Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/9/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Bundesminister Dr. Waigel und Bundesminister Seehofer hinsichtlich der Veränderungen des Rentenversicherungssystems * ) 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Amke Dietert-Scheuer, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der Opfer des Nationalsozialismus gedenken - Das Holocaust-Denkmal errichten - Drucksache 13/4544 3. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Systematische Erfolgskontrolle von Projekten und Programmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit - Drucksache 13/4120 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Bahr, Ilse Janz, Christel Deichmann sowie weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD: Künftige Ressortforschung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksache 13/4452 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS: Zielgerichtete Ausbildungsförderung - Grundlegende Reform der Studienfinanzierung - Drucksache 13/4553 - 4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mögliche Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Rechtsstaat durch Atommülltransporte nach Gorleben 5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Verbesserung der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR - Drucksache 13/4568 - 6. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Deutsche und Europäische Iran-Politik - Drucksache 13/4545 - 7. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Fünf Jahre deutsche Einheit - Nutzung von in den neuen Ländern vorhandenen Möglichkeiten zur Sicherung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zur Förderung einer umweltverträglichen Entwicklung - Drucksachen 13/1905, 13/3123 - *) In der 103. Sitzung am Mittwoch, 8. Mai 1996, bereits aufgerufen. 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Gernot Erler, Volker Kröning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umfassendes Atomteststoppabkommen - Drucksache 13/4567 9. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gert Weisskirchen ({3}), Brigitte Adler, Dr. Ulrich Böhme ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof zur Frage der völkerrechtlichen Legalität des Einsatzes oder der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen - Drucksachen 13/1879, 13/3661 10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Dr. Helmut Lippelt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue europäische Sicherheitsarchitektur und die Rolle der französischen Atomwaffen - Drucksachen 13/2456, 13/3897 11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Keine Atomwaffentests durch China und Frankreich - Drucksachen 13/2443, 13/4467 12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Dr. Jürgen Meyer ({8}), Michael Müller ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vertragsverletzung des EURATOM-Vertrags durch Frankreich - zu dem Antrag des Abgeordneten Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Frankreich wegen Mißachtung des Artikels 34 Abs. 2 des EuratomVertrags ({10}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Willibald Jacob, Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: EURATOM-Vertrag im Zusammenhang mit den geplanten Atomtests im Mururoa-Atoll - Drucksachen 13/2749, 13/2270, 13/2200, 13/4470 13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({11}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, Dr. Olaf Feldmann, Jörg van Essen und der Fraktion der F.D.P.: Den KSE-Vertrag achten, die Rüstungskontrolle in Europa neuen Herausforderungen anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Gernot Erler, Volker Kröning, Uta Zapf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Abrüstung konventioneller Streitkräfte in Europa: Sicherung und Fortentwicklung des KSE-Vertrages - Drucksachen 13/3711, 13/3134, 13/4565 Vizepräsident Hans Klein 14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({12}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, Claus-Peter Grotz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, Ulrich Irmer, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.: Umsetzung des Übereinkommens zur Abrüstung chemischer Waffen ({13}) - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Abrüstung chemischer Waffen - Drucksachen 13/3231, 13/2595, 13/4569 15. - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Inkraftsetzen der 2. Stufe der Pflegeversicherung - Drucksachen 13/3811, 13/4566 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit ({14})-Drucksachen 13/2393, 13/4566- Zugleich soll - soweit erforderlich - von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Bei Tagesordnungspunkt 6 a, der eine Beschlußempfehlung zu den „Unrechtsurteilen" vorsah, wird entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung nunmehr ein Zwischenbericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung Gegenstand der Beratung sein. Ferner ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 12, Beratung des Antrags der Gruppe der PDS „Soziale Grundsicherung gegen Armut und Abhängigkeit ... ", abzusetzen und statt dessen die Große Anfrage der PDS „Fünf Jahre deutsche Einheit ..." zu beraten. Die Beratung des für Freitag vorgesehenen Tagesordnungspunktes 14 „Expo 2000" soll entfallen. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und b sowie Zusatzpunkt 2 auf: 2. a) Vereinbarte Debatte Mahnmal für die ermordeten Juden Europas b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto Schily, Wolfgang Thierse, Peter Conradi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Holocaust-Denkmal in Berlin - Drucksache 13/3723 ({15}) Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({16}), Amke Dietert-Scheuer, Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Opfer des Nationalsozialismus gedenken - Das Holocaust-Denkmal errichten - Drucksache 13/4544 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({17}) Ältestenrat Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Professor Scholz das Wort.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere heutige Debatte ist richtig und wichtig. Sie ist richtig und wichtig vor allem deshalb, weil jetzt auch der Deutsche Bundestag an dieser Diskussion teilnimmt, die gerade auch im Hinblick auf den Bundestag und seine künftige Heimat wie Repräsentanz in der Hauptstadt Berlin von Bedeutung ist. Richtig und wichtig ist die Debatte auch deshalb, weil nach dem Abschluß der Ausschreibung zum Wettbewerb für das Holocaust-Mahnmal nun rasch eine ebenso verbindliche wie gültige und vor allem überzeugende Entscheidung getroffen werden muß. Mit Recht haben Ignatz Bubis und Jerzy Kanal eine rasche Entscheidung angemahnt, wobei ich vor allem den ebenso klaren wie besonnenen Worten von Ignatz Bubis nicht nur beipflichten, sondern für diese auch danken möchte. Bubis hat davon gesprochen, daß er - ich zitiere - „sich nicht in die Verantwortung als eine Art ,Oberschiedsrichter' stellen lassen" wolle; er hat auf der anderen Seite aber Richtunggebendes gesagt, weshalb ich mit ihm beginnen möchte. Bubis vermeidet - mit Recht - den Begriff „Denkmal" . Es geht um ein Mahnmal, nicht um ein Denkmal oder gar um ein Museum. Mit Recht sagt Bubis, daß „ein Museum etwas Museales ist; es musealisiert die Geschichte", und dies können wir nicht wollen. Musealisierung von Geschichte bedeutet gleichsam Abschließen und auch Abschiednehmen, dies zwar mit dem Anspruch auf Wachhalten und Erinnerung, aber - wie es jeder Musealisierung eigentümlich ist - auch mit einem gewissen Siegel von Abgeschlossensein. Der Holocaust kann für uns Deutsche aber nie ein Stadium von Abgeschlossensein oder ähnlichem erreichen. Er stellt das unverändert schlimmste und unverändert schmerzhafteste Kapitel neuerer deutscher Geschichte dar, ein Kapitel, das unverändert zu Trauer, Scham wie auch Demut, andererseits aber auch immer wieder zur Mahnung, zur verpflichtenden Erinnerung gerade auch gegenüber neuen und jüngeren Generationen verpflichtet. Deshalb kann es nicht urn ein Denkmal, sondern allein um ein Mahnmal gehen, das - wie Ignatz Bubis richtig gesagt hat - zu jenen Schreckensorten wie Auschwitz, Ravensbrück, Sachsenhausen, Bergen-Belsen, Buchenwald hinführt, das das Bewußtsein für das Entsetzen dieser Orte und das mit ihnen ein für allemal manifeste Gedenken mit wachhält. Es geht also um ein Mahnmal, das allerdings - das gilt für diesen Wettbewerb - vor einer vielleicht und letztendlich unlösbaren, zumindest aber vor einer unendlich schwer zu lösenden Aufgabe steht. In der Ausschreibung hieß es, daß „heutige künstlerische Kraft die Hinwendung in Trauer, Erschütterung und Achtung symbiotisch verbinden soll mit der Besinnung in Scham und Schuld" . Die Fragen bleiben: Kann dies künstlerischer Form, künstlerischer Ausdruckgebung eigentlich wirklich gelingen? Kann künstlerischer Ausdruck für etwas gefunden werden, was eigentlich unausdrückbar, unaussprechlich ist? Ungeachtet dessen muß ein Weg gefunden werden, und zwar in der Form, daß eben doch mit künstlerischer Formgebung dem Ausdruck verliehen wird, was eigentlich eher im stummen Entsetzen, in stiller Trauer und Scham verharren will. Salomon Korn spricht deshalb ganz zutreffend vom „verdinglichten, hypostasierten Gedenken", das - auch in die Zukunft gewendet - den ebenso mahnenden und besinnenden wie erinnernden Dialog erhält. Das Holocaust-Mahnmal kann also nicht nur schlichte Erinnerungsstätte, schlichtes Denkmal für Tote oder Ermordete sein, sondern es muß, verbunden mit Erinnerung und Trauer um diese, den ganzen historischen Sachverhalt des Holocaust und dies gerade in seiner nach wie vor von Fassungslosigkeit geprägten Entsetzlichkeit und Unmenschlichkeit aufnehmen, darf also nicht nur erinnernd dokumentieren und repräsentieren. Dazu bedarf es naturgemäß einer Formgebung in Gestalt einer gewissen Abstraktion, was aber andererseits wiederum nicht bedeuten darf, daß lebendige und als solche zu erhaltende Erinnerung verblaßt oder in dann allzu abstrahierender Form zum Quasi-Symbol erstarrt. Oscar Schneider hat es nach meinem Gefühl auf den richtigen Nenner gebracht, wenn er sagt, daß „das Mahnmahl einen radikalen Charakter in sich tragen muß, daß es die primären Ursachen des Verbrechens am jüdischen Volk offenlegen und bewußt machen muß" und daß gleichzeitig „die Steine für die Würde und das Lebensrecht aller Menschen sprechen müssen". Alles dies sind Überlegungen, Reflexionen, über die sorgfältig nachgedacht und im Ergebnis ebenso sorgfältig entschieden werden muß. Diese Entscheidung liegt nicht bei uns, sie liegt nicht beim Deutschen Bundestag. Sie liegt zu Recht in der künstlerischen Autonomie der Jury, bei den Auftraggebern, jetzt maßgebend bei der Bundesregierung und dem Land Berlin. Diese Entscheidung muß rasch fallen. Die Diskussion muß rasch beendet werden. Denn ich fürchte, daß inzwischen auch die Gefahr droht, daß die Diskussion um dieses Mahnmal in Gewässer geraten könnte, die der großen Aufgabe, der Verpflichtung, die sich mit diesem Mahnmal verbindet, im Ergebnis nicht mehr hilft oder gerecht wird, ihr möglicherweise sogar abträglich werden könnte. Damit bin ich allerdings auch schon bei den Empfehlungen der Jury selbst. Der Entwurf von Christine Jackob-Marks hat die meiste Aufregung ausgelöst. Da wird ebenso vom „Symbol der Hilflosigkeit" - Jens Jessen - wie sogar vom „Monstrum" - Pinchas Lapide - gesprochen. Da wird von „Anmaßung" - Hanno Loewy -, von der „monströsen Platte" oder gar „Gigantomanie" - Salomon Korn - oder von einer „Materialschlacht des Eingedenkens" - Friedrich Dickmann - gesprochen. Da wird sogar schon gesagt - Max Bächer -, daß „der ganze Wettbewerb ein Mißgriff war". Alles dies ist sicherlich überzogen, zumindest überkritisch. Im gewissen Sinne kann man aber auch davon sprechen, daß Kritiken dieser Art wiederum auf das ebenso unendlich schwierig zu bewältigende Grundproblem zurückführen, nämlich - wie es wiederum Salomon Korn ausgedrückt hat - „eine Darstellung des Unvorstellbaren" möglich zu machen. Ich will an dieser Stelle auch kein Hehl aus meiner ganz persönlichen Auffassung machen, daß mich der Entwurf von Christine Jackob-Marks nicht überzeugt, wobei es mir weniger um die äußeren Maße als um die Tatsache geht, daß die bloße Nennung der Namen der Opfer des Holocaust zwar trauerndes Gedenken, nicht aber wirklich dialogische Mahnung im vorgenannten Sinne möglich macht. Ignatz Bubis hat mit Recht gesagt, daß „die angestrebte Individualisierung der Namen in millionenfacher Reihung eben jene Anonymität erzeugt, die die Namensnennung gerade aufzuheben versucht" . Deshalb scheint mir der Entwurf von Simon Unger mit den Namen der Vernichtungslager schon eher überzeugend zu sein, weil er dieses Hinführen, das Ignatz Bubis mit Recht betont, sehr viel deutlicher und klarer herausbringt. Aber die nächste Frage lautet - ich zitiere den Kollegen Conradi mit seiner Forderung nach „bescheidenem Trauern" -: Wird Simon Unger dem bescheidenen Trauern gerecht? Das kann man mit Recht ebenfalls anzweifeln. Ich möchte auf das Wort von Oscar Schneider zurückkommen: „Die Steine müssen sprechen". Sie dürfen also nicht verdrängen; sie dürfen nicht plakative Wucht entfalten; sie dürfen den ebenso warnenden wie erinnernden Dialog nicht erdrücken. In dieser Frage muß eine Entscheidung gefunden werden, muß der Konsens gefunden werden. Unsere Debatte heute kann und muß hierzu einen Beitrag leisten. Ich denke, daß der Standort richtig ist. Ich denke aber auch, daß man alle Entwürfe - oder doch einen Großteil der Entwürfe - insgesamt noch einmal in die Prüfung, in die Diskussion aufnehmen sollte. Es sind viele sehr, sehr interessante Ansätze dabei, und wir haben allen Grund, uns auch in diesem Hause nicht nur ein rasches, sondern auch ein gutes Ergebnis in dieser Frage zu wünschen. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Peter Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir reden heute, Herr Präsident, meine Damen und Herren, 51 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der NS-Schrekkensherrschaft, über ein Mahnmal für die ermordePeter Conradi ten Juden Europas - keine leichte Debatte. Das Thema löst in mir - wie in den meisten von uns - Empörung aus, Scham, Trauer und Bitterkeit. Wir wollen uns bemühen, darüber in einer Weise miteinander zu reden, die diesem Verbrechen und seinen Opfern gerecht wird. Unsere Würde gebietet einen unübersehbaren Ausdruck der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden. So unser Alterspräsident Willy Brandt bei der Eröffnung des 12. Deutschen Bundestages in Berlin. Die SPD-Fraktion nimmt die Worte von Willy Brandt auf und legt dem Haus einen Antrag „Holocaust-Denkmal in Berlin" vor, der Anlaß dieser Debatte ist. Wir begrüßen und unterstützen die Absicht der Bundesregierung und des Berliner Senats, zusammen mit dem Förderkreis in Berlin ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Wir halten dieses Mahnmal für notwendig und sinnvoll, weil wir die Erinnerung an dieses Verbrechen in der Hauptstadt Berlin wachhalten wollen. Es ist ein ungewöhnliches Denkmal. Gemeinhin errichten wir Denkmäler für Staatsmänner, verdiente Bürger, für Fürsten, Denkmäler zur Erinnerung an Siege und Niederlagen, Denkmäler für unsere Opfer von Kriegen und Katastrophen. Hier hingegen wollen wir ein Denkmal errichten, das an ein Verbrechen und die Opfer dieses Verbrechens erinnert, welches nicht von Fremden, sondern von Deutschen begangen wurde: die planmäßige, grausame Ermordung der Juden Europas. Das war keine fremde Macht; das waren unsere Landsleute, unsere Nachbarn, unsere Väter und Großväter. Dieses Verbrechen ist Teil unserer Geschichte, und denen, die uns fragen: Warum hört ihr nicht auf mit dieser Diskussion? Warum ist nach 50 Jahren nicht endlich Ruhe?, sagen wir: Wir können uns aus der Geschichte unseres Volkes nicht nur die guten Seiten, nicht nur die Verdienste und Siege heraussuchen - die Niederlagen, die Verbrechen gehören dazu -, so wie man sich aus einer Erbschaft nicht die Guthaben herausnehmen und die Schulden ausschlagen kann. Wer Weimar, wer Goethe und Schiller für sich, für die deutsche Geschichte in Anspruch nimmt, der kann den Ettersberg bei Weimar, auf dem das KZ Buchenwald stand, nicht aus dieser Geschichte löschen. Denkmäler bilden die Vergangenheit, auf die sie hinweisen, nicht ab. Denkmäler spiegeln die geistige, die kulturelle und politische Zeit ihres Entstehens. Das Holocaust-Denkmal könnte eine innere Wandlung unseres Volkes zeigen, auch im Umgang mit unserer Geschichte. Es soll unsere Nachkommen verpflichten, wenn bei uns oder anderenorts Völkermord geschieht, nicht wieder wegzuschauen, sondern sich einzumischen. Das Mahnmal wird keinen Schlußstrich unter die Erinnerung ziehen. Es wird die Gedenkstätten an den Orten des Terrors in Auschwitz, in Buchenwald und in Dachau nicht ersetzen. In diesem Zusammenhang fordern wir die Bundesregierung und die Regierungen der Länder mit Nachdruck auf, die Gedenkstätten an den authentischen Orten des Terrors finanziell und personell so auszustatten, daß sie ihre Aufgabe der Information und Dokumentation dauerhaft erfüllen können. Es wäre doch unglaubwürdig, würden wir in Berlin ein Denkmal für die Opfer des Holocaust bauen und gleichzeitig die Stätten, an denen der Holocaust geschah, verkommen lassen. ({0}) In der Diskussion um dieses Denkmal gibt es ernstzunehmende Stimmen, die jedes Denkmal für dieses Verbrechen als unangemessen ablehnen. Herr Kollege Scholz, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Aufgabe fast unlösbar ist. Wir nehmen diese Stimmen ernst. Gleichwohl ist die SPD-Bundestagsfraktion der Meinung, wir sollten diesen Versuch unternehmen, auch wenn es schwer ist. Andere wollen ein gemeinsames Denkmal für alle Opfer der Nazi-Schreckensherrschaft: für die Juden, die Sinti und Roma, die Homosexuellen, die Zeugen Jehovas und die Geisteskranken. Dafür könnte manches sprechen. Nachdem aber die heute in Deutschland lebenden Juden ein solches gemeinsames Denkmal wegen der Einzigartigkeit des Holocaust - wer wollte ihnen da widersprechen? - überwiegend ablehnen, meinen wir, diese Auseinandersetzung sollte nicht weitergeführt werden. Es ist gut, wenn an anderen Stellen in Berlin anderer Opfer mit eigenen Denkmälern gedacht wird, so zum Beispiel der Sinti und Roma mit einem Denkmal in der Nähe des Reichstagsgebäudes. Die Absicht der Bundesregierung und des Berliner Senats, am 27. Januar 1999, dem Holocaust-Gedenktag, in Berlin den Grundstein zu legen, also in einer Zeit, in der Parlament und Regierung nach Berlin umziehen, begrüßen wir. Die barsche Kritik von Ignatz Bubis daran ist mir unverständlich. Bei allem Verständnis für sein Drängen: Die Diskussion wird vergiftet, wenn den Befürwortern des Denkmals, die anderer Meinung sind, immer wieder unterstellt wird, sie seien in Wirklichkeit gegen das Denkmal. Ähnliches gilt für Lea Rosh, die in ihrem Eifer dem Projekt nicht immer nützt. ({1}) Ihrem Förderkreis und ihr gebühren großer Dank und große Anerkennung für ihre Arbeit. Ich will sie hier nachdrücklich gegen bösartige Anfeindungen in Schutz nehmen, zum Beispiel gegen Rudolf Augsteins infamen Satz, sie sei „allenfalls eine Vierteljüdin" . Dies ist ein Begriff aus der Sprache der Nazis. ({2}) Die Befürchtung, das Denkmal könne zerredet werden - so Eberhard Jäckel -, verstehe ich nicht. Was kann diesem Projekt denn Besseres geschehen, als daß viele Menschen darüber nachdenken und reden? Die Befürworter des Denkmals sollten begreifen, daß die Diskussion über dieses Denkmal Teil unseres gemeinsamen Erinnerns ist und daß sie bei vielen Menschen Emotionen auslöst. Deshalb sollten wir das Gespräch über dieses Mahnmal verständnisvoll und freundlich führen, nicht ausgrenzend, nicht rechthaberisch, nicht gereizt und nicht eifernd. Die SPD-Bundestagsfraktion wünscht und hofft, daß sich in diesem ersten Teil unseres Antrags das ganze Haus einig ist. Wir danken allen, die bisher an dem Projekt gearbeitet haben. Wir ermutigen sie, dieses Vorhaben weiterzuverfolgen. Dazu bieten wir unsere Hilfe an. Im zweiten Teil unseres Antrags fordern wir die Bundesregierung auf, uns über den Stand des Projekts zu berichten und den Deutschen Bundestag in die weitere Meinungs- und Willensbildung einzubeziehen. Ich meine selbstkritisch, wir hätten uns schon lange an dieser Debatte beteiligen müssen. Das Projekt wird immerhin seit acht Jahren diskutiert. Dieses Denkmal ist nicht allein Sache der Exekutiven im Bund und in Berlin und eines Förderkreises. Wenn dies ein Denkmal des deutschen Volkes sein soll, dann muß die Volksvertretung, der Bundestag, dieses Projekt zu seiner Sache machen. ({3}) Wir sollten auch prüfen, ob wir diesem Denkmal nicht eine gesetzliche Grundlage geben und damit jeden Zweifel an unserer Absicht, dieses Denkmal zu errichten, verbindlich ausräumen. Darüber, wie das Parlament beteiligt wird, soll der Ältestenrat mit der Bundesregierung reden. Über das Ob hingegen muß das Haus entscheiden. Dafür bittet meine Fraktion Sie um Ihre Zustimmung. Es wäre gut, wenn die heutige Diskussion in diesem Punkt Einvernehmen brächte. Das wäre dem Tag angemessen. - Soweit unser Antrag. Was ich nun zum Denkmal selbst sage, ist nicht Bestandteil des Antrags; denn Ort und Gestalt des Denkmals sind auch in meiner Fraktion strittig. Das wird bei Ihnen nicht anders sein. Ich spreche in diesem Punkt also nur für mich. Aber ich meine, es ist durchaus notwendig, daß wir hier auch darüber reden, wie wir uns dieses Denkmal vorstellen, was wir von ihm erwarten. Zu dem Wettbewerb lagen 528 Arbeiten vor, acht davon wurden mit Preisen, sechs weitere ohne Dotation ausgezeichnet. Wir haben den Auslobern des Wettbewerbs, den Teilnehmern und dem Preisgericht zu danken. Aber das Ergebnis des Wettbewerbs ist - und mit dieser Kritik bin ich nicht allein - weithin eher enttäuschend. Die Bundesregierung, der Berliner Senat und der Förderkreis sind sich nicht einig darüber, welche Arbeit ausgeführt werden soll. Vielleicht kann die Beteiligung des Bundestages die festgefahrenen Fronten etwas auflockern. Ich halte die Entscheidung des Bundeskanzlers, den einen ersten Preis, die „Grabplatte", nicht zu bauen, für richtig. Die „Grabplatte" ist zu groß, zu gewaltig, zu laut, zu vordergründig. Das Denkmal soll Trauer und Scham ausdrücken; es soll nachdenklich machen. Es muß nicht laut sein; eine leise Sprache ist eindringlicher als hohles Pathos. ({4}) Die Vorstellung, die Größe des Denkmals müsse der Größe des Verbrechens entsprechen, ist banal. Das 53 Meter hohe Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald ist gewiß weit weniger eindrucksvoll als Ernst Barlachs Mahnmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Dom zu Magdeburg. ({5}) Hinzu kommt die verfehlte Bildersprache: Die schräge Grabplatte, das Symbol des auferstandenen Christus, als Mahnmal für die ermordeten Juden? Dazu die Felsbrocken von Massada, der Bergfestung, in der sich im Jahr 73 nach Christus die jüdischen Verteidiger in aussichtsloser Lage am Schluß selbst den Tod gaben, um nicht in die Hände der römischen Belagerer zu fallen. Massada steht in der jüdischen Geschichte nun wirklich für etwas anderes als für den Holocaust. Schließlich der Versuch, die Namen der Toten auf der Platte zu nennen. Aber wir wissen gar nicht die Namen aller Toten. Und in welcher Reihenfolge oder in welcher Ordnung sollten wir sie nennen? Das ist gut gemeint, aber nicht durchdacht. Ich meine, wir sollten den Entwurf „Grabplatte" bei allem Respekt für die Verfasserinnen und Verfasser und für den Förderkreis, der diese Arbeit favorisiert, nicht weiter verfolgen. Das gleiche gilt für den zweiten ersten Preis, einen von riesigen Stahlträgern umfaßten Platz, zu dem man 2,50 Meter emporschreitet. In mir löst das die Assoziation eines „Opferaltars" aus. Aber die Juden waren Opfer eines Verbrechens; sie wurden nicht geopfert. Es ist zu befürchten, daß bei dieser Arbeit wie bei anderen Arbeiten die verwendeten Stilmittel in ihren Dimensionen eher an die Gestaltungsmittel der Täter erinnern. Ich meine, die Demokratie sollte andere Gestaltungsmittel für ihre Trauer finden. ({6}) Was für die beiden ersten Preise gilt, gilt auch für den dritten Preis und für viele weitere Arbeiten: zu laut und zu groß. Doch es ist keine Schande, daß für eine so schwierige Aufgabe im ersten Anlauf, im ersten Wettbewerb nicht gleich die richtige Lösung gefunden wurde. Jede Lösung wird Kritik finden. Aber wir sollten uns doch um eine Arbeit bemühen, die am Ende mehr Zustimmung als Kritik findet. Eine zweite Stufe des Wettbewerbs mit den Verfassern aller 17 ausgezeichneten Arbeiten unter Zuladung weiterer Künstler erschiene mir durchaus sinnvoll. Wir sollten vorher noch einmal gründlich und ernsthaft über Aussage, Inhalt, Ort und Gestalt des Mahnmals reden. Ich begrüße deshalb ausdrücklich Ihre Absicht, Herr Senator Radunski, auf mehreren Kolloquien mit Künstlern, Historikern, Philosophen, Kunstkritikern und Volksvertretern einen neuen Ansatz zu diskutieren. Zwei Punkte sehe ich dabei als besonders diskussionsbedürftig an: erstens den Ort. Der geplante Standort ist stadträumlich ein Niemandsland in einer unsäglich belanglosen architektonischen Umgebung. Vor allem: Er ist zu groß. Möglicherweise war die Größe - 20 000 Quadratmeter; das sind zwei Fußballplätze - die Ursache dafür, daß sich viele Künstler im Maßstab vergriffen haben. Auf einem so großen Platz kann doch nur etwas Monumentales entstehen. Wir sollten deshalb den Standort noch einmal diskutieren. Dies ist nicht nur eine städtebauliche und künstlerische; es ist vor allem eine politische Frage. Ich bin für einen Standort in der Nähe von Parlament und Regierung. Das wäre kein beliebiger Ort, sondern ein Ort der „Vergegenwärtigung" , wie Otto Schily gesagt hat, ein Ort, mit dem wir diese Erinnerung in unsere Gegenwart holen. Und wo könnte die Erinnerung gegenwärtiger sein als in der Nähe von Parlament und Regierung? Zweitens. Ich meine, wir sollten uns darüber verständigen, was wir gemeinsam mit diesem Denkmal wollen. Es geht hier nicht um ein Denkmal für Kunstkritiker, an dem diese nachher vorbeilaufen und sagen: „Ah, ein echter ...!", sondern es geht darum, daß wir ein Denkmal finden, das ausdrückt, was wir wollen, das die Menschen verstehen, ein Denkmal, das spricht, kein stummes Denkmal. Wir sind nicht die Jury eines künstlerischen Wettbewerbs und nicht die Oberschiedsrichter. Aber niemand kann uns verwehren, unsere Erwartungen an dieses außergewöhnliche Denkmal hier darzulegen. Was ich sagen will, wird vielleicht an Beispielen deutlich, etwa an Auguste Rodins „Bürger von Calais" oder Wilhelm Lehmbrucks Plastik „Der Gestürzte" von 1916. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will den Künstlern nicht sagen: So müßt Ihr es machen. Aber ich will Arbeiten nennen, deren Eindringlichkeit, deren Aussagekraft uns Vorbild sein sollten. Die von Käthe Kollwitz 1937 geschaffene Plastik „Mutter mit Sohn", die in der Neuen Wache in Berlin steht, hat Kritik bekommen: Sie passe dort nicht hin, die Bildersprache der um den toten Sohn trauernden Mutter sei der Zeit nicht angemessen, und die Vergrößerung sei falsch. Das alles mag sein. Aber niemand wird der Plastik „Mutter mit Sohn" von Käthe Kollwitz ihre Eindringlichkeit absprechen, ihre Verständlichkeit für die Menschen, die in die Neue Wache hineingehen. Ich will das 1952 von Gerhard Marcks geschaffene Denkmal auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg nennen, eine Figurengruppe, die Charons Fahrt über den Styx mit den Toten im Boot darstellt, eine ernste Arbeit, die Trauer auslöst, oder Ossip Zadkines Denkmal „Die zerstörte Stadt" von 1953 in Rotterdam und noch eine gegenständliche, aber nicht figürliche Arbeit unserer Zeit: den ersten Preis für das Holocaust-Denkmal in Wien - Rachel Whiteread, eine junge englische Bildhauerin, hat die Arbeit entworfen -, einen großen weißen Betonwürfel, eine von innen nach außen gekehrte Bibliothek, verschlossen; von außen sieht man nicht die Buchrücken, sondern die aufgeschnittenen Seiten; das Tor ist zu; eine Bibliothek ohne Zugang. Sigrid Löffler beschreibt die Arbeit als eine „asketische, verschwiegene, buchstäblich introvertierte" Arbeit, reich an symbolischen Assoziationen, wie das Volk des Wortes, das Buch der Bücher, die versiegelte Geschichte. Wir suchen also kein stummes Denkmal, sondern ein Denkmal, das etwas sagt, das die Menschen verstehen. Das ist keine leichte Debatte, habe ich am Anfang gesagt. Aber sie ist weit weniger schwer als die Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu gestalten. Dazu brauchen wir Geduld und Mühe, und es soll uns auch auf etwas mehr Zeit nicht ankommen, wenn wir eine gute Lösung finden. Wir fordern alle, die sich mit diesem Vorhaben beschäftigen auf, die Diskussion über dieses Denkmal ernsthaft und kritisch weiterzuführen, in der Hoffnung, daß wir am Ende gemeinsam eine gute Lösung finden, eine gute künstlerische Arbeit, die uns etwas sagt, die uns traurig und nachdenklich macht, die uns gleichermaßen erinnert und verpflichtet. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Volker Beck, Sie haben das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der gestrige 8. Mai hat gezeigt, wie schwer sich Deutschland mit seiner Geschichte immer noch tut. Auch am 51. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus war im Rechtsausschuß dieses Hauses keine Einigkeit darüber zu erzielen, daß die Verurteilung wegen Desertion aus Hitlers Wehrmacht ohne Wenn und Aber Unrecht war. Wer sich der Beteiligung an Hitlers Krieg entzog, verweigerte auch die Verteidigung von Auschwitz. Bis in die letzten Kriegstage ging der Holocaust weiter. Auf den fürchterlichen Todesmärschen versuchten die Nazis, die systematische Auslöschung der europäischen Juden zu vollenden. Die Deserteure haben sich dem entzogen. Wer so gehandelt hat, hat recht gehandelt. Er verdient den Respekt und die Anerkennung des Deutschen Bundestages. ({0}) Deutschland tut sich schwer mit der Rehabilitierung der überlebenden Opfer, aber auch mit dem Gedenken an die Toten. Es geht darum, aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren, wir wollen Lehren ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind. So Bundespräsident Herzog anläßlich des ersten Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Volker Beck ({1}) Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, diese Forderung Adornos war Leitgedanke unseres Antrags für die heutige Debatte. Das Projekt eines Holocaust-Denkmales steckt in einer Sackgasse. Die kontroverse und bisweilen auch sehr unfaire Diskussion darüber droht das Projekt insgesamt in Frage zu stellen. Es hätte dem Deutschen Bundestag gut angestanden, dieser Initiative schon früher den Rücken zu stärken. Jetzt aber ist es wirklich höchste Zeit, daß sich das Parlament damit befaßt. Bei dieser Debatte ist freilich Behutsamkeit und Zurückhaltung angesagt. Es wäre völlig falsch, wenn sich der Bundestag jetzt als 672köpfige Zweitjury versuchen wollte. Noch fataler wäre es, wenn wir zu der Frage des Ob zurückkehren würden. Das bürgerschaftliche Engagement des Förderkreises um Lea Rosh verdient ausdrücklich unsere volle Anerkennung. Auch wenn wir nicht in allen Einzelpunkten übereinstimmen mögen, sollten wir als Volksvertreter zu diesem Engagement vorbehaltlos ja sagen. ({2}) Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag ist es, einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Die heutige Debatte muß deutlich machen: Der Deutsche Bundestag will über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg im Herzen unserer neuen Hauptstadt ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas errichten. Ein langer politischer Streit über die beste Konzeption birgt die Gefahr, daß das Projekt insgesamt in Frage gestellt werden könnte. Deshalb dürfen wir die Grundlage dieses Projektes nicht mehr zur Disposition stellen. Der Deutsche Bundestag sollte die Bedingungen und Ergebnisse des künstlerischen Wettbewerbes respektieren und an dem vereinbarten Standort festhalten. Die für den 27. Januar 1999 geplante Grundsteinlegung ist unserer Ansicht nach allerdings zu spät. Im Frühjahr 1997 - so ist es geplant - soll die endgültige Entscheidung fallen. Warum sollen wir dann noch zwei Jahre warten? Für diese Verzögerung gibt es meines Erachtens keinen Grund. Das HolocaustDenkmal sollte zum Zeitpunkt des Umzuges von Bundestag und Bundesregierung fertiggestellt sein. ({3}) Die Ermordung der europäischen Juden steht als singuläres Ereignis in der Geschichte. Die Diskussion um den Entwurf von Frau Christine Jackob-Marks hat noch einmal die Schwierigkeiten aufgezeigt, das monströse und unfaßbare Ausmaß des Holocaust künstlerisch zu vergegenwärtigen. Der Versuch, dem Gedenken an die Millionen jüdischer Opfer mit einer Grabplatte einen Ort zu geben, ist als Vorschlag verständlich, hat doch die nationalsozialistische Tötungsmaschinerie den Opfern nicht nur Leben und Individualität geraubt: Das namenlose Töten in den Vernichtungslagern entzog die Opfer auch einem individuellen Totengedenken, dem doch gerade auch im jüdischen Glauben eine wichtige Stellung zukommt. „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein", so spricht Gott beim Propheten Jesaja. Der Versuch, mit dem Namen auf der Grabplatte den einzelnen im Erinnern und Gedenken der Anonymität zu entreißen, scheitert aber schon am schrecklichen Ausmaß des Holocaust. Wenn einige hundertmal der Name Moses Kohn erscheint, wo wird dann das einzelne Schicksal erfahrbar? Wo bleiben bei dem Vorschlag die vielen unbekannten Opfer von Exekutionen auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR? Wo bleibt schließlich das Persönlickeitsrecht, das Angehörige der Opfer mit Recht einklagen? Dieser von der Jury favorisierte Vorschlag von Jackob-Marks wird in seiner ursprünglichen Form wohl nicht realisiert werden können. Aber wir brauchen jetzt ein Verfahren, das den weiteren Weg in dieser Sache beschreibt. Wir haben hierfür einen Vorschlag gemacht. Wir wollen das weitere Verfahren in die Hände eines Gremiums legen, das den Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas, den Zentralrat der Juden in Deutschland, die Bundestagsfraktionen und die Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses sowie die Bundesregierung und den Berliner Senat umfaßt. Wir glauben, so leichter zu einem Konsens zu kommen. Für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus spielen gerade die Orte des Geschehens eine wichtige Rolle. Sie dürfen bei dieser Debatte nicht in Vergessenheit geraten. Sie vor dem Verfall zu bewahren ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die wiederholten Meldungen über den Zerfall der Reste des Lagers von Auschwitz müssen uns alle alarmieren. Sie müssen uns zu gemeinsamen Anstrengungen für den Erhalt der historischen Zeugnisse mobilisieren. Ebenfalls unverzichtbar ist die Zukunftssicherung der bestehenden Gedenkstätten in Deutschland. Diese Gedenkstätten leisten wichtige Dokumentationsarbeit, bemühen sich um die überlebenden Opfer und deren Angehörige, pflegen internationale Kontakte und tragen damit zur Völkerverständigung bei. ({4}) Sie bieten ein Forum für den Dialog der Generationen und betreiben politische Aufklärungsarbeit. Sie ermöglichen es, Lehren zu ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus muß alle Opfergruppen einschließen. Es darf keine Trennung in anerkannte und vergessene Opfer geben. Mit Recht mahnen die Organisationen der Sinti und Roma an, den Völkermord an ihrer Gruppe, an 500 000 Sinti und Roma, nicht beiseite zu schieben. ({5}) Auch in der Bundesrepublik wurde den Sinti und Roma nach 1949 noch viel Leid zugefügt. Es bleibt eine beschämende Tatsache, daß die EntschädiVolker Beck ({6}) gungsbehörden und die Rechtsprechung die rassische Verfolgung der „Zigeuner", der Sinti und Roma, so lange Zeit verharmlost haben. Wir treten mit Nachdruck dafür ein, daß für die ermordeten Sinti und Roma in der Nähe des Reichstages ein Mahnmal errichtet wird. ({7}) Auch die Schwulenverbände haben ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gefordert. Wollte doch die nationalsozialistische Rassenpolitik durch Verfolgung, Vernichtung und grausame Medizinversuche auch die Homosexualität im deutschen Volk „ausmerzen". Dem nationalsozialistischen Rassenwahn sind auch die Behinderten zum Opfer gefallen. Die Schrecken des Euthanasieprogramms und der Erbgesundheitsgesetze müssen uns Mahnung sein, wenn Personen wie diese Woche in Bonn Peter Singer das Lebensrecht von Behinderten angreifen. Auch mit dem Gedenken an diese Gruppen muß sich der Bundestag befassen. ({8}) Die Bundesregierung sollte umgehend mit den Verfolgtenorganisationen Gespräche über Mahnmale in der Nähe des Reichstages auch für die anderen Opfer des Nationalsozialismus aufnehmen. Gedenken muß auch Konsequenzen haben. Der Umgang mit den überlebenden Opfern des NS-Terrors ist ein Prüfstein für die politische Kultur in unserem Land. Noch immer gibt es Menschen, die unter den Folgen der Naziverbrechen leiden und keine oder keine angemessene Entschädigung für ihr Verfolgungsschicksal erhielten, weil ihre Verfolgung nicht anerkannt wurde, wie bei Sinti und Roma, Homosexuellen, Zwangssterilisierten oder Kommunisten; weil sie Antragsfristen versäumten oder weil sie schlicht auf dem falschen Teil der Erde lebten, wie viele Opfer in Osteuropa. Ich meine, die letzte Woche vom American Jewish Committee erhobene Forderung, den Artikel-2-Fund endlich auch auf Osteuropa auszudehnen, verdient die Unterstützung des ganzen Hauses. ({9}) Es kann doch nicht sein, daß Juden aus Ungarn, den baltischen Staaten oder Tschechien erst nach Deutschland, Israel oder in die USA emigrieren müssen, um einen Anspruch auf Entschädigung nach diesem Härtefonds für jüdische Opfer zu erhalten. Es ist einfach empörend, zu sehen, wie auch mitten in Deutschland Menschen mit schweren Verfolgungsschicksalen in bitterer Armut und nicht selten in gesellschaftlicher Isolation leben. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir haben einen Vorschlag für eine Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht" vorgelegt. Wir hoffen, damit zu einem gerechten und würdigen Abschluß in dieser Frage kommen zu können. Die bisherigen Beratungen hierzu lassen allerdings das notwendige Problembewußtsein teilweise etwas vermissen. Wie wir mit den überlebenden Opfern umgehen, daran wird sich die Glaubwürdigkeit unserer Suche nach würdigen und angemessenen Formen des Gedenkens, Erinnerns und Vergegenwärtigens bemessen lassen. Wir brauchen beides: die Fürsorge für die überlebenden Opfer und das würdige Gedenken an die Ermordeten. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in der Tat nicht um eine künstliche oder künstlerische Erinnerung an eine ferne Vergangenheit, sondern um etwas, was in die Gegenwart fortwirkt, was weiterwirkt. Ich weiß nicht, wie viele Menschen gestern an den 51. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges gedacht haben, als die Diktatur, die sich das „Dritte Reich" nannte, durch bedingungslose Kapitulation endete. Es war ein Ereignis, das die Geschichte unseres Erdteils geprägt hat, das seine Landkarte und unser Leben radikal verändert hat. Es gibt ein Buch mit dem Titel „Mensch, der Krieg ist aus", in dem Zeitzeugen wie in einem Kaleidoskop darstellen, wie sie diesen Tag erlebt und wie sie ihn in Erinnerung haben. Manche verschließen sich auch nachträglich der Einsicht in das, was sie erlebt haben. Andere würgt das Entsetzen über das, was sie erlebt, gesehen und jahrelang verdrängt haben. Das „Dritte Reich" war der Rückfall in eine unerhörte Barbarei, natürlich unter Berufung auf angebliche geschichtliche Notwendigkeiten. Es war ein Rückfall, der sich nicht nur aus politischen Fehlern der Weimarer Zeit ergeben hat und der nicht nur wie ein unverschuldetes Naturereignis über uns gekommen war, sondern ein Rückfall, der sich schon am Ende des vergangenen Jahrhunderts angekündigt hatte. Wir haben uns zu Tätern und Opfern machen lassen. Ich habe mich immer über die Formulierung gewundert, die Verbrechen an unseren jüdischen Mitbürgern seien „im deutschen Namen" begangen worden, ({0}) als sei es jemand anders gewesen als wir selbst. ({1}) Das ist ein Teil des Verdrängens. Diese Distanzierung ist unzulässig. Sie verstellt uns den Blick auf die Wirklichkeit. Wir werden uns auch mit den Thesen eines amerikanischen Historikers auseinandersetzen müssen, daß die Ermordung der europäischen Juden nicht so heimlich und nicht so erzwungen begangen wurde, wie es immer wieder dargestellt wird. Wir haben sehr unterschiedliche Erinnerungen. Neben vielen, die nicht wußten, was geschah, gab es viele, die es nicht wissen wollten, und viele, die es wußten und sich nur zu gerne einredeten, es gehe sie eigentlich nichts an. Wir haben uns zu Tätern, Zuschauern und Wegschauern entwürdigen lassen. Die Opfer haben nicht nur einen bitteren Tod erlitten, sondern sie wurden behandelt, als seien sie kein Teil der menschlichen Gesellschaft mehr. Die Opfer waren Deutsche und Europäer, nicht anders als ein jeder von uns. Die Juden Europas haben zur Kultur, Wissenschaft, Kunst und Zivilisation Beiträge geleistet, die das Gesicht Europas prägten und auf die wir heute noch stolz sind. Hannah Arendt, Martin Buber, Sigmund Freud, Otto Klemperer, Lise Meitner, Kurt Tucholsky, Karl Popper, Anna Seghers, Franz Werfel, Stefan Zweig: Jede Aufzählung ist zufällig, willkürlich und unvollständig. ({2}) An unserem Willen und der Notwendigkeit, der Opfer in würdiger Form zu gedenken, kann kein Zweifel sein. Es wird nichts vergessen, und wir wollen es nicht vergessen. Wir müssen darauf achten, daß die Diskussion darüber, wie das Gedenken geschehen soll, nicht als Streit darüber mißverstanden werden kann, ob ein solches Denkmal errichtet werden soll. ({3}) Das ist eine gemeinsame Verantwortung. Es ist auch nur schwer einzusehen - da unterscheide ich mich von Ihnen, Herr Kollege Conradi -, warum die Grundsteinlegung erst 1999 erfolgen kann und nicht schon sehr viel früher. Wir möchten, daß die Entscheidung bald fällt. ({4}) Ich habe immer Schwierigkeiten, wenn der Staat in Entscheidungsprozesse eingreift, die nicht staatlich sind oder nicht staatlich sein sollten, hier in Gestalt des Bundeskanzlers in der Frage der äußeren Gestaltung des Denkmals. Vom Ergebnis her war es allerdings richtig. Die monumentale Platte als Träger aller Namen wäre nicht nur eine Quelle ständiger Auseinandersetzungen schon im Zusammenhang mit den Namen geworden, sie wäre vor allem gewaltig gewesen, wo nicht Gewalt, sondern Mahnung erforderlich ist. Für solche Gestaltungen gibt es Beispiele, wie - das haben Sie erwähnt - die Neue Wache, die aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft gedenkt, oder das Denkmal zur Bücherverbrennung. Es gab auch in den Entwürfen eindrucksvolle Beispiele; ich denke an den Entwurf von Unger. Wir sagen ja zum Denkmal, ja zu dem dafür vorgesehenen Platz, ja zu einer öffentlich erörterten, aber nicht staatlich angeordneten Gestaltung. Auch der Deutsche Bundestag kann über die äußere Gestalt nicht entscheiden, obwohl sich Abgeordnete als Mitglieder der Jury an der Diskussion über die Gestaltung ebenso beteiligen, wie wir das vom Bundesinnenminister und seinen Vertretern erwarten. Wir müssen die Initiatoren des Denkmals dazu ermutigen, auf der Grundlage der bisherigen Entwürfe und unter Beachtung der öffentlichen Diskussion einen neuen Anlauf zu nehmen, um ein Denkmal zu schaffen, das uns mahnt und in dem Gedenken an die Opfer eint. Es sollte keine neue Ausschreibung erfolgen. Es sollte der Versuch unternommen werden, unter Berücksichtigung der wichtigsten bisherigen Entwürfe zu einer überzeugenden Gestaltung zu kommen. Dem kann das Kolloquium, das stattfinden soll, dienen. Wir sollten vor allem gemeinsam darauf achten, daß dieses Denkmal nicht zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung, nicht zum Gegenstand von Streit und nicht nur zum Symbol einer Erinnerung, sondern vor allem zu einer Mahnung wird, sich der Zerbrechlichkeit jener dünnen Schicht bewußt zu bleiben, die wir Zivilisation nennen und die uns von der Barbarei trennt. Man muß das mit einer Bitte verbinden: Es sollte in Zukunft nicht so mühsam sein, die Mittel bereitzustellen, die zur Erhaltung der Gedenkstätten erforderlich sind. ({5}) Vor allem sollte es in Zukunft nicht so mühsam sein, eine Entschädigung für die wenigen Opfer, vor allem in osteuropäischen Ländern, zu ermöglichen, die sich heute alle in vorgerücktem Alter befinden, häufig in ärmlichen Verhältnissen leben und keinerlei Genugtuung erfahren haben, weil sie in Ländern des früheren Ostblocks lebten. ({6}) Diese „Denkmäler" leben, und wir schulden ihnen Hilfe und Respekt. Ihnen können wir helfen, hier können wir etwas tun. Das Denkmal können wir fördern, und wir wollen es ohne Verzug tun. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Ludwig Elm.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe der PDS begrüßt und unterstützt die Initiative der SPD-Fraktion, den Deutschen Bundestag in die Meinungs- und Willensbildung bei der Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas einzubeziehen. Sie schließt sich der im Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen ausgedrückten Erwartung und Bereitschaft an, einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die Errichtung dieses Mahnmals anzustreben. Wir bejahen die Anregung, auch für andere Opfer des Nationalsozialismus - wie Sinti und Roma sowie Homosexuelle oder weitere Gruppen, wie vorgeschlagen wurde - Mahnmale im Umkreis des Reichstagsgebäudes in Berlin zu gestalten. Unsere Debatte soll ein Beitrag zu einer nachhaltigen öffentlichen Diskussion des Vorhabens sein. Am 27. Januar dieses Jahres wurde erstmalig der Gedenktag der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Einen diesbezüglichen Antrag hatte unsere Gruppe im Frühjahr 1995 eingebracht. Mehr als ein halbes Jahrhundert mußte vergehen, bevor solche dauerhaften und unübersehbaren Zeichen des Erinnerns und der Besinnung auf eine bleibende Schuld im Land der Täter und Mitläufer der Jahre 1933 bis 1945 gesetzt wurden oder im Entstehen begriffen sind. Es ist meiner Auffassung nach hier nicht der Platz und auch keine vorrangige Aufgabe, in die Kontroverse um die endgültige ideell-künstlerische Gestalt des Denk- oder Mahnmals einzugreifen. Wir schließen uns dem Appell an die Initiatoren und engagierten Gruppen und Vereine an, bald zu Lösungen zu gelangen, die von einem möglichst großen Teil der Bevölkerung unseres Landes mitgetragen und im Ausland im Sinne der leitenden humanistischen Intentionen verstanden werden. ({0}) Das heutige Thema berührt unmittelbar die gegenwärtige Geschichtsdiskussion und damit verbundene politische Auseinandersetzungen. Wir weisen an dieser Stelle entschieden die jüngsten verleumderischen Angriffe des Vorsitzenden der CSU und Bundesfinanzministers Dr. Theodor Waigel gegen Dr. Gregor Gysi, den Vorsitzenden unserer Bundestagsgruppe, zurück. ({1}) Wer in dieser Weise den Bezug auf die Nazidiktatur und ihre kriminellen Leitfiguren für Angriffe gegen Mitglieder dieses Hauses und gegen den jeweiligen politischen Gegner instrumentalisiert, ({2}) verrät nur, daß er von den eigentlichen Verbrechen des Dritten Reiches nicht recht berührt ist, vom Wissen um und über sie ganz zu schweigen. ({3}) Das sind Verbrechen, wie sie seit gestern in Rom erneut angeklagt werden und sich in der der historischen Wahrheit gemäßen Vervielfachung der menschlichen Vorstellungskraft nahezu entziehen. Die Skrupellosigkeit wird angesichts des Umstandes noch sinnfälliger, daß die Familie des Angegriffenen selbst Opfer politischer und rassistischer Verfolgung durch die Nazis geworden war. Solche partei- und tagespolitisch motivierten Ausfälle bedeuten zugleich, die wirklichen und massenhaften faschistischen Verbrechen in ihrer Unvergleichbarkeit zu relativieren. Das geschieht vom Vorsitzenden einer Partei, deren 83er Ableger unter dem verlogenen Etikett „Die Republikaner" zum aggressiven rechtsextremistischen und rassistischen Potential dieser Gesellschaft gehört. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, verzeihen Sie bitte. Ich weise Sie darauf hin, daß Sie vom Thema schon sehr weit entfernt sind.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich spreche zum Thema, weil sich der Gegenstand, der hier zur Diskussion steht, im Kontext mit der Geschichtsdiskussion in diesem Lande befindet. ({0}) Wir müssen fähig sein, darüber zu sprechen und darüber auch zu streiten. Die Glaubwürdigkeit von Bekenntnissen anläßlich des 27. Januar oder zum künftigen Denkmal in Berlin wird durch einen solchen Umgang mit der deutschen Geschichte und eine derartige tagespolitische Instrumentalisierung erheblich beeinträchtigt. Das wurde in diesem Haus auch bei Debatten zum Zweiten Weltkrieg, zur Rolle der Wehrmacht, zur NS-Militärjustiz und Deserteuren sichtbar. Der Anspruch betrifft auch den heutigen Blick auf Versagen und Schuld gegenüber der nazistischen Vergangenheit nach 1945. In diesem Streit müssen sich beispielsweise die Unionsparteien die Frage stellen lassen, ob die im Jahre 1980 von der KonradAdenauer-Stiftung der CDU herausgegebene Huldigungsschrift für einen Dr. Hans Globke noch ihrem heutigen Traditionsverständnis entspricht. Es geht auch im Kontext der heutigen Erörterung um einen Beamten des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern, der dort als Schreibtischtäter und Mitwisser des Holocaust von 1935 bis 1945 unter dem 1946 in Nürnberg gehenkten Wilhelm Frick tätig war; um den Mitverfasser des NS-offiziellen antijüdischen, völkisch-rassistischen Kommentars zu den einschlägigen Gesetzen der Nazipartei und des Führerstaates von 1935. Es geht um den langjährigen Staatssekretär im Bundeskanzleramt der Ära Adenauer. Mittäter der Nazidiktatur wie Reinhard Gehlen und Friedrich Karl Vialon sowie weitere politische Gefährten vor und nach 1945 würdigten in der Schrift denjenigen, der nach dem Geleitwort des damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens von 1949 bis 1963 „der wichtigste und verläßlichste, bald auch der erste Berater des Bundeskanzlers" war. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, ich rufe Sie zum zweitenmal zur Sache. Wir haben bisher in einer sehr würdigen Form ein für das gesamte deutsche Volk sehr ernstes Thema besprochen. Sie nutzen jetzt die Plattform zu einer sehr vordergründigen parteipolitischen Polemik, die für viele Kollegen besonders deshalb schwer zu akzeptieren ist, weil sie ausgerechnet von Ihnen kommt. ({0}) Bitte sprechen Sie zum Mahnmal.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die parteipolitische Polemik ist durch den Bundesfinanzminister in den letzten Tagen durch Angriffe auf ein Mitglied dieses Hauses eröffnet worden. ({0}) Ich bleibe dabei, daß wir bei dieser Erörterung von dem historischen Hintergrund des Denkmals und seiner Gestaltung nicht absehen können. ({1}) Ich merke an, daß in den nächsten Wochen an den Beginn des Historikerstreits von 1986/87 erinnert wird und daß wir Gelegenheit haben werden, die nächsten Schritte in der Gestaltung von Mahn- und Denkmalen auch im Kontext des Streits um unser Verständnis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu unternehmen und zu angemessenen Folgerungen zu kommen. Abschließend möchte ich bemerken: Wir erwarten ein Denkmal für die verfolgten und ermordeten Juden Europas, das an den in seinem Wesen und in der Erscheinungsform unvergleichlichen Genozid des 20. Jahrhunderts und der Weltgeschichte trauernd und verpflichtend erinnert, das die Aufklärung über Herkunft und Schuld der Täter sowie die Ursachen und die Umstände ihrer zeitweiligen Allmacht und barbarischen Willkürherrschaft fördert und nicht behindert sowie nachwachsenden Generationen Wissen um die Möglichkeiten und Gefahren menschlicher Irrwege und über politisch-geistige Normen und Leitbilder für deren künftige Vermeidung vermittelt. Danke schön. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Staatsminister beim Bundeskanzler, unserem Kollegen Anton Pfeifer.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede, die wir eben gehört haben, war weder dieser Debatte noch dem Thema, um das es geht, angemessen. Sie war schlicht unwürdig. ({0}) Jeder weiß, wie die Partei, in deren Nachfolge Sie stehen, ({1}) mit diesem Thema in der DDR-Zeit umgegangen ist. Deshalb hätten Sie sich besser mit Ihrer eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt, als so zu sprechen, wie Sie das getan haben. ({2}) Meine Damen und Herren, wir haben zuletzt vor drei Jahren im Bundestag eine Debatte über eine zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland geführt; Herr Kollege Conradi hat das angesprochen. Damals ging es um die Gestaltung und Widmung der Neuen Wache in Berlin als Ort des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Die Bundesregierung hat damals erklärt, daß sie zusätzlich zu dem in der Neuen Wache bestehenden Ort des Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft auch die Errichtung eines eigenen Mahnmals für die ermordeten Juden Europas unterstützt. Der Bund wird sich zusammen mit dem Berliner Senat und dem privaten Förderkreis an der Errichtung eines solchen Mahnmals in Berlin beteiligen. Diese Entscheidung gilt. Ebenso steht die Bereitschaft der Bundesregierung außer Frage, für das Mahnmal ein städtebaulich herausragendes Grundstück in der Nähe zum Brandenburger Tor in den ehemaligen Ministergärten zur Verfügung zu stellen. Der Bundeskanzler hat zuletzt am 30. Juni des vergangenen Jahres zum Ausdruck gebracht, daß es das Ziel der Diskussion über die Gestaltung dieses Mahnmals sein müsse, einen möglichst breiten Konsens zu erreichen. Auch darüber besteht heute in dieser Debatte, wie ich sehe, Einvernehmen. Es geht in der Tat um ein Thema, das an den Kern unseres Selbstverständnisses als Nation rührt. Ich denke, wir alle werden unserer Verantwortung in der heutigen Debatte vor allem dann gerecht, wenn diese Diskussion zwar nicht in den Einzelheiten, aber in ihrer Gesamtheit von dem gemeinsamen Willen geprägt ist, Konsens zu finden und auch außerhalb des Parlaments auf Gemeinsamkeit hinzuwirken. Zu dieser Gemeinsamkeit gehört die auch in dieser Debatte wieder zum Ausdruck gekommene Übereinstimmung darüber, daß Deutschland in besonderer Weise Verantwortung dafür trägt, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Wir schulden dies dem Andenken von Millionen jüdischer Männer, Frauen und Kinder, die einem von ideologischem Fanatismus angetriebenen, mit eiskalter technischer Perfektion exekutierten Massenmord zum Opfer fielen. Viele Künstlerinnen und Künstler haben mit der Frage gerungen, ob dieses einzigartige Menschheitsverbrechen überhaupt einer künstlerischen Darstellung zugänglich ist oder ob es nicht angemessener wäre, angesichts dieses unheilbaren Zivilisationsbruchs zu verstummen. Auch das ist zweimal in dieser Debatte angesprochen worden. Theodor W. Adorno hat diesen Konflikt in dem Satz zusammengefaßt, es sei barbarisch, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Dennoch hat es immer wieder - wie ich meine - zum Teil bewegende literarische Versuche gegeben, das Unsagbare auszusprechen. In diesem Geist haben sich im Rahmen des für die Gestaltung des Berliner Holocaust-Denkmals ausgeschriebenen Wettbewerbs über 500 Künstlerinnen und Künstler lange und intensiv mit der Aufgabe auseinandergesetzt, eine künstlerisch angemessene Form öffentlicher Darstellung des nicht Darstellbaren zu finden. Es beschäftigten sich seither viele. Menschen in unserem Land in leidenschaftlichen und sehr grundsätzlichen Diskussionen mit der Frage, wie Geschichte angesichts der schwindenden Zahl der Überlebenden des Holocaust künftigen Generationen vermittelt werden kann. Wenn wir jetzt denen folgen würden, die uns nahelegen, es gebe keine Kunstform, kein Symbol, keine künstlerische Gestaltungsmöglichkeit, mit der die Wirklichkeit des Holocaust angemessen erfaßt werden könne, dann würde man uns anschließend - so fürchte ich - zu Recht den Vorwurf machen, wir hätten mit einer Ausrede vor einer Aufgabe versagt, vor der unsere Generation nicht versagen darf. ({3}) In einem Denkmal kommen dauerhaft immer auch die Wertvorstellungen und das politische, geschichtliche und kulturelle Selbstverständnis der Generation zum Ausdruck, die es errichtet. Gerade deshalb, so meine ich, bleibt es trotz aller Schwierigkeiten, die der Verlauf und das Ergebnis des Wettbewerbs offenbar werden ließen, die Aufgabe unserer Generation, um die künstlerische Gestaltung gerade dieses Denkmals mit dem Ziel eines breiten Konsenses zu ringen. Vielleicht - ich sage das sehr vorsichtig - ist bisher das Instrument des Wettbewerbs als eine strukturierte und organisierte Form dieser gemeinsamen Sache nicht ausreichend genutzt worden. ({4}) Wettbewerbe können vor allem dann, wenn sie mehrstufig konzipiert sind, nicht nur kontroversen Diskussionen Raum schaffen, sondern auch zu gemeinsam verantworteten Ergebnissen führen. Nun bin ich nicht für eine Neuausschreibung des Wettbewerbs. Aber die Bundesregierung unterstützt die Absicht des Berliner Senats, auf der Grundlage der Entwürfe der ersten sieben Preisträger des Wettbewerbs zu einem mehrstufigen Kolloquium einzuladen und dabei auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Abgeordnetenhauses von Berlin einzubeziehen, um ein breites Einvernehmen für die Gestaltung des Denkmals anzustreben. Ich denke, dieses Verfahren wird dazu führen, daß kein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Entscheidung, um die es geht, unberücksichtigt bleibt. Ich will einige dieser Gesichtspunkte nennen, die in meinen Augen wesentlich sind. Für mich sind zunächst wesentlich der Schmerz, die Trauer und die Scham als Ausgangspunkt für die Nachdenklichkeit, mit der wir der Opfer gedenken. Für mich ist weiter wesentlich, daß wir sehr sorgfältig denen zuhören, die uns davor warnen, bei der Gestaltung des Denkmals die Erinnerung an die ermordeten Juden Europas durch routinierte Kunstfertigkeit oder leeres Pathos zu verfälschen. ({5}) Für mich ist auch wesentlich, daß die Gestaltung des Denkmals nicht vor einer authentischen Auseinandersetzung mit der Geschichte ausweicht. Es darf kein Ort entstehen, der den Betrachter zum passiven Zuschauer reduziert. Vielmehr soll er zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der Frage herausgefordert werden, wie Auschwitz möglich war und wie verhindert werden kann, daß sich ein solches Verbrechen wiederholt. Die Mahnung, um die es geht, ist auch die Frage, warum so viele gleichgültig blieben, nicht hinhörten, nicht hinsehen wollten, als die Zeichen der nationalsozialistischen Tyrannei nicht mehr zu übersehen waren, als die Bücher verbrannt wurden, die zu den großartigen Kulturgütern unseres Jahrhunderts zählen, als die Synagogen brannten und jüdische Männer, Frauen und Kinder bis in den Alltag hinein gedemütigt und gequält wurden. Die Mahnung, um die es geht, ist das Bewahren der Sensibilität und der Wachsamkeit gegenüber jenen Haltungen und Einstellungen, die totalitären Diktaturen den Weg bereiten und die sich niemals wiederholen dürfen: dem Verzicht auf den Gebrauch verantworteter Freiheit und der Gleichgültigkeit gegenüber der Verletzung der Menschenwürde, der Menschenrechte und des Friedensgebots. Deshalb ist für mich auch wesentlich, daß in der Gestaltung dieses Denkmals zum Ausdruck kommt, daß Erinnerung nicht nur Emotion ist. Erinnerung muß auch die Vernunft ansprechen, sie muß auch auf das Wissen um die Tatsachen zielen. Heinz Galinski hat vor einigen Jahren zu Recht betont: Das Vergessen zu verhindern ist auch ein wichtiges Mittel, um den Menschen zu Bewußtsein zu bringen, was sie an der Demokratie zu schätzen haben. Herr Bubis hat dieser Tage in einem inzwischen gedruckten Gespräch mit unserem Kollegen Dr. Schäuble auf die vielen und sehr unterschiedlichen Formen hingewiesen, in denen in unserem Land und in Europa an den Holocaust erinnert wird. Er nannte die Gedenkstätten an den Orten des Grauens selbst, also in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, in denen Juden ermordet wurden. Zu nennen sind aber auch die Gedenkstätte im Hause der Wannsee-Konferenz, die Topographie des Terrors in Berlin, die Museen oder die Gedenktafeln an den Orten, an denen früher Synagogen standen. Keine dieser einzelnen Gedenkstätten kann das ganze Ausmaß des Holocaust erfassen; auch das Berliner Mahnmal wird das nicht können. Das Berliner Mahnmal soll und wird daher nicht die konkreten Orte der Verfolgung und der Verbrechen in den Hintergrund drängen oder gar ersetzen. Aber es wird eine ständige Aufforderung an die Lebenden sein, diese Gedenkstätten mit ihren vielen unterschiedlichen Formen des Erinnerns zu pflegen und zu bewahren. Wesentlich zu diesem Erinnern gehört für mich auch, daß wir die Erinnerung bewahren an die wenigen bekannten und die vielen unbekannten Häftlinge, die damals ihren Mitmenschen Kraft zu geben versuchten in all den Qualen, die sie erleiden mußten, und die Erinnerung an die mutigen Menschen, die oft ihr eigenes Leben riskierten, um im Alltag der Diktatur den Verfolgten Zuflucht zu geben. Wesentlich ist für mich also, daß das Denkmal in Berlin dadurch, daß es Erinnerung zusammenfaßt und an herausgehobener Stelle sichtbar macht, uns immer von neuem Veranlassung gibt, den Blick auf uns selbst zu richten, auf die Beweggründe unseres Erinnerns und auf unser Handeln. Die systematische Unmenschlichkeit der NS-Diktatur hatte eine entscheidende Grundlage in der Verhöhnung jeder humanen Werteordnung und in der Zerstörung aller sittlicher Normen. Unser Grundgesetz ist geprägt von den Grundwerten der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Solidarität. Das Bewußtsein für diese Werte unserer Verfassung gilt es zu stärken. Denn je mehr unser Handeln von diesen Grundwerten bestimmt wird, um so mehr wird es auch der Mahnung gerecht, um die es bei diesem Mahnmal geht. Nur so kann dieses Mahnmal ein Ort werden, an dem auch jede neue Generation ihren eigenen Bezug zur Vergangenheit und daraus Anstöße und Kraft für die Gestaltung einer von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden geprägten Zukunft findet. Meine Damen und Herren, ich denke, darum geht es bei den Entscheidungen, vor denen wir auch bei der Gestaltung dieses Denkmals stehen. Deswegen sollten wir uns diesen Entscheidungen auch in diesem Sinn stellen. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Krüger.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 50 Jahre nach dem Holocaust diskutiert dieses Parlament über ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in der Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands. Nicht, daß es in den Städten und Kommunen unserer Republik keine Mahnmale gäbe, die an dieses Verbrechen auf unterschiedliche und berührende Weise erinnern. Gerade in Berlin finden wir diese Plätze: das Mahnmal am Bahnhof Grunewald, die Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel, das Denkmal in der Großen Hamburger Straße, die Steglitzer Spiegelwand und nicht zuletzt die Bibliothek von Micha Ullmann auf dem Bebelplatz. Der Grund dafür, daß sich das deutsche Parlament heute mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin befaßt, liegt in der besonderen Bedeutung des von den Initiatoren vorgeschlagenen Standortes mitten im Zentrum der neuen Berliner Republik, mittendrin zwischen dem Entwurf und der kritischen Rekonstruktion der neu entstehenden Hauptstadt, dem Regierungssitz des wiedervereinten Deutschlands. Meine Damen und Herren, nicht die Repräsentanten des damals noch geteilten und heute glücklicherweise vereinten Deutschlands haben diese Diskussion angestoßen: weder die antifaschistische und, Herr Elm, zugleich auch antisemitische DDR ({0}) mit ihrem Staatssozialismus noch die föderale und demokratische, aber auch in ihrer Geschichtsrezeption ambivalente Bundesrepublik. Es war eine Bürgerinitiative, der ich mit Freunden persönlich zum erstenmal im Winter 1989/90 begegnet bin, die die Idee entwickelt hat. Diese Idee - das kann nicht genug gewürdigt werden - verdanken wir dem Bürgersinn dieser Menschen, die auf besondere Weise und mit großem Nachdruck an den Holocaust erinnern wollen. ({1}) Daß sich dieser Initiative auch Kollegen dieses Hauses angeschlossen haben, darf nicht verschwiegen werden. Ich erinnere an Willy Brandt, an HansJochen Vogel und an Jürgen Wohlrabe. Die aktuelle Diskussion zeigt aber auch sofort die Untiefen, vergegenwärtigt das Unheimliche im Erinnern an den Holocaust. Ich darf Gottfried Benn zitieren: Ich trage dich wie eine Wunde/ auf meiner Stirn, die sich nicht schließt./ Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt/ das Herz sich nicht draus tot./ Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre Blut im Munde. Dem Heidelberger Erinnerungsforscher Jan Assmann zufolge leben wir gleichsam in einer Art Auslaufmodell von Erinnerungskultur. Er prophezeit uns, daß nach etwa 80 bis 100 Jahren aus der vorrangig kommunikativen Erinnerung, in der wir noch auf Zeitzeugen und unmittelbare Spuren stoßen, eine kulturelle Erinnerung wird, die sich, auf Dokumente gestützt, zunehmend und sukzessive Denkmälern und Riten bedient. Etwa in der Halbzeit dieses Zeitraumes, so Assmann, beginnt ein TransformationsThomas Krüger prozeß, der, wenn man so will, die kalte Erinnerung einläutet. Ich glaube, daß wir gerade dieser Phase besonders sensibel begegnen müssen; denn, wie die Geschichte zeigt, beginnt mit der Zeit der kalten Erinnerung der Rituale immer auch eine Zeit der Entsorgung und des Ablaßhandels, um die Gedanken von Ingo Arend in der „taz" aufzugreifen. Völlig zu Recht kritisiert er diese diffuse Erinnerungskultur, auch der Regierenden unserer Tage, und erwähnt beispielhaft die Entscheidung um die Neue Wache und die Diskussion um den 20. Juli. Dem Bürger, dem Betrachter oder dem User - um an den Jargon der Mediengesellschaft anzuknüpfen - wird die Umgehung und die Auslassung gleich einem Mausklick leichtgemacht. Meine Damen und Herren, in der Sache bin ich anderer Auffassung als mein Fraktionskollege Peter Conradi, vor allem was den Standort betrifft. Ich begrüße aber, daß der Deutsche Bundestag auf diese sehr kontroverse Debatte über die Entscheidung der Jury reagiert. Wir können hier zwar keine Entscheidung hinsichtlich der künstlerischen Qualität treffen; aber es gehört sehr wohl zu den vornehmen Aufgaben dieses Hauses, eine solche Diskussion um die Zukunft des Berliner Regierungsviertels, um die Zukunft der neuen Berliner Republik konstruktiv und kritisch zu begleiten und hierbei zugleich darauf zu bestehen, daß die gegebenen finanziellen Zusagen eingehalten werden. Spät greift das Parlament diese Diskussion auf, aber ich meine, nicht zu spät. Lange hatte die Initiative um Lea Rosh und Eberhard Jäckel um den Durchbruch in der Sache gerungen. Dann sind die Impulse im tagespolitischen Rauschen zunächst verklungen und haben schließlich einen langwierigen Klärungsprozeß durchgemacht, an den ich erinnern will, in dem auch die Frage diskutiert worden ist, ob nicht alle Opfergruppen berücksichtigt werden müßten. Nachdem jedoch die Initiative, der Senat und die Bundesregierung als Auslober des Wettbewerbs zu einer Juryentscheidung gelangt waren, ging der Streit erst richtig los. Viele haben sich erst dann zu Wort gemeldet, und viele haben auch zu Unrecht, wie ich meine, die Vorwürfe auf die Initiative konzentriert. Das finde ich nicht immer angemessen und gerecht. ({2}) Aus heutiger Sicht muß aber den Auslobern insgesamt - hierzu gehört auch die Initiative - die Frage vorgelegt werden, ob nicht die Ausschreibungsbedingungen die Ergebnisse, die uns vorliegen, zu einem erheblichen Teil mit verursacht haben. Wenn Henryk Broder in seiner bissigen Art die „Deutschmeister des Trauerns" geißelt, trifft er auch das Kampfgericht dieser Meisterschaften. Nun wird hieraus allenthalben die Konsequenz gezogen, der Ort eigne sich nicht für dieses Mahnmal, ein neuer Standort müsse her, vornehmlich der Platz der Republik vor dem Reichstag. Ich halte das Argument, daß dort, wo Passanten und Touristen vorbeikommen, wo das Parlament sich aufhält, der bessere Ort sei, nicht für schlüssig. Das Parlament neigt dazu, sich zuweilen wichtiger zu nehmen, als es tatsächlich ist. ({3}) Ein solches Mahnmal wird vielmehr erst recht nach der breit geführten öffentlichen Diskussion ein aktiv aufgesuchtes Ziel für die Besucher des Regierungsviertels werden, und schließlich ist es nur ein paar Schritte vom Brandenburger Tor entfernt. Diesen Ort als unbedeutend hinzustellen halte ich für ungerechtfertigt. Es handelt sich um einen durchaus qualifizierten Standort - in der Nähe der ehemaligen Reichskanzlei gelegen, auf dem Todesstreifen zwischen Ost und West, mitten auf der schief vernarbten Wunde der letzten Jahre. Hier in Berlin kann und muß es ohnehin eine provozierende Erinnerung an die Täter geben, nicht nur und nicht in erster Linie ein Mahnmal der Opfer. Erst recht nicht geht es um ein Holocaust-Museum, das zuweilen ins Spiel gebracht wird. Die Mahnmale, die Monumente haben wir längst, nämlich die Konzentrationslager, für deren würdige Erhaltung die öffentliche Hand immer noch zu wenig aufbringt. ({4}) Diese Gedenkstätten werden leider behandelt und ausgestattet, als seien es Friedhöfe. Das empfinde ich als unwürdig. Wir müssen deshalb fraktionsübergreifend über eine Initiative nachdenken, wie wir die Gedenkstätten in unserem Lande, wie wir die Gedenkstätten überhaupt vernünftig ausstatten und nicht dem Vergessen preisgeben. ({5}) Beim Berliner Holocaust-Mahnmal aber geht es um ein Mahnmal, das ein Stachel im Fleisch der Täter inmitten ihrer Hauptstadt sein soll, und auch die Täter haben ihre Geschichte. Das ist nicht nur eine Geschichte, wie sie sich im Parlament spiegelt; es ist auch eine Geschichte des Alltags, und dieser hatte in den letzten Jahrzehnten seinen grausamen Abgrund im Todesstreifen. Auch hierin könnte der zukünftige Standort als Ort des Erinnerns an Bezugspunkte anknüpfen. Ich nenne hier nur die Akademie der Künste am Pariser Platz, die an das Gelände anschließt und heute die Archive vieler großer Künstler birgt, an denen sich der Nationalsozialismus schuldig gemacht hat. Hier setzt sich die Erinnerung und Dokumentierung fort. Wenn Sie, Herr Radunski, sich in Ihrer Funktion strecken, kann es zum Beispiel gelingen, das Arnold-Schönberg-Archiv an diesen Ort zu bekommen. Berlin und die Akademie haben sich auch durch die damalige Verjagung Arnold Schönbergs an ihm schuldig gemacht; jetzt können Sie ihn wieder einladen, und ich frage Sie: Ist nicht dieses kulturelle Gedächtnis der Akademie ein hervorragender und herausragender Bezugspunkt auch für das Holocaust-Denkmal? Deshalb bin ich der Überzeugung, daß eine Weiterentwicklung des Wettbewerbs die räumlichen Bezugspunkte viel stärker berücksichtigen muß. Die Experten werden sich mit Stadtplanern zu beraten haben, denn die Größe des Grundstücks verführt zur Monumentalität. In diesem Punkt stimme ich Peter Conradi ausdrücklich zu. Dieser Vorwurf ist oft als übertrieben abgewiesen worden, aber man muß ihn ernst nehmen und den Zuschnitt des Grundstücks oder seine Beplanung möglicherweise modifizieren. Die Monumente, meine Damen und Herren, sind die Konzentrationslager selber. Sie sind als reale Orte der Ereignisse der Berührung durch kein Mahnmal zu überbieten. Kein Mahnmal fände den endlichen Ausdruck, die endliche Größe für dieses unendlich schreckliche Verbrechen. Das künstlich Monumentale hat entsorgenden Charakter. Es versperrt das Nachdenken, es verstellt das Grauen des nationalsozialistischen Alltags und bringt es zum Verschwinden. Ich will mit aller Zurückhaltung auch die Frage aufwerfen, ob mit den bisherigen Entwürfen nicht eine falsche Zeichensprache gewählt wurde. Ein Mahnmal, das die Täter konfrontieren und erinnern will, das sprechen und aufrütteln will, kann doch nur schwer an die Ästhetik der Denkmale seit dem letzten Jahrhundert anknüpfen. ({6}) Denn allzuleicht geht der Zeitgenosse in die Falle, die Stilmittel der Täter aufzugreifen. In diesem Zusammenhang will ich auch die geplante Nennung der Namen problematisieren. Zum einen erinnert sie an die Gestaltung deutscher Soldatendenkmäler mit ihrer Aufzählrhetorik - ich halte das für ein Problem -; zum anderen haftet dieser Geste aber zugleich - das ist mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig - eine Art bürokratischer Akt an. Ich glaube, daß man mit dieser Aufzählung unendlich viele Detailprobleme aufwirft. Was macht man mit den Namen, die zusätzlich aufkommen? Sind die Namen richtig geschrieben? Sind die Nachkommen überhaupt gefragt worden, ob die Namen aufgeführt werden dürfen? Ich halte das alles für sehr problematisch und meine, daß diese Aufzählung der Namen etwas Anmaßendes an sich hat, eine Art absolutionsheischende Vollständigkeitssehnsucht ist, die ablenkt und nicht verwickelt. ({7}) Vielleicht hilft es, sich in diesem Zusammenhang assoziativ das Bilderverbot bzw. die Geschichte vom goldenen Kalb vor Augen zu halten. Wir werden gewarnt, uns von dem Unglaublichen ein Bild zu machen. Ein Bild stirbt, es wird zum Ritual, zur Ablenkung. Wir wissen aber auch, daß ein Bildnis, eine Fixierung, die sich auf das Ganze bezieht, uns nicht mehr ruhig schlafen lassen. Das Hamlet-Gespenst kommt gnadenlos wieder und verfolgt den Täter. Wer Trauerarbeit wachhalten will, muß offenbleiben, aufmerksam sein und die Geschichte wachsen lassen. Walter Benjamin hat den Erkenntnisgewinn einmal im Zusammenhang mit dem Erwachen aus dem Schlaf und dem Erwachsenwerden gedeutet. Die plötzlichen Eindrücke und Bilder, auch die Alpträume, müssen sich im Grunde immer wieder, und zwar täglich, in die Erfahrung des älter werdenden und Geschichte machenden Menschen einschreiben. Vor diesem Hintergrund scheint mir eine andere als die bisherige Semantik für das Holocaust-Denkmal notwendig. Wir müssen uns Zeit lassen. Ich plädiere eher für „work in progress", damit das Holocaust-Mahnmal wirklich Kristallisationspunkt des Nachdenkens bleiben kann. Die grundsätzliche Entscheidung muß aber getroffen werden. Wir dürfen uns keine Verschiebung leisten. Eher können wir es vorziehen, Entscheidungen zu treffen. Wenn Täter ihren Opfern und wohl auch sich selbst ein Mahnmal schaffen, haben sie eine dauernde Aufgabe, ihre Inszenierung zu prüfen; denn alle Denkmale zersetzen sich als Solitäre und werden reinterpretiert. Lassen Sie uns deshalb den bisherigen Weg fortschreiten. Die Kompetenzen, gerade auch der künstlerische Sachverstand bei der Erschließung von Räumen für das Erinnern, sind noch nicht ausgeschöpft. Wir brauchen keinen neuen Standort; wir brauchen aber eine neue Offenheit in der Diskussion.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich bezweifle, daß die Beschränkung auf die ausgewählten Preisträger zu einem adäquaten Ergebnis führen wird. Wir bitten deshalb darum, die Entscheidung auch hinsichtlich der Kolloquien noch einmal zu überdenken. Ich hoffe, daß wir dieses Mahnmal in großer Einmütigkeit unterstützen. Wir brauchen eine ausführliche Reflexion. Wir wollen aber keine Entsorgung unseres kulturellen Gedächtnisses. Das haben wir weder nötig noch verdient. Erst recht sind wir es den Opfern schuldig. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen, Sie haben das Wort.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ignatz Bubis hat uns, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, gestern zur Zurückhaltung ermahnt. Er hat gesagt, wir könnten allenfalls darüber befinden, ob und wann das Mahnmal kommt. Zur Gestaltung können und sollten wir uns nicht äußern; das ist wohl richtig. Ich habe auch nicht vor, dies zu tun. Ich meine aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir sind es uns selbst schuldig, vor allem aber den jungen und kommenden Generationen, daß der Deutsche Bundestag zu dem geplanten zentralen Denkmal in Deutschland Stellung bezieht, daß wir sagen, was uns im Zusammenhang mit diesem Mahnmal bewegt, das für Deutsche so schwierig ist. Es ist so schwierig, weil es an jene Vergangenheit erinnert, die nicht vergeht. Das Mahnmal für die ermordeten Juden in der Mitte Berlins wird daran erinnern, wie schwer sich beide deutsche Staaten getan haben, die Opfer zu betrauern, und wird die Tatsache nicht verdrängen, daß es zahllose Täter gegeben hat. Wie schwer haben wir uns getan, uns dazu durchzuringen, die NichtTäter, die Männer und Frauen des Widerstands - auch des alltäglichen Widerstands - der nachwachsenden Generation als tröstliche Leitbilder zugänglich zu machen! Meine Damen und Herren, der Wunsch nach Setzung eines Denkmals stößt immer und immer wieder auf die Frage, wie es geschehen konnte, daß Millionen Deutsche die Augen vor der allmählich, aber unablässig fortschreitenden Diskriminierung, Entrechtung, Ausgrenzung bis zur physischen Vernichtung ihrer jüdischen Nachbarn und Mitbürger verschlossen haben. Die Nazi-Erlasse nach der Machtergreifung 1933, das November-Pogrom 1938, die Schikanen und die ständigen Unrechtserlasse, die sich anschlossen, fanden nicht im verborgenen statt. Ab 1938 durften jüdische Kinder keine öffentlichen Schulen mehr besuchen. Sie durften nicht in Parkanlagen oder auf Grünflächen spielen. Juden durften nicht mehr in die Badeanstalten. Sie konnten nicht mehr Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes sein. Ab 1939 durften sie nach 8 Uhr abends nicht mehr ihre Wohnungen verlassen, im Sommer nach 9 Uhr abends. Ihre Telefonanschlüsse wurden von der Post gekündigt, später wurde es denen, die den gelben Stern tragen mußten, untersagt, Haustiere zu halten, zum Friseur zu gehen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Den Blinden wurde schließlich verboten, Armbinden zu tragen. Meine Damen und Herren, nicht allein die Greueltaten, auch diese schamvolle Lähmung des Bewußtseins und des Anstandes, das massenhafte Mitläufertum, das die Vernichtung vorbereitet und ermöglicht hat, sind es doch, was uns bis heute verfolgt und es uns so schwermacht. ({0}) Das Buch von David Goldhagen ist hier schon angesprochen worden. Es wird uns wieder sehr schmerzlich an diese Dinge erinnern. Unser Wunsch ist es, daß es keine neue Diskussion über den Standort gibt. Wir möchten auch keinen neuen Wettbewerb ausgelobt wissen. Wir halten den Plan, die Grundsteinlegung erst für 1999 vorzusehen, für nicht richtig. Das ist zu spät. Ich bezweifle, ob die Vorstellung einer Aneinanderreihung von diversen Kolloquien richtig ist. Ich weiß nicht, ob das neue Erkenntnisse bringen kann. Ein Kolloquium, das den Künstlern eine Idee geben könnte, mit welchem Ziel sie ihre Entwürfe weiter bearbeiten sollen, das kann ich mir vorstellen. Danach aber muß entschieden werden. Ein Mahnmal zur Erinnerung an die millionenfache Ermordung der europäischen Juden ist etwas anderes als die authentischen Orte des Grauens. Das haben andere Kolleginnen und Kollegen schon gesagt. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese Gedenkstätten erhalten bleiben, daß sie nicht geschändet werden, daß keine Supermärkte dort errichtet werden. Ohne diese Bemühungen wäre dem Berliner Mahnmal die Glaubwürdigkeit genommen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Berliner Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten, Peter Radunski, das Wort. ({0}) Senator Peter Radunski ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche als Kultur-, Wissenschafts- und Forschungssenator. ({2}) Ich begrüße es, daß der Deutsche Bundestag heute diese Debatte, die für unsere nationale Identität so wichtig ist, führt. Denn das Mahnmal ist keine lokale Berliner Angelegenheit, sondern eine nationale Aufgabe des Gedenkens und Erinnerns. ({3}) Im Auftrag der Auslober übernimmt Berlin die Federführung in dem sich jetzt anschließenden Klärungsprozeß. In dieser Funktion spreche ich zu Ihnen. Die drei Auslober des Wettbewerbs - die Bundesregierung, der Senat von Berlin und der Förderkreis als bürgerschaftliche Initiative - haben gemeinsam beschlossen, im September ein mehrstufiges Kolloquium mit klar eingegrenzter Thematik zu eröffnen und auf seiner Grundlage in etwa einem Jahr endgültig zu entscheiden. Der Bau soll spätestens am 27. Januar 1999, also am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, beginnen. Vielleicht geht es ja auch schneller, aber wir setzen uns nicht unter Zeitdruck. Wir setzen uns einen klaren Zeitrahmen; den wollen wir einhalten und auch nicht weiter ausdehnen. Senator Peter Radunski ({4}) Vor fast einem Jahr forderte der Herr Bundeskanzler eine breite öffentliche Diskussion über die Ergebnisse des Wettbewerbs für ein nationales HolocaustDenkmal in Berlin. Dieses vergangene Jahr war keine verlorene Zeit, meine Damen und Herren; die öffentliche Diskussion war in weiten Teilen beachtlich - in ihrem Ernst und in ihren Einsichten. Deshalb sehen wir jetzt klarer. Insbesondere sehen wir heute deutlicher als vor zwei Jahren, wo noch Klärungsbedarf besteht. Gerade deshalb war der Wettbewerb erfolgreich, ja sogar unbedingt notwendig. Zum Erfolg des Wettbewerbs gehört ja gerade auch die kritische öffentliche Diskussion im nachhinein. Ich betone: Die zum Teil heftige Diskussion ist für mich nicht eine Störung bei der Realisierung des Mahnmals, sondern Ausdruck und notwendiger Bestandteil des Bemühens um angemessenes Erinnern. ({5}) Denn der Sinn des Gedenkens an die Opfer des Holocaust ist ja nicht allein, daß sich einige Experten der Jury auf eine unanfechtbare künstlerische Lösung einigen, sondern der Sinn ist mindestens ebensosehr die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust und die Verantwortung der Deutschen für das Erinnern, wie es der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel vor einigen Jahren im Berliner Reichstagsgebäude formulierte. Gerade diese Auseinandersetzung macht das Gedenken aus, gerade das Ringen um die rechte Form verleiht dem Gedenken ein größeres Gewicht, als es ein einträchtiges und problemfreies Ritual je erreichen könnte. Ich finde, mit dieser Diskussion hat das Mahnmal bereits zu leben begonnen. Die öffentliche Debatte ist aber nicht abgeschlossen. Die Argumente müssen gesichtet und gewichtet werden, die Standpunkte integriert werden - kurz, aus den zahlreichen Monologen muß jetzt ein Dialog werden. Wir brauchen ein Forum, das die Debatte stärker als bisher strukturiert und den Auslobern eine kompetente Entscheidung möglich macht. Herr Minister Pfeifer, die Abgeordneten Scholz, Conradi und Hirsch haben ja eine ganze Reihe von Problemen angesprochen, die dabei erörtert werden müssen. Ich füge einige hinzu: die Bedeutung des Standorts in der historischen Topographie Berlins und im öffentlichen Raum von morgen; die Auswirkungen aktueller Planungen auf den Standort und das Mahnmal; die Rolle des Holocaust-Mahnmals im öffentlichen Raum Berlins; die städtebauliche Eingliederung des im Grunde nicht Integrierbaren. Die Vereinbarkeit von Mahnung an das Verbrechen, die Täterhaftung und das Gedenken an die Opfer, Unterschiede zwischen dem Denkmal und den authentischen Orten des Verbrechens - das ist hier mehrfach zum Ausdruck gebracht worden - und des Leidens, die KZ-Gedenkstätten und kulturelle Möglichkeiten und Grenzen von Denkmalen sind ebenfalls anzusprechen. Vor allen Dingen aber müssen wir - das hat der bisherige Wettbewerb gezeigt - nach meiner Meinung ein angemessenes Verhältnis von Abmessungen und Inhalten finden. Das Problem der Größe und der Dimension muß ausdrücklich angesprochen werden. Der geplante Standort für das Mahnmal soll erhalten bleiben - südlich der Behrenstraße, in den ehemaligen Ministergärten. Die Auslober halten dieses Gelände südlich des Brandenburger Tores nach wie vor für geeignet, und es ist nur wenige Schritte vom künftigen Deutschen Bundestag entfernt, meine Damen und Herren. Grundlage des Kolloquiums sind die acht preisgekrönten Arbeiten. Sie bilden auch die gedankliche Grundlage der Diskussion. Wir wollen die Erfahrungen und Einsichten dieser Preisträger in ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema nutzen und neue Erkenntnisprozesse in Gang setzen. Kein neuer Wettbewerb, sondern Weiterentwicklung, wie Kollege Krüger es nannte: progress in work - ich finde, das ist genau der richtige Gedanke. Die Auslober werden in Kürze Struktur und Dauer dieses Kolloquiums festlegen. Der Zweck ist die Klärung der Entscheidungsgründe. Ich möchte es ganz deutlich sagen: Jede Entscheidung braucht ihren Ort. Die Auslober wollen diese Entscheidung selbst verantworten und auf sich nehmen. Damit wird zugleich eine öffentliche Verständigung über das Thema möglich, die über den Anlaß hinaus eine eigene kulturelle und politische Bedeutung für das Land haben kann. Die Entscheidung, die alle zufriedenstellt - das zeigt auch diese Diskussion -, wird es nicht geben. Es muß aber eine Entscheidung sein, die auf Dauer Bestand hat und nicht nur aktuelle Mehrheiten und Überzeugungen widerspiegelt; denn das Mahnmal muß immer auch in seinem Bezug auf das Morgen gesehen werden. Das bedarf eines ernsthaften, geduldigen Prozesses. Ich möchte die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sehr herzlich einladen, an diesem Denkprozeß teilzunehmen. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Professor Dr. Rita Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute morgen über das Mahnmal in Berlin miteinander sprechen, dann deshalb, weil es uns alle gemeinsam angeht und weil wir ein Teil dieses Identifikationsprozesses sind, wie Staatsminister Pfeifer es eben gesagt hat. Wir sollten zum Ausdruck bringen: Was ist denn das Selbstverständnis unserer Nation hinsichtlich dieses Mahnmals? In diesem Zusammenhang ist mir wichtig, daß wir Erinnern und Gedenken als einen Prozeß sehen. Ich wage zu behaupten, daß wir vor 20 Jahren wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wären, in dieser Weise über Gedenken und Erinnern zu sprechen. Wir haben dazugelernt. Ich wünsche mir, daß wir, wenn wir über die Fragen der Gedenkstätten, des Erinnerns und Zukunftgestaltens auch in bezug auf das Mahnmal in Berlin sprechen, nicht nur der jüdischen und anderer Opfer gedenken. Was dort vernichtet wurde, ist ein Teil unserer selbst, ist unsere Kultur, nicht eine andere. ({0}) Es ist richtig, was heute morgen angesprochen worden ist: Sind wir überhaupt in der Lage, für das Unmenschliche, das dort passiert ist, eine menschliche Ausdrucksform zu finden? An welchem Ort, mit welchem Ausdrucksmittel? Wie kann Stein verlebendigt werden? Wie steht es um Sprache und Sprachlosigkeit? Wenn wir uns die Absichten und die Würdigung der Jury anschauen, wird uns bei jedem Text der ausgelobten und gekrönten Arbeiten deutlich, wie schwierig es ist, zum Ausdruck zu bringen, worum wir ringen, und dem eine Gestalt zu geben. Ich bin davon überzeugt, daß es für andere Nationen einfacher ist - das Beispiel Österreich mit seiner sehr gelungenen asketischen und eindringlichen Form der Bibliothek ist genannt worden - als für uns selbst, die angemessene Ausdrucksform zu finden. Wir müssen uns fragen: Übernehmen wir uns dabei nicht? Das Mahnmal in Berlin soll als wichtiges und zentrales Denkmal inmitten unserer neuen und alten Hauptstadt an dem Platz errichtet werden, wo sich Parlament und Regierung befinden. Auch ich wünsche mir, daß das Mahnmal fertiggestellt ist, wenn wir im Jahre 1999 nach Berlin ziehen werden. Aber ich gebe auch jenen recht, die sagen: Es geht nicht um einen Monat oder um zwei Monate, sondern diskutiert so miteinander, daß es denjenigen, die entscheiden, leichter fällt. Ich möchte am heutigen Tag in Verbindung mit der Mahnmaldiskussion auch noch einen Gedanken auf unsere Gedenkstätten verwenden, und zwar in einem zweifachen Sinne: Die Gedenkstätten sind uns aus der Schreckensgeschichte überkommen, gerade auch die Konzentrationslager; über das Mahnmal entscheiden wir selbst nach der Schreckensgeschichte. Wir haben im vergangenen Jahr - nach 50 Jahren - in Bergen-Belsen, in Ravensbrück, in Buchenwald erlebt, wie viele gerade aus der jungen Generation kommen, dort arbeiten, sich für Erinnern und Gedenken einsetzen und sich der schwierigen Aufgabe stellen, dies so zu tun, daß es nicht einen ritualisierten, einen toten oder einen erkalteten Eindruck macht. Deswegen hätte ich - ohne irgendeinen Ton der Aggressivität oder Polemik - dem Abgeordneten Elm gewünscht, er hätte mehr mit den Menschen gesprochen, die dort arbeiten. Wenn auf diese Weise Stellung genommen wird, eben nicht in selbstgerechter, sondern in selbstkritischer Weise, dann finden wir im geeinten Deutschland auch in der Frage unserer gemeinsamen Vergangenheit zueinander. Dann wird auch ihnen deutlich, wie sehr die Zeit zwischen 1933 und 1945 in der früheren DDR vernachlässigt worden ist ({1}) und daß es einfach nicht angeht, daß wir so tun, als sei da alles in Ordnung gewesen. Das ist überhaupt keine Überheblichkeit unsererseits. Auch wir machen bis zum heutigen Tag Lernprozesse durch, und es ist naheliegend, daß das, was so tief in einem Volke sitzt, auch immer wieder neu aufgewühlt wird und nicht beendet ist. Ich habe gelernt, daß 50 Jahre für das, was geschehen ist, eine kurze Zeit sind. Deswegen stecken wir auch bei dem schwierigen Problem der Deserteure noch mittendrin. Ich möchte heute morgen allerdings auch sagen: Ja, es gibt nach wie vor Opfer, die es zu rehabilitieren gilt. Ich nehme ungern den Begriff „Entschädigung" in den Mund, weil wir das nicht materiell entschädigen können. ({2}) Insofern ist das Wiedergewinnen der Ehre, die Rehabilitation das Allerwichtigste, was ihnen geschehen muß. Ich möchte allerdings auch mit Blick auf die Deutschen, mit Blick auf die Leistungen an Osteuropa sagen: Sie sind nicht denen zugekommen, denen sie im Entschädigungsprozeß hätten zukommen müssen. Deswegen ist es heute unsere Aufgabe, denjenigen, die alt, gebrechlich, innerlich noch immer tief verwundet sind, möglicherweise mit dem Mittel der Stiftung zu helfen. ({3}) Denn die Art, wie wir mit den Lebenden umgehen, spiegelt sich auch in unseren Aussagen in den Mahnmalen wider. Ich möchte noch etwas zu denjenigen sagen, die jetzt miteinander diskutieren, die sich dafür entschieden haben, keine neue Ausschreibung vorzunehmen; denn es gibt die Zeit des Redens, und es gibt die Zeit des Entscheidens und des Handelns. Es ist gut gewesen, daß es die Initiative, den Förderkreis gegeben hat und gibt. Es ist auch gut gewesen, diese Sache mit Eifer zu betreiben, in einer Zeit, in der viele überzeugt werden müssen. Aber ich denke, es gibt auch einen Übereifer dort, wo Zurücknahme notwendig ist. Mit Blick auf Stimmen aus der Regierung, von Parlamentariern, aus dem Kreis des Zentralrats der Juden sage ich: In dem Bemühen, Anonymität zu überwinden und dem Geschehen einen Namen zu geben, kann die Fülle der Namen neue Anonymität schaffen, wenn sie nämlich nicht Individualität in der Kunst zum Ausdruck bringt. Deswegen habe ich gegenüber dem Entwurf, der mit dem 1. Preis ausgezeichnet worden ist, zwei Vorbehalte, die ich auch hier noch einmal aussprechen möchte: Suchen wir jenen Weg der Schlichtheit und Eindringlichkeit des Mahnmals! Es kommt nicht darauf an, wie groß ein Mahnmal ist, ({4}) sondern darauf, wie seine Fläche gestaltet ist. Es kommt - wie Kollege Conradi heute morgen schon gesagt hat - auf die Eindringlichkeit an. Ich will Ihnen ein Beispiel des norwegischen Malers Sparre nennen, der die „Blumen des Bösen" von Baudelaire auf einer relativ großen Fläche mit einem kleinen eindringlichen Zeichen zum Ausdruck bringt: einer brennenden Kerze, dem Kreuzesnagel, der diese Kerze durchbohrt, und einer menschlichen Hand. Das vergessen Sie nie, diesen einzigartigen Ausdruck. Und wenn Sie noch einmal auf die Argumente der Jury schauen, dann stellen Sie fest, daß sie gefordert hat, das Sichtbare und das Unsichtbare, das Helle und das Dunkle, das Ausweglose und die Umkehr im Mahnmal zum Ausdruck zu bringen. Wichtig wäre mir, daß bei allem, was Stein, was Metall, was Sand, was natürliche Materialien sind, das Menschliche ganz tief in diesem Mahnmal zum Ausdruck kommt und daß diejenigen, die es an dem ausgewählten Standort aufsuchen, nicht unberührt bleiben, wenn sie weggehen, sondern nachdenklich werden, so daß das Unmenschliche eben doch gerade auch für uns heute, 50 Jahre später, mit der Beteiligung jener, die wieder bei uns leben, unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger, eine Form findet, die wir uns und der nachwachsenden Generation übergeben können. Ich bin überzeugt, wir werden - auch mit den Formen des Kolloquiums - zu einem guten Ergebnis kommen. Suchen wir Eindringlichkeit und Schlichtheit! Ein Platz kann auch wirken, wenn er nicht voll ausgefüllt ist. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Der Abgeordnete Elm hat das Wort für eine Kurzintervention erbeten. Bitte, Sie haben es.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Angesprochen wurde im Verlauf der Diskussion etwas - ich räume ein, es war in meinem knappen Beitrag nicht mit angelegt -, was mancher zu Recht von uns mit Blick auf die DDR erwartet. Aber diese Diskussion über Defizite, die es in der DDR im Umgang mit der NS-Vergangenheit, auch im Umgang mit dem Problem der Verfolgung und Vernichtung der Juden, gegeben hat, findet statt. Das reicht bis zu Wiedergutmachungsfragen, das schließt die Erkenntnis ein, daß die Aufmerksamkeit im öffentlichen Leben, in Bildung und Wissenschaft für die Gesamtgeschichte und Kultur des jüdischen Volkes keine angemessene Berücksichtigung gefunden hat und daß schließlich bei der einseitigen Hervorhebung der Tradition des kommunistischen Widerstandes Opfer und Leistungen des jüdischen Volkes tendenziell nicht genügend Berücksichtigung fanden. Ich will mit der Bemerkung einfach anbieten, daß das hier als eine Lücke festgestellt wurde und unsere Bereitschaft da ist, diese Fragen an anderer Stelle in weiterführenden Diskussionen mit Ihnen zu erörtern und differenzierte Gesamteinschätzungen zu erarbeiten. Gleichzeitig möchte ich bemerken: Mir scheint, daß aber auch manches, was in der DDR vorhanden war - die Biographien jüdischer Bürger in diesem Lande, das, was in wissenschaftlichen Beiträgen, in Filmen, in Literatur und Kunst zu diesem Thema, zu diesen Tragödien, zu dieser Geschichte gestaltet wurde -, schon zur Kenntnis genommen und einbezogen werden muß, wenn wir weitere Diskussionen an anderer Stelle führen. Den kritischen Appell an das Vermeiden von Selbstgerechtigkeit nehme ich zur Kenntnis. Ich glaube, daß er mit Blick auf alle Richtungen des Hauses angebracht ist. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Möchte jemand darauf replizieren? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Die Fraktionen schlagen vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 13/3723 ({0}) und 13/4544 zur federführenden Beratung dem Ältestenrat und zur Mitberatung dem Innenausschuß zu überweisen. - Das ist zum Teil genau umgekehrt, wie es in den Drucksachen vorgesehen ist. - Sind Sie mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3a bis c auf: 3. a) - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bedarfs von Magnetschwebebahnen ({1}) - Drucksachen 13/2345, 13/3103 - ({2}) - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes ({3}) - Drucksachen 13/2346, 13/3104 - ({4}) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({5}) - Drucksache 13/4527 - Berichterstattung: Abgeordnete Werner Kuhn Elke Ferner Horst Friedrich Vizepräsident Hans Klein bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/4528 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb Kristin Heyne b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Winfried Wolf und der Gruppe der PDS Prüfung von Alternativen zur Magnetschwebebahn - zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Albert Schmidt ({8}), Gila Altmann ({9}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stopp der Vorbereitungsmaßnahmen für den Transrapid und Planung einer ICE-Verbindung Hamburg-Berlin - zu dem Antrag der Abgeordneten Elke Ferner, Dr. Ulrich Böhme ({10}), Hans Büttner ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Hochgeschwindigkeitsschienenverbindung und Transrapid-Referenzstrecke Berlin-Hamburg - Drucksachen 13/2570, 13/2573, 13/3056, 13/4527 - Berichterstattung: Abgeordnete Werner Kuhn Elke Ferner Horst Friedrich c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Gila Altmann ({12}), Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschließende Beratung über die Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin nach einer Wirtschaftlichkeitsrechnung - Drucksache 13/4387 Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über zwei Vorlagen namentlich abstimmen werden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist die Debattendauer beschlossen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen können, den Raum doch etwas rascher zu verlassen, damit wir fortfahren können. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dirk Fischer das Wort.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach 20jähriger Forschungs- und Entwicklungszeit, der Bestätigung der Einsatzreife im Jahr 1991, ausgiebiger Klärung der Sach- und Fachfragen in öffentlichen Anhörungen und einem fortgeschrittenen Planungsstadium im Dialog mit den beteiligten fünf Bundesländern sprechen jetzt alle Argumente dafür, den zwei Gesetzentwürfen zuzustimmen ({0}) und die auf Fundamentalopposition gerichteten Anträge der zwei Oppositionsfraktionen und der Oppositionsgruppe abzulehnen. ({1}) Der Realisierungszeitplan für den Transrapid muß konsequent eingehalten werden. Der logische Ablauf ist die Einleitung des Raumordnungsverfahrens Mitte dieses Jahres, darauf gestützt Ende 1996 die Festlegung der Vorzugstrasse, die den geringstmöglichen Eingriff in die raumordnerischen Schutzgüter garantiert, und auf dieser Grundlage die Aktualisierung der Fahrgastprognose und die verfeinerte Kostenberechnung mit dem Ziel, eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung vorzulegen. Etwas anderes als dieser Ablauf geht nicht. Ohne die Endhaltepunkte und Verknüpfungspunkte an den Schnittstellen ist dies nicht möglich. Dabei bleibt es. ({2}) Der SPD-Antrag ist unlogisch und deswegen abzulehnen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Fischer, der Kollege Schily möchte eine Zwischenfrage stellen. Wären Sie bereit, sie zu beantworten?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, Sie haben eben von einer „verfeinerten Kostenberechnung" gesprochen. Das, finde ich, ist ein interessanter Ausdruck. Deshalb frage ich Sie, ob es zu der „verfeinerten Kostenberechnung" gehört, daß die Finanzierung des Transrapid noch nicht gesichert ist, wie ich einer Meldung heute entnehme.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Meldung ist nicht ernst zu nehmen. ({0}) Dirk Fischer ({1}) Das eine ist die Frage der Entscheidung des Gesetzgebers - das sind wir - im Budgetverfahren. Da der Gesetzgeber über Einzelhaushalte nicht entschieden, sondern nur gesagt hat, in dieser Richtung solle gehandelt werden, wissen Sie ganz genau, wie der Sachstand ist. Wenn Sie es nicht wissen, dann haben Sie Entscheidungen des Deutschen Bundestages über Haushalte noch nie miterlebt, Herr Kollege Schily. Das zweite: Ich kann bei dem gesamten Industriekonsortium und bei der in der Gründung befindlichen Betriebsgesellschaft Anhaltspunkte und Belege für eine derartige Meldung nicht erkennen. ({2}) Aber zutreffend ist, daß die Fragen, wo die End- und Verknüpfungspunkte liegen, ob Sie nun in den Ballungsräumen Hamburg/Berlin je einen oder zwei Verknüpfungspunkte legen, ob Sie Zwischenhalte machen, für die Kostenberechnung sehr relevant sind. ({3}) Das kann sich eigentlich Klein-Fritzchen vorstellen. Das müßte auch Ihnen einsichtsfähig sein. ({4}) Wenn Sie also, Herr Kollege Schily, meinen, Sie könnten ohne die Festlegung nach einem Raumordnungsverfahren bereits eine Kostenberechnung aufstellen, dann sind Sie Weltmeister aller Klassen im Spekulieren. Dazu würde ich Ihnen dann neidlos gratulieren. ({5}) Fahren Sie also nicht auf der Basis des völlig unsinnigen Antrags der SPD-Fraktion fort, jetzt Ihre Argumente aufzubauen, sondern tun Sie das in der logischen Reihenfolge, in der dieses geschehen muß!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Verzeihung, Herr Kollege. Es sind noch zwei weitere Zwischenfragebegehren. Sind Sie bereit, sie zuzulassen?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, jederzeit.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte sehr.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fischer, Sie bezeichnen den SPD-Antrag als unsinnig und fordern von uns, daß wir einen Blankoscheck ausstellen. Wie bewerten Sie aber, daß die sächsische CDU-Landtagsfraktion den Bundesverkehrsminister Wissmann aufgefordert hat, das Transrapidprojekt aus Kostengründen zugunsten anderer, dringend notwendiger Projekte zu streichen? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Scheffler, das Problem ist, daß Ihre Behauptung, die CDU-Landtagsfraktion Sachsens habe das vorgeschlagen, falsch ist. Wenn aber dieses schon falsch ist, sind auch alle weiteren darauf gestützten Annahmen abwegig. Es war eine Einzelmeinung, aber nicht die Meinung der CDU-Landtagsfraktion Sachsens. ({0}) Im übrigen können Sie als Brandenburger - das Land Brandenburg befürwortet den Transrapid - bei der Frage, ob Sie lieber für ein Projekt in Brandenburg oder für ein anderes in Sachsen Geld haben wollen, verstehen, daß der Egoismus eines Landtagsabgeordneten in Sachsen mit diesem gelegentlich durchgeht und er sich Geld ausschließlich für Projekte in Sachsen wünscht. Nur, Herr Kollege Scheffler: Wir wissen, so ist die Welt nicht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, jetzt möchte noch der Kollege Schmidt eine Zwischenfrage stellen.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fischer, ich komme auf das Wort von der „verfeinerten Kostenberechnung" zurück. Ich schließe daran die Frage an: Wie bewerten Sie die Tatsache, daß die Vertreter des Bundesrechnungshofes in der Anhörung des Verkehrsausschusses zum Transrapid nicht etwa eine „Verfeinerung der Kostenberechnung" verlangt haben, sondern erst einmal die Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsberechnung eingefordert haben, die verschiedene Planfälle einschließlich der Alternative der Errichtung einer ICE-Strecke statt Transrapid berücksichtigt? Sehen Sie das als eine Forderung nach Verfeinerung an, oder sehen Sie das nicht vielmehr als das deutliche Petitum des obersten Rechnungsprüfungsgremiums dieser Republik, endlich überhaupt einmal Wirtschaftlichkeitsberechnungen auf den Tisch des Hauses zu legen, die diese Bezeichnung verdienen? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal, Herr Kollege Schmidt, lege ich Wert auf die Feststellung, daß ein Brief der Präsidentin des Bundesrechnungshofes vorliegt, in dem steht: Die Anmerkungen im Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes sind weder ein Argument pro noch ein Argument contra das Projekt Transrapid Hamburg-Berlin. - Das will der Brief nicht leisten. In dem Sinne ist er also nicht zu gebrauchen. ({0}) Dann weise ich Sie darauf hin, daß schon die Logik gebietet, einzusehen, daß man zunächst eine Projektstudie mit einem gedachten groben Trassenverlauf Dirk Fischer ({1}) ausarbeitet und daß man dann anfängt, diesen gedachten groben Trassenverlauf mit Blick auf ökologische Risiken, Siedlungsräume, Kosten des Grunderwerbs usw. zu untersuchen. Dies ist in der Vergangenheit sorgfältig geschehen. Dann kommt man zur Auswahl verschiedener Vorzugstrassen. ({2}) Wenn man diese Vorzugstrassen hat, Herr Kollege Schmidt, dann muß man in das Raumordnungsverfahren gehen, um die endgültige Trasse festzulegen. Der Rechnungshof hat nur gesagt: Wenn ihr das gemacht habt, dann braucht ihr natürlich über die bisherigen groben Kostenschätzungen auf der Basis grober Trassenverläufe hinaus eine verfeinerte Berechnung. ({3}) Dieses wird geschehen. Denn je nachdem, welche Trasse Sie auswählen, kann sich das in der Entfernung und also in der Länge der Trasse um viele Kilometer unterscheiden. Wie wollen Sie das denn anders machen? Einen anderen Weg können Sie mir doch auch nicht aufzeigen. Das heißt, wenn Sie nach den Anhörverfahren mit den Ländern genau wissen, welche die Vorzugstrasse ist, festzulegen Ende 1996, dann können Sie eine verfeinerte Verkehrsprognose und eine verfeinerte Kostenrechnung machen. Wenn Sie beides haben, können Sie eine verfeinerte Wirtschaftlichkeitsberechnung machen. Auf dieser Basis wird dann das Industrie- und Bankenkonsortium seine letztendliche Entscheidung genauso treffen wie die Bundesregierung oder der Bundesgesetzgeber. Das ist ein logischer Ablauf. Es geht gar nicht anders. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Fischer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schmidt? - Bitte.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie daran glauben, verehrter Herr Kollege Fischer, daß der Ablauf genauso ist, wie Sie es dargestellt haben, dann frage ich Sie: Wäre es dann nicht logisch - Sie sind doch so sehr für Logik; das haben Sie schon mehrmals betont -, mit einer abschließenden Beratung und Schlußabstimmung über dieses Milliardenprojekt in diesem Hause so lange zu warten, bis all die Zahlen, die Sie selbst angemahnt haben, endlich auf dem Tisch liegen? ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Beifall bei der SPD-Fraktion wundert mich deswegen, weil wir heute offenbar mit der SPD darum streiten wollen, ob diese Verkehrstechnologie eine für den Hochgeschwindigkeitsfernverkehr oder für eine Vorortbahn ist. Für die SPD ist das eine Vorortbahn, für uns nicht. Herr Kollege Schmidt, das heißt, daraus ergibt sich das Erfordernis für die SPD-Fraktion, daß ich heute mit einer Zustimmung zu dem allgemeinen Magnetschwebebahngesetz rechnen kann. Das zweite ist: Wir müssen aus unserer Überzeugung auch dem Bedarfsgesetz zustimmen, denn ohne daß Sie einen Verkehrsbedarf feststellen, der über diese Investition befriedigt werden soll, macht es keinen Sinn und gibt es keine Basis, in ein Raumordnungsverfahren mit Länderbeteiligung einzutreten. Deswegen brauchen Sie ein Bedarfsgesetz. Wenn Sie das nicht schaffen, können Sie die nächsten Schritte nicht vollziehen. Aber ich lasse die Frage ganz offen, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Zusammenhang, ob im Haushaltsverfahren oder an anderer Stelle, in den jeweiligen Etappen logischer- und notwendigerweise der Gesetzgeber in die Meinungsbildung einzubeziehen ist. Dieses wird Schritt für Schritt sorgfältig entschieden werden. ({0}) Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren. Mut und Risikobereitschaft sind nötig für die Realanwendung der schnellsten und umweltfreundlichsten bodengebundenen Verkehrstechnologie der Welt, des Transrapid. Er ist ein zukunftsweisendes Verkehrssystem, ein Beweis der Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie. Die Opposition verlangt offenbar auf diesem Wege eine hundertprozentige Vollkaskoversicherung und stellt heute schon die übernächsten Fragen, was wohl eine neue Spielart der Fundamentalopposition ist. ({1}) Wenn früher so verfahren worden wäre, dann - das sage ich Ihnen deutlich - hätten wir heute keine einzige Verkehrstechnologie - kein Auto, keine Rad/ Schiene-Technologie, kein Schiff, kein Flugzeug - in Betrieb. ({2}) Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist über technische Innovation ohne Mut und Risikobereitschaft, aber auch ohne Inkaufnahme noch offener, zukünftig zu beantwortetender Fragen entschieden worden. Ich glaube, daß wir den Standort Deutschland mit fundamentaler Technologiefeindlichkeit im internationalen Wettbewerb nicht sichern können. ({3}) Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt, immerhin einer der wichtigen Mitinitiatoren dieser Technologie für den Hochgeschwindigkeitsfernverkehr jenseits der Möglichkeiten von Rad und Schiene, wie er damals ausgeführt hat ({4}) Dirk Fischer ({5}) - er steht auch heute Gott sei Dank noch zu seiner Verantwortung -, hat folgendes formuliert: Noch wichtiger - aber das ist nicht nur Aufgabe von Politikern und Sozialpartnern, sondern auch der Medien - ist es, die schlimme deutsche Technikfeindlichkeit zu überwinden. Diese massive Feindschaft gegen alles Neue - sei es Gentechnik oder Transrapid - gibt es nur in Deutschland. Im Wettbewerb auf den Weltmärkten kann sie uns in noch viel höhere Arbeitslosigkeit stürzen. ({6}) Dann sagt er kurz und knapp: Einsicht und Mut vermisse ich auch bei der Opposition. ({7}) Meine Damen und Herren, der Vorschlag der SPD, den Transrapid zur Vorortbahn zu degradieren, läßt einem die Haare zu Berge stehen. Das ist mutlos, konzeptionslos, kraftlos, verantwortungslos. Die Koalition ist gern bereit, mit Ihnen in einen Wettbewerb darüber einzutreten, wer das modernere, das mehr der Zukunft zugewandte Deutschland verkörpert. Ich zitiere Helmut Schmidt noch einmal: Ich bin unzufrieden, wobei dies noch beschönigend formuliert ist, mit meiner Partei. Sie führt zu viele akademische Debatten, die zuwenig mit der Wirklichkeit der Menschen zu tun haben. Kaum einer weiß heute, wofür die SPD steht und wogegen sie ist. ({8}) Beim Transrapid haben Sie alles im Angebot: von Fundamentalopposition über Enthaltung bis zu entschiedener Zustimmung - in der SPD die volle Palette des Sowohl-als-auch. ({9}) Die Transrapid-Verbindung Hamburg-Berlin stellt eine optimale Befriedigung für einen steigenden Verkehrsbedarf dar. ({10}) Die Gutachter Rothengatter und Senger von Intraplan haben gesagt: Die Aussage, es werde 11 Millionen Passagiere ab Inbetriebnahme geben, ist eine belastbare Prognose. Es ist von einer positiven Ökobilanz und optimalen Befriedigung der Bedürfnisse der Kunden in bezug auf Zeitvorteil und Komfort auszugehen. Wir haben hier die beste technische Lösung weltweit. Sie muß jetzt genutzt werden. Wir müssen den Zeitvorteil der deutschen Industrie umsetzen. Ich meine, daß wir dieses dringend brauchen. Alle Fragen der Verknüpfung lassen sich betrieblich, baulich und technisch einwandfrei lösen. Denn die identische Verkehrstechnologie ist doch nicht entscheidend, sondern die intelligente Verknüpfung aller Verkehrsträger an den Schnittstellen. Die DB AG als Gesellschafter der Planungsgesellschaft und der zu gründenden Betriebsgesellschaft wird als Betriebsführer alle Einflußmöglichkeiten haben und auch die ökonomischen Chancen dieser Strecke nutzen. Im Rahmen unserer ordnungspolitischen Grundüberzeugungen unterscheiden wir sauber zwischen dem Staat, der die Verantwortung für die Infrastruktur hat, und einer privaten Betriebsführung. Das verstehen wir unter Public-private partnership. Es ist die Möglichkeit gegeben, daß wir über das Nutzungsentgelt I die Afa von der Betriebsgesellschaft zurückerstattet bekommen. Über das Nutzungsentgelt II ist sogar eine Rückführung der staatlichen Investitionen möglich. Für mich sind alle von der SPD angeführten Haushaltsargumente völlig unglaubwürdig. Allein der Bund gibt im Jahr 8 Milliarden DM für die Steinkohleförderung aus. Sie wollen aber für eine Zukunftstechnologie über mehrere Jahre verteilt nicht 6 Milliarden DM einsetzen? Dabei haben wir optimale Chancen, das eingesetzte Kapital nachher zurückzuerhalten. Bei welchem Verkehrsweg, bei welchem Verkehrsträger haben wir derartig optimale Bedingungen? Ich kann nur sagen: Wenn Sie den Transrapid ablehnen, wird dadurch gar nichts gespart. Der Vertreter der DB AG hat im Anhörungsverfahren ausdrücklich gesagt, daß alternativ für den Transrapid eine Neubaustrecke für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaut werden muß. ({11}) Dann gibt es Nachteile wie längere Fahrzeit, schlechtere Ökobilanz, tatsächliche Landschaftszerschneidung und höheren Landschaftsverbrauch. ({12}) Das heißt, Sie müssen vergleichbare Investitionen tätigen, und haben nicht die Chance, Afa und Kapital zurückzubekommen. Man würde dann am Ende bei viel schlechteren Rahmenbedingungen landen. Mich wundert gar nicht, daß die Kollegen im Haushaltsausschuß so vernünftig waren und dem Projekt und den Gesetzentwürfen zugestimmt und die Anträge der Opposition entschieden abgelehnt haben. Der Vorgänger von Frau Ferner, die gleich sprechen wird, der Kollege Daubertshäuser, hat ein Buch geschrieben. ({13}) Darin heißt es: Die Magnetschwebebahntechnik zu nutzen heißt weniger Verschleiß und damit erheblich geringere Betriebskosten bei etwa gleich hohen Kosten für die Streckeninvestitionen und bei wesentlich höheren Geschwindigkeiten. Diese Vorteile des Magnetbahnsystems werden auch von der DB AG gesehen. Dirk Fischer ({14}) Dort ist er heute Vorstandsmitglied. Der Stand der Magnetbahntechnik ist nunmehr so weit fortgeschritten, daß ihrer Anwendung in der Praxis, das heißt zunächst auf einer Schnellbahnstrecke des Fernverkehrs, in absehbarer Zeit nichts mehr im Wege stehen sollte. Neben den bereits genannten Vorteilen würden wir für diese deutsche Spitzentechnologie auch die positiven industrie- und beschäftigungspolitischen Aspekte sichern. Ich finde, wo er recht hat, hat er recht. Dazu sollte man die Zustimmung nicht verweigern. Ich komme zum Schluß. Ich bin ganz sicher: Bei der Einweihung des Transrapids zwischen Hamburg und Berlin, wie immer Sie heute auch entscheiden mögen, wollen alle in der ersten Reihe sitzen. ({15}) Dann kommt nämlich das Fernsehen. Damit Sie dann ein gutes Gefühl haben, wollen wir Ihnen mit der namentlichen Abstimmung die Möglichkeit geben, sich in das Buch der Geschichte auf der Positivseite einzutragen. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD. ({0}) - Kann das bitte sofort verhindert, und können die Leute entfernt werden!

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wir kommen jetzt zur Ruhe. Wir haben das im Griff. Ich wäre dankbar, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt der Rednerin zuwenden würden.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Präsident! Ein Kompliment muß man der Koalition machen: Ihr Chaos in der Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Verkehrspolitik hat wirklich System. ({0}) Es herrscht das Motto: Management by Chaos. Mir ist nur noch nicht klar, wer der größte Chaot in dieser Truppe ist. Mit den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfen zum Transrapid knüpfen Sie hier nahtlos an. In der vergangenen Sitzungswoche legten Sie einen Horrorkatalog mit Sozialkürzungen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß vor. Knapp zwei Wochen später wollen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P., der Bundesregierung einen Blankoscheck ausstellen, obwohl Sie genau wissen, daß diese Bundesregierung nicht mit Geld umgehen kann. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Darf ich das Plenum bitten, etwas ruhiger zu sein. Wir machen eine Demonstration erst dadurch erfolgreich, daß wir längere Zeit darüber diskutieren. Das bringt nichts. ({0}) Bitte, Frau Kollegin.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Höhe der Trassenkosten, mögliche Folgekosten für den Bundeshaushalt und die Auswirkungen auf andere wichtige Investitionen bleiben im dunkeln. Die Dimensionen sind gigantisch. Mit Ihrem Motto, mit dem Kopf durch die Wand rennen, machen Sie dieses Projekt zu einem finanz-, einem verkehrs- und einem wirtschaftspolitischen Flop. ({0}) Offensichtlich scheint dem einen oder anderen Ihrer Parteifreunde ein Licht aufzugehen. Ich kann auch dem sächsischen verkehrspolitischen Sprecher der CDU nur zustimmen. Er sagte - ich zitiere aus einer Pressemitteilung -: „Die in Bonn gesetzten Prioritäten entwickeln sich immer mehr zum Ärgernis". Er bezeichnet es als Unfug, den Transrapid mit Bundesmitteln zu fördern, während in Sachsen - das gilt natürlich auch für alle anderen Bundesländer - der Aus- und Neubau wichtiger Schienenwege sträflich vernachlässigt wird. Das Kabinett hat 1995 lapidar beschlossen - ich zitiere -: „Die ab 1997 berücksichtigten Investitionskosten des Fahrwegs der Transrapidstrecke werden durch anteilige Einsparungen der Einzelpläne auf der Basis der inlandsbezogenen Investitionen aufgebracht". Was heißt das nun im Klartext? Aus dem Verkehrsbereich müssen 58 Prozent der Kosten aufgebracht werden. Das heißt: weniger Straßenbau, noch weniger Schienenbau, weniger Bundeswasserstraßen, und zwar in allen Bundesländern. ({1}) - Weniger Lärmschutz, zu dem Sie sich an den Schienenwegen noch gar nicht haben durchringen können. ({2}) Herr Wissmann sagt in seinen Hausmitteilungen - ({3}) - Die Schmerzgrenze ist jetzt schon erreicht. Es war noch keine Rede von 7 bis 8 Milliarden DM Einsparungen in Ihrer Streichorgie, die Sie vorhaben. Da war noch nicht klar, daß eben auch der Transrapid zum großen Teil aus dem Verkehrshaushalt bezahlt werden soll. Die anderen 42 Prozent der Kosten müssen aus anderen Bereichen kommen, das heißt Kürzungen beim Hochschulbau, bei der Wohnungsbauförderung, bei Umweltinvestitionen und bei der regionalen Wirtschaftsförderung. Auch das trifft alle Bundesländer. Das kann man dann zusammenfassen: Alle Politikbereiche und alle Bundesländer sollen für den Transrapid bluten. Mit Ihrem Entwurf eines Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes setzen Sie Ihrer unsoliden Politik nun wirklich die Krone auf. Sie wollen Ihrem Lieblingsprojekt ein gesetzliches Deckmäntelchen umhängen, damit in eventuellen Gerichtsverfahren der Bedarf für eine Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin überhaupt nicht mehr überprüft werden kann. Das ist der eigentliche Hintergrund für Ihr Gesetz. Sie, Herr Wissmann, sind in Ihrer Verliebtheit für dieses Projekt offenbar so blind geworden, daß Ihnen zur Finanzierung und zu den Belastungen für die Staatskasse in den kommenden Jahren einmal gerade eben soviel eingefallen ist: Es muß irgendwann mit irgendwem irgendeine Finanzierungsvereinbarung getroffen werden. Sie lassen die konkrete Ausgestaltung dieser Vereinbarung im dunkeln, und Sie privilegieren durch das Weglassen von Regelungen, wie wir sie aus anderen Bedarfsgesetzen für die Bundesfernstraßen und die Bundesschienenwege kennen, ganz eindeutig einen einzigen Verkehrsträger. Ich sage Ihnen: Alleine schon § 2 Ihres Pseudo-Bedarfsgesetzes rechtfertigt eine Ablehnung. Hierzu zitiere ich aus der öffentlichen Anhörung vom Februar dieses Jahres Herrn Professor Wieland von der Universität Bielefeld: In dem vorliegenden Gesetzentwurf haben Sie in § 2 eine reine Blankettnorm. Sie verlangen eine Vereinbarung zwischen Bund und Projektträgern, sagen aber nichts zu dem Inhalt der Vereinbarung. ({4}) Es ist nicht nur Verfassungspolitik, sondern auch Verfassungsrecht, daß in Abgrenzung zwischen den Kompetenzen des Parlaments und der Exekutive dem Parlament die wesentlichen Entscheidungen vorbehalten sind. Sie müssen also Ihre Zukunftsentscheidungen treffen! Hier treffen Sie eine Entscheidung mit ganz erheblichen finanziellen Auswirkungen für die nächsten Jahrzehnte. Dazu reicht es nicht, daß Sie dem Bund eine Carte blanche geben und sagen: Trefft eine Vereinbarung, sondern Sie müssen als Parlament und als Abgeordnete die Grundstrukturen dieser Vereinbarung in Ihr Gesetz aufnehmen, weil Sie damit für die Zukunft Bindungen entfalten, die auch die folgenden Parlamente binden. Wenn die Vereinbarung einmal geschlossen ist, ist es nicht mehr in der Hand des Parlaments, des Gesetzgebers, irgendwelche Anpassungen vorzunehmen, neue Risikoverteilungen vorzunehmen. Das heißt im Klartext, daß Sie mit diesem Gesetz gegen die Haushaltsordnung und womöglich auch noch gegen die Verfassung verstoßen. ({5}) Der Bundesrechnungshof hat der Bundesregierung nicht nur schlechtes Projektmanagement bescheinigt. Er verlangt zu Recht, daß die Risiken für den Bundeshaushalt begrenzt werden. Er verlangt zu Recht, daß die exakten Zahlen auf den Tisch gelegt werden. Er verlangt zu Recht, daß die Risiken zwischen Bund und Privaten zugunsten des Bundes anders verteilt werden. Denn Ihr Modell von Public-private partnership, wozu wir nachher sicher noch einiges hören werden, sieht nämlich ganz einfach so aus: Die Kosten trägt die öffentliche Hand, mögliche Gewinne, die noch mit großen Fragezeichen zu versehen sind, bekommen dann die Privaten. ({6}) - Das machen die immer so. - Auch deshalb verlangt der Bundesrechnungshof zu Recht, daß die Risiken zugunsten des Bundes zwischen Bund und Privaten anders verteilt werden. Er verlangt zu Recht eine klare Abgrenzung der Rechte und Pflichten zwischen Betreibern und Fahrweggesellschaft. Er verlangt darüber hinaus eine Überarbeitung der Investitionsrechnung und eine neue Wirtschaftlichkeitsrechnung, und er verlangt zu Recht eine Garantie zur Verlustübernahme durch die jeweiligen Anteilseigner. Das wurde von der Industrie in der Anhörung jedoch glattweg abgelehnt. Die Antwort der Bundesregierung darauf enthält exakt die gleichen alten kritisierten Zahlen und keine Neuigkeiten und räumt kein einziges Bedenken aus der Welt. Aber ich sage Ihnen: So dürfen Sie mit dem Geld der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen nicht umgehen. ({7}) Über welche Beträge reden wir überhaupt? Wir reden über 7 400 Millionen DM alleine für den Fahrweg, wobei die Mehrkosten für einen Bedarfshalt Schwerin, von dem noch niemand weiß, wo er überhaupt sein wird, und auch die Mehrkosten für die Einfädelung nach Berlin noch nicht enthalten sind. ({8}) Wir reden von einer Finanzierungsvereinbarung, von der noch niemand weiß, wie sie zum Schluß aussieht. In den Trassenpreis und die Rückzahlungshöhe haben Sie mittlerweile eine dreiprozentige Preissteigerung eingerechnet. Aber wo das Mehr von über einer halben Million Fahrgästen herkommen soll, lassen Sie im dunkeln und verraten Sie uns nicht. WahrElke Ferner scheinlich bleibt das nach Ihrem System auch wieder alles am Steuerzahler hängen. ({9}) Wer in welcher Höhe für unvorhergesehene Kostensteigerungen geradestehen soll, ist auch nicht klar. Ich denke, daß das auch wieder der Steuerzahler sein soll, und das kommt für uns überhaupt nicht in Frage. ({10}) Sie suggerieren den Ländern Hamburg, Mecklenburg-Vorporamern und Berlin, der ganze Spaß koste sie keine müde Mark aus den Landeshaushalten. Aber Sie wissen genau, daß das Gegenteil der Fall sein wird. Der Transrapid muß mit dem übrigen Verkehr verknüpft werden. Diese Verknüpfungskosten werden an den Ländern bzw. den Kommunen hängenbleiben. Dort, wo Kapazitätsausweitung für den ÖPNV nötig ist, müssen die Zuschüsse an die jeweiligen Verkehrsunternehmen erhöht werden. Bei Mehrbestellung von SPNV bei der Bahn ist auch mehr Geld fällig, das in den Regionalisierungsmitteln bisher nicht enthalten ist. Das heißt, es muß entweder zu Lasten anderer Verkehre gehen oder zu Lasten der jeweiligen Landeshaushalte. Damit es nun wirklich auch der letzte begreift, zitiere ich Herrn Raschbichler von der Firma Thyssen, der im Rahmen der Anhörung sagte: Nach den gesetzlichen Regelungen gilt das Veranlasserprinzip. Wenn wir also einen Haltepunkt Schwerin einführen, muß natürlich auch die Stadt Schwerin zum Beispiel dafür sorgen, daß die Leute hinkommen. Diese Erschließungskosten sind in unserer Projektkalkulation nicht enthalten. ({11}) Es war im Fall des ICE-Bahnhofs Wilhelmshöhe in Kassel so, daß die Stadt Kassel einiges getan hat, um diesen Bahnhof vom Nahverkehr oder auch Individualverkehr ordentlich zu erschließen. Dies gilt für Hamburg und Berlin auch. ({12}) Wer soll dann bezahlen? Der Bund spielt die Kosten der Betreibergesellschaft zu, die Betreibergesellschaft gibt sie an die Länder weiter, und diese fühlen sich nicht zuständig. Das Pingpongspiel ist wieder einmal perfekt. Da wir gerade bei den Rechenkünsten der Bundesregierung sind: Die Aussage von Bundesminister Wissmann, Optimisten und Pessimisten seien dadurch zu unterscheiden, daß die Pessimisten das Glas für dreiviertel leer und die Optimisten das Glas für dreiviertel voll halten, brauche ich wohl nicht zu kommentieren. ({13}) Das ganze Zahlengebäude, auf dem die Wirtschaftlichkeit des Projekts beruht, steht auf einem brüchigen Fundament. Die Rahmenbedingungen für die ursprüngliche Prognose haben sich inzwischen stark verändert, aber Konsequenzen werden von Ihnen nicht gezogen. Sie rechnen sich die Zahlen einfach schön. Die Basis für die Fahrgastprognosen, nämlich die Prognosen für den Bundesverkehrswegeplan, wurde in der Anhörung sehr deutlich in Frage gestellt, weil sich weder die Bevölkerungsentwicklung noch die wirtschaftliche Entwicklung so vollzogen hat, wie es 1992 angenommen worden ist. Es existieren bereits überarbeitete Fahrgastprognosen von Intraplan, die der Planungsgesellschaft und der Bundesregierung längst vorliegen und dem Gesetzgeber, also uns, vorenthalten werden. Eine aktuelle Wirtschaftlichkeitsberechnung, die sowohl der Bundesrechnungshof als auch die Bahn gefordert haben, ist gerade eben erst angekündigt worden. Wir sollen aber jetzt entscheiden, und zwar über einen ungedeckten Wechsel für die Zukunft. Ich frage Sie: Auf welcher Basis denn eigentlich? Sie, Herr Fischer, bauen Ihr ganzes Zahlengebäude auf Treibsand, und ich glaube, Sie werden darin versinken. ({14}) Das Problem ist nämlich folgendes: Werden die Fahrgastprognosen nicht erreicht, dann wird auch die Wirtschaftlichkeit nicht erreicht. Wir haben in der Anhörung gehört, daß der Fahrpreis eine entscheidende Rolle spielen wird und daß die Fahrgastprognosen nur dann zu erreichen sind, wenn sich auch Privatreisende die Nutzung leisten können. Ob sich eine vierköpfige Familie sonntags für schlappe 720 DM von Hamburg nach Berlin und zurück mit dem Transrapid auf den Weg macht, um dem Berliner Zoo einen Besuch abzustatten, darf ja wohl hinreichend bezweifelt werden, zumal Sie mit Ihrem Streichpaket gerade die Familien in einer schamlosen Art und Weise zur Kasse bitten. ({15}) Ob alle Flüge entfallen werden, ist ungewiß. Ein dritter Anbieter auf der Schiene ist nicht zu verhindern. Eines ist jedoch gewiß: Die Bahn soll ihr heutiges Angebot drastisch reduzieren und die Strecke nur noch alle zwei Stunden mit dem Interregio bedienen, und das, obwohl die Strecke gerade mit erheblichen Steuermitteln verbessert wird, um die Fahrtzeit zu verkürzen. ({16}) Gewiß ist auch, daß die Bahn dadurch Einnahmeausfälle in Höhe von bis zu 300 Millionen DM jährlich haben wird, die nicht kompensiert werden solElke Ferner len. Das wird letztendlich auch am Steuerzahler hängenbleiben. ({17}) Darüber hinaus drängt der Bund die Bahn, sich mit weiteren 300 Millionen DM an der Betriebsgesellschaft zu beteiligen. ({18}) Wer zahlt, wenn das Ganze in die Hose geht? - Natürlich wieder der Steuerzahler! Ein geringeres Bahnangebot heißt auch weniger Arbeitsplätze bei der Bahn, weniger Personal beim Betrieb, beim Netz, in den Werkstätten usw.; die Aufzählung kann man fortführen. Das Ganze wird, was die Arbeitsplätze anbelangt, im besten Fall ein Nullsummenspiel werden; ({19}) denn - auch dies wurde in der Anhörung deutlich - bei einem in etwa gleichen Investitionsvolumen könnten die Arbeitsplatzeffekte sowohl beim Bau als auch beim Betrieb bei jedem System, das gebaut wird, gleich hoch sein. Ich sage „könnten", weil Ihre Rechnung auf überholten Daten basiert und auf Produktivitätsannahmen beruht, die längst überholt sind. Das heißt im Endeffekt: Sie müssen auch die Prognosen zu den Arbeitsplatzeffekten nach unten korrigieren. Darüber hinaus soll die Bahn ihre Grundstücke in Berlin zu einem Schleuderpreis verkaufen, obwohl die Immobilienverwertung zum Abtragen der Altschulden vorgesehen war. Wer zahlt? - Der Steuerzahler natürlich! ({20}) Ich sage Ihnen, Herr Wissmann: Wenn Sie so weitermachen, fahren Sie auch noch die Bahnreform mit Karacho an die Wand. ({21}) Wenn Ihr Konzept wenigstens eine Chance hätte, langfristig Arbeitsplätze und Exporterfolge zu sichern, könnte man dem Vorhaben wenigstens in Teilaspekten noch etwas Positives abgewinnen. Ihr ganzes Exportkonzept, das der Bundesrechnungshof ebenfalls stark bezweifelt hat, ist Makulatur. Mein Kollege Klaus Hasenfratz wird dazu noch ausführlich Stellung nehmen. Aber dazu nur soviel: Sie fordern Mut zum Risiko, um die Zukunft zu sichern. Mut muß man Ihnen wirklich bescheinigen. Sie springen ohne Netz und Fallschirm geradewegs von einem Wolkenkratzer auf eine dichtbefahrene Straße. Sie wollen es auf die einfache Formel bringen: Wer gegen dieses unkalkulierbare Projekt zwischen Hamburg und Berlin ist, ist technikfeindlich und verspielt die Zukunft. ({22}) Nein, meine Damen und Herren, nicht wer die Risiken sorgfältig abschätzt und sie für zu hoch befindet, verspielt die Zukunft. Die Zukunft wird von Ihnen verspielt, weil Sie die falschen Entscheidungen treffen, obwohl Sie die Risiken genau kennen. ({23}) Wir von seiten der SPD haben immer deutlich gemacht, daß wir nicht gegen die Magnetschwebetechnik als solche sind. ({24}) Wir sind gegen diese überdimensioniert geplante Referenzstrecke Hamburg-Berlin, weil wir ein neues Milliardengrab nicht vertreten können. ({25}) Eine deutlich kürzere Anwendungsstrecke für den Transrapid wäre früher verfügbar, sie wäre finanziell kalkulierbarer, und die Systemvorteile der Technik könnten unter Echtheitsbedingungen im Dauerbetrieb erprobt werden. ({26}) Das ist auch die Meinung von Experten in der Anhörung gewesen. Glauben Sie denn im Ernst, meine Damen und Herren, daß sich irgendein potentieller ausländischer Interessent eine Technik ans Bein bindet, die nicht wirtschaftlich zu betreiben ist? Oder glauben Sie, daß irgendein Land mit dem Geld seiner Steuerzahler eine ausländische Technik subventioniert, nach Ihrem Modell der Public-private partnership? Das können Sie wohl vergessen. Wenn die Wirtschaftlichkeit nicht erwiesen wird, wird es für diese Technik keinen Abnehmer geben. Sie haben überhaupt keine Vermarktungsstrategie, weder für den Transrapid noch für den ICE. ({27}) Dessen Markt ist im übrigen deutlich größer als der des Transrapid. Während der TGV von der französischen Regierung heute massiv weltweit bei der Vermarktung unterstützt wird, träumen Sie in Ihrem Wolkenkuckucksheim von Exportchancen in 15 Jahren. Ich denke, wir müssen jetzt Anstrengungen unternehmen, um die deutschen Arbeitsplätze auch beim Schienenfahrzeugbau zu sichern. ({28}) Wir werden aus all den genannten Gründen Ihre beiden Gesetzentwürfe ablehnen - nicht weil wir gegen die Magnetschwebetechnik sind, sondern weil Sie mit Ihrer unbelehrbaren Haltung Vermarktungschancen zunichte machen, weil die Relation Hamburg-Berlin aus verkehrs-, Finanz- und wirtschaftspolitischer Sicht überhaupt keinen Sinn macht und weil wir dieser Regierung keinen Blankoscheck ausstellen werden. Es gilt Ihr alter Grundsatz, der immer gilt, wenn Sie etwas beschließen und versprechen: Hinterher ist sowieso alles ganz anders, als Sie es gesagt haben. ({29}) Wir sind für eine kurze Transrapid-Anwendungsstrecke, die nicht parallel zu einer ICE- oder IC-Strecke geführt wird, und wir sind für eine leistungsfähige ICE-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin. ({30}) Sie haben noch nicht einmal, Herr Fischer, unsere Änderungsanträge zum Allgemeinen Magnetschwebebahngesetz - bis auf einen - angenommen, obwohl das notwendig gewesen wäre. Wir hätten dann dem Allgemeinen Magnetschwebebahngesetz zustimmen können. Aber so, wie Sie sich im Ausschuß verhalten haben, ist der Gesetzentwurf für uns heute keine Geschäftsgrundlage. Der Entschließungsantrag, den wir eingebracht haben, spricht für sich. Wir machen unsere Haltung damit noch einmal deutlich. Dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, den die Grünen in den einzelnen Ausschüssen gestellt haben und der besagt, daß die abschließende Beratung ausgesetzt wird, bis eine fundierte Wirtschaftlichkeitsrechnung vorliegt, werden wir zustimmen. Denn das ist der einzige Weg, um die Risiken zu begrenzen und fundiert zu entscheiden. Wir wollen nicht auf bloße Versprechungen hin einen Blankoscheck ausstellen. ({31}) Ich würde mir wünschen, daß Sie sich diese Zeit nähmen. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Kollegen und Kolleginnen meiner Fraktion sagen, die heute abweichend von der übergroßen Mehrheit meiner Fraktion den Gesetzentwürfen zustimmen werden. Ich muß sagen: Ich habe großes Verständnis für ihre Beweggründe, die zum großen Teil auch mit der arbeitsmarktpolitischen Situation in ihren Wahlkreisen zusammenhängen. Dies ist ein bundesweites Problem. Ich denke, es ist nicht in Ordnung, daß von Ihrer Seite Arbeitsplätze im Wahlkreis A gegen Arbeitsplätze im Wahlkreis B ausgespielt werden. ({32}) Denn die Situation am Arbeitsmarkt ist Ergebnis Ihrer schlechten Politik. Ich bin stolz darauf, daß es in meiner Fraktion möglich ist, daß jeder Abgeordnete frei nach seinem Gewissen entscheiden kann. Ich würde mir wünschen, daß die Zweifler auch in Ihrer Fraktion heute so abstimmen könnten, wie sie wollen. ({33})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/CSU.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kollegin, die Freiheit der Meinungsäußerung und der Entscheidung gilt nicht nur in Ihrer Fraktion, sondern auch in unserer Fraktion und in anderen genauso. ({0}) Ich habe Ihrem Beitrag sehr aufmerksam zugehört. Sie vertraten noch vor einigen Jahren, was die Magnetbahntechnik angeht, eine Totalverweigerung. ({1}) Sie sind heute soweit, daß Sie sagen: Ein bißchen Magnetbahn wollen wir uns schon leisten. - Wenn wir uns weltweite Marktchancen eröffnen wollen, dann brauchen wir ein Beispiel dafür, daß diese neue Technik bei uns funktioniert. ({2}) Das zweite, was mich besorgt macht: Die Magnetbahntechnik, um die wir uns heute kümmern, ist ein Erbe auch sozialdemokratischer Verkehrs- und Forschungsminister. Nicht nur Hans Riesenhuber und Matthias Wissmann haben daran ihre Verdienste, sondern auch Ihre eigenen Minister. Ich finde es schon ein wenig bedenkenswert, wie wenig Sie den Mut und die Risikobereitschaft der Vätergeneration der Sozialdemokraten in der Zukunftsgeneration fortsetzen. Sie zeigen zur Zeit keinen Mut und keine Risiokobereitschaft, ({3}) zumal Sie, verehrte Kollegin Ferner, an eines denken sollten: Wir setzen auf Verkehrsvermeidung. ({4}) Der Transrapid ist eines der besten Beispiele für Verkehrsvermeidung. Manchen Kollegen von den Grünen ist leider noch immer nicht klargeworden: Der Transrapid ist das ökologisch sinnvollste landgebundene Verkehrsmittel: ({5}) weniger Energie, weniger Lärm und weniger Landschaftszerschneidung. Ich hoffe, daß Sie doch noch zu der Erkenntnis kommen, auf diesen Transrapid zu setzen und damit den Technologiestandort NordWolfgang Börnsen ({6}) deutschland zu stärken und nicht zu schwächen, wie Sie es leider vorhaben. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zur Erwiderung hat die Kollegin Elke Ferner.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Börnsen, erstens muß ich Ihnen sagen, daß unsere Position, die wir in der letzten Wahlperiode vertreten haben, exakt die gleiche wie diejenige ist, die ich heute vertreten habe, ({0}) denn wir haben gesagt, wir wollen eine kurze Referenzstrecke, wir wollen kein Risiko für den öffentlichen Haushalt, und wenn es denn eine lange Strecke sein muß, dann soll sie bitte auch richtig privat finanziert werden. - Das zum ersten. ({1}) Zum zweiten. Die Strecke, die jetzt von Ihnen favorisiert wird, wird frühestens im Jahr 2005 verfügbar sein, bis dann eben die Technik erprobt ist. Bis dann möglicherweise ein Interessent, wenn sie überhaupt wirtschaftlich zu betreiben sein wird, aktiv wird, sind wir im Jahr 2010. Das ist in der Anhörung überhaupt von niemandem bestritten worden. Das heißt, es sind noch vierzehn Jahre, in denen dann eben nach Ihrer Meinung mögliche Interessenten darauf warten sollen, ob sich die Technik bewährt und sich rechnet, um dann vielleicht den Transrapid zu bestellen. Glauben Sie denn, Sie werden bis dahin nicht eher ein Hochgeschwindigkeitssystem auf der Schiene einführen? Drittens. Sie haben gesagt, die Technik sei auch mit sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen entwickelt worden. Das ist richtig; ich habe ja auch gesagt, wir sind nicht gegen die Technik. Wir wollen dieser Technik eine Chance geben, aber nicht so, wie Sie das vorschlagen, weil das zu spät kommt und weil es auch Vermarktungsstrategien verhindert. Das, was Sie hier vorhaben, ist keine Vermarktungsstrategie, das folgt einfach nur noch der Maxime „Augen zu und durch" . ({2}) Wenn Sie dann sagen, Sie setzten auf Verkehrsvermeidung, dann muß ich Ihnen Ihre eigenen Prognosezahlen entgegenhalten. Wenn Sie auf eine Ver-xfachung der Fahrgastströme setzen, dann ist das nun wahrlich keine Verkehrsvermeidung, sondern eine Verkehrsvermehrung. Was Sie bezüglich der ökologischen Aspekte des Systems sagten, so stimmt das, soweit es sich um die unteren Geschwindigkeitsbereiche handelt. Aber Sie wissen genau, daß der Transrapid, wenn er mit Höchstgeschwindigkeit fährt, lauter ist als der ICE und auch einen höheren Energieverbrauch als dieser hat. ({3}) Insofern hilft Ihnen das Herunterbeten überhaupt nicht. Das, was Sie an Argumenten gebracht haben, kann uns nicht überzeugen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat noch nicht der Kollege Koppelin, sondern erst der Kollege Dionys Jobst, CDU/CSU.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede, die Frau Kollegin Ferner uns heute geboten hat, und ihre weitere Einlassung zwingen zu einer Erwiderung. Frau Kollegin Ferner, ich habe durchaus Verständnis, wenn man in dieser wichtigen Frage anderer Meinung ist. Aber ich bin etwas enttäuscht über Ihre Rede und Ihre Einlassung, die Sie jetzt erneut geboten haben. Daraus spricht eine Verweigerungsmentalität, die Tatsache, daß die SPD immer noch Scheuklappen trägt, wenn es um Neuerungen geht, wenn es um Zukunftsprojekte geht. Sie ignorieren einfach die Zukunftsnotwendigkeiten, die es im Verkehrsbereich und allgemein im wirtschaftlichen Bereich gibt. ({0}) Mit Ihrer Haltung wäre es im letzten Jahrhundert nicht möglich gewesen, einen Kilometer Eisenbahn zu bauen. ({1}) Frau Kollegin Ferner, hier geht es nicht um einen Flop, wie Sie gemeint haben. Sie nehmen einfach die Tatsachen nicht zur Kenntnis. Wir stellen niemandem einen Blankoscheck aus. Die Gesetze, die wir heute verabschieden möchten, schaffen die Grundlage dafür, daß das Raumordnungsverfahren durchgeführt werden kann, daß weiterhin die Voraussetzungen für eine endgültige Entscheidung hergestellt werden können. Wenn ich aus Ihrer Rede die Schlußfolgerung ziehe, dann sind Sie auch für das Allgemeine Magnetschwebebahngesetz, denn Sie wollen ja eine kleine Vorortbahn dieser neuen Technologie schaffen. Aber Sie sagen nicht, wo das sein soll. Es geht hier um Zukunftsprojekte, denen man mit kleinen Mäkeleien, die Sie auch gebracht haben, nicht begegnen kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Voraussetzungen für eine langfristige Daseinsvorsorge schaffen. Hier ist Weitsicht und nicht Kurzsicht gefragt. Der Verkehr wird weiter zunehmen, ob wir es wollen oder nicht. ({2}) Wir werden mehr Verkehr haben, und die Mobilität läßt sich nicht unterdrücken, Herr Schmidt. Es wird so sein, daß wir im nächsten Jahrhundert ein neues Verkehrsmittel benötigen, und hierfür kann sich diese Magnettechnologie anbieten. Die Verbindung zweier Ballungsräume - Hamburg-Zentrum, Berlin-Zentrum - beweist, daß dafür Bedarf gegeben ist und daß es ein funktionierendes Verkehrsmittel sein wird, mit dem wir erreichen, daß der Verkehr auf der Straße reduziert wird. Wir erreichen auch, daß der unwirtschaftliche nationale Flugverkehr eingeschränkt wird. Dafür sprechen neben den verkehrspolitischen auch die umweltpolitischen Gründe. Eines sollten wir nicht übersehen:

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Jobst, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sichern und schaffen damit Arbeitsplätze. Wir eröffnen damit Exportchancen. Warum sind die Japaner so sehr dahinter her, diese Technologie zu bekommen?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Jobst, ich muß Sie auf die Redezeit aufmerksam machen. Sie können noch einen Satz sagen; dann muß Schluß sein.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir brauchen diese neue Technologie aus verkehrspolitischen, umweltpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen, um die Exportchancen aufrechtzuerhalten. Es gibt vernünftige Leute in der SPD - Kollegen des Haushaltsausschusses, den Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Eichel -, die für diese neue Technologie sind. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zur Gegenrede, Frau Kollegin Ferner.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Andrang der Redner in Ihrer Fraktion war offensichtlich so groß, daß sich jetzt sehr viele mit Kurzinterventionen zu Wort melden, die im Protokoll vermerkt werden. Ihre Argumente werden dadurch aber nicht richtig. ({0}) Das erste Problem ist, daß man, wenn man eine Zukunftstechnologie einführen will, eigentlich nicht mit einer solch riesigen Strecke beginnen darf. Die Japaner machen es uns vor: Sie bauen zuerst über eine Strecke von 40 oder 50 Kilometern, um, wenn sich die Technologie bewährt, diese Strecke möglicherweise nach beiden Seiten zu verlängern. Das ist eine richtige Markteinführungsstrategie. ({1}) Mit Ihrer Strategie, eine deutlich längere Strecke zu wählen, machen Sie diese Marktchancen kaputt. ({2}) Deshalb können wir dem, was Sie uns heute vorgelegt haben, nicht zustimmen. ({3}) Zum zweiten muß man sich fragen: Was haben zum Beispiel die Wohnungsbauförderung, die Hochschulbauförderung, die regionale Wirtschaftsförderung oder die Investitionen in Schienenprojekte damit zu tun, daß eine solche Zukunftstechnologie - egal, auf welcher Länge - eingeführt wird? Der dritte Punkt. Sie haben gesagt, Sie wollen, daß die Autofahrer auf den Transrapid umsteigen. Ich weiß nicht, in welchen Kreisen Sie verkehren und wie die Einkommenssituation dieser Menschen ist. Für viele Menschen wird es nur eine Preisfrage sein, ob sie sich in den Transrapid setzen oder weiter mit dem Auto fahren, wenn sie feststellen, daß die Benzinkosten auf der Strecke Hamburg-Berlin und zurück unter denen der Fahrkarte in Höhe von 180 DM liegen. ({4}) Mit Ihrer unsozialen Politik mit permanenten Kürzungen in allen möglichen Bereichen entziehen Sie den Leuten die Grundlage, dieses Verkehrsmittel zu benutzen. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort für eine weitere Kurzintervention hat der Kollege Jürgen Koppelin, F.D.P.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als ich die Rede der Kollegin Ferner gehört habe, habe ich nur gedacht, sie sollte vielleicht hin und wieder in Zeitschriften gukken und die Anzeigenseiten lesen. Sie hat von der letzten Legislaturperiode gesprochen. Ich habe eine Anzeige vorliegen, die in der letzten Legislaturperiode erschienen ist. In dieser Anzeige ist der Transrapid abgelichtet. Daneben befindet sich das Bild des ehemaligen Kollegen Rudi Walther. ({0}) An der Seite steht geschrieben: Rudi Walther ({1}) auf dem Weg in ein neues Bahnzeitalter Frau Kollegin, ich darf Ihnen den Text dieser Anzeige vorlesen. Die Überschrift lautet: „Einstieg in die Zukunft" . Das Herz der Nordhessen schlägt seit jeher für die Bahn. Deshalb haben wir sie immer wieder schneller und attraktiver gemacht. Schon vor 60 Jahren fuhren Eisenbahnen aus Kassel mit Tempo 200. ({2}) Doch das Beste, was wir zum Thema Bahn entwickelt haben, ist die Magnetschnellbahn von Thyssen Henschel, der Transrapid. Jetzt kommt es: Umweltfreundlich, wirtschaftlich und zeitsparend - so wird er künftig von Berlin nach Hamburg schweben. Nordhessen hat eben ein Klima, das eine solche Innovation gedeihen läßt - die es auch unseren Kindern und Enkelkindern ermöglicht, eine Reise auf umweltverträglichen Wegen zu genießen. Unterzeichnet ist der Text von Rudi Walther. Diese Anzeige hätten Sie einmal lesen sollen! ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Ferner, bitte.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Kollege Koppelin, ich kenne die Anzeige. Auch ich habe sie zu dieser Zeit gesehen. Ich denke, man sollte früheren Kollegen jetzt nicht vorwerfen, daß sie sich für die eine oder andere Sache pro oder kontra ausgesprochen haben. ({0}) Ich habe gerade schon gesagt, daß es in meiner Fraktion eben möglich ist, abweichend zu der Mehrheit auch eine andere Meinung zu vertreten. Ich finde es schon reichlich merkwürdig, daß diejenigen, die über 4 Millionen Arbeitslose in dieser Republik zu verantworten haben, jetzt betonen, durch eine mögliche Zukunftstechnik, die so, wie Sie sie einführen wollen, wohl keine werden wird, Arbeitsplätze im nordhessischen Bereich sichern zu wollen. Sie spielen damit Arbeitsplätze im Fahrzeugbau, bei den Schienenfahrzeugen und in den anderen Bereichen aus. Ich denke, auch bei Thyssen Henschel würde man sich, wenn man von der Bonner Politik endlich einmal verläßliche Rahmenbedingungen bekäme, auf andere Produktionen umstellen können, so daß auch dort Arbeitsplätze gesichert werden könnten. ({1}) Ich nehme das Argument hinsichtlich der Arbeitsplätze wirklich sehr ernst. Sie aber, die 4,3 Millionen Arbeitslose zu verantworten haben, haben kein Recht darauf, uns den Verlust von Arbeitsplätzen vorzuhalten. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir jetzt gerade wieder erlebt haben, zeigt nach meiner Ansicht deutlich, daß der Antrag, den wir heute gestellt haben, richtig war, nämlich heute nicht endgültig über den Bedarf einer Magnetschwebebahn zu entscheiden, sondern diese Entscheidung zurückzustellen, bis der Informationsbedarf des gesamten Hauses auf einem Stand ist, daß tatsächlich fachkundig und verantwortungsvoll über dieses Projekt entschieden werden kann. Die Debatte zeigt, daß wir so lange warten müssen. Denn heute - das zeigt sich gerade aus den Interventionen, die aus Ihren Reihen gekommen sind - herrscht noch sehr viel Unkenntnis über das, worüber Sie heute - bei einem Kapitaleinsatz von mindestens 15 Milliarden DM - entscheiden wollen. Wenn Sie in diesem Lande tatsächlich Verantwortung übernehmen wollen, dann bitte ich Sie: Stellen Sie die Entscheidung zurück, bis Sie so weit sind, daß Sie rational und nicht mit einer solchen Emotionalität und Plattheit der Argumentationen über dieses Projekt entscheiden können, wie Sie das bisher vorgetragen haben. ({0}) Ich will nicht auf die gesamten Fragen der Ökologie, die merkwürdigerweise ja immer wieder von Ihrer Seite vorgebracht werden, oder auf das Argument der Verkehrsvermeidung eingehen. Da sind sicherlich keine weiteren Belehrungen nötig. Ich will statt dessen noch einmal auf das kommen, worum es heute eigentlich gehen soll. Hier liegt uns ein Gesetz vor, das den Bedarf festschreiben soll. Sie wissen alle ganz genau, daß im Rahmen dieser Bedarfsfeststellung bisher an keinem Punkt der Republik nachgewiesen worden ist, daß es diesen Bedarf überhaupt gibt. ({1}) Sie sprechen ständig auf zwei verschiedenen Ebenen. Das ist unsolide und im Grunde unverantwortlich. Auf der einen Seite wollen Sie durch eine Teststrecke eine Industriepolitik verankern. Sie sagen: Wir müssen einmal bestimmte Sachen ausprobieren, um sie exportfähig zu machen und zu schauen, ob sie überhaupt funktionieren. Auf der anderen Seite tun Sie so, als wenn es verkehrlichen Bedarf gäbe und hier ein Instrument der Verkehrspolitik zur Verfügung stünde, das schon einsetzbar ist. ({2}) Bevor Herr Kollege Fischer etwas dazu sagt, möchte ich gerne meinen Gedankengang fortsetzen. Sie wollen hier den Bedarf für ein Verkehrssystem festschreiben, das noch überhaupt gar keine Zulassung als öffentliches Verkehrsmittel hat. Der Bundesrechnungshof stellt in seinem Bericht unter anderem fest, daß bei diesem System der Winterfahrbetrieb und der Begegnungsverkehr völlig ungeklärt sind. Das digitale Betriebsleitsystem ist noch überhaupt nicht erprobt. Es fehlt ein Gepäckförderungskonzept - nicht so ganz wichtig, aber auch -; es fehlt ein Bordservicekonzept. Wichtig ist aber: Es gibt noch gar kein Gesamtbetriebskonzept. Dieses fehlt völlig. Es gibt kein Rettungs- und Evakuierungskonzept. Es gibt kein schlüssiges Instandhaltungskonzept. Es gibt überhaupt keine Vorstellung, über die bisher diskutiert wird, wie die Sicherung des Fahrweges auf ebenerdiger Trasse möglich ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Steenblock, ich muß Sie jetzt einmal unterbrechen, weil inzwischen zwei Zwischenfragen angemeldet worden sind.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danach!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Was heißt „danach"? Sie müssen mir dann schon ein Zeichen geben.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich dachte, ich hätte es deutlich gemacht. Danach gern!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Was heißt denn „danach"?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sobald ich die Liste dessen aufgezählt habe, was bei einem solchen System völlig unklar ist, dessen verkehrlichen Bedarf Sie hier heute auch auf der technischen Ebene festschreiben wollen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Also, „im Augenblick nein"! - Bitte.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Fischer, Sie dürfen gleich Ihre Frage stellen. Die Lärmschutzfragen zum Beispiel - ein ganz wichtiger Kostenfaktor - sind bisher überhaupt noch nicht geklärt. Der Versuchsbetrieb ist überhaupt nicht auf die realen Bedingungen abgestellt, und - was auch der Rechnungshof sagt; das finde ich ganz wichtig - die Dauer der Testphase bis zur Zulassung als öffentliches Verkehrsmittel ist völlig ungewiß. So ein System, bei dem hinsichtlich der Einsatzfähigkeit alles völlig offen ist, wollen Sie heute - mit einem Kapitalvolumen von 15 Milliarden DM im Hintergrund - festschreiben. Das ist gleichsam ein ungedeckter Scheck; nicht einmal ein Haushaltsvorbehalt ist in diesem Gesetz enthalten. Was Sie für diesen Bereich vorschlagen, ist im Grunde ein Blankettermächtigungsgesetz. Aufgrund dieser dürftigen Faktenlage wollen Sie hier heute eine Entscheidung treffen. Ich halte das für unverantwortlich. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ist jetzt der Zeitpunkt erreicht, daß Zwischenfragen gestellt werden können?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt dürfen alle.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nein, nein, immer nacheinander. Der Herr Kollege Fischer hat das Wort zu einer Frage. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Steenblock, Sie sind nach meiner Kenntnis Abgeordneter aus Schleswig-Holstein und gegenwärtig an Koalitionsverhandlungen beteiligt. Deswegen stelle ich an Sie folgende Frage. Ist es nicht eigentümlich, daß Sie jahraus, jahrein vehement gegen den Bau der Ostseeautobahn - ihre Verlängerung mit einer westlichen Querung der Elbe - eingetreten sind und dabei besonders einen angeblichen Verkehrsbedarf verneint haben, der aber nur auf diese Weise befriedigt werden kann? Wie erklären Sie sich dann, ({0}) daß Sie, wenn es um Fragen der Beteiligung an der Macht in Schleswig-Holstein, wenn es um den Einzug in die Belle Etage, geht, diese Argumente Stück für Stück wieder einkassieren, wobei es Ihnen überhaupt nicht wehtut, das, was Sie früher gesagt haben, schlicht und ergreifend zu vergessen? Könnten Sie sich vorstellen, daß Sie sich unter vergleichbaren Rahmenbedingungen beim Transrapid ähnlich verhalten würden? ({1})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Fischer, vielen Dank für diese Zwischenfrage. Sie gibt mir die Möglichkeit, die Zustimmung der Grünen zu den Vereinbarungen, die in der Koalition jetzt zur A 20 getroffen worden sind, auch vor diesem Hause zu erläutern, weil es da tatsächlich großen Erläuterungsbedarf gibt. Die Bündnisgrünen haben im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen zur A 20 festgestellt, daß für sie ein deutlicher Dissens - auch im Vergleich zur SPD - hinsichtlich der Notwendigkeit dieser Trasse besteht. Wir haben aber auch festgestellt, daß es mittlerweile Entscheidungen gibt, die auf Bundesebene festgeklopft werden, und daß wir unsere Politik - das haben wir nie bestritten - auf der Grundlage von Recht und Gesetz betreiben werden. ({0}) - Natürlich! - Was Sie andeuten, würde ja bedeuten, daß wir - ({1}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie sich an dieser Stelle so aufregen. ({2}) Haben wir jemals etwas anderes behauptet? ({3}) Wir werden natürlich auch bei einer Beteiligung an der Regierung die Grundlagen der Verkehrsplanung, wie sie in diesem Land geregelt sind, beachten müssen, unabhängig von dem, was wir als Partei wollen. Das bedeutet die Anerkennung der Bundesauftragsverwaltung für diese Projekte, die durch sind. Das ist klar. Wir sind als Land Schleswig-Holstein an die Grundsätze der Bundesauftragsverwaltung gebunden. Trotzdem werden wir - das haben wir sehr differenziert vorgetragen - in den anstehenden Planfeststellungsverfahren und den Raumordnungsverfahren, die ja zur Linienbestimmung in dem Teil westlich der A 1 durchgeführt werden, alles tun, was in unseren Kräften steht, um das, was meine Partei will - den Einstieg in eine andere Verkehrspolitik, die auf Autobahnen sehr gut verzichten kann und die den öffentlichen Personennahverkehr fördert -, zu erreichen. Sie soll es auch möglich machen - das steht zum Beispiel ebenfalls in dieser Koalitionsvereinbarung -, daß mehrere Schienenstrecken in SchleswigHolstein reaktiviert werden. Das ist ein großer Erfolg für die Bündnisgrünen in diesem Programmteil. ({4}) Wir werden es schaffen, diesen Verkehr, den Sie mit der „Entwässerungsstraße" für Mecklenburg-Vorpommern durchzuknallen versuchen, zu verhindern. Aber wir sind an Recht und Gesetz gebunden - das haben wir festgestellt -, und das werden wir auch buchstabengetreu erfüllen. Das bringt uns aber nicht dazu, zu glauben, daß wir nicht andere Möglichkeiten haben, mit denen wir hier unsere Interessen durchsetzen können. - Soweit zur A 20. Sie haben gefragt, wie es mit dem Transrapid sei. Der Transrapid wird im Raumordnungsverfahren behandelt. ({5}) - Herr Fischer, wir sind miteinander noch nicht fertig. ({6}) Das Verfahren läuft derzeit an. In der Koalitionsvereinbarung gibt es Übereinstimmung darüber, daß sich das Land Schleswig-Holstein mit keiner müden Mark an den zusätzlichen Kosten der Infrastruktur für den Transrapid beteiligen wird. Das ist für uns wichtig. ({7}) Egal, wer in Zukunft in Schleswig-Holstein der zuständige Minister für diesen Bereich sein wird: Ich garantiere Ihnen hier, daß Sie ein Raumordnungsverfahren auf der Grundlage von Recht und Gesetz bekommen werden, an das diese Bundesregierung noch lange denken wird. Es gibt in einem solchen Verfahren viele rationale Möglichkeiten, den verkehrspolitischen Strukturen, an denen die Mehrheit der Bevölkerung gerade in dieser Region Interesse hat, zum Durchbruch zu verhelfen. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, egal, wie die Abstimmung heute ausgeht. Die Auseinandersetzung um den Transrapid ist noch nicht zu Ende. Gewonnen haben Sie noch lange nicht. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Steenblock, ich habe insgesamt noch sechs Zwischenfragen notiert. Ich frage Sie einmal: Lassen Sie diese zu? Dann arbeiten wir sie nacheinander ab.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Machen wir einmal die erste!

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gut, fangen wir mit der ersten Frage an. Diese wird vom Kollegen Börnsen gestellt. ({0}) - Es ist das Recht jedes Abgeordneten, Zwischenfragen zu stellen, wenn der Redner sie zuläßt. Der Redner kann sie beantworten, solange er will. Dazu gibt es keine Regeln in der Geschäftsordnung. Herr Kollege Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Steenblock, wie auch andere Redner nehmen Sie den Bundesrechnungshof zum Kronzeugen für Ihre Argumentation. Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil es mich wirklich umtreibt, daß die Langfassung des Berichts des Bundesrechnungshofes nicht zur Kenntnis genommen wird. Dort stehen drei Dinge. Erstens. Der Bundesrechnungshof hält den Transrapid für erforderlich. ({0}) Zweitens. Würden Sie zur Kenntnis nehmen -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Börnsen, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage, nicht zu einer Kurzintervention bekommen. Kommen Sie jetzt bitte zu Ihrer Frage!

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb, Herr Präsident, wollte ich gerne fragen, ob Herr Kollege Steenblock zur Kenntnis nimmt, daß der Bundesrechnungshof in seinem Bericht die Notwendigkeit des Transrapid unterstreicht und darauf abstellt, daß es keine Verzögerung im Umbau geben darf. Das ist so in der Langfassung des Berichts enthalten. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege Steenblock.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Börnsen, das, was Sie sagen, ist sicherlich nicht ganz falsch. Ich lese Ihnen aber einmal vor, was der Bundesrechnungshof gesagt hat; denn ich habe mir gedacht, daß Sie so etwas fragen werden. Ich lese aus dem Protokoll der Anhörung vor, in der der Bundesrechnungshof mit diesen Fragen konfrontiert worden ist. Sie sprachen an, - das sagt der Bundesrechnungshof im Grunde zu dieser Frage der Rechnungshof sei der Ansicht, dieses Projekt müsse beschleunigt werden .. . Daraus entnehmen Sie schon, daß der Bundesrechnungshof dazu eine sehr differenzierte Auffassung hat. Dies ist aber die Kenntnis aus dem Vermerk, der durch das Verkehrsministerium verbreitet wurde. Jetzt überspringe ich einen Teil, in dem der Bundesrechnungshof deutlich macht, daß dem nicht so ist. Ich will das jetzt nicht in ganzer Länge zitieren, weil sich das auf die Berliner Geschichte bezieht. Dann schreibt er: Die Vorgehensweise des Bundesverkehrsministeriums, diese Äußerung aus dem Zusammenhang zu lösen und darzustellen, „es solle mit Beschleunigung darangegangen werden, das Projekt zu verwirklichen, ist nur halb richtig", weil vorher noch eine ganze Reihe von Punkten geklärt werden müssen. Das wird auf vielen Seiten ausgeführt; dazu nenne ich gleich das nächste Zitat. Nur dann, wenn dies geschehen ist, wäre es tatsächlich sinnvoll, das Projekt zu beschleunigen. Der Bundesrechnungshof sagt aber auch: Da diese Bedingungen alle noch nicht überprüft worden sind, müssen wir, bevor wir in die Beschleunigungsphase der Gesetzgebung eintreten, prüfen, ob diese Fragen geklärt sind. Der Bundesrechnungshof führt aus: „Wenn alle Beteiligten und Betroffenen - das ist die Kernfrage - wissen, was es an Kosten verursacht, auch für den Bund, dann können wir diese Entscheidung treffen. Wenn diese Grundlage" - das sagt er, auf die Erlössituation angesprochen - „nicht stimmt, dann bricht das ganze Gebäude zusammen, ({0}) und es besteht die Gefahr, daß der Bund letztlich auf einem Riesenberg Schulden sitzenbleibt." ({1}) Kollege Börnsen, ich glaube, die Frage ist beantwortet. Sie dürfen sich setzen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jobst?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Steenblock, ich möchte auf Ihre Behauptung zurückkommen, daß die Einsatzreife dieser Technologie nicht gegeben sei. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Einsatzreife dieser neuen Technologie vom Zentralamt der Bahn und von Professor Rahn bescheinigt worden ist und daß es jetzt darum geht, die Marktreife zu erproben, das heißt die Funktionsfähigkeit nachzuweisen? Denn jeder potentielle Käufer im Ausland wird eine solche Technologie erst dann erwerben, wenn er sieht, wie diese in unserem Lande funktioniert.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dr. Jobst, es ist richtig, was Sie über die technische Einsatzreife sagen. Das habe ich überhaupt nicht bestritten. Aber ich habe in einer Liste aufgezählt, was alles noch fehlt und unklar ist. Die Liste erscheint mir so groß, daß wir heute nicht entscheiden können. Das Entscheidende, worauf ich aufmerksam machen möchte, ist, daß wir heute über ein System befinden sollen, dessen Zulassung als öffentliches Verkehrsmittel - und das war für mich das Wichtige - überhaupt noch nicht absehbar ist. Man könnte jetzt sehr ausführlich diskutieren, was technische Einsatzreife, Marktreife und Zulassung als öffentliches VerRainder Steenblock kehrsmittel bedeutet. Die entscheidende Frage ist: Wann sind die rechtlichen Voraussetzungen gegeben, damit dieses System als öffentliches Verkehrsmittel zugelassen werden kann? Dies ist zur Zeit, auch nach Angabe des Bundesrechnungshofes, überhaupt noch nicht absehbar. Es ist ein Wahnsinn, wenn Sie mit der Beförderung von Hunderten von Millionen Fahrgästen auf der Strecke zwischen den beiden Großstädten die Zulassung als öffentliches Verkehrsmittel erreichen wollen. Dann müßten Sie das gleiche wie die SPD fordern und eine andere Teststrecke bauen, um auf diese Weise die Zulassung als öffentliches Verkehrsmittel zu bekommen. Ich wiederhole: Solange Sie nicht wissen, wann dieses System als öffentliches Verkehrsmittel zugelassen wird, so lange können Sie keine Bedarfsstrecke zwischen Hamburg und Berlin bauen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Steenblock, jetzt der Kollege Kuhlwein. Sind Sie einverstanden?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, aber gern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Steenblock, können Sie bestätigen, daß es in Schleswig-Holstein zwischen den künftigen Koalitionspartnern in der Bewertung der Transrapidstrecke Hamburg-Berlin von Anfang an keinerlei Meinungsverschiedenheiten gegeben hat und daß die künftigen Koalitionspartner vereinbart haben, alle möglichen rechtlichen Schritte gegen das Projekt auszuloten, um es nach Möglichkeit zu verhindern. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kuhlwein, ich kann feststellen, daß Ihre Ausführungen zum Transrapid und zu den Koalitionsvereinbarungen, an denen auch wir beide beteiligt waren, hundertprozentig richtig sind. Es ist der gemeinsame Wille der Koalitionspartner in Schleswig-Holstein, eine Verkehrspolitik zu vereinbaren, bei der gerade in diesem Bereich, was die Verhinderung des Transrapid und die Förderung des Schienenverkehrs angeht, beide Partner übereinstimmen. Wir werden alles mögliche tun, um zu verhindern, daß der Transrapid den Schienenverkehr zwischen Hamburg und Berlin auf null reduziert und damit zum erstenmal auf der Welt zwei Metropolen in Deutschland von der Möglichkeit abschneidet, per Schiene verbunden zu sein. Das kann nicht im Interesse der Landesregierung von Schleswig-Holstein sein. Deshalb kann ich Ihnen nur recht geben, Herr Kuhlwein. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Steenblock, Sie gestatten eine Frage des Kollegen Koppelin? ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Steenblock, nachdem Sie zur A 20 Stellung genommen haben - und ich akzeptiere Ihre Meinung -, darf ich Sie fragen: Wußten Sie nicht bereits vor der Landtagswahl, daß es so sein wird, wie Sie es hier dargestellt haben? Wie kamen Sie vor der Landtagswahl dazu, ein Plakat zu kleben, auf dem stand: „A 20? - Niemals! " Damit haben Sie doch eine falsche Aussage gemacht. Können Sie bestätigen, Kollege Steenblock - da der Kollege Kuhlwein und Sie ja auch vom Koalitionspapier in Schleswig-Holstein gesprochen haben -, daß der Kreisverband der Grünen in Lübeck dieses Koalitionspapier als „Schwafelpapier" bezeichnet hat? ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann gerne etwas dazu sagen, wenn Sie es möchten. Ich freue mich, wenn wir die Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein hier noch einmal in aller Breite darstellen können, weil wir da etwas erreicht haben, was für viele Länder der Bundesrepublik vorbildlich ist. Ich könnte den Koalitionsvertrag zur Verkehrspolitik - er ist ja fast fertig - hier vorlesen. ({0}) Da besteht bei Ihnen sicherlich großer Informationsbedarf. Sie können viel lernen aus diesem Vertrag, wie man eine vernünftige, reformorientierte Zukunft dieses Landes gestalten kann. ({1}) Herr Koppelin, es hat einen Bürgerschaftsabgeordneten in Lübeck gegeben, der das, was Sie als Meinung des Kreisverbandes dargestellt haben, so der Presse gegenüber gesagt hat. In unserer Partei ist es so, daß Meinungen von einzelnen Abgeordneten immer noch nicht die Meinung des Kreisverbandes sind. Das mag bei Ihnen anders sein. Wenn da einer was sagt, müssen alle folgen. Aber in unserer Partei ist es so, daß wir durchaus eine demokratische Kultur haben. ({2}) Zum zweiten. Die Bündnisgrünen in SchleswigHolstein haben immer klargemacht, daß es ihr Ziel ist, die A 20 zu verhindern. Unser Ziel ist es: A 20 niemals! Daß wir im Rahmen einer Koalition, wo man als Regierungspartner eine bestimmte Rechtssituation vorfindet, das nicht durchsetzen können, ist eine Lage, mit der man sich auseinandersetzen muß. Unsere Partei wird am Ende dieser Verhandlungen entscheiden, ob sie dem Verhandlungspapier, das zur A 20 sehr viel Kluges enthält, zustimmen kann. Das wird am 18. Mai sein. Sie werden das sicherlich mit Interesse verfolgen. ({3}) - Ja, Herr Koppelin, ich lade Sie ein, das auf den beiden Parteitagen jeweils mitzuverfolgen. Das ist sicher eine spannende Veranstaltung. Mir tut es für Sie persönlich leid, daß Sie in Schleswig-Holstein nun leider nichts geworden sind. ({4}) Aber es ist nun einmal so, daß Rot-Grün in Schleswig-Holstein von der Qualität her ein stabiles Koalitionspapier ausgearbeitet hat. Hinsichtlich der A 20 haben wir - da gebe ich vielen Kritikern recht - Schwierigkeiten, dem Kompromiß zuzustimmen. In vielen Teilen haben wir ein hervorragendes Koalitionsvertragspapier ausgearbeitet. Die Partei wird darüber entscheiden. Sie müssen leider hier in Bonn bleiben. Aber das ist ja auch ganz schön. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Redner hat mir signalisiert, er wolle weitere Zwischenfragen jetzt nicht zulassen. Bitte, Herr Steenblock.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Peters, lassen Sie uns das nachher klären. Ich glaube, der Unterhaltungswert sinkt, wenn wir hier nur Dialoge führen. ({0}) Da ich ja einige Teile meiner Rede als Antwort auf die Zwischenfragen schon vortragen konnte, werde ich versuchen, noch ein paar Dinge zu sagen, die für mich wichtig sind. Das große Problem bei der Finanzierung ist natürlich, daß die Finanzierungsgrundlagen sehr unsolide sind. Ich will mit Ihnen gar nicht darüber diskutieren. Sie finanzieren viele andere Dinge auch unsolide und wissen nicht, wie sie die Gelder für das, was Sie alles versprechen, zusammenkriegen sollen. Das ist nicht so sehr der Punkt. Wenn man sich einmal ansieht - Frau Ferner hat das zum Teil angesprochen -, aus welchen Bereichen welche Summen zur Verfügung gestellt werden sollen, dann ergibt sich, daß das Landwirtschaftsministerium 221 Millionen DM für den Transrapid zur Verfügung stellen soll. Was ist das für eine Logik? Das Bauministerium soll nach den bisherigen Planungen für den Transrapid 501 Millionen DM zur Verfügung stellen. Sie wissen, daß sich das verdoppeln kann. Also eine halbe Milliarde DM aus dem Bauministerium für den Transrapid. Auch das Wirtschaftsministerium ist beteiligt, das doch eigentlich zuständig ist für all das, was wir zum Teil auch gemeinsam wollen: Förderung des Mittelstands, Strukturveränderung, Schaffung von Arbeitsplätzen, Anstoß neuer Technologien, die als Großtechnologie weit über dieses Projekt hinausgehen. Ich lese Ihnen noch einmal die Zahlen vor: 9,8 Prozent der Transrapidfinanzierung gehen über das Bauministerium. Das habe ich gesagt. 3,9 Prozent gehen über das Bundeslandwirtschaftsministerium, 9,8 Prozent über das Bundesforschungsministerium. Sie verbraten hier Gelder, die wir dringend an anderer Stelle brauchen, für eine Großtechnologie. Damit fahren Sie den Karren an die Wand. ({1}) Erklären Sie mir einmal, was die Landwirte, die ihr Land dafür zur Verfügung stellen sollen, daß die Stelzenbahn es durchquert, mit der Finanzierung zu tun haben. Diese Bahn ist nicht flächensparend. Aus den Untersuchungsergebnissen der Raumordnungsverfahren können Sie ersehen, daß die Korridore 200 Meter breit sind, die dafür gebraucht werden. Sie belasten die Landwirte mit dieser querfeldein verlaufenden Streckenführung - ich will dabei über den Naturschutz gar nicht reden -, und dann sollen diese dafür auch noch 221 Millionen DM bezahlen. Erklären Sie einmal den Leuten, wie so etwas gehen soll. Nicht berücksichtigt sind dabei die zu erwartenden Steigerungsraten der Kosten. Wir haben ein ganz wichtiges Projekt, das in dieser Größenordnung im Verkehrsbereich in Europa in letzter Zeit finanziert worden ist. Man sollte sich einmal anschauen, was damit passiert ist. ({2}) Das ist der Eurotunnel. Wie entwickeln sich solche Großprojekte ({3}) - ja, Herr Solms - in der Finanzierung und in der Belastung für die öffentlichen Haushalte? Das ist das Thema, über das wir heute diskutieren. ({4}) Im Jahre 1995 machte der Eurotunnel 2,1 Milliarden DM Defizit. Das ist dreimal soviel, wie der Umsatz in diesem Jahr betrug. 19 Milliarden DM Schulden sind mittlerweile im Zusammenhang mit diesem Projekt angehäuft. Das Verkehrsaufkommen beträgt ein Zehntel des bei Planungsbeginn prognostizierten Bedarfs. Wenn Sie sich einmal anschauen, in welche Situation Sie hier sehenden Auges hineingeraten, dann können Sie sich nicht darauf berufen, Sie hätten nicht gewußt, was Sie hier tun. Sie wissen es ganz genau. Sie gehen knallhart in diese Auseinandersetzung hinein - trotz der Argumente der unsoliden Finanzierung, trotz der technischen Unvollkommenheit, trotz Ihrer ständigen Rede von Ökologie. Sie wissen, daß wir ein Verkehrssystem haben, das auf der Schiene vernünftig funktioniert. Jeder Meter Transrapid wird zusätzlich gebaut, wird neben die Schiene gebaut und bedeutet zusätzlichen Lärm, zusätzlichen Flächenbedarf und zusätzlichen Energiebedarf; denn die Schienenstrecke besteht weiterhin. Da können Sie doch nicht sagen, die Magnetschwebebahn, die Sie bauen wollen, sei ein ökologisch vorteilhaftes Instrumentarium der Verkehrspolitik. ({5}) Zum Schluß noch einmal: Meine Hoffnung, als ich diese parlamentarische Laufbahn einschlug, war, daß wir in den Ausschüssen und in diesem Parlament tatsächlich in der Lage sind, argumentativ miteinander umzugehen. Sie, Herr Fischer, haben heute in bezug auf die Technologiepolitik gesagt, daß wir Schwarzweißmalerei betrieben. Während Sie diejenigen seien, die Technologie förderten, säßen wir auf der anderen Seite als Verweigerer, die in die Steinzeit zurückwollten und nur noch mit dem Fahrrad herumfahren wollten. ({6}) - Herr Fischer, wenn wir die Zukunftsdebatten dieses Landes auf diesem Niveau führen, wenn wir nicht bereit sind, uns faktisch auf die Situation zu beziehen, daß wir beide um technologische Konzepte ringen, die in der Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande tatsächlich Verträglichkeit und Finanzierbarkeit schaffen, dann reden wir an den Menschen vorbei; denn die Bürgerinnen und Bürger sind es, die bezahlen müssen. Es ist nicht Herr Wissmann, der mit seligem Lächeln und glänzenden Augen immer so tut, als würde der Weihnachtsmann ihm ein neues Spielzeug bringen, ({7}) sondern es sind die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Lande, die das mit ihren Steuergroschen bezahlen müssen. Sie entscheiden heute über diese Gelder auf einer Grundlage und mit einer platten Argumentation, die den Sorgen der Menschen in keiner Weise angemessen ist. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag, heute nicht darüber abzustimmen, sondern erst einmal eine vernünftige Datengrundlage zu schaffen, zuzustimmen. Das ist das mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger in so einer entscheidenden Frage von Ihnen verlangen können. Vielen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich, F.D.P. ({0})

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon einigermaßen bezeichnend, wie zu einem Zeitpunkt, zu dem wir in Deutschland ernsthaft über die Innovationsfähigkeit, über den Forschungsstandort Deutschland, über die Sicherung von Arbeitsplätzen in neuen Technologien nachdenken und zu dem der Forschungsminister richtigerweise in seinem Bericht sagt „Wenn die Forschung geht, dann wandern über kurz oder lang auch andere Arbeitsplätze ins Ausland ab", mit Nebelkerzen, mit falschen Behauptungen, mit Schreckgespenstern, die weit an der Realität vorbeigehen, die Debatte zum Transrapid geführt wird. ({0}) Insoweit könnte man eigentlich der Opposition dankbar sein, daß sie aufzeigt, wer hier tatsächlich die innovativeren Parteien sind. ({1}) Auch deswegen ist es wichtig, daß wir über den Transrapid debattieren; denn der Transrapid ist unter technologischen Aspekten eine sehr interessante und anspruchsvolle Entwicklung, ein Vorhaben, das insoweit durchaus einer zukunftsorientierten Technologiepolitik entspricht. ({2}) „Es ist richtig, daß man einem derartigen technologischen Sprung nicht mit den Maßstäben oder gar Ideologien von vorgestern gerecht werden kann." Bevor Sie jetzt alle auflachen, meine Herren Kollegen von der Opposition: Ich habe soeben Rudolf Scharping, den Sie hoffentlich noch alle kennen, in einem Brief an den Betriebsratsvorsitzenden von Thyssen/Henschel zitiert. Nun messen Sie doch einmal die Aussagen von Rudolf Scharping mit dem, was Sie bisher hier und heute geboten haben. ({3}) Tatsache ist doch, daß immer wieder mit den gleichen Nebelkerzen versucht wird, ein Projekt zu verhindern, zu dem es mittlerweile schon drei Anhörungen gab. Ich nenne zum Beispiel den von Ihnen hauptsächlich zitierten Kritiker, den für die Fahrgastprognosen zuständigen Herrn Rothengatter. Er ist von Ihnen als Papst der Gerechtigkeit aufgebaut worden. Nun verschweigen Sie ganz klammheimlich, daß ebenjener Herr Rothengatter in der Anhörung - schriftlich nachzulesen, dokumentiert - seine erste Prognose jetzt unter von ihm ganz genau definierten praxisnäheren Prognosedaten wieder aufgestellt hat und zum Ergebnis kommt, daß 11 Millionen zu befördernde Fahrgäste auf dieser Strecke realistisch sind, wobei er hinzufügt, das sei noch nicht das Ende der Entwicklung, es könnten durchaus noch mehr werden. ({4}) Soviel zur Kritik an den Fahrgastzahlen und zur Benennung von Herrn Rothengatter sozusagen als Kronzeugen. Zum zweiten wird immer der Eindruck erweckt, die ICE-Technik auf dieser Verbindung wäre quasi zum Nulltarif zu haben oder nur mit einer geringfügigen Erhöhung der bisherigen Kosten. Ich weiß nicht, was Sie daran hindert, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bahn mehrfach deutlich erklärt hat: Ein komplett ausgebauter ICE-Verkehr auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin kostet ebenfalls 5,4 Milliarden DM. ({5}) - Das ist die Planung der Bahn, von Herrn Heinisch in der Anhörung im Februar 1996 nochmals dezidiert auf Nachfrage bestätigt. ({6}) Ganz zu schweigen davon, liebe Kollegen von der Opposition, daß ich noch nicht das gesehen habe, was Sie immer als Referenzbeispiel für die Fahrzeitberechnungen annehmen. Eine Rad-Schiene-Technik, die mit 300 oder mehr Stundenkilometern in Deutschland über die Gleise fährt, haben wir noch nicht. Ich möchte einmal sehen, was an Gegenbewegung kommt, wenn der ICE mit dieser Geschwindigkeit auf der jetzigen Strecke mitten durch die Städte fährt. Es ist doch bezeichnend, wenn der Vertreter des BUND in der Anhörung auf Nachfrage ganz deutlich erklärte: Nein, wir wollen auch den ICE dort nicht. Das heißt doch im Endeffekt: zurück zur Technik des 19. Jahrhunderts mit der Eisenbahn als Bimmelbahn, die an jeder Milchkanne stehenbleibt. Das kann es doch wirklich nicht sein. ({7}) Zum Thema Kompatibilität. Kritiker führen immer wieder an, daß die Interoperabilität der Magnetschwebebahn mit der herkömmlichen Rad-SchieneTechnik nicht in Einklang zu bringen ist. Wir haben einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß der Transrapid im Hamburger Hauptbahnhof startet und daß er in Berlin ebenfalls in den Bahnhöfen hält, wobei noch zu entscheiden ist - das wird dann letztendlich die Klarheit der Gesetzgebung sein, die wir als Grundlagengesetzgebung schaffen müssen -, wo er hält, ob er einmal oder zweimal hält. Das ist überhaupt nicht strittig. Dann ist die Verknüpfung in den Fernverkehr mit normaler Rad-Schiene-Technik, in den Nahverkehr wie bei der ICE-Technik gegeben. Auch wenn ich mit dem ICE von Hamburg nach Berlin fahre, muß ich, wenn ich woanders hin möchte, in eine andere Technik umsteigen. Auch das findet am Bahnhof statt. Ich verstehe die Aufregung also nicht. Zur Umwelt- und Energiebilanz, weil immer gesagt wird, beim Transrapid sei alles so schlimm: Der Energieverbrauch pro Platzkilometer ist für den Transrapid bei - wohlgemerkt - 400 Kilometern pro Stunde etwa gleich groß wie beim ICE mit 280 Kilometern pro Stunde. Beim Lärm ist es genauso. Wenn der Transrapid mit 200 Kilometern pro Stunde in die Innenstädte einfährt, ist er deutlich leiser als die modernste S-Bahn, die mit 70 Kilometern pro Stunde durch die Gegend fährt, weil er ganz andere Schwebebedingungen hat. Der Fahrweg des Transrapid beansprucht in jedem Fall - das ist auch sicher - deutlich weniger Fläche als eine ICE-Trasse. Vor allen Dingen kann mit ihm, weil er aufgeständert ist, ({8}) der Durchschneidungseffekt, den eine Bahnstrecke hat, vermieden werden. Ich bin fast versucht, aus dem Jahre 1835 zu zitieren, als der „Adler" von Nürnberg nach Fürth fuhr. Es war am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen: „Es fuhr ein feuerspeiendes Ungetüm mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde über die Gleise, so daß die Kühe erschrocken sind und keine Milch mehr gaben" . ({9}) Die Kühe in Friesland, die in der Nähe der Transrapidstrecke weiden, sind meiner Meinung nach immer noch in der Lage, Milch zu geben. Mir ist zumindest nichts Gegenteiliges bekannt. Zum wirtschaftlichen Faktor: Die Gegner des Transrapid ziehen die ökonomische Bedeutung der Magnetschwebebahntechnik immer noch in Zweifel. Das kann man, wenn man darauf besteht und sagt, wirtschaftliche Ergebnisse liegen erst dann vor, wenn konkret unterschriebene Verträge vorliegen. ({10}) Es ist allerdings so, daß seit unserer Grundsatzentscheidung, die die Regierungskoalition mit Mehrheit getroffen hat, das Interesse an der Magnetschwebebahntechnik deutlich gestiegen ist, und zwar in für uns durchaus wichtigen und interessanten Exportländern, wie im asiatischen Raum, wie im amerikanischen Raum, wie auch im südamerikanischen Raum. Es gibt dort Verbindungen, die in der Lage sind, diese Technik aufzunehmen, aber erst dann, wenn in Deutschland nachgewiesen ist, daß die Technik einsetzbar ist. Frau Kollegin Ferner, eines verstehe ich nicht: Selbst wenn Sie für eine Nahverkehrsstrecke des Transrapid sind, brauchen Sie die Ausführungsgesetze, das heißt ein Allgemeines Magnetschwebebahngesetz und auch ein Bedarfsgesetz. Darum kommen Sie nicht herum. Im übrigen bin ich sehr überrascht über das Abstimmungsverhalten der SPD-Kollegen im Haushaltsausschuß, die dem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz zumindest teilweise zugestimmt haben und die dem Allgemeinen Magnetschwebebahngesetz einmütig zugestimmt haben. ({11}) - Ich habe mir das Protokoll des Haushaltsausschusses noch einmal besorgt. Es ist bestätigt worden. ({12}) - Das war die Anhörung im Haushaltsausschuß zu dieser gesetzlichen Grundlage. Insofern ist es bedeutend, daß die Verkehrspolitiker einen Entschließungsantrag vorlegen, der das Votum der Kollegen der SPD im Haushaltsausschuß nicht zur Kenntnis nimmt. In diesem Fall hat der Kollege Fischer mit seinen Ausführungen recht, daß es sowohl als auch geht. Wenn wir die vorliegenden Gesetzentwürfe jetzt nicht verabschieden, können wir all das, was der Kollege Steenblock hinreichend beklagt hat, nicht umsetzen. Das ist bereits der dritte und der vierte Schritt. Bevor ich die mache, muß ich erst einmal die Grundlagen schaffen, um so etwas zu definieren und auf die Schiene zu bringen. Es ist doch - seien wir doch ehrlich - eine vornehme Form des Neinsagens. Sie trauen sich nicht, ehrlich nein zu sagen. Sie wollen ein bißchen Transrapid. Wenn Sie ihn wirklich gewollt hätten, dann frage ich mich, warum Sie die Technik damals, als Sie sie in Nordrhein-Westfalen hatten, nicht umgesetzt haben. Damals haben Sie ihn ganz abgelehnt. Das war wenigstens ehrlicher. Seien Sie doch heute wenigstens so ehrlich, entweder die Technik mit allen Konsequenzen zu wollen oder sie mit allen Konsequenzen abzulehnen. Dann wären Sie wenigstens einheitlich einer Meinung, und es wäre eine ehrliche Aussage. ({13}) Was Sie hier machen, bedeutet einen Unsicherheitsfaktor für alle diejenigen, die an diesem System beteiligt sind. Wenn Sie es erreichen sollten, daß alle diejenigen Firmen, die mit dieser Technik zu tun haben, ins Ausland abwandern, dann stehen wir vor der gleichen Problematik, die wir in bezug auf das Fax-Gerät zu beklagen haben. Es ist in Deutschland erfunden worden und durfte aus Angst vor einer neuen Technik nicht weiterentwickelt werden. ({14}) Nun wird es mittlerweile überwiegend aus Japan eingeführt. Die Schwebetechnik ist eine deutsche Erfindung; sie konnte in Deutschland nicht umgesetzt werden, weil die Angst vor der Technik einige Leute in diesem Haus zu der berühmten Haltung veranlaßt: Das ist neu, das kennen wir nicht, davor haben wir Angst, und das lehnen wir deswegen ab.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nein.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist sicher so, daß alles Neue auch mit Gefahren verbunden ist. Das leugnet in diesem Hause ja keiner. Es wird sich sicher ebenfalls nicht so verhalten, daß die F.D.P. einem Finanzierungsvertrag zustimmt, der für die öffentliche Hand Risiken enthält, die nicht überschaubar sind. ({0}) Das ist doch überhaupt nicht strittig. Das wird von Ihnen in den Raum gestellt, aber es ist einfach nicht Tatsache. ({1}) Nur, ich brauche doch seriöse Zahlen, damit ich letztendlich genau weiß, von wo nach wo die Strecke verläuft, über welche Städte sie geht und welche Haltepunkte sie hat - und welche verschiedenen Definitionen es da gibt -; erst dann kann ich eine gesicherte, mit allen Belastbarkeiten versehene Berechnung vorlegen. ({2}) Erst dann kann ich zielgerichtet entscheiden. Wenn das jetzt noch nicht vorliegt, dann kommt das daher, daß die Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Weil Sie andauernd den Rechnungshof mit seinen angeblich so mahnenden Worten zitieren: Ich glaube, es ist doch schon bemerkenswert, wenn der Vertreter des Rechnungshofs in der Anhörung auf die Frage, wie er denn das Engagement der Privatwirtschaft bei diesem Projekt beziffern würde, mit einem Betrag von 1 Milliarde DM antwortet. Auf die Frage, wie er denn auf die 1 Milliarde DM komme und wo denn die anderen 3 Milliarden DM herkämen, hat er geantwortet: Na ja, sie kommen von Banken und Versicherungen. Das ist für mich nicht Industrie. Dazu sage ich: Wenn die Qualität der Untersuchungen des Bundesrechnungshofes immer so toll ist, wie es sich in dieser Aussage zeigt, dann nehme ich den Bundesrechnungshof bei aller Wertschätzung, die ich ansonsten für ihn habe, nicht ganz so ernst. ({3}) Ich möchte noch auf eine weitere Passage eingehen, die ich immer zitiere. Der Rechnungshof moniert, daß keine Alternativangebote für die Stromversorgung eingeholt worden sind, und verlangt deswegen ein Angebot der Bahn. Alle, die sich mit der Technik befaßt haben, wissen, daß der Bahnstrom anders getaktet ist als der Strom, den die Magnetschwebebahntechnik braucht. Der Strom, den die Energieversorgungsunternehmen liefern, ist so getaktet, wie ihn die Magnetschwebebahn braucht. Wo eine Kostenersparnis liegen soll, wenn die Bahn dem Transrapid ihren Strom liefert, ihn dazu auf eine andere Frequenz takten muß, damit sie den Strom in die Frequenz bringen kann, die der Transrapid braucht, das hat sich mir bisher - das muß ich ganz ehrlich sagen - noch nicht erschlossen. ({4}) Deswegen bin ich sehr skeptisch gegenüber dem, was der Rechnungshof noch sagen wird. Im übrigen hat die Präsidentin mitgeteilt, daß die Aussagen des Vertreters des Bundesrechnungshofes von keiner der beteiligten Fraktionen weder für noch gegen den Transrapid zu werten sind. Wir werden heute diesem Gesetz zustimmen und die Entschließungsanträge der SPD - überraschenderweise, nehme ich an - ablehnen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Friedrich! Sie haben heute zum wiederholten Male den Eindruck zu erwecken versucht, als ob die Alternative zu einer Transrapidverbindung zwischen Hamburg und Berlin eine ICE-Neubautrasse wäre, die völlig neu durch die Landschaft geschlagen werden müßte, wobei sich Kosten jenseits der 5-Milliarden-Grenze ergäben. Diese Alternative wird kein vernünftig denkender Mensch vorschlagen und hat auch niemand vorgeschlagen. Die Alternative lautet ganz anders. Es geht nicht um eine Neubaustrecke, sondern um den Ausbau der vorhandenen Schienenstrecke, der die Strecke ICE-tauglich macht. Der Charme unseres Vorschlages liegt gerade darin, daß wir auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin zwei Drittel einer bestehenden ICE-Trasse nutzen können, nämlich den Abschnitt zwischen Hamburg und Uelzen und den zwischen Stendal und Berlin. Das ist ab 1997 verfügbar. Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgebaut werden müßte nur der 105 Kilometer lange Abschnitt zwischen Uelzen und Stendal. Die Realisierung genau dieses Vorschlages kostet maximal zwischen 1 und 2 Milliarden DM. Das ist nur ein Bruchteil der Kosten, die der Transrapid verursachen würde. Hinzu kommt, daß diese Variante wesentlich schneller verfügbar wäre. Das heißt, der verkehrspolitische Nutzen wäre in wenigen Jahren, nicht erst nach 10 Jahren, erreichbar. Deshalb wäre diese Variante drittens wirtschaftlicher und würde die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen nicht belasten, sondern sie würde im Gegenteil für die Bahn einen Schub bringen. Mit dem Transrapid würde die schienengebundene Bahn auf der Relation Hamburg/Berlin dagegen kaputtgemacht werden. Das ist der Unterschied. ({0}) Letzter Punkt: die Verlagerung von Verkehr. Wer heute den Eindruck zu erwecken versucht, als ob der Transrapid nennenswerte Beiträge zur Verlagerung des Luftverkehrs zwischen Hamburg und Berlin leisten kann, der kennt schlicht die Zahlen nicht. Wissen Sie, wie viele Flugzeuge zur Zeit täglich zwischen Hamburg und Berlin unterwegs sind? Es sind vier mit jeweils 50 Sitzen. Selbst wenn alle 50 Sitze besetzt sind, sind das nur 200 Fluggäste pro Tag. Für den Transrapid brauchen Sie aber 1 000 Fluggäste pro Stunde, damit er sich rechnet. Hier von einer Verlagerung des Flugverkehrs zu sprechen ist unseriös und lächerlich. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Friedrich, wollen Sie erwidern?

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schmidt, ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen. Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, zum Luftverkehr überhaupt nichts gesagt. Sie werden von mir auch nicht hören, daß der Transrapid nennenswert von den Fluggastzahlen lebt; denn ich weiß, was auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg fliegt. Deswegen habe ich dazu auch nichts gesagt. Wenn Sie mir das in meiner Rede nachweisen können, dann will ich dazu etwas sagen, aber ich habe nichts dazu gesagt. ({0}) - Ja gut, wenn Sie vom Vorredner sprechen, dann machen Sie Ihre Kurzintervention auch zu meinem Vorredner und nicht bei mir. Man sollte sich schon an die Tatsachen und an den halten, der geredet hat. ({1}) Zum zweiten: Was Sie behaupten, ist wieder einmal eine Planung von Vieregg und Rösler. Ich erspare mir Aussagen über die Qualität dieses Büros. ({2}) Ich habe die offiziellen Zahlen der Bahn zitiert, die in allen bisherigen Anhörungen von der Bahn zu dieser Thematik veröffentlicht worden sind. Wenn Sie andere Zahlen haben, wäre ich dankbar, wenn Sie diese öffentlich machen würden. Dann rede ich auch gern mit Herrn Dürr, ansonsten bleibe ich bei meinen bisher genannten Zahlen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin Edelgard Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Friedrich, ich wundere mich gelegentlich über die Art und Weise, wie im Bundestag debattiert wird. Wenn Sie ein wenig Kenntnis über die Debatte in der Forschungs- und Technologiepolitik hätten, dann wüßten Sie, daß die Debatte, wie Sie sie führen - ja oder nein zur Technik - sowohl in den Unternehmensetagen als auch in der Forschung selbst seit Jahren obsolet und ad acta gelegt ist. ({0}) Die Debatte geht dahin, zu entscheiden, in welche Techniklinie man investiert, welche Anwendung die erfolgversprechendste ist und daß man versucht, die Technikentwicklung auf die erfolgversprechendste auszurichten. Das, was Sie hier führen, ist eine Steinzeitdebatte und ein Armutszeugnis, das Sie sich ausstellen, weil Sie offensichtlich überhaupt keine Ahnung davon haben, was und wie in diesem Bereich diskutiert wird. ({1}) Wenn man sich als Bundestagsabgeordneter äußert, sollte man wenigstens einen Hauch von Kenntnis über diese Debatte besitzen. ({2}) Der zweite Aspekt, warum ich mich über die Äußerung des Kollegen Friedrich wundere, ist die Tatsache, daß diese Bundesregierung doch diejenige ist, die sich sonst immer für Privatisierungen ausspricht und sagt, daß die Privatisierung das Erfolgsinstrument für die Durchsetzung von Anliegen sei. Warum, Herr Friedrich, greifen Sie nicht unseren Vorschlag auf, daß die Privatwirtschaft dieses Projekt privat finanzieren soll? ({3}) Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn eine solche Strecke privat finanziert und betrieben wird und auch ihre Betriebskosten privat finanziert werden. Ich habe mich schon Ende der 80er Jahre dafür ausgesprochen, weil ich mich damals als Mitglied im Ausschuß für Forschung und Technologie gefragt habe, warum wir bis zum Jahre 1990 - so lange war dieses Projekt dem Ausschuß für Forschung und Technologie zugeordnet - aus Bundesmitteln sage und schreibe 1,4 Milliarden DM für die Forschung und Entwicklung im Rahmen dieses Projekts ausgegeben haben, die Industrie sich aber nur mit 124 Millionen DM an den Forschungs- und Entwicklungskosten beteiligte. Ich finde, man muß dies zur Kenntnis nehmen und sollte nicht immer so ignorant daherdiskutieren. ({4}) Um es einmal ganz klar zu sagen: Warum sind Sie dann nicht bereit, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, daß es eine private Finanzierung gibt? Wenn Sie dies an diesem Punkt nicht glaubhaft begründen können, dann, muß ich sagen, ist auch Ihre gesamte sonstige Politik an keinem Punkt glaubwürdig, denn immer, wenn es wirklich in der Sache wichtig ist, kneifen Sie und greifen auf den Steuerzahler als denjenigen zurück, der alles bezahlen soll. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Friedrich.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, eben weil ich als Vorsitzender des Arbeitskreises V der F.D.P., der unter anderem auch für Forschung zuständig ist, weiß, wie die Diskussion geführt wird und wie notwendig es ist, neue Techniken zu fördern und nach vorne zu bringen, habe ich diese Rede gehalten. Wir sollten es uns ersparen, uns gegenseitig Unkenntnis vorzuwerfen. ({0}) Eines muß allerdings sicher gesagt werden: Es ist das erste Projekt - das wird von Ihnen einfach nicht zur Kenntnis genommen; entweder haben Sie es nicht gelesen, oder Sie wollen es nicht wissen -, bei dem der Betrieb einer Strecke ausschließlich auf privates Risiko erfolgt. Das ist ansonsten, auch bei der Bahn, nicht der Fall. Da die Bahn aber der Betreiber dieser Technik sein soll, ist aus meiner Sicht richtigerweise und im System richtig angeordnet die VorHorst Friedrich finanzierung der Strecke so wie im übrigen jetzt auch bei der Bahn zunächst Aufgabe der öffentlichen Hand. Im Unterschied zur Bahn allerdings ist festgelegt, daß die Kosten für die Strecke von den Betreibern dann zurückgezahlt werden, und zwar nicht irgendwann am Ende, sondern laufend alle Jahre wieder, wenn die Abschreibungsraten fällig sind. Bei der Bahn haben wir die Situation, daß wir Strecken auch vorfinanzieren, aber unter Umständen das Geld nicht mehr zurückbekommen, weil wir sie zur Gemeinschaftsaufgabe machen oder der Bahn die Chance einräumen, wenn sie dort nicht kostendeckend fahren kann, nur Anteile zurückzuzahlen. Es ist eine echte neue, innovative Finanzierungsform, die den Betrieb ausschließlich der Privatwirtschaft überläßt. Auch die 124 Millionen DM will ich nicht so im Raum stehenlassen. Sie sind in dieser Form nicht richtig. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt Kollegin Dr. Enkelmann, PDS.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Vielleicht hätte sich die Koalition vorhin etwas mehr gefreut, wenn echte 1000-DM-Scheine von der Tribüne heruntergeflattert wären. Die hätten Sie dann sicherlich an Herrn Waigel weitergegeben. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Sparen ist kein Selbstzweck.... Nur wenn wir alle zusammenstehen, können wir eine gute Zukunft für unser Land sichern! So jedenfalls der Bundeskanzler erst vor zwei Wochen im Leib- und Magenblatt für den anspruchsvollen Leser, die anspruchsvolle Leserin. Das Kanzlerwort sollte via „Bild" den Menschen in dieser Bundesrepublik ein Sparpaket schmackhaft machen, das den sozialen Frieden aufkündigt und das derart aggressiv in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingreift, daß am Ende vom Sozialstaat besser nicht mehr gesprochen wird. Den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern und Sozialhilfeempfängerinnen, den Rentnern und Rentnerinnen greifen Sie schamlos in die Taschen, um wieder den großen Industriebossen die Taschen zu füllen. Dies alles unter der Losung „Politik für den Standort Deutschland". Unter eben dieser Losung wird dann auch der Transrapid verkauft - ein großes Spielzeug für Männer, die das Kind in sich nicht leugnen können. Technikhörigkeit hoch drei, verkehrspolitischer Unfug, milliardenschwerer Flop zu Lasten der Steuerzahler. Genau hier können Sie sparen. Streichen Sie den Transrapid! ({0}) Nein, meine Damen und Herren, hier geht es einzig und allein um Prestige und natürlich um handfeste Profitinteressen. Den Interessen von Thyssen/ Henschel und von Siemens wird alles untergeordnet, angefangen von den Milliardenzuschüssen, die gerade erwähnt worden sind, aus dem Forschungsetat über die Teststrecke im Emsland bis hin zu der Abwälzung der Risiken auf die Steuerzahler. Damit erweist sich die Bundesregierung wieder einmal als Handlanger der Privatwirtschaft. Das schlimmste an diesem Trauerspiel um den Transrapid ist allerdings die wahnsinnige Arroganz, mit der Sie sich über die Bedenken von Bürgerinitiativen, von Verbänden, über die Stellungnahmen von Sachverständigen, auch über das Gutachten des Bundesrechnungshofes hinwegsetzen. Ich sage Ihnen: Mit dieser Arroganz tragen Sie Mitschuld, daß junge Leute wie vorhin von Robin Wood ihren berechtigten Protest auch in diesem Plenum ausdrükken. Ich bitte darum, daß sie dafür nicht bestraft werden; denn Sie tragen mit Verantwortung dafür. ({1}) Wir alle haben hier mehrfach die Verrenkungen der Koalition erlebt, wenn sie uns weismachen wollte, wie verkehrspolitisch notwendig und ökologisch sinnvoll der Transrapid sei. Davon haben sich zuletzt auch die Mitglieder des Haushaltsausschusses nicht mehr beeindrucken lassen. Ich denke, es ist ein großes Verdienst, daß dieser Fragenkatalog nach der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs zustande gekommen ist. Bedauerlich ist nur, daß sich der Haushaltsausschuß dann mehrheitlich mit dem Antwortpamphlet der Bundesregierung zufriedengegeben hat. Hingenommen wurde unter anderem, daß die Bundesregierung Arbeitsgruppen anbot, um die offenen Fragen zu klären. Sollte man hier nicht erst die Ergebnisse abwarten, bevor man eine Entscheidung festklopft? Loyal übergangen wurde auch, daß der Verkehrsminister eingesteht, eindeutige Finanzierungsvereinbarungen mit den privaten Investoren seien erst in Arbeit. Das heißt, es gibt sie noch nicht. Nach wie vor wird mit Fahrgastzahlen jongliert, die hinten und vorne nicht stimmen, die auf Bestfallanalysen basieren, die so nie eintreten werden. Aber auch da hat man die passende Antwort parat. Ich möchte einmal einige Vorstellungen offenbaren, die in der Anhörung deutlich geworden sind. Ein Sachverständiger, natürlich von der Koalition benannt, sagte „Verhaltensänderungen" auch bei den „disponiblen Fahrmotiven" voraus - ich zitiere -, was dazu führt, daß ein Hamburger seine Gewohnheiten ändert und eben, statt am Wochenende zum Oktoberfest nach München zu fliegen, einen Theaterbesuch in Berlin vorzieht. ({2}) Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle Heiterkeit. Für mich ist das eigentlich nicht mehr zum Lachen; denn ich habe langsam die Befürchtung, daß wir hier für dumm verkauft werden. Eine andere Variante, die den Mitgliedern des Verkehrsausschusses ebenfalls angeboten wurde, ist, daß Reisende von Rostock dann über den Halt bei Schwerin - nicht in Schwerin, sondern bei Schwerin - nach Berlin weiterschweben sollen. Abgesehen davon, daß man offenkundig nicht über allzu große geographische Kenntnisse verfügt, wenn man einen solchen Vorschlag macht, beträgt der Reisezeitvorteil maximal, also wenn günstige Umstiegszeiten vorgesehen werden, 15 Prozent. Außerdem vergißt man dabei völlig, daß die Bahn bereits eine IC-Verbindung zwischen Berlin und Rostock geplant hat. ({3}) Diese Variante soll für Reisende interessant sein, die wenig kosten-, aber hochgradig zeitsensibel sind, so die Antwort im Ausschuß. ({4}) Da der Bundesregierung das offenkundig selbst etwas zu windig ist, hat sie eine aktualisierte Fahrgastprognose in Auftrag gegeben. Warum wartet man das Ergebnis dieser Prognose nicht erst ab, bevor man hier entscheidet? Damit hinterher niemand sagen kann, er hätte es nicht gewußt: In ihrer Antwort auf die Fragen des Haushaltsausschusses muß die Bundesregierung Unzulänglichkeiten des Finanzierungskonzepts eingestehen. Sie räumt ein, es war bislang noch nicht möglich, die Investitionskosten genauer zu ermitteln. Konnte sie nicht, oder wollte sie nicht? ({5}) Manipulationen bei Immobilienpreisen deuten auf letzteres hin. Es ist schon ein schlechter Witz, wenn man für den Kauf von Grundstücken in Berlin zum Beispiel einen Durchschnittspreis von 100 DM pro Quadratmeter ansetzt, während jeder weiß, daß man um den Lehrter Bahnhof herum mit 4 000 DM pro Quadratmeter rechnen muß. ({6}) Als besonders schäbig aber empfinde ich, wie Sie Hoffnung auf neue Arbeitsplätze wecken. Der Betrieb des Transrapid - Kollegin Elke Ferner hat es schon angesprochen - wird nicht mehr Arbeitsplätze bringen als das Verfolgen der herkömmlichen RadSchiene-Technik. Sehen wir uns doch noch einmal diese vielgepriesenen Exportchancen an. Es wird über Exportchancen bei bestimmten Auslandsprojekten - in den USA zum Beispiel über Pennsylvania - gesprochen. In dem Material der Bundesregierung liest sich das dann aber so: „Grundlage des Projekts ist die Idee", zum Beispiel einer Magnetschnellbahnverbindung Los Angeles-Las Vegas oder BaltimoreWashington. Die Bundesregierung besteht aus lauter Ideen, so habe ich das Gefühl. ({7}) Sie hat, so lese ich, die „Idee" einer Magnetbahn zwischen Santiago de Chile und Valparaiso. Hier prüft man momentan die Beschaffung von Mitteln für eine Studie. Dazu muß man allerdings sagen: Diese Mittel will man unter anderem aus dem BMZ haben, ({8}) das heißt, auch dadurch fließen zusätzliche Bundesmittel in dieses Projekt Transrapid. Denkbar wären auch verschiedene Strecken - sie sind alle aufgeführt -, denkbar wäre wohl auch die Strecke zwischen dem Bonn-Center und dem Plenarsaal. ({9}) Denkbar ist vieles. Die Antwort auf die Fragen, was vernünftig, sinnvoll und vor allem finanzierbar ist, läßt die Bundesregierung offen. ({10}) In den 80er Jahren sind andere Trassen, auch in Europa, ernsthaft geprüft worden, unter anderem die Verbindung zwischen Paris, Brüssel, Köln und Amsterdam oder zwischen Madrid und Barcelona. Inzwischen ist man dort dazu übergegangen, diese Strekken mit herkömmlicher Rad-Schiene-Technik zu fahren. All das spricht letztendlich für Traumtänzerei der Bundesregierung. Die kostet aber nicht nur böses Erwachen und Kopfschmerzen, sondern Milliarden zu Lasten der Steuerzahler. Deshalb: Bundesregierung, wachen Sie endlich auf! ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Werner Kuhn, CDU/CSU.

Werner Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allmonatlich donnerstags versammelt sich hier dieses Hohe Haus, um die Arbeitsmarktsituation in Deutschland und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu debattieren. Die Opposition fordert die Bundesregierung mit Vehemenz auf, sie möge doch endlich etwas tun, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten bleibt, damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn es dann zum Schwur kommt - wie heute -, wenn Sie zustimmen sollen, haben Sie Angst vor der eigenen Courage. So können wir Deutschland nicht fitmachen. ({0}) Frau Ferner, daß Sie jetzt den Bedarfshalt Schwerin der Magnetschwebebahn als Argument für existentielle Schwierigkeiten heranziehen und sagen, damit werde die Finanzierung überzogen, ist schlicht und ergreifend ein Rechenfehler. ({1}) Sie sind ja teilweise schon mit uns auf der Magnetschiene, aber in diesem Fall sind Sie auf dem Holzweg. ({2}) Die neuesten Planungen, wie die Trassenführung verlaufen wird, wird in keinster Weise die Investition in Höhe von insgesamt 8,9 Milliarden DM -5,5 Milliarden DM für den Fahrweg und 3,3 Milliarden DM für den Betrieb und die Fahrzeuge - beeinflussen. ({3}) - Preisindex ist das Jahr 1993. Das ist doch völlig klar. Sie können doch die Inflationsrate dazurechnen und so den Preis für das Jahr 2005 ermitteln. Wir können alle rechnen; das brauchen wir hier im Hohen Haus nicht zu debattieren. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle den Vertretern der Industrie, der Firmen Siemens, Thyssen/Henschel - auch der Baufirmen, die sich mit in das Risiko begeben haben -, ({5}) an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen. Sie haben gesagt: Wir wollen neue Technologien, wir wollen den Transrapid als Städteschnellverbindung zwischen den beiden Ballungsgebieten Hamburg und Berlin in die Tat umsetzen, weil das Exportchancen bedeutet, weil wir Arbeitsplätze schaffen! ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, stellvertretend für alle Bundesforschungsminister, die aktiv an diesem Projekt gearbeitet haben, möchte ich zumindest im Namen unserer Fraktion, der CDU/CSU, Herrn Dr. Riesenhuber meinen Dank aussprechen. ({7}) Das Allgemeine Magnetschwebebahngesetz regelt die Rechtsbedingungen für den Betrieb von Schwebebahnen. Der Transrapid 07 - Herr Steenblock, Sie haben das anscheinend noch überhaupt nicht begriffen - hat für die Versuchsstrecke durch das Eisenbahnbundesamt auch die Zulassung zur Beförderung von Personen bekommen. Wir können doch unsere Mitbürger nicht mit einer nichtgenehmigten Anlage fahren lassen. Es ist unverständlich, was Sie für Argumente bringen. ({8}) Ich möchte noch kurz auf die Petition der Behindertenverbände eingehen. Auch für Behinderte wird es eine absolute Zugänglichkeit zu der Magnetschwebebahn geben. Das wird in der Magnetschwebebahnbau- und -betriebsordnung mitgeregelt. Wir haben schon von verschiedener Seite gehört, daß die Magnetschwebebahn eine hervorragende Energie- und Umweltbilanz hat. Ich möchte deshalb auf die Einzelheiten diesbezüglich nicht mehr eingehen. Frau Ferner, Sie monieren, Ihre eigenen Politiker aus Sachsen redeten gegen dieses Projekt. Unsere Aufgabe ist es nicht, jetzt jeden einzelnen Sachsen davon zu überzeugen, daß er für die Magnetschwebebahn ist. Aber die Sachsen bei uns in der Union, die hier sitzen, stimmen dem Projekt zu. ({9}) Es gibt bei Ihnen auch noch einen eklatanten Rechenfehler in der Wirtschaftlichkeitsberechnung. Von den 15 Milliarden DM, die Sie vorgerechnet haben, Herr Steenblock, will ich gar nicht reden. Aber zu der Rechnung der 7,4 Milliarden DM, preisindexgeschuldet 1993, muß ich sagen: Bei einer durchschnittlichen Fahrgastzahl von 12,2 Millionen in den nächsten 20 Jahren zahlt die Magnetschwebebahnbetriebsgesellschaft 2,4 Milliarden DM zurück an den Bund. Das bestätigt sogar die unter den schlechtesten Bedingungen angenommene Verkehrsprognose Ihres Wunderheilers Professor Rothengatter. Es bleibt also nur noch ein verlorener Zuschuß von 3,2 Milliarden DM, den der Bund zahlt. ({10}) - Das hören Sie mit Freude. Wenn Sie jetzt ehrlich sagen würden, Herr Schmidt: „Die ICE-Hochgeschwindigkeitsverbindung, die bei diesen Fahrgastzahlen aufgebaut werden muß, wird für die Bürger in der Region enorm mehr Belastungen bringen", dann wären Sie ein ehrlicher grüner Politiker. ({11}) Aber das, was Sie uns heute geboten haben, zeigt nur immer wieder, daß Sie eine Blockadepolitik gegenüber der deutschen Wirtschaft betreiben. ({12}) Diese lautet folgendermaßen: nicht Wirtschaftskreislaufgesetz, sondern Antragskreislaufgesetz. Es gibt immer wieder einen neuen Antrag. Dann soll noch einmal geprüft werden. Und schließlich sagen Sie: Hier haben wir noch etwas gefunden. - Wenn wir Straßen bauen wollen, dann wollen Sie als AlterWerner Kuhn native die Schiene. Sind wir bei der Schiene, dann ist der Wasserweg das ökonomisch Sinnvollste. Sind wir beim Wasserweg, dann haben Sie tausend Einwände. Jede Strombaumaßnahme muß auf Auswirkungen auf den Millionen Jahre alten Laichweg der Kammolche von Schleswig-Holstein nach Voralberg geprüft werden. Ihre Antragspolitik ist das Dilemma der deutschen Wirtschaft. ({13}) - Das ist nicht peinlich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wirtschaft steht draußen und schüttelt mit dem Kopf, ({14}) wie hier über die Zukunft unseres Vaterlandes gesprochen wird. Ich bin diesbezüglich in vernünftiger Gesellschaft auch mit Vertretern der SPD. ({15}) Es zeigt sich eindeutig, daß das Magnetschwebebahnprojekt für den norddeutschen Raum - ich rede auch für meine Heimat Mecklenburg-Vorpommern - Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 16 000 bis 18 000 schaffen wird. ({16}) Der Betrieb der Magnetschwebebahn wird 4 000 Dauerarbeitsplätze schaffen. Dafür werde ich kämpfen. ({17}) - Ich war bei der Anhörung dabei. Da ist das noch einmal eindeutig geworden. Frau Dr. Enkelmann, der Beitrag, den Sie heute gebracht haben, strotzte von DDR-Nostalgie. Da war Klassenkampf drin. ({18}) Die Unternehmer sind Abzocker, profitgierig wie Sie sie immer darstellen. Ich kann nur sagen: Sie sind auf dem technischen und innovativen Niveau der Messe der Meister von morgen stehengeblieben. ({19}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kronzeuge, der hier immer wieder genannt wird, ist der Bundesrechnungshof. Ich möchte Ihnen zum Schluß meiner Ausführungen von der Seite 44 des Berichts des Bundesrechnungshofes, wo das eindeutig fixiert ist, etwas zitieren. Er fordert vehement und eindeutig: Der Bundesrechnungshof hat dem BMV nahegelegt, alles zu veranlassen, was eine pünktliche Inbetriebnahme der Magnetschwebebahnverbindung Berlin-Hamburg unterstützt, und den technischen Vorsprung des deutschen Magnetschwebebahnsystems zu Exporterfolgen zu nutzen. Der Bundesrechnungshof hat zu diesem Zweck angeregt, zu prüfen, ob für die vorbereitenden und begleitenden Aufgaben zur Umsetzung des Gesamtkonzepts auf Bundesseite eine entsprechend ausgestattete Projektgruppe eingerichtet werden sollte. Das ist der eindeutige Fingerzeig. Wenn wir jetzt nicht entscheiden und heute dem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz und dem Allgemeinen Magnetschwebebahngesetz nicht zustimmen, dann werden wir gegenüber unseren Mitbewerbern weiter an Boden verlieren. Das wird den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht stärken. Ich kann Ihnen nur raten: Folgen Sie der Union; die tun was. ({20})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD.

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß schon viel Ruhe und Gelassenheit an den Tag legen, wenn man die Debattenbeiträge der Koalitonsfraktionen verfolgt. Sie sind gepaart mit Arroganz und mit Rechthaberei, ({0}) als wenn die Koalition ein Monopol auf Unfehlbarkeit ihrer Politik hätte. ({1}) Wenn Sie kritisieren, daß es in unserer Fraktion unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt, ({2}) dann muß ich dazu sagen: Es ist in der Demokratie wohl eine Selbstverständlichkeit, eine andere Meinung zu haben - im Gegensatz zu Ihnen. Dazu haben wir gestern ein Beispiel erlebt, das es in diesem Hause noch nicht gegeben hat. Mitglieder Ihrer Fraktion, die sicherlich zu den Aussagen zu den Renten anderer Meinung waren, haben sozusagen einen Maulkorberlaß erteilt bekommen, und wenn das etwas mit unterschiedlicher Meinung zu tun hat, dann frage ich Sie, wie weit Sie heute gegängelt sind, auch einmal andere Meinungen in diesem Hause entgegenzunehmen. ({3}) Ich könnte mir vorstellen, wenn der Kanzler morgen sagt, die Fraktion hat zum Füßewaschen im Rhein anzutreten, dann ist am Freitag die ganze Rheinaue belegt. ({4}) Meine Damen und Herren, in dem Sonderbericht des Sachverständigenrates der fünf Weisen, der in der letzten Woche vorgestellt wurde, finden sich bemerkenswerte Sätze, denen ich nur voll und ganz zustimmen kann. Der Tenor des Gutachtens läßt sich wie folgt zusammenfassen - nun hören Sie gut zu: Die Bundesregierung hat durch politische Orientierungslosigkeit an wirtschafts- und finanzpolitischer Glaubwürdigkeit verloren. ({5}) Dem ist nichts hinzuzufügen, denn schaut man sich einmal an, in welcher Windeseile die Koalitionsmehrheiten im Haushalts- und Verkehrsausschuß die unseriösen Transrapidpläne durchpeitschen, so kann man nur sagen: Die Gutachter haben recht. ({6}) Ihre Gesetzentwürfe sind weder verkehrspolitisch noch industriepolitisch oder haushaltspolitisch und schon gar nicht gesellschaftspolitisch zu verantworten. ({7}) Vorletzte Woche haben Sie Ihr berüchtigtes Sparpaket bekanntgegeben und unseren Bürgern verkündet, jetzt gelte es, den Gürtel enger zu schnallen. Wie sich zeigt, meinten Sie vor allem die Gürtel der Familien, der Rentner und der Arbeitslosen. ({8}) Sich in dieser Situation nun für die Inbetriebnahme des Transrapids auf der Strecke Hamburg-Berlin auszusprechen, trotz der nach wie vor ungeklärten finanziellen Risiken und der Kosten von am Ende mindestens 7 bis 8 Milliarden DM, die aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssen, grenzt schon an Provokation. ({9}) Seit der letzten Bundestagsdebatte über den Transrapid ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, und in der Zwischenzeit ist eine Menge geschehen. So hat der Bundesrechnungshof in seinem internen Prüfbericht festgestellt, daß die bisherigen Kalkulationen der Kosten zu niedrig seien und mit Mehrkosten in Milliardenhöhe zu rechnen sei. Wenige Tage später fand eine weitere öffentliche Anhörung der Sachverständigen statt, die die ablehnende Haltung der SPD-Fraktion zur TransrapidStrecke Hamburg-Berlin in vollem Umfange bestätigte. Die Anhörung hat gezeigt, daß keines der Argumente der Transrapid-Befürworter stichhaltig ist und die Notwendigkeit dieses Projektes ernsthaft begründen kann. ({10}) Sowohl die Anhörung als auch der Bericht des Bundesrechnungshofes haben deutlich gemacht, daß die Fahrgastprognosen von 14,5 Millionen Fahrgästen vollkommen aus der Luft gegriffen sind und auf Idealannahmen beruhen. Da selbst Ihr eigener wissenschaftlicher Beirat die Zahl schon auf 11 Millionen herunterkorrigiert hat, können Sie doch nicht ernsthaft davon überzeugt sein, daß sich der Transrapid zu einem lukrativen Geschäft entwickeln wird. ({11}) Die gesamte Rentabilitätsrechnung fällt damit schon in sich zusammen. Meine Damen und Herren, ein weiteres Argument, das Sie gern für die Strecke Hamburg-Berlin anführen, ist die Hoffnung auf Tausende neue Arbeitsplätze. Es geistern geradezu astronomische Zahlen durch die Landschaft; von 18 000 Arbeitsplätzen plus 4 400 für den Betrieb ist die Rede. Man könnte diese Phantasterei ja noch mit mathematischem Unvermögen entschuldigen, wären Sie in der Anhörung nicht eines Besseren belehrt worden. Zwar ist es korrekt, daß bei einem Investitionsvolumen von 9 Milliarden DM Arbeitsplätze entstehen werden; dies ist aber völlig unabhängig davon, ob die Investition für den Transrapid oder eine Hochgeschwindigkeitseisenbahn getätigt wird. Hier gibt es kein Plus für den Transrapid. ({12}) Meine Damen und Herren von der Koalition, ich will einmal ein Beispiel nennen. ({13}) Wenn Ihre Logik richtig ist, daß dabei eine Vielzahl von Arbeitsplätzen entsteht, wie ist dann zu erklären, daß trotzdem in Berlin, wo wir die größte Baustelle Europas haben, wo Milliardenbeträge verbaut werden, und im Berliner Umland keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Berlin festzustellen sind? ({14}) Sie können sich dazu die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit von vorgestern ansehen. ({15}) Wie kommen Sie denn dazu, zu sagen, diese 9 Milliarden DM bringen für Schwerin, für die Region Mecklenburg-Vorpommern oder für andere Länder zusätzlich diese große Zahl von Arbeitsplätzen? ({16}) Gestern habe ich auch gehört, daß die Hochtief weitere Arbeitsplätze in Deutschland abbaut, weil ein erneuter Zustrom von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - gerade in der BauKlaus Hasenfratz branche - auf den Arbeitsmarkt zu erwarten ist. In dieser Situation wird den Bürgern nur Hoffnung suggeriert. Ein bekannter Industrieller hat einmal gesagt: „Hoffnung ist der Tod des Kaufmanns."

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte Herr Kollege Jobst.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glauben Sie nicht, Herr Kollege Hasenfratz, daß die Tatsache, daß der hessische Ministerpräsident Eichel und eine Reihe von Abgeordneten der SPD für diese neue Technologie und - wie die Kollegin Ferner - für die Magnetbahn sind, auch darin begründet liegt, daß in Hessen, zum Beispiel bei Thyssen Henschel, Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden?

Klaus Hasenfratz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will gar nicht verhehlen, daß, falls der Transrapid gebaut wird, im Raum Nordhessen bei der Thyssen Henschel AG im Bereich des Fahrzeugbaus neue Arbeitsplätze entstehen. Ich bin nicht in der Lage, Herr Kollege Jobst, zu sagen, in welcher Größenordnung sie entstehen werden. Durch das Herunterfahren der Bahn AG, die für ihren Betrieb Waggons braucht, und das gleichzeitige Wachstum in der Magnetschwebeindustrie wird sich die Anzahl der Arbeitsplätze jedoch nicht sehr verändern. Für ein Unternehmen ist diese Politik sicherlich lukrativ. Wir können aber die Politik nach dem Motto „Aus ander Leuts Leder läßt sich gut Riemen schneiden" nicht unterstützen. ({0}) Es bliebe als letzter Grund, das arbeitsmarktpolitische Argument aufrechtzuerhalten, die Hoffnung, der Transrapid werde sich zu einem Exportschlager entwickeln. Doch auch in diesem Punkt muß ich Sie enttäuschen. Ich darf, weil die Bundesregierung noch immer die Idee möglicher Verbindungen in die USA hat, aus dem letzten „Canada-Info" zitieren, in dem zu lesen ist, daß der kanadische Eisenbahnbauer Bombardier der Konkurrenz davonfährt, daß 1999 die Hochgeschwindigkeitsstrecke New YorkBoston in Betrieb gehen soll und daß im Jahre 2006 die Verbindung in der Region Orlando-Tampa fertiggestellt sein soll. Die Verträge sind unter Dach und Fach. 20 weitere Verkehrskorridore sind ausgewählt worden, die in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit Hochgeschwindigkeitszügen bedient werden könnten. ({1}) Also können Sie sich den Markt der USA schon mal von der Backe putzen. Das gesamte Exportkonzept der Bundesregierung, das übrigens auch der Bundesrechnungshof extrem in Zweifel gezogen hat, besteht nur aus Strichen auf der Landkarte. Mit Ihrer Behauptung, das Ausland stehe beim Transrapid geradezu Schlange, betreiben Sie Augenwischerei. Wenn eine Fee im Märchen die Erfüllung von drei Wünschen verspricht, ist das von höherem Realitätsgrad als die bisherigen Exportaussichten. ({2}) Meine Damen und Herren, das ist keine Häme. Ich möchte hier vielmehr sehr klar zum Ausdruck bringen, daß wir Sozialdemokraten die Arbeitsmarkteffekte unserer verkehrspolitischen Infrastrukturentscheidung auf der Strecke Hamburg-Berlin immer sehr ernst genommen haben. Meine Partei hat auch während der gesamten öffentlichen Debatte klargestellt, daß sich unsere Skepsis nicht gegen die Magnetschwebetechnik als solche richtet, sondern ausschließlich gegen die überdimensionierte geplante Referenzstrecke Hamburg-Berlin, deren haushalts- und finanzpolitische Risiken wir nicht für vertretbar halten. Mit Technikfeindlichkeit - diese können Sie mir bestimmt nicht vorwerfen - hat das überhaupt nichts zu tun. ({3}) Vielmehr fühlen wir Sozialdemokraten uns verpflichtet, dem Steuerzahler weitere finanzielle Belastungen zu ersparen. ({4}) Das ist ein Verantwortungsgefühl, meine Damen und Herren der Koalition, das Ihnen völlig abhanden gekommen ist. ({5}) Wir haben schon in der ersten Bundestagsrunde über das Projekt im Jahre 1994 nachdrücklich gefordert, eine alternativ kurze Anwendungsstrecke für den Transrapid zu bauen, zum Beispiel eine Flughafenanbindung. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wissen sehr genau, daß wir als Oppositionspartei nicht die Gestaltungsfreiheit haben, um die von uns favorisierte kurze Demonstrationsstrecke durchzusetzen. Sie zwingen uns statt dessen, über die von uns aus vielen Gründen für falsch gehaltene Referenzstrecke mit Ja oder Nein abzustimmen. Unserer Meinung nach überwiegen in diesem Punkt aber die haushalts- und finanzpolitischen Risiken. Auch mit einer kurzen Anwendungsstrecke könnten Sie die Systemvorteile der Technik unter Realbedingungen im Dauerbetrieb demonstrieren. Eine kurze Anwendungsstrecke, die nicht parallel zur ICE-Strecke laufen würde, hätte den Vorteil, daß man schon in wenigen Jahren die Betriebsfähigkeit für alle interessierten Anwender unter Beweis stellen könnte, insbesondere für ausländische Anwender. In dieser Einschätzung sehen wir uns von den Stellungnahmen der Experten während der Anhörung bestätigt. Ihre Entscheidung führt dazu, daß alle, die jetzt an den Ergebnissen der Magnetschwebetechnik interessiert sind, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag nach dem Jahre 2010 vertröstet werden müssen. Hinzu kommt, daß eine kurze Anwendungsstrecke mit weniger Kosten beladen wäre und auch ein geKlaus Hasenfratz ringeres Störungsrisiko hätte - insgesamt alles Faktoren, die für den Export positiv zu Buche schlagen würden. Auf Grund dieser fundierten Argumente sehen wir die Gefahr, daß die Transrapid-Referenzstrecke Hamburg-Berlin nicht nur eine verkehrspolitische Fehlentscheidung ist, sondern das Haushaltsloch noch vergrößert. ({6}) Sie ist darüber hinaus auch die falsche Strategie, um den deutschen Anteil auf dem internationalen Markt für spurgebundene Hochgeschwindigkeitssysteme zu sichern. Diesen Markt hat die Bundesregierung extrem vernachlässigt. Die TGV-Erfolge basieren doch nicht auf der technischen Überlegenheit des französischen Systems, sondern auf dem sehr viel engagierteren Einsatz der französischen Regierung bei den zukünftigen Abnehmern. Der Markt für Hochgeschwindigkeitszüge ist um ein vielfaches größer als der für die Magnetschwebetechnik. Die Konzentration öffentlicher Gelder auf den Transrapid mindert in gleichem Umfang die Marktchancen des ICE. ({7}) Der lachende Dritte dabei ist Frankreich mit seinem TGV. Das Nachsehen - in bezug auf den Arbeitsplatzeffekt - haben die Kolleginnen und Kollegen im Schienenfahrzeugbau. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch folgendes sagen: Es ist ungeheuerlich, wie die Deutsche Bahn AG vom Bund geradezu dazu gedrängt wird, ({8}) auf den lukrativen Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Hamburg-Berlin in konventioneller RadSchiene-Technik zu verzichten - ein wohl einzigartiger Vorgang in der Geschichte der Eisenbahn, der ihr einen Verlust von rund 300 Millionen DM bescheren wird. ({9}) Herr Verkehrsminister Wissmann, Sie hängen der DB AG einen Klotz ans Bein, nur um Ihrem Lieblingsspielzeug Transrapid eine Überlebenschance zu gewähren. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sehen die Zukunft in einem leistungsfähigen, voll kompatiblen europäischen Schienennetz, in dem die Rad-Schiene-Technik weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird. Bestätigt sehen wir uns darin durch die Tatsache, daß sich Europa auf den Ausbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes der konventionellen Rad-Schiene-Technik festgelegt hat. Der Transrapid ist und bleibt ein teurer Fremdkörper ohne Zukunft. ({10}) Darum sage ich: Wenn sich die Bundesregierung in Zeiten knapper Kassen trotz berechtigter Zweifel und nach wie vor ungeklärter Risiken für das unseriöse industriepolitische Prestigeobjekt Transrapid ausspricht, dann trägt sie ihre finanzpolitischen Spielchen auf dem Rücken des Steuerzahlers aus und handelt unverantwortlich. Diesen Steuerzahlern bleibt nichts anderes übrig, als hilflos zuzuschauen, wie der Transrapid auf wackeligen Stelzen in eine düstere Zukunft gleiten wird. Sie verfahren nach dem Motto: Wir haben zwar kein Geld, aber wir wissen, wie man es ausgibt. Schönen Dank. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann.

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der letzten Sitzungswoche bei der Vorstellung des Programms der Bundesregierung für Wachstum und Beschäftigung stundenlang um die Frage gerungen, wie wir den Standort Deutschland stärken und neue Arbeitsplätze schaffen können. Bei allen Unterschieden sind an zwei Punkten Konsenslinien sichtbar geworden, nämlich zum einen darin, daß wir alles tun müssen, um die Abgaben - und Steuerbelastungen der Menschen und auch die Belastungen durch Lohnzusatzkosten der Betriebe zu reduzieren, und zum zweiten darin, daß wir alles tun müssen, um neuen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. Heute stehen wir nach einer mehrjährigen Beratung ({0}) vor der konkreten Frage: Haben wir die Kraft, einer großen neuen Technologie, die seit über 20 Jahren mit gewaltigen Anstrengungen von Ingenieuren, Forschern und auch Verantwortlichen früherer Bundesregierungen entwickelt wird, endlich zum Durchbruch zu verhelfen, oder wollen wir erneut vertagen, verschieben, verzögern? Ich finde, den richtigen Satz hat uns Helmut Schmidt zugerufen, der gesagt hat, was in Deutschland nun wirklich nicht verständlich sei - und er hat damit möglicherweise auch seine eigenen Parteifreunde gemeint -, sei jene Technikfeindlichkeit, die sich der wirklichen Entscheidung immer wieder verweigere. Er hat damit den Transrapid angesprochen. ({1}) Das müßte Sie, Herr Kollege Hasenfratz, doch nachdenklich stimmen. Helmut Schmidt, Georg Leber, die hessische SPD, Herr Voscherau, der brandenburgische Wirtschaftsminister Dreher, selbst die SPD in der mecklenburg-vorpommerschen Landesregierung fordern uns auf: Macht den Transrapid auf der Strecke Hamburg-Berlin möglich! ({2}) Und was machen Sie hier? Sie verkünden ein entschlossenes ,,Jein". Da fällt mir nur jener Satz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder ein, der vor kurzem einmal gesagt hat, die letzte Technologie, für die sich die SPD vorbehaltlos entschieden habe, sei die Einführung des Farbfernsehers gewesen. ({3}) So, meine Damen und Herren, können wir keine moderne Standortpolitik für Deutschland machen. Die Debatte hat Aufschluß gebracht darüber, welche Argumente die Gegner nun nicht mehr vortragen. Früher ist immer gesagt worden, mit dem Transrapid zwischen Hamburg und Berlin werde eine verkehrspolitische Insel geschaffen, das mache verkehrspolitisch keinen Sinn. ({4}) Kein Wort mehr davon, ({5}) weil man inzwischen weiß, Herr Kollege, daß der Transrapid in Hamburg am Bahnhof landen wird, daß er in die Innenstadt von Berlin eingefädelt wird und daß sich die Bahn an dem Projekt beteiligt, damit eine Verknüpfung des Transrapid mit allen anderen Verkehrsträgern, auch denen des öffentlichen Nahverkehrs, stattfinden wird. ({6}) Ein zweites Argument, das wir immer gehört haben und das zum Teil emotional immer noch aufleuchtet, wurde heute nicht mehr vorgetragen, nämlich, der Transrapid sei ökologisch problematisch, er sei umweltschädlich. ({7}) Dieses Argument kann man auch nicht mehr vortragen, wenn man weiß, daß der Transrapid 40 Prozent Sekundärenergie bei gleicher Leistung gegenüber dem ICE einspart; ({8}) er kommt mit einem niedrigeren Flächenbedarf aus als der ICE; er entwickelt bei mittleren Geschwindigkeiten geringeren Lärm als die traditionellen Hochgeschwindigkeitssysteme. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen von Ihnen, die die Zwischentöne hören, werden in dieser Debatte gemerkt haben: Weder von der SPD noch von den Grünen, noch draußen in der öffentlichen Diskussion werden noch gewichtige umweltpolitische Argumente geltend gemacht. Deswegen haben sich die selbsternannten Umweltpolitiker inzwischen auf die Finanzierungsfrage gestürzt, weil sie einsehen müssen, daß der Transrapid umweltpolitisch Vorteile gegenüber allen klassischen Technologien hat. ({10}) Jetzt kommt es zu der in der Tat bizarren Konstellation, daß sich Rot-Grün in der Frage der Finanzierung zu Richtern aufspielt und den Chefs von Siemens, von Thyssen und führender deutscher Banken sagt, sie sollten das Risiko, das mit dem Betrieb des Transrapid verbunden sei, nicht eingehen, da die Finanzierungsrechnung, die diese Leute ja selber erarbeitet haben, eigentlich nicht stimme. Wenn selbsternannte Ökologen kein Argument mehr haben und sich auf die Finanzierungsfrage berufen, dann muß es mit ihrer Argumentation sehr dünn aussehen. ({11}) Wir wissen, daß der Standort Deutschland diese Entscheidung braucht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Catenhusen?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Lassen Sie mich dies bitte im Zusammenhang vortragen, Frau Präsidentin. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es doch bei der Entscheidung gegen den ICE in Korea erlebt, und wir haben es vor wenigen Wochen bei der Amtrak-Entscheidung in den USA für ein anderes System - trotz massiven Einsatzes aller Beteiligten, auch der Bundesregierung - erlebt. ({1}) - Herr Kollege, wir haben bei den klassischen Hochgeschwindigkeitssystemen vor 10, 20 Jahren dasselbe erleben müssen wie gegenwärtig. Die Franzosen waren schneller als wir, als es darum ging, die Technologie einzuführen. Wir sind mit einem Zeitverzug von mehreren Jahren jetzt dabei, beim ICE aufzuholen. Heute haben wir die Franzosen technologisch eingeholt, wie ich glaube, sogar überholt. Aber das Argument langjähriger Erfahrung und Erprobung spielt auf den Weltmärkten eine genauso große Rolle wie die Preise. Wir waren in Amerika teurer, als es die anderen gewesen sind. ({2}) - Herr Kollege Catenhusen, Sie sind jemand, der sich mit Forschungspolitik wirklich engagiert auseinanBundesminister Matthias Wissmann dersetzt. Vielleicht haben Sie für diesen Zwischenton ein Ohr. ({3}) - Lassen Sie es mich doch zu Ende ausführen, Frau Kollegin Matthäus-Maier. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat vor kurzem gesagt - und damit uns alle angesprochen -: In einer Welt des härteren Wettbewerbs des 21. Jahrhunderts durch globalisierte Märkte besiegen nicht die großen Nationen die kleinen und auch nicht die großen Unternehmen die kleinen, sondern die schnellen die langsamen. ({4}) Nehmen Sie doch einmal die Magnetbahntechnologie. Vor wenigen Wochen haben die Japaner entschieden, eine eigene Strecke zu bauen. Sie wissen, daß wir in Deutschland ihnen bei aller Unterschiedlichkeit des elektrodynamischen und des elektromagnetischen Systems technologisch noch drei bis fünf Jahre voraus sind. ({5}) Wenn der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft recht damit hat, daß die Schnellen die Langsamen besiegen, frage ich mich: Wie, um alles in der Welt können wir in einer Situation, in der wir besser sind als die anderen und in der wir einmal schneller waren als sie, warten, verzögern, aussitzen und nein sagen, statt kraftvoll zu entscheiden? ({6}) Wir müssen kraftvoll entscheiden, wenn wir Arbeitsplätze schaffen und neue Perspektiven entwickeln wollen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, es wird noch einmal der Versuch zu einer Zwischenfrage unternommen. Bleibt es bei Ihrem Nein?

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Bitte schön. Gerne, Herr Kollege Catenhusen. ({0})

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur eine kurze Frage an Sie stellen, Herr Minister Wissmann. Ich stimme Ihnen zu, wenn es um das Beispiel Japan geht, das Sie genannt haben. Ist Ihnen völlig entfallen, daß unser Antrag nichts anderes vorschlägt, als den japanischen Weg der Markteinführung mit einer kurzen Anwendungsstrecke zu gehen, mit der man in Japan die notwendigen Erfahrungen sammeln will, um dann die Systementscheidung „Zug oder/plus Magnetbahn" wirklich fundiert treffen zu können? ({0})

Matthias Wissmann (Minister:in)

Politiker ID: 11002534

Ich sage Ihnen eines ganz klar - das ist auch die Meinung des privaten Konsortiums -: Alles spricht dafür, daß die technische Fähigkeit und die finanzielle Rentabilität auf der Strecke zwischen den beiden größten deutschen Städten, Hamburg und Berlin, eher nachgewiesen werden kann als auf einer kurzen Strecke. Deswegen sind wir mit dem privaten Konsortium führender Konzerne, deren Rat wir natürlich in diesen Fragen brauchen, der Meinung: Nicht eine kurze Strecke, sondern eine längere Strecke kann Rentabilität und technische Fähigkeit besser nachweisen. Wir können nicht Jahre vertun und neu überlegen, wenn wir den Vorsprung nicht verlieren wollen, den wir forschungspolitisch Gott sei Dank gewonnen haben. ({0}) Meine Damen und Herren, wir sollten eines nicht vergessen: Im Weltmarkt des 21. Jahrhunderts werden spurgebundene Verkehrssysteme eine große Renaissance erleben. Da im Jahre 2010 - so schätzen Kenner - allein 10 Prozent der Weltbevölkerung in den Metropolen leben und das Auto allein, so wichtig es bleibt, die Probleme der Mobilität im Weltmarkt des 21. Jahrhunderts nicht lösen kann, müssen wir im Nahverkehr und im Fernverkehr verschiedene Angebote haben, bei denen wir technisch besser sind als die anderen Nationen. Zurück zur wirtschaftlichen Thematik. Ein Land mit hohen Löhnen und hohen Lohnnebenkosten kann mit hohen Preisen doch überhaupt nur eine Chance auf dem Weltmarkt haben, wenn seine Produkte technisch besser sind als die anderer Nationen. ({1}) Also können wir eine Innovation, die deutsche Forscher und Erfinder entwickelt haben und bei der wir umweltmäßig, wirtschaftlich und technisch weiter sind als andere, jetzt nicht ins Museum fahren lassen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Hamburg zieht mit, auch die dortige Sozialdemokratie mit Herrn Voscherau an der Spitze. Brandenburg zieht mit. Mecklenburg-Vorpommern zieht mit - Herr Geil wird nachher noch sprechen. Es wird dort einen Haltepunkt geben; damit wird die Anbindung sichergestellt werden. In Berlin ist die Aufgeschlossenheit groß. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen angesichts der kritischen Wirtschaftslage Deutschlands mehr Pioniergeist und weniger kleinkariertes Denken und Handeln. ({3}) Wir brauchen mehr Zukunftsoptimismus und weniger eine professionelle „Verneinerhaltung", wie wir sie heute leider immer wieder haben spüren können. Deswegen sind wir auf einem guten Weg. Es gibt keinen Anlaß anzunehmen, daß das finanzielle Risiko des Transrapid aus den Fugen gerät. Der Transrapid ist das erste Verkehrsprojekt in Deutschland, bei dem beim Betrieb und bei der Systemtechnik ausschließlich Private das Risiko übernehmen; es geht immerhin um 3,3 Milliarden DM. ({4}) Dabei bleibt es auch. Der Transrapid fährt mit Strom und nicht mit Subventionen. ({5}) Das können Sie nachlesen. ({6}) - Wenn sich Herr Fischer auf die „FAZ" beruft, dann spricht vieles dafür, daß beide nicht recht haben. Herr Kollege Fischer, ich schlage Ihnen vor, daß Sie sich zuerst einmal sachkundig machen. ({7}) Meine Damen und Herren, alles spricht dafür, daß das Risiko des Transrapid beherrschbar ist, daß die Technik innovativ ist und daß wir damit eine große Chance haben, uns auf den Weltmärkten der Zukunft zu behaupten. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Transrapid ist als fünfter Verkehrsträger Bestandteil des ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplanes. Damit wird seit 1993 die Bedeutung des Transrapid für den Wirtschaftsstandort Deutschland dokumentiert. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Worte High-Tech und Innovation hören, klappen bei Ihnen die Visiere runter, und die automatische Reaktion ist eine negative und technikfeindliche Haltung. Das ist bei Kernkraft und bei Gentechnik so und auch beim Thema Transrapid. Mit Ihrem gestrigen Antrag wollten Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nur Ihre Technikfeindlichkeit vertuschen. Was soll denn diese Haltung, daß Sie plötzlich für den Transrapid sind, nur die Strecke gefällt Ihnen nicht? Das ist doch scheinheilig. Was die Grünen und die PDS angeht, so besteht Technologiepolitik bei Ihnen hauptsächlich nur in der persönlichen Blockade von Objekten bzw. im Aufruf zur Demontage derselben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, darf ich um mehr Ruhe bitten. Die Rednerin muß sich doch wenigstens verständlich machen können. - Frau Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dabei sollten gerade Sie, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, allein schon aus ökologischen Erwägungen heraus für den Transrapid eintreten; denn er ist ein wichtiger Beitrag für ein umweltorientiertes Verkehrssystem. Gerade auf der Strecke Hamburg-Berlin würde er die Straße deutlich entlasten, den Luftverkehr ersetzen und auf der Schiene zusätzliche Kapazitäten für den Güter- und Regionalverkehr freimachen. Es sollte eigentlich allen klar sein, daß wir einem leistungsfähigen Güterverkehr Platz schaffen müssen. Wie sonst sollte eine Verlagerung gelingen? Beim Transrapid geht es nicht nur um eine neue Technologie, sondern auch um Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Wer sich der Einführung neuer Technologien verweigert, hat kein Recht, über fehlende Arbeitsplätze zu klagen, und darf sich nicht darüber wundern, daß das eigene Ansehen in der Bevölkerung auf einen historischen Tiefstand gesunken ist. Arbeitsplätze schaffen wir nicht in Grundsatzdiskussionen, sondern nur, wenn wir den Mut haben, visionäre Entscheidungen durchzusetzen. Die technische Leistungsfähigkeit und die umweltfreundlichen Eigenschaften des Transrapid stehen außer Frage. Die Entscheidung für die Magnetschwebebahn und gegen die zahlreichen Bedenkenträger ist aus vielen Gründen dringend erforderlich. Der aus meiner Sicht politisch und wirtschaftlich wichtigste Grund ist der, daß damit endlich ein in die ganze Welt ausstrahlendes innovatives Signal gesetzt wird: In Deutschland sind noch technisch neue und damit nicht risikolose Großinvestitionen möglich. Innovation schafft Vorsprung, und ohne Vorsprung kein Erfolg im Wettbewerb. Das gilt für Firmen, aber auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Deshalb ist die Verwirklichung des Transrapid gerade angesichts der jüngsten Diskussion um den Standort Deutschland technologie-, industrie- und arbeitsmarktpolitisch existentiell wichtig. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie anders sollen wir bei hohen Kosten sowie einem hohen Ausbildungs- und Qualifikationsniveau am Standort Deutschland unseren Lebens- und Sozialstandard halten, wenn nicht durch den verstärkten Einsatz von Hochtechnologien und ständige Innovationen? In wie vielen Technologiebereichen soll Deutschland denn noch seine Spitzenstellung verlieren? Lassen wir nicht zu, daß es uns beim Transrapid ähnlich wie bei der Fax-Technik geht. Die Erfindung schaffte Arbeitsplätze, aber nicht in Deutschland. ({0}) Soll es uns bei der Magnetschwebebahn denn ähnlich ergehen, weil Weitsicht und Mut fehlen? Für mich ist ein beachtlicher Schritt die geplante gemeinsame Finanzierung von Wirtschaft und Politik. Dieses Miteinander kann Vorbild für weitere Großprojekte sein. Die neuartige Technologie und das speziell entwikkelte Finanzierungskonzept weisen den Weg zu mehr Kreativität und unternehmerischer Eigeninitiative. Dies sind Elemente, die mittel- bis langfristig über Beschäftigung und Wachstum in Deutschland entscheiden werden. Natürlich betreten wir mit dem Transrapid Neuland. Aber unsere Entscheidung resultiert nicht aus blinder Technikgläubigkeit, sondern aus realistischer Einschätzung und Verantwortung für Deutschland. Der Reichtum unseres Landes sind die geistigen Ressourcen, sind Erfinder- und Forschergeist seiner Bürger. Es gilt, diese Tugenden durch eine auf die zukünftige Generation ausgerichtete Politik zu stärken, auch wenn dabei so manche Entscheidung anfänglich unpopulär ist; denn Gott sei Dank haben unsere Vorfahren beim Bau der ersten Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth 1835 zukunftsweisender gedacht ({1}) als derzeit SPD und Grüne in Deutschland, die sich mit ihrer Technikfeindlichkeit von der Zukunft unseres Landes verabschieden. ({2}) Der Worte sind genug gewechselt. Jetzt laßt uns Taten sehen! ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Rudi Geil. Minister Rudi Geil ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, obwohl die Zeit ja schon fortgeschritten ist, daß ich aus der Sicht unseres Landes einige Gedanken zu diesem Problem vortrage. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern begrüßt ausdrücklich die beiden vorgelegten Gesetzentwürfe, und sie begrüßt, daß die Bundesregierung die Magnetschwebebahn in ihr Verkehrswegeprogramm aufgenommen hat. ({1}) Wir sind der festen Überzeugung, daß der Transrapid verkehrstechnisch sinnvoll und darüber hinaus auch industriepolitisch notwendig ist, und wir bitten den Bundestag, den Vorlagen zuzustimmen. Ich wende mich gezielt an die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bundestagsfraktion, zumindest an die Mehrheit, und bitte sie, ihre Meinung noch einmal zu überdenken. ({2}) Meine verehrten Damen und Herren, lassen Sie es mich mal so sagen: Trotz all der Auseinandersetzungen in der Großen Koalition unseres Landes in den letzten Wochen - das war ja nichts Schönes - waren und sind wir, CDU und SPD, aber in diesem Punkte immer einer Meinung, ({3}) nämlich daß die Magnetschwebebahn kommen muß, und zwar als Verbindung zwischen Hamburg und Berlin. ({4}) Der Transrapid ist ein wichtiger Schritt, über die klassischen Rad-Schiene-Techniken hinausweisende Technologien im bodengebundenen Verkehr einzusetzen. Das ist hier heute morgen - ich habe die Debatte insgesamt verfolgen dürfen - auch deutlich geworden. Selbst Gegner der Magnetschwebebahn testieren ihr durchaus, eine zukunftsweisende Technologie zu sein. Es darf aber nicht beim Testat bleiben, sondern man muß eine solche Technologie auch anwenden. Dieses System stellt in der Geschichte der Verkehrswegetechnologie nun einmal ein neues Kapitel dar. In einer Zeit, in der soviel über die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland diskutiert wird, ist dieses Infrastrukturprojekt auch ein Zeichen dafür, daß wir bereit sind, neue und innovative Wege zu gehen. Ich bitte darum: Gehen Sie diesen Weg. ({5}) Es ist unbestritten, daß die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft und auch die Sicherheit der Arbeitsplätze in Deutschland in erster Linie von einer kontinuierlichen Erneuerung des technischen Vorsprungs abhängen und im Hinblick auf industrielle Arbeitsplätze durch neue Erfindungen und vor allem deren Vermarktung gesichert werden müssen. Vermarkten kann man aber erst, wenn man tatsächlich gebaut hat. ({6}) Darüber ist heute zu entscheiden. Dazu noch ein Gedanke aus der Sicht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, den ich Sie alle ernst zu nehmen bitte. Auf der einen Seite rücken mit der Magnetschwebebahn Berlin und Hamburg näher Minister Rudi Geil ({7}) zusammen. Sie rücken auf Nahverkehrsdistanz zusammen, wenn ich das einmal so formulieren darf.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhn? Minister Rudi Geil ({0}): Frau Präsidentin, wenn ich dann noch mit meiner Zeit hinkomme - ich bin mit den Usancen hier nicht so vertraut -, gerne.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das wird nicht angerechnet. - Herr Kuhn.

Werner Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Geil, sind Sie mit mir und dem Verkehrsausschuß einer Meinung, daß die Bedarfshaltestelle im Raum Schwerin nach dem Raumordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern definiert ist? Minister Rudi Geil ({0}): Ja, Herr Abgeordneter Kuhn; bitte hören Sie mir aber noch einen Satz zu. Ich möchte dazu gerne eine etwas weiterführende Bemerkung machen dürfen. Das Zusammenrücken von Berlin und Hamburg stellt für beide Städte einen sicherlich nicht zu unterschätzenden Standortvorteil dar. Ich füge hinzu: Gleiches gilt durch den vorgesehenen Haltepunkt bei Schwerin für das Land Mecklenburg-Vorpommern. Auf den legen wir Wert, und den wollen wir. Wir gehen dabei davon aus, daß „Raum Schwerin" entsprechend dem Raumordnungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern verstanden wird. Ich möchte der Frau Abgeordneten Ferner sagen: Frau Ferner, es geht um den Raum und nicht um die Stadt Schwerin. Der Raum ist mehr als die Stadt. Das ist eine Region, und die Region braucht diesen Haltepunkt. ({1}) - Ja, wer bezahlt ihn? In den neuen Bundesländern sind wir auf neue Infrastrukturen bezüglich der Straße und der Schiene und darüber hinaus auf neue Technologien angewiesen, die umgesetzt werden können. Bitte vergessen Sie dabei die neuen Bundesländer nicht! ({2}) Mein Appell an Sie alle hier in diesem Hause: Es geht letztendlich darum, daß wir mit dem Transrapid auf dieser neuen Schienenstrecke Kapazitäten für den Güterverkehr und hoffentlich auch für einen attraktiven Personennahverkehr bzw. Regionalverkehr freibekommen. Die Zustimmung unseres Landes erfolgt nicht aus kritikloser Technologiegläubigkeit, sondern aus der Überzeugung, daß mit diesem System eine Tür in die Zukunft unseres Verkehrswesens durchschritten wird. Diese Tür dürfen wir nicht zuschlagen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich schließe die Aussprache. Es haben zahlreiche Abgeordnete - bisher sind es 16 - Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben.*) Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur abschließenden Beratung über die Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin nach einer Wirtschaftlichkeitsrechnung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Bevor ich die Abstimmung eröffne, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für folgende Hinweise. Wie Ihnen bereits schriftlich mitgeteilt wurde, hat sich der Ältestenrat auf ein geändertes Verfahren bei namentlichen Abstimmungen verständigt. Es sind jetzt insgesamt sechs Urnen aufgestellt: zwei vor dem Stenographentisch, die übrigen vier in den Gängen neben der Regierungsbank und neben der Bundesratsbank. Jeder Urne ist eine bestimmte Buchstabengruppe zugeordnet. Sie dürfen Ihre Stimmkarte ausschließlich in diejenige Urne werfen, deren Buchstabengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt. Achten Sie bitte darauf, daß die von Ihnen benutzte Abstimmungskarte Ihren Namen trägt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind an allen Urnen Schriftführer? - Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bevor wir mit den weiteren Abstimmungen fortfahren können, müssen wir wegen der Vorgreiflichkeit das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung abwarten. Ich unterbreche die Sitzung. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wiedereröffnet. Ich bitte Sie, zu den weiteren Abstimmungen Platz zu nehmen. Gleichzeitig möchte ich feststellen, daß dieser Probelauf gezeigt hat, daß das Abstimmungsverfahren so nicht läuft. Wir müssen das im Ältestenrat noch einmal beraten. ({1}) Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4387 bekannt. Abgegebene Stimmen: 629. Mit Ja haben gestimmt: 268. Mit Nein haben gestimmt: 348. Es gab 13 Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt. *) Anlagen 2 bis 5 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Reinhold Hiller ({2}) Horst Schmidbauer Antje Hermenau Stephan Hilsberg ({3}) Kristin Heyne Abgegebene Stimmen: 626 Jelena Hoffmann ({4}) Ulla Schmidt ({5}) Ulrike Höfken davon Frank Hofmann ({6}) Dagmar Schmidt ({7}) Michaele Hustedt ja: 266 Ingrid Holzhüter Wilhelm Schmidt ({8}) Dr. Manuel Kiper Eike Hovermann Heinz Schmitt ({9}) Monika Knoche nein: 347 Lothar Ibrügger Walter Schöler Dr. Angelika Köster-Loßack enthalten: 13 Brunhilde Irber Ottmar Schreiner Steffi Lemke Gabriele Iwersen Gisela Schröter Vera Lengsfeld Ilse Janz Brigitte Schulte ({10}) Dr. Helmut Lippelt Ja Dr. Uwe Jens Volkmar Schultz ({11}) Oswald Metzger Sabine Kaspereit Ilse Schumann Kerstin Müller ({12}) Susanne Kastner Dietmar Schütz ({13}) Winfried Nachtwei SPD Ernst Kastning Dr. Angelica Schwall-Düren Cern Özdemir Hans-Peter Kemper Ernst Schwanhold Gerd Poppe Brigitte Adler Klaus Kirschner Bodo Seidenthal Simone Probst Robert Antretter Marianne Klappert Lisa Seuster Halo Saibold Hermann Bachmaier Siegrun Klemmer Horst Sielaff Christine Scheel Ernst Bahr Walter Kolbow Erika Simm Irmingard Schewe-Gerigk Doris Barnett Fritz Rudolf Körper Johannes Singer Rezzo Schlauch Klaus Barthel Nicolette Kressl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Albert Schmidt ({14}) Wolfgang Behrendt Thomas Krüger Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Schmitt Hans-Werner Bertl Horst Kubatschka Wieland Sorge ({15}) Friedhelm Julius Beucher Eckart Kuhlwein Wolfgang Spanier Ursula Schönberger Rudolf Bindig Konrad Kunick Dr. Dietrich Sperling Waltraud Schoppe Lilo Blunck Detlev von Larcher Jörg-Otto Spiller Werner Schulz ({16}) Anni Brandt-Elsweier Waltraud Lehn Antje-Marie Steen Rainder Steenblock Dr. Eberhard Brecht Robert Leidinger Ludwig Stiegler Marina Steindor Edelgard Bulmahn Klaus Lennartz Dr. Peter Struck Christian Sterzing Ursula Burchardt Klaus Lohmann ({17}) Jörg Tauss Manfred Such Hans Martin Bury Christa Lörcher Margitta Terborg Dr. Antje Vollmer Hans Büttner ({18}) Erika Lotz Jella Teuchner Ludger Volmer Marion Caspers-Merk Dieter Maaß ({19}) Dr. Gerald Thalheim Helmut Wilhelm ({20}) Wolf-Michael Catenhusen Dorle Marx Franz Thönnes Margareta Wolf ({21}) Peter Conradi Ulrike Mascher Uta Titze-Stecher Christel Deichmann Christoph Matschie Adelheid Tröscher Karl Diller Ingrid Matthäus-Maier Siegfried Vergin PDS Dr. Marliese Dobberthien Heide Mattischeck Günter Verheugen Peter Dreßen Markus Meckel Ute Vogt ({22}) Wolfgang Bierstedt Rudolf Dreßler Ulrike Mehl Karsten D. Voigt ({23}) Petra Bläss Ludwig Eich Angelika Mertens Hans Georg Wagner Maritta Böttcher Gernot Erler Dr. Jürgen Meyer ({24}) Dr. Konstanze Wegner Eva Bulling-Schröter Petra Ernstberger Ursula Mogg Reinhard Weis ({25}) Heinrich Graf von Einsiedel Annette Faße Michael Müller ({26}) Matthias Weisheit Dr. Ludwig Elm Elke Ferner Jutta Müller ({27}) Gert Weisskirchen ({28}) Dr. Dagmar Enkelmann Lothar Fischer ({29}) Volker Neumann ({30}) Jochen Welt Dr. Ruth Fuchs Gabriele Fograscher Gerhard Neumann ({31}) Hildegard Wester Dr. Gregor Gysi Iris Follak Dr. Edith Niehuis Lydia Westrich Hanns-Peter Hartmann Norbert Formanski Dr. Rolf Niese Dr. Norbert Wieczorek Dr. Uwe-Jens Heuer Dagmar Freitag Doris Odendahl Heidemarie Wieczorek-Zeul Ulla Jelpke Katrin Fuchs ({32}) Günter Oesinghaus Dieter Wiefelspütz Gerhard Jüttemann Arne Fuhrmann Leyla Onur Berthold Wittich Dr. Heidi Knake-Werner Monika Ganseforth Manfred Opel Dr. Wolfgang Wodarg Rolf Köhne Norbert Gansel Adolf Ostertag Verena Wohlleben Rolf Kutzmutz Konrad Gilges Kurt Palis Hanna Wolf ({33}) Dr. Christa Luft Günter Gloser Albrecht Papenroth Heidi Wright Heidemarie Lüth Dr. Peter Glotz Dr. Willfried Penner Uta Zapf Dr. Günther Maleuda Uwe Göllner Dr. Martin Pfaff Dr. Christoph Zöpel Manfred Müller ({34}) Günter Graf ({35}) Georg Pfannenstein Rosel Neuhäuser Angelika Graf ({36}) Dr. Eckhart Pick Dr. Uwe-Jens Rössel Dieter Grasedieck Joachim Poß BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Christina Schenk Achim Großmann Karin Rehbock-Zureich Steffen Tippach Karl Hermann Haack Margot von Renesse Gila Altmann ({37}) Klaus-Jürgen Warnick ({38}) Renate Rennebach Elisabeth Altmann Dr. Winfried Wolf Klaus Hagemann Otto Reschke ({39}) Gerhard Zwerenz Manfred Hampel Bernd Reuter Marieluise Beck ({40}) , Christel Hanewinckel Dr. Edelbert Richter Volker Beck ({41}) Dr. Liesel Hartenstein Günter Rixe Matthias Berninger Nein Klaus Hasenfratz Gudrun Schaich-Walch Annelie Buntenbach Dr. Ingomar Hauchler Rudolf Scharping Amke Dietert-Scheuer Dieter Heistermann Bernd Scheelen Franziska Eichstädt-Bohlig CDU/CSU Reinhold Hemker Dr. Hermann Scheer Dr. Uschi Eid Rolf Hempelmann Siegfried Scheffler Andrea Fischer ({42}) Ulrich Adam Dr. Barbara Hendricks Otto Schily Joseph Fischer ({43}) Peter Altmaier Monika Heubaum Dieter Schloten Rita Grießhaber Anneliese Augustin Uwe Hiksch Günter Schluckebier Gerald Häfner Jürgen Augustinowitz Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dietrich Austermann Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Christian Schmidt ({44}) Heinz-Günter Bargfrede ({45}) Günter Marten Dr.-Ing. Joachim Schmidt Franz Peter Basten Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Martin Mayer ({46}) Dr. Wolf Bauer Helmut Heiderich ({47}) Andreas Schmidt ({48}) Brigitte Baumeister Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Hans-Otto Schmiedeberg Meinrad Belle Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl Hans Peter Schmitz Dr. Sabine Bergmann-Pohl Ernst Hinsken Dr. Michael Meister ({49}) Hans-Dirk Bierling Peter Hintze Dr. Angela Merkel Michael von Schmude Dr. Joseph-Theodor Blank Josef Hollerith Friedrich Merz Birgit Schnieber-Jastram Renate Blank Dr. Karl-Heinz Hornhues Rudolf Meyer ({50}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Heribert Blens Siegfried Hornung Hans Michelbach Dr. Rupert Scholz Peter Bleser Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Reinhard Freiherr von Dr. Norbert Blüm Hubert Hüppe Elmar Müller ({51}) Schorlemer Friedrich Bohl Peter Jacoby Engelbert Nelle Dr. Erika Schuchardt Dr. Maria Böhmer Susanne Jaffke Bernd Neumann ({52}) Wolfgang Schulhoff Jochen Borchert Georg Janovsky Johannes Nitsch Dr. Dieter Schulte Wolfgang Börnsen ({53}) Helmut Jawurek Claudia Nolte ({54}) Wolfgang Bosbach Dr. Dionys Jobst Dr. Rolf Olderog Gerhard Schulz ({55}) Dr. Wolfgang Bötsch Dr.-Ing. Rainer Jork Friedhelm Ost Frederick Schulze Klaus Brähmig Michael Jung ({56}) Eduard Oswald Diethard Schütze ({57}) Rudolf Braun ({58}) Ulrich Junghanns Norbert Otto ({59}) Clemens Schwalbe Paul Breuer Dr. Egon Jüttner Dr. Gerhard Päselt Wilhelm Josef Sebastian Monika Brudlewsky Dr. Harald Kahl Dr. Peter Paziorek Horst Seehofer Georg Brunnhuber Bartholomäus Kalb Hans-Wilhelm Pesch Heinz-Georg Seiffert Klaus Bühler ({60}) Steffen Kampeter Ulrich Petzold Rudolf Seiters Hartmut Büttner Dr.-Ing. Dietmar Kansy Anton Pfeifer Johannes Selle ({61}) Manfred Kanther Angelika Pfeiffer Bernd Siebert Dankward Buwitt Irmgard Karwatzki Dr. Gero Pfennig Jürgen Sikora Manfred Carstens ({62}) Volker Kauder Dr. Friedbert Pflüger Johannes Singhammer Peter Harry Carstensen Peter Keller Beatrix Philipp Bärbel Sothmann ({63}) Eckart von Klaeden Dr. Winfried Pinger Margarete Späte Wolfgang Dehnel Dr. Bernd Klaußner Ronald Pofalla Wolfgang Steiger Hubert Deittert Hans Klein ({64}) Dr. Hermann Pohler Erika Steinbach Gertrud Dempwolf Ulrich Klinkert Ruprecht Polenz Dr. Wolfgang Freiherr von Albert Deß Hans-Ulrich Köhler Marlies Pretzlaff Stetten Renate Diemers ({65}) Dr. Albert Probst Dr. Gerhard Stoltenberg Wilhelm Dietzel Manfred Kolbe Dr. Bernd Protzner Andreas Storm Norbert Königshofen Dieter Pützhofen Max Straubinger Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Thomas Rachel Matthäus Strebl Hansjörgen Doss Hartmut Koschyk Hans Raidel Michael Stübgen Dr. Alfred Dregger Manfred Koslowski Dr. Peter Ramsauer Egon Susset Maria Eichhorn Thomas Kossendey Rolf Rau Dr. Rita Süssmuth Wolfgang Engelmann Rudolf Kraus Helmut Rauber Michael Teiser Rainer Eppelmann Wolfgang Krause ({66}) Peter Harald Rauen Dr. Susanne Tiemann Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid Otto Regenspurger Gottfried Tröger Horst Eylmann Arnulf Kriedner Christa Reichard ({67}) Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Anke Eymer Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Bertold Reinartz Gunnar Uldall Ilse Falk Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Wolfgang Vogt ({68}) Jochen Feilcke Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Karl H. Fell Dr. Hermann Kues Roland Richter Dr. Theodor Waigel Ulf Fink Werner Kuhn Roland Richwien Alois Graf von Waldburg-Zeil Dirk Fischer ({69}) Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder Dr. Jürgen Warnke Herbert Frankenhauser ({70}) Dr. Erich Riedl ({71}) Hans-Otto Wilhelm ({72}) Dr. Gerhard Friedrich Karl Lamers Klaus Riegert Gert Willner Erich G. Fritz Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber Bernd Wilz Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Franz Romer Matthias Wissmann Michaela Geiger Armin Laschet Hannelore Rönsch Simon Wittmann Norbert Geis Herbert Lattmann ({73}) ({74}) Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dagmar Wöhrl Michael Glos Karl-Josef Laumann Dr. Klaus Rose Michael Wonneberger Wilma Glücklich Werner Lensing Kurt J. Rossmanith Elke Whiling Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Adolf Roth ({75}) Peter Kurt Würzbach Peter Götz Peter Letzgus Norbert Röttgen Cornelia Yzer Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach Dr. Christian Ruck Wolfgang Zeitlmann Joachim Gres Walter Link ({76}) Volker Rühe Benno Zierer Wolfgang Gröbl Eduard Lintner Dr. Jürgen Rüttgers Wolfgang Zöller Hermann Gröhe Dr. Klaus W. Lippold Roland Sauer ({77}) Claus-Peter Grotz ({78}) Ortrun Schätzle Manfred Grund Dr. Manfred Lischewski Dr. Wolfgang Schäuble SPD Horst Günther ({79}) Wolfgang Lohmann Hartmut Schauerte Carl-Detlev Freiherr von ({80}) Heinz Schemken Hans Berger Hammerstein Julius Louven Karl-Heinz Scherhag Arne Börnsen ({81}) Gottfried Haschke Sigrun Löwisch Gerhard Scheu Tilo Braune ({82}) Heinrich Lummer Norbert Schindler Hans-Joachim Hacker Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Luther Ulrich Schmalz Alfred Hartenbach Otto Hauser ({83}) Dr. Dietrich Mahlo Bernd Schmidbauer Erwin Horn Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Hans-Ulrich Klose Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Hans-Hinrich Knaape Jürgen Koppelin Werner Labsch Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Christine Lucyga Dr. Otto Graf Lambsdorff Christian Müller ({84}) Sabine LeutheusserRudolf Purps Schnarrenberger Hermann Rappe Uwe Lühr ({85}) Jürgen W. Möllemann Reinhold Robbe Günther Friedrich Nolting Gerhard Rübenkönig Dr. Rainer Ortleb Dieter Schanz Lisa Peters Horst Schild Dr. Günter Rexrodt Dr. Emil Schnell Dr. Klaus Röhl Rolf Schwanitz Helmut Schäfer ({86}) Dietmar Thieser Cornelia Schmalz-Jacobsen Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gunter Weißgerber Dr. Irmgard Schwaetzer Peter Zumkley Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae F.D.P. Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng Ina Albowitz ({87}) Dr. Gisela Babel Dr. Guido Westerwelle ({88}) Günther Bredehorn Enthalten Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick SPD Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Ingrid Becker-Inglau Rainer Funke Peter Enders Dr. Wolfgang Gerhardt Gerd Höfer Joachim Günther ({89}) Wolfgang Ilte Dr. Karlheinz Guttmacher Barbara Imhof Dr. Helmut Haussmann Renate Jäger Ulrich Heinrich Christine Kurzhals Walter Hirche Dr. Elke Leonhard Dr. Burkhard Hirsch Herbert Meißner Birgit Homburger Dr. Mathias Schubert Dr. Werner Hoyer Richard Schuhmann Ulrich Irmer ({90}) Dr. Klaus Kinkel Dr. Bodo Teichmann Detlef Kleinert ({91}) Wolfgang Weiermann Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes auf Drucksache 13/3103. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/4527 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht abstimmen, da ich keine Übersicht habe. Sie müssen sich wenigstens auf die Bänke verteilen; denn wir stimmen nicht namentlich ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in zweiter Beratung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltungen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich erinnere daran, daß Sie Ihre Stimmkarte in diejenige Urne werfen sollen, deren Buchstabengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt. - Wir beginnen mit der Abstimmung. Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes, Drucksachen 13/3104 und 13/4527 Nr. 2. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/ CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS und einigen Enthaltungen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD; des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei einigen Stimmenthaltungen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4558. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/4570. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/ CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Hochgeschwindigkeitsschienenverbindung und Transrapid-Referenzstrecke Berlin-Hamburg auf Drucksache 13/ 4527 Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 13/3056 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Stopp der Vorbereitungsmaßnahmen für den Transrapid und zur Planung einer ICE-Verbindung Hamburg-Berlin auf Drucksache 13/4527 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion Bünd- *) Siehe Seite 9121 A Präsidentin Dr. Rita Süssmuth nis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2573 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Prüfung von Alternativen zur Magnetschwebebahn auf Drucksache 13/4527 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der PDS auf Drucksache 13/2570 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. bei Stimmenthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu den Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen auf den Drucksachen 13/2345 und 13/2346. Diese Gesetzentwürfe sind inhaltsgleich mit den Entwürfen der Bundesregierung zur Magnetschwebebahn, über die wir bereits abgestimmt haben. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4527 unter Nr. 6, die Gesetzentwürfe der Koalitionsfraktionen für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17f und die Zusatzpunkte 3a bis 3c auf: 17. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts - Drucksache 13/2763 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({92}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Gesundheit b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes - Drucksache 13/4175 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({93}) Innenausschuß Rechtsausschuß c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes - Drucksache 13/4248 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({94}) Rechtsausschuß d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Europäische Betriebsräte ({95}) - Drucksache 13/4520 Überweisungsvorschlag; Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({96}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Christel Hanewinckel, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gleichstellung von Hausangestellten im Mutterschutzgesetz - Drucksache 13/3533 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({97}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Gesundheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Deichmann, Horst Sielaff, Anke Fuchs ({98}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung der landwirtschaftlichen Verwertung von Klärschlämmen und Komposten - Drucksache 13/4449 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({99}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({100}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Systematische Erfolgskontrolle von Projekten und Programmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit - Drucksache 13/4120 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({101}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Bahr, Ilse Janz, Christel Deichmann sowie weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Künftige Ressortforschung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksache 13/4452 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({102}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS Zielgerichtete Ausbildungsförderung - Grundlegende Reform der Studienfinanzierung - Drucksache 13/4553 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({103}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der PDS zu einer zielgerichteten Ausbildungsförderung auf Drucksache 13/4553 soll jedoch nicht dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, sondern dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Zusatzpunkte 16 und 17 zu erweitern: ZP16 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Wahlkreiskommission für die 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz ({104}) - Drucksache 13/3804 ZP17 Beratung des Zwischenberichts der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 29. Juni 1995 - Drucksachen 13/1803, 13/4560 Die beiden Vorlagen sollen jetzt gleich ebenfalls ohne Debatte im vereinfachten Verfahren zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 18 a bis 181. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 18 a: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({105}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung einer Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" - Drucksachen 13/3867, 13/4477 Berichterstattung: Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier Ronald Pofalla Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag in der Ausschußfassung anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/4583 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Die Fraktionen haben mich darüber unterrichtet, daß die Gruppe der PDS einen Sachverständigen mit beratender Stimme in die Enquete-Kommission entsenden kann. Der Abschnitt IV Nr. 2 der Beschlußempfehlung ist entsprechend zu ergänzen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung mit der soeben genannten Änderung. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltung? - Damit ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18 b: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. November 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über den Sitz des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen - Drucksache 13/3851 - ({106}) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({107}) - Drucksache 13/4563 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht Dr. Helmut Lippelt Ulrich Irmer Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4563, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18c: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Erstattungsvorschriften im sozialen Entschädigungsrecht ({108}) - Drucksache 13/1777 - ({109}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({110}) - Drucksache 13/4472 Berichterstattung: Abgeordnete Petra Bläss Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18d: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({111}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Ernst Bahr, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit - zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Schulz ({112}), Steffi Lemke, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jährliche Vorlage eines „Berichtes zur Entwicklung der deutschen Einheit" durch die Bundesregierung - Drucksachen 13/2586, 13/2572, 13/3643 Berichterstattung: Abgeordnete Hartmut Büttner ({113}) Gisela Schröter Ina Albowitz Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/3643, Buchstabe a, den Antrag auf Drucksache 13/2586 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Gegenstimmen der PDS und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/3643 Buchstabe b, den Antrag auf Drucksache 13/2572 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18 e: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({114}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament im Anschluß an die Schlußfolgerungen des unabhängigen Sachverständigenausschusses unter dem Vorsitz von Herrn Ruding über die Leitlinien für die Unternehmensbesteuerung im Rahmen der Vertiefung des Binnenmarktes - Drucksachen 13/725 Nr. 66, 13/4138 Berichterstattung: Abgeordnete Detlev von Larcher Friedrich Merz Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18f: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({115}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({116}) des Rates zur Einführung von Sondermaßnahmen auf Grund des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens betreffend das endgültige Ausscheiden von Beamten der Europäischen Gemeinschaften aus dem Dienst; Vorschlag für eine Verordnung ({117}) des Rates zur Einführung von Sondermaßnahmen betreffend das endgültige Ausscheiden von Bediensteten auf Zeit der Europäischen Gemeinschaften aus dem Dienst - Drucksachen 13/2674 Nr. 2.2, 13/4241 Berichterstattung: Abgeordnete Otto Regenspurger Fritz Rudolf Körper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Ulla Jelpke Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18g: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({118}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur sechzehnten Änderung der Richtlinie 76/769/ EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen - Drucksachen 13/3668 Nr. 2.44, 13/4443 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dr. Angelica Schwall-Düren Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4443 Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4443 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18h: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({119}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({120}) des Rates zur Festlegung gemeinsamer Regeln und Verfahren für die Verbringung bestimmter Arten von Abfällen in bestimmte nicht der OECD angehörende Länder - Drucksachen 13/2426 Nr. 1.7, 13/4451 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Dr. Liesel Hartenstein Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4451 Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4451 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18i: Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({121}) zu den Verfahren nach § 44b Abgeordnetengesetz ({122}) ({123}) - Drucksache 13/4478 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Bertold Reinartz Ich gehe davon aus, daß Sie den Bericht zur Kenntnis genommen haben. Wir kommen zu den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 18j: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({124}) Sammelübersicht 117 zu Petitionen - Drucksache 13/4454 Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18k: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({125}) Sammelübersicht 118 zu Petitionen - Drucksache 13/4455 Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Sammelübersicht bei Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 181: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({126}) Sammelübersicht 119 zu Petitionen - Drucksache 13/4456 Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht 119 bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Bevor ich zur Aktuellen Stunde komme, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Es geht um die Drucksache 13/3103 und 13/4527 Nr. 1. Abgegebene Stimmen 628. Mit Ja haben gestimmt 341. Mit Nein haben gestimmt 267. Enthaltungen 20. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Michael Glos Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Abgegebene Stimmen: 627 Wilma Glücklich Werner Lensing Adolf Roth ({127}) davon: Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Norbert Röttgen ja: 340 Peter Götz Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach Volker Rühe nein: 267 Joachim Gres Walter Link ({128}) Dr. Jürgen Rüttgers enthalten: 20 Wolfgang Gröbl Eduard Lintner Roland Sauer ({129}) Hermann Gröhe Dr. Klaus W. Lippold Ortrun Schätzle Claus-Peter Grotz ({130}) Dr. Wolfgang Schäuble Ja Manfred Grund Dr. Manfred Lischewski Hartmut Schauerte Horst Günther ({131}) Wolfgang Lohmann Heinz Schemken Carl-Detlev Freiherr von ({132}) Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU Hammerstein Julius Louven Gerhard Scheu Gottfried Haschke Sigrun Löwisch Norbert Schindler Ulrich Adam ({133}) Heinrich Lummer Ulrich Schmalz Peter Altmaier Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Luther Bernd Schmidbauer Anneliese Augustin Otto Hauser ({134}) Dr. Dietrich Mahlo Christian Schmidt ({135}) Jürgen Augustinowitz Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dietrich Austermann ({136}) Günter Marten ({137}) Heinz-Günter Bargfrede Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Martin Mayer Andreas Schmidt ({138}) Franz Peter Basten Helmut Heiderich ({139}) Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Wolf Bauer Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Hans Peter Schmitz Brigitte Baumeister Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl ({140}) Meinrad Belle Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Michael von Schmude Dr. Sabine Bergmann-Pohl Peter Hintze Dr. Angela Merkel Birgit Schnieber-Jastram Hans-Dirk Bierling Josef Hollerith Friedrich Merz Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Karl-Heinz Hornhues Rudolf Meyer ({141}) Dr. Rupert Scholz Renate Blank Siegfried Hornung Hans Michelbach Reinhard Freiherr von Dr. Heribert Blens Joachim Hörster Dr. Gerd Müller Schorlemer Peter Bleser Hubert Hüppe Elmar Müller ({142}) Dr. Erika Schuchardt Dr. Norbert Blüm Peter Jacoby Engelbert Nelle Wolfgang Schulhoff Friedrich Bohl Susanne Jaffke Bernd Neumann ({143}) Dr. Dieter Schulte Dr. Maria Böhmer Georg Janovsky Johannes Nitsch ({144}) Jochen Borchert Helmut Jawurek Claudia Nolte Gerhard Schulz ({145}) Wolfgang Börnsen ({146}) Dr. Dionys Jobst Dr. Rolf Olderog Frederick Schulze Wolfgang Bosbach Dr.-Ing. Rainer Jork Friedhelm Ost Diethard Schütze ({147}) Dr. Wolfgang Bötsch Michael Jung ({148}) Eduard Oswald Clemens Schwalbe Klaus Brähmig Ulrich Junghanns Norbert Otto ({149}) Wilhelm Josef Sebastian Rudolf Braun ({150}) Dr. Egon Jüttner Dr. Gerhard Päselt Horst Seehofer Paul Breuer Dr. Harald Kahl Dr. Peter Paziorek Heinz-Georg Seiffert Monika Brudlewsky Bartholomäus Kalb Hans-Wilhelm Pesch Rudolf Seiters Georg Brunnhuber Steffen Kampeter Ulrich Petzold Johannes Selle Klaus Bühler ({151}) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Anton Pfeifer Bernd Siebert Hartmut Büttner Manfred Kanther Angelika Pfeiffer Jürgen Sikora ({152}) Irmgard Karwatzki Dr. Gero Pfennig Johannes Singhammer Dankward Buwitt Volker Kauder Dr. Friedbert Pflüger Bärbel Sothmann Manfred Carstens ({153}) Peter Keller Beatrix Philipp Margarete Späte Peter Harry Carstensen Eckart von Klaeden Dr. Winfried Pinger Wolfgang Steiger ({154}) Dr. Bernd Klaußner Ronald Pofalla Erika Steinbach Wolfgang Dehnel Hans Klein ({155}) Dr. Hermann Pohler Dr. Wolfgang Freiherr von Hubert Deittert Ulrich Klinkert Ruprecht Polenz Stetten Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Marlies Pretzlaff Dr. Gerhard Stoltenberg Albert Deß ({156}) Dr. Albert Probst Andreas Storm Renate Diemers Manfred Kolbe Dr. Bernd Protzner Max Straubinger Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Dieter Pützhofen Matthäus Strebl Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Thomas Rachel Michael Stübgen Hansjürgen Doss Hartmut Koschyk Hans Raidel Egon Susset Dr. Alfred Dregger Manfred Koslowski Dr. Peter Ramsauer Dr. Rita Süssmuth Maria Eichhorn Thomas Kossendey Rolf Rau Michael Teiser Wolfgang Engelmann Rudolf Kraus Helmut Rauber Dr. Susanne Tiemann Rainer Eppelmann Wolfgang Krause ({157}) Peter Harald Rauen Gottfried Tröger Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid Otto Regenspurger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Horst Eylmann Arnulf Kriedner Christa Reichard ({158}) Gunnar Uldall Anke Eymer Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Bertold Reinartz Wolfgang Vogt ({159}) Ilse Falk Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Dr. Horst Waffenschmidt Jochen Feilcke Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Dr. Theodor Waigel Dr. Karl H. Fell Dr. Hermann Kues Roland Richter Alois Graf von Waldburg-Zei Ulf Fink Werner Kuhn Roland Richwien Dr. Jürgen Warnke Dirk Fischer ({160}) Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder Kersten Wetzel Herbert Frankenhauser ({161}) Dr. Erich Riedl ({162}) Hans-Otto Wilhelm ({163}) Dr. Gerhard Friedrich Karl Lamers Klaus Riegert Gert Willner Erich G. Fritz Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber Bernd Wilz Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Franz Romer Matthias Wissmann Michaela Geiger Armin Laschet Hannelore Rönsch Simon Wittmann Norbert Geis Herbert Lattmann ({164}) ({165}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dagmar Wöhrl Jürgen Türk Ingrid Holzhüter Walter Schöler Michael Wonneberger Dr. Wolfgang Weng Eike Hovermann Ottmar Schreiner Elke Wülfing ({166}) Lothar Ibrügger Gisela Schröter Peter Kurt Würzbach Dr. Guido Westerwelle Brunhilde Irber Brigitte Schulte ({167}) Cornelia Yzer Gabriele Iwersen Volkmar Schultz ({168}) Wolfgang Zeitlmann Ilse Janz Ilse Schumann Benno Zierer Nein Sabine Kaspereit Dietmar Schütz ({169}) Wolfgang Zöller Susanne Kastner Dr. Angelica Schwall-Düren Hans-Peter Kemper Ernst Schwanhold SPD Klaus Kirschner Rolf Schwanitz SPD Marianne Klappert Bodo Seidenthal Brigitte Adler Siegrun Klemmer Lisa Seuster Hans Berger Robert Antretter Walter Kolbow Horst Sielaff Arne Börnsen ({170}) Hermann Bachmaier Fritz Rudolf Körper Erika Simm Tilo Braune Ernst Bahr Nicolette Kressl Johannes Singer Hans-Joachim Hacker Doris Barnett Volker Kröning Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Alfred Hartenbach Klaus Barthel Thomas Krüger Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Gerd Höfer Ingrid Becker-Inglau Horst Kubatschka Wieland Sorge Erwin Horn Wolfgang Behrendt Eckart Kuhlwein Wolfgang Spanier Barbara Imhof Hans-Werner Bertl Konrad Kunick Dr. Dietrich Sperling Hans-Ulrich Klose Friedhelm Julius Beucher Detlev von Larcher Jörg-Otto Spiller Werner Labsch Rudolf Bindig Waltraud Lehn Antje-Marie Steen Dr. Christine Lucyga Lilo Blunck Robert Leidinger Ludwig Stiegler Rudolf Purps Anni Brandt-Elsweier Christa Lörcher Dr. Peter Struck Hermann Rappe Dr. Eberhard Brecht Erika Lotz Jörg Tauss ({171}) Edelgard Bulmahn Dieter Maaß ({172}) Margitta Terborg Reinhold Robbe Ursula Burchardt Dorle Marx Jella Teuchner Gerhard Rübenkönig Hans Martin Bury Ulrike Mascher Dr. Gerald Thalheim Dr. Emil Schnell Hans Büttner ({173}) Christoph Matschie Dietmar Thieser Peter Zumkley Marion Caspers-Merk Ingrid Matthäus-Maier Franz Thönnes Wolf-Michael Catenhusen Heide Mattischeck Uta Titze-Stecher Peter Conradi Markus Meckel Adelheid Tröscher F.D.P. Karl Diller Ulrike Mehl Siegfried Vergin Dr. Marliese Dobberthien Angelika Mertens Günter Verheugen Ina Albowitz Peter Dreßen Dr. Jürgen Meyer ({174}) Ute Vogt ({175}) Dr. Gisela Babel Rudolf Dreßler Ursula Mogg Karsten D. Voigt ({176}) Hildebrecht Braun Ludwig Eich Michael Müller ({177}) Hans Georg Wagner ({178}) Peter Enders Jutta Müller ({179}) Dr. Konstanze Wegner Günther Bredehorn Gernot Erler Volker Neumann ({180}) Reinhard Weis ({181}) Jörg van Essen Petra Ernstberger Gerhard Neumann ({182}) Matthias Weisheit Dr. Olaf Feldmann Annette Faße Dr. Edith Niehuis Gert Weisskirchen ({183}) Gisela Frick Elke Ferner Dr. Rolf Niese Jochen Welt Paul K. Friedhoff Lothar Fischer ({184}) Doris Odendahl Hildegard Wester Horst Friedrich Gabriele Fograscher Günter Oesinghaus Lydia Westrich Rainer Funke Iris Follak Leyla Onur Dr. Norbert Wieczorek Dr. Wolfgang Gerhardt Norbert Formanski Manfred Opel Heidemarie Wieczorek-Zeul Joachim Günther ({185}) Dagmar Freitag Adolf Ostertag Dieter Wiefelspütz Dr. Karlheinz Guttmacher Katrin Fuchs ({186}) Kurt Palis Berthold Wittich Ulrich Heinrich Arne Fuhrmann Albrecht Papenroth Dr. Wolfgang Wodarg Walter Hirche Monika Ganseforth Dr. Willfried Penner Verena Wohlleben Dr. Burkhard Hirsch Norbert Gansel Dr. Martin Pfaff Hanna Wolf ({187}) Birgit Homburger Konrad Gilges Georg Pfannenstein Heidi Wright Dr. Werner Hoyer Günter Gloser Dr. Eckhart Pick Uta Zapf Ulrich Irmer Dr. Peter Glotz Joachim Poß Dr. Christoph Zöpel Dr. Klaus Kinkel Uwe Göllner Karin Rehbock-Zureich Detlef Kleinert ({188}) Günter Graf ({189}) Margot von Renesse Dr. Heinrich L. Kolb Angelika Graf ({190}) Renate Rennebach BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Jürgen Koppelin Dieter Grasedieck Otto Reschke Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Achim Großmann Bernd Reuter Gila Altmann ({191}) Dr. Otto Graf Lambsdorff Karl Hermann Haack Dr. Edelbert Richter Elisabeth Altmann Sabine Leutheusser- ({192}) Günter Rixe ({193}) Schnarrenberger Klaus Hagemann Gudrun Schaich-Walch Marieluise Beck ({194}) Uwe Lühr Christel Hanewinckel Rudolf Scharping Volker Beck ({195}) Jürgen W. Möllemann Dr. Liesel Hartenstein Bernd Scheelen Matthias Berninger Günther Friedrich Nolting Klaus Hasenfratz Dr. Hermann Scheer Annelie Buntenbach Dr. Rainer Ortleb Dr. Ingomar Hauchler Siegfried Scheffler Amke Dietert-Scheuer Lisa Peters Dieter Heistermann Horst Schild Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Günter Rexrodt Reinhold Hemker Otto Schily Dr. Uschi Eid Dr. Klaus Röhl Rolf Hempelmann Dieter Schloten Andrea Fischer ({196}) Helmut Schäfer ({197}) Dr. Barbara Hendricks Horst Schmidbauer Joseph Fischer ({198}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Monika Heubaum ({199}) Rita Grießhaber Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Uwe Hiksch Ulla Schmidt ({200}) Gerald Häfner Dr. Irmgard Schwaetzer Reinhold Hiller ({201}) Dagmar Schmidt ({202}) Antje Hermenau Dr. Hermann Otto Solms Stephan Hilsberg Wilhelm Schmidt ({203}) Kristin Heyne Dr. Max Stadler Jelena Hoffmann ({204}) Regina Schmidt-Zadel Michaele Hustedt Dr. Dieter Thomae Frank Hofmann ({205}) Heinz Schmitt ({206}) Dr. Manuel Kiper Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Monika Knoche Hanns-Peter Hartmann Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Uwe-Jens Heuer Steffi Lemke Dr. Barbara Höll Vera Lengsfeld Ulla Jelpke Dr. Helmut Lippelt Gerhard Jüttemann Oswald Metzger Dr. Heidi Knake-Werner Kerstin Müller ({207}) Rolf Köhne Winfried Nachtwei Rolf Kutzmutz Cern Özdemir Dr. Christa Luft Gerd Poppe Heidemarie Lüth Simone Probst Dr. Günther Maleuda Halo Saibold Manfred Müller ({208}) Christine Scheel Rosel Neuhäuser Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Uwe-Jens Rössel Rezzo Schlauch Christina Schenk Albert Schmidt ({209}) Steffen Tippach Wolfgang Schmitt Klaus-Jürgen Warnick ({210}) Dr. Winfried Wolf Ursula Schönberger Gerhard Zwerenz Waltraud Schoppe Werner Schulz ({211}) Rainder Steenblock Enthalten Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such SPD Ludger Volmer Christel Deichmann Helmut Wilhelm ({212}) Wolfgang Ilte Margareta Wolf ({213}) Renate Jäger Dr. Uwe Jens Ernst Kastning F.D.P. Dr. Hans-Hinrich Knaape Christine Kurzhals Dr. Helmut Haussmann Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({214}) PDS Herbert Meißner Christian Müller ({215}) Wolfgang Bierstedt Dieter Schanz Petra Bläss Günter Schluckebier Maritta Böttcher Dr. Mathias Schubert Eva Bulling-Schröter Richard Schuhmann Heinrich Graf von Einsiedel ({216}) Dr. Ludwig Elm Dr. Bodo Teichmann Dr. Dagmar Enkelmann Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Weiermann Dr. Gregor Gysi Gunter Weißgerber Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mögliche Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Rechtsstaat durch Atommülltransporte nach Gorleben Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ursula Schönberger.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, Frau Merkel, die Auseinandersetzungen um den Castor-Transport in den letzten Tagen erinnern mich sehr stark an die Auseinandersetzungen um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf vor 10 Jahren. Die Bilder hiervon kennen Sie vielleicht aus dem West-Fernsehen. Es war der härteste Polizeieinsatz, den ich seit damals miterlebt habe. Ich rate Ihnen, sehen Sie sich an, wie die Auseinandersetzungen damals gelaufen sind, und lernen Sie daraus. ({0}) Sie werden den Widerstand der Menschen gegen Ihre Pro-Atomenergie-Politik weder mit 20 000 Polizisten ersticken, noch mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken brechen können. Ganz im Gegenteil, es werden immer mehr, die sich wehren. Es sind ganz normale Menschen: Bauern, Hausfrauen Rentner, die in dieser Auseinandersetzung immer entschiedener werden. Auch Sie werden nicht umhinkommen, zu merken, daß in den letzten Monaten die Kritik an der Atomenergienutzung wieder deutlich lauter geworden ist. Es geht nicht nur um einzelne Atommülltransporte. Gorleben steht auch für den Willen der Menschen, endlich Konsequenzen aus Tschernobyl zu ziehen und aus der Atomenergie auszusteigen. ({1}) Mit Methoden des Atomstaates, wie ihn schon Robert Jungk vor Jahren prognostizierte und wie Sie ihn in den letzten Tagen praktizierten - Atomstaat heißt, wer sich für Atomenergie entscheidet, ist auf Grund des Gefahrenpotentials gezwungen, sie mit aller Gewalt auch gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen -, kommen wir in diesem Land nicht weiter. Haben Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, eigentlich eine Vorstellung davon, was es für die vielen sehr jungen Polizeibeamten bedeutet, losgeschickt zu werden, um die verfehlte Atompolitik der Bundesregierung vor Ort mit dem Knüppel durchzusetzen? Da stehen sich auf beiden Seiten junge Menschen gegenüber - 18, 19, 20 Jahre alt -, die in einer anderen Situation auch Freunde sein könnten. Aber es heißt „Wasser marsch" und „Knüppel frei" . ({2}) Nur dem besonnenen Verhalten der demonstrierenden Menschen ist es zu verdanken, daß kein größerer Schaden angerichtet worden ist. ({3}) Wenn die Polizei sich so wie im letzten Jahr verhalten hätte, wo sie die Blockierenden aufforderte zu gehen und in dem Fall, daß sie dies nicht taten, wegtrug, dann wären diese nicht einmal angezeigt worden. Aber es lag eine bewußte Eskalation von seiten der Landes- und vor allem der Bundesregierung vor, die Menschen mit Gewalt zu traktieren und Tatbestände zu schaffen, um sie mit Strafverfahren zu behängen und zu kriminalisieren. ({4}) Die französische Zeitung „Libération" spricht von einer erstaunlichen „heiligen Allianz" gegen das Atomare, die Bauern der Region - ich zitiere - ebenso wie die Militanten aus großen benachbarten Städten umfaßt. Pfarrer, Hausfrauen, Ärzte, Bauern, Professoren, Rentner, Schüler - in den Reihen der Demonstranten dieses Mittwochs sind die Gesichter und die Herkunft so gegensätzlich, daß sie sich wahrscheinlich ohne diese Angst vor dem Atomaren nie begegnet wären. Aber, meine Damen und Herren, sie sind sich begegnet, und sie halten zusammen. Das können Sie skandalös und untragbar finden; aber es ist eine Tatsache - eine Tatsache, die Sie nicht ändern können. Ich rate Ihnen, dieser Tatsache Rechnung zu tragen, sie zu akzeptieren und sie bei Ihrem Handeln zu berücksichtigen. Schauen Sie sich mal an, was sich zwischen dem ersten und zweiten Transport entwickelt hat, wieviel mehr Menschen sich gegenüber dem ersten Mal an den Protesten beteiligt haben. Sie taten das mit großer Seriosität und Entschiedenheit. Wie soll denn der dritte Transport aussehen? 20 000 Demonstranten? 40 000 Polizisten? Es liegt an Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung und den Regierungsparteien, ob diese Eskalation so weitergehen muß oder nicht. Gestatten Sie mir einige Worte zu unserer Rolle als Opposition und insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie: Ich empfand es als wohltuend, daß Sie in Ihren Erklärungen gestern nicht zuerst die sich wehrende Bevölkerung kritisiert haben, sondern die Atompolitik der Bundesregierung. Das war vor einem Jahr noch anders. Aber als ich gestern abend von der Einigkeit von Frau Merkel und Herrn Schröder über einen Energiekonsens hörte, hatte ich den Eindruck: Eigentlich könnten die beiden gleich ein Konsenspapier für den langfristigen Weiterbetrieb der Atomanlagen aus der Tasche ziehen und unterschreiben. ({5}) Darum kann es jetzt aber nicht gehen. Dazu ist die Situation zu wichtig. Jetzt geht es wirklich um die Entscheidung: Ausstieg - ja oder nein? ({6}) Da kann ich Sie nur bitten: Verkaufen Sie sich nicht zu billig. Wenn man wirklich einen Konsens will, kommt man nicht daran vorbei, festzustellen, daß die Mehrheit der Bevölkerung für einen Ausstieg aus der Atomenergie ist. Es kann nicht sein, daß man von Ausstieg redet und gleichzeitig eine technokratische Vereinbarung von Parteien für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken trifft, die dem Mehrheitsempfinden der Bevölkerung widerspricht. Ganz im Gegenteil: Wenn so an dem Mehrheitsempfinden der Bevölkerung vorbeigegangen würde, bestünde die Gefahr einer weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung. Die Menschen würden sich gleichsam einer großen Koalition für den Weiterbetrieb gegenübersehen. Sie wissen, was große Koalitionen bedeuten: daß sich immer größere Teile der Bevölkerung vom Parlament nicht vertreten fühlen, sich eigenständig organisieren und versuchen, ihre Interessen außerparlamentarisch durchzusetzen. ({7}) Wenn wir, wenigstens wir als Opposition, nicht wollen, daß diese Auseinandersetzungen weiter eskalieren, dann müssen wir im Parlament das entschiedene Sprachrohr derer sein, die die Bundesregierung geflissentlich überhört. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Schönberger, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie: Wenn die Bundesregierung weiter auf ihrem Kurs bleibt, seien Sie so konsequent und begleiten Sie uns beim nächsten Castor-Transport ins Wendland! Davon verspreche ich mir, daß sich die Polizeikräfte von Herrn Glogowski und Herrn Schröder mehr zurückhalten als in den letzten Tagen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Rudolf Seiters. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte erwartet, daß die Sprecherin der Grünen zunächst eine Sache in Ordnung bringt: Der Vorstandssprecher der Grünen, Jürgen Trittin, hat gestern erklärt, nicht die Besetzer von Bahngleisen handelten kriminell, sondern die Bundesregierung und die niedersächsische Landesregierung. Herr Fischer, ich muß Sie auffordern, die Sache in Ordnung zu bringen. ({0}) Sie sollten ans Rednerpult kommen und sich dafür entschuldigen. Das kann so nicht stehenbleiben. ({1}) Rudolf Setters Ich will den Vergeßlichen und denen, die hier bewußt Tatsachen unterschlagen, die Fakten in Erinnerung rufen. Erstens. Für die Transporte abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung in Frankreich und für die Zurücknahme der Abfälle nach Deutschland gibt es klare vertragliche und völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen. Die damaligen Verträge sind mit Zustimmung der Regierung Helmut Schmidt zustande gekommen. Zweitens. Der Bau und die Nutzung der atomaren Zwischenlager in Gorleben und Ahaus sind von SPD- wie von CDU-geführten Landesregierungen beschlossen und mehrfach bekräftigt worden. Gorleben entspricht nach Angaben der niedersächsischen Landesregierung in allen Belangen den Genehmigungsbedingungen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat in diesen Tagen erneut erklärt, sie halte am Zwischenlager Ahaus fest. Die Abfälle müßten in dem Land entsorgt werden, in dem sie anfallen. Seit Juni 1992 sind 305 Castor-Behälter in Ahaus ohne jeden Zwischenfall eingelagert worden. Wo waren da eigentlich Ihre Proteste? Ihre Haltung ist doch völlig unglaubwürdig. ({2}) Drittens. Ein beträchtlicher Teil der Nukleartransporte geht auf niedersächsische Kraftwerke zurück. Allein 1995 sind insgesamt 17 Transporte mit 25 Behältern zu den Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich durchgeführt worden - mit Duldung der niedersächsischen Landesregierung und auch hier ohne jeden Protest. Für die Castor-Transporte, ihre Sicherheit und den Ausschluß von Gefährdungen gibt es klare rechtliche Grundlagen, eindeutige politische Entscheidungen und richterliche Bestätigungen. Brandenburgs Umweltminister Platzeck, SPD, erklärt: Castor ist - das bestätigen alle Experten und Prüfungen - der sicherste Transportbehälter auf dem Markt. Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der Grünen doppelzüngig, unverantwortlich und in einem Rechtsstaat nicht akzeptabel. ({3}) Es ist ein Skandal, daß 10 000 Polizeibeamte ihren eigentlichen Aufgaben entzogen werden, weil Kernkraftgegner nicht bereit sind, rechtsstaatlich getroffene Entscheidungen zu akzeptieren. ({4}) Ich nenne es unverantwortlich, wenn Abgeordnete der Grünen offen zum Rechtsbruch und zur Gewalt auffordern ({5}) - Frau von Blottnitz und Frau Fröhlich - und erklären, auch sie seien bereit, in die Sicherheit von Verkehrswegen einzugreifen und Bahngleise zu zerstören. Das müßten Sie eigentlich wissen, ({6}): Das haben sie gar nicht gesagt!) sonst kümmern Sie sich bitte um diese Äußerungen. Sie sind unverantwortlich, und ich weise sie an dieser Stelle zurück. ({7}) Ich nenne es unverantwortlich, wenn unter der Tarnkappe gewaltlosen Widerstands Rechtsbrechern eine moralische Rechtfertigung zugeordnet wird. ({8}) Ich nenne es aber auch nicht akzeptabel, wenn die SPD angesichts richterlicher Urteile, internationaler Verpflichtungen und der ausdrücklich positiven Haltung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum Zwischenlager Ahaus von einer Provokation spricht und dazu auffordert, die Transporte zu stoppen. Herr Glogowski, der Innenminister von Niedersachsen, hat immerhin in diesen Tagen wörtlich erklärt, daß es unverantwortlich wäre, wenn Deutschland seinen Atommüll den Franzosen vor die Tür stelle und ihn dann nicht mehr zurücknehme. Ich muß es auch doppelzüngig nennen, wenn der niedersächsische Ministerpräsident Schröder gestern den gewaltsamen Protest verurteilt und dabei verschweigt, daß in der Vergangenheit er selbst ebenso wie seine Umweltministerin Griefahn mit Anzeigen der Landesregierung „Wir haben den Kampf aufgenommen!" „Wir werden nicht aufhören zu kämpfen!" durch ihr Handeln und ihr Reden immer wieder Wasser auf die Mühlen der Gewalttäter gegossen haben. ({9}) Ich plädiere nachdrücklich dafür, daß wir zum Konsens über Recht und Ordnung wieder zurückkehren. Niemand bestreitet das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit. Aber das Motto „Wenn ihr nicht unser Leben achtet, achten wir nicht eure Gesetze", das wir auf den Plakaten lesen konnten - an uns alle gerichtet -, ist in unserem Rechtsstaat völlig inakzeptabel. Das können wir so nicht stehenlassen. ({10}) Es führt zu Gewalt gegen rechtsstaatliche Entscheidungen und zur Mißachtung gerichtlicher Urteile. Wollten wir dieses zulassen, dann würden wir den Rechtsgehorsam unserer Bürger und den Rechtsfrieden in unserem Lande untergraben. Meine Damen und Herren, wir danken ganz ausdrücklich den Polizeibeamten für ihren Einsatz. ({11}) Die Polizei braucht klare Weisungen, die sich an Recht und Ordnung orientieren. Sie darf nicht im Regen stehen, weil die politische Führung - wie wir das so oft erlebt haben - in Deckung geht. Deshalb fordern wir die niedersächsiche Landesregierung auf, konsequent und unnachgiebig gegen Gewalttäter vorzugehen und nicht in das Versagen der politischen Führung wie bei den Chaostagen in Hannover, den Demonstrationen des Schwarzen Blocks in Göttingen und der unzureichenden Vorsorge bei früheren Ausschreitungen in Gorleben zurückzufallen. Wir erwarten auch, daß die Justiz die identifizierten Gewalttäter umgehend zur Rechenschaft zieht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Redezeit ist beendet.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer Bomben legt und Schienen zersägt, ist kein Widerstandskämpfer, sondern ein Krimineller - um das an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen. ({0}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich halte im übrigen die Vorgehensweise, in Deutschland produzierte radioaktive Abfälle ohne Skrupel in das Ausland zu transportieren, ({1}) aber ein großes Getöse anzustimmen, wenn die völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen zur Zurücknahme eingelöst werden, für ein unerträgliches und auch unwürdiges Sankt-Florians-Denken. Bei den Grünen habe ich die Hoffnung bereits aufgegeben; die SPD aber fordere ich auf, mit ihrem energiepolitischen und rechtsstaatlichen Doppelspiel endlich Schluß zu machen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zunächst: Gewalt darf kein Mittel der Auseinandersetzung sein. Es gibt keine Gründe, die Gewalttätigkeiten rechtfertigen. Daran gibt es in der SPD keinen Zweifel. ({0}) Aber, Gewalt hat Ursachen - auch die Gewalt in Gorleben. Die Empörung und die Ausschreitungen verdecken - Herr Seiters hat das eben wieder sehr pharisäerhaft vorgetragen -, daß es eine Ursache gibt. Was hat die Regierung zur Deeskalation und zur Gewaltverhinderung beigetragen? Diese Frage müssen Sie sich stellen lassen. Es gibt einen zweiten Punkt. Die Diskussion über die Gewalt und die Empörung über die Ausschreitungen verdecken, was dahinter steht: das Fehlen einer Energiepolitik dieser Regierung. Das ist die eigentliche Ursache, und das ist das Dilemma, vor dem wir stehen. ({1}) Ersatzhandlungen statt Energiepolitik und Ersatzhandlungen im Interesse der Atomlobby sind nicht das, was wir brauchen. ({2}) Das ändert nichts daran, daß die Akzeptanz für Atomenergie in der Bevölkerung nicht vorhanden ist. Herr Grill, da können Sie herumschimpfen, soviel Sie wollen - die Akzeptanz ist nicht da, jedenfalls nicht in Deutschland. Auch wenn Sie vielleicht zusammen mit der Atomlobby gehofft haben, Herr Grill, daß die Klimaproblematik die Akzeptanz erhöht und die Atomenergie wieder hoffähig macht, haben Sie sich getäuscht. Das ist Ihnen nicht gelungen. Klimapolitik rechtfertigt nicht die Atomenergie, und die Menschen wissen das. ({3}) Die Klimagefahren sind groß, und Sie werden die Klimaschutzziele verfehlen, weil Sie keine Klimaschutzpolitik betreiben, aber nicht wegen eines Ja oder Nein zur Atomenergie. Das hat sich glücklicherweise herumgesprochen, auch durch die Arbeit der Enquete-Kommission. Dort ist klipp und klar nachgewiesen worden: Wer Klimaschutzpolitik betreiben will, muß Energie sparen, muß rationelle Energieanwendung fördern und muß erneuerbare Energien einsetzen. Tun Sie das - dann haben wir diesen Streit nicht. ({4}) Klimaschutz ist jedenfalls kein Argument für die Atomenergie. Das stört Sie jedoch nicht. Fehlende Argumente ersetzen Sie durch die Arroganz der Macht. Da ist es eben nicht entscheidend, Herr Seiters, ob dafür Verträge oder Gesetze die Grundlage sind, sondern es geht darum: Wie geht man mit solchen Bürgerprotesten um, und wie bewältigt man solche Situationen mit Fingerspitzengefühl? Daran haben Sie aber überhaupt kein Interesse, und die Polizei muß den Kopf für Ihre verfehlte Politik hinhalten. ({5}) Ich möchte Ihnen einen Satz vorlesen, den gestern abend der Vertreter der Gewerkschaft der Polizei, Hermann Lutz, gesagt hat: Ich glaube, daß der Rechtsstaat auf Dauer solche Einsätze nicht verkraften kann. Wenn ich mir einmal überlege, wieviel zigtausend Einsatzstunden normalerweise im Bereich der Alltagskriminalität, auch im Bereich des Straßenverkehrs ... tatsächlich verlorengehen - und die sind nicht nachzuholen -, dann ist das sicher auch ein bedauerlicher Vorgang ... Deswegen muß man politisch wirklich überlegen, ob diese Einsätze auf Dauer wirklich verkraftbar sind - nicht nur finanziell, sondern auch politisch verkraftbar. Damit hat die Polizei recht, meine Damen und Herren von der Regierungsseite. ({6}) Es ist eine Horrorvision, daß die rund 150 Atomtransporte, die in den nächsten Jahren anstehen, jeweils eine ganze Region nur deshalb in den Belagerungszustand versetzen, weil Sie weiterhin die Arroganz der Macht betreiben wollen. Wir fordern Sie auf: Tragen Sie zur Deeskalation bei, setzen Sie die Castor-Transporte nach Gorleben aus! Wir brauchen politische Gespräche zur Entwicklung eines nationalen Entsorgungskonzepts, und für diese Gespräche brauchen wir keine Belehrungen der Grünen; das will ich noch einmal an meine Vorrednerin gerichtet sagen. ({7}) Was wir brauchen, ist der schnellstmögliche Ausstieg aus der Atomenergie, damit der strahlende Abfall nicht weiter anwächst. Das ist eine dringend notwendige Voraussetzung für Gespräche. Wir brauchen eine klimaverträgliche Energiepolitik, die den Schwerpunkt auf Energiesparen und erneuerbare Energien legt. ({8}) Wir brauchen die Brücke ins Solarzeitalter, wir brauchen die Energiewende. Was wir nicht brauchen, das ist die Atomenergie. Schönen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder hat das Recht, so heißt es in Art. 8 unseres Grundgesetzes, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. - Deswegen ist es völlig abwegig, wenn Sie hier den Eindruck erwecken, als gäbe es in unserem Rechtsstaat gute und böse Gewalt. Gewalt ist niemals Mittel der Politik und darf es auch nicht mehr werden. ({0}) Jeder hat das Recht, gegen Kernkraft und auch gegen Atommülltransporte zu demonstrieren. Jedermann ist es unbenommen, gegen gerichtliche Entscheidungen zu protestieren, die solche Transporte ausdrücklich erlaubt haben. Wer aber Gewalt anwendet, ob gegen Sachen oder gegen Personen, stellt sich außerhalb des demokratischen Grundkonsenses und muß mit einer strafrechtlichen Verfolgung und zivilrechtlichen Belangung rechnen. ({1}) Wir sind völkerrechtlich zu den Rücknahmetransporten verpflichtet. Deswegen möchte ich einmal daran erinnern: Die rechtliche Verpflichtung, die wir eingegangen sind, stammt aus einer Zeit, in der die SPD auch in diesem Hause noch eine andere Politik betrieben hat - und Sie sprechen von der Arroganz der Macht. Das ist eine Unverschämtheit und unredlich dazu! ({2}) Auch diejenigen, die die Atomkraft ablehnen und den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie fordern, müssen eine Antwort darauf geben, wie der bereits angefallene Atommüll entsorgt werden soll. Wir als freie demokratische Fraktion begrüßen deshalb, daß die Bundesregierung und auch die Beteiligten der Länder die Energiekonsensgespräche wieder aufnehmen wollen. Wir halten das für richtig. Ich sage hier aber auch: Wer den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie fordert, der muß auch sagen, daß er bereit ist, die Verschlimmerung der Klimakatastrophe in Kauf zu nehmen. ({3}) - Herr Fischer, das ist doch kein Zwischenruf; das ist wieder einmal Ihr Pawlowscher Reflex, und das bleibt auch so. Die Überwindung des Faustrechts durch das Gewaltmonopol des Staates ist die wichtigste Errungenschaft des Rechtsstaates. Wir müssen uns dieser Errungenschaft weiter gemeinsam vergewissern. Deswegen meine ich, daß wir in diesem Zusammenhang nicht nur den Polizeibeamten danken müssen, die das Recht vor Ort im Auftrag der Demokratie und ihrer Institutionen durchgesetzt haben, sondern selbstverständlich sollten wir auch gegenüber den friedlichen Demonstranten unseren Respekt zum Ausdruck bringen. Was wir hier tun, ist die Verurteilung von Gewalttaten ({4}) und die Erhebung der Forderung nach einer entschiedenen Bestrafung dieser Kriminellen, meine Damen und Herren. ({5}) Wie müssen sich eigentlich die Polizeibeamten fühlen, wenn Abgeordnete und Politiker von den Grünen und der PDS, auch aus diesem Hause, öffentlich zur Schienendemontage und damit zur Gewalt gegen Sachen aufrufen? Ich empfinde es als eine Heuchelei, wenn Sie sich als Sprecherin der Grünen jetzt scheinheilig vor die Polizeibeamten stellen. Sie verkennen Ursache und Wirkung. Die Gewalttaten sind die Ursache des Polizeieinsatzes, nicht umgekehrt. ({6}) Am 12. April haben zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages, nämlich Frau Altmann von den Grünen und Frau Bulling-Schröter von der Gruppe der PDS, öffentlich dazu aufgerufen, die Schienen beim Atomkraftwerk Gundremmingen zu demontieren. Am 7. Mai erklärt die Grünen-Abgeordnete im Europaparlament Frau von Blottnitz im ZDF wörtlich: Auf dem Eisenbahnstück, auf dem nur der CastorBehälter transportiert wird, Schrauben zu lockern, das würde auch ich machen. Das ist gar keine Frage. - Der Vorstandssprecher der Grünen erklärt, die eigentliche Gewalt gehe vom Staat aus. Ich fordere Sie, Herr Fischer, auf: Nehmen Sie hier im Parlament das Wort! Distanzieren Sie sich von diesen unglaublichen Entgleisungen! Oder ist das etwa Methode Ihrer Partei? ({7}) Sie haben schon einmal, nämlich in der vorletzten Woche, gekniffen. Sie müssen klarstellen: Wer zur Gewalt gegen Sachen aufruft, ist mitschuldig, wenn letztendlich Polizeibeamte mit Knüppeln, Wurfgeschossen und Leuchtraketen angegriffen werden. Das nämlich ist die Wirkung Ihrer Politik. Sie liefern mit Ihrer Billigung den Nährboden für Kriminelle, die nicht nur Gewalt gegen Sachen ausüben, sondern auch die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nehmen. ({8}) Wer das Faustrecht zuläßt und wer es predigt, hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut. Wer das Faustrecht zuläßt oder es predigt, der hat jeden Anspruch verwirkt, sich als Vertreter von Bürgerrechten zu gerieren. Sie sind keine Bürgerrechtspartei. Sie sind nicht liberal. Sie sind gefährlich für die Liberalität unseres Landes. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Rolf Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem gestrigen Tage kann von einer friedlichen Nutzung der Atomenergie nicht mehr gesprochen werden. Atomenergie kann nur gegen das Recht auf Leben und vor allen Dingen gegen die übergroße Mehrheit der Jugend, die den radioaktiven Müll als Erblast erhalten wird, genutzt werden. Offensichtlich braucht es dazu den Einsatz einer Bürgerkriegsarmee von 19 000 Polizisten, um einen Atommülltransport - einen von hundert, die noch kommen werden - durchzuprügeln. Dies ist es, was den Rechtsstaat gefährdet. Die Verantwortung dafür trägt diese Bundesregierung. ({0}) Steigen Sie mit uns aus der Atomenergie aus! Gewähren Sie den Menschen ihr Recht auf Leben! Dann wird es solche Konflikte nicht mehr geben. Sprechen Sie nicht scheinheilig von einer Kapitulation des Rechtsstaates, die es nicht geben dürfe, und von Rechtsbrechern. Dieser Rechtsstaat kapituliert doch ständig vor Rechtsbrechern, aber an einer völlig anderen Stelle. Setzen Sie doch einmal 19 000 Polizisten ein, um die Steuerhinterziehungen von über 100 Milliarden DM jährlich zu unterbinden. ({1}) Dann können Sie sich auch Ihre Sozialabbauorgie sparen. Doch das wollen Sie nicht. Da kapitulieren Sie lieber vor den Rechtsbrechern, Herr Westerwelle, und senken ihnen zum Dank auch noch die Steuern, weil es Ihre eigene Klientel ist. Das ist doch der Fakt hier. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Medien wurde ein völlig überzogenes Bild der gestrigen Ereignisse zwischen Dannenberg und Gorleben gezeichnet. Trotz des martialischen, völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes war es weitgehend eine Demonstration, bei der die Verhältnismäßigkeit der Mittel seitens der Demonstranten gewahrt blieb. Es wurde auch immer wieder deutlich, daß der Widerstand überwiegend von der Bevölkerung des Wendlandes getragen wird. Wenn es dennoch stellenweise zu einer Eskalation kam, sollte man die Verantwortlichkeiten genau überprüfen. Ich habe gestern selbst beobachtet, wie ein Polizist während eines völlig unsinnigen Einsatzes auf einen bereits am Boden liegenden Menschen noch dreimal einschlug. Das war völlig unnötig. Solche Szenen sind es, die dazu führen, daß Menschen ihren Protest nicht mehr nur in friedlichen Sitzblokkaden ausdrücken. Das ist doch der Fakt. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Abschließend: Die „Hannoversche Allgemeine" schreibt deshalb zu Recht: „Die Versager, die gestern aufgebrachte Reden hielten" - heute übrigens auch -„und empörte Erklärungen abgaben, sitzen in Bonn. " - Recht hat die „Hannoversche Allgemeine" . ({2}) Ich kann dem nur hinzufügen: Der Rechtsstaat wird durch die unfriedliche Nutzung der Atomenergie gefährdet. Machen Sie Schluß damit, sonst wird es einen Tag X hoch drei geben, und der wird nicht besser. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die schrecklichen Bilder der gewalttätigen Ausschreitungen in Gorleben waren, so denke ich, für uns alle in diesem Hause bedrückend. Die Bilder haben gezeigt, wozu Chaoten, Kriminelle und Gewaltbereite fähig sind. ({0}) Meine Damen und Herren, ich sage ganz ausdrücklich: Ich meine hier nicht die Demonstranten. Ich meine hier nicht die Mitglieder der Bürgerinitiative, die friedlich für ihre Meinung protestiert haben. Wir müssen uns aber in diesem Hause - das gilt für jeden, der hier sitzt, unabhängig von der Parteizugehörigkeit; das gilt für alle, die in der Politik arbeiten, inklusive der Bürgerinitiativen - klar und eindeutig von allen Gesetzesbrechern distanzieren. ({1}) Es waren gestern viele dabei, für die der gestrige Transport nur ein Vorwand war, unseren Staat insgesamt zu bekämpfen. Das dürfen wir nicht zulassen. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist natürlich auch die Frage - und die stelle ich ganz bewußt an die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen und an die Vertreter der Sozialdemokratie -: Wer trägt eigentlich wie dazu bei, Gewalttäter zu ermutigen? ({3}) Herr Müller, wenn Sie meinen, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Transporten ein böses Spiel zu Lasten des inneren Friedens in unserem Lande treibt, dann muß ich Sie fragen: Was bedeutet das? Was bezweckt das? Wohin führt das? ({4}) Ich glaube, Sie halten Ursache und Wirkung nicht auseinander. Die Bundesregierung provoziert nicht, sondern die gewalttätigen Chaoten, die einen anderen Staat wollen, provozieren. ({5}) Ich glaube, daß man in solchen Situationen nichts tun darf, um Gewalttätern indirekt oder direkt den Rücken zu stärken. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns noch einmal daran erinnern, wie es damals war: 1979 hat die Bundesregierung unter Helmut Schmidt Abkommen unterzeichnet und sich verpflichtet, keine Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die Rücktransporte unmöglich machen. Im Gegenteil, sie hat sogar gesagt, sie werde ihre Befugnis nutzen, im Rahmen der entsprechenden Rechtsvorschriften diese Rücktransporte zu erleichtern. Niemand in diesem Hause wird ernsthaft sagen, wir sollten unseren Müll doch in Frankreich lassen. Wir sind für unseren Müll verantwortlich, und zwar für jede Art von Müll. ({7}) Deshalb, meine Damen und Herren, muß ich noch einmal darauf hinweisen: Die Transporte sind sicher, die Behälter erfüllen alle Normen, und es hat über 1 600 solcher Transporte in Deutschland gegeben. Die in den Strahlenschutzbestimmungen genannten Werte werden unterschritten, ({8}) und für das Gorlebener Lager sind alle rechtlichen Erfordernisse erfüllt. Meine Damen und Herren, es gibt politisch keine Alternative zur völkerrechtlichen Rücknahme dieser Atomrückstände. Auch von Ihnen aus der Opposition habe ich heute kein einziges Wort gehört - und ich höre zu -, was ich denn bitte schön gegenüber Frankreich äußern soll. Soll ich sagen: Es paßt uns heute nicht? Soll ich sagen: Es paßt uns morgen nicht? Und wann, bitte schön, darf ich denn sagen, daß es uns paßt? ({9}) Wir haben uns völkerrechtlich verpflichtet, und ich stehe für eine Bundesregierung, die bereit ist, ihre internationalen Verpflichtungen zu erfüllen, auch wenn seinerzeit eine andere Bundesregierung diese Verpflichtungen eingegangen ist. ({10}) Meine Damen und Herren, es bleibt aber natürlich der Punkt, daß wir gerade nach dem gestrigen Tage aufgefordert sind, politische Lösungen für Konflikte in unserem Land zu finden - das ist überhaupt keine Frage -, und ich bin sehr dafür, daß wir wieder über die offenen energiepolitischen Fragen sprechen. Aber, Frau Ganseforth, zur historischen Wahrheit gehört auch, daß im letzten Jahr die Konsensgespräche an einer tiefen Uneinigkeit in der SPD gescheitert sind. ({11}) Jeder, der diese Gespräche verfolgt hat, weiß das; fragen Sie einmal Frau Fuchs. - Deshalb sage ich: Werden Sie sich klar darüber, auch im Sinne des Landes Niedersachsen, wie Sie in Zukunft solche Eskalationen vermeiden und mit einer konstruktiven Haltung wieder in solche Gespräche kommen. ({12}) Das heißt, daß man nicht mit einer Fülle von Vorbedingungen kommen darf. Meine Damen und Herren, Energieerzeugung ist generell nicht ohne Risiken zu haben. Wir müssen die Risiken miteinander abwägen. Deshalb ist es völlig falsch, wenn hier immer behauptet wird, wir seien Atomfetischisten. Wir sind dafür, daß wir in einem Energiemix umweltpolitisch verantwortbar Energie erzeugen. ({13}) Wer behauptet, die Erzeugung von Energie aus fossilen Rohstoffen sei umweltverträglich und ohne jedes Risiko, der lügt und sagt den Menschen einfach nicht die Wahrheit. ({14}) Die gestern transportierten Abfälle entsprechen 12 Millionen Tonnen eingesparten Kohlendioxids, und diese Risiken müssen wir gegeneinander abwägen. ({15}) Wir von den Regierungsparteien kommen dann zu dem Ergebnis, daß der Energiemix verantwortbar ist. Ich fordere alle Beteiligten auf, zu politischen Gesprächen über die Zukunft der Kernenergie und andere Arten der Energieerzeugung zurückzukehren. Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nächster Redner ist der Kollege Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der wichtigste Punkt in dieser Debatte ist, daß unser Land es sich nicht leisten kann, möglicherweise 150 solcher Auseinandersetzungen wie in den letzten Tagen zu erleben. Wer die Debatte ernsthaft führen will, der muß darüber nachdenken, wie solche Auseinandersetzungen vermieden werden können. ({0}) Hier geht es nicht darum, arrogant auf altem Recht zu bestehen, und auch nicht darum, lernunfähig und rechthaberisch mögliche Fehler der Vergangenheit aufzulisten. Hier geht es darum, im Interesse unserer Demokratie die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Das ist unsere politische Verantwortung, und daran müssen wir uns messen lassen. Ich habe nicht den Eindruck, daß die bisherige Debatte dem entspricht. Herr Westerwelle, abgesehen davon, daß Sie offenkundig von Energiepolitik wenig Ahnung haben - das ist aber nicht mein Problem; wie sollte auch jeder etwas davon verstehen -: Seien Sie nicht so - ({1}) - Nein, Entschuldigung, das ist so; nicht jeder kann etwas von allem verstehen. Das ist gar nicht als Vorwurf gemeint. ({2}) - Na gut, dann ist es eben ein Vorwurf: Als Generalsekretär, Herr Westerwelle, müßten Sie eigentlich mehr über derart wichtige Fragen wissen. ({3}) Aber das war gar nicht mein Anliegen. Mein Ansatz ist ein anderer: Wenn Sie vor dem Hintergrund, daß es in der Bevölkerung seit langem einen Konsens gibt, nämlich daß wir aus der Atomenergie raus wollen, so ignorant mit Menschen umgehen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Menschen an der Politik verzweifeln. Wir wollen nicht, daß sie an der Politik verzweifeln! ({4}) Zur verantwortlichen Politik gehört auch Lernfähigkeit, die Fähigkeit, sich zu verändern und die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zu berücksichtigen. Sie tun das nicht. ({5}) Sie waren im übrigen in der Frage der Atomenergie schon einmal weiter als heute. Vielleicht ist Ihre Haltung in dieser Frage kennzeichnend für den liberalen Niedergang der F.D.P. ({6}) Wir müssen hier über folgendes nachdenken: Erstens. Wie vermeiden wir Belastungen, die für unsere Demokratie nicht verträglich sind? Zweitens. Wie gehen wir um mit den Problemen, die wir in der Vergangenheit erzeugt haben, also mit der Atomenergie und der Entsorgungsfrage? Diese Fragen müssen wir sachlich klären. Da gibt es eine Vielzahl von Punkten, über die wir uns jenseits dieser völlig Michael Müller ({7}) unfruchtbaren und nur innenpolitisch instrumentalisierten Konfrontation einigen könnten. ({8}) Aber angesichts dieser innenpolitischen Instrumentalisierung habe ich zunehmend den Eindruck, daß Sie den Atommüll gar nicht mehr in Deutschland, sondern ganz woanders entsorgen wollen. Sie suchen einen Vorwand. Das ist im Interesse mancher, weil sie dann die Atomkraft länger nutzen können. Wir warnen vor diesem Weg. Wir bekennen uns zu der Verantwortung einer nationalen Entsorgungspflicht. ({9}) Aber das bedeutet dreierlei. Der erste wichtige Punkt ist: Wir müssen aus der Atomenergie raus, weil das Entsorgungsproblem sonst nicht mehr lösbar ist. ({10}) Das ist so, weil wir mit diesen Mengen sonst nicht mehr zurechtkommen. ({11}) - Ich komme dazu. Zweiter Punkt: Wir müssen zur direkten Endlagerung kommen. Geben Sie das Konzept der unsinnigen Transporte durch ganz Europa auf! Drittens. Wenn Sie wirklich für die Atomenergie sind - wo ist dann beispielsweise der Beitrag der CDU-regierten Länder für Entsorgungsstandorte? ({12}) Sie machen es sich hier zu einfach. Wir sagen: Raus aus der Atomenergie; denn das ist der Schlüssel für den innenpolitischen Frieden und für die Lösung des Entsorgungsproblems. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung. Wir sagen aber: Es wird nicht möglich sein, zu Akzeptanz und Konsens in der Bevölkerung zu kommen, wenn letztlich die Bürger und die Polizei den Konflikt austragen, den die Politik nicht fähig ist, zu lösen. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort erhält der Kollege Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist an Scheinheiligkeit und Doppelbödigkeit kaum zu überbieten, von einer Gefährdung des Rechtsstaats zu sprechen, wenn der Staat dem Recht mit Hilfe der Polizei zur Durchsetzung verhilft. ({0}) Wer den Rechtsstaat schützen will, der muß akzeptieren, daß es gegen rechtmäßig zustande gekommene Entscheidungen wohl ein Demonstrationsrecht, aber kein Widerstandsrecht gibt. ({1}) Wer dem Rechtsstaat Schaden zufügen will, tut das am besten dadurch, daß er zum Rechtsbruch aufruft. Wir tragen Verantwortung für die Polizisten, denen niemand unterstellen darf, daß sie diesen Auftrag gerne übernommen haben. Wer haßerfüllten Randalierern Auge in Auge gegenübersteht, der geht für die Durchsetzung des Rechts ein hohes persönliches Risiko ein. ({2}) Wir tragen auch Verantwortung für die Demonstranten, die aus lauteren Motiven und gewaltfrei gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie demonstrieren wollen. Ihr Idealismus wird aber sträflich mißbraucht, wenn man gewalttätigen Widerstand und Rechtsbruch als selbstverständlichen Bestandteil des Protestes gegen die Kernenergie akzeptiert. Rechtsbruch ist das Markenzeichen des Kampfes von Umweltministerin Monika Griefahn in Niedersachsen gegen die Kernenergie geworden. In zweistelliger Millionenhöhe ist das Land Niedersachsen schadensersatzpflichtig, weil diese Ministerin immer wieder ihre Amtspflicht verletzt hat. Das ist ihr von Zivilgerichten bestätigt worden. ({3}) Gestern hat eine entsprechende Debatte im niedersächsischen Landtag stattgefunden. ({4}) Es liegt schon auf der Hand, daß die SPD entschieden hat, Frau Griefahn nicht reden zu lassen, Herr Fischer. Die Jungsozialisten tragen als Organisation innerhalb der SPD zumindest moralische Mitverantwortung für die gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei. Auf dem letzten Bundeskongreß der Jungsozialisten in Hannover sollte ein Aufruf gegen den bevorstehenden Castor-Transport verabschiedet werden. Dabei ist unter dem tosenden Applaus der Versammlung das Wort „gewaltfrei" aus dem Antrag herausgestrichen worden. Das kann nur als Identifikation mit Gewalttätern und Randalierern verstanden werden. ({5}) Wer Polizisten mit Stahlkugeln beschießt, Leuchtmunition auf sie abfeuert und Bahnschienen zersägt, nimmt die Gefährdung von Menschenleben zumindest billigend in Kauf. Solche Täter unterscheiden sich in diesem Punkt in nichts, aber auch gar nichts von rechtsextremistischen Gewalttätern. ({6}) Dieses Gesindel empfindet es als Bestätigung und als moralische Ermutigung, wenn zum Beispiel die grüne Europaabgeordnete Undine von Blottnitz erklärt, Sabotageakte seien gerechtfertigt. Ich sage es noch mal: Ich werfe niemandem sein Engagement und seinen Protest gegen die Kernenergie vor. Ich werfe aber Teilen der Opposition vor, daß sie ihre Einflußmöglichkeit zur Mäßigung gewaltbereiter Demonstranten nicht genutzt haben. Wenn Herr Trittin in diesem Zusammenhang den Bundesinnenminister beleidigt, so sagt das nichts über Herrn Kanther, aber eine Menge über Herrn Trittin aus. Jemand, der in verschiedenen verfassungsfeindlichen K-Gruppen diesen Rechtsstaat immer wieder bekämpft und im niedersächsischen Landtag übrigens erklärt hat, daß eine Koalition von SPD und PDS im Vergleich zur rot-grünen Koalition in Niedersachsen einen Rechtsruck bedeuten würde, ist wirklich nicht aufgerufen, sich zu dieser Frage zu äußern. ({7}) Für uns steht fest: In einem Rechtsstaat hängt die Durchsetzung einer demokratisch zustande gekommenen Entscheidung gerade nicht von der Lautstärke und der Brutalität des Widerstandes ab. Das ist der Unterschied zwischen Volksherrschaft und Pöbelherrschaft. Wir werden uns erlauben, diesen Unterschied immer wieder praktische Politik werden zu lassen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer. ({0})

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es freut mich, daß Sie „Na endlich! " rufen, wenn ich hier auftauche, Herr Westerwelle. Ich möchte Sie nicht enttäuschen. ({0}) - Zu sagen, ich hätte vor Ihnen gekniffen, beruht auf einer Selbstüberschätzung, der Sie mittlerweile unterliegen. Wie käme ich denn dazu, vor Ihrem Aktenköfferchen zu kneifen, Herr Westerwelle? ({1}) - Wenn Sie die Ehre hätten, mich wenigstens die ersten drei Sätze reden zu lassen, ohne daß Sie gleich dazwischenrufen! ({2}) Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, wir Grüne solidarisieren uns ohne Wenn und Aber und mit allem Nachdruck mit dem friedlichen, demokratischen Protest der Menschen im Wendland gegen die fatal falsche Politik der Bundesregierung. ({3}) Wenn Sie diese Menschen, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl durch friedliche Demonstrationen, durch Sitzblockaden ohne Gewalt von ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht der Demonstrationsfreiheit Gebrauch gemacht haben, als Gewalttäter diffamieren, dann weisen wir dies mit allem Nachdruck zurück. ({4}) Ich sage Ihnen, Herr Westerwelle: Für unsere Partei ist Gewaltfreiheit ein Grundprinzip. Deshalb lehnen wir Gewalt ab. Sie mögen zwar alle 14 Tage kommen und erneut eine Distanzierung erwarten, aber dies ist unser Grundprinzip. Ob Sie das begreifen oder nicht: Ich sehe auf der Grundlage unserer gewaltfreien Politik zur Distanzierung überhaupt keine Veranlassung, wenn Guido Westerwelle das fordert. ({5}) ({6}) Meine Damen und Herren, die Atompolitik spaltet seit drei Jahrzehnten dieses Land. ({7}) Und wieder werden Polizisten, wie in den siebziger und achtziger Jahren, dazu eingesetzt, für eine völlig verfehlte und falsche Atompolitik, die eine ganze Region in die Rebellion, ja nahezu in den Aufstand treibt, die Köpfe hinzuhalten. ({8}) Begreifen Sie doch endlich - damit komme ich erneut zu Ihnen, Herr Westerwelle -: Es hat sich in den neunziger Jahren zu Recht viel geändert. Ich führe mir zum Beispiel die Debatte von heute morgen vor Augen und denke etwa an die Konsequenzen, die aus dem Gedenken an den Holocaust parteiübergreifend zu ziehen sind. Es hat sich vieles geändert, was die innere Demokratie, was Geschlechtergleichstellung und ähnliches angeht. Das war aber das Ergebnis sozialer Protestbewegungen. Das war nicht das Ergebnis einer linearen Karriereplanung vom Kindergarten bis zum F.D.P.-Generalsekretär. Das will ich Ihnen hier auch einmal sagen. ({9}) Ich sage Ihnen das als jemand, den Sie in den siebziger Jahren zu Recht als einen dieser „Gewalttäter" bezeichnet hätten. Ich weiß nur zu gut, daß Gewalt keine Perspektive ist, daß das Verlassen rechtsstaatlicher Grundsätze niemals eine demokratische Perspektive sein kann. Ich möchte gerade den jungen Joseph Fischer ({10}) Menschen in Gorleben zurufen, sie mögen begreifen, daß sie ihre Gefühle unter Kontrolle halten müssen und den Kopf nicht ausschalten dürfen angesichts der Erfahrung von einer Staatsgewalt, die nicht mehr als verhältnismäßig bezeichnet werden kann. ({11}) Aber umgekehrt sage ich Ihnen auch: Wir hätten in diesem Land mindestens das Doppelte an Atomkraftwerkskapazitäten, wir hätten in diesem Land eine andere, nämlich weniger Demokratie, wenn es diesen sozialen Protest nicht gegeben hätte. ({12}) Sosehr ich jeden rechtsstaatlichen Grundsatz und die Verfassung verteidige: Wir reden hier über Politik, und eine kluge Politik, die Weisheit einer Regierung in einer Demokratie besteht auch darin, daß sie nicht dauerhaft Minderheiten in einen Bereich jenseits der Grenzen des Rechtsstaates hinausdrücken darf; sonst bekommen Sie mit Ihrer Politik Gewalt, Herr Westerwelle. Das ist es, was wir Ihnen vorwerfen. ({13}) Deswegen, meine Damen und Herren: Es ist eine gnadenlose Heuchelei! Was ist denn das, was wir gegenwärtig erlebt haben, im Verhältnis zu dem, was wir bei einer großen Volkspartei in Bayern erlebt haben, als die CSU, der das Kruzifix-Urteil nicht paßte, eine direkte, allerdings nicht mit Steinen, nicht mit Knüppeln vorgetragene Attacke auf eine zentrale Institution wie das Bundesverfassungsgericht ausübte? Worin besteht denn da die Rechtsstaatsgefährdung? Oder nehmen wir den Fall, daß die Vizepräsidentin Frau Dr. Vollmer an einer genehmigten Demonstration in Wahrnehmung ihres nun wirklich grundrechtlich abgesicherten Demonstrationsrechtes teilnimmt und deshalb von der Union angegriffen wird. Darf sie denn nur an Demonstrationen von sudetendeutschen Verbänden teilnehmen und nicht an anderen genehmigten Demonstrationen? ({14}) Welches Verfassungsverständnis steckt denn dahinter, meine Damen und Herren? Ich komme noch ganz kurz zum Bundesminister des Innern. Ich habe es ja vier Jahre lang in Hessen erlebt und gesehen, wie die hessische CDU und die Hessische Landesregierung mit Siemens umgegangen sind. Genehmigungsakten wurden zum Nachbessern bei der Firma abgeliefert und ähnliches mehr. ({15}) Ich kann Ihnen deshalb nur sagen: Gnadenlose Heuchelei, die Sie heute betreiben! ({16}) Nein, meine Damen und Herren, wir müssen aus der Atomenergie aussteigen, damit die Spaltung in diesem Land aufhört. Dieses Land wird nicht hundert Atomtransporte aushalten, sondern es hält nur einen Konsens aus, und diesen Konsens wird es nur geben, wenn wir aus der Atomenergie aussteigen. ({17})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, das Wort.

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Präsident! Ich hoffe sehr, daß viele Menschen in Deutschland diesen unglaublichen Auftritt des grünen Oppositionsführers Fischer miterlebt haben. ({0}) Der Brandstifter ruft nach der Feuerwehr - dies beschreibt die Situation, die wir eben erlebt haben. Es ist gut, daß dem Wolf der Schafspelz einmal vor der Öffentlichkeit heruntergerutscht ist. ({1}) Auf der einen Seite sich mit denjenigen solidarisieren, die bei Gorleben Unrecht begangen haben, und auf der anderen Seite tränenfeucht die braven Menschen zur Rechtstreue aufrufen - diesen Spagat nimmt Ihnen niemand mehr ab. ({2}) Ich hoffe, daß viele Menschen erkennen, daß Sie, Herr Fischer, nichts dazugelernt haben, was Ihre Einstellung zum Rechtsstaat betrifft. Eine Politik, die von der Mehrheit getragen wird, muß nach Recht und Gesetz durchgesetzt werden ({3}) und darf nicht von einer militanten Minderheit mit Gewalt verändert werden. ({4}) Es handelte sich um Gewalt und Krawall: das Anzünden von Bahnschwellen, das Herunterreißen von Oberleitungen, das Auftürmen von Hindernissen, das Sprengen eines Bahndamms, die Unterminierung von Straßen, das Schießen mit Leuchtspurmunition auf Hubschrauber. Das waren Politchaoten und Gewalttäter; angeblich friedliebende Demonstranten haben dafür die Kulisse abgegeben. Darauf muß immer wieder hingewiesen werden. ({5}) Wer den Frieden ernst nimmt, der begibt sich nicht in die Nähe angereister Chaoten und Gewalttäter, sondern meidet sie. ({6}) Politiker - das haben wir gerade wieder gehört, auch von den Grünen in den letzten Tagen mit ihren Aufrufen zu einer festlichen Demontage von Schienen - haben mit zu verantworten, was dort geschehen ist, weil man insbesondere von jungen Leuten gar nicht erwarten kann, daß sie zwischen dem permanenten heftigen Kampf gegen die Kernenergie und dem gleichzeitigen Aufruf zur Rechtstreue unterscheiden können. Herr Fischer, niemand in diesem Land glaubt Ihnen, daß Sie das wollen. ({7}) Vielmehr dienen Ihnen Anti-Kernkraft-Demonstrationen nur als Vehikel für alle möglichen politischen Aktionen. ({8}) Dahinter versammeln Sie die versprengten Reste Ihrer Truppen. Es stört Sie überhaupt nicht, welch ein unappetitliches Pack sich zu diesen Truppen gesellt, das aus den Großstädten angereist ist, vermummt und gewalttätig ist und das gegen die Polizei Waffen einsetzt. Die Antwort des Staates auf diese Herausforderung ist eindeutig. ({9}) - Herr Fischer, die Antwort, die dieser Staat gibt, ist eindeutig: Die Bürger können sich darauf verlassen, daß der wehrhafte Rechtsstaat nicht von Chaoten und Gewalttätern und von einer Duldungs- und Unterstützungsszene in die Knie gezwungen wird. Das wird nicht stattfinden. ({10}) Die Gewalttäter können sich darauf verlassen, daß ihnen der Rechtsstaat mit den angemessenen Mitteln entgegentritt. Frau Kollegin, wer mit Fingerspitzengefühl behandelt werden will, reißt nicht Oberleitungen von Bahnanlagen herunter und unterminiert nicht Bahndämme, über die Personenzüge fahren. Wer mit Fingerspitzengefühl behandelt werden will, möge sich auf den friedlichen Protest beschränken und die Gewalt scheuen. ({11}) Sonst wird er die Mittel von Justiz und Polizei auch jenseits des Fingerspitzengefühls spüren. ({12}) Die Ordnungskräfte dieser Republik können sich auf die politische Rückendeckung durch die Bundesregierung und - wie ich hoffe - auch durch alle Landesregierungen verlassen. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß Polizei und Justiz, die ihren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen, die die Gesellschaft vor Gewalt, Chaoten und großen Sachschäden sowie Personen vor der Gefährdung von Leib und Leben schützen, nicht im Regen stehen, sondern daß sie den Zuspruch und die Verteidigung durch die Politik erfahren, jedenfalls durch die Mehrheit in diesem Hause und durch die Bundesregierung. Danke sehr. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Arne Fuhrmann, Sie haben das Wort. ({0})

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sind das demokratisch gewählte Parlament, in dem Gewalt außen vor bleibt. - Kollege Fischer, jetzt höre einmal zu; sonst verpaßt du die Hälfte. - Danke schön. Ich wiederhole es, obwohl es meine Zeit kostet: Wir sind das gewählte demokratische Parlament, in dem der Gewaltbegriff und die Gewalt außen vor bleiben, draußen, vor der Tür. ({0}) Da das so ist: Herr Westerwelle - „Chaoten" -, Herr von Klaeden - „Gesindel" -, Herr Kanther -„Pack" -, das sind alles Formulierungen, die uns von diesem Grundsatz ganz weit wegbringen. Sie führen uns zu dem, über was wir heute reden, nämlich zur Gewalt. ({1}) Ich habe Ihnen schon vor 14 Tagen gesagt, daß auch verbale Gewalt etwas ist, was wir in diesem Parlament mitzuverantworten haben und aus dem heraus möglicherweise die Reaktionen irgendwo da draußen im Wendland zu erklären sind. Wir haben vergessen, daß die Koalition im Augenblick die Debatte ein wenig instrumentalisiert, um vom eigentlichen Problem Abstand zu nehmen. Was ist denn im Wendland passiert? Nichts anderes als das, was seit 1979 in diesem Parlament passiert: Hilflosigkeit, Angst und Verwirrung. Wer hat denn in den vergangenen 13 Jahren versäumt, ein Konzept für Zwischen- und Endlagerungen zu erarbeiten? ({2}) - Seien Sie doch ruhig, Herr Grill. Seit wann sind Sie denn hier? Sie sind doch lange genug in NiedersachArne Fuhrmann sen, Sie wohnen daneben und machen dieses Spiel mit. ({3}) - Ach, hören Sie auf. Es sind immer dieselben Sprüche, mit denen Sie versuchen, Menschen zu beeinflussen. Es ist genau dasselbe, was Sie jetzt wieder versuchen. Sie versuchen, Abstand vom wirklichen Problem zu erreichen, Sie wollen nicht darüber diskutieren, wie hilflos diese Regierung den ankommenden Transporten gegenübersteht. Sie wollen verhindern, daß darüber gesprochen wird, wie wir in den nächsten Monaten und Jahren möglicherweise aus dem Dilemma herauskommen, die nächsten Transporte wieder mit Gewalt nach Gorleben knüppeln zu müssen. Sie wollen vor allen Dingen in dieser Debatte gänzlich unter den Tisch fallen lassen, was es für die Wendländer, was es für die Menschen in der Region bedeutet, voller Angst in die nächsten Wochen hineinblicken zu müssen, was es für die Mütter heißt, die dort ihre Kinder in die Welt gesetzt haben, was es für den Biobauern heißt, dessen Existenz von der biologischen Produktion seines Gemüses abhängig ist. Sie wollen verheimlichen, was es für diejenigen bedeutet, die in diesem Teil unserer Republik leben. Da das alles ganz unwichtig ist - es sind ja bloß ein paar Menschen -, wollen Sie darauf abheben, daß Angst ein Mittel sein kann, mit dem Sie mit Gewalt Politik durchsetzen. Diejenigen, die dabeigewesen sind, die irgendwann einmal gesehen haben, was sich bei einer Demonstration, wie sie in den letzten Tagen, vorrangig gestern morgen, in Lüchow-Dannenberg stattgefunden hat, ereignet, dürfen nicht vergessen, daß auch die Polizei und die Vertreter des Bundesgrenzschutzes Angst haben, Angst vor dem, was auf sie zukommt, Angst vor dem Resultat verfehlter Politik. Wir, dieses Parlament, können trefflich darüber diskutieren, wenn sich einige wenige außerhalb der Norm tatsächlich anmaßen, das Gewaltmonopol des Staates zu brechen. Wir sind aber nicht in der Lage, uns über die Hintergründe auseinanderzusetzen und darüber nachzudenken, warum es dazu kommen mußte. Es muß uns gelingen, eine Lösung zu finden. Die Kokillen müssen ja aus Frankreich zurück. Es besteht schließlich ein Vertrag. Wir müssen aber einsehen, daß wir es anders machen müssen, daß Gorleben nicht der geeignete Standort ist und daß es AKWs gibt, die über genügend Kapazitäten verfügen und in denen man zwischenlagern kann, bis man eine endgültige Lösung findet. ({4}) - Das Sankt-Florians-Prinzip beschreien Sie. Ab mit dem Dreck nach Gorleben, dann habe ich ihn nicht vor meiner Haustür. Ich weiß heute schon ganz genau, was passiert, wenn 100 oder 150 Castoren in der Potenzierung des Gefahrenmomentes in einer Leichtmetallhalle stehen. Das alles ist errechnet; jeder kann sofort nachempfinden, was das an Gefahrenpotential für die Bevölkerung bedeutet, und zwar auch hinsichtlich der Kraft ihrer Gedanken und Wünsche. Wir machen das alles mit Technik, aber wir machen das nicht ein einziges Mal mit dem Gefühl, verantwortlich für diese Situation zu sein. ({5}) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche mir, daß Sie sich ein Stück weit auch bei dem, was jetzt noch kommt - das geht auch in Ihre Richtung, Herr Grill -, daran erinnern, daß Gewalt immer eine Geschichte ist, die im Herzen geboren wird. ({6}) Mit ihr kann man über die Lippen eine Menge erreichen. Ich danke Ihnen. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Wolfgang Freiherr von Stetten, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Besonnenheit tut not, sagte gestern der Vorsitzende Ehmke. Aber das kann doch nicht Kapitulation vor der Straße sein. Es ist schon fast ein gespenstisches Schauspiel, wenn man die heutige Debatte verfolgt und feststellen muß, daß von seiten der Linken versucht wird, bürgerkriegsähnliche Zustände zu entschuldigen und mit Hilfe des Grundgesetzes zu verteidigen oder auch nur Verständnis dafür aufzubringen. Abenteuerlich ist es, zu hören, daß daran nicht 'die kriminellen Machenschaften von Tausenden von Gewalttätern verantwortlich sind, sondern die Bundesregierung mit der angeblich verfehlten Energiepolitik. Hier sind die Tatsachen Schlichtweg auf den Kopf gestellt. ({0}) So willkürlich, wie hier teilweise das Recht zum Widerstand gemäß Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes ausgelegt wird, ist selten Schindluder mit gesetzlichen Bestimmungen getrieben worden. Wenn der Wortverdreher und Sprecher der Grilnen, Herr Trittin, sagt, die Gewaltanwendung gehe vom Staat aus, und Innenminister Kanther sei ein Berufschaot, dann entlarvt er sich selber und zeigt seine Nähe zu den Tausenden vermummten und wirklich kriminellen Berufschaoten, die sich hier der Gewalt bedienen. ({1}) Diese wollen doch nicht gegen Atom demonstrieren, sondern die Ordnung in diesem Land stürzen. Viele andere Äußerungen der Grünen, auch heute, Herr Fischer, zeigen, daß Sie ebenfalls noch nicht aus den Kinderschuhen Ihrer Revoluzzerzeit herausgewachsen sind. Auch Ihnen geht es nicht um Atomkraft. Es geht um Gewalt oder Frieden im Land. ({2}) - Sie haben gar nicht zugehört. Herr Fischer, Ihr Problem ist, daß Sie immer nur quäken. Die Äußerungen der SPD-Umweltministerin Griefahn verwundern übrigens nicht. Aber wenn der Innenminister von Niedersachsen fragt, wie lange der Staat solche Demonstrationen noch aushält, dann kann die Antwort darauf nicht lauten: indem er rechtmäßige Transporte unterläßt, sondern: indem er diejenigen dingfest macht, die versuchen, die staatliche Ordnung mit Gewalt, Terror und Mordanschlägen zu beenden. Für besonders bedenklich halte ich aber, meine Damen und Herren, daß der Fraktionsführer der SPD und frühere Kanzlerkandidat, Herr Scharping, einen Stopp für die Transporte nach Gorleben fordert. Dies ist ebenfalls ein Nackenschlag für den Rechtsstaat und eine Kapitulation vor der Straße. ({3}) Dies ist ein gefährliches Spiel, weil Sie damit die kriminellen Elemente ermutigen, morgen irgendwo anders, wo protestiert wird, zuzuschlagen. ({4}) Wehret den Anfängen! Die Weimarer Republik ging auch daran zugrunde, daß der Mob auf der Straße und extreme Parteien rechts und links den Staat systematisch kaputtrandalierten. Wir haben gemeinsam in den letzten Jahren die Gewalt und den Terror meist jugendlicher rechtsgerichteter Banden im wesentlichen erfolgreich bekämpft. Nun sollten Sie nicht auf dem linken Auge blind sein gegenüber der militanten linken Gewalt dieser vermummten Verbrecher, nur weil sie vom Ansatz her auch gegen die Atomkraft sind. Es kann nicht sein und darf nicht sein, daß durch Entscheidungen höchster Gerichte zugelassene Transporte nur mit einem Kostenaufwand von 50 Millionen DM und einem Begleitschutz von 15 000 bis 20 000 Polizeibeamten durch Deutschland fahren können, weil potentielle Attentäter dies verhindern wollen. Die Schüsse und die Steinwürfe, das Absägen von Masten und Ansägen von Schienen sind auch keine Verteidigungshandlungen, sondern schlichtweg Mordversuche, weil die Täter den Tod von Polizeibeamten und anderen Bürgern billigend in Kauf nehmen. ({5}) Nicht Atom, sondern das Verhältnis zur Gewalt spaltet die Nation, Herr Fischer. An der Gewalteskalation sind auch Teile der sogenannten friedlichen Demonstranten mitschuldig, weil sie mit unschuldiger Miene zunächst dazu aufrufen, daß alles so teuer wie möglich werden müsse - das muß man schließlich nur, wenn Gewalt droht, denn sonst brauchen wir keine Polizeibeamten -, zum Teil werden Rechtsbrecher aber auch angetrieben ({6}) und mit Beifall ermutigt und insbesondere, Herr Fischer, vor dem Zugriff der Polizei geschützt. Das ist nicht mehr friedliche Demonstration. Ganz besonders schlimm ist es - das wurde heute schon erwähnt - wenn Bundestags- und Landtagsabgeordnete direkt oder indirekt zur Gewalt aufrufen. Niemand von diesen Männern und Frauen kann sich da die Hände in der berühmten Pontius-PilatusBrühe waschen mit dem Bemerken: Wir haben mit der Gewalt nichts zu tun. ({7}) - Herr Fischer, Sie werden deswegen auch nicht unschuldiger. Wir haben unserer Vorgeneration vorgeworfen, 1933 Beifall geklatscht zu haben oder zumindest weggesehen zu haben. Sie von den Linken haben dies insbesondere dem bürgerlichen Lager vorgeworfen. Machen Sie nicht denselben Fehler bei Gewalttaten von links! Die Auseinandersetzungen der letzten drei Tage haben auch nur noch am Rande mit dem Thema Atomkraft und schadlose Zwischenlagerung von ausgebrannten Stäben zu tun. Dies wird dadurch belegt, daß jährlich etwa 80 solcher Transporte zum Beispiel nach Ahaus ungehindert durch die Bundesrepublik fahren können, ohne Polizeibeamten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. - Es geht eigentlich nur darum, ob sich der Staat gegen die linken Bürgerkriegschaoten durchsetzen kann oder schlichtweg vor der Gewalt kapituliert. Wir werden dies mit Hilfe der Polizei, des Innenministers und aller, die verantwortlich sind, verhindern und danken den Polizeibeamten, daß sie ihren Kopf und ihre Gesundheit dafür hinhalten, damit dieser Rechtsstaat erhalten bleibt. Danke schön. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Behrendt.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „In Gorleben manifestiert sich auch die Dauerkrise der deutschen Energiepolitik." Diese Überschrift aus der „Süddeutschen Zeitung" von gestern kennzeichnet die Situation, in der wir uns befinden. Es ist richtig, daß Deutschland durch die Verträge der deutschen Energieversorgungsunternehmen mit der französischen Cogema die Verpflichtung eingegangen ist, die bei der Aufbereitung anfallenden Mengen radioaktiven Materials zurückzunehmen. Zu dieser Verpflichtung muß die Bundesregierung sicherlich stehen; zu dieser Verpflichtung stehen auch wir. Doch angesichts der Ängste und Befürchtungen der Betroffenen wäre es zumindest geboten gewesen, die Transporte für eine gewisse Zeit auszusetzen, bis alle Zweifel zumindest an der Sicherheit der Transportbehälter glaubwürdig ausgeräumt worden wären. ({0}) - Herr Hirche, solange umstritten ist, ob diese Transportbehälter wirklich entsprechenden mechanischen Belastungen und Brandgefahren standhalten, solange dies alles nicht völlig ausgelotet ist, sind die Ängste und Sorgen der Menschen, die dort betroffen sind, gerechtfertigt. Zu den entsprechenden Gutachten - nehmen Sie zum Beispiel das Greenpeace-Gutachten - hat sich Frau Merkel in der Öffentlichkeit nicht geäußert. ({1}) Durch die Schuld der Bundesregierung ist Gorleben zum Symbol für den Widerstand gegen die Kernkraft geworden. Daran wird sich auch nichts ändern, solange die Bundesregierung nicht erkennt, daß es keine umfassende gesellschaftliche Akzeptanz für die Atomenergie gibt. Es ist hier schon betont worden: Die SPD lehnt jeden gewalttätigen Widerstand gegen Transporte ab. Ich sage hier noch einmal ausdrücklich: Gewalt gegen Sachen ist für mich genauso verwerflich wie Gewalt gegen Menschen. In einem funktionierenden Rechtsstaat wie der Bundesrepublik gibt es auch kein Widerstandsrecht, auf das sich die Gewalttäter berufen können. ({2}) Dennoch muß man sagen: Die Art und Weise, wie Sie hier diese Gewaltanwendungen instrumentalisieren, um von den Fehlern Ihrer Energiepolitik abzulenken, ist im höchsten Maße bedauerlich. Es ist allerdings auch bedauerlich, daß beschönigende oder_ gar rechtfertigende Erklärungen von den Politikern der Grünen zumindest den Eindruck erwecken konnten, als wäre hier eine moralisch-politische Rechtfertigung für Gewalttäter gegeben. ({3}) - Nun klatschen Sie nicht zu früh. - Ich finde es außerordentlich wichtig, in welcher eindeutigen Form sich der Kollege Joschka Fischer von jeglicher Form der Gewaltanwendung distanziert hat. ({4}) Die Interpretation, die Minister Kanther hier gegeben hat, ist eine polemische Verdrehung dessen, was Herr Fischer gesagt hat. ({5}) Es muß auch betont werden: In dem Protest gegen das Vorgehen der Bundesregierung in Gorleben hat sich eine große Koalition von Menschen aller sozialen Schichten zusammengefunden: eine Koalition von Bauern und Intellektuellen, von Geschäftsleuten und Alternativen, von Lehrern, Rentnern, Schülern und Hausfrauen, die friedlich demonstrieren. Dies geht bei den Äußerungen der Vertreter der Regierungskoalition häufig unter. Die Ängste dieser Menschen werden von Ihnen und von der Bundesregierung ignoriert. Die anhaltenden, in der Mehrzahl friedlichen Auseinandersetzungen sind das Ergebnis einer falschen Energiepolitik dieser Bundesregierung. Hätte die Bundesregierung nicht seit Jahren einem längst überfälligen Konsens in der Energiepolitik abgeschworen und würde sie nicht weiter auf die Karte der Atomlobby setzen, dann müßten die radioaktiven Abfälle heute nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einem unglaublichen Aufwand transportiert werden. Jeder, der die nun schon fast zwei Jahrzehnte dauernde Geschichte von Gorleben kennt, sollte wissen, daß die Zustimmung zu den in den kommenden Jahren noch notwendigen Transporten nicht durch Demonstrationsverbote und Polizeieinsätze erzwungen werden kann. Ich will hier noch einmal an das Wort von dem für Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, unverdächtigen Herrn Albrecht erinnern, der gesagt hat: „Wo Politik versagt, muß Polizei die Knochen hinhalten. " Ihre Politik hat versagt. Deswegen müssen die Polizisten jetzt ihre Knochen hinhalten. ({6}) - Mit der Art und Weise, wie Sie hier die Auseinandersetzung führen, lenken Sie von der Kernfrage dieser Problematik ab. ({7}) Die Kernfrage ist nämlich die Entscheidung darüber, wie wir es mit der Atomkraft in Deutschland halten. Die Risiken der Kernkrafttechnologie müssen eingegrenzt werden. Die Dimension der Abfallmengen macht, so meine ich, deutlich: Wir brauchen den Ausstieg aus der Atomkraft. Die Menge der radioaktiven Abfälle hat eine so gewaltige Dimension angenommen, daß die gesicherte Entsorgung dringend geboten ist. Es stellt sich aber immer deutlicher heraus, daß der Salzstock Gorleben dafür ungeeignet ist. Deshalb bedarf es neuer Lösungen bei der End- und Zwischenlagerung. Diese ist uns die Bundesregierung bisher schuldig geblieben. Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Eine Wende in der Energiepolitik ist nötig. Es gibt dafür eine große gesellschaftliche Akzeptanz. Die Bundesregierung muß endlich das tun, was sie ständig im Munde führt: Energiesparen und Solarenergie fördern. Dies wäre ein dringend notwendiger Schritt zu einer ökologisch orientierten Energiepolitik und zugleich zu einer Befriedung der Gesellschaft. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Kurt-Dieter Grill, Sie haben das Wort.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Widerspruch zwischen dem konkreten Handeln der SPD-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und dem verlogenen, unwahrhaftigen Reden der SPD hier an diesem Pult ist eigentlich fast nicht auszuhalten. Vor wenigen Monaten sagte Herr Clement über das Gorleben baugleiche Zwischenlager in Ahaus, es dürfe keine Transporte mehr nach Frankreich geben, das Zwischenlager in Ahaus sei sicher, das sei die bessere Lösung. Erklären Sie, warum Sie an diesem Pult mit Bezug auf Gorleben von einer „Leichtbauhalle" sprechen, warum Sie die Menschen mit solchen Ausdrücken aufhetzen, Herr Fuhrmann, während Ihre eigenen Genossen in Nordrhein-Westfalen das baugleiche Lager als sicher erklären. Über diesen Punkt müssen wir reden. ({0}) Herr Behrendt, wenn Sie sich hier schon hinstellen und erklären, das sei das Ergebnis einer verfehlten Politik, dann müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen: Kurz nach dem Beschluß des Kreistages in LüchowDannenberg 1981 ({1}) gefaßt mit 90 Prozent Ja-Stimmen, einschließlich der der Sozialdemokraten - ist Ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt nach Lüchow-Dannenberg gekommen und hat die Kommunalpolitiker gelobt als Menschen, die in der Lage seien, sich über das Sankt-FloriansPrinzip hinwegzusetzen und sich für eine nationale Aufgabe zu engagieren. Deswegen ist es perfide, wenn Sie heute mit den Sorgen dieser Menschen argumentieren. Gorleben ist Stein gewordene Politik der Regierung Schmidt, der sozialliberalen Koalition und vor allen Dingen des Glaubens der SPD, daß es mit der Kernenergie sozusagen einen unbegrenzten Wohlstand gibt. Das ist Ihr Traum gewesen, nicht der unsrige. Ihn haben Sie in Gorleben Stein werden lassen. Sie hetzen die Leute auf, obwohl Sie es besser wissen. Ich kann Ihnen Punkt für Punkt beweisen, daß Sie die Ursache für das sind, was jetzt in Gorleben stattfindet. Sie legen Feuer und sind nicht in der Lage, den Brand zu löschen. Das ist die Realität. ({2}) - Herr Fischer, auch Sie können an vielen Stellen überhaupt nicht belegen, daß das, was die Ursache sein soll - die Frage, ob Sicherheit vorhanden ist oder nicht -, wirklich das Problem ist. Ich erinnere Sie daran, daß Sie in Ihrer Zeit als Umweltminister in Hessen dem RWE bestätigt haben, ({3}) daß die Brennelemente aus Biblis - die in Gorleben gelagert werden sollen - jederzeit zurückgenommen werden können, weil es eine Rückgabegarantie für Gorleben geben muß. ({4}) Das ist in Ihrer Amtszeit als Umweltminister in Hessen geschrieben worden. Ich halte Herrn Fuhrmann und all diesen Leuten in der SPD, die draußen permanent erzählen, der Castor-Transport sei unverantwortlich, jetzt einmal die Kabinettsvorlage von Frau Griefahn über die Kokillentransporte vor: Das Gefährdungspotential des Behälters, der aus Frankreich kommt, ist deutlich geringer als das der abgebrannten Brennelemente in den Castoren. Weiter heißt es dort: Das Lager in Gorleben entspricht den Annahmebedingungen. Sie genehmigt den Transport, indem sie dieses Lager für annahmefähig erklärt. Sie haben die Unverschämtheit, von einer Leichtbauhalle zu sprechen und zu sagen, auch die Menschen in Lüchow-Dannenberg sähen dies so. Herr Fuhrmann, am 14. Oktober 1994 hatten wir eine Bundestagswahl. Sie haben 39 Prozent der Erststimmen und ich habe 49 Prozent der Erststimmen erreicht. Wir können gerne darüber diskutieren, wer hier für wen spricht. ({5}) Ich will Ihnen ein weiteres sagen. Ich habe die Debatte des niedersächsischen Landtages nachgelesen, die gestern stattgefunden hat. Ich biete von dieser Stelle aus Gerhard Schröder jeden Tag an, mit ihm über einen Entsorgungskonsens zu reden. Ich teile das, was er vorgelegt hat. Aber Herr Müller ruft drei Tage vor dem Transport „Konsens" und fordert Verhandlungen. Sie sind doch derjenige gewesen, der im November 1993 Gerhard Schröder im Präsidium der SPD zu Fall gebracht hat, weil er die Option für die Kernenergie offenhalten wollte. ({6}) - Herr Schmidt, Sie sind nicht dabeigewesen. Ich habe über die Erststimmen in Lüchow-Dannenberg geredet. ({7}) - Herr Fuhrmann, das kann ich Ihnen in aller Ruhe erklären.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit!

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mit Helmut Schmidt genauso wie mit Ernst Albrecht, mit Angela Merkel und vielen anderen - übrigens auch mit Herrn Bülow und mit Herrn Hauff - über Gorleben diskutiert. Ich habe 20 Jahre lang den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis erklärt, wofür ich stehe. Sie können sich die Wahlergebnisse von Lüchow-Dannenberg anschauen. Ich nehme einmal die Erststimmen in Gorleben zum Vergleich. ({0}) Wir haben dort über 53 Prozent. Sie liegen bei knapp 30 Prozent, Herr Fuhrmann. ({1}) Ich will noch auf etwas anderes hinaus.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege!

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Im November 1994 hat Gerhard Schröder eine einseitige Anzeige in der „Elbe-Jeetzel-Zeitung" veröffentlicht, und zwar nur dort. Er sagt: Helft mir, ich komme gegen diese Bundesregierung nicht an. Geht auf die Straße! - Ich sage Ihnen: Wer solche Anzeigen in Lüchow-Dannenberg veröffentlicht und Frau Griefahn so handeln läßt, der muß am Tage X so viel mehr Polizei einsetzen, weil er die Menschen hat glauben machen wollen, daß dann, wenn sie die SPD bzw. Rot-Grün in Niedersachsen wählten, Gorleben verschwinden würde. Ich lege Ihnen gerne das Dokument der SPD-Staatssekretäre aus 1990 vor.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, die Redezeit!

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Fuhrmann, damit wir es klar haben: Einschließlich des grünen Staatssekretärs Bulle haben die SPD-Staatssekretäre eine Konzentration der Zwischenlagerung an einem Standort gefordert. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, die Redezeit, bitte!

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin am Schluß. Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung. Aber das ist ein Thema, das mich bewegt, weil ich dort lebe und weil ich mit den Menschen dort umgehen muß. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung gebe ich der Kollegin Elisabeth Altmann das Wort.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, Sie haben soeben wiederum meine Unterschrift zu einer Demonstration der Mahnwache von Gundremmingen angesprochen. Ich möchte hierauf antworten. Nach wie vor stehen ich und alle Unterzeichner und Unterzeichnerinnen zu ihrer Unterschrift. ({0}) Ich sage Ihnen auch, warum. Ich war bei dieser Demonstration. Ich war aber auch in Wackersdorf dabei. Sie, Herr Westerwelle, hätten aus Wackersdorf lernen können. Dann wären nicht die Parallelen geschehen wie jetzt in Wendland. Denn das Vorgehen gegen die Demonstranten ist dazu geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat bei vielen Menschen zu erschüttern. Sie hätten daraus einiges lernen können. Damals wie heute protestieren Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und aus allen gesellschaftlichen Kreisen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Altmann, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? Nach § 30 unserer Geschäftsordnung können Sie eine Erklärung zur Aussprache nur mit Äußerungen bestreiten, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, sie zurückweisen oder eigene Ausführungen richtigstellen, aber nicht die Sachdebatte weiterführen. ({0})

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin in Angst um die Zukunft des Landes und in Angst um die Zukunft meiner Kinder dorthin gegangen und habe protestiert, ebenso wie die anderen Demonstranten. Dieser Schienenstrang, Herr Westerwelle - das weiß ich -, dient ausschließlich dem Transport von Atommüll. ({0}) Die Demonstration war angekündigt, Herr Westerwelle. Das ist eine Rechtfertigung für mein Hingehen und meine Unterschrift. Die Demonstration hat am hellen Tag stattgefunden, unter Aufsicht der Polizei, sonntags um 11 Uhr, friedlich und kreativ, Herr Westerwelle. Das können Sie sich anscheinend überhaupt nicht vorstellen. ({1}) Sie werfen mir vor, ich gehöre hier zu Chaoten und Kriminellen - Sie beziehen dann andere Menschen, die jetzt demonstrieren, mit ein. So, Herr Westerwelle, führen Sie eine Eskalation der Konfrontation herbei. So provozieren Sie doch Gewalt. Kriminell empfinde ich es, wenn jahrtausendelang strahlender atomarer Müll produziert werden darf. Das ist ein strahlendes Erbe für viele Generationen. ({2}) Es ist ein Irrglaube, Herr Westerwelle, dieses Material jahrtausendelang aufbewahren zu können. Deshalb protestieren wir. Unsere Antwort ist: Ausstieg aus der Atomenergie! ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien - Drucksache 13/4245 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes - Drucksache 13/201 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dies scheint auf das Einverständnis des Hauses zu treffen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien. Der Entwurf ist das Ergebnis einer langen Diskussion und einer langen Entscheidungsfindung. Der Entwurf tritt an die Stelle des Ladenschlußgesetzes von 1956. Niemand wird bestreiten, daß sich seit 1956 vieles verändert hat. Die Rahmenbedingungen, die Konsum- und Einkaufsgewohnheiten der Kunden haben sich verändert. Neue Vertriebsformen haben sich - auch unter der Nutzung neuer Medien - niedergelassen. Der Wettbewerb, auch der internationale Wettbewerb, hat zugenommen. Die Arbeitszeiten sind flexibler geworden. ({0}) - Sie sind flexibler geworden. Wegezeiten sind länger geworden. Eine neue flexiblere Zeitordnung kann daher auch die Raumordnung entkrampfen. Denn durch die alten Arbeitszeitgewohnheiten ist die Infrastruktur immer gezeitenhaft belastet worden. Zu bestimmten Zeiten waren die Straßen Parkplätzen vergleichbar, zwei Stunden später waren die gleichen Straßen als Spielplätze brauchbar. Insofern trägt eine flexible Arbeitszeit auch zur Entzerrung der Raumordnung bei. Das alte Recht sah folgende Öffnungszeiten vor: werktags von 7 bis 18.30 Uhr, donnerstags von 7 bis 20.30 Uhr, langer Samstag im Sommer von 7 bis 16 Uhr, im Winter von 7 bis 18 Uhr, zweiter, dritter und vierter Samstag von 7 bis 14 Uhr und vier verkaufsoffene Samstage vor Weihnachten. Sie sehen: Schon die Aufzählung ist schwierig. Man braucht fast einen Berater für Öffnungszeiten. Wir schlagen Ihnen einfachere Regelungen vor: montags bis freitags von 6 bis 20 Uhr, samstags bis 16 Uhr. Die Länder können die Öffnungszeiten für Samstage um zwei Stunden verlängern. Die Öffnungszeiten an den vier Samstagen vor Weihnachten bleiben unberührt. Ich will noch mal feststellen: Das Gesetz ist kein Befehl, wann die Läden geöffnet, wann sie geschlossen werden müssen. Es ist nur ein Rahmen für die Ladenöffnungszeiten. Innerhalb dieses Rahmens kann man sich frei bewegen. Diese Vorgaben sind auch kein Befehl an die Arbeitnehmer, wann die Arbeit beginnt, wann sie endet und wie lange sie dauert. Diese Regelungen stehen im Arbeitszeitgesetz. Es ist der Versuch - ich gebe zu: ein nicht sehr leichter Versuch -, zwei Extreme zu einer mittleren Lösung zu führen, nämlich das Extrem, keine Einschränkungen mehr zu machen - also die völlige Freigabe -, und das Extrem, an der bisherigen Regelung nichts zu verändern. Ich gestehe, daß es unterschiedliche Interessen gibt und daß der Versuch gemacht werden muß, diese unterschiedlichen Interessen miteinander in Einklang zu bringen. ({1}) - Hören Sie bitte zu, und bringen Sie nicht gleich alles in Ihr altes Kampfschema! Die Kunden sind nämlich Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Versuchen Sie nicht immer, alles in soziale Kategorien zu bringen! Zum einen gibt es also das Interesse der Kunden, deren Einkaufswünsche nicht in ein enges Zeitkorsett gezwängt werden sollten! Zum anderen gibt es das Interesse der Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeiten nicht rund um die Uhr verteilt wissen wollen. Die individuelle Arbeitszeit der Arbeitnehmer wird durch dieses Gesetz überhaupt nicht berührt. Dafür sind das Arbeitszeitgesetz und die Tarifpartner zuständig. ({2}) Ein weiteres Interesse ist das des Mittelstandes; ich bitte, das nicht zu vernachlässigen. In der Tat sind Verkaufsstellen nicht nur Einkaufsgelegenheiten. Sie haben auch etwas mit Stadt- und Landkultur zu tun. Im Ladenschlußgesetz soll gesetzlich Marge-stellt werden, daß Empfehlungen über Ladenschlußzeiten im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zulässig sind. Das ist die erste Hilfe, die geleistet werden muß. Im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren soll aber auch die Verbesserung der Wettbewerbssituation durch Verbundgruppen geprüft werden. Darüber hinaus soll das Bäckerarbeitszeitgesetz aufgehoben werden. Es stammt aus dem Jahr 1915. ({3}) - Ja, das war ein ganz anderer Anlaß. Damals ging es um ernährungswirtschaftliche Probleme. Heute hat sich dieses Gesetz als ein Wettbewerbsnachteil der Bäckereien gegenüber den großen Brotfabriken ({4}) und Konditoreien - jedem sein Geschmack - erwiesen. ({5}) Wer in der Frühe Brötchen haben will, der soll sie nicht nur aus Fabriken, sondern auch vom Bäcker bekommen dürfen. ({6}) Meine Damen und Herren, wir legen den Gesetzentwurf vor, weil die lange Zeit der Entscheidungen beendet werden muß. Wir sollten jetzt in die Entscheidungsphase eintreten, alle Beteiligten zu einem Hearing einladen, die Argumente offen gewichten und die unterschiedlichen Interessen versöhnen. Ich rate uns nicht zu einer kreuzzugähnlichen Diskussion. Ich rate uns nicht zu einer weltanschaulichen Diskussion. Richtig ist, daß der zur Zeit geltende Ladenschluß ein Unikum in Europa ist. ({7}) Insofern können wir daran nicht einfach festhalten. ({8}) - Nein, die Wahrnehmungsfähigkeit besteht bei mir darin, nicht einfach zu sagen: Es bleibt alles so, wie es ist. Wir müssen den Kunden, den Arbeitnehmern und dem Mittelstand gerecht werden. Das ist meiner Meinung nach nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern hat auch etwas damit zu tun, daß Verkaufsstellen eben auch ein Stück Stadt- und Gemeindekultur sind. ({9}) Wir bringen dieses Gesetz ein und werden diese Frage genauso zügig beantworten, wie wir andere schwierige Fragen beantworten. Wir befinden uns nicht in der Zeit der Diskussionen, die Zeit der Besprecher ist vorbei. Wir sind die Regierung der Bearbeiter und nicht die Opposition der Besprecher. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hans Urbaniak, Sie haben das Wort.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, wir werden über den Gesetzentwurf ganz sachlich debattieren und die Argumente, die in der Anhörung, die dazu vorgesehen ist, vorgebracht werden, selbstverständlich prüfen. ({0}) - Sie werden doch wohl noch zuhören können, oder? Das Arbeitnehmerschutzgesetz aber lassen wir uns nicht demontieren. Das müssen Sie sich vorwerfen lassen. Das ist für uns ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt. Sie wissen selber, daß es 1955 zu einem historischen Kompromiß zwischen den Verbraucherverbänden, Einzelhandelsunternehmen und den Gewerkschaften gekommen ist. Sie wissen ganz genau, daß dieser Kompromiß bis heute gehalten und sich auch bewährt hat. Bewährtes braucht man nicht zu verändern, vor allen Dingen dann nicht, wenn es zu Lasten der Beschäftigten gehen soll. ({1}) Das ist die Konsequenz, die wir aus dieser Veränderung ziehen. Zu Beginn Ihrer Regierungsübernahme - ich kann mich erinnern, 1. Oktober 1982, ein schrecklicher Tag für mich - haben Sie gesagt: keine Änderung des Ladenschlusses. Sie haben ihn dann aber kräftig betrieben. Vor den Landtagswahlen in diesem Jahr haben Sie dieses Thema aus den bekannten Gründen ziemlich zurückhaltend behandelt. Unsere Einschätzung ist folgende: Die Änderung des Ladenschlußgesetzes wird dazu führen, daß sich für die Großbetriebe und Finalisten auf der grünen Wiese ein einseitiger Profit ergeben wird und daß eine Verödung der Innenstädte damit einhergeht. Das ist ja übrigens aus dem Ifo-Gutachten klar zu entnehmen. Mit einer Umwandlung regulärer Arbeitsplätze in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse muß ganz entscheidend gerechnet werden. Mit diesen ungeschützten Arbeitsverhältnissen produzieren Sie massenweise Sozialhilfeempfänger, wenn die Arbeitnehmer einmal aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden sollten. Das muß man doch verhindern. ({2}) Es müssen doch geschützte geschaffen werden. Wer wollte das denn bestreiten? Wir meinen auch, daß es falsche Prognosen hinsichtlich des zu erwartenden höheren Umsatzes gibt. Denn im Einzelhandel habe - wie viele sagen - schon der „lange Donnerstag" nur zu einer Verschiebung des Einkaufsvolumens geführt. Mit der Verlängerung der Einkaufszeiten hat er aber nicht zu mehr Umsatz beigetragen. Dies ist ein Tatbestand, der sich aus den Unternehmenszahlen der Geschäfte genau nachweisen läßt. Den kann also überhaupt keiner bestreiten. Wenn gesagt wird, die Umsätze würden kräftig nach oben gehen und noch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können, dann müssen wir davon ausgehen, daß dies überhaupt nicht zutreffen wird. Wir werden das ja in den Beratungen noch hinreichend sehen. Herr Rexrodt, Sie haben eine Pleitewelle, wie es sie noch nie gegeben hat. Diese Welle an Konkursen ist vor allen Dingen im Einzelhandel vorzufinden. Die Tante-Emma-Läden verschwinden immer mehr. ({3}) Die Konzentrationswelle bei wenigen Unternehmen nimmt jetzt derartige Formen an, daß wir uns, wenn sie vollzogen sein wird, noch wundern werden, wieviel Tante-Emma-Läden - mittelständische Bereiche - davon erdrückt werden. Das ist eine schlimme Aussicht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blank?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Frau Kollegin.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich hatte mich schon bei dem Thema Arbeitsplätze gemeldet; deshalb habe ich jetzt etwas verspätet folgende Nachfrage. Im Ifo-Gutachten steht, daß 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Wie beurteilen Sie dann die Aussage aus dem Bereich des Bundesverbandes der Filial- und Selbstbedienungsläden, daß es keine Beschäftigungseffekte geben wird, und die Aussage eines Großen im Handel, daß wie in den vergangenen Jahren auch in diesem Jahr zirka 30 000 Arbeitsplätze abgebaut werden?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, Frau Kollegin, ich habe heute die Unterlagen des Einzelhandelsverbandes bekommen. Die Leute dieses Verbandes sind ja unmittelbar am Geschäftsleben beteiligt; sie bestreiten dies und sagen: Da kommt zusätzlich überhaupt nichts. - Das sagen die Leute, die unmittelbar mit diesen Problemen im Geschäftsleben fertig werden müssen. Es gibt schon jetzt in 5 000 Gemeinden überhaupt keine Einzelhandelsgeschäfte mehr, und in 2 000 Gemeinden gibt es keine Lebensmittelgeschäfte mehr. Wo da Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, ist uns ein Rätsel. Der Verband, der von diesem Problem unmittelbar berührt ist, bestreitet diese Aussage vollständig. Sehen Sie sich das Material einmal an; ich werde es Ihnen hinterher für ein aufmerksames Studium überreichen. In diesem Zusammenhang mache ich darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß die Einzelhandelsbetriebe im wesentlichen als Familienbetriebe über Generationen hinweg getragen werden. Es sind also Einzelpersonen, Einzelfamilien, mittelständische Familien, die sich mit dieser Form des Arbeits- und Verkaufslebens beschäftigen. Sie werden ebenfalls in enorme Gefahr geraten, wenn man die Öffnungszeiten erweitert, wie Sie es wollen. Die Liberalisierung der Öffnungszeiten löst einfach nicht die Beschäftigungsstrukturkrise, die wir in diesem Bereich haben. Der Druck auf die Familienbetriebe, auf die TanteEmma-Läden, auf den Mittelstandsbereich wird sich also weiter verstärken, und Sie werden weitere Konkurse, die sowohl diesen Kreis, als auch Arbeitnehmer treffen werden, registrieren müssen. Das ist eine Aussicht, die wir nicht billigen können, sondern wir stemmen uns dagegen, weil wir einer Verlängerung der Öffnungszeiten nach dem Ladenschlußgesetz auf keinen Fall zustimmen werden. Dies sei hier mit aller Deutlichkeit gesagt. Sie müssen sich aber auch darüber im klaren sein, daß ein solches Gesetz familienfeindlich ist. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Urbaniak, der Herr Kollege Feilcke würde Ihnen ebenfalls gern eine Zwischenfrage stellen.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber familienfeindlich! ({0})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Urbaniak, Sie haben hier völlig zu Recht den Konzentrationsprozeß im Einzelhandel beschrieben. Sie befürchten, daß sich der Konzentrationsprozeß nach einer Liberalisierung verstärken könnte. Könnte es nicht sein, daß der Konzentrationsprozeß in den letzten 40 Jahren während der Geltung des Ladenschlußgesetzes, das sich aus Ihrer Sicht ja bewährt hat, stattgefunden hat? Wie erklären Sie sich den kolossalen Konzentrationsprozeß im deutschen Einzelhandel während der Laufzeit des aus Ihrer Sicht bewährten Ladenschlußgesetzes? ({0}) - Ich habe aber soeben Herrn Urbaniak gefragt.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war Ihre Frage? - Dieser Konzentrationsprozeß vollzieht sich in der Weise, daß die Kapitalstarken noch mehr absahnen wollen und die kleinen Betriebe an die Wand drücken. Das ist ein ganz einfacher Vorgang, weil es die Chance gibt, dies so zu machen. Diese Möglichkeit wird durch die Liberalisierung der Öffnungszeiten noch erweitert, und das wollen wir dadurch verhindern, daß wir dieser Liberalisierung keinesfalls zustimmen wollen, Kollege Feilcke. So beurteile ich das, Herr Kollege Feilcke. Sie mögen anderer Auffassung sein. Das ist aber Ihre Sache. Darum wird das Ifo-Gutachten in diesem Punkt von den Gewerkschaften und dem Einzelhandelsverband ganz besonders scharf angegriffen. Das darf man, wie ich meine, nicht geringschätzen. Sie selber werden das in den Anhörungen prüfen müssen. Für uns aber sind die Aussagen schon jetzt sehr klar und überzeugend. Deshalb sagen wir hier klar unsere Meinung: Wehrt euch gegen die Änderung des Ladenschlußgesetzes! Hände weg davon! Es würde nur den Konzentrationsprozeß und die Vernichtung von weiteren Arbeitsplätzen und Existenzen fördern. Das muß man verhindern. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Kollege Feilcke würde gerne eine zweite Zusatzfrage stellen. Auch die Kollegin Lilo Blunck würde gerne eine Frage stellen. Sind Sie bereit, die Fragen zu beantworten?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich, bei Herrn Kollegen Feilcke immer.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Dann hat der Kollege Feilcke noch einmal das Wort.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Urbaniak, ich möchte nur sicherstellen: Ich habe keine Meinung geäußert. Mich interessiert wirklich Ihre Auffassung zu der Frage. Darf ich Ihrer Logik folgen und sagen, daß also die beste Maßnahme gegen eine Konzentration im Einzelhandel eine weitere Reduzierung der Freiheit in diesem Bereich wäre? Je weniger Freiheit im Einzelhandel, desto besser ist die Existenzsicherung? Darf ich Sie so interpretieren? ({0})

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Feilcke, da Sie jetzt betonen, Sie hätten gar keine Frage gestellt, ({0}) hätte ich eigentlich erwartet, daß mir der Präsident sagt: Sie brauchen gar nicht zu antworten. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Urbaniak, damit hier keine Zweifel aufkommen, was den Präsidenten anbelangt: Der Kollege Feilcke hat nicht revoziert, daß er eine Frage gestellt hat. Er hat nur gesagt, er habe dabei keine Meinung geäußert.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ah ja. Der Präsident paßt immer auf; das ist auch gut so. Kollege Feilcke, sehen Sie sich diesen Konzentrationsprozeß an, und bedenken Sie, was wir dazu sagen. Ich hoffe, daß wir eine Änderung abwehren können. Worum geht es denn im wesentlichen? Wir wollen die mittelständischen Betriebe und natürlich auch den Einzelhandel stützen. Wir wollen auf Grund einer vielfältigen Verkaufskultur den Tante-Emma-Laden nicht verlieren. Das will ich hier einmal sagen. Was Sie mit der Änderung des Ladenschlußgesetzes insgesamt vornehmen, ist nichts anderes, als das Gegenteil herbeizuführen. Darum sagen wir nein zu diesem Vorhaben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung, da wäre noch die Frage der Kollegin Blunck.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte sehr.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte von Ihnen gerne wissen, Herr Urbaniak, ob Sie mir zustimmen können, daß die Konzentration im Einzelhandel nicht zuletzt dadurch entstanden ist, daß Gemeinde-, Stadt- und Kreisvertreter über die Ausweisung von billigem Grund und Boden in möglichst wohngebietsfernen Gegenden mit dafür gesorgt haben, daß dort eine Konkurrenzsituation zwischen Selbstbedienungsläden auf der einen Seite und kleinen Einzelhandelsläden auf der anderen Seite entstanden ist, die die kleinen Einzelhandelsläden auf jeden Fall verlieren mußten, weil sie einfach nicht über die entsprechenden, billigen Grundstücke verfügt haben.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist natürlich so: Auf der grünen Wiese, fern der City, sind riesige Potentiale entstanden. Ob die Rats- und Gemeindevertreter bei solchen Entscheidungen immer gut beraten waren, das will ich einmal dahingestellt sein lassen. Es liegt in ihrer Souveränität. Da sind aber sicherlich Fehler gemacht worden. Ich sprach von Familienfeindlichkeit. Das ist auch ganz klar: Frauen werden bis in die Abendstunden hinein beschäftigt sein. Da kann der Bundesarbeitsminister von Flexibilität reden, soviel er will. Sie wissen auch, daß die Infrastruktur des Verkehrs ab 19 Uhr ausgedünnt ist. Die Probleme, die dadurch entstehen, dürfen Sie nicht einfach vom Tisch wischen. Darum sage ich: Machen Sie hier kein Faß auf! ({0}) Sonst bekommen wir nämlich bei den Beschäftigten im Einzelhandelsbereich noch mehr Schwierigkeiten, als wir heute schon haben. Votieren Sie nicht für die Möglichkeit, daß sich die Zahl der 590-MarkArbeitsverträge, ungeschützter Arbeitsverhältnisse, weiter erhöht; denn die Rechnung muß später über die Sozialhilfe von den Städten und den Gemeinden beglichen werden. Das ist keine sichere sozialpolitische Perspektive. Wir gehen auch davon aus, daß bei Erweiterung der Ladenöffnungszeiten Arbeitsverhältnisse aufgekündigt werden, Änderungskündigungen erfolgen und aus einem Arbeitsverhältnis zwei 590-Mark-Arbeitsverhältnisse entstehen, daß also die sogenannten gesicherten Arbeitsverhältnisse zerstört werden. Wir sagen Ihnen dazu klipp und klar unsere Meinung. In den Beratungen werden wir ganz sachlich und korrekt unsere Argumente vortragen und Befragungen durchführen. Aber auf eines können Sie sich verlassen: Die Sozialdemokraten werden die Demontage eines Arbeitnehmerschutzgesetzes, wie Sie sie wollen, auf keinen Fall mitmachen. Hände weg vom Ladenschluß! ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Julius Louven, Sie haben das Wort.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Urbaniak, eingangs Ihrer Rede haben Sie gesagt, Sie würden den Gesetzentwurf ernsthaft prüfen. In Ihrer Rede sind Sie dann aber schon zu einem eindeutigen Nein gekommen. Die Prüfung scheint bei Ihnen also schon abgeschlossen zu sein. ({0}) Unser derzeitiges Ladenschlußgesetz - darauf hat Minister Norbert Blüm schon hingewiesen - datiert aus dem Jahre 1956. Es stellte damals in der Tat den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. 40 Jahre später darf man wohl feststellen, daß dieses Gesetz nicht besonders flexibel ist. ({1}) Viele bezeichnen es sogar als antiquiert, und es heißt, daß in Europa nur noch in drei ländlichen Schweizer Kantonen ähnlich enge Regelungen in Kraft sind. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch auf Grund stark veränderten Einkaufsverhaltens seit Jahren immer wieder die Diskussion um dieses Gesetz aufkommt und insbesondere mehr Flexibilität gefordert wird. Dies hat auch der Bundesrat erkannt, der einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, welcher allerdings unseren Vorstellungen nicht entspricht. Immer wenn diese Diskussion aufkommt, wird gleich der Weltuntergang an die Wand gemalt, wobei ich mir die Anmerkung erlaube, daß sich die jetzige Diskussion durch nichts von der um den langen Donnerstag unterscheidet. Auch damals wollten viele glauben machen, der Sozialstaat würde ausgehöhlt und ganze Heere von Einzelhändlern stünden vor dem Ruin. ({2}) Im Standortbericht 1993 hat die Bundesregierung angekündigt, die Thematik Ladenschluß in dieser Legislaturperiode aufzugreifen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Louven, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß in den meisten Mittelstädten - so sage ich jetzt einmal - dieser lange Donnerstag von den Einzelhändlern schlichtweg abgeschafft wurde, weil einfach kein Umsatz zu machen war? ({0}) Würden Sie mir weiter die Frage beantworten, warum die CDA in den letzten Wochen so vehement dafür gekämpft hat, daß dieses Gesetz so bleibt, wie es ist? Ich gestehe Ihnen ja zu, daß die Journalisten hier einhellig eine andere Meinung haben. Sie haben vielleicht den Beruf, in dem man am meisten abends arbeiten muß und damit vielleicht auch Probleme hat. Aber das ist eine der wenigen Gruppen, die so denken. Deswegen die Fragen an Sie, warum erstens die CDA das tut und warum zweitens der lange Donnerstag in den Mittelstädten überhaupt nicht und in den Großstädten zum Teil auch nicht angenommen worden ist.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Dreßen, erstens bin ich nicht Mitglied der CDA. ({0}) - Dafür muß ich mich wohl nicht entschuldigen. Ich weiß auch gar nicht, ob ich da aufgenommen würde. ({1}) Zweitens muß ich Ihnen sagen: Die Einzelhändler müssen den langen Donnerstag doch nicht nutzen. Wenn ich allerdings einmal Zeit habe - das kommt ja selten vor -, donnerstags abends in die Bonner Stadt zu gehen - vielleicht machen wir das einmal gemeinsam -, stelle ich fest, daß die Stadt und auch die Geschäfte übervölkert sind. ({2}) Meine Damen und Herren, es wurde ein Ifo-Gutachten in Auftrag gegeben, und auch dies führte zu einer völlig unterschiedlichen Beurteilung. Dann folgte eine interne Anhörung durch das BMA und das BMWi; wiederum eine völlig unterschiedliche Beurteilung, wobei schon interessant ist, welcher Verband sich wie geäußert hat. Schließlich legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor; der Arbeitsminister hat eben die Inhalte erläutert. Viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Einzelhandel halten es für unzumutbar, möglicherweise einmal länger - jedoch nicht mehr - zu arbeiten bzw. die Geschäfte geöffnet zu halten, sitzen aber wie selbstverständlich abends in Restaurants und lassen sich von Arbeitnehmern und von Selbständigen bis nach Mitternacht bedienen. So unterschiedlich draußen die Diskussion verläuft - jetzt sage ich Ihnen etwas, was Sie möglicherweise erfreut -, so verläuft sie auch in meiner Fraktion. Bis wir entscheiden, besteht noch viel Klärungsbedarf. Von daher ist die für den 20. Mai zu terminierende Anhörung zu diesem Gesetz, Frau Ausschußvorsitzende, für die Meinungsbildung außerordentlich wichtig. Zu vielen Fragen interessiert uns die Meinung der Betroffenen und der Experten. Ich will Ihnen nur einige nennen: Schaffen wir mehr Arbeitsplätze, insbesondere Teilzeitarbeitsplätze - was ja erwünscht ist -, oder führt ein veränderter Ladenschluß eher zur Umwandlung von sozialversicherungspflichtigen in sogenannte 590Mark-Beschäftigungsverhältnisse? ({3}) Weiter: Wie wirken sich bestehende und veränderte Ladenöffnungszeiten in den Nachbarländern für die jeweilige Grenzregion aus? Werden die Innenstädte durch eine Veränderung der Ladenschlußzeiten vitalisiert und die Gastronomie hierdurch belebt? Wird die Verkehrssituation in diesen Stoßzeiten entzerrt? Brauchen innovative und besonders serviceorientierte kleine Einzelhandelsunternehmen nicht unbedingt eine Ausweitung der Öffnungszeiten, um bestehen zu können? Würde eine weitere Ladenöffnungszeit nur den Großen auf der grünen Wiese nützen und den Kleineren außerhalb der Toplagen schaden? Wird Kaufkraft aus den ländlichen Regionen in den Ballungszentren oder in den Großmärkten auf der grünen Wiese abgeschöpft? Fragen über Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. ({4}) - Sie wissen ja schon vorher alles, Sie sind ja allwissend. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beschäftigt sich auch mit der Problematik des Bäckereiarbeitszeitgesetzes, welches nicht isoliert vom Ladenschlußgesetz gesehen werden kann. Auch hier stellt sich die Frage, ob wir mit einem Schutzgesetz für mittelständische Betriebe und deren Arbeitnehmer diesen heute noch dienen. Auch hier stellen sich Fragen: Kann man es dem Bäckerhandwerk zumuten, zuzusehen, wie beispielsweise in Tankstellen und Bahnhofskiosken sonntags frische Backwaren verkauft werden, ({5}) was die Bäcker nicht dürfen? Wir können Inhaber von Tankstellen und Kiosken auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1993 nicht daran hindern. Ist es im Interesse dieser Betriebe, daß aus Nachbarländern ungehindert zu jeder Tages- und insbesondere Nachtzeit frische Backwaren auf den deutschen Arbeitsmarkt zurollen? ({6}) Das hätte übrigens auch Konsequenzen für das Ausfahren bei uns. Und schließlich: Macht es noch Sinn, die Verkaufszeit für leicht verderbliche Konditoreiwaren sonntags auf maximal zwei Stunden zu beschränken, wenn beispielsweise Konditoreien mit Café während des ganzen Sonntags ihre Konditoreiprodukte verkaufen dürfen? Auch für den innerdeutschen Bereich stellt sich hier die Frage, ob sich das mittelständische Backgewerbe bei einem Fortfall des Bäckereiarbeitszeitgesetzes oder bei einer Veränderung gegenüber der Brotindustrie noch behaupten kann. Interessant jedoch ist, daß sich das Bäckerhandwerk in dieser Frage erheblich bewegt hat. Noch vor drei Jahren hat man uns aufgefordert, am Bäckereiarbeitszeitgesetz festzuhalten. Jetzt hat der Zentralverband des Bäckerhandwerks schon etwas anderes beschlossen. Herr Präsident, die Kollegin Eymer ist freundlicherweise bereit, mir zwei Minuten ihrer Redezeit abzutreten. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das ist ein schöner Zug. Wir werden darauf Rücksicht nehmen.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich natürlich bei der Kollegin. Ein paar Schlußbemerkungen. Niemand kann bestreiten, daß wir gegenüber 1956 eine völlig veränderte Situation und auch ein anderes Verbraucherverhalten in Deutschland haben. Ein Mehr an Flexibilität - wie immer das aussehen mag - erscheint mir nötig. Das heißt natürlich nicht, daß wir der Meinung seien, hier amerikanische Verhältnisse einführen zu müssen, bei denen man nicht erkennen kann, ob Sonntag oder Montag ist, weil die Geschäfte rund um die Uhr geöffnet sind. Allerdings sage ich auch: Eine halbe Stunde täglich länger oder eine Stunde samstags länger hat mit Flexibilität nichts zu tun. Von daher sind wir auf die Anhörungen sehr gespannt. Wir werden unsere Entscheidungen dementsprechend fällen und dann die Beratungen im Bundestag zügig abschließen. Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen: Eine eventuelle Ausweitung der Ladenöffnungszeiten schafft Spielräume. Niemand ist gezwungen, sie zu nutzen. Auch daran sollten wir immer wieder erinnern. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile der Kollegin Margareta Wolf das Wort. ({0}) - Bei wem? Normalerweise werden Kurzinterventionen beim Präsidium angemeldet; das wissen Sie als Schriftführerin. Aber bitte, Sie haben das Wort.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich sie nicht ganz offiziell angemeldet habe. Aber ich gehe davon aus, daß wir so flexibel sind, diese Kurzintervention zuzulassen. Ich bedanke mich ausdrücklich. Ich wollte den Kollegen Louven, weil er Europa erwähnt hat, fragen, ob ihm bekannt ist, daß die Ladenöffnungszeiten in Italien bei nur 44 Wochenstunden liegen, während sie bei uns bei weit über 60 Wochenstunden liegen; ({0}) daß - das sagt übrigens auch das Ifo-Gutachten aus - unsere Arbeitskräfte nur 37,5 Stunden arbeiten, obwohl wir weit über 60 Stunden geöffnet haben; daß der lange Donnerstag - auch laut Ifo-Gutachten - nur zu 16 Prozent von den Betriebsinhabern genutzt wird - warum wohl?, weil nicht mehr Umsatz zu machen ist -; daß von dem langen Donnerstag nur die Innenstädte und die grüne Wiese profitiert haben, während die Mittelzentren und die schlechteren Lagen absolut gelitten haben. Ich habe die Bitte, daß er in seine Überlegungen mit aufnehmen möge, ob wir zum Beispiel - auch das ist eine gewisse Flexibilität - nicht Bäckern, Metzgern und Kioskbesitzern erlauben sollten, statt um 6 Uhr schon um 5 Uhr zu öffnen; denn dann könnten sich auch normale Arbeitnehmer, die um 6 Uhr mit ihrer Arbeit anfangen, ihr Frühstück mitnehmen. Das wäre eine eindeutige Mittelstandslösung; ({1}) denn ich kann mir kaum vorstellen, daß große Läden im Handel bereits um 5 Uhr oder um 6 Uhr öffnen, wohingegen die flexiblen Bäcker, Metzger und Kioskbesitzer sicherlich dazu bereit wären. Ich bitte, diesen Bereich in die Überlegungen einzubeziehen. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Louven, wünschen Sie zu replizieren?

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Wolf, ich bitte um Vergebung. Sie haben jetzt das Wort.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, Ihnen ist vergeben. Herr Louven, ich fand es ausgesprochen charmant - und zolle dem Respekt -, wie Sie mit den Fragen, die Sie in der Anhörung stellen wollen, Ihre ambivalente Haltung zu diesem Thema und dem vorgelegten Gesetzentwurf dargestellt haben. Ich fand, das hatte etwas. ({0}) Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat den Gesetzentwurf ordentlich geprüft. Wir werden ihn ablehnen. ({1}) Wir werden ihn deshalb ablehnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU - da teilen Herr Ost, Herr Doss und die Mittelstandsvereinigung meine Meinung -, weil nicht die kleinen und mittleren Einzelhandelsgeschäfte, sondern eher die Großfilialisten davon profitieren werden. ({2}) Auch die Kunden im Einzelhandel sind teilweise dieser Meinung ({3}) - Frau Babel, Sie haben nachher noch Gelegenheit, hierzu etwas zu sagen. Margareta Wolf ({4}) Ich glaube in der Tat, daß der Rationalisierungswettberb immer weiter voranschreitet und der schon besprochene Trend zur grünen Wiese anhält. Was gefordert wäre, wäre ein tatsächlich innovatives Dienstleistungskonzept. Das werden Sie mit einer Verlängerung der Öffnungszeit um anderthalb Stunden nicht schaffen. Das will doch wohl keiner behaupten. Herr Louven hat schon gesagt, daß wir Flexibilität brauchen. Auch werden Sie mit dem Gesetzentwurf keinen Existenzgründungsboom auslösen, sondern im Gegenteil: Ich befürchte, daß die Insolvenzrate im Einzelhandel weiter steigen wird. Insofern ist dieser Gesetzentwurf für mich ein Gesetzentwurf, der ausschließlich die Großen begünstigen wird. Ich möchte Sie, da hier bereits Europa erwähnt wurde, bitten: Schauen Sie doch einmal nach Frankreich! Der französische Wirtschaftsminister hat einen Erlaß herausgegeben, mit dem er die Gewerbeansiedlung von großen Filialen auf der grünen Wiese für die nächsten zwei Jahre unterbinden will ({5}) - ich sage gleich etwas zum Ladenschluß -, weil er dort eine sehr hohe Konzentration beobachtet. Lesen Sie Michael Porter in „Harvard Business " ! Er schreibt dort, die Europäer täten gut daran, sich jetzt Gedanken über die Vermeidung von Verödung der Wohngebiete und Innenstädte zu machen, damit man später nicht eine Rücksiedlung in die Wohngebiete und Innenstädte machen muß, was sehr aufwendig ist. Übrigens kann man dort langfristig Arbeitsplätze sichern. ({6}) - Das ist ein anders strukturiertes Land als Deutschland. Schweden ist sehr flächenstrukturiert. ({7}) - Ich weiß. Die Konzentration - das werden Sie zugeben - hat erheblich zugenommen. Wir haben die höchste Konzentration bei rigidester Ladenschlußgesetzgebung in Deutschland. 78 Prozent des Umsatzes teilen sich die zehn größten Einzelhandelsunternehmen. Sie können mir nicht erzählen, daß durch die anderthalb Stunden längere Öffnungszeiten diese Konzentration aufgehoben wird. Ganz im Gegenteil. Ich behaupte, es handelt sich um ein strukturelles Problem, das wir im Einzelhandel haben. ({8}) Auch wissen Sie, Herr Rexrodt, daß es im Wettbewerb des Einzelhandels heute keineswegs um innovative Dienstleistungskonzepte geht, sondern daß er primär als Rationalisierungswettbewerb oder als Kostenwettbewerb zu Lasten des kleinen Einzelhandels gefahren wird. Meine Herren von der CDU/CSU, ich habe doch mit den Herren auf Podien gesessen. Herr Doss hat gestern in einem Interview im Saarländischen Rundfunk gesagt, er habe Bedenken, daß die Kleinen hinten herunterfielen und daß die Konzentration immer weiter voranschreitet. Ich begrüße es, daß Sie dies sagen. Ich denke, dort ist noch einiges an Bewegung drin. Schauen Sie doch einmal in den Osten! Herr Doss hat es offensichtlich getan. Dort ist die Fehlentwicklung im Einzelhandel fatal. Wir Mittelständler sind uns alle einig, daß sich eine Marktwirtschaft nur etablieren kann, wenn sie auch kleinere und mittlere Unternehmen hat. Auf der Grundlage der Großen kann sich keine Marktwirtschaft etablieren.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Wolf, Sie haben die Sprachlosigkeit der Mittelstandsvereinigung der CDU angesprochen. Sollte Ihnen entgangen sein, daß es dort einen Führungswechsel gegeben hat und daß dort die Spendenpraxis im Mittelpunkt steht? ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schwanhold, ich habe bewußt Herrn Doss genannt, weil ich mit dem Vorgänger von Herrn Doss, und dem Staatssekretär von Herrn Rexrodt, Herrn Kolb, zusammen auf dem Podium gesessen habe. Ich glaube, diese Debatte wird auf anderer Ebene geführt und wollte die beiden Debatten nicht vermischen. ({0}) - Das ist offensichtlich ein ganz emotionales Thema. Wir haben jetzt schon eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung im Einzelhandel. Ich nenne nur Tankstellen, Flughäfen, Teleshopping usw. Sie alle kennen das. Ich glaube, daß dadurch der kleine Einzelhandel diskriminiert wird. Ihr Gesetzentwurf bietet dafür keine Lösung. Wir brauchen für die Zukunft tatsächlich eine flexible, innovative Dienstleistungsgesellschaft. Dafür brauchen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen. ({1}) Ich will nicht verhehlen, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher längere Ladenöffnungszeiten annehmen würden. Das sehen wir an dem Umsatz der Tankstellen und an den Bahnhöfen. Aber es kann nicht sein, daß durch Ausnahmeregelung oder durch Wettbewerbsverzerrung der kleine Einzelhandel leidet. Ich unterbreite Ihnen jetzt meinen Vorschlag. Ich bin der Meinung, daß aus den genannten Gründen das Ladenschlußgesetz so geändert werden sollte, Margareta Wolf ({2}) daß Einzelhandelsgeschäfte mit bis zu fünf Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, ihre Ladenöffnungszeiten montags bis freitags bis 22 Uhr zu verlängern. Nach den aktuellen Daten - jetzt hören Sie mir einmal zu - betrifft dies 50 Prozent der Läden, wo 11 Prozent der Angestellten arbeiten und die 9 Prozent des Umsatzes machen. Sehen Sie sich den Umsatz der Metro an, und dann wissen Sie, worum es geht. Ich glaube, daß dieser Vorschlag, wenn er Gesetz werden würde, tatsächlich viele positive Struktureffekte hätte. Die Einzelhändler erhielten zum ersten Mal die Möglichkeit, so etwas wie Nischen auszubauen und Wettbewerbsvorteile gegenüber den Großen auszubauen. Für die regionale Strukturentwicklung - Stichwort: Verödung der Innenstädte - wäre eine solche Entwicklung tatsächlich von Vorteil. Das „One-Stop-Shopping" , das heute gemacht wird, würde nicht weiter unterstützt. Ich glaube, daß die Leute tatsächlich einen Gefallen daran hätten. Es wäre eine Strategie, den Einzelhandel im Osten aufzubauen. Ich weiß, daß Herr Töpfer diese Position unterstützt. Ich weiß, daß der DIHT diese Position unterstützt. Zum Stichwort „flexibel" . Herr Rexrodt, ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich etwas flexibler zeigen. Ich erwarte auch von den Abgeordneten aus Ostdeutschland - die genau wissen, wohin der Trend läuft -, daß sie der Entwicklung im Einzelhandel entgegenwirken.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, die Redezeit.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich, Herr Präsident. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Günter Rexrodt das Wort.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Jahrzehnten leidvoller Diskussion ist es nun endlich soweit: Dem Bundestag liegt ein Gesetzentwurf zur Verlängerung der Ladenöffnungszeiten vor. Wir haben damit nicht unbedingt einen Kernpunkt der deutschen Wirtschaftspolitik berührt, aber wir haben ein Gesetz im Bundestag, das darüber befindet, ob diese Gesellschaft und dieses Land reformfähig ist. Das Thema Ladenschluß ist zu einem Symbolthema geworden. ({0}) Sie alle wissen, daß das Ausland über uns lacht. Das Ganze ist eine Lachnummer geworden ({1}) Das Ganze berührt auch die Standortqualität in Deutschland.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister würden Sie mir zustimmen, daß es sich bei der Änderung des Ladenschlußgesetzes nicht um eine Verlängerung der Öffnungszeiten, sondern um eine Verkürzung der Schließungszeiten handelt? Würden Sie mir widersprechen, wenn demzufolge nicht die Verbraucherseite, sondern die Beschäftigten im Handel im Vordergrund stehen sollten? Denn es handelt sich um ein Arbeitsschutzgesetz und nicht um ein Strukturförderungsgesetz.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich werde im Verlauf meiner kurzen Rede darauf eingehen. Meine Damen und Herren, es ist ein Stück Standortqualität, die hier zur Diskussion steht. Gerade im Ausland, wo es darauf ankommt, Investoren zu gewinnen, prägt sich unsere Haltung und unsere Entscheidung auch in ganz anderen Bereichen ein, wenn wir bei diesem Thema nicht zu einem Wandel in der Lage sind. Ich füge hinzu: Es ist auch ein Stück Glaubwürdigkeit, ob wir in diesem Land in der Lage sind, den Weg zur Dienstleistungsgesellschaft zu gehen. Die starre Organisation der Arbeitswelt ist zu Ende. Das wird allenthalben akzeptiert: in der Industrie, im Verkehrsbereich. Das wird überall akzeptiert, nur nicht im Handel. Wenn eine andere Arbeitsorganisation, für die Sie teilweise auch eintreten, überall, auch in der Industrie, akzeptiert wird, warum dann nicht in der ganzen Gesellschaft und warum nicht im Handel. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Rexrodt, die Kollegin Blank würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde gerne meinen Gedankengang ein Stück fortführen. Ich gehe bestimmt auf Ihre Ausführungen ein. ({0}) Ich darf zu Ihnen, Frau Kollegin Kaspereit, sagen: Das Ladenschlußgesetz war immer ein Schutzgesetz. Es war immer als Schutzgesetz gedacht. Aber ich sage Ihnen, es hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Es erfüllt seinen Zweck nicht mehr. Es ist auch kein Schutzgesetz mehr für den mittelständischen Handel. Wir haben den Sachverhalt festzustellen, daß auf der grünen Wiese riesige Kapazitäten entstanden sind, ein Konzentrationsprozeß in Deutschland stattgefunden hat, obwohl wir starre Ladenschlußzeiten haben, während in anderen Ländern, wo es flexiDr. Günter Rexrodt biere, längere Ladenöffnungszeiten gibt, der Konzentrationsprozeß so weit nicht vorangekommen ist. ({1}) Ich behaupte: Die grüne Wiese hat deshalb eine solche Entwicklung durchgemacht, weil die Leute überhaupt keine Zeit und nicht die Muße haben, in der Stadt oder sonstwo einzukaufen. ({2}) Sie fahren hinaus auf die grüne Wiese, weil sie auf der grünen Wiese mit einem Schlag in kürzester Zeit alles einkaufen können. Das ist die wirkliche Ursache dafür, daß Einkaufszentren auf der grünen Wiese derart expandieren konnten. Deshalb benötigen wir eine Änderung der Ladenöffnungszeiten. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Es haben sich zu Fragen gemeldet der Kollege Professor Pinger, die Kollegin Lilo Blunck und der Kollege Ernst Hinsken. Sind Sie bereit, ihre Fragen zuzulassen?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rexrodt, wenn Ladenschlußzeiten mit der Konzentration nichts zu tun gehabt haben und haben: Würden Sie denn vielleicht parallel zu einer Änderung der Ladenschlußzeiten an das Thema der Konzentration im Einzelhandel herangehen wollen? Das müßte unter dem Aspekt geschehen, daß wir es hier mit Praktiken gegen leistungsfähige Mittelständler zu tun haben, und zwar im Einkauf mit Diskriminierungen, die in den USA verboten sind, im Verkauf mit Verlustpreisstrategien, die in Frankreich strafbewehrt und also verboten sind. Sind Sie denn bereit, gegen diese skandalösen Entwicklungen im Einzelhandel mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts und der Ordnungspolitik vorzugehen? ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, mir liegt sehr daran, daß ein mittelständischer Einzelhandel erhalten bleibt und gestärkt wird. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß immer dann, wenn Betriebe - welcher Größenordnung auch immer - gegen Vorschriften des Wettbewerbsrechts verstoßen, den Verstößen mit den entsprechenden Mitteln nachgegangen werden muß und daß wir daraus entsprechende Konsequenzen ziehen. Einer blinden Verurteilung der unterschiedlichen Betriebsformen des Handels kann ich mich nicht anschließen. Tatsache ist, daß der Verbraucher große, mittlere und kleine Betriebe als Vertriebsformen des Einzelhandels wünscht. Dieser seiner Entscheidung müssen wir in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Rechnung tragen. Verstöße werden geahndet; etwas anderes wird nicht geahndet. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß es nach dem Fall des Gesetzes über Ladenöffnungszeiten in Frankreich und Spanien eine eklatante Zunahme von Konzentrationen in diesem Bereich gegeben hat, so daß die entsprechenden Gesetzgeber dagegen eingeschritten sind? Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß in Schweden eine Ausnahme vorliegt? Dort hat es im Zusammenhang mit der Abschaffung des Gesetzes über die Ladenschlußzeiten eine Gründungswelle gegeben, aber nur deshalb, weil Schweden das Gesetz 1972 aufgehoben hat. Zu dem Zeitpunkt herrschte Vollbeschäftigung, und 80 Prozent der Frauen waren beschäftigt. Ist Ihnen das bekannt, oder würden Sie das freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, wenn ich Ihnen die entsprechende Untersuchung gebe?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich weiß soviel, daß in Frankreich der Konzentrationsprozeß, nachdem er über lange Zeit relativ moderat verlaufen ist, mit großer Wucht eingesetzt hat, daß in Frankreich seit dem Kriege die Ladenöffnungszeiten sehr viel flexibler gewesen sind als bei uns und daß Veränderungen dort in keiner Weise - ich habe mich intensiv damit befaßt - nachweisbar auf den Konzentrationsprozeß eingewirkt haben. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wie erklären Sie sich, daß von der Möglichkeit des langen Donnerstags bis 20.30 Uhr nur 16 Prozent aller Einzelhandelsgeschäfte Gebrauch machen und den Laden offenhalten? ({0}) 84 Prozent haben somit geschlossen. Meine zweite Frage, weil es dazugehört: Einer Ihrer Vorgänger, Herr Haussmann, hat diesen langen Donnerstag als sogenannten Dienstleistungsabend eingeführt. Was haben Sie bisher unternommen, damit auch die Behörden Donnerstag abends geöffnet haben, damit es einen gewissen Gleichklang zur Geschäftswelt gibt? ({1})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hinsken, fangen wir einmal mit dem zweiten Teil Ihrer Frage an. Ich bin sehr dafür, daß wir neben einer VerlangeDr. Günter Rexrodt rung der Ladenöffnungszeiten ebenfalls darauf hinwirken, daß öffentliche Institutionen, Banken und andere mehr ihre Geschäftslokale verlängert offenhalten. ({0}) Zweitens sage ich Ihnen: Die Annahme des langen Donnerstags ist außerordentlich unterschiedlich. Viele Unternehmen verzichten, andere wollen auf den langen Donnerstag nicht verzichten, weil er ihnen einen Zuwachs an Umsätzen und Gewinn gebracht hat. Drittens, Herr Hinsken - das ist das Entscheidende -, sage ich Ihnen, daß der Donnerstag vielleicht nicht so angenommen worden ist, wie sich das viele wünschen, hängt damit zusammen, daß wir in Deutschland eine so starre Verkaufskultur haben. Die Menschen haben noch gar nicht begriffen, wie eingeengt sie sind und welch geringe Möglichkeiten und Spielräume sie haben. ({1}) Eine Liberalisierung würde eine andere Verkauf s-kultur für die Verbraucher, für den Einzelhandel und die Mittelständler entstehen lassen. Das wäre ein Durchbruch, und der lange Donnerstag wäre kein Thema mehr, weil wir jeden Tag der Woche bis 20 Uhr offenhalten wollen. Das ist eine Tatsache, die dazu führt, daß die Umsätze - so sagt es auch das Ifo - nicht unerheblich steigen werden. Der lange Donnerstag ist nur ein Einstieg, ein unzulänglicher Einstieg. Wenn dieser Einstieg in eine andere Dimension gebracht wird, wird sich das allemal - so sehen das auch wissenschaftliche Gutachter - auszahlen. ({2}) - Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, möchte ich in meinen Ausführungen fortfahren.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sie wollen keine weiteren Zwischenfragen zulassen?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, das wollte ich nicht. Die starren Ladenschlußzeiten beschränken diejenigen, die im Handel innovativ sind und sein wollen, beschränken diejenigen, die durch eine geschickte und gute Verkaufspolitik Nischen ausfüllen und Spezialangebote offerieren können, und diejenigen, die durch eigene Leistung expansiv sein wollen. Ihnen wird kein Spielraum gegeben. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die Leistungsträgern und jenen aus dem Mittelstand, die etwas tun und anders sein wollen, den notwendigen Spielraum gibt. Die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten wird nach Einschätzungen des Ifo dazu führen können, daß Milliardensummen zusätzlich in den privaten Einzelhandel fließen. ({0}) - Daß Ihre Betrachtungs- und Denkweise falsch ist, will ich Ihnen erklären: Wenn kein Zusammenhang zwischen Ladenöffnungszeiten und Umsatz bestehen würde, dann sollten wir uns doch darauf einigen, daß wir die Öffnungszeiten auf vier Stunden täglich verkürzen. Dann könnte doch in diesen vier Stunden der Umsatz gemacht werden, der bei den heutigen Öffnungszeiten erzielt wird. Das ist doch unsinnig und abwegig. Mit längeren Öffnungszeiten wird tendenziell auch eine Erweiterung des Umsatzes stattfinden. Außerdem wird es zusätzliche Arbeitsplätze geben. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde gern fortfahren, Herr Präsident. Sehen Sie sich doch einmal die Realität an. Wohin fließt denn heute die Kaufkraft? Auf die Bahnhöfe und in die Tankstellen. Die Tankstellen sind die Tante-Emma-Läden der Gegenwart geworden. Wollen Sie, daß die Tankstellen die Tante-Emma-Läden der Gegenwart sind? Das kann es doch wohl nicht sein. ({0}) Das Beispiel in Schweden zeigt, daß die Entwicklung im Einzelhandel bei verlängerten Öffnungszeiten auch darauf hinausläuft, daß es eine Vielzahl von neuen Unternehmen und eine Gründungswelle gibt. Dem wird entgegengehalten, daß Verschiebungen stattfinden, die mittelstandspolitisch bedenklich seien. Wir wollen uns in aller Ruhe und sehr gewissenhaft mit diesen Argumenten, die wir nachvollziehen können, auseinandersetzen. Ich glaube nicht, daß es eine Verschiebung des Umsatzes von kleinen und großen Unternehmen gibt. Ich kann mir aber vorstellen, daß verlängerte Öffnungszeiten am Sonnabend durchaus ein Stück Umsatzverlagerung vom ländlichen Raum in das städtische Gebiet mit sich bringen können. Das muß man sehen und akzeptieren. Dem muß man aber auch die vielen Vorteile entgegenhalten, die aus einer verlängerten Öffnungszeit für den Verbraucher und den innovativen Mittelständler resultieren. Ich glaube, daß niemand einen Anspruch hat, in seinem Besitzstand auf Dauer gesichert zu werden. Meine Damen und Herren, das Ladenschlußgesetz, so wie es besteht, ist verbraucherfeindlich. Die Mehrzahl der Verbraucher wünscht eine Änderung, ({1}) und es ist gegen die Beschäftigten gerichtet, als ob es nicht eine Vielzahl von Menschen gäbe, die auch zu anderen Zeiten arbeiten wollen, als das heute im Handel üblich ist. Was sollen denn die Krankenschwester, der Busfahrer, der Lokführer oder die Menschen, die in der Hotel- und Gaststättenbranche arbeiten, die Feuerwehr, die Polizei oder die Energieversorger sagen? Sie alle haben andere Arbeitszeiten. Umfragen haben ergeben, daß eine große Bereitschaft gerade bei Frauen besteht, auch zu Abendstunden im Einzelhandel zu arbeiten. Sie wollen das reglementieren und regulieren. Sie wollen sich gegen jede Veränderung in dieser Gesellschaft wenden. Das ist Besitzstandsdenken, und Besitzstandsdenken müssen wir in diesem Lande überwinden. ({2}) Meine Damen und Herren, über Jahrzehnte sind die Argumente für und wider veränderte Öffnungszeiten gewechselt worden. Wir sollten die Dinge hier im Plenum und in den Ausschüssen verantwortlich diskutieren. Auch sollten wir, wenn es sein muß, eine erbitterte Debatte führen. Warum sollen wir das im Mai nicht noch einmal tun? Die Zeit für lange Anhörungen und Foren ist aber vorbei. Die Argumente sind seit drei, vier Jahrzehnten gewechselt worden. Wir wollen die Ängste der Menschen aufnehmen, wir wollen einen Kompromiß machen. Das, was die Koalition auf den Weg gebracht hat, ist nun wahrlich ein Kompromiß. Viele Menschen in diesem Lande wollen das Ladenschlußgesetz ganz abgeschafft haben. Wir wollen das mit Sinn und Verstand machen. Nach kurzer Zeit, wenn es denn diese Änderungen gegeben haben wird, wird eine andere Situation auch bei den Händlern eintreten, die heute noch ängstlich sind. Zum Abschluß möchte ich folgendes sagen. Ich kann mich noch gut an die Zeit entsinnen, als in den Städten Fußgängerzonen eingerichtet wurden. Es begann in den 60er Jahren. Was gab es da für ein Geschrei auch und gerade im Einzelhandel, daß das ein Ende des Einzelhandels sei! ({3}) Das Gegenteil ist eingetreten. Es gibt Umsatzzuwächse, und man geht gerne in die Fußgängerzonen. Ich kann mich auch noch gut an die Zeit entsinnen, als die Preisbindung der zweiten Hand abgeschafft wurde. Was gab es für ein Geschrei, die Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand bedeute das Ende des Facheinzelhandels! Sie hat überhaupt keine Wirkung auf den Facheinzelhandel gehabt. Es gibt Ängste, es gibt Befindlichkeiten, die nun einmal da sind. Wir wollen sie aufnehmen. Ich bin davon überzeugt, daß, wenn wir einen sinnvollen Kompromiß beschlossen haben, er in kürzester Zeit dazu führen wird, daß sich im Handel innovative Kräfte durchsetzen, daß der Mittelstand mehr Chancen hat. Er wird im Interesse der Verbraucher liegen und auch ein Stück Reformfähigkeit dieses Landes unter Beweis stellen. Wir werden ein Stück mehr Standortqualität gefunden haben, und dieses Land wird auch in seiner täglichen öffentlichen Darstellung ein Stück anders geworden sein. Eine solche Situation brauchen wir auch, damit wir im Ausland noch als ein Land ernst genommen werden, das in der Lage ist, mit seinen täglichen Problemen fertig zu werden. Ich danke Ihnen. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen und Gruppen haben weitere acht Redner in dieser Debatte gemeldet. Allein auf den Beitrag des Kollegen Rexrodt habe ich jetzt drei Meldungen für Kurzinterventionen vorliegen, darunter die Meldung der Kollegin Blunck bereits zur zweiten Kurzintervention in dieser Debatte. Aber wir haben nun einmal beschlossen, daß wir dieses Instrument nicht nur belassen, sondern sogar noch erweitern. ({0}) - Moment! - Dies sind alles Kann-Bestimmungen für den Präsidenten. Ich werde die drei Kurzinterventionen jetzt zulassen. Bei weiteren bitte ich um Verständnis, daß die Kollegen, die weiteres Redebedürfnis haben, dafür sorgen müssen, daß sie von ihren Fraktionen dann als Redner gemeldet werden. Als erstes erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Ernst Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich bin dankbar, daß ich diese Kurzintervention abgeben kann. Ich verweise darauf, daß ich in den letzten zwei Jahren ein einziges Mal davon Gebrauch gemacht habe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir zählen nicht mit.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir geht es vor allem darum, auf das einzugehen, was Herr Minister Rexrodt eben ausgeführt hat. Es geht grundsätzlich nicht um die Reformfähigkeit oder Reformunfähigkeit. Mir liegt am Herzen, die Einzelhandelsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie vorhanden ist, zu erhalten. ({0}) Es geht mir auch nicht darum, zu sagen, daß in diesem Bereich zu lange gearbeitet werden muß. Nein, das ist alles nicht von einem vorrangigen Belang. Wir müssen den Sachverhalt von verschiedenen Seiten betrachten. Ich sehe, daß wir auf gewissen Gebieten Zwängen unterworfen sind. Es ist schon gesagt worden, daß die Tankstellen die Supermärkte der Neuzeit sind. Wir haben offene Grenzen in Europa. Das ist auch nicht zu bestreiten. Teleshopping verbreitet sich mehr denn je. Für das Jahr 2 000 erwarten verschiedene Großunternehmen einen Umsatz von 500 Millionen DM und mehr pro Jahr. Vor allen Dingen die Bahnhöfe bündeln immer mehr die Kaufkraft. Ich meine daher: Wir müssen BeErnst Hinsken wegung zeigen. Ich bin nicht so vermessen, zu sagen, daß man am Status quo festhalten muß. ({1}) Man darf aber in dieser Angelegenheit das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Mir geht es darum, daß deutlich wird, wer der Profiteur von längeren Öffnungszeiten ist. Ich habe Ängste, wenn ich sehe, daß es vor allen Dingen Kaufkraftverlagerungen von der Fläche, von Stadträndern, also von der Peripherie, in Top-1-aLagen, also in Ballungsräume schlechthin, gibt. Ich sehe mit großer Sorge, daß die Supermärkte auf der grünen Wiese noch mehr Zulauf haben, als dies bislang schon der Fall ist. ({2}) Das kann und darf doch nicht sein. Ich verspreche mir gerade von dem anberaumten Hearing, daß wir Aufschlüsse hierüber bekommen. Bei der Gelegenheit muß ich darauf verweisen, daß jeder Vergleich mit anderen Ländern hinkt. In Italien gibt es Öffnungszeiten von 44 Stunden, in Österreich von 60 Stunden. Dort dürfte man die Geschäfte bis 19.30 Uhr offenhalten. Aber um 18.00 Uhr finden Sie niemanden mehr in Wien in den Geschäften, um nur ein Beispiel zu nennen. ({3}) Ich warte jetzt die Ergebnisse des Hearings ab. Wir sollten nicht starr an der Vergangenheit festhalten, sondern wir sollten Bewegung zeigen, aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Rexrodt, wollen Sie auf jede einzelne Kurzintervention eingehen oder erst am Schluß antworten? - Dann bitte Frau Kollegin Blank.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Rexrodt, nachdem Sie bedauerlicherweise auf meine Fragen nicht antworten wollten, greife ich sie in meiner Kurzintervention noch einmal auf. Sie haben angedeutet, daß der Handel flexibel sein muß. Sie haben von der Flexibilität der Industrie gesprochen. Ich bedaure sehr, daß dies nicht der Fall ist: Am Freitag nachmittag oder am Samstag erreiche ich niemanden mehr in der Industrie, wenn ich Ware bestellen will. Vielleicht sind die Industriellen bereits beim Golf oder beim Tennis, während die Verkäuferinnen und die Einzelhändler noch arbeiten. ({0}) Ich wollte Sie noch auf die Kosten für den Verbraucher hinweisen. Wir haben Tarifvereinbarungen, daß wir als Arbeitgeber ab 18.30 Uhr mehr bezahlen müssen. Diese Kosten schlagen sich natürlich auch für die Verbraucher nieder. Das muß man ganz deutlich sagen, wenn man eine Verlängerung der Abendöffnungszeiten möchte. Sie haben die Tatsache angesprochen, daß wir den Umsatz auch in vier Stunden machen können. Lieber Kollege Rexrodt, es ist eine eindeutige Serviceleistung des Einzelhandels, über 60 Stunden in der Woche geöffnet zu haben. Wir sind stolz darauf, daß jeder Kunde zu jeder Zeit sowohl den großen als auch den kleinen Laden erreichen kann. Ein Wort zu den Tankstellen: Sie erwirtschaften nur 3 Prozent des Umsatzes, nämlich 20 Milliarden DM. Eine letzte Bemerkung: Im Ifo-Gutachten steht, daß sich Umsatzverlagerungen von den Geschäften zu denen auf der grünen Wiese und in den Innenstädten ergeben werden und daß kleine und mittlere Unternehmen darunter leiden werden. Wenn man dies politisch will, dann muß man es auch so deutlich sagen. Zur Erinnerung: Es gibt in Deutschland zirka 300 000 Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten und nur 170 Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten. Im Ifo-Gutachten steht ganz klar und deutlich, daß die kleinen und mittleren Geschäfte die Verlierer einer neuen Regelung sein werden. Ich glaube, das muß noch deutlich geprüft werden. Noch eine letzte Anmerkung: Sie haben erwähnt, daß auch Polizisten, Krankenschwestern, Eisenbahner usw. Schicht arbeiten müssen. In unseren Parlamenten sitzt keine Krankenschwester, kein Polizist, keine Verkäuferin, ({1}) sitzen im Grunde genommen nur Funktionäre, weil sich kein Einzelhändler mehr in einem Ehrenamt betätigen kann. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister Rexrodt, ich möchte Sie auf eklatante Widersprüche in Ihrer Rede hinweisen: Auf der einen Seite haben Sie gesagt, in einer Marktwirtschaft müsse sich alles nach den Wünschen der Konsumenten richten, und auf der anderen Seite haben Sie auf die Frage des Kollegen Hinsken geantwortet, mit der Änderung der Ladenschlußzeiten müsse erst einmal das Verhalten der Verbraucher geändert werden. Offensichtlich haben die Konsumenten derartige Wünsche noch nicht; Sie wollen sie ihnen erst aufzwingen. Darüber hinaus haben Sie gesagt, eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten führe zu mehr Umsatz im Einzelhandel. Da die Menschen aber nicht mehr Geld haben, wird es natürlich auch nicht mehr Umsatz geben. Sie haben gesagt, die Umsatzverlagerung gehe zu Lasten der Tankstellen und BahnhofsRolf Köhne läden, hin zum Einzelhandel. Das ist doch ziemlich lachhaft. Ich hoffe, daß das die Menschen in diesem Lande gehört haben, ({0}) ganz normale Menschen, die genau überprüfen können, wann und aus welchen Gründen sie einmal zum Bahnhofsladen oder zur Tankstelle gehen. Dieses Argument ist wirklich lachhaft. Mit einer Verlängerung der Ladenschlußzeiten wird es aber ganz klar eine Verlagerung des Umsatzes, weg von den Kleinen hin zu den Großen, geben. Das sind Tatsachen, und ihnen muß man ins Auge sehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal mit Ihrem Beitrag beginnen, Frau Blank. Als erstes darf ich darauf hinweisen, daß Sie das Ifo-Gutachten offensichtlich nicht exakt gelesen haben. Da steht ganz klar, daß die kleinen Betriebe, insbesondere die mit Innenstadtlage, aus einer Verlängerung der Ladenöffnungszeiten Vorteile ziehen können. Es wird in Vorstadt- und Stadtrandlagen möglicherweise Schwierigkeiten geben, ({0}) aber die im Stadtzentrum gelegenen und insgesamt die innovativen Geschäfte werden Zuwächse verzeichnen. Meine Damen und Herren, aber es geht doch nicht um Gutachten und Befragungen. Da gibt es so 'ne und solche Zahlen. Ich weise immer nur darauf hin: Warum bindet sich ein Gesetzgeber dahin gehend, daß er den Menschen vorschreiben muß, wann sie einkaufen können? Warum soll ein Gesetzgeber Regeln erlassen, die darauf hinauslaufen, einem Einzelhändler vorzuschreiben, wann er schließen und wann er öffnen soll? ({1}) Wir haben ja nun wahrlich ein moderates Gesetz vorgelegt. Nun lassen Sie uns doch einmal die Veränderungen, das bißchen mehr Flexibilität ausprobieren! Ich habe Ihnen die Beispiele mit der Preisbindung und den Fußgängerzonen genannt. Ein wachsender Anteil des mittelständischen Handels nimmt diese Flexibilisierung an. Es sind ja nur noch ganz wenige, die dagegen sind; ({2}) meistens sind es die Funktionäre der Einzelhandelsverbände, die diese Position seit 30, 40 Jahren vertreten. Das ist deren Lebenswerk geworden. Ich möchte ein Stück Reform in diesem Lande, ein Stück mehr Freiheit in diesem Lande, ein Stück mehr Politik für den Verbraucher und für den innovativen Einzelhändler. ({3}) Da sollten wir als Gesetzgeber ein Beispiel setzen und nicht dieses Besitzstandsdenken, das es in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, auch bei Arbeitgebern, gibt, weiter pflegen. Darauf kommt es an, meine Damen und Herren. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Kollege Manfred Müller, Sie haben das Wort. ({0})

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rexrodt, daß Sie einer Anhörung, die von allen Fraktionen für sinnvoll erachtet worden ist, mit Skepsis entgegensehen müssen, haben Sie hier vorgeführt. Keines Ihrer sogenannten Argumente hat dafür gesprochen, die Ladenöffnungszeiten zu verlängern. ({0}) Vielmehr spricht alles dafür, die bestehenden Ladenöffnungszeiten ({1}) beizubehalten und den Konzentrationsprozeß im Einzelhandel auf anderem Wege zu bekämpfen. Ich frage gerade die Ministerriege der F.D.P., die seit mehr als - so glaube ich - 20 Jahren den Wirtschaftsminister in dieser Republik stellt: Wo waren Sie eigentlich, als das Bundeskartellamt die Elefantenhochzeiten verhindern wollte? Sie haben mit Ihrem Ja zur Elefantenhochzeit den Konzentrationsprozeß jedes Jahr zusätzlich vorangetrieben. Da hätten Sie Einhalt gebieten müssen. ({2}) Wo waren Sie, als Karstadt und Neckermann fusionierten? Wo waren Sie, als sich der Riesenkonzern Metro formiert hat? Sie haben dazu immer ja gesagt, obwohl die Wettbewerbshüter davor eingehend gewarnt hatten. Jetzt spielen Sie sich als die Hüter des Mittelstands auf. Sie haben mit Ihrer Politik den Mittelstand mit vernichtet. Das ist das Ergebnis Ihrer Mittelstandspolitik. Sie werden auf diesem Weg weitermachen. ({3}) Sie wollen die Verbraucher verbiegen und sagen: Wir schaffen erst die langen Donnerstage, wir übertragen die langen Donnerstage sodann auf Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag, und dann werden wir schon sehen, was dabei herauskommt. Das IfoGutachten widerspricht Ihnen massiv. Manfred Müller ({4}) Das tollste Ding, das Sie sich hier geleistet haben, ist, zu behaupten, es würde eine wundersame Vermehrung der Massenkaufkraft geben, wenn nur die Läden länger geöffnet würden. Kein Hinweis darauf findet sich im Gutachten. Das einzige, was das Ifo-Gutachten dazu sagt, ist, daß einige wenige Einzelhändler hoffen, daß der Anteil des Einzelhandels sich durch eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten erhöhen würde. Das Gegenteil ist der Fall: 1991 lag der Anteil des Einzelhandels am privaten Verbrauch noch bei 54 Prozent. 1994 lag er nur noch bei 47,6 Prozent. Das heißt, hier ist eine Abwärtsentwicklung zu entdecken, der es Einhalt zu gebieten gilt. Jetzt noch etwas zu dem, was die eigentlich Betroffenen dazu sagen. ({5}) Es waren alle Parteien vertreten, als 50 000 Kolleginnen und Kollegen, überwiegend Frauen, am letzten Sonntag nach Bonn fuhren und ihrer Empörung Ausdruck gaben. ({6}) Daß die F.D.P. dort nicht vertreten war, verstehe ich jetzt, nachdem ich Herrn Rexrodt gehört habe. ({7}) Die Verkäuferinnen hätten Sie wahrscheinlich von der Bühne geholt, wenn ihnen dort solch ein Blödsinn zugemutet worden wäre. ({8}) Sie von der F.D.P. waren möglicherweise nicht eingeladen. Aber die Beschäftigten sind gekommen, um die Politik auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. ({9}) Norbert Blüm hat mit dazu beigetragen, daß die Einzelhandelsbeschäftigten so empört sind; denn er hat am 29. September 1988 bei der ersten Lesung des Gesetzes zur Einführung eines Dienstleistungsabends gesagt: Im übrigen: Wir - das heißt die Bundesregierung beginnen das ganz vorsichtig, in der Tat um Erfahrungen zu sammeln, mit einem Tag in der Woche. Daß wir uns auf einen Tag festlegen, hat erstens etwas damit zu tun, daß wir Erfahrungen sammeln wollen, und zweitens, daß sich möglicherweise auch die ganze Infrastruktur auf diesen Abend vorbereitet. Das ganze Gesetz über den Dienstleistungsabend war ein einzigartiger Etikettenschwindel. ({10}) Es ist den Frauen damals eine Belebung der Innenstädte versprochen worden; es ist ihnen zugesagt worden, daß die Kindergärten entsprechend länger öffnen, damit sie bis 20.30 Uhr arbeiten und Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Nichts von alledem ist geschehen; noch nicht einmal die öffentlichen Nahverkehrsmittel haben ihre Taktzeiten verändert. Nach 18.30 Uhr fahren die Züge nur noch stündlich oder halbstündlich, ({11}) und die Frauen kommen teilweise um 22 Uhr abends in die Trabantenstädte nach Hause, und niemand von Ihnen sorgt dafür, daß sie nicht von irgendwelchen Machos angemacht werden. ({12}) Das alles hätten Sie am Sonntag hier auf der Rheinwiese in Bonn von den Frauen hören können, aber Sie sind ja gar nicht erst hingegangen. Alles, was das Ifo-Gutachten aussagt, spricht eindeutig für eine Beibehaltung der geltenden Ladenöffnungszeiten, und ich gehe sogar so weit: ({13}) Der Dienstleistungsabend war der Einstieg in die 20-Uhr-Spätöffnung an allen Tagen in der Woche von Montag bis Freitag. Wenn sich der Dienstleistungsabend nicht bewährt hat, wenn nur 16 Prozent - das ist hier schon vielfach gesagt worden - derjenigen, die öffnen könnten, diesen Dienstleistungsabend nutzen, dann gehört er zurückgedreht, denn er hat sich nicht bewährt. ({14}) Er hat weder den Umsatz erhöht, noch hat er die Konzentration im Einzelhandel aufhalten können. Genau das Gegenteil ist der Fall, und deshalb stellen wir zusammen mit beiden Gewerkschaften, die sicher am 20. Mai bei der Anhörung ihre Argumente einbringen werden, diesen Dienstleistungsabend zusätzlich in Frage, und auch darüber müssen wir reden. Ich meine, wenn es keine vernünftigen Argumente, keine wirtschaftspolitischen, keine betriebswirtschaftlichen Argumente gibt, wenn sich der Verbraucher zu mehr als 79 Prozent mit den geltenden Ladenöffnungszeiten zurechtgefunden hat, dann müssen es andere Gründe sein, die gerade die F.D.P. veranlassen, so vehement eine Gesetzesänderung zu fordern, die eigentlich nur ganz wenige in unserer Bevölkerung wollen. Es muß wohl etwas damit zu tun haben, daß sich Herr Rexroth vorstellt, daß alle - nicht nur Feuerwehrleute, nicht nur der öffentliche Personennahverkehr, nicht nur die Krankenschwestern - an den Stellen, wo es gesellschaftlich nicht notwendig ist, rund um die Uhr eingesetzt werden können und daß das Familienleben, die kulturelle Gestaltung des FeierManfred Müller ({15}) abends zusammen mit der Familie, zusammen mit den Freunden, zerschlagen werden soll, daß jeder in dieser Gesellschaft disponibel sein soll, obwohl es gesellschaftlich überhaupt nicht notwendig ist. Das heißt, Sie wollen in Wahrheit deregulieren, ({16}) und diese Deregulierung beschleunigen Sie dadurch, daß Sie die Öffnungszeiten verlängern wollen. Jetzt noch etwas zur Flexibilisierung in unserer Gesellschaft. - Wie einige von Ihnen wissen, komme ich selbst aus dem Einzelhandel und habe mehr als zwei Jahrzehnte Tarifarbeit und Betriebsarbeit im Einzelhandel gemacht. Es gibt keine Branche in unserer Wirtschaft, deren Arbeitskräfte sich seit 20 Jahren so flexibel einsetzen lassen, weil die 37,5-Stunden-Woche, die tariflich gilt, mit einer 60-Stunden-Öffnungswoche über das ganze Jahr zu unterschiedlichen Zeiten - Norbert Blüm hatte ja Probleme, all die Ladenöffnungs- und Ladenschlußzeiten im Einzelhandel überhaupt darzustellen - in Übereinstimmung gebracht werden muß, um sich an die Anforderungen des Kunden anzupassen, und dann reden diejenigen, die das gar nicht zu wissen scheinen, von der Notwendigkeit weiterer Flexibilisierung. Sie haben meinen Worten schon entnommen, ich sehe der Anhörung mit Gelassenheit entgegen, weil alle Argumente für die Beschäftigten des Einzelhandels sprechen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Müller - Manfred Müller ({0}) ({1}): Deshalb sage ich heute schon nein zu Ihren Gesetzesplänen. Danke schön. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile der Senatorin für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin, Frau Beate Hübner, das Wort. Senatorin Beate Hübner ({0}): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich mich bei Frau Eymer bedanken, daß sie mit mir den Platz auf der Rednerliste getauscht hat. Ich habe heute noch einen Termin zum Rettungsdienst im Berliner Parlament wahrzunehmen und möchte dieser Pflicht auch gern nachkommen. ({1}) - Danke. Der Meinungsfindungs- und Entscheidungsprozeß zu manchen Fragen ist in diesem Land mitunter extrem lang. Die Debatte um das Ladenschlußgesetz gehört eindeutig in diese Kategorie. Wie kaum ein anderes Gesetz steht es eigentlich seit seiner Verabschiedung im Jahr 1956, also seit 40 Jahren, in der Diskussion. Ich hoffe, daß wir mit der heutigen Debatte, aber auch mit der geplanten Anhörung einer Lösung ein gutes Stück näherkommen. ({2}) Wir diskutieren eigentlich über zwei Gesetzesanträge: den der Bundesregierung und den des Bundesrates, der 1993 vom Land Berlin eingebracht wurde. Berlin hat ein sehr starkes Interesse daran, daß sich der Handel den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen in diesem Land ein Stück weit annähern kann. ({3}) Eine Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes halte ich für längst überfällig. Aber auch in einem neuen Gesetz muß die sensible Balance zwischen den Interessengruppen gewahrt bleiben. Ziel muß es sein, dem Verbraucher allgemeine Einkaufsbedingungen zu schaffen, die er akzeptiert und die wir alle aus dem europäischen Ausland wohl sehr gut kennen und auch schätzen, dem Handel eine Umsatzerhöhung zu ermöglichen, aber auch den Arbeitsschutz zu stärken. ({4}) Betriebswirtschaftliche und verbraucherpolitische Überlegungen dürfen keinesfalls zur Vernachlässigung des sozialpolitischen Aspektes, des Arbeitsschutzes, führen. Arbeitsschutz und Wirtschaftlichkeit dürfen aber auch keine Gegensätze sein. Meine Damen und Herren, das Ifo-Institut hat in seiner Studie zum Ladenschlußgesetz 1995 ermittelt, daß die Bereitschaft vieler im Einzelhandel Beschäftigten, unter bestimmten Voraussetzungen auch am Abend und am Samstagnachmittag zu arbeiten, unerwartet hoch ist. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit wird von vielen Beschäftigten nicht mehr abgelehnt, sondern als Möglichkeit begriffen, sich für den privaten Bereich Freiräume zu schaffen. Entsprechende Arbeitszeitmodelle müssen sowohl Dispositions- und Flexibilisierungsspielräume als auch hinreichend lange Planungshorizonte für die Beschäftigten bereithalten. Um diesem Ziel gerecht zu werden, ist jedoch nicht nur der Gesetzgeber gefragt, sondern auch die Kreativität der Unternehmer, sich auf solche neuen Arbeitszeitmodelle einzulassen bzw. diese mit zu entwickeln. Mit der Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes verbindet sich allgemein die Hoffnung auf positive gesamtwirtschaftliche Umsatz- und Beschäftigungseffekte. Prognostiziert werden ein Umsatzplus in Höhe von 2 bis 3 Prozent im Zeitraum von drei Jahren und in der Folge 50 000 bis 55 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Dies ist eine Chance, die wir nicht verstreichen lassen sollten. ({5}) Wir sollten aber auch nicht zu optimistisch sein; denn wichtig wird auch die Qualität der zusätzlichen Arbeitsplätze sein. ({6}) Senatorin Beate Hübner ({7}) Sollten die Unternehmen aus Kostengründen zunehmend geringfügige Beschäftigungsverhältnisse begründen, wäre dies ein zweifelhaftes Ergebnis - sowohl für die Beschäftigten als auch für den Handel. Ich möchte deshalb an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich betonen: Eine Änderung des Ladenschlußgesetzes muß von Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten flankiert werden. Das ist auch im Interesse der Unternehmen. Leider ist die gewünschte und sinnvolle Teilzeitarbeit im Einzelhandel oft zur kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit degeneriert. Um den Betroffenen zumindest Wegezeiten zu ersparen und um ihnen die Planung von Freizeit und Familienleben überhaupt zu ermöglichen, müssen die bisherigen - nur für den Fall fehlender vertraglicher Vereinbarung geltenden - Bestimmungen des § 4 Beschäftigungsförderungsgesetz durch Mindestbedingungen für Arbeit auf Abruf ersetzt werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthel? Senatorin Beate Hübner ({0}): Nein. - Wir sind 1993 mit unserer Berliner Bundesratsinitiative zur Änderung des Ladenschlußgesetzes nicht so weit gegangen wie heute die Bundesregierung. Wir wollen vor allem den bisherigen Schutz der im Einzelhandel beschäftigten Arbeitnehmer vor extrem langen und ungünstig gelagerten Arbeitszeiten aufrechterhalten. Wir wollen mit unserer Initiative vorrangig die kleinen Familienbetriebe stärken, die im Konkurrenzkampf mit großen Supermärkten und Warenhäusern seit Jahren ins Hintertreffen geraten sind. Gerade diese kleinen Betriebe, die sogenannten Tante-EmmaLäden, hätten dann eine echte Chance, wenn sie außerhalb der jetzigen Ladenöffnungszeiten den tatsächlichen Bedarf der Verbraucher decken könnten. Wir wollen den kleinen Betrieben das wirtschaftliche Überleben ermöglichen, insbesondere auch den Spätverkaufsstellen in den neuen Bundesländern und im ehemaligen Ostteil Berlins, die sich bewährt haben. Ich selbst komme aus dem Ostteil der Stadt und habe diese Einrichtungen immer geschätzt - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Müller; Sie haben sie wahrscheinlich nicht schätzen gelernt. Wir wollen mit der Stärkung gerade der kleinen Familienbetriebe einer weiteren Konzentration des Handels auf wenige Regionen - draußen auf der grünen Wiese und mitten in den innenstädtischen Bummelzonen - entgegenwirken. ({1}) - Lesen Sie sich den Antrag einfach mal durch! Wir sichern damit das wirtschaftliche Überleben der kleinen Betriebe und somit auch die Arbeitsplätze. ({2}) - Es geht nicht um den „Konsum", sondern um die Einrichtung der Spätverkaufsstellen. Von einer Wettbewerbsverzerrung durch Privilegierung der Familienbetriebe allein auf Grund der verlängerten Öffnungszeiten kann dabei eindeutig nicht gesprochen werden. Die kleinen Betriebe können ihre Existenz häufig nur dadurch sichern, daß sie Nischen ausfüllen, die von Großbetrieben wegen zu geringer Gewinnerwartung nicht beachtet werden. Mit unserer Gesetzesinitiative wollen wir ganz bewußt eine solche Nische schaffen. Berlin hat bereits 1993 die Bundesratsinitiative gestartet - damals also nicht zu spät -, die Grundlage des nunmehr vorliegenden Bundesratsentwurfes ist. Ich möchte vielleicht an dieser Stelle noch auf einige Ungereimtheiten im Entwurf der Bundesregierung aufmerksam machen. Ich weiß nicht, ob gewollt oder ungewollt der Verkauf von Tageszeitungen an den jeweils ersten Tagen der christlichen Feiertage Weihnachten, Ostern und Pfingsten nicht mehr gestattet werden soll. In Berlin erscheinen diese Zeitungen gerade an den ersten Feiertagen in einer sehr hohen Auflage. Ich glaube, es würde auf Unverständnis bei der Bevölkerung stoßen, wenn man diesen Verkauf verbieten würde. Weiterhin bleibt unverständlich, warum Verkaufsstellenarten mit gleichem Sortiment unterschiedliche Regelungen erfahren sollten - Stichwort hier nur: Zeitungskioske und Zeitungsläden. Das erscheint aber alles noch behebbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes ist längst überfällig, allerdings - wie gesagt - mit flankierenden Maßnahmen zum Arbeitsschutz. Das alte Gesetz läßt die veränderten Lebensgewohnheiten der Verbraucher völlig außer acht. Es hemmt innovative Händler und verhindert die Schaffung von Arbeitsplätzen. Es gibt also viele gute Gründe, der jahrzehntelangen Debatte nunmehr Taten folgen zu lassen. Schließen Sie bitte in Ihr Hearing auch unsere Berliner Vorschläge mit ein! Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne wohnt dieser Plenarsitzung der Vorsitzende des Finanzausschusses des australischen Parlaments bei, der zugleich der älteste Abgeordnete im australischen Parlament ist und den klassisch englischen Namen Heini Becker trägt. Herzlich willkommen! ({0}) Das Wort hat die Kollegin Ulrike Mascher, SPD.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist heute bei dieser Diskussion zum Ladenschlußgesetz wieder aufgefallen, daß diese Diskussion sehr stark von Wünschen geprägt ist, die mit den Realitäten wenig zu tun haben. Auch die Rede der Kollegin Hübner aus Berlin hat es wieder gezeigt: Sie wünscht sich flankierende Maßnahmen zum Arbeitsschutz, und sie wünscht sich Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten. Ich frage Sie dann: Wo bleibt denn das Gesetz gegen den Mißbrauch der geringfügigen Beschäftigung, das von der Frauen-Union, von Frau Professor Süssmuth, und jetzt auch von Ihnen immer wieder gefordert wird? ({0}) Wenn ich mir die in dieser Debatte vorgebrachten Wünsche so anhöre, dann stelle ich fest, daß da einmal der Wunsch nach Übertragung des Urlaubsgefühls aus südlichen Ländern in den Beton unserer Innenstädte besteht. Da ist der Wunsch nach dem Erlebniskauf, nach der Gelegenheit zum Stadtbummel ohne Einkaufswunsch, aber mit anschließendem Besuch in einem Cafe, Bistro oder Kino sowie nach dem Glas Prosecco und dem Saxophonspieler in der Einkaufspassage - alles wunderschön. ({1}) Da ist der Wunsch der innovativen Zeitpioniere - diesen Begriff habe ich im Ifo-Gutachten gefunden - nach möglichst langen Öffnungszeiten. Sie wollen mehr Freiheit bei ihrer Zeitdisposition, mehr Wahlmöglichkeit. Interessant ist, daß Männer häufiger als Frauen die längeren Öffnungszeiten fordern. Offenbar gibt es ein dringendes Bedürfnis, Lebensmittelkäufe, Besorgungen beim Schuhmacher und in der Wäscherei endlich auch durch die Männer zu erledigen. ({2}) Das finde ich sehr interessant. Vielleicht sollte man das einmal auch diskutieren. Die Wünsche oder optimistischen Erwartungsweisen finden wir auch auf der Seite der Regierung, die - gestützt auf ein Gutachten, das von ihr in Auftrag gegeben wurde - 50 000 bis 55 000 neue Arbeitsplätze erwartet. Was sind das für Arbeitsplätze? Ich zitiere aus diesem „regierungsamtlichen" Gutachten: Drei Viertel des - ({3}) - Ich zitiere nur, was für Arbeitsplätze das sind. Drei Viertel des zusätzlichen Personalbedarfs dürften durch Teilzeitarbeitskräfte, insbesondere geringfügig Beschäftigte gedeckt werden. ({4}) Und kühn wird von einem Umsatzplus von 2 bis 3 Prozent fabuliert, weil angeblich 20 Prozent der Verbraucher bei längeren Öffnungszeiten bereit sind, mehr Geld für dieses - ich zitiere - „Element eines neuen Lebensstils" auszugeben. Ich überlasse es Ihnen, diese phantasievolle Prognose zu bewerten. ({5}) Was sind aber die Realitäten? Die Umsätze im Einzelhandel sind seit 1991 rückläufig. Ursachen sind eine Verlagerung des privaten Verbrauchs weg vom Angebot des Einzelhandels hin zu Freizeitaktivitäten und Urlaubsreisen, Ursachen sind Mietsteigerungen, steigende Verschuldung von privaten Haushalten, Zunahme von Arbeitslosigkeit oder drohende Arbeitslosigkeit. Die Kürzungspolitik bei den Sozialleistungen hat die Kaufkraft reduziert, und sie wird sie weiter reduzieren. Umsatzzuwächse im Einzelhandel finden nur noch auf Kosten von Konkurrenten statt. Es gibt inzwischen einen kannibalischen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Organisationsformen im Handel. Die Gewinner dieses Existenzkampfes im Einzelhandel sind die Verbrauchermärkte, die Selbstbedienungswarenhäuser, die Baumärkte auf der grünen Wiese, während die traditionellen Warenhäuser in den Innenstädten, die mittelständischen Fachgeschäfte und die wohnortnahen kleinen Einzelhandelsgeschäfte verloren haben. Zur Illustration dieses Konzentrationsprozesses nur eine Zahl: Die ersten 10 der 200 größten Unternehmen beziehungsweise Konzerne konnten 1994 ihren Umsatzanteil von 67,1 Prozent auf 78 Prozent erhöhen, und wenn wir uns die 50 größten Unternehmen im Lebensmittelhandel anschauen, dann stellen wir fest, daß sie inzwischen 97 Prozent des Umsatzes verbuchen. Dieser Konzentrationsprozeß droht noch erheblich an Dynamik zu gewinnen, wenn er durch die Veränderung der Ladenöffnungszeiten weiter angeheizt wird. Denn der lange Donnerstag zeigt doch, welche Geschäfte davon profitieren: die flächenintensiven Märkte auf der grünen Wiese, die Kaufhäuser und die Kettenläden in den 1-a-Lagen in der City. Für andere lohnt sich die längere Öffnungszeit nicht. ({6}) Ich zitiere in diesem Zusammenhang einen Einzelhändler: „Die Beleuchtung während der Donnerstagabendöffnung kostet mehr, als an Umsatz hereinkommt. " ({7}) Warum nutzen denn bereits heute die kleinen Fachgeschäfte, die wohnortnahen Geschäfte für den täglichen Bedarf die geltenden Öffnungszeiten nur teilweise? Am Samstag ist ab 12 Uhr Schluß, spätestens ab 12.30 Uhr, kein langer Donnerstag, häufig ab 18 Uhr geschlossen - weil es sich nicht mehr lohnt. Alles Gesundbeten, daß die längeren Ladenöffnungszeiten gerade die mittelständischen und die kleinen Familienbetriebe stützen, ihnen eine Nische schaffen, wie es Frau Hübner genannt hat, wird durch keine Tatsache und durch keine Erfahrung gestützt. ({8}) Was das für die 3 Millionen Beschäftigten - und zu zwei Dritteln sind das Frauen - bedeutet, möchte ich noch kurz ansprechen: mehr Teilzeit - heute bereits 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze -, mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse - heute bereits eine halbe Million bei insgesamt 3 Millionen Beschäftigten -, weniger Sicherheit auf dem späten Heimweg. Schon heute belasten die ungünstigen Arbeitszeiten während der 60 Stunden langen Betriebsöffnungszeiten die Beschäftigten und ihre Familien. Herr Blüm, wir brauchen keinen Berater für Öffnungszeiten, aber wir brauchen inzwischen eine ausgefeilte Zeitplanung für die Beschäftigten im Einzelhandel für ein bißchen Familienleben; und diese Notwendigkeit wird dramatisch zunehmen. ({9}) Die Arbeit im Handel - das ist Ihnen vielleicht nicht bekannt - ist auch körperliche Schwerarbeit; das ist nicht nur „ein bißchen herumstehen und bedienen" . Es ist körperliche Schwerarbeit. Eine Kassiererin bewegt in einer Stunde 250 Kilogramm Waren - vielleicht stellen Sie sich das einmal plastisch vor -, und das alles bei einem Einkommen, von dem nur bescheiden gelebt werden kann. In NordrheinWestfalen beträgt das Einkommen einer Vollzeitverkäuferin nach der Ausbildung und vier bis fünf Berufsjahren 3 173 DM brutto. Übrigens - falls diese Verkäuferin 45 Jahre lang Vollzeit gearbeitet haben sollte, bekäme sie eine Rente von zirka 1 500 DM. Typischerweise werden viele Verkäuferinnen aber auch Jahre in Teilzeitarbeit verbracht haben, und dann erhalten sie Renten von 1 200 DM oder weniger. Wenn wir diese Realitäten im Einzelhandel zur Kenntnis nehmen, dann verstehe zumindest ich sehr gut, warum 50 000 Frauen und Männer am 28. April nach Bonn zu einer großen Demonstration gegen eine Änderung des Ladenschlußgesetzes gekommen sind. Hier im Parlament gibt es aber auch eine andere Einschätzung dieser Demonstration. Ich habe mich sehr gewundert, als ich gelesen habe, daß Graf Lambsdorff diese Demonstration so beurteilt hat - ich zitiere -: Wer im klimatisierten Reisebus auf Kosten einer fast zahlungsunfähigen Gewerkschaft einen Sonntagsausflug in die Bonner Rheinaue unternimmt und gegen den Ladenschluß bei Sonnenschein polemisiert, sollte sich fragen, wo er seinen Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung sieht. ({10}) Ich kann nur sagen: Diese Abwertung einer großen demokratischen Meinungsäußerung von 50 000 Menschen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, und auch dieses Vergnügen auf seiten der F.D.P. empfinde ich als vordemokratisch, zynisch und feudal. ({11}) Angesichts des Konzentrationsprozesses, den ich nur andeutungsweise schildern konnte, angesichts des Umsatzrückgangs, angesichts des Rückgangs der Kaufkraft - die Vorsitzende der Gewerkschaft HBV hat auf der Demonstration in der Bonner Rheinaue gesagt: Wir brauchen nicht mehr Zeit zum Einkaufen; wir brauchen mehr Geld zum Einkaufen -, ({12}) angesichts der Zufriedenheit der Verbraucher mit den geltenden Ladenöffnungszeiten - das finden Sie auch in Ihrem fabelhaften Ifo-Gutachten - und angesichts der Arbeitssituation in der Frauenbranche Einzelhandel spricht eine ganz nüchterne Abwägung der Fakten gegen eine Veränderung der Öffnungszeiten. Ich bin sicher, daß dies auch trotz der knappen Zeit für die Anhörung dort noch einmal bestätigt wird. Ich denke, wir sollten bei den bisherigen Ladenöffnungszeiten bleiben. Die „Zeitpioniere" müssen ihren Pioniergeist eben weiterhin auf den langen Donnerstag konzentrieren. Danke. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion. ({0})

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) Ich hoffe sehr, daß der Gast aus Australien nicht mitbekommen hat, wie die Diskussion über die Frage, wo und wann die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes einkaufen dürfen, im Deutschen Bundestag geführt wird. ({1}) Wenn er das alles wertete, bekäme er vielleicht ein wenig den Eindruck, daß wir uns hier im Parlament in einem absurden Theater befinden. Der Ladenschluß ist zu einem Symbolthema geworden; das hat der Wirtschaftsminister richtig gesagt. Unsere Entscheidung wird heute auch als Zeichen dafür gewertet, ob wir bereit sind, auf neue Entwicklungen zu reagieren. Deswegen sage ich für die F.D.P., daß wir nach den unzähligen vergeblichen Versuchen, die wir unternommen haben, hier endlich eine Veränderung durchzusetzen, diesen Vorstoß begrüßen. Wir sehen, daß wir es schaffen können, endlich zu einer Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes zu kommen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich darf das Thema vielleicht ein bißchen aus Ihrem Blickwinkel wegrükken und mich einmal an die wenden, um die es bei den Ladenöffnungszeiten auch geht, nämlich um die Kunden, um die Verbraucher und Verbraucherinnen, die Bürger und Bürgerinnen. ({3}) Wie sieht es in Deutschland aus? Wenn Arbeitnehmer von der Nachtschicht kommen, sind die Läden geschlossen. Wenn sie zur Spätschicht gehen, sind die Läden geschlossen. Wenn die Mütter ihre Kinder früh in die Schule bringen, können sie anschließend nicht in der Stadt einkaufen; denn die Läden sind geschlossen. Wenn Angestellte nach 17 Uhr aus dem Büro kommen, bleibt ihnen oft ein Countdown von 60 Minuten, um ihre Einkäufe zu erledigen. ({4}) Wenn am Samstag die Familie einkaufen will, stellt sie fest, daß gerade bei den Gütern, deren Kauf mehr an Abwägung, mehr an Vergleich und vielleicht auch Nachdenken erfordert, die Beratung durch den Fachhandel wegen Überlastung zu wünschen übrigläßt. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Babel, gestatten Sie zwei Zwischenfragen?

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident, ich möchte fortfahren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Beide nicht? - Gut.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das alles kann man hinnehmen; in das alles kann man sich auch fügen. Man kann dem aber auch entfliehen, meine Damen und Herren. Es gibt Einkaufsmöglichkeiten in Flughäfen, in Bahnhöfen, in Tankstellen, bei den Versandhäusern, im Ausland und auch durch Teleshopping. 168 Stunden in der Woche können Sie da einkaufen. ({0}) Hier, meine Damen und Herren, sind die Steigerungsraten des Handels wirklich traumhaft. Da wir in einer Gesellschaft leben, die Dienstleistungen braucht - und Handel ist Dienstleistung! -, kann es doch nicht so sein, daß wir das alles nicht zur Kenntnis nehmen. ({1}) In einer sich wandelnden Gesellschaft, in der Männer und Frauen arbeiten gehen - darüber sind wir uns doch einig - und in der wir ein größeres Zeitkontingent für Arbeit benötigen, auch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen, müßten sich doch die Dienstleistungen den Bürgern anpassen. ({2}) Oder wollen wir, daß sich die Bürger im Zeitkorsett des Ladenschlusses bewegen? ({3}) Im Kern geht es um diese Frage und darum, ob der Staat dies vorschreiben und den Zwang auch gegenüber denjenigen Einzelhändlern aufrechterhalten soll, die auf Grund ihrer Kenntnis der Strukturen, auf Grund der Kenntnis ihrer Kunden eine solche Änderung, eine Flexibilisierung wollen. Ich meine, die Öffnungszeiten müssen flexibler werden. Mir wäre es am liebsten, wenn jeder Ladeninhaber dies selbst entscheiden könnte. ({4}) Nun haben wir bescheidene Verbesserungen. An Wochentagen soll bis 20 Uhr, an Samstagen bis 16 Uhr geöffnet werden. ({5}) Der große Sprung in die Freiheit ist das nicht, aber es wäre ein vertretbarer Kompromiß. Wir müssen ja auch zugeben, daß wir mit einer Volkspartei hier vorsichtig und psychologisch einfühlsam umgehen wollen und müssen. ({6}) - Ja, Herr Kollege Hinsken, wenn ich das noch einmal sagen darf: Sie sind für alle da, Sie sind eine große Volkspartei. Daher sollten Sie auch auf die Wünsche der Bürger hören. Wir haben heute im ZDF die Umfrageergebnisse gehört. Ein Viertel der Befragten ist für die Beibehaltung der jetzigen Regelung, ein Viertel ist für die 20-Uhr-Regelung, und über die Hälfte der befragten Bürger sagt: Macht die Läden doch die ganze Nacht auf! Ich gebe zu, Frau Mascher, daß wir das unter „Wünsche" abbuchen, aber immerhin ist dieser Wunsch für eine Volkspartei doch auch nicht ganz unerheblich. ({7}) Aus dem Einzelhandel hören wir nun bange Stimmen. Man befürchtet eine Verdrängung der Geschäfte in den Randlagen der Städte und Verluste in kleinen Gemeinden in der Nähe großer Städte. Ich will auch nicht behaupten, daß diese Sorgen unberechtigt sind. Es wird Verlierer geben, es wird Gewinner geben. Aber, meine Damen und Herren, ohne Änderung wird es auf Dauer mehr Verlierer geben. ({8}) Denn die Alternativen, die ich schon aufgezählt habe, machen dem Handel heute schon zu schaffen. Es gilt, Kunden zurückzugewinnen, und auch dazu dient ein liberaleres Ladenschlußgesetz. Ich darf Ihnen noch einmal sagen, daß Chancen des Handels in Deutschland vor allem darin liegen, daß die Beteiligten die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden erfassen und daß den Kunden das Einkaufen Spaß macht. In einer Wohlstandsgesellschaft, in der wir trotz aller Sparmaßnahmen und allen Wehklagens immer noch leben, ist Einkaufen heute weniger diese mühselige Nahrungssuche oder die Gebrauchsgütersuche, sondern es ist Kommunikation und Lebensfreude. ({9}) Auf diese Einstellung soll der Handel reagieren. Ich hoffe, daß es uns gelingt, heute dieses Signal der Reformbereitschaft zu setzen. Ich bedanke mich. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, daß alle, die hier sitzen, sich schon mehr als einmal darüber geärgert haben, daß die Läden schon zu waren, aber trotzdem kein Brot, kein Kaffee, kein Wein, kein Bier mehr da war. ({0}) Genau diesen Ärger und - das hat Frau Mascher schon gesagt - die Sehnsucht nach den lauen Sommerabenden des Südens will die F.D.P. mobilisieren, um die Ladenöffnungszeiten zu verlängern. Aber leider ist nicht alle Tage Urlaub, und das werden Sie nicht dadurch ändern, daß Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern das Blaue vom Himmel herunter versprechen. ({1}) Das nimmt Ihnen ja auch nur ein ganz kleiner Teil ab. Die anderen - das zeigen alle Erhebungen - sind mit den jetzigen Öffnungszeiten vollauf zufrieden. ({2}) Den Preis für diese Deregulierung des Ladenschlusses, der nur der Profilierung der F.D.P. dient, werden die Beschäftigten, die Verbraucher und die Kleinen in der Branche bezahlen. ({3}) Denn was sind die Folgen für die Verbraucher? Wenn die Läden abends länger offen bleiben, lohnt sich das bestenfalls in der 1-a-Lage in der Innenstadt, mit Sicherheit aber für die Supermärkte auf der grünen Wiese. Die haben wenig Personal und können länger öffnen. Das steigert ihren Umsatz, ohne sie viel zu kosten. Damit wird Umsatz verlagert; denn kein Mensch hat auch nur eine Mark mehr in der Tasche, nur weil die Läden länger aufhaben, und wegen der Sozialdemontage dieser Regierung in der nächsten Zeit sogar noch einige Mark weniger. ({4}) Mehr Umsatzvolumen insgesamt wird es also nicht geben, sondern der Umsatz wird sich verlagern. ({5}) Verlieren werden dabei die Fachgeschäfte und die dezentralen Läden in den Stadtteilen, von denen noch mehr zur Schließung gezwungen sein werden. Das will der Einzelhandel nicht, und das zeigen auch klar die Erfahrungen mit dem langen Donnerstag, an dem sich - das ist heute schon mehrfach gesagt worden - nur noch 16 Prozent der Betriebe beteiligen. Für die Verbraucher und Verbraucherinnen werden die Wege länger, und - das muß ich Frau Babel und Herrn Rexrodt sagen - ich hätte gern die Freiheit, auch um die Ecke einzukaufen, und ich hätte gern die Freiheit, im Geschäft vernünftig beraten zu werden. ({6}) Mit der Veränderung der Ladenöffnungszeiten ist völlig klar, daß die Qualität der Dienstleistungen, die Herr Hintze und andere einklagen, schlechter wird, nicht besser; denn statt fachlich qualifiziert beraten zu werden, werden Sie noch mehr als bisher durch endlose Regalreihen irren und die Streichhölzer suchen. ({7}) Damit komme ich zu den Folgen für die Beschäftigten, und das sind im Handel bekanntlich zu 70 Prozent Frauen. Diese Auswirkungen sind schlicht katastrophal. Qualifizierte Arbeitsplätze in den kleinen und mittleren Fachgeschäften werden abgebaut, in den großen Supermärkten werden die zusätzlichen Zeiten mit 590er Jobs überbrückt werden. Genau diese völlig ungesicherten Arbeitsverhältnisse ohne Sozialversicherung und mit schlechtem Kündigungssschutz sind ganz wesentlich Frauenarbeitsplätze. Im Handel haben diese Minijobs jetzt schon irrsinnige Ausmaße angenommen, und hier muß die Bundesregierung handeln. Wir müssen ungeschützte Beschäftigung endlich abschaffen und sie nicht noch ausweiten. ({8}) Die Arbeit bis tief in den Abend verschärft die Tendenz zum Ausschluß der Beschäftigten aus dem gesellschaftlichen Leben; denn wie soll bitte der Kinobesuch überhaupt noch realisiert werden? Die Familienzeit nimmt ab, Beruf und Kindererziehung sind kaum mehr zu vereinbaren. Oder wollen Sie die Kitas künftig bis 20 Uhr öffnen? Das halte ich doch nach den bisherigen Erfahrungen eher für unwahrscheinlich. Es bleibt den Beschäftigten weniger Zeit für sich selbst, für soziale, kulturelle und politische Aktivitäten. Eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten schadet den Beschäftigten, sie schadet den Verbraucherinnen und Verbrauchern, und sie schadet dem Mittelstand, denn Sie beschleunigen damit den jetzt schon rasanten Konzentrationsprozeß im Handel. ({9}) Über die Ladenöffnungszeiten kann man die Kleinen der Branche nicht unterstützen. Auch Vorschläge, nur den Läden mit bis zu fünf Beschäftigten längere Öffnungszeiten zu erlauben, laufen in die Konzentrationsfalle und werden deshalb von den Betroffenen abgelehnt. ({10}) Die Großkonzerne im Handel, das wissen wir alle, sind ausgesprochen flexibel, wenn es um ihren Vorteil geht, und genau die Großen werden als erste zu den Geschäften mit bis zu fünf Beschäftigten gehören. ({11}) Die haben nämlich die Franchise-Konzepte jetzt schon in der Schublade, die Planungen für die sogenannten Kioskketten. ({12}) Und wir wissen doch, kaum noch ein Kaufhaus ist ein einziges Geschäft: „Shop in the shop" heißt das Stichwort, und damit formal selbständig ist ja nicht nur Mr. Minit, sondern auch die Käsetheke und der Schmuckstand. Wenn Sie diese Ladenöffnungszeiten so erweitern, dann fördern Sie massiv Scheinselbständigkeit. Was ist, bitte, selbständig an einem Betrieb, der per Vertrag zum ausschließlichen Einkauf bei einem Konzern gezwungen ist, die jeweiligen Regalmeter für die Produkte vorgegeben bekommt, festhängt in Controlling und Werbekampagnen des Konzerns ohne Alternative? All diese Läden würden dann als Kleinbetriebe öffnen können, und damit läuft der Konzentrationsprozeß zugunsten der Großen ungehemmt weiter. Wenn man die Kleinen in der Branche unterstützen will - und das ist ganz dringend nötig -, dann ist die regionale Strukturpolitik gefordert, die kommunale Gewerbeansiedlung, die Änderung des Kartellrechts, vor der sich Herr Rexrodt vorhin wieder gedrückt hat, die effektive Unterbindung von Scheinselbständigkeit. Und ganz klar ist: Hände weg vom Ladenschluß! ({13}) Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück! Er schadet dem Mittelstand, den Verbrauchern und den Beschäftigten. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Anke Eymer, CDU/CSU.

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Warum, frage ich mich, müssen eigentlich die Ladenöffnungszeiten gesetzlich geregelt werden? Wir beklagen ständig die Gesetzes- und Verordnungswut des Staates und fordern weniger Regelungen. Wir fordern die Flexibilisierung in allen Bereichen. Dort, wo wir die Chance hätten und haben, sollten wir sie auch nutzen. ({0}) Für mich sind die Ladenöffnungszeiten ein Bereich, aus dem sich der Staat heraushalten sollte. ({1}) Ich persönlich bin für die Freigabe der Ladenöffnungszeiten und damit für die Abschaffung der Ladenschlußzeiten. Deshalb ist für mich der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ein Kompromiß am unteren Level. ({2}) Die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten gehört zum Ausbau des Dienstleistungsstandortes Deutschland. Wir sind in Deutschland in diesem Bereich ein echtes Entwicklungsland. Jeder, der einmal im Ausland war, weiß das. Ändern muß sich in unserem Land aber auch die Einstellung zu Dienstleistungen. Kein Mensch, der Dienstleistungen erbringt, verliert an Würde. ({3}) Es sieht aber manchmal so aus, als ob dies einige Beschäftigte im Dienstleistungsbereich so empfinden. Als Kunde hat man gelegentlich den Eindruck, daß man dankbar sein muß, wenn man sein Geld abgeben darf. So mancher im Verkauf empfindet die Tätigkeit offensichtlich als unter seiner Würde. Aber es ist nun einmal so, daß nicht jeder Direktor zum Beispiel eines Kaufhauses sein kann. Wir brauchen nicht nur die Häuptlinge, sondern auch die Indianer. Wenn von Gewerkschaftsseite immer wieder vorgetragen wird, daß sich die Arbeitsbelastung der Arbeitnehmer im Einzelhandel durch die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten erhöht, so kann dies nicht einfach im Raum stehenbleiben. Es wird nämlich kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin durch eine Veränderung der Ladenöffnungszeiten eine Stunde mehr arbeiten müssen, als dies tariflich vereinbart ist. ({4}) Allerdings wird sich die Arbeitszeit flexibler gestalten müssen. Dies ist heute in der Debatte auch schon angesprochen worden. Ich nenne noch einmal die Bereiche, in denen es eine flexible Arbeitszeit gibt: Kliniken und Krankenhäuser, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Restaurants, Kneipen, Hotels, Pensionen, ({5}) Theater und Kinos, öffentlicher Personennah- und - fernverkehr, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Telefonauskunftsdienst, Sonntagszeitung, Pannenhilfen. Das sind nur einige Beispiele; diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. ({6}) Nun zu dem Bedenken des Einzelhandels, die Kosten würden erhöht, und dadurch stiegen die Preise. Ich meine, daß sich durch längere Ladenöffnungszeiten auch die Umsätze erhöhen. Auch das klang heute hier schon an. Jeder von uns, der schon einmal in Urlaub war, weiß, daß man dann gerne einkauft, weil man einfach mehr Zeit hat. Wer jedoch - auch Sie, Frau Dr. Babel, erwähnten das - nur noch eine halbe Stunde Zeit zum Einkaufen hat, der hetzt in ein Geschäft und findet überhaupt keinen Genuß am Konsum. Auch der Genuß spielt eine große Rolle. ({7}) Daß sich durch längere Öffnungszeiten die Umsätze steigern lassen, wissen wir von Beispielen aus Ferienorten und Bädern. Ich möchte auch etwas ansprechen, was heute hier noch nicht erwähnt wurde und was die Argumentation hinsichtlich der Kosten des Einzelhandels betrifft. Es ist bekannt, welche Schäden durch Diebstahl sowohl von Kunden- als auch von Personalseite entstehen können. Da gilt es, auch diesen Punkt einmal zu überdenken und für mehr Sicherheit zu sorgen. ({8}) Man muß auch betonen, daß keiner gezwungen ist, seinen Laden länger zu öffnen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barthel?

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es sind heute so viele Zwischenfragen gestellt worden, daß ich meine, daß der Bedarf daran gedeckt ist. Es ist unnötig, die Debattenzeit zu verlängern. ({1}) Ich sagte soeben: Keiner ist gezwungen, sein Geschäft länger zu öffnen. Er kann es freiwillig tun. Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten bedeutet die Schaffung mehrerer und weiterer Möglichkeiten. Die Möglichkeit, Arbeitszeit anders einzuteilen, eröffnet natürlich auch Chancen, zum Beispiel für Teilzeitarbeit. Ich weiß, daß viele Frauen auch und gerade in der Familienphase das verfügbare Einkommen gerne aufbessern würden. Eine stundenweise Beschäftigung in diesem Dienstleistungsbereich wäre hierzu eine Möglichkeit. Sie wissen, schon 1972 wurde in Schweden, dem ehemals sozialistischen Musterländle, das Ladenschlußgesetz abgeschafft. Ein Blick nach Schweden zeigt, daß durch die Abschaffung des Ladenschlußgesetzes eine große Anzahl von Teilarbeitsplätzen für Frauen entstanden sind. Es war nämlich möglich, die Abend- und Sonntagsbelegschaften auf freiwilliger Basis zu besetzen. Die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten ist auch aus Wettbewerbsgründen dringend erforderlich. Heute war im Pressespiegel und in den Zeitungen zu lesen, daß die Niederlande ihre Ladenöffnungszeiten lockern. Ab Juni dürfen dort alle Läden von montags bis sonnabends zwischen 6 und 22 Uhr - 22 Uhr! - geöffnet sein. ({2}) Was dies für Einzelhändler im Grenzbereich bedeutet, liegt auf der Hand. Daß der Bedarf vorhanden ist - ich möchte das nicht wiederholen; es ist schon gesagt worden -, wird auch in den Spätverkaufsstellen der neuen Bundesländer deutlich. Ebenso hat man an Tankstellen, Flughäfen und Bahnhöfen Möglichkeiten einzukaufen. Lassen Sie mich abschließend nur noch kurz darauf hinweisen, daß flexible Ladenöffnungszeiten ein Vorteil gerade auch für berufstätige Frauen sind. Das ist zwar schon einmal gesagt worden; man kann es aber gar nicht oft genug wiederholen. ({3}) Frauen müssen nach der Arbeit nicht mehr zum Einkaufen hetzen. Das trägt natürlich zum Abbau auch des Alltagsstresses und damit der Doppelbelastung der Frauen bei. Ich weiß, heute ist die Einbringung. Das Thema Ladenöffnungszeiten hat viele Facetten. Diese Debatte zeigt dies, und auch in der Anhörung wird das deutlich werden. Wir sollten in den kommenden Wochen in den Ausschüssen sorgfältig diskutieren, um zu einer Lösung zu kommen, die möglichst alle mittragen können. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Lilo Blunck, SPD-Fraktion.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal erinnert mich die Debatte an meine Kindergartenzeiten. Auch dort war das so: Die Kinder haben immer darauf hingewiesen, daß der andere schon etwas gemacht habe, und deswegen müsse man es ebenfalls machen. Weil die Situation bei Krankenschwestern so schlecht ist, muß es den Verkäuferinnen ebenfalls so schlecht gehen. Dann wird das zweite Argument genommen, daß nämlich durch das Fallen des Ladenschlußgesetzes der Standort genese. Das können Sie nicht im Ernst meinen. Auch können Sie nicht im Ernst meinen, daß der Arbeitsmarkt davon profitieren wird. ({0}) Dieser wirklich faule Kompromiß, den uns die Regierung heute zur ersten Beratung vorlegt, ist nicht nur für den Einzelhandel und die dort Beschäftigten inakzeptabel. Vielmehr wird auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern dabei ein Windei vorgelegt. ({1}) Nicht das Kauferlebnis oder das Flanieren in den belebten Fußgängerzonen der Ballungsgebiete darf bei unseren Beratungen im Vordergrund stehen. Auch darf unser Handeln nicht von der verzerrten Realitätswahrnehmung eines Bundeswirtschaftsministers Rexrodt bestimmt werden oder der beiden Edelyuppies aus der F.D.P.-Zentrale und aus dem Adenauerhaus. ({2}) Beide gehen in dieser Frage mitleidlos ihren eigenen Interessen nach. Beide tun auch noch so, als riefen sie in der Gemeinde zur Kollekte auf. Nicht allein die Interessen der im Einzelhandel Beschäftigten kommen dabei unter die Räder, nein auch die der Einzelhändler und nicht zuletzt die der Verbraucherinnen und Verbraucher. Frau Eymer hat gerade gesagt, daß die Wettbewerbssituation die Einzelhändler in den Grenzregionen dazu bringen würde, zu sagen: Um Gottes willen, laßt den Ladenschluß fallen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie haben einstimmig beschlossen, daß sie das Ladenschlußgesetz in der bisherigen Form bestehenlassen wollen - und das aus gutem Grund.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Blunck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Limbach?

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne. ({0})

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Blunck, ist Ihnen bekannt, daß sich die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und auch die Verbraucherinitiativen im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern dezidiert für eine Veränderung des Ladenschlußgesetzes ausgesprochen haben?

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Limbach, es ist immer gut, wenn man noch einmal eine Einzelabfrage macht. ({0}) - Lassen Sie mich doch antworten. Es gibt die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und es gibt die Verbraucherzentralen. Bei den Verbraucherzentralen ist ein großer Teil sehr wohl für das Bestehenbleiben des Ladenschlußgesetzes, so wie es ist, auch wenn es Ihnen nicht paßt. Das ist so. Manchmal hilft es - das hätte ich vielen von Ihnen auch empfohlen -, noch einmal nachzufragen, noch einmal im Ifo-Gutachten nachzulesen und nicht immer so zu tun, als wenn man eine Kristallkugel hätte und es daraus nähme. Also, Frau Limbach, es tut mir leid, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände sagt das, was Sie sagen. Die VerbrauLilo Blunck cherzentralen, die ja näher am Verbraucher, an den Bürgern und Bürgerinnen sind, sagen etwas anderes. ({1}) Unübersehbar ist bereits heute in unseren Städten, daß der Einzelhandel zunehmend von den großen Handelsketten bestimmt wird. Insbesondere größere und erst recht kleinere Fachgeschäfte gehen den Bach runter. Wo sind die wohngebietsnahen Geschäfte geblieben? Wo kann heute der alltägliche, ganz normale Einkauf ohne Pkw erledigt werden? Wo werden in unserer älter werdenden Gesellschaft die finanziell immer schlechter gestellten Rentnerinnen und Rentner ihre Einkäufe machen können? Wo werden wir als Kundinnen und Kunden künftig die nötige Fachberatung erhalten? Wenn Sie durch miese Arbeitszeiten die Arbeitsbedingungen und dadurch das Berufsbild verschlechtern, verschlechtern Sie damit natürlich auch den Beratungsservice. Herr Hintze, ich würde Ihnen dringend empfehlen: Lesen Sie einmal das, was Herr Kohl über den informierten Verbraucher gesagt hat! Es ist lesenswert. Besser hätte ich es auch nicht sagen können. Er geht davon aus, daß Verbraucher und Verbraucherinnen dringend informiert werden müssen, weil sie nicht auf allen Gebieten Fachleute sein können. Meine Damen und Herren, auch die heutigen Yuppies mit ihrem Kauferlebnis werden einmal älter. Dann wird vor dem heute angestrebten Kauferlebnis das Problem der Erreichbarkeit von Geschäften stehen. ({2}) Das ist wichtig, ganz wichtig. Sie sollten sich wirklich noch einmal das Ifo-Gutachten zu Gemüte führen. Längere Ladenöffnungszeiten bringen keine Mark mehr Umsatz in die Kassen. Sie führen lediglich zu einer zeitlichen und einer räumlichen Verlagerung des Umsatzes. ({3}) Den Menschen in dieser Republik fehlt es nicht an Zeit. Sie haben kein Geld zum Einkaufen und erst recht nicht zum Mehreinkaufen. ({4}) Es werden durch längere Ladenöffnungszeiten keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen. Wovon sollten sie auch bezahlt werden? Herr Rexrodt, ich hätte schrecklich gerne einmal, daß Sie ein einziges Mal für eine These, die Sie hier darstellen, den Beweis antreten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bisher ist es so, daß es sich nur um Spekulationen handelt. Den Beweis bleiben Sie schuldig.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die SPD die Stirn hatte, auch in dieser Stadt Plakatstände mit dem Inhalt „SPD steht für Innovation" aufzustellen?

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde, das steht uns gut an. Das ist völlig in Ordnung. ({0}) Ich komme noch dazu. Sie verwechseln offensichtlich etwas. Sie verstehen nicht, daß Flexibilität keinen Wert an sich darstellt. Vielmehr muß man immer fragen: ({1}) Wem nutzt die Flexibilität? Was hat man davon? Und: Was spricht dagegen? Ich finde, das sollten Sie machen. ({2}) Ich finde ebenfalls, Sie sollten sich fragen, ob Sie bei der Abschaffung des Ladenschlußgesetzes nicht ganz andere Überlegungen mit einbeziehen müssen. Zum Beispiel: Was machen Sie im Zusammenhang mit der effektiven Verwaltung, die Sie doch anstreben? Eine diesbezügliche Forderung trägt ja Herr Rexrodt wie ein Banner immer vor sich her. Was machen Sie mit der Gewerbeaufsicht? Was machen Sie mit der Lebensmittelkontrolle? ({3}) Was machen Sie in all diesen Bereichen? Was machen Sie in bezug auf den öffentlichen Personennahverkehr? Das sind alles Fragen, die Sie beantworten müssen. Ich finde - das tut mir schrecklich leid -, die SPD ist die einzige Partei, die so etwas schreiben darf. Sie dürften so etwas nicht auf die Plakate schreiben, weil es in bezug auf Sie nicht stimmt. ({4}) Die Frage nach der Innovation will ich Ihnen gern noch weiter beantworten. Was hielten Sie denn davon, wenn wir uns gemeinsam eine Grundgesetzänderung überlegten, durch die wir die Regionalparlamente in die Verantwortung nehmen könnten und ihnen die Entscheidung darüber überließen, wie die Ladenöffnungszeiten vor Ort aussehen sollen? Im bestehenden Ladenschlußgesetz ist allerdings zu lesen, daß nur die Beamten in diesem Bereich entscheiden dürfen. Dagegen bin ich. Ich frage weiter: Wie wäre es, wenn wir die Tankstellen und die Bahnhöfe, die jeder vor seiner Tür hat - Sie haben sicher genauso wie ich einen Bahnhof vor der Tür; selbstverständlich ist auch eine Tankstelle in Ihrer unmittelbaren Nähe, auch ein Flughafen; das ist völlig klar -, einer genaueren Bewertung unterziehen würden? Wir tun immer so, als ob das, was wir anführen, zum Beispiel eine Tankstelle in der Nähe, etwas Absolutes wäre. Lassen Sie uns doch einmal den Verkauf von Lebensmitteln an Tankstellen verbieten! Dabei hätte ich Sie gern an meiner Seite, weil in diesem Bereich die Belastung mit Schadstoffen viel zu groß ist. ({5}) - Ich bin dankbar für weitere Zwischenfragen. Kleine und mittlere Geschäfte können im Gegensatz zu Kaufhäusern, Verbrauchermärkten und Einkaufszentren Kostensteigerungen, die sich bei längeren Öffnungszeiten zwangsläufig ergeben, nicht auffangen. Das führt auch zu Preiserhöhungen oder zu vermehrtem Abbau von Fachpersonal und damit zu einer noch schlechteren Bedienung. Längere Öffnungszeiten verschlechtern die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Ich habe schon angeführt: staatliche Kontrolle und der Widerspruch zur effektiven Leistung. Diese offenen Fragen müssen Sie beantworten. Sie haben sie noch immer nicht beantwortet. Eine weitere Frage wäre: Wie sieht es mit der Sicherheit für die Kunden und das Verkaufspersonal bei einer Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten aus? Wie verhält es sich, wenn wir das Gesetz, das die Arbeitszeit in Bäckereien regelt, aufheben? Haben wir dann überhaupt noch Gelegenheit, uns das Ergebnis des handwerklichen Könnens, nämlich das Lebensmittel, schmecken zu lassen? ({6}) Wie sieht es in diesem Bereich mit einer gründlichen Beratung Ihrerseits aus? Sie schlagen uns immer etwas um die Ohren. Dann muß es bis zum Gehtnichtmehr durchgezogen werden, ohne jede gründliche Beratung. Das einzige, was Sie anführen, sind Träume, die Sie haben, die aber keinerlei Bezug zur Realität haben. ({7}) Das bestehende Ladenschlußgesetz ist ein wirklich bewährter Kompromiß ({8}) zwischen den Interessen der Verbraucher, denen der Beschäftigten und denen der Unternehmen. Dabei sollte es auch bleiben. Ich habe es schon gesagt: Flexibilität ist kein Wert an sich. Zu fragen ist dabei immer: Wem schadet sie? Wem nützt sie? Ich finde, in diesem Fall ist die Antwort wirklich eindeutig. ({9}) Was ärgerlich ist, ist der Zeitpunkt der Diskussion. Wir diskutieren über das Ladenschlußgesetz immer dann, wenn zuwenig Menschen zuviel Geld und zuwenig Zeit haben. Durch Ihre Politik ist es ja leider so gekommen, daß immer mehr Menschen über zuviel Zeit verfügen und zuwenig Geld haben, um einkaufen gehen zu können. Ihre Politik sorgt jeden Tag mehr dafür. Ich finde, das ist bedauerlich und das sollten Sie ändern. Sie sollten nicht Ihre Yuppie-Interessen durchsetzen, Herr Hintze. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Blick auf die Uhr zeigt, daß wir 17.50 Uhr haben. Nachdem ich gerade von meinem Freund und Kollegen Jochen Feilcke gehört habe, daß nur 16 Prozent der Geschäfte den langen Donnerstag zur Öffnung nutzen, möchte ich all diejenigen, die heute noch etwas besorgen möchten, bitten, sich gleich auf den Weg zu machen, nachher gibt es nichts mehr. ({0}) Der Kollege Louven hat darauf aufmerksam gemacht, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Frage die Anhörung, die bereits terminiert ist, abwarten wird. Wir werden eine endgültige Entscheidung in dieser Frage nach der Anhörung treffen. Im Gegensatz zu vielen, die heute hier bereits gesprochen haben, nehmen wir diese Anhörung ernst und werden uns anschließend entscheiden. ({1}) Gerade nach dem Beitrag der Kollegin Blunck scheint es mir notwendig zu sein, daß wir die Nabelschau beenden und uns vielleicht einen Blick des Auslands gefallen lassen, wie es die Bundesrepublik Deutschland in dieser, aber nicht nur in dieser Frage beurteilt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich würde gern den Einstieg im Zusammenhang bringen und anschließend der Kollegin Wolf für eine Zwischenfrage zur Verfügung stehen. Die „Newsweek" hat vor wenigen Wochen folgendes geschrieben: Wirtschaftswissenschaftler, die für Deutschland in einer Ausdehnung der Dienstleistungen eine Chance zur Senkung der Arbeitslosigkeit sehen, haben vermutlich noch nie versucht, dort, nämlich in Deutschland, am Wochenende einzukaufen. Und weiter: In Amerika diagnostiziert man als German disease eine tödliche Kombination aus überzahlten und unterbeschäftigten Arbeitnehmern, rigidem Arbeitsrecht, risikoscheuen Managern und übereifrigem Staat, der zu Tode besteuert und reguliert, was einst eine der kraftvollsten Volkswirtschaften auf der Welt war. ({0}) Sicher ist dieses Bild überzeichnet, aber es gilt auch für uns, daß wir solche Alarmsignale zur Kenntnis nehmen, ({1}) weil solche Signale eine Aussagekraft für die Attraktivität des Standortes Deutschland für ausländische Investoren haben. Wir diskutieren das Thema Ladenschluß in einer Zeit, in der wir uns Gedanken machen, wie wir die Arbeitslosigkeit abbauen können, mehr Arbeitsplätze schaffen können und den Standort Deutschland für die Zukunft sicherer machen können. Ziel des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung dieser Koalition ist es, Eigenverantwortung, Innovation und Kreativität sowie den Mut, neue Wege zu gehen, zu mobilisieren. Wir wollen das nicht zuletzt, um die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Sozialsystems - das wurde immer wieder von der linken Seite angemahnt - zu sichern. Der Grundgedanke dieses Programms muß jeden Politikbereich erfassen. Diesem Maßstab trägt, wie ich meine, der vorliegende Entwurf der Bundesregierung Rechnung. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Repnik, ich frage Sie noch einmal. Gestatten Sie jetzt Zwischenfragen?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich gern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es gibt inzwischen zwei, eine von der Kollegin Wolf und eine von der Kollegin Blunck.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von der Kollegin Wolf lasse ich mich besonders gern fragen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Damit sind beide Fragen zugelassen.

Margareta Wolf-Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002831, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich frage Sie nicht, was Sie von Innovationen halten, Herr Kollege. Das habe ich bereits gelernt. Sie haben gerade gesagt, Sie würden mit Hilfe des Gesetzentwurfes, der heute zur Beratung vorliegt, Eigenverantwortung und Flexibilität gestärkt sehen. Sind Sie nach der heute geführten Debatte nicht mit mir der Meinung, daß wesentliche Teile Ihrer Fraktion nicht einen Ausbau an Eigenverantwortung und Flexibilität fürchten, sondern vielmehr einen Rückgang an Eigenverantwortung - ich erinnere an den Beitrag von Herrn Hinsken - und Selbständigkeit und ein Zurückdrängen des klassischen, den Deutschen eigenen, kleinen Mittelstands aus den Wohngebieten, in denen noch Kommunikation stattfindet, zugunsten der großen Einzelhandelsunternehmen? Ich kann in dem Entwurf keine Flexibilität und Eigenverantwortung erkennen. ({0})

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie interpretieren den Kollegen Hinsken völlig falsch. Kollege Hinsken hat völlig zu Recht einen Teilaspekt herausgegriffen, indem er sagt: Wir müssen uns Gedanken auch darüber machen, was mit mittelständischen Familienbetrieben geschieht und ob sie nicht möglicherweise überfordert sind. Diese Frage wird mit Sicherheit im Rahmen der Anhörung eine Rolle spielen. Wir werden darauf Rücksicht nehmen und werden darauf eingehen. Machen Sie sich also keine Gedanken über die Sorgen des Kollegen Hinsken. ({0}) Ich habe vorhin, Frau Kollegin Wolf, auch deshalb gesagt, daß ich Ihrer Frage ganz besonders gern entgegensehe, weil ich Ausführungen von Ihnen im „Focus" mit großem Interesse zur Kenntnis genommen habe, die in einem gewissen Widerspruch - ({1}) - Ich würde gerne weiter antworten. Kollege Fischer, es geht um die Redezeit. ({2}) Ich bitte doch um etwas Kulanz. ({3}) - Ich bin ein ehrlicher Mensch, und ich stehe dazu. Im „Focus" stand kürzlich: Die grüne Abgeordnete Margareta Wolf ist sauer. Wieder einmal wird in Bonn ein symbolträchtiges Thema diskutiert, und ihre Partei verpaßt freiwillig die Chance mitzureden: ({4}) Beim Ladenschluß, so die Bleichlautende Beschwörungsformel der Bündnisgrünen, solle am besten alles so bleiben, wie es ist. „Nicht mehr zeitgemäß" - so wird ihnen in den Mund gelegt und „unzumutbar für den Verbraucher" sei das starre Korsett der Ladenschlußzeiten. Wer in der Debatte um den Standort Deutschland ernstgenommen werden wolle, müsse Alternativen vorschlagen. ({5}) Ich lade Sie herzlich ein, Frau Kollegin Wolf, mit uns gemeinsam diese Alternativen zu entwickeln. Wir haben eine entwickelt. Bringen Sie Ihre mit ein! Ich bin ganz sicher, wir werden auf einem guten Weg für den Verbraucher handeln. Meine Damen und Herren, der mit dem Gesetzentwurf vorgelegte Ansatz stimmt. Über die Ausgestaltung kann selbstverständlich geredet werden. Dieser Entwurf ist kein Diktat. Er öffnet Freiräume, deren intelligente Nutzung dem einzelnen freigestellt ist. Sicher ist die Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten - das weiß auch ich - bei der Verbesserung des Standorts Deutschland nicht das Kernthema, aber sie ist ein auch psychologisch wichtiger Mosaikstein der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. ({6}) Sie ist auch ein Prüfstein für die Reformfähigkeit unserer Gesellschaft. ({7}) Beispiele wie in der eingangs zitierten „Newsweek" zeigen, daß die starren Ladenöffnungszeiten auch im Ausland - ({8}) - Sehr geehrter Kollege Fischer, ich habe vorhin darauf hingewiesen: Wir behalten uns eine abschließende Beschlußfassung vor. ({9}) Wir nehmen in der Anhörung zusätzliche Argumente auf und werden dann entscheiden. Wir werden - da können Sie sicher sein - in dieser Koalition eine Mehrheit für eine Neuregelung des Ladenschlusses finden. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf eine Anmerkung, die Kollege Urbaniak ganz zu Beginn gemacht hat, eingehen. Max Weber hat einmal gesagt: Zu sozial ist unsozial. Ich glaube, gerade dieser Satz ist heute hochaktuell, werden doch schon die im Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung enthaltenen Lockerungen des Kündigungsschutzes oder bloße Appelle an die Tarifparteien zu moderaten Abschlüssen als Sozialabbau diffamiert. Unsozial ist aber nicht die intelligente Nutzung neuer oder in der Tarifpolitik vorhandener Spielräume. Unsozial - das gilt auch für den Bereich des Ladenschlusses - ist eine Politik, die Arbeitsplatzbesitzern ihre Arbeitsplätze sichert und zugleich Arbeitsplatzsuchenden den Zugang versperrt. Gelegentlich wird versucht - das haben wir heute gehört -, Lockerungen des Ladenschlußgesetzes zu einem Fetisch in der Diskussion um soziale Grundwerte unserer Gesellschaft zu machen. Sicher gilt es - jetzt bin ich wieder beim Kollegen Hinsken, aber auch bei Beiträgen, in denen es um die Arbeitnehmer geht -, soziale Härten bei mittelständischen Familienunternehmen auf der einen Seite und bei Verkäuferinnen und Verkäufern auf der anderen Seite zu vermeiden. In diesem Zusammenhang darf ich auf ein paar Zitate hinweisen, die mir heute auf den Tisch gekommen sind. Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, unser ehemaliger verehrter Kollege Hans Gottfried Bernrath, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung" - ich zitiere -, daß von längeren Einkaufszeiten auch die gastronomischen und kulturellen Einrichtungen profitieren würden. Zudem würden neue Arbeitsplätze geschaffen. Der von der Bundesregierung vorgesehene Ladenschluß um 20 Uhr werde von den Kommunen ausdrücklich begrüßt, sei aber nur eine Minimallösung. - Schließen Sie sich doch bitte den Erkenntnissen Ihres Parteikollegen an! ({11}) Ich frage mich, ob man den einzelnen wirklich in all seinen Lebensbereichen vor sich selber schützen muß, wie dies heute in den Beiträgen von der linken Seite deutlich geworden ist. Neigt der Mensch ohne Kontrolle durch den Staat zur Selbstausbeutung, wie dies vorher die eine oder andere Äußerung zu diesem Thema glauben machen wollte? ({12}) Begreifen wir doch das Mehr an Freiheit als Chance und nicht als Bedrohung! ({13}) Ich akzeptiere nicht, wenn hier der Eindruck erweckt wird, daß jeder gezwungen würde, die Öffnungszeit von 68,5 Stunden auszunutzen. Nein, der Mittelständler, der Einzelhändler hat seine Freiheit. Ich bin ganz sicher, daß er sie verantwortlich, auch im Sinne seines Geschäftes, nutzen wird. Alles in allem werden wir dieser Anhörung mit Spannung entgegensehen. Wir werden uns engagiert beteiligen, anschließend unsere Meinung bilden und als Koalition eine sozial ausgewogene, aber auch den Standorterfordernissen Deutschlands gerecht werdende Änderung der Ladenschlußzeiten beschließen. Herzlichen Dank. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 13/4245 und 13/201 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 und den Zusatzpunkt 5 auf: 5. Erste Beratung des von den Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, Christel Deichmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungs- und häftlingshilferechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 13/4162 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Verbesserung der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR - Drucksache 13/4568 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz, SPD.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute im Kern über den Gesetzentwurf der Sozialdemokraten zur Verbesserung von Rehabilitierungsleistungen für politisch Verfolgte. Ich sage gleich am Anfang: Ich bin nicht hierhergekommen, um in dieser Debatte eine scharfe polemische Rede zu halten. Ich bin vielmehr hierhergekommen, um eine Hand auszustrecken und um mich zu bemühen, interfraktionell eine Verbesserung gegenüber dem jetzigen Rechtszustand zu bewirken. Die Inhalte, die wir seit mehreren Jahren auf dem Tisch haben, machen das schwer. Sie sind eigentlich Anlaß, mit Polemik und Schärfe in diese Debatte zu gehen. Aber ich glaube, die politische Situation, in der wir stehen - auch angesichts des vorgerückten Alters der Betroffenen, um die es hier geht -, gebietet dies nicht. Angesichts der Tatsache, daß wir als Parlament immer noch über die Frage der Desertion in der Zeit vor 1945 reden, daß beispielsweise der Rechtsausschuß noch immer die Frage der Reform der Wiederaufnahme strafrechtlicher Verfahren berät und auch wir über viele Jahre diese Unrechtsfragen behandelt haben, frage ich mich schon, ob wir nicht vom Bundesjustizministerium eine aus einem Guß entstandene, systematisch und alle diese Bereiche umschließende Vorlage auf den Tisch bekommen müßten. Insofern besteht ein großes Defizit. Meine Damen und Herren, ich will daran erinnern, daß wir in der Frage politisch Verfolgter in der Zeit der SBZ und der DDR das letzte Mal 1990 gehandelt haben. Zu damaliger Zeit fanden Gespräche im Rechtsausschuß der freigewählten Volkskammer der DDR statt, bei denen sich alle Fraktionen bemüht haben, ein Rehabilitierungsgesetz zu verabschieden und es noch schnell in den Einigungsvertrag aufzunehmen. Dies ist - wir haben das alle noch in Erinnerung - in den Vertragsverhandlungen gescheitert. Die Umsetzung der Grundkonzeption, im damaligen Entwurf alle drei Bereiche - strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabilitierung - zu regeln, mußte letztendlich über viele Jahre verschoben werden. Im Deutschen Bundestag folgte eine Phase mehr oder weniger harter inhaltlicher Auseinandersetzungen. Ich habe noch einmal nachgesehen: Allein meine eigene Fraktion, die Sozialdemokraten, haben in den vergangenen Jahren zu diesen Fragen 13 parlamentarische Initiativen ins Parlament getragen: Große Anfragen, Kleine Anfragen, Änderungsanträge, Anträge und heute schließlich einen Gesetzentwurf. Dabei ist aus dem grundsätzlichen Defizit der damaligen Zeit das Mißverhältnis entstanden, das wir schon seit vielen Jahren kennen. Ich meine das Mißverhältnis in dem staatlichen Engagement des Bundes, mit dem sich die Bundesrepublik nach 1990 bemüht hat, auf der einen Seite Eigentumsschäden und auf der anderen Seite Freiheitsschäden, Schäden an Leib und Leben wiedergutzumachen. Ich erinnere daran, daß bis heute eigentlich noch keiner überschlagen kann, in welchem Volumen Eigentumsschäden durch die Grundsatzentscheidung Rückgabe vor Entschädigung in Form von Immobilien wiedergutgemacht worden sind. Ich erinnere an das 20-Milliarden-Projekt des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994, in dem die Entschädigungsberechtigten mit insgesamt 20 Milliarden DM bedacht worden sind. Und ich erinnere daran - der Vermittlungsausschuß berät heute über dieses Problem -, daß wir zum Thema Mauergrundstücke eine Novelle auf den Weg gebracht haben, mit der wir bereit sind, nach Schätzungen des Bundes in etwa ein bis zwei Milliarden DM - ganz genau kalkulieren läßt sich das sicherlich noch nicht - zu verausgaben. Die Schäden an Freiheit, Leib und Leben sind ausschließlich in den beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen geregelt. Die finanzielle Seite ist im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz geregelt; im Kern geht es um die Kapitalentschädigung. Damals wurden die Kosten dieser Regelung auf 1,5 Milliarden DM geschätzt. Wir wissen heute, daß davon noch nicht einmal 40 Prozent verausgabt worden sind. Während also auf der einen Seite die Wiedergutmachung von Freiheitsschäden, von Schäden an Leib und Leben im Umfang von insgesamt nicht einmal 700 Millionen DM bedacht worden ist, steht auf der anderen Seite die Wiedergutmachung von Eigentumsschäden in dreistelliger Milliardenhöhe, die seit 1990 im Wege der Gesetzgebungsmaschinerie geregelt worden ist. Ich glaube, daß dieses Mißverhältnis auch grundgesetzliche Maßstäbe tangiert; denn einen solchen Vorrang des Eigentums gegenüber der Freiheit kennt das Grundgesetz nicht - im Gegenteil. Wir werden heute genau wie damals - das läßt sich den Protokollen entnehmen - aus fiskalischen Gründen an unsere Grenzen stoßen. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten aus der damaligen Zeit, in denen angeführt wurde, es sei nicht genügend Geld da, um entsprechende Leistungen zu gewähren. Ich sage an dieser Stelle, daß es nicht nur eine Frage ist, welche dieser beiden betroffenen Gruppen die größere politische Lobby hat; das ist ein Thema für sich. Aus der heutigen Sicht gibt es gute Gründe, die fiskalische Seite anders zu betrachten, als das damals noch der Fall war. Herr Staatssekretär, ich erinnere jetzt an die Fragestunde, die wir gestern hier im Parlament hatten. Ich hatte Ihnen die Frage gestellt, wie es zu erklären sei, daß in einer Situation, in der bei den Antragszahlen das eingetreten ist, was wir erwartet hatten, die Zahl der ausgereichten Mittel für Kapitalentschädigungen so unterproportional geblieben ist. Sie haben mir geantwortet: ... ich kann auf Ihre Fragen hin bestätigen, daß der im Regierungsentwurf des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes angenommene Kostenrahmen von 1,55 Milliarden DM nach dem derzeitigen Stand deutlich unterschritten wird. Bis Ende Dezember 1995 sind - das war die Zahl, die Sie nannten 625 Millionen DM ... ausgezahlt worden. Das heißt also, obwohl 90 Prozent der Anträge tatsächlich bearbeitet sind, haben wir noch nicht einmal die Hälfte der damals, als das Gesetz verabschiedet worden ist, prognostizierten Mittel ausgereicht. Ich glaube, es ist in diese Debatte eine moralische Verpflichtung einzuführen, daß die Opfer wegen des Differenzbetrages von über 800 Millionen DM ganz anders berücksichtigt werden, als wir es damals sahen. Das, was wir als Novelle auf den Tisch gelegt haben, umfaßt nur einen Bruchteil des Volumens der 800 Millionen DM, die nicht verausgabt worden sind. Ich füge eine zweite Zahl ein. Es geht um die Punkte, die die Opferverbände seit vielen Jahren thematisieren: das Parteivermögen der SED und die Parteivermögen der ehemaligen Blockparteien. Ich erinnere an den Vergleich der unabhängigen Kommission zur Überprüfung dieses Vermögens vom Juli 1995. Damals wurde ein Vergleich zwischen der BvS, der unabhängigen Kommission und der PDS mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden DM geschlossen. Wenn man verfolgt, was daraus geworden ist, muß man heute feststellen: Es sind bereits Anfang 1994 400 Millionen DM an die neuen Länder ausgereicht worden. Anfang dieses Jahres sind 200 Millionen DM hinzugekommen. Das ergibt ins- gesamt 600 Millionen DM. Das setzt die neuen Länder in eine Verpflichtung. Es kann nicht sein, daß wir hier nur aus einer Bundesverantwortung heraus über diese Fragen reden. Die Länder müssen mitfinanzieren. Die ostdeutschen Länder stehen selbstverständlich - ich will das an dieser Stelle ganz deutlich sagen - mit in der moralischen Verpflichtung, sich einer Verbesserung der rehabilitierungsrechtlichen Regelungen und der entsprechenden Leistungen zu öffnen, diese Bemühungen über den Bundesrat aktiv zu begleiten und hoffentlich bald noch mehr als die bisher 600 Millionen DM dieser umstrittenen Vermögenswerte in ihre Haushalte einzustellen. Meine Damen und Herren, zum Schluß will ich wenigstens noch ein paar Bemerkungen zu unserem Gesetzentwurf machen, obwohl ich nicht auf den Inhalt Bezug nehmen möchte; das wird mein Kollege Hans-Joachim Hacker tun. Wir Sozialdemokraten haben es uns bei diesem Gesetzentwurf nicht leicht gemacht. Ich sehe jetzt einmal meine Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen an: Herr Kollege Häfner, wir haben in diesen Entwurf nicht das hineingeschrieben, was aus unserer Sicht wünschenswert ist - nach dem Motto: Ich mache einmal eine Initiative für die Glückseligkeit in dieser Welt. Es hat eine harte AusRolf Schwanitz lese der essentiellen Punkte gegeben, die wir hier als Gesetzentwurf anbieten. An dieser Stelle rufe ich alle Fraktionen auf, in die Diskussion über dieses Papier hineinzugehen und es interfraktionell zum Gegenstand zu machen. Es geht hier nicht um Urheberfragen. Das ist gar nicht das Thema; wir machen hier keine Urheberrechte geltend. Vielmehr geht es darum, ob wir es schaffen, nach sechs Jahren Diskussion in der Sache tatsächlich noch Verbesserungen zu bewirken. Denn diejenigen, die es betrifft, die Opfer draußen, schauen in diesen Wochen auf das Parlament. Schönen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Luther, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politische Verfolgung - das ist ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Diese gab es in der DDR und in der sowjetischen Besatzungszone. Wir müssen darüber reden. Ich denke, es ist richtig, daß wir die Erinnerung darüber wachhalten und daß wir es auch historisch werten. Sozialismus und Diktatur gab es auf deutschem Boden, das gehört zur deutschen Geschichte. Deshalb ist es wichtig, daß wir es im Bundestag immer wieder ansprechen und darüber reden. Dieses wichtige Thema stellt uns vor drei Aufgaben: Erstens. Wir müssen die Täter dieses Systems bestrafen. Zweitens. Wir müssen die Opfer rehabilitieren. Drittens. Wir müssen das Geschehene für unsere Geschichtsbücher aufarbeiten. ({0}) Meine Damen und Herren, heute beschäftigen wir uns speziell mit dem Thema „rehabilitieren". Vielleicht darf ich an dieser Stelle daran erinnern, was wir in diesem Haus dabei schon bewältigt haben. Wir haben drei Gesetze zu diesem Thema verabschiedet: Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz und das Berufsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Ich möchte auch daran erinnern, was in diesen Gesetzen alles geregelt wird; das gerät manchmal in Vergessenheit. Politisch strafrechtlich Verfolgte und Inhaftierte werden rehabilitiert. Sie bekommen eine Kapitalentschädigung für die erlittene Haft. Sie bekommen eine Unterstützungsleistung, wenn sie bedürftig sind. Gesundheitliche Haftschäden und Hinterbliebenenversorgungen werden angesprochen. Es werden rechtsstaatwidrige Verwaltungsentscheidungen aufgehoben; ich erinnere hierbei an das Sonderthema „Zwangsausgesiedelte" . Auch in diesem Bereich gibt es die Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung und natürlich die Vermögensrückgabe nach dem Vermögensgesetz. Es gibt das Berufliche Rehabilitierungsgesetz. Berufliche Benachteiligung, die oft Folge von strafrechtlichem oder verwaltungsrechtlichem Unrecht war, wird hier angesprochen. Diese berufliche Benachteiligung wird durch Hilfe zur Selbsthilfe, durch Maßnahmen der Qualifizierung, durch Ausgleichsleistungen und den Nachteilsausgleich in der Rente ausgeglichen. Ich habe einmal den Kostenrahmen, der bis heute dafür angedacht wurde, addiert. Es sind immerhin 2,5 Milliarden DM. Das ist eine ganze Menge Geld. Ohne die Rentenfinanzierung sind es 1,6 Milliarden DM, wenn man alles addiert. Wird das Gesetz angenommen? Auch das kann bestätigt werden. 130 000 Rehabilitierungsanträge, 120 000 Erledigungen - Herr Schwanitz, Sie haben das angesprochen - beweisen seine Wirksamkeit und die Annahme durch die Opfer, die versuchen, es entsprechend wahrzunehmen. Auch bei der Frage „Rentennachteilsanerkennung und -ausgleich" beginnt das Gesetz zu greifen. Es gab Anfangsschwierigkeiten. Ich denke, wir haben damals gute Gesetze verabschiedet, und wir haben auch richtige Regelungen getroffen. Trotzdem sage ich ganz deutlich: Mitunter ist es notwendig, daß man über das, was man gemacht hat, redet, nachdenkt und prüft, ob es auch wirksam ist, ob es vielleicht Mängel enthält und ob es Regelungen gibt, die nicht so wirken, wie man es sich gedacht hat. Wir hatten in diesem Haus am 23. November letzten Jahres dazu eine Debatte. Dabei haben wir festgestellt, daß es sich lohnt, darüber nachzudenken. Wir haben parallel, damit das Nachdenken auch einen Sinn macht, die Antragsfristen verlängert; ansonsten wären sie für das Erste und das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz ausgelaufen. Auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, sprechen in Ihrem Antrag davon. Sie wollen die Mängel bei der Gesetzesausführung untersuchen und beseitigen. Insoweit ist das auf jeden Fall auch aus unserer Sicht unterstützenswert. Mittlerweile liegen uns die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen auf dem Tisch und seit heute auch die von der SPD-Fraktion. Lassen Sie mich folgende Kritik an den Anfang stellen: Ich habe beim Lesen festgestellt, daß Sie relativ wenig darüber sprechen, welche Mängel bei der Ausführung der Gesetze bestehen. Statt dessen beginnen Sie erneut die alte Debatte, die wir 1992 sehr ausführlich in diesem Haus in erster und zweiter Lesung und sehr lange und intensiv im Rechtsausschuß geführt haben. Es sind ganz einfach die alten Vorschläge, die uns allen bekannt sind. Die Argumente dazu haben wir ausgetauscht. Eigentlich könnte ich es mir an dieser Stelle recht einfach machen und sagen: Lesen Sie es im Ausschußprotokoll nach. Es steht alles darin. So einfach will ich mir das aber nicht machen und noch ein paar Bemerkungen anführen. Sie haben vom Finanzierungsrahmen gesprochen. Sicherlich dürfen wir den nicht ganz vergessen. Es gibt meiner Meinung nach ein krasses Mißverhältnis zwischen der Entschädigung durch Vermögensrückgabe und der Entschädigung von Opfern, die politisch verfolgt wurden. Ich erinnere an Ihre Position zu den Mauer- und Grenzstreifengrundstücken: Auch in diesem Zusammenhang haben Sie Ihren Beitrag dazu geleistet, daß Vermögensentschädigung in besonderer Höhe erfolgen soll. Wir haben aber auch andere Dinge zu beachten gehabt, die ebenfalls Gegenstand der Debatte waren. Ich spreche jetzt von der Kapitalentschädigung. Die Höhe der Kapitalentschädigung - sie beträgt 300 DM - ist nicht aus der Luft gegriffen gewesen: Sie hat Bezug auf die Höhe der Entschädigung für die NS-Opfer genommen, die im KZ gesessen haben. Sie betrug 150 DM. Durch Hochrechnung kamen wir zu dem Ergebnis von 300 DM. Das war der Ansatzpunkt. Ich glaube nicht, daß es uns gelingen wird, dazu heute wesentlich neue Argumente zu finden. ({1}) Es kommt ein zweiter Punkt hinzu. Wir haben damals sehr ausführlich darüber diskutiert, ob es eine Ungleichheit zwischen denjenigen gab, die die Möglichkeit hatten, in die damalige Bundesrepublik Deutschland zu gehen, und denjenigen, die bis zum Schluß in der DDR ausharren mußten. Diesen Unterschied haben wir erkannt und haben gesagt: Er muß gewürdigt werden. Das hat im Endeffekt dazu geführt, daß für den Personenkreis, der bis zum Schluß in der DDR leben mußte, 250 DM mehr bezahlt werden. Diese Ungleichheit wollen Sie mit Ihrem heutigen Antrag nicht mehr anerkennen. Offensichtlich ist es Ihre neue Erkenntnis, daß es diese Ungleichheit doch nicht gab. Ich möchte trotzdem grundsätzlich die Frage stellen: Löst es das Problem? Was ist überhaupt das Problem? Was erleben wir, wenn wir uns heute mit politisch Geschädigten unterhalten, wenn wir politischen Opfern begegnen? Mich bedrückt etwas ganz anderes: Ich stelle fest, daß die Systemträger der DDR dadurch, daß sie angepaßt gelebt haben, daß sie Ausbildung erhalten haben, daß sie also eine gute Qualifikation nachweisen konnten, einigermaßen gut in die Arbeitswelt zurückkehren konnten. Dadurch, daß sie zu DDR-Zeiten relativ gut verdient haben, beziehen manche heute eine gute Rente. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die bis zum 9. November 1989, also bis zur Wende, in der DDR gelebt haben und all dieses nicht wahrnehmen konnten. Ich möchte an zwei Beispielen drastisch und sicherlich auch überhöht darstellen, was das Ergebnis Ihres Vorschlages mit sich bringt. Ich konstruiere das Beispiel: Es gibt denjenigen, der einen Monat politische Haft erlitten hat, danach in der DDR in den Braunkohlentagebau versetzt worden ist - als Ingenieur konnte er nicht mehr tätig sein - und dort Hilfsarbeiten ausführen mußte. Das hat ihn unheimlich mitgenommen. Dieser Mann ist heute möglicherweise arbeitslos. Dem wollen Sie 50 DM mehr geben. Dann gibt es denjenigen - das ist ein bekanntes Beispiel; ich darf es trotzdem zitieren, da es das Problem deutlich illustriert -, der zwei Jahre im „Roten Ochsen" gesessen hat und zuletzt Justizminister in Mecklenburg-Vorpommern war. Dem wollen Sie 7 200 DM mehr geben. Diese Beispiele zeigen ziemlich deutlich das Problem: Die Haftzeit allein ist nicht das entscheidende Kriterium dafür, um heute zu werten, ob jemand die politische Verfolgung verkraften konnte oder nicht. Sie sagt nichts darüber aus, wie es ihm heute nach dieser politischen Verfolgung und der möglicherweise folgenden beruflichen Benachteiligung geht. Deswegen haben wir uns in der Koalition Gedanken darüber gemacht, haben miteinander geredet und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir an dieses Problem anders herangehen müssen. Von den betroffenen Verbänden ist uns gesagt worden, daß das, was wir in diesem Zusammenhang in dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz geschaffen haben, nämlich die Ausgleichsleistungen in Abschnitt 3, so, wie wir es angelegt haben, kein wirksames Instrument ist. Dieses Instrument bezieht sich aber genau auf den Personenkreis, den ich angesprochen habe und dem wir helfen möchten. Deswegen gilt es, an dieser Stelle noch einmal darüber nachzudenken und die Instrumentarien auszubauen. Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem darauf Bezug genommen wird. Er sagt ganz klar: Der Monatsbetrag muß verdoppelt werden. Die Einkommensgrenze, bis zu der ein Anspruch auf diese Leistungen besteht, muß angehoben und die Renteneintrittsschranke muß beseitigt werden. Weiterhin haben wir gesagt, daß wir in § 18 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes die Richtlinien für die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, die Bedürftigen helfen kann, verändern, verbessern wollen. Ich denke, das ist der richtige Weg, um diesem betroffenen Personenkreis zu helfen. Es lohnt sich, im Rechtsausschuß und in den Berichterstattergesprächen noch einmal über diese Thematik zu reden. Meine Damen und Herren, Sie haben weitere Probleme angesprochen. Ich möchte auf den Aspekt der gesundheitlichen Haftschäden eingehen. Wer mit Betroffenen zu tun hat, sagt, hier seien Veränderungen notwendig. Aber das Bundessozialgerichtsurteil vom 12. Dezember 1995, das sich genau mit diesem Thema beschäftigt hat, führt aus: Die Verfahren, die bisher angewandt werden, funktionieren so nicht. Wir müssen hier Beweiserleichterungen schaffen. Es sollte der Anscheinsbeweis stärker benutzt werden. Es gab dazu im BMA Gespräche auch mit den betroffenen Verbänden. Ich glaube, daß das der richtige Weg ist und es dazu keiner gesetzlichen Änderung bedarf, sondern daß ganz einfach im Sinne der Betroffenen geholfen werden muß. Das Rundschreiben, das jetzt an die Länder gegangen ist und noch einmal auf diese Situation hinweist, kann meines Erachtens zu einem guten Ergebnis führen. Wir werden das allerdings beobachten müssen. Wenn es dennoch nicht zu einem wirksamen Instrument wird, dann müssen wir sicherlich noch einmal darüber reden. Auf das Thema Zwangsausgesiedelte, das Sie angesprochen haben, möchte ich kurz eingehen. Ich war bei den Verbandstagungen der Zwangsausgesiedelten gewesen. Ich bin froh, daß die Zwangsausgesiedelten wieder in ihr Eigentum gelangen und ihr Vermögen nach dem Vermögensgesetz zurückerhalten können. Nun gab es hier natürlich eine Besonderheit. Sie haben nämlich Entschädigungen bekommen. Diese bezogen sich auf entschädigungsbehaftete Enteignungen. Deswegen waren sie ja vom Grundsatz her nicht im Vermögensgesetz mit eingeschlossen. Diese müssen sie jetzt zurückbezahlen. In der DDR hatte man einen eigenartigen Bewertungsmaßstab. Auf der einen Seite wurde gesagt: Immobilien werden niedrig bewertet, und das lebende Inventar, das Vieh, wird relativ hoch bewertet. Heute erlebt man dann die Situation, daß der Betroffene für Vieh, das nicht mehr da ist, Entschädigungen zurückzahlen soll. Hier muß es eine Lösung geben. Das wäre die eine Lösungsvariante. Es gibt aber auch noch eine andere. Man kann sagen: Ich gebe einen bäuerlichen Betrieb zurück. Wenn das Sinn haben soll, dann muß dieser bäuerliche Betrieb wieder funktionsfähig werden. Das wäre das Prinzip nach der Unternehmensrückgabeverordnung. Zwischen diesen beiden Lösungen muß ein Weg gefunden werden. Ob dazu eine gesetzliche Regelung notwendig ist, weiß ich nicht. Unser Wille ist es aber, daß an dieser Stelle etwas geschieht. Aus diesem Grunde steht es auch nicht in unserem Antrag. Eine Bemerkung zur Finanzierung. Wir haben den Opfern einen Finanzrahmen zugestanden. Er ist eng genug; da gehe ich mit Ihnen konform. Wir sollten aber zumindest das, was wir zugedacht haben, den Betroffenen auch zuerkennen. Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung zu den Finanzdaten, die Sie aufgeschrieben haben. Es lohnt sich, noch einmal darüber zu reden. Ich komme, wenn ich rechne, ich sage einmal: auf das Zehnfache, wenn ich die Konsequenzen bedenke. Diese mathematische Rechnung will ich hier jetzt nicht vorführen. Das können wir in der Ausschußberatung diskutieren. Mein Wunsch ist ganz deutlich: Ich will den Betroffenen helfen, und zwar denen, die heute dringend Hilfe bedürfen. Ich denke, das muß Anliegen des ganzen Hauses sein. Auch ich biete Ihnen dazu die Diskussion an. Schönen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße den vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion außerordentlich und freue mich - fernab aller inhaltlichen Differenzen, die so gravierend gar nicht sind - über den Vorstoß der SPD, denn er zeigt deutlich, daß hier im Interesse der Betroffenen dringend etwas geschehen muß. Lassen Sie mich auch sagen, daß die heutige Debatte für mich ein Stück weit auch eine persönliche Genugtuung bedeutet, denn als ich nach meiner seinerzeitigen Arbeit als Obmann im Ausschuß „Deutsche Einheit" und vierjähriger Abstinenz vom Deutschen Bundestag hierher zurückgekommen bin und mich wieder in die Fragen der Aufarbeitung von DDR-Unrecht hineingekniet habe, habe ich doch ziemlich entsetzt festgestellt, wie bruchstückhaft die hier verabschiedeten Unrechtsbereinigungsgesetze sind, und habe alles, was ich tun konnte, unternommen, um noch eine Änderung herbeizuführen. Mir wurde dann von den Kolleginnen und Kollegen immer wieder gesagt: Das ist gelaufen, das kommt zu spät; dieses Faß machen wir nicht mehr auf, das ist viel zu kompliziert, das kriegen wir nicht hin. Wir haben es versucht. Wir haben einen Gesetzentwurf verfaßt - schon im vergangenen Jahr -, haben ihn hier eingebracht, und ich stelle fest, daß das Problem jetzt in allen Fraktionen des Hauses gesehen wird und daß es jetzt in allen Fraktionen des Hauses Bewegung gibt. Es gibt neben unserem Gesetzentwurf den Entwurf der SPD, und es wird - wenn ich es richtig gehört habe - darüber hinaus noch weitere Gesetzentwürfe geben, so daß wir dann eine gemeinsame Grundlage haben, über die zu sprechen sich lohnt. Ich glaube, daß dies wirklich eine gemeinsame Aufgabe des Deutschen Bundestages ist, eine Aufgabe, bei der es sich mehr als bei anderen Aufgaben - bei denen das auch manchmal hilfreich wäre - empfiehlt, das Gespräch zu suchen und den Versuch zu unternehmen, etwas zustande zu bringen, was von allen mitgetragen werden kann. Insofern freue ich mich sehr über diese Entwicklung und hoffe auf die Gespräche, die wir dann miteinander führen werden, unabhängig von dieser ersten Debatte bei der Einbringung im Plenum. Gestatten Sie mir, bevor ich zu ein paar Punkten des Gesetzentwurfs etwas sage, vorab noch eine Bemerkung. Wenn ich eben gesagt habe, ich freute mich auf die Gespräche, dann möchte ich gleich hinzufügen: Wir haben nicht grenzenlos viel Zeit, gerade wenn ich zum Beispiel an die Zivildeportierten denke - das sind nicht viele Menschen, aber es sind Menschen, die immer älter werden und die möglicherweise bald nicht mehr da sind. Es geht also schon darum, daß wir auch zu Ergebnissen kommen. Jeder Tag, an dem nichts geschieht, ist für die Betroffenen ein verlorener Tag. ({0}) Der Gesetzentwurf der SPD stimmt in wesentlichen Punkten mit unseren Forderungen überein. Übereinstimmend mit uns fordern Sie, daß es eine deutlich verbesserte Regelung der Rehabilitierung und Entschädigung für das erlittene SED-Unrecht geben muß. In meinen Augen ist es nur sehr schwer zu ertragen, daß viele Opfer von politischer VerfolGerald Häfner gung in der früheren DDR bis heute oft denjenigen gegenüber eklatant benachteiligt sind, die für ihre Verfolgung früher verantwortlich waren. Deshalb halte ich es für eine wesentliche Aufgabe des Rechtsstaats, klarzustellen, daß diejenigen, die zum Büttel des Systems geworden sind, von uns zur Rechenschaft gezogen werden, und daß diejenigen, die Opfer waren, von uns Wiedergutmachung und Entschädigung erhalten. Ich stimme Ihnen auch darin ausdrücklich zu - ein Punkt, in dem Sie umgekehrt auch uns zustimmen; diesen Vorschlag haben wir ja in unserem Entwurf ebenfalls bereits unterbreitet -, daß es unabhängig von der Entschädigung einen Anspruch auf Rehabilitierung, eine sogenannte moralische Rehabilitierung, geben muß. Es ist unsinnig, die Rehabilitierung an die Entschädigungsfrage zu koppeln. Es ist auch unzumutbar. Ich denke, daß deshalb durch eine Ergänzung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dafür gesorgt werden muß, daß auch Unrechtsentscheidungen aufgehoben werden können, die keine Entschädigungsansprüche begründen. Noch wichtiger aber ist mir - darauf habe ich seinerzeit bereits hingewiesen - die dringend erforderliche Erhöhung der Kapitalentschädigung für erlittene Haftzeiten. Ich glaube, daß die - ich sage das hier bewußt so - im Grunde erbärmliche Höhe von 300 DM bzw. 550 DM nicht zu rechtfertigen ist und schleunigst geändert werden muß. ({1}) Sie liegt weit unter den Sätzen, die in der Bundesrepublik Deutschland für erlittene Haftzeiten gezahlt werden. Das soll mir mal einer erklären, der einen Knast hier im Westen und einen Knast im Osten von innen gesehen hat, warum die Entschädigung für Haftzeiten im Westen höher ist als für Haftzeiten im Osten. Ich pflichte Ihnen auch bei - darin stimmen beide Entwürfe überein -, daß es völlig unsinnig ist, dann auch noch bei den Anspruchsberechtigten wiederum nach Ost und West zu differenzieren. Warum eigentlich soll ein Kölner, der in Bautzen im Knast saß, weniger bekommen als ein Leipziger? Das ist nun wirklich ebenfalls nicht zu verstehen. In der Höhe allerdings - das haben Sie wahrscheinlich bewußt gemacht - gibt es einen Unterschied. Ich meine, daß die Häftlingsentschädigung für im Osten erlittene Haftzeiten über der im Westen liegen muß. Sie haben vorgeschlagen, beides gleich zu gestalten. Darüber werden wir noch reden müssen. Schade finde ich aber, daß Sie keine Regelung vorsehen, erhaltene Wiedereingliederungshilfen in Zukunft nicht mehr auf die Kapitalentschädigung anzurechnen. Denn die an Flüchtlinge früher gezahlten Wiedereingliederungshilfen sollten eine materielle Hilfe darstellen, um sich im Westen eine neue Existenz aufzubauen. Wenn sie jetzt auf die Kapitalentschädigung angerechnet werden, mißachten Sie den Anspruch der ehemaligen Häftlinge auf Anerkennung und materielle Wiedergutmachtung ihrer zu Unrecht erlittenen Inhaftierung durch einen staatlichen Akt. Wiedergutmachung für tatsächlich erlittenes Unrecht ist eine Bringschuld des Staates und kein Almosen, das man beliebig verrechnen könnte. Ich sehe, daß die Zeit dem Ende zugeht und möchte deswegen einige Punkte überspringen, über die wir im Detail noch miteinander reden können. Zum Schluß möchte ich nur noch zwei Punkte erwähnen. Erstens. Ich glaube, daß das, worüber wir hier reden, mitnichten eine rückwärtsgewandte Frage der Aufarbeitung von Geschichte ist. Es ist vielmehr eine Frage der Gestaltung von Zukunft. Wenn diejenigen, die geschwiegen haben, und erst recht diejenigen, die das System getragen haben, die zu dessen Bütteln und Schergen geworden sind, heute wieder diejenigen sind, die oben schwimmen und sich in Talk-Shows und anderswo als Opfer stilisieren, und wenn die wahren Opfer unter die Räder kommen und vergessen werden, dann habe ich Angst vor zukünftigen Entwicklungen. Wenn aber umgekehrt diejenigen, die unverschuldet Opfer wurden - wie zum Beispiel die Menschen, die auf Grundstücken an der Mauer lebten, oder die Zivil- und Zwangsdeportierten -, und insbesondere diejenigen Menschen, die den Mut zum Widerstand, zum freien Denken, zum freien Wort und zu einer unbeugsamen Haltung hatten und dafür mannigfache Nachteile in Kauf genommen haben, zum Beispiel nicht studieren zu können, ihre Fähigkeiten nicht in entsprechenden Berufen einbringen zu können usw., erleben, daß ein Rechtsstaat die Täter zur Verantwortung zieht und die Opfer rehabilitiert und entschädigt, dann habe ich Hoffnung für die Zukunft. Ich habe die Hoffnung, daß mehr Menschen den Mut haben, zu widerstehen, wenn ähnliche Entwicklungen wieder ins Haus stehen. Das ist mir das eigentlich Wichtige. Ein allerletzter Punkt. Im Bereich der beruflichen Rehabilitierung bin ich selbst am ratlosesten. Wir können denjenigen, die über 20, 30 Jahre nicht ihren Fähigkeiten entsprechend ausgebildet wurden und keine berufliche Erfahrung sammeln konnten, heute nicht das verschaffen, was ihnen entgangen ist. Materielle Entschädigungen werden hier nur einen Teil des Problems bewältigen helfen. Deswegen lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Ich glaube, daß wir mit dem Hauptstadtumzug nach Berlin bei den vielen dann zu besetzenden Stellen eine Chance haben, Wiedergutmachung zu leisten, indem der Deutsche Bundestag und die deutsche Regierung Menschen als Mitarbeiter einstellen, die in einem totalitären System Rückgrat und Zivilcourage bewiesen haben, die unbeugsam waren. Das täte dem Beamtenapparat, dem öffentlichen Dienst, dem Parlament und uns allen gut. Der Umzug nach Berlin könnte also ein Signal für die Rehabilitierung mancher von diesem Unrecht betroffener Menschen sein. Ich danke Ihnen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Professor Ortleb, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vierte Redner in Folge hat natürlich das Problem, daß er, wenn sich andeutet, daß ein breiter Konsens vorliegt, eigentlich nichts Neues sagen kann. Ich bitte um Nachsicht. ({0}) - Ich danke Ihnen. Ich würde gerne auf folgendes verweisen: Wir arbeiten in diesem Deutschen Bundestag auch in ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gruppen zusammen; das möchte ich nicht klein-, sondern eher großreden. Hier möchte ich nur Herrn Kollegen Schwanitz, Herrn Kollegen Luther und Herrn Kollegen Häfner nennen. Es sollte doch eigentlich ein gutes Zeichen nach außen sein, daß wir uns hier nicht gegenseitig irgend etwas um die Ohren hauen, sondern versprechen, daß wir trotz unterschiedlicher Parteifarben gemeinsam versuchen wollen, das Bestmögliche zu erreichen. ({1}) Ich denke, daß es gerade der Charakter einer ersten Lesung sein sollte, daß wir Gesetzentwürfe und Anträge einbringen, um in zweiter und dritter Lesung, nach Befassung durch die Ausschüsse, darüber zu beraten. Ich glaube, daß es der Würde des Prozesses der deutschen Einheit angemessen ist, daß wir uns in die Hand versprechen, sachlich und korrekt zu arbeiten. Die Kollegen, die ich eben erwähnt habe, wissen, daß wir schon in Sachen Stasi-Unterlagen-Gesetz über längere Zeit zusammengearbeitet und daß wir im konkreten Gespräch viele Schwierigkeiten beseitigt haben. Ich denke, daß wir das auch in diesem Punkt schaffen werden. Deswegen will ich nicht so kleinlich sein, Details aufzuzählen, die in die Ausschußberatungen gehören. Damit will ich nicht behaupten, daß ich diese Dinge nicht als Probleme sehe. Ein Problem wird immer sein, daß jede Entschädigung am Ende Geld bedeutet. Am Ende muß Geld beschafft werden. Aber wer den Willen hat, Geld zu beschaffen, der kann das in der Regel auch. Hier sollten wir eine Allianz sein, die die Möglichkeiten eröffnet. Wir können über vieles rechten. Das jedoch halte ich für fehl am Platze. Zum Beispiel könnte man über die Formulierung „Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungs- und häftlingshilferechtlicher Vorschriften" ganze Abhandlungen schreiben. Ich glaube aber, daß es unwürdig wäre, wenn ich heute und hier mit Ihnen Grammatik üben würde. Dazu haben wir im Ausschuß hoffentlich Zeit. Ich bin sehr hoffnungsvoll. Sie alle wissen - ich brauche Ihnen das nicht zu erklären -, daß ich aus der ehemaligen DDR stamme und daß ich mir sehr bewußt bin, welcher Aufgabe wir uns hier stellen. Ich glaube, daß es auch zur Würde eines Parlaments gehört, daß man, wenn Dinge klar ausgesprochen sind, nicht die Zeit mißbraucht. Ich kann Ihnen nur noch eines sagen: In den Ausschüssen werden wir uns treffen und das Problem lösen. Ich danke Ihnen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Heuer, PDS.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Grundanliegen wie auch die meisten Vorschläge des uns vorliegenden Entwurfs eines rehabilitierungs- und häftlingshilferechtlichen Verbesserungsgesetzes finden meine volle Unterstützung. Auch ich sehe Lücken und Mängel in der bisherigen Gesetzgebung - diejenigen, die im Gesetzentwurf benannt werden, aber auch noch andere. Einer verbesserten Entschädigung der Opfer von Unrecht in der DDR werden wir uns als PDS nicht verschließen. Darüber müssen wir in den Ausschüssen im Detail beraten. Meinungsverschiedenheiten beziehen sich nicht auf diese Grundfrage, sondern liegen auf anderen Gebieten. Sowohl das 1. als auch das 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz gehen zumindest hinsichtlich der Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer politischer Strafverfolgung von der Würdigung von „Widerstand" aus, nicht aber von der Wertung von Recht und Unrecht nach den Maßstäben des seinerzeit geltenden DDR-Rechts. Das hat Rechtsanwalt Axel Azzola in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 19. März 1992 in Halle ausdrücklich angemerkt. Der Maßstab, der dem DDR-Rehabilitierungsgesetz zugrunde lag, an dem ich im Rechtsausschuß der letzten DDR-Volkskammer mitgewirkt habe, wurde mit diesen Gesetzen aufgegeben. Ich kann absolut nicht bestreiten, daß es ein Recht der Bundesrepublik Deutschland ist, alle dem Staat BRD politisch verbundenen Personen, die in der DDR Betroffene von politischer Strafverfolgung wurden, zu rehabilitieren. Das ist in keiner Weise ein Verstoß etwa gegen das Rückwirkungsverbot oder gegen andere Rechtsprinzipien. Es bleibt allerdings auch uns vorbehalten, hier einen anderen Maßstab zu haben und die Verurteilung von wirklichen Spionen, von Nutznießern des NS-Systems, von KZ-Aufsehern, von kommerziellen Fluchthelfern und von Neonazis in der DDR nicht für Unrecht der DDR zu halten. Aber es war zweifelsohne ein Recht der Bundesrepublik Deutschland, so zu handeln, auch wenn im Ergebnis dessen beispielsweise die KZ-Aufseherin Margot Kunz im Jahre 1994 eine Entschädigung von 64 000 DM für ihre in der DDR verbüßte Haftstrafe erhielt. Von solchen Fällen abgesehen, bin ich der Auffassung, daß die bisherige Kapitalentschädigung für Betroffene der politischen Strafjustiz in der DDR unzulänglich ist. Die bisherige Regelung bedeutet auch eine unverständliche Auseinanderdifferenzierung der ehemaligen politischen Häftlinge in der DDR nach dem Wohnsitz. Die Erhöhung der Kapitalentschädigung auf 600 DM für alle ist eine meines Erachtens vernünftige Lösung. Der Einwurf von Herrn Luther, daß die NS-Opfer weniger erhalten hätten, kann nach meiner Ansicht nur zu der Konsequenz führen, daß wir jetzt für diejenigen, die in der NS-Zeit Haftstrafen verbüßt haben, die Kapitalentschädigung erhöhen. Auch den Vorschlägen unter 2., 5., 9., 10. und 11. stimme ich uneingeschränkt zu. Hinsichtlich einiger weiterer Punkte sehe ich Diskussionsbedarf. Problematisch erscheint mir die Frage der moralischen Rehabilitierung bei fehlender Fortwirkung des Verfolgungsschadens. Mir fehlen hier in der vorgeschlagenen Ergänzung des Verwaltungsgerichtlichen Rehabilitierungsgesetzes um einen § 1 a exakte Kriterien. Wäre beispielsweise - aber darüber müssen wir diskutieren - etwa schon die Verweigerung einer Ernennung zum Dozenten, weil er oder sie nicht aus der Arbeiterklasse kam, unvereinbar mit „tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates"? Ich selber mußte 1956 nach der Babelsberger Konferenz wegen meiner politischen Position die Humboldt-Universität verlassen und erhielt damit, wenn Sie so wollen, zeitweise Berufsverbot. Es gibt da sicherlich kaum eine Fortwirkung des Verfolgungsschadens. Für eine moralische Rehabilitierung in der DDR wäre ich sicherlich dankbar gewesen. Aber was nutzt mir eine moralische Rehabilitierung durch die Bundesrepublik Deutschland, die das im übrigen ja gar nicht zu verantworten hat und sich doch sinnvollerweise besser bei den Opfern der Berufsverbote in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland entschuldigen sollte. Auch hinsichtlich der vorgeschlagenen verbesserten Anerkennung von gesundheitlichen Haftschäden mittels eines Vermutungstatbestandes habe ich Informations- und Diskussionsbedarf. Wenn, wie auf Seite 9 der vorliegenden Drucksache ausgeführt, selbst bei einer Erweiterung der Anhaltspunkte für Haftschäden keine weiteren positiven Bescheide erfolgten, liegt doch wohl die Vermutung nahe, daß gesundheitliche Schädigungen eben nicht auf die Haft zurückgehen. Aber vielleicht sollte man die Frage eines Vermutungstatbestandes oder auch die Zugrundelegung der Kriterien des BEG anstelle des Bundesversorgungsgesetzes in einem Berichterstattergespräch mit Experten erörtern. Im übrigen sollten wir die Verbesserung des 1. und 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes meines Erachtens generell zum Anlaß nehmen, um über weitere notwendige Rehabilitierungen und Entschädigungen nachzudenken. Ich stimme voll dem Gedanken zu, daß wir mit den vorgeschlagenen Verbesserungen einen „entscheidenden Beitrag zur inneren Befriedung in Deutschland zu leisten" haben, so die Kollegen Rolf Schwanitz und Hans-Joachim Hacker. Aber das kann nicht einseitig geschehen, weil gerade dann die „innere Befriedung" nicht zustande kommt. Es ist in meinen Augen an der Zeit, auch eine Regelung zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Kalten Krieges in Westdeutschland zu schaffen, das heißt der 8 000 bis 10 000 Personen, die zwischen 1952 und 1968 in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verfolgt wurden. Hinzu kommt: Auch viele Opfer des nazifaschistischen Staates - Zwangssterilisierte, Homosexuelle, Sinti und Roma oder KZ-Häftlinge aus den osteuropäischen Staaten - warten bisher vergeblich auf Rehabilitierung und Entschädigung. Herr Schwanitz hat auf die größeren finanziellen Möglichkeiten hingewiesen. Arbeiten wir gemeinsam an einer allseitigen inneren Befriedung! ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Mahlo, CDU/CSU.

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Häfner hat recht, daß sich die Parteien darüber einig sind, die bestehenden Rehabilitierungsgesetze auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und die Leistungen zu verbessern. Sie streiten über die Höhe der Verbesserung, und sie streiten möglicherweise über den Kreis der Anspruchsberechtigten. Hier ist auch schon - so daß ich das nicht noch einmal zu sagen brauche - über den historischen Hintergrund dieser heutigen Debatte gesprochen worden: zwei grauenhafte Diktaturen, die sich in Deutschland etablieren konnten und hier gewütet haben. Nach unserem Selbstverständnis haben wir jetzt die Aufgabe, uns diesen Folgen zu stellen und einigermaßen anständig damit umzugehen. Auf der anderen Seite steht dieses Land nach der Wende vor den Herausforderungen eines globalen Wettbewerbs und den Herausforderungen, die einigermaßen bankrotte DDR, die es übernommen hat, zu integrieren. Wir haben also in jedem Falle abzuwägen zwischen den Mitteln, die wir für die Bewältigung der Vergangenheit einbringen, und den Mitteln, die wir für die Vorbereitung auf die Zukunft nötig haben. Die Oppositionsparteien haben, wenn ich die nicht ganz einfach zu lesenden Anträge richtig verstanden habe, bei ihren Vorschlägen doch ein bißchen mehr Gießkannenprinzip walten lassen. Die Haft Ost und die Haft West wollen sie zum Beispiel in gleicher Weise bewertet haben, was ich für problematisch halte, und sie haben - Herr Luther hat es schon gesagt - meiner Ansicht nach die Kosten ihrer Vorschläge schöngerechnet. Sie haben Gesamtkosten in Höhe von etwa 200 Millionen DM genannt. Nach meiner Einschätzung beläuft sich der Teil, den man kostenmäßig einigermaßen übersehen kann, auf mindestens 1,5 Milliarden DM. Die Sozialdemokraten schlagen zum Beispiel vor - um diesen Punkt herauszugreifen -, für die Hinterbliebenen von Hingerichteten eine Kapitalabfindung von 108 000 DM vorzunehmen. Das ist im Prinzip ein sympathischer Vorschlag, wobei man sagen muß, daß die Hinterbliebenen, wenn sie wirtschaftlich beeinträchtigt sind, nach der geltenden Rechtslage Anspruch auf wiederkehrende Sozialleistungen haben. Sie haben hier - ob absichtlich oder unabsichtlich -145 Fälle im Auge gehabt. Dies sind jedoch nur die innerhalb der DDR Hingerichteten. Tatsächlich werden Sie unter Gleichheitsgesichtspunkten natürlich diejenigen, die zwischen 1945 und 1949 in Lagern zu Tode gekommen sind - in Bautzen war es jeder Dritte, der noch im Lager umgekommen ist, ganz abgesehen von denen, die nach ihrer Entlassung an den Folgen von Bautzen gestorben sind -, hinzuzählen müssen. Insgesamt schätzt man die Zahl der Hinterbliebenen, die man bedenken müßte, auf etwa 40 000. Das hat natürlich automatisch ganz andere wirtschaftliche Folgen, als Sie sie selbst ankündigen. Gefordert wird weiter eine Aufstockung der Mittelzuweisung an die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge. Das hat mich deswegen gefreut, weil diejenigen, die diese Mittel beantragen, zu 90 Prozent Rußlanddeutsche sind, denen Sie in einem anderen Zusammenhang die Tür zuschlagen wollen. ({0}) - Ich glaube, daß das sehr viel miteinander zu tun hat, wenn es nicht sogar identisch ist. Das sind vermutlich diejenigen Deutschen, die unter den politischen Fehlern unseres Volkes, ohne daß sie an diesen wesentlich beteiligt waren, am meisten zu leiden hatten. Die Debatte ist richtig und wichtig. Die Materie ist, wenn man anfängt, sich mit ihr zu befassen, allerdings kompliziert, und zwar deswegen, weil sie eine Fülle von sich ineinander verzahnenden Gesetzen betrifft. Das Plenum ist jedoch nicht der Ort für eine Detailauseinandersetzung. Der vorliegende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zeigt, in welcher Richtung wir eine Lösung des Problems anstreben: nicht Gießkanne, sondern soziale Treffsicherheit. Unter dem Regime knapper Kassen denen helfen, die es am nötigsten brauchen, das ist die Devise. Alles andere soll den Ausschußberatungen vorbehalten bleiben. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Dr. Mahlo, Sie haben völlig recht: Das ist eine sehr komplizierte Materie. Aber wir können hier nicht nur Fragen stellen, wir müssen auch Antworten geben. Es ist Zeit, Antworten zu geben. Ich möchte an dieser Stelle an die Darlegungen meines Fraktionskollegen Rolf Schwanitz anknüpfen und noch einmal betonen: Das Anliegen unseres Gesetzentwurfes ist es, Gerechtigkeit für die Opfer kommunistischer Unrechtsmaßnahmen zu schaffen, aber auch einen Beitrag zur Versöhnung in Deutschland zu leisten, insbesondere zur Versöhnung in den neuen Ländern. Wir wissen, Versöhnung läßt sich nicht verordnen. Aber der Gesetzgeber kann diesen Prozeß unterstützen. Deshalb fordern wir zuerst Gerechtigkeit für die Opfer der Diktatur in der SBZ und in der DDR. Ohne in diesem Zusammenhang näher auf die widersprüchliche Haltung der Bundesregierung und der Koalition in der Rehabilitierungsgesetzgebung einzugehen, will ich die offensichtlichen Defizite in den geltenden gesetzlichen Regelungen benennen, die unbedingt zu beheben sind. Dabei geht es meiner Fraktion nicht darum, einen in diesem Hause nicht realisierbaren Forderungskatalog aufzustellen, wie er teilweise im Gesetzentwurf von Bündnis 90/ Die Grünen durchschimmert. Auf der anderen Seite freue ich mich über weitestgehende Übereinstimmung mit den Grünen in anderen Fragen. Wir halten jedoch nichts von kraftlosen Aufforderungen an die Bundesregierung, wie sie dem Koalitionsentwurf zu entnehmen sind, der uns vor kurzem zugestellt wurde, und auch nichts von verbalen Erklärungen in diesem Hause und in Veranstaltungen mit den Opferverbänden. Es wäre hilfreich gewesen, schon heute von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, weitere Vorschläge für eine Gesetzgebung zu hören. Ich vertraue darauf, daß wir die Vorschläge von Ihnen, die weitergehen müssen als Ihr Antrag, in den Beratungen der Ausschüsse und in den Berichterstattergesprächen zu hören bekommen. ({0}) Uns geht es darum, dem Deutschen Bundestag das moralisch Notwendige und politisch Umsetzbare vorzuschlagen und um Ihre Zustimmung zu werben. Allerdings sollte in dieser Debatte ein Argument nicht vorgetragen werden, das Argument: Wir haben kein Geld. Die fiskalische Argumentation, vor allem des Bundesministers der Finanzen, hat die ganze Rehabilitierungsdebatte der letzten Jahre seit 1990 durchzogen. Sie werden bei der Vorstellung der einzelnen Forderungen meiner Fraktion zur Kenntnis nehmen können, daß nach unseren Vorstellungen nicht nur finanzielle Mittel helfen können. Oft sind es Verfahrenserleichterungen oder aber die Ergänzung der Gesetze um moralische Rehabilitierungsrechte, die von uns vorgeschlagen werden und die zu einer gerechten Regelung führen können. Eine zentrale Forderung ist die Erhöhung der Kapitalentschädigung im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz auf einheitlich 600 DM pro angefangenem Haftmonat für alle ehemaligen politischen Häftlinge. Herr Luther und Herr Mahlo, Sie sind auf diese Problematik eingegangen' Ich muß Ihnen allerdings sagen: Es sind zwei Argumente, die nach unserer Auffassung diese Forderung nachdrücklich unterstützen und denen wir uns nicht entziehen können. Zum ersten waren für alle politischen Häftlinge drei Jahre Bautzen eben drei Jahre Bautzen, egal, ob der politische Häftling danach durch die Bundesrepublik freigekauft wurde und dann in Freiheit leben konnte oder ob er in der DDR blieb. Wir wissen es auch aus Anhörungen Betroffener: Die Eingliederung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Freikauf hat bei vielen politischen Häftlingen der DDR nicht geklappt. Zweitens. Die politischen Häftlinge dürfen keine geringere Haftentschädigung erhalten als die für Unrechtsmaßnahmen politisch verantwortlichen Staatsfunktionäre der DDR, wenn letztere wegen Untersuchungshaft entschädigt werden müssen, weil es zum Beispiel aus Krankheitsgründen zu keiner Verurteilung gekommen ist. Gerade diese Situation hat bislang zu Verbitterung bei den Opfern geführt und muß daher verändert werden. Es hilft den betroffenen Opfern überhaupt nichts, wenn wir in diesen Debatten immer wieder mit dem Finger auf die Systemträger in der DDR zeigen. Den Opfern hilft nur eine konkrete gesetzliche Regelung, aus der sie ganz konkret für ihre Lebenssituation etwas ableiten können. Die einschneidenden Wirkungen der politischen Strafverfolgung in der SBZ und in der DDR auf die Ehegatten, Kinder und Eltern der Opfer gebieten es, die generelle Vererblichkeit der Kapitalentschädigung für diese direkt betroffenen nahen Angehörigen einzuführen. Der SPD-Gesetzentwurf sieht dies durch eine entsprechende Ergänzung des § 17 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes vor. Auch ist es nicht vermittelbar und moralisch nicht vertretbar, daß der Ehegatte, die Kinder und die Eltern eines Hingerichteten bzw. an den Haftfolgen verstorbenen politischen Häftlings keine Kapitalentschädigung erhalten. Wir wissen: Eine Kapitalentschädigung kann das schwere Unrecht nicht ungeschehen machen. Bei einer Sozial- und Rehabilitierungsgesetzgebung, die eine gewisse Wiedergutmachung über finanzielle Entschädigungsleistungen realisiert, muß es jedoch auch für die schwerste Form der Zufügung von Unrecht, nämlich den Verlust des Lebens, einen Ausgleich geben. Darüber müssen wir nachdenken. Da müssen wir einen Weg finden. ({1}) Bei der Beratung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes hat es bereits intensive Erörterungen der Frage gegeben, ob der Gesetzgeber eine moralische Rehabilitierung in den Fällen einführen soll, in denen keine materiellen Forderungen geltend gemacht werden können, das heißt, eine rein moralische Rehabilitierung. Die SPD-Bundestagsfraktion konnte sich damals mit einem entsprechenden Antrag nicht durchsetzen. Bei der Umsetzung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes hat sich jedoch gezeigt, daß bei den Opfern nach wie vor Erwartungen bestehen, die in die Richtung gehen, wenigstens eine moralische Rehabilitierung zu erhalten, auch wenn keine Kapitalleistungen folgen. Daher schlagen wir erneut eine entsprechende Regelung vor und sind bereit, darüber mit Ihnen noch einmal im Detail zu reden. Es war ein steiniger politischer Weg, bis die Zwangsausgesiedelten ihr Recht auf Rehabilitierung und materielle Wiedergutmachung durchgesetzt hatten. Wir Sozialdemokraten haben den Zwangsausgesiedelten auf diesem schwierigen Weg zur Seite gestanden. Allerdings zeigen sich jetzt Verwaltungshindernisse bei der Umsetzung des Willens des Gesetzgebers, da teilweise Bodenreformland betroffen war. Wir wollen, daß die Zwangsausgesiedelten auch das ihnen geraubte Bodenreformland zurückerhalten, auch wenn es damals nicht ihr Volleigentum war. Zudem fordern wir eine Regelung, die sichert, daß Entschädigungsleistungen dann nicht zurückgezahlt werden müssen, wenn die Vermögenswerte untergegangen sind oder heute nicht mehr bestimmungsgemäß genutzt werden können. Nachbesserungsbedarf besteht darüber hinaus im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz. Wir sehen ihn darin, daß auch Schüler der zehnklassigen polytechnischen Oberschule, einer Schulform, die nicht zur Hochschulreife führte, in die Regelungen des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes einbezogen werden. Weiteren Handlungsbedarf sehen wir auf dem Gebiet der ärztlichen Feststellung von Haftschäden. Viele politisch Verfolgte haben Jahrzehnte nach der Haft Schwierigkeiten, den kausalen Zusammenhang zwischen heutiger Krankheit und den Haftbedingungen nachzuweisen. Auch die ärztliche Kunst stößt hierbei an ihre Grenzen. Das darf den politischen Häftlingen nicht zum Nachteil gereichen. Wir schlagen deshalb die Einführung eines Vermutungstatbestandes vor, wonach zugunsten desjenigen, der vor dem 1. Januar 1970 eine Freiheitsentziehung von mindestens einem Jahr erlitt und in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 Prozent gemindert ist, widerlegbar vermutet wird, daß diese Minderung auf die Haft zurückzuführen ist. Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, wollen wir hinsichtlich der Ausgleichsleistungen endlich ein Kapitel abschließen, das uns schon lange beschäftigt und das schon viel früher zu einer Ergänzung der Rechtsvorschriften hätte führen müssen. Die SPD-Bundestagsfraktion schlägt eine Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes vor, mit der ein Ausgleich für die im Zuge der Kriegshandlungen und danach Verschleppten östlich von Oder und Neiße angestrebt wird. Dieser Anspruch soll für Betroffene mit Wohnsitz in den neuen Ländern gelten, denen während der DDR-Zeit vergleichbare Leistungen wie nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz oder dem Häftlingshilfegesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht zustanden, die im Gegenteil gezwungen waren, ihr Schicksal zu verschweigen und zu verdrängen. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hatte sich in diesem Sinne bereits im Rahmen seiner Beratungen zum Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz erklärt. Die heutige Situation ist unbefriedigend. Wir rufen heute das Schicksal dieser Betroffenengruppe in das Bewußtsein des Hohen Hauses und hoffen auf Ihre Unterstützung für unseren Vorschlag. Dieser Appell gilt für die Regelung zugunsten der Betroffenen von Verschleppungsmaßnahmen jenseits von Oder und Neiße wie für die generelle Absicht, die Rehabilitierungsgesetzgebung durch eine dem Schicksal der Opfer gerecht werdende Regelung abzuschließen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke.

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunehmend besteht die Gefahr, daß das, was unter dem SED-Regime an Unrecht geschehen ist, verdrängt, hier und dort sogar von merkwürdiger Nostalgie überlagert wird. Ich begrüße es daher sehr, daß mit der heutigen Beratung die Diskussion über die Bereinigung von SED-Unrecht wieder auflebt. Auch die Diskussion über die bisherigen Erfahrungen mit den drei Rehabilitierungsgesetzen, mit dem Strafrechtlichen, dem Verwaltungsrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz, ist zu begrüßen, soweit sachlich und unpolemisch Bilanz gezogen wird, soweit Defizite aufgezeigt und Vorschläge für Nachbesserungen unterbreitet werden oder wenn, wie eben vom Kollegen Schwanitz, die geöffnete Hand gereicht wird. Auch das begrüßen wir; denn wir werden sicherlich gemeinsam diese geöffnete Hand ergreifen. Aber wir müssen ebenfalls wissen, daß diese Vorschläge, diese Nachbesserungen finanzierbar sein müssen. Sie müssen der Haushaltslage in Bund und Ländern, Herr Kollege Hacker, gerecht werden. Bei den parlamentarischen Beratungen beider SED-Unrechtsbereinigungsgesetze in der vergangenen Legislaturperiode hat sich ja Gott sei Dank ein Grundkonsens zwischen Koalition und Oppositionsfraktionen gezeigt. Es bestand Konsens darüber, daß es nicht möglich ist, 40 Jahre DDR-Unrecht im Wege eines Schadenersatzes aufzuarbeiten, daß weder die Bundesrepublik Deutschland, also das wiedervereinigte Deutschland, noch die neuen Länder für die Unrechtsmaßnahmen in der DDR - für das ersatzlos weggefallene Rechtssubjekt DDR - haften und daß der demokratische Rechtsstaat einer solidarischen Verpflichtung gegenüber den Opfern politischer Verfolgung Rechnung zu tragen hat. Das ist hier, glaube ich, von allen Rednern noch einmal deutlich gemacht worden. Dieser Grundkonsens führte zu einer gewissen Übereinstimmung im parlamentarischen Bereich hinsichtlich des konzeptionellen Ansatzes, das heißt zu einer weitgehend einvernehmlichen Beantwortung der Frage, was die Rehabilitierungsgesetze leisten können und müssen. Die Rehabilitierung soll dem Verfolgungsopfer die Möglichkeit geben, sich - zum Beispiel durch die Aufhebung eines politisch motivierten Strafurteils - vom Makel persönlicher Diskriminierung zu befreien, eben Rehabilitierung zu erlangen, und Ausgleichsleistungen zu erhalten, die allerdings unter sozialen Aspekten festgelegt worden sind. Um so erstaunlicher, Herr Kollege Häfner, ist jetzt, daß die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Entwurf vorgelegt hat, der aus einer Ansammlung von Maximalforderungen besteht. So soll zum Beispiel jeder Verfolgte, unabhängig von seinem Schicksal, unabhängig von seiner derzeitigen Situation, 500 DM erhalten. ({0}) Die SPD zeigt mit ihrem Gesetzentwurf immerhin, daß sie der Versuchung widerstanden hat, einfach nur die Forderungen zusammenzuschreiben, die in den zahlreichen Hearings von seiten der Opferverbände erhoben worden sind. Unrealistische Forderungen nützen niemandem - am wenigsten den Opfern. Gleichwohl muß meines Erachtens im Rahmen des finanziell Machbaren zusätzlich etwas für die Menschen getan werden, bei denen die Verfolgungsmaßnahmen der DDR noch heute nachwirken und deren wirtschaftliche Situation verfolgungsbedingt schwierig ist. So sollten die Ausgleichsleistungen verbessert werden, die das Berufliche Rehabilitierungsgesetz gerade für diesen Personenkreis vorsieht. Ich denke an eine Anhebung des Monatsbetrages von 150 DM auf beispielsweise 300 DM und an eine Anhebung der für den Anspruch maßgeblichen Einkommensgrenze. Das war ja genau der Punkt, bei dem wir uns „verschätzt" hatten, weil wir die Einkommensgrenzen noch nicht genau errechnen konnten, auch der Bundesfinanzminister und der Bundesarbeitsminister nicht. Insbesondere bestanden ja bei den Renten dort noch große Unklarheiten. Einig sind wir uns, daß die gegenwärtige Grenze zu niedrig angesetzt ist. Die Regelung läuft daher praktisch leer; deswegen haben wir uns „verschätzt" . Erforderlich ist weiterhin, daß die Ausgleichsleistungen auch Rentnern zugute kommen, was gegenwärtig nicht der Fall ist, und zwar dann, wenn die wirtschaftliche Situation des Rentners erkennen läßt, daß die verfolgungsbedingten Nachteile durch die rentenrechtlichen Regelungen nicht in ausreichendem Maße ausgeglichen werden. In die Richtung des von mir bevorzugten Ansatzes geht auch der Vorschlag, die Unterstützungsleistungen nach § 28 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auszubauen. Diese Unterstützungsleistungen stehen dem strafrechtlich Verfolgten und nach dem Tod des Berechtigten auch seinem Ehegatten, seinen Kindern und seinen Eltern zu, wenn deren wirtschaftliche Lage besonders beeinträchtigt ist. Ihnen liegt ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor, in dem zusammengefaßt wird, was jetzt rasch getan werden muß und sicherlich auch kann. Ich hoffe auf eine breite Zustimmung und auf eine fruchtbare, von Realismus geprägte Beratung im federführenden Rechtsausschuß. Wir werden die dazu notwendigen Formulierungshilfen bzw. Gesetzentwürfe in den nächsten Wochen vorlegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4162 und 13/4568 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Kröning, Dieter Wiefelspütz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/Desertion", „Wehrkraftzersetzung" oder „Wehrdienstverweigerung" während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({1}), Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime - Drucksachen 13/354, 13/353, 13/4586 - Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({2}), Angelika Beer, Annelie Buntenbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Entschädigung von Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetzern und Wehrdienstverweigerern unter dem NS-Regime - Drucksache 13/4409 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen Horst Eylmann das Wort.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat die hier interessierenden Anträge der SPD und der Bündnisgrünen am 16. März 1995 in erster Lesung behandelt. Die Vorlagen wurden zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß sowie zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Verteidigungsausschuß überwiesen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat die Vorlagen in der Folgezeit beraten und einstimmig festgestellt, daß in weiten Bereichen bereits eine ausreichende Entschädigungsregelung getroffen worden ist. Er hat den Rechtsausschuß gebeten, die Bundesregierung aufzufordern, für die Bereiche, in denen es noch keine entsprechenden Regelungen gibt, eine angemessene Entschädigungsregelung, insbesondere für die Überlebenden, vorzuschlagen. Der Rechtsausschuß hat die Vorlagen vom 27. April 1995 bis zum 8. Mai dieses Jahres insgesamt 13 mal, zum Teil mehrstündig, beraten. Er hat außerdem am 29. November letzten Jahres eine öffentliche Anhörung mit zehn Anhörpersonen durchgeführt. Am 8. Mai dieses Jahres lag dem Rechtsausschuß in seiner Sitzung der Entwurf eines Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern von Verurteilungen wegen der Tatbestände „Kriegsdienstverweigerung", „Desertion", „Fahnenflucht" und „Wehrkraftzersetzung" vor, außerdem der Entwurf eines Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen zur abschließenden Regelung der Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern von Verurteilungen wegen dieser Tatbestände. Der Verteidigungsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 8. Mai dieses Jahres auch mit diesen Vorlagen beschäftigt und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS empfohlen, den Kompromißvorschlag anzunehmen. Bei den Beratungen im Rechtsausschuß äußerte die Fraktion der SPD jedoch Bedenken gegen einzelne Formulierungen des Entschließungsantrages und des Erlasses. Insbesondere zu den Konsequenzen der rechtlichen Beurteilung der im Verlauf des Zweiten Weltkrieges verhängten Urteile vertrat sie eine andere Auffassung. Sie sah sich daher mehrheitlich außerstande, den Entwürfen zuzustimmen. Auch die Fraktion der Bündnisgrünen vertrat insoweit eine andere Auffassung. Die SPD sah aber davon ab, einen zunächst angekündigten Änderungsantrag zur Abstimmung zu stellen. Vielmehr wurde die weitere Behandlung dieses Tagesordnungspunktes einstimmig - ich betone: einstimmig - vertagt. Ich werte dies als Ausdruck des Willens aller Ausschußmitglieder, die Tür für weitere Gespräche nicht zuzuschlagen, sondern sich weiterhin um einen möglichst breiten, fraktionsübergreifenden Konsens zu bemühen. Meine Hoffnung, daß dies gelingen könnte, gründet sich auf folgende Gemeinsamkeiten grundsätzlicher Art, die sich in der bisherigen Diskussion im Rechtsausschuß herausgeschält haben: Erstens. Niemand will, wozu manche Pazifisten neigen, das Desertieren allgemein verherrlichen und jeden Deserteur gleichsam heiligsprechen. Zweitens. Niemand ist der Auffassung, daß eine wie auch immer geartete Rehabilitierung der Deserteure der deutschen Wehrmacht auch nur im geringsten auf Fahnenflüchtige der Bundeswehr übertragen werden kann. Der fundamentale Unterschied zwischen einer Wehrmacht, die zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mißbraucht worden ist, und der demokratisch kontrollierten Bundeswehr, der ein Angriffskrieg verfassungsrechtlich untersagt ist, liegt offen zutage. Drittens. Niemand hat bisher eine Rehabilitierung der Deserteure des Zweiten Weltkrieges als eine pauschale Herabwürdigung derjenigen deutschen Soldaten gewertet, die tapfer weitergekämpft haben, weil sie glaubten, ihrem Staat gegenüber dazu verpflichtet zu sein. Viertens. Niemand hat im Rechtsausschuß bisher in Zweifel gezogen, daß Verfahren und Urteile der deutschen Militärgerichtsbarkeit heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügten, und zwar um so weniger, je länger der Krieg dauerte. Daß es auch Richter gegeben hat, die sich in dieser schlimmen Zeit bemüht haben, das Schlimmste zu vermeiden, widerspricht dem nicht. Fünftens. Niemand hat bisher im Rechtsausschuß argumentiert, was damals gesetztes Recht gewesen sei, könne heute kein Unrecht sein. Sechstens. Niemand hat bisher in Zweifel gezogen, daß als Fazit meiner obigen Bewertung der Tätigkeit der Militärgerichtsbarkeit der Unrechtscharakter der Urteile zu vermuten ist. Siebtens. Niemand hat bisher ausdrücklich bestritten, daß in seltenen Ausnahmefällen eine Desertion im Zweiten Weltkrieg auch unter Anlegung heutiger Wertmaßstäbe als Unrecht bewertet werden kann, so wenn eine Desertion mit der Tötung eines Kameraden einherging oder dadurch erst ermöglicht wurde. Achtens. Jeder im Rechtsausschuß tritt dafür ein, daß die wenigen heute noch lebenden Opfer angemessen und schnell entschädigt werden, soweit erlittenes Leid überhaupt durch Geld ausgeglichen werden kann. Wenn es, meine Damen und Herren, soviel Gemeinsamkeiten gibt, sollte es möglich sein, die noch bestehenden Differenzen auszuräumen, Differenzen, die mir ohnehin weitgehend aus unterschiedlichen Interpretationen der vereinbarten Texte zu bestehen scheinen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Volker Kröning.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sache NS-Militärjustiz und Rehabilitierung und Entschädigung ihrer Opfer und der Hinterbliebenen liegen dem Deutschen Bundestag seit Januar 1995 Anträge der Grünen und der SPD vor. Der schriftliche Bericht des Rechtsausschusses und der mündliche Bericht seines Vorsitzenden schildern, in wie vielen Sitzungen dieses Thema behandelt und unter welchen Mühen eine Entscheidung gesucht worden ist. Im Juni 1995 ist ein Kompromißvorschlag, den die Berichterstatter ausgearbeitet hatten, gescheitert. Ein neuer Vorschlag der Berichterstatter der Koalition und der SPD, der in dem Bericht festgehalten wird, sieht eine Entschließung des Bundestages und einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen vor. Es gibt dazu noch - das haben wir in der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses festgestellt - Verbesserungsvorschläge. Es gibt auch noch - ich bitte die Mehrheit dieses Hauses, dies der Opposition zugute zu halten, die lange auf ihre Vorschläge gewartet hat und nicht mir nichts, dir nichts entscheiden kann - Beratungsbedarf. Ich bin sicher, daß es auch fraktionsübergreifend noch Beratungsbedarf gibt. Man hat sich deshalb darauf verständigt, weiter nach einer Einigung zu suchen. Lassen Sie mich gerade auch im Anschluß an das, was Herr Eylmann vorgetragen hat, drei Punkte anfügen. Erstens. Zu den Vorschlägen der Oppositionsfraktionen sind spät, aber meiner Meinung nach nicht zu spät - obwohl das nach 51 Jahren fast zynisch klingt, aber wahrhaftig so nicht gemeint ist - Vorschläge der Koalitionsfraktionen gekommen, die in den Vorschlag mündeten, der seit gestern vorliegt. Wir haben uns allesamt reichlich spät auf den Weg gemacht; hoffentlich wird es nicht als zu spät angesehen. Auch wenn wir noch nicht mit den Beratungen und Verhandlungen am Ende sind, danke ich dafür, daß es gelungen ist, so weit zu kommen. Wir müssen aufpassen, nicht dahinter zurückzufallen. Es gibt eine Grundeinigung im Parlament und zwischen Parlament und Regierung, die sowohl nach außen gegenüber dem allgemeinen Publikum als auch nach innen gegenüber der Verwaltung und vor allem gegenüber den Betroffenen und den an diesem Thema leidenschaftlich Interessierten funktionieren kann, wenn man guten Willens ist. Wir sind - das möchte ich konzedieren - weiter als im vorigen Jahr. Zweitens. Für die SPD ist entscheidend, daß der Deutsche Bundestag den Betroffenen den Makel nimmt, vorbestraft zu sein, und daß dies mit einer Entschädigung verbunden wird, die über Worte hinaus ausdrückt, daß etwas Wesentliches geschehen ist. Vor allem darf den Betroffenen kein neuer juristisch-bürokratischer Hürdenlauf zugemutet werden. Dieser Versuch - diesen Appell möchte ich an das ganze Haus richten - muß gelingen. Er sollte nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. ({0}) Aufheben und gutmachen können wir das Unrecht ohnehin nicht mehr. Drittens. Wir müssen zwischen verbalen Extremen, die im parteipolitischen Wettbewerb leicht auftreten und die nicht dienlich, sondern hinderlich sind, einen Weg finden, der zwischen der hartnäckigen Formel von der Einzelfallprüfung und der Formel von der pauschalen Rehabilitierung liegt. Dieser Weg muß politische Klarheit nach außen und rechtliche Sicherheit gegenüber denen, die es angeht, schaffen. Nach 51 Jahren müßte dies möglich sein. Alles übrige muß der Bundestag der Geschichtsschreibung und dem Gespräch zwischen den Generationen überlassen. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist fürwahr ein Trauerspiel: 51 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelten die Wehrmachtsdeserteure immer noch als Kriminelle. Es ist nicht zu fassen. Eine Entschließung des Deutschen Bundestages über die Rehabilitierung und Entschädigung der Wehrmachtsdeserteure ist mehr als überfällig. Dennoch ist es gestern im Rechtsausschuß wieder nicht zu einer Einigung gekommen. Nach über einem Jahr Tauziehen um diese Frage kann ich mich einer gewissen Bitterkeit nicht erwehren. Dennoch: Wir sollten in der heutigen Debatte auf gegenseitige Vorwürfe verzichten. Lassen Sie uns den Weg zu einer würdevollen Lösung nicht verbauen! Um der Opfer willen müssen wir in der nächsten Sitzungswoche in Berichterstattergesprächen in den beiden Punkten Rehabilitierung und Entschädigung noch einen Versuch zur Einigung unternehmen. Wir sind dazu bereit. Für uns ist dabei aber klar: Alle Verurteilungen wegen Desertion, Kriegsdienstverweigerung und Wehrkraftzersetzung müssen als Unrecht von Anfang an gebrandmarkt werden. Wer sich der Beteiligung an Hitlers Krieg entzog, der hat richtig gehandelt. Seine Verurteilung kann niemals Recht gewesen sein. Hier dürfen wir uns keine Zweideutigkeit leisten. ({0}) Das sind wir den Opfern schuldig, das sollte uns als Demokraten gemeinsam ein dringendes Anliegen sein, und das erwartet das Ausland von uns. Die Öffentlichkeit und gerade die junge Generation betrachten unsere Auseinandersetzung mit wachsendem Unverständnis. Es ist ein Streit der grauen Herren. Diese fordere ich auf: Verlassen Sie endlich die Schützengräben des Zweiten Weltkrieges. Versuchen Sie nicht, die alten Schlachten noch einmal zu schlagen. Das Dritte Reich hatte keinen legitimen Anspruch auf Gehorsam seiner Soldaten. Für meine Generation ist diese Frage längst geklärt. Das zeigen auch die erfrischenden Äußerungen des Kollegen Röttgen diese Woche im „Spiegel". In unserer Generation gibt es hier eine breite Gemeinsamkeit über alle Parteigrenzen hinweg. Auch hier im Haus gibt es für die Rehabilitierung und Entschädigung eine Mehrheit. Diese muß sich jetzt endlich auch realisieren, durch eine Verhandlungslösung oder durch Freigabe der Abstimmung. Ich halte eine Lösung für möglich. Die vorgebrachten Bedenken gegen eine pauschale Rehabilitierung lassen sich integrieren, ohne daß wir vom Grundsatz einer Unrechtserklärung abrücken müßten. In der Begründung unseres Antrages, im Entschädigungsrecht, in unserem Gesetzentwurf und in den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen gibt es Vorbilder und Anknüpfungspunkte für solche Formulierungen. Das wird die Nagelprobe sein und zeigen, ob die vorgebrachten Bedenken wirklich ernst gemeint sind oder nur eine eindeutige Rehabilitierung hintertreiben sollen. Wenn wir feststellen, daß die Deserteure Opfer nationalsozialistischen Unrechts waren, müssen wir ihnen aber auch Entschädigung zubilligen, und zwar eine Entschädigung, wie sie andere anerkannte Opfer des Nationalsozialismus früher erhalten haben. Der Orientierungsrahmen ist dann das Bundesentschädigungsgesetz, für NS-Opfer aus den neuen Bundesländern das Entschädigungsrentengesetz. Es liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, den Opfern nun einmalig außergesetzlich 7 500 DM zu zahlen. Es kommt noch schlimmer: Wenn dieser Vorschlag realisiert wird, so hat uns das Bundesfinanzministerium erklärt, erhalten die Opfer hinterher nicht mehr die Möglichkeit, die Einmalzahlung in Höhe von 5 000 DM nach den AKG-Härterichtlinien zu bekommen; denn dort werden einmal erhaltene Leistungen angerechnet. Das bedeutete für diese Opfer also nur noch eine zusätzliche Entschädigung von netto 2 500 DM, und das ist für uns wirklich völlig unakzeptabel. Es kann nicht sein, daß die Opfer mit einer solchen Einmalzahlung abgespeist werden. ({1}) Wer trägt denn die Schuld dafür, daß die Opfer ihre Ansprüche nicht fristgemäß nach dem Bundesentschädigungsgesetz geltend machen konnten? Doch nicht die Deserteure, der Gesetzgeber hat hier 51 Jahre verschlafen. Nun zu unserer Alternative, die wir Ihnen heute als Gesetzentwurf vorlegen. Wir wollen, daß gesetzlich festgestellt wird: Es geht nicht um irgendein Unrecht, es handelt sich hier eindeutig um NS-Unrecht. Alle Verfolgtenorganisationen, die im letzten Jahr am Symposium meiner Fraktion teilgenommen haben, ob der Zentralrat der Juden, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma oder die Jewish Claims Conference, haben sich in dieser Richtung geäußert. Volker Beck ({2}) Wie Sie heute der „tageszeitung" entnehmen konnten, tun sich die Entschädigungsbehörden und Rentenversicherungsträger immer noch schwer bei der Frage, welche Opfer der Militärjustiz zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grunde benötigen wir gerade nach den niederschmetternden Erfahrungen der letzten Jahrzehnte eine präzise Fassung. Auf folgendes möchte ich noch hinweisen: Wir haben nach dem Vorbild des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes sichergestellt, daß niemand eine Entschädigung bekommt, der überwiegend wegen anderweitiger Taten, gar Verbrechen wie Mord, Raub oder Vergewaltigung, verurteilt wurde. Das ist selbstverständlich. Man sollte nicht unterstellen, daß es dazu hier im Hause andere Auffassungen gebe. Das Wichtigste für uns ist aber, daß die Opfer eine laufende Entschädigungsrente erhalten. Wir haben uns an den Landesregelungen von Berlin, Hessen und zukünftig auch Nordrhein-Westfalen orientiert. Die Opfer oder ihre Hinterbliebenen sollen eine Grundrente von monatlich 500 DM erhalten. Wenn weitergehende gesundheitliche Schädigungen vorliegen, soll zudem eine Ausgleichsrente bis zur Höhe der Mindestrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz gewährt werden. Wir sind überrascht, daß die SPD, abweichend von den uns bekannten Vorentwürfen, in den letzten Wochen bereit war, auf die Forderung nach einer monatlichen Rente zu verzichten. Damit fiele man hinter die Regelung vieler Bundesländer zurück. Der Verband der Opfer stellt die Forderung nach umfassender Rehabilitierung in den Vordergrund. Uns ist aber aus zahlreichen Briefen auch bekannt, wieviele dieser Opfer ihr Alter in bitterer Armut verbringen. Zur Wiederherstellung der Würde trägt nicht bei, daß diese Opfer mit einer Einmalzahlung abgefunden werden, ehemalige Täter aber monatliche Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten. Diese Schieflage wollen wir nicht zulassen. Deshalb bitten wir um eine ernsthafte Prüfung unseres Gesetzentwurfes bei den weiteren Beratungen über die Entschädigung und die Rehabilitierung dieser Gruppe. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Weil die Freien Demokraten, wie auch viele andere hier im Hause, ganz besonderen Wert darauf legen, mit einem sehr beschwerlichen Stück Justizpolitik und Militärpolitik dieses Landes nach mehr als 50 Jahren endlich fertig zu werden, möchte ich nicht dem Beispiel meines Herrn Vorredners folgen und sagen, daß ich die weiteren Verhandlungen nicht stören will, dabei aber doch dazu beitragen, die Atmosphäre bei den zukünftigen Bemühungen unter denen, die sich nach meiner festen Überzeugung einigen müssen, damit es zu einer breiten Basis für die notwendige Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu diesem Problem kommt, ein wenig zu stören. ({0}) Deshalb werde ich mich darauf beschränken, Ihnen zu sagen: Wir werden genauso eifrig, wie wir das schon in der Vergangenheit - leider mit unzulänglichem Erfolg - getan haben, bemüht sein, in den kommenden Wochen doch noch zu der hier dringend notwendigen Einigung auf gemeinsamer Basis zu kommen. Dann werden wir erklären, warum das so ist. Heute ist es dafür zu früh. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wort.

Gerhard Zwerenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002833, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gestatten Sie mir ein Wort für die Deserteure. Wie kann ich - das habe ich mir überlegt - Ihnen in drei Minuten, die mir zur Verfügung stehen, erklären, wie dem Wehrmachtsdeserteur vor mehr als einem halben Jahrhundert zumute war und wie ihm heute in diesem Haus angesichts solcher Diskussionen zumute ist? Wie kann ich - frage ich mich - bestimmten Leuten in diesem Haus erklären, weshalb ich in der Zeit an der Front mehr Scham als Angst und bei der Desertion große Angst, aber endlich keine Scham mehr empfunden habe? Ich muß gestehen, ich kann dies nicht erklären. Deshalb nur soviel: Deutschland hat von 1939 bis 1945 einen Angriffskrieg geführt, noch dazu einen nationalistisch-rassistischen. Wer sich der Teilnahme an diesem Angriffskrieg aus welchen Gründen auch immer entzog, handelte völkerrechtsgemäß, und das heißt und kann nur heißen rechtmäßig. ({0}) Wer - wie viele Konservative in diesem Haus - dies auch nur in Einzelfällen bestreitet, sagt damit, die betreffenden Soldaten hätten die Teilnahme an diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg fortsetzen müssen. Sie beglaubigen damit nichts anderes als die Marschbefehle der Wehrmacht. Sie legitimieren im nachhinein den deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Sie sollten sich sehr gut überlegen, ob das Ihre Botschaft an die Jugend und an die nachfolgenden Generationen sein kann und sein soll. Den Rest meiner Redezeit - es dürften noch knapp zwei Minuten sein - stelle ich Ihnen zum Nachdenken über diesen unglaublichen Fall von Verspätung zur Verfügung. Danke. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Frage der Desertion geht es nicht nur um Gefolgschaft gegenüber einer Staatsführung, einer anerkanntermaßen verbrecherischen Staatsführung während der Zeit von 1933 bis 1945, sondern es geht auch um Verantwortung gegenüber den eigenen Kameraden und um Verantwortung gegenüber denen, die in der konkreten Situation einer solchen Truppe anvertraut sind, ({0}) beispielsweise um Verantwortung für die Durchführung der größten Rettungsaktion in der Seegeschichte, als 2,5 Millionen deutsche Zivilisten - Alte, Frauen und Kinder - vor dem Vernichtungskrieg Stalins gerettet werden konnten. Um eine solche Verantwortung geht es auch bei der Frage der Desertion. Das bitte ich mit zu bedenken. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Annahme ist völlig falsch, wir beträten hier heute Entschädigungsneuland. Es gibt bei uns eine Entschädigungsmöglichkeit. Wir haben - es ist vorhin schon zitiert worden - das Bundesentschädigungsgesetz. Wir haben das Bundesversorgungsgesetz. Die Ansprüche aus diesem Gesetz sind auf Grund des Urteils vom September 1991 ausgeweitet worden, jedenfalls in der Anlegung der Anspruchsgrundlagen. Und wir haben das allgemeine Kriegsfolgengesetz und daraus resultierend die Härteregelung. ({2}) Es war bislang möglich, bei Urteilen, die ungerecht waren und aus denen persönlicher Schaden entstanden ist, die Schäden aus diesen gesetzlichen Grundlagen heraus heute schon zu rehabilitieren. Aber wir haben jetzt einen neuen Gesetzentwurf der Grünen auf dem Tisch, daneben aber auch den Entwurf des Erlasses des Bundesfinanzministers, den wir leider in der letzten Rechtsausschußsitzung nicht verabschieden konnten. Ich bedaure dies, hoffe aber sehr, daß wir die Gespräche insoweit nicht abreißen lassen, sondern doch noch zu einer gemeinsamen Härteregelung finden. In diesem Erlaß ist mehr vorgesehen, als die gesetzlichen Grundlagen, wie sie die Grünen vorhaben, beabsichtigen. Nach diesem Erlaß soll eine einmalige Leistung von 7 500 DM gezahlt werden, nach den Vorstellungen der Grünen nur 5 000 DM, und diese 7 500 DM sollen nicht auf bereits erbrachte Leistungen angerechnet werden; nach dem Vorschlag der Grünen sollen sie auf erbrachte Leistungen angerechnet werden. Wir haben eine viel unbürokratischere Lösung vorgesehen. Zuständig soll allein die Oberfinanzdirektion Köln sein, und für die wenigen, um die es geht, dürfte dies eine schnelle Regelung bedeuten. Wir haben entgegen der Auffassung von Herrn Beck auch eine monatliche Entschädigungsleistung, eine Rente, vorgesehen - allerdings, im Gegensatz zu dem, was die Grünen planen, nur bei Bedürftigkeit; denn diese gilt auch für alle anderen Fälle von Kriegsopfern. Wir können überhaupt nicht davon Abstand nehmen, ohne andere Fälle von Kriegsopfern dadurch ins Unrecht zu setzen. Aus Gründen der Gleichbehandlung können wir gar nicht anders vorgehen, als wir vorgeschlagen haben.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse keine Zwischenfragen zu. ({0}) Mit diesem Erlaß glauben wir erlittenes Unrecht schneller und besser wiedergutmachen zu können als mit diesem Gesetzgebungsvorschlag. Ich habe den Eindruck, daß es den Grünen gar nicht so sehr um die Deserteure geht, sondern nur um die eigene Profilierung. Ich bedauere dies. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns bei diesem schwierigen Thema bisher alle Wortmeldungen und Reden schweigend angehört. ({0}) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir in diesem Stil fortfahren würden. Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will es, obwohl es mir schwerfällt, in einem ruhigen Ton tun: Die Worte von Herrn Geis bedürfen unbedingt der Richtigstellung. Herr Kollege Geis, wenn wir über dieses Thema reden, dann reden wir über einen Vernichtungskrieg, den das Deutsche Reich in den Händen eines Massenmörders und einer verbrecherischen Führung im Zweiten Weltkrieg gegen die slawischen Völker ins Werk gesetzt hat. Joseph Fischer ({0}) Beim Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen 1944/45 kam es zu barbarischen Exzessen - auch in anderen Teilen; das soll überhaupt nicht verschwiegen werden. Aber: Die Sowjetunion hat niemals einen Vernichtungskrieg - wie Sie, Herr Geis, es sagten - gegen das deutsche Volk oder Teile des deutschen Volkes geführt. Wenn Sie dies so sagen - ich bitte Sie, das richtigzustellen -, darf ich Sie nochmals daran erinnern: Die einzige, die unser Volk wirklich vernichten wollte, war die eigene Führung durch den Walküre-Befehl. ({1}) Es war diese verbrecherische Staatsführung, die meinte, daß unser Volk keine Existenzberechtigung mehr hätte, wenn sie in diesem Krieg - Krieg ist untertrieben: in diesem Vernichtungskampf - unterliegen würde. Es ist die Tragödie vieler dieser Generation, daß sie - oft mit besten Absichten - letztendlich Verbrechern gedient haben und es 51 Jahre danach nicht fertigbringen - ich appelliere gerade auch an die Kriegsgeneration -, sich dieser Tragödie zu stellen und den Kameraden, die, aus welchen Gründen auch immer, gesagt haben „Schluß, ich mache hier nicht mehr mit", endlich die notwendige Reverenz zu erweisen. Warum tun Sie das nicht? Nochmals mein Appell: Akzeptieren Sie doch endlich, daß jeder, der diesen Krieg nicht mehr mitmachen wollte, nicht unrecht getan hat, sondern recht getan hat; denn diese Verbrecher wollten das deutsche Volk am Ende selbst auslöschen. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Geis, Sie haben die Möglichkeit zu entgegnen.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Fischer, es ist nicht so, wie Sie sagen, daß ich nicht jede Widerstandshandlung respektieren würde. Ich habe immer wieder betont, daß ich das tue. Das können Sie allen meinen öffentlichen Äußerungen entnehmen. Das betont auch die CDU/CSU-Fraktion. Es ist nicht so, daß wir Widerstandshandlungen nicht respektierten. Das tun wir selbstverständlich. Darum geht es uns auch gar nicht. Wir möchten nur zwischen den Widerständlern und denen unterscheiden, die keine Widerständler gewesen sind. Da bitte ich auch um Ihr Verständnis. Sicher weiß ich, daß in Deutschland von 1933 bis 1945 ein verbrecherisches Regime regiert hat. Ich habe dies im ersten Satz meiner Rede gesagt. Natürlich weiß ich auch, daß dieses Regime Deutschland vernichten wollte. Es ist aber auch wahr und historisch erwiesene Tatsache, daß 2,5 Millionen deutsche Zivilisten aus dem Osten haben fliehen müssen, zum größten Teil über die Ostsee geflohen sind, wobei auf Grund der Torpedo-Angriffe eines verbrecherischen Befehls von Stalin 1,3 Millionen deutsche Frauen und Kinder in der kalten Ostsee ihren Tod gefunden haben. Das ist genauso wahr. Ich habe nur gesagt, daß sich beispielsweise eine Fregatte, die in diesem Augenblick mit ihrer Besatzung nach Schweden - was ja erweisbar und historische Tatsache ist - geflohen ist, geweigert hat, deutsche Zivilisten mitzunehmen und sie zu retten, und daß ein solcher Fregattenkapitän natürlich nicht verantwortungsvoll gehandelt hat. Mehr will ich nicht sagen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Professor Meyer das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht vor, die der SPD-Fraktion zur Verfügung stehende Redezeit noch in Anspruch zu nehmen. Ich bedaure, daß nach den der Sache angemessenen Reden der Kollegen Eylmann und Volker Kröning durch Ihre Äußerungen, Herr Geis, hier eine Atmosphäre zu entstehen droht, die der abschließenden Einigung schädlich ist. Ich halte es - das erkläre ich für meine Fraktion - für abwegig, eine Unterscheidung zwischen dem stalinistischen Vernichtungskrieg auf der einen Seite und dem Angriffskrieg in der Verantwortung von Adolf Hitler auf der anderen Seite zu versuchen und daraus Ansätze einer Rechtfertigung für letzteren Krieg - den Anschein hatte es - abzuleiten. Ich halte es auch für völlig unangemessen, Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg mit Stichworten wie Verantwortung gegenüber eigenen Kameraden und Rettung von Flüchtlingen in ein schwer erträgliches Zwielicht zu rücken. Dies weise ich zurück. ({0}) Um die Einigung, um die wir uns bemühen sollten und für die alle Vorredner, Herr Kollege Geis, gesprochen haben, hier noch einmal in den Mittelpunkt zu rücken, halte ich in Übereinstimmung mit Ihren Vorrednern fest, worauf wir im Rechtsausschuß uns schon verständigt haben. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden Zehntausende deutsche Soldaten und Zivilpersonen Opfer von Verurteilungen wegen der Tatbestände Kriegsdienstverweigerung, Desertion, Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung. Tausende von ihnen wurden hingerichtet. Wir sind uns auch über die Feststellung einig: Wegen dieser Tatbestände ergangene Urteile sind bei Anwendung grundlegender rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe unrecht. Dies sollte unsere Einigungsgrundlage bleiben. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention hat sich Kollege Gysi gemeldet. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal sagen: Wir hatten ja vor Beginn der Debatte den Eindruck und die Hoffnung, daß sich die Mitglieder der verschiedenen Seiten dieses Hauses ziemlich nahe bei einem Abschluß einer gemeinsamen Lösung befänden. Wir würden es sicherlich gemeinsam bedauerlich finden, wenn uns die Debatte von dieser Nähe wieder entfernen sollte. Dies vorausgeschickt, Herr Kollege Gysi, bitte Ihre Kurzintervention.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne mit diesem juristischen Vorbehalt, der hier ständig formuliert wird, aufräumen, indem ich darauf hinweise, daß die Motivation völlig unerheblich ist. Sie, Herr Geis, haben gesagt, es habe Widerständler und solche, die aus anderen Motiven heraus gehandelt haben, gegeben. Dann vermischen Sie das noch mit ganz anderen Tatbeständen, zum Beispiel mit Tötungstatbeständen usw., um die es aber in der Diskussion um die Rehabilitierung der Verurteilten wegen Desertion, Wehrkraftzersetzung etc. nie gegangen ist. Niemand hat hier gefordert, zum Beispiel Verurteilungen wegen Totschlags oder Mordes aufzuheben. Deshalb darf man diese Dinge nicht miteinander vermischen. Juristisch gibt es doch ein objektives Kriterium: Wenn wir gemeinsam zu der Feststellung kommen, daß niemand verpflichtet gewesen sein kann, an einem Angriffskrieg teilzunehmen, dann hat derjenige also, der sich diesem Krieg entzogen hat, rechtmäßig gehandelt und ist zu rehabilitieren, wenn er deswegen verurteilt worden ist. Dann aber haben wir nicht im einzelnen eine Motivforschung vorzunehmen. ({0}) Lassen Sie mich ein für Sie ganz unverdächtiges Beispiel aus einer ganz anderen Zeit nennen. Wir rehabilitieren - wie ich meine, zu Recht - alle, die wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in der DDR verurteilt worden sind. Glauben Sie im Ernst, daß die alle nur edle Motive hatten? Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen nicht ein Beispiel für jemanden nennen kann, der nur seine Kinder und seine Frau verlassen wollte? Dennoch ist es richtig, daß er rehabilitiert wird, weil die DDR nicht das Recht hatte, ihn daran zu hindern, das Land zu verlassen, wenn er es denn wollte. ({1}) Stellen Sie sich doch einmal auf diesen Standpunkt: Wer sich als Angehöriger der Deutschen Wehrmacht dem Krieg Hitlers entzogen hat, handelte rechtmäßig. Da ist dann zunächst weiter nichts zu prüfen; das ist festzustellen. Dazu ist es nach 51 Jahren höchste Zeit. Das sollten Sie wirklich endlich tun! ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Geis, Sie haben noch einmal die Möglichkeit, darauf zu antworten, wenn Sie es wünschen. ({0}) - Danke! Dann schließe ich damit die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 13/4409 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB ({1}) - Drucksache 13/2463 - ({2}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts ({3}) - Drucksache 13/199 - ({4}) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts - §§ 177 bis 179, 184 c StGB - Drucksache 13/323 - ({5}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk und den weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts ({6}) und Regelungen der Strafprozeßordnung bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen - Drucksache 13/536 - ({7}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8}) - Drucksache 13/4543 - Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({10}), Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform des Sexualstrafrechts ({11}) und strafprozessualer Regelungen zur Verwirklichung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung - Drucksachen 13/3026, 13/4543 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Zu dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, außerdem ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache zwei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen Horst Eylmann das Wort.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wort Max Webers, daß Politik etwas mit dem Bohren dicker Bretter zu tun habe, ist ja schon etwas abgegriffen. Ich bitte Sie dennoch um Verständnis, wenn ich dieses Zitat einer Rede voranstelle, die am Ende meiner nun schon zehn Jahre andauernden Befassung mit diesem Thema steht. Diejenigen unter Ihnen, die diesem Hause schon länger angehören, werden wissen, daß ich im Laufe der Jahre wiederholt das Wort hierzu ergriffen habe; ich denke, es war mindestens ein halbes dutzendmal. Sie werden auch verstehen, meine Damen und Herren, daß ich jetzt sehr froh und erleichtert darüber bin, daß es uns endlich gelingt, eine Strafbestimmung zu ändern, die auf einem längst überholten Verständnis der Ehe beruhte und letztlich eine Diskriminierung der Ehefrauen bedeutete. Ihnen versagte nämlich der Strafgesetzgeber gegenüber gewaltsamen Übergriffen des eigenen Ehemannes den Schutz, den andere Frauen genossen. Dies, meine Damen und Herren, ist der entscheidende Punkt: Endlich wird auch im Strafrecht klargestellt, daß die Frau mit der Heirat ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht nicht verliert und der Mann in der Ehe nicht der allmächtige Paterfamilias ist, dem die Ehefrau immer dann sexuell zu Willen sein muß, wenn er es verlangt. Der Ehemann, der sich daran nicht hält, wird nicht etwa milder bestraft, nur weil er gewaltsam gegen die eigene Ehefrau und nicht gegen eine fremde Frau vorgegangen ist. Ich betone dies, meine Damen und Herren, deshalb so ausdrücklich, weil die Gefahr besteht, daß dieser entscheidende Punkt hinter einem Wust von zweit- und drittrangigen Streitfragen verschwindet, die in der Praxis keine Rolle spielen, mit denen aber unzählige Seiten von Papier bedruckt werden, die uns in diesen Tagen auf den Schreibtisch kommen. ({0}) Ich habe von zehn Jahren gesprochen. Dabei ist das für Reformbemühungen noch ein relativ kurzer Zeitraum. Ich will ein Beispiel herausgreifen, das Ihnen zeigen mag, daß die Streitlinien in der Vergangenheit mit den Parteilinien durchaus nicht dekkungsgleich waren. 1970 war der Bundesrat mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts befaßt. Am 7. Oktober 1970 stellte das Bundesland Hessen im Rechtsausschuß des Bundesrates den Antrag, in § 177 das Wort „außerehelich" zu streichen und einzufügen: „Ist die Frau mit dem Täter verheiratet oder heiraten beide nach der Tat, so kann das Gericht von Strafe absehen. " Dieser Antrag wurde im Bundesrat mit einer breiten Mehrheit abgeschmettert, auch von den SPD-geführten Ländern. Nur ein Land unterstützte Hessen. Raten Sie einmal, welches Land das war? ({1}) Es war der Freistaat Bayern. Schon damals war der Fortschritt in Bayern zu Hause. ({2}) Wir können feststellen, daß wir mit dem heutigen Gesetz eine vor langer Zeit gestellte Forderung des Freistaats Bayern erfüllen. Meine Damen und Herren, kommen wir zu den Bedenken, die gegen diesen Gesetzentwurf, gegen die Formulierung des neuen § 177, geäußert werden. Da gibt es die Besorgnis, Vergewaltigungen könnten in Zukunft milder bestraft werden. Jetzt ist in § 177 eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vorgesehen; in minder schweren Fällen beträgt sie sechs Monate bis zu fünf Jahren. Bei § 178 liegt der Strafrahmen bei einem Jahr bis zu zehn Jahren; in minder schweren Fällen kann mit drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. In Zukunft werden wir nur noch einen Tatbestand haben. Die Freiheitsstrafe für den zusammengefaßten Tatbestand der sexuellen Nötigung umfaßt einen Zeitraum von nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen beträgt sie nicht unter zwei Jahren. Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt, die dieses besonders erniedrigen. Ich kann nicht verstehen, weshalb diese Formulierung die Besorgnis hervorrufen kann, in Zukunft könnten Vergewaltigungen milder bestraft werden als in der Vergangenheit. Es ist festgelegt: Die Vergewaltigung im engeren Sinne ist in der Regel ein besonders schwerer Fall, für den die Freiheitsstrafe mindestens zwei Jahre beträgt. Die Richterinnen und Richter müssen sich schon Mühe geben, zu begründen, weshalb eine Vergewaltigung diesem Regelfall nicht unterworfen werden soll. Ich halte diese Bedenken daher für völlig unbegründet. Es gibt gegen die sogenannte Widerspruchslösung noch stärkere Bedenken. Die Kritik vermittelt den Eindruck, daß die Widerspruchsmöglichkeit der Ehefrau dazu benutzt werde, Tausende von Ehemännern davor zu bewahren, wegen ihrer Vergewaltigung zur Rechenschaft gezogen zu werden. Diese Vorstellungen gehen völlig an der Realität vorbei. Zunächst einmal, meine Damen und Herren: Die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau war auch bisher schon als Nötigung und Körperverletzung strafbar. Wieviele Verfahren hat es denn gegeben? Wieviel Anzeigen sind aus den Frauenhäusern erstattet worden? ({3}) - Darauf kommt es doch gar nicht an. ({4}) - Nein. Entscheidend ist die Strafbarkeit. Es gibt doch keinen Grund, eine Strafanzeige zu unterlassen, nur weil man glaubt, es gebe einen anderen Straftatbestand. Sie machen sich doch selbst etwas vor, wenn Sie glauben, aus diesem Grunde seien Strafverfolgungen nur selten vorgekommen. Sie wissen im Grunde sehr genau, warum die Frauen in den Frauenhäusern in den seltensten Fällen Anzeige erstattet haben. Ich will doch die hohe Dunkelziffer überhaupt nicht in Zweifel ziehen. Die Frauen verzichten auf die Anzeige, weil sie sehr genau wissen, wie die Beweislage ist. Das ist der entscheidende Punkt. Die Beweislage werden Sie nicht aus der Welt schaffen können. Wer seine eigene Ehefrau - leider Gottes - vergewaltigt, tut dies nicht in Gegenwart von Zeugen. Der zweite Punkt: Die Ehefrau, die vom eigenen Ehemann vergewaltigt worden ist, hat ein Aussageverweigerungsrecht. Selbst wenn man den noch so dringenden Verdacht hat, daß sie von diesem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, weil sie unter Druck gesetzt wird, ist dieses Recht zu respektieren. Wenn Sie es abschaffen wollen, müssen Sie es sagen. ({5}) - Sie wollen es nicht abschaffen. Das ist der entscheidende Punkt. Jetzt wird mir entgegengehalten, man könne eine richterliche Vernehmung machen. Natürlich kann man das. Man kann auch das Protokoll nachher verlesen. Aber wer ein bißchen Erfahrung in deutschen Gerichtssälen hat, weiß, daß ein tüchtiger Verteidiger in fast jedem Fall, in dem die Ehefrau, das Opfer, in der Hauptverhandlung von dem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, einen Freispruch herausholt. Das wird in der Praxis nicht zu ändern sein. ({6}) - Ich will Ihnen doch sagen, warum ich immer für diese Gesetzesänderung eingetreten bin. In den seltenen Fällen, in denen es auch bisher zu einer Verurteilung kam, habe ich es als nicht erklärbar und grob ungerecht empfunden, daß hier nach einem anderen Paragraphen und nicht nach dem Vergewaltigungsparagraphen Recht gesprochen werden mußte. Das ist ungerecht und nicht zu rechtfertigen. Aber ich warne vor der Illusion, wir würden jetzt in großem Umfange Strafverfahren wegen Vergewaltigung der Ehefrau bekommen. ({7}) - Natürlich! Wenn ich das lese, was ich auf den Tisch bekomme, gewinne ich den Eindruck, daß man genau das anzunehmen scheint. Meine Damen und Herren, das Thema Vergewaltigung scheint die Ideologen anzulocken wie die Motten das Licht. Wir hatten es früher mit den Ideologen auf der Seite der Männer zu tun, ({8}) den Chauvinisten, die generell bestritten, daß so etwas häufiger vorkäme, und im übrigen meinten, die Vergewaltiger in der Ehe müßten milder behandelt werden, weil die Ehefrau letztlich zum Beischlaf verpflichtet sei. Jetzt haben wir die Ideologen auf der feministischen Seite. Da wird mir geschrieben, die Würde der Frau sei in Gefahr, weil sie ein Widerspruchsrecht habe, obwohl die Briefschreiber genau wissen, daß dieses Widerspruchsrecht von der Staatsanwaltschaft überprüft werden kann. ({9}) Und wenn die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, daß die Frau unter Druck gesetzt wird, oder wenn es sich um einen Wiederholungstäter, eine besonders spektakuläre Tat oder um eine Tat handelt, bei der besonders brutal vorgegangen worden ist, dann kann und wird die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse bejahen und dennoch anklagen, wobei dann noch die große Frage ist, ob eine Verurteilung wirklich erreichbar ist, wenn die Frau nach wie vor die Aussage verweigert. Aber diese in der Natur der Sache liegende Schwierigkeit können Sie auch mit noch so vielen ideologischen Vorstellungen nicht aus der Welt schaffen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Eylmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Hanna Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eylmann, ich erinnere mich an wirklich sehr eindrucksvolle Debatten in diesem Hause, auch an Beiträge von Ihnen, in denen Sie zum Ausdruck brachten, wie verwerflich eine Vergewaltigung durch den Ehemann sei, da dort ein größeres Vertrauensverhältnis als sonst bestehe. Sie wollen uns jetzt etwas erklären, worüber es eigentlich gar keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Eine Meinungsverschiedenheit gibt es bei dieser Widerspruchsregelung. Sie haben gerade gesagt, daß es auf jeden Fall zur Anklage kommen werde. Jetzt erklären Sie uns „Ideologinnen" doch einmal ganz deutlich, worin der Wert dieser Widerspruchsregelung liegt, wenn Sie schon das Instrument der Zeugnisverweigerung als Möglichkeit genannt haben, es Hanna Wolf ({0}) nicht zur Anklage kommen zu lassen. Wozu brauchen wir die Widerspruchsregelung? Glauben Sie nicht, daß es tatsächlich die Möglichkeit des Drucks gibt und daß der Mann jetzt sogar noch gewalttätiger sein muß, um die Frau dazu zu bringen, auf die Anzeige zu verzichten? Eigentlich ist das doch eine Aufforderung, noch mehr Gewalt auszuüben. Halten Sie diesen Zusammenhang für völlig abwegig?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Den letzteren Zusammenhang halte ich in der Tat für völlig abwegig. Ich weiß, daß es Fallkonstellationen in der Vergangenheit gegeben hat und auch in Zukunft geben wird, in denen der Täter das Opfer zu bewegen versucht, keine Aussage zu machen oder Widerspruch zu erheben. Mit dieser Situation müssen wir leben. Bei der Aussageverweigerung können wir gar nichts machen, beim Widerspruch können wir das immerhin noch berücksichtigen, wenn wir den Eindruck haben, daß Druck ausgeübt wird. Wenn Sie jetzt fragen, was die Widerspruchslösung bringt, so will ich es Ihnen gerne sagen; das ist in der Anhörung auch von Praktikern gesagt worden. Wenn eine Ehefrau - es wird ganz seltene Fälle geben, glauben Sie mir - später den Widerspruch erklären will, dann wird sie vom Staatsanwalt oder vom Richter sehr kritisch befragt werden. Dann hat der Staatsanwalt durchaus die Möglichkeit, seine Entscheidung über die Bejahung des öffentlichen Interesses davon abhängig zu machen, daß sich zum Beispiel der Ehemann einer therapeutischen Behandlung unterzieht. Diese Möglichkeiten im Vorfeld gibt es. Ich kann nicht verstehen, daß gerade die Sozialdemokratische Partei, von der ich so häufig Skepsis gegen die Wirksamkeit von Strafen höre, in diesem Punkt glaubt, die Strafe werde die Gewalt in der Ehe beseitigen. Glauben Sie mir, das Strafrecht hat nur eine sehr beschränkte Wirksamkeit und Möglichkeit, die - leider - bestehende Gewalt innerhalb der Familie zu bekämpfen. Es hat nur eine flankierende Bedeutung. Ich warne davor, das zu überschätzen. Meine Sorge ist, meine Damen und Herren - deshalb betone ich es -, daß das, was wir eigentlich immer gemeinsam gewollt haben, nämlich mit dieser Gesetzesänderung ein Signal zu setzen - auch gerichtet an die männliche Öffentlichkeit, daß die Ehefrau in dieser Hinsicht denselben Schutz genießt wie eine andere Frau -, verschüttet wird, weil man nur noch davon redet, daß die Ehemänner eine Möglichkeit hätten, ein Verfahren zu vermeiden, indem sie ihre Frauen unter Druck setzten. Es wäre sehr bedauerlich, wenn dieser Eindruck entstünde. Deshalb hoffe ich nach wie vor, daß der entscheidende Punkt, den wir jetzt erreicht haben, nämlich die Gleichsetzung dieser beiden gleich schlimmen Formen der Vergewaltigung, nicht untergeht, sondern daß wir dieses Signal an die Öffentlichkeit senden und sagen: Das ist nicht so etwas wie ein Kavaliersdelikt. Vergewaltigung ist ein schweres Delikt, und jeder, der vergewaltigt - ganz gleich, wen -, muß mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren rechnen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Erika Simm.

Erika Simm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem in dieser Legislaturperiode erneut eingebrachten Antrag zur Änderung des Sexualstrafrechts hat die SPD-Fraktion seit 1972 den nunmehr fünften Versuch unternommen, diese längst überfällige Gesetzesreform auf den Weg zu bringen. Wie es ausschaut, werden wir heute endlich ein Gesetz verabschieden, das wesentliche Punkte einer notwendigen Reform regelt. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause wird es wohl nicht der SPD-Entwurf sein, der in dritter Lesung verabschiedet wird, sondern ein Entwurf der Regierungsparteien, der leider den Schutz vor sexueller Gewalt in der Ehe nur halbherzig verwirklicht, weil er mit der sogenannten Widerspruchsregelung die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches in die Hand des Opfers legt. Die vergewaltigte Ehefrau wird zur Herrin des Strafverfahrens gemacht und damit zum Opfer möglicher Erpressung durch den gewalttätigen Ehemann. Ich denke, jeder einzelne Fall ist einer zuviel. Es geht ja nicht damm, wie massenhaft das geschieht. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., haben an dieser Regelung mit Zähnen und Klauen festgehalten, obwohl Sie von vielen Seiten darauf hingewiesen wurden, daß damit ein wesentlicher Teil des Reformvorhabens leerlaufen würde. Es gab ja zunächst einige Frauen in Ihren Reihen, die Bedenken hatten, die Widerspruchsklausel mitzutragen. Leider genügte aber schon ein bißchen Kosmetik an der ersten Fassung, um ihr Gewissen zu beruhigen. ({0}) Denn nichts als Kosmetik ist es, wenn nun vorgeschrieben wird, daß das Opfer den Widerspruch gegen das Strafverfahren persönlich vor dem Staatsanwalt und dem Richter erklären muß. Glauben Sie im Ernst, daß dadurch auch nur ein Jota mehr an Schutz für die vergewaltigte Ehefrau gewonnen ist? Woher nehmen Sie die feste Überzeugung, der Staatsanwalt oder der Richter - der „Vorsitzende des Gerichts" steht im Gesetz - werde es schon erkennen, wenn das Opfer unter Druck zum Widerspruch veranlaßt wurde? Woher nehmen Sie die Überzeugung, daß jeder Richter und Staatsanwalt das überhaupt erkennen will? Erledigt sich doch mit der Erklärung ein vielleicht schwieriges, unangenehmes Verfahren problemlos. Offenbar haben Sie vergessen, daß das Bedürfnis nach einer umfassenden Reform dieser Straftatbestände nicht zuletzt aus der Praxis der Rechtsprechung entstanden ist, weil die Gerichte den Gewaltbegriff so eng ausgelegt haben, daß unerträgliche Strafbarkeitslücken entstanden sind. Vergessen haben Sie offensichtlich auch, daß es Staatsanwälte und Richter waren, die nach dem Vorleben des Opfers fragten und einen „unsittlichen Lebenswandel" oder ein „aufreizendes Verhalten" des Opfers als Strafmilderungsgrund für den Täter werteten. Sicherlich hat sich hier in den letzten Jahren auch bei den Gerichten einiges zum Positiven verändert; aber noch immer sind auch Staatsanwälte und Richter nur Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen und unterschiedlichen Wertungen. Es gibt fleißigere und weniger fleißige, und es gibt vor allem sensiblere und weniger sensible. Aus meiner eigenen Berufserfahrung als Staatsanwältin und als Richterin weiß ich, daß der Stempel „eingestellt mangels öffentlichen Interesses" - den gibt es nämlich - bei der Staatsanwaltschaft schnell zur Hand ist, wenn sich die Akten auf dem Schreibtisch türmen und der Stempel hilft, das Verfahren rasch und einfach zu erledigen. Nicht bedacht haben Sie offenbar, was es für die vergewaltigte Ehefrau, die sich aufgerafft hat, ihren Ehemann anzuzeigen, bedeutet, wenn sie nun auch noch persönlich beim Richter oder Staatsanwalt antreten muß, um dort den Widerspruch zu erklären und damit zu offenbaren, daß sie nicht die Kraft hat, das Strafverfahren durchzustehen. Dabei muß sie auch noch beteuern, daß sie diese Erklärung völlig unbeeinflußt von Dritten abgebe und insbesondere - so legen Sie die jetzige Regelung aus - ihr Ehemann keinerlei Druck auf sie ausgeübt habe. Meinen Sie denn nicht, daß dies zu einer neuerlichen unerträglichen Demütigung für die Frau werden kann? Es gibt keinerlei Gründe, die für Ihre Widerspruchsregelung sprechen, weder juristische, noch rechtspolitische, noch soziale; aber es gibt viele Gründe dagegen. ({1}) Wir stellen deswegen gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag, aus Ihrem Gesetzentwurf die Widerspruchsklausel zu streichen. Ich appelliere vor allem an die Kolleginnen unter Ihnen, diesem Antrag zuzustimmen und damit den schlimmsten Mangel zu beheben, der Ihrem Gesetzentwurf anhaftet und ihm den Charakter eines halbherzigen, faulen Kompromisses verleiht. Besser noch wäre es allerdings, wenn der zweite Änderungsantrag, den die SPD-Fraktion einbringt und der darin besteht, die Regelungen im Entwurf von CDU/CSU und F.D.P. im Sinne des Gesetzentwurfes der SPD zu ändern, eine Mehrheit fände. Damit würden sich nämlich weitere wesentliche Kritikpunkte, die wir an dem Entwurf der Regierungsparteien haben, erledigen. Ich nenne einige beispielhaft: Da ist zum einen der einheitliche Tatbestand, in dem sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zusammengefaßt werden dergestalt, daß der bisher selbständige Tatbestand der Vergewaltigung nur noch ein in der Regel besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung ist. Dies hat zur Folge, daß das Gericht trotz Vorliegens aller Merkmale einer Vergewaltigung sagen kann, eine solche liege im konkreten Fall nicht vor, für die Tat sei der Strafrahmen der sexuellen Nötigung ausreichend. Wir kritisieren ferner, daß Sie sich bei der allseits als notwendig erkannten Erweiterung des Tatbestandes - Stichwort: Ausnutzung der hilflosen Lage des Opfers - einer Formulierung bedienen, die ohne Bezug im Strafgesetzbuch ist. Um ja nicht den von der SPD erstmals vorgeschlagenen Begriff der „hilflosen Lage" verwenden zu müssen, haben Sie sich für die Formulierung „Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist" entschieden. Nicht zu Unrecht hat einer der Professoren unter den Sachverständigen gemeint, der erste Vorschlag sei Lyrik. Ich denke, der zweite ist nicht sehr viel anders zu bewerten. Das Wort „ausgeliefert" provoziert meines Erachtens geradezu wieder eine restriktive Auslegung, wie wir sie aus der Rechtsprechung zu den bisherigen §§ 177, 178 des Strafgesetzbuches zur Genüge kennen. Der Änderungsantrag der SPD vermeidet solche Fehler. Er hält an dem Tatbestand der Vergewaltigung als einem selbständigen Tatbestand fest und gewährleistet, daß künftig ein Vergewaltiger im Urteilstenor wegen Vergewaltigung und nicht nur wegen sexueller Nötigung verurteilt wird. Der SPD-Antrag vermeidet durch den Verzicht auf jede Sonderregelung für Eheleute auch den fatalen Eindruck, daß es sich bei sexueller Gewalt in der Ehe um ein minderschweres Unrecht handelt, das eine Privilegierung des Täters rechtfertigen könnte. Zum Schluß möchte ich noch ein paar Sätze zu § 179 StGB sagen: sexueller Mißbrauch von Widerstandsunfähigen. Richtig ist, daß der geringe Strafrahmen in § 179 des Strafgesetzbuches nach der bisher geltenden Rechtslage zu niedrig war und eine Diskriminierung behinderter Opfer darstellte. Soweit nun aber im Kontext der von SPD, aber auch von den Regierungsparteien eingebrachten Gesetzentwürfe gefordert wird, der Strafrahmen des § 179 StGB müsse erhöht werden, liegt dem - wie auch dem entsprechenden Antrag der Grünen - ein grundsätzlicher Irrtum zugrunde, nämlich der, behinderte Menschen würden vom Schutz der neugefaßten §§ 177, 178 ausgeschlossen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Erweiterung des Tatbestandes um das Merkmal „Ausnutzung einer hilflosen Lage" - oder eine adäquate Formulierung - werden gerade auch behinderte Menschen unter den Schutz der Tatbestände sexuelle Nötigung und Vergewaltigung gestellt. Meiner Meinung nach könnte der § 179 eigentlich gestrichen werden. Das Bundesjustizministerium hat dieses Problem aber anscheinend zu spät erkannt und mir auf meine Frage, wie das denn zu sehen sei, gesagt, so genau wüßten sie es nicht. Man müsse die Strafrechtspraxis jetzt mit der neuen Strafbestimmung abwarten. Es bestehen Ängste, daß es eine Lücke im strafrechtlichen Schutz für Behinderte gibt. Das Bundesjustizministerium hat dringend gebeten, den § 179 im StGB stehenzulassen. Ich hatte gebeten, daß man mit der Abschlußberatung nicht so hetzt und uns Gelegenheit gibt, das noch einmal zu beraten und uns dazu auch beraten zu lassen. Das ist abgelehnt worden, weil man dieses Gesetz offensichtlich heute durchziehen will. Bei dieser Sachlage erscheint es mir sinnvoll, zu verfahren, wie wir uns jetzt entschieden haben: Wir lassen § 179 im Gesetz, werden aber kritisch die Rechtsprechung dazu beobachten, insbesondere auch die Rechtsprechung zu den neuen Tatbeständen. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, werden wir umgehend Änderungsvorschläge vorlegen, mit denen je nach dem Ergebnis ein ausreichender Schutz für Behinderte gewährleistet oder ein Zuviel an Schutz zurückgenommen wird. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Zahlreiche Briefe von Frauenverbänden, Menschenrechtsorganisationen und Frauenhäusern sowie Tausende von Unterschriften sind in den letzten Wochen in den Fraktionen eingegangen. Sie belegen eindrucksvoll, welche Bedeutung diesem heutigen Tag zukommt. Die Reaktionen zeigen aber auch sehr deutlich, was die Frauen in unserem Lande vom Parlament erwarten: ein Gesetz, das jede Vergewaltigung als Verbrechen bestraft, unabhängig davon, ob der Vergewaltiger der Ehemann ist oder nicht. Der Entwurf der Koalition wird diesem Anspruch nicht gerecht. Er hält an einem zu eng gefaßten Gewaltbegriff fest, obwohl eine Veränderung stattgefunden hat. Er hält weiterhin einen sogenannten minder schweren Fall von sexueller Gewalt aufrecht - wie im übrigen auch der SPD-Entwurf, dem wir aus diesem Grunde nicht zustimmen können; wir werden uns der Stimme enthalten -, und er gesteht den Opfern sexueller Gewalt viele notwendige Rechte während des Verfahrens nicht zu. Von einer umfassenden Strafrechtsreform kann also keine Rede sein. Ganz wichtig sind mir zwei Punkte. In Ihrem neuen Gesetzentwurf halten Sie unter anderem an der Diskriminierung behinderter Opfer von sexueller Gewalt fest. Frau Simm, das sehe ich anders, als Sie das gerade sagten; ich erläutere das. Sie machen Unterschiede. Die Vergewaltigung einer widerstandsunfähigen Person soll weiterhin geringer bestraft werden. ({0}) Zu dieser Gruppe der Widerstandsunfähigen gehört die schwer geistig behinderte Person, aber auch diejenige, die unter Drogen oder im Koma vergewaltigt wird. ({1}) - So ist die Rechtsprechung. - Wollen Sie immer noch vertreten, daß der Täter bei der Vergewaltigung eines wehrlosen Opfers weniger kriminelle Energie aufwenden muß? Wollen Sie damit wirklich das niedrigere Strafmaß rechtfertigen? Für uns ist die Opferperspektive entscheidend. Darum fordern wir in unserem Änderungsantrag: Widerstandsunfähige Opfer, die nicht in der Lage sind, sich gegen den Täter zu verteidigen, dürfen nicht weniger strafrechtlich geschützt werden. Der zweite zentrale Punkt ist, daß Sie sich, meine Damen und Herren der Koalition, in der rechtspolitischen Debatte damit schmücken, die eheliche und die außereheliche Vergewaltigung endlich gleich zu behandeln. Einerseits beziehen Sie die Vergewaltigung in der Ehe in den Straftatbestand der Vergewaltigung ein, andererseits gliedern Sie ihn flugs wieder aus, und zwar bei der Strafverfolgung. Das ist ein Taschenspielertrick. Bei einer außerehelichen Vergewaltigung wird der Täter in jedem Fall bestraft, bei der sexuellen Straftat in der Ehe kann er straflos ausgehen. Widerspricht die Ehefrau der weiteren Strafverfolgung, werden alle Ermittlungen gestoppt. ({2}) Damit bürden Sie die Entscheidung dem Opfer auf, ob das Strafverfahren fortgeführt wird oder nicht. Der Erpressung der Frauen durch ihre Ehemänner oder das familiäre Umfeld, Widerspruch gegen die Strafverfolgung einzulegen, wird damit Tür und Tor geöffnet. Ihre Idee, daß die Tat, falls der Widerspruch unter Druck zustande gekommen ist, doch verfolgt werden soll, ist ein ganz besonderer rechtspolitischer Drahtseilakt. Für dieses „besondere" öffentliche Interesse, bei dessen Vorliegen trotz Widerspruchs weiter gegen den Täter ermittelt werden soll, gibt es nämlich bisher keinerlei Kriterien. Überdies kommt es mit der Widerspruchsklausel noch schlimmer. Mit dieser Regelung verabschiedet sich der Staat aus der Verfolgung familiärer Gewalt, denn auch bei gefährlicher Körperverletzung oder Nötigung in Verbindung mit der Vergewaltigung soll das Opfer der Strafverfolgung auch widersprechen können. Ich will es einmal sehr drastisch schildern - einen solchen Fall gibt es -: Verbrüht der Täter das Opfer mit heißem Wasser und vergewaltigt es anschließend, kann das nach Ihren Vorstellungen straflos bleiben. Verbrüht der Täter das Opfer lediglich, wird er wegen gefährlicher Körperverletzung bestraft. Diese juristische Logik ist doch absurd. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich habe gleich selbst eine Frage. Deswegen möchte ich gern weitersprechen. Ich frage einen der Väter der Widerspruchsklausel. Herr Geis, nennen Sie mir doch einen plausiblen juristischen Grund, warum Sie ein Sonderrecht für Ehemänner in das Strafgesetzbuch schreiben wollen. Warum soll ein Verbrechen ungeahndet bleiben können, nur weil der Ehemann der Täter ist? Es ist schon eine eigenwillige Interpretation des Grundgesetzes, gewalttätige Ehemänner unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen. An dieser Stelle möchte ich den SPD-Frauen gratulieren. Sie haben es geschafft - durch die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung wissenschaftlich gestützt -, die Versöhnungsklausel zu streichen. Meine Damen und Herren von der Koalition, es gibt in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit über die Parteigrenzen hinweg großen Protest gegen die Widerspruchsklausel. Auch Ihre frühere Justizministerin ist der Meinung, daß der strafrechtliche Schutz bei sexueller Gewalt in ehelicher Beziehung „nicht zur Symbolik verkümmern darf". Sie hat sich gegen das Widerspruchsrecht ausgesprochen. Auch Sie, liebe Kolleginnen von der Koalition, haben lange dafür gekämpft, daß Ehefrauen kein Freiwild mehr sind und daß sich die unendlich langsame Geschichte der Gleichberechtigung auch bei sexueller Gewalt in der Ehe endlich weiterbewegt. Sie haben als Parlamentarierinnen Forderungen unterstützt, die von Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft erhoben wurden und die manchmal schon anachronistisch anmuteten. Ich weiß, daß einige von Ihnen das Widerspruchsrecht von ihrer Überzeugung her nicht mittragen können. Entscheiden Sie sich nach Ihrem Gewissen! Opfern Sie Ihre Überzeugung nicht dem Koalitionsfrieden! Um Ihnen das zu erleichtern, haben wir trotz aller sonstiger Kritik am Koalitionsentwurf gemeinsam mit der SPD einen Antrag gestellt, die Widerspruchsklausel zu streichen. Vielleicht werden wir heute doch noch einen historischen Tag im deutschen Parlament erleben, an dem sich Frauen und möglicherweise auch Männer über die herrschende männliche Koalitionsmeinung hinwegsetzen und sich gegen das Widerspruchsrecht und damit für den Schutz von Frauen entscheiden. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jörg van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Streit darüber, ob und wie eine vergewaltigte Ehefrau einer weiteren Strafverfolgung widersprechen kann, wird die heutige Debatte überlagern. Die bisherigen Beiträge haben das gezeigt. Dabei gerät leider in Vergessenheit, welche wesentlichen Fortschritte, welchen besseren Schutz die Novellierung des Vergewaltigungsrechts bringen wird. Am wichtigsten ist für mich, daß es in Zukunft keine Beschränkung mehr auf den vollzogenen Beischlaf geben wird. Gerade die anderen Penetrationsformen schädigen nämlich nach meinen staatsanwaltlichen Erfahrungen die Opfer einer Vergewaltigung sowohl körperlich als auch seelisch in der Regel sehr viel intensiver. Wer hat es als strafrechtlicher Praktiker nicht erlebt, daß eine Frau etwa durch ein dichtes Heranfahren des Autos an eine Mauer in eine - ich wiederhole den Begriff, den auch Sie vorhin erwähnt haben, Frau Simm - hilflose Lage gerät und keinerlei Chance zu einer Gegenwehr gegen die sexuelle Annäherung hat? Nach dem bisherigen Recht liegt bei einem unter Ausnutzung dieser hilflosen Lage erzwungenen Geschlechtsverkehr keine Vergewaltigung vor. Hier schließt der Entwurf eine große Lücke, durch die sexuell schwer mißhandelte Frauen nicht begründbar intensiv benachteiligt worden sind. Dies sind die tagtäglichen Fälle. Ich hoffe deshalb, daß sich jeder, der heute gegen den Entwurf stimmt, dessen bewußt ist, welche Folgen die Ablehnung für den notwendigen strafrechtlichen Schutz insbesondere von Frauen hätte. Für uns Liberale ist es auch ein wichtiger Fortschritt, daß die Vorschrift jetzt geschlechtsneutral formuliert wird. Nicht, daß wir den Eindruck hätten, es gäbe besonders viele sexuell gewaltsam vorgehende Frauen. Sie alle konnten aber vor wenigen Wochen in einem bekannten Magazin lesen, daß es Vergewaltigungen unter Männern offenbar viel häufiger gibt, als es die Statistik ausweist. Die Dunkelziffer ist sicher auch deshalb besonders hoch, weil trotz gravierender Tatbestände bisher nur eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung möglich war. Im Bereich der nunmehr endlich strafbaren Vergewaltigung in der Ehe ist für mich eine Botschaft besonders wichtig: Eine Frau gibt mit der Eheschließung nicht ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ab. Als strafrechtlicher Praktiker bin ich über die Heftigkeit des Streites über die sogenannte Versöhnungs- oder Widerspruchsklausel überrascht. Es ist doch eine Illusion, zu glauben - der Kollege Eylmann hat doch zu Recht darauf hingewiesen -, ohne diese Klausel sei Druck ausgeschlossen. Eine Ehefrau kann doch dadurch, daß sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, eine strafrechtliche Verfolgung jederzeit unmöglich machen, und das trotz richterlicher Vernehmung. Wir haben ja solche Fälle tagtäglich erlebt. Wer also behauptet, die Frau sei durch die Widerspruchsklausel hilflos dem fortwirkenden Einfluß des Verbrechers ausgesetzt, geht deshalb an den Realitäten völlig vorbei. Auch ohne diese Klausel oder ohne die Versöhnungsklausel kann man doch durch EinJörg van Essen fluß auf die Frau erreichen, daß die Tat von ihr gar nicht oder als weniger gravierend dargestellt wird. ({0}) Durch die im Entwurf vorgesehene Erklärung vor einem Staatsanwalt oder Richter kann und muß sich die Justiz ebenso wie bei der Versöhnungsklausel ein Bild davon machen, was bei dem vergewaltigten Opfer zu dem Wunsch führt, die Strafverfolgung solle nicht fortgesetzt werden. Es gibt doch kaum einen zwingenderen Grund, ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen, als den, daß Druck auf das Opfer ausgeübt wird. Ich würde mich im übrigen bei einem Verbrechen von diesem Gewicht auch sehr wundern, wenn die Praxis in Zukunft nicht häufig von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung ausgehen würde. Das wird der Regelfall werden. Dieses Interesse ist im übrigen nach meiner Vorstellung selbstverständlich dann gegeben, wenn neben dem bereits angesprochenen Druck auf das Opfer die Tat etwa vor Kindern begangen wird, der Täter besonders brutal vorgegangen ist - hier ist ja ein Beispiel von Frau Schewe-Gerigk genannt worden: wenn er etwa das Opfer verbrüht hat -, der Täter bereits einschlägig in Erscheinung getreten ist oder die Gefahr ähnlicher Straftaten droht. Obwohl ich gestehen muß, daß ich sehr viel Sympathie für den Entwurf der damaligen Bundesjustizministerin in seiner ursprünglichen Fassung gehabt habe, habe ich dennoch überhaupt keine Probleme, diesem Gesetz zuzustimmen, auch deshalb nicht, weil die Widerspruchslösung in ihrer jetzigen Fassung genau in der Form verabschiedet wird, die der Bundesfachausschuß Innen und Recht der F.D.P., der sich seit langem für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe ausgesprochen hat, vorgeschlagen hat. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat mit großer Mehrheit dem Entwurf zugestimmt, wohl auch deshalb, weil ein Vergleich mit dem ursprünglichen Entwurf aus dem Bundesjustizministerium und der nun vorliegenden Fassung zeigt, daß nahezu alle unsere Vorstellungen im Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden konnten. Vielen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es spricht nun die Abgeordnete Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in dieser entscheidenden Debatte ausschließlich mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen befassen. Dieser ist - das will ich ganz klar sagen - zwar ein Schritt nach vorn, aber er hat auch eine Reihe von gravierenden Mängeln. Diese betreffen das Tatkriterium, die Beibehaltung des minderschweren Falls, die Diskriminierung von widerstandsunfähigen Menschen und die fragwürdige Zusammenlegung von sexueller Nötigung und Vergewaltigung, durch die eine Vergewaltigung lediglich zum Regelfall eines besonders schweren Falls der sexuellen Nötigung erklärt wird. Die Widerspruchsklausel ist mein Hauptkritikpunkt an diesem Entwurf, und auf sie will ich mich im folgenden konzentrieren; denn sie stellt eine drastische Verschlechterung des jetzt geltenden Rechts dar. Ich möchte noch einmal klar benennen, worüber wir hier sprechen. Eine Vergewaltigung hat mit Sexualität nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun. ({0}) Vergewaltigung ist brutale Gewalt an Frauen. Wird diese in Beziehungen begangen, handelt es sich fast immer - es ist mir wichtig, das zu betonen - um Wiederholungstaten, die einer bestimmten, für sie charakteristischen Dynamik unterliegen. In gewalttätigen Beziehungen kommt es zunächst zu verbalen Attacken, dann zu kleineren gewalttätigen Zwischenfällen, die schließlich in akute Mißhandlungen münden. Danach - das ist der entscheidende Punkt - bereut der Täter und versucht, mit liebevoller Zuwendung alles wiedergutzumachen. Die betroffenen Frauen glauben und hoffen, daß sich ihr Mann weiterhin so verhält wie in der reuigen Phase, wenn sie ihm nur helfen und ihn unterstützen. Das ist die Situation, in der sie bereit sind, eine gemachte Anzeige zurückzuziehen und sich wieder auf die Beziehung einzulassen, einzig und allein mit dem Ergebnis, daß die Gewalt von neuem beginnt. Die Widerspruchsklausel unterstützt genau diesen Ablauf. Statt der Frau und im übrigen auch dem Mann zu helfen, aus diesem Kreislauf der Gewalt herauszukommen, das heißt, Unterstützung zu geben, die Beziehung zu beenden - ich will das so klar sagen -, wird die Frau mit der Widerspruchsklausel in den Gewaltzyklus zurückverwiesen. Der Moment, auf den die Erfinder der Widerspruchsklausel abstellen, die Versöhnung, ist in einer gewalttätigen Beziehung nicht das Ende der Gewaltspirale, sondern deren immanenter Bestandteil. ({1}) Es ist empörend, daß das hier einfach ignoriert wird und statt dessen entgegen aller Erfahrungen und Meinungen in den Expertenanhörungen die Aufrechterhaltung einer längst zerstörten Ehe - das ist die Ehe, wenn Gewalt darin vorkommt - Vorrang vor dem Schutz der körperlichen Integrität von Frauen erhalten soll. Der Täter wird alles tun, um einer Verurteilung zu entgehen. Das heißt, er wird mit allen Mitteln versuchen, die Frau dazu zu bringen, Widerspruch einzulegen. Hat er Erfolg und wird das Verfahren eingestellt, bleibt, da es sich um ein zyklisches Geschehen handelt, die Frau der Gewalt des Täters ausgeliefert. Kommt es trotz Widerspruchs zur Verhandlung, hat der Verteidiger des Täters auf Grund des versuchten Widerspruchs des Opfers die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit der Frau anzuzweifeln und die geschehene Vergewaltigung zu bagatellisieren. Das heißt die Widerspruchsregel führt die Einführung des Straftatbestands der Vergewaltigung in der Ehe wieder ad absurdum. Besonders fatal ist die Einbeziehung der Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung und der Nötigung in die Widerspruchsregelung. Konkret heißt das, daß ein Ehemann selbst dann, wenn er seine Frau mit einem Messer schwer verletzt, von dem Widerspruchsrecht profitieren kann, wenn er sie außerdem noch vergewaltigt. Das heißt Ehefrauen, die mißhandelt und vergewaltigt wurden, muß man raten, die Vergewaltigung nicht mit anzuzeigen, damit das Widerspruchsrecht nicht zum Zuge kommt und der Täter wenigstens wegen Körperverletzung verurteilt werden kann. Das ist unhaltbar, das ist ein völlig inakzeptabler Zustand. ({2}) Viele betroffene Frauen, Frauennotrufgruppen, die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes und andere haben sich immer wieder an uns Abgeordnete gewandt und uns aufgefordert, dem Widerspruchsrecht und damit dem Entwurf der CDU/CSU und der F.D.P. nicht zuzustimmen. ({3}) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Nein, an dieser Stelle nicht mehr. Ich weiß, daß es in den Reihen der Koalition eine ganze Reihe von Frauen gibt, die mit dieser Widerspruchsregel nicht einverstanden sind. Ich möchte Sie sehr eindringlich auffordern, Ihrem Gewissen zu folgen und eine Entscheidung im Interesse der vergewaltigten Frauen zu treffen, auch wenn - das gestehe ich Ihnen zu - es sicher nicht einfach ist, weil Sie gegen Ihre Fraktion stimmen müssen. Aber ich denke, Sie haben in diesem Moment eine große Verantwortung. Ich fordere Sie auf, dieser Verantwortung gerecht zu werden. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Beratung anstehende Entwurf der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. wird den Schutz namentlich von Frauen - auf die geschlechtsneutrale Formulierung hat Kollege van Essen schon hingewiesen - vor sexueller Gewalt erheblich verbessern. Der Entwurf hat zwei Schwerpunkte. Zum einen wird durch eine Neufassung der §§ 177 bis 179 StGB der Schutz vor sexueller Gewalt verbessert. Zum anderen wird der sensible Bereich der Ehe in diesen Schutz einbezogen. Wir wollen mit diesem Entwurf nicht nur das Strafrecht verbessern. Es geht auch um das gesellschaftspolitische Signal - darauf ist schon verschiedentlich hingewiesen worden. Sexuelle Gewalt ganz generell ist eine der verabscheuungswürdigsten Straftaten, die unsere Rechtsordnung kennt. Aber hinzu tritt ein Weiteres. Die Ehe darf nicht länger ein Taburaum bleiben. Der Trauschein ist kein Freibrief für sexuelle Gewalt gegen Frauen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will gleich zu dem umstrittenen Teil des Gesetzentwurfs der Koalition kommen. Der verbesserte Schutz namentlich von Frauen vor sexueller Gewalt soll auch in der Ehe gelten. So weit sind wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig. Wir streiten heute ernstlich nur noch, ob und wie dem besonderen Verhältnis von Täter und Opfer bei sexueller Gewalt in der Ehe Rechnung getragen werden soll. Nach dem Entwurf der Koalitionsfraktionen soll sexuelle Gewalt in der Ehe nicht grundsätzlich, also auch gegen den Willen des Opfers, zum Gegenstand eines Strafverfahrens werden. Die Tat soll vielmehr nicht verfolgt werden, wenn das Opfer widerspricht. Die Opposition ist hingegen, wie wir bereits gehört haben, nicht bereit, diese Widerspruchslösung mitzutragen. Aber ich frage Sie: Kann es Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs sein, ohne Rücksicht auf die Ordnungs- und Wertvorstellungen der betroffenen Menschen Normverstöße zu verfolgen? ({0}) Fiat justitia, pereat mundus? Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 nun einmal die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates. ({1}) Das ist als Wertung vorgegeben und entspricht im übrigen der absoluten Mehrheit in dieser Gesellschaft. ({2}) Ob ein konkretes eheliches Verhältnis nach der geschehenen Vergewaltigung noch der zusätzlichen Belastung einer Strafverfolgung ausgesetzt werden soll, ob sein Schutz also anderen Aspekten vorgehen soll, kann allein der verletzte Partner, die verletzte Ehefrau beurteilen. Wenn sich die verletzte Ehefrau also entscheidet, zugunsten ihrer Ehe auf eine Bestrafung des verletzenden Ehepartners zu verzichten und diese Entscheidung wirklich aus eigener, vielleicht schwer gewonnener Überzeugung kommt: Wer wollte sich darüber hinwegsetzen, weil er als Unbeteiligter meint, da dürfte dieser konkrete EheBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Schutz nicht mehr so hoch angesetzt werden, anderes sei wichtiger? ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Schmidt-Jortzig - Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der Justiz: Nein, vielen Dank.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Keine Zwischenfrage.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Was gibt uns die Berechtigung, gegen den autonomen und frei geäußerten Willen der betroffenen Ehefrauen ein Strafverfahren zu erzwingen? Woher nimmt man das Recht, solche Entscheidungen zu mißbilligen, überhaupt die Motive zu bewerten und anschließend zu ignorieren? Dürfen sich die Opfer nicht mit den Tätern aussöhnen oder arrangieren? ({0}) Dürfen sie ihre Ehe nicht retten wollen? ({1}) Dürfen sie die Kinder nicht schonen wollen? ({2}) Dürfen sie vielleicht die Partnerschaft auch ohne den Makel eines Strafverfahrens dem Schein nach aufrechterhalten, sei es aus gesellschaftlichen Gründen, sei es aus finanziellen Gründen? Wer will über diese Motive richten? ({3}) Nach unserem Verständnis ist es nicht Aufgabe des Staates, gegen den Willen des Opfers im Ehebett zu ermitteln. Das Argument überzeugt nicht oder jedenfalls nicht mehr, das Widerspruchsrecht berge die Gefahr, ja lade geradezu dazu ein, daß das Opfer dem Druck des Ehemannes ausgesetzt wird, der Widerspruch also gar nicht aus freiem Willen erfolgt. Um dem vorzubeugen, verlangt der Entwurf ja, daß das Opfer den Widerspruch persönlich vor dem Staatsanwalt oder nach Erhebung der öffentlichen Klage vor dem Vorsitzenden des Gerichts erklären muß. Wir haben gehört, daß der Staatsanwalt in der Realität ebensooft eine Frau ist. Weder eine telefonische noch eine schriftliche Erklärung genügen. Staatsanwälte wie Richter prüfen tagtäglich, ob ein Verhalten im Strafverfahren, etwa eine Zeugenaussage, unter Druck zustande gekommen ist. Es spricht nichts dagegen, daß die Staatsanwälte und/oder Richter diese Aufgabe auch hier zuverlässig und genau erfüllen. Wenn die Justiz dann zum Ergebnis gelangt, der Widerspruch sei nicht der freie, autonome Wille der Ehefrau, so kommt diesem Widerspruch keine rechtliche Wirkung zu. Im übrigen aber gilt: Selbst wenn das Opfer wirksam Widerspruch eingelegt hat, bleibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, Anklage zu erheben, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung vorliegt; auch darauf ist schon hingewiesen worden. In diesem Fall ist der Widerspruch des Opfers unerheblich. Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung liegt etwa bei erheblichen Folgen der Tat oder niedriger Gesinnung des Täters vor. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß die im Koalitionsentwurf gefundene Lösung nicht nur das Opfer schützt, sondern daß sie auch seine im Rahmen einer Ehe getroffene Entscheidung respektiert, indem ein Strafverfahren nicht gegen seinen Willen durchgeführt werden darf. Der Entwurf trägt damit zugleich dem Verfassungsauftrag Rechnung, der Ehe - aus welchen Gründen diese nach dem Willen der Partner, in diesem Fall der verletzten Ehefrau, in concreto auch aufrechterhalten werden soll - den besonderen Schutz zukommen zu lassen. Ich appelliere daher an alle, die dem Koalitionsentwurf gleichwohl noch kritisch gegenüberstehen, ihre Bedenken zurückzustellen und einer längst überfälligen Reform des Sexualstrafrechts eine Chance zu geben. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, tragen die Verantwortung, wenn die Reform scheitert; ({4}) denn dann bliebe alles beim alten: Vergewaltigung in der Ehe wäre dann auch in Zukunft nicht als Vergewaltigung strafbar. ({5}) Den mißhandelten Frauen würden Sie mit einer Verweigerung einen Bärendienst erweisen, ({6}) und den gewalttätigen Männern würden Sie auch in Zukunft einen Freibrief ausstellen. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es gibt zwei Kurzinterventionen. Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Niehuis.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil mich Ihr Verweis auf Art. 6 unseres Grundgesetzes doch sehr entsetzt hat. Damit es nicht bei Zwischenrufen bleibt, möchte ich Ihnen gern erzählen, warum er mich so entsetzt hat. In Art. 6 unseres Grundgesetzes steht: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatDr. Edith Niehuis lichen Ordnung. Gerade weil es diesen Artikel gibt, wollten wir, daß die Ehefrau, wenn sie vergewaltigt wird, vor unserem Gesetz genau das gleiche Recht hat wie die Nichtehefrau. ({0}) Was Sie daraus machen, Herr Minister, ist für mich skandalös. Sie begründen mit dem Art. 6, daß sich die Ehefrau nach unserem Strafrecht unter anderen Bedingungen vergewaltigen lassen muß als eine Nichtehefrau. ({1}) So dürfen Sie den Art. 6 nicht mißbrauchen. ({2}) Weil es hier, Herr Minister, auch um ein juristisches Problem geht, aber viel mehr um ein psychologisches Problem, möchte ich Ihnen als Juristen eines mit auf den Weg geben: Erkundigen Sie sich einmal bei den Projekten „Männer gegen Männergewalt". Dort wird man Ihnen sagen, daß Sie jetzt in Recht gießen, was eine Gewaltspirale in den Ehen bewirken kann. Sie setzen jetzt nämlich in Recht, daß ein Mann, der vergewaltigt, dann auf dem Sofa, vielleicht mit Druck, der Ehefrau sagt „Es war ja gar nicht so gemeint, willst du wirklich alles aufs Spiel setzen?", und mit dieser Rede bewirkt, daß die Ehefrau Widerspruch einlegt. Das hat psychologisch zur Folge, daß dieser Mann wieder vergewaltigt, die Ehefrau wieder Gewalt erleben muß. Und das wollen Sie alles unter dem Art. 6 - „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. " - verkaufen? Da haben Sie sich wirklich vergriffen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, ich schlage vor, daß ich erst noch das Wort zur zweiten Kurzintervention erteile und Sie dann im Zusammenhang antworten. - Sie wollen sofort antworten? - Bitte schön, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Frau Kollegin, zum ersten: Ich habe versucht zu erläutern, daß alles das, was Sie zum Schluß vorgetragen haben, durch unsere Lösung einer Erklärung vor Richter und Staatsanwalt ausgeschlossen wird. Alle diese schrecklichen Dinge, die Sie erklärt haben, wird der Richter, wenn es irgendwie mit richterlicher Kunst herauszubekommen ist, ja wohl bemerken. Und wenn er es nicht bemerkt, aber vermutet, hat er immer noch die Möglichkeit, die Strafverfolgung gegen den Widerspruch durchzuhalten. Deswegen ist dieses Schreckensgemälde völlig am Gesetzestext vorbei, und das wissen Sie auch. ({0}) - Die Wirklichkeit ist eben möglicherweise doch anders, als sie Ihnen vorschwebt. ({1}) Ich darf zum zweiten auf den Art. 6 Abs. 1 hinweisen: Die Ehe - auch die Familie, aber wir unterhalten uns jetzt über den Part Ehe - steht unter dem besonderen Schutz des Staates. - Wer soll die Ehe für schutzwürdig halten, wer soll das Gewicht dieser Schutzwürdigkeit bestimmen, wenn nicht die betroffene Ehefrau selbst? ({2}) - Hören Sie doch jedenfalls einmal zu, auch wenn es Ihnen schwerfallen mag. Wer soll das anders wirksamer bestimmen können als die betroffene Ehefrau selbst? ({3}) - Ich habe Ihnen doch gerade erzählt, verehrte Kollegin, daß wir versuchen, mit Hilfe der persönlichen Erklärung vor Richter und Staatsanwalt diese Mißbrauchs-, diese Erpressungs-, diese Unterdrückungsfälle auszuschließen. Wenn Sie ein in der Realität wirksameres Mittel kennen, wäre ich ganz glücklich, wenn Sie es mir sagten. Also noch einmal: Wer kann den Wert des Aufrechterhaltens dieser Ehe wirksamer darstellen - auch wenn es mühsam, schwierig, schmerzlich ist - als die Ehefrau selbst? Sie wollen eingreifen und sagen: Das interessiert mich gar nicht, was du, arme Frau, mit dieser Ehe willst. Ich werde auf jeden Fall, über dich und die Ehe hinweg, die Strafbarkeit durchsetzen. Es gibt doch, hoffentlich auch aus Ihrer Sicht, genügend legitime Beweggründe, eine Ehe aufrechtzuerhalten, und sei es nur - ich bitte, auch das einmal zu bedenken - um der Kinder willen. Wer möchte hingehen und die bestehenden Ehen darauf untersuchen, aus welchem Grunde sie bestehen? Ich möchte das nicht. ({4}) Das unterliegt der höchstpersönlichen Entscheidung eines jeden einzelnen. Ich jedenfalls will mich nicht darüber hinwegsetzen. Danke sehr. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer zweiten Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Ulla Schmidt das Wort.

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich bin sehr verwundert über Ihre Interpretation der Worte „Schutz von Ehe und Familie". Ich bin besonders beeindruckt, weil Sie amtierender Justizminister der Bundesrepublik Deutschland sind. Ihnen muß doch bekannt sein, daß es in allen anderen Fällen von schweren Verbrechen, also zum Beispiel bei Mordversuch oder schwerem Raub, überhaupt keine Möglichkeit für eine Ehefrau gibt, die Strafverfolgung aussetzen zu lassen oder einzustellen. Es wird von Amts wegen, von Staats wegen ermittelt, weil es ein Verbrechen ist. Daß Sie den Schutz von Ehe und Familie darauf beschränken, daß der Mann im „Notfall" das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau mißachten kann und daß der Mann im „Notfall" gegen den Willen der Frau die tiefste und erniedrigendste Demütigung ausüben kann, die es überhaupt zwischen Mann und Frau gibt, nämlich sich ohne den Willen einer Frau das Recht zu nehmen, sexuell über sie zu bestimmen und ihr Gewalt anzutun, das erschüttert mich sehr. ({0}) Daß Sie in diesem Zusammenhang davon sprechen, daß es nicht Aufgabe des Staates sei, im Ehebett zu ermitteln! Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wer die Frau noch schützen soll? Ich sage Ihnen eines: Wenn ich draußen auf der Straße bin und mich ein Fremder dort überfällt und mir Gewalt antut, wissen Sie, was ich dann kann? Dann kann ich in meine Familie gehen. Dann kann ich in meine vier Wände gehen und dort Schutz suchen. Haben Sie einmal mit den Frauen gesprochen, die endlich in diesen vier Wänden sind, die aber nirgendwo mehr Schutz bekommen und die mir sagen: Wissen Sie, Frau Schmidt, tagsüber kann man sich manchmal noch schützen, aber dann! ({1}) Und da kommen Sie daher und sagen: In diesen Fällen ist es nicht mehr Aufgabe des Staates, im Ehebett zu ermitteln, und es ist staatlicher Schutz der Ehe, daß wir der Frau die Verantwortung dafür geben, ob ein Verfahren gegen den Mann geführt wird, der das tiefste und erniedrigendste Verbrechen an einer Frau verübt, das es überhaupt gibt. Das finde ich eine Auffassung von Schutz von Ehe und Familie, die mit Sicherheit die Mütter und Väter des Grundgesetzes darunter nicht verstanden haben. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister, Sie können antworten. ({0}) Dann fahren wir in der Rednerliste fort. Ich erteile der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier das Wort.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich im letzten Jahr zum Thema der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe von diesem Platz aus sprach, hatte ich noch, genauso wie Bundestagspräsidentin Frau Dr. Süssmuth, die Hoffnung, daß wir nach mehr als 20 Jahren zu einer möglichst einvernehmlichen Lösung des Problems in dieser Legislaturperiode kommen würden. Diese Hoffnung der betroffenen Frauen wurde durch den Koalitionsentwurf mit einer arroganten Handbewegung ausgelöscht. ({0}) Herr Justizminister, Sie schützen offensichtlich die Institution Ehe mehr als den Menschen. ({1}) Art. 6 kann nicht so ausgelegt werden, daß die Ehefrau auf ihre Rechte nach Art. 1 verzichten kann; denn auch ihre Würde ist unantastbar. ({2}) Der vorliegende Gesetzentwurf hat durchaus einige Punkte, die wir gemeinsam tragen können. Ich weise auf diese Gemeinsamkeiten in der Erwartung hin, daß in Ihren Reihen doch noch diejenigen Kollegen und vor allem Kolleginnen die Mehrheit finden, die die Argumente von Sachverständigen auf sich haben wirken lassen und heute im Interesse der betroffenen Frauen entscheiden. ({3}) Gemeinsam ist erstens, daß der Begriff der Gewalt im Straftatbestand erweitert und den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt wird. Damit, Herr Kollege van Essen, ist in der Tat eine wesentliche Gesetzeslücke geschlossen, und es kann nicht mehr zu unerträglichen Freisprüchen kommen. Das können wir mittragen. Gemeinsam ist zweitens, daß der Begriff des Beischlafs durch den ähnlicher sexueller Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen, ergänzt wird. Damit wird auch der Tatbestand geschlechtsneutral ausgeweitet; Opfer einer Vergewaltigung können auch Männer sein. Auch das ist gemeinsam zu tragen. Und endlich wird drittens die Vergewaltigung in der Ehe unter die gleiche Strafandrohung wie die außereheliche Vergewaltigung gestellt. Grundsätzlich - grundsätzlich, sage ich - wird die Ehefrau dadurch schon besser vor der sexuellen Gewalt ihres Ehemannes geschützt, aber damit ist auch das Ende der Gemeinsamkeiten erreicht, denn dieAnni Brandt-Elsweier sen Schutz, den Sie der Ehefrau zunächst einmal geben, nehmen Sie sogleich wieder durch die Möglichkeit des Widerspruchs zurück. Sie geben ihr Steine statt Brot. ({4}) Warum dann eigentlich die Sachverständigenanhörung, die Sie selbst so vehement zum Ende der letzten Legislaturperiode verlangt haben? - Entweder sind Sie nicht bereit, die von den Experten geforderten Konsequenzen zu ziehen, oder Sie haben die Anhörung damals nur gefordert, um das Gesetzgebungsverfahren wieder einmal zu verzögern. Aber gut, gleichgültig, welche Taktik Sie hier verfolgt haben, Sie verfolgen sie auf jeden Fall zu Lasten der mißhandelten Frauen, denn der Schutz, den das Gesetz der Ehefrau geben soll, wird verwässert, indem ihr das Recht des Widerspruchs eingeräumt wird. Dieser Klausel liegt die Auffassung zugrunde, daß die Ehe als Institution zu schützen ist, selbst dann zu schützen ist, wenn innerhalb dieses Zusammenlebens Gewalttätigkeiten alltäglich sind. Sie verharmlosen damit die Vergewaltigung in der Ehe und bestärken gewalttätige Männer sogar noch in ihrer Vorstellung von der Verfügungsgewalt über Frauen zur Befriedigung ihrer Macht- und Verletzungsbedürfnisse. ({5}) Die Psychologin Frau Dr. Gerstendörfer hat in ihrer Stellungnahme den Weg, den die Frau in einer Ehe mit einem gewalttätigen Mann geht, sehr anschaulich geschildert. Sie hat einen Zyklus der Gewalt aufgezeigt, der durch die Möglichkeit des Widerspruchs eben nicht durchbrochen wird - eine Auffassung, die auch von vielen Frauenverbänden, die mit den Opfern zu tun haben, voll und ganz geteilt wird. Selbst Männer - das hatte Frau Kollegin Niehuis schon gesagt -, die sich im Verein „Männer gegen Männergewalt" engagieren, stellen als Tatsache fest, daß bei all ihren Klienten Reue und das Versprechen, es nie wieder zu tun, feste Bestandteile eines Gewaltkreislaufs sind. Nach der Reuephase wiederholt sich die Beziehungsgewalt jedoch permanent. Mit der vorgesehenen Widerspruchsklausel fordern Sie gewalttätige Männer geradezu heraus, ihre Ehefrauen unter Druck zu setzen. ({6}) - Selbstverständlich. Die Männer haben dafür auch alle Trümpfe in der Hand, denn die Frauen sind aufgrund zu teurer Wohnungen gezwungen, mit ihrem Ehemann weiter unter einem Dach zu leben. Die Frauen sind in der Regel finanziell abhängig, denn sie haben das geringere Einkommen. Sie betreuen die Kinder und können nur halbtags arbeiten. Das ist eine Folge Ihrer verfehlten Familien- und Wohnungspolitik, dafür sind Sie verantwortlich. ({7}) - Darauf komme ich noch, Herr Kollege van Essen. Diese Widerspruchsklausel ist also deshalb eher etwas für gutsituierte und finanziell unabhängige Frauen, möglichst noch ohne Kinder, die sich dann nach räumlicher Trennung jedenfalls frei entscheiden können, ob sie an eine Versöhnung glauben oder nicht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich möchte fortsetzen. - Danke. Daß eine Ehefrau lange zögert, ehe sie ihren Mann wegen Vergewaltigung anzeigt, hat im übrigen auch die von der Frauenministerin in Auftrag gegebene Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ergeben. Sie belegt, daß zwar etwa 350 000 Frauen zwischen 1987 und 1991 von ihrem Ehemann vergewaltigt wurden, aber zur Anzeige kamen pro Jahr nur 11 000 bis 12 000 Fälle. Das spricht für sich. Mir ist übrigens noch ein weiterer Punkt in Ihrem Gesetzentwurf völlig unverständlich. Sie beabsichtigen, daß dieser Widerspruch nicht nur den Tatbestand der Vergewaltigung erfassen soll, sondern auch den der Nötigung und sogar den der gefährlichen Körperverletzung. Es ist für mich einmalig im System des Strafrechts, das bei Offizialdelikten die Rücknahme der Anzeige als unbeachtlich ansieht. Das müssen Sie mir zugestehen. Es gibt keine Widerspruchsmöglichkeit zum Beispiel für den erpreßten oder beraubten Ehepartner, wenn er mit dem Täter verheiratet ist. Weshalb also bei einem Gewaltdelikt, bei dem das intime Vertrauensverhältnis zerstört wird, was für die betroffenen Frauen erhebliche psychische Folgen hat? Vergewaltigungsopfer weisen, verglichen mit Opfern anderer Gewalttaten, die mit Abstand ausgeprägteste Zunahme von Angst und Vermeidungsverhalten auf, weil das persönliche Sicherheitsgefühl im Kern verletzt ist. ({0}) Sie wollen den bestehenden Rechtszustand auch noch verschlechtern; denn bisher hat es ein Widerspruchsrecht weder bei der Nötigung noch bei der Körperverletzung des Opfers gegeben. Für vergewaltigte Frauen, die in einer auf Dauer ausgerichteten Lebensgemeinschaft leben, gilt Ihre Widerspruchsregelung übrigens auch nicht. Sie haben Ihre Widerspruchsklausel also voll zu Lasten der betroffenen Frauen ausgerichtet. Selbstverständlich, Herr Kollege van Essen, kann auf die Ehefrau auch so Druck in dem Sinne ausgeübt werden, daß sie die Aussage verweigert. Aber Sie kennen auch den Unterschied und wissen, daß das Strafverfahren in dem Fall zunächst weitergeht. Die Ermittlungen müssen fortgesetzt werden. Es gibt andere Beweismittel: Indizien, Aussagen Dritter. DaAnni Brandt-Elsweier gegen kann bei einem Widerspruch die Tat nicht weiter verfolgt werden - jedenfalls nach Ihrem Gesetzentwurf. ({1}) - Moment, darauf komme ich noch. Ich kann es nur wiederholen: Ein ohnedies gewalttätiger Mann, den seine Frau angezeigt hat, wird - in der Befürchtung, eine nicht geringe Freiheitsstrafe zu erhalten - seine Frau jetzt unter Druck setzen: durch physische oder psychische Gewaltanwendung, durch Einschaltung der Familie - in einigen Fällen wurde ich darauf schon hingewiesen - und anderes mehr. Das ist eine unerträgliche Situation. Wir sehen in der Widerspruchsklausel ein untaugliches Mittel, die Frau zu schützen - im Gegenteil: Sie wird sich hilflos, vom Gesetz und vom Gericht im Stich gelassen fühlen. Sie sagen nun - jedenfalls entnehme ich das Ihren Reden -, daß diese Widerspruchsklausel das Ausüben von Druck weitgehend ausschließen soll. Offensichtlich haben Sie einen anderen Gesetzentwurf vorliegen als ich. Der Widerspruch ist zwar persönlich, nicht mehr schriftlich vor dem Staatsanwalt oder - nach Erhebung der Klage - vor dem Vorsitzenden zu erklären; und Sie meinen offensichtlich, Staatsanwalt oder Richter würden in ihrer großen Weisheit merken, ob dieser Wunsch nach Einstellung des Verfahrens auf Druck oder freiwillig zustande gekommen ist. ({2}) Ich will Ihnen da nur Naivität unterstellen. Wissen Sie, in meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Richterin - sowohl in Strafkammern als auch in Zivilkammern - habe ich unzählige Menschen als Parteien, Angeklagte und Zeugen vernommen. Ich habe sie belehrt, daß sie die Wahrheit sagen müssen. Ich bin so oft belogen worden; denn ich kann den Menschen nur vor den Kopf und nicht in den Kopf hineinschauen. ({3}) Wie will der Staatsanwalt oder der Vorsitzende die Prüfung aber jetzt vornehmen? Will er die Ehefrau, die widerspricht, hochnotpeinlich befragen, wie sie zu ihrer Erklärung kommt? Will er dazu etwa eine Beweisaufnahme führen, indem er auch den Täter hierzu befragt? Das alles ist weder praktikabel noch nach Ihrem Gesetzentwurf zulässig. ({4}) - Ich sagte es schon: Sie sprechen offensichtlich von einem anderen Gesetzentwurf als ich. Der Wortlaut Ihres Gesetzentwurfs läßt diese Interpretation nicht zu. Es genügt eine einfache Erklärung des verheirateten Opfers, daß es widerspricht. So steht es in Ihrem Gesetzentwurf. Eine nähere Begründung oder Erläuterung wird nicht verlangt. Außerdem ist der Widerspruch unanfechtbar, weil nicht mehr rücknehmbar. Was macht der Richter also, wenn der Widerspruch erklärt wird? Er kann nur noch die Akte schließen - es sei denn, der Staatsanwalt bejaht ein besonderes öffentliches Interesse. ({5}) Ist dieses besondere öffentliche Interesse aber nicht in jedem Fall der ehelichen Vergewaltigung gegeben? Dann frage ich mich, wozu es den Widerspruch gibt. Der wäre in jedem Fall unbeachtlich. ({6}) Also lassen Sie ihn doch bitte weg. Diese gesamte Regelung ist sinnlos und in der Praxis von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wir haben gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht. Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Änderungsantrag zu. Stellen Sie verheiratete Frauen unter den gleichen Schutz des Staates, den auch unverheiratete genießen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vergewaltigt zu werden - darin sind sich hier in der Debatte alle einig - ist mit das Schlimmste, was einem Menschen widerfahren kann. Meistens sind Frauen die Opfer. Deshalb ist die Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe ein Verbrechen. Ich bin froh, daß über diesen Tatbestand hier im Hause Konsens besteht. Zwar bin ich der Auffassung, daß der vorgelegte Entwurf der Koalitionsfraktionen bei der Ausgestaltung der Bestimmungen zur sexuellen Nötigung und zur Vergewaltigung Verbesserungen gegenüber dem bisher geltenden Recht enthält und viele berechtigte Kritik der vergangenen Jahre aufgreift. Aber ich möchte hier ganz deutlich sagen, daß der vorliegende Entwurf einen eklatanten Mangel aufweist, und zwar die jetzige Form der Regelung des Widerspruchs der Ehefrau. Denn so, wie sie ausgestaltet ist, führt sie zu einer Privatisierung des Strafanspruchs. ({0}) Das darf bei Verbrechen nicht der Fall sein. Denn dort gilt genauso ein Verfolgungszwang wie bei allen anderen Schwerverbrechen - Verbrechen mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren, wie es in unserem Strafgesetzbuch vorgesehen ist. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte darf ich hier im Namen meiner Kollegin Frau Schwaetzer und von mir zum Ausdruck bringen, daß wir diesem Entwurf deshalb nicht zustimmen können. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Ilse Falk.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da es offensichtlich so schwer zu verstehen ist, wie das mit der Widerspruchsregelung funktionieren kann, will ich darauf noch einmal ausführlich eingehen. Denn obwohl ich selber die eheliche Vergewaltigung für noch verwerflicher halte als die außereheliche, weil sie ein besonderes Vertrauensverhältnis massiv mißbraucht, finde ich es richtig, daß wir dem Opfer ehelicher Gewalt mit einem Sonderrecht die Möglichkeit geben wollen, das Strafverfahren zu verhindern. Was rechtfertigt diese widersprüchliche Haltung? Ich glaube, die besondere Situation der sehr persönlichen Beziehung in einer Ehe sollte eine differenzierte Vorgehensweise ermöglichen. Natürlich will auch ich, daß Gewaltanwendung angemessen bestraft wird, und zwar ohne Unterschied, ob eheliche oder außereheliche. Ich möchte aber Menschen, die sich trotz allem Leid immer noch einander verbunden fühlen, die Chance zu einer Zukunft eröffnen. Ich weiß, daß dies nur in vergleichsweise wenigen Fällen gewollt ist und möglich sein wird. Ich habe aber auch mit Aufmerksamkeit vernommen, daß es nach der Tat das Phänomen der liebevollen Zuwendung des Täters, seiner Reue gibt und die ehrliche Überzeugung, ein stabiles Zusammenleben sei möglich. ({0}) - Hören Sie doch erst einmal zu. Ich glaube, daß es in dieser Phase, die als die friedliche beschrieben wird - nämlich von Frau Dr. Gerstendörfer -, durchaus die Möglichkeit gibt, den Täter zu einer Therapie zu veranlassen - eine Phase, in der er, geleitet von dem Ziel, seine Frau nicht zu verlieren, die Anstrengung unternimmt, sich mit Hilfe von Fachleuten aus der eigenen Gewalttätigkeit zu befreien - nicht, weil er weitermachen will. Es gibt sehr positive Erfahrungen mit solchen Therapieangeboten. Frau Brandt-Elsweier hat das eben genannt; der Verein „Männer gegen Männergewalt" arbeitet mit hohen Erfolgsquoten bei den Männern, die sich freiwillig dazu entschließen. Erst wenn dieser Kreislauf der Gewalt durchbrochen ist, kann man hoffen, daß tatsächlich wieder eine stabile Beziehung möglich ist. Erst dann auch gibt es für Kinder, die oft in grausamster Weise der Gewaltsituation ihrer Eltern ausgeliefert sind, eine Chance, sich auch für ihr eigenes Leben aus der Gewaltspirale zu befreien. Ich will im folgenden aufzeigen, wann die Möglichkeit gegeben ist, eine solche Therapiemaßnahme zu veranlassen, und zwar mit Hilfe der Widerspruchsregelung. Wann greift die Frau zu dem Mittel der Anzeige des eigenen Ehemanns? Sie wird dies aus einer Lage heraus tun, in der sie sich besonders gedemütigt fühlt, verletzt und voller Angst vor erneuter Gewalt. Es wird nicht das erste Mal gewesen sein, daß der Ehemann seiner Frau auf diese Weise brutal seine Macht gezeigt hat. Es ist ihr zu wünschen, daß sie in dieser Situation intensiv unterstützt und beraten wird, zum Beispiel in einem Frauenhaus oder einer Beratungsstelle, bei Freunden oder Verwandten. Nun ist aber auch denkbar, daß die Frau, weil inzwischen die Versöhnungsphase begonnen hat, die Anzeige zurückziehen möchte. Mit dem neu einzuführenden Widerspruchsrecht wäre das möglich. Einzige Bedingung hierfür ist: sie muß den Widerspruch persönlich vor der Staatsanwältin oder Richterin vortragen. Warum eigentlich immer die männliche Form „Richter" oder „Staatsanwalt"? Persönlich soll das nicht deshalb geschehen, um sie einer weiteren Demütigung auszusetzen, sondern damit sich Staatsanwältin oder Richterin in besonderer Verantwortung Klarheit darüber verschaffen können, ({1}) ob die Frau freiwillig handelt. Jetzt gibt es folgende Möglichkeiten für das Verfahren. Entweder zweifelt die Richterin oder Staatsanwältin an der Freiwilligkeit und lehnt den Widerspruch ab, weil er unter Zwang eingelegt wurde und damit unwirksam ist - dann nimmt das Verfahren seinen Lauf -, oder sie erkennt die Widerspruchsgründe an, hat aber Anhaltspunkte für die Annahme, daß ein Verbrechen vorliegt, und prüft die Fortsetzung des Verfahrens aus besonderem öffentlichem Interesse. ({2}) An dieser Stelle sehe ich eine realistische Chance, daß Maßnahmen wirksam werden, die sowohl dem Täter als auch dem Opfer wirklich helfen können, ({3}) denn - so wurde es uns in der Anhörung vorgetragen; ich zitiere -: Durch die Widerspruchsregelung kann erreicht werden, daß die Staatsanwaltschaft die Entscheidung über das Vorliegen ({4}) des besonderen öffentlichen Interesses davon abhängig macht, ob sich der Ehepartner, gegen den das Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, einer angemessenen Maßnahme unterzieht, die Gewähr für den Fortbestand der Ehe bietet. Damit ist das möglich, was mir persönlich besonders wichtig ist: Der Täter könnte veranlaßt werden, sich einer Maßnahme der Psychotherapie, der SuchttheIlse Falk rapie, einem sozialen Trainingskurs und ähnlichem zu unterziehen. Ohne Widerspruchsregelung ist die Anordnung einer solchen Maßnahme bei einem Verbrechen gesetzlich nicht möglich. ({5}) Ich weiß sehr wohl, daß Therapien kein Allheilmittel sind, aber immerhin bieten sie doch eine Chance. Gefängnisstrafe befreit nicht unbedingt wirkungsvoller aus der Gewalt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, ich möchte Sie für einen Moment unterbrechen. - Ich wollte versuchen, für etwas Ruhe zu sorgen; sonst kann man die Rednerin nur schwer verstehen. - Bitte!

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ebenso wie ich werden viele - wir haben davon gehört - in den letzten Tagen Protestschreiben gegen diese Widerspruchsregelung aus Frauenhäusern und Beratungsstellen erhalten haben. Ausgerechnet jene Institutionen, die die größte Chance haben, betroffene Frauen bei der Durchsetzung ihrer Anzeige gegen den Ehemann zu unterstützen, unterstellen nun, der Widerspruch würde zum Regelfall. Sehr geehrte Briefschreiberinnen, glauben Sie nicht auch, daß eine Staatsanwältin oder Richterin ein Interesse daran hat, herauszufinden, ob der Widerspruch unter Druck zustande gekommen ist und ob nicht nach wie vor alles, was zur Begründung der Strafanzeige vorgetragen wurde, Gültigkeit hat und sehr wohl Anlaß gibt, die Tat aus besonderem öffentlichem Interesse zu verfolgen? ({0}) Was für ein Bild von Richtern und Staatsanwälten haben Sie eigentlich? Von denen haben doch mehrere hier selbst vorgetragen. Sind sie denn so unachtsam mit ihren Pflichten umgegangen? ({1}) Daß die Frau im übrigen auch erpreßt werden könnte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, wurde hier schon erwähnt; deswegen will ich das nicht weiter ausführen. Ein Freispruch hätte garantiert schlimmere seelische Konsequenzen, als wenn das Verfahren gar nicht stattfände. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ({3}) wir sollten ganz besonders bei diesem Thema nicht nachlassen, darüber aufzuklären, was Gewalt in der Familie, Gewalt gegen Frauen an unerträglichem Leid bedeutet. Unterstützen wir diejenigen, die sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Situation befreien können, weil Angst, Scham oder Sorge um ihre Kinder sie daran hindern, wirksame Mittel zu ergreifen. Sorgen wir doch dafür, daß diejenigen, die von Amts wegen mit solchen Taten zu tun haben, in besonderer Weise für ihre Aufgabe ausgebildet und sensibilisiert werden. ({4}) Wir sollten uns in dem gemeinsamen Bemühen nicht entmutigen lassen, Menschen zu helfen, die der Gewalt ausgeliefert sind. Gerade dabei kann uns die vorgesehene Gesetzesregelung der §§ 177 bis 179 in der Fassung des Koalitionsentwurfs - mit Widerspruchsregelung - helfen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Frau Ministerin Claudia Nolte. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ruhe, damit man die Rednerin auch verstehen kann. Vielleicht kann man auch das Mikrofon etwas lauter stellen; es schien mir eben etwas zu leise eingestellt zu sein. ({1})

Claudia Nolte (Minister:in)

Politiker ID: 11001621

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe in das Strafgesetzbuch aufnehmen, schließen wir endlich eine große Gesetzeslücke. Ich möchte es noch einmal ganz klar hervorheben, um deutlich zu machen, worin wir uns einig sind: Das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung endet nicht mit der Eheschließung. Auch verheiratete Frauen sollen nach neuem Recht strafrechtlichen Schutz vor Vergewaltigungen haben. Jeder Mann, der die Heirat als Freibrief für sexuelle Gewalt gegen seine Ehefrau mißbraucht, macht sich nunmehr der Vergewaltigung strafbar. Das ändert nichts am verfassungsrechtlich garantierten besonderen Schutz der Ehe. Gerade weil wir die Ehe schützen wollen, haben wir uns für diese gesetzliche Regelung stark gemacht. ({0}) Die Ehe ist nicht ein Ort minderen Schutzes. Ein von meinem Haus in Auftrag gegebener Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen stellte fest, daß jede siebte der befragten Frauen im Alter von 20 bis 50 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung oder einer sexuellen Nötigung wurde, davon ein Drittel im sozialen Nahraum. Wer als gewalttätiger Ehemann das Vertrauen zerstört, auf das eine Ehe baut, verdient keinen Schutz. Er muß bestraft werden. Damit das in Zukunft möglich ist, haben die Koalitionsfraktionen diesen Gesetzentwurf eingebracht. Ich werbe dafür, ihn heute auch so zu beschließen. Wir haben lange genug um dieses Gesetz gerungen. Die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe findet in der Bevölkerung breite Akzeptanz. 77 Prozent der Männer und 88,9 Prozent der Frauen sprechen sich in dem schon genannten Forschungsbericht für eine Gesetzesänderung aus. ({1}) Sie wissen, daß ich dafür gekämpft habe - und es gehörte schon einige Überzeugungsarbeit dazu -, zu diesem Gesetzentwurf zu kommen. ({2}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist ausgereift und trägt den Bedenken und Erfordernissen Rechnung, die ein Gesetz mit sich bringt, das derart in den persönlichen Nahbereich einer Ehe eingreift. Ich denke, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir uns hier in einem Grenzbereich befinden. Es ist nun so, daß mancher hier im Plenum und darüber hinaus mit dem im Koalitionsentwurf vorgesehenen Widerspruchsrecht der Frau nicht einverstanden ist. Ich nehme die Einwendungen sehr ernst. Ich habe mir mein Urteil bezüglich dieses Punktes nicht leicht gemacht, da das Argument, daß der Mann auf die Frau Druck ausüben könnte, nicht so einfach von der Hand zu weisen ist. Deshalb habe ich mich sehr dafür eingesetzt, daß es nicht ausreicht, wenn die betroffene Frau schriftlich ihren Widerspruch mitteilt. Sie muß ihn gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem Vorsitzenden des Gerichts mündlich vortragen und begründen. ({3}) In einem ausführlichen Gespräch kann sich die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht ein Bild von den Gründen machen, die die Frau zum Widerspruch bewogen haben. ({4}) Danach wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob das Verfahren fortgeführt werden soll oder nicht. Wenn die Frau unter Druck handelt und deshalb Widerspruch einlegt, muß die Staatsanwaltschaft das Verfahren fortführen. ({5}) Damit das klar ist: Ein nur auf Druck des Ehemanns eingelegter Widerspruch ist unwirksam. Das Verfahren geht weiter. ({6}) Selbst wenn ein Widerspruch ohne äußeren Druck eingelegt worden ist, behält die Staatsanwaltschaft das Letztentscheidungsrecht über den Fortgang des Verfahrens; denn sie vertritt das öffentliche Interesse. Das Verfahren muß zum Beispiel fortgeführt werden, wenn der Mann schon öfter als gewalttätig aufgefallen ist, wenn es Wiederholungstaten sind, oder wenn er mit besonderer Brutalität vorgegangen ist. ({7}) Für mich stand immer die Frage im Mittelpunkt: Welche Regelung entspricht dem Interesse der betroffenen Frau? Einerseits ist wichtig, daß sich das Widerspruchsrecht nicht gegen sie selber wenden kann. Andererseits ist aber auch wichtig, daß es nicht gegen den Willen der Ehefrau zu einem Strafverfahren kommt. Deshalb macht dieser Gesetzentwurf Sinn. ({8}) Für die Gesetzesänderung halte ich ebenfalls für wesentlich, daß neben der Vergewaltigung nun auch andere besonders erniedrigende Sexualpraktiken erfaßt werden und daß mit der Tatbestandserweiterung „unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist" der Gewaltbegriff eine Ausdehnung erfährt. Damit wird die derzeitige sehr restriktive Auslegung des Gewaltbegriffs verhindert. Ich verspreche mir darüber hinaus, daß die neue Gesetzesnormierung Bewußtsein dafür schafft, daß die Ehe kein rechtsfreier Raum ist. Nach meiner festen Überzeugung reicht aber das Strafrecht allein nicht aus. Unsere Verantwortung reicht weiter. Schon seit einigen Jahren arbeitet mein Ministerium daran, Polizei und Staatsanwälte für dieses Thema zu sensibilisieren. Inzwischen verwenden Polizeischulen eine von uns entwickelte Lehrgangskonzeption für Polizeibeamte zu männlicher Gewalt gegen Frauen. Zur stärkeren Sensibilisierung trägt auch die seit 1993 erfolgreich durchgeführte Kampagne „Keine Gewalt gegen Frauen" bei. Darüber hinaus müssen die Hilfsangebote für die betroffenen Frauen verbessert werden. Zu diesem Zweck werden wir in diesem Jahr einen Beratungsleitfaden zur Gewalt in Beziehungen veröffentlichen, der Beratungseinrichtungen dient, die mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen" zu tun haben. In Freiburg im Breisgau haben wir eine Anlauf- und Beratungsstelle für Frauen gefördert, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Ich kann nur dafür werben, daß solche Projekte auch in anderen Orten Nachahmung finden. Gemeinsam mit dem Land Berlin führen wir ein Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt durch. Ziel ist ein umfassendes und für Deutschland neues Konzept der Zusammenarbeit von Polizei, Justiz, Senatsverwaltung sowie Beratungs- und Schutzeinrichtungen, um Gewalt gegen Frauen wirksamer bekämpfen zu können; denn wo Frauen Opfer von Gewalt werden, brauchen sie wirksame Hilfe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alles tun, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Dem dient der nun vorliegende Gesetzentwurf, und deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Sexualstrafrechts auf Drucksache 13/323. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4543 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/323 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Sexualstrafrechts auf Drucksache 13/199. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4543 unter Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/199 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Änderung des Sexualstrafrechts auf Drucksache 13/536. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4543 unter Buchstabe d, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/536 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgelehnt worden. - Mir wird gerade gesagt, daß etliche Abgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen mit dafür gestimmt haben. - Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 13/2463. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zunächst abstimmen. Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4561: Ich bitte diejenigen, die ihm zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von SPD und einigen Grünen und im übrigen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4571: Ich bitte diejenigen, die diesem Änderungsantrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Wir kommen jetzt zum gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4562. Die Antragsteller verlangen namentliche Abstimmung. Ich erinnere noch einmal an das neue Verfahren, wie wir es bereits heute mittag angewandt haben. Werfen Sie Ihre Stimmkarte bitte nur in die Urne, deren Buchstabengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. Ich weise aber darauf hin, daß noch eine weitere namentliche Abstimmung erfolgt. ({0}) Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. - Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes, §§ 177 bis 179 StGB - bekannt. Abgegebene Stimmen: 626. Mit Ja haben gestimmt: 304. Mit Nein haben gestimmt: 320. Enthaltungen: 2. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 626 davon: ja: 304 nein: 320 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Dr. Klaus W. Lippold ({1}) SPD Brigitte Adler Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({2}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({3}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({4}) Katrin Fuchs ({5}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Günter Graf ({6}) Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({8}) Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({9}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Ilse Janz Dr. Uwe Jens Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({12}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({13}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({14}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({15}) Jutta Müller ({16}) Volker Neumann ({17}) Gerhard Neumann ({18}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({19}) Ulla Schmidt ({20}) Dagmar Schmidt ({21}) Wilhelm Schmidt ({22}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({23}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({24}) Brigitte Schulte ({25}) Reinhard Schultz ({26}) Volkmar Schultz ({27}) Ilse Schumann Dietmar Schütz ({28}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({29}) Karsten D. Voigt ({30}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({31}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({32}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({33}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({34}) Elisabeth Altmann ({35}) Marieluise Beck ({36}) Volker Beck ({37}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({38}) Joseph Fischer ({39}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({40}) Winfried Nachtwei Cern Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({41}) Wolfgang Schmitt ({42}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({43}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Helmut Wilhelm ({44}) Margareta Wolf ({45}) PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({46}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({47}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({48}) Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({49}) Hartmut Büttner ({50}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({51}) Peter Harry Carstensen ({52}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({53}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({54}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({55}) Hansgeorg Hauser ({56}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({57}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({58}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({59}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({60}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({61}) Karl Lamers Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({62}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({63}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({64}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({65}) Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({66}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({67}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({68}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({69}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({70}) Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({71}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({72}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({73}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({74}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({75}) Andreas Schmidt ({76}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({77}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({78}) Gerhard Schulz ({79}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({80}) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz-Schilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({81}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({82}) Gert Willner Bernd Wilz Matthias Wissmann Simon Wittmann ({83}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({84}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Paul K. Friedhoff Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({85}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Detlef Kleinert ({86}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({87}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({88}) Enthalten F.D.P. Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Irmgard Schwaetzer Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen in der Ausschußfassung auf Drucksachen 13/2463 und 13/4543 Buchstabe a zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich möchte darauf hinweisen, daß nach dieser namentlichen Abstimmung die Reden zum nächsten Punkt der Tagesordnung zu Protokoll gegeben werden, so daß wir mit den Abstimmungen direkt fortfahren werden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in Abstimmungen. Bitte räumen Sie die Gänge und den Platz hier vorne. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Sexualstrafrechtes und strafprozessualer Regelungen auf Drucksache 13/4543 Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3026 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei einigen Enthaltungen und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten - Drucksache 13/2477 - ({89}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({90}) - Drucksachen 13/3954, 13/4311 ({91}) Berichterstattung: Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Jürgen Meyer ({92}) Sind Sie damit einverstanden, daß alle Reden zu Protokoll gegeben werden? **) - Dann wollen wir so verfahren. ({93}) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Europäischen Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten auf Drucksache 13/2477. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksachen 13/3954 und 13/4311, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Dazu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4564 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. *) Siehe Seite 9208 C **) Die Redetexte werden als Anlage 6 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c und den Zusatzpunkt 6 auf: 9. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Dr. Helmut Lippelt, Gerd Poppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Iran-Politik der Bundesregierung - Drucksachen 13/1973, 13/3483 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Iran - Drucksache 13/1827 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({94}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({95}) zu dem Antrag der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran - Drucksachen 13/1620, 13/3525 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Albert Probst Volker Neumann ({96}) Amke Dietert-Scheuer ZP6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Deutsche und Europäische Iran-Politik - Drucksache 13/4545 -Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({97}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zehn Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen legen Ihnen einen gemeinsamen Antrag zur IranPolitik vor. Wir gehen davon aus, daß dieser Antrag nach der heutigen Debatte an den Auswärtigen Ausschuß überwiesen wird und daß wir, nachdem wir den heute vorgelegten Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gesehen haben, ganz gute Chancen haben, uns auf eine gemeinsame Basis im Auswärtigen Ausschuß zu verständigen. ({0}) Wir sind als Bundesrepublik Deutschland an guten Beziehungen zum Iran interessiert. Der Iran ist eine wichtige Macht in der Region, und sein Verhalten ist für die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten maßgebend. Aber für diese guten und konstruktiven Beziehungen, die wir wollen, ist erforderlich, daß wir auch eine gemeinsame Basis an Regeln und Überzeugungen haben, auf die wir unsere Politik aufbauen. ({1}) Deshalb geht es bei den künftigen Entwicklungen darum, daß wir Fortschritte erreichen müssen, Fortschritte in der Politik des Iran, was die Frage der Menschenrechte angeht, was die Haltung des Iran zum Nahost-Friedensprozeß betrifft, was seine Rüstungspolitik angeht, insbesondere die Frage der Massenvernichtungswaffen, und auch was seine Haltung zum Terrorismus betrifft. Alle diese Punkte müssen uns gegenwärtig mit großer Sorge erfüllen. Wir müssen darauf hinwirken, daß der Iran seine Politik ändert. Es wird vom Iran abhängig sein, wie sich die Beziehungen entwickeln. Das gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen. Ohne deutliche und sichtbare Fortschritte kann es eine aktive Förderung der Wirtschaftsbeziehungen durch die Bundesregierung nicht geben. ({2}) Mit welcher Politik wollen wir den Iran zu einer Änderung seiner Haltung und seiner Politik bewegen? Zunächst einmal: Wir wollen den Iran nicht isolieren. Wir wollen auch - das wird verschiedentlich gefordert - keinen Abbruch der diplomatischen Beziehungen, aber wir wollen aktiv auf den Iran einwirken. Wir wollen die Gefahren eindämmen, die von seiner Politik auf die Region und die internationale Staatengemeinschaft ausgehen. ({3}) Dieses Ziel können wir nicht allein erreichen, sondern wir müssen es gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union erreichen, und - ich füge das hinzu, weil es in der Politik unterschiedliche Ansätze gegeben hat und wohl auch noch gibt - das können wir am besten in einer engen Abstimmung mit unseren Bündnispartnern, mit den USA, erreichen. Denn sie teilen unsere Besorgnis, und sie verfolgen im Prinzip auch die gleichen Ziele. ({4}) Wir müssen darauf achten, daß wir nicht gegeneinander ausgespielt werden. ({5}) Die Iran-Politik ist zunächst einmal eigentlich ein Musterbeispiel für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union im Hinblick auf ein wichtiges Land und eine wichtige Region. Wir haben 1992 in Edinburgh gemeinsam mit den Partnern in der EU eine Politik unter der Überschrift „kritischer Dialog" formuliert. Diese Politik hat auch zu einigen Erfolgen geführt; wir haben sie in unserem Entschließungsantrag aufgelistet. Aber ich möchte doch feststellen: Insgesamt sind die bisherigen Ergebnisse dieser Politik nicht zufriedenstellend. ({6}) Nehmen wir das Thema „Verbesserung der Menschenrechte". Hier haben wir in Edinburgh insbesondere Salman Rushdie zu einem wichtigen Thema gemacht. Da gibt es gewisse Fortschritte. Es gibt die verbale Zusage, keine Killerkommandos auszusenden. Es gibt inzwischen, auch was das Kopfgeld angeht, Äußerungen, die aber vage und widersprüchlich bleiben. Aber immerhin hat sich etwas bewegt. Wir müssen nur darauf drängen, daß der Iran das Kopfgeld aus der Welt schafft; das ist nachprüfbar. Der Bericht des UN-Sonderbeauftragten und der UN-Menschenrechtskommission jetzt in Genf listet gravierende Mängel in der Menschenrechtssituation im Iran auf. Was das Gerichtswesen angeht, sind dies insbesondere die Fragen, ob man einen Anwalt seiner Wahl bekommen kann und wie lange man vor einem Gerichtsverfahren in Haft gehalten wird. Hier brauchen wir konkrete Verbesserungen, und wir brauchen auch gezielte Einwirkung. Weil die konkrete Benennung eines Falles, nämlich des Falles von Salman Rushdie, wenigstens zu einem gewissen Erfolg geführt hat, glaube ich, daß es richtig ist, daß wir uns bei den Menschenrechten wiederum ein besonderes Thema herausgreifen, um mit besonderem Nachdruck auf Verbesserungen zu dringen. Ich meine, es müßte die Situation der Bahai im Iran sein, der unsere besondere Sorge und Aufmerksamkeit gilt. ({7}) Es gibt im Iran 300 000 Bahai. Es ist die größte religiöse Minderheit. Sie wird von der Verfassung nicht geschützt. Im Gegenteil: Art. 13 der iranischen Verfassung zählt enumerativ die Zoroastrier, die Juden und die Christen als „the only recognized religious minorities" auf; sie sind also geschützt. Mit anderen Worten: Die Diskriminierung Andersgläubiger hat im Iran Verfassungsrang, und das ist einmalig auf der Welt. In einem nichtsäkularen Staat wie dem Iran hat dies für die betroffene Gruppe dramatische Auswirkungen. Wir wissen, daß seit Beginn der islamischen Revolution mehr als 200 Hinrichtungen allein auf Grund der religiösen Überzeugung erfolgt sind, Hunderte und Tausende von Bahai sind in Gefängnissen gefoltert worden. 1983 wurde die gesamte Bahai-Gemeinde durch ein Dekret des iranischen Generalstaatsanwalts verboten. Soziale Einrichtungen der Bahai wurden konfisziert. Ihre Angehörigen sind nach wie vor schwerer Diskriminierung und Willkür ausgesetzt. Noch am 2. Januar dieses Jahres ist ein erneutes Todesurteil gegen einen Bahai, Zabiullah Mahramie, ergangen. Die Todesurteile gegen Bihnam Mithaqi und Kayvan Khalajabadi sind durch das oberste Gericht am 18. Februar dieses Jahres bestätigt worden. Alle drei sind wegen Apostasie, also wegen Ketzerei, mit anderen Worten: nur wegen ihres Glaubens, zum Tode verurteilt worden. Die Bestätigung der Todesurteile ist zwei Tage, nachdem der UN-Menschenrechtsbeobachter aus dem Iran abgereist war, erfolgt. Er hatte beide Bahais noch im Gefängnis besucht. Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß die iranische Botschaft, an die ich mich gewandt hatte, jetzt darauf verweist, daß noch ein Gnadengesuch und eine Berufung möglich seien. Wir müssen darauf dringen, daß diese Menschen, die nichts verbrochen haben, sofort freigelassen werden. Sie befinden sich seit 1988 in Haft. ({8}) Ziel muß also - das würde ich gern zum Lackmustest für die Menschenrechtssituation im Iran machen wollen - eine dauerhafte Verbesserung der Lage der Bahai sein. Wir müssen darauf dringen, daß Art. 13 der iranischen Verfassung geändert wird; denn nur dann werden wir diese Verbesserung erreichen. Es ist auch aus einem anderen Grund sinnvoll, diese Frage in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu rücken; denn in einem Staat, der sich islamistisch-fundamentalistischer Staatsdoktrinen bedient, zielt es natürlich auf den Kern dieses Staatsverständnisses, wenn der Staat Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten üben soll. Insofern, glaube ich, sind wir gut beraten, bei unseren Bemühungen hierauf besonderen Nachdruck zu legen. Beim Terrorismus haben wir in Deutschland den Fall Mykonos. Wir haben die Rakete, die auf dem Schiff in Amsterdam gefunden worden ist. Wir haben dann die Äußerungen des Iran nach den Attentaten von Tel Aviv und Jerusalem. Das alles macht uns sehr besorgt. Die Haltung des Iran zum Nahost-Friedensprozeß muß sich insgesamt ändern. Wir erwarten vom Iran, daß er das Ergebnis der Wahlen in Palästina anerkennt und daß er sich auch endlich eindeutig zum Existenzrecht Israels bekennt. ({9}) Hier weicht er in seinen Erklärungen immer aus. Sorge macht uns auch die ABC-Waffen-Aufrüstung im Iran. Das Nuklearprogramm, das dieser Staat verfolgt, ist nach Art und Umfang, auch wenn die internationale Kontrollbehörde in Wien Kontrollrechte hat, offensichtlich weit übersetzt für eine lediglich friedliche Nutzungsabsicht. Selbst wenn man unterstellt, daß der Iran im Krieg mit dem Irak als erstes mit chemischen Waffen angegriffen worden ist, muß man sagen, daß das noch lange kein Grund ist, daß er heute selber in solchen Gebieten Aufrüstung betreibt. Sorge muß uns auch machen, daß der Iran Trägerwaffen größerer Reichweite entweder selber konstruieren oder sich irgendwie beschaffen will. Ich denke da an seine Beziehungen, die er nach Nordkorea knüpft. Nimmt man dazu, daß der Iran als Staatsdoktrin den politisch instrumentalisierten Islam in der Interpretation von Khomeiny hat, der sich aggressiv nach innen richtet und von den Pasadaranen, wie etwa den Roten Garden zu Zeiten Mao Tse-tungs, noch verstärkend exekutiert wird, daß er nach außen ebenfalls aggressiv wirkt und die islamistischen Gruppen in der Region wie ein Netzwerk unterstützt und mit sich verbindet, dann muß uns diese Entwicklung große Sorgen bereiten. Wir müssen aktiv darauf einwirken, daß sich das ändert. Zwar gibt es im Iran ein Parlament, und es hat Wahlen gegeben. Aber wir alle wissen, daß nicht frei dazu kandidiert werden konnte. Die Kandidaten wurden vorher gesiebt. Die Stellung des Wächterrats als eigentliches Machtzentrum im Iran darf man, wenn man auf dieses Parlament schaut, auch nicht vergessen. Trotzdem gibt es hier vielleicht Ansätze für eine aktive Einwirkung, um den Gefahren entgegenzuwirken. Wir begrüßen deshalb die Ziele, die Außenminister Kinkel im Auswärtigen Ausschuß für die weitere Politik genannt hat, und wollen sie unterstützen. Lassen Sie mich noch ein letztes zur Wirtschaft sagen. Es ist bekannt, daß der Iran mit 13,4 Milliarden DM der viertgrößte Auslandsschuldner Deutschlands ist und daß das alles Hermes-verbürgt ist. Insgesamt tätigen wir Exporte in diese Region des Nahen Ostens im Werte von mehr als 21 Milliarden DM und Importe von mehr als 15 Milliarden DM. Die deutsche Wirtschaft, die den Handel dorthin mit einer Nahost-Initiative ausbauen will, sagt ausdrücklich, daß ausschlaggebend für den Erfolg dieser Wirtschaftsbemühungen der seit 1993 in Gang gekommene Friedensprozeß ist. Hier schließt sich der Kreis: Es liegt auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, daß der Iran den Nahost-Friedensprozeß nicht weiter torpediert und stört. Herr Bundesaußenminister, Sie haben konkrete Ziele für die weitere Iran-Politik im Wege einer aktiven Einwirkung genannt. Wir werden Sie dabei unterstützen. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Änderung des Sexualstrafrechts - §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches, die wir zum letzten Tagesordnungspunkt durchgeführt haben, bekanntgeben: abgegebene Stimmen 626; mit Ja haben 318 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 306 Abgeordnete gestimmt; zwei Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 626 davon: ja: 318 nein: 306 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({1}) Paul Breuer Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Hartmut Büttner ({3}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({4}) Peter Harry Carstensen ({5}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Ilse Falk Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({6}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({7}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({8}) Hansgeorg Hauser ({9}) Klaus-Jürgen Hedrich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Helmut Heiderich Manfred I leise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({10}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({11}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({12}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({13}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({14}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Walter Link ({15}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({16}) Wolfgang Lohmann ({17}) Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({18}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({19}) Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({20}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({21}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({22}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Priedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel I tans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({23}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt I ions-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({24}) Klaus Riegert Franz Romer Hannelore Rönsch ({25}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({26}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({27}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({28}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({29}) Andreas Schmidt ({30}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({31}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({32}) Gerhard Schulz ({33}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({34}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({35}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({36}) Gert Willner Bernd Wilz Matthias Wissmann Simon Wittmann ({37}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({38}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({39}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Detlef Kleinert ({40}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({41}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({42}) Nein SPD Brigitte Adler Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({43}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Vizepräsidentin Dr. Antie Vollmer Lothar Fischer ({44}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({45}) Katrin Fuchs ({46}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Günter Gloser Dr. Peter Glotz Uwe Göllner Günter Graf ({47}) Angelika Graf ({48}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({49}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold I filler ({50}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({51}) Frank Hofmann ({52}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Ilse Janz Dr. Uwe Jens Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({53}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({54}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({55}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({56}) Jutta Müller ({57}) Volker Neumann ({58}) Gerhard Neumann ({59}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willtried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({60}) Ulla Schmidt ({61}) Dagmar Schmidt ({62}) Wilhelm Schmidt ({63}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({64}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({65}) Brigitte Schulte ({66}) Reinhard Schultz ({67}) Volkmar Schultz ({68}) Ilse Schumann Dietmar Schütz ({69}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({70}) Karsten D. Voigt ({71}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({72}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({73}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({74}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({75}) Elisabeth Altmann ({76}) Marieluise Beck ({77}) Volker Beck ({78}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({79}) Joseph Fischer ({80}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({81}) Winfried Nachtwei Cern Ozdemir Gerd Poppe Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({82}) Wolfgang Schmitt ({83}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({84}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({85}) Margareta Wolf ({86}) F.D.P. Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Irmgard Schwaetzer PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({87}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Enthalten CDU/CSU Dr. Manfred Lischewski Peter Kurt Würzbach Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Jetzt rufe ich als nächsten Redner den Kollegen Christoph Zöpel auf.

Dr. Christoph Zöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002604, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Iran bewegen öfter und intensiver die Öffentlichkeit, auch die Emotionen in Deutschland, als das bei den Beziehungen zu vielen anderen Ländern dieser Welt der Fall ist. ({0}) - Daß das allein mit der Wichtigkeit zu tun hat, wage ich in einigen Fällen zu bezweifeln, wiewohl die Bevölkerungszahl dieses Landes dafür spricht, ihm Aufmerksamkeit zu widmen. Wichtiger aber ist mir: Gerade diese Tatsache, daß die Beziehungen zum Iran auch Emotionen wecken, sollte uns dazu nötigen, sie in besonderer Weise rational zu betreiben, darauf zu achten, daß in diesem Zusammenhang internationale Politik, Außenpolitik und Innenpolitik nicht in unnötigem Sinne durcheinandergeraten und gerade in der Innenpolitik Fehler, ja auch nur Verdächtigungen von Fehlern vermieden werden. Wenn ich darauf hinweise, daß das alles eine lange Tradition hat, dann geht meine Erinnerung zurück in das Jahr 1967. Damals haben knüppelnde Geheimdienstleute des Schah-Regimes dafür gesorgt, daß eines der damals bemerkenswertesten innenpolitischen Ereignisse eintrat, in der Folge der Tod eines Studierenden, der gegen den Schah demonstrierte, in der Folge die größte Demonstration überwiegend Studierender, die es bis dahin in Deutschland gegeben hatte, in der Folge der Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Heinrich Albertz, den allerdings später die Konservativen deshalb nicht besonderes ausstehen konnten, weil er sehr radikale Konsequenzen aus seinen in diesem Fall vielleicht vorliegenden Fehlern gezogen hat. Es war auf jeden Fall ein Beitrag zum ersten Regierungswechsel in Deutschland; denn ich glaube, ohne diese Ereignisse des Jahres 1967 wäre die kulturelle Hegemonie in Deutschland nicht gekippt. ({1}) Das sollte man in Erinnerung haben, wenn man heute über die Beziehungen zum Iran spricht. Deshalb, Herr Minister Schmidbauer, ist es schon ein Fehler, wenn nur der Verdacht aufkommt, daß Beziehungen des deutschen Geheimdienstes zu dem iranischen irgendwie Prozesse auslösen, mit beeinflussen, über die man öffentlich diskutiert. Das werden Sie vermutlich selber wissen. Ich habe den Eindruck, der Bundesregierung ist es nicht vollständig gelungen, diesen Verdacht nicht aufkommen zu lassen. Und ich meine, es täte uns allen gut, wenn die Beziehungen, die man zu dem Geheimdienst dieses Landes hat, wenn sie denn überhaupt nötig sind, auf ein Minimum beschränkt werden, auf eine niedrige Ebene kommen, die in dieser Welt vielleicht unvermeidlich ist. ({2}) Ich halte es deshalb für einen Beitrag zur rechtstaatlichen Kultur in Deutschland, daß der Generalbundesanwalt darauf gedrungen hat, den Geheimdienstchef des Iran, der im Ministerrang ist, unter Anklage zu stellen. Denn es ist in der Tat mit der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, ihrem demokratischen Selbstverständnis unvereinbar, daß Geheimdienste anderer Länder an Mordanschlägen auf sich in Deutschland aufhaltende Menschen, egal woher sie kommen, beteiligt sind. ({3}) Ich habe dem stellvertretenden iranischen Außenminister, Herrn Vaezi, der neulich die Bundesrepublik besuchte, gesagt - und er hat mir nicht widersprochen; was immer man davon hält, wie man es bewertet -, daß ich die Tatsache seines Besuches nach diesen Maßnahmen des Generalbundesanwalts als eine Respektierung des Rechtsstaatsverhältnisses der Bundesrepublik Deutschland, auch gegenüber Nichtdeutschen, die in Deutschland möglicherweise strafbare Handlungen begehen, verstehe. Er hat dem nicht widersprochen; man sollte das festhalten. In der Innenpolitik ist also größte Zurückhaltung bei allem geboten, was auch nur Verdächtigungen auslöst. Das gilt auch für Vokabeln. Ich nehme an, Herr Kollege Polenz, das war mehr zufällig: „Wir sind an guten Beziehungen zum Iran interessiert." Ich würde schon das Wort nicht gebrauchen, weil es keinen Grund dafür gibt, zu dieser Regierung bessere Beziehungen zu haben als zu anderen Staaten dieser Welt. ({4}) Auch mit dem „kritischen Dialog", dessen Absicht ich respektiere und der wahrscheinlich vernünftig ist, ist hier ein semantisches Problem aufgetreten. Mag der kritische Dialog zunächst als ein Minus an Normalität gemeint sein, so erweckt diese Formulierung jetzt den Eindruck, es handele sich um ein Plus an Normalität. ({5}) Dafür kann ich dem Iran gegenüber nicht einen einzigen Ansatzpunkt finden. ({6}) Deshalb komme ich zu den drei Prinzipien, wie man mit dem Iran und jedem anderen Land der Welt umgehen sollte. Erstens. Es ist notwendig, daß alle Staaten dieser Welt miteinander Beziehungen haben, solange nicht ein ernsthafter Zweifel an der staatlichen HandlungsDr. Christoph Zöpel fähigkeit eines sich Staat nennenden Gebildes besteht; das ist beim Iran nicht der Fall. Es ist notwendig, diplomatische Beziehungen zu haben. Aber ich sage bewußt „notwendig", nicht mehr und nicht weniger. Diese diplomatischen Beziehungen brauchen wir vor allen Dingen wegen unseres Sicherheitsinteresses. Europa hat ein elementares Sicherheitsinteresse am Frieden im Nahen Osten. Der Frieden im Nahen Osten ist davon abhängig, daß alle Staaten dieser Region in die Bemühungen um Frieden einbezogen werden, auch der Iran. Die Einbeziehung muß gewaltfrei bleiben. Damit ist das Hauptthema von Gesprächen mit dem Iran deutlich, nämlich daß auch er sich daran im Interesse einer immer mehr vernetzten Welt, speziell aber aus dem regionalen Interesse Deutschlands und Europa an Friedensbemühungen im Nahen Osten, beteiligen muß. ({7}) Das ist eine Conditio sine qua non für alles andere, worüber man mit dem Iran sinnvoll sprechen kann. Soweit das die Bundesregierung tut - sie tut es, Herr Außenminister -, hat sie dabei die volle Unterstützung der SPD. Gewalt hilft dabei meistens nicht weiter. Sollte Israel ernsthaft den Iran herausgehalten haben wollen, dann haben die Bomben gegen Hisbollah eher das Gegenteil bewegt. Ein weiterer Fall für unseren Grundsatz: Es gibt keinen Grund für irgendeine Bombe, die geworfen wird. ({8}) Der zweite Punkt sind die wirtschaftlichen Beziehungen. In einer ökonomisch globalisierten Welt ist es offenkundig so, daß Handel eher konfliktentschärfend als konfliktverschärfend ist. ({9}) Alle Versuche, durch dauerhafte Embargos eine Situation zu verbessern, scheinen mir derzeit zu scheitern. ({10}) - Ich spreche von wirtschaftlichen Beziehungen. Das gilt für den Irak. Der UNO-Sicherheitsrat hat in einer merkwürdigen Anwandlung von fast tragischer Selbsterkenntnis gesagt, er verlängere die Embargomaßnahmen gegen den Irak, weil der Irak schmuggele. Er hat also im Grunde genommen die Konsequenz eines Embargos, nämlich daß geschmuggelt wird, zum Grund der Verlängerung erklärt. Man muß über die Logik nachdenken. Deshalb macht es keinen Sinn, über den Iran wirtschaftliche Embargos im wirtschaftlichen Bereich zu verhängen. Handel kann eher Konflikte entschärfen; Embargos sind nicht durchhaltbar. Wir sollten das gegenüber allen Ländern überdenken. Dies mag einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten bedeuten. Wir sollten vielleicht in freundschaftlichem Dialog mit den Vereinigten Staaten auf die Fragwürdigkeit und dabei auch - damit komme ich zu Punkt 1 zurück - auf das spezielle deutsche Sicherheitsinteresse am Frieden im Nahen Osten hinweisen, das näher ist als das amerikanische. Es gibt allerdings eine Grenze. Gerade wenn wir keine Embargos wollen und wenn wir den Handel wollen, sollten wir nichts unterlassen, was einen Handel mit bestimmten Dingen, den wir nicht wollen, ermöglicht. ({11}) Man kann nicht kritisch und scharf genug sein bei den Kontrollen von Unternehmen und Gütern, die nicht dorthin exportiert werden sollen. Ich gehe einen Schritt weiter. Positiverweise hat sich der Rüstungsexport in dieser Zeit vermindert. Der deutsche Beitrag hat sich besonders vermindert. Man könnte sagen: Er beginnt, marginal zu werden. In einer Situation, wo der Rüstungsanteil an den Exporten Deutschlands marginal wird, könnte man doch rational darüber diskutieren, daß Deutschland darauf verzichtet, Rüstungsgüter zu exportieren. Es ist wirtschaftlich schon kaum mehr bedeutsam. ({12}) Damit komme ich zum dritten Punkt. ({13}) - Herr Kollege, jeder bewaffnete Konflikt ist mit anderen vernetzt. Sollte der Iran tatsächlich, was wir vermuten, an terroristischen Anschlägen beteiligt sein oder sie unterstützen, dann hat das damit zu tun, daß es Waffen gibt, die gehandelt werden. Ohne Waffenhandel gibt es auch keine bewaffneten Konflikte. Aus dem Grunde macht es sehr viel Sinn, im Zusammenhang einer Debatte über einen Staat, dem viele unterstellen, er unterstütze die Hisbollah mit Waffen, über das Ende von internationalem Waffenhandel zu sprechen. ({14}) Ich wiederhole meinen Satz: Angesichts der marginalen Bedeutung, die die deutschen Rüstungsexporte wirtschaftlich nur noch haben, kann es Sinn machen, darauf zu verzichten. Damit komme ich zu dem dritten Punkt von Beziehungen. Das ist der Dialog über zivile und kulturelle Fragen. Hier sage ich deutlich - deswegen habe ich mich gegen gute, gegen besondere Beziehungen gewandt -: Es ist die Verpflichtung jedes Landes, das in der Gunst lebt, ein demokratischer Staat zu sein, das die Chance bewahrt hat, dies über 50 Jahre zu bleiben, das seit fast sieben Jahren die Chance hat, als ganzer Staat demokratisch und rechtsstaatlich zu sein, für Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie überall in der Welt einzutreten. Bei allen kulturellen Unterschieden, die es gibt und die man sehen muß, weil man sonst keinen multikulturellen Dialog führen kann, ist zumindest der Kanon an Menschenrechten, der in Deklarationen und Beschlüssen der Vereinten Nationen niedergelegt ist, auch positivistisch verstanden, das Minimum dessen, was gegenüber jedem Staat einzuklagen ist. ({15}) Auf dieser Grundlage kann man eigentlich keinen Dialog in dem Sinne darüber führen, daß über gleichwertige Positionen gesprochen wird, wenn man auf ein Land blickt, das, wie dargestellt, aus religiösen Gründen Mitglieder der Bahai-Sekte zum Tode verurteilt, das Frauen so behandelt, wie es nach den Beschlüssen der UNO-Konferenz in Peking unerträglich ist. ({16}) Das geht - das sage ich sehr deutlich - bis zu den Bekleidungsvorschriften. ({17}) Der Iran muß wissen, daß freundschaftliche Beziehungen mit einem Land nicht möglich sind, wenn er darauf beharrt, daß europäische Frauen, die aus guten Gründen nicht verschleiert gehen wollen, das in diesem Lande tun müssen. ({18}) Das muß man dem Iran sagen. Es ist weiter unerträglich, daß ein Land sich das Recht herausnimmt, in der ganzen Welt Schriftsteller aus religiösen Gründen zu verfolgen und ermorden zu können. Es ist auch unerträglich, abstoßend und ekelhaft - ich wiederhole diese Vokabeln: unerträglich, abstoßend und ekelhaft -, wenn Dichter in einem Lande zu Körperstrafen verurteilt werden. Über alle diese Dinge kann man keinen Dialog führen. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege - Dr. Christoph Zöpel ({0}): Da kann man nur sagen, es ekelt uns. - Das ist der dritte Punkt. Man muß ihn klar aussprechen. In dieser Reihenfolge bin ich für diese Beziehungen: notwendig um der Sicherheitspolitik willen, wirtschaftlich keine Sanktionen, weil wirtschaftliche Beziehungen konfliktvermindernd sind, aber auf der Position der Menschenrechte beharrend, klar und ohne jeden Zweifel, wo im Iran Dinge laufen, die es auf dieser Welt nach unserer Vorstellung, nach unseren Prinzipien und unserer Überzeugung und Aufklärung nicht geben dürfte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie müßten jetzt zum Ende kommen.

Dr. Christoph Zöpel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002604, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es war der Wunsch nach einer Zwischenfrage angemeldet. - Die Redezeit war abgelaufen. Sie möchten sie nicht mehr beantworten? - Okay. - Dr. Christoph Zöpel ({0}): Ich hatte Ihre Mahnung erwartet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es war beides, auch der Wunsch nach einer Zwischenfrage, aber dann ist es gut. Als nächste hat die Abgeordnete Amke DietertScheuer das Wort.

Amke Dietert-Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002640, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 6. Juli des letzten Jahres hatten wir unsere Große Anfrage zur Iran-Politik der Bundesregierung eingebracht. Mit der Beantwortung hat sich die Bundesregierung offenbar schwergetan. Angekündigte Termine für das Eingehen der Antwort wurden immer wieder verschoben. Das hatte mich natürlich auf entsprechend umfassende und sorgfältig recherchierte Antworten hoffen lassen, aber weit gefehlt: Die Antworten sind nichtssagend, ausweichend und teilweise falsch. ({0}) Zum Beispiel behauptet die Bundesregierung in ihrer Antwort, ein Vertreter von Amnesty International habe an einem Kolloquium zur Vorbereitung des Menschenrechtsseminars teilgenommen. Unserer Information nach hat niemals eine Vor- oder Nachbereitung dieses Menschenrechtsseminars stattgefunden, Die Mitglieder der deutschen Delegation reisten einzeln an und wieder ab, ohne Absprache oder Koordination. Die angebliche Beteiligung von Amnesty an dieser Vorbereitung bestand in zwei Telefongesprächen mit dem Generalsekretär und einem AI-Mitglied. Es muß einen doch wundern, wenn es der Bundesregierung in einem halben Jahr nicht gelingt, unsere Fragen korrekt zu beantworten. Es muß einen nicht nur wundern, es kommt auch der Verdacht auf, daß eine gewisse Verzögerungstaktik dahintersteckt. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, könnte die Bundesregierung mit den Erfolgen ihrer Iran-Politik einem schon fast leid tun. Trotz allem Entgegenkommen, trotz allen ernsten Worten und kritischen Dialogen fällt ihr die Staatsführung des Iran doch immer wieder in die Parade und erlaubt nur eine sehr dürftige Bilanz für die Erfolge des kritischen Dialogs. So muß sich die Bundesregierung immer wieder der Frage stellen, mit was für einem Staat sie ihre guten Beziehungen pflegt: mit einem Staat, für den die Bundesregierung der wichtigste Handelspartner in Europa ist, dem sie in Form von Hermes-Bürgschaften den Handel mit der deutschen Industrie erleichtert und mit dem sie auch den Abschluß eines Kulturabkommens in Erwägung zieht. Doch welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Erfahrung, daß ihre Gespräche, die sie hinter verschlossenen Türen führt, nichts bewirken? Man kann diese Frage auch andersherum stellen: Warum sieht die Regierung des Iran offensichtlich keinen Grund, sich bei der Beachtung der Menschenrechte in ihrem Land zu bewegen? Warum schickt sie weiterhin Agenten auf Oppositionellenjagd ins Ausland und torpediert den Friedensprozeß im Nahen Osten? Warum kann sie es sich erlauben, mittlerweile seit sieben Jahren, die Fatwa gegen Salman Rushdie aufrechtzuerhalten? ({1}) Ist es vielleicht so, daß die Regierung des Iran den „kritischen Dialog" der Bundesregierung als das versteht, was er ist: als Worte, von denen man weiß, daß sie folgenlos bleiben werden? Wir sind nicht der Meinung, daß eine Politik der totalen Isolierung zur Lösung der Probleme im Iran beitragen würde. Wir sind nicht für einen Boykott, wie die USA ihn verhängt haben und zu dem die Bundesregierung sich auf unsere Anfrage nicht äußern wollte. Wir sind auch nicht grundsätzlich gegen Wirtschaftsbeziehungen; aber die bestehenden Beziehungen müssen als Hebel für eine Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran genutzt werden. ({2}) Salman Rushdie hat der Bundesregierung hierbei eine zentrale Rolle zugesprochen. Auch in offiziellen Verlautbarungen der iranischen Botschaft wird klar, welch große Bedeutung der Iran den Beziehungen zur EU und hierbei besonders zur Bundesrepublik beimißt. Wenn man jedoch Geschäfte macht, ohne daran überprüfbare Verbesserungen der Menschenrechtssituation zu knüpfen, dann macht man sich mitschuldig. Es ist absurd, so zu tun, als sei die Bundesregierung wirtschaftlich vom Iran abhängig und müsse deshalb Rücksicht nehmen. Umgekehrt macht es schon eher Sinn. Besonders nach dem Boykott der USA kommen den EU-Staaten und hierbei der Bundesrepublik an erster Stelle eine Schlüsselposition zu. Warum ist es möglich, innerhalb der EU Abstimmungen über einen kritischen Dialog zu finden, nicht jedoch im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit? ({3}) Wenn der Boykott der USA dazu benutzt wird, selbst in die Bresche zu springen und miteinander um die besten Geschäftsabschlüsse zu konkurrieren, dann ist klar, warum eine solche Abstimmung gar nicht gewünscht wird. Die jüngsten Vereinbarungen der EU zur Iran-Politik beziehen sich fast ausschließlich auf Forderungen an die iranische Außenpolitik. Natürlich ist es von großer Bedeutung, daß der Iran aufhört, den Friedensprozeß im Nahen Osten zu torpedieren und den Terror der Hisbollah im Libanon zu unterstützen. Ich fürchte aber, daß sich die Außenpolitik der Bundesregierung hierbei in einer Falle befindet. Gerade durch die außenpolitischen Querschläge erzwingt die iranische Regierung es, mit ihr zu verhandeln. Dabei spielen die Verhältnisse innerhalb des Iran eine immer geringere Rolle. Der einzige Verhandlungspunkt in Sachen Menschenrechte ist noch die Fatwa gegen Salman Rushdie, die mittlerweile für beide Seiten eine große symbolische Bedeutung hat. Während einerseits Zusagen gemacht werden, daß die Vollstreckung der Fatwa nicht aktiv betrieben wird, wird andererseits im Iran von dem Parlamentspräsidenten und dem Chef der Justiz die Fatwa bekräftigt. Was aber ist mit den Menschen im Iran, von denen niemand spricht, die der unkalkulierbaren Willkür der Gerichte, Folter und Todesstrafe ausgesetzt sind? Auf die Situation der Bahai hat Herr Polenz bereits hingewiesen. Ich kann ihm da nur in vollem Umfang zustimmen. Allerdings habe ich Zweifel daran, ob es richtig ist, zu sagen, „Man greift diesen Punkt als besonderen heraus", wenn damit verbunden sein sollte, daß man andere zurückstellt. ({4}) Das wollte ich klarstellen. ({5}) - Gut, wir sind uns einig. Ich nehme das zur Kenntnis. Auf unsere Fragen nach dem Verhalten der Bundesregierung im „Mykonos"-Prozeß wurde uns ebenfalls die Antwort verweigert. Wie Herr Zöpel mit der ihm eigenen feinen Ironie bereits angedeutet hatte, sind auch wir der Meinung, daß das Verhalten der Bundesregierung in diesem Prozeß in der Öffentlichkeit zumindest sehr stark den Eindruck erweckt hat, den guten Beziehungen zum Iran werde ein größeres Gewicht beigemessen als der Aufklärung von vier Morden. Auch der inzwischen verhängte Haftbefehl gegen den iranischen Geheimdienstminister Fallahian kam der Bundesregierung offensichtlich nicht gelegen, wurde derselbe Minister doch ein Jahr nach dem Attentat im Bundeskanzleramt empfangen und dem Zugriff der Bundesanwaltschaft durch besonderen diplomatischen Schutz entzogen. Statt dessen durfte er in Köln und Pullach die guten Beziehungen zu deutschen Geheimdiensten pflegen. Selbst da, wo es die Bundesregierung nicht viel kosten würde, die Situation hier lebender Iraner zu verbessern, konnte sie sich noch nicht zu einem längst überfälligen Schritt durchringen. Noch immer beAmke Dietert-Scheuer steht das Deutsch-Iranische Niederlassungsabkommen von 1929, wonach zu einem Wechsel der Staatsbürgerschaft die Zustimmung beider Staaten nötig ist. Erst auf massive öffentliche Kritiken hat die Bundesregierung Verhandlungen mit dem Ziel der wechselseitigen Aufhebung des 2. Abschnitts des Niederlassungsabkommens aufgenommen. Ich möchte die Bundesregierung hier nachdrücklich auffordern, für den Fall, daß das iranische Parlament dieser Aufhebung nicht zustimmt, das gesamte Niederlassungsabkommen zu kündigen. ({6}) Von iranischer Seite wird häufig der Vorwurf erhoben, die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte werde politisch instrumentalisiert. So ganz ist dieser Einwand nicht von der Hand zu weisen, solange die westlichen Staaten und auch die Bundesrepublik unterschiedliche Maßstäbe anlegen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen in Staaten geht, denen sich der Westen politisch verbunden fühlt. Ein Beispiel aus dem Bereich der islamischen Staaten ist der Umgang mit dem guten Verbündeten Saudi-Arabien. Daneben wird von iranischer Seite Kritik an Menschenrechtsverletzungen mit dem Argument zurückgewiesen, ihre Politik gründe sich auf ein islamisches Menschenrechtsverständnis. Islamische Rechtsinterpretationen sind bekanntlich höchst umstritten und werden von diktatorischen Regimen wie dem Iran oder Saudi-Arabien ausgelegt, wie es ihnen paßt, obwohl auch sehr viel tolerantere Auslegungen möglich wären. Auf jeden Fall haben jedoch Folter, willkürliche Inhaftierungen, Hinrichtungen, Gerichtsverfahren ohne Verteidigungsmöglichkeit nichts mit islamischem Recht zu tun. Wenn man Menschenrechtsverletzungen in islamischen Ländern als Ausdruck islamischer Identität versteht, akzeptiert man die Argumentation von Regimen, die sich auf den Islam berufen, um ihre Repressionspolitik zu rechtfertigen. ({7}) Hier geht es nicht um Religion oder Kultur, sondern um Politik. Diese Politik wird auch in Ländern wie dem Iran von Personen gemacht, die keineswegs weltfremde, irrationale Fanatiker sind, sondern oft im Westen ausgebildete, durchaus rational denkende Politiker. Man sollte im übrigen nicht meinen, daß man einen Dialog mit dem Islam führt, wenn man mit den Außenministern islamischer Staaten redet. Mit wem aber kann und soll man hinsichtlich einer Verbesserung der Menschenrechtssituation zusammenarbeiten? Neben dem entsprechenden Druck auf die Regierungen ist es unerläßlich, diejenigen Kräfte im Land selbst zu unterstützen, die sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Wenn man sie jedoch zusammen mit Regierungsvertretern einlädt - wie bei der geplanten Islam-Konferenz geschehen -, dann ist diese Chance vertan. Ich wünsche mir statt dessen eine von der Bundesregierung einberufene Islam-Konferenz mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus islamischen Ländern, die sich für eine tolerante und zeitgemäße Islam-Interpretation und die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen. Damit könnte deutlich gemacht werden, daß genau diese Diskurse auch in islamischen Ländern geführt, aber dort von den Herrschern unterdrückt werden. Ziel einer bundesdeutschen Iran-Politik muß es sein, daß auch im Iran solche Diskussionen offen und repressionsfrei geführt werden können - ohne Angst vor Folter, Gefängnis oder Exekutionen durch Geheimdienste. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Iran ist eines der wichtigsten Länder im instabilen Mittleren Osten. Sicherheit und Stabilität in der Golf-Region lassen sich nicht ohne, erst recht aber nicht gegen den Iran erreichen. Wir wollen, ja wir brauchen deshalb den offenen und kritischen Dialog, um den Iran nicht den Extremisten zu überlassen. Nur so können wir unterschiedliche, ja gegensätzliche Wert- und Weltvorstellungen überwinden. Wir wollen den Dialog erfolgsorientiert fortsetzen. Ziel sind die Achtung der Menschenrechte und eine klare Distanzierung vom Terrorismus. ({0}) Lieber Kollege Zöpel, so erfolglos war der „kritische Dialog" bisher nicht. Der Iran hat als einer der ersten Staaten der Region die CW-Konvention unterzeichnet und der Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages zugestimmt. Er arbeitet wieder mit der IAEO und mit dem UN-Menschenrechtsbeauftragten zusammen. Der Iran hat auch seine Bereitschaft erklärt, mit Amnesty International zusammenzuarbeiten. ({1}) Sogar unsere amerikanischen Bündnispartner haben die hilfreiche Rolle Irans im Nagorny-Karabach-Konflikt, im tadschikischen Bürgerkrieg und in Afghanistan anerkannt. Wir dürfen eines nicht übersehen: Ohne den Iran gibt es keine Befriedung, ohne den Iran gibt es keine Stabilität in der Golfregion und in Zentralasien. Die USA und die Europäer üben gleichermaßen Kritik am bisherigen Verhalten Irans. In der Iran-Politik beschreiten sie allerdings diametral unterschiedliche Wege: EU-Dialog einerseits und US-Isolierungspolitik andererseits. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Isolierung bedeutet Radikalisierung. Ein Abbruch der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die Isolierung Irans würde die Möglichkeiten, auf den Iran mäßigend einzuwirken, total verschütten. Es gibt keine vernünftige Alternative zum kritischen Dialog mit dem Iran. ({2}) Trotz einiger Erfolge unserer Politik ist der Durchbruch in entscheidenden Fragen bisher leider nicht gelungen. Bei allem Verständnis für die großen inneren Probleme Irans erwarten wir, daß der Iran seine Verpflichtungen aus dem Menschenrechtspakt der Vereinten Nationen erfüllt, den Nahost-Friedensprozeß nicht durch Unterstützung gewalttätiger Terrorgruppen gefährdet und den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten achtet. Dies ist ein Mindestkatalog. Wir erwarten auch eine baldige sichtbare Umsetzung der Zusagen, die der Iran der Troika gegeben hat. Nur wenn hier echte Fortschritte erzielt werden, kann es auch zu einer Verbesserung in den deutschiranischen und den europäisch-iranischen Beziehungen kommen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt spricht der Kollege Steffen Tippach.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In jeder neueren Rede des Bundesaußenministers zu diesem Thema und auch in dem vorliegenden Koalitionsantrag ertönt ein großes Barmen und Jammern, daß es einen Stein erweichen könnte: Das Ausland und die Öffentlichkeit würden die politischen und Wirtschaftsbeziehungen zum Iran überbewerten, und die Bundesregierung sei doch 32 Stunden am Tag im Dienste der Menschenrechte tätig. Aber wie sieht die Realität aus? In der zu beratenden Großen Anfrage spricht die Bundesregierung von „ dual-use" -Gütern - also auch militärisch nutzbaren Gütern - im Wert von 3,24 Milliarden DM, die zwischen 1989 und 1995 in den Iran geliefert wurden. Laut Zeitungsberichten vom 29. April 1995 über eine Studie des Bundesausfuhramtes in Eschborn wurden 1994 Rüstungsgüter im Wert von 33,5 Millionen DM in den Iran geliefert. Laut „Spiegel" hat der BND im Jahre 1991 eine Computeranlage an den iranischen Geheimdienst geliefert und Agenten geschult. „Foreign Affairs" brachte eine Meldung über Computersoftware im Wert von 100 000 DM, die Geheimdienstminister Fallahian sozusagen als Gastgeschenk erhalten hat. Selbigem Minister wurde - welch Vertrauen! - durch Staatsminister Schmidbauer sogar eine Besichtigungstour beim BND in Pullach spendiert; die Kollegin Dietert-Scheuer hat darauf hingewiesen. Mehrere großzügige Umschuldungsverfahren in zweistelliger Milliardenhöhe wurden ebenso gewährt wie Hermes-Kreditrahmen in ebensolchen Dimensionen. Wenn der Warenaustausch trotzdem rückläufig ist, liegt das ja wohl nicht an der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung, sondern an den Zahlungsschwierigkeiten und den Importbeschränkungen der iranischen Regierung. Die iranische Opposition wird von der Bundesregierung regelmäßig ignoriert, zum Beispiel ExPräsident Bani Sadr bei seinem letzten Besuch. Nicht einmal nach dem Mykonos-Attentat hat es die Bundesregierung für notwendig gehalten, gegenüber der KDP Iran ein deutliches Zeichen zu setzen. Die iranische Regierung kann sich ihrer Freunde so sicher sein, daß sie den Haftbefehl gegen Minister Fallahian mit der Aussage kommentierte: Der deutsche Bundesanwalt kann alles mögliche sagen. Dies wird aber von der Regierungsseite in Deutschland nicht akzeptiert. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, ist kein kritischer Dialog. Ich nenne so etwas Kollaboration. Der kritische Dialog heißt doch wohl deswegen so, weil er kritisch sein sollte, nicht, weil er dauernd Anlaß zur Kritik gibt. ({0}) Niemand hier hat von Ihnen verlangt, das Kriegsbeil auszugraben. Was ich hier aufs heftigste bemängele, ist die Tatsache, daß Sie, um in der Terminologie zu bleiben, mit der Teheraner Regierung gemütlich die Friedenspfeife rauchen. Nicht zuletzt auch deswegen ist Ihre Politik derartig unglaubwürdig, daß Sie der iranischen Regierung die Argumente geradezu in die Hand geben, um selbst zutiefst berechtigte Kritik als scheinheilig zurückzuweisen. Wer soll denn eine Kritik an der Menschenrechtspraxis im Iran noch ernst nehmen, wenn Sie selbige in der Türkei oder in Saudi-Arabien ständig beschönigen? Wie ernsthaft wirkt Ihre Kritik am iranischen Atomprogramm, wenn Sie zum israelischen schweigen? Wir wollen keine Isolation des Iran. Sie sollten aber endlich aufhören, stapelweise Extrawürste zu braten. Beziehen Sie endlich die iranische Opposition mit ein! Und vor allem: Beenden Sie das Primat der Wirtschaftsinteressen zugunsten einer glaubwürdigen Menschenrechtspolitik! Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Iran - 70 Millionen Einwohner, viereinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik, in einer der krisenanfälligsten Regionen der Welt gelegen, mit den drittgrößten Erdölreserven der Welt - ist zweifellos einer der wichtigsten Staaten im Nahen und Mittleren Osten. Er ist - nicht nur für unsere Beziehungen - ein schwieriges Land, das Menschenrechtsprobleme hat und dem Verdacht der Verwicklung in terroristische Aktivitäten und natürlich auch dem Verdacht des Strebens nach Massenvernichtungswaffen unterliegt. Zentrales Ziel unserer Iran-Politik muß es sein, dieses wichtige Land zu einer verantwortungsbewußten und konstruktiven Zusammenarbeit zu bewegen. ({0}) Von der Frage des Friedens im Nahen Osten bis zur Haltung Teherans in Sachen Menschenrechte gilt: Wir werden Fortschritte nur mit und nicht gegen den Iran erzielen können. Das ist jedenfalls die Auffassung, die alle EU-Partner gemeinsam mit uns am 22. April, also erst vor kurzem, in Luxemburg bestätigt haben. Ich habe dazu vor dem Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages ausführlich vorgetragen. Ich war gestern zu Gesprächen mit der Regierung und dem Kongreß in Washington. Dort ist man anderer Auffassung. Die Gespräche waren nicht leicht. Amerika verfolgt den Weg „keine Beziehung, Isolierung und Sanktionen" , wird aber in dieser Politik - ich habe dies schon im Auswärtigen Ausschuß vorgetragen und es gestern abend in einer nicht ganz unwichtigen Veranstaltung des American Jewish Committee noch einmal vorgetragen - weltweit nur von Israel und Usbekistan unterstützt. Unsere Politik, zu der es zumindest nach unserer Auffassung derzeit keine Alternative gibt, ist der Versuch - so haben wir es in Brüssel formuliert -, aktiv auf Teheran einzuwirken mit dem Ziel, schrittweise Fortschritte zu erzielen und eine weitere Radikalisierung zu verhindern. Wir sind der Überzeugung - darüber haben wir auch im Auswärtigen Ausschuß lange diskutiert -, daß Isolierung und Sprachlosigkeit nicht weiter führen. Ich stelle auch hier die Frage: Was wäre eigentlich gewonnen, was würde sich ändern, wenn wir die Kontakte zum Iran total abbrechen oder die Beziehungen auch nur einfrieren würden? ({1}) - Ich habe gesagt: die Kontakte abbrechen und die Beziehungen einfrieren. Ich habe in den gestrigen Gesprächen mit Warren Christopher, Bill Perry und Tony Lake und auch im Kongreß dafür geworben, daß wir unsere gegenseitigen Auffassungen achten, zumal sich beide Positionen, was die moralisch-ethische Seite anbelangt, durchaus rechtfertigen lassen. Aber die Amerikaner müssen sich genauso wie wir nach dem Erfolg ihrer Politik fragen lassen. Das habe ich gestern getan. Auch wir prüfen unsere Ergebnisse. Auch das habe ich vorgetragen. Es gibt gewisse Anzeichen für eine etwas konstruktivere Haltung Teherans: Erstens. Die EU-Troika hat von der iranischen Regierung ein Dokument erhalten, in dem offiziell jede Form von Terrorismus auch im Zusammenhang mit den Palästinensern abgelehnt wird. Teheran spricht sich in diesem Papier für den Einsatz friedlicher Mittel zur Lösung des Nahostproblems aus. Zweitens. Der iranische Vizeaußenminister Vaezi hat kürzlich bei seinem Besuch in Bonn zugesichert, daß Iran auf die Hisbollah im Sinne der nunmehr erreichten Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen einwirken wird, und er hat außerdem bekräftigt, daß Iran eine friedliche Lösung des Nahostproblems unterstützt und jegliche Form des Terrorismus ablehnt. - Ich komme noch dazu, was Worte auf der einen und Taten auf der anderen Seite bedeuten. Drittens. Iran hat die Zusammenarbeit mit den drei Sonderberichterstattern für Menschenrechtsfragen, religiöse Toleranz und Meinungsfreiheit aufgenommen - Kollege Feldmann hat das schon gesagt -, und Teheran hat den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Ayala Lasso, eingeladen und sich bereit erklärt - was bisher nicht der Fall war -, mit Amnesty International zusammenzuarbeiten. Die deutsch-iranischen Menschenrechtsseminare - sie waren früher nicht möglich, immerhin haben wir erreicht, daß es sie jetzt gibt - haben Anhaltspunkte für ein allmähliches Umdenken auch innerhalb des Klerus im Iran ergeben. Der Iran hat die Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages mitgetragen, gehörte zu den ersten Unterzeichnern des C-WaffenÜbereinkommens und arbeitet eng mit der Atomkontrollbehörde IAEO zusammen. ({2}) Ich würde gern noch darauf hinweisen - das war ein Punkt, bei dem wir von den Amerikanern und auch von der israelischen Seite immer wieder um Hilfe angegangen worden sind, wenn es Probleme gegeben hat -, daß es eine Mitwirkung Teherans bei der Befreiung der Libanongeiseln gab und gibt. Wir sollten das nicht ganz vergessen. Ich wiederhole - und ich habe gestern in Amerika in den Gesprächen auch noch einmal darauf hingewiesen -: Man kann uns nicht auf der einen Seite wegen unserer Beziehungen zum Iran, wegen unseres Dialogs mit dem Iran anklagen und dann, wenn es Schwierigkeiten im amerikanisch-iranischen und vor allem im israelisch-iranischen Verhältnis gibt, zu uns kommen und uns bitten, daß wir die Beziehungen, die wir haben, nutzen. Da muß man schon konsequent sein und in einer partnerschaftlich-freundschaftlichen Unterredung offen darüber sprechen dürfen. Wir haben wie unsere europäischen Partner den Stand unserer Beziehungen zu Teheran heruntergefahren. Das gilt für die Besuchsbeziehungen, für die wirtschaftlichen Kontakte, das gilt auch für die Hermes-Zusagen und für vieles andere. Es liegt am Iran, daß die Temperatur der Beziehungen wieder ansteigt. Ich erkläre ausdrücklich - Velayati weiß das von mir auch persönlich -, daß Worten auf iranischer Seite jetzt Taten folgen müssen. Das gilt insbesondere für die Frage der Terrorismusverwicklung, für Menschenrechtsprobleme, aber natürlich vor allem für den Frieden im Nahen Osten. Die deutsch-iranischen Beziehungen waren traditionell eng und freundschaftlich. Ich sage deutlich und klar, daß die Bundesregierung auch heute an Fortschritten in unseren Beziehungen interessiert ist. In einem Schreiben an den iranischen Außenminister Velayati habe ich aber auch verdeutlicht, daß dafür eine Reihe von klaren Voraussetzungen erfüllt sein muß. Auch da genügen keine bloßen Zusicherungen, wie das in einem Brief des Außenministers an mich und in einem Brief von Rafsandschani geschehen ist. Den Worten müssen wirklich Taten folgen. Nur das kann der Prüfstein des guten Willens auf Teheraner Seite sein. Das heißt insbesondere: erstens eine klar erkennbare positivere Haltung zum Nahost-Friedensprozeß; zweitens Anerkennung der demokratisch gewählten palästinensischen Autonomieverwaltung; drittens Umsetzung der gegenüber der EU-Troika in Teheran gemachten Zusicherung, daß Iran den nahöstlichen Terror weder finanziell noch logistisch unterstützt; viertens konkreter Beitrag Teherans zu einer langfristig friedlichen Lösung in Libanon durch mäßigende Einwirkung auf die Hisbollah; fünftens Selbstverpflichtung Irans, an kooperativen und friedensorientierten Lösungen in der Nahostregion mitzuwirken; sechstens Verbesserung der Menschenrechtslage, insbesondere vollständige Herstellung der Presse-und Meinungsfreiheit und der freien Religionsausübung; siebentens wirksame Kontrolle der Einhaltung der vom Iran unterzeichneten C-Waffen-Konvention und schließlich achtens Beendigung aller Aktivitäten des iranischen Geheimdienstes, die darauf gerichtet sind, im Ausland lebende iranische Oppositionelle zu verfolgen und Leib und Leben dieser Personen zu gefährden. Ich habe mich in einem weiteren Schreiben gerade wieder an Außenminister Velayati für die beiden zum Tode verurteilten Angehörigen der Bahai-Religion, Kayvan Khalajabadi und Bihnam Mithaqi verwandt. Wir nehmen es nicht hin - ich sage das hier von dieser Stelle aus -, daß Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugung verfolgt und sogar zum Tode verurteilt werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Außenpolitik eignet sich auch in schwierigen Zeiten nicht für heftige Ruderausschläge.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel?

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Bitte.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, was wird die Bundesregierung unternehmen, wenn der Iran diese von Ihnen hier erhobenen Forderungen, die wir sicherlich alle unterstützen, nicht erfüllt, sondern weiterhin die Normen des internationalen Völkerrechts, der Humanität und der Zivilisation verletzt? Wird die Bundesregierung dem Iran dann die Fortsetzung des kritischen Dialogs androhen, oder was wird die Bundesregierung tun?

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Kollege Gansel, wir haben im Ausschuß ausführlich über diese Frage gesprochen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie auch dort die Frage an mich gestellt. Sie ist berechtigt. Sie werden aber von mir nicht erwarten, daß ich hier die Antwort gebe, welche Folgerungen wir ziehen, spekulativ, sondern wir werden jetzt alles tun, daß möglichst viele dieser Forderungen erfüllt werden, und dann werden wir uns überlegen, wie wir reagieren. ({0}) Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Außenpolitik eignet sich auch in schwierigen Zeiten nicht für heftige Ruderausschläge. Sie muß den Interessen unseres Landes, aber auch den Interessen der Menschen in der Region entsprechen. Wir werden unsere Iranpolitik im Einklang mit unseren Partnern fortsetzen und dabei unseren Realitätssinn nicht über Bord werfen. Der Dialog wird - lassen Sie mich das abschließend sagen - kein Freibrief sein. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1827 und 13/4545 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4590 soll dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Hermes-Bürgschaften für Handelsgeschäfte mit dem Iran, Drucksache 13/3525. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1620 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei einer Gegenstimme und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und von PDS angenommen worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a und 10 b auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes Ratsdok.-Nr. 7073/94 in der Fassung des Geänderten Vorschlages für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes Ratsdok.-Nr. 5318/95 - Drucksachen 13/325 Nr. 161, 13/2977 - Berichterstattung: Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt ({2}), Gila Altmann ({3}), Rainer Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ergänzende Kriterien zu den Leitlinien über die Transeuropäischen Verkehrsnetze ({4}) - Drucksachen 13/1933, 13/4513 - Berichterstattung: Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich Zu dem Entscheidungsvorschlag der Europäischen Union liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Es ist darum gebeten worden, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. *) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Entscheidungsvorschlag der Europäischen Union über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Drucksache 13/2977. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und einer Stimme aus der SPD gegen die Stimmen der sonstigen Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4559. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der PDS und etlichen weiteren Enthaltungen abgelehnt worden. *) Die Redetexte werden in einem Nachtrag als Anlage 7 zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu ergänzenden Kriterien zu den Leitlinien über die Transeuropäischen Verkehrsnetze, Drucksache 13/4513. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1933 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand - Drucksache 13/4336 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Solidarität der Arbeitgeber einfordern: Bedingungen für Teilzeitarbeit im Alter und Vorruhestand - Drucksache 13/3747 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch hier ist gebeten worden, die Reden zu Protokoll zu nehmen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4336 und 13/3747 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen damit zum Zusatzpunkt 7: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Fünf Jahre deutsche Einheit - Nutzung von in den neuen Ländern vorhandenen Möglichkeiten zur Sicherung bzw. Schaffung von Arbeitsplätze sowie zur Förderung einer umweltverträglichen Entwicklung - Drucksachen 13/1905, 13/3123 - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Kutzmutz das Wort. *) Die Redetexte werden als Anlage 8 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allerorten wird über das unsoziale Sparprogramm der Bundesregierung gesprochen, das mit der irreführenden Überschrift „Für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze" versehen ist. Unter diesem Aspekt ist aktuell zu fragen, wie die in den neuen Bundesländern vorhandenen Möglichkeiten genutzt wurden und werden, um Arbeitsplätze zu schaffen, zu sichern und eine umweltverträgliche Entwicklung einzuleiten. Das ist übrigens zugleich für die alten Bundesländer von großer Bedeutung; denn der seit Anfang der 90er Jahre laufende Investitionsboom in Ostdeutschland ist dem Investitionsstandort Deutschland insgesamt zugute gekommen. Zusätzliche Arbeitsplätze sind jedoch dadurch nicht entstanden. Im Gegenteil, nicht nur die Investitionsdynamik hat inzwischen nachgelassen. Deshalb ist es notwendig, die im Jahressteuergesetz 1996 festgelegten Hilfen für Investitionen, für Zuschüsse und Zulagen auch über den vorgesehenen Zeitraum hinaus zu verlängern. Fakt ist: Die Wachstumsprognosen für die neuen Länder werden stetig nach unten korrigiert. Mit der schon angesprochenen Kürzung von Förderleistungen, mit den tiefen Eingriffen in das soziale System trägt die Bundesregierung selbst zum Abbau von Arbeitsplätzen bei. Die Finanzminister, die Wirtschaftsminister und die Arbeitsminister der ostdeutschen Bundesländer sparen deshalb auch nicht mit harter Kritik an diesem Sparpaket. „Der Anpassungsprozeß ist ernsthaft gefährdet", so das Berliner DIW. Seine Auffassung: Der Staat dürfe den Osten nicht kaputtsparen. Drei Dinge will ich in aller Kürze ansprechen, die vergangenes und künftiges Handeln betreffen. Erstens. Seit 1990 hat eine Verdrängung von Wissenschaftlern aus ihrem Beruf stattgefunden, für die es keinen Vergleich gibt. Aus dem Beruf gedrängt wurde faktisch der akademische Mittelstand, beseitigt wurden die Forschungsakademien. Von der Industrieforschung ist so gut wie nichts übriggeblieben. Pro Kopf werden im Osten für Forschung und Entwicklung in der Industrie 2 200 DM eingesetzt, im Westen sind es immer noch 7 000 DM. Patente blieben über Jahre ungenutzt. Deshalb sollten die öffentliche Forschungs- und Entwicklungspolitik sowie die technologische, ökologische und soziale Innovationspolitik in Unternehmen gestärkt werden. Tatsache ist, daß ostdeutsche Erfinder ihr Heil zunehmend im Ausland suchen. So wurde es auf der 2. Sächsischen Erfindermesse festgestellt. 75 Prozent der gemeldeten Arbeitslosen in Ostdeutschland verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Das Hetzen von einer Weiterbildung zur anderen erhöht die Möglichkeiten des Wiedereinstieges in das Arbeitsleben leider nicht. Ein zweites Problem: Von Jahr zu Jahr wurde darüber geredet, industrielle Kerne in Ostdeutschland zu erhalten. Von Jahr zu Jahr wurden sie weiter abgebaut. Ständig werden Meldungen über von Schließung bedrohte privatisierte Unternehmen veröffentlicht, bei denen die Gesamtvollstreckung - die ostdeutsche Variante des Konkurses - eingeleitet wurde bzw. bei denen weitere Entlassungen angekündigt sind. Ich will nur drei Meldungen aus dieser Woche nehmen. Das Jahr hat aber 52 Wochen. Erstens. Über die FORON-Hausgeräte GmbH Niederschmiedeberg ist die Gesamtvollstreckung eröffnet. Das sächsische Unternehmen war durch den weltweit ersten Kühlschrank ohne FCKW bekannt geworden. Schwarzenberger Waschmaschinen sind nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Ausland, zum Beispiel in Frankreich, beliebt; sie sind Ausdruck der Kreativität und Leistungsfähigkeit im Osten, die nach wie vor - und wieder zunehmend - brachliegt. Der Bund muß im Fall von FORON sofort handeln, solange nicht der Verdacht ausgeräumt ist, daß die FORON-Anteile auf Grund von juristischen Fehlern bei der Privatisierung noch immer bei der BvS liegen. Ein zweites Beispiel: Aluhett Hettstedt wurde an eine dubiose Firmengruppe verkauft. Damit sind 400 Arbeitsplätze gefährdet, die zunächst gesichert schienen. Der Sprecher der Berliner Justiz, Reiff, sagt dazu, daß gegen einen Manager dieser dubiosen Firma ermittelt wurde. Der strafrechtliche Schaden könne aber noch nicht abgeschätzt werden. Es sei davon auszugehen, daß bisher insgesamt 6 000 Arbeitsplätze durch dessen Geschäfte verlorengegangen sind. Drittes Beispiel: Babcock trennt sich vom Verlustbringer Magdeburger Armaturenwerk GmbH. Wieviel der noch 400 vorhandenen Arbeitsplätze erhalten werden können, sei noch unklar. Durch den Zusammenbruch der Ostmärkte hatte sich die Geschäftserwartung nicht erfüllt. Und damit ein dritter und letzter Punkt: Insbesondere das Wegbrechen der Ostmärkte wird oft genannt, wenn es darum geht, zu begründen, warum eine Vielzahl von Unternehmen angeblich nicht überlebensfähig war. Schaut man auf die Veränderungen in den Exportstrukturen der neuen Bundesländer, dann zeigt sich, daß die größten Exporteinbußen auf den Maschinenbau, auf elektrotechnische Erzeugnisse, auf Erzeugnisse der Leichtindustrie und auf chemische Erzeugnisse entfallen. Die Rückschläge oder Verluste sind dort am größten, wo früher die höchste Exportquote ausgewiesen wurde. Die Exportlücke ist ein erheblicher Strukturdefekt der ostdeutschen Wirtschaft. Mehr als die Hälfte der in Ostdeutschland verbliebenen rund 7 000 mittelständischen Industrieunternehmen sind völlig aus dem Exportgeschäft ausgestiegen. Die Revitalisierung des ostdeutschen Exports ist deshalb jetzt eine vordringliche Aufgabe. Das heißt Wiederbelebung der Handels- und Kooperationsbeziehungen mit den Ländern Mittel- und Osteuropas. Das würde eine selbsttragende Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland befördern helfen sowie einen wirksamen Beitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit und zur Modernisierung und Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur leisten. Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Ich will sie im Einzelnen nicht aufzählen. Ich will nur noch an eins erinnern: 1990 war der Bund nicht bereit, massive Hilfe für die Aufrechterhaltung der Osteuropageschäfte zu leisten. Nicht wenige Firmen hätten überleben oder sich stabilisieren können. Jetzt, da in Rußland Präsidentschaftswahlen stattfinden, jetzt, wo Jelzin gestützt werden soll, reicht ein deutsches Bankenkonsortium 4 Milliarden DM Kredit aus, die zu 90 Prozent vom Bund verbürgt werden. Solche spontanen Entscheidungen hätte ich mir viel früher gewünscht. Aber wenn es denn auch den Firmen helfen sollte, will ich darüber nicht länger reden. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Koslowski.

Manfred Koslowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fragen sind offenbar immer ein Spiegelbild von Ansichten. Sie verraten aber auch etwas über Absichten und eigentliche Vorhaben. So muß man in der Großen Anfrage der PDS einen erneuten Versuch sehen, vermeintliche Errungenschaften der sozialistischen Planwirtschaft in ein Angebot von Möglichkeiten zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen umzumünzen. Dieses Verfahren ist zwar nicht neu, es wird aber auch nicht dadurch glaubwürdiger, daß es immer wiederholt wird. Die Fragestellung soll offenbar suggerieren, fünf Jahre deutsche Einheit hätten einen anderen Verlauf nehmen können, wäre man nur dem Kurs der Fragesteller gefolgt. ({0}) Viele Fragen lassen sich überhaupt nur aus einer tiefen Verwurzelung der Fragesteller in einer überorganisierten Wirtschaft erklären, der als letztes Mittel doch lediglich die Verwaltung des Mangels blieb. Zwangsrationierung war doch die durchgängige Praxis, die in einer umfassenden Vergabe von sogenannten Bilanzanteilen gipfelte. Dies folgte nicht wirtschaftlichen Grundsätzen, sondern bestenfalls wirtschaftspolitischen Verpflichtungen. Alles war bilanziert: Menschen, Material und Arbeitszeit. An dieser Stelle gilt mein Dank deshalb der Bundesregierung für die umfassende und vor allem treffende Antwort. Etliche Fragestellungen sind ohnehin schwerlich mit der Sicherung von Arbeitsplätzen in Verbindung zu bringen. Bei anderen versucht man vergeblich, den Bezug zur Teilüberschrift „Förderung einer umweltverträglichen Entwicklung" herzustellen. In Einzelfällen mußte die Bundesregierung sogar die Antwort schuldig bleiben, weil sonst eine Statistik nach der Einheit hätte fortgeschrieben werden müssen, wie sie nur in einer Kommandowirtschaft vorkommt und auch dort nur von sehr zweifelhaftem Wert war. Lassen Sie mich einige wenige Fragen herausgreifen, um nach fünf Jahren deutscher Einheit auch einmal auf die Einmaligkeit der Herausforderung bei der Integration einer Planwirtschaft in eine wettbewerbs- und leistungsorientierte Soziale Marktwirtschaft einzugehen. Es wird die Frage an die Bundesregierung gerichtet, was sie denn unternommen habe, um das vorhandene Potential an Hoch- und Fachschulqualifikationen, an Meistern und Facharbeitern als Standortvorteil nicht verkümmern zu lassen. Lassen wir einmal den Vorwurf, „verkümmern zu lassen", weg. Es ist doch folgende Feststellung erlaubt: Ein Qualifikationspotential wird doch erst dann zum Standortvorteil, wenn es an wettbewerbsfähige Arbeitsplätze gekoppelt ist. ({1}) Eben die Schaffung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen war und ist das vorrangige Bemühen der Bundesregierung, um die richtigen Rahmenbedingungen herzustellen. Welchen Sinn hatten denn schließlich Finanztransfers, der Fonds Deutsche Einheit, das Föderale Konsolidierungsprogramm und steuerliche Fördermaßnahmen für die neuen Bundesländer? Alles diente doch letztlich dem Zweck, Arbeitsplätze zu schaffen, den Anschub für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu organisieren und natürlich auch zur Dämpfung der Belastungen durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik beizutragen. Durch diese Politik entstanden wirkliche Potentiale, die sich durch Kreativität, Risikobereitschaft und Innovation auszeichneten. So wurden beispielsweise bis zum Juli 1995 im Bereich des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 110 Neugründungen von Forschungseinrichtungen und -instituten realisiert und damit 13 000 Forschungsarbeitsplätze geschaffen. ({2}) Besonders erfreulich ist auch die Tatsache, daß wir heute in den neuen Ländern wieder 500 000 mittelständische Existenzen haben, in denen 3,4 Millionen Beschäftigte Arbeit und Lebensverwirklichung gefunden haben. Auch 150 000 Frauen wählten den Weg in die wirtschaftliche Selbständigkeit. Ich denke, das ist ein Potential, auf das wir stolz sein können. Durch Existenz- und Investitionsförderung konnten 200 000 Existenzgründern und 80 000 bestehenden Unternehmen zinsgünstige Kredite in Höhe von 62 Milliarden DM zugesagt werden. Während wir im Handwerk mittlerweile zum Niveau in den alten Ländern aufgeschlossen haben, besteht im industriellen Mittelstand in der Tat noch Rückstand, wobei es zur Aufholbeschleunigung weiterer Unterstützung bedarf. Lassen Sie mich einen zweiten Fragenkomplex aufgreifen, nämlich den Absatz von Ostprodukten. Ja, es ist zutreffend: Ostdeutsche Produkte haben es schwer, sich auf dem Binnenmarkt und erst recht auf den Märkten dieser Welt zu behaupten. Deshalb hat die Bundesregierung von Anfang an bei der MarkterManfred Koslowski schließung für Ostprodukte durch entsprechende Förderprogramme mitgewirkt. Allein 1994 und 1995 standen dafür jeweils 60 Millionen DM für Messen und Vermarktungshilfen zur Verfügung. ({3}) Die CDU-Abgeordneten der neuen Länder werden alle Anstrengungen unternehmen, um auch 1996 trotz aller notwendigen Sparmaßnahmen im Haushalt eine ähnlich hohe Vermarktungshilfe für den Absatz von Ostprodukten zu sichern. Denn es ist zutreffend: Der Marktanteil von Ostprodukten am Gesamtexport der Bundesrepublik reicht noch nicht aus. ({4}) Es ist aber ein positives Signal, daß sich das Einkaufsvolumen auf über 40 Milliarden DM im Jahr 1994 erhöht hat und damit seit 1991 mehr als vervierfacht hat. Dies ist für mich Ausdruck neu gewonnenen Marktbewußtseins, Ausdruck von Produktreife und von Qualitätssicherheit. Was die Aufnahme auf den osteuropäischen Märkten betrifft, so ist dies zunächst ein Problem dieser Länder, die sich der Marktwirtschaft öffnen müssen. Die Bundesregierung unterstützt deshalb sehr nachhaltig den Reformkurs in diesen Ländern. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch eine Frage aus der Großen Anfrage herausgreifen, die mich persönlich an sehr finstere Zeiten des Dirigismus erinnert. Unter Frage 41 wird nach den Leistungen gefragt, die im Güterverkehr über 50 Kilometer auf der Schiene erbracht wurden. Diese Frage ist für mich nur aus dem tiefen Mißverständnis zu erklären, daß alles regelbar ist und am Ende auch noch ökonomisch sinnvoll sein soll. Es ist eine Frage, die aus dem Statistischen Jahrbuch der DDR stammen könnte, als der Dirigismus sich geradezu selbst überholte. ({5}) Es ist schon interessant, daß uns heute solche Fragen unter der Rubrik „Förderung einer umweltverträglichen Entwicklung" gestellt werden. Abschließend die Feststellung: Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in Deutschland erfolgt heute unter anderen Bedingungen. Sie verlangt daher auch andere Instrumentarien. Ich denke, mit dem „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" hat die Bundesregierung die richtige Antwort auf Ihre Fragen gefunden. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt die Kollegin Sabine Kaspereit.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich so in die Runde schaue und meinen Blick auf die leeren Plätze der Abgeordneten richte, dann hoffe ich doch, daß die geringe Präsenz nur an der späten Stunde liegt und nicht am Thema. ({0}) Dieses Thema sollte in einer größeren Runde debattiert werden, denn die Sorgen und Nöte der Menschen in den neuen Ländern wären es durchaus wert. ({1}) Es ist völlig klar - da brauchen wir uns nichts vorzumachen -, wohin die Anfrage der Gruppe der PDS zielt. Auf der anderen Seite stellt sich die Bundesregierung - das ist auch völlig klar - in einer von vielen Ostdeutschen als zynisch empfundenen Art hin und sagt zwischen den Zeilen: Was wollt ihr denn? Es ist doch alles in bester Friede-Freude-Eierkuchen-Ordnung. Herr Koslowski hat das eben sehr eindrucksvoll unterstrichen. Nur, zwischen den Berichten der Bundesregierung, die sich wie eine Erfolgsstory lesen lassen sollen, und der von den Menschen in Ostdeutschland erlebten Realität klaffen Welten, die letztendlich nur eines belegen, nämlich daß die Bundesregierung den zum verantwortungsvollen Regieren notwendigen Realitätsbezug verloren hat. Und nicht nur das. Sie findet sich anscheinend noch nicht einmal in ihren eigenen Berichten und Zahlenwerken zurecht. Das betrifft nicht nur Finanzminister Waigel mit seinem Haushaltsloch, sondern auch zahlreiche andere Regierungsmitglieder wie beispielsweise Wirtschaftsminister Rexrodt. Da die Antworten auf die Anfrage vom Bundeswirtschaftsministerium im Namen der Bundesregierung übermittelt wurden, greife ich die Antworten zu den Themenbereichen „Außenhandel der neuen Bundesländer" und „Absatz ostdeutscher Produkte" exemplarisch heraus, um Ihnen das eben Gesagte zu verdeutlichen. Zum Stichwort Außenhandel steht in der Antwort der Bundesregierung wörtlich - ich zitiere -: Die Wirtschaft der neuen Länder konnte sofort alle Möglichkeiten und Vorteile dieser Märkte nutzen ... Der Gemeinsame Europäische Markt und der Weltmarkt ... stehen ostdeutschen Unternehmen ebenso offen wie westdeutschen Unternehmen ... Der damit verbundene Wettbewerb, dem ostdeutsche Unternehmen beim Absatz ihrer Produkte ... ausgesetzt sind, ist normal und wird nicht als Hemmnis interpretiert. Aus demselben Haus, das dieses Antwortstatement abgefaßt hat, stammt auch der Satz: Kleine und mittlere Unternehmen haben beim Zugang und der Erschließung von Auslandsmärkten eine Reihe von Wettbewerbsnachteilen. Weiter heißt es: Es fehlt das notwendige Erfahrungswissen, insbesondere bei der Abschätzung der Risiken und der Hemmnisse auf den Auslandsmärkten. Dieses Zitat können Sie im sogenannten Bericht „Mittelstandspolitik für mehr Selbständigkeit und Beschäftigung" vom März 1996 nachlesen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Gibt es nun Hemmnisse oder gibt es keine? Wenn es tatsächlich Hemmnisse geben sollte: Wie wünschen die Damen und Herren der Regierung diese zu interpretieren? Im Zweifelsfall - das hat die bisherige Wirtschaftspolitik der Bundesregierung immer wieder gezeigt - wünschen Sie nicht zu interpretieren, um bloß nicht die Politik der reinen Lehre der Marktwirtschaft hinterfragt zu bekommen. Ich unterstelle Ihnen in bezug auf die vor uns liegenden Antworten nicht nur Schönfärberei, sondern darüber hinaus auch die bewußte Unterschlagung von Informationen, die eine Bewertung der außenwirtschaftlichen Zahlen für Ostdeutschland überhaupt erst ermöglichen. ({2}) Der Leitungsstab „Neue Bundesländer" beim Bundeswirtschaftsministerium - wir bleiben im selben Haus - kommt in seiner sogenannten Bilanz der Wirtschaftsförderung des Bundes in Ostdeutschland vom April 1996 zu der Feststellung, „daß die in der Breite noch unzureichende Wettbewerbsfähigkeit sich in einer eklatanten Exportschwäche zeigt und Ostdeutschland bisher nur rund 3 Prozent zum gesamtdeutschen Export beiträgt". ({3}) Das ist eine äußerst wichtige Zahl, die die aufgeführten Exportdaten in der uns vorliegenden Antwort der Bundesregierung überhaupt erst bewertbar macht. Diese Zahl fehlt in der Antwort der Bundesregierung. Warum verschweigen Sie in Ihrer Antwort diese 3 Prozent? Sie tun es, weil diese 3 Prozent an der gesamtdeutschen Exportleistung jedem belegen, wie die Risiken und Hemmnisse im Bereich Außenhandel tatsächlich auf den Schultern der ostdeutschen Unternehmer lasten. Wenn Sie auf Grund dieser 3 Prozent das Zahlenwerk Ihrer Statistiken über die Exportentwicklung in Ihrer Antwortdrucksache betrachten, muß eine andere Bewertung herauskommen. Dann nämlich ist Ihre positive Bewertung in der Beantwortung der Frage absolut bedeutungslos. Nun zum zweiten Stichwort: Absatz ostdeutscher Produkte. Daß die Bundesregierung den zum verantwortungsvollen Regieren notwendigen Realitätsbezug verloren hat, zeigt sich auch in den Antworten zum Absatz ostdeutscher Produkte. Auch hier verschweigt die Bundesregierung in ihrer Antwort bewußt die Zahlen, die eine realistische Bewertung überhaupt erst ermöglichen, um einer unangenehmen Konfrontation mit der Realität aus dem Weg zu gehen. Wenn Sie schon den Indikator für Produktivität - das Bruttoinlandsprodukt Ostdeutschlands - als Beweis für die Absatzentwicklung in den neuen Bundesländern bemühen, dann verschweigen Sie bitte nicht das eklatante Mißverhältnis zwischen dem Bruttoinlandsprodukt der neuen und der alten Länder. ({4}) Die Gegenüberstellung zeigt eindeutig, daß der Anteil Ostdeutschlands am gesamtdeutschen Bruttoinlandsprodukt gerade einmal 10 Prozent beträgt. Dieses Mißverhältnis verschweigen Sie nur aus einem Grund, weil nämlich Ihre positive Bewertung in der Beantwortung der Fragen auch hier - wie schon beim Außenhandel - absolut bedeutungslos wäre. Nach wie vor muß eine verstärkte Unterstützung der Unternehmen bei der Markterschließung und Exportförderung angemahnt werden. Was sollen die ostdeutschen Unternehmer davon halten, wenn Sie auf der einen Seite immer wieder die Bedeutung des Mittelstandes beteuern und auf der anderen Seite die Mittel zur Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte von 60 Millionen auf 40 Millionen DM zusammenstreichen? Meine Damen und Herren, jeder ostdeutsche Unternehmer, jeder ostdeutsche Produzent, jeder ostdeutsche Existenzgründer fühlt sich durch solcherart Antworten, wie sie die Bundesregierung gegeben hat, verhöhnt. Ich höre förmlich das bittere Lachen dieser Menschen, die quasi über Nacht nicht nur in den Wettbewerb der Marktwirtschaft, sondern zudem in den europäischen Wettbewerb geschleudert wurden, ohne finanzielle, ohne materielle und ohne geschäftliche Grundlagen. Nun sagen Sie bitte nicht, daß die westdeutschen Unternehmen 1945 schließlich auch bei Null angefangen hätten. Ja, das haben sie, und ich achte auch ihre Leistung. Aber sie waren nicht - quasi über Nacht - dem gnadenlosen innerdeutschen, europäischen und Weltmarktwettbewerb ausgesetzt. Tatsache ist doch, daß die bereits im Einigungsprozeß gemachten Fehler, auf die im übrigen frühzeitig von sachverständiger Seite hingewiesen wurde, damit später nicht so getan werden kann, als hätte man von nichts gewußt, heute die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern unübersehbar gemacht haben. Wer mich kennt, der weiß, daß ich kein Freund von Ost-West-Gegensätzen bin und daß ich nach Kräften bemüht bin, daß wir wirklich zur Einheit Deutschlands kommen. Die Folgen und Auswirkungen der von der Regierung betriebenen Politik jedoch sind es - und nur diese -, die die Menschen in unserem Land spalten, die die Ost-West-Gegensätze zementieren, die die Einkommensschere auseinandertreiben und die letztendlich den sozialen Frieden stören können. Ja, es wird viel Geld transferiert. Aber warum wird nicht einmal darüber nachgedacht, ob die für die Zonenrandförderung vielleicht tauglichen Instrumente der Wirtschaftsförderung überhaupt für die viel größere Aufgabe des Aufbaus Ost wirksam und effektiv sind? Wir werden über die Instrumente nachdenken müssen, die hier angewendet werden. Die in den zahlreichen Berichten der Bundesregierung zum Ausdruck kommende Heterogenität und Selektivität der Antworten auf drängende Fragestellungen der Menschen veranlassen mich, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß die in diesem Bericht dargestellte Regierungspolitik keinesfalls - wie durch die Überschriften oftmals suggeriert - eine umfassende Lösung für drängende Strukturprobleme und Transformationsprozesse bietet. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Sie bietet nicht nur keine Lösung. Sie zeigt nicht einmal einen gangbaren Weg in Richtung einer Lösung. Man sagt ja: Statistiken bringen einen zwar auf Gedanken, verhüllen aber meist das Wesentliche. In Ihren Antworten sollen aber die Gedanken durch die Zugrundelegung von Ausgangswerten, die bei Null liegen, in eine Richtung gelenkt werden, die den Tatsachen nicht entspricht. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine persönliche Bemerkung: Da ich aus einer ost-west-geteilten Familie komme, habe ich von der ersten Stunde an die Vereinigung begrüßt und empfinde sie bis heute als ein großartiges Geschenk der Geschichte. ({0}) Da ich seit fünf Jahren in Berlin an der Nahtstelle dieser Vereinigung arbeite, muß ich auch sagen, daß das ein sehr spannender Prozeß ist. Ich finde es wirklich falsch, Schwarzmalerei auf der einen Seite und Schönfärberei auf der anderen Seite zu betreiben. Ich denke aber schon, daß es eigentlich Zeit ist, etwas ehrlicher, als das bisher geschehen ist, Bilanz auch über die wirklichen großen Fehler zu ziehen. Ich möchte jetzt nicht über viele Punkte reden, weil meine kurze Redezeit das leider nicht hergibt. Ich denke, es ist viel Geld aus dem Westen geflossen. Ein zentrales Problem ist aber, daß die Ostfrage im Endeffekt zu sehr als Geldfrage behandelt worden ist und zuwenig gesehen worden ist, daß man den Aufbau Ost letztlich nur mit den Menschen im Osten machen kann. ({1}) Deswegen möchte ich auf einen Fehler eingehen, der mir zentral erscheint. Es ist viel über die Treuhand gesprochen worden, es ist viel über das Eigentumsrecht gesprochen worden. Es ist meiner Meinung nach bisher zuwenig darüber gesprochen worden, welche große Fehlentscheidung das Fördergebietsgesetz und auch die Fortsetzung des Fördergebietsgesetzes im Jahressteuergesetz im letzten Jahr gewesen ist. Dies ist meiner Meinung nach sowohl für die Menschen im Westen, die mit Hilfe dieser Gesetze sehr viel Steuergelder in den Osten hineinbringen müssen, als auch für die Menschen im Osten wirklich die falsche Weichenstellung gewesen, weil mit diesem Geld sehr viele sehr falsche Investitionen getätigt werden, die drüben eher zerstörerisch wirken. Ich sage bewußt „drüben" . Ich habe leider noch die berühmte Westbrille auf. Nach anderthalb Jahren Bonn - es tut mir leid, Herr Spiller - kann ich wirklich nur „drüben" sagen. Die Menschen, die dort kleine und mittlere Gewerbe aufbauen und betreiben wollen, die dort Häuser sanieren wollen, werden ständig benachteiligt, weil sie mit diesen Vorteilen nicht konkurrieren können. Von daher ist es inzwischen wirklich zu einer extremen Ungleichheit gekommen. Sie haben von hier aus Verbrauchermärkte mit 50 Prozent Subventionen gefördert, während dort der Einzelhandel originär Ost, dem Sie nach der Wende Mut gemacht haben, er solle seine Läden aufmachen, jetzt seine Läden wieder zumachen kann. Man muß eindeutig sehen, daß das eine Fehlsubventionierung ist. ({2}) Es geht hier also nicht nur um die Entscheidungen der ostdeutschen Kommunen und der ostdeutschen Länder. Die Gewerbeparks, die nutzlos errichtet wurden und in die unendliche öffentliche Investitionen geflossen sind, sind eine Fehlinvestition und graben dem ostdeutschen Klein- und Mittelgewerbe das Wasser ab. ({3}) Wir haben Hunderte und Tausende von leerstehenden Wohnungen. Wir haben momentan das Dilemma von hochsubventionierten leeren Neubauwohnungen und inzwischen nicht mehr vorhandenem Geld für die Instandsetzung der Wohnungen Ost. Wir brauchen dringend Finanzierungskonzepte, deren Adressaten originär die ostdeutsche Wohnungswirtschaft und das ostdeutsche kleine und mittlere Gewerbe sind und nach denen nicht das westdeutsche Kapital und seine zerstörerische Wirkung im Osten subventioniert werden. Insofern appelliere ich an Sie, daß wir gemeinsam diese Instrumente neu definieren. Denn angesichts der Tatsache, daß wir bisher mit sehr viel Geld falsche Weichenstellungen immer weiter verstärken, stehen wir, denke ich, in der Verantwortung, dies endlich umzudrehen und die Entwicklung mit den Menschen, gerade auch mit denen, die unternehmerisch tätig sein wollen, vorzunehmen. ({4}) In diesem Sinne bitte ich Sie: Helfen Sie mit, daß wir diese Fehler endlich korrigieren! ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt Kollege Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Auch ich bin für die Nutzung vorhandener Möglichkeiten. Ich schmeiße auch nicht so schnell etwas weg; denn das tut mir immer weh. Die Frage ist nur: Warum wurden vorhandene Möglichkeiten nicht schon vor der Wende genutzt? Warum haben wir in dieser Planwirtschaft so viel kaputtgemacht? Das muß man sich hier schon einmal fragen. ({0}) Darüber hinaus müssen wir uns fragen, ob die Möglichkeiten nach der Wende überhaupt vorhanden waren. Das ist die Frage: Waren sie vorhanden? War viel Nutzbares vorhanden? Waren wettbewerbsfähige Arbeitsplätze vorhanden, und konnte von einer umweltverträglichen Entwicklung in der DDR gesprochen werden? Ich glaube, wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir sagen: Die Voraussetzungen waren null. - Daß Sie so etwas überhaupt in die Überschrift schreiben! Natürlich ist es legitim, solche Fragen zu stellen; das will und muß ich Ihnen natürlich zugestehen. Nur, als PDS hätte ich es mir erspart, diese Fragen hier zu stellen; denn man darf natürlich nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Hier muß wirklich erst viel aufgeholt werden. Das ist eben in fünf Jahren nicht zu machen; das ist so. Auch mir gefällt vieles nicht. Ich möchte einmal einiges herausgreifen, zum Beispiel die Nutzung des vorhandenen Qualifikationspotentials. Natürlich wurde von den Forschern in der DDR in den Akademien viel Gutes geleistet; es wurden viele gute Ergebnisse auf den Tisch gelegt. Aber wir haben davon so gut wie nichts umgesetzt. Das ist so. Ich habe mich damit befaßt und weiß, daß es immer der größte Ärger dieser Forscher war, daß viel gemacht, aber nichts umgesetzt worden ist. Hinzu kommt - das wissen Sie auch -, daß wir in den Akademien, in denen gute Arbeit geleistet wurde, eine immense Überbesetzung hatten. Natürlich hatten wir nach der Wende Probleme, diese Leute einzusetzen, weil eben die Betriebe, in denen sie hätten eingesetzt werden können, noch nicht da waren; zum Teil sind sie auch jetzt noch nicht da. Bis Juli 1995 gab es - das darf man hier nicht verschweigen - 110 Neugründungen. Als Beispiel sei das Institut für Wirtschaftsforschung Halle genannt, das ausgezeichnete Arbeit leistet. Davon überzeuge ich mich jeden Monat. Auch im Hochschulbereich wurden ausgezeichnete Leistungen erbracht. Aber auch hier wurden die Ergebnisse nicht umgesetzt. Auch in diesem Bereich gab es viele Neugründungen. Ich verweise nur auf Brandenburg, wo ein liberaler Kultusminister - natürlich mit Unterstützung der Bundesregierung - eine ausgezeichnete Hochschullandschaft aufgebaut hat. Was die berufliche Bildung betrifft, so wurden alle Abschlüsse anerkannt. Das mußte auch so sein. Daß es aber bei der Anwendung der Fähigkeiten auf Grund fehlender Arbeitsplätze Probleme gibt, wissen wir. Diese Fähigkeiten können noch nicht in vollem Umfang genutzt werden, weil wir noch Arbeitsplätze brauchen. Aber ich sagte eben schon: In fünf Jahren ist das eben nicht zu lösen. ({1}) Daß die Frauenarbeitslosigkeit besonders hoch ist, hat verschiedene Ursachen. ({2}) - Wir orientieren uns ja an der Realität. - Das hängt natürlich auch mit diesen Arbeitsplätzen zusammen. ({3}) Insbesondere die Landesverbände der Ost-F.D.P. werden sich mit der besonders hohen Arbeitslosigkeit bei Frauen befassen. Lassen Sie mich noch einige Worte zum Wohnungsbau sagen. Sie wissen, daß die Voraussetzungen nicht die besten, die Wohnungen nicht die wertvollsten waren und daß wir das jetzt erst einmal in Ordnung bringen. Wenn Sie durch die Städte gehen, dann werden Sie feststellen, daß da etwas passiert, daß die Blocks in Ordnung gebracht werden. Es werden teilweise ganz ordentliche Siedlungen. Aber das muß ja jetzt erst gemacht werden. Oder nehmen wir die Nutzung des Innovationspotentials, zum Beispiel der Patente. Dankenswerterweise hat Brandenburg noch unter einem liberalen Wirtschaftsminister, nämlich Herrn Hirche - da sitzt er -, 4 000 Patente aus DDR-Zeiten gesichert. Natürlich mußte man das tun. Wir gehen davon aus, daß man sie jetzt auch anwenden kann. Aber wir müssen auch begreifen, daß es eben nicht so viele Möglichkeiten gegeben hat. Das haben wir festgestellt. Sie von der PDS aber wollen das nicht wahrhaben. Das ist eigentlich schade. Wie gesagt, wenn Sie es eingesehen hätten, dann hätten sich diese Fragen nicht ergeben. ({4}) - Wie gesagt, Sie dürfen nicht Ursache und Wirkung verwechseln; das ist so.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter in dieser Debatte hat Staatssekretär Dr. Norbert Lammert das Wort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001274

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte meinem Geschäftsführer ursprünglich versprochen, die verbleibende Zeit bis zum Beginn der Fraktionssitzung mit dem wörtlichen Verlesen der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zu füllen. Das hätte im übrigen den Vorzug, mit einer Reihe von präzisen Daten und Fakten den auch hier zum Teil wieder vorgetragenen Verallgemeinerungen entgegentreten zu können. Herr Kollege Koslowski hat vorhin verdienstvollerweise auf einzelne dieser dokumentierten Zusammenhänge ausdrücklich hingewiesen. Nun ist dies heute nacht weder die erste noch die letzte Gelegenheit, über die deutsche Einheit und den Entwicklungszustand, den wir erreicht haben, in Ruhe und mit der notwendigen Gründlichkeit zu reden. Es bedarf schon gar nicht einer Initiative der PDS, ({0}) um den Deutschen Bundestag mit einem Thema vertraut zu machen, das es überhaupt nicht gäbe, wenn es nach dem Willen derer gegangen wäre, deren Nachfolge diese Partei angetreten hat. ({1}) Wahr ist - ich will mich auf zwei oder drei Bemerkungen beschränken -: Natürlich sind nicht alle Probleme gelöst. Wie hätte das in dieser Zeit auch erfolgen sollen? Aber wahr ist doch auch, daß in den gerade einmal gut fünf Jahren, die seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit nun vergangen sind, für die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen in der betroffenen Region mehr erreicht worden ist als in den 40 Jahren autoritärer politischer und sozialistischer Mangelwirtschaft zuvor. ({2}) Wer wird denn ernsthaft bestreiten wollen, daß bei der ganz ungewöhnlich schwierigen Veränderung, die da stattgefunden hat, auch Fehler gemacht worden sind? Aber daß wir heute zum erstenmal die Chance haben, uns unter demokratischen Bedingungen überhaupt mit der Frage auseinanderzusetzen, wo sich etwas richtig und wo sich etwas falsch entwickelt und wer mit welchem guten Willen und mit dem Einsatz welcher Mittel zur Verbesserung beitragen kann, ist genau die fundamentale Verbesserung, die wir in dem Zusammenhang bitte nicht verdrängen und auch nicht vergessen dürfen. Zur wirtschaftlichen Situation, Frau Kollegin Kaspereit: Ich gebe Ihnen völlig recht, es wäre sicher nicht angemessen, eine komplizierte Situation mit Schönreden darstellen zu wollen, genauso wie Schwarzmalerei nicht angemessen wäre. Da Sie zu Recht darauf hingewiesen haben, daß die Wirtschaftskraft der neuen Länder gerade einmal 10 Prozent der Wirtschaftskraft der gesamten Republik ausmacht, muß der guten Ordnung und der Vollständigkeit halber natürlich hinzugefügt werden: Vor fünf Jahren, als wir mit dieser Operation begonnen haben, waren es nicht einmal 7 Prozent. Das heißt, wir haben doch alle miteinander in wenigen Jahren, Gott sei Dank, eine überproportional gute wirtschaftliche Entwicklung auf die Beine gestellt. Keines der vergleichbaren, sich im Prozeß der Transformation von einer sozialistischen Wirtschaftsordnung in eine Wettbewerbsordnung befindenden Länder hat auch nur annähernd vergleichbare Fortschritte in diesem Zeitraum gemacht, wie das für diesen Teil des vereinten Deutschland zutrifft. ({3}) Die Lage ist mit folgender Datenreihe relativ gut zu kennzeichnen - ich glaube, mit ihr kann man den gegenwärtigen Entwicklungszustand präzise beschreiben -: In den neuen Ländern werden gegenwärtig etwa 10 Prozent der Wirtschaftskraft der gesamten deutschen Volkswirtschaft erreicht. Die Steuerkraft macht, im Vergleich mit dem Westen, etwa 30 Prozent aus. Es wurde etwa 50 Prozent der Wirtschaftsproduktivität der westlichen Länder erreicht. Gleichwohl beträgt das durchschnittliche Einkommen, immer verglichen mit den westlichen Daten, gut 70 Prozent, das Renteneinkommen etwa 80 Prozent. Die Lohnstückkosten belaufen sich im Vergleich zum Westen auf 140 Prozent. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur dringend empfehlen, den letzten Punkt so ernst zu nehmen, wie es in den Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute vor ein paar Wochen ausdrücklich empfohlen wurde. Wenn sie das als die Achillesferse der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung bezeichnen, dann wissen sie, wovon sie reden. Ich kann uns allen nur dringend empfehlen, daraus auch für die weitere Entwicklung den notwendigen Realismus herzuleiten. Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, daß sie eine weitere Förderung für notwendig hält und daß sie auch bereit ist, die damit verbundenen Anstrengungen auf sich zu nehmen. Aber wir alle müssen auch wissen: Man kann das Ziel, den weiteren Weg einer Angleichung der wirtschaftlichen und damit der Lebensverhältnisse mit Aussicht auf Erfolg zu gehen, nicht gegen wirtschaftliche Fundamentaldaten betreiben. Es muß von der gemeinsamen Bereitschaft aller Beteiligten, auch der jenseits der Politik, nicht zuletzt auch der der Tarifpartner, begleitet werden. Dazu ist die Bundesregierung fest entschlossen. Sie setzt auch in Zukunft auf die Unterstützung dieses Parlamentes. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich ein für Freitag, den 10. Mai 1996, 9.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen; ich wünsche eine gute Restnacht.