung in der Solartechnologieforschung zu nutzen und diese Technologie in marktfähige Produkte umzusetzen. Eines der Hauptargumente gegen den Einsatz der Photovoltaik bestand lange darin, zu sagen: Das amortisiert sich nicht, bei der Herstellung der Geräte wird mehr Strom verbraucht, als sie hinterher erzeugen. Das hat sich schon als falsch herausgestellt. Wir müssen die Chance nutzen und zeigen, daß sich auch Forschung rechnet. Wir haben seit 1975 gut 1 Milliarde DM an Bundesmitteln in die Erforschung und Entwicklung der Photovoltaik investiert. Das ist gut. Aber wir dürfen nicht riskieren, daß wir erneut Forschungsergebnisse erzielen, die weltweit erstklassig sind, und andere hingehen und sie in marktfähige Produkte umsetzen und verkaufen. Es ist richtig: Mit Photovoltaik werden wir im Energiemix nur einen kleinen Teil ausfüllen können. Es ist ein langfristiges Vorhaben, in die Solarwirtschaft einzusteigen. Wir haben alle Chancen dazu. Es ist wie im Fußball: Wer nicht den Anstoß macht, wird nie ins Spiel kommen und kein Tor erzielen können. Im Moment - es wurde bereits mehrfach heute erwähnt - verhindert noch der hohe Preis eine wirkliche Marktreife. Stromgestehungskosten in Höhe von 1,65 DM bis 2,20 DM pro Kilowattstunde sind nach Auffassung der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" heute zugrunde zu legen. Das ist wesentlich zu hoch. Hauptgrund dafür ist jedoch, daß die Solarzellenfertigung hier immer noch hauptsächlich im Rahmen der Forschung stattfindet. In den hohen Preisen sind damit auch die Forschungsanstrengungen enthalten. Die Großserienproduktion kann hier zu einem deutlichen Rückgang führen. Wir können zügig über verbesserte Technik zu konkurrenzfähigen Preisen gelangen, wenn über die Serienproduktion der Forschungskostenanteil zurückgeht. Es gilt nun, aus dem Teufelskreis herauszukommen, in dem der Photovoltaik keine Chance gegeben wird, weil sie angeblich zu teuer sei, um über die Großserienproduktion auf den Markt zu kommen, und die deshalb zu teuer ist, weil es keine Großserienproduktion gibt. Diese Köpenickiade müssen wir beenden. Stellen Sie sich vor, der Computerbranche wäre es vor 20, 25 Jahren nicht gelungen, aus diesem Kreis auszubrechen. Ein PC von heutigem Leistungsstand wäre unbezahlbar und ein Fall für das Technikmuseum. - Es ist also notwendig, hier in die Großserienproduktion einzusteigen. ({0}) Siemens macht mit der Produktion von Solarzellen in Kalifornien anscheinend bereits ganz gute Geschäfte. 70 Prozent der Solarzellen werden exportiert, mit einem Siemens-Anteil von 50 Prozent. Wir sehen: In den USA und auch in Japan macht man es den Firmen etwas leichter. Und auch da liegt das Geld nicht einfach auf der Sonnenbank. Nein, in den USA gibt es ein Netzwerk für eine strategische Exportoffensive und Institutionen zur Zwischenfinanzierung für Pilotprojekte, die gewissermaßen als Türöffner für die Märkte fungieren. Die Japaner wiederum - das kennt man von ihnen - betreiben auch im Bereich der Photovoltaik Förderung bis zur Marktreife. Im New-Sunshine-Program werden bis zum Jahre 2020 etwa 14 Milliarden Dollar veranschlagt. Mit ihrem 65 000-Dächer-Programm sind die Japaner die ersten, die konsequent auf die Großserie setzen, wobei sie pikanterweise die Antragsformulare aus dem deutschen 1 000-Dächer-Programm übernommen haben. Wir sollten diesen Markt nicht, wie schon so oft, dem Land der aufgehenden Sonne überlassen. Wir sollten auch an die europäische Dimension denken. Die Athener Konferenz für erneuerbare Energien für den Mittelmeerraum im letzten November hat gezeigt, wie hoch das Absatzpotential für Photovoltaik zu mittelfristig vernünftigen Preisen ist. Beim Thermie-Programm haben wir gesehen, welche Fehler die Bundesregierung macht. Bei der Forschung hat sie noch mitgespielt, doch der Markteinführungsteil ist inzwischen tot. Wir sehen, trotz unseres Spitzenplatzes in der Forschung sind wir bei der Vermarktung bestenfalls in der zweiten Liga. ({1}) Das genügt nicht, wenn wir unseren Platz als Exportweltmeister oder, um im Bild zu bleiben, wenigstens als Exporteuropameister sicherstellen wollen. ({2}) Wir schlagen ein 100 000-Dächer-Programm vor. Es geht nicht bloß um ein Referenzprodukt, zum Beispiel um ein Dächerprogramm für Parkscheinautomaten, nein, wir wollen ein degressives Beihilfeprogramm, das auf einen mittelfristig selbsttragenden Industriezweig setzt. Wir wollen den Übergang in eine Massenproduktion, bei der konkurrierende Produzenten Kostensenkungspotentiale nutzen können und müssen. Das wird zugleich Impulse für die Forschung bringen, der wir durch die Marktfähigkeit ihrer Ergebnisse zusätzliche Anreize geben. Das müßte vom Rüttgers-Club, der gerade die Forschungsförderung zu einem besonderen Anliegen gemacht hat, positiv gesehen werden. Zeigen Sie also nicht nur durch Reden, zeigen Sie auch durch Handeln, daß Sie sich für die Sonnenenergie erwärmen, und zwar nicht nur in der Sommerzeit als kostenloses Konjunkturprogramm für Sonnenölhersteller. ({3}) Meine Damen und Herren, unser 100 000-DächerProgramm ist wirtschaftspolitisch vernünftig. Es setzt darauf, daß Forschungsergebnisse auch verkauft werden. Wir wollen Deutschland und auch Europa auf einem absoluten Zukunftsmarkt etablieren. Hier kann die Regierung die Standortdebatte endlich einmal nach vorn gewandt führen. ({4}) Es geht auch um neue, dauerhaft sichere Arbeitsplätze, für die wir eine Anschubfinanzierung brauchen; mehr nicht. Wir sehen hier ferner: Ökonomie und Ökologie stehen sich nicht unvereinbar gegenüber. Wir haben die Chance, auf ökologisch sinnvollem Weg Arbeitsplätze zu schaffen, vielleicht nicht gleich morgen schon Hunderttausende, aber Arbeitsplätze in großer Zahl, die dauerhaft sicher sind. Mit solchen Arbeitsplätzen schaffen wir es, die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen und das Sozialsystem zu entlasten - intelligenter jedenfalls, als es Ihr Sparpaket tut. ({5}) Kosten wird das Programm den Steuerzahler nichts, wenn wir uns dazu entschließen - wie von uns vorgeschlagen; Sie können ja andere Vorschläge machen -, umweltschädliche Subventionen zu streichen und für die Solardachförderung einzusetzen. Sehen Sie sich einmal die Ifo-Liste an; dann erkennen Sie, was da alles möglich ist. Es ist also ganz und gar nicht so, Herr Rüttgers, daß wir den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Lassen Sie uns in die Zukunft investieren! Lassen Sie uns aus der Negativspirale herauskommen! Setzen wir eine Positivspirale in Gang! Hören Sie mit rückwärts gewandter Politik auf! Hören Sie auf mit dem Rückpaß eines einseitigen Sparpakets, das bei veränderten Spielregeln der Weltwirtschaft nur als Eigentor enden kann. ({6}) Unser Gesetzentwurf ist ein Steilpaß, der neue Räume öffnet. Wir werden sehen, ob Sie die Vorlage annehmen oder ob Sie sich verweigern, weil der Paß von einem ungeliebten Mitspieler kommt. Die Worte von Herrn Staatssekretär Lammert geben uns in gewissem Umfang Hoffnung. Insofern will ich schließen mit den Worten „Schaun mer mal". ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Schmiedeberg, CDU/CSU.

Hans Otto Schmiedeberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002782, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute davon ausgehen, daß die weltweite Emission von Kohlendioxid durch den Verbrauch fossiler Energieträger zu einer Veränderung des Weltklimas mit unabsehbaren Folgen für Mensch und Umwelt führt, so müssen wir eine zukünftige Energiepolitik auf eine Vermeidung bzw. Verringerung der CO2-Emissionen ausrichten. Die Bereitstellung und der Einsatz von Energie sind mit großen Umweltbelastungen verbunden. Der CO2-Kreislauf unserer Erde ist dadurch gekennzeichnet, daß ungefähr 60 Prozent aller Kohlendioxidemissionen in der Biosphäre und in den OzeaHans-Otto Schmiedeberg nen wieder aufgenommen werden, der Rest aber in der Atmosphäre mit einer mittleren Verweildauer von 120 Jahren verbleibt. In den letzten 150 Jahren ist durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas der CO2-Anteil in der Atmosphäre urn rund 30 Prozent angestiegen. Weltweit wurden 1990 rund 20 Milliarden Tonnen CO2 emittiert. Wenn man jedoch bedenkt, daß Deutschland daran einen Anteil von 1 Milliarde Tonnen, also von 5 Prozent, hat, dann wird deutlich, daß international eine nachhaltige Energiepolitik eingeleitet werden muß. Die zukünftige Energiepolitik der Bundesregierung orientiert sich deshalb an den Leitlinien Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit. Eine Klimaschutzpolitik muß deshalb ökonomie- und arbeitsplatzverträglich angelegt sein. Deshalb ist es unerläßlich, daß CO2-Reduktionsmaßnahmen, die mit jeder aufgewandten Mark eine möglichst hohe CO2-Reduktion erzielen, eine zentrale Bedeutung einnehmen. Die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der Klimaschutz sind also als Einheit zu verstehen. Um einen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt und unseres Klimas zu leisten, wurden im Grundsatz drei gleich wichtige Strategien auf Bundes- und Landesebene entwickelt: die Einsparung von Energie, die Erhöhung der Effizienz bei der Energieerzeugung und -nutzung und die Nutzung erneuerbarer Energien. Auf allen Stufen der Prozeßkette, von der Gewinnung über die Umwandlung bis hin zur Nutzung beim Verbraucher, konnten in den letzten Jahren deutliche Fortschritte bezüglich der Energieeffizienz erreicht werden. Die Energieintensität unserer Volkswirtschaft, also der Energieverbrauch pro Einheit der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, konnte seit 1973 um fast 30 Prozent reduziert werden. Damit hat praktisch eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Stromverbrauch stattgefunden. Einsparungspotentiale gibt es überall: im Verkehr, im privaten Verbrauch und in der Wirtschaft. Im Verkehr sind es die verbrauchsarmen Autos, in der Wirtschaft energiesparende Produktionsverfahren und Produkte. So kann zum Beispiel durch den Einsatz moderner Technologien der Wirkungsgrad von Kraftwerken erhöht werden. Während herkömmliche Kohlekraftwerke einen Gesamtwirkungsgrad von 40 Prozent haben, erhöht sich dieser bei Gas- und Dampfkraftwerken um bis zu 15 Prozent. Allein durch die Substitution der Brennstoffe und die Erhöhung des Wirkungsgrades reduziert sich der CO2-Ausstoß so um annähernd 50 Prozent. Das Energiepotential der Wasserkraft wird in Deutschland weitestgehend ausgeschöpft. Deshalb geht es bei der Förderung der erneuerbaren Energien vor allem um die Nutzung der Wind- und Sonnenenergie sowie um die energetische Nutzung der Biomasse. Unsere Stromerzeugung beruht zu 56 Prozent auf Kohle. Dieser Anteil besteht jeweils zur Hälfte aus Braun- bzw. Steinkohle. Der Rest teilt sich so auf, daß 30 Prozent durch die Kernenergie, 10 Prozent durch Gas und 01, 4 Prozent durch Wasserkraft und ungefähr 1 Prozent durch Wind, Biomasse und Müll abgedeckt werden. Nur ein tausendstel Prozent unserer Stromerzeugung beruht heute auf solarem Strom. Die erneuerbaren Energien können deshalb nur allmählich einen entscheidenden Beitrag in unserem Energiesystem liefern. Solarstrom kostet heute annähernd 1,80 DM je Kilowattstunde. Wenn wir rund ein Drittel der Dachflächen aller Häuser in Deutschland, die geneigt und nach Süden ausgerichtet sind, mit Solarmodulen belegen würden, könnten theoretisch rund 150 Milliarden Kilowattstunden, das heißt ein Drittel des deutschen Stromverbrauchs, durch Solarstrom gedeckt werden. Dies setzt jedoch bei den derzeitigen Preisen für Solaranlagen ein Investitionsvolumen von 4 000 Milliarden DM voraus. Aber nicht nur diese hohen Investitionskosten, sondern auch der hohe Energieverbrauch bei der Herstellung von Solaranlagen sprechen gegen eine zu kurzfristige Umstellung. Gegenwärtig benötigt man 5 000 Kilowattstunden je Kilowatt installierte Leistung. Das heißt, eine Photovoltaikanlage braucht derzeit fünf bis sieben Jahre, um die Energie zu liefern, die zu ihrer Herstellung benötigt wird. ({0}) Es ist illusorisch, zu glauben, daß durch massive finanzielle Unterstützung ein schneller technologischer Durchbruch zu erzwingen ist. ({1}) Wie jede Technologie braucht auch die Photovoltaik einen längeren Zeitraum von ihrer Erforschung bis hin zur Marktdurchdringung. Das durch das BMBF im Mai verabschiedete 4. Programm Energieforschung und Energietechnologie reagiert auf diese Herausforderung und fördert die Photovoltaik durch das neue Wegbereitungsprogramm „Photovoltaik 2005". Hierbei geht es in erster Linie um die Senkung der Kosten durch Erhöhung der Wirkungsgrade sowie Verbesserungen in der Fertigungstechnik. Neuartige Solarzellen wie die Dünnschichtsolarzellen, die Verwendung von amorphem Silizium und Kupferindiumselenid versprechen eine höhere Energieausnutzung. Allerdings wird es noch zirka zehn Jahre dauern, bis solarer Strom vergleichbar billig sein wird. Siemens schätzt, daß die Solarstromerzeugungskosten bis zum Jahr 2000 auf etwa 80 Pfennig je Kilowattstunde und bis zum Jahr 2010 auf etwa 60 Pfennig je Kilowattstunde reduziert werden können. Bis dahin werden sich Photovoltaikanlagen nur als kleine und kleinste Stromversorgungsanlagen in Nischenmärkten rentieren. Trotz der zur Zeit noch hohen Investitionskosten sind photovoltaische Anlagen bereits heute in sonnenreichen Entwicklungsländern besonders gefragt. In Gebieten, die fernab von Verkehrs- und Stromnetzen liegen, ist es bereits heute kostengünstiger, photovoltaische Anlagen im Verbund mit Dieselgeneratoren für die Stromerzeugung zu nutzen. Dieser positive Kosteneffekt ergibt sich einerseits aus den hohen Finanzierungskosten für die Erschließung dieHans-Otto Schmiedeberg ser Gebiete, andererseits bewirkt die höhere und längere Sonneneinstrahlung eine intensivere Nutzung der Energiequelle Sonne. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren keinen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten können. ({2}) Die Anträge der SPD und der Grünen können nur durch die Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel realisiert werden. Bei der derzeitigen Haushaltssituation ist dies nicht leistbar. Wir dürfen die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der erneuerbaren Energien nicht zu hoch stellen, da diese Erwartungen enttäuscht werden und somit die erneuerbaren Energien Schaden nehmen würden. Aus diesen Gründen werden wir den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ablehnen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3812 und 13/4481 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis e und die Zusatzpunkte 9a bis c auf: 16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jahressteuergesetzes 1996 ({0}) - Drucksache 13/4542 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Sportausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1993 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über den Luftverkehr - Drucksache 13/4630 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({2}) Finanzausschuß c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Mitteilungen der Justiz von Amts wegen in Zivil- und Strafsachen ({3}) - Drucksache 13/4709 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({4}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Finanzausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Innenauschuß d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz ({5}) in Istanbul - Drucksache 13/4616 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({6}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1995 - Drucksache 13/3208 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7}) Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ZP9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS Ergänzung des Eigenheimzulagengesetzes - Drucksache 13/4835 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({8}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Ausweitung des Sanierungsauftrages der Wismut GmbH - Drucksache 13/4836 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({9}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsident Hans-Ulrich Klose c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin Heyne, Albert Schmidt ({10}), Gila Altman ({11}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erstellung eines Schienenbauplans als Anlage zum Bundesverkehrshaushalt - Drucksache 13/4874 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({12}) Ausschuß für Verkehr Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Justizmitteilungsgesetz, Drucksache 13/4709, soll zusätzlich an den Innenausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zustimmungsgesetzes zum Wismut-Vertrag, Drucksache 13/4789, zu erweitern. Der Gesetzentwurf soll jetzt gleich behandelt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann rufe ich jetzt Zusatzpunkt 27 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zustimmungsgesetzes zum Wismut-Vertrag - Drucksache 13/4789 Der Gesetzentwurf soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen jetzt zur abschließenden Beratung einer Reihe von Tagesordnungspunkten ohne Aussprache. Ich rufe Punkt 17 a der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Konstitution und der Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 sowie zu den Änderungen der Konstitution und der Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 14. Oktober 1994 - Drucksache 13/3810 - ({13}) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({14}) - Drucksache 13/4585 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({15}) Hans Martin Bury b) Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/4629 Berichterstattung: Abgeordnete Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese Oswald Metzger Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt auf Drucksache 13/4585, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden. Ich rufe Punkt 17 b der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 6. Oktober 1989 und vom 26. Oktober 1990 zur Änderung des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt - Drucksache 13/3849 - ({17}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({18}) - Drucksache 13/4599 Berichterstattung: Abgeordneter Michael Jung ({19}) Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/4590, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 c bis 17 e auf: c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Estland andererseits - Drucksache 13/4024 - ({20}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({21}) - Drucksache 13/4855 - Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Weiermann Vizepräsident Hans-Ulrich Klose d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Litauen andererseits - Drucksache 13/4025 - ({22}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({23}) - Drucksache 13/4856 Berichterstattung: Abgeordneter Elmar Müller ({24}) e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits - Drucksache 13/4026 - ({25}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({26}) - Drucksache 13/4857 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Weiermann Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksachen 13/4855 bis 13/4857, die drei Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über diese drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Kein Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich bitte diejenigen, die den drei Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die drei Gesetzentwürfe sind einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 17 f: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten - Drucksachen 13/3604, 13/3809 ({27}) ({28}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({29}) - Drucksache 13/4600 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Peter Enders Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 4600, den Gesetzentwurf des Bundesrates in der von der Bundesregierung auf Drucksache 13/3604 vorgeschlagenen und auf Drucksache 13/3809 berichtigten Fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem so geänderten Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 17 g: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise und des Paßgesetzes - Drucksache 13/3469 - ({30}) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({31}) - Drucksache 13/4734 Berichterstattung: Abgeordnete Meinrad Belle Dorle Marx Manfred Such Dr. Max Stadler Ulla Jelpke Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Erwin Marschewski, Fritz Rudolf Körper und Dr. Max Stadler vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 4875? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, trotz der angenommenen Änderung unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 17 h: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({32}) zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann ({33}), Waltraud Schoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Goldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zyankalihaltiger chemischer Stoffe durch Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 13/1017, 13/4215 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Jung ({34}) Susanne Kastner Halo Saibold Dr. Olaf Feldmann Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1017 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 17 i: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({35}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung Lehren und Lernen - Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft - Drucksachen 13/3668 Nr. 2.37, 13/4680 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Stephan Hilsberg Antje Hermenau Dr. Karlheinz Guttmacher Maritta Böttcher Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 17j: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 123 zu Petitionen - Drucksache 13/4694 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Zusatzpunkt 10: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({37}) zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs ({38}) - Drucksachen 13/4689, 13/4726 Nr. 2, 13/ 4869 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Marion Caspers-Merk Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger Der Ausschuß empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 13/4689 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 11 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Haltung der Bundesgierung zu den Vorkommnissen bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, F.D.P.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. hat die heutige Aktuelle Stunde beantragt, weil eine Rechtsstaatspartei nicht widerspruchslos hinnehmen kann, wie in unserem Land mit der Menschenwürde junger Menschen nur deshalb umgegangen wird, weil die Bundeswehr an die Öffentlichkeit tritt. ({0}) Uns geht es nicht um diese oder jene Einzelheit bei der militärischen Zeremonie. Für uns steht aber fest: Die Bundeswehr braucht sich nicht zu verstecken. Sie ist Teil dieser Demokratie, Teil dieses Volkes. Es ist ein Teil der Kontrolle der Streitkräfte durch das Volk, daß sich die Bundeswehr öffentlich präsentiert. ({1}) Jeder soll und muß hören können, was die Vorgesetzten den Soldaten für ihren Dienst bei einem Gelöbnis mit auf den Weg geben. ({2}) Für mich steht unter denen, die sich Verdienste um die Verbindung von Bundeswehr und Gesellschaft erworben haben, der Name Georg Leber ganz vorne. ({3}) Was mag Georg Leber denken, wenn er erleben muß, daß Teile seiner SPD mit PDS und Grünen zusammenwirken ({4}) und mit welch geradezu kindischen Argumenten die SPD-Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg vorgeht, um die für eine Demokratie selbstverständliche Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft zu verhindern? Uns geht es insbesondere darum, wie mit den jungen Frauen und Männern umgegangen wird, die geloben oder beeiden, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie schützen damit auch unsere Verfassung, die es der für die Bundeswehr verantwortlichen Politik zur Verpflichtung macht, dem Frieden in der Welt zu dienen, und die einen Angriffskrieg unter Strafandrohung verbietet. Welches Verhältnis muß man zu dieser Verfassung und ihren Grundrechten haben, wenn man solche Worte wie der Sprecher der Grünen, Christian Ströbele, findet? Er spricht von einer „Entscheidungsschlacht" und erklärt, „Soldaten wird der Verstand abtrainiert, um sie zum Töten abzurichten". ({5}) „Abrichten" - ich wiederhole es -, das ist ein Ausdruck, den man gegenüber Tieren verwendet. Wer wie der Sprecher der Grünen junge Menschen in einer derartigen Weise erniedrigt, ihre Menschenwürde derart mißachtet und verletzt, dem fehlt jede Beziehung zu diesem Rechtsstaat und zu seinen Grundrechten. ({6}) Diese Sprache - „Entscheidungsschlacht", „Verstand abtrainieren", „abrichten" - ist doch meilenweit weg von den Idealen des Grundgesetzes und verräterisch in ihrer Aggressivität und ihrer Militanz. ({7}) Wir stellen als Liberale dem ganz bewußt die offene Bürgergesellschaft der Toleranz gegenüber, zu der selbstverständlich auch der „Staatsbürger in Uniform" gehört. Es war im übrigen das Militär, das durch seinen Schutz der Stadt die vielen Minderheiten in Westberlin geschützt hat, die auf Toleranz in besonderer Weise angewiesen sind. ({8}) Welch eine Anmaßung deshalb, nun von Berlin als „Hauptstadt der Wehrdienstverweigerer" zu sprechen. Wir lassen das nicht zu. ({9}) Für uns ist Berlin die Hauptstadt aller Deutschen, selbstverständlich auch der Soldaten. Wir lassen es auch nicht zu, daß in unserem Land immer mehr der Eindruck entstehen kann, daß der junge Soldat mit dem von der Verfassung geforderten Wehrdienst seiner Menschenwürde beraubt wird, er sich unerträglichen Unterstellungen ausgesetzt sieht. Die Feiern zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr in Erfurt und Bonn stehen in der gleichen Reihe, in der als letztes Ereignis das öffentliche Gelöbnis in Berlin steht. Es gibt keine Veranstaltung der Bundeswehr ohne diese unerträglichen Entgleisungen von Bündnis 90/Die Grünen, PDS und einigen Sozialdemokraten. ({10}) Wir Liberalen sagen ein eindeutiges Nein zu allen Versuchen, eine bestimmte Gruppe in unserer Gesellschaft, hier die Wehrpflichtigen, als unterwertig darzustellen und auszugrenzen. ({11}) Die Bundeswehr braucht sich nicht zu verstecken. Sie steht für diese Demokratie, für die Verteidigung der demokratischen Ideale. Wir Liberalen werden dafür sorgen, daß es auch so bleibt: in Berlin und an anderen Orten in Deutschland, in den Kasernen und bei öffentlichen Auftritten. Vielen Dank. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat die Abgeordnete Verena Wohlleben.

Verena Wohlleben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeswehr hat seit ihrem Bestehen - über 40 Jahre lang - immer wieder mit feierlichen und öffentlichen Gelöbnissen darauf hingewiesen, daß sie in der Mitte dieser Gesellschaft steht. Sie hat dokumentiert, daß sie zum Frieden für unser Land und in Europa entscheidend beigetragen hat. Aktuell wird dies im IFOR-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien immer wieder auf eindrucksvolle Weise deutlich. Dafür sprechen wir allen Soldaten und Soldatinnen, den zivilen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie den Reservisten Dank und Anerkennung aus. ({0}) Das Wehrsystem der Bundeswehr steht auf zwei Säulen: Die eine sind die freiwilligen Zeit- und Berufssoldaten, die andere sind die Wehrpflichtigen. Dieses Wehrsystem hat sich bewährt. Allerdings ist es heute schwieriger, die allgemeine Wehrpflicht zu begründen als noch vor wenigen Jahren. Damals war die Bedrohung noch sehr konkret und wurde von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes auch so empfunden. Deshalb waren damals die Einsicht und auch die Bereitschaft, den Wehrdienst zu leisten, stärker ausgeprägt als heute. Gerade deshalb haben wir den Wehrpflichtigen zu danken, die ihren Wehrdienst leisten. ({1}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir tragen eine große Verantwortung. Sie ist aber zugleich auch Verpflichtung für uns Abgeordnete, die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte gewissenhaft auszuüben. Die Bundeswehr - das haben Sie sehr richtig gesagt, Herr van Essen - braucht sich nicht zu verstecken. Sie hat ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft und deshalb auch in der Öffentlichkeit. Wie oft allerdings ein feierliches Gelöbnis in der Öffentlichkeit abgehalten werden soll und an welchem Ort oder Platz es stattfinden soll, ({2}) ist eine Frage des politischen Gespürs, der politischen Kultur und der Opportunität. Darüber läßt sich durchaus trefflich streiten. ({3}) Wenn feierliche Gelöbnisse in der Öffentlichkeit stattfinden, dann muß möglicherweise auch damit gerechnet werden, daß gegen diese Gelöbnisse demonstriert wird. In unserem Land - und nicht zuletzt in meiner Partei - gibt es Menschen, Herr van Essen, die den Dienst mit der Waffe ablehnen. Das ist deren gutes Recht, das ebenfalls Verfassungsrang besitzt. Und dies ist auch im Sinne von Herrn Georg Leber, Herr van Essen. ({4}) Unstrittig muß aber in jedem Fall bleiben, daß alle Demonstrationen - ich sage: alle Demonstrationen - gewaltfrei und friedlich stattzufinden haben. ({5}) - Darauf komme ich noch. Die Störungen und gewalttätigen Ausschreitungen gegen das feierliche Gelöbnis in Berlin sind zu verurteilen. Hier gibt es nichts zu relativieren. ({6}) Was aber hier klarzustellen ist, ist die Tatsache, daß von der F.D.P. versucht wird, dieses Gelöbnis sozusagen als Vehikel zu benutzen, um parteipolitische Vorteile zu erzielen. ({7}) Das ist ein unanständiger und untauglicher Versuch, meine sehr verehrten Herren und Damen von der F.D.P. Allein schon das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde desavouiert Ihre wahre Absicht. Es lautet nämlich: „Haltung der Bundesregierung zu den Vorkommnissen bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin". Ich frage Sie: Wer bildet denn diese Bundesregierung? Sind Sie in der Bundesregierung, oder sind Sie es nicht mehr? ({8}) Sie müßten doch die Haltung der Bundesregierung am besten kennen, Herr Westerwelle. Auch die Aussage Ihres eigenen Fraktionskollegen Burkhard Hirsch macht deutlich, wie durchsichtig und fadenscheinig Ihr politisches Manöver bei der Beantragung dieser Aktuellen Stunde wirklich ist. In der „Bonner Rundschau" vom 10. Juni 1996 wird er mit folgenden Worten zitiert: Warum macht man eigentlich eine solch pathos-schwangere Vereidigung im Geiste des 19. Jahrhunderts vor dem Charlottenburger Schloß? In welche Tradition stellt man sich da? Das fragt Ihr eigener Fraktionskollege. ({9}) Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der F.D.P.: Mit dieser Aktuellen Stunde in diesem Hohen Hause werden Sie nicht erreichen, daß es bei künftigen „feierlichen Gelöbnissen" in der Öffentlichkeit zu weniger oder überhaupt keinen Störungen mehr kommen wird - was ich mir wirklich wünschen würde. Sie, meine sehr verehrten Herren und Damen von der F.D.P., betreiben vielmehr eine unangemessene Aufwertung der wenigen Störer in den Medien und in der Öffentlichkeit. War das Ihre Absicht? - Ich hoffe nicht. ({10}) Ich empfehle Ihnen, den Kommentar von Kurt Ki-ster in der „Süddeutschen Zeitung" vom 8. Juni 1996 nachzulesen. Unter der Überschrift „Angst vor dem Vaterland" heißt es - ich zitiere -: Kein übereifriger Minister, kein auf Glorienschein bedachter Bürgermeister sollte Soldaten als Schaufensterpuppen nationalen Gepränges aufmarschieren lassen. ({11}) Ich füge hinzu: Das haben unsere Soldaten - seien es nun Berufs- oder Zeitsoldaten, seien es Grundwehrdienstleistende - wirklich nicht verdient. ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Abgeordnete Jochen Feilcke.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herlr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rekruten der Bundeswehr geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie leisten keinen Amtseid gegenüber ihrem Vorgesetzten, sondern sie geloben gegenüber den Bürgern des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland - also uns allen gegenüber, ob es uns gefällt oder nicht -, auch unter Einsatz ihres Lebens unsere Rechte und unsere Freiheiten zu verteidigen. Unsere Freiheit und unser Recht sind ihnen im Falle eines ernsthaften Konfliktes sogar wichtiger als ihr eigenes Leben. Dieses Gelöbnis gehört in die Öffentlichkeit; es gehört an den öffentlichsten aller öffentlichen Plätze. Frau Wohlleben, die Rekruten, die vor dem Charlottenburger Schloß - übrigens zum erstenmal wirklich öffentlich in Berlin, Sie haben ja von der Häufigkeit gesprochen ({0}) ihr Gelöbnis ablegten, haben sich ihrer Bürgerpflicht nicht entzogen wie diejenigen, die in der Vergangenheit Berlin quasi als eine Fluchtburg wählten. Die haben sich nämlich jeglichem Dienst für die Gemeinschaft entzogen, ({1}) und sie haben das nur tun können, weil unsere Schutzmächte auch ihre Freiheit schützten. Es ist übrigens total irrig, wenn eine Gruppe von Berliner SPD-Abgeordneten - Frau Holzhüter, die gehören zu denen, die auch heute bei dieser Aktuellen Stunde nicht anwesend sind - behauptet, daß in Berlin in der Zeit der Teilung eine kritische Haltung zum Militär und Wehrdienst gewachsen sei. Die Berliner wissen, daß die Soldaten der Alliierten ebenso wie die Soldaten der Bundeswehr im Gegensatz zu den Soldaten der NVA stets auch die Rechte und Freiheiten Andersdenkender geschützt und verteidigt haben. ({2}) Frau Wohlleben, natürlich gehört dazu auch das Recht, gegen ein öffentliches Gelöbnis zu protestieren. Welche Verblödung, welche Menschenverachtung muß wohl bei den einigen hundert herumstreunenden Chaoten vorliegen, ({3}) die das Demonstrationsrecht mit dem vermeintlichen Recht verwechseln, andere - nämlich junge Wehrpflichtige - in ihrer Ehre und ihrer Menschenwürde verletzen und sie als Mörder beschimpfen zu können? ({4}) Beim öffentlichen Gelöbnis handelt es sich nicht um eine Machtdemonstration, um Säbelrasseln, um ein Symbol für Großmachtstreben. Es handelt sich vielmehr um das öffentliche Versprechen von jungen Soldaten, sich für die Gemeinschaft einzusetzen - für eben die Gemeinschaft, die ihnen genau diesen Dienst abverlangt. Wer das bekämpft, will unsere Gemeinschaft, unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat beschädigen. Auch die unsäglichen Einlassungen der Herren Trittin und Ströbele aus dem Vorstand der Grünen zeigen, daß es immer noch Exponenten bei Ihnen gibt, die unverändert Front gegen den Rechtsstaat und seine legitimen Vertreter machen. ({5}) Wie recht hat in diesem Zusammenhang der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Böger, der den Bündnisgrünen Arroganz, Dummheit und Heuchelei bescheinigt. Geradezu empörend ist es, daß sich Teile der Berliner SPD sowie die Landesvorstände von Bündnisgrünen und PDS unter einen gemeinsamen Aufruf „Ja - stören!" stellen. Das Berliner Verwaltungsgericht hat in einem völlig unverständlichen Urteil ({6}) zum Ausdruck gebracht: Die Würde eines öffentlichen Gelöbnisses als Rechtsgut ist unbekannt. - Ich setze dem entgegen: Die Freiheit der Bürger, sich zu jeder Zeit und an jedem Ort zu diesem freiheitlichsten aller Staaten zu bekennen, die es je auf deutschem Boden gegeben hat, muß geschützt werden. Die Wehrpflichtigen dürfen nicht nur in die Öffentlichkeit, wie gelegentlich gnädig formuliert wird; sie müssen, wie ich finde, herausgestellt werden. ({7}) Denn sie leisten einen Dienst, der mit erheblichen Risiken verbunden ist. Sie nehmen Einschränkungen ihrer Bürgerrechte und unter Umständen ihrer Unversehrtheit in Kauf. Sie gehören nicht zu denen, die sich aus mehr oder weniger guten Gründen für den Ersatzdienst entscheiden oder sich drücken. Als Berliner Abgeordneter erkläre ich: Erstens. Das öffentliche Gelöbnis am 31. Mai 1996 konnte in allen einzelnen Programmpunkten ohne unmittelbare Beeinträchtigung des gesamten Verlaufes durchgeführt werden. ({8}) Zweitens. Die Berliner Polizei konnte trotz der vom Verwaltungsgericht ermöglichten sogenannten Gegenveranstaltung die Sicherheit der mehreren tausend Gäste durchgehend gewährleisten. Dafür danke ich allen eingesetzten Beamten und bekunde insbesondere den neun Verletzten unter ihnen unsere Solidarität. ({9}) Drittens. Die überwältigende Mehrheit der Berliner steht zur Bundeswehr. Die Störer sind verirrte Gestalten aus der Anarchoszene, die aus allen Teilen Deutschlands angereist sind. ({10}) Jochen Feilcke Mit eindrucksvoller Mehrheit hat der Deutsche Bundestag beschlossen, Soldaten der Bundeswehr zu friedensschaffenden und friedenssichernden Einsätzen nach Bosnien-Herzegowina und Kroatien zu entsenden. Die Friedenskräfte der Bundeswehr gehören in die Öffentlichkeit. Wir alle sollten sie dabei unterstützen. Je mehr sich unsere Soldaten in der Öffentlichkeit zeigen, desto mehr wird verstanden, daß unsere Bundeswehr die Armee der Demokratie ist. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Abgeordnete Gerald Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe den Eindruck - wenn Sie mir für einen Moment Ihre Aufmerksamkeit leihen wollen -, ({0}) daß wir hier eine ausgesprochen skurrile Debatte führen, die sich in diesen „running gag" der F.D.P. einreiht, wann immer irgendwo Menschen in diesem Land demonstrieren und es öffentliche Auseinandersetzungen gibt - ich sage Ihnen, daß Berlin schon ganz andere Auseinandersetzungen als diese erlebt hat -, eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu verlangen, zu dem Thema: Haltung der Bundesregierung zu den Auseinandersetzungen in Gorleben, in Gundremmingen, in Berlin usw. ({1}) Welches Demokratieverständnis haben Sie, Herr van Essen und Herr Westerwelle? Das Gelöbnis in Berlin ist eine Frage der Demokratie in diesem Lande, auch des Parlaments. Aber die Formulierung „Haltung der Bundesregierung" finde ich nun ausgesprochen lächerlich. ({2}) Was Sie zur Sache gesagt haben, ist, mit Verlaub, ausgesprochen dünn. Ich gebe offen zu: In solchen Auseinandersetzungen wird manches Unkluge und manches Falsche gesagt, ({3}) auch manches, was ich empörend finde. Ich stehe dann nicht an, mich davon zu distanzieren. Die Formulierung in dem Zitat von Christian Ströbele, das Sie gebracht haben, „abrichten" , lehne ich ab. Das sage ich ganz deutlich. ({4}) Nur, daß bei der Bundeswehr - darum ging es ja in dem Zitat - das Töten geübt wird, das können und sollten wir nicht leugnen. Es ist ein selbstverständliches Recht in diesem Staat - in Art. 4 Nr. 3 des Grundgesetzes niedergelegt; Sie wissen das -, dieses zu verweigern. Das heißt: Man darf auch öffentlich dagegen kämpfen. Das ist ein selbstverständliches Recht in unserem Staat. Ich frage mich manchmal: Wo steht eigentlich die F.D.P. heute, wenn sie nicht mehr für diese selbstverständlichen Rechte eintritt, auch nicht mehr für öffentliche Auseinandersetzungen, für das Lebenselixier der Demokratie? Wenn die F.D.P. im Grunde nur noch nationalen Weiheveranstaltungen huldigt, dann frage ich mich: Welcher Flügel hat sich denn bei Ihnen durchgesetzt? ({5}) Wenn wir über das Gelöbnis in Berlin reden, dann will ich Ihnen, Herr van Essen, sagen: Die Bundeswehr war - das wissen wir alle - 40 Jahre in Berlin nicht anwesend. Sie ist jetzt dorthin zurückgekehrt. Wenn man zurückkehrt und ein gutes Verhältnis zu den Berlinern aufbauen will, dann haut man nicht auf den Putz, daß die Wände wackeln, sondern versucht, sich mit den Menschen in einer vernünftigen Weise so zu arrangieren, daß Vertrauen in den demokratischen Charakter dieser Armee entstehen kann. ({6}) Ich glaube, daß wir den Soldaten der Bundeswehr überhaupt keinen Gefallen tun, wenn wir sie in derartige öffentliche Machtdemonstrationen schicken. Übrigens tun wir auch den Polizisten keinen Gefallen damit, die in solchen Situationen immer ihren Kopf hinhalten müssen. Es hätte sehr viel bessere Wege gegeben, als vor der Kulisse eines preußischen Schlosses in Berlin den sogenannten Platzhalteranspruch aufzubauen. Ich hoffe - es heißt hier: „Haltung der Bundesregierung" -, daß die Bundesregierung aus der Geschichte lernt und anfängt, eine demokratische Armee in einem demokratischen Staat entsprechend auftreten zu lassen. Ich glaube, das wäre auch vielen Rekruten lieber. ({7}) - In der Öffentlichkeit, natürlich. Das „Zurück in die Kasernen! " halte ich für Humbug. Die Armee gehört in die Öffentlichkeit. ({8}) Aber das heißt nicht, daß wir derartige Weiheveranstaltungen brauchen, schon gar nicht an diesem Ort. ({9}) Sie kennen doch diesen absurden Streit: Die Bezirksverwaltung hat darum gebeten, diese Veranstaltung nicht auf der historischen Grünfläche vor dem Schloß, sondern auf dem Parkplatz durchzuführen. Aber die Bundeswehr hat gesagt, das gehe nicht; die Veranstaltung müsse vor dem Schloß stattfinden. - Das ist doch kindisch! ({10}) So, kommen wir doch nicht weiter. Ich will Ihnen noch mal deutlich sagen: Zur Demokratie gehört die Verteidigung der Bürgerrechte. Zu den Bürgerrechten gehören friedlicher Protest, auch öffentliche Äußerungen von Unmut. Sie alle erinnern sich an das seinerzeitige Urteil des Amtsgerichts München, nach dem öffentlicher Unmut, Pfeifen und Protest keinen Straftatbestand darstellen können - zumal bei Veranstaltungen, bei denen öffentlicher Jubel geradezu erwünscht ist. Da gibt es also keine Bürgerpflicht. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin heißt es - Herr Feilcke hat sie eben als unverständlich bezeichnet; daraus kann ich nur schließen, daß er sie nicht verstanden hat; deshalb zitiere ich daraus -: Zu berücksichtigen ist bei der Entscheidung auch, daß die Bundeswehr, wenn sie in die Öffentlichkeit geht, um diese bewußt zu einer wirkungsvollen Darstellung nach außen zu nutzen, damit rechnen muß, daß Kritiker dieser Selbstdarstellung ihre Einwände am selben Ort ebenfalls öffentlich zu erkennen geben. Der öffentliche Straßenraum ist, solange - wie hier - die Öffentlichkeit nicht aufgehoben ist, das Forum aller, die ihn in befugter Weise benutzen. Die Bundeswehr kann nicht beanspruchen, das Gelöbnis auf einem öffentlichen Platz vor einem ihr wohlgesonnenen oder wenigstens meinungsindifferenten Publikum durchzuführen. So ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn Sie allmählich anfangen, diese Aufgeregtheiten abzulegen und mit uns gemeinsam a) für eine demokratische Armee, für friedliche Darstellung nach außen und nicht für so ein Brimborium einzutreten und b) dafür einzutreten, daß die Grundrechte in diesem Land verteidigt und ausgeübt werden dürfen, dann haben wir Sie wieder auf unserer Seite. Wenn Sie aber dem nationalliberalen Flügel huldigen und die Bürgerrechte mit Füßen treten wollen, kann ich nur sagen: Ade, F.D.P.! Es gab einmal eine Bürgerrechts- und Demokratiepartei. Es ist schade, daß sie sich mittlerweile in der Mitte des Hauses bewegt und nicht mehr ganz rechts, wo sie im Moment sitzt. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Manfred Müller das Wort.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach meinem Verständnis hatte das Verhalten der F.D.P. bisher etwas mit dem Protest des Bürgertums gegen den preußischen Obrigkeitsstaat von 1848 zu tun. ({0}) Aber das, was Herr van Essen hier heute abgegeben hat, war das Bild einer Partei, die nach mehr Obrigkeitsstaat ruft und die etwas dagegen hat, ({1}) daß Demokraten auch auf die Straße gehen, um ihre Meinung dort deutlich zu machen. ({2}) Herr Feilcke, Ihre Sprache ist wirklich verräterisch. ({3}) Sie reden von „herumstreunenden Chaoten" ; Sie reden von „verirrten Gestalten" - und meinen Demonstranten? ({4}) Sie haben Herrn Ströbele hier im Parlament einen Terroristen genannt. ({5}) - Nein, das haben Sie nicht gesagt. ({6}) Das ist Ihre Sprache. Das scheint auch die Sprache zu sein, mit der der neue Berliner Innensenator Schönbohm - ({7}) - Nein. Das wird möglicherweise aus dem Protokoll hervorgehen. Ich habe es so gehört, daß Sie gesagt haben, Herr Ströbele sei ein Terrorist. Aber das können wir klären. Ich meine, es ist beschämend, was von den Koalitionsfraktionen geboten wird. Wenn nach fünf Jahren deutscher Einheit schon jedes Gefühl für politische Signale verlorengegangen ist und Ihnen nichts anderes mehr einfällt - und das in einem Land, in dem das Militär schon immer eine besondere Rolle gespielt hat und in dem besondere Sensibilität gegenüber unseren Nachbarn und der Bevölkerung notwendig ist -, dann weiß ich nicht, wie es in der Hauptstadt Berlin weitergehen soll. Wenn Herr Schönbohm davon spricht, daß Berlin ohne Gelöbnisse nicht hauptstadtfähig werde, dann weiß ich nicht, welche Rolle diese Hauptstadt in Zukunft einnehmen soll. Ich behaupte, das öffentliche Zurschaustellen von Militär ist nicht nur höchst unzeitgemäß. Es zeugt von falsch verstandener SouveManfred Müller ({8}) ränität und schadet dem Ansehen dieses Staates bei seinen Nachbarn in Europa und in der Welt. ({9}) Es hätte dieser Bundesregierung, die im Zweiplus-Vier-Vertrag die Verpflichtung eingegangen ist, daß von deutschem Boden nur noch Frieden ausgehen wird, ({10}) gut angestanden, andere Signale über ihre Außen- und Sicherheitspolitik auszusenden als gerade jene, die von diesem militärischen Spektakel ausgehen. Denn was vor dem scheinbar unverdächtigen Charlottenburger Schloß unter der Losung, Normalität durchsetzen zu wollen, ablief, entlarvt sich selbst. Es spiegelt ein archaisch-feudales Politikverständnis wider. Wenn es dafür eines Beweises bedurfte, so ist es die Behauptung - die auch heute hier wieder aufgestellt wurde -, Wehrpflicht und Gelöbnis seien demokratische Errungenschaften Preußens gewesen, Friedrich Wilhelm III. brauchte damals Kanonenfutter. Damit sollte die Staatlichkeit Preußens gestärkt und sein imperiales Eingreifen nach außen ermöglicht werden. Auch das Gelöbnis in Berlin dient der öffentlichen Verklärung von Soldatentum und militärischer Gewalt. Indem man es auf die nationale Bühne der Hauptstadt hebt, soll der Öffentlichkeit Militär als normales Mittel der deutschen Außenpolitik in das Bewußtsein eingeträufelt werden. Außerdem reiht sich dieses Spektakel in einen ganzen Werbefeldzug ein, den die Bundesregierung seit geraumer Zeit für die Bundeswehr veranstaltet. Ich nenne nur den Großen Zapfenstreich im Oktober 1995 in Bonn oder die peinliche Bundestagsdebatte über den sogenannten Ehrenschutz für Soldaten. Ich sage Ihnen, was Sie antreibt. Mit solchen Schritten soll ein günstiges Klima für Militäreinsätze im Ausland geschaffen werden. Minister Rühe hat das ungeschminkt erklärt. Zweck ist es, die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten. Vor diesem Hintergrund kann man es nur als Skandal bezeichnen, daß die Deserteure des letzten Weltkrieges bisher noch niemals öffentlich gewürdigt worden sind, von Rehabilitierung ganz zu schweigen. Selbst dieses Parlament hat es nur zu fast mitternächtlicher Stunde gewagt, das Thema der Wehrmachtsdeserteure anzusprechen. Ich kann nur sagen: Wie gut, daß es noch Menschen gibt, die die Verherrlichung des Militärs nicht hinnehmen und mutig und ohne Gewalt dagegen protestieren. Wie gut, daß es vor allem junge Menschen sind, die sich von diesem Männlichkeitsritual offensichtlich nicht beeindrucken lassen. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Bernd Wilz.

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir von meinem Vorredner gehört haben, das hat mich, was Preußen angeht, an DDR-Indoktrination erinnert. ({0}) Ich hätte mir nur gewünscht, daß dieser Unrechtsstaat DDR halb soviel Toleranz aufgebracht hätte, wie es die Preußen gelehrt haben. ({1}) Ich erinnere daran, daß Scharnhorst einer der geistigen Väter der Bundeswehr ist; wir haben das im letzten Jahr gebührend gewürdigt. Scharnhorst hat sich durch Zivilcourage, durch Mut, durch den Gedanken der Landesverteidigung und der Wehrpflicht ausgezeichnet. Ich finde, das ist vorbildlich. ({2}) Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, den vielen Bürgerinnen und Bürgern und auch denjenigen hier im Parlament zu danken, die im Zusammenhang mit dem Gelöbnis von Berlin ihre Solidarität, ihren Dank und ihre Unterstützung gegenüber unseren Soldaten zum Ausdruck gebracht haben. Ich fand und finde das großartig. ({3}) Trotz der Ausführungen meiner beiden Vorredner will ich hier aber ganz klar sagen, daß es nach meiner Einschätzung in Wahrheit in vielen sicherheits- und außenpolitischen Fragestellungen doch einen erfreulichen Grundkonsens gibt. Darüber bin ich, auch im Interesse unserer Soldaten, froh. Diese neue Einmütigkeit - dies hat auch der Beschluß zu Kroatien/ Bosnien-Herzegowina gezeigt - hinsichtlich der Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und die Rolle der Bundeswehr kann durch einige wenige Demonstranten in Berlin nicht erschüttert werden, auch nicht durch die Querelen im Vorfeld. Ich glaube, wir sollten lieber nach dem Motto verfahren: Wer die Zukunft auf seiner Seite weiß, kann dem Wort der Gestrigen gelassen lauschen. ({4}) Wer - hören Sie genau hin - von einer angeblichen „Wiederaufnahme einer militaristischen Tradition", von einer „Verherrlichung" und „Verklärung" des Militärs spricht, hat von unserer Armee in der Demokratie nichts, aber auch gar nichts verstanden. ({5}) Wer ein öffentliches Gelöbnis gar als „perverses Ritual" bezeichnet, vergreift sich im Ton. ({6}) Diese Leute nennen sich zwar gern Pazifisten, in Wahrheit sind sie verbale Gewalttäter und Rufmörder. ({7}) Mit Säbelrasseln und Militarismus hat unsere Bundeswehr nichts zu tun. Darauf hat Bundespräsident Herzog in Berlin zu Recht in sehr klaren Worten hingewiesen. Die Botschaft des öffentlichen Gelöbnisses von Berlin lautet vielmehr: Die Bundeswehr gehört in unsere Mitte. Sie ist integraler und unverzichtbarer Bestandteil unserer demokratischen Ordnung - einer Ordnung, die ihre äußere Sicherheit wesentlich unseren Soldaten verdankt. Die Soldaten sind Bürger in Uniform. Mit ihrem Gelöbnis versprechen sie, die Freiheit und das Recht von uns allen zu verteidigen. Wir legen unseren Schutz in ihre Hände. Sie haben aber auch ein Recht auf unsere Unterstützung und unsere Anerkennung. ({8}) Bei einem Gelöbnis in der Öffentlichkeit bezeugen die Bürgerinnen und Bürger die Bedeutung und Würde dieses feierlichen Versprechens, und sie zeigen mit ihrer Anwesenheit unseren Soldaten, daß sie auf die Zustimmung und den Rückhalt der Öffentlichkeit von Politik und Bevölkerung setzen können. ({9}) Wer unsere Soldaten hinter die Kasernentore verbannen will, schiebt sie ab in Isolation und Ausgrenzung. Er fördert das, was wir alle verhindern wollen, nämlich eine Armee, die sich zum Staat im Staate entwickeln könnte. ({10}) Wir wollen keine Bunkermentalität, sondern eine bürgernahe, transparente Armee in unserer Mitte. ({11}) Zum erstenmal in unserer Geschichte stehen Demokratie und Rechtsstaat, die Werte von Freiheit und Menschenwürde uneingeschränkt im Einklang mit dem militärischen Selbstverständnis. In Bosnien beweist unsere Bundeswehr Tag für Tag, daß sie einsteht für die Werte unserer Verfassung, daß sie da ist für Menschen in Not und daß sie bereit ist, den Frieden zu unterstützen, den Frieden zu halten und Frieden zu schaffen. Unsere Soldaten nehmen dafür Risiken und Gefahren auf sich. Sie tun das ganz bewußt; denn sie wissen, sie dienen der Humanität. Nun ein Wort zu Berlin: Berlin ist die Stadt der Freiheit und der Einheit. Die Bundeswehr ist die Armee der Freiheit und der Einheit. Deshalb paßt ein feierliches Gelöbnis der Bundeswehr besonders gut in die Öffentlichkeit der deutschen Hauptstadt. ({12}) Berlin war 45 Jahre lang wie kein anderer Ort den Stürmen des Ost-West-Konfliktes ausgesetzt. Die Berlin-Blockade von 1948, der 17. Juni 1953, Chruschtschows Berlin-Ultimatum - allein diese Daten rufen in Erinnerung, daß gerade die Berliner ihre Freiheit der Anwesenheit von Soldaten verdanken, Soldaten unserer Verbündeten, die mutig und entschlossen waren, unsere Demokratie, unsere Freiheit und unseren Frieden zu verteidigen, und zwar Seite an Seite mit unserer Bundeswehr. Die Bundeswehr wird auch weiterhin in Berlin und anderswo öffentliche Gelöbnisse abhalten. ({13}) Unsere jungen Wehrpflichtigen haben es nicht verdient, beschimpft, verhöhnt oder ins Abseits gedrängt zu werden. Im Gegenteil, sie verdienen die Achtung und den Dank von uns allen, vom gesamten deutschen Volk. ({14}) Wir brauchen unsere Wehrpflichtigen. Ohne sie und ohne die Reservisten kann die Bundeswehr auch in Zukunft ihre Aufgaben nicht erfüllen. Die Wehrpflichtigen repräsentieren einen Querschnitt der Fähigkeiten und Qualifikation der jungen Generation. Sie und die Reservisten sind vielfach unentbehrliche Spezialisten in vielen Funktionen. Deshalb auch ist die Wehrpflichtarmee die intelligente Armee, und wir sind stolz auf diese Armee. ({15}) Unsere Verantwortung für die Stabilität in Europa verlangt, daß die Bundeswehr für den Fall der Fälle - den keiner will - mobilmachungs- und verteidigungsfähig ist. Das geht nur mit Wehrpflichtigen und gut ausgebildeten Reservisten. Die Wehrpflichtigen prägen die Führungskultur in den Streitkräften. Sie halten die Bundeswehr jung und vital. Sie sorgen dafür, daß die Bundeswehr nicht nur Teil des Staates, sondern lebendiger Teil des Volkes ist und bleibt. Meine Damen und Herren, was mir besonders wichtig erscheint: Wehrdienst hat Verfassungsrang und hohe politische und moralische Qualität. Die Wehrpflicht ist Ausdruck der Bürgerverantwortung in unserer freiheitlichen Demokratie. Wehrdienst ist die allgemeine Regel, Kriegsdienstverweigerung die geschützte Ausnahme im Einzelfall, wenn wirklich Gewissensgründe vorliegen. ({16}) Diese Maßstäbe müssen im öffentlichen Bewußtsein, in Schulen und Kirchen, in Jugendorganisationen und in der Ausbildung, in Gewerkschaften und auch bei allen Parteien wieder zurechtgerückt werden. Alle, die politisch und pädagogisch Verantwortung tragen, müssen wieder stärker deutlich machen, welche Prioritäten die Verfassung vorsieht. ({17}) Der Bundespräsident hat in Berlin gesagt: „Die Politik hat eine Fürsorgepflicht für unsere Streitkräfte. Die besondere Aufgabe, zu der wir unsere Soldaten verpflichten, legt uns auch eine besondere Verantwortung auf. " Die heutige Debatte ist Ausdruck dieser Verantwortung, und ich bin dankbar für diese Aktuelle Stunde. Aber die Solidarität endet nicht an den Türen dieses Hauses. Sie ist gerade dann gefragt, wenn unsere Soldaten im täglichen Alltag die Rückenstärkung brauchen, die ihnen zusteht. Auch hier braucht die Bundeswehr unsere Unterstützung. Ich finde, sie hat ein Recht darauf. Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort erhält der Abgeordnete Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Dienst in der Bundeswehr erfüllt den Auftrag unserer Verfassung, dem Frieden in der Welt zu dienen. Der Dienst in der Bundeswehr ist Friedensdienst. Die Bundeswehr ist eine Armee mitten in unserer demokratischen Gesellschaft. Sie ist eine Armee ohne Feindbilder, sie ist eine Armee ohne Haß. Ihr Auftrag ist Kriegsverhinderung und nicht Kriegführung. Die Bundeswehr steht für ein demokratisches und weltoffenes Deutschland, für die Achtung und Verteidigung der Menschenrechte und für den Wunsch nach Frieden in Europa und in der Welt. ({0}) Deshalb, meine Damen und Herren, ist es auch richtig, die Bundeswehr eben nicht in Kasernen zu verstecken, wie wir das heute wieder gehört haben, sondern ihre Stellung als in der Gesellschaft verankerte Armee immer wieder zu manifestieren. Dies wird eben auch durch die Form des Gelöbnisses in der Öffentlichkeit getan, und ich zitiere hier den Kollegen Gerhardt, wenn ich sage: auf allen Plätzen dieser Demokratie. Auch hier wird der hohe Stellenwert der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee unterstrichen. Meine Damen und Herren, auch Grundwehrdienstleistende treffen eine Gewissensentscheidung, ebenso wie die längerdienenden Zeit- und Berufssoldaten. Meine Damen und Herren, der Staat erteilt den Auftrag, Soldaten müssen notfalls Leib und Leben einsetzen. Gerade auch hieraus ergibt sich die besondere Verantwortung des Staates für eine zielgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik, die dem Frieden verpflichtet ist. Die F.D.P. trägt seit Jahrzehnten mit ihren Außenministern Verantwortung für die berechenbare und vorausschauende Friedenspolitik unseres Landes. Dies wäre ohne den Beitrag der Soldaten der Bundeswehr so nicht möglich gewesen. ({1}) Die Bundeswehr muß aber auch die Mittel und die Unterstützung erhalten, die sie für die Erfüllung ihres Auftrages braucht. Dies sind wir nicht irgendeiner abstrakten Organisation schuldig, sondern den Soldaten und ihren Familienangehörigen. Ich sage: Wir Freien Demokraten bekennen uns zu öffentlich durchgeführten Gelöbnissen. Menschen aus unserer Mitte leisten der Allgemeinheit einen bedeutenden Dienst. Deshalb gehören Sie eben auch in unsere Mitte gerade dann, wenn sie feierlich geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Ich sage hier, meine Damen und Herren: Es ist für uns beschämend, wenn diese Veranstaltungen durch die Polizei vor Randalierern - ich betone ausdrücklich: vor Randalierern - geschützt werden müssen. Verwerflich ist es auch, wenn es Kolleginnen oder Kollegen gibt, die sich zwar hier als Pazifisten gebärden, sich aber nicht eindeutig von gewalttätigen Krawallmachern distanzieren. ({2}) Hier spreche ich auch Kolleginnen und Kollegen aus der PDS und aus der Grünen-Fraktion an. Meine Damen und Herren, auch die Wortwahl, die Sie treffen, verrät zum Teil eine derart zweifelhafte Einstellung immer wieder. Da wird die angebliche „Zurschaustellung von Macht" kritisiert. Da wird von „Relikten autoritärer vordemokratischer Gesellschaft" gesprochen, zum Beispiel von SPD-Abgeordneten, und es ist die Rede von „feudalistisch perversen Ritualen" , oder es heißt gar, Soldaten würden „zum Töten abgerichtet". Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal das, was Kollege van Essen dazu gesagt hat: Diese Aussage des Sprechers der Grünen ist entlarvend; sie ist menschenverachtend; und wir verwahren uns auch dagegen, daß gewalttätige Chaoten aus dem Schutz einer Menschenmenge heraus immer wieder Steine und Flaschen werfen konnten und daß es auch in Berlin wieder zu „Mörder! Mörder!" -Rufen gekommen ist. Hier wird das Verhältnis zu den Werten unseres Grundgesetzes und unserer Demokratie in Frage gestellt. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Bundespräsidenten, daß er in Berlin bei dieser Gelöbnisfeier gesprochen hat. ({3}) Herr Kollege Häfner, ich würdige auch ausdrücklich, daß Sie sich hier an diesem Pult eindeutig von den Aussagen des Herrn Ströbele distanziert haben. ({4}) Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß Sie dies getan haben. Meine Damen und Herren, ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an unser Grundgesetz, das an zentraler Stelle festhält: Die Würde des Menschen ist unantastbar. ({5}) Ich denke, dies gilt auch für unsere Soldaten. Frau Kollegin Wohlleben, ich spreche auch Sie noch einmal direkt an. Wir haben diese Aktuelle Stunde hier beantragt, weil wir es als Rechtsstaatspartei nicht hinnehmen, ({6}) wie mit Menschenwürde junger Menschen umgegangen wird. Herr Kollege Fischer, Sie können auf Grund Ihrer Zwischenrufe eines von mir noch mit auf den Weg nehmen. ({7}) Sie sind die personifizierte Sprechblase. Sie müssen nur allmählich aufpassen, daß Sie nicht platzen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort bekommt der Abgeordnete Peter Zumkley.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gelöbnis in Berlin hat junge Wehrpflichtige als unsere Staatsbürger in Uniform in den Mittelpunkt einer öffentlichen feierlichen Veranstaltung gestellt. Ich finde, zur Frage über den Ort hat meine Kollegin Wohlleben in bedenkenswerter Weise etwas ausgeführt. Damit muß man sich auch auseinandersetzen. In Berlin hätte man auch mit dem Bendlerblock oder der Gedenkstätte Plötzensee beginnen können. ({0}) Im Prinzip, Herr Kollege, muß ich aber sagen, daß natürlich die Bundeswehr bei uns überall in die Öffentlichkeit treten kann. ({1}) - Richtig, Herr Kollege Fischer. Es ist doch völlig klar, daß unsere demokratisch verfaßte Bundeswehr Teil unserer Gesellschaft ist. Dabei haben gerade Sozialdemokraten bei ihrer Aufstellung und Entwicklung maßgeblich mitgewirkt. Wir sollten deshalb ein besonderes Interesse haben, die Herstellung von Öffentlichkeit der Bundeswehr, wo immer möglich, zu fördern; denn nur dann haben engagierte Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit der Kontrolle und Teilhabe und somit die Gelegenheit zu hören, was militärische Führer oder andere Redner den Wehrpflichtigen zu ihrem Dienst sagen. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß viele daran interessiert sind. Ich verbinde die Bundeswehr mit dem Gedanken an Frieden und Freiheit, nicht mit preußischem Militarismus. Wer die Bundeswehr auch mit ihren Formen der Darstellung mit preußischem Militarismus vergleicht, hat weder von der Bundeswehr noch von preußischem Militarismus Ahnung. ({2}) Gerade deshalb sollten alle die, für die Demokratie, Freiheit und Friede eine Bedeutung haben, die Möglichkeit haben, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Im Gegensatz zu totalitären Staaten, in denen die Armeen vom Volk abgeschottet werden, ist in unserer Demokratie die Bundeswehr Teil des Staates. Sie ist Parlamentsheer. Daher ist es erforderlich, daß ihr Tun und Handeln öffentlich wird, und das schließt selbstverständlich ein, daß das im übrigen gesetzlich verankerte Gelöbnis der Soldaten gelegentlich, meine Damen und Herren, öffentlich und nicht hinter der Kasernenmauer vonstatten geht. ({3}) Dabei kann man, meine Damen und Herren, mit dem Kopf durch die Wand gehen oder Verhältnismäßigkeit des Aufwandes und dergleichen beachten. Ich bin für letzteres. ({4}) Es wird häufig eingewandt, daß Beamte, Polizisten oder Feuerwehrleute auch nicht öffentlich vereidigt werden. Das trifft zu. Zur Klarstellung für die Öffentlichkeit: Dies trifft auch für die Zeit- und Berufssoldaten zu. Sie werden ebenfalls nicht öffentlich vereidigt. Der zum Dienst verpflichtete Wehrdienstleistende, der nicht vereidigt wird, sondern ein Gelöbnis ablegt, ist damit mit keiner anderen Berufsgruppe vergleichbar. ({5}) Über die Frage, ob ein öffentliches Gelöbnis oder ein Gelöbnis von Wehrpflichtigen zeitgemäß - was immer das heißt - ist oder nicht, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Siehe auch die Diskussion in Berlin. Aber zum Demokratieverständnis gehört für mich auch die Übung von Toleranz. Bei uns sind vielfältige Demonstrationsmöglichkeiten selbstverständliches Recht. Über eine Teilnahme entscheiPeter Zumkley det jeder Bürger selbst. Niemand wird zur Teilnahme gezwungen. Die Bundeswehr hat nach meiner Auffassung die Pflicht und auch das Recht, aus vielen unterschiedlichen Anlässen in die Öffentlichkeit zu treten. Für Demonstrationen mit Störungen und Gewalt gegen derartige Veranstaltungen, ob man sie mag oder nicht, habe ich kein Verständnis. ({6}) Es zeugt von undemokratischer Haltung und mangelnder Fähigkeit zur sachlichen und friedlichen Auseinandersetzung. Auch die völlig abwegigen, ja rechtswidrigen „Mörder!"-Rufe gehören in diese Kategorie. Insbesondere den Angehörigen der Bundeswehr sage ich, sich nicht in ihrem Verfassungsauftrag beirren zu lassen und weiterhin bereit zu sein, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen. Das schließt auch alle Widersacher ein. Die Schreier und Gewalttäter - hierzu zähle ich ausdrücklich pauschal nicht die, die friedlich demonstriert haben, ich sehe auch niemanden in diesem Hause, der das begrüßt ({7}) möchten allerdings den Eindruck erwecken, als ob die Bürgerinnen und Bürger in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht zur Bundeswehr stehen würden. Das ist, wie wir alle wissen, nicht der Fall. Die Buh-Rufe entsprechen weit überwiegend nicht der Auffassung unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Buh-Rufer sind nicht deren Vertreter. Trotzdem, Herr van Essen, ist es notwendig, den Dialog gerade über sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen mit diesen kritischen Leuten zu führen. Das wäre besser gewesen als diese Aktuelle Stunde, die ein wenig Vorführungscharakter haben sollte. Sie ist Ihnen aber heute mißlungen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß. Ich möchte unserem Bundespräsidenten dafür danken, daß er in Berlin vor aller Öffentlichkeit zu den Wehrpflichtigen und zur Bundeswehr so gesprochen hat, wie er es auch vor anderen Berufsgruppen, Verbänden und Organisationen tut.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Kollege. Sie müssen zum Schluß kommen. Sie haben noch einen Satz.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme jetzt zum Schluß. Mein letzter Satz: Nach meiner Auffassung war das eine sehr zutreffende und bewährend des öffentlichen Gelöbnisses in Berlin. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Scholz.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist richtig und notwendig gewesen. Das, was in Berlin am 31. Mai passiert ist, ist von einer beschämenden Wirkung auf das Inland, auf unsere Demokratie, aber auch auf das Ausland. Herr Zumkley, obwohl ich Ihrer Rede durchgehend zustimmen kann, muß ich fragen: Wer hat in diesem Land schon solche Gewalttätigkeiten Flaschen, Steine und Leuchtspurmunition auf Rekruten geworfen - erlebt? Wer hat bisher erlebt, daß auf unseren Bundespräsidenten, auf unser Staatsoberhaupt, mit Leuchtspurmunition geschossen worden ist? Dazu vermisse ich ein deutliches Wort von der Opposition. Man kann das, was geschehen ist, nicht einfach herunterspielen. Es ist nicht nur die Bundeswehr, es sind nicht nur die Rekruten, denen bitteres Unrecht angetan worden ist. Dies ist auch gegenüber unserem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, geschehen. Ich erwarte von der Opposition, daß sie sich hierzu deutlich äußert und davon distanziert. ({0}) - Ja, das erwarte ich. Ich denke, das stünde Ihnen gut an. Ich weiß, die SPD tut sich in dieser Frage äußerst schwer. Das beginnt mit dem Bezirksamtsbeschluß der grün-roten Koalition in Charlottenburg. Sie unterstehen sich nicht, ein öffentliches Gelöbnis verbieten zu wollen. Das geht im Abgeordnetenhaus von Berlin weiter, in dem 26 von 55 Abgeordneten der SPD gegen das öffentliche Gelöbnis gestimmt haben. Ich frage mich, ob nicht die Bundestagsfraktion der SPD auch dazu einmal ein Wort verlieren sollte. Herr Zumkley, das hätte ich von Ihnen erwartet. Vielleicht wird Herr Höfer etwas dazu sagen, ich hoffe das. Ich habe noch das Geschrei hier im Ohr: 92 Festnahmen, darunter zwei Abgeordnete der PDS aus dem Berliner Abgeordnetenhaus unter dem Tatverdacht der schweren Körperverletzung und des Widerstands gegen die Staatsgewalt. ({1}) Auch das, meine Damen und Herren, gehört zu den Ereignissen vom 31. Mai, und auch das ist etwas, was wir sehr deutlich nicht nur zur Kenntnis zu nehmen haben, sondern eindeutig in diesem Haus in der Gemeinschaft von Demokraten zu verurteilen haben. ({2}) Die Bundeswehr gehört in unser Land, sie gehört zu unserem Land, sie steht für unser Land. ({3}) Sie steht für jeden Bürger. Jeder Bürger muß dieses, selbst wenn er anderer Meinung ist, respektieren. Das mindeste ist, das zu respektieren. Es besteht überhaupt kein Zweifel: Jedermann hat das Recht zu demonstrieren. Das ist ein Verfassungsrecht. Aber das, was unsere Soldaten leisten, ist eine Verfassungspflicht, die sie für jeden in unserem Lande leisten, für die sie einstehen, für die sie im Ernstfall sogar - es ist der einzige Beruf in unserem Lande, der das erfordert - ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Dann stimmen diese Gewalttäter ein entsetzliches „Mörder! "-Geschrei, wie wir es hier in Bonn anläßlich des Zapfenstreichs bereits erlebt haben, an und schmeißen Steine, Flaschen und Leuchtspurmunition. ({4}) - Ich vermische überhaupt nichts. Aber Sie können sich dazu ja äußern, und ich erwarte eine Äußerung; das habe ich deutlich gesagt. Die SPD hat sich heute wieder mit Beifall, aber auch in Worten zu Georg Leber bekannt. Ich kann nur sagen: Georg Leber gehört zu den Vätern der Bundeswehr. Ich glaube, alle Demokraten hier im Hause schätzen, danken und verehren Georg Leber. Für mich gilt das ganz persönlich auch. ({5}) Mit den Augen Georg Lebers, wie es hier gesagt worden ist, müssen die Vorfälle gesehen und gewertet werden. Ich denke, die SPD tut gut daran, wenn sie einmal mit den Augen Georg Lebers hier Position bezieht. ({6}) - Aber die Genossen sind dabeigewesen. Natürlich, die Genossen sind dabeigewesen. Das ist das Problem. Zugegeben, es ist eine schwierige Runde für Sie; das ist ganz unbestreitbar. ({7}) Aber, meine Damen und Herren, Sie haben ja die Chance, vor diesem Hohen Haus das zurechtzurükken, was Sie mitzuverantworten haben. Dazu sind Sie in entschiedener Weise hier in dieser Aktuellen Stunde aufgefordert. Vielen Dank. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Zurufe sind ja erlaubt und möglich. Aber wenn Sie hier eine Zwischenrede halten wollen, dann müssen Sie mit Ihrer Fraktionsführung ins klare kommen, ob Sie sich zu Wort melden dürfen. ({0}) Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gerd Höfer.

Gerd Höfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Vorredner, ich kann zwar nicht mit den Augen Georg Lebers sehen. Ich kenne ihn relativ gut, weil er nebenan wohnt. ({0}) - Herzlichen Dank, daß Sie mich daran erinnern. Das stärkt meine Souveränität in dem Vortrag, wenn Sie das meinen, was man bei der Bundeswehr als Reserveoffizier lernen kann. Unter anderem die Souveränität kann man lernen; die Bundeswehr ist voll von solchen Leuten. - Ich kann zwar nicht mit den Augen Georg Lebers sehen; ich kann aber möglicherweise etwas so sehen wie er. Nur eines, sehr verehrter Herr Kollege, müssen Sie der SPD-Fraktion schon zubilligen: daß sie ihre eigene Sprache wählt. Die Sprache, die die SPD-Fraktion mit ihren Vorrednerinnen und ihrem Vorredner gesucht hat, war eindeutig und deutlich gegen chaotische Zustände, gegen einzelne Störer und gegen Gewalttäter gerichtet. ({1}) So ist es überhaupt kein Problem, hier zu wiederholen - Sie wollten ja gerne, daß das von uns gesagt wird -: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn irgend jemand mit irgendwelchen Andeutungen oder gar Waffen auch den Bundespräsidenten bedroht. Das kann kein Menschen gutheißen; das ist eine Selbstverständlichkeit. ({2}) Jetzt haben Sie mich tatsächlich dazu gebracht, eine Selbstverständlichkeit auszudrücken. Es ist aber auch eine Selbstverständlichkeit, daß man, wenn man über diese Vorgänge redet, sie etwas nüchterner anguckt und einmal prüft, welche Verbindung Sie zwischen Bundeswehr, dem feierlichen Gelöbnis und der Aktuellen Stunde herstellen. Sie mißbrauchen zur Zeit die Bundeswehr als Katalysator dafür, daß Sie Ihre parteipolitisch-pathetisch ritualisierte Sprache nutzen, um zu sagen Die einzigen, die voll und ganz hinter der Bundeswehr stehen, sind die CDU/ CSU und die F.D.P. ({3}) Ich habe den aus der Chemie stammenden Begriff Katalysator benutzt, weil ein Katalysator es an sich hat, daß er etwas verändert, ohne sich selbst zu verändern. Die Stellung der Bundeswehr ändert sich auch in ihrer Souveränität und in ihrem Selbstverständnis durch Ihre pathetischen Worte nicht, im Gegenteil. Ich denke, wir sollten das auch betonen und den Bezug dazu herstellen, daß etwa 80 Prozent der Bevölkerung, wie eine Umfrage zeigt, hinter dieser Bundeswehr stehen. Dieses Selbstverständnis, hinter der Bundeswehr zu stehen, braucht eben diese ritualisierte Sprache nicht, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der auch Verena Wohlleben zur richtigen Zeit Dank und Anerkennung gegenüber der Bundeswehr zum Ausdruck gebracht hat und ihr zur richtigen Zeit die demokratische Unterstützung hat angedeihen lassen, was auch die SPD nach einem heftigen Ringen in den 50er Jahren stets sehr deutlich und gut getan hat. ({4}) Ich darf hier einmal betonen: Wenn die CDU/CSU - von einer Rechtsstaatspartei im Sinne von links und rechts will ich nicht reden - eine so hohe Bindungskraft gegenüber rechts aufbringen würde, wie es die SPD geschafft hat, Pazifisten und Linke zu integrieren und sie in ein demokratisches Gefüge dieses Staates einzubinden, dann hätte sie ihre Aufgabe im parteipolitischen Sinne hundertprozentig erfüllt. Dann würden wir weiterreden. ({5}) Ich halte es für unverschämt, den Pazifisten den Platz in der SPD abzustreiten. Sie gehören dorthin, und sie haben mit Sicherheit eine gute Wirkung auch auf die Sicherheitspolitik, weil man in den eigenen Reihen bestimmte Positionen besser überprüfen kann. ({6}) - Herr Breuer, Sie haben das Gelöbnis dazu benutzt, andere Dinge anzusprechen. Das ist Ihnen, wie gesagt, mißlungen. Sie wollten auch die SPD instrumentalisieren. Sie wollten an Hand einer Minderheit, die wir eingebunden haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, die SPD sei in wesentlichen Teilen gegen die Bundeswehr. Daß das nicht wahr ist, wissen Sie genausogut wie ich. Dieser Versuch, Herr Breuer, ist gescheitert. ({7}) Ich lasse mich auch nicht davon abbringen, zu sagen, daß Sie dieses feierliche Gelöbnis, zu dem wir überwiegend stehen - ich habe viele mitgemacht -, und ähnliche Dinge mehr nur als Anlaß genommen haben, gebetsmühlenartig zu sagen, daß Sie der einzige Hort für die Bundeswehr sind und die SPD aus - nehmen wir den alten Ausdruck - vaterlandslosen Gesellen besteht, die die Bundeswehr eigentlich gar nicht wollen, und es nur einige wenige sind, die hinter ihr stehen. Dies wollte ich deutlich zum Ausdruck bringen. Unsere Bundeswehr hat unsere Achtung verdient. Sie hat unseren Dank verdient. Wir werden beharrlich, souverän und zäh an einer demokratisch verfaßten Bundeswehr weiter mitarbeiten. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Karl Lamers.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, und der bisherige Debattenverlauf beweist dies, daß sich heute auch der Deutsche Bundestag mit dem öffentlichen Gelöbnis in Berlin befaßt. Herr Häfner, dies ist keine skurrile Debatte, sondern eine notwendige Debatte, denn wir müssen auch vom Deutschen Bundestag her Zeichen setzen. ({0}) Unsere Soldaten sollen wissen, daß wir zu ihnen stehen, daß wir ihnen für ihren unermüdlichen Einsatz für unser Volk und den Staat danken. Wir werden dafür sorgen, daß feierliche Gelöbnisse auch künftig in aller Öffentlichkeit stattfinden und so zur Normalität des Alltags in unserem Staat und vor allem auch in unserer Hauptstadt Berlin werden. ({1}) Diese Debatte gibt aber auch allen, die sich auf einem politischen Irrweg befinden - davon gibt es einige -, die Chance, umzudenken und sich sowohl in ihrer Sprache als auch in dem, was sie tun, zu korrigieren. Konkret: Ich halte es für unerträglich, daß führende Damen und Herren aus dem Vorstand der Grünen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Gelöbnis von einem feudalistisch perversen Ritual sprechen. Dies ist eine Beleidigung für die Bundeswehr, die ich aufs schärfste zurückweise. ({2}) Auch halte ich es für unerträglich, daß sich in Berlin eine unheilige Allianz zusammengefunden hat, um die öffentliche Gelöbnisfeier im Schloßhof von Charlottenburg zu verhindern. ({3}) - Herr Fischer, Sie sollten aufpassen. Vielleicht können auch Sie noch etwas lernen. - Es ist schon bezeichnend, wer alles dazugehört: Chaoten, Initiativen gegen Wehrdienst und Bundeswehr, Teile der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, die SPD-Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg, eine grüne Dr. Karl A. Lamers ({4}) Baubürgermeisterin, die Grünen und - wie könnte es anders sein? - natürlich die Altkommunisten der PDS. ({5}) Sie erinnern sich wahrscheinlich noch an Ihre alten Militärparaden, im Stechschritt die Fahnen hoch. Ich sage Ihnen: Diese Zeiten sind vorbei, und wir werden alles tun, daß sie sich in Deutschland nie wiederholen werden. ({6}) Die anderen, meine Damen und Herren, frage ich: Sprechen Sie von Gelöbnis, das Sie verhindern und abschaffen wollen, und meinen vielleicht einige von Ihnen die Bundeswehr? Dazu sollten Sie vielleicht auch etwas sagen. Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn beim Gelöbnis verhindern? Es ist ja heute schon ausgeführt worden, ({7}) daß junge Wehrpflichtige geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Ich frage die, die sich gegen ein öffentliches Gelöbnis aussprechen: Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß die Bundeswehr eine Friedensarmee ist? Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß der Dienst in der Bundeswehr ein Friedensdienst ist ({8}) und daß eine Gelöbnisfeier nicht ein Ritual vergangener Tage oder, Herr Häfner, eine Machtdemonstration ist, sondern ein würdiges Ereignis, in dem deutsche Soldaten ihre Verbundenheit mit der Bevölkerung zum Ausdruck bringen? Ich frage die Kritiker: Was wollen Sie eigentlich? Wohin wollen Sie die Gelöbnisse denn haben? ({9}) Hinter die Kasernenmauern und Kasernenzäune? ({10}) Als closed shop sozusagen? ({11}) Ich meine und ich bin überzeugt - Frau Beer, Sie sollten auch zuhören -, ein solches Gelöbnis gehört in die Öffentlichkeit, denn es ist die Öffentlichkeit, die von diesen jungen Menschen geschützt wird. ({12}) Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Macht es denn einen Sinn, zunächst auf einer breiten parlamentarischen Basis unsere Soldaten in eine Friedensmission nach Bosnien zu schicken, wo sie Leib und Leben für andere und für den Frieden riskieren, sich aber dann andererseits nicht offen und öffentlich zu unseren Soldaten bekennen zu wollen? Ich sage Ihnen, es macht keinen Sinn. Ich weiß, daß es viele Sozialdemokraten gibt - hier im Deutschen Bundestag, insbesondere auch im Verteidigungsausschuß, den ich am besten überblicken kann; auch Sie, lieber Herr Zumkley, haben eine beachtenswerte Rede gehalten -, die sich klar und deutlich zu unserer Bundeswehr bekennen. Bitte sorgen Sie mit dafür, daß Sie durch linke Ideologen in Ihrer Partei oder auch in Berlin nicht als Partei insgesamt in Mißkredit gebracht werden. Darum geht es. ({13}) Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, nämlich das Thema Krawallmacher. ({14}) - Wenn Sie sich beruhigen, können Sie besser zuhören. Man kann für und gegen öffentliche Gelöbnisse sein, aber eines kann es nicht geben: selbsternannte Pazifisten, die anderen Menschen ihre Überzeugung mit Gewalt aufzwingen und geradezu aufprügeln wollen. Das werden wir nicht hinnehmen. ({15}) Wer als Pazifist derart gewalttätig vorgeht, wie dies in Berlin geschehen ist, zeigt, daß er zur Friedensfähigkeit überhaupt nicht fähig ist.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das sind keine Pazifisten, sondern Wanderchaoten, Berufsdemonstranten und Krakeeler, die mit den Mitteln des Rechtsstaates in ihre Schranken gewiesen werden müssen. Zum Schluß gilt mein Dank unseren Polizeibeamten, die bei dem Gelöbnis in Berlin den demokratischen Rechtsstaat wieder verteidigt haben. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Abgeordnete Hans Raidel.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder billig und gerecht denkende Mensch empfindet doch das, was sich SPD, Grüne und PDS in Berlin geleistet haben, schlicht und einfach als einen Skandal, auf gut bayrisch gesagt: eine Sauerei. ({0}) Wenn es sich nicht um eine so ernste Sache handeln würde, könnte man dazu sagen, es ist eine Provinzposse. Da bezieht sich Charlottenburg auf eine naturschutzrechtliche Vorschrift, um das Gelöbnis zu verhindern. Der Umweltsenator muß dem Unfug ein Ende machen und genehmigt. Ganz pikant am Rande: Zur gleichen Zeit stellte derselbe Bezirk einen Antrag, Pioniere der Bundeswehr sollten beim Aufbau eines Jugendfreizeitheimes helfen. ({1}) Das muß man sich einmal vorstellen. Daraus kann man nur die eine Folgerung ziehen: Es wird wieder deutlich, daß die SPD nach wie vor ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr und zum Verteidigungsauftrag hat. Ansonsten hätte sie dieses Hickhack und Gezerre gar nicht erst angezettelt. ({2}) Die Grünen kommen mit ihrer obskuren Forderung nach Auflösung der Bundeswehr und der NATO aus ihrer eingeengten Sichtweise nicht heraus . ({3}) Ich behaupte: Sie werden wohl immer bei ihrer beinahe kindlichen Betrachtungsweise bleiben. ({4}) Daß sich hier die PDS aufzwängt, ist fast normal. Aber daß gerade SPD und Grüne Kommunisten ein Forum bieten, ({5}) ist schon eine beachtenswerte politische Fehlleistung. ({6}) Meine Damen und Herren, es war doch klar, daß linke Gruppen -

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, einen Augenblick. Herr Abgeordneter Zwerenz, Sie haben ein Mitglied dieses Hauses als Faschisten bezeichnet. Ich rufe Sie zur Ordnung. ({0}) Herr Kollege, Sie können fortfahren.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich danke Ihnen sehr herzlich. Wir sollten aber bei Herrn Zwerenz vielleicht die angebrachte, altersmäßig bedingte Nachsicht üben. ({0}) Meine Damen und Herren, es war doch klar, daß gewalttätige Demonstranten, auch sogenannte Berufschaoten, versuchen würden, das Gelöbnis mit allen Mitteln zu stören. Diejenigen, die so gerne die demokratische Öffentlichkeit für sich reklamieren, hatten doch nicht im Sinn, sich an demokratische Spielregeln zu halten. „Wir verteidigen die Tradition Berlins. Sie war die entmilitarisierteste Stadt Europas", brüllten sie. Wie sie das allerdings unter dem Alliiertenstatus, unter dem bereits genannten Stechschritt der NVA in OstBerlin, möglich machen wollten, blieb ihr Geheimnis. Der Chor pfiff und skandierte: Mörder! Mörder! Nie wieder Deutschland! - Daraus folgt doch nur: Die Verbesserung des Ehrenschutzes für Soldaten ist längst überfällig. ({1}) Berlin vertrage keine Soldaten, riefen sie. Wie kurz ist doch das Gedächtnis! Berlin hat zum Überleben Soldaten gebraucht. Ohne Alliierte wäre West-Berlin überhaupt nicht zu halten gewesen. Das weiß hier jeder. Von preußischer Tradition, die abzulehnen sei, war oft die Rede. Alle wissen doch: Kein europäisches Land ist weiter vom militärischen Kult entfernt als Deutschland. Aber, meine Damen und Herren, die Medaille hat ja auch eine gute, eine schöne Seite. Unsere Bundeswehr wird überall, auch in Berlin, als positiv empfunden. Was uns zufrieden stellen kann, ist die Aussage der Mutter eines jungen Soldaten in Berlin. Sie stellte fest: Dieser Tag des feierlichen Gelöbnisses in Berlin, auf das man stolz sein kann, ist für uns und vor allem für unseren Sohn ein großer Tag. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Dieter Heistermann das Wort.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf dieser Debatte kann, wenn ich das einmal nach außen transparent machen darf, mit einem Bild der Keulenschwinger verglichen werden. ({0}) Ich denke, daß die Art und Weise, wie wir über das Gelöbnis von jungen Menschen debattieren, weder dem Thema angemessen noch angemessener parlamentarischer Stil ist. ({1}) Dies ist unparlamentarisch und auch unpolitisch. Ich muß ganz ehrlich sagen: Herr Kollege van Essen, wenn Sie bei der Beantragung dieser Aktuellen Stunde ein wenig an das Ergebnis einer solchen Debatte gedacht hätten, wären Sie gut beraten gewesen, diesen Tagesordnungspunkt nicht anzusetzen. ({2}) Aber jetzt, da er auf der Tagesordnung steht, glaube ich, hier wird viel Theaterdonner produziert, aber es steckt nicht der Versuch dahinter, die Konfliktstrategie zu entwickeln oder Konfliktlösungen zu erarbeiten, um das Problem dieser Gesellschaft zwischen Bundeswehr einerseits und anderen, pazifistischen Auffassungen andererseits zu lösen. Diese Debatte hätte eigentlich im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung stehen müssen, nicht die uralten Rituale, die hier immer wieder vorgetragen werden. Ich muß sagen, wenn ich ein junger Mann in der Bundeswehr oder auch in der Friedensbewegung wäre, dann würde ich mich für manchen Wortbeitrag schämen, wenn er in meinem Namen so abgegeben worden wäre. ({3}) Ich will das noch einmal ganz kurz zusammenfassen. ({4}) Meiner Meinung nach haben wir heute Grund, das deutlich zu machen. Ich will auch noch auf den Beitrag des Kollegen Scholz antworten. - Kollege Scholz, auch 25 sozialdemokratische Abgeordnete in Berlin haben das Recht, andere Auffassungen zu vertreten und auch zu artikulieren, genau wie das jeder CDU-Kollege hier bei verschiedenen Abstimmungen ähnlich gemacht hat. ({5}) Ich sage Ihnen auch voraus: Der Versuch, den Vorwurf der Unzuverlässigkeit zu erheben oder diese „Bonbons" in Richtung SPD zu schieben, scheitert an den Realitäten. ({6}) Lassen Sie mich das einmal ganz nüchtern sagen. In dieser Armee dienen Söhne von Sozialdemokraten. ({7}) Sie übernehmen die Rechte, die wir ihnen verfassungsmäßig übertragen haben, und ich denke, es stünde auch den Kollegen der Regierungskoalition gut an, diese Dienstleistung zu würdigen und auch anzuerkennen ({8}) und nicht den Versuch zu machen, weil ein Abgeordneter oder mehrere Abgeordnete sich anders verhalten, sozusagen den Eindruck zu vermitteln, als sei die SPD die personifizierte Unzuverlässigkeit. Ich denke, dies wird der Debatte nicht gerecht. Sie tragen auch nicht dazu bei, daß sich die Befriedung innerhalb der Bundeswehr fortsetzt, sondern dies führt zu Konfliktlagen, weil man dann gezwungen wäre, in der Bundeswehr Position zu beziehen. Ich wiederhole: Die Bundeswehr ist keine Armee irgendeiner Partei, nicht der Freien Demokraten, nicht der Christdemokraten, auch nicht der Sozialdemokraten, ({9}) sondern ihre Soldaten dienen diesem Land. Deshalb lassen wir die Bundeswehr auch nicht durch die Regierungskoalition vereinnahmen. ({10}) Ich sage auch ganz deutlich: Es gibt keinen Grund, Menschen zu verstecken, und ich betone ausdrücklich das Wort Menschen, weil es hier weder um Soldaten noch um Kriegsdienstverweigerer geht. Was für eine Debatte führen wir hier eigentlich? Das frage ich auch in Richtung einiger Beiträge. Mir ist das Demonstrationsrecht eines Bundeswehrsoldaten genauso wichtig wie das Demonstrationsrecht eines Kriegsdienstverweigerers. ({11}) Das haben wir gemeinsam zu verteidigen, dafür haben wir gemeinsam einzustehen. ({12}) Deshalb möchte ich keinen Gegensatz konstruieren, und deshalb denke ich, daß jedermann das legitime Recht, das in der Verfassung vorgegeben ist, in Anspruch nehmen kann. Lassen Sie mich noch kurz eine Bewertung vornehmen. Ich habe den Eindruck, hier ist wieder eine Schlacht geschlagen worden; es soll angeblich wieder Besiegte und Sieger geben, und diese Debatte hat das leider bestätigt. Wir sind in den alten Gräben steckengeblieben. Wir haben in dieser Debatte keinen Ansatz gefunden, die Gegensätze beizulegen. ({13}) Ich möchte fragen, wem diese Debatte eigentlich hilft, wem sie geholfen hat. ({14}) Ich frage, ob jetzt am Ende dieser Debatte klargeworden ist, ({15}) welches die Haltung der Bundesregierung nun tatsächlich ist. ({16}) Die Beiträge, die hier geleistet worden sind, waren mehr der eigenen Profilierungssucht als der Aufklärung oder Verdeutlichung von Positionen geschuldet. Hier sind nur Bälle geworfen worden, aber es ist nicht dazu beigetragen worden, daß sich Soldaten ernstgenommen fühlen können. Ich sage, Soldaten dürfen nicht mißbraucht werden, Soldaten dürfen weder für die eine noch für die andere Sache in Anspruch genommen werden. Es ist politische Aufgabe, diese Fragen zu klären. Man darf nicht auf dem Rücken von Soldaten solche politischen Fragen austragen. Dazu sind sie uns zu wertvoll, und das sollten sie sich auch selbst als Soldaten nicht gefallen lassen. ({17}) Ich möchte den Ansatz von Peter Zumkley noch einmal aufgreifen. Ist die Politik nicht in der Lage, einen Dialog in Berlin zu beginnen, um die Konflikte, die sich dort abgezeichnet haben, zu strukturieren und in einen Dialogprozeß mit denjenigen einmünden zu lassen, mit denen man reden kann? Ich weiß, das wird nicht mit allen möglich sein. ({18}) Aber ich möchte mithelfen, daß auch die Bundeswehr und dieses Parlament den Dialog in Berlin beginnen, um zu zeigen, wie man zukünftig mit solchen Gelöbnissen umgeht. Es ist wert, diesen Versuch zu unternehmen. Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls alles tun, damit dieser Dialog dort beginnen kann. ({19})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich möchte mit Ihrer Genehmigung kurz noch auf das eingehen, was der Herr Bundespräsident in Berlin gesagt hat. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nein, es tut mir leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann komme ich zum Schluß. Ich denke, die Debatte hat gezeigt, - ({0}) - Sie war nicht nur überflüssig. Vielleicht hilft sie dabei, über die eigenen Positionen nachzudenken. Wenn das Ziel erreicht worden ist, haben wir vielleicht Erfolg gehabt. Vielen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Jürgen Augustinowitz das Wort.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zentrale Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen muß - ich wende mich an den stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr, der heute hier ist, und an den Staatssekretär - lautet: Wir wollen im Deutschen Bundestag, daß es auch in Zukunft öffentliche Gelöbnisse gibt, und zwar überall in Deutschland, auch in Berlin. ({0}) Frau Wohlleben, Sie haben eine sehr geschickte Rede gehalten. Aber wir müssen noch einmal auf den Punkt zurückkommen. Herr Opel, Sie waren die ganze Zeit nicht da. Deswegen muß ich es Ihnen ein bißchen aufdröseln. Es gibt einen Aufruf in Berliner Zeitungen, der heißt: „Ja, stören!" Dieser Aufruf ist vom Landesvorstand der Jusos in der SPD in Berlin, von der Abgeordneten Müller von den Grünen, von der PDS und von den Grünen unterschrieben worden. Es geht gar nicht darum, dem Kollegen der SPD aus dem Verteidigungsausschuß oder der ganzen SPD zu unterstellen, sie hätten etwas gegen die Bundeswehr. Die Bundeswehr ist in der Tat die Armee des deutschen Volkes. Aber Sie müssen in Ihrer Partei immer noch klären, was los ist. Wenn sich die Jungsozialisten in der SPD, die SPD-Mitglieder in Berlin unter 35 Jahren, hinstellen und sagen: Wir wollen verhindern, daß die Bundeswehr ein Gelöbnis öffentlich durchführt, dann müssen Sie sich hier fragen lassen: Was hat die SPD-Bundestagsfraktion und Bundesführung unternommen, um das zu verhindern? ({1}) Es gibt in Berlin eine ganze Mischung von verschiedenen Subjekten und Organisationen, die dafür sorgen, die Bundeswehr in Berlin in Schwierigkeiten zu bringen. Dazu gehört Bündnis 90/Die Grünen genauso wie ein beträchtlicher Teil der Berliner SPD. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie heute nicht entlassen. ({2}) Wenn immerhin 25 Abgeordnete des Abgeordnetenhauses von Berlin der SPD dem klar widersprechen, daß sich die Bundeswehr öffentlich darstellt, dann muß man das hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. ({3}) Jetzt komme ich einmal zu den Grünen. Die Grünen sind in dieser Frage völlig gespalten. Sie haben mit der Hälfte der Stimmen im Deutschen Bundestag kürzlich dem Einsatz der Bundeswehr in Bosnien zugestimmt. ({4}) Was glauben Sie eigentlich, was die Soldaten, die jungen Wehrpflichtigen, die Mütter und Väter, die Familien darüber denken, wenn Ihr Parteisprecher von einem perversen Ritual redet? Wann wollen Sie endlich erkennen, daß Sie so doppelbödig nicht argumentieren können? Ich muß an Sie wirklich im Interesse von Vernunft und Anstand appellieren, zu erklären, daß Sie in Zukunft diese Verbalangriffe auf die Bundeswehr unterlassen. Ich stelle zusammenfassend fest: Das, was sich in Berlin abgespielt hat, war eine Andeutung von Volksfront. ({5}) Wir wissen alle, was Volksfrontbündnisse gegen die Bundeswehr schon geleistet haben. Ich erinnere daran, daß es 1980 in Bremen ein Gelöbnis gegeben hat, das unter ähnlichen Volksfrontzeichen stand und darin geendet hat, daß es dort zu mächtigsten Krawallen gekommen ist. Ich finde, Sie - SPD und Grüne - müßten am Rand ihrer Parteien dafür sorgen, ({6}) daß es in diesem Zusammenhang endlich eine klare Haltung zur Bundeswehr gibt. ({7}) Aus diesem Zwiespalt werden Sie nicht herauskommen. Auch die vielen Zwischenrufe können nicht dazu beitragen, sich hieraus zu befreien. Vielen Dank. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sollten vielleicht einmal darüber nachdenken, wie es dazu kommt, daß bei diesem Thema so viele Emotionen berührt und frei werden. ({0}) Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf: ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unzulässige Verschärfung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz - Drucksache 13/4858 ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P. Verfassungsgebotene Einhaltung des bundeseinheitlichen Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch die Bayerische Staatsregierung - Drucksache 13/4879 Ich weise darauf hin, daß wir über die Anträge im Anschluß an die Aussprache abstimmen werden. Es finden also zwei namentliche Abstimmungen statt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis das Wort.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr haben wir unter großer Kraftanstrengung hier im Deutschen Bundestag einen Kompromiß verabschiedet, mit dem wir fraktionsübergreifend in der stets heftig umstrittenen Frage des § 218 für Rechtssicherheit in der Republik sorgen wollten. Es war ein Kompromiß. Denn wir hatten im nächtelangen Tun vieles zu berücksichtigen: nicht nur unsere eigenen Wertvorstellungen, nicht nur verschiedene Gesetzentwürfe, sondern auch den Auftrag des Einigungsvertrages, für eine bundeseinheitliche Regelung zu sorgen und ein umfangreiches Bundesverfassungsgerichtsurteil umzusetzen. Dieser Kompromiß, der nach langer Diskussion mit großer fraktionsübergreifender Mehrheit verabschiedet wurde, hat eine hohe demokratische Qualität. Darum - nicht nur wegen des Vorranges des Bundesrechts - erwarten wir, daß der Kompromiß von allen Ländern und Landesregierungen respektiert wird. ({0}) Nun erleben wir, daß die Bayerische Staatsregierung mit zwei Gesetzentwürfen einen Sonderweg gehen will, der in einigen wichtigen Punkten nicht mit dem hier verabschiedeten Bundesrecht übereinstimmt. Eigentlich hätte die Bundesregierung von sich aus auf die Bayerische Staatsregierung, zu der sie doch eine politische Nähe hat, einwirken, die Einhaltung des Bundesrechts anmahnen und damit die Rechtsordnung in dieser Republik verteidigen müssen. ({1}) Statt dessen redet die Bundesregierung - die Regierungsbank ist mager besetzt - mit zwei Zungen: Der Justizminister mahnt die Einhaltung des Bundesrechts an. Die Frauenministerin billigt ausdrücklich den bayerischen Sonderweg, stellt das Schwangeren- und Familienhilfegesetz sowie das Verfassungsgerichtsurteil in der Öffentlichkeit falsch dar, billigt damit als Regierungsmitglied den Bruch des Bundesrechts und lädt die Bayerische Staatsregierung geradezu zum Verfassungsbruch ein. Dies ist ein skandalöser Vorgang. ({2}) Die Mitglieder der Bundesregierung haben im letzten Jahr alle - bis auf eine Ausnahme - dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz zugestimmt. Jetzt machen Sie sich freiwillig, zu Lasten der bayerischen Frauen, der Beraterinnen und der Ärzte, zum Büttel der Bayerischen Staatsregierung. Darum sind wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute als Parlament, als Bundesgesetzgeber, aufgefordert, etwas zu sagen. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß der CSU-Abgeordnete Scheu, mit dem wir die Beratungen im letzten Jahr aktiv durchgeführt haben, in der Debatte vor einem Jahr, am 29. Juni, hier sagte, der Gesetzentwurf sei die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils, nutze die durch das Urteil gegebenen Spielräume und binde damit jede Auslegung. Dann fügte Herr Scheu wortwörtlich hinzu: Das ist so eindeutig und unmißverständlich, daß alles andere dahinter zurückzutreten hat. Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für die Bayerische Staatsregierung. ({3}) Sie, Frau Eichhorn, sagten in der gleichen Debatte, entscheidend sei, daß dieser Kompromiß dem Schutz des ungeborenen Lebens diene und verfassungsgemäß sei. Dann fügten Sie hinzu: Das können wir zusagen ... Ich werbe aus voller Überzeugung für diesen erzielten Kompromiß. Dann bitte ich Sie als bayerische Abgeordnete: Werben Sie für diesen Kompromiß! ({4}) Auch die bayerischen Frauen haben Anspruch auf eine gute, professionelle Beratung im Schwangerschaftskonflikt. Gerade diese wird ihnen durch den bayerischen Gesetzentwurf vorenthalten. Bayern will den Frauen im Schwangerschaftskonflikt die notwendige Beratungsbescheinigung verweigern, wenn sie die Gründe für den Konflikt nicht mitteilen. Das ist eine handfeste Drohung und setzt die Frauen im Beratungsgespräch unter Druck, eventuell auch viele Beraterinnen. Wer sagt - wie zu hören ist -, hier gehe es nur darum, daß die Frau im Beratungsgespräch nicht schweige, verharmlost die geplante bayerische Regelung bewußt. ({5}) Hier geht es nicht nur darum, ob in einem Beratungsgespräch geschwiegen wird oder nicht, sondern auch um die Gefahr, daß durch solch eine Regelung aus jeder Beratung sehr schnell ein Verhör werden kann, jede Frau sehr schnell eingeschüchtert werden kann. Dies ist nach unserem Schwangeren- und Familienhilfegesetz unzulässig. ({6}) Sie, Frau Stamm, beschädigen mit Ihrer Vorlage das vom Verfassungsgericht gebilligte Schutzkonzept, das nur vertrauensvoll mit der Frau, aber nicht gegen die Frau positiv wirken kann. ({7}) Aber Bayern will nicht nur in das Beratungsgespräch eingreifen, sondern massiv auch in die ärztliche Praxis - anders als das Bundesrecht - durch eine zusätzliche Strafbewehrung und durch Einkommensschnüffelei eingreifen. Kolleginnen und Kollegen, die Bayerische Staatsregierung hat sich nie mit dem vom Verfassungsgericht gebilligten Wandel im Lebensschutzkonzept abgefunden, einem Wandel, der auf Hilfe baut statt auf Strafe. Schon als wir Anfang letzten Jahres nach dem Verfassungsgerichtsurteil anfingen, an einem fraktionsübergreifenden Kompromiß zu arbeiten, hat die Bayerische Staatsregierung prophylaktisch mit einer Verfassungsklage gedroht und so versucht, dieses Parlament unter Druck zu setzen. Jetzt, wo sich Bayern bundesweit und in der Gesellschaft isoliert hat, versucht die Bayerische Staatsregierung, ihre Frustration an bayerischen Frauen, Beraterinnen und Ärzten auszulassen. Das kann nicht geduldet werden. ({8}) Zu Recht war am 11. Juni in der „ Süddeutschen Zeitung" zu lesen: Die Ideologen haben wieder einmal das Wort - und da bleibt die Vernunft erfahrungsgemäß komplett auf der Strecke. Darum sollten wir heute die Bayerische Staatsregierung auffordern, diesen Irrweg zu verlassen. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Einsicht, daß der jahrzehntelange Streit über den Schutz des ungeborenen Lebens nicht zu weniger Tötungen ungeborener Kinder geführt hat, haben wir uns hier gemeinsam, mit einer großen, parteiübergreifenden Mehrheit dazu entschlossen, den vom Verfassungsgericht vorgezeichneten Weg einer Beratungsregelung zu akzeptieren. Das gemeinsame Ziel war und bleibt, Rechtsfrieden für das wichtigste Rechtsgut, nämlich den Schutz des Lebens, herzustellen. Nun behauptet die Opposition in ihrem Antrag, daß die bayerischen Gesetzentwürfe in vier Sachverhalten gegen dieses Bundesgesetz angeblich verstoße. Die erste Rechtsfrage - es handelt sich um ganz nüchterne Rechtsfragen - lautet: Kann eine Beratungsbescheinigung auch dann erteilt werden, wenn die Schwangere keinerlei Grund mitteilt, derentwegen sie den Abbruch erwägt? Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts dazu lautet: Die Aufnahme - also der Beginn einer Konfliktberatung ist von vornherein nur möglich, wenn die Schwangere die wesentlichen Gründe mitteilt . . . Wenn es auch der Charakter einer Beratung ausschließt, eine Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau zu erzwingen, ist doch für eine Konfliktberatung ... die Mitteilung der Gründe unerläßlich. Dies von der Frau zu verlangen beeinträchtigt weder die Ergebnisoffenheit der Beratung, noch wertet sie die der Frau zukommende Verantwortung ab. Die Mitteilung der Gründe ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts also unerläßlich. Das Verfassungsgericht betrachtet diese Mitteilungspflicht nicht als eine Erzwingung der Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Schwangeren, weil die Aufnahme, der Beginn, einer Konfliktberatung von vornherein nur möglich ist - das leuchtet auch ein -, wenn Gründe mitgeteilt werden, derentwegen eine Beratung erfolgen soll. Es bleibt dabei: Es entscheidet allein die Schwangere nach der Beratung. Das ist der Unterschied zu der alten Indikationsregelung, in der die Gründe überprüft wurden. ({0}) Ein Verstoß gegen Bundesrecht könnte die bayerische Regelung nur dann sein, wenn das Bundesgesetz diese nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unerläßliche Voraussetzung für das Eintreten in eine Konfliktberatung nicht übernommen und eine andere, abschließende Regelung getroffen hätte. So ist offenbar die Auffassung der Opposition und des Bundesjustizministers.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer ({0})?

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte zunächst im Zusammenhang vortragen. § 5 des Bundesgesetzes scheint in der Tat auf den ersten Blick unterschiedlich interpretierbar zu sein. Was von den Kritikern des bayerischen Entwurfs übersehen wird, ist die Tatsache, daß es eine amtliche Auslegung dieser Vorschrift im Sinne der bayerischen Regelung gibt; denn § 5 des Bundesgesetzes entspricht wörtlich der Formulierung, die das Bundesverfassungsgericht selbst in seinem Urteil mit Gesetzeskraft in der Vollstreckungsanordnung verwandt hat. Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts, die die Karlsruher Richter für ihre eigene Gesetzesformulierung und damit zugleich für die Bundesregelung vorgenommen haben, rechtswidrig ist? Die bayerische Regelung ist nichts anderes als die Übernahme dieser Auslegung der Karlsruher Richter. ({0}) Ich lasse ausdrücklich dahingestellt, ob eine andere Auslegung dieser Gesetzesformulierung als die, die das Verfassungsgericht vornimmt, verfassungswidrig wäre. Dem Verfassungsgericht aber zu unterstellen, seine eigene Auslegung sei rechtswidrig, ist mutig, aber reichlich abstrus. Das Beratungsrecht des Bundes beruht auf der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz. Von diesem Gesetzgebungsrecht hat der Bund nicht abschließend Gebrauch gemacht. Wir haben an einer ganzen Reihe von Stellen ausdrücklich ergänzende landesrechtliche Regelungen vorausgesetzt. Es gibt daher keine grundsätzliche Sperrwirkung. Bei dem bayerischen Gesetzentwurf handelt es sich im Hinblick auf die Voraussetzungen zur Erteilung der Beratungsbescheinigung exakt um das, was das Bundesgesetz damit geregelt hat. ({1}) Zweitens. Im Oppositionsantrag wird behauptet, Bayern verstoße gegen § 7 des Bundesgesetzes, weil Bayern die Ausstellung einer Beratungsbescheinigung auch dann verweigere, wenn durch die Fortsetzung des Beratungsgesprächs die Einhaltung der Frist unmöglich werde. Dazu stelle ich fest: Sie haben den bayerischen Gesetzentwurf nicht einmal gelesen. Denn in Art. 10 des bayerischen Gesetzentwurfs heißt es ausdrücklich: Für die Fortsetzung des Beratungsgesprächs gilt § 7 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes. Deshalb wird selbstverständlich auch nach dieser bayerischen Regelung bei einer notwendigen Fortsetzung des Beratungsgesprächs vorher eine Beratungsbescheinigung ausgestellt, wenn anderenfalls Fristablauf droht. Ich fordere Sie auf, diese offensichtlich falsche Behauptung in Ihrem Antrag zurückzunehmen. Wenigstens lesen sollten Sie den Gesetzentwurf, den Sie hier kritisieren. ({2}) Drittens. In dem Oppositionsantrag wird behauptet, der von Bayern geforderte Identitätsnachweis der Schwangeren verstoße gegen Bundesrecht. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben auch das Bundesgesetz nicht gelesen. Auch dort wird nämlich verlangt, daß die Schwangere ihre Identität gegenüber der Person, die die Bescheinigung ausstellt, nachweist. § 7 des Bundesgesetzes fordert ausdrücklich - das kann auch gar nicht anders sein -, daß in der Beratungsbescheinigung der Name der Schwangeren verzeichnet ist. Das verstößt auch nicht, wie Sie meinen, gegen die Möglichkeit einer anonymen Beratung; denn Bund und Land sehen gemeinsam vor, daß die beratende Person und die Person, die die Bescheinigung ausstellt, verschieden sein können. Viertens. Sie behaupten, daß der Entwurf des Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes gegen Bundesrecht verstoße, weil die Anforderungen an Kliniken weit über das Bundesgesetz hinausgehen. Dazu stelle ich fest: Der bayerische Gesetzentwurf geht in der Tat über die Anforderungen des Bundesrechtes in diesem Bereich hinaus. Aber das liegt daran, daß der Bund für diesen Bereich keine Gesetzgebungskompetenz hat und daß die alleinige Gesetzgebungskompetenz in diesen Fragen bei den Ländern liegt - so übrigens auch der Bundesjustizminister, der Bayern ausdrücklich gegen diesen Vorwurf in Ihrem Antrag in Schutz genommen hat. Der Bund durfte mangels Gesetzgebungskompetenz diese Fragen nicht regeln. Die Vorschriften, die Bayern hier vorsieht, mögen Ihnen nicht gefallen, obwohl es sich um Vorschläge handelt, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil dem Gesetzgeber nahegelegt hat; aber der Vorwurf eines Verstoßes gegen Bundesrecht ist wiederum völlig abstrus, weil diese Regelungsmaterie allein in der Zuständigkeit der Länder liegt. Meine Damen und Herren, wer gegen die beiden bayerischen Gesetzentwürfe in Karlsruhe klagen will, der möge das tun. Wenn Sie dort einen Antrag wie hier im Bundestag vorlegen, dann wird das für Sie eine Blamage werden. Ich sage Ihnen voraus, daß Sie mindestens drei Ihrer vier Behauptungen bei einer etwaigen Klage in Karlsruhe nicht vortragen würden, weil spätestens irgendein Prozeßbevollmächtigter merken wird, daß Sie die beiden Gesetze nicht einmal gelesen haben. Ihr Antrag ist ein oberflächlicher Schnellschuß, ohne die bayerischen Gesetzentwürfe wirklich vollständig gewürdigt zu haben. Es fällt natürlich auf, daß die Kritik an den bayerischen Gesetzentwürfen ausschließlich von Befürwortern des damaligen Gruppenantrages kommt, jenes Gesetzes, das das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat. Wahr ist, daß die bayerischen Gesetzentwürfe wesentliche Sachverhalte anders regeln als in dem damaligen Gesetz, das in Karlsruhe aufgehoben wurde. Das damalige verfassungswidrige Gesetz sah in der Tat nicht vor, daß die Schwangere bei der Beratung die Gründe darlegen muß. Das Verfassungsgericht hat das anders entschieden. Das eigentliche Problem ist, daß Sie die Beratungsregelung, wie vom Verfassungsgericht vorgeschlagen, innerlich nicht akzeptiert haben. Deshalb fordere ich Sie namens der CDU/CSU-Fraktion auf: Kehren Sie zu dem Konsens auf der Grundlage des Verfassungsgerichtsurteiles zurück! Das wird dem Rechtsfrieden und damit auch dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Abgeordneten Rita Grießhaber das Wort.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gedächtnis ist leider sehr oft kurz. Dabei liegt 1993 noch gar nicht lange zurück. Da haben sieben Männer und eine Frau dem Parlament ein höchst widersprüchliches und frauenfeindliches Urteil als Arbeitsgrundlage vorgesetzt. Das Karlsruher Urteil läßt verschiedene Interpretationen zu. Einerseits darf nach Auffassung der Richter die Mitwirkung der Frau bei der Beratung nicht erzwungen werden; andererseits heißt es, wie Herr Göhner richtig ausgeführt hat, daß die Mitteilung der Gründe für den Abbruch durch die Frau unerläßlich sei. Gerade wegen dieser Widersprüche konnte das Urteil nicht einfach gleichermaßen rechtstechnisch in einem Gesetz umgesetzt werden. Es mußte politisch entschieden werden, in welche Richtung der Karlsruher Richterspruch umgesetzt werden sollte. Dieser politische Entscheidungsprozeß war - wir erinnern uns sehr gut daran - schwierig und schmerzlich. Wir haben diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können, weil er unseres Erachtens den Spielraum des Urteils zu Lasten der Frauen einschränkte. Ich habe es sehr bedauert, daß eine Einigung von SPD, F.D.P. und Grünen nicht möglich war. Aber schon damals hing drohend das Damoklesschwert einer Klage aus Bayern über dem Gesetzgebungsprozeß. Der Kompromiß, so wurde argumentiert, werde eine neue Klage verhindern. ({0}) Nach 20 Jahren sollte parlamentarisch endlich ein Schlußstrich unter eine Debatte gezogen werden, die gesellschaftlich schon längst zugunsten der Frauen entschieden war. Dafür haben viele von Ihnen einen hohen Preis bezahlt, und jetzt vielleicht sogar vergebens. Die Mehrheit dieses Hauses hat damals endlich akzeptiert: Auf Frauen soll bei der schwierigen Gewissensentscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch kein Zwang ausgeübt werden. Frau Süssmuth hat in dieser Debatte gesagt, daß das Leben nicht gegen die Mutter wirksam geschützt werden kann, sondern nur mit ihr. Das war der Ansatzpunkt für den Kompromiß, der nicht von uns, aber von Ihnen mit einer breiten Mehrheit verabschiedet wurde. Dieser Kompromiß gilt jetzt. ({1}) Und, meine Damen und Herren: Er gilt für das gesamte Bundesgebiet. Er muß ohne Abstriche für alle Frauen in diesem Lande gelten. Denn eine der wichtigsten Zielvorgaben des Gesetzes war es ja gerade, daß Frauen in Hamburg und in Berlin genauso wie in Bayern und Baden-Württemberg die gleichen Bedingungen haben. ({2}) Was die Bayerische Staatsregierung mit ihrem Entwurf vorhat, die ihn im Schweinsgalopp durch den Landtag prügeln will, widerspricht der Intention des Bundesgesetzes. Das kann und das darf die Bundesregierung im Bereich der Bundesgesetzgebung nicht zulassen. ({3}) Bundesgesetze - das muß ein für allemal klar sein - gelten in allen Bundesländern, auch im Freistaat Bayern. ({4}) Das von der Bayerischen Staatsregierung vorgesehene Gesetz setzt auf Restriktion und Abschreckung statt auf Hilfe. Es beweist keinerlei Sensibilität für die Lage der betroffenen Frauen. Die CSU will die Frauen demütigen und die Ärzte verunsichern. ({5}) Memmingen soll in Bayern wieder eingeführt werden. ({6}) Aber das einzige, was ein solches Gesetz erreichen kann, ist die Zunahme des sogenannten Abtreibungstourismus aus Bayern in andere Bundesländer, wie wir ihn ja gut kennen. Hessen und Baden-Württemberg haben da gute Erfahrungen gemacht. In Bayern werden die Abbruchszahlen deshalb zurückgehen, und die Staatsregierung wird sich dessen rühmen. Statt dessen sollte sie sich schämen, daß sie den Frauen in dieser Konfliktlage zusätzliche Not und zusätzliche Kosten aufbürdet, statt ihnen rechtlich das zu bieten, was im Rest der Republik gilt. ({7}) Herr Schmidt-Jortzig, es ist gut, daß Sie den Bayern endlich die rote Karte gezeigt haben und den Bruch des Bundesgesetzes anprangern. Aber Sie sind Justizminister und Mitglied der Bundesregierung. Wieso fordern Sie das Parlament auf, zu klagen, statt sich im Kabinett dafür einzusetzen, daß die Regierung für die Einhaltung dieses Gesetzes sorgt? ({8}) Statt selbst aktiv zu werden, stiehlt sich die F.D.P. aus der Regierungsverantwortung. Als Mitglied der Bundesregierung sind Sie auf Regierungsebene gefragt, darauf zu drängen, daß die Bundesregierung für die Einhaltung von Bundesgesetzen sorgt. Dazu fehlt Ihnen der Mut. Es ist scheinheilig, mit einem Antrag im Parlament zu winken, in der Bundesregierung aber zu schweigen. ({9}) Auch unsere Kolleginnen und Kollegen aus der CSU, die seinerzeit dem Kompromiß zugestimmt haben, müssen sich fragen, ob sie sich das gefallen lassen. Frau Eichhorn, Sie haben in der Debatte letztes Jahr gesagt - ich zitiere -: Eine bessere Formulierung des Kernpunktes unseres neuen Schutzkonzeptes zur Beratung ist nicht möglich. Hier haben die anderen Fraktionen Zugeständnisse gemacht, für die wir dankbar sind. Frau Eichhorn, gilt das nicht mehr? Warum setzen Sie sich in Ihrem Land nicht für dieses beschlossene Schutzkonzept ein? Daß die Frauenministerin dem Kompromiß damals nicht zugestimmt hat, war bitter für die Frauen. Aber daß sie jetzt noch Verständnis für den Rechtsbruch äußert, bringt das Faß zum Überlaufen. ({10}) Auch der Bundeskanzler und Sie, Herr Schäuble, wollten diesen Kompromiß und haben dem Bundesgesetz zugestimmt. Wo bleibt Ihr Engagement für die bundestreue Umsetzung? Wollen Sie sich das gefallenlassen? Wollen Sie sich von Herrn Stoiber und seinem Kabinett auf der Nase herumtanzen lassen? Was ist das für eine Bundesregierung, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, Bundesrecht zur Geltung zu verhelfen? Wo bleibt Ihr Engagement für den Rechtsstaat, wenn es um die Nötigungsversuche gegenüber den Frauen durch bayerisches Landesrecht geht? Jetzt ist politisches Handeln gefragt. Wirken Sie als Bundesregierung auf die Bayerische Staatsregierung ein, die geplanten Gesetze erst gar nicht zur Abstimmung zu stellen. Es ist höchste Zeit. Meine Fraktion hat mit der SPD zusammen einen Antrag eingebracht, der Bayern bundesunfreundliches Verhalten vorwirft und die Bayerische Staatsregierung auffordert, den Entwurf zurückzuziehen. Ich bitte Sie, diesem zuzustimmen. In Bayern müssen die Frauen das gleiche Recht haben wie überall in der Republik. ({11}) Die Bundesregierung muß zugunsten der Frauen die politische und, wenn es sein muß, die juristische Auseinandersetzung mit Bayern in Kauf nehmen. Wenn ein Bundesland den politischen und gesellschaftlichen Frieden in einer Grundsatzfrage vorsätzlich aufs Spiel setzt, dann müssen politische Männerbündeleien hintanstehen. Das sind Sie den Frauen in der gesamten Republik, nicht nur in Bayern, schuldig. Enttäuschen Sie die Frauen nicht! ({12})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist heute hier die Stunde des Parlaments, und das lassen wir uns auch nicht nehmen. ({0}) Denn hier ist vor knapp einem Jahr zum letztenmal über das Beratungskonzept zum Schutz des ungeborenen Lebens und die Hilfe für Frauen in schwierigen Konfliktsituationen beraten und abgestimmt worden. Viele, die jetzt auch hier sind, haben mit Sicherheit gedacht, mit dieser Abstimmung endlich einen endgültigen Schlußpunkt unter eine jahrelange intensive, kontroverse und auch emotionale Auseinandersetzung gesetzt zu haben. ({1}) Leider ist das nicht der Fall. Gegen das Gesetz vom 21. August 1995 hat niemand das Bundesverfassungsgericht angerufen. Und dieser breite gesellschaftliche Konsens vom Juni letzten Jahres, der zu Rechtssicherheit und zu mehr Rechtsfrieden in Deutschland für die betroffenen Frauen, für die Beratungsstellen und auch für die Ärzte geführt hat, ist jetzt durch das Vorgehen der Bayerischen Staatsregierung gefährdet. Was in den jahrelangen parlamentarischen Beratungen an Positionen teilweise nicht durchsetzbar war, das soll jetzt durch dieses Gesetzgebungsvorhaben in Bayern wenigstens für den Freistaat Bayern durchgedrückt werden. Das Gesetzgebungsvorhaben verfolgt ganz eindeutig ein Ziel: Durch landesrechtliche Sonderregelungen, die teilweise wörtlich gegen das Bundesrecht verstoßen, und durch ganz erhebliche Beschränkungen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit soll die Vornahme eines legalen Schwangerschaftsabbruchs massiv erschwert werden. ({2}) Herzstück des geltenden Schutzkonzepts ist die verpflichtende Beratung. Das Bundesrecht sieht im § 219 Strafgesetzbuch und im § 5 zur Schwangerschaftskonfliktberatung eindeutige, und zwar abschließende, Regelungen vor. Danach ist die Beratung, die dem Schutz des ungeborenen Lebens dient, die sich davon leiten lassen muß, der Frau zu helfen, eine verantwortliche Entscheidung zu treffen, ergebnisoffen zu führen. Wir sind damals davon ausgegangen, daß es die Verantwortung der Frau ist, die hier eine wichtige Rolle spielt, daß wir sie stärken müssen, ermutigen müssen, die richtige Entscheidung in dieser schwierigen Situation zu treffen mit dem Ziel, das ungeborene Leben zu schützen. Wir haben diese Regelung nicht verabschiedet, damit es viele, sondern damit es möglichst wenige Abtreibungen in Deutschland geben wird. ({3}) Aber es ist in diesen Regelungen konsequent und sehr richtig klargestellt, daß es der Beratungscharakter ausschließt, daß die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird. Wenn Sie mit Beratern und Beraterinnen sprechen - gestern ist im Fernsehen sehr eindrucksvoll die Beraterin einer katholischen Beratungsstelle in Bayern aufgetreten -, dann ist klar, daß die Frauen in diesem Beratungsgespräch über ihre Sorgen und Nöte reden und ein Zwang nicht nur nicht nötig ist, sondern geradezu schädlich wäre, und zwar im Interesse der richtigen Umsetzung des Schutzkonzepts. Dies paßt der Bayerischen Staatsregierung nicht, denn sie ist unzufrieden mit diesem geltenden Recht. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat uns jetzt eines beschert. Schon jetzt bestehen Verunsicherung und Unsicherheit bei betroffenen Frauen in Bayern, Entsetzen und auch Entrüstung bei den behandelnden Ärzten und Unverständnis bei den verantwortungsvoll tätigen Beraterinnen und Beratern. Das ist wahrlich kein Beitrag zum Schutz des ungeborenen Lebens. Die Bayerische Staatsregierung versucht, ihr Vorgehen damit zu rechtfertigen, das Bundesrecht sei unklar und auslegungsbedürftig. Die Entstehungsgeschichte lasse keinen klaren Willen des Gesetzgebers auf Bundesebene erkennen. All das trifft ausdrücklich nicht zu. Es ist ein Vorwand, um eine vermeintliche Landeskompetenz zu begründen, die gerade nicht gegeben ist; denn der Bund hat gehandelt. ({4}) Ich bin froh, daß der bayerische Ministerpräsident unmißverständlich ausgeführt hat, daß seiner Meinung nach dieses Bundesrecht verfassungskonform ist. Deshalb gibt es nur eine Konsequenz, und ich appelliere an Sie, Frau Ministerin Stamm: Es ist nicht zu spät. Ziehen Sie diese Vorhaben zurück! In dem Punkt zur Beratungsregelung enthält Ihr Vorschlag einen Verstoß gegen das Bundesrecht. ({5}) Die anderen Regelungen, die Beschränkungen für die Tätigkeit der Ärzte vorsehen, sind bürokratisch, extrem verwaltungsaufwendig, perfektionistisch und mit einem Kontroll- und Überwachungsapparat versehen, der in solch einer Situation einmalig ist. Ich möchte hier jetzt auf Einzelheiten aus Zeitgründen nicht eingehen. Ich möchte aber zum Schluß eines ganz klar sagen: Wir bitten die SPD-Bundestagsfraktion um Unterstützung unseres fundierten Antrages, der dieselbe Zielrichtung wie der Antrag von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen verfolgt, aber sich in zwei Punkten unterscheidet und über diesen Antrag hinausgeht. Wir fordern neben der Bayerischen Staatsregierung auch die Abgeordneten des Bayerischen Landtages auf, diese Gesetzentwürfe nicht zu verabschieden. Es ist ja klar, an welche Adresse dies geht. Wir sagen auch ganz deutlich: Nötigenfalls muß die Durchsetzung von Bundesrecht auf dem Rechtsweg erzwungen werden. Das sagen wir klar und deutlich, weil wir uns wünschen, daß mit einer Abstimmung über unseren Antrag deutlich wird, daß es nötigenfalls dafür auch eine ausreichende Mehrheit in diesem Parlament geben wird. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte erinnert mich fatal an ein sarkastisches Sprichwort, das sich in der DDR einer gewissen Beliebtheit erfreut hat. Es lautet: Gestern standen wir vor einem Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter. Seit dem Beitritt der DDR ist ununterbrochen versucht worden, eine mehrheitsfähige Regelung zur Frage des Abbruchs ungewollter Schwangerschaften zu finden. Vor fast genau einem Jahr hat der Bundestag nach einem außerordentlich mühevollen Prozeß endlich ein Gesetz zustande gebracht. Die Befürworterinnen und Befürworter einer ersatzlosen Streichung der Abtreibungsparagraphen haben selbstverständlich ihren Kampf fortgesetzt. Es geht uns um die gesellschaftliche Anerkennung der Souveränität der Entscheidung von Frauen. Dennoch haben wir die Mehrheitsentscheidung als das derzeit im Bundestag Erreichbare hingenommen und akzeptiert. Anders die Vertreter und Vertreterinnen des katholischen Fundamentalismus, bei denen erneut die Probleme deutlich werden, die sie mit den demokratischen Institutionen und mit den von diesen getroffenen Entscheidungen haben. Sie sind nicht bereit, ihre Niederlage zu akzeptieren. Während sie 1992 noch ihr Heil in der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gesucht haben, versuchen sie heute den offenen Rechtsbruch. Darauf sollte der Bundestag eine klare Antwort finden. Allein eine Normenkontrollklage, wie sie verschiedentlich angekündigt worden ist, kann diese Antwort nicht sein, da sie in mindestens zweierlei Hinsicht an der Lösung des Problems vorbeigeht. Zum ersten ist eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht genau das, was die Bayerische Staatsregierung will. Bei der bisherigen frauenfeindlichen Einstellung der oberen Richterinnen und Richter ist durchaus zu befürchten, daß die obskuren Ideen Bayerns akzeptiert werden. Dann stehen wir hier vor der Situation, daß die ganze Diskussion noch einmal von vorne losgeht. Zum zweiten entläßt der Ruf nach einem neuen Urteil die Bundesregierung aus ihrer politischen Verantwortung für die Durchsetzung des Bundesrechts. Auch das sollte der Bundestag so nicht hinnehmen. Mit der Diskussion in Bayern über eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in mehrfacher Hinsicht wird das Ziel verfolgt, Frauen die Abtreibung so schwer wie nur irgend möglich zu machen. Erneut wird versucht, die mittlerweile gegebene gesellschaftliche Akzeptanz der Frauen, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, zu untergraben. Eine ganz wesentliche Frage ist in diesem Zusammenhang auch, wie viele Ärzte und Ärztinnen in Bayern sich unter solchen Umständen, nach solchen Diskussionen überhaupt noch bereit erklären werden, Abbrüche durchzuführen. Um den geplanten Rechtsbruch zu verhindern, bedarf es nicht der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Grundgesetz sieht ausreichende Instrumentarien für solche Fälle vor. Gemäß Art. 84 Abs. 3 des Grundgesetzes hat die Bundesregierung die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder zu überwachen. Sie kann über die Möglichkeit des Bundeszwanges nach Art. 37 des Grundgesetzes derartige Vorgehensweisen unterbinden. Auch finanzielle Sanktionen im Zuge des Länderfinanzausgleichs sind ja denkbar. Mit der im Schwangeren- und Familienhilfegesetz vorgeschriebenen Führung einer Bundesstatistik sind ja die Herkunftsländer der ungewollt schwangeren Frauen feststellbar und damit der Abtreibungstourismus aus Bayern quantifizierbar. Eine entsprechende Ausgleichszahlung des Freistaates Bayern an andere Bundesländer ist somit rechnerisch faßbar. Solche oder andere Überlegungen, wie der offensichtlich beabsichtigte Rechtsbruch eines Bundeslandes verhindert werden kann, scheint die Bundesregierung nie angestellt zu haben. Ich erinnere hier an die vor kurzem stattgefundene Fragestunde. Ich stelle also fest, daß weder Frau Nolte als Frauenministerin noch der Bundesjustizminister und insbesondere auch nicht der Bundeskanzler ihrer Verantwortung gerecht geworden sind. Wozu aber brauchen wir eine Bundesregierung, die sich von der Bayerischen Staatsregierung öffentlich vorführen läßt? Eine abschließende Bemerkung noch zum gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der hier zur Abstimmung gestellt wird. Auch wenn die PDS nach wie vor der Auffassung ist, daß die ersatzlose Streichung des § 218 die einzige Garantie gegen Sonderwege oder Auslegungen von Bundesgesetzen ist, wären wir bereit gewesen, den vorliegenden Entwurf mit zu unterzeichnen. Ich bedauere es sehr, daß wir da nicht gefragt worden sind. Ich kann hier aber trotzdem erklären, daß die PDS-BunChristina Schenk destagsgruppe dem vorliegenden Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zustimmen wird. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Hanna Wolf.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der CSU-Generalsekretär Protzner hat erklärt, ({0}) für die CSU sei der Schutz des werdenden Lebens eine Gewissensfrage und Gewissensentscheidung. Für wen ist er das eigentlich nicht? Ich frage mich nur, wie wechselwendisch dieses Gewissen sein darf. Warum hat zum Beispiel die Mehrheit der CSU-Bundestagsfraktion vor einem Jahr dem Bundestagskompromiß zum § 218 zugestimmt? Auch Sie, Herr Protzner! Heute muß ich Sie deshalb fragen: Haben Sie zugestimmt, weil Sie auf die bekannte Doppelstrategie gebaut haben, daß nämlich die Bayerische Staatsregierung gerne so tut, als ob Bayern Ausland wäre, wenn ihr die Bundeslinie nicht paßt, nach dem Motto: Die Bayerische Staatsregierung wird's schon richten? Und die bayerische Sozialministerin Stamm richtet es mit eisiger Kälte. ({1}) Einige von Ihnen haben dem Kompromiß von vornherein nicht zugestimmt. Nun offenbart sich, welcher Geist, welches Menschenbild hinter dieser CSU-Politik steht. Lassen Sie mich das einmal den Geist des Geis, den Geis-Geist, nennen. Der Kollege Geis zum Beispiel lehnt es ab, Ehefrauen im Falle der Vergewaltigung durch ihren Ehemann genauso gesetzlich zu schützen wie andere Vergewaltigungsopfer. Der Kollege Geis will Jugendkriminalität dadurch bekämpfen, daß er alle Jugendlichen mit einem nächtlichen Ausgehverbot belegt. Und der Kollege Geis glaubt, werdendes Leben durch eine quasi Zwangsschwangerschaft schützen zu können. Das ist ein zutiefst inhumaner Geist in der CSU. ({2}) Dieser Geist prägt auch die CSU-Vorstellung und die Vorstellung eines Bischofs Dyba von einer Beratung. Sie setzen nicht auf Vertrauen, sondern auf Zwang. Sie haben nicht einmal Vertrauen in die bisherige Tätigkeit der katholischen Beratungsstellen in Bayern. Wenn in Bayern die Beratungszahlen - Frau Stamm, Sie haben sie selbst genannt - angestiegen sind, dann ist das ein Beweis für das wachsende Vertrauen, das die Beratungsstellen bei den Frauen in Bayern erworben haben. ({3}) Dieses Vertrauen drückt sich auch in der hohen Gesprächsbereitschaft der Schwangeren in der Konfliktberatung aus. Ein gesetzlich vorgeschriebener Mitteilungszwang wird dagegen dieses sensible Vertrauensverhältnis nur empfindlich stören. Aber vielleicht setzt die CSU gar nicht auf Vertrauen. Im gleichen Geist zerstört das bayerische CSU-Gesetz das Vertrauensverhältnis zwischen der zur Abtreibung entschlossenen Frau und dem Arzt. Ihm wird vorgeschrieben, daß er die Abtreibung ablehnen muß, wenn er sie nicht für verantwortbar hält. Es wird ihm aber ebenfalls vorgeschrieben, wann er sie nicht für verantwortbar halten darf, nämlich dann, wenn ihm die Frau ihre Beweggründe nicht mitgeteilt hat. Damit soll doch der Arzt insgeheim wieder zum Richter gemacht werden. Aus der vom Bundesgesetzgeber gewollten Gelegenheit zur Beratung wird in Bayern wieder ein Zwang zur Offenlegung für die Frau. Das ist eine weitere vertrauenzerstörende Maßnahme. Die Strafe als Schutzkonzept hat versagt. Statt auf Strafe setzt die CSU nun auf Demütigung und Zwang. ({4}) Wo bleiben die Hilfen? Woher sollen die Frauen den Mut zum Kind bekommen, wenn sie ihn nicht haben? Woher sollen die Frauen noch das Vertrauen in die dauerhafte Gültigkeit von Gesetzen nehmen, wenn diese in jeder neuen Sparrunde flugs wieder zur Disposition gestellt werden können oder in Bayern erst gar nicht gelten? In Bayern gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Nur nach der Statistik gibt es viele Kindergartenplätze in der Form der Betreuung zwischen 9 und 12 Uhr, vielleicht auch etwas länger. Dann bleibt den Müttern in der Zeit von 10 bis 11 Uhr genügend Zeit, ihrem 590-DM-Job nachzugehen. In Bayern gibt es kaum Ganztagsschulen, und in den Halbtagsschulen werden die zusätzlichen Sportstunden und musischen Neigungsgruppen gerade zusammengestrichen. Dafür sollen private Musikschulen und Sportvereine herhalten. Die Mütter sind dann wieder die unbezahlten Kindertaxifahrerinnen. Die Bundesregierung verschiebt die gesetzlich beschlossene Kindergelderhöhung. Das Studenten-BAföG macht die jungen Leute zu Schuldnern. Nach dem Studium können sie ihre Schulden nicht abzahlen, weil der Arbeitsmarkt zu ist. Der Arbeitsmarkt ist zu, weil unter anderem die Frauen länger im Erwerbsleben bleiben müssen, und das alles wegen Gesetzesverschlechterungen, die nicht absehbar waren, als diese Kinder noch nicht geboren waren. Machen die Bundesregierung und die CSU den Frauen so Mut zum Kind? Wer soviel Hilfen streicht, erledigt das Schutzprinzip Hilfe statt Strafe selbst. ({5}) Demütigungen und Pressionen sind kein geeigneter Ersatz für eine Politik für Menschen. Nur eine Politik für Menschen schützt werdendes Leben. Hanna Wolf ({6}) Ich gehe davon aus, daß der Deutsche Bundestag mit Mehrheit den vorliegenden Anträgen zustimmt. Sollte aber die Bayerische Staatsregierung trotzdem wie beabsichtigt ihre Gesetzentwürfe durchpeitschen, steht ihr ein heißer Herbst bevor. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der bayerischen Staatsministerin Frau Barbara Stamm. Staatsministerin Barbara Stamm ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin namens der Bayerischen Staatsregierung dankbar, daß mir die vorliegenden Anträge zur Novellierung unseres Bayerischen Schwangerenberatungsgesetzes sowie zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz Gelegenheit geben, offensichtlich bestehende Mißverständnisse, ({2}) aber auch bewußte Verdrehungen und Polemik richtigzustellen. Wie notwendig diese Richtigstellungen sind und wie uninformiert selbst von den Antragstellern diskutiert wird, beweist schon die Begründung der dem Hohen Haus vorliegenden Anträge. Sie unterstellt, der in Bayern geforderte Identitätsnachweis widerspräche dem Erfordernis einer auf Wunsch anonymen Beratung. Selbstverständlich kann eine Frau anonym beraten werden. In unserem Gesetz heißt es wörtlich: „Auf Wunsch kann die Beratung anonym erfolgen." Die Frau muß sich aber nach Abschluß der Beratung gegenüber einer anderen Mitarbeiterin der Beratungsstelle vor Erteilung des Beratungsscheins ausweisen. ({3}) Damit bleibt die Anonymität der Frau gegenüber der beratenden Person voll gewahrt. Das Rechtsdokument des Beratungsscheines kann allerdings nur nach Identitätsnachweis ausgestellt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bayern hat bereits seit 1977 ein eigenes Schwangerenberatungsgesetz. Dieses enthält Aussagen zu Zielsetzung und Inhalt der Schwangerenberatung, zur Anerkennung von Beratungsstellen und zu ihrer staatlichen Förderung. Nach diesem Gesetz haben die Beraterinnen der verschiedenen Beratungsträger, zu denen in Bayern übrigens auch Pro Familia gehört, in den zurückliegenden Jahren beraten - ohne Auseinandersetzungen, ohne Krach, ohne Polemik, aber unbestreitbar zum Wohle der beratenen Frauen und zum Schutz der ungeborenen Kinder. Das im letzten Jahr zustandegekommene Schwangerschaftskonfliktgesetz des Bundes macht eine landesrechtliche Umsetzung erforderlich, sei es durch Gesetz, Richtlinien oder Erlasse. Wir tun dies durch Novellierung unseres Schwangerenberatungsgesetzes. Unser Entwurf enthält eine Fülle von notwendigen und außerhalb jeglicher Kritik stehenden Regelungen, so etwa zum Beratungsverfahren, zur Aus-und Fortbildung der Fachkräfte, zur Notwendigkeit der Supervision, zur verstärkten Einbeziehung des sozialen Umfeldes, zum Anerkennungsverfahren sowie zur staatlichen und kommunalen Förderung. Ich bedauere sehr, daß sich die politische Diskussion auf einen einzigen Punkt dieses Entwurfs konzentriert, nämlich auf die Regelung, daß Voraussetzung für die Erteilung des Beratungsscheins die Angabe der Konfliktgründe der Frau ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir legen den Frauen in Bayern - und da ist Ihre Behauptung falsch - damit keinerlei neue Last auf. Frau Abgeordnete Wolf, da Sie ja Bayerin sind, müßte ich eigentlich davon ausgehen, daß Sie den Beratungsschein kennen, den wir in Bayern seit 1993 in allen Beratungsstellen für das Beratungsgespräch zur Grundlage gemacht haben. In diesem Beratungsschein steht, daß die Frauen ihre Gründe mitgeteilt haben. Gehen Sie davon aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie hier heute diese Anträge stellen, daß in bayerischen Beratungsstellen seit 1993 Beratungsscheine ausgehändigt worden sind, die nicht das zum Gegenstand haben, was dieser Beratungsschein beinhaltet? Davon können Sie nicht ausgehen. Unsere Beratungsstellen haben mit diesem Beratungsschein gearbeitet, in dem es heißt, daß die Frauen ihre Gründe mitgeteilt haben, und es hat keinen Ärger, es hat keine Verunsicherung gegeben. ({4}) Keine Frau ist einer Beratung in Bayern ferngeblieben, sondern die Zahlen in der Konfliktberatung haben sich bei uns seit 1993 erhöht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Staatsministerin Barbara Stamm ({0}): Nein. Es tut mir leid, mir ist eine Redezeit vorgegeben worden, und ich möchte im Zusammenhang ausführen. ({1}) Ich möchte Ihnen noch einmal zu verstehen geben, daß das nun in unseren Gesetzentwurf übernommene Beratungsverfahren in Bayern bereits seit drei Jahren im vollen Einvernehmen mit den Beratungsstellen verwendet wird. Diesen Beratungsschein habe ich persönlich mit Mitarbeiterinnen der Beratungsstellen erarbeitet - wohlgemerkt, auch Pro FaStaatsministerin Barbara Stamm ({2}) milia ist mit dabei gewesen -, und er wurde problemlos eingesetzt. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe für den Freistaat Bayern bereits bei der Behandlung des Bundesgesetzes in der Sitzung des Bundesrates vom 14. Juli 1995 ausdrücklich auf diese Problematik hingewiesen und betont, daß diese unklaren Vorgaben erhebliche Risiken für den vom Bundesverfassungsgericht erwarteten verfassungskonformen Lebensschutz durch wirksame Konfliktberatung nach dem Beratungsmodell beinhalten. Bei der klarstellenden Regelung Bayerns wird es auch an einem anderen Punkt bleiben. Was das Arztrecht angeht, Herr Justizminister Schmidt-Jortzig - da kritisieren Sie uns nicht -, geben Sie uns als Landesgesetzgeber die Kompetenz. Aber, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, beim Arztrecht werden wir selbstverständlich das Verwaltungsverfahren und den Ablauf so gestalten, daß auch unsere Ärzteschaft in Bayern damit zurechtkommt. ({4}) - Die Frauen sind beim Arztrecht völlig außen vor. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen vielleicht in aller Ruhe einmal etwas sagen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Einen Augenblick, Frau Ministerin. - Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen der Ministerin als Mitglied des Bundesrates Gelegenheit geben, hier vorzutragen. Ich muß die Sitzung unterbrechen, wenn Sie ihr keine Möglichkeit geben. Es geht so nicht. ({0}) Frau Ministerin, fahren Sie fort. Staatsministerin Barbara Stamm ({1}): Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen als Frau in der Politik, als sehr engagierte Frau in der Politik sagen, daß es mir in dieser Frage nicht darum geht, gegen die Frauen zu arbeiten. ({2}) Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß wir das ungeborene Leben nicht gegen die Frauen sondern nur mit den Frauen schützen können. ({3}) Sie übersehen bei Ihrer Kritik aber eines: Das Beratungsmodell, das vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben worden ist, soll zum Schutzkonzept für das ungeborene Kind werden. Dieses Schutzkonzept für das ungeborene Kind kann wohl nur dann zum Tragen kommen, wenn auch tatsächlich Beratung stattfindet. Es ist eben ein Unterschied, ob Sie eine bloße Information in der Beratungsstelle hinnehmen ({4}) oder ob Sie, was sehr wichtig ist, der Beratung den Charakter geben, daß der Frau geholfen werden kann und sie zum Austragen des Kindes in die Lage versetzt wird. ({5}) Dies ist die Vorgabe. Aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergibt sich die Verpflichtung des Staates, menschliches Leben, auch das ungeborene Leben, zu schützen. Dieser Schutz kann nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auch über eine Konfliktberatung angestrebt werden. Bayern steht zu diesem Beratungsmodell. Allerdings stehen wir auch zu der uns vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Verantwortung, dieses Beratungsmodell glaubwürdig und wirksam umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil für die verfassungskonforme Umsetzung des Beratungsmodells sehr klare Vorgaben gegeben, die Herr Abgeordneter Dr. Göhner schon zitiert hat. Schon die Aufnahme der Konfliktberatung also erfordert die Mitteilung der wesentlichen Gründe. Das bedeutet, daß ohne diese Mitteilung eine Konfliktberatung nach dem Modell „Lebensschutz durch Beratung" noch nicht einmal beginnen kann. Daher kann dann auch keine Beratungsbescheinigung ausgestellt werden, was ja nach dem Bundesgesetz einen Abschluß der Beratung voraussetzt. Was nicht begonnen wurde, kann logischerweise auch nicht abgeschlossen werden. Das sehen selbst SPD-geführte Länder so, in deren Richtlinien für die Anerkennung von Schwangerenberatungsstellen nämlich wie im bayerischen Gesetzentwurf vorgesehen ist, daß die Beraterin die wesentlichen Gründe der Schwangeren für den Abbruchwunsch im Beratungsprotokoll festhält. Offensichtlich wird also auch hier von der Mitteilung der Gründe ausgegangen. Das Bundesverfassungsgericht ist sogar noch einen Schritt weitergegangen und hat ganz klar zwischen der allgemeinen Beratung und der lebensschützenden Konfliktberatung im Beratungsmodell unterschieden. Hier ist eben die Mitteilung der Gründe unerläßlich. Auch an anderen Stellen hat das Gericht immer wieder betont, daß die Beratung den konkreten Schwangerschaftskonflikt der Frau aufzugreifen hat. Aber das alles scheint in der aufgeregten politischen Auseinandersetzung nicht zu interessieren. Viele, die sich mehr lautstark als sachkundig zu Wort melden, wollen offenbar die Anerkennung einer „ScheinbeStaatsministerin Barbara Stamm ({6}) ratung" , einer „Beratungsfiktion" durchsetzen. Sie wollen noch immer die vom Bundesverfassungsgericht verworfene Fristenregelung. ({7}) Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe mir Ihre Äußerungen in den letzten Tagen nicht nur einmal, sondern mehrmals zu Gemüte geführt. Ich muß sagen, Sie persönlich stehen gar nicht zu dem Kompromiß, der hier im Deutschen Bundestag getroffen worden ist. ({8}) Sie interpretieren im Grunde genommen den Kompromiß für sich. Allein wegen dieser unterschiedlichen Interpretierbarkeit muß es für einen Landesgesetzgeber möglich sein, die Rechtssicherheit dafür zu schaffen, daß nicht unterschiedlich interpretiert werden kann. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, wie Beratung stattfindet und wie Beratung auch in Zukunft stattfinden muß. Die Schwangere wird in der Beratung zu nichts gezwungen, ihre Gründe werden nicht überprüft, bewertet oder beurteilt. Der Schwangeren wird vielmehr geholfen. ({10}) Ich darf zusammenfassen: Was das Arztrecht anbelangt, denke ich, wird es zu den vorliegenden Anträgen keine große Diskussion geben. Was aber vor allen Dingen die Novellierung unseres Schwangerenberatungsgesetzes anbelangt, müssen wir unserem Verfassungsauftrag gerecht werden. Ich darf nochmals betonen: Wir dienen damit gleichermaßen dem Schutz des ungeborenen Lebens wie der Hilfe für die Schwangeren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf? Staatsministerin Barbara Stamm ({0}): - Nein. - Diese Zielsetzung haben wir konsequent verfolgt. Die Bayerische Staatsregierung hat deshalb zweimal das Bundesverfassungsgericht angerufen und hatte mit ihren Klagen in zentralen Punkten Erfolg. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt - dafür werde ich auch weiter werben -, daß unser Beratungsmodell wie bisher auch weiterhin ein Schutzkonzept für das ungeborene Leben sein wird. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Modell - vielleicht übersehen Sie das in Ihrer Argumentation - ausdrücklich unter die Beobachtungs- und etwaige Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers gestellt. Ich könnte mir deshalb gut vorstellen, daß eine unabhängige Kommission zur Beobachtung der verfassungsmäßigen Umsetzung des Beratungsmodells eingesetzt wird. In ihr könnten Verfassungsrechtler, Vertreter von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Ärzten und Frauenorganisationen zusammenarbeiten, ({2}) um die rechtliche sowie die praktische Umsetzung des lebensschützenden Beratungsmodells in Bund und Ländern zu beobachten und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Frau Wolf, lassen Sie mich abschließend noch sagen: Wenn Sie hier die Kindergartenplätze in Bayern anmahnen, dann kann ich nur sagen, Sie sind in München Abgeordnete, und München hat in Bayern die schlechteste Kindergartenversorgung überhaupt. ({3}) Tragen Sie als Abgeordnete von München mit dazu bei, daß dies besser wird! In der Stadt, aus der ich komme, haben wir eine 100prozentige Versorgung. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke - das ist das, was mich in dieser Stunde und in den letzten Tagen ganz enorm bewegt -, daß wir Frauen in unserer Gesellschaft selbstverständlich selbst bestimmen dürfen. Aber dann, wenn neues Leben entstanden ist, müssen wir in unserer Gesellschaft alles tun, um diesem neuen Leben auch zum Leben zu verhelfen. ({5}) Deshalb ist der Staat dafür verantwortlich, den Frauen mit Rat und tatkräftiger Hilfe zur Seite zu stehen. Dann werden wir alle unserer Verantwortung gerecht. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt die Kollegin Frau Anni Brandt-Elsweier.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr hat der Wolf Kreide gefressen. Er hat seine Stimme ändern können, aber nicht seine Einstellung. Nach wie vor frißt er die Zicklein. ({0}) Anders lassen sich die bayerischen Ereignisse wirklich nicht beschreiben. Das Land Bayern will verhindern, daß die Bundesrepublik Deutschland endlich den Alptraum des § 218 abschütteln kann. Dabei sah es vor einem Jahr noch so aus, als würden es alle Parteien mit dem gemeinsam gefundenen Kompromiß ehrlich meinen. Wir sind aber offensichtlich getäuscht worden. ({1}) Das unredliche Taktieren einer bundespolitischen Kleinpartei geht weiter. Vor einem Jahr haben wir in diesem Haus mit einer Mehrheit von fast 75 Prozent aller Stimmen ein neues Recht zum Schwangerschaftsabbruch verabschiedet. Es war natürlich ein Kompromiß, er wurde aber von CDU/CSU, F.D.P. und SPD getragen. An dieser Reform waren gerade die Abgeordneten der CSU in erheblichem Maße beteiligt; denn es gab damals wohl keine Landesgruppe im Bundestag, die sich häufiger mit ihrer Landesregierung abgestimmt hat. Um so unverständlicher und anmaßender ist daher das, was die Landesregierung Stoiber jetzt unter dem Deckmantel der Fürsorge anstrebt. ({2}) Aus der Angst heraus, mit einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern, bastelt sie einen zutiefst frauenfeindlichen Gesetzentwurf über die Beratung in Fragen der Schwangerschaft und ein Schwangerenhilfeergänzungsgesetz speziell für das Land Bayern. Ich frage Sie, Frau Ministerin Stamm: Wenn vorher bei der Beratung alles in Ordnung war, weshalb dann dieser Entwurf? ({3}) Zur Begründung sagt man, angeblich sei es notwendig, einzelne Punkte des Reformgesetzes zu konkretisieren und Aufträge des Bundesverfassungsgerichts - man höre! - zu erfüllen, die der Bundesgesetzgeber übersehen habe. Ich zitiere aus dem Vorspann - ich habe das gelesen -, der Bundesgesetzgeber sei nicht allen Regelungsaufträgen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen. Herr Stoiber also als Lehrmeister der Nation! Die bayerische Landesregierung will nur noch von Gynäkologen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen - dies in Einrichtungen, die dafür eine spezielle Erlaubnis erhalten haben. Jeder hier kann sich jetzt vorstellen, welche Einrichtungen keine Erlaubnis erhalten werden. Weiter darf der Arzt Abbrüche nur vornehmen, wenn der Einkommensanteil durch Abbrüche unter 25 Prozent liegt. Dies ist nicht nur eine unzulässige Einschränkung der ärztlichen Berufsausübung. Es ist eine weitere Hürde für die Frauen. Die Zielrichtung wird noch deutlicher: Nach dem Willen der bayerischen Landesregierung soll es in Bayern vor dem Abbruch den Zwang zu einem weiteren Beratungsgespräch mit dem Gynäkologen geben. Nach diesem Gespräch entscheidet allein der Arzt, ob er einen Abbruch verantworten kann. Er muß seine Mitwirkung ablehnen, wenn er ihn nicht für verantwortbar hält - gut -, dies aber zum Beispiel auch dann, wenn die Frau ihre Beweggründe nicht darlegt. Dies läuft auf eine totale Entmündigung der Frau hinaus. Ich frage mich, welches Frauenbild hier zugrunde liegt. ({4}) Vor dem Hintergrund, daß nur bestimmte, der bayerischen Landesregierung genehme Einrichtungen die Erlaubnis erhalten, dürfen wir gespannt sein, ob es in Bayern überhaupt noch Hilfe für schwangere Frauen in Notlagen geben wird. Was es geben wird, ist klar: Es wird zu einem Tourismus kommen, den wir bereits einmal hatten, diesmal aber nicht in die Niederlande, sondern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Das halte ich für einen Skandal. ({5}) Wir alle haben uns bei der Beratung der Reform des § 218 eingehend mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt und uns an dessen Vorgaben gehalten, dies unter Mitwirkung der CSU-Abgeordneten. Gemeinsam haben wir beschlossen, daß die schwangere Frau in einem Schwangerschaftskonflikt nicht gezwungen werden kann - dies stellt auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich fest -, ihre Gründe anzugeben, da dies dem beratenden Charakter widerspricht. Wir waren uns alle einig. Ich bin davon überzeugt, daß niemand in diesem Hause sagen kann, er habe alle seine Vorstellungen durchsetzen können. Es waren zu jedem Punkt Bedenken vorhanden. So ist es aber nun einmal. Wenn man einen breiten Konsens haben will, muß man einen Weg dazu finden und ihn auch gehen. Ich denke, auch das Land Bayern ist an diesen Kompromiß gebunden; denn nicht ohne Grund steht in Art. 31 unserer Verfassung, daß Bundesrecht Landesrecht bricht. Es kann und darf kein eigenständiges Abtreibungsrecht in Bayern geben. ({6}) Das werden wir nicht mittragen. ({7}) Leider sieht sich ja die Bundesregierung, die die Möglicheit einer Einflußnahme hätte, wohl nicht in der Lage, hier ein deutliches Wort zu sagen. Aus dem für die Frauen zuständigen Ministerium kam bei der Fragestunde ohnedies nur das gewohnte naive Schulterzucken und „kein Handlungsbedarf" . Wir sind gefordert. Es freut mich, daß die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. hierzu einen deutlichen Standpunkt beziehen. Ich bitte Sie alle, dem gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort nimmt jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Edzard SchmidtJortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche als Mitglied des Bundestages, als Mitglied dieses Gesetzgebers, ({0}) der vor einem guten Jahr dieses Gesetz beschlossen hat, gegen welches jetzt ein Landesgesetz verstoßen will. Meine Damen und Herren, insbesondere Frau Grießhaber und Frau Schenk, ich weiß gar nicht, warum Sie sich an diesem Punkt so klein machen und hinter der Bundesregierung verstecken wollen. Es ist Sache dieses Parlaments, es sich nicht gefallen zu lassen, daß gegen seine Vorschriften verstoßen wird. ({1}) Es geht nicht um irgendwelchen administrativen Gesetzesvollzug, dessen richtige Durchführung die Bundesregierung zu kontrollieren hat, sondern es geht darum, daß ein Gesetzgeber, der bayerische Landesgesetzgeber, seinen Entwurf gegen den des Bundesgesetzgebers setzt, und deswegen ist es natürlich das Parlament, welches sich hier wehren muß, und niemand anderes. ({2}) - Vielen Dank, nein, es tut mir leid, die Debatte muß jetzt auch zu Ende kommen, glaube ich. ({3}) Wir haben uns im Bundestag seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Mai 1993 - auch für Sie gilt das hoffentlich, Herr Fischer - intensiv um einen verfassungskonformen Weg bemüht und über die Parteigrenzen hinweg um einen tragfähigen Kompromiß zur Regelung des Abtreibungsrechts gerungen. Wir haben - und dieser Gesichtspunkt ist überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen - mit diesem Bundesgesetz die Rechtsverschiedenheit überwunden, die zwischen den beiden Teilen Deutschlands bis dahin noch bestand. ({4}) Die neuen Länder hatten noch das Recht der alten DDR, und es war vom Bundesverfassungsgericht angemahnt, daß wir eine Einheitlichkeit zustande bringen sollen. Das hat der Bundesgesetzgeber getan, und das darf nicht konterkariert werden. ({5}) Meine Damen und Herren, ich will nicht noch lange darauf bestehen - dazu sind die Argumente genügend ausgetauscht worden -, daß der geplante Beschluß dieses einen bayerischen Gesetzentwurfes in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung gegen das Bundesgesetz verstößt. An diesem Punkt will ich noch einiges deutlich machen. Es ist auch im Bundesgesetz eindeutig geregelt, daß auf die Mitwirkungsbereitschaft der Schwangeren gesetzt wird; ({6}) aber der Unterschied ist der, daß, wenn sich die Schwangere darauf nicht einlassen will, aus welchen Gründen auch immer, also die Erwartung der Mitwirkung nicht erfüllt, es dann auch sein Bewenden haben muß. Es kann nicht erzwungen werden, daß sie mitwirkt. Sie muß also ihre Bescheinigung bekommen, wenn sie zur Beratung kommt und sich die Argumente aufmerksam anhört. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter, darf ich einmal unterbrechen? - Es ist einfach nicht möglich, hier im Saal den Ausführungen zu folgen. Ich bitte Sie, da wir noch mitten in der Debatte sind, mehr Ruhe herzustellen. Sonst macht die Debatte keinen Sinn. ({0})

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Ich will es an diesem Punkt kurz machen. Es ist überhaupt nicht ernsthaft darum herumzukommen, daß die Formulierung in dem geplanten bayerischen Gesetz gegen das Bundesgesetz verstößt. Das ist mit allen Auslegungskunststücken nicht hinwegzudiskutieren. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hüppe?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, vielen Dank. Da bin ich jetzt konsequent. Das ist nicht hinwegzudiskutieren; es sei denn, man interpretiere das bayerische Gesetz - so es denn eines wird - ausdrücklich bundesrechtskonform. Aber das wiederum könnte dann nur verbindlich ein Verfassungsgericht tun. Ich will nur noch auf einen Punkt näher eingehen. Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob das bayerische Gesetzesvorhaben vielleicht doch ein Stück näher an der Verfassung oder - deutlicher gesagt - an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Materie liegen könnte. Darauf kommt es nicht an. ({0}) Denn dieses Bundesgesetz hat nun einmal die Schwangerschaftskonfliktberatung so geregelt, wie es sie geregelt hat. Es ist niemand - ich glaube, auch niemand in diesem Saal - ernsthaft der Auffassung, daß die bundesgesetzliche Regelung zu diesem Punkt gegen die Verfassung verstoße. ({1}) Es kommt allein darauf an, daß der Bundesgesetzgeber die entscheidende Vorgabe zu dieser Materie getroffen hat und sich deshalb ein Landesgesetzgeber, wie gerne er es auch immer wollte, davon nicht verabschieden darf. Lassen Sie uns dem inakzeptablen Alleingang Bayerns entgegentreten. ({2}) Lassen Sie uns dem Gesetzgeber in München die rechtsfriedens-, aber vor allen Dingen auch rechtseinheitsgefährdende Haltung seines Vorhabens deutlich machen: in bundesstaatlicher, in verfassungsrechtlicher und in sachpolitischer Hinsicht. Lassen Sie uns immer noch intensiv auf ein Einlenken Bayerns hoffen. Aber wenn das nicht nutzt, dann müssen wir auch wirklich beherzt den Gang zur verfassungsrechtlichen Überprüfung nach Karlsruhe antreten. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht der Wunsch nach drei Kurzinterventionen: von Herrn Hüppe, Frau Grießhaber und Herrn Göhner. Ich sage gleich, mehr Kurzinterventionen kann ich nicht zulassen, weil wir sonst aus dem Zeitplan geraten. Herr Hüppe.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Schmidt-Jortzig, ich darf schon angesichts der Tatsache, daß Sie meine Frage nicht zugelassen haben, bemerken, daß Sie bei der letzten Abstimmung über das Schwangerenhilfegesetz dieses Gesetz abgelehnt haben, weil Sie gesagt haben, daß Sie sich keine Situation vorstellen können, bei welcher der Staat die Hand zum Töten menschlichen Lebens reichen soll. Ich wundere mich, daß Sie jetzt einen anderen Standpunkt vertreten. Da ich gerade sehe, daß Sie gleich antworten wollen, darf ich Sie fragen, ob Sie jetzt Ihren Standpunkt „Hilfe statt Strafe" in „Abtreibung statt Hilfe" umgewandelt haben. ({0}) - Wenn Sie das Recht auf Leben noch nicht akzeptieren, dann sollten Sie wenigstens das Recht auf freie Meinungsäußerung akzeptieren. ({1}) Wenn Sie das mit der Hilfe für Frauen so ernst meinen, darf ich fragen, ob Sie dann zum Beispiel das Kündigungsschutzrecht für Hausangestellte weiter behindern wollen, wonach schwangeren Hausangestellten nicht gekündigt werden darf, oder wollen Sie das als F.D.P. nicht? Wenn Sie hier so reden, dann sagen Sie doch offen, was Sie wollen. Sie wollen doch gar nicht die Hilfe für Frauen. ({2}) - Frau Präsidentin, Sie sollten mir die Möglichkeit geben, ausreden zu dürfen. Wenn es Ihnen wirklich um das Recht der Frauen ginge, warum regt sich dann heute keiner darüber auf, daß es immer noch Beratungsstellen wie Pro Familia gibt, die die Frauen wegschicken und die Hilfe der Stiftung „Mutter und Kind" bis heute noch nicht vermitteln? Warum regen Sie sich nicht darüber auf, daß es in SPD-regierten Ländern wie in Nordrhein-Westfalen immer noch nicht den Beratungsschlüssel 1:40 000 gibt? Das ist Hilfe für Frauen und nicht die Erleichterung von Abtreibungen. Welches Frauenbild haben Sie eigentlich? ({3}) Glauben Sie denn, daß alle Frauen nur abtreiben wollen? Das, was Sie wirklich wollen, ist, daß Abtreibungsärzte wie Herr Stapf, der in der Anhörung selbst gesagt hat, daß er innerhalb von wenigen Jahren 32 000 Abtreibungen vorgenommen hat - das heißt pro 38 Minuten seiner Arbeitszeit eine Abtreibung -, weiter abtreiben dürfen und ihr Geld nur durch die Tötung ungeborener Kinder verdienen können. Innerhalb von 38 Minuten kann er die jeweilige Frau gar nicht aufklären, kann er überhaupt nicht klären, ob die Frau unter Druck gesetzt wird. Wenn Sie den Frauen und dem ungeborenen menschlichen Leben helfen wollen, dann nehmen Sie Ihre Anträge zurück. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Professor Schmidt-Jortzig, sind Sie einverstanden, daß ich erst die beiden anderen Kurzinterventionen zulasse und Sie dann im Zusammenhang darauf antworten? ({0}) - Danke schön. Frau Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es fällt mir nach der Beschimpfung all derer, die sich für eine Hilfe für Frauen einsetzen, nach diesem ideologischen Ausguß unheimlich schwer, hier ruhig meine Kurzintervention vorzubringen. ({0}) Der Justizminister hat hier ja ausdrücklich als Abgeordneter gesprochen. Nun wäre es allerdings höchst interessant, was denn die Auffassung des Verfassungsorgans Bundesregierung ist. Die Situation ist absolut ungewöhnlich: Wann haben wir Debatten, in denen sich die Bundesregierung überhaupt nicht - an keiner einzigen Stelle - zu Wort meldet und ihre Meinung zu einem Vorhaben vorbringt? Sie schweigt, sie ist stumm, sie ist abgetaucht. ({1}) Sie ist in dieser Debatte nicht vorhanden. Sie hat dieses Gesetz mit der Mehrheit ihrer Mitglieder mitgetragen und hat jetzt kein Wort dazu zu sagen! Das ist einfach empörend. Wir als Parlament, als Gesetzgeber wüßten gerne, inwieweit die Bundesregierung die Kritik der Mitglieder dieses Hauses, der Mehrheit, die dieses Gesetz gerade verabschiedet hat, unterstützt und dahintersteht oder nicht. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt-Jortzig, Sie haben in einer, wie ich fand, sehr differenzierten Weise aus Ihrer Sicht begründet, warum der bayerische Gesetzentwurf zum Schwangerenberatungsgesetz gegen das Bundesrecht verstoße. Dabei ist mir aufgefallen, wie Sie ausdrücklich betont haben, daß Sie diesen einen bayerischen Gesetzentwurf wegen Verstoßes gegen das Bundesgesetz für rechtswidrig halten. Nun hat - Sie haben ja für Ihre Fraktion gesprochen - die F.D.P.-Fraktion hier einen Antrag vorgelegt, dessen erster Satz lautet: Die Gesetzgebungsvorhaben der Bayerischen Staatsregierung ... verstoßen gegen Bundesrecht. ({0}) Ich komme auf diese Frage deshalb, weil ich der öffentlichen Debatte und Ihrem Brief an den bayerischen Justizminister entnommen habe, daß Sie - wie Sie dort formuliert haben - den von anderer Seite erhobenen Vorwurf, der zweite bayerische Gesetzentwurf, nämlich der zum Schwangerenhilfeergänzungsgesetz, sei verfassungswidrig, nicht teilen. Dieser Standpunkt des Bundesjustizministeriums überrascht mich nicht, weil es über alle Jahre hinweg diesen Standpunkt immer konsequent vertreten hat. Ich weiß als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär in Ihrem Hause noch sehr gut, daß die gesamte Materie, die in diesem zweiten bayerischen Gesetz geregelt ist, nicht bundesrechtlich geregelt werden kann, weil dem Bund dazu die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Nun wird in Ihrem Antrag behauptet, der Verstoß gegen Bundesrecht beim Schwangerenhilfeergänzungsgesetz beruhe auf der von mir als französische Regelung bezeichneten 25-Prozent-Klausel. Aber, Herr Kollege Schmidt-Jortzig, genau dazu teilen Sie der Bayerischen Staatsregierung schriftlich mit, daß Sie das für verfassungsgemäß halten. In bezug darauf hat das Bundesministerium der Justiz der CDU/ CSU-Fraktion schriftlich die Auskunft gegeben, als wir das für einen Entwurf eines Bundesgesetzes vorgesehen hatten: Das dürft ihr nicht; das ist ausschließliche Kompetenz des Landes. Da auch die Vorrednerin aus Ihrer Fraktion, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, kein Wort dazu gesagt hat, wie Sie denn Ihre Behauptung begründen wollen, auch der andere bayerische Gesetzentwurf verstoße gegen Bundesrecht, möchte ich Sie fragen: Wo sehen Sie den Rechtsverstoß bei diesem Gesetz? Sie sind in dieser Frage offensichtlich anderer Meinung als der Gesetzgeber in Bayern und übrigens auch als das Verfassungsgericht. Denn zum Beispiel diese französische Regelung, die 25-ProzentQuote, die Vorschriften zum Arztrecht, die jetzt im bayerischen Gesetzentwurf stehen, sind ja die wörtliche Umsetzung dessen, was das Bundesverfassungsgericht dazu vorgeschlagen oder mindestens nahegelegt hat. Da mögen Sie anderer Meinung sein als das Bundesverfassungsgericht. Ich frage: Wo liegt der von Ihnen hier im Antrag der F.D.P. im ersten Satz behauptete Rechtsverstoß dieses zweiten bayerischen Gesetzentwurfes? Vorgetragen haben Sie dazu bisher nichts. Sie, Herr Schmidt-Jortzig, haben aus überzeugenden Gründen bisher die gegenteilige Auffassung vertreten. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Göhner, es geht mir in der Tat nur um die rechtliche Frage. Ich komme gleich noch auf das, was Sie, Herr Kollege Hüppe, nachgefragt haben, zu sprechen. Es geht mir darum, ob es dem bayerischen Gesetzgeber an diesem Punkt erlaubt ist, mit einem eigenen Entwurf, mit einer eigenen Regelung gegenüber der des Bundesgesetzgebers aktiv zu werden. Ich glaube nicht, daß das geht; denn in Art. 72 des Grundgesetzes steht nun einmal: Die Länder haben Gesetzgebungszuständigkeit nur, soweit und solange der Bundesgesetzgeber von seiner Regelungszuständigkeit keinen Gebrauch macht. Da er davon Gebrauch gemacht hat, kann das so nicht akzeptiert werden. Im übrigen setze ich nach wie vor darauf - das letzte Wort des bayerischen Gesetzgebers ist ja noch nicht gesprochen -, daß vielleicht in den Beratungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, im Rechtsausschuß, Formulierungen zustande kommen, die in der Tat die Verstöße, die ich anprangere, dann doch vermeiden können. Ich setze immer auf die Lernbereitschaft der Menschen. Vielleicht werde ich hier ja sogar überrascht. Herr Hüppe, das genau ist, glaube ich, der Unterschied zwischen unseren beiden Positionen, den Sie ansprechen. Ich bin in der Tat nicht glücklich über die bundesrechtliche Regelung in der Sache. Aber völlig abgesehen davon: Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung nun einmal so getroffen, und deswegen ist es nicht zulässig, daß sich ein Land dagegen stellt, egal, ob man diese Regelung gut findet oder nicht. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.

Inge Wettig-Danielmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002491, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Göhner, daß die bayerischen Gesetzentwürfe mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil übereinstimmen, steht ebensowenig zur Debatte wie die Verfassungskonformität des Bundesrechts. Ihr Zitat aus der Vollstreckungsanordnung war selbstverständlich korrekt, aber sie gilt nicht mehr. Es gilt das im vorigen Jahr gemeinsam mit Ihnen beschlossene Bundesgesetz. Daran muß sich Bayern messen lassen. ({0}) Sie wissen sehr wohl, daß Buchstaben und Geist des Kompromisses anders waren, als sie jetzt aus Bayern zu uns wehen. Das gilt auch für die Beschränkungen der Ärztinnen und Ärzte. Wir haben uns auf Ihr Wort und das Wort von Herrn Kohl, Herrn Schäuble und Herrn Waigel verlassen. Die Regierungsparteien bieten in dieser Frauenfrage ein merkwürdiges Bild, und das gilt auch für die F.D.P. ({1}) Als maßgebliche Teile des Liberalismus politisch vor dem Bismarckschen Obrigkeitsstaat kapitulierten, hätten sie ihre ganze Kraft - so sagen Analytiker der Geschichte - auf den Ausbau des Rechtsstaats verwandt. Nicht ohne Erfolg, aber schmerzlich verbunden mit einer dauerhaften politischen Niederlage. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., vor einer politischen Niederlage in eine juristische Auseinandersetzung flüchten wollen. Die Androhung einer Normenkontrollklage - Sie wagen es, die übermächtige Bayerische Staatsregierung vor das Bundesverfassungsgericht zu zwingen - soll Ihr Schweigen in der Koalition verschleiern. Sie machen sich klein als Minister, Herr Schmidt-Jortzig. ({2}) Sind Sie seit 1982 in der Koalition mit der CDU/ CSU, oder sind Sie es nicht? Können Sie Ihre Koalitionspartner zur Respektierung des Kompromisses von 1995 auffordern, oder können Sie dieses nicht? Wir alle wissen: Sie haben schon wegen weniger wichtiger Punkte Koalitionsfragen gestellt und Koalitionen aufgekündigt. ({3}) Ich kann Sie nur sehr nachdrücklich auffordern, mehr Scharfsinn und Verve für die Lösung dieses Konflikts mit der CDU/CSU aufzubringen, als das bisher geschehen ist. Wenn Sie schon den Rechtsweg beschreiten wollen: Warum verlangen Sie von Ihrem Koalitionspartner nicht, daß die Bundesregierung die Bayerische Staatsregierung mit einer Normenkontrollklage stoppt oder daß sie im Wege des Bundeszwanges vorgeht? ({4}) Die Gewissensfrage ist im letzten Jahr entschieden worden. Nur zwei Minister aus dieser Regierung haben gegen den Kompromiß gestimmt. Sie gehen den bequemen Weg, kündigen großartig eine Klage an und vertrauen darauf, daß die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages Ihnen zu den für die Klage notwendigen Unterschriften verhelfen; denn auch Sie wissen, daß die F.D.P.-Fraktion 177 weitere Unterschriften benötigt, um die Klageankündigung überhaupt umsetzen zu können. Wir schließen am Ende dieser politisch zu führenden Auseinandersetzung eine Klage nicht aus. Aber zunächst hat jede Fraktion, jede Partei ihre Arbeit zu machen und ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. ({5}) - Das tun Sie eben nicht. Sie haben dazu offensichtlich keine Möglichkeiten mit Ihrem Koalitionspartner. Viel Spaß. Zum Schluß möchte ich die Führung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, besonders die 29 CSU-Abgeordneten, die für den Kompromiß gestimmt haben, auffordern, die Vergangenheit und die VoraussetInge Wettig-Danielmeier zungen für den Kompromiß sorgfältig in Erinnerung zu rufen. ({6}) Von Kompromissen dieser Art lebt die parlamentarische Demokratie: weil sie von Zeit zu Zeit in großen Streitfragen wenn nicht ein Ende, so doch eine Befriedung herbeiführen können. Lassen Sie es zu, daß die Bayerische Staatsregierung den Kompromiß aufkündigt, lösen Sie mehr als einen Streit über den § 218 aus. Solch ein Verhalten bleibt auch auf anderen Feldern nicht ohne Konsequenzen. Nutzen Sie also Ihren politischen Einfluß, und schaffen Sie diese Gesetze aus der Welt! ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Vor der Abstimmung erfolgen zwei Erklärungen zum Abstimmungsverhalten nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Ich gebe zunächst Herrn Kollegen Horst Eylmann das Wort.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für mein Abstimmungsverhalten sind folgende Überlegungen maßgebend. Die Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsvorhaben der Bayerischen Staatsregierung zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz des Bundes auftauchen, sind kompliziert und nicht einfach zu beantworten. Ich neige zwar der Auffassung zu, daß einzelne Bestimmungen der bayerischen Entwürfe gegen Bundesrecht verstoßen, räume aber ein, daß es nachvollziehbare Begründungen für eine andere Rechtsauffassung gibt. Sowohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als auch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz des Bundes aus dem letzten Jahr waren Ergebnisse mühsam zustande gekommener Kompromisse. Solche Kompromißlösungen haben es an sich, daß sie nicht in allen Punkten mit der notwendigen Stringenz und Klarheit formuliert sind und deshalb Raum für unterschiedliche Auslegungen und Interpretationen lassen. Mit der rechtlichen Begründung der vorliegenden Anträge kann ich mich nicht in allen Punkten identifizieren und teile insoweit teilweise die Einwendungen, die mein Fraktionskollege Herr Göhner hier vorgetragen hat. Infolgedessen werde ich diesen Anträgen nicht zustimmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, andererseits bedaure ich es außerordentlich, daß durch die Gesetzgebungsvorhaben der Bayerischen Staatsregierung der unsere Gesellschaft spaltende Streit um den Schwangerschaftsabbruch erneut auszubrechen droht. ({0}) Ich erinnere daran, wie viele Jahre dieser Streit nun schon angedauert hat und wie schmerzlich die Auseinandersetzung insbesondere in unserer Fraktion war. Daß man sich dann schließlich vor einem Jahr zu einem Kompromiß zusammengefunden hat, war der allenthalben gewachsenen Einsicht zu verdanken, daß eine Fortdauer des Streits am allerwenigsten dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen würde und den betroffenen Frauen unzumutbar sein würde. ({1}) Der Kompromiß war ein Verdienst jener in diesem Hause, die sich in der von Emotionen, ideologischen Verhärtungen und ethischen Fundamentalpositionen geprägten Streitatmosphäre das notwendige Maß an praktischer Vernunft bewahrt hatten. Es ist leider zu befürchten, daß der damals endlich zustande gekommene Rechtsfriede jetzt wieder ein Stück weit verlorengeht. Auf keinem Gebiet brauchen wir aber diesen Rechtsfrieden dringender als im Bereich der rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. ({2}) Die bayerischen Gesetzgebungsvorhaben werden im Falle der Realisierung nach meiner Überzeugung in Bayern nicht ein einziges ungeborenes Leben zusätzlich retten. Sie könnten aber dazu führen, daß die alten Frontstellungen wieder entstehen, die betroffenen Frauen verunsichert werden und im Endergebnis das ungeborene Leben in diesem Streitklima eher mehr gefährdet denn stärker geschützt wird. ({3}) Aus diesen Erwägungen, die, wie sich unschwer aus meinen letzten Sätzen entnehmen läßt, in den Bereich der Gewissensentscheidung hineinreichen, habe ich mich entschlossen, mich der Stimme zu enthalten - im übrigen, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, das erste Mal, seitdem ich diesem Hause angehöre. Ich kann nach Gesprächen, die ich mit einigen meiner Fraktionskollegen und -kolleginnen geführt habe, davon ausgehen, daß sie aus ähnlichen Erwägungen genauso handeln werden. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß ich damit eher einen Beitrag zur Deeskalation des Streits leiste. Ich betone in diesem Zusammenhang schon jetzt, daß ich mich, sollte aus diesem Hause erneut das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, an einem solchen Verfahren nicht beteiligen werde. Denn es wäre falsch, dem Gericht erneut eine Entscheidung zuzuschieben, mit der es sich genauso schwertun wird wie wir. ({4}) Noch einmal: Was not tut, sind keine wirklichkeitsfremden Auseinandersetzungen um ethische, religiöse oder ideologische Grundpositionen. Wir sind ja wieder einmal mitten drin. ({5}) Was not tut, sind Rechtsfriede und das geduldige Bemühen, auf der Basis der geltenden Bundesgesetze den betroffenen Frauen ein Austragen der Schwangerschaft zu ermöglichen. Ich will in diesem Zusammenhang meine Grundüberzeugung wiederholen, daß nach allen geschichtlichen Erfahrungen Verbote und Strafen Schwangerschaftsabbrüche kaum verhindern. Ungeborenes Leben hat die größten Chancen, geborenes Leben zu werden, wenn die Frauen und jungen Familien Vertrauen zum Leben und zur Zukunft haben. ({6}) Das kann die Politik nicht allein bewirken; auch die Kirchen sind aufgefordert. Aber die Politik kann ihren Teil dazu beitragen, und darauf sollte sie sich konzentrieren. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung Frau Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz begründen, warum ich so stimme, wie ich stimme. Ich werde beiden Anträgen zustimmen. Ich komme aus Bayern und lebe dort. Für mich ist das Verhalten der CSU in Bayern scheinheilig und frauenfeindlich. Ich meine, daß die Arroganz der Macht dieser Staatsregierung dazu führt, mißliebige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu mißachten und dann passende Landesgesetze nachzuschieben. ({0}) Ich stimme deshalb für diese Anträge, weil ich meine: Mit der Nichtbeachtung des Bundesrechts sollen in Bayern Frauen noch mehr als woanders gegängelt werden, gegängelt werden von Männern, die genügend Geld haben, solche Probleme unkonventionell und unbürokratisch zu lösen. Ich frage mich - damit möchte ich niemandem zu nahe treten -, ob noch keiner der Anwesenden hier vor solch einer Notlage stand. Bis jetzt hat es noch keiner zugegeben. Ich stimme den Anträgen zu, damit es nicht mehr zu solchen peinlichen Szenen kommt wie bei den sogenannten Memminger Hexenprozessen, wo der Richter wegen Befangenheit abgelöst wurde. Er hatte nämlich selber seine Freundin zum Schwangerschaftsabbruch angetrieben. ({1}) Ich stimme den Anträgen zu, damit Bayern endlich Bundesgesetze und Bundesverfassungsgerichtsurteile achtet. Zum Schluß: Wer andere als Verfassungsfeinde beschimpft, muß sich natürlich fragen lassen, wie es er oder sie mit der Verfassung hält. Da schaut es zur Zeit in Bayern ja schwarz aus. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Kollegen Robert Antretter und Hubert Hüppe haben Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben. *) Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Verschärfung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes durch das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz auf Drucksache 13/4858. Die Antragsteller verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Da das der Fall ist, eröffne ich die Abstimmung. Ich frage: Haben alle abgestimmt? Können wir die Abstimmung schließen? - Das scheint der Fall zu sein. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung. Dann folgt die zweite namentliche Abstimmung über den F.D.P.-Antrag. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 13/4858, liegt vor. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 641. Mit Ja haben gestimmt: 316. Mit Nein haben gestimmt: 264. Enthaltungen: 61. Der Antrag ist angenommen. ({0}) ') Anlagen 3 und 4 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 639 davon: ja: 316 nein: 262 enthalten: 61 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Arne Börnsen ({1}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Hans Martin Bury Hans Büttner ({2}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({3}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({4}) Katrin Fuchs ({5}) Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Angelika Graf ({6}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({7}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({8}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({9}) Frank Hofmann ({10}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({11}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({12}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({13}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({14}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({15}) Jutta Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Volker Neumann ({18}) Gerhard Neumann ({19}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({20}) Ulla Schmidt ({21}) Dagmar Schmidt ({22}) Wilhelm Schmidt ({23}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({24}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({25}) Reinhard Schultz ({26}) Volkmar Schultz ({27}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({28}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({29}) Karsten D. Voigt ({30}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({31}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({32}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({33}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({34}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({35}) Elisabeth Altmann ({36}) Marieluise Beck ({37}) Volker Beck ({38}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({39}) Joseph Fischer ({40}) Rita Grießhaber Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({41}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({42}) Cern Özdemir Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({43}) Wolfgang Schmitt ({44}) Ursula Schönberger Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Waltraud Schoppe Werner Schulz ({45}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({46}) Margareta Wolf ({47}) PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({48}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({49}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({50}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({51}) Dankward Buwitt Peter Harry Carstensen ({52}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({53}) Leni Fischer ({54}) Klaus Francke ({55}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({56}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({57}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({58}) Hansgeorg Hauser ({59}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({60}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({61}) Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler ({62}) Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({63}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({64}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({65}) Wolfgang Lohmann ({66}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({67}) Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({68}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({69}) Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({70}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({71}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({72}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Anton Pfeifer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({73}) Klaus Dieter Reichardt ({74}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({75}) Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({76}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({77}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Roland Sauer ({78}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Christian Schmidt ({79}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({80}) Andreas Schmidt ({81}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({82}) Michael von Schmude Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({83}) Gerhard Schulz ({84}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({85}) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz-Schilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({86}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({87}) Gert Willner Willy Wimmer ({88}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({89}) Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Robert Antretter Enthalten CDU/CSU Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Wilma Glücklich Dr. Renate Hellwig Manfred Kolbe Wolfgang Krause ({90}) Dr. Manfred Lischewski Dr. Dietrich Mahlo Ulrich Petzold Angelika Pfeiffer Marlies Pretzlaff Birgit Schnieber-Jastram Bärbel Sothmann Dr. Rita Süssmuth Michael Wonneberger F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({91}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({92}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({93}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({94}) Dr. Guido Westerwelle Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. zur Einhaltung des bundeseinheitlichen Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes durch die Bayerische Staatsregierung, Drucksache 13/4879. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben. Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich rufe die Zusatzpunkte 14 und 15 auf: ZP 14 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes - Drucksache 13/4840 - ({95}) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({96}) - Drucksache 13/4872 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Andreas Schmidt ({97}) Simone Probst Dr. Barbara Höll b) Bericht des Haushaltsausschusses ({98}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/4873 Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth ({99}) Ina Albowitz Rudolf Purps Oswald Metzger ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Conradi, Detlev von Larcher, Dr. Peter Struck, Günter Verheugen und der Fraktion der SPD Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 - Drucksache 13/4841 Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. sowie ein weiterer Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4885 wurde zurückgezogen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch, wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Andreas Schmidt.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren einen interfraktionellen Gesetzentwurf zum Thema Rechtsstellung der Abgeordneten. Es ist ein gemeinsamer Gesetzentwurf von CDU/ CSU, SPD, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen. Ich begrüße es außerordentlich und ausdrücklich an dieser Stelle, daß es zu diesem gemeinsamen Gesetzentwurf gekommen ist; denn es ist in einer schwierigen Zeit ein Stück Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung zu diesem Thema. Andreas Schmidt ({0}) Ich sage hier offen, daß dies auch in unserer Fraktion keine leichte Debatte und Diskussion war. Das Ergebnis, der Gesetzentwurf, ist eine Abwägung zwischen der Kenntnis von der Notwendigkeit einer angemessenen Entschädigung für Abgeordnete und der Erkenntnis, daß wir in dieser Zeit als Abgeordnete auch einen Beitrag zum Sparen leisten müssen. Wir stehen als CDU/CSU und F.D.P. für das Programm für Wachstum und Beschäftigung. Das heißt auch, daß wir von den Bürgerinnen und Bürgern Verzicht und Einschränkung fordern. Wer dies aber von den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land verlangt, muß als Politiker, als Parlamentarier auch selbst einen Beitrag leisten. Deswegen schlagen wir vor, die im Dezember 1995 beschlossene Diätenanpassung in mehreren Stufen hin zu einer angemessenen Entschädigung um ein Jahr zu verschieben. Wir halten dies in der jetzigen Situation für einen angemessenen Beitrag. Ich will aber an dieser Stelle auch erklären, daß ich dezidiert dafür bin, daß wir das Ziel einer angemessenen Entschädigung nicht aufgeben und im nächsten Jahr gemeinsam dafür sorgen sollten, daß das Gesetz beibehalten wird. ({1}) Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines zügigen und ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens. Deswegen möchte ich auch an dieser Stelle den in vielen Berichten und Presseartikeln erhobenen Vorwurf zurückweisen, das Gesetzgebungsverfahren und die Entscheidung hätten zu lange gedauert. Wenn wir zum gleichen Thema ein Erhöhungsgesetz im gleichen Tempo gemacht hätten, dann hätten uns die gleichen Kommentatoren nicht Schneckentempo, sondern ein Hauruckverfahren vorgeworfen. Meine Damen und Herren, wir legen gleichzeitig einen interfraktionellen Entschließungsantrag vor. Er beinhaltet einen Appell an alle hauptberuflichen Amts- und Mandatsträger in Bund, Ländern und Gemeinden sowie öffentlichen Einrichtungen, sich ebenfalls solidarisch zu zeigen und einen Beitrag zum Sparen zu leisten. Dies ist ein guter Antrag; denn die Abgeordneten können es nicht alleine machen, wenn es um das Sparen geht. Politik für Wachstum und Beschäftigung braucht viele Signale für Sparsamkeit und Zurückhaltung. Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß wir mit diesem interfraktionellen Antrag eine neue Gemeinsamkeit erreicht haben, die es bisher zumindest mit der F.D.P. und auch mit Bündnis 90/ Die Grünen in diesen Fragen nicht gegeben hat. Sie wissen, daß das frühere Abgeordnetengesetz nur mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD beschlossen worden ist. Die F.D.P.-Fraktion und auch die Grünen erkennen mit diesem gemeinsamen Gesetz zum erstenmal an, daß eine angemessene Entschädigung für Bundestagsabgeordnete sich ungefähr an Gehältern von Bundesrichtern orientiert. Dies ist eine neue Situation, die ich ausdrücklich begrüße. F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen haben sich hier auf die großen Parteien zubewegt. Wir haben also mit diesem Gesetz einen zweifachen Konsens erreicht: zum einen, daß wir jetzt in der schwierigen wirtschaftlichen Situation einen Beitrag zu Verzicht und Sparsamkeit leisten, zum anderen, daß wir gemeinsam sagen, das Verfassungsgebot einer angemessenen Entschädigung für Abgeordnete müsse erreicht werden. Auch sagen wir gemeinsam, wo diese angemessene Entschädigung liegen soll. Ein Satz noch zum Thema Glaubwürdigkeit: Wir haben ja - darüber wird eigentlich viel zuwenig geschrieben - im Dezember 1995 ein Gesamtreformpaket beschlossen und haben auch gesagt, daß wir den Bundestag im Jahre 2002 verkleinern werden. Wie es im Moment aussieht, werden wir noch vor der Sommerpause diesen Verkleinerungsbeschluß in Gesetzesform gießen, so daß es sicher sein wird, daß er im Jahr 2002 Realität werden wird. Abschließend will ich in dieser ja nicht ganz einfachen Debatte den Appell an uns alle richten, auf Grund unserer gemeinsamen Verantwortung zu erkennen, daß das Thema Diäten für eine Partei oder eine Fraktion nicht geeignet ist, sich aus opportunistischen Gründen auf Kosten des Parlaments zu profilieren. Statt dessen sollten wir gemeinsam eine offensive Auseinandersetzung mit einer ja vorhandenen außer- und antiparlamentarischen Kampagne führen, die auf die Abgeordneten zielt, aber in Wahrheit den Parlamentarismus und damit die parlamentarische Demokratie treffen will. Wer den Abgeordneten des Deutschen Bundestages Abzockermentalität, wie es der „Spiegel" gemacht hat, vorwirft, der hat jeden Anspruch auf Seriosität verloren. ({2}) Diese Sprache entlarvt sich selbst, weil sie offenkundig und wider besseres Wissen gewählt wird und damit bewußt in Kauf genommen wird, die parlamentarische Demokratie zu beschädigen. Ich appelliere daher an alle Fraktionen, den Konsens, den wir jetzt gefunden haben, auch dazu zu nutzen, sich gemeinsam dieser Kampagne gegen das Parlament und die Abgeordneten entgegenzustellen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 13/4879 bekannt. Abgegebene Stimmen: 638. Mit Ja haben gestimmt 349, mit Nein haben gestimmt 249, Enthaltungen 40. Der Antrag ist angenommen. ({0}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 638 davon ja: 348 nein: 250 enthalten: 40 Ja CDU/CSU Wolfgang Dehnel Dr. Renate Hellwig Wolfgang Krause ({1}) Gerhard Schulz ({2}) Michael Wonneberger SPD Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Arne Börnsen ({3}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Hans Büttner ({4}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher Iris Follak Dagmar Freitag Anke Fuchs ({6}) Katrin Fuchs ({7}) Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Angelika Graf ({8}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({9}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({10}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({13}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({14}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({15}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({16}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({17}) Jutta Müller ({18}) Christian Müller ({19}) Volker Neumann ({20}) Gerhard Neumann ({21}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({22}) Ulla Schmidt ({23}) Dagmar Schmidt ({24}) Wilhelm Schmidt ({25}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({26}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({27}) Reinhard Schultz ({28}) Volkmar Schultz ({29}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({30}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({31}) Karsten D. Voigt ({32}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({33}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({34}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({35}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({36}) Heidi Wright Uta Zapf BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({37}) Elisabeth Altmann ({38}) Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({41}) Joseph Fischer ({42}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({43}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({44}) Cern Özdemir Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Rezzo Schlauch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Albert Schmidt ({45}) Wolfgang Schmitt ({46}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({47}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({48}) Margareta Wolf ({49}) F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({50}) Günther Bredehorn Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Horst Friedrich Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({51}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Detlef Kleinert ({52}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({53}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({54}) Dr. Guido Westerwelle PDS Wolfgang Bierstedt Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann Gerhard Jüttemann Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({55}) Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({56}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({57}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({58}) Dankward Buwitt Peter Harry Carstensen ({59}) Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Dirk Fischer ({60}) Leni Fischer ({61}) Klaus Francke ({62}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({63}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({64}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({65}) Hansgeorg Hauser ({66}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({67}) Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Volker Kauder Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({68}) Ulrich Klinkert Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({69}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Walter Link ({70}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({71}) Wolfgang Lohmann ({72}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({73}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Rudolf Meyer ({75}) Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({76}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({77}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({78}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Anton Pfeifer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({79}) Klaus Dieter Reichardt ({80}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({81}) Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({82}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({83}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Roland Sauer ({84}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Christian Schmidt ({85}) Andreas Schmidt ({86}) Hans Peter Schmitz ({87}) Dr. Andreas Schockenhoff Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({88}) Frederick Schulze Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({89}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({90}) Bernd Wilz Willy Wimmer ({91}) Simon Wittmann ({92}) Elke Wülfing Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Robert Antretter Enthalten CDU/CSU Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Wilma Glücklich Ulrich Junghanns Irmgard Karwatzki Hans-Ulrich Köhler ({93}) Manfred Kolbe Editha Limbach Dr. Manfred Lischewski Dr. Angela Merkel Ulrich Petzold Angelika Pfeiffer Marlies Pretzlaff Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({94}) Hans-Otto Schmiedeberg Birgit Schnieber-Jastram Bärbel Sothmann Dr. Rita Süssmuth Gert Willner Matthias Wissmann Peter Kurt Würzbach SPD Dr. Herta Däubler-Gmelin Norbert Formanski Margot von Renesse BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Monika Knoche Irmingard Schewe-Gerigk PDS Petra Bläss Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Dr. Winfried Wolf Das Wort hat jetzt der Kollege Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Umstände im Zusammenhang mit den eben erfolgten Abstimmungen sind aus meiner persönlichen Sicht sehr erfreulich. Ich will gerne dem Haus und insbesondere meinen Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion gegenüber zugestehen, daß das, was ich heute mit meiner fünften Rede zu den Abgeordnetenentschädigungen zum Ausdruck bringen will und auch muß, nicht unbedingt zu den angenehmsten Seiten meiner bisherigen Tätigkeit im Deutschen Bundestag gehört. Ich gebe das deswegen zu, weil ich in den vergangenen Tagen manchmal das Gefühl hatte, daß ich anläßlich von Diskussionen und Verhandlungen so ein ganz klein wenig das Herz und die Seele meiner Kolleginnen und Kollegen berührt, vielleicht sogar herausgerissen habe. Ich bitte dafür ausdrücklich um Nachsicht und Verständnis. Dennoch sage ich sehr deutlich: Es geht nicht anders. Wir werden heute einen Beschluß, der die Erhöhung der Abgeordnetendiäten aufschiebt, fassen und auch fassen müssen, wie ich finde. Von daher ist dieser Zwiespalt, den ich persönlich empfinde, hier ganz besonders zu überwinden. Auch das ist manchmal Politik. Warum denn eigentlich auch nicht? Wir sind nicht nur für Schönwetterphasen und für die Beschäftigung mit schwierigen Themen, die dann am Ende doch gut ausgehen, gewählt, sondern wir sind auch dazu gewählt, das eine oder andere über die Bühne der politischen Auseinandersetzungen zu bringen, das uns manchmal beileibe keinen Spaß macht. Ich glaube allerdings, draußen im Lande gibt es viele hunderttausend Menschen, denen die gerade laufende Debatte auch keinen Spaß macht. Denen muten wir, und zwar alle, eine gehörige Portion Belastung zu auf kommunaler Ebene, auf Länderebene und vielleicht auch auf der Bundesebene. Ich will hier sehr eindeutig auf die Bundesebene eingehen und meinem Vorredner Andreas Schmidt widersprechen: Dies wollen wir nicht mitmachen. Was heute passiert, darf keine Grundlage dafür sein, die Kürzungsschweinereien des sogenannten Beschäftigungs- und Wachstumsprogramms der Regierung und der Koalition zu untermauern oder mitzumachen. ({0}) Nicht mit mir und nicht mit uns! Deswegen sei zu Beginn auch sehr deutlich angemerkt, daß wir hier nicht im entferntesten einen Begründungsstrang mittragen oder liefern, der eine Argumentationshilfe für dieses Programm, das ich unsolide, unsozial und ungerecht nenne, darstellt. Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die Bundesebene. Ich bin wie viele andere - eigentlich wie alle anderen - auch in der Landes- und in der Kommunalpolitik zu Hause. Wir sind das als Bundestagsabgeordnete gewohnt. Wir kommen überhaupt nicht mehr daran vorbei, allen anderen auch in dieser Zeit sagen zu müssen: Wir sind an der einen oder anderen Stelle gezwungen, auch wenn es uns leid und weh tut, Kürzungen vorzunehmen. Darum haben wir auch als Abgeordnete die Pflicht, einen Beitrag zu leisten, und zwar ganz allgemein, ohne Rückkopplung auf eine ganze spezielle Vorgehensweise oder einen ganz speziellen Vorgang hier im Hause, einen Beitrag, der der Zeit angemessen ist, der der Aufgabe entspricht, der wir uns stellen, und die wir dann auch insgesamt erfüllen wollen und erfüllen müssen. Wilhelm Schmidt ({1}) Daß das in den vergangenen Tagen und Wochen manchmal sehr holprig gelaufen ist, auch dafür muß ich um Nachsicht bitten. Ich finde, das ist alles nicht so gewesen, wie man untereinander manchmal umzugehen gewohnt ist. ({2}) Dennoch war es erforderlich, daß wir uns fraktionsintern, fraktionsübergreifend auseinandersetzen, um dann diesen schwierigen Weg zu beschreiten. Ich will auch wie Andreas Schmidt vor mir darauf hinweisen, daß wir dadurch, daß die Grünen und die F.D.P. jetzt diesen interfraktionellen Antrag unterstützen, ein gutes Stück Gemeinsamkeit auch nach draußen zeigen, die es im Mai, Kollege Häfner, noch nicht gegeben hat. Ich bitte noch einmal um Verständnis dafür, daß ich seinerzeit ganz scharf insbesondere auf den damals allein vorliegenden Antrag der Grünen eingegangen bin. Ich stehe zu dem, was ich damals gesagt habe - bis auf einzelne Kleinigkeiten, die vielleicht etwas sehr personalisiert waren. Das Entscheidende aber ist: Sie haben, wie ich heute noch finde, seinerzeit einfach zu früh und gewissermaßen im vorauseilenden Gehorsam dieses Problem, dieses Thema angepackt, und Sie haben uns, das ganze Haus, damit noch mehr unter Druck gesetzt, um dann am Ende tatsächlich nur noch konstatieren zu können: Es geht nicht mehr anders. Ob es uns nun leid tut oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Von daher, glaube ich, ist es wirklich nicht nur gut, sondern auch wichtig, daß wir hier - in gewisser Hinsicht jedenfalls - Solidarität üben in einem Grundkonsens - bei allen Abweichungen, die ich durchaus auch verstehen will; das ist doch überhaupt nicht die Frage -, der das Haus draußen wieder als das Parlament insgesamt dastehen läßt. Das ist deswegen nötig, weil wir auch das Ansehen des Parlamentes im Auge haben müssen, und zwar unisono in der Gesamtheit. Wir hätten dies nach meiner Einschätzung noch mehr verletzt, als es ohnehin in den vergangenen Wochen geschehen ist, vielleicht auch durch manches Zögern und Taktieren oder wie immer das bezeichnet werden mag. Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir zunächst noch einmal festzustellen haben - ich jedenfalls für mich und für die SPD-Fraktion -, daß das, was im Dezember 1995 mit großer Mehrheit in diesem Hause beschlossen worden ist, nicht etwas für den Papierkorb war, daß wir das mit großer Überzeugung getragen haben und daß dies auch noch Bestand hat. Das will ich unterstreichen. Ich will das deswegen unterstreichen, weil wir bei allen Veränderungen, die wir heute vornehmen, trotzdem die Grundüberzeugung tragen, daß wir eine angemessene Entschädigung brauchen, die wir im Dezember 1995 festgesetzt haben. Lassen Sie mich das auch in Erkenntnis der Tatsache, daß gestern in einer großen deutschen Tageszeitung wieder eine Statistik veröffentlicht worden ist, die nicht nur polemisch, sondern auch irreführend ist, noch einmal geraderücken. Es ist doch festzustellen, was wir nun schon mehrere Male getan haben - wann endlich glaubt man uns das? -: Diejenigen, die 1977 als Bundestagsabgeordnete mit 7 500 DM Einkommen gestartet sind - ich will Ihnen das noch einmal mit den Zahlen in Erinnerung rufen -, haben in diesen 18 Jahren einen Zuwachs von 50,7 Prozent bei neun Nullrunden gehabt; 41,92 Prozent kumulativ, 50,7 Prozent insgesamt, nämlich jetzt 11 300 DM. In der gleichen Zeit konnten diejenigen, die als Beamte in diesem Staate tätig sind, einen Einkommenszuwachs von 65,2 Prozent verzeichnen; wenn man alles zusammenrechnet, sogar einen weit höheren von 89,4 Prozent. Der Beamte, der 1977 mit 7 500 DM gestartet wäre, hätte heute ein Gesamteinkommen von 14 200 DM. Dies ist im Verhältnis zu uns - 11 300 DM - zu sehen. Man muß sich bitte schön in Erinnerung rufen, daß die Rentner, die Sozialhilfeempfänger, die leitenden Angestellten und die normalen Angestellten im Außenhandel und Einzelhandel, wo auch immer, in diesen Jahren einen Einkommenszuwachs von über 130 Prozent hatten. Dies war doch die Begründung dafür, daß wir im Dezember 1995 den Schritt einer Erhöhung um 9 Prozent mit weiteren drei Steigerungsstufen, die wir uns für die darauffolgenden Jahre vorbehalten hatten, vereinbart haben. Ich stehe dazu. Trotz der Grundsatzentscheidung sage ich heute, daß wir die erste Stufe verschieben wollen. Dennoch wollen wir die angemessene Entschädigung, die wir im Dezember festgesetzt haben, erreichen, wenn auch später, nämlich im Januar 1999. ({3}) - Ob das tatsächlich der Fall sein wird? Liefern Sie den mißgünstigen Journalisten nicht gleich wieder selber eine Vorlage! Lassen Sie uns dies heute einfach als unseren Wunsch und festen Willen feststellen! Daran zu erinnern, glaube ich, ist richtig. Darüber hinaus will ich auch daran erinnern, daß wir uns mit weiteren Themen auseinandergesetzt haben. Die Diätenerhöhung, über die immer isoliert diskutiert wird, ist doch nur ein Teil des Gesamtpakets, über das dieses Haus im übrigen noch immer debattiert. Machen wir doch endlich der Öffentlichkeit, vor allen Dingen den Journalisten, in angemessener Form klar, daß wir im Rahmen der Parlamentsreform schon eine ganze Menge geschafft haben und noch Weiteres schaffen wollen. Es geht nicht nur um die Verkleinerung des Parlaments, die wir jetzt - wie ich finde: zu Recht - in dem Maße angehen, wie wir es uns vorgenommen haben; das ist mittlerweile sehr konkret. Daß wir die Offenlegung von Nebeneinkünften und Nebentätigkeiten im Geschäftsordnungsausschuß dieses Hauses - der Kollege Wiefelspütz als Vorsitzender dieses Ausschusses ist hier anwesend - anpacken, weiß inzwischen auch jeder. Daß wir darüber hinaus im Bereich der Abgeordnetenentschädigung Kürzungen bei Versorgungen, Übergangsgeldern und anderem vorgesehen haben, sei noch zusätzlich erwähnt. Ich will diesen Dingen nicht hinterherweinen, sondern möchte dies nur für die Öffentlichkeit sehr deutlich machen. Wilhelm Schmidt ({4}) Das ist keine Zustimmung zu Kürzungsbeschlüssen der Koalition. Trotz allem wollen und werden wir unseren Beitrag leisten. Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir heute auf diese Weise miteinander umgehen. Zudem bitte ich um die Zustimmung des ganzen Hauses. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster der Kollege Gerald Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es geschafft. Wir - damit meine ich uns alle. ({0}) - Wir haben noch nicht abgestimmt; ich gehe aber doch davon aus. Herr Wiefelspütz, wir wollen uns doch nicht ganz am Schluß noch lächerlich machen. ({1}) Der Deutsche Bundestag setzt heute ein gemeinsames Zeichen der politischen Vernunft und der sozialen Verantwortung. Dieses Zeichen ist meines Erachtens nicht hoch genug einzuschätzen. Es gehört viel dazu, auf Geld, das einem eigentlich nach einem geltenden Gesetz schon zusteht, freiwillig zu verzichten. Das werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in diesem Jahr und, durch die Verschiebung, in einem gewissen Maß auch in den kommenden Jahren tun. Das ist meines Erachtens ein Erfolg für das Parlament und für die Demokratie. Vor Monaten schon haben wir, also BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, dieses Problem auf uns zukommen sehen. Wir haben da wirklich eine Zeitbombe ticken gehört. Wir haben gesagt: Es kann nicht angehen, und es kann auch nicht gutgehen. ({2}) - Wenn Sie anderer Meinung sind, dann stimmen Sie doch einfach nicht zu! Ich verstehe überhaupt nicht, daß wir interfraktionell einen Gesetzentwurf einbringen, daß mir manche Kollegen, die ich auf den Gängen treffe, aber gleichwohl pausenlos sagen, ich sei schuld daran, daß Sie dies nun beschließen müßten. Wenn Sie es nicht wollen, dann tun Sie es nicht! ({3}) Was wir hier beschließen, ist im Moment die gemeinsame Position des Hauses und der Fraktionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und ich möchte soweit um Ihren Respekt bitten, daß ich in meinen Ausführungen fortfahren kann. Wir haben das kommen sehen, weil wir gesagt haben, in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte absolut an der Grenze des Leistbaren sind, in einer Zeit, in der überall gekürzt und Verzicht geleistet werden muß, in einer Zeit, in der der Großteil der Bevölkerung Reallohnverzichte hinnehmen muß, in einer solchen Zeit kann es nicht angehen und kann es auch im Sinne und im gemeinsamen Interesse dieses Parlamentes nicht gutgehen, die Diäten für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages um 525 DM heraufzusetzen, nachdem sie schon im Vorjahr, vor genau 8 Monaten, um beinahe 1 000 DM erhöht worden sind. Das kann nicht gutgehen, und das kann auch nicht richtig sein. Das paßt nicht in die politische Landschaft. Das war unsere Position. Sie wissen, wir haben deshalb vor neun Wochen einen Gesetzentwurf vorgelegt, ihn aber nicht im Bundestag eingebracht, sondern den Fraktionen mit dem Vorschlag übersandt, ihn gemeinsam einzubringen. Wir wollten aus dieser Angelegenheit keinen parteipolitischen Hickhack machen, ({4}) sondern wir wollten, daß dies ein Zeichen ist, das das Haus gemeinsam setzt. Ich bedaure heute noch, daß dieses Zeichen zunächst nicht zustande gekommen ist. Es kommt jetzt zustande, und ich bin froh darüber. Zur Demokratie gehört: Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind aus der Mitte des Volkes gewählt, und sie sollen das Volk vertreten. Dazu gehört meines Erachtens auch, daß sie angemessene Entschädigungen erhalten. Diese schwere, verantwortungsvolle und für die meisten von uns mit großen Opfern hinsichtlich der persönlichen Lebensführung verbundene Tätigkeit muß ordentlich entschädigt werden, damit auch gute und erfolgreiche Menschen kandidieren, Mitglied dieses Parlamentes, dieses Deutschen Bundestages werden wollen. Ich halte das für wichtig, und ich glaube, das folgt aus dem Demokratieprinzip. Pauschale Verunglimpfungen von Abgeordneten als Absahner und Selbstbediener sind deshalb nicht nur in der Sache fragwürdig, sondern häufig auch antiparlamentarisch und demokratiefeindlich. ({5}) Die Abgeordneten dürfen aber auch keine besonderen Privilegien genießen, und sie müssen das Schicksal der von ihnen vertretenen Bevölkerung teilen. Das heißt, wenn alle den Gürtel enger schnallen müssen, dann muß das auch für uns gelten. ({6}) Wir sollen in einem Jahr prozentual nicht mehr, aber auch nicht weniger Verdienstzuwachs haben, als dies beim Rest der Bevölkerung auch der Fall ist. ({7}) Ich glaube, auch das ist eine Konsequenz aus dem Demokratieprinzip. Deshalb wäre in einer Zeit, in der, wie gesagt, überall Kürzungen hingenommen werden müssen, ein solches Signal des Deutschen Bundestages fatal gewesen. Wir haben das hinbekommen, und ich glaube, wir können nun deutlich sagen: Das, was der Deutsche Bundestag getan hat, das bitten wir auch andere in diesem Land zu tun. Das heißt, wir haben einen interfraktionellen Antrag vorgelegt, Amtsträger und Mandatsträger in Bund, Ländern und Gemeinden afuzufordern, das gleiche zu tun. Ich möchte diese Aufforderung ({8}) insbesondere an die Bundesregierung richten; denn die Position, daß unglaubwürdig wird, wer von den Menschen das Sparen fordert, selbst aber dazu nicht bereit ist, gilt in noch sehr viel höherem Maße als für den Deutschen Bundestag für die Bundesregierung. Sie ist schließlich in viel höherem Maße nicht nur für die eingetretene dramatische wirtschaftliche und soziale Schieflage verantwortlich, sondern sie will den Rentnerinnen und Rentnern einen Teil ihrer erworbenen Ansprüche kalten Herzens streichen, sie will die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzen, sie will das Kindergeld nicht, wie beschlossen, anheben und eine weitere Reihe von sozialen Grausamkeiten begehen, die ich deshalb so bezeichne, weil sie sozial unausgewogen sind. Deshalb ist es wichtig, daß das Sparen sichtbar oben beginnt und von oben nach unten erfolgt, nicht umgekehrt von unten nach oben. Ich glaube aus diesem Grund, es ist notwendig, daß wir von diesem Ort aus noch einmal ganz dringend den Appell an die Bundesregierung richten, sich dieser klugen und verantwortungsvollen Entscheidung des Deutschen Bundestages auch für ihre eigenen Mitglieder, den Bundeskanzler eingeschlossen, anzuschließen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Häfner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Immer. Bitte schön.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Häfner, nachdem Sie sich hier als großer Moralapostel aufspielen, möchte ich Sie fragen, ob es richtig ist - nach meiner Information soll das der Fall sein -, daß die Grünen im Bayerischen Landtag jüngst einer Diätenerhöhung zugestimmt haben. Ich frage Sie deshalb: Haben Sie dort auf Ihre Freunde Einfluß genommen, dies nicht zu tun, oder haben Sie sich hier passiv verhalten? ({0})

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege, zunächst habe ich in dieser Rede meiner sachlichen und politischen Überzeugung Ausdruck verliehen ({0}) und mich nicht, wie Sie sagten, als „Moralapostel" aufgespielt. Das liegt mir fern. Zum zweiten habe ich eben gesagt - wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie das der Rede entnehmen können -, ich halte das, was der Deutsche Bundestag jetzt vorhat zu beschließen, für einen wirklich gravierenden Schritt, den man anerkennen muß. ({1}) - Hören Sie doch einmal einen Moment zu. Wir richten den Appell an alle anderen Mandatsträger in Bund, Ländern und Gemeinden, sich ebenso zu verhalten. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, den Bayerischen Landtag oder seine Mitglieder hiervon auszunehmen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Gansel?

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Häfner, stimmen Sie mir darin zu, daß es schon ein Defizit an politischer Führung und Verantwortung ist, wenn es die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, die heute eine Kürzung der Diäten im Bundestag beschließen, nicht geschafft haben, sich vor vier Wochen zusammenzusetzen, um das gleiche für alle Landtage in der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen? ({0})

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege Gansel, ich stimme Ihnen zu, möchte es aber noch erweitern. Ich halte es für ein gravierendes Versäumnis, daß es auch uns nicht gelungen ist, dies schon vor Wochen zu beschließen, als es ohne all den öffentlichen Streit und das Hickhack möglich gewesen wäre, das uns allen, glaube ich, in hohem Maße geschadet hat. Ich ergänze meine Antwort um das, wonach Sie konkret gefragt haben. Das wäre wünschenswert gewesen. Ich möchte niemanden ausnehmen, das heißt auch uns, Bündnis 90/Die Grünen, nicht. Es ist sicherlich, wenn man so etwas tut, sinnvoll, dies überall zu tun, das heißt dort, wo man die entsprechenden Kanäle hat oder über Einfluß verfügt, sicherzustellen, daß so etwas auch anderswo passiert. Ich stimme Ihnen deshalb zu.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Häfner, Sie haben die Frage des Kollegen Hinsken nicht beantwortet. Es geht nicht um den Appell, sondern darum, ob Sie als bayerischer Abgeordneter der Grünen in den letzten Wochen auf Ihre Parteifreunde in Bayern eingewirkt haben, dort auf die Diätenerhöhung zu verzichten und dagegen zu stimmen. ({0}) Das ist eine ganz simple Frage. ({1})

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Eylmann, die Frage von Herrn Hinsken habe ich beantwortet. ({0}) - Ich habe sie genauso beantwortet, wie ich jetzt Ihre Frage beantworten werde. Ich habe zu dieser Geschichte intern meine Meinung gesagt. Aber ich habe im Bayerischen Landtag nicht abzustimmen, sondern das sind andere Kollegen. Ich habe meine Meinung dazu übrigens nicht nur intern gesagt, sondern ich habe sie auch hier dargestellt. Ich kann Ihnen das alles noch einmal sagen. Ich muß Ihnen offen gestehen: Mir fehlt im Moment ein bißchen der Sinn zu solchen persönlich abgefragten Bekenntnissen. Sie können mir sehr wohl glauben, daß ich, wenn ich diese Überzeugung habe, daß es in diesem Jahr nicht in die Landschaft paßt, die Diäten in solchem Maße zu erhöhen, dann auch dort, wo es hingehört, dafür kämpfe. Das habe ich hier getan. Ich habe dafür von Kollegen - auch von Ihnen, Herr Eylmann - vieles vorgeworfen bekommen. Ich habe das auch in Bayern getan, Herr Eylmann. Aber im Moment sind wir im Deutschen Bundestag. Hier haben wir zu entscheiden und abzustimmen. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, den kurzen Rest meiner Rede darauf zu verwenden, um noch einmal auf folgendes einzugehen: Wir haben, wie gesagt, diesen Entwurf allen Fraktionen unterbreitet und darum gebeten, ihn nicht unsererseits einzubringen, sondern gemeinsam. Es war sicher ein Fehler, daß über das Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden die Öffentlichkeit zu früh hergestellt worden ist. Das sehe auch ich so. Diese Kritik teile ich, und ich beziehe Sie ebenfalls auf mich. Ich halte es für einen gravierenden Fehler und kann nicht verstehen, daß sich der Bundestag über acht Wochen hinweg ein in dieser Weise nicht nachvollziehbares Hickhack, eine Auseinandersetzung zum Teil auch jenseits dessen, was wir uns gegenseitig parlamentarisch schuldig sind, leistet, um am Ende genau das zu beschließen, was wir am Anfang vorgeschlagen haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es besteht noch der Wunsch des Abgeordneten von Schmude nach einer Zwischenfrage.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, sofort, wenn ich diesen Gedankengang beendet habe. Es gibt nur eine einzige marginale Differenz in dem Entwurf, und das ist eine Differenz, die wir mittragen können. Sie ist sicherlich eher dadurch begründet, daß es einfach schwergefallen wäre, nun am Ende dem Entwurf der Grünen doch noch unverändert zuzustimmen. In der Sache aber ist es genau das, was wir wollten: die Verschiebung nämlich nicht nur in diesem Jahr, sondern um je ein Jahr nach hinten. Ich bin dankbar, daß dies so zustande gekommen ist, und bedaure, daß es so vielen Streits bedurfte. Bitte sehr.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Häfner, erklären Sie uns doch einmal, warum die Grünen gestern noch in den Fächern des Haushaltsausschusses eine Gesetzesvorlage hatten, die eine Verschiebung der Anhebung der Diäten nur auf den 1. April 1997 vorsah und warum Sie diese jetzt zurückgezogen haben. Es gibt einen Unterschied zwischen den beiden Gesetzentwürfen. Ich hätte gerne von Ihnen einmal gewußt, was Sie bewogen hat, Ihren Gesetzentwurf jetzt zurückzuziehen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege, den Entwurf, von dem Sie sprechen, kenne ich schlicht nicht. Es gibt von unserer Fraktion nur einen einzigen Entwurf. Der liegt in der Lobby des Plenums aus. Er liegt seit acht Wochen auf dem Tisch des Hauses. In diesem Entwurf wird gefordert, nicht nur in 1996 keine Anhebung durchzuführen, sondern alle im Gesetz jetzt bereits vorgesehenen, weiteren Anhebungen um jeweils 525 DM um genau ein Jahr zu verschieben. Das bedeutet - Sie kennen das aber -: 1. Juli 1997 statt 1996 und 1. April 1998 statt 1997, 1. Januar 1999 statt 1998. Vielleicht ist es das, was Sie mit dem 1. April meinen. Das ist unser Entwurf und entspricht dem, was hier gemeinsam beschlossen wird. Lassen Sie mich noch ergänzen: Ich bin auch froh, daß wir die Altersentschädigung mit einbeziehen. Alles in allem ist es eine Einsparung von 16,8 Millionen DM, die der Deutsche Bundestag, und zwar auf seine eigenen Mitglieder bezogen, beschließt. Wir haben in dieser Woche - Wilhelm Schmidt hat dies eben schon angesprochen - eine weitere Einsparung mit auf den Weg gebracht, nämlich die Verkleinerung des Bundestages. Ich meine, daß es jetzt an der Zeit ist, daß andere - diejenigen, die ich vorhin genannt habe, insbesondere die Mitglieder der Bundesregierung - ihren Beitrag dazu leisten, das Sparen sozial zu gestalten und das Sparen von oben nach unten durchzuführen und nicht umgekehrt. Morgen werden wir bereits eine Debatte hierüber haben. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Kollege Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte aus dem Gedächtnis heraus den Kollegen Häfner daran erinnern, daß in seinem Antrag etwas anderes steht. Ich bitte ihn, seinen Antrag noch einmal zu lesen. Dort steht nämlich, daß er die Diätenerhöhung auf den 1. April nächsten Jahres verschieben will und daß, wenn ich mich recht entsinne, die letzte Stufe wegfallen soll. ({0}) - Ohne die Versorgungsempfänger an den Änderungen zu beteiligen. - Es wäre ganz gut, wenn hier die Wahrheit gesagt wird. Aber Schwamm drüber. Es geht jetzt darum, daß sich das Haus geschlossen dazu bekennt, daß die Diätenerhöhung um ein Jahr verschoben werden soll, und zwar in ihren Stufen jeweils um ein Jahr. Das ist im Rahmen der Sparoperationen, die notwendig sind, auch unerläßlich. Ich bin froh darüber, daß Sie diesen Überlegungen, die wir in der F.D.P. schon im März angestellt hatten, gefolgt sind. Wir haben bewußt keinen Antrag eingebracht, weil wir eine möglichst große Zustimmung in diesem Hause erreichen wollten. Eine Bemerkung zum Kollegen Wilhelm Schmidt: Sparen ist schwer, und Kürzen ist immer schwer. Es ist aber nicht so, daß die Kürzungen des Bundes „Kürzungsschweinereien" sind, und die Kürzungen, die in SPD-geführten Ländern oder Kommunen durchgeführt werden, soziale Wohltaten. Das können Sie wohl wirklich niemandem mehr klarmachen. ({1}) Wenn Sie heute mit einem Finanzminister eines SPD-geführten Bundeslandes sprechen, bekommen Sie von diesem überhaupt keine anderen Auskünfte als von einem Finanzminister in einem CDU- bzw. CSU-geführten Bundesland. Alle wissen, daß sie am Sparen mitwirken müssen. Nur, keiner will offen sagen, wo er sparen will, weil er weiß, daß er von den Betroffenen dann Kritik erfahren wird. Wir alle gemeinsam werden also an diesen Sparmaßnahmen nicht vorbeikommen. Wir können darüber streiten, welche Maßnahmen besser oder schlechter, welche sozial ausgewogener oder welche wirtschaftlich anreizender wirken und welche nicht. Aber gespart werden muß. Schuldzuweisung, immer von der einen Seite auf die andere, macht uns alle eher unglaubwürdig als glaubwürdig. ({2}) Ich bin dankbar, daß wir zu dieser Übereinstimmung gekommen sind. Ich will aber hinzufügen: Angesichts der Höhe der Bezüge der Abgeordneten im Deutschen Bundestag wäre das nicht notwendig gewesen. Denn der Deutsche Bundestag hat in nahezu 10 von den letzten 20 Jahren nicht in angemessener Weise an den Einkommenssteigerungen teilgehabt. Ich will auch darauf hinweisen, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist: Immer wenn angehoben wurde, waren es die Kerle in Bonn. Wenn die Bezüge für die Landtagsabgeordneten oder für die Landesminister angehoben werden, wird das alles in einen Topf geworfen, und es wird uns in die Schuhe geschoben. Deswegen möchte ich hier einen Appell an die Landtage und die Landesregierungen richten, sich dem Vorbild des Deutschen Bundestages und auch der Bundesregierung anzuschließen, die ja vorgestern beschlossen hat, daß auch für die Minister eine Nullrunde durchgeführt werden soll.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bindig?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Solms, darf ich Sie fragen, warum Sie hier immer nur über einen Teil der F.D.P.-Position sprechen, nämlich den, der sich darauf bezieht, die Diätenerhöhung zu verschieben, aber den anderen Teil, der sich darauf bezieht, möglichst intensiv geheimzuhalten, wie hoch die Nebenverdienste von F.D.P.-Abgeordneten sind, hier unerwähnt lassen? ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dafür gibt es ja Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages. Alles muß angegeben werden. Im übrigen sind die Ruhestandsgehälter von ehemaligen Ministern der F.D.P. genauso öffentlich bekannt wie die Ruhestandsgehälter von ehemaligen Oberbürgermeistern, die bei Ihnen in der Fraktion sitzen. Genausowenig wie wir öffentlich darüber informiert werden, was Gewerkschaftsführer, die bei Ihnen in der Fraktion sitzen, aus Gewerkschaftskassen gezahlt bekommen, gilt das für die Freiberufler, die bei uns in der Fraktion sitzen und ihrem Beruf weiter nachgehen. ({0}) Auch hier nützt das Schwarze-Peter-Spiel überhaupt nichts; es gelten die gleichen Regeln für alle. Das ist auch in Ordnung so. ({1}) Das ist ausgesprochen transparent. ({2}) Abschließend möchte ich noch auf einen Antrag eingehen, der von der SPD eingebracht worden ist und der wohl noch aufrecht erhalten wird. Es handelt sich um den Antrag des Kollegen Conradi, der von der SPD-Fraktion übernommen worden ist und der vorsieht, sozusagen als Rache für diese Eigensparmaßnahme nun die Bezieher von Einkommen über 50 000 DM - Alleinstehende - durch eine Erhöhung des Solidarzuschlags zu bestrafen. Ich glaube, das weiter zu kommentieren erübrigt sich. Das fällt der Lächerlichkeit anheim, weil Ihr eigener Fraktionsvorsitzender, der nun bedauerlicherweise in dieser Woche krankheitshalber nicht hier sein kann, vor kurzem gefordert hat, daß der Solidarzuschlag so schnell wie möglich ganz abgeschafft wird. ({3}) Aber kaum ist die Katze aus dem Haus, da tanzen die Mäuse auf dem Tisch. So kommt ein solcher ChaosAntrag zustande. ({4}) Ich möchte trotzdem die Gelegenheit benutzen, von dieser Stelle aus dem Kollegen Scharping alles Gute zu wünschen. ({5}) Ich hoffe, daß er bald wieder hier ist, damit uns solche Chaos-Anträge nicht wieder vorgelegt werden. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Horst Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schwer, diese Reden mit Ruhe anzuhören, weil sie so gehalten werden, als hätten wir in den letzten 19 Jahren keine Erfahrungen gemacht. ({0}) Erstens. Die Wahrheit ist, daß dieser Bundestag die Verschiebung nicht aus eigener guter Überzeugung beschließen wird, sondern aus reinem Opportunismus. Das gilt jedenfalls für die Mehrheit des Bundestages. ({1}) Das weiß auch die Öffentlichkeit. Deshalb erhöht dieser Beschluß unser Ansehen nicht im geringsten. ({2}) Ein Journalist hat kürzlich geschrieben, Opportunismus stinke. ({3}) In der Tat, so ist es. Da können wir noch so sehr tun - Herr Häfner kann es vorzüglich -, als hätte sich die bessere Einsicht durchgesetzt. So ist es nicht, meine Damen und Herren. Zweitens. Es ist reine Augenwischerei, wenn hier so getan wird, als gehe es um eine Verschiebung von einem Jahr. Wer glaubt nach den Erfahrungen der letzten Jahre allen Ernstes, daß es im nächsten Jahr nicht wieder einen Verschiebungsantrag geben wird, zumindest von den Grünen? Wer glaubt allen Ernstes, daß - da im Herbst nächsten Jahres Landtagswahlen anstehen und die ersten Startlöcher für die Bundestagswahl gegraben werden - sich dieses Haus dann anders verhalten würde als jetzt? - Ich glaube es nicht. ({4}) Drittens. Ich werde, weil meine Geduld am Ende ist, einen Gruppenantrag für ein Gesetz über die Amtsbezüge der Mitglieder derjenigen Verfassungsorgane des Bundes initiieren, die aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Wir müssen sie nämlich alle in ein Boot bekommen - alle! ({5}) Wenn wir ein solches Gesetz schon in den letzten Jahren gehabt hätten, ein Gesetz, das auch die Bezüge der Verfassungsrichter und der Minister festlegt, dann - das ist meine feste Überzeugung - wären unsere Diäten wesentlich höher, als sie es jetzt sind. ({6}) Dieses Gesetz ist ganz einfach: Wir legen einen Sokkelbetrag für die Diäten und einen Multiplikator für die verschiedenen Ämter fest. ({7}) Ich bitte Sie um Unterstützung für ein solches Gesetz, damit diese Diskussionen endlich aufhören. Und ich sage folgendes: Ich werde einem Gesetz über die Erhöhung der Beamtenbesoldung, das uns jetzt angekündigt wird, nicht zustimmen. ({8}) Ich habe das schon im Dezember letzten Jahres erklärt. Ich werde mich völlig verweigern. Wir können ein solches Amtsbezügegesetz ja mal so schnell - wir haben ein Vierteljahr Zeit - über die Bühne bringen wie dieses Gesetz; das müßte auch einmal schneller gehen können. ({9}) Und dann beschließen wir in Zukunft gemeinsam über die Bezüge aller Verfassungsorgane, die aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. ({10}) Dann wird es in Zukunft wesentlich anders gehen. Wer glaubt, es könne so bleiben, wir würden die Diäten im nächsten Jahr erhöhen, der irrt sich gründlich.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Eylmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber natürlich.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Moment! Im Rahmen einer Kurzintervention dürfen keine ZwischenPräsidentin Dr. Rita Süssmuth fragen gestellt werden. Herr Eylmann, ich hätte Sie fast als Redner eingeordnet. ({0})

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es tut mir außerordentlich leid, Herr Kollege Gansel. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Gansel, was möchten Sie? Sie können sich nur auf eine Rede melden, nicht auf eine Kurzintervention. Auf welchen Redner beziehen Sie sich?

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf den Vorredner.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Also auf den Fraktionsvorsitzenden der F.D.P.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine Kurzintervention kann sich geschäftsordnungsmäßig nur auf das beziehen, was der Vorredner gesagt hat. Auf Grund dieses Vortrags hätte jemand auf die Idee kommen können, vorzuschlagen, in den Bundestag ein Gesetz einzubringen, nach dem die Besoldungsverhältnisse von Abgeordneten und allen anderen im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die vom Bundeshaushalt abhängen - vom Bundesverfassungsrichter bis zum Vorstandsvorsitzenden einer Bank, die dem Bund gehört -, in gleicher Weise zu behandeln sind. So ein Vorschlag ist von dem Kollegen Eylmann eben tatsächlich gemacht wurden. ({0}) Da ein neues Thema in der Diskussion ist, möchte ich im Rahmen der Geschäftsordnung noch etwas anmerken. Herr Kotlego Eylmann, lassen wir mal alles weg, worüber wir uns sonst gestritten haben; ({1}) Sie haben gelegentlich durchaus Positionen vertreten, zu denen man sagen könnte: Na ja, trotz alledem Respekt! Aber was Sie eben gesagt haben, können Sie doch nicht wirklich ernst gemeint haben. Das ist doch geradezu der Versuch, in gesetzliche Form zu bringen, was an Vorurteilen in der Bevölkerung uns gegenüber, den Bundestagsabgeordneten, und anderen gegenüber, die politische Verantwortung tragen, täglich gepflegt wird, nämlich die Meinung: Die da oben sind eine Clique, die für sich beschließt und kassiert; und wir da unten sollen zahlen. Das, was Sie vorgeschlagen haben, ist geradezu der Versuch, das in Gesetzesform zu bringen. Das können Sie doch nicht ernst gemeint haben. Bevor aus dieser spontanen Diskussion etwas hervorgeht, was dem Ansehen von Verfassungsorganen, dem Ansehen derer, die öffentliche und politische Verantwortung tragen, weiter schadet, was unsere Glaubwürdigkeit weiter reduziert, was praktizierte Demokratie weiter in Mißkredit bringt, bitte ich Sie: Nehmen Sie zurück, was Sie eben gesagt haben! Sie können es nicht ernst gemeint haben. ({2}) Erinnern Sie sich an das, was Sie in der letzten Diäten-Debatte vor einem Jahr gesagt haben. Sie haben gesagt, Sie seien für eine Offenlegung der Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten, wenn auch alle anderen das täten. Das ist ein sehr konstruktiver Vorschlag. Nur haben Sie seit einem halben Jahr nichts dazu getan, um ihn zu verwirklichen. Es gibt aber einen Ansatzpunkt, um das zu tun, und das ist der, den Kollege Conradi nachher vorschlagen wird und den der Kollege Solms schon angesprochen und verdreht hat: einen wirklichen Solidarbeitrag all denen abzuverlangen, die soviel verdienen wie Bundestagsabgeordnete, nämlich 135 000 DM im Jahr, oder mehr. Das möchte ich doch richtig- gestellt haben, Herr Solms: Sie haben nämlich von 50 000 DM gesprochen. ({3}) Sie haben versucht, Stimmung zu machen. Sie haben versucht, das Einkommen von Bundestagsabgeordneten mit dem des Facharbeiters gleichzusetzen. ({4}) Soviel Verzicht leisten wir bei der Diätenkürzung wirklich nicht, daß das zutreffen könnte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gansel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eylmann, noch einmal: Wir wollen keine Initiative, die uns in Mißkredit bringt, sondern die Unterstützung eines Vorschlages, der wirklich zu mehr Solidarität und Gerechtigkeit beitragen kann. Das wird die Debatte der nächsten Runde sein. Nun laßt uns beschließen, was uns allen weh tut! Denn es geht um den Verzicht auf Geld. Aber wir wissen seit acht Wochen, daß es unvermeidlich sein wird. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das war, meine verehrten Kollegen, geschäftsordnungsmäßig eine Kurzintervention zu der Rede des Abgeordneten Dr. Solms. Darum muß ich Sie fragen, Herr Kollege Sohns, ob Sie antworten wollen. - Das ist nicht der Fall. Dann gebe ich der Abgeordneten Dagmar Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, eines haben wir in den letzten Wochen ziemlich deutlich gespürt: Wir sitzen hier nicht auf einer einsamen Insel im Ozean oder, wie der Kanzler neuerdings zu sagen pflegt, auf der „Insel der Seligen" . Ich bin froh, daß der öffentliche Druck offenkundig auch in diesem Hause noch etwas erreichen kann. Das zeigt auch, wie wichtig „mehr Druck von unten" ist. In diesem Sinne wünsche ich der Demo am Sonnabend hier in Bonn viel Erfolg. Ich wünsche mir, daß Hunderttausende hierher kommen und dieser Bundesregierung ordentlich Dampf machen. ({0}) Meine Damen und Herren, in der Frage der Diätenerhöhung mußten Sie nun zähneknirschend einlenken. Schwer genug ist es Ihnen gefallen. Daß Sie das Ganze nun allerdings auch noch mit der Aufforderung an andere verbinden - damit meine ich jetzt nicht die Bundes- oder die Landesminister, sondern Ihre Aufforderung an die Gewerkschaften, es Ihnen gleichzutun, Lohnverzicht zu erklären -, ist mehr als demagogisch. Wollen Sie denn wirklich vergessen machen, daß wir erst Ende des vergangenen Jahres einen Zuschlag von fast 1 000 DM bekommen haben? Nein, mit Ihrem Einlenken wollen Sie das Paket sozialer Grausamkeiten schmackhaft machen: Sehet her, auch wir schnallen den Gürtel enger! Nun schluckt auch ihr die bitteren Pillen, die wir euch verordnet haben! Der Haken bei dem vorliegenden Gesetzentwurf liegt allerdings woanders. Da ist es schon etwas verwunderlich, daß selbst die Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen hier als Antragsteller mitmachen. Denn die Diätenerhöhung 1996 wird zwar verschoben, gleichzeitig auch die nächsten Stufen der Diätenerhöhung, aber Sie bleiben damit in dem System, das im letzten Jahr hier mit großer Mehrheit angenommen wurde. Das heißt, die Diätenerhöhung gibt es zwar noch nicht dieses Jahr, aber nächstes Jahr gibt es immerhin über 500 DM mehr. Den Gewerkschaften würden Sie, liebe Damen und Herren von der Koalition, mindestens Unbescheidenheit vorwerfen, wenn sie mehr als 4,6 Prozent fordern würden. Wir meinen, die Diätenerhöhung muß so lange ausgesetzt werden, bis die jetzt geplanten Maßnahmen zum Abbau des Sozialstaates zurückgenommen sind. ({1}) Das ist um so notwendiger, als bestimmte Äußerungen darauf schließen lassen, daß es nicht bei den jetzigen Sparmaßnahmen bleiben soll, daß sie nur ein Einstieg sind und daß mit noch gravierenderen Schritten der Umverteilung von unten nach oben gerechnet werden muß. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Stihl, hat zum Beispiel Nullrunden für alle Beschäftigten bis zum Jahr 2000 gefordert. Er sagt: Wir müssen bis zur Jahrtausendwende eine Senkung bei den Löhnen und Lohnzusatzkosten um insgesamt 20 Prozent erreichen ... Das Sparpaket ist, wenn es ohne Abstriche beschlossen wird, ein Programm, mit dem allerhöchstens ein Drittel des 20-Prozent-Ziels erreicht wird. Die Bundesregierung macht sich sofort daran, diese Forderung der Arbeitgeber umzusetzen. So hat die Bundesregierung angekündigt, bis zum Frühjahr 1998 Reformen des Sozial- und Steuersystems durchs Parlament zu bringen, die offenbar weit über den jetzigen Sparbeschluß hinausgehen sollen. „Wir werden über das gesamte System zu reden haben" , so Bundeskanzler Kohl am Montag in Berlin. Gebraucht würden „erhebliche Veränderungen der Strukturen" . In dem vorliegenden Zwanzigsten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes werden Grundsätze zur Offenlegung von Nebentätigkeiten bzw. von Nebeneinkommen nach wie vor völlig ausgespart. Nach der Anhörung vom Mittwoch dieser Woche habe ich arge Befürchtungen, daß sich in diesem Parlament in dieser Frage überhaupt nichts mehr tun wird. Bei dieser Anhörung war zum Beispiel nicht ein Vertreter der F.D.P. anwesend; auch die CDU war sehr schwach vertreten. Es war eine etwas müde Anhörung. Nach wie vor gelten für Abgeordnete großzügige Pensionsregelungen; nach wie vor zahlen Abgeordnete nicht in die Sozialkassen ein. Vor allen Dingen das sind die Ungerechtigkeiten, die den Volkszorn hervorgerufen haben. Solange wir daran nichts ändern, bleibt das Ansehen der Abgeordneten - und damit auch das des Parlaments - beschädigt. Ich will ein Wort zu unserem Abstimmungsverhalten verlieren. Ich will gestehen, daß uns das große Bauchschmerzen bereitet, weil wir dem Neunzehnten Gesetz nicht gefolgt sind - und eigentlich auch nicht dem Zwanzigsten. Wir werden der Verschiebung trotzdem zustimmen, und zwar ganz einfach deshalb, weil das die einzige Chance ist, die Erhöhung für dieses Jahr abzuwenden. Wir wollen auch eines nicht: Wir wollen nicht in den Topf mit denen geraten, die nachher für eine Erhöhung stimmen werden. Das heißt aber nicht - damit greife ich das auf, was Herr Eylmann schon gesagt hat -, daß wir damit einer Diätenerhöhung für 1997 zustimmen werden. Sie werden zu gegebener Zeit von uns entsprechende Anträge auf den Tisch bekommen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Hans Michelbach das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist unsere", hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt. Die Fraktionen haben die Verschiebung der angemessenen Diätenerhöhung als Signal zur Zurückhaltung mehrheitlich beschlossen. Zum Wohl unserer Demokratie sollte es nach meiner Ansicht kein politisches Geschäft mit der Diätenfrage mehr geben. Die Mehrheitsentscheidung unserer Fraktion ist deshalb zu akzeptieren. Es ist so, wie es ist. Nicht zu akzeptieren ist dagegen die Reaktion der SPD-Fraktion, die sich in ihrem heute eingebrachten Antrag zur Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes manifestiert, wie er vom Kollegen Conradi eingebracht, in der SPD mehrheitsfähig wurde und heute zur Entscheidung steht. Als Vater dreier Töchter erinnert mich diese Entscheidung an ein trotziges Kind, dem man ein Bauklötzchen wegnimmt und das dann aus Enttäuschung die Werke der anderen Kinder zerstört und auch sie bestrafen will. Dieses Verhalten ist eindeutig zu verurteilen - im Kinderzimmer wie im parlamentarischen Alltag. Unsere Zeit ist zwar schwierig, doch lange nicht hoffnungslos. Im „Programm für Wachstum und Beschäftigung" haben wir beschlossen, daß Besitzstände aufgegeben werden müssen, um den Sparerfordernissen unserer Zeit Rechnung zu tragen. Wir haben erkannt, daß wir mehr Wachstum und Beschäftigung brauchen, um den Sozialstaat zu sichern und uns im internationalen Standortwettbewerb zu behaupten. Wer das mit Ausdrücken wie „Kürzungsschweinerei" oder „soziale Grausamkeit" diffamiert, diffamiert sich in diesem Hause selbst. Wir haben erkannt, daß wir dies über mehr Existenzgründungen, über eine weitreichende Reform der Erbschaft-, Vermögen-, Unternehmen- und Einkommensteuer, über eine Gemeindefinanzreform und den Abbau des Solidaritätszuschlages erreichen können. Das bedeutet: Steuerentlastung und gleichzeitige Senkung der Lohnzusatzkosten. Dies haben wir im Wachstumspaket vom 25. April dargelegt und damit eine klare Linie vorgegeben. Vor diesem Hintergrund mutet der heutige Antrag der SPD zur Änderung des Solidaritäszuschlaggesetzes in Form einer Erhöhung dieser Abgabe von 7,5 Prozent auf 10 Prozent für alle diejenigen, die mehr als 135 600 DM brutto verdienen - anstatt einer Senkung auf 5,5 Prozent in den nächsten zwei Jahren, wie wir es durchführen -, sehr seltsam an. Wie paßt er in eine Zeit, in der die Steuer- und Abgabenbelastung eindeutig zu hoch liegt und allseits beklagt wird? Wie paßt er in eine Zeit, in der die Entlastung von Unternehmen und Bürgern gezielt angestrebt wird, in eine Zeit, in der alle nach Steuervereinfachung und Steuerreduzierung verlangen? Mutmaßungen für die Gründe für diese steuerpolitische Geisterfahrt der SPD gibt es viele. Die Presse befürchtet, gleich mehrere Kollegen von der SPD seien auf den Kopf gefallen und spricht von einem "kollektiven Unfall" . Andere Stimmen glauben sich im Karneval oder machen die große Hitze für das wundersame Ansinnen in der SPD verantwortlich. Auch ich frage mich, woran es liegt, daß die SPD einen derart unverständlichen, unbedachten und unsinnigen Antrag hier und heute einbringt. Liegt es daran, daß Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einfach vergessen haben, daß Sie vor gar nicht allzu langer Zeit die Abschaffung dieses Solidaritätszuschlags gefordert haben, also die Abschaffung von dem, was Sie heute ausgerechnet erhöhen möchten? Wer soll sich da noch auskennen? Was wollen Sie denn wirklich? ({0}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Ihren Antrag vom 1. Februar, in dem es heißt - ich lese Ihnen Teile noch einmal vor -: Der Solidaritätszuschlag ist in dem Maße schrittweise zurückzuführen, wie der Aufbau Ost vorankommt. Ich zitiere weiter: Angesichts der Rekordbelastungen mit Steuern und Abgaben hält der Deutsche Bundestag eine Entlastung der Bürger für dringend erforderlich. Das ist wahr. Jetzt aber wollen Sie den Solidaritätszuschlag erhöhen. Oder liegt es vielleicht daran, daß der Vorsitzende Ihrer Fraktion - wir wünschen ihm gute Besserung - zur Zeit bedauerlicherweise nicht unter uns weilen kann? ({1}) Der Spruch von Herrn Solms ist zwar tierisch, aber er ist richtig: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. - Vielleicht kann man auch sagen: Die Neidhammel haben freien Lauf. ({2}) Für mich ist der Antrag vor allem eines: der Versuch, die von Ihnen so geschätzte Vermögensabgabe mit diesem Diätenpaket durch die Hintertür einzuführen. Er ist ein erneuter Versuch, die Leistungsträger in unserer Gesellschaft zu schwächen, Ihren Frust auf andere zu übertragen. Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Einmal mehr folgen Sie Ihrem Motto: Leistung darf sich nicht mehr lohnen. Oder anders - flapsig - gesagt: Was der Haifisch im Wasser, ist die SPD bei den Steuern. Ihre Ankündigung, den Solidaritätszuschlag auf lange Sicht durch einen sogenannten Lastenausgleich mit besonderer Belastung höherer Einkommen zu ersetzen, läßt Schlimmes befürchten. Dabei ignorieren Sie sogar das Bundesverfassungsgericht, das im letzten Jahr den „Hälftelungsgrundsatz" vorgegeben hat. Die Vermögensteuer wurde für grundgesetzwidrig erklärt für den Fall, daß sie zusammen mit anderen Steuern, zum Beispiel der Einkommensteuer, mehr als die Hälfte der Sollerträge eines Vermögens aufzehrt. ({3}) Wie rechtfertigen Sie da eine zusätzliche Vermögensabgabe? Nichts anderes ist das, was Sie mit diesem Antrag fordern, Ihr neuestes Manöver wurde jedoch längst durchschaut, erfreulicherweise nicht nur von den Medien - deren Kritik fast einhellig negativ war -, sondern auch von den Leuten Ihrer eigenen Partei. Ich lese Ihnen vor, was Ihr Ministerpräsident Schröder dazu sagt: Nach eigenen Angaben kann er die „Weisheit" Ihrer Forderung überhaupt „nicht nachvollziehen" . Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, Ernst Schwanhold, bezeichnet den Antrag als schlichtweg „falsch". Wo er recht hat, muß er recht bekommen. Ihre wiederholten Attacken auf die sogenannten Besserverdienenden - jüngstes Beispiel ist Ihre Forderung nach Kürzung von Spitzengehältern im öffentlich-rechtlichen Bereich - kann wirklich niemand in unserem Land mehr hören; das gilt scheinbar selbst für Ihre eigene Partei. Ihre Neidkampagne gegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit überdurchschnittlichen Einkommen ist ungerecht. Es ist unfair, sie durch die Anhebung des Solidaritätszuschlags - in Verbindung mit dem Thema Diäten - zusätzlich zur Kasse zu bitten. Verschweigen Sie doch bitte nicht, daß unsere Leistungsträger auf Grund des linear-progressiven Steuertarifs - insbesondere angesichts eines Spitzensteuersatzes von 53 Prozent - ohnehin schon wesentlich höhere Abgaben leisten als die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. ({4}) Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung - vielleicht glauben Sie dem - zahlten die oberen 25 Prozent der Steuerpflichtigen mit Einkünften ab rund 73 000 DM 1995 mehr als 70 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. Dies ist Fakt. Dies waren rund 272 Milliarden DM. Die einen zahlten also 190 Milliarden DM und die anderen 80 Milliarden DM zum Gesamtsteueraufkommen. Meine Damen und Herren, angesichts dieser Fakten nun den Beziehern dieser Einkommen eine weitere Steuerlast aufzubürden ist für den Wirtschaftsstandort und für den Arbeitsmarkt Schlichtweg kontraproduktiv. Wir lehnen die von Ihnen intendierte Doppelbesteuerung ab. Im übrigen haben Sie doch erst kürzlich im Finanzausschuß gefordert, Einkünfte sollten nur einmal besteuert werden. Wie ist dies mit Ihrer Soli-Erhöhungskampagne von heute zu vereinbaren? Die von Ihnen herbeigesehnte Sondersteuer wird Ihrer finanz- und wirtschaftspolitischen Glaubwürdigkeit weiteren Schaden zufügen. Meine Damen und Herren, erfolgreiche Steuerpolitik macht man nicht mit Emotionen, sondern mit Sachverstand und Augenmaß. Dies gilt auch für die von Ihnen so oft wiederholte Mär von der Schieflage der Steuergerechtigkeit. Mir scheint, meine Damen und Herren, Sie wissen überhaupt nicht - obwohl Sie es als Antragsteller wissen müßten -, daß der Bezieher eines Jahreseinkommens von 135 600 DM - verheiratet, zwei Kinder - rund 40 000 DM Steuern zahlt. - Das zahlen auch die Abgeordneten. - Und es muß hier einmal verdeutlicht werden, daß jemand mit einem Einkommen von 50 000 DM nur rund 4 000 DM Steuern aufbringen muß. ({5}) 40 000 DM und 4 000 DM: Rechnen Sie einmal die Prozentzahlen aus, dann muß Ihnen klar sein, daß hier Steuergerechtigkeit nach dem linear-progressiven Tarif vorhanden ist und daß die Hetz- und Neidkampagnen völlig an den Tatsachen vorbeigehen. ({6}) Ich fordere Sie von der SPD auf, Ihr „Feindbild gegen Risikobereite und Leistungswillige" abzubauen und endlich glaubwürdige und wirtschaftsfreundliche Politik zu machen. Kehren Sie zurück zum Leistungsprinzip, verlassen Sie das Steuertraumland sozialistischer Gleichmacherei! Meine Damen und Herren, wir lehnen einen solchen Zuschlag ab. Ich meine, daß die Chance für mehr Wachstum und Beschäftigung nicht vertan werden sollte, daß das, was Sie hier zusätzlich einbringen, der falsche Weg, ein Sommertheater ist und daß wir endlich zum Konsens in der Diätenfrage ohne diese Nebenanträge zurückkehren sollten. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Gregor Gysi. Sie können vom Platz aus sprechen, Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr erstaunt über das, was der Vorredner hier zum Ausdruck gebracht hat. Sie haben von einer zusätzlichen Vermögensabgabe im Zusammenhang mit dem Antrag der SPD gesprochen. Sie selbst haben diese Steuer Solidaritätszuschlag genannt. Und dieser Solidaritätszuschlag - das ist Ihre Benennung -, die Solidarität soll erhöht werden, und zwar durch jene, die mehr und die am meisten in dieser Gesellschaft verdienen. Das müßte doch eigentlich Ihrem ursprünglichen Gedanken entsprechen. Wenn Sie dann sagen, das Ganze schüre eine Neidkampagne, muß ich feststellen: In einer Situation, in der Sie die Sozialhilfe einfrieren, in der Sie Krankengeld kürzen, in der Sie bei allen sozial Schwachen rangehen, es als Neidkampagne zu bezeichnen, wenn etwas mehr Solidarität durch die Reichen verlangt wird, das ist wirklich eine Verhöhnung der sozial Schwachen und der Lohnabhängigen in dieser Gesellschaft. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Michelbach, Sie können antworten.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gysi, es wurde deutlich, daß die Antragstellung der SPD zur Erhöhung des Solidaritätszuschlages auf 10 Prozent vom Parlamentarischen Geschäftsführer Dr. Struck ausdrücklich als Vermögensabgabe formuliert ist, die auf Dauer einzuführen ist. ({0}) - Ich habe die Presseartikel dabei; dies wurde ausdrücklich von der SPD zitiert. ({1}) - Dann machen Sie das mit Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer aus. Das ist ein Originalzitat von Herrn Dr. Struck. Wir sind die falsche Adresse. ({2}) Ich kann Ihnen nur deutlich sagen: Solange Sie selbst als Anwalt und als mediengerechter Mann sehr viele zusätzliche Honorare einstreichen, sollten Sie nicht von sozialer Gerechtigkeit, von Steuergerechtigkeit und von sozialen Grausamkeiten in diesem Lande reden. Das ist durchschaut. Das ist genau das, was Sie als Masche hier vorbringen. Es nimmt Ihnen aber niemand mehr ab. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun erteile ich dem Abgeordneten Peter Conradi das Wort.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der allseits erhobenen Forderung, jetzt müsse aber gespart werden, ruft das Volk nach Gerechtigkeit - eine berechtigte Forderung, denn das vorgelegte Sparpaket trifft vor allem die kleinen Leute. Ihr Protest wird durch die Medien mit gezielten Beiträgen auf das Thema Abgeordnetendiäten gelenkt. Damit soll, ganz im Sinne der Bundesregierung, von der sozialen Schieflage des Sparpakets abgelenkt werden. ({0}) Die wirkliche Frage ist doch: Wie und bei wem soll gespart werden? Genauer: Werden auch die Bezieher höherer Einkommen - dazu gehören wir Abgeordnete - an den Sparmaßnahmen beteiligt? Ich habe einen Gesetzentwurf zur Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes vorgelegt. Im Unterschied zu meinem Vorredner habe ich den Namen dieses Gesetzes ernst genommen. Mit diesem Vorschlag wird der Solidaritätszuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer nicht für alle Steuerzahler, wie fälschlich behauptet wird, sondern für die Steuerpflichtigen, die so viel wie oder mehr als Bundestagsabgeordnete verdienen - das sind zur Zeit 135 600 DM im Jahr - von 7,5 auf 10 Prozent erhöht, und zwar - da Sie mich angesprochen haben, möchte ich Sie bitten, daß Sie mir, jetzt auch zuhören - nicht für alle Ewigkeit, sondern erklärtermaßen nur für die Zeit, bis der Solidaritätszuschlag - das wollen alle Fraktionen dieses Hauses - abgeschafft ist. Das wird wohl länger dauern als das Jahr, um das die Diätenerhöhung verschoben wird. Das heißt, es wird hier eine Maßnahme für die Restlaufzeit des Solidaritätszuschlags vorgeschlagen. Das bringt ein kleines Stück mehr Gerechtigkeit. Nicht nur wir Abgeordneten, nein, auch andere Bezieher höherer Einkommen, die Spitzenmanager der Wirtschaft, die Redakteure von Zeitungen und Fernsehen, die Professoren - da fällt mir auch einer ein -, die Mitglieder des Bundes der Nichtsteuerzahler, unsere ehemalige Kollegin Frau Hamm-Brücher, die uns Enthaltsamkeit predigt und selbst 18 000 DM monatlich aus öffentlichen Kassen an Pensionen bekommt, ({1}) gutverdienende Fußballer, Anwälte, Ärzte und, nicht zu vergessen, Architekten - wer wollte ernsthaft etwas dagegen sagen, auch sie an der Solidarität zu beteiligen? ({2}) In den Medien ist behauptet worden, die SPD wolle alle Steuerzahler mit einem höheren Solidaritätszuschlag belasten. Das ist plump gelogen. Es ist durchsichtig: Wieder einmal will man die kleinen Leute aufhetzen, damit die großen Tiere verschont bleiben. „Die Abgeordneten jagen", da kommt in jeder Redaktion Freude auf. ({3}) Sich aber selbst am Sparen solidarisch zu beteiligen, das kommt nicht in Frage. ({4}) Da werden uns Rachegelüste und Neidkomplexe unterstellt. Was sind das für Politiker, was sind das für Journalisten, die jeden Vorschlag für ein wenig mehr Gerechtigkeit in diesem Land mit dem Totschlagargument „Neid" niedermachen! ({5}) Die reichen Leute, ihre Hilfstruppen in den Medien und ihre Hilfstruppen hier im Parlament verteidigen ihren Reichtum mit einer unheimlichen Brutalität. ({6}) Der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag für die hohen Einkommen heraufzusetzen, ist gerecht, er ist vernünftig, er ist praktikabel. Er würde schätzungsweise 1,5 Millionen Steuerzahler betreffen. Er würde weit mehr als 1 Milliarde DM an Steuereinnahmen bringen. Nun kommt das Argument: Sparen bei den Ausgaben sei etwas anderes, als mehr Steuern zu kassieren. Wohl richtig! Aber im Endeffekt läuft beides auf das gleiche hinaus: Das Defizit in der Bundeskasse und die Verschuldung werden vermindert. Die Bezieher höherer Einkommen bekommen nun einmal keine Barzahlungen aus öffentlichen Kassen. Sie bekommen kein BAföG, kein Wohngeld, keine Sozialhilfe, sondern sie bekommen zahlreiche Steuervorteile. Wer also die Bezieher höherer Einkommen an den Sparmaßnahmen beteiligen will, kann das nur über die Steuern tun. Dies wollte ich als fraktionsübergreifenden Antrag einbringen, aber die SPD-Bundestagsfraktion hat das übernommen. Manchmal hat man auch in der eigenen Fraktion kleine Erfolgserlebnisse. Es sollte Sie nicht daran hindern, diesen Antrag ernsthaft zu prüfen und ihm zuzustimmen, ({7}) denn die deutsche Öffentlichkeit wird darauf achten,

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner?

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich. Darf ich wenigstens den Satz noch zu Ende führen?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ja, natürlich.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- wer sich hier im Bundestag beim Sparpaket um etwas mehr Gerechtigkeit bemüht. ({0}) Herr Abgeordneter!

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Conradi! Da Sie uns das nun als eine so kluge steuerpolitische Konzeption vorstellen, möchte ich Sie fragen, ob die SPD morgen in der steuerpolitischen Debatte des Bundestages diesen Antrag stellen wird, und wenn ja, warum wir uns dann heute damit befassen, wenn aber nein, ob nicht die Tatsache, das hier in diese Debatte, die sich mit einem völlig anderen Thema befaßt, hineinzuziehen, in der steuerpolitischen Debatte diesen Antrag aber nicht zu stellen, den Schluß nahelegt, daß es sich um einen Schaufensterantrag handelt, der steuerpolitisch gar nicht ernst gemeint ist. ({0})

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Sie haben offenbar den Antrag nicht begriffen. ({0}) Die Frage ist doch, ob hier allein ein Sonderopfer der Abgeordneten verlangt wird, was ein wenig mehr Solidarität darstellt, oder ob alle Menschen, die dasselbe leisten können wie wir, die soviel wie oder mehr als wir verdienen, an dieser Solidaritätsabgabe beteiligt werden. Wenn Sie das nicht begriffen haben, tut es mir leid. ({1}) Bisher sprach ich für meine Fraktion, jetzt spreche ich für mich. Aber wenn ich die Stimmung in meiner Fraktion richtig einschätze, bin ich mit meiner Meinung nicht allein. Es geht um den von unseren Fraktionsvorsitzenden erzwungenen Gesetzentwurf, mit dem das erst im Dezember 1995 beschlossene Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes schon wieder geändert werden soll, mit dem Ziel, die schrittweise Heranführung der Abgeordnetenentschädigung an das Gehalt eines kommunalen Wahlbeamten oder eines Bundesrichters auszusetzen, in Wahrheit zu blockieren. Ich halte dieses Änderungsgesetz für ein dummes, ein schäbiges Ablenkungsmanöver. Ich finde es ärgerlich, wenn zum wiederholten Mal die Vorderbänkler im Bundestag den Hinterbänklern Enthaltsamkeit verordnen. Einige Vorderbänkler beziehen neben ihrer Abgeordnetenentschädigung aus ihren heutigen und aus früheren Ämtern - als Fraktionsvorsitzende, als ehemalige Minister, als Geschäftsführer, als frühere Bürgermeister - ein üppiges Zubrot aus öffentlichen Kassen und daneben in vielen Fällen weitere Einkünfte aus anderen Quellen. Sie haben sich bisher erfolgreich gegen eine Offenlegung ihrer Einkünfte gewehrt. Würden die Einkünfte unserer Vorturner öffentlich bekannt, gäbe es großes Erstaunen. ({2}) Damit mir Herr Schäuble und Herr Solms nicht gleich wieder den verfluchten „sozialistischen Neidkomplex" vorwerfen, will ich sagen: Ich finde Ihre Einkünfte in Ordnung, die von Herrn Scharping auch. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß die Vorderbank mehr verdient. Eine solche Fraktion wie Ihre oder unsere, Herr Schäuble, zu führen, dafür müßte man noch sehr viel mehr Schmerzensgeld bekommen. ({3}) Aber, Herr Schäuble, ich habe meine Nebeneinkünfte seit vielen Jahren offengelegt, weil ich mich ihrer - offenbar im Unterschied zu unseren schamhaften Vorturnern - nicht schäme. Ich käme mir allerdings schäbig vor, würde ich als einer, der mehr verdient als der Großteil der Abgeordneten, die nichts neben den Diäten haben, den anderen hier mit salbungsvollen Worten Enthaltsamkeit predigen. Die Damen und Herren auf den ersten Bänken dieses Hauses trinken selbst Champagner und predigen uns öffentlich Wasser. ({4}) Eine politische Führung, die sich so unsolidarisch verhält, wird sich schwertun, an anderer Stelle Solidarität einzufordern. Was uns heute nach dem peinlichen Gezerre zugemutet wird, ist unehrlich. Herr Eylmann hat dargelegt, daß selbstverständlich die weiteren Änderungen und Anhebungen entfallen. Glauben Sie im Ernst, 1997 bei der Kandidatenaufstellung oder 1998 vor der Bundestagswahl würden die vorgesehenen Erhöhungen zustande kommen? Ich werde dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich beharre auf der Erfüllung des Verfassungsgebots, daß die Abgeordneten eine angemessene Entschädigung bekommen. Als ich hierherkam, wurde ich wie ein Landrat, wie ein Beigeordneter einer Großstadt besoldet, heute werden wir wie ein Referatsleiter in einem Ministerium oder wie ein Oberst in der BunPeter Conradi deswehr besoldet. Bei allem Respekt vor der Bürokatie und der Bundeswehr ist das nicht angemessen. ({5}) Ich bin es leid, für meine Arbeit als Abgeordneter von den Fraktionsvorsitzenden wie ein Schuljunge herumgeschubst zu werden. Das beschädigt das Parlament, und das verletzt unsere Selbstachtung. Es ist für die Demokratie gefährlich, die Abgeordneten zum Prügelknaben der Nation zu machen. Wenn das so weitergeht: Wer wird dann noch für ein Mandat in diesem Hause kandidieren? Es geht um das Ansehen des Hauses. Wer das Ansehen der Volksvertretung beschädigt - sei es von außen durch anhaltendes Mobbing gegen die Abgeordneten, sei es hier drinnen, weil er sich der Hetze beugt -, der gefährdet die parlamentarische Demokratie. ({6}) Mit dem Vorschlag meiner Fraktion, den Solidarzuschlag für uns Abgeordnete und alle anderen, die soviel wie oder mehr als wir verdienen, anzuheben, zeigen wir, daß wir Bundestagsabgeordnete uns beim Sparen nicht drücken wollen, sondern daß wir bereit sind, unseren Teil an den Sparmaßnahmen zu tragen, so wie alle anderen, die dazu genauso wie wir in der Lage sind. Das ist ein Schritt, der die Spardebatte ein wenig ehrlicher machen könnte, der ein kleines Stück mehr Gerechtigkeit bringen könnte. Der Bundestag nimmt sich selbst bei diesen Sparmaßnahmen nicht aus, aber er sollte symbolische Strafaktionen gegen sich selbst ablehnen, weil damit die parlamentarische Demokratie beschädigt wird. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Dr. Solms das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Conradi, mit Ihrem Antrag versuchen Sie erneut, die Menschen hinters Licht zu führen, als hätten diejenigen, die mehr verdienen, nicht auch höhere Lasten zu tragen; denn unser Steuersystem ist nun einmal so angelegt, daß diejenigen, die wenig verdienen, keine Steuern bezahlen, diejenigen mit mittleren Einkommen mittlere Steuern bezahlen und diejenigen, die hohe Einkommen beziehen, hohe Steuern bezahlen. ({0}) Der Spitzensteuersatz liegt bei 53 Prozent, rechnet man den Solidarzuschlag dazu, liegt er bei 57 Prozent, plus Kirchensteuer sind Sie bei 60 Prozent. ({1}) - Ich will nur, daß das klar ist. Nun fordern Sie, daß der Solidarzuschlag noch einmal erhöht wird. Ich sage das nur, damit die Verhältnisse klar sind. Wem haben Sie damit geholfen? Niemandem; kein einziger Arbeitsplatz ist dadurch entstanden. Die einzige Frage ist doch: Wie können Sie die Leute, die mehr verdienen, weil sie mehr leisten, ({2}) dazu bringen, auch in der Bundesrepublik mehr Arbeitsplätze zu schaffen? Erst wenn Sie diese Frage beantwortet haben, bin ich bereit, Ihnen zu folgen und mich auf diese Diskussion einzulassen. Zweitens. Sie haben soeben versucht, die Neidkampagne auch innerhalb dieses Hauses zu schüren. Ich möchte in aller Offenheit sagen: Mich stößt das ab. Ich will hier ganz offen erklären: Ich erhalte als Fraktionsvorsitzender doppelte Diäten. Ich weiß nicht, wie das in den anderen Fraktionen ist, aber ich vermute, es ist genauso. ({3}) Ich sage Ihnen aus voller Überzeugung: Wir, die Fraktionsvorsitzenden, sind das auch wert. ({4}) Wir sind das genauso wie die Funktionsträger in den Fraktionen wert. Warum? Weil wir einen ganz anderen Arbeitsaufwand zu erbringen haben als die anderen Abgeordneten. Das muß in aller Öffentlichkeit klar gesagt werden. In unserer Fraktion ist es üblich, daß über die zusätzliche Ausstattung der Funktionsträger der Fraktionen in der Fraktion jedes Jahr öffentlich berichtet wird. Wegen der Öffentlichkeit und Transparenz gibt es überhaupt kein Mißtrauen und keine Neidgefühle, sondern das wird akzeptiert. Deswegen habe ich keine Scheu, die zusätzlichen Einnahmen der Funktionsträger öffentlich bekanntzumachen. Ich habe das kürzlich auch der Presse gegenüber getan. Danke. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, wenn der Geräuschpegel so hoch ist, daß man den Redner nicht mehr hören kann, dann werde ich die Sitzung unterbrechen. Ich mache darauf vorsorglich aufmerksam, damit Sie wissen, daß das zu Lasten Ihrer Zeit geht. Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Solms, ich bin betrübt darüber, daß Sie offenbar unser Steuerrecht so wenig kennen. ({0}) - Hören Sie ruhig zu! - Sonst würden Sie hier nicht den Spitzensteuersatz, der erst bei einem hohen Einkommen greift, mit dem Durchschnittsteuersatz verwechseln. Der durchschnittliche Steuersatz auf die zu versteuernden Einkünfte liegt weit unter den von Ihnen genannten Sätzen. ({1}) Das heißt, Sie täuschen die Öffentlichkeit, wenn Sie bei Leuten, die in Wirklichkeit nicht einmal 40 Prozent Steuern bezahlen, von 53 Prozent reden, ganz zu schweigen von den Gestaltungsspielräumen, die das Steuergesetz denen läßt, die viel verdienen. ({2}) Da muß ich schon sagen: Bei dem, was hier den Arbeitslosen, den alleinerziehenden Müttern, den Kranken, den Rentnern zugemutet wird, halte ich es für zumutbar, wenn unsereins und die, die mehr verdienen, 2,5 Prozent mehr Solidaritätszuschlag auf die Steuer zahlen. Aber Sie lehnen - das habe ich vorher gesagt - brutal jede Solidarität ab. Sie sparen nur unten; oben sind Sie nicht bereit, Solidarität zu leisten. ({3}) In einem anderen Punkt komme ich Ihnen gerne entgegen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Daß Sie - Herr Solms, ich darum Ihre Aufmerksamkeit bitten -, die Fraktionsvorsitzenden und die anderen Leistungsträger des Parlaments deutlich mehr als die normalen Abgeordneten verdienen, daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Das habe ich nicht beanstandet. Ich habe nur gesagt: Ich finde es eigenartig, wenn Sie und andere der großen Mehrheit der Abgeordneten, die ausschließlich die Abgeordnetenentschädigung hat, Enthaltsamkeit verordnen. Das finde ich nicht anständig. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es liegen eine Reihe von Erklärungen vor. Zunächst kommt eine Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung von dem Abgeordneten Gregor Gysi. Bitte, Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Michelbach hat es in seiner Erwiderung auf meine Kurzintervention für erforderlich gehalten, persönlich zu werden, und hat das, was er gerade angegriffen hat, meines Erachtens ein bißchen durchschauen lassen, nämlich Neid, indem er auf meine vermeintlichen Einkünfte als Anwalt und im Fernsehen bei Talkshows hinwies und meinte, daß es üble Heuchelei sei, was ich hier betreibe. Dazu drei Bemerkungen: Erstens. Seit 1990 habe ich als Anwalt mit Ausnahme eines freisprechenden Urteils überhaupt keine Einnahmen mehr gehabt - das kann ich Ihnen garantieren -, weil ich nämlich während der ganzen Zeit in der Politik tätig war. ({0}) - Dann behaupten Sie doch so etwas nicht. Zweitens. Wenn Sie öfter zu Talkshows eingeladen wären, würden Sie auch wissen, daß Politikerinnen und Politiker dort glücklicherweise keine Honorare bekommen. So weit ist es noch nicht gekommen. Es gibt ganz wenige Ausnahmen, die von mir selbstverständlich auch öffentlich gemacht werden. Drittens habe ich hier mit großem Interesse gehört, daß Fraktionsvorsitzende gelegentlich doppelte Diäten bekommen. Ich kann für unsere Gruppe mitteilen, daß der Vorsitzende eine zusätzliche Aufwandsentschädigung in Höhe von exakt 1 000 DM erhält, ({1}) aber an doppelte Diäten oder ähnliches nicht gedacht wird. Das alles ist aber nicht mein Problem. ({2}) - Wenn Sie das angreifen, muß ich das hier richtigstellen können. - Aber ich will Ihnen folgendes sagen: Dann stimmen Sie doch endlich unseren Anträgen zu, daß die Nebeneinkünfte veröffentlicht werden, und dann haben wir diese Diskussion - ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, entschuldigen Sie bitte, Sie können lediglich hier - Dr. Gregor Gysi ({0}): Ich habe das richtiggestellt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das haben Sie getan.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Er hat gesagt, ich heuchele, und deshalb sage ich, wenn man den Anträgen zustimmen würde,

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi!

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- wäre das geklärt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, eine Sekunde. - Ich bin nicht bereit, über die Geschäftsordnung zu diskutieren. Sie haben nach § 30 unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit, mit einer persönlichen Erklärung ({0}) etwas richtigzustellen. ({1}) Das haben Sie getan. Nun gehen Sie darüber hinaus.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Nein, ich wollte den Vorwurf, daß es Heuchelei sei, nur dadurch richtigstellen, daß ich sage, daß, wenn man unseren Anträgen stattgeben würde, wir, beide weniger hätten. AußerDr. Gregor Gysi dem wäre alles öffentlich, und dann wäre jede Heuchelei vorbei. Dazu wollte ich ihn gerne aufrufen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es tut mir leid, Herr Kollege Michelbach. Zu den Erklärungen nach § 30 unserer Geschäftsordnung ist keine Gegenerklärung vorgesehen. Ich gebe nun das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung dem Kollegen Klose.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist klar, daß ich mit dieser Erklärung zur Abstimmung öffentlich keine Punkte machen werde, im Gegenteil. Die Öffentlichkeit erwartet angesichts der finanziellen und ökonomischen Situation des Gesamtstaates eine Anpassung der Abgeordnetendiäten nach unten, was ich gut verstehen kann. Dennoch erkläre ich hier, daß ich der beantragten Änderung des Abgeordnetengesetzes nicht zustimmen werde. ({0}) Ich orientiere mich bei meinem persönlichen Abstimmungsverhalten an Art. 48 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Dort steht: Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Mit dem Hinweis auf das Grundgesetz will ich deutlich machen, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht beliebiges Instrument in der Hand der Politik ist. Sie muß angemessen sein und die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichern - so will es die Verfassung. Natürlich weiß ich, meine Damen und Herren, daß über das Kriterium der Angemessenheit gestritten werden kann. Dieser Streit ist so alt wie die Abgeordnetenentschädigung selbst. Ich kann aber nicht übersehen, daß zwei unabhängige Kommissionen, zuletzt die sogenannte Kissel-Kommission, die Unangemessenheit der gegenwärtigen Entschädigung bestätigt haben. Angemessen ist eine Entschädigung, die sich, wie 1976 vorgesehen, an den Besoldungsgruppen B 6 bzw. R 6 orientiert. Von dieser Größenordnung sind wir weit entfernt. Mit der vorgesehenen Verschiebung entfernen wir uns weiter von diesem Maßstab, den noch vor wenigen Monaten die Rechtsstellungskommission, der Ältestenrat und die Mehrheit des Deutschen Bundestages ({1}) für angemessen gehalten haben. Ich kann nicht erkennen, was sich an dieser Bewertung in der Zwischenzeit geändert hätte. ({2}) Das, meine Damen und Herren, ist der eine Grund, der mich veranlaßt, mit Nein zu stimmen. Der andere ist mir eher noch wichtiger. Die Abgeordnetenentschädigung soll die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichern. Dagegen verstoßen wir nach meiner Einschätzung mit der heutigen Entscheidung in doppelter Weise. Zum einen hat nämlich die Unangemessenheit der Entschädigungshöhe Einfluß auf die zukünftige Zusammensetzung und die innere Struktur des Parlaments. ({3}) Für bestimmte Gruppen der Gesellschaft wird es zunehmend unattraktiver, ein Abgeordnetenmandat anzustreben, während für andere der Zwang, das Abgeordnetenmandat als Besitzstand zu verteidigen, eher noch zunehmen wird. Zugleich werden wir erleben - so fürchte ich -, daß die Zahl der Abgeordneten, die die Abgeordnetentätigkeit gewissermaßen nebenamtlich ausübt, steigt. ({4}) Das halte ich für eine in höchstem Maße ungute Entwicklung, die ich durch mein Abstimmungsverhalten nicht noch befördern will. ({5}) Zum anderen stört es mich, daß wir bei der Entscheidung über die Höhe der Abgeordnetenbezüge zunehmend unfreier werden bzw. uns unfrei machen. ({6}) Würde ich heute zustimmen - ich rede nur von mir -, dann nicht, weil ich diese Entscheidung für sachlich richtig hielte. Was ich für richtig halte, habe ich nach wirklich sorgfältiger Prüfung in der Rechtsstellungskommission und auch im Plenum vorgetragen. Nein, ich würde unter Druck entscheiden, was von mir erwartet wird, also eine opportune Entscheidung treffen. ({7}) Das will ich nicht, weil ich es aus sehr grundsätzlicher parlamentarischer Sicht für falsch halte. Dies ist der zweite und für mich entscheidende Grund, der vorgeschlagenen Änderung des Abgeordnetengesetzes nicht zuzustimmen. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine weitere Erklärung zur Abstimmung wird von dem Abgeordneten von Larcher gewünscht.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich kann dem interfraktionellen Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er mir zumutet, mit einer symbolischen Handlung die unsoziale und ökonomisch unsinnige Streich- und Kürzungspolitik für die Opfer der Regierungspolitik akzeptabler zu machen. Ich kann nicht zustimmen, weil durch meine Zustimmung das Programm zur Spaltung der Gesellschaft und zum Wachstum der Arbeitslosigkeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen „mehr Dignität erhalten soll" . Das haben heute Andreas Schmidt, Gerald Häfner, Hermann Solms und Hans Michelbach mit ihren Beiträgen bestätigt. Ich bin bereit, auf 525 DM monatlich ab 1. Juli zu verzichten, aber nicht als Beispiel für die Rentner, die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Kranke, sondern mit all denjenigen, die so hohe private Einkünfte haben wie ich als Abgeordneter und mehr. ({0}) Sie alle sollen in einem Akt neuer Solidarität den Anteil von ihren privaten Einkünften abgeben, den die 525 DM von meinen Diäten ausmachen, damit die Opfer Kohlscher Politik nicht weiter geschröpft werden. Ich stimme dem Antrag meiner Fraktion zu und lehne den interfraktionellen Antrag ab, weil ich eine Trendwende will: von der 13jährigen Umverteilung von unten nach oben und von der Politik zum Wachstum der Arbeitslosigkeit zu neuer Solidarität in unserer Gesellschaft und zur energischen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Aussprache ist geschlossen. Wir treten in die Abstimmung ein. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und F.D.P. gemeinsam eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes, Drucksache 13/4840 und 13/4872. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit Mehrheit bei Gegenstimmen und Stimmenthaltungen aus den Fraktionen der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. ({0}) - Es ist quer durch die Fraktionen gegangen, mit Ausnahme der Fraktion der F.D.P. ({1}) Wir treten in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung bei Gegenstimmen und Stimmenthaltungen aus den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/4895. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag bei Stimmenthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU/CSU angenommen worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/4884. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit Stimmen des gesamten Hauses bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes auf Drucksache 13/4841. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Mehrheit der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einzelnen Stimmenthaltungen auch aus der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist. ({2}) Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 6 fort. Ich bitte die Kollegen, die der weiteren Beratung nicht folgen wollen, nun den Raum zu verlassen, damit wir in den nächsten Punkt der Tagesordnung eintreten können. ({3}) Das ganze Abstimmungsverhalten ist übrigens korrekt zu Protokoll gegeben. Da brauchen Sie keine Bedenken zu haben, von keiner Seite. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Telekommunikationsgesetzes ({4}) - Drucksachen 13/3609, 13/4438 -({5}) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({6}) - Drucksache 13/4864 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({7}) Hans Martin Bury Dr. Manuel Kiper Dr. Max Stadler Gerhard Jüttemann b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Errichtung einer Bundesanstalt für die Regulierung von Post und Telekommunikation - Drucksachen 13/3920, 13/4864 Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({9}) Hans Martin Bury Dr. Manuel Kiper Dr. Max Stadler Gerhard Jüttemann Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verf ah-ren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Elmar Müller.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über das Telekommunikationsgesetz, das die zwangsläufige Folge einer Entwicklung seit der Postreform I im Jahre 1989 ist. Zunächst erfolgte die Privatisierung der Unternehmen der Deutschen Telekom zum 1. Januar 1995. Im Jahr 1993, also bereits während der Verhandlungen zur Postreform II, gab es zu den Fragen der Liberalisierung erste Überlegungen und Papiere. Hinzugekommen sind eine Reihe von Grün- oder Weißbüchern, von Entwicklungen der Europäischen Kommission, die uns nun in die Lage versetzen, einen Markt zu öffnen, den wir inzwischen alle miteinander als den interessantesten und weltweit dynamischsten Markt überhaupt entdeckt haben; auf ihn setzen wir. Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland verbinden wir mit dem Markt der Telekommunikation und seinen Entwicklungen große Hoffnungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Laufe der letzten Monate, in denen wir in der Koalition und interfraktionell, auch unter Einbeziehung der Länder, über das Gesetz verhandelt haben, gab es eine Reihe von Auseinandersetzungen. Dennoch sind wir am Mittwoch dieser Woche im Postausschuß zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen, die allerdings - das muß ich sofort hinzufügen - zumindest in den letzten 24 Stunden von Irritationen begleitet wurde. Diese Irritationen sind es, die mich verleiten, nicht in der Breite des Gesetzes zu beginnen, sondern mich zunächst auf wenige Dinge zu konzentrieren, um dann noch in ein paar Sätzen zu den Ereignissen der letzten Stunden Stellung zu nehmen. Eines der wichtigsten Kapitel dieses Gesetzes und das, worüber wir uns am längsten auch gestritten haben, war die Frage der Regulierung. Unbestritten bedarf es einer Regulierung, die auch im Gegensatz zu anderen Regulierungen, die wir in der Marktwirtschaft und auch in unserem Land kennen, nicht zum Ziel hat, zu verhindern, daß sich große, marktbeherrschende Unternehmen bilden, sondern es bedarf einer Regulierung, die umgekehrt dazu beiträgt, aus einem Monopol Unternehmen sich entwickeln zu lassen, die - so hoffen wir - sich nun innerhalb dieses ehemaligen Monopols vor allem auch zugunsten des Verbrauchers auf dem Telekommunikationsmarkt zu echten Wettbewerbern entwickeln können, die diesen Markt öffnen und ihn auch zu einem interessanten Markt der Investitionen; der auch Arbeitsplätze schafft, entwickeln. ({0}) Das ist nicht nur unsere Hoffnung, sondern darauf setzen wir, und das war auch das Ziel dieses Gesetzes. Meine Damen und Herren, eine Regulierungsbehörde, wie wir sie nun entwickelt haben, soll - darauf haben wir Wert gelegt - durchsetzungsstark sein, und deshalb hat sich dieser Streit bis in die letzten Tage hinein gelohnt. Diese Behörde soll von einem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten geleitet werden. Allerdings muß auch in der Bestellung der Regulierungsspitze die Regierung das Letztentscheidungsrecht haben. Darauf legen wir als Bundestag und auch als Vertreter des Inhabers, das heißt des Besitzers dieses ehemaligen Monopolisten, Wert. Auch das war unbestritten. Dabei sollen die Länder durchaus im Rahmen der Möglichkeiten eines Beirates mitwirken dürfen. Allerdings geht es dabei lediglich, wie § 70 sagt, um eine Benehmensregelung. Meine Damen und Herren, die Fragen des Universaldienstes, die uns besonders wichtig waren und auf die mein Kollege Dr. Meister nachher im Detail eingehen wird, sollen allerdings von dieser Behördenspitze auch vor allem dort gelöst und entschieden werden, wo es um knappe Ressourcen und vor allem strittige Entscheidungen geht. Ich denke, daß das eine richtige Lösung innerhalb dieses Gesetzentwurfes ist. Die Unabhängigkeit dieser Behörde von tagespolitischen Einflüssen zeigt sich auch darin, daß wir unabhängige Beschlußkammern innerhalb dieser BeElmar Müller ({1}) börde gestaltet haben, die allerdings nun inzwischen - das ist vernünftig angesichts der qualitativen Spitze, die wir bilden wollen - durchaus auch einen Verzicht auf ein Vorverfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz ausüben können. Das heißt also, es gibt Entscheidungen, die wirklich qualitativ und quantitativ von dieser unabhängigen Spitze getroffen werden sollen. Die wichtigste Aufgabe dieser Regulierungsbehörde wird unter anderem die Entgeltregulierung sein, das heißt die Überwachung der im Gesetz vorgeschriebenen Netzzusammenschaltung, sowie der offene Netzzugang, der für zukünftige Nutzer außerordentlich wichtig ist. Diese drei Dinge sind es, die die Essentials dieses Gesetzes bilden. Wenn wir dieses nicht zustande gebracht hätten - das war der umstrittenste Teil vor allem des bisherigen Monopolisten wie auch derer, die auf diesen Markt wollen -, dann wäre das Gesetz insgesamt überhaupt nicht sinnvoll gewesen. ({2}) Wir haben in diesem Zusammenhang die Netzzusammenschaltung, das heißt den offenen Netzzugang, als Verpflichtung in das Gesetz geschrieben, wir haben die Nummernportabilität und „pre-selection" als wichtige Voraussetzungen in das Gesetz aufgenommen, und wir haben vor allem darauf geachtet, daß diese „pre-selection" für den künftigen Kunden die Chance bietet, daß er wirklich in seiner Entscheidung unabhängig ist, welches Unternehmen er künftig beauftragt, dessen Leistungen er mit seinen Beiträgen entsprechend dem Tarif bezahlen wird. Deshalb kann der Bundespostminister, der dieses Gesetz eingebracht, gestaltet und in diesen ausführlichen Verhandlungen immer wieder auf den Punkt zugeführt hat, den wir als notwendig erachten, zu Recht sagen, daß wir damit das liberalste und vor allem auch marktoffenste Gesetz im Bereich der Telekommunikation geschaffen haben, das es weltweit gibt. ({3}) Ich möchte mit dem Dank an die Verhandlungsführer und an die Kollegen, die daran beteiligt waren, auch an die Kollegen meiner eigenen Fraktion im Ausschuß, diesen Teil abschließen und möchte den Teil noch berühren dürfen, der uns nun in den letzten Stunden wirklich belastet. Was ist es inzwischen für eine politische Kultur, wenn wir in die Beratungen zu einem wichtigen Gesetz die Vertreter der Länder einbeziehen, mit diesen Vertretern monatelang verhandeln, gemeinsam zu Lösungen kommen und dann wenige Stunden vor der Entscheidung erleben müssen, daß sie das Ergebnis der Verhandlungen zwar einsacken, aber daß sie dann immer noch etwas draufsatteln wollen? ({4}) Wir sollten uns gemeinsam dagegen wehren, daß diese Unkultur in der Auseinandersetzung im Wettbewerb zwischen Bundestag und Bundesrat Schule macht. Ich denke, daß das, Herr Minister, wirklich Auswirkungen auf die künftigen Verhandlungen zum Postgesetz haben muß. Es darf nicht mehr angehen, daß wir so verhandeln, daß die Länder mit im Boot sitzen und uns dann immer noch - ich sage das Wort ausdrücklich - erpressen können, weil sie sagen: Ihr braucht die Zustimmung im Bundesrat. ({5}) Das, was nun in diesen letzten Stunden mit 22 Punkten durch die Länder noch einmal draufgesattelt wurde, empfinde ich als eine Unverschämtheit. Wir sollten alle gemeinsam in diesem Hause darauf achten, daß nichts, aber auch möglichst überhaupt nichts von dem, was die Länder nun zusätzlich eingebracht haben, verwirklicht wird. Ich möchte gerne noch einen letzten Teil anfügen, Herr Präsident. Die Wettbewerber und Konkurrenten der Telekom haben gelegentlich in den letzten Tagen Dinge verlauten lassen, aus denen man schließen kann, daß sie den letzten Stand der Gesetze nicht beachtet haben. Die Auseinandersetzung, die notwendig war, haben wir durchgestanden. Wir erwarten nun wirklich, daß vor allem diejenigen, von denen sich einer, der die Milliarden aus Monopoleinnahmen der EVUs sogar gehortet hat, dazu verstiegen hat zu sagen, daß er, wenn das Gesetz nicht besser würde, die künftige Telekommunikation vom Ausland nutzen werde - dies ist eine Unverschämtheit sondergleichen -, daß also diejenigen, die von dieser Marktöffnung, die wir alle gemeinsam wollen, profitieren, ihr Wort wahrmachen und investieren und in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsplätze schaffen und nicht ausschließlich kritisieren, was sich der bisherige Monopolist leistet, sondern durch Innovation und eigene Tätigkeiten dafür sorgen, daß dieser Markt attraktiver wird. Er soll vor allem zugunsten derer attraktiver werden, die als Telefonkunden und künftige Nutzer dieser Telefonnetze eine günstige Tarifierung und eine möglicherweise modernere Telekommunikation wollen. Dazu rufen wir alle auf. Deshalb hoffe ich, daß dieses Gesetz am Ende dieser Auseinandersetzung Zustimmung findet und daß wir, wie gesagt, die Forderungen der Länder alle gemeinsam vehement ablehnen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Hans Martin Bury das Wort.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte des Telekommunikationsgesetzes hat einen langen Vorlauf: von der Vorstellung erster Eckpunkte bis zur heutigen zweiten und dritten Lesung im Bundestag. Das Thema ist dennoch über den gesamten Zeitraum spannend geblieben, manchmal mehr als den Verhandlungsführern lieb war. Es geht mit dem Telekommunikationsgesetz um nicht weniger als die Gestaltung eines der wichtigsten Zukunftssektoren unserer Volkswirtschaft; zu wichtig, um ihn dieser Regierungskoalition alleine zu überlassen. ({0}) Was wir beschließen, hat weitreichende Auswirkungen für Unternehmen, Beschäftigte und Verbraucher - positive Auswirkungen; denn im Laufe der Verhandlungen ist es gelungen, im Telekommunikationsgesetz wichtige Ziele festzuschreiben. Mit der gesetzlichen Vorgabe eines Universaldienstes wird gewährleistet, daß hochwertige Telekommunikationsdienstleistungen zu erschwinglichen Preisen im Wettbewerb angeboten werden, wobei ich darauf hinweisen möchte - denn das wird immer wieder fehlerhaft berichtet -, daß wir einzelne Anbieter nicht von vorneherein zu Universaldienstleistungen verpflichten. Wir setzen darauf, daß der ordnungspolitische Rahmen des Telekommunikationsgesetzes sicherstellt, daß hochwertige und preisgünstige Telekommunikationsdienstleistungen flächendeckend im Wettbewerb angeboten werden. Bei der Nutzung knapper Frequenzen sind jedoch Flächendeckungsauflagen vorgesehen. Damit sollen knappe Ressourcen bevorzugt den Anbietern zur Verfügung stehen, die einen hohen räumlichen Versorgungsgrad gewährleisten. Das ist sowohl im industriepolitischen Interesse der Förderung marktstarker Wettbewerber, die in Deutschland in die Erweiterung der Infrastruktur investieren und hier Arbeitsplätze schaffen, als auch im Interesse der Kunden. Denn nur die echte Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Anbietern stellt sicher, daß sich der Wettbewerb für die Kunden auszahlt. Es ist uns gelungen, die Förderung von Telekommunikationsdienstleistungen bei öffentlichen Einrichtungen als Regulierungsziel im Gesetz zu verankern. Ich halte das für ausgesprochen wichtig, um die Akzeptanz und Realisierung neuer Dienste und Anwendungen zu fördern und die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft zu verhindern. Der Gesetzentwurf sieht außerdem unter anderem Regelungen vor, die sicherstellen, daß sich die Telefonnummer des Kunden beim Wechsel der Telefongesellschaft nicht ändert. Wir haben bei den Datenschutzbestimmungen Verbesserungen erreichen können, die die Veröffentlichung und Weitergabe von Kundendaten von deren ausdrücklicher Zustimmung abhängig machen. Wir haben gegen erstaunlich heftigen Widerstand der Koalition durchgesetzt, daß auch bei einer Vielzahl von Telefondienstanbietern für die Bürgerinnen und Bürger kostenlose Notrufmöglichkeiten verpflichtend vorgeschrieben werden. Ich hätte eigentlich gedacht, das sei eine Selbstverständlichkeit. Es bedurfte aber tatsächlich heftiger Auseinandersetzungen im Ausschuß. ({1}) Die Bundesregierung hat in den Ausschußberatungen immer wieder versucht, die Verpflichtung zur Zusammenschaltung von Netzen auf marktbeherrschende Unternehmen zu beschränken. Doch auch Energieversorgungsunternehmen und andere, die bereits in erheblichem Umfang über eigene Netze verfügen, müssen in die Pflicht genommen werden. Mit der Festschreibung eines offenen Netzzugangs und der Verpflichtung zur Zusammenschaltung der Netze für alle Netzbetreiber sorgen wir für faire Wettbewerbsbedingungen und für den raschen Aufbau zusätzlicher flächendeckender Infrastrukturen. Versuche, einzelne Anbieter unangemessen einseitig zu belasten, konnten korrigiert werden. Der SPD ist es vor allem gelungen, die Zerschlagung der Telekom zu verhindern. Mit den Regelungen zur strukturellen Separierung werden Unternehmen, die auf anderen Märkten über eine marktbeherrschende Stellung verfügen, verpflichtet, ihre Telekommunikationsaktivitäten in rechtlich selbständigen Unternehmen zu führen. Es ist unbestreitbar, daß die Strommonopolisten mit ihrer hervorragenden Kapitalausstattung eine privilegierte Startposition im einsetzenden Wettbewerb haben. Dennoch wollen wir - im Gegensatz zu den Grünen - deren Milliardeninvestitionen im Telekommunikationssektor nicht verhindern. Auch die Telekom kommt aus der Position des Monopolisten. Die Energieversorgungsunternehmen müssen nun die Forderungen, die sie zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes so vehement vertreten haben, auch in ihrem Stammgeschäft gegen sich gelten lassen. ({2}) Notwendig ist nicht der Ausschluß von Unternehmen aus einem Zukunftsmarkt, sondern die Öffnung ihres Marktes in einer Weise, die auch ökologische Aspekte endlich zur Geltung bringt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in den Verhandlungen und Beratungen vieles erreicht; aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse einige Forderungen auch nicht durchsetzen können. Das gilt zum Beispiel für die von uns vertretene breitere Universaldienstdefinition. Ich bin aber sicher, daß die von einigen befürchtete Verengung auf Sprachtelefondienst schon dank des klaren Verfassungsauftrages nach Art. 87f des Grundgesetzes nicht relevant wird. Der Universaldienstbegriff ist vielmehr regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern. Das TKG sieht entsprechende Regelungen und eine Beteiligung des Bundestages und des Bundesrates vor. Ich bedaure, daß sich die Koalition unserem Anliegen nicht angeschlossen hat, mit einer gesetzlichen Regelung dafür zu sorgen, daß deutsche Unternehmen zu ausländischen Märkten ebenso freien Zugang haben müssen wie ausländische Unternehmen in Deutschland. Es geht nicht, daß etwa die USA, die immer am lautesten von freiem Welthandel reden, in der Praxis immer wieder Hürden für die Betätigung deutscher Unternehmen in den Staaten errichten. Die Bundesregierung muß hier mit größerem Nachdruck auf eine wechselseitige Marktöffnung drängen. Die CDU/CSU-Fraktion hat, ebenso wie der Telekommunikationsexperte der F.D.P., Graf Lambsdorff, europarechtliche Bedenken wegen der Regelungen zur Vergabe knapper Frequenzen und zu den entsprechenden Flächendeckungsauflagen geäußert. In der Anhörung zum Telekommunikationsgesetz - Herr Funke lacht schon - wurden diese Bedenken von Graf Lambsdorff nicht bestätigt. Es wurde lediglich deutlich, daß einige Unternehmen am liebsten keinerlei Auflagen wollen. Das mag verständlich sein, wenngleich es ein bezeichnendes Licht auf deren Mangel an gesellschaftspolitischem Verantwortungsbewußtsein wirft. ({3}) Ein Grund, auf Auflagen zur Sicherstellung des staatlichen Infrastrukturauftrages zu verzichten, ist es nicht. Ein Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bis zum heutigen Tag unter uns strittig. Der Gesetzentwurf sieht die unentgeltliche Nutzung öffentlicher Wege für Telekommunikationszwecke vor. ({4}) Diese öffentlichen Wege befinden sich zum größten Teil im Eigentum von Kommunen. Die SPD-Fraktion ist mit großer Mehrheit zu der Überzeugung gelangt, daß die unentgeltliche Nutzung dieser Wege gegen die berechtigten Interessen der Kommunen verstößt. Die Fraktion hat deshalb einen Änderungsantrag eingebracht, der die Rechtsposition der Kommunen als Eigentümer der Verkehrswege anerkennt und ein Entgelt für die Nutzung vorsieht. Eine Verordnung der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, soll Obergrenzen für das Wegenutzungsentgelt vorsehen. Damit soll ebenfalls sichergestellt werden, daß keine ungewünschten Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher, keine Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten einzelner Anbieter und keine Verzögerungen beim Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur entstehen. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat ausdrücklich deutlich gemacht, daß es den Kommunen nicht um die Erschließung bedeutender neuer Einnahmequellen geht, sondern vorrangig um die Wahrung ihrer Rechtsposition. Gestaltungsvorschläge, beispielsweise der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt sind, liegen vor. Sie berücksichtigen auch den Beitrag des Anbieters zur Erfüllung des Infrastrukturauftrages bei der Bemessung der Höhe des Wegenutzungsentgelts und wurden von Wolfgang Clement bereits in die interfraktionellen Verhandlungen eingebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen meine persönliche Auffassung zu diesem Thema. ({5}) Dennoch bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Antrag der SPD. ({6}) Wichtig ist für uns insbesondere, lieber Kollege Müller, daß mit den Regelungen im Telekommunikationsgesetz kein Präjudiz für einen Wegfall der Konzessionsabgaben im Energiebereich geschaffen werden darf. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie gestatten offenbar eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber bitte.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bury, ich bin durchaus der Meinung, daß ich Ihre Ansicht zu diesem Thema in den letzten Wochen mehrmals gehört habe. Trotzdem finde ich es etwas eigenartig, daß Sie diesen Antrag begründen. ({0}) Ich bin sehr daran interessiert, Ihre persönliche Meinung - nicht die Ihrer Fraktion - zu diesem Thema hier zu hören. Sie haben vorhin von der Mehrheitsmeinung in Ihrer Fraktion gesprochen. Aber ich frage: Wie sieht nun der postpolitische Sprecher der SPD-Fraktion diesen Antrag? ({1})

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nachdem wir uns gemeinsam so lange mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, Herr Kollege Müller, bedaure ich, daß Ihnen völlig entgangen ist, daß ich mich bis zur Sitzung der Bundestagsfraktion der SPD in dieser Woche vehement gegen die Einführung eines Wegenutzungsentgelts ausgesprochen habe. Ich bin aber als Sprecher der Fraktion ({0}) verpflichtet, die Mehrheitsentscheidung der Fraktion nicht nur zu respektieren, sondern sie auch hier vorzutragen und nicht meine persönliche Auffassung in den Vordergrund zu stellen. ({1}) - Dann wäre Ihre gesamte Regierungsbank längst leer.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber natürlich.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bury, die mit der Sache nicht so nah befaßten Kollegen, die aber mittlerweile wahrscheinlich nachvollziehen können, was Sie mit Ihrer Andeutung nach der Zwischenfrage des Kollegen Müller meinDr. Wolfgang Weng ({0}) ten, haben ein Interesse, zu erfahren, wie Sie in dieser Frage abstimmen. ({1})

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum ersten, lieber Herr Kollege Weng: Falls Sie mal wieder im Wahlkreis auftauchen sollten, würde ich Ihnen den Werdegang dieses Gesetzes in einem persönlichen Gespräch gern ausführlich erläutern. ({0}) Zum zweiten wird die Fraktion der SPD, der ich angehöre, dem Änderungsantrag in der zweiten Lesung geschlossen zustimmen. Ich begrüße, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es uns gelungen ist, eine Erklärung der Bundesregierung zum Thema „Dominoeffekt" bei den Konzessionsabgaben und dessen Verhinderung sowie eine Entschließung des Parlaments in die Beschlußempfehlung zum Telekommunikationsgesetz aufzunehmen. Ich erwarte darüber hinaus, daß der Bundespostminister für die Bundesregierung hier noch einmal klarstellt, daß sich die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene für den Erhalt der Konzessionsabgabe einsetzen und alle Versuche abwehren wird, die Konzessionsabgabe auszuhebeln. ({1}) Das Mißtrauen bei diesem Thema ist groß. Die ständige Überwälzung von Belastungen auf die Kommunen und die Versäumnisse dieser Bundesregierung bei der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik liefern dafür genügend Gründe. Wir werden dem Telekommunikationsgesetz in der dritten Lesung zustimmen. Der Wettbewerbs- und Regulierungsrahmen für den Telekommunikationsmarkt der Zukunft kann sich insgesamt sehen lassen. Wir sollten das Ergebnis selbstbewußt vertreten. Ich appelliere auch an den Bundesrat, dem Telekommunikationsgesetz morgen zuzustimmen. ({2}) Die Länder haben in den vergangenen Monaten zur Verbesserung des Gesetzentwurfs beigetragen. Einige Länderanliegen wurden aufgenommen; andere sind verständlich, aus Bundessicht aber nicht sinnvoll. Es handelt sich bei der Gestaltung des Telekommunikationsmarktes eindeutig um eine Aufgabe und Verpflichtung des Bundes. ({3}) Ich halte es nicht für akzeptabel, wenn der federführende Ausschuß im Bundesrat zum Beispiel wegen der Frage, ob der Präsident der Regulierungsbehörde auf unbefristete Zeit oder jeweils für die Dauer von fünf Jahren bestellt wird, empfiehlt, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Erstens handelt es sich um eine Bundesbehörde, und zweitens macht sich derjenige lächerlich, der wegen solchen Firlefanzes, über den wir im Ausschuß im übrigen beraten und abgestimmt haben, ernsthaft ein Vermittlungsverfahren zwischen Bundesrat und Bundestag anstrebt. ({4}) Auch die Forderung des Landes Bayern, dem Beirat der Regulierungsbehörde statt eines Mitwirkungsrechtes ein Mitentscheidungsrecht zu geben, widerspricht allen Forderungen nach weitgehender Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde. Die Folge wäre im übrigen, daß die Entscheidungen des Beirates - wie heute im Fall des Regulierungsrates - durch ein Kassationsrecht der Bundesregierung aufgehoben werden könnten. Gewonnen wäre nichts; aber die Unabhängigkeit des Regulierers wäre dahin. ({5}) Im übrigen - auch wenn man das in Bayern und in anderen Ländern noch nicht kapiert hat -: Diese Regulierungsbehörde soll den Übergang vom Monopol in den Wettbewerb gestalten und die Einhaltung der Regulierungsziele absichern. Sie ist kein Instrument zur Durchsetzung von Länderwünschen. Die vom Bundesrat auf einmal angemahnten Verbesserungen des Universaldienstes entsprechen zwar meinen Ausgangsforderungen; aber man kann dem Bundestag von Länderseite aus nicht zum Vorwurf machen, daß er für die Definition des Universaldienstes exakt den Beschluß der Länderwirtschaftsminister übernommen hat. Ich hoffe, daß sich morgen im Plenum des Bundesrates die Politiker gegen die Beamten durchsetzen und das Gesetz beschließen. ({6}) Mit dem Telekommunikationsgesetz machen wir den Weg frei für die erfolgreiche Entwicklung eines der wichtigsten Zukunftssektoren unserer Volkswirtschaft. Das TKG ist nicht ein „Bündnis für Arbeit", sondern die Grundlage für Arbeit, hat Telekom-Chef Ron Sommer kürzlich formuliert. Der Gesetzgeber ist immer wieder gedrängt worden, rechtzeitig die Rahmenbedingungen für den Telekommunikationsmarkt zu schaffen, um den Investoren Planungssicherheit zu geben und dem Wettbewerb Schwung zu verleihen. Das Telekommunikationsgesetz wird - davon bin ich überzeugt - rechtzeitig vor der Sommerpause beschlossen werden. Dann sind die Wettbewerber am Zug. Wir sind gespannt auf die Einlösung der vielen tollen Versprechungen. ({7}) Wir werden sie daran messen und, weil wir uns darauf alleine nicht verlassen können, mit dem Instrumentarium des Telekommunikationsgesetzes und des Regulierers dafür sorgen, daß wir das Ziel dei Liberalisierung erreichen: die flächendeckende Versorgung unseres Landes mit noch besseren, preisHans Martin Bury günstigeren Telekommunikationsdienstleistungen zum Nutzen der Wirtschaft und der Verbraucher. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper das Wort.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem TKG wird für den Wettbewerb auf dem Sektor Telekommunikation die Tür aufgemacht. Aus diesem Grunde begrüße ich die Zielsetzung dieses Gesetzes ausdrücklich. Kostengünstige Versorgung wie auch optimale Kundenorientierung werden nicht durch Monopole, sondern am ehesten durch Konkurrenz erreicht. Ich möchte den einbringenden Fraktionen und den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß für Post und Telekommunikation anerkennend bescheinigen, daß im Ringen um dieses Gesetz ein Regulierungsrahmen geschaffen wurde, der einen einigermaßen fairen Wettbewerb auf dem Telekommunikationssektor programmieren soll. Allerdings wurde aus meiner Sicht die Telekom hinsichtlich mancher Bestimmungen zu sehr mit Glacéhandschuhen angefaßt. Es ist für mich nicht ersichtlich, warum in anderen Ländern zum Beispiel Kabel-TV-Netze und Telefonnetze getrennt werden müssen, in Deutschland bei der Telekom aber in großem Umfang in einer Hand verbleiben dürfen. Einen zweiten gravierenden Punkt möchte ich nennen: die langen Übergangsfristen für nach altem Recht genehmigte Monopoltarife. Auch hier hätte eine andere Regelung einem stärkeren Wettbewerb gutgetan. Meine Damen und Herren, unsere Fraktion ist ({0}) - sie ist natürlich vertreten -, obwohl wir die Zielsetzung auf dem Sektor Telekommunikation begrüßen, mit diesem Gesetz unzufrieden. Die Kritik möchte ich in fünf Punkten zusammenfassen, die ich im einzelnen in Form von Änderungsanträgen bereits im Ausschuß eingebracht und begründet habe. Ein entscheidender Punkt der Kritik unserer Fraktion ist die Frage der Quersubventionierung. Die strukturelle Separierung bisheriger Monopolunternehmen der Energieversorger ist nicht gewährleistet. Nun hat der Kollege Bury hier gesagt, daß wir die Energieversorger aus dem Sektor Telekommunikation fernhalten wollten. Nein, Herr Kollege Bury, so ist das nicht. Wir wollen die Energieversorger als Monopolisten aus dem Sektor Telekommunikation heraushalten. Sie haben kein Anrecht, als Monopolisten mit ihren Monopolgewinnen eine Quersubventionierung vorzunehmen und den Sektor Telekommunikation mit diesen Gewinnen aus dem Atombereich zu unterwandern. Dieses Recht dürfen sie nicht haben. ({1}) Herr Bury, wenn Sie in den Änderungsantrag hineingucken, den wir heute vorlegen, dann werden Sie das noch einmal genau nachlesen können. Insofern ist das, was Sie hier meiner Fraktion unterstellt haben, unzutreffend. Auch unsere Fraktion hält es für notwendig, daß getätigte Investitionen, daß vorhandene Telekommunikationsstrukturen auch bei den Energieversorgern nicht brachliegen, sondern volkswirtschaftlich genutzt und im Rahmen von Wettbewerb fruchtbar eingesetzt werden können. Ein zweiter Aspekt der Kritik unserer Fraktion ist der Umgang mit den kommunalen Wegerechten. Ich freue mich, daß die SPD-Fraktion, was diesen Punkt angeht, im letzten Augenblick aufgewacht ist und ihre Postpolitiker zurückgepfiffen hat, die im trauten Einvernehmen mit den anderen Fraktionen die kommunalen Wegerechte gewissermaßen mit Füßen treten wollen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Ausschuß durchgesetzt, daß private Grundstücksbesitzer Beeinträchtigungen durch die Telekommunikation nicht einfach hinnehmen müssen, sondern daß sie bei Beeinträchtigungen über das zumutbare Maß hinaus Ausgleichsforderungen stellen können. Ich habe diese Forderung der CDU/ CSU-Fraktion unterstützt, weil ich das für recht und billig halte. Aber in gleicher Logik hätten Sie von seiten der Regierungskoalition und auch Sie von seiten der SPD den kommunalen Wegerechten zum Recht verhelfen müssen. Leider haben Sie es bis zum heutigen Tage nicht machen wollen. Die Postpolitiker der SPD sind inzwischen von ihrer Fraktion dazu gezwungen worden. Der Änderungsantrag, der heute von der SPD-Fraktion eingebracht wird, ist ein richtiger Antrag. Ich unterstütze ihn. Er ist in gleicher Weise Bestandteil unseres Änderungsantrages zum Telekommunikationsgesetz. Ich würde mich freuen, wenn dieses Recht der Kommunen jetzt noch - in der letzten Phase der Beratung des Telekommunikationsgesetzes - in das Telekommunikationsgesetz aufgenommen werden würde und akzeptiert würde, daß in die Hoheit der Kommunen eingegriffen wird, die sich das nicht gefallen lassen müssen. Mein dritter Punkt ist der Universaldienst. Diesbezüglich ist eine Schmalspurlösung verankert worden. Der Universaldienst hätte zukunftsweisend und dynamisch ausgestaltet werden müssen. Das ist nicht der Fall; wir haben das breit diskutiert. Ich möchte einen vierten Punkt nennen. Das ist die Frage der fairen Regulierung und der Organisation der Regulierungsbehörde. Ich darf daran erinnern, daß der Herr Bundespostminister ursprünglich selber der Überzeugung gewesen ist, daß lediglich eine oberste Bundesbehörde die notwendige Unabhängigkeit hat, um in diesem heute noch monopolisierten Markt für Wettbewerb zu sorgen. Ich bedaure, daß auf Grund der Einwirkungen des kleinen Koalitionspartners in der Regierung diese richtige Position zum Schluß nicht durchgehalten wurde und nun im Rahmen des Bundeswirtschaftsministeriums eine Bundesoberbehörde etabliert wird. ({2}) Wir bringen den Änderungsantrag ein, eine Bundesanstalt damit zu beauftragen. Aber wir wissen auch in diesem Punkt, daß wir mit unserem Änderungsantrag keinen Erfolg haben werden. Er ist ja bereits verworfen worden, auch von seiten der SPD-Fraktion. Ich möchte einen fünften Punkt nennen. Das ist die Frage des Persönlichkeitsschutzes und der informationellen Selbstbestimmung. Zwar wurde der Datenschutz im § 86 des Gesetzes verankert und zwar möchte ich dem Kollegen Bury zustimmen, daß wir an einigen Punkten gemeinsam Verbesserungen hinsichtlich des Datenschutzes in dieses Gesetz hineingebracht haben, aber ich muß darauf hinweisen, daß mit diesem Gesetz wieder eine wichtige Regelung verabschiedet wird, die letztlich mit dem großen Lauschangriff in einer Reihe steht. Das, was von Ihnen im § 87 dieses Gesetzes über automatisierte Dateiabfragen beschlossen worden ist, ist nicht im Sinne des Persönlichkeitsschutzes, sondern Nebelt die informationelle Selbstbestimmung geradezu aus. Wenn wir das vor dem Hintergrund sehen, daß der § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes mit diesem Gesetz nicht aufgehoben wird, sondern gewissermaßen für alle Ewigkeit gerettet werden soll - das haben Sie beschlossen - und daß mit der FernmeldeverkehrÜberwachungs-Verordnung auf der Grundlage des § 12 FAG und der in Zukunft für Geheimdienste und Behörden bestehenden Möglichkeit der automatisierten Abfrage ein Zugriff auf Kundenkarteien etabliert ist, dann erkennen wir, daß das alles zusammen nicht ein Mehr, sondern ein Weniger an Persönlichkeitsschutz ergibt. Damit wird nicht nur der große Lauschangriff sanktioniert, sondern Blitzlicht in der Dunkelkammer erzwungen. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesen fünf Schwerpunkten unterstütze ich den von unserer Fraktion eingebrachten Änderungsantrag zum TKG. Sie haben deutlich gemacht, daß Sie die Änderungsanträge ablehnen werden. Zumindest sind sie bislang in den Ausschußberatungen abgelehnt worden. Wir bedauern dies. Wir werden deshalb das TKG in der vorgelegten Fassung ablehnen. Paul Welfens kommentierte kürzlich in der „Wirtschaftswoche " Deutschlands Defizite in der Telekommunikation. Sogar der Ruf nach Subventionen, der Ruf nach Multimediaförderung aus dem Bundeshaushalt, wurde laut. Art. 87f Grundgesetz verpflichtet den Bund flächendeckend zur Gewährleistung angemessener und ausreichender Telekommunikationsdienstleistungen. Wohlgemerkt, es geht nicht nur um Sprachkommunikation, sondern um die Gewährleistung von Telekommunikationsdienstleistungen. Schulen ans Netz, Bibliotheken ans Netz - dies sind wichtige Aspekte der Entfaltung der Informationsgesellschaft. Mit dem TKG wird dieser Gewährleistungsanspruch eng ausgelegt und unzureichend ausgefüllt. Die Folge: Das Programm „Schulen ans Netz" läuft nicht flächendeckend, sondern nach dem Windhundprinzip. Die nötigen Haushaltsmittel fehlen, das Programm ist auf Sponsorengelder angewiesen. Hier zeigt sich, daß mit dem vorgelegten TKG die historische Chance vertan wird, die informationelle Grundversorgung anzupacken. Angesichts der leeren Kassen programmieren Sie mit diesem TKG einen schlechten Start in die Informationsgesellschaft. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß. Zwar wird mit diesem Telekommunikationsgesetz Wettbewerb eingeleitet. Hinsichtlich dieser Aspekte des Gesetzes haben Sie unsere Zustimmung. Aber informationelle Grundversorgung und informationelle Selbstbestimmung sind in der TKG-Welt leider nur Gartenzwerge. Deshalb sagen wir nein zu diesem Telekommunikationsgesetz. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Rainer Funke das Wort.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Telekommunikationsgesetz beraten wir ein Gesetz, das wohl mit das wichtigste wirtschaftspolitische Gesetz dieser Legislaturperiode sein wird. Es ist in einem interfraktionellen Arbeitskreis, in dem ja auch die SPD und zeitweise die Bundesländer vertreten gewesen sind, gründlichst vorberaten worden. Die Telekommunikation bestimmt in einem zunehmenden Maße unseren privaten, aber auch unseren geschäftlichen Bereich, unser ganzes Leben. Wirtschaftspolitisch wird der Bereich der Telekommunikation in wenigen Jahren bereits die Größenordnung unserer Automobilindustrie - und die ist ja nicht ganz klein - erreichen. Um so wichtiger ist es, daß wir in der Verhandlungsrunde zwischen den Koalitionsparteien, der SPD und den Ländern eine Einigung erzielt haben. Dafür bin ich den beteiligten Kollegen, unserem Moderator Herrn Minister Dr. Bötsch - vielleicht darf ich Sie einmal so bezeichnen - und vor allem auch seinen Mitarbeitern sehr dankbar. Solche wichtigen Gesetze brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, und den haben wir jetzt erzielt. Ich hoffe - damit kann ich mich nur dem anschließen, was der Kollege Müller und der Kollege Bury gesagt haben -, daß die Länder morgen im Bundesrat diesen gesellschaftlichen Konsens, an dem sie ja mitgewirkt haben, und zwar entscheidend, noch in der letzten Woche, nicht aufkündigen. ({0}) Mit diesem Gesetz verabschieden wir uns ordnungspolitisch vom Monopol der Telekom auf dem Gebiet der Netz- und Telefondienstleistungen, und zwar partiell bereits zum 1. Juli dieses Jahres. Diese marktwirtschaftliche Öffnung hat meine Partei ja schon bei der Postreform II gefordert. Wir konnten uns damals nicht durchsetzen. Jetzt ist sie, Gott sei Dank, umgesetzt worden. Da haben sicherlich nicht nur die ordnungspolitische Überzeugung gesiegt, sondern auch der wirtschaftliche Druck aus dem Inland, aber auch aus dem Ausland und eben auch das Bewußtsein, daß wir inzwischen in der Telekommunikation nicht mehr nationale Märkte haben, sondern nur noch weltweit operieren können. Ich glaube auch, daß die Deutsche Telekom den Wettbewerb mit den nationalen, aber auch mit den internationalen Mitwettbewerbern nicht zu scheuen braucht. Der Wettbewerb wird ihr nicht etwa Nachteile, sondern in meinen Augen sogar erhebliche Vorteile bringen. Der Grundsatz „Wettbewerb belebt das Geschäft" gilt auch hier. Die Deutsche Telekom wird allerdings noch stärker als bisher durch den Wettbewerb zu kundenfreundlichem Verhalten gezwungen sein. Die beamtenmäßige Verteilmentalität, die teilweise ja nach wie vor besteht - ich kann das aus eigenem Erleben selbst bestätigen -, wird endlich ein Ende haben müssen. ({1}) Was den wettbewerbspolitischen Ordnungsrahmen betrifft, haben wir uns für einen offenen, liberalen Marktzugang und den asymmetrischen Wettbewerb entschieden. In der Tat, die Deutsche Telekom ist marktbeherrschend, und um Wettbewerb entstehen zu lassen, bedarf es einer strikten Wettbewerbsaufsicht durch die Regulierungsbehörde. Darauf hat Kollege Bury zu Recht hingewiesen. Diese wird jedoch nicht auf Dauer erforderlich sein, denn bundesweit werden der Deutschen Telekom Wettbewerber erwachsen, die starke nationale und internationale Mütter mit hoher Finanzkraft haben, die zum Teil durch regionale Monopolgewinne, zum Beispiel bei den Stromversorgern, entstanden ist. Ich bin froh darüber, daß wir uns hinsichtlich der Regulierungsbehörde daran gehalten haben, den Wettbewerb nicht übermäßig zu regulieren. Wir haben die Bemühungen um den schlanken Staat ernst genommen. Insoweit ist es auch richtig, daß wir uns lediglich für eine obere und nicht für eine oberste Bundesbehörde entschieden haben. Wir wollen keine Mammutbehörde schaffen; wir wollen nur Regelungen vornehmen, die zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs tatsächlich notwendig sind. Deshalb macht es auch Sinn, diese Regulierungsbehörde dem Bundesministerium für Wirtschaft anzugliedern. Schließlich geht es hierbei um Ordnungspolitik und in ganz erheblichen Maße um Wirtschaftspolitik. Ich bedauere sehr, daß eine „Wegelagerergebühr", mit der sich die Gemeinden die Durchleitung von Telekommunikationsleitungen durch kommunales Grundeigentum bezahlen lassen wollen, erneut ins Gespräch gebracht wird. ({2}) Ich kann durchaus verstehen, daß die Gemeinden aus ihrer Finanznot natürlich überall irgendwo versuchen, Gelder zu bekommen; aber dennoch meine ich, daß sowohl die Deutsche Telekom als auch lizenzierte private Wettbewerber Infrastrukturen für die Verbraucher sicherstellen müssen. ({3}) Dies ist ja auch im Grunde genommen im Interesse der Gemeinden. Insoweit wird der infrastrukturelle Auftrag aus der Vergangenheit, in der die Gemeinden ja auch keine Konzessionsabgaben bekommen haben, lediglich fortgesetzt. Deswegen ist es auch nicht einzusehen, daß allein durch die Privatisierung der Deutschen Telekom die Gemeinden wie im Mittelalter Wegezölle erheben dürfen. Hinzu kommt, daß den Gemeinden mit ihren kommunalen Versorgungsunternehmen die Möglichkeit, und zwar zusätzlich, eingeräumt worden ist, Dienste und auch ihre Netze anzubieten, wodurch weitere Einnahmen zu erzielen sind. Wenn der Finanzbedarf der Gemeinden dann besonders groß und dringlich ist, besteht ja auch die Möglichkeit einer attraktiven Privatisierung. Ich glaube auch, daß man der Öffentlichkeit eine solche Wegelagerergebühr nicht mehr vermitteln kann. Das Aufkommen würde rund 4 bis 6 Milliarden DM ausmachen. Wir sind als Staat nicht mehr aufgerufen, dem Bürger dauernd weitere Gelder aus den Taschen zu ziehen. ({4}) Wir müssen eher bemüht sein, Steuern und Abgaben zu senken. ({5}) - Herr Kollege Börnsen, eine Wegelagerergebühr würde schließlich in entscheidendem Maße den Börsengang der Deutschen Telekom gefährden. ({6}) Die Telekom ist weltweit das zweitgrößte Unternehmen der Telekommunikationsbranche. Als „global player” ist sie auf eine globale Finanzierung angewiesen. Herr Kollege Börnsen, auch Sie wollen diese globale Finanzierung. Wenn wir diese globale Finanzierung in Anspruch nehmen wollen, dürfen der Telekom durch zusätzliche Gebühren für Leitungsrechte keine Nachteile entstehen. Das würde nämlich die Refinanzierung am internationalen Kapitalmarkt erschweren. ({7}) Ich appelliere daher an den Bundesrat und auch an die kommunalpolitisch orientierten Kollegen im Deutschen Bundestag, von einer Gebührenerhebung Abstand zu nehmen. Ich erkläre ausdrücklich, daß die im Telekommunikationsgesetz gefundene Regelung, die auf die besondere geschichtliche und infrastrukturelle Entwicklung Rücksicht nimmt, auf die Konzessionsabgaben für die Versorgungswirtschaft keine präjudizielle Wirkung haben wird. Durch die Zusammenschaltung von Netzen der Wettbewerber ist eine auch volkswirtschaftlich sinnvolle Lösung gefunden worden, die sicherlich auch ressourcensparend ist. Ich bin sicher, daß die Wettbewerber untereinander eine vernünftige Regelung finden. Dabei wird die Zusammenschaltungsverordnung, die noch zu erlassen ist, sicherlich helfen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß das Telekommunikationsgesetz ein gutes marktwirtschaftliches Instrument ist, um den Wettbewerb in einem dynamischen und stark wachsenden Markt zu sichern. Dabei wird es neben den bundesweiten Wettbewerbern auch eine Vielzahl von kleinen örtlichen regionalen Wettbewerbern geben, die besondere Netze und Dienstleistungen anbieten werden. Das sind Dienstleistungen, die die ganz Großen, nämlich Telekom, VEBA, RWE und ähnliche, nicht zur Verfügung stellen können oder wollen. Insoweit ist dieses Telekommunikationsgesetz durchaus mittelstandsfreundlich. Vor allem aber wird durch vielfältige Dienste und durch den Wettbewerb der Standort Deutschland auch im Telekommunikationsbereich international gestärkt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden heute gegen die Stimmen der Abgeordneten der PDS ein Gesetz verabschieden, das innerhalb eines halben Jahres im wahrsten Sinne des Wortes zusammengeschustert worden ist und eine Reihe verhängnisvoller gesellschaftlicher Folgen haben wird. Wenigstens eines haben Sie damit erreicht: Sie liegen im allgemeinen Trend der Qualität der Beschlüsse dieses Hauses und damit im Trend des konservativen Zeitgeistes. Von Anfang an ging es Ihnen nicht darum, die Möglichkeiten der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien für die Bewältigung akuter Existenzprobleme der Gesellschaft zu prüfen und die Ergebnisse einer solchen Prüfung in das Telekommunikationsgesetz einfließen zu lassen. Ihnen ging es nur um eines: so schnell wie möglich ein Gesetz zu haben, das den Telekommunikationsmarkt so weit wie möglich dereguliert. Beides scheint Ihnen gelungen zu sein. Die Vorstände von Telekom und den Neueinsteigern aus den Reihen der großen Stromerzeuger werden Ihnen dankbar sein für die neuen Möglichkeiten, nationale und internationale Märkte aufzurollen und Milliardenprofite zu scheffeln. Das Telekommunikationsgesetz in der Form, wie es heute verabschiedet werden soll, kennt nur ein einziges Ziel: rücksichtslose Unterstützung der Telekommunikationsunternehmen beim Kampf um Marktanteile in dieser Wachstumsbranche mit zweistelligen Zuwachsraten. ({0}) Deshalb haben Sie als Gesetzeszweck schönfärberisch die Förderung des Wettbewerbs bestimmt, als wäre nicht klar, daß Wettbewerb Konkurrenz bedeutet und zu Konzentration und Zentralisation des Kapitals und damit notwendig zu neuen, diesmal privaten Monopolstrukturen im Telekommunikationsmarkt führt. ({1}) Aber auch für existentielle soziale Interessen der Menschen haben Sie bestenfalls ein Schulterzucken übrig. Die Telekom als die absolute Nummer eins im BRD-Telekommunikationsmarkt baut beispielsweise offiziell 60 000 Stellen ab, während sie ihren Reingewinn 1995 von 3,6 Milliarden auf die Rekordsumme von 5,3 Milliarden DM gesteigert hat. Und kein Protest von Ihrer Seite, keine Kritik der Volksvertreter an derlei Praktiken gegen das Volk! Im Gegenteil, Sie segnen weitere Gebührenerhöhungen ab und verhüllen, solange es nur geht, daß der Stellenabbau mit 60 000 noch lange nicht beendet sein wird. Sie reden immer von neuen Arbeitsplätzen. Das ist bislang nur Wunschdenken. Tatsache ist, die Stellen werden abgebaut. Ich sage es hier noch einmal: Die Konkurrenten der Telekom planen für 10 Prozent Marktanteil maximal 10 000 Stellen. Das macht für 100 Prozent Marktanteil 100 000 Arbeitsplätze. Die Telekom allein hat aber heute noch 213 000. So wird Ihr sogenanntes Informationsgesellschaftsvorhaben ermöglichen, daß beispielsweise der Datentransfer im Bankgeschäft bis ins Unermeßliche beschleunigt und verbilligt wird oder daß hochausgebildete und dennoch billige Techniker der Dritten Welt Konstruktionen berechnen und ihre Ergebnisse in die in der BRD stehende Produktionsanlage einspielen. ({2}) Aber sie wird auf der anderen Seite die schon heute unerträgliche Flut von Manipulation und Desinformation explosionsartig verstärken. Dafür legen Sie heute mit diesem Gesetz das Fundament. Zu einigen anderen eigentlich unglaublichen Mängeln Ihres Gesetzes: Da wäre als erstes die Beschreibung des Universaldienstes als Mindestangebot, als Armeleutetelefon. Warum haben Sie den Begriff „Universaldienst" verwendet? Dieser Begriff kommt aus den USA und bedeutet dort die Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, die hochentwickelte Informationsinfrastruktur zu nutzen. Ihr Universaldienst hat mit dem ursprünglichen Begriff nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie verwenden ihn wieder nur, um schönzufärben. Sie wollen keine Universaldienstverpflichtung, keine Universaldienstabgabe. Der Markt soll es richten, unreguliert. So programmieren Sie das Chaos. So programmieren Sie den Abbau der flächendeckenden und tarifeinheitlichen Basisversorgung in strukturschwachen Gebieten und gefährden damit den Art. 87f des Grundgesetzes und ermöglichen auf der anderen Seite eine unerträgliche profitable Rosinenpickerei der Anbieter in Ballungsgebieten. Schulen, Bibliotheken, Universitäten kommen in Ihrem Gesetz überhaupt nicht vor, schon gar nicht öffentliche Telekommunikationszentren, ({3}) zu denen jedermann zu erschwinglichen Preisen Zugang hätte. Als würde die gegenwärtige Teilung der Gesellschaft nicht reichen, schmieden Sie an neuen Teilungstechniken, das heißt Teilung in jene zahlungskräftigen Menschen, die sich die neuen Medien und die Ausbildung dafür leisten können, und jene anderen, die dazu eben nicht in der Lage sind. ({4}) Ein absoluter Skandal des Telekommunikationsgesetzes ist der § 87, der erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik staatlichen Behörden ohne Vorliegen von Gründen einen jederzeitigen und von niemandem kontrollierbaren Zugriff auf Kundendaten aller Telekommunikationsanbieter ermöglicht. Orwell läßt grüßen. Das Telekommunikationsgesetz dient als Einstieg in den totalen Überwachungsstaat. Das in Art. 10 des Grundgesetzes garantierte Fernmeldegeheimnis ist damit das Papier nicht mehr wert, auf dem es geschrieben steht. Informationelle Selbstbestimmung wird auf Dauer unmöglich gemacht. Wenn Sie das Gesetz in wenigen Minuten verabschiedet haben werden, wird damit ein realer und meßbarer Abbau von Demokratie in diesem Land verbunden sein. ({5}) Anachronistisch und absurd ist Ihr Ansatz, die Kommunen zu zwingen, private, nur ihren Profiten verpflichtete Konzerne zu subventionieren, indem sie ihre Wege und Plätze für Telekommunikationsleitungen kostenlos bereitstellen sollen. Ausgerechnet in diesem Punkt paßt Ihnen plötzlich die Marktlösung nicht mehr. Warum? Weil sie gerade hier die Kapitalverwertung behindert und Ihnen im Vergleich dazu die Kommunalfinanzierung sowieso egal ist. Konsequenterweise hätten Sie sich dann allerdings auch Ihre politischen Erklärungen sparen sollen, wonach die Kommunen im Energiebereich weiterhin Konzessionsabgaben erhalten sollen. Das wollen wir doch erst einmal abwarten. Ihre Erklärung setzt kein Recht, das Ergebnis der Klage eines EVU schon. Es war nicht möglich, in der Kürze der Zeit alle Mängel des Telekommunikationsgesetzes auf zulisten, schon gar nicht in der eigentlich gebotenen Ausführlichkeit. Der kontraproduktive Ansatz, die Regulierungsbehörde dem Bundeswirtschaftsministerium anzugliedern, kann beispielsweise nur noch kritisch angemerkt werden. Insgesamt ist das Telekommunikationsgesetz, das Sie hier vorgelegt haben, mit einem eindeutigen Ungenügend zu bewerten. Lehnen Sie es ab! Stimmen Sie doch unserem Entschließungsantrag zu! Dann bekommen Sie zwar keine Deregulierung, was Sie negativ bewerten mögen, aber Sie bekommen vielleicht auch keine so starke Destabilisierung in diesem Land, die die logische Folge Ihrer Deregulierung sein wird. Danke schön. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Michael Meister, CDU/CSU.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland wird mit dem vorgelegten Telekommunikationsgesetz der Weg in die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts frei gemacht. Inwieweit Multimediaanwendungen und Multimediadienste eine Chance am Standort Deutschland haben und inwieweit wir in diesem Sektor international wettbewerbsfähig sein werden, wird durch das Telekommunikationsgesetz bestimmt. Immerhin können wir in diesem Wirtschaftssektor die größten Zuwachsraten in naher Zukunft erwarten. Nach meiner Einschätzung ist ein funktionierender Wettbewerb in der Telekommunikation das beste Fundament für den Aufbau und Ausbau der neuen Medien am Standort Deutschland. Wir haben uns deshalb zu Beginn der Beratungen zum Ziel gesetzt, das liberalste Telekommunikationsgesetz der Welt zu schaffen. Ich bin froh, Herr Kollege Bury, daß wir auf Ihren Vorschlag nicht eingegangen sind, im bilateralen Bereich Handelsschranken abzubauen, sondern daß wir als Bundesrepublik Deutschland eine Vorleistung erbringen und das liberalste Gesetz auch tatsächlich schaffen. ({0}) - Der Kollege Bury hat vorhin vorgetragen, daß er die Handelsschranken bilateral abbauen wolle. Um die sogenannte Grundversorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdiensten zu sichern, haben wir den Begriff des Universaldienstes in dieses Gesetz aufgenommen. Wir sind davon überzeugt, daß sich das berechtigte Interesse der Bürger an einer Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen nicht als Innovationsbarriere erweisen darf. Deshalb haben wir uns strikt gegen jeden Versuch gewandt, bei einer Innovation sofort eine flächendeckende Vollversorgung verlangen zu wollen. Eine solche Überfrachtung des Universaldienstbegriffs hätte mittel- und langfristig Innovationen am Standort Deutschland verhindert und technischen Stillstand, sogar Rückschritt in einem ganz zentralen Feld der Wirtschaft bedeutet. Der Universaldienst muß die Bedingungen allgemeine Verfügbarkeit, erschwingliche Preise, diskriminierungsfreier Zugang und Kontinuität sowie Gleichbehandlung aller Nutzer erfüllen. Deshalb werden wir mit diesem Gesetz auch keine Marktspaltung, Herr Kollege Bury, herbeiführen, sondern alle Nutzer gleichbehandeln. ({1}) Unsere Definition des Universaldienstes mußte ebenso beachten, daß er nicht Marktbarrieren errichtet, die nur von wirtschaftlich potenten Anbietern übersprungen werden können. Wer den Universaldienst in seinem Umfang zu weit definiert, der verbaut kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Telekommunikationsmarkt. Wir wollen ausdrücklich auch die Chance für kleine und mittlere Unternehmen, und deshalb können wir den Universaldienst nur als Basisdienst definieren. ({2}) Es kann weder unsere Aufgabe sein, den seitherigen Monopolisten unter Schutz zu stellen, indem wir die Barrieren für den Marktzugang von Wettbewerbern hochlegen, noch kann es unsere Aufgabe sein, ein Monopol in ein Oligopol zu überführen, weil dann nur schlagkräftige, finanziell starke Unternehmen eine Zugangschance hätten. Mit dieser Betrachtung bewegen wir uns im übrigen auch auf der gemeinsamen Grundlage der Europäischen Union, die den Universaldienst ebenfalls als Mindestdienst qualifiziert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch bei der Eintrittsgrenze, ab der ein Unternehmen verpflichtet wird, Universaldienstleistungen zu erbringen, sind wir den Oppositionsfraktionen sehr weit entgegengekommen. Wir haben die Schranke immer wieder zurückgenommen. Ich bedaure es außerordentlich, daß wir am Ende nicht zu einem gemeinsamen Abstimmungsergebnis gekommen sind, sondern den Kompromiß alleine tragen mußten. Der Tatsache, daß sich das Nachfrageprofil der Nutzer erst in Zukunft entwickeln wird, sind wir mit einer modernen und dynamischen Definition des Universaldienstbegriffes nachgekommen. Meine Damen und Herren, die Anzahl der Lizenzen soll grundsätzlich nicht beschränkt sein, es sei denn, es gibt physikalische Restriktionen, die eine faktische Barriere darstellen. Das Telekommunikationsgesetz trägt damit der verfassungsrechtlich geschützten Berufs- und Gewerbefreiheit Rechnung. Die Zahl der Marktteilnehmer und damit auch wieder die Mitwirkung von kleineren und mittleren Unternehmen werden nicht vom Gesetzgeber limitiert. Die Lizenzauflagen sind so zu gestalten, daß sie kleinen und mittleren Unternehmen den Marktzugang nicht erschweren oder diesen gar verhindern. § 11 Abs. 7 des Telekommunikationsgesetzes halten wir in der heutigen Fassung für überflüssig, da nach Einschätzung von Fachleuten dieser Passus nie zur Anwendung kommen wird. ({3}) Sollte dennoch die Situation eintreten, daß dieser Passus greift, so wäre dies eine einseitige Benachteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber den Branchenriesen, die Universaldienstleistungen erbringen und sich auf diesem Weg weitere Privilegien sichern könnten. Leider war eine Einigung über die Streichung dieses Absatzes 7 in § 11 nicht möglich. Meine Damen und Herren, das Fernmeldewesen fällt nach den Bestimmungen des Grundgesetzes eindeutig in die Kompetenz des Bundes. Allein deshalb müssen alle Versuche der Länder und des Bundesrates, in einen originären Zuständigkeitsbereich des Bundes einzudringen, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken auslösen. Weiterhin ist es nicht unsere Absicht, mit dem Telekommunikationsgesetz in irgendeiner Form in das Rundfunkrecht einzugreifen. Unser Ziel ist es vielmehr, die volkswirtschaftlich bedeutende Telekommunikation zu liberalisieren und dies auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu gründen. Genau deshalb haben wir ja versucht, ohne verfassungsrechtliches Gebot dennoch eine Mitwirkung der Landesregierungen im 18köpfigen Beirat der Regulierungsbehörde zuzulassen. Daß wir hier eine gleichberechtigte Mitwirkung der Landesregierungen etwa bei personellen Entscheidungen und bei der Aufsicht über die Arbeit der Regulierungsbehörde zulassen, ist ein sehr weitgehendes Zugeständnis an die Länder. Auch bei den Übergangsbestimmungen des Telekommunikationsgesetzes sind wir den Wünschen der Länder weitgehend gefolgt. Rechtsverordnungen über den Netzzugang und die Frequenzordnungen können vom Bundesrat mitbestimmt und müssen dort genehmigt werden. Meine Damen und Herren, gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen Prognosen - Herr Kollege Bury, Sie haben das erwähnt - darf man den engen Zusammenhang zwischen Investitionsbereitschaft, klaren rechtlichen Rahmenbedingungen und tatsächlich ausgelösten Investitionen sowie deren positiven Wirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht vergessen. Aus dieser Überlegung heraus hoffe ich, daß morgen auch die Mitglieder des Bundesrates dem Gesetzentwurf in der hier vorliegenden Fassung zustimmen. Danke schön. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Arne Börnsen, SPD.

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum haben wir als SPD dieses Gesetz mit ausgehandelt? Warum haben wir das Gesetz gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht? Warum werden wir das Gesetz heute auch in dritter Lesung mit unterstützen? Es lag uns daran, daß in einer möglichst kurzen Zeit Klarheit über die künftige Entwicklung des Telekommunikationsmarktes herrscht. Wir wollten, daß Planungssicherheit nicht nur für die künftigen privaten Wettbewerber hergestellt wird. Wir wollten, daß auch für die Telekom AG der Rahmen des Wettbewerbs sowie der Zeitpunkt seines Beginns, nämlich zum 1. Januar 1998, klar und deutlich wird. Wir wußten natürlich, daß wir es hier mit einem durch den Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetz zu tun haben. Um so mehr wollten wir erreichen, daß die politischen Dissonanzen, die unterschiedlichen Bewertungen und Ansichten über die Leitlinien des Gesetzes im Vorfeld behandelt werden, weil es bei diesem entscheidenden sowie komplizierten und komplexen Gesetz nach unserer Ansicht unzumutbar wäre - ich wollte gerade sagen: gewesen wäre -, wenn wesentliche strittige Punkte im Vermittlungsausschuß ausgehandelt werden. Ich will mich hinsichtlich der möglichen Entscheidung des Bundesrates ganz zurückhaltend äußern. Ich möchte nur auf folgendes aufmerksam machen - es wurde schon von einigen gesagt -: Wir haben die Bundesländer in diese Beratung mit einbezogen. Wir haben uns selbst quasi in einer gewissen Infragestellung unserer Oppositionsrolle in die Verhandlungen begeben, nicht etwa, weil wir mitspielen wollten, sondern weil uns in unserer Verantwortung etwas daran lag, daß ein Optimum in parlamentarischen Verhandlungen erreicht wird. ({0}) Ich glaube, daß wir tatsächlich eine Struktur für das Telekommunikationsgesetz erreicht haben und es im Ausschuß in vielen Bereichen durch die entsprechenden Gespräche auch mit den Vertretern des Bundesrates verbessern konnten, so daß man von einem guten Ergebnis sprechen kann. Um so mehr würde ich es bedauern, wenn dieses Ergebnis morgen früh vom Bundesrat so nicht akzeptiert würde. ({1}) Ich hätte um so weniger Verständnis dafür, weil wir schließlich wissen, wer an den Gesprächen teilgenommen hat. Alles Weitere, auch hinsichtlich einiger Aperçus, ist von den Kolleginnen und Kollegen gesagt worden. Da will ich mich zurückhalten. Ich möchte bloß an den Bundesrat appellieren, das, was wir gemeinsam aufgebaut haben, nicht durch den Vermittlungsausschuß gefährden zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, daß als Ergebnis nach den Beratungen im Vermittlungsausschuß möglicherweise ein Plus-MinusErgebnis herauskommt, ist groß. Das sollte man nicht unbedingt provozieren. ({2}) Meine Damen und Herren, Kollege Kiper hat uns heute, wie ich meine, in einer kollegialen und zurückhaltenden Art und Weise kritisiert. Das muß auch so sein. Aber die Kritikpunkte sind wesentlich zurückgeführt worden, wenn ich das mit manchen Auseinandersetzungen vergleiche, Herr Kollege Kiper, die wir im Vorfeld hatten. Ich danke Ihnen ganz ausdrücklich dafür, daß wir mit Ihnen zusammen eine so konstruktive und kollegiale Beratung im Ausschuß durchführen konnten. Lassen Sie mich nur zu einigen Punkten etwas sagen. Ich glaube, daß wir den Universaldienst so schon richtig angelegt haben. Wir müssen - das ist wichtiger, als wenn wir den Universaldienst jetzt künstlich aufbohren - darauf achten, daß Wettbewerb entsteht. Wir müssen überprüfen, ob die Strukturen, ob die Einzelelemente, die wir ins Gesetz eingebracht haben, tatsächlich ausreichend geeignet sind, daß Wettbewerb in einer möglichst kurzen Zeit und wirksam entsteht. Wenn das der Fall ist, ist am ehesten die Garantie dafür gegeben, daß steigende Nachfrage nach modernen und neuen Telekommunikationsdienstleistungen dazu führt, daß das Element, welches wir im Gesetz drin haben, nämlich die dynamische Anpassung an die tatsächliche Nachfrageentwicklung, auch genutzt werden kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Börnsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper?

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Börnsen, wir haben in der Universaldienstleistungsverordnung genau aufgeführt, was zukünftig universaldienstpflichtig sein soll. Da wird zum Beispiel das Errichten und Unterhalten von Telefonzellen genannt. Ich frage mich nun: Ist es eine besondere Belastung für den bisherigen Monopolisten, wenn er dies zukünftig als Universaldienst leisten muß? Ich werfe einen Blick nach England, das in der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes um zehn Jahre voraus ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte eine Frage, keine Kurzintervention.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage ist, ob Sie es angesichts des Umstandes, daß in England die öffentlichen Telefonzellen ein Plusgeschäft für den Universaldienstpflichtigen, die britische Telekom, sind, nicht für angemessener hielten, wenn wir in der Universaldienstleistungsverordnung Dinge aufgenommen hätten, die den bisheriDr. Manuel Kiper gen Monopolisten zukünftig auch finanziell ein klein wenig gefordert hätten?

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege Kiper, das kann nicht der Sinn eines Universaldienstes sein. Wir wollen überhaupt keinen Monopolisten mehr, sondern wir wollen, daß die Nachfrage am Markt dazu führt, daß alle Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen dem Kunden ein höheres Niveau anbieten. Da kommt es weniger auf die Telefonzellen an. Ich glaube, hier gibt es noch ganz andere Bereiche, deren Aufzählung ich mir aus Zeitgründen schenken will. Wichtig ist aber, daß die Nachfrage am Markt entsteht. Es wäre uns doch tatsächlich nicht geholfen, wenn nur ein Anbieter gezwungenermaßen ein besonderes Angebot macht. Vielmehr müßten dies alle Anbieter tun. Herr Kiper, ich möchte zu einem Punkt, den Sie erwähnten, sehr deutlich eine Gegenposition aufbauen. Das ist der Bereich des Datenschutzes, der Bereich des § 87, den Sie genannt haben. Diese Dramatisierung, die Sie hier eingebracht haben, ist nach meiner Ansicht völlig ungerechtfertigt. Ich halte auch einige Elemente der öffentlichen Diskussion in diesem Zusammenhang für wirklich ungerechtfertigt. Es sind die Elemente des Fernmeldeanlagengesetzes auf das Telekommunikationsgesetz übertragen worden. Qualitativ ist nichts verändert worden. Wäre das der Fall gewesen, hätten wir das im Ausschuß auch nicht mitgemacht. Das, was Sie nannten, ist eine Folgewirkung des Wettbewerbs. Wir haben in Zukunft nicht mehr einen Anbieter, wir haben eine Vielzahl von Anbietern. Wir hoffen sogar, daß es eine Zahl ist, die weit über 100 liegt, und daß dann moderne Möglichkeiten der Informationssammlung genutzt werden. Ich kann nicht verstehen, was dagegen eingewandt wird. Herr Kollege Kiper, ist es nicht auch so, daß die Polizei heute die Möglichkeit hat, die Halterdaten eines Fahrzeuges über die Kfz-Stellen abzufordern? Wollen Sie eine vergleichbare Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden im Telekommunikationsbereich unterbinden? Ich sehe nicht, was das ernsthaft mit einer Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung oder anderen Einschränkungen zu tun haben soll, und kann Ihre Kritik nicht nachempfinden. ({0}) Meine Damen und Herren, Sie kennen meine Position hinsichtlich der Frage des Wegerechtes. Trotzdem möchte ich es nicht alleine dem Kollegen Bury überlassen, hier dagegenzuhalten. Es wird ein bißchen leichtfertig der Versuch gemacht, uns in eine Ecke zu drängen. Das schafft ihr bei unserem Gewicht sowieso nicht. ({1}) Um das einmal ganz klar zu sagen: Wir sind nicht gezwungen worden, unsere Position zu ändern. Wir haben eine Abstimmung in der Fraktion gehabt und sind unterlegen. Dann gehört es zur demokratischen Gepflogenheit, daß man die Position der Mehrheit übernimmt. ({2}) Das hat nichts mit Zwang zu tun. Da kann man eher sagen: Wart ihr vielleicht nicht in der Lage, eure Position genügend herüberzubringen? Man muß ganz selbstkritisch sagen, daß wir dazu offensichtlich nicht in der Lage waren. Herr Kollege Funke, dann muß man aber auch nach den Ursachen fragen. Tatsache ist doch, daß Sie, Herr Funke, und viele Ihrer Kollegen in der F.D.P. nicht so kommunalpolitisch verankert sind, wie es viele meiner Kollegen in der SPD sind. ({3}) Insbesondere die Kollegen aus Nordrhein-Westfalen haben ganz stark diese Position vertreten. Denn in Nordrhein-Westfalen sind wegen der Strukturveränderung die Kommunen ganz besonderen zusätzlichen strukturellen und damit finanziellen Belastungen unterworfen. Da kann ich es den Kollegen nicht verübeln, aus der Situation der Kommunen heraus von dieser Forderung nicht abweichen zu wollen. Ich mag eine andere Einstellung in der Bewertung haben. Ich gebe auch zu, sie mag vielleicht mehr fachspezifisch sein. Das ist aber keine Auszeichnung - im Gegenteil -, weil man hier die gesamtgesellschaftliche Frage mitbewerten muß. Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung über 14 Jahre hat die Kommunen in diese finanzielle Situation gebracht. ({4}) Also machen Sie es sich nicht so leicht, jetzt zu meinen, wenn wir keine Mehrheit in unserer Fraktion hätten finden können, läge das an unserer Unvollkommenheit. ({5}) Es hat Ursachen auch in der Politik. Ich bitte das zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige grundsätzliche Bewertungen vorlegen, insbesondere zu der Frage des Wettbewerbs. Wir haben hier einen Gesetzentwurf zur Beschlußfassung vorliegen, der im Grundsatz keine Vorgabe für eine Flächendeckung gibt. Der Kollege Bury hat darauf verwiesen, daß wir nicht glauben, einen Universaldienst direkt auflegen zu müssen, weil wir davon ausgehen, daß ein Universaldienst in hoher Qualität heute in Deutschland von der Telekom angeboten wird. Das ist kein Punkt, der eingefordert werden muß. Lassen Sie mich aber ganz offen sagen: Bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Telekommunikationsangebote und der Entwicklung des Wettbewerbs kann man heute nur Prognosen abgeben. Sie können zutreffen, sie können aber auch danebenliegen. Wir gehen davon aus, daß die Telekom sehr starke Mitbewerber bekommen wird. Das wollen wir auch, Arne Börnsen ({6}) da wir die Entstehung eines funktionierenden Wettbewerbs zum Ziel haben. Ein solcher funktionierender Wettbewerb kann nur festgestellt werden, wenn die Kunden, die Verbraucher - nicht nur die gewerblichen, sondern auch die privaten -, eine wirkliche Wahl zwischen verschiedenen Anbietern haben und diese auch wahrnehmen können. Das heißt: Diese Wahl darf nicht nur in den Ballungsräumen, sondern muß auch in der Fläche möglich sein. Wenn wir nach einiger Zeit feststellen können, daß dieses Ergebnis erreicht ist, wird man uns bestätigen: Der Ansatz des Gesetzes war richtig. ({7}) Wir gehen natürlich davon aus, daß sich die neuen Anbieter zuerst auf die Ballungsräume konzentrieren werden. Das ist gar nicht anders zu erwarten. Wir gehen aber auch davon aus, daß in den Ballungsräumen ein gnadenloser Preiswettbewerb einsetzen wird. Wenn sich die neuen Wettbewerber nur auf die Ballungsräume reduzieren, werden sie nicht in der Lage sein, ihre Position zu halten bzw. eine Wettbewerbsposition gegenüber den weiterhin marktbeherrschenden Unternehmen aufzubauen. Aus diesen Gründen, aber auch aus Gründen des Marketings - das wird sich aus der künftigen Marktpolitik der Unternehmen ergeben - werden sie gezwungen sein, ihre Dienste uneingeschränkt, überall in der Republik, anzubieten. Wir haben das Instrument dafür gegeben, indem wir gesagt haben: Interconnection, also der offene Zugang zum Netz, muß für alle gewährleistet sein. Hier kommen wir zu einem der Punkte der Regulierung. Die Regulierung der Stellschraube wird eine entscheidende Voraussetzung dafür sein, daß der Wettbewerb funktioniert. Das haben wir beim Mobilfunk gesehen. Wir haben lediglich dort Einschränkungen vorgenommen, wo es um begrenzte Ressourcen geht, nämlich bei den begrenzten Frequenzen im Funkbereich. Hier wollen wir eine Optimierung erreichen. Man muß sich aber fragen, meine Damen und Herren, ob wir, wenn wir in der Zeit bis 1998 geruhsam das Monopol beibehalten und dann allmählich zum Wettbewerb übergehen, nicht Entwicklungen, ich will nicht sagen: verschlafen, aber nicht ausreichend fördern. Zum Funkbereich gibt es in Gelsenkirchen ein Pilotprojekt, wenn ich mich nicht täusche: mit 300 Teilnehmern; das ist eine Riesenzahl. Vergleichbar ist eine Anwendung dieser Funktechnologie in Japan. In Tokio sind inzwischen 2,5 Millionen Teilnehmer gewonnen worden. Ich frage mich schon, ob diese sehr zurückhaltende Genehmigungspolitik Pilotprojekten gegenüber nicht die Entwicklung der neuen Technologien, zumindest bis zum Jahr 1998, eher behindert. Wir sollten prüfen, inwieweit in der Übergangszeit eine stärkere Marktöffnung für solche Demonstrationsprojekte, für solche neuen Funktechnologien notwendig ist, um nicht einen Nachteil zu erleiden. ({8}) Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Deutsche Telekom AG in einen harten Wettbewerb geschickt wird. Es wird auch immer wieder zur Diskussion gestellt, ob die Telekom, mit der eine große Zahl von Arbeitsplätzen verbunden ist, die die Zielsetzung hat, die Rolle eines globalen Wettbewerbers zu spielen, die Ende 1996 an die Börse geht, in der Übergangszeit nicht noch ein bißchen geschützt werden sollte. Natürlich wird auch darauf aufmerksam gemacht - Herr Jüttemann, insofern kann ich Ihnen nicht widersprechen -, daß 60 000 Arbeitsplätze verlorengehen könnten. Wäre es aber deshalb richtig, die Telekom in der Übergangszeit zu schützen? Ich glaube es nicht. Die Telekom braucht nicht den zahmen Wind eines angekündigten Wettbewerbs zum 1. Januar 1998, sondern den Sturm eines stattfindenden Wettbewerbs, um tatsächlich effizienter und kundenfreundlicher zu sein und zu einem lohnenswerten Anleger zu werden. Der potentielle Anleger wird, glaube ich, eher prüfen, wie die Wettbewerbssituation ab 1998 in Deutschland sein wird, und zwar aus der Erfahrung heraus, daß wirklich offener und funktionierender Wettbewerb wesentlich mehr Marktpotentiale eröffnen wird. Die Erfahrungen, die man in England einerseits und in den USA andererseits gewonnen hat, sprechen eine deutliche Sprache. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kein großes Lied davon singen, was ich mir manchmal abends, wenn ich mich noch 5 Minuten damit beschäftige, durch den Kopf gehen lasse: Wir machen jetzt schon einige Jahre in Deutschland sehr erfolgreich Telekommunikationspolitik, und dieses Gesetz ist der Abschluß eines langjährigen Verfahrens, ({9}) nicht der Abschluß einer fachbegrenzten Gesetzgebung. Vielmehr können wir damit - ich drücke mich vorsichtig aus - die Weichen dafür gestellt haben, daß Deutschland auf dem Gebiet der Informations-und Kommunikationstechnologien einen Spitzenplatz in Europa ({10}) und einen gleichwertigen Platz in der Triade neben den USA und Japan einnehmen wird. Es wird in der Zukunft für den Industrie- und Dienstleistungsstandort dieses Landes von entscheidender Bedeutung sein, welche Höhe die Kosten der Informationsübertragung haben. Ich bin der Überzeugung, daß über einen voll funktionierenden Wettbewerb die Kosten für die Übertragung von Informationen am schnellsten gesenkt werden. Das hat uns auch in den Beratungen geleitet. Arne Börnsen ({11}) Wir wissen alle, daß wir eine Senkung dieser Kosten in Deutschland brauchen. Sie sind heute viel zu hoch, sie führen heute zur Abwanderung von Arbeitsplätzen. Deswegen sage ich: Nur eines ist schlimmer als ein staatliches Monopol: ein privates Monopol. Das haben wir heute bei der Telekom. Das muß beendet werden, das muß wirkungsvoll durch Schaffung von Wettbewerb ab 1. Januar 1998 beendet werden. Dafür haben wir gemeinsam eine Veränderung der Regulierungsinstrumente erarbeitet, die, wie ich glaube, sehr gut sind. Davon wird es abhängen, ob dieser Wettbewerb unseren Ansprüchen, unseren Zielen und unseren Ideen entsprechend funktioniert. Wenn diese Ziele erreicht werden, haben wir ein vernünftiges Gesetz gemacht. Heute sind wir der Überzeugung, Ordentliches geleistet zu haben. Ich hoffe, das läßt sich in 4 Jahren auch sagen. Herzlichen Dank. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Schulhoff, CDU/CSU.

Prof. Wolfgang Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem bereits mit der Postreform I und II der Grundstein zur Privatisierung der Telekom AG gelegt und einige Dienste schon dem Wettbewerb zugeführt wurden, geht es heute um das eigentliche Herzstück der Telekommunikation, um die Aufhebung der Staatsmonopole bei den Netzen und beim Telefondienst. Damit wird der Weg für neue Marktteilnehmer frei, von denen wir eine Intensivierung des Preis- und Leistungswettbewerbs erwarten. Ohne Zweifel, die Telekommunikation ist der Markt der Zukunft, und mit diesem Gesetz machen wir die Bundesrepublik Deutschland auf einem wichtigen Sektor zukunftsfähig. Für Deutschland erwarten Marktbeobachter eine Expansion des Marktvolumens von 83 Milliarden DM 1995 auf etwa 110 Milliarden DM im Jahr 2000. Dieser Markt wird in wenigen Jahren die Bedeutung der Automobilindustrie haben - wir haben das eben schon vom Kollegen Funke gehört -, sie vielleicht - davon bin ich überzeugt - übertreffen, denn er hat noch Zukunft. Das hat Herr Kiper hören müssen. Die Bedeutung der Liberalisierung reicht jedoch weit über den Telekommunikationsbereich hinaus. Die Qualität der Infrastruktur für Informationen und Kommunikation wird ein immer wichtigerer Faktor für die Behauptung der gesamten Wirtschaft im internationalen Standortwettbewerb. Dies gilt natürlich auch für die Wissenschaft. Wer die Bedeutung einer leistungsstarken Telekommunikation für den Standort Deutschland deshalb nur an Produktions- und Beschäftigungszahlen dieser Branche mißt, greift entschieden zu kurz. Eine gute Ordnungspolitik in diesem Sektor ist Wachstums- und Standortpolitik zugleich, und zwar für ganz Europa. Europaweit hat die Reformdiskussion mittlerweile eine Dynamik entwickelt, bei der es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie der Liberalisierung geht. Deshalb war es besonders wichtig, daß sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die SPD dieses Gesetz im Grundsatz von Anfang an getragen haben und es sogar gemeinsam eingebracht haben. Demokratie lebt zwar vom Gegeneinander, von der Konkurrenz der unterschiedlichen Auffassungen. Bei allem notwendigen Streit muß jedoch die Konsensfähigkeit erhalten bleiben. Gerade in einem föderalen Bundesstaat ist dies ein wichtiges demokratisches Element. Dieses Fundament der Gemeinsamkeit haben die Länder leider verlassen. Herr Börnsen, Sie haben eben darauf hingewiesen, daß die Vertreter der Länder mit uns am Tisch saßen; sie wurden in die Beratung wie bei kaum einem Gesetzesvorhaben einbezogen, das ich bisher in meinen 14 Jahren Bundestag miterlebt habe. Jetzt versuchen sie einfach das Handtuch zu zerreißen. Ich habe kein Verständnis mehr für die Länder. ({0}) Zurück zum Gesetz. Nicht alles wurde kritiklos und unstreitig behandelt. Ein besonderer Streitpunkt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden war die von uns vorgesehene Beibehaltung des unentgeltlichen Wegerechts. Dies galt und gilt für die einzelnen Bundestagsfraktionen. Während wir es geschafft haben, eine einheitliche Meinung herbeizuführen, lieber Kollege Blank, ist dies der SPD, wie wir eben gehört haben, leider nicht gelungen. Ich gebe zu, es war auch für uns schwer; denn wir kennen den Druck der Gemeinden. Deshalb lassen Sie mich die wesentlichen Argumente, die für die Beibehaltung der alten Regelung sprechen, kurz nennen. Bereits nach dem Telegrafenwegegesetz war es ausschließlich der Telekom erlaubt, öffentliche Verkehrswege unentgeltlich zu nutzen. Mit dem neuen Gesetz tritt das Telegrafenwegegesetz außer Kraft. Mit dem Telekommunikationsgesetz wird entsprechend der alten Regelung die unentgeltliche Benutzung öffentlicher Verkehrswege jetzt auch privaten lizenzierten Telekommunikationsunternehmen erlaubt. Nach wie vor bleibt der Infrastrukturauftrag erhalten, der den Unternehmen bestimmte Aufgaben für eine umfassende und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsleistung auferlegt. Über die Einhaltung hat der Bund zu wachen. Dies war und ist durch Art. 87 f des Grundgesetzes Verfassungsauftrag, der keine Beschränkung über die Art der Wahrnehmung enthält. Materiell hat sich also für die Gemeinden überhaupt nichts geändert. Nur wird künftig nicht mehr ein Staatsunternehmen - dies ist vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt, deshalb das ganze Verfahren -, sondern private Anbieter werden diese Leistungen im Wettbewerb erbringen. Es wird keine kommunale Rechtsposition verletzt; denn es gibt keinen Eingriff in das Eigentumsrecht nach Art. 14 des Grundgesetzes. Diesen Einwand der Gemeinden hielt ich immer für vordergründig. Letztlich ging es den Kommunen um die Erschließung einer neuen Geldquelle. Herr Börnsen, Sie haben das eben sehr richtig implizit zum Ausdruck gebracht. ({1}) Jedoch ist meiner Ansicht nach die Erhebung eines Wegeentgeltes dafür ein untauglicher Ansatzpunkt. Die Gemeinden gehen, wie ich später noch ausführen werde, nicht leer aus. Weiter verstehe ich ihre Sorge, daß eine unentgeltliche Nutzung der öffentlichen Verkehrswege durch private Unternehmen eine Signalwirkung erzielen könnte, auch weitere kommunale Aufgaben in Frage zu stellen. Damit ist der Bereich der Konzessionsabgaben angesprochen. Ihr sogenannter Dominoeffekt tritt meiner Ansicht nach nicht ein; denn man kann das unentgeltliche Wegerecht nicht mit Konzessionsabgaben vergleichen. Die Versorgung mit Energie ist nämlich Teil der lokalen Daseinsvorsorge in kommunaler Eigenverantwortung. Gegen Konzessionsabgaben erkaufen sich die Energieanbieter das Recht, die Gemeinde mit Energie zu versorgen. Sie erwerben ein Gebietsmonopol. Im übrigen haben wir in unserer Beschlußempfehlung zu diesem Gesetz deutlich gemacht, daß es im Energiebereich beim Recht der Kommunen bleibt, Konzessionsabgaben zu vereinbaren. Das hat viele unserer Kollegen dazu gebracht, heute zuzustimmen. Ich wiederhole also: Keine kommunalen Rechte werden berührt. Im Gegenteil: Es bieten sich neue Möglichkeiten für die Kommunen und die anderen Gebietskörperschaften. Schon jetzt hat der Fiskus, insbesondere die Gemeinden, starke finanzielle Vorteile. In diesem Jahr wird die Deutsche Telekom Gewerbesteuer in einer Höhe von zirka 2 Milliarden DM an die Kommunen abführen. Nach überschlägigen Berechnungen auf der Grundlage der durchschnittlichen Hebesätze bedeutet das zum Beispiel für Städte wie Dresden Einnahmen in Höhe von 20 Millionen DM, für München 70 Millionen DM und für Berlin 90 Millionen DM. Selbst eine kleine Stadt wie Euskirchen würde 5 Millionen DM, Nürnberg 42 Millionen DM und meine Heimatstadt Düsseldorf 50 Millionen DM erhalten. Darüber hinaus ist dieses Jahr mit einer Umsatzsteuer in Höhe von 5,5 Milliarden DM zu rechnen, zusätzlich mit 2,5 Milliarden DM Körperschaftsteuer und 100 Millionen DM Grundsteuer. Das sind doch Beträge. Die von mir genannten Summen sind doch mehr als ein Trostpflaster. Sie entsprechen ungefähr dem, was sich die Gemeinden aus den Kosten für das Wegerecht errechnet haben. Die zusätzliche Einführung von Wegenutzungsgebühren würde zu einer unmittelbaren Belastung sowohl aller Privatkunden als auch insbesondere der Wirtschaft führen. Wir haben deshalb diesen Passus nicht angreifen wollen. Lieber Herr Bury, ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Ich schätze Sie sehr. Sie haben am 7. Dezember 1995 Ihrer Fraktion einen Brief geschrieben. Dieser Brief ist so gut, daß ich ihn hier in einigen Passagen vortragen möchte. Denn vielleicht gelingt es mir jetzt mit Ihren Worten, Ihre Kollegen doch noch zu überzeugen. ({2}) Sie schreiben nämlich: Die Einführung von Konzessionsabgaben für die Nutzung öffentlicher Verkehrswege ist nach unserer Auffassung sachlich unbegründet und kontraproduktiv. Sie haben recht. Des weiteren führen Sie an anderer Stelle aus: Ein Vergleich der kommunalen Energieversorgung mit dem Telekommunikationsbereich, der seit jeher nicht zu den Aufgaben kommunaler Daseinsvorsorge zählt, sondern durch den Bund gewährleistet wird, ist nicht korrekt. Auch hier haben Sie völlig recht; ich habe mich eben ähnlich ausgedrückt. ({3}) Zum Schluß raten Sie Ihrer Fraktion: Die SPD-Bundestagsfraktion ist meines Erachtens gut beraten, auch weiterhin nicht die Einführung einer neuen Steuer - lieber Herr Penner, Herr Bury hat von einer Steuer gesprochen - darauf liefen die kommunalen Überlegungen faktisch hinaus - zu fordern. Herr Bury, Sie haben völlig recht. Sie haben uns überzeugt. Deshalb können wir mit Ihren Argumenten Ihrem Antrag und Ihrem Änderungsantrag nicht zustimmen. ({4}) - Vielleicht war es doch auch ganz wichtig für Sie. Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zu der Quersubventionierung, die eben angesprochen worden ist. Es darf nicht hingenommen werden, daß mit Monopolgewinnen Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Wir entflechten nicht ein staatliches Monopol, um gleichzeitig private Monopole zu stützen. Monopole sind Krebsgeschwüre einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung. ({5}) - An sich müßte die F.D.P. klatschen; das war doch Thema ihres Parteitages. Wir können diese Gefahr für unsere Wettbewerbsordnung endgültig nur bannen, indem wir weitere Bereiche unserer Wirtschaft deregulieren und liberalisieren. Es gibt also noch sehr viel für uns zu tun. Mit dem vorliegenden Gesetz haben wir jedenfalls - Herr Börnsen, Sie haben völlig recht - einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Standortes Deutschland geleistet. Ich will meine Hoffnung dahin gehend Wolfgang Schulhof f zum Ausdruck bringen, daß wir das, lieber Herr Kollege Börnsen, auch noch in vier Jahren zu Recht sagen können. Ich danke Ihnen herzlich. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Minister:in)

Politiker ID: 11000228

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf für ein neues Telekommunikationsgesetz basiert auf einem Eckpunktepapier, das ich im Frühjahr letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt habe. Daraus ist nach umfangreichen Konsultationen der erste Entwurf des Telekommunikationsgesetzes entstanden, der gemeinsam von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. in den Bundestag zur ersten Lesung am 1. Februar 1996 eingebracht worden ist. Wenn Sie diesen ersten Entwurf mit dem heute vorliegenden vergleichen, werden Sie feststellen, daß die Grundstruktur erhalten geblieben ist und dennoch viele Änderungen vorgenommen wurden. Daß diese Veränderungen insgesamt zu Verbesserungen geführt haben, ist ein Verdienst aller Seiten dieses Hauses, die auch unter dem Druck des demokratischen Verfahrens, eine stabile Mehrheitsmeinung bilden zu müssen, sowie unter starkem Zeitdruck wegen der internationalen Situation - die ich jetzt nicht besonders ausführen will - immer sachdienliche Lösungen gefunden haben. Beispielhaft war die Flexibilität, mit der ein Gesetzeswerk, das von der Bundesregierung bei der Einbringung in bestimmten Fragen ausdrücklich als noch unvollkommen qualifiziert worden war, auf politischer Ebene durch das Parlament und durch begleitende politische Gespräche vorangetrieben wurde. Ich gebe zu: Da sind Verbesserungen gekommen. Nobody is perfect. Nur, ganz so dramatisch, wie das der Kollege Bury in seinem ersten Beitrag dargestellt hat, war es nicht. Die Gespräche sind eigentlich sehr ruhig verlaufen; keiner Seite wurde irgend etwas abgezwungen. Vielmehr wurde sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite viel Überzeugungsarbeit geleistet. Ich möchte die Eingeweihten daran erinnern, daß die Numerierungsvorschriften insgesamt erst letzte Woche vorgelegt werden konnten. Wenn wir dennoch den überarbeiteten Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten und morgen dem Bundesrat vorlegen können, so ist das sicherlich der besonderen Leistung der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die bereit waren, auch Sonderschichten einzulegen, um dieses wichtige Vorhaben rechtzeitig zu einem - wenn auch nur vorläufigen - Abschluß zu bringen. Ich möchte deshalb allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuß für Post und Telekommunikation, die an den Beratungen beteiligt waren, aber auch den anderen, die das Vorhaben politisch begleitet haben, meinen besonderen Dank sagen, stellvertretend dem Ausschußvorsitzenden, Herrn Kollegen Arne Börnsen, ({0}) den Obleuten Müller und Dr. Stadler, dem Kollegen Bury und einem, der nicht im Ausschuß sitzt, der aber maßgebend an den Verhandlungen beteiligt war, ({1}) dem Herrn Kollegen Funke. ({2}) Die für das Telekommunikationsgesetz zuständigen Ausschüsse des Bundesrates haben in ihren gestrigen Sitzungen wesentliche Änderungen am Gesetzentwurf gefordert. Ich kann meine Verwunderung darüber nicht verhehlen, weil die gegenüber den Ländern gegebenen Zusagen in den Verhandlungen nahezu hundertprozentig eingehalten worden sind. Ich glaube, daß wir angesichts der Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für Wirtschaft und Verbraucher, für die Deutsche Telekom AG und nicht zuletzt für die Wettbewerber, die im Vertrauen auf eine vernünftige Politik bereit stehen, Milliardenbeträge zu investieren, ein gemeinsames und klares Votum von Bundestag und Bundesrat für diesen Gesetzentwurf brauchen. ({3}) Das wäre ein wichtiges Signal für die zukünftige Entwicklung dieser neuen Branche; denn es würde Vertrauen für die Investoren schaffen. Ich bin nun gespannt, ob das, was die Ausschüsse durch sicherlich sachkundige, fachkundige, aber doch nicht politisch verantwortliche Mitarbeiter gestern empfohlen haben, tatsächlich morgen von den politisch Verantwortlichen auf den Transmissionsriemen gesetzt wird und verabschiedet wird. Ich will noch folgendes sagen, meine Damen und Herren Kollegen. Wenn die Bundesregierung im Bundesrat einmal durch einen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten wird, dann rümpft man dort schon die Nase, weil man das nicht für adäquat und Parlamentarische Staatssekretäre nicht immer für satisfaktionsfähig hält. Ich hätte mir eigentlich vorgestellt, daß diese eineinhalbstündige Debatte heute abend nicht nur von von mir sehr geschätzten Mitarbeitern aus dem Bundesrat verfolgt wird, sondern daß wenigstens ein politisch Verantwortlicher auf der Bundesratsbank Platz genommen hätte. ({4}) Ich glaube nicht, daß die Damen und Herren, die morgen im Bundesrat sind, alle den Nachtzug oder die Frühflugzeuge nehmen, denn die Verhandlungen des Bundesrates beginnen ja um 9 Uhr. ({5}) - Die Ministerpräsidenten sind beim Kanzler. Ich glaube, die Kabinette bestehen nicht nur aus den Ministerpräsidenten, gnädige Frau Kollegin. Sie sollten sich vielleicht etwas mit der Struktur des Bundesrates befassen. Ich sage das, weil ich glaube, daß gegenseitiger Respekt doch am Platze ist. ({6}) Ich glaube, die Telekommunikation wird für die Entwicklung der Informationsgesellschaft und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftstandorts Deutschland eine Schlüsselrolle spielen. Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, auch in dieser Debatte. Wirtschaft und Verbraucher sind in zunehmendem Maße auf leistungsfähige Telekommunikationsdienstleistungen angewiesen. Ich meine, daß der Telekommunikationsmarkt in dieser Hinsicht ein innovatorisches und wirtschaftliches Potential birgt, das gewaltig ist, das aber nur im Wettbewerb in vollem Umfang erschlossen werden kann. Die modernen Technologien ermöglichen eine in der Vergangenheit ungeahnte Vielfalt und ungeahnte Dynamik. Mit der Liberalisierung, also mit der Schaffung von Wettbewerb, werden wir erreichen, daß dieses Potential zügig ausgeschöpft wird. Kollege Börnsen, Sie haben am Schluß Ihrer Ausführungen darauf hingewiesen, daß wir vielleicht schon etwas zu spät sind; ich habe das Ihren Worten so entnommen. Sie haben gesagt, in den letzten Jahren sei durch den Wettbewerb, aber auch durch die Politik bei der Rahmengestaltung einiges geleistet worden. Ich erinnere mich daran, daß das nicht alles im politischen Konsens ablief und schon die Privatisierung der Unternehmen der - wie man heute sagen muß - ehemaligen Deutschen Bundespost eine gewaltige Überzeugungsarbeit erfordert hat. Wenn man 1989/90 im Zuge der Postreform I von einer Verfassungsänderung hin zur Privatisierung und Liberalisierung gesprochen hätte, hätte man meinen Vorgänger, Herrn Schwarz-Schilling, wahrscheinlich ziemlich ausgelacht. ({7}) - Ich sage das nur aus meiner Erinnerung heraus, ohne nachträglichen Vorwurf. Auch die europäische Entwicklung und die in den Vereinigten Staaten haben natürlich zu dieser Meinungsbildung beigetragen, der wir uns heute Gott sei Dank erfreuen können. ({8}) Der Wettbewerb - auch darauf hat Kollege Börnsen hingewiesen - ist natürlich nicht allein aus volkswirtschaftlichen Gründen notwendig. Die Deutsche Telekom AG - sie erkennt es nicht immer - braucht den Wettbewerb; denn wer im Ausland erfolgreicher Wettbewerber sein will, der muß sich auch im Inland dem Wettbewerb stellen können. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. ({9}) Deshalb freut es mich, daß auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Herr Dr. Sommer, immer wieder darauf hinweist, daß man die Rahmenbedingungen so schnell wie möglich braucht. Herr Kollege Börnsen, was die Pilotprojekte anlangt: Sie haben diese angesprochen und haben mit einem gewissen Unterton gesagt, es gebe ungefähr 300 Erstteilnehmer bei dem DECT-Versuch in Gelsenkirchen, den ich selber der Öffentlichkeit vorgestellt habe. Sie werden sich aber daran erinnern, welche Mühe uns die Formulierungen bei der Verleihungsverordnung gemacht haben und welche Mühe wir hatten, diese Pilotprojekte unter dem Stichwort „Nichtantasten des Kerns des Monopols bis 1998" überhaupt auf den Weg bringen zu können. Bei mir rennen Sie da Flügeltüren ein. Ich muß mich bei der Genehmigungspraxis natürlich an die Verleihungsverordnung halten. Da ist von „Pilotprojekten mit innovativem Charakter" die Rede. Damals haben wir uns auf die Definition im Sinne von „technisch innovativem Charakter" verständigt und nicht nur kaufmännische Gesichtspunkte einbezogen, zum Beispiel, wie man mit einer größeren Anzahl von Kunden umgehen sollte. Es gab auch dahin gehende Vorstellungen. Sollte da eine andere Auffassung bestehen, müssen wir uns während der Geltungsdauer des FAG darüber nochmals unterhalten. Herr Kollege Kiper, Sie haben die Frage des Universaldienstes angesprochen. Ich kann mich auf das beziehen, was andere gesagt haben. Wir sind der Auffassung, daß sich das Universaldienstangebot im Wettbewerb ausreichend einstellen wird und daß wir nur in Ausnahmefällen regulatorisch eingreifen müssen. Ich gebe zu, der Universaldienst in den Vereinigten Staaten bedeutet trotz des gleichen Begriffs teilweise etwas anderes. Das ist so mit der englischen und der deutschen Sprache. Der „locomotive engineer" ist entgegen weitverbreiteter Meinung kein „Lokomotivingenieur", sondern ein Lokomotivführer. Insofern muß man mit Begriffen diesseits und jenseits des Atlantiks etwas vorsichtig umgehen. ({10}) Mir ist das nur deshalb eingefallen, Herr Kollege Funke - Sie lachen so -, weil es 1970, als die Kollegin Hamm-Brücher die große Bildungskatastrophe in Deutschland an die Wand gemalt hat, ein Argument war, wieviel „Lokomotivingenieure" es in den Vereinigten Staaten im Verhältnis zu Deutschland gebe. Damals hat man das sprachlich aufgeklärt. ({11}) Künftig sollen nicht nur die Deutsche Telekom, sondern alle im Wettbewerb stehenden lizenzpflichtigen Anbieter die Übertragungswege unentgeltlich nutzen können. Da werden wir eine Kampfabstimmung, wie man sagt, in der zweiten Lesung haben. Kollege Bury, es ist immer mißlich, wenn man Briefe schreibt. Man kann dann irgendwann einmal daraus vorlesen, und sie werden gegen einen selber verwandt. Deshalb benutze ich lieber das Telefon in solchen Fragen; dann kann man nichts vorlesen. Meine Damen und Herren, ich sage jetzt mit großem Respekt für die beiden Kollegen, die sich insbesondere in Ihrer Fraktion für das unentgeltliche Wegerecht eingesetzt haben: Ich halte es durchaus für ein Zeichen politischer Kultur, wenn man sich in einer solchen Frage, die nicht eine Gewissensfrage ist, der Mehrheitsmeinung der eigenen Fraktion anschließt. ({12}) Ich hätte das nicht anders gemacht; ich sage das ganz deutlich. Ich bin im Inhalt völlig anderer Auffassung; aber daraus können wir den beiden Kollegen natürlich keinen Vorwurf machen. Ich erinnere mich noch an den bemerkenswerten Beitrag - nicht von Ihnen, Kollege Bury, und nicht von Ihnen, Kollege Börnsen - in der ersten Lesung zu diesem Thema, als auch ein Sprecher Ihrer Fraktion mit hervorragenden juristischen und politischen Argumenten gegen das Wegerecht Stellung genommen hat. ({13}) Meine Damen und Herren, der Kollege Bury hat die Frage angesprochen, ob die Koalition hier nicht einer Entschließung zustimmt und sagt: Selbstverständlich hat das keinen Dominoeffekt auf die Konzessionsabgabe im Energiebereich. Erstens. Ich will das, was in dieser Entschließung steht, ausdrücklich bestätigen. Zweitens. Selbstverständlich ist das nicht nur unsere Meinung zum Hausgebrauch und für den heutigen Anlaß. Vielmehr werden wir uns auch in Europa nachhaltig dafür einsetzen, daß es so bleibt, wie es jetzt in Deutschland geregelt ist, unabhängig von der Frage der Liberalisierung im Energiebereich. ({14}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Verabschiedung dieses Gesetzes, dessen wesentliche Inhalte heute abend mehrfach skizziert wurden, ist eine entscheidende Vorbedingung dafür erfüllt worden, daß die zukünftigen Marktentwicklungen in der Telekommunikation in die richtigen Wege geleitet werden. Damit ist die Aufgabe jedoch noch nicht zur Gänze bewältigt. Es gilt, das Gesetz mit Leben zu erfüllen. Dazu bedarf es auch einer starken Regulierungsbehörde. Ich unterstreiche, was an anderer Stelle gesagt wurde: Das wird eine Bundesbehörde; so ist sie angelegt. Wir haben keine Mischverwaltung zwischen den Ländern und dem Bund. Insofern kann es Entscheidungsrechte eines politischen Gremiums bei den Rechtsansprüchen, wie sie jetzt im Telekommunikationsgesetz normiert sind, überhaupt nicht geben. Das wäre eine Mischverwaltung, die meines Erachtens unserer Gesamtverfassung fremd ist. ({15}) Darauf will ich im Hinblick auf die morgigen Beratungen im Bundesrat hingewiesen haben. Ich werde morgen im Bundesrat auch sagen, daß ein etwaiges Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht nur der Zustimmung des Bundesrates, sondern zu gegebener Zeit auch der Zustimmung des Bundestages bedarf. Ich bitte alle, die dort tätig sind, das zu berücksichtigen. Die Monopole laufen in jedem Fall am 31. Dezember 1997 aus. Wenn es kein Ergebnis geben sollte, dann werden wir einen liberalisierten Markt ohne konstante Regelungsbedingungen haben. Ich glaube nicht, daß das irgend jemand will. Das kann auch die Mehrheit des Bundesrates nicht wollen. Insofern wäre es das Gescheiteste, sie würde morgen unserem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Abgeordneten Meinrad Belle, Professor Dr. Joseph-Theodor Blank, Rudolf Braun, Albert Deß, Peter Götz, Margarete Späte und Gert Willner, alle CDU/CSU-Fraktion, geben eine gemeinsame Erklärung zu Protokoll.' ) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ab- stimmung über die von den Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der F.D.P. sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Telekommunikationsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/ 3609 und 13/4438. Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt unter Nr. I a seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4864, die Gesetzentwürfe zusammenzuführen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 4892 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS bei einer Stimmenthaltung aus den Reihen der SPD abgelehnt. Wir kommen zum Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Die Fraktion der SPD verlangt zu einer Vorschrift getrennte Abstimmung. Ich rufe Teil eins bis Teil sieben in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Teil eins bis Teil sieben sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS und eine Stimme aus den Reihen der SPD angenommen. *) Anlage 6 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe Teil acht - Benutzung der Verkehrswege - auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/4893 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die Teil acht in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Teil acht ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe Teil neun bis Teil dreizehn, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Teil neun bis Teil dreizehn, Einleitung und Überschrift sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS sowie gegen eine Stimme aus den Reihen der SPD angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe jetzt die dritte Beratung und Schlußabstimmung auf. Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Kollege Jochen Welt das Wort.

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem vorliegenden Telekommunikationsgesetz werde ich wie eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion nicht zustimmen, weil die Wegerechtsfrage nicht zufriedenstellend im Interesse der Städte und Gemeinden gelöst ist. Damit wende ich mich nicht gegen ein zukunftsorientiertes Telekommunikationsgesetz. Es ist notwendig; es ist Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des privatisierten Unternehmens - national und international. Ich wende mich gegen die Mißachtung eines Verfassungsgebotes, nämlich gegen die Mißachtung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 unseres Grundgesetzes. Der Gesetzgeber greift ohne Not in diese Selbstverwaltung ein und hindert die Gemeinden an der Ausübung ihres Wegerechts für ein jetzt privates Unternehmen. Das ist ein Einfallstor für alle Versorger im Bereich von Strom, Wasser oder Fernwärme, ähnlich gestellt zu werden. Es ist nicht nur ein rechtliches Desaster gegen die Selbstverwaltung, sondern auch ein finanzielles Abenteuer für die Gemeinden und die durch Gebühren- und Abgabenerhöhungen letztlich wieder betroffenen Bürger. Das wäre vermeidbar gewesen: Die kommunalen Spitzenverbände haben frühzeitig alternative Vorschläge eingebracht, die die Rechtsposition der Gemeinden wahren und die Wettbewerbsfähigkeit der Telekom sichern konnten. Diesen Vorschlägen sowie dem Antrag meiner Fraktion in gleicher Sache hat sich die Koalition bislang verweigert. In Abwägung der Sachverhalte und Rechtsgüter, hier speziell des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, komme ich mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion zu dem Ergebnis, diesem Gesetzentwurf in der dritten Lesung nicht zuzustimmen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und eines Teiles der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, der Gruppe der PDS und eines anderen Teiles der SPD-Fraktion bei einigen Enthaltungen der SPD-Fraktion angenommen. Das war kompliziert, aber so ist es. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Errichtung einer Bundesanstalt für die Regulierung von Post und Telekommunikation, Drucksache 13/4864, Nr. I b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3920 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4864 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS angenommen. Der Ausschuß für Post und Telekommunikation empfiehlt unter Nr. III der Beschlußempfehlung, eine dort abgedruckte Erklärung der Bundesregierung zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/4886. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Abwicklung der für heute vorgesehenen Ta

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Interfraktionell ist zunächst vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 8 - Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Armut in der Bundesrepublik Deutschland - abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Außerdem ist vereinbart worden, daß die Reden zu folgenden Tagesordnungspunkten zu Protokoll gegeben werden sollen: Tagesordnungspunkte 9 a und b, Unfallversicherung und Arbeitsschutz; Tagesordnungspunkte 12a und b und Zusatzpunkte 19 und 20, Beratung mehrerer Vorlagen zur Mittelmeerpolitik; Tagesordnungspunkt 13, Antrag der Gruppe der PDS zur Verbesserung der Einnahmen der Städte und Gemeinden. ({0}) - Das ist bei mir noch nicht angekommen. Es ist also auch vereinbart worden, den Zusatzpunkt 16 zu Protokoll zu geben. Zu Protokoll geben heißt, daß die Abstimmungen, die zu den Punkten vorgesehen sind, stattfinden. Das muß klar sein. Sind Sie damit einverstanden, daß die Reden zu den genannten Punkten zu Protokoll gegeben werden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte, die Redebeiträge, die zu Protokoll gegeben werden sollen, bis zum Ende der Sitzung hier abzugeben. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Ernst Schwanhold, Doris Odendahl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bündnis für Arbeit - zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschäftigungschancen des ökologischen Umbaus sofort nutzen: Bündnis für Umwelt und Arbeit - Drucksachen 13/3263, 13/3613, 13/4556 - Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Storm b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Schmidt ({3}), Ottmar Schreiner, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Arbeitsmarktpolitik für Frauen zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck ({4}), Annelie Buntenbach, Andrea Fischer ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Arbeit von Frauen anerkennen, die Beschäftigung von Frauen fördern - Drucksachen 13/3760, 13/3973, 13/4479 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Böhmer Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Andreas Storm, CDU/CSU.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja wirklich nicht das erste Mal in diesem Jahr, daß sich das Hohe Haus mit der Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit befaßt. Das Ringen um eine gemeinsame Strategie von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit der Politik, das Ringen um ein Bündnis für mehr Arbeitsplätze wird sicherlich hier im Haus im Grunde von jedem begrüßt. Aber die Losung darf nicht lauten: Wir suchen den Konsens um jeden Preis. Eine Konsenslösung darf nicht zur Nonsenslösung werden. Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen dürfen auf die Fragen von heute nicht mehr die Antworten von gestern gegeben werden. ({0}) Anfang dieser Woche fand eine Anhörung der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" zur langfristigen Arbeitsmarktentwicklung statt. Dort erklärte Dr. Wolfgang Klauder vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg: Auch wenn wir heute natürlich noch nicht alle zukünftigen Produkte und Märkte kennen können, spricht viel dafür, daß wir auf Grund der Informationstechnologien und anderer neuer Technologien am Beginn einer neuen Wachstumswelle stehen, wie sie bereits früher von den bedeutenden technischen Erfindungen ausgelöst wurden. Die Frage ist nur, ob wir in Deutschland und Europa daran teilhaben werden oder ob es diesmal hauptsächlich Asien und Amerika sein werden. Genau dieses, meine Damen und Herren, ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Wir brauchen ein Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenkommen, so muß die erste Frage lauten: Wie erreichen wir es, daß deutsche Produkte qualitativ so gut sind, daß internationale Marktanteile gehalten oder gar ausgebaut werden können? Wie erreichen wir es, daß neue Produktideen und Verfahren, daß Innovationen in Deutschland umgesetzt werden? Kurzum: Wie schaffen wir es, daß mehr Produkte bei uns mit mehr Menschen produziert werden? Das heißt dann in der Sprache der Ökonomen: ein höheres Wachstum und eine größere, beschäftigungsintensivere Wachstumsrate. Neue Betriebe durch die Förderung von Existenzgründungen, mehr Arbeitsplätze in privaten Haushalten, mehr Arbeitsplätze in bestehenden mittelständischen Betrieben - das sind die Eckpfeiler des Programms für Wachstum und Beschäftigung. Es sind offensive Strategien. Ihre Vorschläge hingegen, meine Damen und Herren, sind reine Umverteilungsstrategien. ({1}) Ich nenne das Beispiel der Arbeitszeitverkürzung. Wir haben die kürzeste Jahresarbeitszeit aller Industrieländer. Der Abstand zwischen uns und den Vereinigten Staaten beträgt mittlerweile 58 Arbeitstage pro Jahr. Das sind zwölf Wochen, das ist ein Vierteljahr. Das muß man sich einmal klarmachen. Ich frage Sie: Welches international tätige Unternehmen entscheidet sich für einen Standort, ({2}) Herr Fischer, wenn die erste Frage lautet: Wie können wir die ohnehin weltweit niedrigste Arbeitszeit weiter verkürzen - und das auch noch bei den höchsten Arbeitskosten pro Stunde? Eine solche Diskussion ist im Hinblick auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes nicht mehr zu verantworten. Ich will ein weiteres Beispiel für den falschen, weil defensiven Ansatz nennen: Das sind die Vorschläge zur Umfinanzierung in der Sozialversicherung. Natürlich stimmen die Sozialpolitiker aller Fraktionen darin überein, daß versicherungsfremde Leistungen in einem stärkeren Maße, als dies bisher der Fall ist, aus Steuermitteln zu finanzieren sind. Aber, meine Damen und Herren, es ist doch ein Irrglaube, zu meinen, man könne mal eben so 30 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt zusammensparen, um den Bundeszuschuß für die gesetzliche Rentenversicherung kurzfristig zu erhöhen. Da bleibt nämlich nur ein einziger Ausweg: Das ist die Erhöhung von Steuern. Genau dies ist der falsche Weg. ({3}) Eine reine Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen in der Sozialversicherung macht ökonomisch nämlich wenig Sinn. Das zeigen auch die Studien, die das Prognos-Institut für die Hans-BöcklerStiftung erstellt hat. Darin wurde untersucht, welche Auswirkung eine Senkung der Sozialbeiträge bei einer gleichzeitigen Erhöhung von indirekten Steuern auf Wachstum und Beschäftigung hat. Diese Studie für die Hans-Böckler-Stiftung hatte das Ergebnis: Eine Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen führt kurzfristig zu mehr Arbeitslosigkeit. In einer Situation, in der die Belastungen der Menschen und der Wirtschaft in unserem Lande mit Steuern und Abgaben eine historische Rekordmarke erreicht haben, ist es unverantwortlich, als Königsweg vorzuschlagen: Wir nehmen dem Bürger das Geld nicht aus der linken Hosentasche, wir nehmen es ihm aus der rechten Hosentasche. ({4}) Meine Damen und Herren, wer den Standort Deutschland dauerhaft nach vorn bringen will, der muß langfristig verläßliche Perspektiven bieten, Herr Fischer. Das gilt insbesondere auch für die sozialen Sicherungssysteme. Deswegen ist eine langfristige Festigung des Generationenvertrages wichtiger als kurzfristige Umfinanzierungsstrategien. Wir begrüßen es daher außerordentlich, daß unter dem Vorsitz des Bundesarbeitsministers eine Kommission eingesetzt worden ist, die bis zum Jahresende Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Rentenversicherung vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ausarbeiten will. ({5}) Ich sagte vorhin: Wir dürfen auf die Fragen von heute nicht die Antworten von gestern geben. Es wäre dennoch falsch, jedem neumodischen Schlagwort hinterherzulaufen. Das gilt insbesondere für das Thema „ökologische Steuerreform". ({6}) - Denn wer mit Steuern steuern will, Herr Fischer, der muß wissen, wohin er steuern will. ({7}) Wir haben in dieser Woche interessante Ergebnisse gehört, die das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung für die nordrhein-westfälische Landesregierung untersucht hat. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler waren erschreckend. Ich nenne einmal vier Punkte. Erstens. Da die von der SPD vorgeschlagenen Einstiegsmodelle nur den Endverbrauch von Energie besteuern wollen und auch noch zahlreiche Ausnahmeregelungen vorsehen, kann man diese Vorschläge nach Auffassung des RWI unter ökologischen Aspekten schlicht vergessen. Zweitens. Eine spürbare Minderung von CO2-Emissionen ließe sich nur mit hohen Steuersätzen, wie sie das DIW in Berlin vorgeschlagen hat, verwirklichen. In diesem Fall stehen aber der Belastung von energieintensiven Sektoren durch die hohe Energiesteuer nur relativ geringe Entlastungen bei Dienstleistungen und arbeitsintensiven Branchen gegenüber. Das RWI hat errechnet - jetzt hören Sie genau zu -, daß in den alten Bundesländern über 400 000 Arbeitsplätze innerhalb von 15 Jahren wegfallen. Meine Damen und Herren, das ist ein Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. ({8}) Drittens. Die Ökosteuer ist als Instrument zur Entlastung bei den Lohnnebenkosten deshalb ungeeignet, weil das Gesamtsteueraufkommen im Zeitablauf deutlich zurückgeht. Dieser Effekt wird nach Meinung des Instituts bisher deutlich unterschätzt. Viertens. Deshalb kommt der RWI-Präsident Klemmer zu dem Ergebnis, daß Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik voneinander getrennt werden müssen. Meine Damen und Herren, angesichts der zu hohen Gesamtabgabenbelastung bei uns ist es nicht zu verantworten, jetzt, zu diesem Zeitpunkt, neue Steuern einführen zu wollen. Die Losung muß vielmehr lauten: Wir müssen das viel zu komplizierte Steuersystem in Deutschland radikal durchforsten. Für den Standort Deutschland und die Schaffung neuer Arbeitsplätze liegt hier nämlich ein massives Potential; denn international tätige Unternehmen treffen ihre Standortentscheidung zunehmend nach der Höhe und der Größenordnung der nominalen Steuersätze. ({9}) Hier sind uns unsere Nachbarn erheblich voraus. Deswegen dürfen wir den Anschluß nicht verlieren, und deswegen, meine Damen und Herren, sind mutige Reformen angesagt. ({10}) Denn nur auf diesem Wege ist der Standort Deutschland sicher in das 21. Jahrhundert mit mehr Arbeitsplätzen zu bringen. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Adi Ostertag, SPD-Fraktion.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir reden hier über das „Bündnis für Arbeit". Der Umgang der Regierungskoalition und der Bundesregierung mit diesem „Bündnis für Arbeit" ist ein trauriger Beweis dafür, wie sie in den letzten Monaten getrickst und getäuscht hat, und zwar auf Teufel komm raus - und das bei einer christlichen Partei. ({0}) Anfang dieses Jahres gab es Kanzlerrunden mit Gewerkschaft und Arbeitgebern, um die Massenarbeitslosigkeiten gemeinsam zu bekämpfen. Das hörte sich gut an und war wohlbedacht, aber anscheinend nur, um über die Wahlen vom 24. März zu kommen. Danach war Schluß mit dem Süßholzraspeln. Die Bundesregierung torpedierte mit ihrem sogenannten Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung das „Bündnis für Arbeit" . Anstatt das Angebot der Gewerkschaften weiter zu verfolgen, legte die Bundesregierung ein Programm vor, das diesen Namen wahrlich nicht verdient. Vielmehr ist es ein Horrorkatalog sozialer Grausamkeiten und ungerechter Umverteilung. ({1}) In Wirklichkeit löst es keines der drängenden Probleme, wirtschaftspolitisch nicht, finanzpolitisch nicht und erst recht nicht sozial- und gesellschaftspolitisch. ({2}) Im Gegenteil: Es trägt dazu bei, daß sich die Probleme verschärfen werden. Es führt zu gesellschaftlicher Konfrontation und gefährdet den sozialen Frieden. ({3}) Um die Wirtschaftskrise, die wir haben, und die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, hätte der Kanzler ein ausgewogenes Konsolidierungskonzept mit sozial gerechten Sparmaßnahmen und einem Maßnahmenbündel für Investitionen und Arbeitsplätze vorlegen müssen. Statt dessen hat er die Gewerkschaften mit unannehmbaren und völlig einseitigen Einschnitten konfrontiert. Weder die Spitze der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände noch die Bundesregierung ist bereit, konkrete Schritte einzuleiten, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Bundeskanzler und Teile der Arbeitgeberschaft sind nicht ehrlich genug, gehen nicht ehrlich mit diesem Bündnis um. Das ist inzwischen bekannt. Stumpfe hat das „Bündnis für Arbeit" für tot erklärt. Kohl ist dann zum Totengräber für das „Bündnis für Arbeit" geworden. Es ist jetzt deutlich, daß sich Regierung und Koalition mit dem Spitzenverband der Arbeitgeber gegen die Gewerkschaften verbündet und ein Bündnis gegen die Arbeit geschlossen haben. ({4}) Diese Regierung will die wirtschaftlich Starken belohnen und die Schwachen weiter belasten. Sie will, daß sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter einschränken müssen. Sie will, daß Kranke, Arbeitslose, Frauen, Kinder und ältere Menschen den Gürtel wirklich enger schnallen müssen, und sie will elementare Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschränken. Damit hat - das hat schon unser Parteivorsitzender gesagt - der Bundeskanzler auf die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften gespuckt. Das ist in den letzten Monaten Ihr Politikstil gewesen. Gleichzeitig hat der Kanzler einen Kniefall vor den Scharfmachern der Arbeitgeber gemacht. Aufwärts wird es weiter mit den Gewinnen, mit den Aktienkursen und mit den Einkommen der Wohlhabenden in diesem Land gehen. Abwärts geht es mit den Einkommen von Millionen. Die LebensbeAdolf Ostertag dingungen der Normalverdiener werden sich weiter verschlechtern. Wenn Kindergeld eingefroren wird und gleichzeitig die Vermögensteuern abgeschafft werden, dann kann doch von einem fairen Lastenausgleich wirklich nicht die Rede sein. ({5}) Mit dem wohlklingenden Namen „Programm für Wachstum und Beschäftigung" wird kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Mit ihrem Programm löst die Bundesregierung wirklich kein Problem. Die Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung werden weiter zunehmen. Wirtschaftsforschungsinstitute und Sachverständigenrat haben festgestellt: Die Arbeitslosenzahl wird im nächsten Jahr um 300 000 steigen. Nach Berechnungen des DGB werden die geplanten Kürzungen allein in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung weitere 150 000 Menschen arbeitslos machen. Diese Zahlen unterstreichen eindeutig, daß es notwendig ist, ein Bündnis für Arbeit zu schaffen. Mit ihren Plänen zum Sozialabbau hat die Regierung dafür gesorgt, daß das soziale Klima in Deutschland kälter wird. Aus tiefer Sorge um die Menschen in unserem Land haben sich der DGB und die meisten sozialen Wohlfahrtsverbände auf einem Sozialgipfel getroffen. Dabei haben sie sich auf eine gemeinsame Sozialcharta geeinigt. Diese Sozialcharta ist ein Aufschrei gegen die Regierungspläne, mit dem die verheerenden Einschnitte ins soziale Netz begründet werden. Sie ist ein Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Auch die beiden großen Kirchen unterstützen im Grundprinzip die Kernaussagen der Sozialcharta. Das müßte eine Partei, die sich christlich nennt, sehr nachdenklich machen und zur Umkehr bewegen. ({6}) Aber das „christlich" scheint nur ein Firmenschild zur Täuschung der Wählerinnen und Wähler zu sein. Ihr Bündnis gegen Arbeit richtet sich insbesondere gegen Arbeitnehmer und Arbeitslose, gegen Familien und Frauen, gegen Renterinnen und Rentner, und letztlich grenzt es auch weiterhin die Jugendlichen in unserer Gesellschaft aus. ({7}) Kohls Programm gegen die Zukunft ist ein Programm gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Einschränkung des Kündigungsschutzgesetzes macht das noch deutlicher als alles andere. ({8}) Die Abschaffung von bestehenden Schutzrechten für Millionen von Beschäftigten wird nicht zu mehr Beschäftigung führen. Sie bedeutet den Einstieg in das amerikanische System des Heuerns und Feuerns. Wir lehnen auch die Eingriffe in die Lohnfortzahlung ab. Damit diffamiert diese Regierung alle Arbeitnehmer, die krank werden, als Drückeberger und Faulenzer und bestraft sie mit erheblichen Einkommenseinbußen. ({9}) Wir lehnen die weitere Demontage des Arbeitsförderungsgesetzes ab. Die gestern vom Kabinett beschlossenen Verschlechterungen des AFG bestrafen Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte. ({10}) Sie taugen nicht zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Man kann doch Arbeitslosigkeit nicht dadurch bekämpfen, daß man die Arbeitslosen bekämpft oder bestraft. Die umfassende Anrechnung von Abfindungen, die Verschärfung der Zumutbarkeit und die Verringerung der Leistungen für ältere Arbeitslose schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz. ({11}) Dadurch werden immer mehr Arbeitslose in die Sozialhilfe getrieben, und Sie plündern noch mehr die Kassen der Kommunen. ({12}) - Das würde Ihnen ganz guttun. Wir sind auch gegen die Verschiebung der Kindergelderhöhung. Der Bundeskanzler, der lauthals die Familie als Fundament unseres Staates preist, will die Familienfinanzen beschneiden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier meilenweit auseinander. ({13}) Ich glaube, das muß doch eigentlich jedem, der nicht blind durch das Land läuft, klar sein. Die Verschlechterungen im Rentenrecht unterstreichen das ebenso nachhaltig. Davon werden besonders Frauen und diejenigen betroffen sein, die auf die flexible Altersgrenze vertraut haben. Sie kündigen diesen Konsens auf. Ein solches Programm ist Gift für die öffentlichen Haushalte. Es zerstört das Vertrauen in die Tragfähigkeit des Rentenkompromisses von 1992. Die geplante Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen ist letzten Endes ein Programm gegen Ausbildungsplätze; denn es werden keine Arbeitsplätze frei, die eigentlich für junge Menschen in diesem Land vorhanden sein müßten. Wir Sozialdemokraten werden uns nicht an dieser schäbigen Politik gegen Arbeit und soziale Gerechtigkeit beteiligen. Es ist höchste Zeit für neue Zeichen in der Politik. Wir haben ein verläßliches Konsolidierungsprogramm vorgelegt. Die SPD setzt auf ein Gesamtkonzept und hat Maßnahmen erarbeitet, mit denen die Arbeitslosigkeit bekämpft und neue wirtAdolf Ostertag schaftliche Dynamik entfaltet werden kann sowie soziale Gerechtigkeit unverzichtbarer Maßstab bleibt. Unter dieser Zielsetzung stehen die Angebote zu einer vernünftigen Zusammenarbeit von seiten der SPD-Opposition und der Gewerkschaften. Dieses Angebot steht nach wie vor. Die Opposition und die Gewerkschaften haben nicht nur Forderungen an andere gerichtet, sondern auch eigene Beiträge angeboten. Noch haben wir die Chance für ein breites Bündnis, das dringend notwendig wäre. Aber das Bündnis wird nur dann zustande kommen, wenn sich die Regierung darauf besinnt, den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Initiative „Bündnis für Arbeit" hat die IG Metall den Versuch unternommen, die Massenerwerbslosigkeit wieder ins Zentrum der politischen Diskussion und des politischen Handelns zu rücken. Damit hat die Gewerkschaft ein bemerkenswertes gesellschaftspolitisches Verantwortungsbewußtsein gezeigt. ({0}) Was die Regierung dazu beitragen wollte, war von Anfang an wenig genug: große Worte über die Halbierung der Erwerbslosigkeit bis zum Jahr 2000. Aber konkrete Initiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist sie schuldig geblieben. Wir haben eine ganze Reihe konstruktiver Vorschläge gemacht: Arbeitszeitverkürzung, die dringend nötig ist, damit die vorhandene Erwerbsarbeit gerechter verteilt wird und mehr Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz haben; ein größeres Engagement in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um kurzfristig Arbeitsplätze zu schaffen; ökologischer Umbau und Öko-Steuer, um auch mittel- und langfristig Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Herr Storm, vielleicht schauen Sie sich doch einmal unsere Konzepte etwas genauer an und befassen sich damit. Allein so kurzsichtige, aus der Zeitung entnommene RWI-Analysen helfen hier, glaube ich, nicht weiter. Wer Umwelt und Arbeit, wie Sie es eben gesagt haben, auseinanderhalten will, ({1}) der schafft es mit Sicherheit nicht, die Gesellschaft der Bundesrepublik zukunftsfähig zu machen. ({2}) Sie, meine Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, lehnen die konkreten Vorschläge, die wir vorgelegt haben, ab. Sie sind nicht einmal bereit, auf kurzsichtige Leistungskürzungen im Sozialbereich zu verzichten. Sie ignorieren die besonders schlechte Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ihre häufig nicht vorhandene soziale Absicherung. Frauen sind im „Bündnis für Arbeit" gar nicht erst vorgekommen. Um das zu verändern, haben die Oppositionsfraktionen eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die Ihnen heute zur Abstimmung vorliegen. Ihre Rhetorik, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, von gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung im „Bündnis für Arbeit" hat gerade einmal bis zu den Landtagswahlen im März gereicht. Unmittelbar nach den Landtagswahlen haben Sie das Angebot der Gewerkschaften mit einem unglaublichen Affront ausgeschlagen. Nicht „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" , sondern „Programm gegen Beschäftigte, Arme, Kranke und Behinderte" wäre eindeutig der treffendere Titel für die Vorlage der Bundesregierung. ({3}) Denn wachsen werden allein die Vermögen, wenn Herr Waigel auf Vermögensteuereinnahmen in Höhe von 8 Milliarden DM verzichtet. Das als Sparprogramm zu verkaufen kommt einer Irreführung der Öffentlichkeit gleich. ({4}) Für die Beschäftigung und die Beschäftigten ist Ihr Programm ein Minusgeschäft, wie allerdings die letzten 14 Jahre Ihrer Regierungszeit. Denn seit 1982 versuchen Sie, die Umverteilung von unten nach oben als beschäftigungswirksam zu verkaufen. Was Sie damit erreicht haben, ist ein Höchststand an Arbeitslosigkeit. ({5}) Haben Sie sich eigentlich einmal klargemacht, was Ihre Maßnahmen für die Betroffenen bedeuten? ({6}) - Hören Sie mir doch vielleicht einmal zu. - Nehmen wir eine alleinerziehende Frau, von Beruf Floristin. Sie verdient brutto 3 100 DM; netto zuzüglich Kindergeld verbleiben ihr etwa 2 260 DM. Wenn wir jetzt die Fixkosten abziehen - eine Warmmiete von rund 800 DM, den Beitrag für die Kindertagesstätte, die Monatskarte für den Bus, Versicherungen, Telefon und Strom -, dann bleiben etwa 950 DM im Monat für Ernährung, Kleidung usw. Vielen erwerbstätigen Frauen - das wissen wir alle - bleibt noch weniger, wenn wir an all die un- und angelernten Beschäftigten denken. Die Floristin wird krank. Beispielsweise leidet sie an einer Allergie, was bei Floristinnen eine häufige Erkrankung ist. Sie wird krankgeschrieben und muß sich einer längeren Behandlung unterziehen. Die Kürzung der Lohnfortzahlung reduziert ihr Nettoeinkommen auf rund 1 850 DM und damit das tatsächlich verfügbare Einkommen auf rund 600 DM. Wenn sie nach sechs Wochen auf Krankengeld angewiesen ist, das ja jetzt um weitere 10 Prozent gekürzt werden soll, dann bleiben ihr nur noch 540 DM zur Verfügung. Parallel steigen ihre Kosten: die Zuzahlung für Medikamente, bei der bevorstehenden Kur muß sie 25 DM am Tag dazuzahlen. Da ist es schon gut, daß die Kur auf drei Wochen begrenzt ist, obwohl das für die Gesundheit bekanntlich weniger bringt als vier Wochen; denn schon die drei Wochen kann sie sich eigentlich nicht leisten. Zurückgekehrt an ihren Arbeitsplatz, findet sie dann ihre Kündigung vor. ({7}) - Wir werden im Ausschuß noch Gelegenheit haben, darüber zu reden, da die Überforderungsklausel sicherlich durch Ihre weiteren Vorhaben sehr überfordert werden wird. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Buntenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mich hat geradezu die Fülle der Ereignisse, die auf die Floristin einstürzen, in Sorge gebracht ({0}) - ja, die kommt sofort -, daß sie, wenn sie aus der Kuranstalt herauskommt, stolpert, ihr möglicherweise ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, sie vom Auto überfahren wird und Sie dann noch beklagen müssen, daß das Sterbegeld gekürzt worden ist. ({1}) - Die kommt jetzt. Ist es nicht ein bißchen überzogen, wenn Sie ganz konzentriert alle möglichen negativen Fälle auf eine Person beziehen und das Ganze damit so dramatisieren, daß Sie zu dem Schluß kommen, so geht das alles nicht?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, das ist durchaus ein Normalfall. Es handelt sich um die normale Einkommenssituation einer Floristin, die durchaus als Beispiel genommen werden kann für ein durchschnittliches Einkommen. Wir wissen, daß viele Frauen weniger verdienen. Der Fall, den ich geschildert habe, ist lediglich der, daß sie erkrankt und deshalb auf Lohnfortzahlung sowie auf Krankengeld angewiesen ist. Daß zum Beispiel die Kosten für die Medikamente steigen, ist ein Unglücksfall, der nicht nur diese Floristin trifft, den Ihre Regierung vielmehr für alle hervorruft. Das gilt für alle anderen Punkte auch. ({0}) Ich habe das Beispiel deswegen einmal durchargumentiert, weil ich das für den gesellschaftlichen Normalfall halte und es nichts mit dem zusätzlich gebrochenen Zeh, dem Ziegel auf dem Kopf oder dem Blumentopf, der vom Balkon fällt, zu tun hat. ({1}) Meine Floristin kehrt jetzt zum dritten Mal an ihren Arbeitsplatz zurück und findet ihre Kündigung vor. ({2}) Das Kündigungsschutzgesetz gilt für sie in ihrem Betrieb mit sieben Beschäftigten inzwischen nicht mehr. Bei den miesen Bedingungen im neuen Arbeitsförderungsgesetz kann sie sich ausrechnen, daß es nicht lange dauert, bis sie Sozialhilfe beantragen muß. Das Beispiel belegt, daß die vorgelegten Maßnahmen der Bundesregierung insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen und mit Kindern treffen. Niedrige Einkommen sind im besonderen Fraueneinkommen; denn immer noch verdienen Frauen bei gleicher Arbeit im Durchschnitt gesehen rund ein Drittel weniger als Männer. Ihre Maßnahmen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, vernichten Arbeitsplätze und erleichtern Kündigungen, besonders die von Frauen. Betroffen sind doch diejenigen Branchen, in denen Frauen häufig beschäftigt sind: in kleinen Dienstleistungsbetrieben, im Einzelhandel usw. Frauen können meist auch nur eine kürzere Beschäftigungszeit aufweisen als Männer. Schließlich sind sie immer noch diejenigen, die zu Hause bleiben und die Kinder erziehen. Bei den Ruinen, die von den Sozialauswahlkriterien für den Kündigungsschutz übrigbleiben sollen, berücksichtigen Sie genau das nicht. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit zum Beispiel ist ein Kriterium, das bei den jetzigen Lebens- und Arbeitsbedingungen immer Frauen gegenüber Männern benachteiligt und ihnen als erste den Kündigungsschutz entzieht. Ich frage mich, ob Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wirklich die Frauen zurück an den Herd drängen wollen oder, wie es heute schönfärberisch heißt - das habe ich bei Herrn Biedenkopf, glaube ich, noch gelesen -, die Erwerbsneigung von Frauen eindämmen möchten? Bei dem, was Sie uns hier in den letzten Wochen vorlegen, hat sich mir der Eindruck aufgedrängt: entweder zurück an den eigenen Herd oder - ergänzend - als Dienstmädchen an den eines Besserverdienenden. Der kann sich ja jetzt dank der Steuererleichterungen Annette Buntenbach eine Putzfrau leisten und muß dafür nicht einmal Sozialversicherungsabgaben bezahlen; ({3}) denn mit Sozialversicherungsbeiträgen von Frauen ist man hierzulande ausgesprochen sparsam. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie das, Frau Buntenbach?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Buntenbach, wir wissen doch beide durch die vielen Diskussionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, daß wir davon ausgehen müssen, daß in den nächsten Jahren Hunderttausende von einfachen Beschäftigungen in unserer Industriegesellschaft wegfallen. Geben Sie mir nicht recht, daß es sinnvoll ist, gerade für diese Menschen neue Beschäftigungsfelder, zum Beispiel auch im privaten Haushalt, zu erschließen? Sind Sie nicht der Meinung, daß es dann eine richtige Regelung ist, die steuerliche Absetzbarkeit dieser Kräfte daran zu binden, daß sie sozialversicherungspflichtig eingestellt sind?

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erster Punkt. Wenn Sie die Sozialversicherungspflicht einführen und das auch gerade für Frauen, die im Haushalt arbeiten, gilt, finde ich das sehr gut. Ich hoffe, daß Sie damit auch die Geringfügigkeitsgrenze abschaffen; denn Sie wissen, daß viele von diesen Jobs im Haushalt eben Mini-Jobs sind, die in einzelne Stunden zerlegt sind. Der Dienstleistungsscheck zum Beispiel oder andere Formen der steuerlichen Begünstigung setzen aus meiner Sicht eindeutig voraus, daß die Sozialversicherungspflicht von Anfang an oder ab einer Bagatellgrenze sichergestellt ist. Da sehe ich im Moment bei Ihnen keine Ansatzpunkte. Die F.D.P. fordert ja sogar ein, die Geringfügigkeitsgrenze hochzusetzen. Zweiter Punkt. Wir haben hier Umverteilungstatbestände genug. Das heißt, es muß darum gehen, daß nicht diejenigen, die viel verdienen, weiter privilegiert werden. Wenn Sie eine steuerliche Absetzbarkeit in der Form, wie Sie das vorschlagen, machen, dann werden Sie einen zusätzlichen Umverteilungstatbestand schaffen, den ich nicht zumutbar finde. ({0}) In der Tat bin ich dafür, - wir werden dafür eigene Vorschläge unterbreiten -, die Arbeit im Haushalt sozialversichert abzusichern. ({1}) Zurück zu den Sozialversicherungsbeiträgen von Frauen. Ich sagte eben schon, daß man damit hierzulande sehr sparsam ist. Mini-Jobs von 590 DM im Monat haben in den letzten Jahre rapide zugenommen; gerade im Handel sind sie inzwischen systematisches Mittel von Personalplanung geworden. Im Osten der Republik finden Neueinstellungen im Handel fast nur noch unterhalb der Versicherungspflicht statt, weil die Handelsketten bei fast 50 Prozent Überkapazität in scharfer Konkurrenz stehen und an der Logistik und an der Sozialversicherung sparen. Und wenn Sie jetzt die Ladenöffnungszeiten verlängern wollen, werden noch mehr vernünftig abgesicherte Jobs in ungeschützte Mini-Jobs zerlegt. Der geht ganz wesentlich zu Lasten von Frauen. Sie müssen endlich dafür sorgen, daß jede dauerhafte Beschäftigung sozialversichert ist. Denn so, wie der Prozeß jetzt abläuft, zementieren Sie nicht nur die Schlechterstellung von Frauen, sondern auch die Altersarmut von Frauen wird vorprogrammiert. Von Gleichberechtigung ist also keine Rede. Aber damit nicht genug. Die Krönung des Ganzen ist die beschleunigte Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen. Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten bei fast 7 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen ein kompletter Widersinn. ({2}) Wir alle hier wissen, daß es gute Gründe für das niedrigere Rentenalter von Frauen gibt. Sie wissen, daß Frauen in der Regel Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind. Sie ergreifen aber keine Maßnahmen gegen die Mehrfachbelastungen, sondern Sie fügen weitere Belastungen hinzu und wollen die Rentenversicherung auf Kosten der Frauen sanieren. Hier gibt es dann offensichtlich auch keinen Vertrauensschutz. Meine Damen und Herren, mit Umbau des Sozialstaates hat das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, nichts zu tun. Sie sind dabei, durch Deregulierung und Ausgrenzung den Sozialstaat auseinanderzunehmen, und Sie wollen den Weg frei machen für einen Arbeitsmarkt, der ohne politisches Korrektiv nur noch olympiareifen Mannschaften eine Chance bietet. Ich sage ganz bewußt Mannschaften; denn offensichtlich disqualifiziert immer noch auch die Gebärfähigkeit für diese Olympiade. Unsere Forderung: Nehmen Sie Ihren Maßnahmenkatalog und werfen sie ihn dorthin, wo er hingehört: in den Papierkorb! ({3}) Annette Buntenbach Machen Sie sich an die Arbeit! Denn die Opposition hat mit ihren Anträgen, die Ihnen heute vorliegen, Schritte in die richtige Richtung aufgezeigt. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Es gibt einen lebhaften Wettbewerb, wer die linkeste Partei ist, wer die abgefeimteste, angriffslustigste Rede zu bieten hat. Ich darf jetzt das Pendel vielleicht wieder einmal in die andere Richtung ausschlagen lassen. Der SPD-Antrag „Bündnis für Arbeit" stellt klar, daß die SPD die Hauptverantwortlichen für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit beim Staat und bei der Bundesregierung sieht. In sechs Punkten ordnet sie ihre Forderungen in Maßnahmebündeln, die von der Bundesregierung zu treffen und natürlich auch zu finanzieren sind. Dann kommt, was niemanden im Hause mehr überraschen kann, was niemanden mehr interessieren wird und an was niemand, auch Sie selbst nicht, glauben wird, nämlich Ihr Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, die Frage des Heranziehens von nicht ausbildenden Betrieben zu einer Abgabe, steuerliche Anreize für die Ausbildung, Garantien für Ausbildungsplätze und die Forderung nach Rücknahme von Gesetzen: BSHG, Asylbewerberleistungsgesetz, Arbeitslosenhilfegesetz usw. Die SPD verweist also wieder auf ihre Vorstellungen zum Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, das sie wohl für ein Allheilmittel hält. In den Anhörungen aber - das darf ich in Erinnerung rufen - haben die Sachverständigen eindeutig festgestellt, daß die staatliche Arbeitsmarktpolitik nur einen kleinen und das, was die SPD in ihrem Gesetz vorschlägt, insgesamt einen untauglichen Beitrag darstellt, dieser Beschäftigungskrise beizukommen. Es müssen - das wird immer wieder betont; Sie aber sagen es nie - die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, um für eine bessere Beschäftigung sorgen zu können. Verantwortlich sind sicher die Tarifpartner. ({0}) Wie kann die Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt gelingen? ({1}) - Das war die öffentliche Anhörung zu Ihrem Arbeitsstrukturgesetz. Das ist wirklich üppig nach vorne und nach hinten diskutiert worden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ostertag?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident, ich möchte gerne fortfahren. ({0}) Nach wie vor ist die Lohnhöhe die entscheidende Größe. Sie muß sich am Produktivitätsfortschritt orientieren und - das ist entscheidend - darunter bleiben, falls die Aufgabe, Arbeitslose zu integrieren, ernst genommen wird. ({1}) Produktivitätsfortschritte, die durch Arbeitsplatzabbau erreicht werden, können redlicherweise nicht mehr unter Arbeitsplatzhaltern verteilt werden. Dies sind - um auch in der Politik dem Gebrauch der Quellenangaben zu genügen - Vorschläge, die Horst Siebert in einem Referat vor der Bertelsmann-Stiftung vertrat. Nur wenn in mehreren Null-Runden auf die Zunahme der Tariferhöhung von etwa 2 Prozent der Stundenproduktivität verzichtet würde, könne man in vier Jahren 1,2 Millionen Arbeitslose integrieren. ({2}) Das setzt Einvernehmen voraus. Dieses ist kaum zu erwarten. Für den Gesetzgeber stellen sich dann schon sehr unbequeme Fragen: Müßten nicht Arbeitslose die Chance erhalten, zu Einstiegstarifen, die 20 Prozent unter dem Tariflohn liegen, ihre Arbeitskraft anzubieten? Müßten nicht Arbeitnehmer mit eigenen Abmachungen für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes sorgen können, indem sie das Recht erhalten, sich mit dem Arbeitgeber darauf einigen, legal Lohnverzicht zu leisten? ({3}) Meine Damen und Herren, wenn sich in all diesen Fragen Entrüstung regt und wenn Sie Ihre Hände schützend vor den Flächentarifvertrag halten, dann - das sage ich Ihnen voraus - wird die Flucht aus den Tarifverträgen verstärkt einsetzen und die heilige Tarifautonomie unterspülen. Das kann nicht Ihr Interesse sein. Der Flächentarif muß flexibler werden. Ansonsten scheren die Unternehmer aus der Tarifbindung aus und zahlen niedrigere Löhne. Maßvolle Lohnrunden und tarifliche Öffnungsklauseln sind das Gebot der Stunde. Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen: Sie gibt es bereits in Tarifverträgen der Textilindustrie, wo der Arbeitsplatzverlust besonders dramatisch war. Lassen Sie mich aber an dieser Stelle eine Gruppe erwähnen, die zwar eine Schlüsselrolle spielt, in dieser Situation aber nie erwähnt wird. Das sind die Unternehmer. Fragt man heute bei der Jugend nach, welche Personen sie als Leitbilder unserer Gesellschaft wahrnehmen, welche Persönlichkeiten sie schätzen und für nachahmenswert halten, werden Sie kaum hören, daß die Jugend Unternehmer irgendwie einleuchtend, deren Leben vorbildlich und deren Leistungen bewundernswert findet. Es ist aber wichtig, daß es uns gelingt, ein positives Beispiel herauszustellen, damit junge Menschen den hohen Einsatz an eigener Tatkraft und Leistungsbereitschaft wagen. Die Gesellschaft muß für unternehmerische Tätigkeit viel mehr werben und junge Menschen an Wettbewerb heranführen und gewöhnen, auch in unseren Bildungseinrichtungen. ({4}) Jetzt stelle ich einmal die Frage, wie Unternehmer eigentlich sind. Vergessen wir einmal die Karikaturen der Manager in Nadelstreifen oder das Fehlverhalten von Managern der Vorstandsebene bei manchen größeren Entscheidungen. Sehen Sie sich doch einmal in kleinen oder mittelständischen Betrieben um, in Firmen in bäuerlich geprägter Landschaft, deren Geburtsstätte oft eine Garage oder der väterliche Handwerksbetrieb war und die heute mit hochmodernen Maschinen ausgerüstet sind, mit Firmenkontakten nach China und Südamerika. Das sind unglaublich fähige, fleißige, wache Leute mit guten Kontakten zu ihrer Belegschaft. ({5}) Wenn Sie diese Unternehmer einmal fragen, ob sie sich in unserer Gesellschaft richtig gewürdigt und anerkannt sehen, dann kommt resignierend die Antwort: Eigentlich nicht. Das müssen wir ändern und auch in öffentlicher Parlamentsdebatte feststellen: Es sind solche Unternehmer und Unternehmerinnen - ich sage einmal, daß wir gerade als Parlamentarierinnen eine Rundreise machen, um Unternehmerinnen zu besuchen und ihre Betriebe anzusehen -, auf die sich unsere Hoffnungen richten müssen. ({6}) Bei der Ausbildung nehmen die Probleme zu. Daß junge Menschen nicht den Ausbildungsplatz bekommen, den sie sich wünschen, muß vielleicht hingenommen werden. Daß es aber Ausbildungsangebote gibt, die nicht angenommen werden, schon weniger. Ausbildung muß sich für Betriebe lohnen, denn nur dann bilden sie aus. Auch da müssen die Rahmenbedingungen stimmen, da muß die tarifliche Entlohnung im Verhältnis zur geleisteten Arbeit stimmen. Ganz offensichtlich ist es für Unternehmer wesentlich billiger, ausgebildete Leute abzuwerben und einzustellen, anstatt selber für den Nachwuchs zu sorgen. Solange dies so ist, wird sich an der Ausbildungsfront wenig ändern. Nicht einmal die innerbetriebliche Weiterqualifizierung von Mitarbeitern lohnt sich in manchen Fällen. Manches Unternehmen qualifiziert seine Mitarbeiter, damit sie an hochmodernen, computergestützten Maschinen arbeiten können. Eine solche Qualifizierung kostet in der Größenordnung von 30 000 DM. Sie ist teuer. Daher versuchen die Betriebe, solche qualifizierten Mitarbeiter an den Betrieb zu binden, und stellen dann fest, daß die Bindung, wenn sie über ein halbes Jahr hinausgeht, von Arbeitsgerichten als rechtswidrig angesehen wird. Was ist die Folge? Die Unternehmer werden diese Qualifizierung eben unterlassen; denn das sind ja Investitionen, die sich offensichtlich nicht auszahlen. Solange wir in solchen Fragen nicht mehr Rücksicht auf betriebliche Belange nehmen - ich mache das einmal ganz bewußt an solchen Beispielen fest -, wird sich natürlich auch an der Qualifizierung wenig ändern. ({7}) Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß das von der SPD geforderte Maßnahmenbündel von der Koalition ja bereits vorgelegt wurde, und zwar mit den Schwerpunkten Liberalisierung des Arbeitsrechtes und der Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten. Sie sollen Sozialversicherungsbeiträge stabilisieren, was übrigens auch Arbeitnehmerhaushalten zugute kommt. Die Anträge der SPD und der Grünen können die Koalition nicht beirren. Wir werden an dem Programm für Wachstum und Beschäftigung festhalten. Vielen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Adi Ostertag.

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Babel, ich muß eindeutig feststellen: Es gab noch keine Anhörung zum ASFG. Das wäre auch bisher gar nicht sinnvoll gewesen, sowohl aus Sicht der Opposition als auch aus der der Regierung. Das Kabinett hat gestern beschlossen, das AFRG der Regierung einzubringen. In diesem AFRG-Entwurf steht, daß die Alternative zum Gesetzentwurf der Regierung das ASFG der SPD ist. Das wird parallel gelesen. Nach meinen Informationen wird Ende September die Anhörung stattfinden. Das nur zur Klarstellung. Einen zweiten Punkt muß ich noch klarstellen. Sie haben eben gesagt, in unserem Antrag „Bündnis für Arbeit" zeigten wir immer nur auf die Regierung, die Arbeitsplätze zu schaffen habe. Ich möchte nur daran erinnern, daß bei der Einbringung des ASFG meine Kolleginnen und Kollegen und ich immer deutlich gemacht haben, daß die SPD von einem Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ausgeht, das aus mindestens drei Elementen besteht. Wir brauchen erstens eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik als die, die Sie in der Regierung betreiben und Sie als Koalitionsfraktionen unterstützen. Wir brauchen zweitens eine andere Arbeitszeitpolitik, insbesondere eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Arbeit. Wir brauchen drittens eine andere Arbeitsmarktpolitik. Diese Arbeitsmarktpolitik sehen wir - wie wir sie uns vorstellen - im ASFG wirklich festgeschrieben. Von daher haben wir immer von diesem DreiSchritte-Konzept gesprochen. Das haben Sie anscheinend bisher noch nicht begriffen, obwohl es mehrfach dargestellt worden ist. Sie verengen das immer auf die Arbeitsmarktpolitik. Wir sind doch nicht von gestern. Wir haben längst begriffen, daß die Arbeitsmarktpolitik nur ein Element in einem integrierten Politikkonzept ist, um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Dr. Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ostertag, ich finde, es ist ein außerordentlich erfreulicher Fortschritt, wenn Sie feststellen, daß das Heil eben nicht nur aus der staatlichen Arbeitsmarktpolitik kommt. Ich bin bereit, dieses zur Kenntnis zu nehmen. Wenn Sie sagen, eine Anhörung zu Ihrem Gesetz kommt erst, dann will ich nur darauf verweisen, daß wir bereits eine große Anzahl von Anhörungen hatten, die auf Ihren Initiativen basiert haben, und daß wir zu Ihren Vorstellungen mehrfach Sachverständige aus der ganzen Bundesrepublik zusammengerufen haben. Diese Voten liegen vor. Wenn Sie sagen, daß dies nur ein Baustein ist und daß zu dem Thema vor allem ganz entscheidend die Steuerpolitik gehört, freut mich das ebenfalls. Was Sie nicht gesagt haben, ist, daß Sie eine Unternehmensteuerreform dringend anmahnen und daß Sie gewillt sind, hierbei mitzumachen. Bislang habe ich von seiten der SPD immer nur gehört, daß Sie sich dabei total verweigern und daß Sie die Unternehmensteuerreform oder die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht wollen. Im Moment kann ich das noch nicht ganz ernst nehmen. Aber wenn es eine Friedenstaube am Himmel sein sollte, daß Sie das alles mitmachen wollen, kann ich diesen Abend schon für sehr erfreulich halten. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Christina Schenk, PDS.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, in den nächsten dreieinhalb Jahren 2 Millionen Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen. ({0}) Als Wachstumsbranche der Zukunft hat sie die Privathaushalte entdeckt. Ich denke, hier lohnt sich ein genauerer Blick. Die Rede ist auf seiten der Koalition von Hunderttausenden neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze, die in diesem Bereich entstehen können. 1 Million Arbeitsplätze sind es bei Herrn Jagoda. Herr Westerwelle hat von 700 000, Frau Böhmer von schätzungsweise 500 000 Arbeitsplätzen gesprochen. Allein die Spanne, die dabei festzustellen ist, weist darauf hin, daß diese Angaben weder Hand noch Fuß haben. ({1}) Wirklich seriöse Untersuchungen, wie die des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts kommen zu dem Schluß, daß es noch nicht einmal 100 000 Erwerbsplätze sein werden. Stellt man dann noch in Rechnung, daß einzelne Frauen mehrere solcher Jobs benötigen, um davon leben zu können, so reduziert sich die Zahl der beteiligten Arbeitskräfte noch einmal erheblich. Wenn nun aber die zu erwartenden Effekte bezüglich regulärer Beschäftigungsverhältnisse dermaßen gering sind, dann stellt sich doch die Frage, was die Bundesregierung mit dieser propagandistisch und finanziell so aufgeblasenen Initiative wirklich bezweckt. Zum einen versucht die Bundesregierung, auf diese Art und Weise arbeitsmarktpolitisches Engagement vorzutäuschen. Das hat sie dringend nötig. Schließlich ist es das einzige, was ihr unter der Überschrift „Neue Beschäftigungsfelder erschließen" eingefallen ist. ({2}) Zum anderen schanzt sie ihrer Klientel - wohlgemerkt in Zeiten allgemein verkündeter Sparsamkeit - so ganz nebenbei großzügige Steuergeschenke zu. Bis zu 24 000 DM jährlich dürfen künftig von der Steuer von denen abgesetzt werden, die Dienstpersonal im eigenen Haus beschäftigen. Die Ausweitung des Dienstmädchenprivilegs ist eine weitere gigantische Umverteilung von Einkommen zugunsten der ohnehin Privilegierten. ({3}) Das ist aber noch nicht alles. Mit dem Dienstmädchenprivileg wird in erster Linie, so meine ich, ein politisches Signal gesetzt. Diese sogenannte Beschäftigungsinitiative soll nämlich deutlich machen, wo die Arbeitsmarktperspektiven für Frauen liegen. Denn natürlich sind es Frauen, die sich künftig massenhaft in privaten Haushalten des besserverdienenden Nachbarn oder der Nachbarin verdingen sollen: schlecht bezahlt und nicht sozialversichert. Von Arbeitsplätzen mit Sozialversicherung - immerhin war davon noch in der Koalitionsvereinbarung die Rede - spricht man heute nicht mehr. Frauen werden also verstärkt in Beschäftigungsverhältnisse mit geringfügigem Einkommen, in Jobs mit schlechter Bezahlung, flexiblen Arbeitszeiten sowie fehlende arbeits- und tarifrechtliche Absicherung abgedrängt. Die Erschließung qualifizierter, zukunftsfähiger Beschäftigungsfelder für Frauen ist - ich frage: wen überrascht das hier nun wirklich noch? - die Sache dieser Bundesregierung nicht. ({4}) - Da haben Sie aber wenig Ahnung, Herr Kollege Laumann. Eine weitere Botschaft dieser Beschäftigungsinitiative lautet: Erwerbstätigkeit und Familie sind in diesem Lande nicht miteinander vereinbar. Ernsthafte Bemühungen, die gesellschaftlichen Ursachen für dieses Problem zu beseitigen, sind also auch künftig nicht zu erwarten. Männer können die Forderungen ihrer Partnerinnen nach gleichberechtigter Teilung von Hausarbeit und Zeit für Kinder nur mit dem Hinweis auf die staatlich geförderte Anstellung einer Putz- oder Kinderfrau zurückweisen. Auf diese Weise wird nicht nur die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung verfestigt, sondern auch die soziale Spaltung der Gesellschaft vertieft. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die gut bezahlte Karrierejobs einnehmen und sich ihre volle zeitliche Verfügbarkeit und Flexibilität mittels einer Haushaltshilfe sichern. Auf der anderen Seite wächst die Zahl von Frauen in der Rolle der Dazuverdienenden ohne eine eigenständige ökonomische Existenz und mit vorprogrammierter Altersarmut. Nun wissen wir auch, daß es einen wachsenden Bedarf an haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen gibt. Die richtige Antwort darauf wäre der Ausbau eines öffentlichen Dienstleistungssektors. Statt dessen forciert die Bundesregierung jedoch die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Wer genug Geld hat, braucht auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz nicht zu warten. Er kompensiert den fehlenden Kita-Platz mit einer steuerlich absetzbaren Kinderfrau und die Leistungsdefizite im Schulbereich mit Nachhilfeunterricht. ({5}) Diese Möglichkeit bleibt den Einkommensschwächeren versagt. Sie bleiben auf staatliche Einrichtungen angewiesen. Das wird zu einer Stigmatisierung dieses Bereichs und einer deutlichen Absenkung seiner Standards führen. ({6}) - Ja, so ist das. Allgemein öffentlich zugängliche Dienstleistungen sind aber die Grundlage für soziale Chancengleichheit. Das aber - soziale Chancengleichheit - ist für die Bundesregierung ein vollkommen fremder Gedanke. Sie will eine Gesellschaft, in der sich einige wenige hemmungslos auf Kosten der Mehrheit profilieren. An dieser Stelle muß ich leider auch ein Wort an die SPD-Fraktion richten. Mit sicherem Auge hat sich nämlich die Koalition aus Ihrem Antrag „Arbeitsmarktpolitik für Frauen" genau den Punkt herausgegriffen, mit dem sie dem von ihr so aufwendig erzeugten Mythos Nahrung verleihen kann, daß in Privathaushalten massenhaft sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu erschließen seien. Das also ist es, was letztlich von Ihrem Antrag jetzt übrigbleibt: eine generelle Zustimmung zur völlig verfehlten Politik der Bundesregierung in diesem Bereich. Sehr bedauerlich! Die PDS lehnt es kategorisch ab, den Bereich haushaltsnahe Dienstleistungen als arbeitsmarktpolitische Perspektive für Frauen festzuschreiben - vor allen Dingen als einzige. ({7}) Statt dessen fordern wir eine radikale Veränderung der Erwerbsstrukturen in dieser Gesellschaft. Eine allgemeine und deutliche Verkürzung der Arbeitszeit ist dabei unabdingbar. Auch Sie von der Koalition werden nicht darum herumkommen. ({8}) Nur so kann die vorhandene bezahlte Arbeit so verteilt werden, daß Frauen und Männer gleichermaßen die Chance zu qualifizierter Erwerbsarbeit und auf ein existenzsicherndes Einkommen haben. Zugleich ist die Verkürzung der Arbeitszeit die wichtigste Voraussetzung für die Lösung des Vereinbarkeitsdilemmas, das die einen in ungeschützte schlecht bezahlte Putzjobs drängt und die anderen von Haushaltshilfe und Kinderfrau abhängig macht. Wir fordern die Bundesregierung auf, qualifizierte Arbeitsmarktperspektiven für Frauen zu erschließen. Wir sind durchaus behilflich, wenn Ihnen dazu nichts mehr einfallen sollte. ({9}) Wenn die Bundesregierung denn schon bereit ist, Frauenerwerbstätigkeit dauerhaft zu subventionieren - wie das jetzt mit diesem Dienstmädchenprivileg angedacht ist -, dann sollte sie die Gelder genau in diese qualifizierten Arbeitsmarktperspektiven investieren. Gleichzeitig erneuern wir unsere Forderung nach Abschaffung der sozial ungeschützten Beschäftigungsverhältnisse, das heißt nach der Versicherungspflicht für jegliche Arbeit von der ersten Stunde an, sowie nach Ausbau des Angebots an öffentlichen Dienstleistungen. Vielen Dank. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther.

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kollege Ostertag, ich möchte zunächst Ihre überzogenen Angriffe auf die Bundesregierung pauschal zurückweisen. Ich möchte auf die Einzelheiten nicht eingehen. Das war alles sehr unappetitlich. Wir spucken insbesondere in keine offenen Hände. Wir sind anständige Leute. Das tun wir nicht. Wir spucken auch nicht in Ihre Hand, die Sie uns heute freundlicherweise zur Zusammenarbeit gereicht haben. Das nehmen wir an. Insoweit war wenigstens etwas Positives dabei. Dann habe ich gedacht: Nun bist du mal gespannt, ob der Kollege Ostertag heute einen guten Tag hat und das Plenum, das ja in dieser Weise besetzt ist, vielleicht überzeugt, den Vorschlägen aus seinen Anträgen zu folgen. Aber er hat hier kein Wort über die eigenen Anträge verloren. Daher, lieber Kollege Ostertag, haben Sie auch Dinge aufgegriffen, die heute gar nicht auf der Tagesordnung stehen. ({0}) Das steht Ihnen frei. Aber ich hätte doch gedacht, Sie hätten hier mal etwas Kämpferisches zu Ihren eigenen Anträgen gesagt. Auf der anderen Seite kann ich Sie verstehen, daß Sie nicht immer dasselbe wiederholen wollen, als da sind: Wiederherstellung des Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesanstalt, Wiedereinführung des Rechtsanspruchs auf Unterhaltsgeld - das fordern Sie schon seit 1994 -, Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Zur Erinnerung: Wir haben im Oktober ein Gesetz gemacht; die Tarifvertragsparteien haben einen Tarifvertrag abgeschlossen. Also, alles vorbei, alles nur Wiederholungen, die Sie hier in Ihren Anträgen bringen. Von daher: nichts Neues. Wenn keine Vorschläge wiederholt werden, dann kommen Sie mit Neuauflagen, in diesem Fall mit der Neuauflage einer Gemeinschaftsinitiative zur Schaffung von Ausbildungsplätzen im Osten. Warum bringen Sie denn jedes Jahr eine Neuauflage alter Vorschläge? Das schafft keinen Ausbildungsplatz, und das hilft auch keinem Jugendlichen. Unser Konzept, auf das wir uns inzwischen mit den Sozialpartnern und den Regierungen der neuen Länder grundsätzlich verständigt haben, lautet: Maßnahmemix aus betriebsnaher Ausbildungsförderung und Förderung von Ausbildung in Verbünden, bei Existenzgründern und in Kommunen. Damit haben wir unsere Handlungsfähigkeit wieder unter Beweis gestellt. Die Opposition läuft den Realitäten wieder einmal hinterher. Das gilt auch für eine weitere Forderung Ihrer Anträge, nämlich die Anhebung des berücksichtigungsfähigen Arbeitslohns im zweiten Arbeitsmarkt auf 100 Prozent des Lohns im ersten Arbeitsmarkt. Ich dachte, wir wären uns einig, daß der zweite Arbeitsmarkt nicht Parkplatz ist, sondern eine Brückenfunktion für den ersten Arbeitsmarkt hat. Kein noch so gut bezahlter ABM-Platz ist so gut wie ein normales Arbeitsverhältnis -- das wissen wir alle - mit normalem Lohn statt Lohnersatz. Mit Ihrer 100Prozent-Forderung fesseln Sie doch nur die Arbeitslosen auf dem zweiten Arbeitsmarkt und verkaufen dies noch als soziale Wohltat. ({1}) So kann heute keine moderne Arbeitsmarktpolitik aussehen. Moderne Arbeitsmarktpolitik muß sich den wirtschaftlichen Gegebenheiten nun einmal stellen, auch dem globalen Wettbewerb. Alles andere wäre Rückschritt, ({2}) den die Bundesregierung nicht mitmachen wird. - Ich kann ja verstehen, daß Sie angesichts der Tatsachen so unruhig sind. Aber hören Sie doch einmal zu! Sie können sich ja gleich auch noch äußern. Und es genügt auch nicht, die Initiativen der IG Metall für ein Bündnis für Arbeit zu begrüßen, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu fordern und im selben Atemzug eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage zu verlangen, die die Wirtschaft nur mit neuen Kosten belasten und zu nichts führen würde. Das gleiche gilt für Ihre Forderung, die Fördermöglichkeiten zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen zu verbessern - unter Verweis auf Ihren Entwurf für ein Arbeits- und Strukturförderungsgesetz. Warum verschweigen Sie, daß Ihr Gesetzentwurf zu erheblichen Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte führen wird? Nach meiner Einschätzung handelt es sich um bis zu 30 Milliarden DM. Wie wollen Sie das seriös finanzieren? Sie haben die Chance verpaßt, das hier darzulegen. Das hätten Sie eben machen können. Vielleicht kommt das ja noch. Eine solche Forderung, wie Sie erheben, paßt heute wahrlich nicht mehr in die Landschaft. Wie hoffnungslos veraltetet Ihre Vorschläge zur Arbeitsmarktpolitik sind, zeigt sich besonders beim Thema „Frauen und Arbeit". Zu dem wichtigen Antrag, den Sie gestellt haben, ist bisher in dieser Debatte kein Wort gefallen. Ich erinnere nur an die Diskussion um die neuen Beschäftigungsverhältnisse in Privathaushalten. Wir haben aufgezeigt, welches Arbeitsplatzpotential hierin insbesondere für Frauen steckt. Sie kannten nur das Totschlagargument „Dienstmädchenprivileg". ({3}) - Sie haben es nicht gelesen, Frau Kollegin. Jetzt, wo die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, dessen Behandlung morgen früh hier auf der Tagesordnung steht, steuerliche Erleichterungen und die Vereinfachung der Arbeitgebereigenschaft in Privathaushalten vorsieht, versuchen Sie, auf den Zug aufzuspringen. Aber auch das ist schon zu kurz gesprungen. Denn wie immer schlagen Sie mit Ihren Zuschüssen den Weg über den Staat vor und schaffen so nur staatlich subventionierte Beschäftigungsverhältnisse statt Arbeitsplätzen, die sich auf dem regulären Arbeitsmarkt behaupten können. Wir brauchen keine subventionierten, wir brauchen konkurrenzfähige Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das ist für uns das Ziel Nummer eins. ({4}) - Ich trinke mal etwas Wasser, damit Sie weiterschreien können. Für uns haben grundsätzlich die Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt Priorität. Als Grundlage dafür haben wir das „Bündnis für Arbeit" mit den Sozialpartnern, das 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze sowie das Programm für Wachstum und Beschäftigung. Die ersten Beratungen dazu haben stattgefunden. Gestern, am 12. Juni 1996, hat das Bundeskabinett das Arbeitsförderungs-Reformgesetz beschlossen, das noch in diesem Jahr im Bundestag verabschiedet werden könnte. Dieses Reformgesetz ist keine kleine Novelle; es ist ein klares, modernes Gesetz, das die Erwerbschancen der Arbeitslosen verbessert und den Arbeitsämtern vor Ort die Möglichkeit zum eigenständigen und dynamischen Handeln geben soll. ({5}) Aktive Leistungen zur Eingliederung statt passiver Leistungen - das ist unser Ziel. Bezieher von Arbeitslosengeld werden zu den unterschiedlichen Eingliederungsleistungen den gleichen Zugang haben, so daß die Leistungen frühzeitig eingesetzt werden können. Die Zusammenfassung und Neubestimmung der verschiedenen Lohnkostenzuschüsse verhindern ein Ausfransen des neuen Arbeitsförderungsgesetzes. Die Vorteile dieser Maßnahmen liegen auf der Hand: Schnelligkeit, Transparenz, Lesbarkeit, Erhöhung der Effektivität, Steigerung der Effizienz - ein weiteres Ziel unseres Entwurfes, das wir erreichen werden, indem wir die vorhandenen und bewährten arbeitsmarktpolitischen Instrumente optimieren und neue einführen, ({6}) zum Beispiel Trainingsmaßnahmen, Eingliederungsmaßnahmen in Sozialplänen, Eingliederungsverträge von Langzeitarbeitslosen sowie die Förderung von neugegründeten kleinen Betrieben bei Einstellung von Arbeitslosen. Dezentralisierung und Kompetenzerweiterung - und damit auch Delegation von mehr Verantwortung und stärkerer Wettbewerb der Arbeitsämter untereinander - werden den Einsatz der verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente ortsnah und flexibel ermöglichen. Hierzu gehört auch der neue, frei verfügbare „Innovationstopf" der Arbeitsämter, um auf örtliche Gepflogenheiten flexibler als bisher reagieren zu können. Dabei müssen die Arbeitsämter vor allem im Dienstleistungsbereich und in kleineren und mittleren Betrieben aktiv mehr Stellen akquirieren. Die Vermittlung muß wieder Vorrang vor der Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung haben. Man könnte noch vieles zu diesem Gesetz sagen. Wir kommen im einzelnen aber noch dazu. Das alte AFG hat in der Vergangenheit mehr als eine Bewährungsprobe bestanden, nicht nur im Zuge der deutschen Einheit. Wir werden es weiter verbessern und modernisieren, damit es auch künftig erfolgreich angewendet werden kann. Aber ein Gesetz allein genügt nicht. Gebraucht werden Unternehmer, Betriebs- und Personalräte, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Aber auch der einzelne kann an diesem Gesetz mitwirken und es aktiv unterstützen. Zusammen werden wir unser Ziel Nummer eins, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, erreichen. Unser Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist dabei ein entscheidender Schritt auf diesem Weg. Mit dem SGB III werden wir die Arbeitsförderung für den Beginn des 21. Jahrhunderts fitmachen. Vielen Dank. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Renate Jäger.

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es schon richtig, Herr Staatssekretär Günther, daß mein Kollege Ostertag verschiedene Dinge, zu denen die heutige Thematik Beziehungen aufweist, und Assoziationen aufgegriffen hat und sich nicht so eng an unserem Antrag orientiert hat. Ich denke, das liegt in dem großen politischen Umfeld begründet. ({0}) Natürlich begrüßen wir es, wenn Sie wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen. Das ist das Allerbeste. Wir würden uns in keiner Weise dagegenstellen. Ich verfolge seit Bestehen der Einheit die Neujahrsansprachen des Bundeskanzlers sehr aufmerksam. ({1}) Für meine Begriffe ist das oberste Ziel des Bundeskanzlers immer wieder - seit wir die Einheit haben - die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber was ist passiert? Die Arbeitslosigkeit ist ständig gestiegen, seit wir die Einheit haben. ({2}) So kennen wir das bisher. Wundern Sie sich doch nicht, wenn wir von Ihnen ein Bild gewinnen, das Sie heute abzustreiten versuchen. Wir fordern in unserem Antrag „Bündnis für Arbeit" von der Bundesregierung ein Maßnahmebündel - Frau Dr. Babel ist schon darauf eingegangen - für ein beschäftigungswirksames und ökologisch verträgliches Wirtschaftswachstum. Die Koalitionsfraktionen haben am 25. April dieses Jahres dieses schöne „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" beschlossen. Der Name läßt eigentlich hoffen, daß ein solches Maßnahmebündel darin enthalten ist. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn es wird darin die Verlängerung der Lebensarbeitzeit festgelegt. Während 4 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos sind und Arbeit suchen, müsRenate Jäger sen andere wesentlich länger arbeiten als geplant und länger Arbeitsstellen besetzen als vorgesehen. Natürlich könnte man dies als ein Beschäftigungsprogramm für die rentennahen Jahrgänge und für die ältere Generation bezeichnen. Was geschieht aber dabei mit den jüngeren Leuten, die wesentlich weniger Möglichkeiten am Arbeitsmarkt haben? Ein Beschäftigungsprogramm für die Jugend finde ich in Ihrem Paket nicht. ({3}) Heute haben die Koalitionsfraktionen den Einspruch des Bundesrates gegen die ArbeitslosenhilfeReform zurückgewiesen. In Ihrem ArbeitsiosenhilfeReformgesetz haben Sie unter anderem festgelegt, daß in allgemeine Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung nur noch Langzeitarbeitslose eingewiesen werden können. Sie haben vorgeschlagen, daß nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit ein individueller Fahrplan für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu erstellen ist. Aber was passiert dann weiter? Der Jugendliche, der nach seiner Ausbildung nicht übernommen wird oder nach einer kurzen Arbeitszeit arbeitslos wird, ist von sozial ungeschützten Ermessensleistungen abhängig, oder er muß erst zu einem Langzeitarbeitslosen werden. Erst dann ist für ihn eine reguläre Arbeitsbeschaffungsmaßnahme vorgesehen. ({4}) Natürlich ist es richtig, Langzeitarbeitslose zu fördern; das ist auch unser Ziel. Aber richtiger ist es doch, einen von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen überhaupt nicht erst in die Langzeitarbeitslosigkeit kommen zu lassen. ({5}) Im „Bündnis für Arbeit" ist insbesondere auch das Problem der Ausbildungsplätze angesprochen worden. Wenn wir die Entwicklung der letzten Jahre betrachten, dann müssen wir feststellen, daß trotz aller Appelle des Bundeskanzlers nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt wurden. Im vergangenen Jahr hat die Wirtschaft das Lehrstellenangebot weiter reduziert, obwohl es in der Kanzlerrunde die Zusage von seiten der Wirtschaft gab, 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. In diesem Jahr wird es ähnlich sein. Die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit für die neuen Länder meldet zwar einen Zuwachs von Ausbildungsstellen von 1,1 Prozent. Aber zu bemerken ist: Dem steht ein Zuwachs an Bewerbern von 10,3 Prozent gegenüber. Maßnahmen, um diese Diskrepanz zu beseitigen, finden sich in Ihrem Programm nicht. ({6}) In diesem Sinne lautet unsere Forderung, daß die Bundesregierung endlich Vorschläge vorlegt, wie Anreize für Betriebe geschaffen werden, die über ihren Bedarf hinaus ausbilden, ({7}) wie ein Ausgleich geschaffen werden kann zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben oder wie sie eine äquivalente Anzahl an Ausbildungsplätzen, wie sie in den alten Bundesländern vorhanden ist, auch in den ostdeutschen Bundesländern zur Verfügung stellen will. Aber da bleiben sämtliche Vorschläge aus. ({8}) Statt ein Maßnahmebündel für mehr Beschäftigung vorzulegen, plant die Koalition ein massives Herunterfahren der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. - Wir sind wieder in der Situation, daß die Unruhe überhaupt nichts mit der Rednerin zu tun hat, sondern das Ergebnis verschiedener Kleinkonferenzen ist, die zum Teil nicht unterbrechbar sind. ({0})

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn man dieses Herunterfahren auf das Jahr 2000 hochrechnet, bleiben etwa ein Drittel der heutigen Maßnahmen übrig. Wir haben das einmal für das Land Sachsen berechnet: Von den zirka 120 000 Teilnehmern in ABM, Fortbildung und Umschulung würden im Jahre 2000 noch zirka 38 000 Teilnehmer übrigbleiben. Insgesamt ergäbe dieser Abbau - oder die Angleichung der Arbeitsmarktförderung Ost an West - einen Zuwachs von 200 000 bis 250 000, bis fast 270 000 Arbeitslosen, was zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote von 15,2 Prozent auf bis zu 20 Prozent führt. Daß dabei viele sozial- und umweltpolitisch wichtige Projekte eingestellt werden müssen, ist sicher jedem klar. Wir geben aber auf der anderen Seite wieder mehr Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe aus. Sie glauben, daß Sie auf Grund der kürzeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und der Kürzung der Arbeitslosenhilfe Einsparungen haben. Sie vergessen dabei aber die weiteren gesellschaftlichen Belastungen, die durch Arbeitslosigkeit auf uns zukommen. ({0}) Krankheitskosten steigen, psychosoziale Konflikte nehmen zu, es kommt zu Schäden bei Kindern, die zu beheben sehr teuer kommt, und die Jugendkriminalität wächst an. Ein weiterer Punkt ist anzumerken: Auf Grund der schwachen Eigenkapitalausstattung ostdeutscher Betriebe sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute ein weiteres Unternehmenssterben in den ostdeutschen Bundesländern voraus. Das führt dann zu einem weiteren Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Ich möchte das Problem einmal mit Aussagen Ihres Parteifreundes, des Ministerpräsidenten von Thüringen, Dr. Bernhard Vogel, belegen, der gestern im Deutschlandfunk folgendes sagte: Die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland ist ernst. Viele Betriebe sind in einer kritischen VerRenate Jäger fassung ... Wenn man in Deutschland Schnupfen hat, dann haben wir - gemeint ist der Osten schon eine Grippe. Bei uns ist die Situation immer um ein deutliches Stück ernster als im Westen, Jede Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt in den ostdeutschen Bundesländern wird ihre Auswirkungen auf Gesamtdeutschland haben. Ich möchte einmal einen Vergleich zu Ludwig Erhards Ansichten ziehen. Er sah in der Verwirklichung von Gerechtigkeit und Chancengleichheit das soziale und demokratische Element unserer Wirtschaftsordnung. ({1}) Auf den Einigungsprozeß von heute bezogen kann das doch wirklich nur heißen, daß wir uns um die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West weiterhin verantwortlich bemühen müssen. ({2}) Aber was Sie mit der Angleichung der Arbeitsförderung Ost an West planen, ist die Aufhebung des Prinzips von Chancengleichheit und Gerechtigkeit. ({3}) Vielleicht möchten Sie die Angleichung gerne auf dem Papier stehen sehen und sie als Ihren Grundsatz gelten lassen, aber dadurch haben Sie dieses Prinzip noch lange nicht mit Leben erfüllt. Das tun Sie erst mit einer Politik, die wirklich Gerechtigkeit und Chancengleichheit zwischen Ost und West sowie zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten schafft. ({4}) Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu! Es wäre besser für Deutschland. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Renate Diemers, Sie haben das Wort.

Renate Diemers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000388, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor vier Tagen hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsmarktdaten für den Monat Mai bekanntgegeben. Ich denke, wir alle waren und sind darüber bestürzt, daß sich keine Entspannung bei der Arbeitslosigkeit abzeichnet. Ebenso sind wir uns wohl alle darin einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit absolute Priorität hat. ({0}) Zur Analyse der sich verfestigenden Zahl der Arbeitslosen gehört die Feststellung, daß wir einen geographisch geteilten Arbeitsmarkt haben. Die Gründe der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland liegen im Zusammenbrechen ganzer Wirtschaftsbereiche, in denen auch eine hohe Frauenbeschäftigung bestanden hat. Ich nenne hier beispielhaft die Textilindustrie. Ein anderer Grund ist der Wegfall des ehemals mit Personal übermäßig ausgestatteten Staatsapparats. Die Situation in Westdeutschland ist differenzierter. Hier gehört zur Analyse die Feststellung, daß die Zahl der Erwerbstätigen im Zeitraum 1983 bis 1995 um 2,765 Millionen zugenommen hat. An dieser Zunahme sind die Frauen mit 1,976 Millionen Personen - das sind 75,5 Prozent - beteiligt. Also haben in erster Linie die Frauen von der Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen profitiert. ({1}) Das beweisen auch die Zahlen der Sozialversicherungspflichtigen: Hier hat die Anzahl der Frauen im selben Zeitraum um 22,5 Prozent, die Anzahl der Männer jedoch nur um 5,5 Prozent zugenommen. Diese Zunahme wirkt sich bei den Sozialversicherungspflichtigen besonders bei den Teilzeitbeschäftigten aus. Ihre Anzahl hat sich im genannten Zeitraum um 62,5 Prozent erhöht. Das zeigt: Die Teilzeitoffensiven, die vom Deutschen Bundestag gefordert wurden, waren erfolgreich. ({2}) Wir sind uns darin einig, daß Teilzeitbeschäftigung nicht automatisch mit Frauenbeschäftigung übersetzt werden darf. Deshalb sind Wirtschaft und Arbeitnehmer zu ermutigen, Teilzeitbeschäftigungen auch im Produktionsbereich anzubieten und anzunehmen. Wenn dieser Durchbruch gelingt, dann erhält Teilzeitarbeit auch in der Gesellschaft einen anderen Stellenwert. ({3}) Teilzeitarbeit kann der Gesetzgeber nicht verordnen. Wir können jedoch im Interesse von Arbeitsverteilung dafür werben und positive Beispiele benennen. ({4}) Das gilt auch für andere Bereiche: Frauenförderung ist weder das Zauberwort, mit dem sich alle frauenspezifischen Probleme, denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, lösen lassen, noch können wir die private Wirtschaft zur Frauenförderung zwingen. Ich werde nicht müde, dies zu betonen, weil oft - auch heute wieder - so getan wird, als ob in der privaten Wirtschaft Frauenförderung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Voll- oder Teilzeit per Verordnung möglich seien. Natürlich ginge das - ich habe das schon oft hier gesagt -, allerdings setzt das eine andere Gesellschaftsordnung voraus, die wir nicht wollen. ({5}) Ich denke, darin stimmen wir mit allen demokratischen Parteien in unserem Land überein. ({6}) Was wir können, das ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, Ich erinnere daran, daß wir vor zwei Jahren Art. 3 Abs, 2 unseres Grundgesetzes präzisiert haben. Ich erinnere an das Gleichbehandlungsgesetz im bürgerlichen Recht und an das Gleichbehandlungsgebot im Betriebsverfassungs- und im Bundespersonalvertretungsgesetz. Es liegt an uns allen, diese klaren Rechte immer wieder deutlich zu benennen. Das ist wirkungsvoller, als nach neuen Regelungen zu rufen. Zum Bereich Frauenförderung gehören für mich folgende zentrale Punkte: Erstens. Anstatt zu jammern und immer neue Projekte und Modelle zu fordern, muß es gelten, die Firmen und Unternehmen positiv zu nennen, die auf Grund von Tarif- oder Betriebsvereinbarungen eine vorbildliche Frauenförderung betreiben. ({7}) Zweitens. Zur Frauenförderung gehört für mich auch die Feststellung, daß Frauen ihr Selbstbewußtsein deutlich machen. In den letzten Jahren erfolgte jede dritte Betriebsneugründung durch eine Frau. In diesem Zusammenhang sage ich mit allem Nachdruck: Für mich ist die Tatsache unhaltbar, daß es mittlerweile mehr als 700 verschiedene Förderprogramme gibt und, weil es so bequem ist, immer neue Programme gefordert werden. Welche Frau oder welcher Mann kann sich bei dieser Programmflut gezielt von einem Programm angesprochen fühlen, sich selbständig zu machen? Die Folge ist: Es muß, um überhaupt die Fördermöglichkeiten zu kennen, professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. - Dazu sage ich: Diese Art von Arbeitsbeschaffung kann nicht unsere Absicht sein, Drittens. Zur Frauenförderung gehört nach meiner Überzeugung auch, daß reguläre - also sozialversicherungspflichtige - Arbeitsplätze geschaffen werden. Unbestritten besteht in den privaten Haushalten ein erhebliches Arbeitsplatzpotential. Ich frage mich: Warum fällt es vielen von Ihnen so schwer, der steuerlichen Absetzbarkeit dieser Arbeitskräfte zuzustimmen? Zur Frauenförderung gehört für mich auch, daß endlich mit dem bösen Begriff des Dienstmädchenprivilegs Schluß gemacht wird. ({8}) Viertens, Wir alle wissen um die Bedeutung der beruflichen Erstausbildung und um die Ausbildungsplatzknappheit, von der junge Frauen besonders betroffen sind. Deshalb appelliere ich an die Wirtschaft, an jeden Arbeitgeber: Kommen Sie Ihrer Ausbildungsverpflichtung, die Sie im dualen System haben, nach! Sie haben bei verschiedenen Gelegenheiten versprochen, das Ausbildungsplatzangebot bedarfsgerecht zu erhöhen. Ich bitte Sie dringend: Lösen Sie Ihr gegebenes Wort ein! Das wäre ein Signal an die Jugend, das ihr zeigt, was es heißt, Mitverantwortung zu übernehmen. Alle an der Berufsausbildung Beteiligten sind aufgefordert, die jungen Frauen zu ermutigen, sich die Palette der zukunftsbezogenen Berufe zu erschließen. Fünftens. Zukunft - das betrifft besonders den großen Bereich Multimedia. Er wird wesentlich Arbeitsbedingungen, Arbeitsformen und Arbeitszeiten der Zukunft bestimmen. Deshalb halte ich es für unredlich und unverantwortlich, den Frauen einzureden, Teleheimarbeit würde alte Heimarbeitsformen ergänzen. Damit werden den Frauen nicht nur Chancen, sondern wird ihnen auch der Zugang zu hochqualifizierten Berufen verbaut. Dagegen haben die Männer diese Technologien und die Telearbeit längst für sich entdeckt und halten das Feld besetzt. Es muß darum gehen, Frauen zu ermutigen, sich mit neuen Arbeitsfeldern und Arbeitsformen auseinanderzusetzen und sie mitzubestimmen. Darin liegt eine neue Dimension und eine Chance für die Frauenförderung. Meine Damen, meine Herren, mit der 4. Weltfrauenkonferenz wurden klare Positionen bezogen und Forderungen für die Stellung der Frauen in Familie, Beruf, Gesellschaft und Politik aufgestellt. Ich bin davon überzeugt, daß in der Zusammenarbeit aller, die an den Pekinger Beschlüssen direkt beteiligt waren und sind, auch ein Erfolg für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden wird, ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Ulla Schmidt, Sie haben das Wort. - Frau Kollegin, bevor Sie mit Ihrer Rede beginnen, erlauben Sie mir, zu sagen: Es ist ja nun üblich, daß man bei hohen und runden Geburtstagen gratuliert. Aber wenn jemand an das Rednerpult tritt, der gerade Geburtstag hat, ist das anders: Ich darf Ihnen im Namen des Hauses gratulieren. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident! Eigentlich war ich an meinem Geburtstag sehr gut gelaunt und wollte mich heute abend auch mit der Frauenministerin ernsthaft darüber auseinandersetzen, was wir denn jetzt in Sachen Arbeitsförderung tun können. Aber, Herr Kollege Günther, mich hat eben schon erschüttert, mit welcher Arroganz Sie über die Probleme in diesem Lande sprechen ({0}) und wie Sie in einem Aufwasch so mal eben alles weggewischt haben, was hier an Vorschlägen gekommen ist. Mir fiel dabei ein Spruch ein: Das beste Rezept für lebenslange Unwissenheit ist, sich stets mit seinen eigenen Ansichten und eigenen Kenntnissen zufriedenzugeben. ({1}) Ich halte das in der Situation, in der wir sind, für falsch. Ich muß sagen, das Schlimmste, was überhaupt in diesen letzten Wochen passiert ist, ist nicht die Tatsache, daß wir über unterschiedliche Konzepte streiten, wie wir auf die Herausforderungen reagieren und die Probleme lösen können, sondern es ist die Tatsache, daß Sie mit Ihrem Programm und auch mit dem, was Sie eben wieder erwähnt haben, die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Lande, die Bereitschaft von vielen Frauen und Männern in diesem Lande, das Ihre dazu Ulla Schmidt ({2}) beizutragen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und ihren Part zu tragen, einfach mit Füßen treten, anstatt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was an Vorschlägen auf dem Tisch liegt. ({3}) Sie haben nur davon gesprochen, daß unsere Vorschläge die Kosten verteuern. Ich nenne ein Beispiel: Privathaushalte. Ich will jetzt nichts dazu sagen, daß Sie bei dem Antrag offensichtlich nicht mitbekommen haben, daß wir lernfähig sind, weil wir nicht bei unseren Ansichten bleiben, sondern davon reden, daß ein Konzept vorgelegt werden soll, wie haushaltsbezogene Dienstleistungen in abgesicherten Arbeitsverhältnissen in Anspruch genommen werden können. Dies ist kein Dienstmädchenprivileg. Frau Kollegin Schenk, ich wäre froh, wenn wir heute so weit wären, daß die Regierung ein Konzept vorgelegt hätte. Ich teile die Auffassung, daß auch im Bereich der privaten Dienstleistungen Arbeitsplätze zu schaffen sind und daß ein Markt für Dienstleistungen vor allem auch für Menschen besteht, die sich ansonsten diese Dienstleistungen nicht kaufen könnten. Das sind Familien mit Kindern, es sind ältere Menschen. Wir müssen vielfältige Formen finden. Dieses Konzept liegt aber nicht vor. Es liegt einzig und allein vor, daß haushaltsbezogene Dienstleistungen im Umfang bis zu 24 000 DM steuerlich abgesetzt werden können. Wer darin ein Konzept sieht, der tut mir leid. Das sehe ich nicht. ({4}) - Das ist kein Konzept für Arbeitsplätze. Wir müssen uns überlegen, wie -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Böhmer?

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schmidt, es mag sein, daß Sie, weil erst morgen die erste Lesung des Jahressteuergesetzes beginnt, noch nicht zu der Stelle vorgedrungen sind, an der in der Tat über die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltskräften entschieden wird und an der auch niedergelegt ist, daß ein Dienstleistungsscheck in Deutschland eingeführt wird. Das ist etwas, was mittlerweile auch bei Ihnen Zustimmung findet. Wenn Sie ein Konzept fordern, frage ich Sie: Ist Ihnen entgangen, daß die Regierung schon weit über ein Konzept hinaus ist, schon eine konkrete Gesetzesinitiative startet und daß mehrere Projekte in Deutschland in diesem Bereich laufen?

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es laufen wie immer Modellprojekte der Regierung oder auch des Ministeriums. Aber, Frau Kollegin Böhmer, wir beide müssen uns darüber nicht streiten, weil ich weiß, daß Ihr Konzept sehr viel weiter geht, als diese Regierung in diesem Bereich überhaupt vorgehen will. ({0}) Ich komme zu einem nächsten Punkt, den Sie angesprochen haben. Sie haben davon gesprochen, daß das, was wir wollten, staatliche Subventionierung wäre und wir konkurrenzfähige Arbeitsplätze brauchten. Da hätte ich mir einmal gewünscht, daß Sie bei Ihrem ganzen Programm nur einen einzigen Vorschlag gemacht hätten, wie denn in diesem Lande tatsächlich gewährleistet ist, daß gleiche Arbeit auch gleich teuer ist. Wir dürfen keine Wettbewerbsverzerrungen im Einzelhandel und in vielen anderen Bereichen haben, in denen Großketten Menschen ohne Sozialversicherungspflicht arbeiten lassen können, während der Einzelhandel sozialversicherungspflichtig absichert und er dadurch Wettbewerbsnachteile hat. Wo ist Ihr Konzept, daß alle Menschen, die regelmäßig arbeiten, auch die Sozialversicherung bezahlen? Wo sind die Forderungen, daß wir eine soziale Absicherung für diese Menschen vornehmen? Wie kommen wir dahin, daß Menschen sich wieder ihre eigene Existenz auch im Alter erwirtschaften können und nicht auf die Sozialhilfe angewiesen sind, so wie das bei Ihnen der Fall ist? Nichts davon ist da. Das wären Dinge, über die wir reden sollten. Wir müssen darüber reden, wie wir den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze bekämpfen wollen. Wir brauchen Konzepte, wie wir Scheinarbeit und Scheinselbständigkeit bekämpfen. Herr Kollege, das wäre das Modell, wie auch die Schwarzarbeit bekämpft werden kann. Wenn es eine Regierung zuläßt, daß in diesem Land weit über 6 Millionen Arbeitsplätze ohne jede soziale Sicherung sind, läßt sie zu, daß die Schwarzarbeit genau darunter verdeckt wird, statt daß sie bekämpft wird, wie es notwendig wäre. ({1}) Sie haben weiter davon gesprochen, daß Sie mit Ihren Beschlüssen ein „Ausfransen" des Arbeitsförderungsgesetzes verhindern würden. Das hätte ich gerne etwas näher erklärt. Mir kommt die Frage: Was meinen Sie damit? Meinen Sie mit „Ausfransen", daß Sie jetzt die Arbeitsförderungsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildung, Weiterbildung und Umschulung in Ostdeutschland um 10 Milliarden DM kürzen wollen, obwohl die Arbeitslosigkeit dort nicht sinkt, sondern ansteigt? Meinen Sie mit „Ausfransen", daß Sie endlich so weit sind, das Arbeitsförderungsgesetz so zu ändern, daß Frauen, die im Mutterschutz oder im Erziehungsurlaub sind, keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld haben? Herr Kollege Günther, Sie müssen da nicht so schauen. Das ist die Komplexität Ihres Gesetzes. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wenn Sie das Arbeitsförderungsgesetz verschlechtern, wenn Sie die Höhe des Arbeitslosengeldes verschlechtern, und wenn Sie die Zumutbarkeit zurücksetzen, daß dies notwendig ist, weil Sie in diesem Land den Kündigungsschutz aufweichen? Die Aufweichung des Kündigungsschutzes in Betrieben mit Ulla Schmidt ({2}) bis zu zehn Vollzeitbeschäftigten, was auch 20 Teilzeitbeschäftigte sein können - das sage ich an die Frauenministerin gerichtet -, bewirkt doch, daß immer mehr Frauen arbeitslos werden, weil mehr Frauen als Männer in diesen kleinen Betrieben arbeiten. Über 80 Prozent der Beschäftigten arbeiten in den Betrieben, für die Sie den gesetzlichen Kündigungsschutz abschaffen wollen. Frau Ministerin Nolte, ich erwarte nicht viel von Ihnen, aber daß Sie einmal ein einziges Wort zu dieser Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Erwerbstätigkeit von Frauen sagen, hätte ich schon gern einmal gehabt. ({3}) - Was für Chancen für neue Arbeitsplätze, Herr Kollege? Die Chance, daß dann, wenn die Frau Ministerin ihre Projekte und schöne Worte über Vereinbarkeit von Beruf und Familie und flexiblen Arbeitszeiten dahin gehend löst, daß morgen die Frauen im Betrieb gesagt bekommen: Wenn Sie Ihre Kinder betreuen, dann können Sie übermorgen zu Hause bleiben! Diese Verhältnisse schaffen Sie in Deutschland, und nichts anderes. ({4}) Ich will keine Arbeitsplätze in einem Lande, wo die Familien nur noch von Lohn zu Lohn leben können und wo sie nicht langfristig planen können. Der Kündigungsschutz ist eine soziale Errungenschaft in unserem Lande, die ich im Interesse der Arbeitnehmer, aber auch im Interesse der Frauen, denen ich eine gerechte Chance auf dem Arbeitsmarkt verschaffen will, nicht so leichtfertig aufgeben möchte. ({5}) - Sie wissen ganz genau, daß deswegen niemand hineinkommt. ({6}) - Sie wissen ganz genau: Heute sagen Sie, die Schwelle ist fünf, und der sechste wird nicht eingestellt. Morgen erhöhen Sie die Schwelle auf zehn, und da wird der elfte nicht eingestellt. Sie wissen genau, daß nach dem Kündigungsschutzgesetz auch schon heute eine Beschäftigung möglich ist, bei der innerhalb der ersten fünf Jahre eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende besteht. Das haben Sie doch beschlossen. Es ist doch nicht so, als könnte heute nicht betriebsbedingt gekündigt werden. Hier bauen Sie doch einen Popanz auf, um Arbeitnehmerrechte abzubauen. ({7}) Wissen Sie, warum sie die Leute nicht einstellen? Warum machen Sie nicht endlich einen Vorschlag, wie denn die Überstunden abgebaut, verboten oder in Freizeit umgewandelt werden können. Natürlich können Sie das als Gesetzgeber. ({8}) - Da wäre einmal eine vernünftige Handlungsweise dieser Regierungskoalition erforderlich. ({9}) - Es geht nicht um noch mehr Zwang, Frau Babel. Ich sage Ihnen einmal eines. Einer Ihrer Kollegen hat letztens ein Wort gesagt: Lieber befristet arbeiten als langfristig arbeitslos. Wenn sich diese Alternative für Sie so stellt - dies mag ein Grund sein -, dann muß ich sagen: Dies ist nicht der Staat, in dem ich groß geworden bin, und dies ist nicht der Staat mit den sozialen Bedingungen, unter denen ich groß geworden bin, Ich will nicht, daß Menschen in diesem Land so leben. Ich möchte, daß wir in einem Land leben, in dem für beide, für Männer und Frauen, auf dem Erwerbsarbeitsmarkt Platz ist, wodurch beide in der Lage sind, ihre eigene Existenz zu sichern, ({10}) und in den ein Mindestmaß an sozialem Schutz zu einem friedlichen Leben der Familien gehört. Dies alles wollen Sie zerstören. Die Aufweichung des Kündigungsschutzes ist die Wurzel, das ist im Grunde genommen der Kern aller Angriffe, die Sie in der kommenden Zeit auf die Arbeitnehmerrechte führen wollen. ({11}) Auch ich weiß - deshalb hat mich erschüttert, was der Kollege gemacht hat -, daß es den Königsweg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht gibt. Davon will ich gar nicht reden. Aber ich meine, daß es sich angesichts von vier Millionen registrierten Arbeitslosen, angesichts von sechs Millionen Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen, lohnen würde, über jeden einzelnen Vorschlag, der hier eingebracht wird, zu reden, statt ihn pauschal als unsinnig abzulehnen. Wenn Sie keine Gesetze machen wollen: Warum lernen Sie dann nicht von der Frauenministerin des Landes Brandenburg? Dort wird die öffentliche Auftragsvergabe an frauenfördernde Maßnahmen gebunden. Ich sage, das ist ein Schritt, etwas zu tun. Das wird nicht Millionen oder Hunderttausende Arbeitsplätze bringen, aber es bringt Arbeitsplätze. Warum binden Sie in der Strukturpolitik und in all dem, was in Angriff genommen wird, den Einsatz von öffentlichen Geldern - das Grundgesetz gibt Ihnen dazu den Auftrag - nicht an frauenfördernde Maßnahmen? ({12}) Warum nutzen Sie nicht wirklich alle Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung, zum Abbau von ÜberUlla Schmidt ({13}) stunden und zur Einführung von wirklich qualifizierten Teilzeitarbeitsplätzen? Ich hätte mir gewünscht, daß wir in einen Dialog eingetreten wären und darüber diskutiert hätten, was machbar ist und was nicht, und daß Sie ein einziges Mal über Ihren Schatten gesprungen wären und eine Möglichkeit gesucht hätten, wie wir wirklich Arbeitsplätze schaffen können. Eines ist unter allen Experten klar: Ihr Programm wird keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen. Die Experten gehen vielmehr davon aus, daß im nächsten Jahr allein 350 000 weitere Arbeitsplätze vernichtet werden. Das kann nicht der Weg in die Zukunft sein. Vielen Dank. ({14})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Walter Hirche das Wort.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man überlegt, wie man Arbeitsplätze schaffen kann, dann stellt sich die Frage: Woran liegt es, daß wir zu wenig haben? Es liegt daran, daß das Produkt, das mit unserer Arbeit verkauft wird, entweder im Preis oder in der Qualität nicht stimmt. ({0}) Das ist Inhalt der Innovations- und Kostendebatte. Wir unterhalten uns im Augenblick über einen Teilaspekt, nämlich über die Kostenfrage. Es ist völlig klar, daß in diesem Zusammenhang auch die Vorschläge der Regierung stehen, die vielen Zusatzkosten, die die Arbeit belasten, sowohl im Bereich der Abgaben als auch im Bereich der Steuern abzusenken. Ich habe immer gedacht - so habe ich auch die Intervention der SPD verstanden -, daß sie diesen Weg grundsätzlich für richtig hält und daß es den Streit eigentlich darüber gibt, daß die Maßnahmen als solche, aber nicht die Grundrichtung unterschiedlich beurteilt wird. Jetzt sagen Sie aber, daß alle gemachten Vorschläge falsch waren, dabei sagen Sie nicht, wo wirklich Kostenentlastung stattfindet. Ich hatte das Vergnügen, acht Jahre lang Mittelstandspolitik in den Ländern machen zu dürfen. Das geschieht in den Ländern aus größerer Nähe, als das vom Bundestag aus möglich ist. Brandenburg hatte die niedrigste Arbeitslosenzahl von allen neuen Bundesländern. Diese Tatsache hat etwas damit zu tun gehabt, daß wir versucht haben, Flexibilität in größtmöglichem Umfang zu schaden, daß wir versucht haben, den Betrieben zu ermöglichen, Leute einzustellen, aber auch zu entlassen, wenn keine Aufträge mehr da waren. Damit sollte verhindert werden, daß ausschließlich mit dem Instrument der Überstunden gearbeitet wurde, wenn Aufträge da waren. Was wir wollen, ist, daß die Betriebe eine Chance bekommen, dann, wenn Aufträge vorhanden sind, Leute einzustellen, sich aber auch von ihnen ohne große Schwierigkeiten in Zeiten trennen zu können, in denen keine Aufträge da sind; denn sonst gehen die Betriebe kaputt. Auf diese Weise gehen auch die Arbeitsplätze kaputt. Die Auswirkungen der Politik der von Ihnen gerühmten Frau Hildebrandt können Sie in Brandenburg schon heute sehen. Die Arbeitslosenrate steigt im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern viel stärker, als es in der Vergangenheit jemals der Fall war. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Schmidt zur Replik.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen überein. Auch wir sind der Auffassung, daß wir etwas an der Abgabenbelastung ändern müssen und daß selbstverständlich auch wir bei den Arbeitskosten zum Beispiel die Sozialversicherungsbeiträge als ein Problem ansehen. Wir wollen sie senken. Auch dazu haben wir Vorschläge gemacht. Ich sage Ihnen einmal folgendes zu den eben von mir angesprochenen nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen: Laut einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums, also der Bundesregierung, hat allein die Zunahme der ungeschützten Arbeitsverhältnisse 1992 bewirkt, daß den Sozialversicherungskassen für den Bereich Westdeutschland 9,4 Milliarden DM entgegangen sind. Wenn wir jetzt wissen, daß seit 1992 die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse angestiegen ist und auch die aus Ostdeutschland dazukommen, dann lohnt es sich schon, darüber nachzudenken. Ich weiß ganz genau, daß viele kleine und mittlere Betriebe dies auch fordern. Sie sind nicht diejenigen, die fordern, daß wir die nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse beibehalten. Ich kenne Gegenden, in denen der Einzelhandel sagt, sie würden die Forderung nach deren Abschaffung unterstützen, ({0}) weil sie ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch eingeschränkt sehen, daß große Handelsketten heute - das halte ich für einen Skandal - mehr als die Hälfte ihrer Beschäftigten nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigen. So war das damals mit diesen Arbeitsverhältnissen nicht gemeint - das weiß jeder hier in diesem Raum -, sondern es war für kurzzeitige zusätzliche Arbeitsverhältnisse gedacht. ({1}) Ein zweiter Punkt: Wenn ich heute mit kleinen und mittleren Unternehmern und Existenzgründern und - gründerinnen rede - auch das mache ich -, dann ist für sie nicht das Hauptproblem, daß sie den sechsten oder die sechste nicht einstellen. Vielmehr ist ihr Ulla Schmidt ({2}) Hauptproblem die Frage, wie denn unbürokratisch Risikokapital zur Verfügung gestellt wird, damit sie auch über schwere Zeiten kommen können. ({3}) Natürlich fragen sie auch nach Lohnkostenzuschüssen. Das ist das, was der Kollege Ostertag Ihnen eben gesagt hat: Wir haben in diesem Arbeitsförderungs- und Strukturgesetz auch Maßnahmen, um von den bloßen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hin zu einer Vielzahl von Förderinstrumenten zu kommen, die meiner Meinung nach immer noch besser und billiger für den Staat sind, wenn sie eingesetzt werden, um Arbeit zu schaffen, als Unterstützung im ersten Arbeitsmarkt oder als Brücke zum ersten Markt, nicht als dauerhaft subventionierte Arbeitsplätze im zweiten Arbeitsmarkt. Das will niemand. ({4}) Dies kommt die Gesellschaft allemal billiger. Wir haben doch die Kostenexplosion in allen sozialen Sicherungssystemen, weil die Massenarbeitslosigkeit zunimmt und weil wir zuwenig Beitragszahlerinnen und -zahler haben. Deshalb sind alle Maßnahmen, die wir da vorgeschlagen haben, auch dafür gedacht, daß wir diese Zahl erhöhen. Das würde dann genau dem Ziel des Bundes entsprechen, aber es würde eben auch Arbeitsplätze schaffen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Peter Keller.

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten ist das Wort „Bündnis für Arbeit" in aller Munde. Manche haben diesen Begriff auch schon tot gesehen. Aber dieses Bündnis lebt, und es lebt seit Dienstag besonders als Pilotprojekt in Bayern. An sich bedaure ich, daß dieses Bündnis für Arbeit auf Bundesebene - vom Gedanken her sicherlich ein guter Ansatz - auf Grund der nicht ganz realisierbaren Vorstellungen auch von der IG Metall und natürlich auch auf Grund der Anträge, die wir heute behandeln sollen, auf Eis gelegt wurde. ({0}) - Hören Sie doch erst einmal zu! Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, möchte ich einfach einmal fragen, was das gemeinsame Ziel von Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Politik in Bayern ist. Die Vertragsparteien haben die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt gestellt und drei Ziele genannt, nämlich erstens den Beschäftigungsabbau zu stoppen, zweitens die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende des Jahres 2000 zu halbieren und drittens ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot vorzulegen. Diese Ziele können wir sicherlich gemeinsam unterstreichen; in Bayern tun das zumindest auch die Gewerkschaften. Wie sieht nun konkret der Weg aus? Arbeitgeber und Gewerkschaften verpflichten sich, auf beschäftigungsorientierte Tarifabschlüsse hinzuwirken. Das Leitmotiv ist die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ist das Ziel. Anders ausgedrückt: Da sitzen die Arbeitslosen mit am Tisch. Dazu sichert die bayerische Wirtschaft verstärkt Investitionen in Bayern zu. Das ist ganz wichtig für uns, weil wir wissen, daß die Gewinne von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen sind, und das in Bayern. ({1}) - Ich will Beispiele bringen. Worte belehren, Beispiele reißen mit. Das ist ein alter römischer Grundsatz. Davon können Sie noch etwas lernen. Jetzt hören Sie einmal ein bißchen zu. ({2}) Ferner wollen die bayerischen Unternehmer die Teilzeitarbeitsplätze, über die wir heute schon viel diskutiert haben, deutlich erhöhen, weil wir noch ein Stück Nachholbedarf haben. Auch das ist vorbildlich. Warum sollen wir solche Vorbilder nicht einmal zur Kenntnis nehmen? Für den Schulabgänger wird in zumutbarer Entfernung ein Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt. Dazu verpflichten sich die bayerischen Unternehmer in einem Land mit 12 Millionen Einwohnern. Weiterhin sind sich Gewerkschaften und Arbeitgeber in Bayern einig, die Arbeitszeit noch flexibler zu gestalten und die Überstunden durch Ausgleichsmodelle abzubauen. Ich meine, dieses Pilotmodell sollte unsere Anerkennung verdienen. Ich weiß nicht, warum ich so etwas nicht hier im Deutschen Bundestag vortragen kann. ({3}) - Dann ist ja gut. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will etwas an die Adresse der Arbeitgeber sagen: Wenn Arbeitgeber, wie es oft geschieht, ihre Verbände verlassen, dann schwächen sie die Tarifpartnerschaft und natürlich auch das Bündnis und schließlich den Standort Deutschland. Ich persönlich meine: Die Flucht aus Tarifverträgen ist die Flucht aus der sozialen Verantwortung und aus der sozialen Ordnung, in der wir hier leben. ({4}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Politik kann die Rahmenbedingungen nicht allein schaffen. Die Tarifpartner müssen ihre Beiträge dazu leisten. Ich möchte nur drei mögliche Felder, die wir heute oft in Richtung der Regierung diskutiert haben, noch einmal aufzeigen, die gerade für die Tarifvertragsparteien wichtig sind. Erstens der Abbau von Überstunden. Ich frage mich wirklich: Warum sind hier so wenige Erfolge auf diesem Feld zu verzeichnen, wo es über 2 Milliarden Überstunden in der Republik gibt? Zweiter wichtiger Punkt für die Tarifvertragsparteien oder auch für Gruppierungen in den Betriebsräten: Der Abschluß befristeter Arbeitsverhältnisse. Ich frage auch hier: Warum wird die Möglichkeit so wenig genutzt, durch mehr befristete Arbeitsverhältnisse Auftragsspitzen aufzufangen, neue Mitarbeiter einzuführen und vielleicht auch zu testen, um daraus ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu gestalten? Es gilt der Satz, der vorhin schon einmal zitiert worden ist: Lieber befristet Arbeit, als unbefristet arbeitslos. Der dritte Punkt, der hier zu nennen wäre, ist das Stichwort Vermögensbildung. Warum wird in den Tarifverträgen immer nur über Barlohnerhöhungen verhandelt, anstatt den Gedanken des Investivlohns einzubringen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auf eine weitere Tatsache hinweisen. Wir müssen uns die kritische Frage stellen, warum manches Arbeitsplatzpotential, das es gibt, von uns so wenig genutzt wird. Wie kommt es, daß 1995 über 1 Million Arbeitserlaubnisse von Arbeitnehmern außerhalb der EU ausgestellt und genehmigt wurden? Warum ist das so? Könnte es sein, daß wir ausländischen Arbeitnehmern zumuten, was wir deutschen Arbeitnehmern nicht zumuten wollen, zum Beispiel im Hinblick auf Lohn und auf Arbeitsbedingungen? Wenn ich Ihnen das Zitat von Oswald von Nell-Breuning, den wir sicher alle schätzen, vortrage, was er zur Zumutbarkeit sagt, werden Sie vielleicht kritischer nachdenken. Er sagt nämlich: Gerade bei der Zumutbarkeit hat sich das von den Politikern gezüchtete Anspruchsdenken verheerend ausgewirkt und die Solidarität zerstört. Zum Mindestmaß von Solidarität gehört, daß ich anderen nicht zur Last falle, solange ich mir selbst helfen kann. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Keller, ich muß Sie einen Moment unterbrechen. Niemand kann gezwungen werden zuzuhören, aber es wäre doch immerhin möglich, daß man dem Redner zumindest das Gesicht und nicht den Rücken zudreht. - Bitte fahren Sie fort.

Peter Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001079, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich zitiere immer noch den geschätzten Oswald von Nell-Breuning: Solange ich mich durch eigene Arbeit erhalten kann, habe ich keinen Anspruch darauf, mich durch Beiträge anderer erhalten zu lassen, bloß weil ich mich für die Arbeit, die ich finden kann, zu fein dünke. Zumutbar ist jede Arbeit, nach der Bedarf besteht, für die ich die unentbehrliche Qualifikation besitze und die ich ohne Überforderung meiner Kraft leisten kann. Selbstverständlich wird man nach Möglichkeit jedem die seiner Qualifikation am besten entsprechende Arbeit zu vermitteln suchen, aber nach christlicher Überzeugung ist jede Arbeit ehrenvoll und jedem, der sie leisten kann, grundsätzlich zumutbar. ({0}) Man muß dieses Zitat von Oswald von Nell-Breuning, den gerade seine Gewerkschafter sehr schätzen, nicht teilen, aber man muß zumindest zur Kenntnis nehmen, wie er sich über Zumutbarkeit von Arbeit geäußert hat. Deshalb wollte ich uns allen diesen Text wörtliche Zitat einfach vortragen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zum „Bündnis für Arbeit" möchte ich mit einem Zitat enden: Wir brauchen in diesem Lande positive Signale dafür, daß diejenigen, die an hervorragender Stelle Verantwortung für Wachstum und Arbeitsplätze tragen, sich auf gemeinsame Ziele verständigen. Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern vom Vorsitzenden des DGB, Dieter Schulte, allerdings vom Januar dieses Jahres. Ich meine, wir sollten die Hoffnung haben, daß das Pilotprojekt „Bündnis für Arbeit", dieser Beschäftigungspakt in Bayern für viele andere Länder, auch SPD-regierte Länder, ein Beispiel sein sollte. Ich meine, unsere Wirtschaft hat viele Bündnisse auf Landesebene und betrieblicher Ebene notwendig. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem „Bündnis für Arbeit", Drucksache 13/ 4556. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3263 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zu einem „Bündnis für Umwelt und Arbeit" , Drucksache 13/4456. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3613 abzulehnen. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Arbeitsmarktpolitik für Frauen, Drucksachen 13/4479: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3760 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Anerkennung der Arbeit sowie zur Förderung der Beschäftigung von Frauen, Drucksache 13/4479. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3973 abzulehnen. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Hans Klein Der Tagesordnungspunkt 8 ist abgesetzt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch ({0}) - Drucksachen 13/2204, 13/2333 - ({1}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Unfallversicherung für Kinder in Horten und Krippen und den übrigen Tageseinrichtungen für Kinder ({2}) - Drucksache 13/373 - ({3}) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) - Drucksachen 13/4754, 13/4853 - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Grund Konrad Gilges Dr. Gisela Babel Petra Bläss bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/4755 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Einwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien - Drucksachen 13/3540, 13/4337 - ({6}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7}) - Drucksachen 13/4756, 13/4854 - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Grund Konrad Gilges Dr. Gisela Babel Petra Bläss Zum Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sind zu Protokoll gegeben. Dem hat das Haus bereits zugestimmt.*) Der Berichterstatter, Kollege Grund, will, glaube ich, eine Änderung bekanntgeben.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Guten Morgen! Nachdem alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind, muß ich auf einen Druckfehler hinweisen. In der uns vorliegenden Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4754 ist ein Fehler enthalten, den ich gerne korrigieren möchte. Im Zuge der Drucklegung wurde in Art. 1 unter § 129 Abs. 1 die Nr. 7 fälschlicherweise kursiv ausgedruckt, was bedeuten würde, daß sie entfiele. Das ist aber nicht richtig. Nr. 7 bleibt unverändert bestehen. Ich bitte, darüber abzustimmen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, Drucksachen 13/2204, 13/2333 und 13/4754 Nr. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4894 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der vorgetragenen Berichtigung zuzustimmen gedenken, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4754, den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Ergänzung der Unfallversicherung für Kinder in Horten und Krippen auf Drucksache 13/373 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußemp- *) Die Redetexte werden als Anlage 8 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Vizepräsident Hans Klein fehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien auf den Drucksachen 13/3540, 13/4337 und 13/4756. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Ich eröffne die dritte Beratung und Schlußabstimmung. Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({0}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - eine Gestaltungsaufgabe für die Zukunft - Drucksache 13/4703 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({1}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Hierzu sind die Reden ebenfalls zu Protokoll gegeben worden * ; dem wurde bereits vom Haus zugestimmt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4703 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d und Zusatzpunkte 17 und 18: 11. a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes ({2}) - Drucksache 13/1207 - ({3}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) - Drucksache 13/4788 - *) Die Redetexte werden als Anlage 9 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Susanne Kastner Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger b) Beratung der Ersten Beschlußempfehlung und des Ersten Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Susanne Kastner, Joachim Poß, Bernd Reuter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Hochwasserkatastrophe - Hilfen und Möglichkeit vorbeugender Maßnahmen - Drucksachen 13/410, 13/1243 - Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Susanne Kastner Michaele Hustedt Birgit Homburger Dr. Dagmar Enkelmann c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Susanne Kastner, Joachim Poß, Bernd Reuter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gila Altmann ({7}), Michaele Hustedt, Ulrike Höfken und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf und der weiteren Abgeordneten der PDS zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Hochwasserkatastrophe - Hilfen und Möglichkeit vorbeugender Maßnahmen - Drucksachen 13/410, 13/1243, 13/407, 13/ 408, 13/4006 - Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Susanne Kastner Michaele Hustedt Birgit Homburger Dr. Dagmar Enkelmann d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) Vizepräsident Hans Klein - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch - zu dem Antrag der Abgeordneten Susanne Kastner, Klaus Lennartz, Michael Müller ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorsorgender Gewässer- und Trinkwasserschutz in der Europäischen Union - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.62, 13/324, 13/ 3953 Berichterstattung: Abgeordnete Wilhelm Dietzel Susanne Kastner Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger ZP17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann ({10}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abwassereinleitung aus Schiffen in Binnenwasserstraßen - Drucksache 13/4842 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({11}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ZP18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Matschie, Richard Schuhmann ({12}), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sanierung des Wasserhaushaltes in den Lausitzer und Mitteldeutschen Braunkohlerevieren - Drucksache 13/4850 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) Ausschuß für Wirtschaft Für die Tagesordnungspunkte 11a bis 11d sowie die Zusatzpunkte 17 und 18 sind die Reden zu Protokoll gegeben worden * . Dazu bedarf es aber noch der Zustimmung des Hauses. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Zum Wasserhaushaltsgesetz liegt je ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Entschließungsanträgen zur Hochwasserkatastrophe *) Die Redetexte werden als Anlage 10 zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. liegt ein weiterer Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, Drucksachen 13/1207 und 13/4788 Nr. I. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/4890? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4876? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/4849? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Ich eröffne die dritte Beratung und Schlußabstimmung. Jetzt bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen gedenken, sich von den Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4788 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4852. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag der SPD zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Erste Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Erklärung der Bundesregierung zu den Hochwasserkatastrophen, Drucksache 13/1243. Der Ausschuß empfiehlt, die Nr. 2 des Entschließungsantrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/410 abzulehnen und die übrigen Teile einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Vizepräsident Hans Klein Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Entschließungsanträgen der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS zu der Erklärung der Bundesregierung zu den Hochwasserkatastrophen, Drucksache 13/4006. Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 13/410, 13/407 und 13/408 zusammengefaßt in der Ausschußfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4891 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dem Änderungantrag der SPD zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch auf Drucksache 13/3953, Nr. 1. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/3953 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem vorsorgenden Gewässer- und Trinkwasserschutz in der Europäischen Union auf Drucksache 13/3953, Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/324 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 13/4842 und 13/4850 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Besteht darüber das Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a und 12b sowie die Zusatzpunkte 19 und 20 auf: 12. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel, Brigitte Adler, Dr. Ulrich Böhme ({14}), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Mittelmeerpolitik - Drucksachen 13/1964, 13/3037 - b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Weiterentwicklung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksache 13/4581 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({15}) Verteidigungsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Elisabeth Altmann ({16}), Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratische, ökologische und soziale Prioritäten bei der Vertiefung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksache 13/4843 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({17}) Verteidigungsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP20 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Eine kohärente Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksache 13/4868 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({18}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier sind die Reden unter Zustimmung des Hauses zu Protokoll gegeben worden .* ) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4581, 13/4843 und 13/ 4868 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind die Mitglieder des Hauses damit einverstanden? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der . Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Maßnahmen für die grundlegende Verbesserung der Einnahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise ({19}) - Drucksache 13/4597 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({20}) Innenausschuß * ) Die Redetexte werden als Anlage 11 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Vizepräsident Hans Klein Die Reden sind zu Protokoll gegeben. *) Das Haus hat dem bereits zugestimmt. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4597 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. *) Die Redetexte werden als Anlage 12 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 14. Juni 1996, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.