Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Ehrentribüne den Präsidenten der Interparlamentarischen Organisation der ASEAN-Staaten, Seine Exzellenz Herrn Präsidenten Prasertsuwan aus dem Königreich Thailand, und seine Delegation ganz herzlich begrüßen.
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Herr Präsident, Sie sind mit Parlamentariern aus Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Thailand und Vietnam gekommen, haben im Rahmen Ihrer Zehnten Konsultationen mit dem Europäischen Parlament einen offiziellen Besuch in Bonn gemacht und sind in Berlin und im Landtag von Sachsen zu Gast gewesen. Sie wissen, daß wir der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den ASEAN-Staaten eine Schlüsselbedeutung zuweisen. Wir haben gestern in den Ausschüssen miteinander diskutieren können. Wir wünschen uns eine enge Zusammenarbeit mit den Parlamenten Ihrer Länder. Herzlich willkommen!
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Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Schönberger, Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ergebnisse des Atomgipfels in Moskau - Drucksache 13/4442 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt ({2}), Rainder Steenblock, Gila Altmarin ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Telematik für die Verkehrswende nutzen - Drucksache 13/4441 3. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({4})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Errichtung einer Bundesanstalt für die Regulierung von Post und Telekommunikation - Drucksache 13/3920 4. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({5})
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Sinnvolle Nutzung und Erhaltung von Feuchtgebieten - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.76, 13/4147 5. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei Punkten der Tagesordnung erforderlich ist, abgewichen werden.
Ferner ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 5 „Rinderseuche/BSE" und am Freitag die Tagesordnungspunkte 7 bis 9 abzusetzen. Statt dessen findet am Freitag morgen eine Regierungserklärung zum „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" statt, an die sich eine zweieinhalbstündige Aussprache anschließt.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 83. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. Februar 1996 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Ausschuß für Verkehr zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eines Telekommunikationsgesetzes ({7}) - Drucksache 13/3609 Überweisung:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({8}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 f sowie den Zusatzpunkt 1 auf:
3. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
10 Jahre Tschernobyl
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger, Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nachhaltige und umweltfreundliche Energiepolitik in Osteuropa
- Drucksache 13/1321 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({9}) Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Schönberger, Elisabeth Altmann ({10}), Gila Altmann ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortige Stillegung der Atomanlagen in
der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/4405 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({12})
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Behrendt, Michael Müller ({13}), Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
10. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
- Drucksache 13/4447 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({14})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15})
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
Zur vereinbarten Debatte zum 9. Jahrestag des atomaren Unfalls in Tschernobyl
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Schönberger, Michaele Hustedt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tschernobyl
- Drucksachen 13/1197, 13/1195, 13/4406 -
Berichterstattung: Abgeordnete Kurt-Dieter Grill
Wolfgang Behrendt Michaele Hustedt Birgit Homburger
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 1994
- Drucksachen 13/2287, 13/2790 Nr. 1, 13/4410 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt-Dieter Grill
Michaele Hustedt
ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Schönberger, Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ergebnisse des Atomgipfels in Moskau - Drucksache 13/4442 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({17})
Haushaltsausschuß
Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor zehn Jahren ist der mit Abstand schwerste Unfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Sie hat über viele Menschen großes Leid gebracht und ganze Landstriche für lange Zeit unbewohnbar gemacht. Auch in Deutschland hatten viele Menschen vor zehn Jahren Angst.
Die Menschen, die noch heute unter den gesundheitlichen und sozialen Folgen zu leiden haben, genauso wie diejenigen, die mit enormer Kraft die Unfallfolgen bekämpft haben, verdienen unser Mitgefühl und unsere Achtung. Unabhängig davon, wieviel Opfer die Katastrophe letztlich fordern wird, sind wir es den Opfern von Tschernobyl schuldig, alles zu tun, damit sich ein solches Unglück nie wiederholt.
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Deshalb müssen wir uns heute kritisch fragen, ob wir die richtigen Lehren aus dem Unfall gezogen haben und ob unsere Hilfe ihr Ziel wirklich erreicht hat.
Als ein Land, das die friedliche Nutzung der Kernenergie befürwortet, müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, damit diese weltweit verantwortbar bleibt.
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Dies ist auch die Botschaft des Moskauer Gipfels.
Seit zehn Jahren werden Ursachen und Folgen des Unfalls international aufgearbeitet. Dazu diente auch die internationale Tschernobyl-Konferenz in Wien kurz nach Ostern, die bisher größte Fachtagung dieser Art, die von der Internationalen Atomenergieorganisation zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation und der Europäischen Kommission veranstaltet wurde.
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Unter den 1 000 Teilnehmern waren vor allem Wissenschaftler, aber auch hochrangige Regierungsmitglieder. Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde hat mich gebeten, den Vorsitz zu übernehmen. Ein Grund dafür war sicherlich auch die besondere Rolle Deutschlands bei der Aufarbeitung der Folgen von Tschernobyl.
Es wurde auf dieser Konferenz erstmals in dieser Breite eine übergreifende Diskussion über die Ursachen sowie die gesundheitlichen, sozialen, psychologischen, ökonomischen und ökologischen Folgen des Unfalls geführt, und in sehr zentralen Punkten hat die Konferenz trotz unterschiedlicher Interessen verschiedener Staaten ihr Ziel auch erreicht. Es ist nämlich festzuhalten: Über die Hauptursachen des Reaktorunfalls in Tschernobyl besteht heute - ich betone: jetzt auch mit Rußland und der Ukraine - Einigkeit. Diese sind gravierende Mängel in der Konstruktion des Tschernobyl-Reaktors, eine Betriebsführung und Bedienungseinrichtungen, die das Personal überfordert haben, und eine völlig unzulängliche Aufsicht. Die tieferliegende Ursache lag im politischen und organisatorischen System, das auf der ganzen Linie versagt hat, also in einem ganz gravierenden Mangel dessen, was wir Sicherheitskultur nennen.
Durch die Explosion wurden erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe aus dem Reaktor geschleudert, mit schwersten ökologischen und ökonomischen Folgen für die betroffenen Regionen. Am Reaktor opferten Kraftwerker und Feuerwehrleute ihr Leben. Sicher wissen wir, daß mindestens 31 Menschen innerhalb der ersten Wochen starben. Berichte über Tausende Strahlentote sind nach dem, was wir bisher wissen, falsch. Eine Aussage über die genaue Zahl der Todesfälle ist angesichts unvollständiger Daten allerdings bis heute nicht möglich.
Für die Aufräumarbeiten wurden bis zu 800 000 sogenannte Liquidatoren aus vielen Teilen der damaligen Sowjetunion eingesetzt, davon 200 000 in der engeren Umgebung des Unglücksortes. Der Gesundheitszustand dieser Personen ist nur unzureichend erfaßt; denn das damalige politische System hatte kein Interesse an einer Aufklärung der Tatsachen. Wir müssen das heute nachholen. Ich sage das auch ganz bewußt für die Zukunft.
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Die Menschen in den betroffenen Regionen haben unter dem Unfall heute noch schwer zu leiden. Die Wiener Konferenz hat hierzu bestätigt: Es ist in mindestens 600 Fällen bis heute Schilddrüsenkrebs bei Kindern aufgetreten. Dieser ist bei richtiger Behandlung in 90 Prozent der Fälle heilbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle ganz besonders auch deutschen Ärzten und der deutschen Wirtschaft danken, die durch Spenden dazu beigetragen haben, daß diese Kinder richtig behandelt und später auch versorgt werden können.
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Eine Erhöhung von Leukämieraten wird oft behauptet, ist aber bisher nicht belegt. Allerdings sage ich hier ganz deutlich: Die weitere Entwicklung muß verfolgt werden, und wir werden das sehr intensiv tun.
Die psychologischen Folgen des Unfalls wurden gegenüber den direkten Strahlenfolgen jahrelang erheblich unterschätzt. Soziale und wirtschaftliche Probleme, Verunsicherung und Ängste bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen belasten Tausende von Menschen. Viele Menschen mußten ihre Heimat und ihre Häuser verlassen. Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders unserer Kollegin Frau Schuchardt danken, die sich gerade mit diesem Problem sehr intensiv auseinandersetzt.
({5})
Gerade die humanitäre Hilfe ist besonders dringlich. Weißrußland hat hervorgehoben, daß 40 Prozent aller humanitären Beiträge von Deutschland geleistet wurden. Unser Dank gilt den vielen Bürgern, die sich in staatlichen und sehr vielen privaten Initiativen engagieren und Kindern aus Tschernobyl, aus Weißrußland und aus der Ukraine helfen. 10 000 Jugendliche kamen bisher zur Erholung. Ich möchte allen privaten und staatlichen Initiativen an dieser Stelle danken.
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Die Bundesregierung hat die Sorge der eigenen Bevölkerung von Anfang an ernstgenommen.
({7})
Herr Fischer, wir sollten in dieser Debatte wirklich anders reagieren.
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Ich wiederhole: Die Bundesregierung hat die Sorge der eigenen Bevölkerung ernstgenommen. Wir wissen heute, daß trotz des radioaktiven Niederschlags die Strahlenbelastung in Deutschland durch den Unfall nicht größer war als eine zusätzliche Jahresdosis natürlicher Strahlung. Allerdings sind Waldfrüchte und Wild in einigen Gebieten südlich der Donau auch heute noch relativ hoch belastet.
Unmittelbar nach dem Unfall haben wir die gesetzlichen Grundlagen für ein bundesweit einheitliches und koordiniertes Vorgehen geschaffen. Es wurde das umfassende Meß- und Informationssystem, das sogenannte IMIS-System, errichtet, das nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, sondern heute bis nach Rußland reicht, wodurch ein umfassender internationaler Datenaustausch gewährleistet ist.
Wir haben unsere Kernkraftwerke durch die Reaktor-Sicherheitskommission überprüfen lassen und konnten feststellen, daß sich die Sicherheitskonzeption deutscher Kernkraftwerke grundlegend von denen des Tschernobyl-Typs unterscheidet und daß deshalb für die Sicherheitskonzeption deutscher Kernkraftwerke aus dem Unfall keine Konsequenzen zu ziehen sind.
Aber wir haben trotzdem zusätzliche Anstrengungen unternommen, um einen noch höheren Grad an Gewißheit zu schaffen, daß sich ein solcher Unfall nicht wieder ereignen kann. Es wurden Maßnahmen eingeführt, mit denen auch beim Ausfall aller Sicherheitseinrichtungen noch Schäden verhindert werden können.
1994 wurde das Atomgesetz geändert. Künftige Reaktoren werden nur noch dann genehmigt, wenn bei ihnen auch die Folgen eines noch so unwahrscheinlichen Unfalls auf die Anlage beschränkt bleiben.
Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen die Augen vor den Realitäten in Mittel- und Osteuropa nicht verschließen. Dort sind 60 Kernkraftwerke sowjetischer Bauart in Betrieb; neun weitere sind in Bau. Insgesamt wird in diesen Ländern auf den weiteren Ausbau der Kernenergie gesetzt. Damit ist klar: Wir in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht allein auf der Welt, und wir können anderen Ländern auch nicht diktieren, was diese zu tun oder zu lassen haben.
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Der Moskauer Gipfel hat deutlich gemacht - ich halte dies für außerordentlich wichtig -, daß nachhaltige Verbesserungen bei der Reaktorsicherheit nur im Rahmen umfassender Reformen der Energieversorgung insgesamt erreichbar sind. Angesichts der schwierigen Energielage einiger Länder reicht es eben nicht aus, einfach die Abschaltung aller Anlagen zu verlangen. Unsere Aufgabe heißt vielmehr: Entwicklung eines gemeinsamen Sicherheitsbewußtseins, und das in geduldiger Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern.
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Die Bundesregierung hat von Anfang an auf die internationale Kooperation gesetzt. Auf Vorschlag des Bundeskanzlers fand schon im Herbst 1986 bei der Internationalen Atomenergieorganisation eine Sonderkonferenz statt. Sie führte dann zu zwei internationalen Konventionen, nämlich über die frühzeitige Benachrichtigung bei Unfällen und über die gegenseitige Hilfeleistung.
Die Folge dieser Konventionen waren zahlreiche bilaterale Abkommen über die Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarländern. Auch das 1994 abgeschlossene Übereinkommen über nukleare Sicherheit beruht auf einer Initiative der Bundesregierung.
Damit ist ein neues Kapitel in der internationalen Sicherheitszusammenarbeit aufgeschlagen; denn grundlegende Anforderungen der Reaktorsicherheit wurden völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben. Alle Unterzeichner unterwerfen sich erstmals einem Überprüfungsprozeß, und die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zu dieser Konvention verabschiedet und dem Bundesrat zugeleitet. Ich erwarte die Ratifizierung noch in diesem Jahr.
In Ergänzung wird jetzt in Wien an einem Übereinkommen über eine sichere Entsorgung - auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt - gearbeitet.
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Als damaliger Vorsitzender der G-7-Staaten hat der Bundeskanzler die kerntechnische Sicherheit zum Thema des Weltwirtschaftsgipfels 1992 in München gemacht. Das dort beschlossene multilaterale Aktionsprogramm formulierte die Ziele und legte die Grundlage für die gesamte westliche Unterstützung. Es ist heute noch Basis der international abgestimmten Maßnahmen im Rahmen der G-7-Staaten, der G 24 und der Europäischen Union. Bei der Europäischen Bank in London wurde ein Fonds für kurzfristige technische Sicherheitsverbesserungen eingerichtet.
Die deutschen Leistungen für die betroffenen Menschen wie auch die Verbesserung der nuklearen Sicherheit setzen international Maßstäbe. Dies gilt auch für die bilaterale Hilfe.
1992 wurde ein Sofortprogramm und 1994 ein Investitionsprogramm aufgestellt. Beide Programme zielen darauf ab, die Betriebsführung zu verbessern sowie die Aufsichtsbehörden in die Lage zu versetzen, in den Ländern ihre Aufgaben besser wahrzunehmen.
Wir dürfen nicht vergessen, meine Damen und Herren, daß es erst nach den grundlegenden politischen Veränderungen in Osteuropa für westliche Fachleute möglich wurde, einen tieferen Einblick in die Kernkraftwerke sowjetischer Bauart zu nehmen. Mit unseren Sicherheitsanalysen für die Reaktoren in Greifswald haben wir als erste eine umfassende Begutachtung solcher Anlagen nach unseren Maßstäben durchgeführt. Die Forschungsarbeiten im Rahmen der 1987 angelaufenen wissenschaftlich- technischen Zusammenarbeit kamen uns dabei zugute. Die Reaktoren wurden daraufhin abgeschaltet, und zwar weil die deutschen EVU keine wirtschaftliche Basis für die nötigen umfangreichen Nachrüstmaßnahmen gesehen haben.
Die bisherige Bilanz unserer Hilfe, die immer nur - ich betone das - Hilfe zur Selbsthilfe in diesen Ländern sein kann, ist überzeugend. Wir haben Erfolge vorzuweisen, auch wenn der Reformprozeß und der Bewußtseinswandel in den betroffenen Ländern zäher verlaufen, als wir es uns wünschen. Ich kann nur alle in diesem Parlament bitten, sich an diesem Prozeß zu beteiligen; denn das ist von außerordentlicher Wichtigkeit.
Deutschland ist das größte Geberland und hat insgesamt mehr als ein Viertel aller Zuschüsse geleistet. Aus dem Bereich der Europäischen Union kommen rund drei Viertel der Hilfen. Insgesamt wurden an bilateralen und multilateralen Zuschüssen bisher mehr als 2,1 Milliarden DM aufgebracht. Von den 944 Projekten, die wir ins Auge gefaßt haben, sind 228 jetzt abgeschlossen.
Ein Drittel dieser Maßnahmen entfällt auf die Verbesserung der Betriebssicherheit, ein weiteres Drittel auf kurzfristige technische Sicherheitsverbesserungen, und der verbleibende Betrag wird für den Aufbau unabhängiger Aufsichtsbehörden, für Strahlenschutz und Entsorgung eingesetzt.
Unsere Anstrengungen - Sie wissen das - konzentrieren sich besonders auf die Ukraine. Wir haben nach schweren Verhandlungen im letzten Jahr ein Memorandum of Understanding vereinbart, das besagt, daß die Schließung des Reaktors in Tschernobyl bis zum Jahre 2000 stattfinden soll. Aber dies ist eingebettet in eine umfangreiche Reform des gesamten Energiesektors der Ukraine. Es geht also nicht nur um den Kernenergiebereich, sondern es geht genauso um den konventionellen Bereich, wie zum Beispiel um die Sanierung von Wasser- und Kohlekraftwerken. Zu diesem Zweck haben wir eine umfangreiche Zusammenarbeit vereinbart.
Hierfür sind westliche Mittel in Höhe von 3,45 Milliarden DM zugesagt, davon rund 750 Millionen DM als Zuschüsse und 2,7 Milliarden DM als Kredite. Wir müssen jetzt alles daransetzen, daß das Memorandum of Understanding auch wirklich erfüllt wird, weil darin ein ganz wichtiger Schritt für die Glaubwürdigkeit unserer Hilfe für die mittel- und osteuropäischen Staaten zu sehen ist.
Der Moskauer Gipfel hat zehn Jahre nach Tschernobyl den 1992 in München eingeschlagenen Weg bestätigt. Der Gipfel in Moskau war ein bedeutender
Erfolg, weil er wichtige Impulse für die weitere Zusammenarbeit gegeben hat. Die Staats- und Regierungschefs haben zusammen mit dem russischen Präsidenten Jelzin ausdrücklich bekräftigt, daß die Sicherheit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie Vorrang vor allen anderen Überlegungen haben muß und daß in erster Linie die Betreiber und der Staat, in dem die Anlage steht, für die Sicherheit verantwortlich sind. Es wurde betont, daß die von den G-7-Staaten mit der Ukraine getroffene Vereinbarung eingehalten wird; das wurde von Präsident Kutschma unterstrichen. Schließlich wurde vereinbart, daß die Zusammenarbeit zu einer Sicherheitspartnerschaft vertieft werden muß.
Unser Ziel bleibt unverändert - ich sage das mit aller Deutlichkeit -: Reaktoren mit nicht akzeptablen Sicherheitsrisiken müssen entweder nachgerüstet oder, falls dies nicht möglich ist, vom Netz genommen werden. Dies gilt nicht nur für den Reaktor in Tschernobyl.
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Wir wissen, daß wir dies den Staaten nicht vorschreiben können; aber wir wollen es in enger Zusammenarbeit mit ihnen erreichen.
Der Moskauer Gipfel hat sich auch mit weiteren Fragen befaßt, wie mit dem Umgang mit zivilem und bei der Waffenproduktion freigewordenem sensitiven Kernmaterial. Vier der fünf Kernwaffenstaaten haben vereinbart, daß der Vertrag über einen umfassenden nuklearen Teststopp bis spätestens September 1996 abzuschließen ist. Auf der Grundlage eines umfassenden Programms soll der Nuklearschmuggel gemeinsam durch ein umfassendes Maßnahmenprogramm international bekämpft werden. Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit soll noch in diesem Jahr in Kraft treten, und die Arbeiten an der Konvention zur Behandlung radioaktiven Abfalls sollen kurzfristig abgeschlossen werden. Rußland wird keine Abfälle mehr im Meer versenken. Dies sind wichtige Ergebnisse dieses Gipfels.
Wir können sagen, die Welt hat sich in den vergangenen zehn Jahren nach dem Unfall in Tschernobyl entscheidend verändert. Heute haben wir auch mit den Staaten Osteuropas und der früheren Sowjetunion auf vielen Gebieten, und zwar auch in der nuklearen Sicherheit, eine Zusammenarbeit erreicht, die wir vor zehn Jahren noch in den Bereich der Utopie verwiesen hätten. Auch das ist ein riesiger Erfolg der Demokratie.
Meine Damen und Herren, für unsere eigene Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland gilt: Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit, Ressourcenschonung und Umweltschutz sind gleichberechtigte Ziele unserer Energiepolitik. Der Mix der Energieträger hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt.
Aber was bedeutet der Unfall von Tschernobyl für die Zukunft unserer Energieversorgung? Zunächst einmal ganz gewiß verstärkte Bemühungen um eine Erhöhung der Energieeffizienz und um weitere EnerBundesministerin Dr. Angela Merkel
gieeinsparung. Nicht verbrauchte Energie ist immer noch die umweltfreundlichste Energie.
({4})
Wir haben dabei erhebliche Erfolge aufzuweisen. Es ist gelungen, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln. Aber wir brauchen zur Erreichung unserer Ziele noch weiter sinkende CO2-Emissionen. Maßnahmen der Energieeinsparung sind dabei nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen aller Beteiligten, um dieses Ziel zu erreichen.
Wir sind uns auch in dem Ziel einig, den regenerativen Energieträgern einen größeren Beitrag zu verschaffen. Sie sind allerdings teilweise noch von der Wirtschaftlichkeit entfernt, und wir verfügen nur über begrenzte Mittel, dies auszugleichen; auch das gehört zur Wahrheit.
Die Kernenergie leistet einen erheblichen Beitrag zur Entlastung unserer Kohlendioxidbilanz, ohne den die weltweit notwendige drastische Reduzierung der CO2-Emissionen auf absehbare Zeit nicht zu erreichen ist. Hierauf hat die Bundesregierung in ihren Beschlüssen zur Verminderung der CO2-Emissionen auch immer wieder hingewiesen.
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- 25 Prozent bis zum Jahr 2005, so ist es. - Es wäre schon viel gewonnen, wenn Energieeinsparung und regenerative Energien einen Rückgang des Einsatzes fossiler Energien in der Stromerzeugung bewirken könnten.
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Die preiswerte Kernenergie in der Grundlast gibt uns auch finanzielle Spielräume, um auf dem Gebiet der regenerativen Energien mehr investieren zu können.
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Es bleibt die Frage nach der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke. Wenn ich es richtig verstehe, zieht nicht einmal die Opposition ernstlich in Zweifel, daß unsere Kernkraftwerke sicher sind. Die Sicherheit unserer Kernkraftwerke ist seit Jahren in Expertendiskussionen, Gerichtsentscheidungen und auch politischen Auseinandersetzungen immer wieder bestätigt worden. Unsere Kernkraftwerke setzen in puncto Sicherheit und, nebenbei bemerkt, auch in dem Punkt der Verfügbarkeit Maßstäbe im internationalen Bereich.
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Meine Damen und Herren, diese Maßstäbe müssen wir in die europäische und weltweite Entwicklung einbringen. Solange wir uns an Projekten wie beispielsweise dem deutsch-französischen Gemeinschaftsreaktor beteiligen, können wir die Sicherheitsziele - es sind bisher einmalige Sicherheitsziele - mitbestimmen. Wenn wir nicht mehr entwickeln, werden wir die Ziele nicht mitbestimmen. Ich kann davon nur abraten.
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Die Teilnehmer des Moskauer Gipfels haben festgestellt, daß es die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards der Kernenergie ermöglicht, auch im nächsten Jahrhundert einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung zu leisten. Die Sicherheitsstandards der Kerntechnik von morgen werden jetzt international diskutiert. Ich lade Sie alle ein, an dieser Diskussion mitzuwirken. Denn wir sind es unseren Nachkommen schuldig, ihnen die Möglichkeiten einer sicheren und umweltgerechten Energieversorgung mit und - wenn es etwas Besseres geben sollte; heute zeichnet sich das aber nicht ab - natürlich auch ohne Kernenergie aufzuzeigen.
Wir sollten uns in Deutschland endlich einig sein über den unbehinderten Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke, die Umsetzung des 1979 im Konsens vereinbarten Entsorgungskonzeptes einschließlich eventuell notwendiger Anpassungen, das verstärkte Energieeinsparung und einen größeren Anteil erneuerbaren Energien und über die Sicherheitsanforderungen an künftige Reaktoren, die dann auch in Deutschland gebaut werden können.
Die Suche nach neuen Technologien ebenso wie die Verbesserung der Sicherheitsstandards weltweit sollte die Lehre aus dem Unfall sein, die wir gemeinsam ziehen. Wenn wir uns dieser Aufgabe verpflichten, kann die friedliche Nutzung der Kernenergie weiterhin verantwortbar ihren Beitrag zur Energieversorgung leisten.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der TschernobylKatastrophe wurde das wahr, was bis dahin viele Millionen Menschen nur befürchtet hatten, nämlich, um den früheren Umweltminister Klaus Töpfer zu zitieren, die „Realisierung des Hypothetischen". Bei der Reaktorkatastrophe am 26. April 1986 kam es nicht zu dem größten anzunehmenden, sondern zu dem größten nicht angenommenen Unfall, wenn man sich die damalige Wirklichkeit vor Augen hält.
({0})
An diesem Tag ist den Menschen nicht nur der Schrecken, wie noch 1979 bei Harrisburg, sondern diesmal auch die Strahlung in die Knochen gefahren.
Dies hat vieles bewirkt: Seitdem gibt es einen Konsens in unserem Land, der angeblich erst notwendig
Michael Müller ({1})
wäre, nämlich einen Konsens für den Ausstieg aus der Atomkraft.
({2})
Wer einen Konsens will, der muß jetzt Schritte in eine Effizienzrevolution, muß Schritte in die Solarenergie, muß Schritte in ein Energiesystem ohne Atomkraft wollen. Denn nur so ist der notwendige Energiekonsens in unserem Land herzustellen.
({3})
Ich füge hinzu: Nur so ist es auch glaubwürdig, wenn man international eine Veränderung der Energieversorgung und insbesondere in den GUS-Staaten einen Ausstieg aus der Atomkraft erreichen will.
({4})
Es ist nicht stimmig, für den höchstmöglichen Sicherheitsstandard einzutreten, aber gleichzeitig an dieser riskanten Technologie festzuhalten. Denn wer die Risiken der Atomkraft auf den Reaktor von Tschernobyl reduziert, hat nicht begriffen, daß Tschernobyl nur beispielhaft für die Risiken einer ganzen Techniklinie steht. Das ist die eigentliche Dimension.
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Es mag durchaus sein, daß sich die Sicherheit in einigen Ländern erhöht hat. Wer streitet das ab? Aber bei der Bewertung der Sicherheit ist nicht nur die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit entscheidend, sondern - das hat uns Tschernobyl in brutaler Weise gelehrt - genauso der Schadensumfang.
Im Gegenteil, der mögliche Schadensumfang ist sogar die wichtigere Größe, um zu entscheiden: „Wir wollen aus der Atomkraft aussteigen." Denn mag die Eintrittswahrscheinlichkeit noch so gering sein, niemand streitet ab, daß sie vorhanden ist. Das eigentlich Entscheidende ist, daß damit Gefahren verbunden sind, die niemand verantworten kann. Deshalb muß man aus dieser Art der Energieversorgung aussteigen.
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Der Ausbau der Atomenergie ist eine politische Entscheidung gewesen, an dessen Beginn die Atombombe stand. Wir wissen, daß das Programm „Atoms for peace" von Eisenhower aus dem Jahre 1953 in erster Linie der Ablenkung von den militärischen Zielen dienen sollte. Anders ist nicht zu erklären, daß mit einem solch gewaltigen Aufwand nichts anderes gemacht wird, als gewöhnlichen Wasserdampf zu erzeugen, der Turbinen antreibt, um mechanische Energie in elektrische umzuwandeln, und zwar mit einer Energieform, die erstens riskant und zweitens - das ist für die Bewertung der zukünftigen Energiepolitik wichtig - völlig ineffizient ist.
Hätte die Menschheit nur einen Bruchteil dieser Kreativität und dieser Gelder darauf konzentriert, den Sprung in die solare Zukunft zu machen, wären wir heute in der weltweiten Energieversorgung wesentliche Schritte weiter.
({7})
Wir warnen davor, Tschernobyl auf einen Einzelfall maroder sowjetischer Technik zu reduzieren. Wer dies tut, vergißt, daß sich beispielsweise auch in den USA Unfälle ereignet haben. Ich nenne als Beispiele nur die Reaktoren von Browns Ferry und Fermi oder auch Harrisburg, wo es letztlich nur Glück war, daß nach vier durchkämpften Tagen und Nächten eine Katastrophe verhindert werden konnte.
({8})
Alle Berichte zeigen, daß die Welt einem Super-GAU ganz nahe war. Ich erinnere ferner daran, daß auch nach Tschernobyl allein in der GUS über 380 schwere Vorfälle zu verzeichnen waren. Ich erinnere auch daran, daß erst in jüngster Zeit in Japan schwere atomare Zwischenfälle im Nuklearkomplex zu vermelden waren.
Wer die Katastrophe von Tschernobyl auf einen einzelnen Reaktor reduziert, hat nicht begriffen, daß es stets um ein sehr komplexes, riskantes Verhältnis zwischen Technik, Wissen und möglichem menschlichen Versagen geht.
({9})
Nur wenige Wochen vor dem Tschernobyl-Unfall haben deutsche Techniker den Reaktoren in der Sowjetunion einen Sicherheitsstandard bescheinigt, der vergleichbar mit dem westlichen sei. Auch heute darf die Atomenergie nicht auf die Technik reduziert werden. Denn wir wissen aus den Berichten: Es war in erster Linie menschliches Versagen.
Wer sich die Brandkatastrophe von Düsseldorf vor Augen hält, obwohl sie in ihrer Dimension überhaupt nicht mit Tschernobyl vergleichbar ist, der kann nicht sagen, daß menschliches Versagen in einer komplexen Industriegesellschaft auszuschließen ist.
({10})
Insofern heißt verantwortbarer Umgang mit Technik immer Auswählen, Gestalten und Risikominimierung. Das ist das Gegenteil von dem, was leider tatsächlich geschieht.
({11})
Ich füge hinzu: Der Ausstieg ist möglich. Ich will das an einem konkreten Beispiel aufzeigen. Der 14. Dezember 1994 war der Tag mit der höchsten Jahresstromlast. An diesem Tag wurden in der Bundesrepublik 61 000 Megawatt Strom nachgefragt. An diesem Tag standen knapp 100 000 Megawatt Strom zur Verfügung. Selbst wenn ich eine gewisse Reserve
Michael Müller ({12})
berücksichtige und die Verträge mit dem Ausland einbeziehe, muß ich feststellen, daß der verbleibende Rest ausgereicht hätte, um aus der Atomkraft auszusteigen. Wir können aussteigen - ohne einen Verlust an Versorgungssicherheit.
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Was bleibt, ist die Debatte über die Klimaveränderungen. Das ist der Hoffnungsanker, an dem sich die deutsche Atomindustrie hochzieht.
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- Ich könnte jetzt als Antwort Aussagen von Herrn Schäuble zitieren. Aber ich lasse das, weil ich hier unsere Argumente vortragen will.
Wenn man aus der Atomenergie ganz schnell aussteigen würde, dann - das bestreitet niemand -, stiegen kurzfristig die Kohlendioxidemissionen an. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit.
Der andere, wichtigere Teil der Wahrheit ist, daß bei einem Festhalten an der Atomenergie die Klimaproblematik erst recht nicht lösbar wird - das ist der entscheidendere Punkt -, weil nämlich die atomare Energieversorgung Teil einer Struktur ist, die im Kern Energieeinsparungen und Solarenergie nicht zuläßt, sondern blockiert.
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Wir wissen nämlich daß wir nur mit einer Wende hin zu Energieeinsparungen, zur rationellen Energieversorgung und hin zur Entwicklung und Durchsetzung der regenerativen Energien die Klimaprobleme lösen können. Die haben aber so lange keine Chance, solange die großen Stromverkäufer ihnen den Markt nehmen, weil sie keine Chance haben, sich durchzusetzen. Das ist die eigentliche Wahrheit.
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Meine Damen und Herren, hoher Energieverbrauch ist kein Schicksal, sondern das Ergebnis einer falschen Politik. Hierin liegt der entscheidende Schlüssel zur Risikominimierung. Denn wer daran festhält, der muß wissen - das zeigen alle Szenarien, beispielsweise auch der Weltenergiekonferenzen -, daß wir dadurch in Zukunft nicht nur die Klimakatastrophe nicht verhindern können, sondern gleichzeitig einem neuen Tschernobyl näherkommen. Dies vermehrt die Risiken und steigert sie.
Meine Damen und Herren, der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat folgende Feststellung gemacht:
Es kann nur Leute geben, die gegen die Atomkraft sind. Oder es gibt solche, die darüber noch nicht nachgedacht haben.
Ich meine, das ist unverändert richtig.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung von Bundesministerin Angela Merkel hat deutlich gemacht, in welch umfassendem Sinn - und eben nicht nur auf Tschernobyl bezogen, Herr Kollege Müller - Fragen der nuklearen Sicherheit von dieser Bundesregierung im internationalen Kontext Schritt für Schritt zu einer gemeinsamen Politik im Sinne einer globalen ' Sicherheitspartnerschaft ausgebaut werden.
Ich denke, daß wir bei aller kritischen Diskussion über das, was die Zukunft betrifft, uns an dieser Stelle schon einmal in Erinnerung zurückrufen sollten, daß es vor fünf Jahren an dieser Stelle noch eine globale Konfrontation gegeben hat und daß wir aus dieser globalen Konfrontation eine globale Partnerschaft gemacht haben, die für alle Menschen ein Mehr an Sicherheit bedeutet.
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Das, was wir in dieser Debatte auch zur Kenntnis nehmen müssen - Frau Merkel hat es in ihrer Rede angedeutet -, ist die Tatsache, daß erst mit dem Umbruch 1990, also sozusagen mit dem Verlust der Bipolarität dieser Welt, in Osteuropa, in der ehemaligen Sowjetunion die Offenheit eingetreten ist, die uns die Möglichkeit gegeben hat, über Ursache und Wirkung des Unglücks von Tschernobyl nicht nur in Deutschland zu diskutieren, sondern auch dort, wo dieses Unglück stattgefunden hat und wo im Grunde genommen die Dinge wieder in Ordnung zu bringen sind.
Auch wenn, wie gesagt, nicht alle Ergebnisse dieser Konferenz schon so aussehen, wie wir es uns vielleicht vorstellen können, ist festzuhalten, daß die beharrliche Position und die Umsetzung der Initiativen der Bundesregierung uns an diesen Punkt gebracht haben und daß wir auf der Basis gleichberechtigter Partnerschaft jedenfalls eine bessere Chance haben, Herr Müller, als wenn wir im Deutschen Bundestag beschließen wollten, was in Rußland, in Weißrußland, der Ukraine und anderswo in Europa an Energiepolitik zu geschehen hat, ohne auf Befindlichkeiten, technische und wirtschaftliche Möglichkeiten dieser Länder Rücksicht zu nehmen.
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Ich behaupte, daß wir, wenn wir Ihre Forderungen, den Kurs der Opposition, zum Maßstab unserer Politik gemacht hätten und machen würden, nicht die Einflußmöglichkeiten auf das hätten, was sich in den Bereichen Technik, Wirtschaft und Sicherheit im Ostblock verändern muß.
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Tschernobyl ist einerseits natürlich ein Vehikel einer nach innen gerichteten Diskussion; denn in Wahrheit - das ist hier wieder deutlich geworden, meine Damen und Herren - versuchen Sie auf dem Hintergrund von Tschernobyl die Kernenergiedebatte in Deutschland zu gestalten und vergessen dabei andererseits, daß dies ein Kurs der Anmaßung und der Belehrung ist, alles besser zu wissen und alles besser zu können als diejenigen, die Verursacher und, ich füge hinzu: massiv betroffene Opfer ihrer Politik gewesen sind.
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Das Leid der Menschen darf nicht die Grundlage vordergründiger Argumente und polemischer Attakken auf diese Bundesregierung sein, die für das Unglück von Tschernobyl nicht verantwortlich ist.
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Dies ist in einem gewissen Sinne sogar eine Verhöhnung der Opfer von Tschernobyl, wo sie vorgibt, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein.
Unsere Verantwortung ist, die Folgen zu beseitigen, das zu verändern, was geändert werden muß, und den betroffenen Menschen, insbesondere den Kindern, mit unserer Hilfe wieder eine Zukunft zu geben.
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Der Weg der Opposition in diesem Hause ist eher der Weg des Ausblendens aus der internationalen Sicherheitsdebatte. Ich bestreite nicht, daß die Frage des Reaktorunglücks von Tschernobyl nicht nur eine Frage der technischen Ursachen und ihrer Wirkungen ist, sondern es ist zugleich eine Diskussion über die Frage des politischen Systems, die Frage der Entwicklung einer demokratischen Ordnung, in der die Gewalten getrennt sind, in der wir zur Kenntnis nehmen, daß uns Technik nicht in den Stand versetzt, alles zu machen, und daß das Risiko auch der Wegbegleiter von Technologie ist.
Es gibt einen schmalen Grad nicht nur bei der Kernenergie, sondern in vielen anderen Bereichen auch, wo der Nutzen der Technik, die wir nutzen, und das Risiko nebeneinanderliegen. Wir werden immer wieder vor dieser Herausforderung stehen. Ich denke, daß wir in diesem Sinne die Sorgen der Menschen in Tschernobyl zu unseren Sorgen gemacht haben.
Es ist bei aller Schwierigkeit notwendig, daß die Ängste der Menschen, die dadurch entstanden sind, nicht durch eine Überbetonung dieser Ängste, sondern durch den Versuch einer rationalen Diskussion bekämpft werden müssen. Ich denke, daß in diesem Sinne die Wiener Konferenz ein erster erfolgreicher Schritt der offenen Diskussion war. Die Kritik, die Sie an der Wiener Konferenz geäußert haben, unterläßt vollkommen die Betrachtung, was es eigentlich bedeutet, daß in diesem Umfang, in diesem Ausmaß diejenigen, die in Tschernobyl für Technik und vieles andere verantwortlich sind, heute offen mit den Vertretern des Westens darüber diskutieren, was zu tun ist.
Ich meine, daß die Konsequenzen, die wir aus dem Unglück in Tschernobyl in Deutschland gezogen haben, die richtigen gewesen sind im Sinne einer Überprüfung unserer Sicherheit, im Sinne einer Vorsorge für das, was zur Krisenbeherrschung dazugehört, aber auch das, was zur Weiterentwicklung unserer Sicherheitstechnik gehört.
Die Rolle Deutschlands in dieser Diskussion der Bewältigung der Folgen von Tschernobyl sollte nicht ohne ein ausdrückliches Lob an all diejenigen privaten und kirchlichen Einrichtungen in unserem Lande betrachtet werden, die sich der menschlichen Aufarbeitung der Probleme von Tschernobyl zugewandt haben
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und dieses in einer sehr aufopferungsvollen und manchmal sehr stillen und wenig auf Publizität ausgerichteten Art und Weise getan haben.
Ich denke aber auch, daß die internationale Hilfe, wie wir sie nach dem G-7-Gipfel in Moskau zur Kenntnis nehmen können, nicht zuletzt nur denkbar gewesen ist auf dem Hintergrund der Initiativen des Bundeskanzlers, der Organisationen der internationalen Hilfe, auch durch die Bundesrepublik Deutschland, und daß wir selber Maßstäbe gesetzt haben für das, was man im Sinne von internationaler Solidarität voreinander bringen muß.
Dies ist zugleich die Chance, die politischen Veränderungen im Osten zu nutzen, um offene Diskussion zu führen und gleichzeitig eine neue Energiepolitik zu installieren.
Es ist unbestreitbar, daß wir uns durchaus ein schnelleres Tempo der Veränderungen bei der Frage der Nachrüstung der problematischen Reaktoren in der Sowjetunion, in der Ukraine vorstellen können. Aber es ist ebenfalls unbestreitbar - dies macht auch der Bericht der Bundesregierung deutlich -, daß die energiepolitische Hilfestellung für die Ukraine, für Rußland, für Weißrußland und andere Staaten nicht allein auf die Kernenergie ausgerichtet ist, sondern auch auf die Wasserkraft, Kohleeffizienz, Gaskraftwerke und vieles andere.
Wer Verantwortung an dieser Stelle einfordert, muß auch Verantwortung selber wahrnehmen. Die Situation in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wird nicht nur von der Aufarbeitung der Technologie bestimmt, sondern man muß zugleich zur Kenntnis nehmen, daß die ökonomischen Bedingungen in diesen Ländern eine wichtige Voraussetzung dafür sind, das Ziel der Sicherheit auf höchstem Niveau zu erreichen.
Die Gesprächspartner in Rußland und anderswo werden uns nicht folgen, wenn sie unsere Forderungen nicht nachvollziehen können. Sie müssen nachvollziehbar bleiben, weil der wirtschaftliche Fortschritt, der mit der Energieversorgung unmittelbar und untrennbar verbunden ist, zugleich die Voraussetzung dafür ist, daß es in Osteuropa zu stabilen DeKurt-Dieter Grill
mokratien kommt. Diese Veränderung des politischen Systems ist zugleich die Voraussetzung dafür, daß wir nicht wie früher Genehmigungsbehörde, Betreiber und Antragsteller auf einer Seite und in einem Hause haben, sondern daß es zu einer Gewaltentrennung kommt und auch zu einer verbesserten Kontrolle dessen, was dort betrieben wird.
Ich werfe der Opposition an dieser Stelle vor, daß sie die Eigenständigkeit und die politische Eigenverantwortung im Grunde genommen vernachlässigt. Ich will hier nur hinweisen auf das Beispiel Mochovce. Wir haben hier, genauso wie Sie das für Tschernobyl und die nachfolgenden Einrichtungen tun, von Ihnen einen großartigen Maßnahmenkatalog vorgelegt bekommen, mit der Forderung, daß die Slowakei das tun soll, was wir hier im Deutschen Bundestag beschließen. Die Slowakei hat auf die Kredite der EBRD verzichtet. Sie macht das jetzt aus eigener Kraft, und sie macht es so, wie sie es will.
Dies ist genau der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik: Wir nehmen die Leute so, wie sie sind, wie sie in ihrer politischen und psychologischen Befindlichkeit sind, und versuchen, von dort aus eine Partnerschaft aufzubauen. Sie versuchen, von hier aus zu bestimmen, was freigewählte Parlamente nach 70 Jahren kommunistischer Diktatur selber beschließen sollen. Dies sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
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Deutschland hat sich in dieser Frage massiv finanziell engagiert.
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- Herr Fischer, ich hatte nicht die Hoffnung, daß ich Sie heute morgen überzeugen könnte. - Deutschland steht an der Spitze aller, die sich finanziell engagieren. Aber ich denke, daß die Frage der Aufarbeitung von Tschernobyl, die Frage von mehr Sicherheit im nuklearen Bereich, nicht nur eine Frage des Geldes ist, das wir geben. Vielmehr geht es zugleich um die Frage, die Einsicht in das Notwendige dort zu veranlassen und zu befördern, wo die Dinge in Ordnung gebracht werden müssen, und Eigenverantwortung da zu installieren, wo früher auf Verschleiß gewirtschaftet worden ist.
Von der Blockade zur Sicherheitspartnerschaft in den letzten fünf Jahren ist ein, zeitlich gesehen, kurzer Weg. Aber wir im Deutschen Bundestag können nicht ignorieren, wenn sich in Rußland die Duma mit großer Mehrheit für die Weiternutzung der Kernenergie einsetzt. Dann ist unser Recht auf Einflußnahme begrenzt, und wir sollten in die Bekenntnisse über die Machbarkeit, die Sie, Herr Müller, hier ablegen, mit einschließen, daß wir nicht die besseren Menschen sind, sondern daß wir genauso Schwierigkeiten haben können wie diejenigen, über deren Schicksal wir hier reden.
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Die Forderung nach Sensibilität gegenüber russischen Interessen ist eine Forderung, die Sie an anderer Stelle stellen. Wenn man die Rolle Deutschlands mitten in Europa insgesamt so beschreiben will, daß wir, auch mit Rücksicht auf unsere Vergangenheit, mit Bescheidenheit auftreten sollen, was alle anderen Fragen der Sicherheitspartnerschaft in Europa betrifft, dann frage ich mich allen Ernstes, warum Sie auf dem einen Feld uns dazu veranlassen wollen, bescheiden aufzutreten und die Eigenständigkeit Rußlands und seine Bedeutung als ehemaliger Weltmacht mit all den Folgen, die damit verbunden sind, zur Kenntnis zu nehmen, dann aber andererseits in den Fragen der Energiepolitik aus der Mitte dieses Bundestages heraus diesen Ländern vorschreiben wollen, was sie zu tun haben.
Dies sind die zwei Seiten der gleichen Medaille.
Es geht doch nicht nur - wie Sie das immer darstellen - um das Problem des Exports westlicher Technologien. Wenn Sie sich die konkreten Hilfsprogramme anschauen, dann geht es darum, die Menschen dort, wo sie leben, wo sie arbeiten, in die Lage zu versetzen, Sicherheit in bezug auf Technik selber zu produzieren, dadurch Beschäftigung zu sichern und selber für ihre Reaktoren, für ihre und unsere Sicherheit verantwortlich zu sein. Wer zuviel will, wer die Menschen an dieser Stelle überfordert, könnte am Ende den geringeren Erfolg einfahren.
Die gemeinsame Sicherheitsforschung in und für Westeuropa eröffnet uns doch erst die Chancen, die Angela Merkel hier beschrieben hat. In diesem Sinne sollten wir darüber nachdenken, wie wir die Sicherheitspartnerschaft, wie wir die Kontrolle über das, was dort passiert, verbessern können, etwa auch in gemeinsamen Institutionen der OECD.
Dies gilt auch für den bedeutenden Bereich der Sicherheitspartnerschaft bei der sicheren Beseitigung des Waffenplutoniums. Nicht umsonst ist meines Erachtens gerade aus der hessischen Friedensforschung der Vorschlag gekommen, daß Waffenplutonium nicht einfach in Zwischen- oder Endlager gebracht werden soll, wodurch die Unsicherheit und das Risiko des Wiederzugriffs besteht, sondern daß in Anlehnung an das Wort „Schwerter zu Pflugscharen" aus Waffenplutonium Energie hergestellt werden soll, um zwei Ziele damit zu erreichen: erstens sichere Energie und zweitens einen sicheren Verschluß des Waffenplutoniums, damit daraus nie wieder Waffen werden können.
Wer sich dieser Diskussion verweigert, nimmt nicht zur Kenntnis, daß das Risiko eben nicht nur „Tschernobyl" heißt, sondern daß ein Risiko auch darin besteht, daß wir durch die Vernichtung der Waffen ein großes Potential an Nuklearmaterial bekommen. Wenn Sie diese Diskussion so betreiben, wie Sie sie hier im Deutschen Bundestag bisher geführt haben, dann werden Sie weder in Rußland noch in der Ukraine, noch irgendwo sonst Zustimmung zu diesen politischen Forderungen finden, sondern die Menschen und die politische Führung in diesen Staaten werden sich von Ihnen abwenden und sagen: Wir machen es allein; wir lassen uns nicht vorschreiben und diktieren, was wir zu tun haben.
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Dieser Wechsel von der militärischen zur zivilen Nutzung ist meiner Ansicht nach anders zu betrachten als der Zusammenhang, den Sie in der zivilen Nutzung der Kernenergie und dem militärischen Risiko sehen.
Lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich darauf hinweisen: Die Welt wird sich nicht nur an der deutschen Befindlichkeit orientieren. Nehmen Sie dies doch einmal zur Kenntnis. Wenn wir nicht versuchen, die politischen Führungen und Menschen in diesen Ländern durch Dialog, durch Gespräche, durch Überzeugung und nicht nur durch Geld und Besserwisserei auf den Weg unserer Sicherheitsphilosophie zu bringen und mit ihnen gemeinsam aus der Konfrontation in eine Partnerschaft überzugehen, dann haben wir die Lehren aus Tschernobyl falsch gezogen.
Am Schluß möchte ich bezüglich der Vorlage der Koalition zwei Aspekte deutlich herausheben:
Erstens. Die gesundheitlichen und psychosozialen Folgen - wie sie auch Kollegin Professor Schuchardt in ihrem Buch beschrieben hat - sind die eine Seite, die deutlich macht, daß sich die Hilfe eben nicht nur auf das Technische beschränken darf, sondern daß wir auch die gesundheitlichen Probleme ernst nehmen müssen.
Zweitens. Nicht nur in Deutschland - so wie die Bundesumweltministerin es beschrieben hat -, sondern auch in Rußland und in der Ukraine muß eine umfassende Energiepolitik durchgeführt werden. Wenn Sie darüber reden, dann sollten Sie eines zur Kenntnis nehmen - ich will das bewußt an den Schluß stellen -: Wer zum Beispiel fordert, daß die Ukraine aus der Kernenergie aussteigen und in die Energieproduktion durch Gaskraftwerke einsteigen soll, der fordert zwar technisch etwas Richtiges. Er vergißt aber möglicherweise, daß auch die Befindlichkeit der Ukraine hinsichtlich der Abhängigkeit von Rußland als Faktor in unsere Überlegungen mit einzubeziehen ist.
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Meine Damen und Herren, das Fazit heißt also: Wir sollten uns in diesem Hause nicht anmaßen zu wissen, was diejenigen, die von Tschernobyl unmittelbar betroffen sind, zu tun haben, sondern im Sinne von Partnerschaft und Gleichberechtigung unsere Hilfe anbieten, damit die Menschen unsere Wünsche, unsere Ängste, aber auch unsere Anliegen ernst nehmen und mit uns gemeinsam handeln.
Danke schön.
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Es spricht jetzt die Kollegin Ursula Schönberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt, die Bundesregierung habe von Anfang an eine offene Informationspolitik gemacht. Unser
Freund Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, der diese Debatte am Fernsehen mitverfolgt, hat uns dankenswerterweise ein Fax mit folgendem Zitat geschickt:
Am 29. April 1986 sagte abends in der ARD Bundesinnenminister Zimmermann, der damals zuständige Minister, wörtlich: „Die Auswirkungen von Tschernobyl werden nur im Umgebungsbereich von 30 bis 50 km auftreten."
Das war die offene Informationspolitik der Bundesregierung, und so handelt die Bundesregierung heute noch.
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Zehn Jahre nach dem Eintritt der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl brennen die Wälder um den Katastrophenreaktor. Wieder werden durch die Thermik des Brandes radioaktive Partikel aufgewirbelt und großflächig verteilt. Die UN-Wirtschaftskommission für Europa hält die Wälder um Tschernobyl für eine ständige Gefahr. Bei großen Waldbränden wird radioaktive Asche auch Hunderte von Kilometern entfernt niedergehen. Die Wälder sind mit Cäsium, Strontium und Plutonium dauerhaft verseucht. Eine Dekontamination der Wälder ist unmöglich.
Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, darum lieber nicht von einem Jahrestag der Katastrophe reden, als gehe es darum, ein Jubiläum zu feiern. Lassen Sie uns ungeschminkt feststellen, daß vor zehn Jahren eine Katastrophe mit verheerenden Auswirkungen auf unabsehbare Zeit begann.
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Es ist zynisch, wenn es dann seitens interessierter Lobbyeinrichtungen wie der Internationalen Atomenergie-Organisation heißt, es habe als Folge von Tschernobyl 30 Tote gegeben, und in den nächsten Jahren würden vielleicht insgesamt noch 400 hinzukommen. Ebenso zynisch, Frau Merkel, ist Ihre heutige Aussage, nach allem, was Sie heute wissen, sei die Zahl von Tausenden von Toten völlig überzogen.
Wir wissen doch, wie systematisch die sogenannten Liquidatoren aus der gesamten Sowjetunion zusammengeholt und nach erfolgter Bestrahlung wieder verstreut wurden, um eine Bewertung der Folgen zu verhindern. Wir wissen, daß es in weiten Teilen der Ukraine und Weißrußlands außerhalb der Todeszone Gebiete mit einer Belastung von 1,5 Millionen Becquerel pro Quadratmeter gibt, wo die Menschen auf Grund ihrer sozialen und ökonomischen Situation gar nicht anders können, als sich von dem zu ernähren, was auf diesem Grund und Boden wächst.
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Wir wissen auch, daß das Volk der Weißrussen faktisch vom Aussterben bedroht ist, weil die Geburtenrate inzwischen weit hinter der Sterberate zurückbleibt.
Angesichts dieser dramatischen Situation in den besonders betroffenen Ländern ist die Bereitschaft zu internationaler Hilfe geradezu beschämend. Damit
meine ich natürlich nicht die aufopferungsvolle und dankenswerte Hilfe, die gerade auch in Deutschland von privater Seite geleistet wird. Ich meine die Bereitschaft der westlichen Industriestaaten. Die Atomkernspaltung wurde in Berlin entdeckt, die Atomtechnik in den USA entwickelt, nicht in der Ukraine, und die Republik Belarus hat nicht einmal eigene Atomkraftwerke.
Tschernobyl ist das kollektive Menschheitserbe einer verfehlten Technikentwicklung, und wir sollten den Opfern gegenüber gemeinsam dafür geradestehen.
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Hilfe, Frau Merkel, heißt nicht Nachrüstung der mittel- und osteuropäischen Atomkraftwerke. Hilfe heißt nicht, Siemens einen neuen Markt in Mittel- und Osteuropa zu eröffnen. Hilfe heißt, Hilfe zu geben für moderne, hocheffiziente Gaskraftwerke. Hilfe heißt, Hilfe zu geben für Energieeinsparmaßnahmen.
Das ist, Herr Grill, kein Vorschreiben von Energiepolitik für Mittel- und Osteuropa. Was Sie machen, ist ein Vorschreiben, in dem Sie sagen: Wir geben nur Geld für die Nachrüstung von Atomkraftwerken, aber nicht für die Energieumstrukturierung.
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Es gibt einen zweiten Punkt, worüber wir reden müssen. Von interessierter Seite, auch von Ihnen heute wieder, wird in Orwellscher Zwiesprachlichkeit gern behauptet, Katastrophen wie die in Tschernobyl könnten in westlichen Reaktoren nicht passieren. Das ist insofern richtig, als es bei den meisten westlichen Reaktoren kein Graphit gibt, das brennen könnte. Das ist dann aber auch schon alles.
Neben den großen westlichen Katastrophen und Beinahe-Katastrophen, die es gegeben hat, bescheinigt auch Phase B der Deutschen Risikostudie eindeutig die Möglichkeit von Kernschmelzunfällen. Ablauf und Folgen solcher Katastrophen in Reaktoren westlicher Bauart wären anders als in Tschernobyl; das ist klar. Die Folgen, die Auswirkungen auf die Menschheit, sind aber mindestens genauso schlimm wie in Tschernobyl, können bei einem 1 300-Megawatt-Reaktor sogar schlimmer sein.
Der „Stern" hat in der Ausgabe der letzten Woche die Verstrahlungskarte von Tschernobyl auf einen Unfall in Biblis projiziert. Sehen Sie sich das einmal an, meine Damen und Herren von der Regierung und den Koalitionsparteien, und sagen Sie mir dann, wie Sie eine Stadt wie Frankfurt sofort evakuieren wollen, wenn eine solche Katastrophe in Biblis stattfinden würde.
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Sagen Sie mir dann auch, woher Sie das Recht nehmen, die Menschen einem solchen Risiko auszusetzen und den Tod vieler Menschen billigend in Kauf zu nehmen.
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Sie wissen, daß es neben der Gefahr unbeherrschbarer Reaktorkatastrophen weitere nicht vertretbare Folgen dieser Technik gibt. Atomenergie ist von Anfang bis Ende mit Verstrahlung, Krankheit und Tod verbunden. Bereits beim Uranabbau werden seit Jahrzehnten viele Menschen in vielen Teilen der Erde verstrahlt. In der Umgebung von Atomanlagen treten signifikant mehr Fälle von Leukämieerkrankungen auf. Krümmel und Rossendorf sind nur zwei besondere Beispiele dafür. Sagen Sie den Kindern aus der Elbmarsch oder aus Lohmen, die zur Chemotherapie müssen, die wissen, daß sie vielleicht sterben müssen, doch ins Gesicht, daß das eben das Risiko ist, das sie persönlich zu tragen haben.
Mit dem Atommüll bürden wir den zukünftigen Generationen ein Hunderttausende von Jahren andauerndes Problem auf. Mit jedem Tag, an dem die Atomkraftwerke laufen, werden diese Probleme mehr und mehr.
Frau Schönberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?
Gerne.
Frau Schönberger, Sie haben über die Elbmarsch und die Leukämie gesprochen. Können Sie mir erklären, warum bei der Risikobeschreibung, die Sie vornehmen, der Zuzug nach Tespe und Marschacht - das sind die zentralen Gebiete, die Sie in bezug auf die Leukämie beschreiben - jeden Tag größer wird, und das trotz hoher Grundstückspreise?
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Ich will damit nur deutlich machen, Frau Schönberger, daß Sie mir die Frage beantworten müssen, ob die Risikobeschreibung, die Sie geben, eigentlich von den Menschen geteilt wird und warum Sie diese Art der Darstellung immer wieder wählen.
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Herr Grill, diese Risikobeschreibung wird von sehr vielen Menschen in diesem Land geteilt. Die Tatsache, daß Menschen in die Elbmarsch ziehen, kann Sie nicht von der Verantwortung entbinden, den Folgen der Atomenergie und auch den kranken und sterbenden Kindern ins Gesicht zu sehen.
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Gegenüber der übrigen Natur zeichnen wir uns als Menschen dadurch aus, daß wir vernunftbegabte
Wesen sind, so heißt es zumindest. Nach der Regierungserklärung heute bekomme ich da manchmal so meine Zweifel.
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Es muß doch möglich sein, aus bitteren Erfahrungen zu lernen. Es muß doch möglich sein, eine dramatische Fehlentwicklung zu erkennen und die Konsequenz zu ziehen, die menschenfeindliche Nutzung der Atomenergie endlich zu beenden.
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Die Folgen der Nutzung der Atomenergie werden wir in menschlich zu ermessenden Zeiträumen nicht mehr hinter uns lassen können. Aber wir müssen doch sofort mit der Begrenzung der Schäden beginnen.
Nun wird uns von interessierter Seite vorgehalten, der Ausstieg aus der Atomenergie sei technisch gar nicht möglich. Wir haben darum das Öko-Institut gebeten, die Randbedingungen des Ausstiegs einer erneuten Betrachtung zu unterziehen. Es hat sich gezeigt, daß der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin jederzeit möglich ist, ohne daß auch nur ein Lämpchen flackert.
In den letzten Jahrzehnten wurden in der Bundesrepublik Deutschland so große Überkapazitäten aufgebaut - Kollege Müller hat das bereits angeführt -, daß selbst bei einem Verzicht auf die Leistung aus deutschen Atomkraftwerken am Tag der Höchstlast im Jahr immer noch 16 Prozent Reservekapazitäten vorhanden sind. Das sind übrigens ressourcenbelastende Überkapazitäten, die allesamt von den Stromkunden bezahlt werden müssen.
Nun führen die Atomlobby und auch die Bundesumweltministerin - das ist sowieso meistens dekkungsgleich - immer das Klimaschutzargument an. Der Beginn der Klimakampagne seitens der Betreiber datiert übrigens vom Herbst 1986. Da nach Tschernobyl die schon vorhandene Ablehnung der Atomenergienutzung in der deutschen Bevölkerung so breit und tiefgehend war und bis heute anhält, versuchte man, gegen den Atomausstieg ein vermeintlich ökologisches Argument aufzubauen. Die gleichen Stromkonzerne, die seit vielen Jahren Energieeinsparungen und Ausbau regenerativer Energieträger verhindern, aber fossile Großkraftwerke betreiben, führen ins Feld, nur Atomenergienutzung verhindere die Klimakatastrophe.
Man kann den Teufel aber nicht mit dem Beelzebub austreiben. Aber sehen wir uns das Argument etwas genauer an. Das Prognos-Institut hat im letzten Jahr im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums eine Studie „Energie 2020" erstellt. Diese Studie geht von der Annahme aus, daß die derzeitigen Kraftwerkstrukturen erhalten bleiben, daß zum Beispiel bestehende Atomkraftwerke durch neue ersetzt werden. Ich halte das für unrealistisch, weil es kaum möglich sein wird, den Bau neuer Leistungsreaktoren in Deutschland durchzusetzen, und weil Sie, Frau Merkel, in dieser Frage zu einer ganz kleinen Minderheit in dieser Republik gehören, die dieser Technik überhaupt eine Zukunft gibt.
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Aber abgesehen davon führt diese Energiepolitik zu einer krassen Verfehlung des Klimaschutzziels, so das Prognos-Institut. Statt 25 Prozent Reduktion bis zum Jahr 2005 werden laut Prognos nur 8 Prozent erreicht. Das heißt, Sie verfehlen mit Ihrem Pro-Atomenergie-Kurs Ihr eigenes Reduktionsziel deutlich. Auf unsere Fragen im Wirtschaftsausschuß, welche Konsequenzen der Wirtschaftsminister nun aus diesem niederschmetternden Ergebnis ziehen würde, zuckte dieser mit den Achseln und meinte, man müßte vielleicht die Verbraucher noch etwas besser aufklären.
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Wieder einmal ein überzeugendes Beispiel der „Gestaltungsfreude" dieser Bundesregierung.
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Der Ausstieg aus der Atomenergie aber, der Abbau der dramatischen Überkapazitäten macht überhaupt erst den Weg für Investitionen in Energieeinsparmaßnahmen, rationelle Energieverwendung und den Ausbau regenerativer Energieträger frei. Nur eine tatsächliche Energiewende kann die Klimakatastrophe lindern, nicht die Beibehaltung von Atomkraftwerken, die die derzeitige Struktur zementieren.
Doch den Energieversorgern geht es doch gar nicht wirklich um die Klimakatastrophe. Sie betreiben ihr amoralisches Geschäft mit den laufenden Atomkraftwerken und möchten das so lange wie möglich weiterführen. Jährlich häufen die Atomkraftwerksbetreiber Milliarden Rückstellungen zur Sicherung der Stillegung und Entsorgung von Atomkraftwerken an. Dies ist billiges Geld. Bisher waren es immerhin 50 bis 70 Milliarden DM, auf das die Finanzvorstände der Konzerne natürlich nicht freiwillig verzichten möchten. Ich finde dies deswegen amoralisch, weil sie der Bevölkerung das Risiko der Atomenergie aus völlig sachfremden, externen, finanztechnischen Gründen aufbürden, die energiewirtschaftlich überhaupt keine Rolle spielen.
Über zehn Jahre Tschernobyl zu reden heißt auch, über zehn Jahre Ausstiegsbeschluß der SPD zu reden.
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Ich will nicht in die Details gehen und fragen, was die Konsens-Initiative von Gerhard Schröder noch mit dem Ausstiegsbeschluß zu tun hat oder warum Harald B. Schäfer gegen ein Gutachtervotum den Reaktor Obrigheim im letzten Sommer wieder in Betrieb genommen hat. Es geht mir darum, daß wir in diesem Land eine Mehrheit der Bevölkerung, der OrUrsula Schönberger
ganisationen, Parteien und Verbände haben, die die Atomenergie auf Grund aller Erfahrungen ablehnen. Die Politik dieser Bundesregierung steht in einem denkbar krassen Widerspruch zu dem, was die Mehrheit der Gesellschaft will. Ich fordere Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, deswegen auf, sich in noch ganz anderer Weise als bisher in diese Auseinandersetzung einzubringen.
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Immerhin finde ich es schon ermutigend, daß Abgeordnete aus allen Oppositionsparteien in diesem Bundestag zu den Demonstrationen aufrufen, die am kommenden Samstag aus Anlaß des 10. TschernobylJahrestags in Ahaus, Biblis, Krümmel, Magdeburg und München stattfinden, um die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen und die sofortige Energiewende einzufordern.
Es darf nicht sein, daß es erst einen zweiten Unfall mit dem Ausmaß von Tschernobyl geben muß, bevor der Ausstieg endlich durchgesetzt wird. Wir alle sind es den derzeitigen Opfern, möglichen künftigen Opfern und uns selbst schuldig, diesen Ausstieg jetzt durchzusetzen.
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Als nächster spricht der Kollege Professor Dr. Rainer Ortleb zu uns.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mir gern selbst eine sehr strenge Gliederung meiner Rede auferlegen, und zwar in drei Punkte. Die Tragödie von Tschernobyl ist eine menschliche, eine technische und - bitte ganz zuletzt - eine politische Angelegenheit. Die menschliche Seite ist mir bisher bei manchem Redner zu kurz gekommen.
Man muß sich überlegen, was da eigentlich passiert ist. Der Bundesregierung wurde beispielsweise vorgeworfen - auf diese Art und Weise wird es leider politisch -, daß die Informationspolitik schlecht war. Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Einwohners von Pripjat bei Tschernobyl. Wenn man morgens noch gesagt bekommt: „Die Welt ist in Ordnung, es hat im Kraftwerk gebrannt", nichts weiter, und der Parteisekretär bestätigt das, dann heißt das, daß man mit den Menschen dort in einer Weise umgegangen ist, die - da bin ich ganz sicher - bei uns unvorstellbar gewesen wäre.
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Wenn man dann die Opfer- und Hilfsbereitschaft von Hunderttausenden von Leuten herausfordert, die freiwillig sozusagen in die Hölle kommen, ohne zu wissen, daß das die Hölle ist, und die sich dabei gesundheitliche Schäden einhandeln, deren Ausmaß sie nicht kennen konnten, dann ist das eine menschliche Tragödie, ganz zu schweigen von den Opfern, die es heute noch gibt, und davon, daß auch heute noch Zahlen verschwiegen werden, die man eigentlich wissen müßte, um das Ausmaß dieser Katastrophe zu kennen. Dann wirkt manches, was in diesem Hause aus politischen Gründen gesagt wird, vielleicht ein bißchen kleinlich. Denn ein Mensch hat nur ein Leben, und mancher hat das bei dieser Katastrophe verwirkt.
Deswegen bitte ich darum, daß wir in dieser Stunde des Fast-Gedenktages in erster Linie daran erinnern, daß Menschen gestorben sind, daß Menschen Heldentum für die falsche Sache bewiesen haben; sie haben es für ihre Mitmenschen links und rechts neben sich getan. Vor diesen Menschen muß man Respekt haben.
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Natürlich liegt darin ein wenig Gesellschaftskritik des Sozialismus. Warum gab es Kernkraftwerke in der Sowjetunion, deren technischer Stand uns heute unvorstellbar primitiv erscheint? Dieses Land Sowjetunion, wie es hieß, war die Nummer 1 im sozialistischen Lager und hat Raumfahrt betrieben - in Konkurrenz und mit Erfolg gegenüber den USA, der technisch fortgeschrittensten Macht der westlichen Seite. Ich weiß ganz genau aus eigener Erfahrung - jeder von Ihnen weiß, daß ich aus dem Osten komme -, daß die Sowjetunion im Grunde genommen aus zwei Ländern bestand: einerseits aus dem High-Tech-Land Sowjetunion und andererseits aus dem sehr primitiven Land, das wir heute als RestRußland erleben müssen. Dort sind - für uns unvorstellbar - Millionen und Milliarden aufgewendet worden, und zwar aus Prestigegründen. Zum Prestige gehörte auch, daß Kernenergie ein Markenzeichen der neuen Gesellschaft namens Sozialismus gewesen ist. Es wurde alles versucht, dieses Markenzeichen in höchster Brillanz darzustellen, auch unter Verlust aller Kontrollen, die wir in Akribie durchführen.
Es ist - nun komme ich fast zum Technischen - üblich geworden, das schreckliche Unglück von Tschernobyl als Beweis dessen anzusehen, daß Nutzung von Kernenergie nicht des Menschen Sache sei. Dieser scheinbaren Kausalität ist nur schwer zu erwidern, weil die emotionale Belastung durch eine Tragödie solcher Dimension natürlich jede Art von logischer Besinnung als unbarmherzig, technokratisch, gewissenlos und fortschrittsgierig erscheinen lassen muß. Aber Fortschritt war das, was in der Sowjetunion Kernkraftwerk hieß, beileibe nicht. Keine technische Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland hätte diese Gerätschaft auch nur im mindesten durchgehen lassen. Deswegen ist der Vergleich, der hier angestellt wird, völlig unzulässig.
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Ich habe an anderer Stelle bei einer ähnlichen Debatte meine Erlebnisse im Forschungszentrum für Kernwissenschaft in Dubna, im internationalen Zentrum des sozialistischen Lagers, schon berichtet. Ich möchte heute nicht noch einmal darauf eingehen. Was dort als Sicherheitsvorschriften galt, das wäre hier für jeden eine Aktuelle Stunde und eine Bundestagsdebatte wert. Das ist eine Tatsache.
Das Kernkraftwerk Tschernobyl stellt nicht den Fortschritt dar, den Sie geißeln. Vielmehr findet der Fortschritt in Deutschland statt. Diesen glaubhaft herüberzubringen ist unsere politische Aufgabe. Überwachung deutscher Kernkraftwerke bedeutet, daß man Listen bekommt, in denen selbst jede ausgefallene Glühbirne im Sicherheitsbereich ein Berichtsgegenstand ist. Das hat in Tschernobyl weiß Gott nicht stattgefunden.
Wer die Mentalität dieses Landes ein bißchen kennt und in Presseberichten, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden, darüber gelesen hat, wie die Bedienmannschaften die letzten Stunden in Tschernobyl verbracht haben, der weiß den Rest dieses Liedes zu singen. Das heißt: Vergleiche sind unangemessen.
Lieber Kollege Müller, Sie gehen vom deutschen Standard aus, aber ich bin völlig sicher, Sie würden schlicht und ergreifend Ihr Auto in Rußland nicht reparieren lassen. Es gibt eine Befangenheit, die erklärlich ist: Wenn eine Katastrophe, die die Natur hervorgerufen hat, eintritt, dann sind wir als Menschen bereit, den Kopf zu neigen und zu sagen: Es war Schicksal. Wenn die Katastrophe dadurch herbeigeführt wurde, daß unsere eigene Technik versagte, sind wir Gott sei Dank als Menschen kritisch gegenüber uns selbst und fragen uns: Wieviel Schuld haben wir?
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- Herr Müller, das Schicksal von Herrn Gagarin kenne auch ich. Sie brauchen mich nicht zu belehren.
Über Sturmfluten und Vulkane diskutieren wir nicht. Aber mit Recht diskutieren wir über Dinge, wo wir als Menschen versagt haben. Die Mahnung und Botschaft von Tschernobyl kann natürlich nur sein: Was bei uns als perfekt gilt, muß immer perfekter werden.
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- Das Beispiel des Flughafens war an dieser Stelle unpassend, weil hier vor allen Dingen auch menschliches Versagen eine Rolle gespielt hat. Aber ich will nicht einer Untersuchung vorgreifen, die noch nicht stattgefunden hat.
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Ich möchte jetzt noch zum technischen Bereich sagen, daß die Frage, welche Energiebasis wir im nächsten Jahrzehnt haben wollen, in einer Weise behandelt werden muß, die der Komplexität des Themas angemessen ist. Was wir uns heute noch nicht vorstellen können, kann morgen Wirklichkeit sein. Die Gewissenhaftigkeit des Menschen darf man, glaube ich, aber nicht unterschätzen; sie wird immer gegeben sein. Ich glaube, daß gerade unsere Vorschriften in Deutschland ein Vorbild sein können. Ich bin immer in einer sehr schwierigen Lage, wenn ich sage, daß Deutschland Vorbild sein muß, aber in diesem Falle würde ich behaupten: Wir tun nur Gutes, wenn wir nicht aus der verfemten Kernenergie aussteigen, sondern zeigen, daß sie beherrschbar ist und in der Weise, wie wir sie nutzen, Vorbild für die ist, die noch mit einer Kerntechnik arbeiten, die zugleich Elemente der Zukunft und der Steinzeit enthält. Dagegen muß man kämpfen, und dabei muß man auch helfen.
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Ich will Ihnen Zahlen darüber nennen, welche westlichen Hilfen für die GUS und die MOE-Staaten gegeben worden sind und in welcher Verteilung das geschah: Die westlichen Hilfen verteilten sich zu 34 Prozent auf die Verbesserung der Betriebssicherheit, zu 28 Prozent auf kurzfristige Sicherheitsverbesserungen, technische Maßnahmen sozusagen, und zu 12 Prozent auf den Aufbau von Aufsichtsbehörden. Sie sehen daran, daß der Schwerpunkt vor allen Dingen auf der Verbesserung der Betriebssicherheit lag. Das ist der Weg, den wir hier gehen müssen.
Ich komme jetzt zum Politischen. Es kommt mir sehr darauf an, deutlich zu sagen: Ein Aufrechterhalten der Option Kerntechnik ist kein Beispiel für eine leichtsinnige Technikgläubigkeit, sondern darin äußert sich einfach die Verantwortung, daß eine Technik, die sich am Horizont abzeichnet, von denen gemacht werden muß, die sie am besten beherrschen. Da glaube ich, daß wir im westlichen Teil Europas die besten Voraussetzungen haben. Ein Ausstieg bedeutet, daß wir Scharlatanen das Handwerk überlassen. Das darf nicht sein.
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Die Möglichkeit und Zahl von Unfällen können durch Vorsicht und Aufwendungen in den Griff bekommen werden. Das ist leider auch eine Rechenaufgabe. Damit werde ich wieder zum Technokraten, was man mir immer dann vorwirft, wenn es Ernst wird.
Die Entscheidung zwischen Ausstieg oder Sanierung stellt sich. Sanierung ist nötig; denn diejenigen, die diese Kernkraftwerke betreiben, haben Bodenschätze in Größenordnungen, von denen wir nur träumen. Also gibt es doch einen Grund, daß sie die Kerntechnik nutzen. Not kennt kein Gebot. Je größer die Not ist, um so mehr wird man auch das nutzen, was nicht perfekt ist. Also haben wir die Aufgabe zu helfen, damit Perfektion erreicht wird.
Meine Damen und Herren, wenn ich es ganz sarkastisch formuliere: Es wird immer gesagt, Deutschland hätte mehr Hilfen leisten müssen. Es ist manchmal eine Frage des Setzens von Prioritäten. Wenn ich mich in die Lage eines Ukrainers, eines Weißrussen oder eines Menschen, der in Tschernobyl wohnt, versetze und ich ihm erklären muß, daß wir Deutschen Priorität im Umweltschutz darin sehen, Straßenrückbau zu betreiben und Hindernisse zur Verkehrshemmung aufzubauen, die viel Geld kosten, dann frage ich mich: Sollten wir die Mittel für diese Maßnahmen nicht vorbildlich für zehn Jahre zur Verfügung stellen, um Tschernobyl wieder zu retten? Wäre das nicht ein Weg?
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Meine Folgerungen zum Schluß können nur sein: Die Hilfe für die betroffenen Regionen ist nach wie vor unabdingbar. Wir müssen uns dieser Aufgabe stellen, privat wie durch Zivilcourage und natürlich auch durch die Regierung.
Kernkraftwerke vom Typ Tschernobyl repräsentieren nicht moderne Energiegewinnung durch Kernkraft. Proteste in reichen Ländern können - bitte denken Sie daran - Hohn für arme Länder sein.
Tschernobyl liegt nicht in Deutschland, aber Deutschland muß für Tschernobyl fühlen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Als nächster spricht der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute und in den folgenden Tagen wird in zahlreichen Veranstaltungen der Opfer des Reaktorunfalls von Tschernobyl gedacht. Das atomare Feuer im zerstörten Reaktor von Tschernobyl ist noch nicht erloschen, und immer noch erkranken Menschen in großer Zahl an den Folgen des Unglücks. Wir können noch nicht davon sprechen, daß diese größte atomare Katastrophe der zivilen Atomkraftnutzung vorüber und Geschichte geworden ist.
All denjenigen, die damals humanitäre Hilfe leisteten und das auch heute noch tun, ist zu danken.
Wenden wir uns aber zunächst einmal den Gründen des Reaktorunfalls zu.
Zum einen war es mit Sicherheit ein politisch-administratives Versagen der sowjetischen Energiebehörden und zum anderen ein kollektives menschliches Versagen der Betriebsmannschaft, woraufhin die Technik - die von ihren Schöpfern für solche Fälle nicht erdacht war - ebenfalls versagen mußte. Man kann also nicht den Schluß ziehen: menschliches Versagen. Auch die Technik hat nicht funktioniert.
In der Folge wurden große Opfer an Menschenleben erbracht, um den geborstenen Reaktor wieder zu schließen, und dennoch wurden riesige Landstriche verseucht. Die Bevölkerung wurde desinformiert, und die Evakuierungsmaßnahmen wurden unsystematisch, spät oder gar nicht eingeleitet. Das hat viele zusätzliche Opfer gekostet, und dabei haben Menschen auch Schuld auf sich geladen. Dies, Herr Ortleb, muß auch gesehen werden.
Dennoch bin ich nicht der Ansicht, daß man aus dieser Sachlage heraus argumentieren kann, ein solcher Unfall könnte sich in bundesdeutschen Atomkraftwerken nicht ereignen. Sicherlich, deutsche Betriebsmannschaften sind besser ausgebildet und besser bezahlt. Auch ein verheerender Graphitbrand ist in deutschen Reaktoren technisch ausgeschlossen, da der letzte graphitmoderierte Reaktor längst vom Netz gegangen ist.
Auch verfügt die Bundesrepublik über bessere medizinische Einrichtungen zur Behandlung von Strahlenkrankheiten. Es gibt im Ernstfall freie Medien mit mehr als zehn Kanälen, die rund um die Uhr Fernsehen machen und darüber berichten würden. Es gibt ein Umweltinformationsgesetz, welches garantiert, daß besorgte Bürger Fragen an die Verwaltung richten dürfen.
Dennoch muß davon ausgegangen werden, daß solch eine Katastrophe wie in Tschernobyl auch bei uns möglich ist. Hätten wir vor vier Wochen Experten danach befragt, ob es möglich ist, daß sich auf dem Düsseldorfer Flughafen eine Feuerkatastrophe mit Todesfolge ereignen könnte, wäre diese Frage mit Sicherheit verneint worden. Dennoch ist es passiert. Alles, was passieren kann, passiert irgendwann; es ist nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit.
({0})
Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Kernschmelzunfalles ergibt sich aus den Erkenntnissen der Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke ({1}). In der Phase A dieser Studie, die 1979 veröffentlicht wurde, kam man zu dem Ergebnis, das sogenannte Restrisiko sei so gering, daß es der Bevölkerung zugemutet werden könne. Von Phase B wurden noch günstigere Ergebnisse erwartet.
Als nach langer Verzögerung diese Studie 1989 schließlich veröffentlicht wurde, mußte eingestanden werden, daß die Unfallwahrscheinlichkeit wesentlich höher ist. Weitere Untersuchungen des Kernforschungszentrums Karlsruhe ergaben, daß statt der ursprünglich erwarteten zwei Tage Vorlaufzeit vom Eintritt des Unfalls bis zum Austritt der Radioaktivität in den meisten Fällen nur noch zwei bis drei Stunden bis zu deren massiver Freisetzung bleiben.
Außerdem muß die Notwendigkeit einer Evakuierung der Bevölkerung in einem Gebiet von mehreren 10 000 Quadratkilometern, das entspricht einer Enfernung von 100 bis 200 Kilometer vom Unglücksort, angenommen werden. Die heutigen Katastrophenschutzpläne sehen jedoch nur eine Evakuierung bis maximal 10 Kilometer vom Atomkraftwerk vor. Ein wirksamer Schutz für Leben und körperliche Unversehrtheit der Menschen kann also nicht gewährleistet werden.
Folgerichtig wird im neuen Absatz 2 a des § 7 des Atomgesetzes als Voraussetzung für die Genehmigung von Atomkraftwerken gefordert, daß bei eventuellen Störungen einschneidende Maßnahmen wie Evakuierung und Umsiedlung der Bevölkerung außerhalb des Anlagengeländes nicht erforderlich werden dürfen. Allerdings werden die bereits existierenden Atomkraftwerke ausdrücklich von dieser Forderung ausgenommen, obwohl die Erkenntnisse über die Sicherheitsrisiken eben auf den Erfahrungen mit dem Betrieb dieser Atomkraftwerke beruhen. Mit diesem rechtlichen Bestandsschutz wird ausgeschlossen, daß betroffene Bürger Klagen gegen die bereits vorhandenen Atomkraftwerke erheben können.
Aus meiner Sicht ist der Betrieb von Anlagen, die das Leben von Menschen bedrohen, ohne daß sie sich dagegen schützen können, verfassungswidrig.
({2})
Gleiches gilt für den Ausschluß von Klagerechten der Betroffenen.
Der Bundestag wäre deshalb gut beraten, wenn er den hier vorliegenden Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen „Sofortige Stillegung der Atomanlagen in der Bundesrepublik Deutschland" annehmen würde. Ich werde diesem Antrag zustimmen - gleiches gilt auch für unsere Gruppe -, denn er entspricht den Beschlüssen unseres jüngsten Parteitages.
Durch eine Studie ist nachgewiesen, daß wegen der vorhandenen Überkapazitäten eine Versorgungssicherheit auf jeden Fall gewährleistet ist. Auch können die kurzfristig auftretenden zusätzlichen CO2-Emissionen durch Energiesparmaßnahmen, rationelle Energieverwendung und ökologische Umbaumaßnahmen kompensiert werden, so daß die Ziele des Klimaschutzes auf jeden Fall erreicht werden können. Die zusätzlichen Emissionen sind also kein Argument, weiter an der Atomkraftnutzung festzuhalten.
Ich gehe auch davon aus, daß dieser Antrag der Haltung der Mehrheit der Menschen in diesem Land gegen die Atomkraftnutzung entspricht. Wie sich diese Haltung bei der nachfolgenden Generation in Wissenschaft und Technik ausdrückt, zeigt folgendes Beispiel: Berichten zufolge kommen auf eine Stellenausschreibung im Bereich Kerntechnik zwei bis drei Bewerber und auf eine Stellenausschreibung im Bereich regenerativer Energien mehrere hundert Bewerber. Eigentlich sollte die Regierung diese Signale des Arbeitsmarktes zur Kenntnis nehmen, nicht nur die Signale des Grundstücksmarktes um Geesthacht, Herr Grill. Leider läßt sie dieses innovative Potential aber am ausgestreckten Arm verhungern und raubt damit den letzten Funken Hoffnung auf die Gestaltbarkeit dieser Gesellschaft.
Wir sollten uns immer der Lasten bewußt sein, die wir zukünftigen Generationen mit dem radioaktiven Müll aufbürden. Noch immer gibt es keine Möglichkeit einer sicheren Endlagerung. Inzwischen haben sich aber über 130 000 Tonnen Müll weltweit angehäuft. Zweieinhalb Endlager könnten damit gefüllt werden. Aber noch immer ist kein einziges in Sicht. Ich sage an dieser Stelle zum x-ten Mal: Der Salzstock in Gorleben ist dazu völlig ungeeignet. Die Regierungskoalition wäre deshalb gut beraten, wenn sie ihre Scharfmacher wie Kanther, Westerwelle und andere im Zaum hielte und auf den nächsten Castortransport verzichtete.
({3})
Dies ist ein besserer Schutz vor der Eskalation von Konflikten als Polizei und Bundesgrenzschutz.
Angesichts des Gefährdungspotentials der Atomkraft sind Aktionen des zivilen Ungehorsams angebracht, soweit sie sich in dem Rahmen bewegen, der dem Begriff „zivil" gerecht wird. In diesem Sinne möchte ich alle auffordern, sich am Samstag an den Demonstrationen der Antiatombewegung in Geesthacht, Magdeburg, Ahaus, Biblis, Freiburg und München zu beteiligen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Elisabeth Altmann.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in meiner Kurzintervention auf verschiedene Aussagen von einigen Kollegen eingehen, zuerst darauf, daß Frau Bundesministerin Merkel gesagt hat,
({0})
ein Ergebnis der Internationalen Atomkonferenz in Wien sei die Feststellung, daß die psychologischen Folgen der Strahlenbelastung unterschätzt würden. Das ist sicherlich richtig.
Laut Statistik fallen unter die psychologischen Folgen die sogenannten psychosomatischen Erkrankungen, unter anderem Erkrankungen von Kreislauf, Nerven, Knochen, Muskeln. Das Tschernobyl-Ministerium gibt die Anzahl der Erkrankungen als Folge der schrecklichen Havarie mit 45 000 an.
Meine dringliche Frage ist: Sind das wirklich psychosomatische Erkrankungen? Oder müssen wir davon ausgehen, daß es sich hierbei um Krebsentwicklungen handelt? Die horrenden Zuwächse der Krankheitszahlen jedenfalls lassen darauf schließen. Laut Mitteilung des Tschernobyl-Ministeriums waren ein Jahr nach der Katastrophe noch 80 Prozent der betroffenen Kinder gesund, vier Jahre später nur noch 40 Prozent. Wie viele Kinder sind heute noch übrig? Wie vielen Kindern wurde die Zukunft ruiniert? Das ist meine Frage.
Frau Ministerin Merkel, Sie sagen, daß Berichte über Tausende von Toten schlicht falsch und unverantwortlich seien. Warum bagatellisieren und verdrängen Sie dieses Problem? Jedenfalls sagt Olga Babylowa vom ukrainischen Gesundheitsministerium, die Zahl liege bei zirka 125 000. Ich meine, genaue Zahlen kann niemand wissen; aber sie sind sehr hoch.
Eine letzte Bemerkung zu den Ausführungen meiner Kollegin Ursula Schönberger und des Kollegen Köhne. Angesichts der Gefahren, die die Atomkraft mit sich bringt, ist es meiner Ansicht nach unverantwortlich, an ihr festzuhalten. Deshalb verstehe ich die Demonstranten, die friedlich und kreativ gegen Atomkraft protestieren.
({1})
Der Bundestag sollte sich davor hüten, diese Leute zu kriminalisieren. Ich finde es wichtig, daß dieses
Elisabeth Altmann ({2})
Grundrecht wahrgenommen werden kann. Tschernobyl zeigt uns: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.
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Als nächster spricht Bundesminister Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist verständlich, daß gerade am zehnten Jahrestag des Reaktorunfalls von Tschernobyl nicht nur dieser russische Reaktortyp, sondern die Kernkraft insgesamt kritisch diskutiert wird. Eine solche Katastrophe darf sich nie wiederholen.
Wer könnte und wollte an das Thema Kernkraft spätestens nach Tschernobyl nicht mit äußerster Vorsicht und mit Nachdenklichkeit herangehen! Wir tun das, und wer anderes unterstellt, sagt die Unwahrheit.
Wir dürfen an dieses Thema nicht undifferenziert herangehen. Wir möchten nichts unter den Tisch kehren und nichts beschönigen; wir möchten aber auch nicht mit Katastrophenszenarien aufwarten, die das Ziel haben, Emotionen zu schüren und Ängste bei den Menschen zu mehren, die aus vielen Gründen diese Technik nicht begreifen und nicht begreifen können, einfach deshalb, weil sie außerhalb der täglichen Erfahrungswelt liegt.
Kernkraft birgt wie jede Technologie Risiken. Diese müssen bewertet werden. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts und ihre Beherrschbarkeit müssen in Betracht gezogen werden. Dem muß gegenübergestellt werden, welche Chancen und welche Vorzüge eine Technologie birgt. Dies muß abgewogen werden. Keiner wird bestreiten, Herr Jung, daß man so an die Dinge herangehen muß.
Ich möchte für die Bundesregierung sagen: Wir kommen nach einem solchen Prozeß zu der Erkenntnis, daß wir es nicht für verantwortbar halten, wenn wir aus dem Unfall von Tschernobyl ableiten, Deutschland müsse sofort oder recht bald aus der Kernenergie aussteigen.
({0})
- Das unterscheidet uns, Frau Fuchs.
Ich möchte unsere Haltung begründen. Wir haben die Verantwortung, die Sicherheitsstandards deutscher Kernkraftwerke zum internationalen Maßstab zu machen. Weltweit stehen wir in dieser Technologie an der Spitze. Unsere Standards sind erwiesenermaßen seit Jahrzehnten sehr hoch, und wir entwikkeln sie laufend weiter. Eine Politik des sofortigen Ausstiegs wäre eine Entwicklung in Richtung weniger Sicherheit hier in Deutschland, vor allem aber weltweit.
({1})
Die Bundesregierung hat zur friedlichen Nutzung
der Kernenergie immer erklärt: Sicherheit hat Vorrang vor Wirtschaftlichkeit. Wir stehen dazu. Niemand kann zumindest für Deutschland das Gegenteil behaupten.
Unter dieser Prämisse haben wir die Kernenergie so lange ökologisch und ökonomisch für unverzichtbar zu halten, wie nicht andere Energieträger zur Verfügung stehen, die vergleichbar versorgungssicher, umweltverträglich und preisgünstig sind.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schönberger?
Ja.
Herr Minister, eine Frage. Wie paßt zu Ihrem Credo der Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke die Tatsache, daß keines der laufenden Atomkraftwerke nach dem heute gültigen Atomrecht überhaupt noch genehmigungsfähig wäre?
Wissen Sie, die Sicherheitsstandards werden laufend weiterentwickelt und immer höher gezogen. Das ist gut und richtig. Aber aus der Tatsache, daß die Standards heute höher sind als zum Zeitpunkt der Genehmigung dieser Kraftwerke, kann nun nicht abgeleitet werden, daß die Kraftwerke, die sich auf einem niedrigeren, aber immerhin hohen Standard - einem höherem Standard als anderswo - befinden, als unsicher zu bezeichnen sind. Das ist eine unlogische Folgerung.
({0})
Meine Damen und Herren, die Kernenergie ist heute in unserem Land ein bedeutender Energieträger. Dies belegen nicht zuletzt ihre Anteile von knapp einem Drittel an der Stromerzeugung und 10 Prozent am Primärenergieverbrauch. Aber im Energiemix kommt ihr zunächst keine Sonderrolle zu. Ziel der Bundesregierung ist es, Energie noch mehr einzusparen als bisher,
({1})
Energie noch effizienter zu nutzen und den erneuerbaren Energien mehr Raum zu geben.
({2})
Wir haben eine Menge dafür getan. Wir haben zinsverbilligte Kreditprogramme zur Förderung der Wärmedämmung aufgelegt, das Programm im Milliardenumfang zur Fernwärmeversorgung in den neuen Ländern kann wohl nicht unerwähnt bleiben, und wir haben ein Marktanreizprogramm für erneuerbare
Energien und das Stromeinspeisungsgesetz beschlossen. Dazu gehören auch die Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Beseitigung von Hemmnissen bei erneuerbaren Energien, beispielsweise im Bauplanungsrecht. Die Ergebnisse kann doch niemand bezweifeln. Sehen Sie sich doch das an, was bei der Windenergie geschehen ist!
({3})
Fest steht aber auch - das will ich mit Nachdruck sagen -: Das alles, selbst wenn man mehr hinzufügte - man kann da immer noch mehr hinzufügen -, kann die Kernenergie nicht überflüssig machen. Es wäre eine Illusion, den durch Kernenergie erbrachten Beitrag zur Stromerzeugung, aber auch zur Reduzierung von CO2 einfach zu negieren. Energieeinsparung ist wichtig und gut, aber Energieeinsparung kann die Probleme, die wir in der Versorgung haben, nicht lösen.
Herr Abgeordneter Müller, es gehört schon eine Menge Akrobatik dazu, sich eine gedankliche Kette vorzustellen, die besagt: Die Tatsache, daß es die CO2-freie Kernenergie gibt, führt dazu, daß andere CO2-freie Energien, regenerierbare Energien nicht in den Markt kommen. Da muß ich doch zunächst einmal fragen: Warum gilt denn das für die Kernenergie? Gilt das denn nicht auch für Gas und Öl? Und vor allem: Warum gilt das nicht für die Kohle, die von Ihnen, von der Opposition, immer wieder so laut und nachhaltig propagiert wird?
({4})
- Herr Müller, wir haben mit der Kernenergie eine Energie, die CO2-frei ist, die wirtschaftlich ist und einen wichtigen Beitrag leistet.
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Wir wollen ja andere Energien danebensetzen, aber nun gerade diese zu beseitigen, bevor wir beispielsweise die Kohle zurückgeführt haben,
({6})
das ist Gehirnakrobatik, die nachzuvollziehen große Schwierigkeiten bereitet,
({7})
und zwar nicht nur mir, sondern allen, die klar und gerade denken können und nicht auf verschlungenen Wegen, Herr Müller.
({8})
Ich kann als Verantwortlicher für die Wirtschaftspolitik im übrigen nicht akzeptieren, daß eine wesentliche Stütze in der sogenannten Grundlast der Elektrizitätsversorgung permanent in Frage gestellt wird.
({9})
Das muß im Interesse des Standorts Deutschland zurückgewiesen werden. Die Verfechter des Ausstiegs aus der Kernenergie erzeugen in der Wirtschaft, bei den Energieunternehmen und bei den Verbrauchern permanent Unsicherheit. Das ist ihr Anliegen. Das darf und kann nicht akzeptiert werden.
({10})
Meine Damen und Herren, der Streit um die langfristige Nutzung der Kernkraft führt zu Attentismus in dieser Technologie, aber auch weit über diese Technologie hinaus. Dies hat verheerende Wirkungen für unser Land. Wir brauchen in den Unternehmen verläßliche Rahmenbedingungen, auch und gerade in der Energieversorgung.
({11})
- Herr Fischer, die Hauptsache im Sinne des Standorts Deutschland ist zunächst einmal, daß Sie mit Ihren Ideologien und Ihren Vorstellungen, die selbst in Ihrer Partei, wie neueste Umfragen zeigen, immer weniger auf Verständnis stoßen, nicht die Fähigkeit und nicht die Gelegenheit bekommen,
({12})
Politik zu machen. Das ist das Entscheidende.
({13})
Sie schaffen durch Ihre Art, bestimmte Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen zu „handlen", den sogenannten ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug, ständig eine Situation, die darauf hinausläuft, daß durch die Hintertür - auch das ist rechtsstaatlich über alle Maßen problematisch - der Ausstieg versucht wird. Das führt zu zusätzlicher Unsicherheit in den Unternehmen, die von Ihnen gewollt wird, aber die ich mit allem Nachdruck zurückweisen möchte.
({14})
Natürlich weiß ich, daß heute ausreichend Kraftwerke vorhanden sind. Es muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß keiner heute Kraftwerke bauen will und bauen muß.
({15})
Aber je nach Entwicklung des Strombedarfs - das ist das Entscheidende ({16})
werden die Stromunternehmen zu gegebener Zeit über Ersatz- und Neubauten zu entscheiden haben. Worüber heute gesprochen werden muß, ist: Wenn später solche Bauentscheidungen vorbereitet und getroffen werden, dann muß die gesamte Palette
({17})
- jawohl - der technischen Optionen offenstehen,
({18})
und sie darf nicht nur auf dem Papier stehen. Das heißt, wir müssen die Möglichkeit zum Bau von Kernkraftwerken wirklich haben.
Das bedeutet, daß wir in der Technologie über diese Fähigkeiten verfügen müssen und daß wir auch in der Genehmigungspraxis, in der Administration diese Fähigkeiten nicht verlieren dürfen.
Zu wenig einbezogen werden in die deutsche Diskussion meist auch die internationalen Aspekte. Dabei stünde es gerade Ihnen, den Befürwortern eines Ausstiegs, gut an, auch über den nationalen Tellerrand hinauszublicken. Alle Prognosen sehen einen weltweit stark ansteigenden Energieverbrauch voraus. Die zusätzliche Nachfrage wird nur zu bewältigen sein, wenn alle Energieträger zur Verfügung stehen: die fossilen Energien, aber auch die CO2-freien Energieträger Kernenergie und erneuerbare Energien.
Die hochindustrialisierten Staaten tragen mit Verantwortung für den globalen Energiehaushalt. Deswegen sind sie schon heute aufgerufen, für die künftigen Herausforderungen ihre ökonomische Kraft und ihr technisches und administratives Potential einzusetzen. Unternehmen in Deutschland können dazu beitragen durch hier entwickelte energiesparende Anlagen und Geräte sowie durch effiziente, umweltschonende Techniken in modernen Kohlekraftwerken und durch die hier entwickelten Solartechnologien, Windenergietechniken und Biogastechniken.
Aber ohne einen Beitrag in der Kernenergie in den Industrie- und teilweise auch in den Schwellenländern wird der Weltenergiebedarf langfristig nicht zu decken sein. Ohne Nutzung der Kernenergie in Deutschland und ohne Aussichten auf Forschung und Weiterentwicklung vor allem bei den Sicherheitstechniken müßten wir uns aus dieser Zukunftsaufgabe abmelden. Wir müßten dies anderen Anbietern überlassen, die im Zweifel unseren Sicherheitsanforderungen nicht gerecht werden. Wir könnten dann auch nicht mehr mitreden, wenn es um die Verbesserung der Sicherheitstechnik von Kernkraftwerken in Osteuropa und in Rußland geht. Ein Auftrag wie der gerade abgeschlossene über Sicherheitstechnik des slowakischen Kernkraftwerks Mochovce wäre dann nicht möglich.
({19}) Das gilt auch bei einem Ausstieg auf Zeit.
({20})
Wer ausländische Käufer für ein Produkt interessieren will, das im Lieferland vom Markt genommen wird, der läuft fehl und wird niemals diesen Auftrag erhalten.
({21})
Wer auf der internationalen Bühne nähme deutsche Vorschläge zur Verbesserung der Reaktortechnik im Land X noch zur Kenntnis, wenn in Deutschland auf Grund angeblicher Sicherheitsbedenken Kernkraftwerke abgeschaltet würden? Das müssen Sie sich vor Augen halten; das ist die Konsequenz. Ich weiß ja, daß Sie diese Konsequenz wollen. Wir wollen sie nicht; darin unterscheiden wir uns.
Wer läßt sich noch zum Kernkrafttechniker ausbilden, wer studiert noch dieses Fach, wenn er in Deutschland, politisch verordnet, sehr bald arbeitslos sein würde?
({22})
Schon heute gibt es - das betrifft auch die Sicherheitstechnologie - besorgniserregende Engpässe. Dieser Verlust an Know-how führt zu einem Verlust und zu einem Mangel an Fachleuten für Betreiber, Gutachter und Genehmigungsbehörden. Ein späterer Wiedereinstieg wäre damit unmöglich. Das ist die Strategie, die Sie verfolgen, nämlich einen späteren Wiedereinstieg unmöglich zu machen. Denn wer sollte dann die Sicherheit eines modernisierten, eines hochwertigen Reaktorkonzepts überhaupt noch beurteilen können?
Meine Damen und Herren, die Politik der Bundesregierung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ist und bleibt verantwortbar. Sie ist darauf gerichtet, in Deutschland verläßliche Rahmenbedingungen für Energieerzeugung und für Energieversorgung zu erhalten. Sie ist darauf gerichtet, über unsere hohen Sicherheitsstandards die Kraftwerke auch bei unseren östlichen Nachbarn sicherer zu machen. Sie hält künftigen Generationen die Option auf eine weitere friedliche Nutzung der Kernkraft offen.
Ich halte es für unverantwortbar, der nachfolgenden Generation die freie Entscheidung über die Ausfüllung dieser Option - nicht mehr und nicht weniger -, die nicht zuletzt unter Umweltaspekten, unter CO2-Aspekten, getroffen werden muß, von vornherein zu verweigern.
({23})
Das ist etwas, was wir vor der nachfolgenden Generation nicht verantworten können, auch unter dem
Aspekt einer erfolgreichen und nachhaltigen Umweltpolitik und Wirtschaftspolitik.
Deshalb sage ich für die Bundesregierung noch einmal: Keiner will und wird heute in Deutschland Kernkraftwerke bauen wollen. Wir brauchen keine Grundlastkraftwerke.
({24})
Wir brauchen diese Kraftwerke nicht. Wir wollen und werden aber diese Option offenhalten, und zwar im Sinne der nachfolgenden Generation, die aus dieser Offenhaltung, aus dieser Entscheidungsfreiheit machen kann, was sie will.
({25})
Das ist eine verantwortliche Politik vor dem Hintergrund, daß wir eine bessere Umwelt sowie eine sichere und preisgünstige Energieversorgung in diesem Land auch im nächsten Jahrzehnt, auch im nächsten Jahrhundert brauchen.
Ich danke Ihnen.
({26})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kollege Michael Müller.
({0})
Herr Bundeswirtschaftsminister, um keinen dieser ideologiekritischen Atomenergiegegner zu nehmen, zitiere ich einfach die Stellungnahme der Weltenergiekonferenz von Montreal. Vielleicht begreifen Sie dann ein wenig diese Logik. In dem dort vorgelegten Szenario „Energieperspektiven für die Jahre 2000 bis 2025" wird eine Verdreifachung der Zahl der Atomkraftwerke unterstellt, und trotzdem kommt das Szenario auf einen Anstieg der Kohlendioxidemissionen um 68 Prozent, was eine Katastrophe für die Erde wäre.
Glauben Sie im Ernst, mit der bisherigen expansiven Energiepolitik könnten Sie dieses Problem lösen? Glauben Sie das ernsthaft, obwohl es mehrfach widerlegt ist?
({0})
Oder stimmen Sie dem zu, was wir im Bundestag einmal einvernehmlich beschlossen haben? Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren; ich glaube, da waren Sie noch kein Abgeordneter. Der Vorsitzende der Kommission, die diesen Bericht zu verantworten hat, der heutige Staatsminister Bernd Schmidbauer, hat dies
aber mitunterzeichnet. Wir haben es dann im Bundestag beschlossen. Dort hieß es:
Lösungswege, die nur auf eine Verschiebung der Energieträger abzielen, können das Klimaproblem nicht lösen. Statt dessen kommt es darauf an, alle Voraussetzungen zu nutzen zu einer weitgehenden Substitution von Energie durch Investitionen und technisches Wissen.
Das ist die einzige Chance, um das Klimaproblem zu lösen.
({1})
Herr Minister Rexrodt.
({0})
Herr Kollege Müller, zunächst einmal möchte ich feststellen, daß ich hier nicht einer expansiven Energiepolitik oder einem expansiven Energieverbrauch das Wort geredet habe, ganz im Gegenteil.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß ich hier einer Verstärkung und einem Ausbau sowie einer Förderung der regenerativen Energien das Wort geredet habe. Ich habe aber darauf hingewiesen, daß regenerative Energien unsere Probleme bei einer wachsenden Weltbevölkerung und einer fortschreitenden Industrialisierung nicht lösen können und daß es deshalb eines sinnvollen Energiemixes bedarf und daß in diesem Energiemix die Kernkraft eine Rolle spielen kann und spielen wird.
Mir ist nach wie vor verschlossen, wie Sie behaupten können, daß das Verschwinden eines Energieträgers wie der Kernenergie, der eben keine CO2-Emissionen mit sich bringt, dazu führen kann und dazu beitragen kann, daß die CO2-Emissionen und die Vergiftung unserer Atmosphäre mit CO2 reduziert werden. Wenn Sie der Auffassung sind, wir sollten Energie einsparen und den Energieverbrauch reduzieren, sind wir bei Ihnen. Warum dann aber zwangsläufig die Kernenergie, die nicht zu den CO2-Emissionen beiträgt, als erstes verschwinden soll, das ist mir schwer zugänglich, Herr Müller.
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Jetzt spricht die Kollegin Anke Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte, bevor ich mich mit dem Wirtschaftsminister auseinandersetze, noch einmal an die Katastrophe von Tschernobyl erinnern und der zahlreichen Opfer gedenken, die dieses schlimmste Unglück in der Geschichte der friedliAnke Fuchs ({0})
chen Nutzung der Kernenergie gefordert hat. Leider müssen wir damit rechnen, daß auch in Zukunft viele tausend Menschen an den Folgen der radioaktiven Verstrahlung noch sterben werden. Heute leiden etwa eine Million Menschen an den Folgen der Katastrophe, darunter 400 000 Kinder und Jugendliche. Ihnen muß unsere Anteilnahme gelten.
Aber Anteilnahme ist nicht genug. Angesichts der bedrückenden wirtschaftlichen Verhältnisse gerade in den Ländern der GUS muß der Westen die humanitäre Hilfe ausweiten, die heute bei weitem nicht ausreicht, um den Opfern von Tschernobyl medizinisch zu helfen, meine Damen und Herren.
({1})
Insbesondere in Weißrußland und in der Ukraine fehlt es an Geld für qualifiziertes Fachpersonal, für Medikamente, für medizinische Geräte und für die notwendige, Jahre dauernde Betreuung der Opfer. Wir haben heute schon über die zahllosen privaten Initiativen in Deutschland geredet, die gegründet worden sind. Sie leisten bewundernswerte Beiträge, um den von der Reaktorkatastrophe betroffenen Menschen beizustehen. Aber ich denke, es geht auch hier langfristig um mehr Einsatz, und es geht auch um mehr öffentliche Unterstützung all dieser privaten Initiativen.
({2})
Wir brauchen sicherlich auch Finanzmittel, um die wissenschaftlichen Untersuchungen der Folgen der Strahlenbelastung der betroffenen Regionen um Tschernobyl international abzusichern. Immerhin ist ein Gesamtareal von mehr als 10 000 Quadratkilometern betroffen, das sich über weite Teile der Ukraine, der Russischen Föderation und Weißrußlands erstreckt. Langzeituntersuchungen der Folgen von Hiroschima und Nagasaki haben übrigens damals erhebliche Erkenntnisse bezüglich der Gefährlichkeit radioaktiver Strahlungen gebracht. So werden auch wissenschaftliche Arbeiten zu den Strahlenfolgen dieses Unfalls für mehr Aufklärung sorgen, und dabei sollten wir helfen.
({3})
Nun komme ich im Grunde fast schon zur Innenpolitik. Ich dachte, wir wären da eigentlich schon einmal weiter gewesen. So bedrückend die Zahl der Opfer und ihre unzureichende Versorgung ist, so erdrückend ist für mich auch, daß die Folgerungen nicht richtig gezogen werden. Daß sich angesichts des maroden Zustands der osteuropäischen Kernkraftwerke bis heute noch kein weiterer GAU ereignet hat, verdanken wir, so hat es neulich ein Wissenschaftler gesagt, allein Gottes Gnade. Darauf mag jeder vertrauen, aber was Atomkraftwerke anbelangt, würde ich es uns nicht anraten. Es ist deswegen außerordentlich bedauerlich, daß auf der jüngsten G-7- Tagung in Moskau der Westen nicht mehr eindeutig die Stillegung aller Reaktoren vom Bautyp des Tschernobyl-Atomkraftwerkes gefordert hat. Auf den G-7-Gipfeln vor vier Jahren in München und vor zwei Jahren in Rom war dies noch eine Selbstverständlichkeit. Ich frage mich: Warum hat der Westen nicht einmal die Kraft, diese Vorschläge umzusetzen, meine Damen und Herren?
({4})
Wir haben nicht einmal mehr die Kraft, diese Reaktoren ohne Containment und mit der Gefahr des Graphitbrandes stillzulegen. Ich frage die Bundesregierung: Was hat sie eigentlich auf dem G-7-Gipfel in Moskau gemacht, um zu helfen, daß dieser Vorschlag auch umgesetzt werden kann?
({5})
Wir verlangen, daß der Westen die Verhandlungen zur drastischen Verringerung der Risiken der nuklearen Versorgung in Osteuropa und der GUS intensiv fortsetzt und dazu auch die umfassenden Hilfen bereitstellt. Darum dürfen die Hilfeleistungen - das ist heute morgen schon angesprochen worden - nicht auf den Nuklearsektor beschränkt werden, sondern sie müssen auch für die Modernisierung und ökologische Verbesserung der Energiewirtschaft in diesen Staaten verwendet werden. Beide Maßnahmen gehören zusammen, und ich erinnere daran, daß genügend Vorschläge zur Sanierung der nichtnuklearen Energieversorgung in diesen Ländern vorliegen, die endlich von den G-7-Staaten aufgegriffen und in konkrete Hilfsprogramme umgesetzt werden müssen. Nur wenn dies geschieht, werden wir weitere enttäuschende Ergebnisse von G-7-Gipfeln vermeiden können. Ich finde, es ist nicht länger hinnehmbar, daß diese Gipfel zu Foto- und Presseterminen der beteiligten Staatsmänner verkommen, ohne daß in Sachfragen konkrete Fortschritte erzielt werden. Dann sollte man das Geld lieber den kranken Menschen zur Verfügung stellen!
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Wir sind im übrigen der Meinung, daß auch alle anderen Reaktoren westlichen Sicherheitsanforderungen nicht genügen und deshalb Schritt für Schritt stillgelegt werden müssen. Wir machen uns keine Illusionen, daß dies angesichts der unübersehbar großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in diesen Ländern nicht von heute auf morgen geschehen kann. Deswegen müssen wir auch akzeptieren, daß bis zur Stillegung auch mit westlicher Hilfe Sicherheitsnachrüstungen getätigt werden, um weitere schwere Unfälle zu verhindern. Das artikulieren wir auch in unserem Antrag, dem Sie damit gerne zustimmen können, meine Damen und Herren.
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Nun blicke ich zurück und frage, wie bei uns die innenpolitische Debatte ist. Meine erste Frage ist: Was hat die Bundesregierung auf diesem G-7-Gipfel eigentlich als Position eingebracht? Wenn wir zehn Jahre zurückblicken, dann stellen wir fest, daß wir seitdem immerhin ein Umweltministerium haben. Das kämpft zwar immer noch um seine Existenzberechtigung - aber immerhin. Wir haben das MeßsyAnke Fuchs ({8})
stem des Strahlenschutzes verbessert. Wir haben auch Konferenzen abgehalten und wissenschaftliche Studien und Gutachten erstellt, in denen Wege zu einer nichtnuklearen Energiezukunft aufgezeigt werden - Wege, Herr Minister Rexrodt, die wirtschaftlich und finanziell verkraftbar sind, die neue, risikoärmere Technologien fördern und durch eine Umstrukturierung der Energieversorgung auch mehr Klimaschutz bewirken könnten. Das ist sogar einvernehmlich in allen einschlägigen Enquete-Kommissionen zu Papier gebracht worden, unter Einschluß der Kolleginnen und Kollegen von CDU und F.D.P. Daran möchte ich hier heute noch einmal nachdrücklich erinnern. Wir waren also schon mal weiter.
Dann hat die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" zwei dicke Berichte vorgelegt, die in ihrer Substanz ebenfalls von der Kernenergie weggehen, die aber leider von dieser Bundesregierung nicht umgesetzt worden sind.
Ich glaube, daß wir weltweit einen geordneten Rückzug aus der Kernenergie brauchen und ihn auch hinbekommen können. Immerhin haben wir den Schnellen Brüter abgebrochen. Immerhin haben wir den Hochtemperaturreaktor stillgelegt. Immerhin haben wir die Kernkraftwerke Greifswald, Stendal und Würgassen abgeschaltet. Ich wundere mich eigentlich, daß die Bundesregierung von einer Renaissance der Kernenergie spricht. Ich erinnere mich an manche Beschlüsse bei Ihnen, mit denen Sie gesagt haben: Raus aus der Kernenergie, sie ist nicht verantwortbar.
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In den 80er Jahren und auch in den 90er Jahren haben wir miteinander um die Frage gerungen: Kernenergie - ja oder nein? Wenn Sie sich einbilden, Sie könnten diese von uns abgeschlossene gesellschaftliche Debatte wieder zu Ihren Gunsten entscheiden, dann machen Sie sich etwas vor, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
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Umweltminister Töpfer hat damals von einer kernenergiefreien Zukunft geredet und auch entsprechende Anträge eingebracht. Leider wurde das alles nicht aufgegriffen. Und die F.D.P. - na ja, die kann man nicht ganz ernst nehmen, die macht's gerade, wie es kommt. Aber damals wollte auch sie aus der Kernenergie aussteigen. Jetzt will Herr Rexrodt wieder einsteigen - wir haben das heute gehört -, statt endlich mit uns die Fragen zu erörtern, die wir gemeinsam regeln könnten, zum Beispiel die Frage der Restlaufzeiten oder endlich die Frage der Entsorgung.
Das war für mich heute interessant: Kein Wort zu der nichtgelösten Frage der Entsorgung. Wir verbrennen munter weiter weltweit in steigender Tendenz atomare Brennstäbe, und kein Mensch weiß, wie die eigentlich entsorgt werden sollen. Wenn jemand wie ich, der mit der Befürwortung von Kernenergie aufgewachsen ist, gelernt hat, daß die Entsorgung nicht geregelt ist, dann wird mich keiner jemals wieder auf den Pfad der Kernenergie bringen, wenn mir nicht wissenschaftlich ordentlich nachgewiesen werden kann, wie die Entsorgung von abgebrannten Brennstäben praktisch organisiert werden kann.
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Darauf fehlt von Ihnen die Antwort, und Frau Merkel hofft, allein durch Weisung an SPD-regierte Länder dieses Problem lösen zu können. Das wird ihr nicht gelingen. Deswegen bleibt die gemeinsame Verantwortung für die Entsorgung auch ihr Problem. Ich finde es schon beachtlich und bezeichnend, daß dazu von den Regierungsparteien heute morgen kein Wort gesagt worden ist. So werden Sie mit diesem schwierigen Thema nicht fertigwerden.
Nun gibt es von Herrn Rexrodt immer die Aussage, auch er wolle Energie sparen. Nur, all das, was beweisen könnte, daß wir ohne Kernenergie auskommen, wird von Ihnen nicht nachhaltig unterstützt und gemacht. Sie lassen vielmehr die öffentliche Förderung des Energiesparens auslaufen. Sie kürzen immer dort, wo es eigentlich angebracht wäre, mehr zu tun. Wenn Sie zum Beispiel das Stichwort Solarenergie in den Mund nehmen, dann kann ich nur lachen, denn in unserer Bundesrepublik findet gerade der Exodus der Solarenergie statt, weil wir nicht die Instrumente für ihre öffentliche Förderung zur Verfügung stellen, um in der Solarenergie so zu powern, wie es diese Energiequelle eigentlich verdient hätte, meine Damen und Herren.
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Alle diese Vorschläge haben Sie nicht aufgegriffen. Alle diese Vorschläge machen Sie deswegen nicht, weil Sie in Wirklichkeit das Energiesparen nicht wollen, weil Sie in Wirklichkeit an der Kernenergie festhalten wollen. Und wer nicht energisch spart, auch mit öffentlicher Unterstützung, der kann natürlich immer den Nachweis erbringen, daß das alles nicht funktioniert. Wir fordern Sie deswegen auf, endlich unsere Vorstellungen zum Energiesparen und zu einer anderen Energiepolitik, auf die ich gleich kurz zu sprechen kommen werde, aufzugreifen.
Herr Rexrodt, ich bin jetzt ein bißchen gemein, ich weiß das.
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Wenn Sie sagen, da ist eine Technik, die ist ganz toll, die können wir exportieren, aber das können wir nur, wenn wir sie in unserem Land anwenden und entwickeln, dann müßten Sie eigentlich auch dafür sein, daß wir Waffen exportieren, denn technisch hochleistungsfähige Waffen haben wir auch. Sie dürften dann eigentlich nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen. Denn auch dies hat für unsere Volkswirtschaft ökonomische Konsequenzen, die Sie, wie ich glaube, nicht wollen. Aber Ihr Argument, daß wir Kernenergie ruhig exportieren könnten, da dies anAnke Fuchs ({14})
gesichts unseres Sicherheitsstandards auf diesem Gebiet weniger gefährlich sei als bei anderen, finde ich eine zynische Begründung. Ich fordere Sie auf, mit dieser Begründung nicht weiter Energiepolitik zu betreiben.
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- Es handelt sich um eine innenpolitische Debatte, Herr Kollege, weil Sie nicht in der Lage sind, zu lernen, weil Sie aus Tschernobyl nichts gelernt haben, weil Sie die gesamte gesellschaftliche Debatte verschlafen haben und weil Sie in der schwierigen Situation heute meinen, die Renaissance der Kernenergie verkünden zu können.
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Deswegen weise ich noch einmal auf unsere Vorstellungen hin, die wir hier wiederholt eingebracht haben: Wir haben einen ökologisch verträglichen Energieordnungsrahmen sowie ein Klimaschutzprogramm vorgelegt, mit dem die technisch und wirtschaftlich vorhandenen Energieeinsparmöglichkeiten genutzt und gefördert werden können und die Förderung erneuerbarer Energien endlich auf ganzer Breite erfolgt, wir haben ein umfassendes Ökosteuerkonzept in den Bundestag eingebracht, das zu einer schrittweisen Anhebung der Energiepreise führt und damit ausreichende Anreize zum umfangreichen Energiesparen gibt. Ohne Energiesparen ist ein Verzicht auf Kernenergie nicht möglich. Deswegen dient auch dieses Ökosteuerkonzept unserem Ziel, langfristig auf Kernenergie verzichten zu können.
Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Solarzellentechnologie vorgelegt, mit dem mittelfristig die Wirtschaftlichkeit der Sonnenenergie erreicht wird. Damit wird ein Beitrag zu einer umweltverträglichen und risikolosen Energieversorgung geleistet. Mir ist nicht klar, warum wir so viel Geld für Atomenergie ausgeben und die Nutzbarkeit und Anwendbarkeit der Sonnenenergie nicht so forcieren, daß daraus ein Exportschlager wird. Das wäre eine Aufgabe für deutsche Energiepolitik.
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Ich betone - selbst wenn Sie darüber schmunzeln -: Wir setzen uns auch für die Beibehaltung des Anteils heimischer Stein- und Braunkohle an der Energieerzeugung ein, um auf umweltverträgliche Weise die heimische Energieversorgung zu sichern. Wir haben nicht zuletzt mit unserem Kernenergieabwicklungsgesetz einen rechtlichen Rahmen vorgeschlagen, um zu einer schrittweisen Stillegung der in Deutschland am Netz befindlichen Kernkraftwerke zu kommen, ohne daß dies zu hohen öffentlichen Entschädigungsaufwendungen führen würde.
Meine Damen und Herren, ich stelle nach dieser Debatte fest, daß wir inhaltlich hinter eine Debatte zurückfallen, die wir miteinander bereits zehn Jahre lang geführt haben. Ich dachte, wir wären in unserer Gemeinsamkeit angesichts der Risiken und der Herausforderungen weiter. Gleichwohl bleiben Fragen, die auch bei unterschiedlichen Ausgangspositionen gemeinsam gelöst werden müssen. Ich erinnere an die Entsorgungsfrage. An deren Lösung müssen auch Sie ein Interesse haben. Sie werden sie nicht allein durch Weisungen an SPD-geführte Landesregierungen lösen. Deswegen fordere ich Sie auf, hierzu Ihre Vorstellungen zu nennen.
Danke schön.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Dr. Klaus Lippold das Wort.
Frau Kollegin Fuchs, ich schicke vorweg, daß der Beitrag des Kollegen Ortleb ein nachdenkenswerter und vorbildlicher Beitrag dieses Hauses war, der der Katastrophe gerecht wurde.
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Im Gegensatz dazu, Frau Kollegin Fuchs, muß ich feststellen, daß Sie in einer Art, die ich nicht nachvollziehen kann und will,
({1})
die Opfer von Tschernobyl instrumentalisieren, um hier eine innenpolitische Debatte zu führen. Ich würde mich schämen, so etwas zu tun.
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Das ist nicht der Sinn einer Debatte über die Opfer von Tschernobyl. Wir sollten aus dieser Katastrophe lernen, sollten sie aber nicht in einer solch kleinlichen Art mißbrauchen, um hieraus innenpolitische Vorteile zu ziehen.
Frau Kollegin, in diesem Hause haben Sozialdemokraten lange Jahre die Politik der Kernenergie erstens befürwortet, zweitens vorangetrieben und drittens auch die friedliche Verbreitung von Kernenergie befürwortet. Nun den Export von Kernenergie mit Waffenexporten gleichzusetzen ist zynisch. Das sollte in diesem Hause nicht passieren. Da würde Holger Börner Ihnen antworten, wenn er hier wäre, der seinerzeit für Hessen eine ganz andere Politik gemacht und dies in ganz anderer Form durch- und umgesetzt hat. Das waren noch Leute in Ihrer Partei! Aber heute stelle ich fest: kleinliches Instrumentalisieren.
Sie sollten sich schämen, Frau Kollegin!
({3})
Frau Kollegin Fuchs.
Ich hätte Anlaß, mich zu schämen, wenn Sie mich mit überzeugenden Argumenten in die Defensive geboxt hätten. Aber das, was Sie hier abgezogen haben, war aus meiner Sicht ein etwas lächerlicher Beitrag.
({0})
Sie haben ganz zu Recht darauf hingewiesen, wie die Diskussion in der Sozialdemokratischen Partei gelaufen ist. Ich habe mich heute noch einmal dazu bekannt, daß ich als Befürworterin der friedlichen Nutzung der Kernenergie aufgewachsen bin, daß ich immer gegen ihre militärische Nutzung war, und daß bei mir persönlich der Umdenkungsprozeß angefangen hat, als von den Wissenschaftlern immer wieder gesagt wurde - ohne daß dies Realität geworden wäre -, wir lösen die Entsorgungsfrage -, als uns immer wieder vorgemacht wurde: Die Sicherheitsanforderungen sind so, daß gar nichts passieren kann.
Nun frage ich Sie: Wollen wir wirklich eine Energieart weiterverfolgen, deren Auswirkungen - mein Kollege Müller hat darauf hingewiesen - nicht beherrschbar sind? Wollen wir wirklich eine Energieart weiterverfolgen, bei der wir die Entsorgung von auf Jahrhunderte weiter radioaktiv strahlenden Brennstäben nicht gelöst haben, und uns aus dieser Misere herauswinden, indem wir sagen: Dann lösen wir dieses Problem auf europäischer Ebene und erledigen die Entsorgung irgendwo in der Welt? Diese Haltung hat bei vielen in der Sozialdemokratischen Partei dazu geführt, zu sagen: Wir suchen einen Weg, die Energieversorgung ohne Kernkraft sicherzustellen.
Was ich heute morgen hier vorgetragen habe, sind unsere Perspektiven. Ich habe mein Bedauern zum Ausdruck gebracht, daß Nachdenkliches aus den Reihen von CDU und F.D.P. heute hier nicht auf den Tisch gelegt wurde, sondern daß bei Ihnen geradezu eine Euphorie für mehr Kernenergie entstanden ist. Und das ist ein Zurück gegenüber der zehnjährigen Debatte, die wir in unserem Land, in dieser Demokratie, in dieser Gesellschaft geführt haben.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Peter Paziorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Reaktorunfall von Tschernobyl ist wegen des großen Leids vieler Menschen und wegen der langandauernden Schäden in der Umwelt ein Ereignis von historischer Dimension. Die vielen Opfer mahnen, das Unglück nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Da das unbestreitbar so ist, Frau Schönberger, möchte ich den Vorwurf des Zynismus gegenüber unserer Bundesumweltministerin Frau Merkel zurückweisen.
Zehn Jahre nach dem Unglück von Tschernobyl ist das gewaltige Ausmaß der Schadensfolgen offenkundig, aber in vielen Detailpunkten leider immer noch nicht genau bekannt. Auch wenn die schlimme Situation, die gekennzeichnet ist durch Tod, Evakuierungen, Selbstmorde, Verstrahlungen und natürlich auch Milliardenschäden für die Wirtschaft in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, zutiefst betroffen macht, darf es keine einseitige Instrumentalisierung dieser Katastrophe auf Grund unwissenschaftlicher Extremaussagen auf der einen Seite, aber auch keine Verharmlosung und Verdrängung auf der anderen Seite geben.
Genau das, Frau Schönberger, war heute morgen die Linie der Rede unserer Bundesumweltministerin Frau Merkel. Es gab an keiner Stelle Ihrer Rede Anlaß, ihr Zynismus vorzuwerfen. Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen, Frau Schönberger: Nehmen Sie Ihre haltlosen Vorwürfe gegenüber Frau Merkel zurück!
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Zwei Fragen werden nach Tschernobyl immer wieder gestellt: einmal die Frage nach der Mitverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft für eine neue Energiepolitik in Osteuropa und zum zweiten die Frage, welche Konsequenzen wir hier in Deutschland aus dieser Katastrophe ziehen wollen.
Ziele unserer Strategie zur Umstrukturierung des Energiesektors in den mittel- und osteuropäischen Staaten müssen sein: die Abschaltung von gefährlichen und nicht mehr nachrüstbaren Kernkraftwerken, die Reduzierung des Risikos auf ein aus der Sicht des Westens akzeptables Maß und die Hilfe zur Selbsthilfe.
Zur Ausgangslage müssen wir feststellen, daß in den betroffenen Nachfolgestaaten noch zirka 50 Kernkraftwerke in Betrieb sind, die teilweise von überragender Bedeutung für die Versorgung einzelner Regionen mit Energie sind. Gleichzeitig müssen wir feststellen, daß viele Verantwortliche vor Ort weiter auf Kernenergie setzen, wobei die Anforderungen an die Sicherheit - im Vergleich mit unserer Haltung - teilweise unterschiedlich gesehen und auch definiert werden.
Somit sind die entscheidenden Fragen, die ich heute morgen auch an die Opposition stellen will: Wie können wir diese abweichende Haltung, die wir nicht teilen, ändern? Wie können wir erreichen, daß unsere Sicherheitsstandards von den politischen und fachlichen Entscheidungsträgern in diesen Staaten übernommen werden? Das sind doch die entscheidenden Fragen!
Dazu hat die Opposition heute morgen in all ihren Beiträgen keinen einzigen überzeugenden Vorschlag gemacht. Sie hat nur Rhetorik betrieben, aber nicht den Weg aufgezeigt, wie wir den Verantwortlichen in den osteuropäischen Staaten unsere Grundvorstellungen nahebringen können.
({1})
Dies werden wir nicht durch massiven politischen
Druck, der eventuell von einer gewaltigen Rhetorik
der Opposition hier in diesem Hause begleitet wird, ändern können. Daß eine Politikstrategie des großen öffentlichen Drucks nicht immer erfolgreich ist, das haben wir und auch die Österreicher bei der Diskussion über das Kernkraftwerk Mochovce schon erfahren.
Wenn wir vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und einigen Verantwortlichen in den osteuropäischen Staaten - das ändert sich jetzt glücklicherweise - einen tatsächlichen Sicherheitsgewinn erreichen wollen, dann müssen wir - das richtet sich an die Opposition - alles Sinnvolle tun, um eine sogenannte innere Sperre bei den Verantwortlichen für diese Anlagen - die vielleicht auch durch eine völlig maßlose Rhetorik hervorgerufen wird - zu vermeiden.
Frau Fuchs, Sie haben nicht zwischen dem Export von Waffen, bei denen wir nicht im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft den späteren Einsatz kontrollieren können, und dem Export von Kernenergie zum Zwecke friedlicher Nutzung im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft, bei der wir auch Vereinbarungen hinsichtlich des Einsatzes treffen, differenziert. Wenn Sie heute morgen noch nicht einmal in der Lage sind, die Unterschiede hinsichtlich der Einsatzkontrollen darzulegen, dann ist das inhaltlich und intellektuell beschämend. Das muß ich Ihnen an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen.
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Das ist der Unterschied, den Sie nicht herausgearbeitet haben.
Sicherheitspartnerschaft - das will ich Ihnen noch sagen - bedeutet konkrete Zusammenarbeit, den Austausch von Wissen und Information, keine Bevormundung. Eine echte Sicherheitspartnerschaft bedeutet auch, daß wir den rhetorischen Hammer, den wir manchmal innenpolitisch benutzen, zur Seite legen und im Sinne des Aufbaus von Partnerschaft mit den Verantwortlichen in diesen Staaten ganz anders argumentieren.
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Dabei spielen natürlich finanzielle Hilfen eine große Rolle. Frau Fuchs, wir können doch sagen, daß wir finanziell für die nachträgliche Sicherung der Kernenergieanlagen in den mittel- und osteuropäischen Ländern mehr getan haben als alle anderen Staaten zusammen.
Frau Schönberger, was Sie gesagt haben, stimmt doch nicht. Sie sagten, daß wir Geld nur zur Verfügung stellen, wenn es um die Nachrüstung von Kernkraftwerken geht. Wie kommen Sie überhaupt zu dieser Aussage? Sehen Sie sich doch die ganzen Erklärungen zur Ukraine an! Sehen Sie sich doch an, was die Verantwortlichen der Ukraine in den letzten Tagen gesagt haben! Wenn die Hilfen zur Umstrukturierung im Energiesektor für die Ukraine nicht vereinbart worden wären, hätte es keine Alternative zu einer Vereinbarung der Abschaltung des Tschernobyl-Reaktors bis zum Jahre 2000 gegeben. Warum haben Sie diesen Aspekt in Ihrem Redebeitrag völlig vernachlässigt? Ich weiß genau, daß Sie das wissen. Ich gebe Ihnen die Antwort: Weil das nicht in Ihre rhetorische Richtung paßt. Das ist unredlich.
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Deshalb, meine Damen und Herren: Keine falschen Aussagen zu dieser Sicherheitspolitik!
Ich möchte auch einiges zu dem zweiten Stichwort, „Politik nach innen", sagen. Die Opposition hat heute immer wieder behauptet, daß auch bei einer nur äußerst geringen theoretischen Gefahr der Ausstieg aus der Kernenergie dringend notwendig ist. Selbstverständlich wäre es unzulässig, auf Grund einer Technikeuphorie sehenden Auges in eine beträchtliche Risikolage zu geraten. Natürlich brauchen wir bei der Großtechnologie eine Technikfolgenabschätzung. Natürlich benötigen wir eine Risikoabwägung. Eine abwägende Technikfolgenabschätzung ist aber etwas anderes als eine grundsätzliche Ablehnung von Großtechnologie, was auch letztlich für den Wirtschaftsstandort eine gefährliche Innovationsverweigerung darstellte.
Deshalb sage ich ganz deutlich: In der globalen Energiepolitik und ihrer Umsetzung in vielen Staaten dieser Welt gibt es eben noch keinen Weg, der ganz ohne Risiko ist. Somit müssen wir uns daran beteiligen, das Risiko in diesen Staaten so gering wie möglich zu halten. Deshalb sage ich: Ich halte es für ethisch bedenklich, wenn sich Deutschland aus der Erarbeitung und Entwicklung sicherer Standards bei der Kernenergie verabschiedet, mit der Folge - das wäre ethisch unverantwortlich -, daß wir dadurch bei dem Ringen um eine weltweite Verbesserung von Sicherheitsstandards international handlungsunfähig würden.
Somit gilt aus meiner Sicht für uns in Deutschland: Wollen wir weiterhin die Sicherheitsstandards weltweit beeinflussen, dann dürfen wir uns aus dieser Technologie nicht verabschieden. Deutschland wird im Rahmen der internationalen Gemeinschaft nur dann ernst genommen, wenn im eigenen Land die entsprechenden Voraussetzungen weiter bestehen. Ein Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland würde das Gegenteil bewirken. Das Ergebnis wäre kein Sicherheitsgewinn, sondern ein Sicherheitsverlust. Deshalb, Frau Fuchs, auch die Sozialdemokraten sollten bitte die Blockade der Untersuchung hinsichtlich der Entsorgung in Gorleben aufgeben. Das wäre verantwortungsbewußt. Tun Sie nicht so, als ob die Entsorgung noch nicht ausreichend untersucht sei, um so zu unterschlagen, daß Sie vor Ort blockieren. Das ist eine unverantwortliche Politik.
Vielen Dank.
({5})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Anke Fuchs das Wort.
Erst einmal bedanke ich mich dafür, daß Sie immerhin unterstellen, daß ich
Anke Fuchs ({0})
rhetorisch etwas Gutes geleistet habe. Auch das ist schon etwas!
Das zweite ist: Ich möchte Sie sachlich darauf hinweisen, daß Sie offensichtlich nur den letzten Teil meiner Rede gehört haben. Angesichts der schweren - auch ökonomischen - Probleme in den mittel- und osteuropäischen Ländern müssen wir bei der Nachrüstung mithelfen, also auch das technische Knowhow anbieten. Das habe ich ausdrücklich gesagt.
Aber es gibt einen Punkt, Herr Kollege, über den Sie doch bitte mit mir nachdenken: Es ist schon eine Frage der Ethik, von welcher Grundüberzeugung aus ich Kernenergie betreibe und ob ich wirklich wie Sie sage: Jegliche Großtechnologie muß bei uns erhalten bleiben, um auch auf einem Sektor, den ich an sich nicht möchte, exportfähig zu bleiben. - Dabei sind wir unterschiedlicher Auffassung.
Wenn ich für den Ausstieg aus der Kernenergie bin, dann muß ich auch die nationale Politik so gestalten, daß ich aussteigen kann, dann muß ich im Rahmen von internationalen Vereinbarungen versuchen, diese Position durchzusetzen. Wenn ich in dieser Frage wanke, dann sind auch die internationalen Vereinbarungen, die ich treffe, andere, als wenn ich von vornherein meine Position klarmache. Ich glaube überhaupt nicht, daß die Bundesrepublik Deutschland an Einfluß und Gewicht verlieren würde, wenn wir alle miteinander eindeutig sagen würden: Wir wollen aus der Kernenergie heraus und setzen auf Energiesparen. Wir wollen alle dafür notwendigen Maßnahmen durchsetzen und schieben sie nicht beiseite, wie das die jetzige Bundesregierung tut.
({1})
Herr Kollege Paziorek, Sie können darauf antworten.
Frau Fuchs, glauben Sie denn wirklich, Sie könnten hinsichtlich neuer Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke, die wir gemeinsam für gefährlich halten, tatsächlich Vereinbarungen mit den Verantwortlichen vor Ort erzielen, wenn Sie gleichzeitig sagen, daß Sie aus der Atomenergie aussteigen wollen und auch nicht bereit sind, eine internationale Mitverantwortung bei der Entwicklung in diesem Bereich in unserem eigenen Land zu tragen? Wenn Sie das wirklich meinen, Frau Fuchs, dann bin ich der Ansicht, machen Sie uns allen in diesem Hause etwas vor, denn Ihr Weg ist vor dem Hintergrund der Entwicklung in den Staaten Osteuropas absolut unrealistisch.
({0})
Ich erteile der Abgeordneten Michaele Hustedt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Paziorek, das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir halten es für ethisch unverantwortbar, an Atomtechnologie festzuhalten. Deswegen sind wir der Meinung: Man muß so schnell wie möglich aus dieser Technologie aussteigen.
({0})
Es geht uns nicht darum, neue Sicherheitsstandards in Atomkraftwerken in osteuropäischen Ländern einzurichten, die gar nicht nachrüstbar sind. Vielmehr geht es uns darum, daß auch Ost- und Mitteleuropa aus der Atomtechnologie aussteigen. Das ist ein Unterschied. Mit diesem Ausstieg müssen wir jetzt beginnen. Selbst die Weltbank hat berechnet, daß es ökonomisch wesentlich billiger - und in kürzester Zeit möglich - wäre, diese Atomkraftwerke, insbesondere die gefährlichsten, innerhalb von zwei bis drei Jahren abzuschalten und sie durch Gaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung zu ersetzen. Das wäre billiger als die Nachrüstung, die nicht die Sicherheit bringen kann, die Sie sich erhoffen.
({1})
Aus meiner Sicht haben sich die Mitglieder der Bundesregierung in dieser Debatte wieder als hochideologische Pro-Atom-Fanatiker dargestellt.
({2})
Ich möchte noch einmal daran erinnern: In dieser Republik gibt es spätestens seit Tschernobyl eine große Mehrheit, die für den Ausstieg aus der Atomtechnologie ist. Ich frage Sie noch einmal nachdrücklich: Was ist das für eine Demokratie, in der die Mehrheit mit diesem Risiko, das unser Leben und das Leben der zukünftigen Generation bedroht, nicht leben möchte, die Regierungsparteien mit Ihrer Mehrheit hier dieses Risiko aber eingehen, obwohl die Mehrheit der Menschen in unserem Land dagegen ist? Was ist das für ein Verständnis von Demokratie?
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Wenn Herr Rexrodt von den Optionen und der Freiheit der zukünftigen Generation redet, dann frage ich Sie: Was ist denn das für eine Freiheit, die die zukünftige Generation hat, wenn wir ihr tonnenweise radioaktiven Müll hinterlassen? Sie hat dann gar keine andere Wahl mehr als die, mit diesem Müll zurechtzukommen.
({4})
Hat denn die zukünftige Generation durch die Art und Weise, wie wir heute Atomtechnologie betreiben, noch die Wahl, ohne Radioaktivität zu leben? - Nein, sie hat sie nicht. Deswegen ist der Verweis auf die Freiheit der zukünftigen Generation zynisch und von uns in keiner Weise zu akzeptieren.
Ich würde hier im Bundestag gerne einmal eine Debatte erleben, in der zwei Minister hocheuphoMichaele Hustedt
risch, wie Frau Fuchs richtig sagte, und engagiert in der gleichen Weise wie für die Atomkraft für die regenerativen Energien kämpfen.
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Es ist doch völlig albern, wenn Herr Rexrodt das Förderprogramm für regenerative Energien anführt. Es ist ein winzig kleines Programm. Ich erinnere daran: Es war für 1996 bereits am 8. Januar 1996 ausgebucht und ist jetzt schon für 1997 und 1998 ebenso ausgebucht. Es brauchen keine neuen Anträge mehr gestellt zu werden.
Ansonsten gibt es in der Bundesrepublik von seiten der Bundesregierung keinerlei Initiative, um die regenerativen Energien zu fördern. ASE, der Photovoltaikhersteller, hat das Handtuch geworfen, und wir sind jetzt in einem Zustand, in dem auch die Hersteller von Windenergieanlagen in außerordentlich große Schwierigkeiten kommen. Herr Tacke mußte schon die ersten Leute entlassen. Es wird von dieser Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts getan, um diesen mittelständischen Unternehmen zu helfen.
Es wird seit Monaten, seit der gesamten Legislaturperiode eine entsprechende Regelung im Baugesetzbuch hinausgeschoben; es findet keine Einigung statt. Von daher können keine neuen Windkraftanlagen gebaut werden. Es wird nichts dagegen getan, daß die Stromkonzerne permanent - und jetzt auch noch mit einer neuen Offensive - das Stromeinspeisungsgesetz verletzen. Es wird nicht gesagt: Das Stromeinspeisungsgesetz hat sich als ein erfolgreiches Instrument erwiesen.
Das trifft deswegen zu, weil wir in fünf Jahren eine Steigerung des Anteils der Windkraft an der Energieproduktion um 1 400 Prozent geschafft haben. Es wird jetzt nicht gesagt: Das ist ein erfolgreicher Weg; wir weiten die kostendeckende Vergütung für Energie aus Windkraftanlagen im Binnenland auch auf Biogasanlagen und auf Photovoltaik, auf die Erzeugung von Strom aus Sonne, aus. Nein, es wird nichts getan. Die Bundesregierung schaut weg und hilft diesen mittelständischen Unternehmen in keiner Weise.
({6})
Sie steht Seite an Seite mit der Atom-Lobby und kämpft für diese engagiert mit zwei Ministern. Wenn es aber um die kleinen Energieerzeuger und die regenerativen Energien geht, rührt sie keinen Finger.
Ich möchte zum Abschluß sagen: Mit Ihrer sturen Haltung haben Sie einen möglichen Energiekonsens in dieser Republik verhindert - und verhindern ihn nach wie vor. Wir brauchen diesen Energiekonsens, weil die Umstrukturierung in Richtung auf eine klimafreundliche Energieversorgung eine große gesellschaftliche Reformaufgabe ist. Wir brauchen die Umstrukturierung, weil wir Investitionssicherheit für die Energieversorgungsunternehmen haben wollen. In den damaligen Gesprächen, die an Ihrer starren Haltung gescheitert sind, haben die Energieversorgungsunternehmen gesagt, sie seien zwar für Atomkraft, aber ohne Atomkraft würden die Lichter auch nicht ausgehen. Wenn es keinen breiten gesellschaftlichen Konsens gäbe, unter Einschluß auch der Grünen und der Umweltbewegung, dann wollten sie nicht weiter in den Bereich der Atomkraft investieren. Auf dieser Basis hätte man weiterdiskutieren können. Aber die Bundesregierung hat mit ihrer starren Pro-Atom-Haltung, mit der sie in diese Gespräche hineingegangen ist, jede Möglichkeit, daß es zu einem Konsens kommt, verhindert. Wenn wir damals die Möglichkeit eines Atomausstiegs zur Basis eines Konsens gemacht hätten - so wie es der verstorbene Herr Piltz ursprünglich gemeint hat, als er die Anregung für diese Energiekonsensgespräche gab -, dann wären wir heute weiter, und zwar in der Frage der Energieeinsparung und der regenerativen Energien. Dann hätten wir nämlich die gesamte gesellschaftliche Kraft auf die Förderung dieser Zukunftstechnologien konzentriert.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Paul Friedhoff.
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Ich weiß nicht, Herr Fischer, was diese Bemerkung soll. Wir können uns ein andermal darüber unterhalten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir gedenken heute, glaube ich, zu Recht dieses schwersten Unfalls in der Geschichte der Kernenergie. Es ist sehr richtig, daß wir uns hier mit dem Leid und Unglück befassen, das über die Menschen in der Ukraine gebracht worden ist, und daß wir unterstreichen, Hilfen zu geben. Deswegen befürwortet die F.D.P. auch die weiteren Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine im Rahmen des G-7-Prozesses. Wenn wir eine Bilanz ziehen, sehen wir, daß wir an vorderster Front tätig sind, was die Höhe der Hilfen angeht. Ich glaube, es ist beispielhaft, was die Bundesrepublik Deutschland hier leistet.
Dabei darf sich diese Hilfe selbstverständlich nicht allein auf humanitäre Maßnahmen beschränken, sondern es muß überlegt werden, wie man der Bevölkerung und dem gesamten Land umfassend helfen kann. Denn arme Länder sind eher bereit, große Risiken einzugehen, die dann zu solchen Katastrophen führen. Wenn dann auch noch politische Systeme hinzukommen, die so menschenverachtend sind, wie das in den sozialistischen Staaten gewesen ist, dann ist dies eine fast zwangsläufige Folge. Kollege Ortleb hat darauf in seinem Redebeitrag hingewiesen.
Das Unglück von Tschernobyl ist zum Ausgangspunkt genommen worden, die internationale Kooperation bei der Kernenergie zu verstärken. Diese Zusammenarbeit begrüßen wir ausdrücklich. Diese internationale Arbeitsteilung ist dringend erforderlich, wenn man die großen globalen Chancen nutzen, wenn man aber auch die Risiken, die von der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausgehen, bewältigen will.
Die Entwicklung der Weltwirtschaft wird - ob wir das wollen oder nicht - in den kommenden Jahren von einem steigenden Energieverbrauch geprägt sein. Wir haben in einigen Staaten, zum Beispiel auch bei uns, durch einen effizienteren und sparsameren Einsatz der zur Verfügung stehenden Energieträger das Niveau stabilisieren können. Wir befinden uns aber auf einem recht hohen Niveau. Darauf werden vor allen Dingen die Länder der Dritten Welt zusteuern, wenn sie im Rahmen der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu einem höheren Lebensstandard kommen.
Man muß davon ausgehen, daß es in Asien, Lateinamerika und in Afrika jährliche Zuwachsraten von 5 Prozent geben wird. Diese Energie muß irgendwie bereitgestellt werden. Sie wird im wesentlichen durch Kohle, Öl und in geringerem Maße durch Gas erzeugt werden. Das bedeutet unweigerlich, daß wir einen Anstieg der CO2-Konzentration in der Luft als Folge zu erwarten haben.
Klimaschutz ist deswegen zu einer Nahtstelle der Energie- und Umweltpolitik geworden. Energie- und umweltpolitisches, komplexes Denken ist zwingend erforderlich. Naturwissenschaftliche Fakten gehören dazu und können deshalb auch nicht außen vor bleiben. Ideologisches Auseinanderdividieren einzelner Energieträger und ihrer Nutzung schürt Emotionen und führt in die falsche Richtung.
Wenn man sich einmal vorstellt, was auch hier vorhin wieder über regenerative Energien gesagt worden ist - Frau Hustedt hat das ja ebenfalls verkündet -, muß man zur Kenntnis nehmen, daß die Brennstoffkosten für eine Kilowattstunde zum Beispiel bei der Nutzung der Solarenergie fast 100 mal so hoch sind wie sonst.
({0})
- Ja, das hat etwas mit Naturgesetzen zu tun.
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Aus dem Grunde können Sie mich nicht überzeugen, daß Sie mit politischen Methoden die Naturgesetze außer Kraft setzen können, wie das gelegentlich von Ihnen vorgetragen wird.
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Im Gegensatz zu Ihnen betreibe ich zwei Windkraftanlagen, und ich weiß, daß diese Anlagen eben nicht mit drei oder vier Pfennig pro Kilowattstunde auskommen, sondern, daß sich die Kosten in der Größenordnung von 20 bis 30 Pfennigen bewegen und schon subventioniert sind; denn die Herstellung bzw. der Kauf solcher Anlagen wird ja entsprechend gefördert.
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Aus diesem Grunde, Herr Fischer, müssen wir dabei auf dem Boden bleiben und sollten nicht einfach behaupten, was in der Realität überhaupt nicht richtig ist.
Die F.D.P. befürwortet die weitere friedliche Nutzung der Kernenergie, und dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der notwendigen Anstrengungen zur Reduktion der klimabeeinflußenden CO2- Emissionen. Das gesetzliche Reduktionsziel der Bundesregierung ist ehrgeizig und verlangt größte Anstrengungen. Die F.D.P. ist überzeugt von der Richtigkeit dieses Weges.
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Die Kernenergie ist jedoch nur verantwortbar, wenn die Sicherheit oberste Priorität hat. Die F.D.P. will die Option für eine künftige Nutzung der Kernenergie mit dieser Prämisse offenhalten. Sie gehört für uns zu den wesentlichen Gestaltungselementen eines energiepolitischen Gesamtkonsenses, der die höchsten Sicherheitsstandards für die friedliche Nutzung der Kernenergie festschreibt und damit auch die Chance bringt, mangelnde Akzeptanz in diese Technologie zurückzuerobern.
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Meine Damen und Herren, Kernenergie in Deutschland ist heute beherrschbar und verantwortbar dank mehrfach redundanter Sicherheitssysteme, auf Grund ständiger Überprüfung durch unabhängige Gutachter und kontinuierlicher Nachrüstung, durch strenge Genehmigungsverfahren und auf Grund technisch hochqualifizierten Personals. Dies wollen wir uns nicht nehmen lassen. Wir wollen hier keinen Weg zurück, der eben zu mehr Unsicherheit in dieser Welt führt.
Fundamentale Unterschiede tun sich weiterhin bei einem Vergleich deutscher und russischer Reaktoren auf. Die dortige Nutzung der Kernenergie wird auch heute noch zum Teil äußerst riskant und mangelhaft betrieben. Gefahren für die Menschheit gehen von diesen Reaktoren auch weiter aus. Hier müssen wir unseren Beitrag leisten, hier liegt unsere Verantwortung. Gerade weil wir in der Sicherheit von Kernkraftwerken führend sind, müssen wir diese vorhalten und denjenigen unser technisches Know-how zur Verfügung stellen, die es so dringend brauchen.
Nur durch solche gemeinsamen Schritte, durch länderübergreifende Kontakte und Hilfen können wir unsere großen internationalen Energie-, aber auch Klimaschutzaufgaben lösen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Professor Erika Schuchardt.
Herr Präsident! Verehrte Parlamentskollegen! Liebe Zeitzeugen! Gibt es wohl ein geeigneteres Forum als unser Parlament, den Stimmen der von Tschernobyl betroffenen Menschen öffentlich Gehör zu verschaffen? Diese Stimmen sind es, die in allen - teilweise absurden - Zahlenspielen um Opfer oft ungehört verhallen. Aus den Leiden dieser Menschen entspringt unsere Sorge um die Sicherheit der Reaktoren im Osten, mit denen sich die vorausgegangenen Redner in ihren Beiträgen befaßt haben.
Der Entschließungsantrag der Koalition konnte auf diese Frage noch nicht im einzelnen eingehen. Darum bestand bei uns Einigkeit darüber, daß ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion innerhalb der Plenardebatte auf dieses Thema eingehe. Um das in Solidarität mit den betroffenen Menschen von Tschernobyl zu tun, teile ich meine Redezeit und leihe ihnen vorübergehend meine Stimme.
Da ist Tatjana, ein 14jähriges Mädchen aus Belynitschy, Weißrußland:
Das Grausamste ist für mich die Veränderung meiner Eltern: Sie sind so seltsam geworden, sie sitzen da, als wären sie überhaupt nicht da, apathisch, krank, desorientiert, ängstlich, unsicher, ohne Vertrauen, ohne Hoffnung. Wissen Sie, sie wurden zu oft belogen. Sie warten, aber sie wissen nicht, worauf sie warten, sie haben vergessen, daß niemand auf sie wartet.
Eine Frau aus Gomel, Weißrußland, Mutter von vier Kindern, 45 Jahre alt:
Wissen Sie, das Schlimmste im Leben ist das Gefühl, falsch informiert, getäuscht, belogen und schließlich vergessen zu sein. Dazu kommt das Verlassensein - auch von den eigenen Freunden, die, Sie wissen es ja, umgesiedelt worden sind. Wir, die wir geblieben sind, kommen uns vor wie lebendig begraben. Verstehen Sie, darum brauchen wir Hoffnung. Eine Fahrt ins Ausland ist wie ein Licht, das dort angezündet wird, und das, wenn es wieder zurückkommt, die Dunkelheit erhellt.
Ein 17jähriges Mädchen, Irina aus Mogilov:
... wir verraten unseren Jungen nicht, von woher wir kommen ... sonst würde keiner von ihnen mit ,so einer' so einfach ,gehen' ... Geschweige denn es mit solch einer ,ernst meinen' ... Die meinen, wir würden sie beim Küssen anstecken ... und natürlich später Mißgeburten zur Welt bringen . . .
Eine Schulklasse in Deutschland sagte im Rahmen eines deutsch-französischen Jugendaustausches kurzfristig die geplante Begegnung mit der belarussischen Gruppe ab. Die Begründung:
Die Angst vor ,radioaktiver Ansteckung' durch die belarussischen Kinder ist so groß, daß wir jede Begegnung vermeiden wollen.
Diese Stimmen der Kinder und ihrer Eltern aus Tschernobyl sowie aus Deutschland sind Mosaiksteine dessen, was ich als Erkenntnisse aus über 1 500 Befragungen und Interviews in den letzten sechs Jahren meiner Forschungsarbeit rund um Tschernobyl gewonnen habe. Ich war in den entlegensten Dörfern Weißrußlands und der Ukraine, habe mit den Menschen Tisch und Ofenbett geteilt, um Verdrängtes, ja Verborgenes wieder ans Licht zu bringen.
Die wichtigste Erkenntnis: Unabhängig von allen faktischen Zahlen besteht ein lebenslang vorhandener psychosozialer Streßfaktor, ausgelöst durch den Reaktorunfall, der unerbittlich forderte, mit Tschernobyl leben zu lernen. Insofern unterscheidet sich Tschernobyl deutlich von anderen Katastrophen. Es handelt sich nicht um eine punktuelle, sondern um eine lebenslange permanente Katastrophe.
Dieser psychosoziale Streßfaktor ist erstmalig vor zwei Wochen auf der internationalen TschernobylKonferenz in Wien - ausgerichtet von IAEO, WHO und EU - definiert und anerkannt worden, und zwar als die eigentlich grausame Hinterlassenschaft. Frau Ministerin Merkel hat sich diese Erkenntnis in ihrer Abschlußrede dankenswerterweise zu eigen gemacht und festgestellt, daß die Auswirkungen des Unglücksfalls im gesellschaftlichen Bereich bisher unterschätzt worden sind.
Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Entschließungsantrag ein erster Schritt. Ich wünsche mir, daß es uns gelingt, daß wir in allen zuständigen Gremien die notwendigen komplementären Schritte zur lebensverändernden psychosozialen Hilfe konkretisieren; denn angesichts des Streßfaktors können die Menschen nicht warten, bis ihre physische Gesundheit wiederhergestellt ist, um dann erst an die Verarbeitung ihrer psychosozialen Krise zu denken.
Sie brauchen nicht länger den Fisch, sie brauchen die Angel und Menschen, die sie angeln lehren helfen. Sie brauchen vorrangig Konzepte einer psychosozialen Hilfe durch Begegnung, Bildung und Begleitung, und zwar analog auswärtiger Kulturpolitik selbstverständlich nicht länger als eine Einbahnstraße von West nach Ost, sondern als Doppelbahnstraße, als Austauschprogramme zwischen Kindern mit ihren Familien und mit allen Menschen guten Willens.
({0})
Der in diesem Zusammenhang oftmals leichtfertig zitierte Kulturschock, von dem angeblich jene Kinder aus Tschernobyl bei ihren Aufenthalten im Westen betroffen werden sollen, ist ein Phantom; ein Phantom der künstlichen Mauern in den Köpfen deDr. Erika Schuchardt
rer, die statt möglicherweise systemverändernder Begegnung ausschließlich die Devisen im Land sehen wollen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Unmißverständlich bezeugen sie das Gegenteil: keinen KulturSchock, sondern einen Kultur-Anstoß.
Ich schließe mit einem Dank an die Gasteltern in Deutschland, die 70 000 Kindern Herz und Haus geöffnet haben, und mit einem Dank an die Kinder von Tschernobyl, die als kleine Botschafter zu uns nach Deutschland gekommen sind. Sie sind eine lebendige Mahnwache gegen das Vergessen, Verschleiern und Verdrängen - sie mahnen auch uns.
Danke.
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Zu einer Kurzintervention gebe ich der Abgeordneten Schönberger das Wort.
Frau Schuchardt, ich finde Ihre Arbeit vor Ort sehr beachtlich und bewundernswert; das gilt auch für Ihr Engagement, dem Verdrängen und Vergessen entgegenzuwirken.
Ich frage mich nur - und ich frage auch Sie -: Wo bleibt die Konsequenz in bezug auf Ihre Einstellung zum Umgang mit Atomenergie an sich, neben der psychosozialen Hilfe für die Menschen, die so schwer unter dieser Katastrophe leiden? Sie wissen das. Sie waren ja dort, haben mit den Menschen geredet, haben sie gesehen.
Eine psychosoziale Hilfe ist wichtig. Es ist sowohl wichtig, die Kinder hierher zu holen als auch drüben Aufbaumaßnahmen durchzuführen, damit es in Weißrußland zum Beispiel auch Kindererholungsheime gibt. Aber es muß doch auch eine Vorsorge, eine Prophylaxe geben, damit sich ein solcher Unfall, eine solche Katastrophe nicht wiederholen kann. Das gilt für die ganze Welt. Das gilt für Mittel- und Osteuropa, das gilt doch aber auch für die Bundesrepublik Deutschland.
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Frau Kollegin Schuchardt, Sie können antworten.
Vielen Dank, daß Sie die Frage noch einmal so zugespitzt gestellt haben.
Es ist keine Alternative zu sagen: Ich trete für die psychosoziale Hilfe für diese Menschen ein, wie ich in gleicher Weise für die psychosoziale Hilfe für arbeitslose Menschen eintrete. Wir lösen das Problem nicht dadurch, daß wir den Ausstieg aus der Atomenergie festschreiben. Wichtig ist, was Sie ansprechen: die Vorsorge zu leisten. Das geschieht erneut durch die Debatte, die wir hier soeben über drei Stunden intensiv geführt haben. Wir haben gehört, daß die notwendigen Maßnahmen getroffen worden sind.
Das geschieht auch in dem Wissen, daß wir auf die friedliche Nutzung der Kernenergie angewiesen sind und daß wir es uns, solange die Alternativen nicht ausreichen, erst langfristig werden leisten können - wie es in dem Memorandum der Ministerin angesprochen worden ist: bis zum Jahr 2000 -, die gefährlichen Reaktoren abzuschaffen.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Volker Jung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle gerne zum Ausdruck bringen, daß ich vor der Arbeit von Frau Professor Schuchardt große Hochachtung habe, aber die politischen Schlußfolgerungen leider nicht teilen kann. Man kann das auch ganz anders sehen.
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Meine Damen und Herren, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat unser Verhältnis zur zivilen Nutzung der Kernenergie grundsätzlich verändert. Wir Sozialdemokraten haben vor zehn Jahren beschlossen, aus dieser Technologie auszusteigen, weil eine Reaktorkatastrophe bis zum heutigen Tag nirgendwo auf der Welt mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Dabei waren wir uns allerdings immer bewußt, daß die Reaktoren sowjetischer Bauart keinen Vergleich mit den Sicherheitsstandards in unserem oder irgendeinem anderen westeuropäischen Land aushalten würden. Doch auch bei unseren Reaktoren gibt es keine absolute Sicherheit. Es gibt ein Restrisiko, das von niemandem ernsthaft bestritten wird. Dieses Restrisiko ist wegen des unermeßlichen Ausmaßes der Schäden, die eine mögliche Reaktorkatastrophe verursachen würde, nicht zu verantworten. An dieser Haltung hat sich nichts geändert.
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Wir haben uns allerdings auf Konsensgespräche eingelassen - das sage ich auch ganz gezielt zu den Grünen -, um einen ökologisch wie ökonomisch gangbaren Weg zur Überwindung dieser Technologie zu finden.
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Dabei haben wir auch eine ganze Reihe von Fortschritten erzielt. Niemand der Beteiligten hat nämlich am Ende grundsätzlich bestritten, daß es möglich wäre, in absehbarer Zeit auf die am Netz befindlichen Kernkraftwerke in unserem Land zu verzichten.
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Volker Jung ({4})
Und allen war klar, daß bei der bestehenden Akzeptanzkrise in unserem Land kein einziges Kernkraftwerk mehr gebaut werden wird.
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Umstritten war und ist auch bis heute, ob wir auf die Zukunftsoption verzichten wollen, Reaktoren auf einem höheren Sicherheitsniveau, das heißt sogenannte katastrophenfreie Reaktoren, einzusetzen. Dieses Thema ist ja auch noch einmal vom Bundeswirtschaftsminister variiert worden. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß wir diese Entscheidung so lange nicht treffen können, wie es diesen Reaktor nicht gibt.
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Es gibt ihn bis heute nicht. Ob es ihn jemals geben wird, darüber streiten sich die Experten. Wenn es ihn jemals geben sollte, dann ist noch völlig offen, ob dieser Reaktor überhaupt zu bezahlen und wirtschaftlich einsetzbar wäre.
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Aber der Bundeswirtschaftsminister wollte von uns, daß wir schon heute einem sogenannten standortunabhängigen Genehmigungsverfahren für den europäischen Druckwasserreaktor zustimmen, der von Siemens und Framatome überhaupt erst entwikkelt wird und von dem noch niemand sagen kann, ob er den geforderten Kriterien entsprechen wird. Diese Zustimmung haben wir nicht gegeben. Daran sind die Konsensgespräche gescheitert. Das ist die historische Wahrheit. Alles andere ist Geschichtsklitterung.
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Die mühsame Sicherheitsdiskussion, die wir in unserem Land führen, hindert aber offenbar viele unserer Nachbarstaaten nicht daran, weiterhin auf die Kernenergie zu setzen. Das müssen wir ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen. Frankreichs Stromerzeugung beruht zu über 75 Prozent, die Belgiens zu über 55 Prozent und die vieler osteuropäischer Länder zu knapp 50 Prozent auf der Kernenergie.
In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind immer noch 15 Reaktoren vom Tschernobyl-Typ am Netz. Sie werden trotz eklatanter Sicherheitsmängel weiterbetrieben, weil ein Verzicht auf diese Reaktoren die angespannte Versorgungslage in den maroden Volkswirtschaften noch weiter zuspitzen würde. Professor Birkhofer, der Chef unserer Reaktor-Sicherheitskommission, hat diese Reaktoren einmal als „Zeitbomben" bezeichnet. Deswegen war der Moskauer G-7-Gipfel ein Rückschritt.
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Vor vier Jahren hatten die Teilnehmer des G-7- Treffens in München - meine Kollegin Fuchs hat das vorhin erläutert - noch eindeutig festgestellt, daß die RBMK-Reaktoren und die älteren WWER-Reaktoren sicherheitstechnisch so mangelhaft sind, daß sie schnellstmöglich stillgelegt werden müssen.
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Lediglich bei den neueren Reaktoren des WWERTyps wurde die Chance gesehen, sie auf das westliche Sicherheitsniveau nachzurüsten. In Moskau ist aber von einer Abschaltung der RBMK- und der WWER-Reaktoren überhaupt nicht mehr die Rede gewesen. Auch diese Reaktoren sollen nun auf einen höheren Stand der Sicherheitstechnik gebracht werden, um sie langfristig am Netz zu halten.
Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, nur von der Ukraine die Zusage zu erhalten, die restlichen Blöcke des Unglücksreaktors in Tschernobyl bis zum Jahr 2000 stillzulegen. Es dürfen auch keine sicherheitstechnisch unzureichenden Ersatzbauten ans Netz gehen.
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Die restlichen 13 RBMK-Reaktoren in Litauen und Rußland müssen endgültig vom Netz genommen werden. Das gilt im Prinzip auch für die WWER-Reaktoren der älteren Generation. Alles andere ist politisch nicht zu verantworten.
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Wir wenden uns vor allem dagegen, daß die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten im Energiebereich im wesentlichen auf Maßnahmen zur Nachrüstung der Kernkraftwerke beschränkt wird. Damit versäumen wir, diesen Ländern bei der Optimierung ihrer Energieversorgung, bei der Einschränkung der Energieverschwendung und bei der Einführung ökologisch verträglicher Versorgungsstrukturen zu helfen.
Die Weltbank - das ist schon erwähnt worden - hat in einer bemerkenswerten Studie von 1993 geschätzt, daß die Nachrüstung der RBMK- und WWER-Reaktoren nicht weniger als 24 Milliarden Dollar verschlingen würde. Noch wichtiger ist nach meiner Auffassung aber die Feststellung, daß die Umrüstung der osteuropäischen Energieversorgung insgesamt deutlich weniger Mittel, nämlich 18 Milliarden Dollar, beansprucht. Über fünf Jahre gestreckt wäre das eine durchaus vertretbare Größe.
Bei dieser Schätzung sind keineswegs alle Möglichkeiten der Energieeinsparung ausgeschöpft. Wir wissen, daß in den osteuropäischen Ländern bis heute das Drei- bis Fünffache an Strom zur Erzeugung einer Einheit des Bruttosozialprodukts benötigt wird wie im Durchschnitt der OECD-Länder. Darin steckt ein ungeheures Potential, diesen Ländern bei der Stromeinsparung und auch bei der Energieeinsparung zu helfen.
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Wir fordern daher die Bundesregierung auf, diese Weltbankstudie endlich in ihre Überlegungen einzubeziehen und zur Grundlage der Verhandlungen in der G-7-Gruppe, aber auch mit den Staaten der Europäischen Energiecharta und in der Europäischen Union zu machen. Auf dieser Grundlage muß ein umfassendes und abgestimmtes Programm der enerVolker Jung ({14})
giepolitischen Erneuerung in den mittel- und osteuropäischen Staaten entwickelt werden.
Wir sollten den osteuropäischen Ländern anbieten, umfassende Nachrüstungen vorhandener fossiler Kraftwerke mit Umweltschutztechnologien zu fördern und den Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken mit dem höchsten Wirkungsgrad mitzufinanzieren.
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Dazu gehört auch die Förderung der Kraft-WärmeKopplung, der Einführung von Meß- und Regelungstechniken, der Wärmedämmung und anderer bewährter Energieeinsparmaßnahmen.
Meine Damen und Herren, Martin Urban hat dies in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" zwar überspitzt, aber im Kern richtig so formuliert:
Wenn sich im Osten nur die Erfindung des Heizkörperventils herumspräche . . ., könnte man
leicht auf sämtliche RBMK-Reaktoren verzichten.
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Wenn wir ost-westliche Joint-ventures im nicht nuklearen Bereich fördern würden, könnten wir Arbeitsplätze im Westen wie im Osten schaffen und den osteuropäischen Ländern bei der wirtschaftlichen Modernisierung helfen. Ich denke, auch in finanzieller Hinsicht wäre dieses Konzept durchaus überzeugend. Die GUS-Staaten könnten westliche Kredite teilweise in Form von Öl- und Gaslieferungen ablösen, die sie wegen der Einsparmaßnahmen für ihren eigenen Verbrauch nicht mehr benötigen.
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Wenn Sie so wollen: Dies wäre die Übertragung von Least-cost-planning auf die westöstliche Kooperation.
Wir sind der Auffassung, daß das Thema, wie man die osteuropäische Energieversorgungsstruktur umstrukturieren und effektiver machen könnte, ebenso auf den Tisch des G-7-Gipfels gehört hätte und daß die Schlußfolgerungen in angemessener Weise hätten gezogen werden müssen, damit man an den ursprünglichen Zielsetzungen hätte festhalten können.
Die Ergebnisse des Moskauer Gipfels zur Reaktorsicherheit sind eine große Enttäuschung. Zwar wird in der Abschlußerklärung des Gipfels betont, „bei der Nutzung der Kernenergie der Sicherheit absoluten Vorrang einzuräumen", aber diese Absichtserklärung muß erst noch in die Tat umgesetzt werden. Sonst bleibt sie eine Sonntagsrede wie viele vorher auch.
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Das Wort hat nun der Abgeordnete Rolf Köhne.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf einige Argumente der Regierung einzugehen. Vorweg allerdings: Frau Professor Schuchardt,
Sie haben meine Hochachtung, auch wenn ich Ihre politischen Schlußfolgerungen nicht teile.
Zu Herrn Rexrodt: Sie stellen Ihre Argumentation mit der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen völlig auf den Kopf, wenn Sie meinen, diese könnten noch frei über Atomkraftnutzung entscheiden. Mit dem radioaktiven Müll, den wir ihnen bis heute bereits überlassen müssen, werden doch zukünftige Generationen nicht mehr frei entscheiden können. Sie haben ihn nun einmal und müssen damit leben.
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- Ja, zum Beispiel.
Ganz im Gegenteil: Wenn wir heute aussteigen, bleibt es ihnen jederzeit freigestellt, in 50 oder 100 Jahren mit der Atomkraftnutzung wieder anzufangen. Die Informationen gehen ja nicht verloren. Diese Entscheidung haben sie immer noch.
Es ist zum zweiten ein billiges Argument, der Opposition vorzuwerfen, sie schüre in dieser Debatte Emotionen und Ängste. Das Risiko einer Technik ist nun einmal Schadenswahrscheinlichkeit mal Schadensausmaß. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, das Schadensausmaß - genau das hat Tschernobyl gezeigt - ist fast unendlich. Damit ist das Risiko auch fast unendlich groß.
Herr Grill, es ist unredlich, der Opposition vorzuwerfen, sie wolle fremden Völkern vorschreiben, wie sie ihre Energieversorgung bewerkstelligen sollten. Im Gegenteil: Wir wollen als positives Beispiel dienen. Wir wollen dadurch, daß wir zeigen, daß die Energieversorgung in einem Industrieland auch ohne Atomkraft möglich ist, Beispiel für ein Umdenken geben. Wir können diesen Ländern statt Sicherheitstechnik Einspartechniken und ähnliche Dinge zur Verfügung stellen. Deshalb, Herr Paziorek, ist es durchaus denkbar, daß wir international auch ohne AKWs positiv wirken können.
Last not least: Herr Friedhoff, ich rate Ihnen, einmal über den Begriff „Negawatt" und über Einsparpotentiale nachzudenken. Sicherlich ist es so, daß regenerative Energien momentan noch nicht in ausreichendem Maße und auch noch zu einem sehr hohen Preis zur Verfügung gestellt werden. Aber es gibt genügend Potentiale, Energie einzusparen. Auch in kurzer Zeit - das heißt, in einem Zeitraum von zehn Jahren - können wir rund 30 Prozent der Primärenergie einsparen. Die Techniken sind bekannt, teilweise schon seit über 20 Jahren. Darauf ist immer wieder hingewiesen worden. Es muß einfach nur einmal ein Anfang gemacht werden. Deshalb bleibe ich nach wie vor dabei: Der sofortige Ausstieg ist möglich, und er ist auch notwendig.
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Ich erteile dem Abgeordneten Ernst Hinsken das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich der Energiekonsensgespräche vor einem Jahr entsinne, dann muß ich feststellen, daß Sie, Herr Müller von der SPD, nichts dazugelernt haben: immer die gleichen Argumente, immer das Geschäft mit der Angst, immer die Forderung an die westlichen Regierungen, den osteuropäischen Ländern keine Hilfe mehr zu gewähren, wenn diese nicht schleunigst einen detaillierten Plan für die Stillegung unsicherer Reaktoren vorlegen.
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Sie, verehrte Frau Kollegin Fuchs, und auch Sie, Herr Kollege Jung, haben im Gegensatz zu heute damals sehr sachbezogene und konstruktive Vorschläge eingebracht. Es ist halt ein Unterschied, ob man in der Öffentlichkeit redet oder hinter verschlossenen Türen zusammensitzt.
Meine Damen und Herren, genau morgen vor zehn Jahren hat sich der Reaktorunfall in Tschernobyl ereignet. Dies war nicht nur wegen des großen Leids für viele Menschen und wegen der weiträumigen und langandauernden Schäden und Belastungen der Umwelt mit radioaktiven Stoffen ein Ereignis historischer Dimension. Was sonst noch alles Negatives zu verzeichnen war, wurde bereits von verschiedenen Seiten heute gesagt. Den dort betroffenen Menschen gilt unser ganzes Mitgefühl. Tschernobyl darf es nicht ein zweites Mal geben. Es ist unser Auftrag, technisch dafür alles zu tun.
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Werte Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist mir klar, daß diese Debatte von den Gegnern der friedlichen Nutzung der Kernenergie genutzt wird, um Verunsicherung, ja Hysterie zu schüren und den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie zu fordern. Mit Angst kann man halt immer wieder Stimmung machen. Die wichtigste Lehre aus Tschernobyl ist aber - hierin stimme ich unserer Bundesumweltministerin Dr. Merkel zu -: Die friedliche Nutzung der Kernenergie ist nur verantwortbar wenn die Sicherheit oberste Priorität hat. Dies ist in Deutschland der Fall. Deshalb halte auch ich die Nutzung von Kernenergie für verantwortbar und unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes sowie der Notwendigkeit der Bereitstellung preiswerter Energie für erforderlich.
Es ist doch nicht wegzudiskutieren, daß derzeit 428 Anlagen weltweit in Betrieb und 62 in Bau sind. Erst vor wenigen Tagen ging in den USA das 110. Kernkraftwerk ans Netz. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wäre ein Ausstieg aus der bei uns hochentwickelten Technologie der Kernenergienutzung ein Schildbürgerstreich.
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Wichtigste Aufgabe für uns ist es, vereint mit unseren westeuropäischen Partnern alle Anstrengungen
darauf zu konzentrieren, die bestehenden Anlagen in Osteuropa so sicher wie möglich zu machen.
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Wenn wir aber die Sicherheitsstandards beeinflussen wollen, dürfen wir uns von unserer Technologie nicht verabschieden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie treffen mit Ihrer Forderung auch nicht die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung,
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die sich in einer jüngst durchgeführten Umfrage zu 72 Prozent dafür ausgesprochen hat, die vorhandenen Kernkraftwerke in Deutschland weiter zu nutzen. Danach sagen im übrigen auch 73 Prozent der Befragten, daß sich durch den Unfall in Tschernobyl für sie selbst keine gesundheitlichen Schäden ergeben haben.
Damit ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht mißverstanden werde: Es geht mir nicht darum, jegliches Risiko der Kernenergie zu leugnen. Aber schon aus unserem ureigensten Interesse muß jedes vermeidbare Risiko auch tatsächlich vermieden werden. Deshalb muß, wie von uns im gescheiterten Energiekonsens des letzten Jahres gefordert, durch geeignete Maßnahmen die Forschung und Weiterentwicklung, die Fähigkeit zur Errichtung neuer Kernkraftwerke, erhalten bleiben.
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Damit dies möglich ist, muß weiter geforscht und weiter entwickelt werden können; jungen Wissenschaftlern muß eine Perspektive dafür geboten werden, daß sie die Ergebnisse ihrer Forschung auch nutzen können und nutzen dürfen. Schließlich wollen auch wir, daß die deutsche Kernkraftwerkstechnologie - die beste und sicherste der Welt - auch künftig noch eine Chance auf den Weltmärkten hat.
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Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie von der Opposition wissen doch ganz genau, daß in den nächsten Jahrzehnten ein Ausstieg aus der Kernenergie unvorstellbar ist. Der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung liegt derzeit bei rund 33 Prozent. Wind- und Wasserkraft sind zu vier Prozent an der Energiegewinnung beteiligt. Bis zum Jahr 2010 können es sechs oder sieben Prozent sein. Demnach käme als Ersatz kurzfristig nur die Verstromung von Kohle - und zwar aus volkswirtschaftlichen Gründen von Importkohle - in Frage. Dazu bräuchten wir rund 32 neue 700-Megawatt-Steinkohleblöcke.
Ich frage deshalb: Wie wollen Sie den zusätzlichen CO2-Ausstoß dieser Kraftwerke vor dem Hintergrund einer drohenden Klimakatastrophe eigentlich rechtfertigen? Sie, meine Kollegen von der SPD, müssen doch Ihre Vorstellungen den Realitäten anpassen
und nicht die Realitäten so zurechtzimmern, daß sie zu Ihren Vorstellungen passen.
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Leider ist festzustellen: Es gibt kein Land, das in einer so wichtigen Frage der Gesellschaft so tief greifend gespalten ist wie unsere Republik.
Herr Kollege Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schönberger?
Ich möchte meine Rede zunächst zu Ende führen, und wenn mir die Zeit noch bleibt, Herr Präsident, bin ich gern bereit, auf Fragen einzugehen, ganz gleich, von welcher Seite sie gestellt werden.
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Das zeigen die jüngsten Auseinandersetzungen um den Castor-Transport nach Gorleben. Ich bin davon überzeugt, daß wir auf Dauer einen Energiekonsens und einen gesetzestreuen Vollzug der Atomgesetze brauchen; denn wir können uns diese fundamentale Zerstrittenheit langfristig nicht leisten. Für den Standort Deutschland, für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft ist es eine Überlebensfrage, daß wir für dieses Problem eine Lösung finden.
Lassen Sie mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch deshalb, weil künftige Generationen vor dem Hintergrund der nicht zuletzt von Ihnen immer wieder als Horrorszenario an die Wand gemalten Klimakatastrophe die CO2-freie Kernenergie einmal völlig anders bewerten, als Sie dies derzeit tun, einige Zahlen nennen, die vielleicht auch Sie nachdenklich stimmen - ich habe ja die Hoffnung nicht aufgegeben -: Stammten die 500 Milliarden Kilowattstunden, die zum Beispiel bisher in den fünf Kernkraftwerken meines Heimatlandes Bayern erzeugt wurden, aus Kohlekraftwerken, wären hierdurch zusätzlich 500 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen worden.
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Diese vermiedenen CO2-Emissionen wirken sich so aus wie vier Jahre ohne Pkw-Verkehr in der gesamten Bundesrepublik Deutschland.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Entscheidung für die Kernenergie hat sich - jedenfalls ökonomisch und ökologisch - als richtig erwiesen. Solange es keine gleichwertigen Alternativen gibt, sind wir der Auffassung, daß es in Deutschland Kernenergie geben muß.
Die eigentliche Bedeutung der Kernenergie liegt aber zweifellos in der globalen Energieversorgung. Die Grundprobleme, die dort in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu lösen sind, bestehen bei stark wachsendem Weltenergiebedarf erstens in der Endlichkeit fossiler Energieträger und zweitens in der CO2-Problematik. An diesen beiden Grundproblemen werden sich langfristig alle Überlegungen zur Lösung der Zielkonflikte im Energiebereich und alle
Kontroversen messen lassen müssen. Nur mit Kernenergie werden wir diese Probleme auch einer Lösung zuführen können. International - und das ist bemerkenswert - ist dieses bereits längst erkannt worden, wie es beispielsweise der starke Ausbau der Kernenergie im ostasiatischen Raum zeigt.
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Es ist klar, daß die Kernenergie nicht die alleinige Antwort auf alle Fragen ist. Sicher liegt der Schlüssel auch im rationellen Umgang mit Energie, in neuen Energiequellen, in Spitzenforschung und Spitzentechnologien. Energiepolitik muß sich aber stets auch an den Zielen einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung orientieren, die auch künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität sichert.
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Noch eines, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir haben in Deutschland zur Zeit mehr als 4 Millionen Arbeitslose und ein zu geringes Wachstum. Die Arbeitslosigkeit ist ohne Frage eine Geißel der Menschheit im ausgehenden 20. Jahrhundert. Dies ist nicht zuletzt eine Folge davon, daß wir in vielen Zukunftstechnologien leider nicht mehr in der ersten Liga spielen, weil wir vielfach unsere Forschungsergebnisse nicht in zählbare wirtschaftliche Erfolge ummünzen können. Dies gilt leider auch für die Kernkraftwerkstechnologie, wo Spitzenleistungen wie der Schnelle Brüter oder der Hochtemperaturreaktor, aber auch die Mischoxidbrennelementeanlage in Hanau wegen des ausstiegsorientierten Gesetzesvollzugs aufgegeben bzw. gar nicht erst in Betrieb genommen wurden. Nicht nur daß hier Kapital in Milliardenhöhe vernichtet wurde, hier gingen auch Tausende von hochqualifizierten Arbeitsplätzen verloren, und für unsere Jugend wurden leider Zukunftsperspektiven verspielt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Lassen Sie mich deshalb zusammenfassend feststellen: Der Ausstieg aus der Kernenergie wäre gerade auch am Vortag des 10. Jahrestages der schrecklichen Katastrophe von Tschernobyl unter ökologischen, ökonomischen und Sicherheitsaspekten sicher die falsche Antwort. Wir müssen uns in Deutschland die Fähigkeit zum Bau neuer Kernkraftwerke erhalten, damit wir unsere Sicherheitsstandards auch den Staaten anbieten können, die nicht im Traum daran denken,
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
- auf die friedliche Nutzung der Kernenergie zu verzichten.
Ich bedanke mich.
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Ich erteile dem Abgeordneten Klaus Lennartz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die zurückliegenden Debatten anläßlich dieses traurigen Ereignisses vor Augen führe, sehe ich stets dasselbe Bild. Die Bundesregierung äußert tiefe Betroffenheit über die zahlreich zu beklagenden Opfer von Tschernobyl, nutzt aber gleichzeitig ihre Redezeit, um ihr Festhalten an der Atomenergie um jeden Preis zu rechtfertigen.
({0})
Es hört sich in der Tat wie blanker Zynismus an, wenn auf der einen Seite die tödlichen Folgen atomarer Nutzungen am Beispiel Tschernobyls in ihren schrecklichen Ausmaßen bedauert werden, auf der anderen Seite aber die Atomenergie von der Regierung nachhaltig befürwortet und gefordert wird und - wie wir in dem letzten Beitrag gehört haben - die Gefahren auch noch absolut verniedlicht werden, meine Damen und Herren.
({1})
Bei allem Mitgefühl, Frau Kollegin Schuchardt, für die Opfer und allem Verständnis für Ihre Betroffenheitsäußerungen in der Gesamtheit: Betroffenheit allein reicht nicht aus. Den vielen Worten müssen auch die Taten folgen.
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Mit dem letzten G-7-Treffen mußten wieder einmal alle Hoffnungen auf einen Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergie begraben werden. Die nukleare Bedrohung findet weiter statt, und dies an 434 Standorten dieser Welt. 62 weitere Standorte sind im Bau. Gerade weil die Nuklearenergie technisch und menschlich nicht beherrschbar ist, muß die atomare Bedrohung beendet werden. Wer übernimmt die Verantwortung für die zukünftigen Generationen, meine Damen und Herren?
Die Verantwortung für künftige Generationen, von der Ethiker und Politiker, gerade heute morgen von der CDU, gesprochen haben oder gern reden, war in der bisherigen Geschichte die Sache der Menschheit noch nie. Wann hat es diese langfristige Verantwortung gegenüber den Generationen je gegeben? Statt dessen setzen die G-7-Staaten ihre traurige Tradition weiter fort und versperren den Ländern in Osteuropa und den Schwellenländern den Weg aus der Atomenergie.
Wir brauchen ein europäisches Programm, dessen Ziel die weltweite Sanierung der Stromversorgung ist, um die Menschheit endlich von der Fessel, ja von der gefährlichen Geißel der Atomenergie zu befreien. Dazu müssen, auch von der EU, zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Dies kann zum Beispiel auch durch die Streichung überflüssiger Subventionen erreicht werden. Ich denke dabei beispielsweise auch an den Agrarmarkt. Hierbei sind aber auch die Weltbank und die Osteuropabank gefragt.
Meine Damen und Herren, damit wir uns bitte richtig verstehen: Wir reden hier nicht von Pfennigbeträgen, sondern von Finanzmitteln in Milliardenhöhe, die den Schwellenländern den Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in andere, sichere Energieträger zu wirtschaftlichen Preisen ermöglichen.
Wir alle wissen, welches enorme Energieeinsparungspotential im Osten brachliegt, dessen Nutzbarmachung nicht zuletzt durch deutsches Know-how erst ermöglicht werden kann. Doch was macht diese Bundesregierung? Sie verschleudert dreistellige Millionenbeträge für die Sanierung maroder Atomkraftwerke, ohne eine Perspektive für eine sichere Energiezukunft aufzuzeigen.
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Wer die Debatten in den letzten Jahren hier verfolgt hat, der weiß, daß Übereinstimmung in diesem Haus darüber besteht, daß manche Atomkraftwerke absolut nicht zu sanieren sind. Finanzmittel werden sinnlos hierfür ausgegeben, anstatt sie weltweit auf andere, regenerative Energien zu fokussieren. Nennen Sie das eine zukunftsorientierte, zukunftssichere und umweltverträgliche Politik?
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, die Notwendigkeit der Sanierung dieser Atomkraftwerke in Zweifel zu ziehen, sondern es geht darum, diesen Ländern überhaupt eine Chance zum Ausstieg aus der Atomenergie zu ermöglichen. Dazu brauchen wir eine europäische Initiative zur Sanierung der osteuropäischen und russischen Stromversorgung, die eng mit einer Stillegung dieser Kraftwerke verbunden sein muß. Aber wo bleibt das europäische strategische Gesamtkonzept, das vorsieht, nach dem Beispiel Dänemarks, Schwedens und anderer Länder den Ausstieg aus der Atomenergie voranzutreiben? Die Menschen hier und auch anderswo wollen doch diesen Ausstieg. Sie wollen nicht mehr der Gefahr, die sich in Tschernobyl aufs Schrecklichste bestätigt hat, ausgeliefert sein. Aber die rückwärtsgewandte Energiepolitik der führenden Industrienationen zwingt die Schwellenländer, weiter an dieser Atomenergie festzuhalten und weitere Atomkraftwerke zu bauen, weil erst gar keine alternativen Technologien gefördert werden, und zwar in einem Umfang, der den praktischen und auch wirtschaftlichen Einsatz zuläßt. So ist es auch, Herr Rexrodt und Frau Merkel, auf die politische Willenlosigkeit der Bundesregierung zurückzuführen, daß bisher keine Wende in der Energiepolitik herbeigeführt wurde.
Meine Damen und Herren, keine politischen Signale sind in diesem Falle auch Signale, allerdings mit verheerenden Folgen. Das immerwährende Ritual derartiger Debatten - Rede, Gegenrede - hilft uns und vor allem den nachfolgenden Generationen nicht, der atomaren Bedrohung zu entkommen.
Wir müssen intelligente Brücken aus Deutschland heraus schlagen, die den weltweiten Ausstieg aus der Atomenergie durch mehr umweltverträgliche
Energietechniken wie aus Sonne, Wind und aus Wasser ermöglichen. Damit sichert sich Deutschland nicht nur diesen gewaltigen Zukunftsmarkt, sondern auch Optionen auf zukunftssichere Arbeitsplätze. Denn auch für diese Regierung gilt: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Märkte.
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Eine solche innovative Energiepolitik muß auch eine Energieeffizienz-Revolution bewirken und muß auf vier Grundpfeilern stehen: Energieeinsparung, Förderung erneuerbarer Energien, schonende Nutzung fossiler Brennstoffe mit moderner Umwelttechnologie, Verzicht auf Atomenergie.
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Das funktioniert aber nur, wenn die regenerativen Energien von der Bundesregierung die Förderung bekommen, die den praktischen und wirtschaftlichen Einsatz zur Folge hat, und damit in vielen Ländern eingesetzt werden können.
Eine weitere wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung regenerativer Energien muß ein Stromeinspeisungsgesetz sein, das diese politischen Ziele auch unterstützt. Herr Minister Rexrodt, Ihre Aufgabe wäre es, mit dafür zu sorgen, daß alle EVUs in ein derartiges Programm mit einsteigen, daß hier Mittel zur Verfügung gestellt werden, die diese Technologie weiter nach vorne treiben und ermöglichen, daß damit auch Exporte durchgeführt werden können.
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Wenn wir diesen Weg nicht gehen, versperren wir uns und den Schwellenländern alle Optionen auf einen Ausstieg aus der Atomenergie. Wer heute nicht handelt, trägt die Verantwortung für ein zweites Tschernobyl - wo immer es auch sein mag. Deshalb müssen wir heute mit dem Einstieg in ein neues Energiezeitalter beginnen, um morgen das Atomzeitalter überwinden zu können.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile dem Abgeordneten Hans-Otto Schmiedeberg das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch nach einem Zeitraum von zehn Jahren hat der Unfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl seine schockierende Bedeutung nicht verloren. Dieser Unfall machte deutlich, daß Fragen der Reaktorsicherheit im Ausland - auch in Deutschland - eine lebenswichtige Rolle spielen. Die meisten unserer Nachbarländer betreiben Kernkraftwerke. Wegen der weitreichenden Folgen eines Reaktorunfalls ist der Sicherheitsstandard dieser Anlagen für Deutschland von essentieller Bedeutung.
Der Unfall von Tschernobyl führte zu einem länderübergreifenden Informationsaustausch über den
Stand von Wissenschaft und Technik auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Unfallanalyse ist die Notwendigkeit einer von allen Kernenergiestaaten anerkannten und praktizierten Sicherheitskultur.
Eine ganz besondere Rolle kommt dabei den multilateralen Organisationen wie der Internationalen Atomenergieorganisation, der OECD und der EU zu, in denen deutsche Fachleute gestützt auf den anerkannten guten Stand der Kerntechnik die Formulierung von Inhalten internationaler Sicherheitsstandards wesentlich mitbestimmen.
Darüber hinaus ist die deutsche Erfahrung die Grundlage für eine lange und erfolgreiche Kooperation mit osteuropäischen Staaten. Diese Erfahrung gründet nicht zuletzt auf das langjährige Forschungsprogramm „Reaktorsicherheit" im Forschungsministerium. Das Programm beschäftigt sich in erster Linie mit der Förderung von FuE-Projekten zu grundlegenden Fragestellungen, an deren Beantwortung ein staatliches Interesse besteht.
Die Projekte liegen zwar außerhalb der Ressortaufgaben des Bundesumweltministeriums; sie treiben jedoch mit zukunfts- und innovationsorientierten Ansätzen den Stand von Wissenschaft und Technik voran.
Das wichtigste Ziel der Kooperationen besteht darin, das Fachwissen in osteuropäischen Partnerländern weiter zu stärken. Durch die Zusammenarbeit haben die Wissenschaftler der beteiligten Länder die Möglichkeit, sich mit deutschen Analysen und Bewertungsmethoden vertraut zu machen. Auf dieser Grundlage können sie eigene Sicherheitsbewertungen durchführen bzw. die Wirksamkeit von Nachrüstungsmaßnahmen in osteuropäischen Kernkraftwerken prüfen.
Im Zusammenhang mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl wird von der Opposition immer wieder die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke angezweifelt und der Ausstieg aus der Kernenergie gefordert. Die Untersuchungen des Unfalls bestätigen jedoch eindeutig, daß sich die technische Auslegung der deutschen Reaktoren grundsätzlich von der des Tschernobyl-Reaktors unterscheidet.
Die Gewährleistung des Sicherheitsstandards deutscher Reaktoren ist verantwortbar.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die international durchaus positive Bewertung der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke hinweisen. Seit Beginn der 80er Jahre befinden sich im internationalen Vergleich der Betriebsergebnisse jeweils drei bis sieben deutsche Kernkraftwerke auf den ersten zehn Plätzen. Wie jede andere Technik lebt auch die Reaktortechnik von neuen Entwicklungen. Nur durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung können neue Erkenntnisse für vorhandene Anlagen gewonnen werden.
Daher ist die Option für eine neue, inhärent sichere Kernkraftwerksgeneration in Deutschland von großer Bedeutung.
Das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt zum Bau eines europäischen Reaktors ermöglicht es, die Sicherheitsziele des Artikelgesetzes weit über Deutschlands Grenzen hinaus wirksam werden zu lassen. Durch dieses Projekt bekommt die deutsche Reaktorforschung die Möglichkeit, den Anschluß an die internationale Entwicklung zu halten.
Besonders vor dem Hintergrund einer notwendigen drastischen CO2-Reduzierung muß die Kernenergie Bestandteil eines Energiemixes in Deutschland bleiben. Die deutsche Stromerzeugung beruht zu zirka 55 Prozent auf Kohle. Dieser Anteil besteht annähernd zur Hälfte aus Braunkohle und aus Steinkohle. Der Rest teilt sich wie folgt auf: 34 Prozent Kernenergie, 5 Prozent Erdgas, 5 Prozent Wasserkraft und ungefähr 1 Prozent Wind und Biomasse. Der Anteil der Stromerzeugung aus photovoltaischen Anlagen beträgt lediglich 0,001 Prozent.
({0}) - Nein, das wird nicht so bleiben.
Diese Zahlen machen doch eigentlich deutlich, daß es auch in Zukunft ohne Kohle und Kernenergie nicht gehen wird.
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Auch die Ergebnisse einer Prognos-Studie über einen Ausstieg aus der Kernenergie in Niedersachsen haben dies bestätigt. Ein Ausstieg ohne einen Anstieg der CO2-Emissionen in Niedersachsen ist nicht möglich.
Die Hoffnung, daß die Solarenergie schon bald eine entscheidende Rolle im Kampf gegen drohende Klimaveränderungen einnehmen wird, ist illusorisch. Die hohen Mehrkosten und die beschränkte Verfügbarkeit zwingen uns, die Leistungsfähigkeit der Photovoltaik nüchtern einzuschätzen.
Im Kampf gegen den Treibhauseffekt kann die Sonnenenergie nur eine langfristige Lösung mitgestalten. Vor übertriebenen Erwartungen müssen wir uns hüten, da diese enttäuscht werden und somit der Photovoltaik Schaden zugefügt wird.
Für den Kampf gegen den Treibhauseffekt verbleiben nur das Energiesparen in allen Bereichen, die Kernenergie und langfristig der Ausbau regenerativer Energien.
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Ich erteile das Wort der Abgeordneten Marliese Dobberthien.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zehn Jahre Tschernobyl -ein Tag des Gedenkens, der mahnenden Reden, der Leitartikler? Ist das wirklich alles? Vor zehn Jahren wurde das bis dahin Unvorstellbare wahr. Wir sehen heute das Leid der Menschen, die in den verseuchten Gebieten noch immer oder wieder leben, und wir erahnen, was ein GAU für zukünftige Generationen bedeutet: mißgebildete Babys, schmerzhafte und tödliche Krankheiten, zerstörte Zukunftshoffnungen einer ganzen Generation und ihrer Kindeskinder, invalide und tote Katastrophenhelfer.
Von extrem hohen vererbbaren Mutationsraten im Erbgut von Mensch und Tier berichten zwei Forschergruppen in der neuesten Ausgabe von „Nature". Bei Feldmäusen aus der unmittelbaren Umgebung des Unglücksreaktors treten im Gen für Cytochrom b, einem Enzym für die Zellatmung, Mutationen auf, die einige hundertmal häufiger sind als normal. Schreckt das nicht auf?
Wir empfinden Mitleid und die tiefe Verpflichtung zu helfen. Vor allem fühlen wir uns verpflichtet, Auswege zu suchen. Auch noch zehn Jahre nach Tschernobyl gibt es zahlreiche Initiativen und Einzelpersonen, die sich bemühen, die Leiden der Opfer der Katastrophe zu lindern, medizinische Versorgung zu gewähren, Kindern wieder Mut zu machen und Perspektiven zu geben. All jenen, die Hilfe leisten, gilt unser größter Respekt, Dank und öffentliche Unterstützung.
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In den zehn Jahren nach dem GAU hat Europa technisch und materiell geholfen. Marode osteuropäische Atomkraftwerke wurden mit Millionensummen nachgerüstet. Eines davon habe ich besucht: Sosnowy Bor bei St. Petersburg. Frisch saniert und uns stolz vorgeführt, beschlichen mich dennoch ärgste Zweifel, denn schon im Eingangsbereich starrte uns eine defekte Steckdose an, und ein simpler Anruf aus dem Schaltzentrum des Reaktors scheiterte mangels Funktionsfähigkeit des Telefons.
So fragt frau sich, ob die unmittelbare Hilfe für die Opfer, der Dank an die Helfer und die Nachrüstung der Reaktoren die adäquate Antwort auf die Katastrophe sind. Können wir uns wirklich damit begnügen, auf diesen GAU wie auf jedes andere schwere Unglück zu reagieren: Hilfe für die Opfer, öffentliche Bekundungen und ein paar Verbesserungen technischer Art?
Rußland ist einer der großen Energieproduzenten, allerdings mit veraltetem Gerät. Russische Fachleute gestanden uns ein, daß Rußland allein durch riesige Pipelineleckagen und eine ineffiziente Technik genau diejenige Energiemenge verlorengeht, die von seinen AKWs erzeugt wird.
Wäre es nicht besser gewesen, mit den vielen EU- Geldern zum Aufbau einer besseren Erdöl- und Erdgasförder- und -transporttechnik unter Maßgabe der Stillegung der AKWs beizutragen?
({1})
Aber nein. Ein Ausstieg der GUS hätte auch die Position der deutschen und westeuropäischen Atomkraftobby sowie ihrer politischen Sprachrohre hier auf der rechten Seite ins Wanken gebracht.
({2}) So unterblieb das politisch Notwendige.
({3})
Nicht einmal sicherheitspolitische Einwände zählen. RBMK-Reaktoren wie in Tschernobyl und Sosnowy Bor sind in der Lage, waffenfähiges Plutonium zu erzeugen. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion mögen offensichtlich nicht darauf verzichten. Mag sein. Warum aber schweigt der Westen dazu und hilft sogar noch bei der Modernisierung solcher Atomkraftwerke?
({4})
Ich jedenfalls will nirgends auf der Welt den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft. Ich will auch keine anderen AKWs; denn, so gut westliche Sicherheitstechnik auch sein mag, das zentrale Problem der Endlagerung hat niemand zu lösen vermocht, auch nicht mit Castor-Transporten. Ihr heutiges Schulterklopfen, Frau Merkel, übertüncht nur die Probleme. Denn wir alle wissen: Die gefahrlose Entsorgung und Endlagerung ist kein lösbares Problem. Bis heute gibt es keine befriedigende technische, geologische oder chemische Antwort - in keinem Land dieser Welt.
Darum müssen wir in einer großen nationalen Anstrengung den geordneten Ausstieg einleiten. Dieser ist technisch machbar, wenn er politisch gewollt ist. Aber Sie wollen ja nicht. Wir müssen die Hoffnung hegen, daß die Kraft des positiven Beispiels auch Zauderer und Bedenkenträger diesseits und jenseits unserer Grenzen überzeugt. Jene politische Entschlossenheit, die zur Zeit das soziale Netz zerschneidet, wäre besser bei der Umsteuerung in der Energiepolitik eingesetzt.
({5})
Wenn Tschernobyl mehr war als ein schreckliches Unglück, wenn der Tod und das Leiden der Opfer nicht umsonst gewesen sein sollen, dürfen wir uns nicht auf Gedenktage beschränken, sondern müssen Lehren und Konsequenzen ziehen.
Wir müssen auch innehalten und uns fragen: Was passiert hier eigentlich? Was tun wir? Wie gehen wir mit Umwelt und Natur und damit letztlich mit uns selber um? Lange galt die Grundüberzeugung, daß die Gestaltung von Natur und Umwelt beliebige Eingriffe rechtfertigen würde. Der Satz „Macht euch die Erde untertan" ist vermutlich der verheerendste der Bibel.
Heute wird immer deutlicher spürbar, daß vieles von dem, was Menschen meinen tun zu dürfen, nicht mehr den Menschen dient und die Auswirkungen oft zerstörerischer Art sind. Tschernobyl konnte passieren, weil Warnungen in den Wind geschlagen wurden. Die bequeme Ausrede, menschliches Versagen sei verantwortlich, stimmt einfach nicht. Heute besteht weitgehend Übereinstimmung, daß es letztlich Systemfehler waren, welche die Katastrophe auslösten - Systemfehler, die aus einem gestörten Verhältnis zu Umwelt, Natur und Technik resultieren.
Auf den Prüfstand gehört daher unser Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen, zur Natur und zur Umwelt. Was wir ihnen antun, tun wir letztlich uns selber an. Menschlicher Hybris muß Einhalt geboten werden.
Lassen Sie uns daher heute über das Wie des Umsteuerns und nicht über seine Verhinderung nachdenken. Heutiges Handeln, das darauf gerichtet ist, einen geordneten Ausstieg anzustreben, werden uns unsere Kinder danken. Ich glaube, Visionäre braucht dieses Land, nicht energiepolitische Kleingeister à la Hinsken und Rexrodt.
({6})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Klaus Lippold das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der heutige Tag hat deutlich gemacht, daß das Gedenken an die zehn Jahre Tschernobyl wirklich - vielen habe ich die ehrliche Überzeugung abgenommen - mit einem Gedenken an die Opfer und das unsägliche Leid einhergeht, das mit dieser Katastrophe verbunden war, und daß daraus Lehren für die Zukunft gezogen werden sollen. Ich halte es deshalb - ich komme auf meine Intervention zurück - für sehr bedauerlich, daß ein Teil der Kollegen die Diskussion dazu benutzt hat, innenpolitische Fragestellungen aufzugreifen.
Ich sage insbesondere an die Adresse von Frau Fuchs gerichtet: So, meine ich, kann man mit solchen Gedenktagen nicht umgehen. Das ist nicht der nötige Stil. Man kann Opfer nicht in einer solchen Form instrumentalisieren.
({0})
Ich wiederhole meinen Dank an Herrn Ortleb. Eine differenzierte Betrachtung haben auch Kollegen aus der SPD-Fraktion vorgenommen, so etwa Herr Jung und andere. Sie haben sich mit diesem Thema sachlich auseinandergesetzt und haben die Beschreibung der menschlichen Katastrophe mit einer nüchternen Analyse verbunden.
({1})
Wir werden die widersprüchlichen Einstellungen in dieser Debatte sicherlich nicht ausräumen. Ich betone für meine Fraktion nach wie vor, daß Kernkraft verantwortbar ist und verantwortbar bleibt. Ich halte die Position der Grünen, auch wenn ich sie überhaupt nicht teile, für konsequenter und ehrlicher, die besagt: Kernkraft ist nicht verantwortbar, deshalb müssen wir sofort aussteigen,
({2})
als die Position der Sozialdemokraten, die ganz eindeutig sagen: Kernkraft ist nicht verantwortbar, aber wir bleiben aus taktischen Aspekten dabei.
({3})
Dr. Klaus W. Lippold ({4})
Ich persönlich unterstreiche: Wenn ich der Überzeugung wäre daß Kernkraft nicht verantwortbar ist, dann würde ich an diesem Pult stehen und sagen: Wir müssen aussteigen. Ich bin aber der Meinung, Kernkraft ist verantwortbar, und zwar aus dem Grund, den Sie alle deutlich angesprochen haben, ohne allerdings die Konsequenzen daraus zu ziehen. Der Kollege Müller hat auf die Klimakatastrophe hingewiesen. Wir müssen ganz einfach sehen: Wenn wir wie bislang CO2 emittieren, dann wird die Klimakatastrophe unabweisbar sein. Wir haben in diesem Bundestag genug Debatten geführt, die deutlich gemacht haben, welche verheerenden Folgen diese Klimakatastrophe für den ganzen Globus hätte und wie sehr sie insbesondere die Entwicklungsländer treffen würde. Darin haben wir übereingestimmt. Aber wenn es um Kernenergie geht, dann kann man auf einmal ruhig CO2 emittieren, weil man aus ideologischen Gründen auf den Kernkraftausstieg fixiert ist.
({5})
Sie selbst wissen aus den Untersuchungen, die Sie in Niedersachsen angestellt haben, daß beim Ausstieg der CO2-Anstieg unvermeidbar ist. Herr Kollege Müller, Ihre These wird dadurch nicht besser, daß Sie sagen: In irgendeiner fernen Zukunft werden wir dann aber weniger haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhne?
Nein. - Es geht darum, daß wir diese Linie konsequent vertreten.
In der Enquete-Kommission, Herr Kollege Müller, waren es nicht nur unions- und F.D.P.-orientierte Mitglieder, sondern auch Kollegen wie Meyer-Abich und Heinloth, die deutlich gemacht haben, daß wir aus Verantwortung für die zukünftigen Generationen die Option für Kerntechnologie bei hohem Sicherheitsstandard aufrechterhalten müssen, damit wir zukünftigen Generationen die Bewältigung der Klimakatastrophe nicht zumuten müssen.
Ich sage ganz deutlich: Sie, die Sie ansonsten den Club of Rome zitieren, wollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß er in seinem Bericht schreibt, daß die Risiken der Kernenergie zwar nicht zu leugnen sind, daß aber die Gewißheit der Klimakatastrophe ein Umdenken in dieser Frage erforderlich macht. Sehen Sie, Sie wenden sich nicht an diejenigen Experten, von denen Sie wissen müßten, daß sie den nötigen Sachverstand haben, wenn dieser Sachverstand nicht in Ihre Richtung paßt.
({0})
Frau Kollegin Hustedt, man muß ganz nüchtern sehen, daß auch die Windenergie nicht die Antwort auf diese uns alle bedrängenden Fragen geben kann.
Wenn Sie die neuesten Verlautbarungen von Naturschutzverbänden, denen Sie sich ansonsten verbunden glauben, in der Bundesrepublik lesen, dann werden Sie feststellen, daß diese Naturschutzverbände eine völlig andere Linie einschlagen, als Sie dies hier in der Diskussion zum Ausdruck gebracht haben. Insofern bitte ich Sie ganz nüchtern, daß Sie, wenn Sie bestimmte Positionen von mir, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dann wenigstens Positionen der Naturschutzverbände zur Kenntnis nehmen und darüber nachdenken.
An den Kollegen Jung gewandt sage ich: Herr Kollege Jung, ich teile Ihre Einschätzung, daß wir in bezug auf die osteuropäischen Fragen zusammenarbeiten müssen. Sowohl in der Leckagefrage beim Öl als auch in der Leckagefrage beim Erdgas gibt es noch Reserven, die in hervorragender Weise mobilisiert werden könnten. Diese tragen jetzt in unverantwortlicher Weise dazu bei, daß es zu Katastrophen kommt, von denen wir uns wirklich kein Bild machen.
Der Berater des russischen Präsidenten Jelzin in Umweltfragen, Jakoblow, hat gesagt, daß die naheliegendere Bedrohung Rußlands nicht so sehr die Klimakatastrophe sei als vielmehr die Verseuchung des Grundwassers durch Öl in weiten Teilen Sibiriens. Ich glaube, hier haben wir wirklich Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit.
Ich appelliere aber auch an Ihre Fraktion, daß sie zum Beispiel ein Instrument wie „joint implementation", also die Kooperation zur Einsparung von CO2- Emissionen im Erdgasbereich, nutzt und nicht Hindernisse aufbaut, die den zusätzlichen Einsatz dieses Instruments - da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Jung - erschweren würden.
Ich werde die Gemeinsamkeiten, die ich in einigen Punkten in dieser Debatte erfahren habe, meiner Fraktion zur Weiterentwicklung empfehlen und werde die Kooperation mit den anderen Fraktionen suchen. Ich glaube, wenn wir Probleme, wie sie in Tschernobyl zur Lösung anstehen, bewältigen wollen und wenn wir Leid, wie es in Tschernobyl erfahren wurde, vermeiden wollen, ist dieser Weg des gemeinschaftlichen Vorgehens der einzig richtige.
Deshalb will ich auch sagen, daß die Vereinbarungen, die jetzt auf dem Moskauer Gipfel getroffen wurden, dank der Initiativen der Bundesregierung stückweise vorangekommen sind. Wir wollen die Bundesregierung ermuntern, auf diesem Weg die Beteiligten weiterhin zu mehr und besseren Lösungen anzutreiben, wie sie es in der Vergangenheit schon getan hat. Das war das Anliegen der Bundesregierung. Daß sie nicht alle anderen Nationen dazu vergattern kann, so entschlossen wie sie zu denken und zu handeln, ist ein anderer Punkt. Aber es ist unverkennbar, daß sie der Motor zu einer Entwicklung ist, die auf die Problemlösung, das heißt letztendlich auf eine möglichst baldige Abschaltung, hinzielt.
Auf diesem Weg werden wir die Bundesregierung begleiten und unterstützen. Ich hoffe, daß auch Sie von der Opposition dieses berechtigte Anliegen mitDr. Klaus W. Lippold ({1})
tragen. Denn das ist wohl, wenn wir Leid wie in Tschernobyl vermeiden wollen, der einzige Weg.
Vielen Dank.
({2})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Rolf Köhne das Wort.
Herr Kollege Lippold, zunächst vielen Dank, daß Sie denjenigen, die für einen sofortigen Ausstieg sind, eine gewisse Konsequenz in ihrer Haltung zubilligen. Ich möchte aber betonen, daß wir genauso konsequent sind, wenn es darum geht, die Klimakatastrophe zu verhindern. Wir wollen dies, anders als Sie, ohne Atomkraft durch die Energieeinsparung und durch den Umstieg auf regenerative Energiequellen erreichen. Dies werden wir auch durchsetzen können.
({0})
Herr Kollege Lippold, Sie können noch antworten.
Nein, danke.
Gut. - Dann schließe ich damit die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/4446 federführend an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Gesundheit und den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1321, 13/4405, 13/4447 und 13/4442 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur vereinbarten Debatte zum 9. Jahrestag des atomaren Unfalls in Tschernobyl auf Drucksache 13/4406 unter Nr. I. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/1197 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Ich komme zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Tschernobyl auf Drucksache 13/4406 unter Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1195 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit derselben Mehrheit angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Bericht der Bundesregierung zur Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 1994 auf Drucksache 13/4410 unter Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 13/2287 zur Kenntnis zu nehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4410 die Annahme einer Entschließung. Wer für die Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Ich rufe auf:
10. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 6. März 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Weißrußland andererseits
- Drucksache 13/4172 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. Februar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kirgisistan andererseits
- Drucksache 13/4173 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 14. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits
- Drucksache 13/4174 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Bau einer Grenzbrücke an der gemeinsamen Staatsgrenze im Zuge der Europastraße E 49
- Drucksache 13/4338 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({3}) Finanzausschuß
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. September 1980 über die Ausstellung von Ehefähigkeitszeugnissen
- Drucksache 13/4339 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Telekommunikationsgesetzes ({5})
- Drucksache 13/4438 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({6})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt ({7}), Steffi Lemke, Vera Lengsfeld, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Optimierung des Schienennetzausbaus zwischen Bayern, Sachsen und Thüringen
- Drucksache 13/4139 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({8})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt ({9}), Rainder Steenblock, Elisabeth Altmann ({10}), Helmut Wilhelm ({11}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Optimierung des Schienennetzausbaus zwischen Würzburg/Nürnberg und Augsburg/München
- Drucksache 13/4389 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({12})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegfried W. Scheffler, Annette Faße, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Befreiung von Elektrobooten mit photovoltaischer Energiegewinnung bis zu einer Motorleistung von 2,21 kW ({13}) von der Fahrerlaubnispflicht auf Bundeswasserstraßen in Berlin
- Drucksache 13/4378 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({14}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Wohngrundstückes in Laage/Mecklenburg-Vorpommern
- Drucksache 13/4255 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
l) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen US-Liegenschaft DolanBarracks in Schwäbisch Hall-Hessenthal
- Drucksache 13/4285 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
m) Beratung des Antrags der Präsidentin des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1995
- Drucksache 13/4278 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
ZP3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({15})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Errichtung einer Bundesanstalt für die Regulierung von Post und Telekommunikation
- Drucksache 13/3920 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({16}) Petitionsausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Es handelt sich um Überweisungen in vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 f und den Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Zunächst rufe ich auf:
11. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 2. März 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten
- Drucksache 13/3465 - ({17})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({18})
- Drucksache 13/4242 -
Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/4242, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe auf:
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Editha Limbach, Wilfried Seibel, Johannes Singhammer und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Siegrun Klemmer, Dieter Schloten und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Edzard SchmidtJortzig, Ina Albowitz, Uwe Lühr, Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"
- Drucksache 13/3300 - ({19})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({20})
- Drucksache 13/4055 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Steinbach
Thomas Krüger Rezzo Schlauch Dr. Guido Westerwelle
Ulla Jelpke
- Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({21}) zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Odendal, Dr. Ulrich Böhme ({22}), Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Novellierung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"
- Drucksachen 13/2367, 13/4055 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach Thomas Krüger
Rezzo Schlauch
Dr. Guido Westerwelle
Ulla Jelpke
Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/4055 unter Nr. 1 a, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3300 unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir kommen zur
dritten Beratung und Schlußabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Lesung angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD über die Novellierung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" auf der Drucksache 13/4055 unter Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2367 für erledigt zu erklären.
Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
- Drucksache 13/2592 - ({23})
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({24})
- Drucksache 13/4440 Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Frick Wolfgang Schulhoff
Lydia Westrich
Wir kommen zur Zweiten Lesung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung einstimmig angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit in dritter Lesung angenommen worden ist.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 d:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die zusätzlilche Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen einer Versicherungsgruppe
- Drucksachen 13/3286 Nr. 2.26, 13/4110 Berichterstattung: Abgeordneter Friedrich Merz
Wer der Beschlußempfehlung auf der Drucksache 13/4110 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 11 e:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({26}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Kristin Heyne, Christian Sterzing, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Erklärung der Bundesregierung
Aktuelle Fragen der Europapolitik, insbesondere Vorschau auf die Tagung des Europäischen Rats in Madrid am 15./16. Dezember 1995
- Drucksachen 13/3209, 13/4111 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Scheel
Der Finanzausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/3209 abzulehnen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 13/4111 abstimmen. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der SPD und Gegenstimmen der übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 f auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 113 zu Petitionen
- Drucksache 13/4375 Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/4375 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({28}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Sinnvolle Nutzung und Erhaltung von Feuchtgebieten
- Drucksachen 13/2306 Nr. 2.76, 13/4147 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Mehl
Vera Lengsfeld
Günther Bredehorn
Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 13/ 4147 unter Nr. 1 Kenntnisnahme.
Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 13/4147 unter Nr. 2. Er empfiehlt hier die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmen möchte,
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c und den Zusatzpunkt 2 auf:
4. Telematikdebatte
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({29}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Telematikanwendungen im europäischen Verkehrswesen
- Drucksachen 13/478 Nr. 2.10, 13/1602 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Norbert Otto ({30}), Christian Lenzer, Werner Lensing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Friedrich, Dr. Klaus Röhl, Lisa Peters, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Telematik im Verkehr
- Drucksachen 13/2243, 13/3678 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Ferner, Ingrid Becker-Inglau, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Telematik im Verkehr - Drucksache 13/4019 Überweisungsvorschlag
Ausschuß für Verkehr ({31}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Albert Schmidt ({32}), Rainder Steenblock, Gila Altmann ({33}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Telematik für die Verkehrswende nutzen - Drucksache 13/4441 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({34})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Matthias Wissmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in der heutigen Debatte mit neuen Verkehrstechnologien, mit der Telematik. Ich glaube sagen zu können, daß wir uns mindestens über eines einig sein dürften: Wir müssen vom einseitigen Verkehrswachstum auf der Straße wegkommen und statt dessen mehr Verkehr auf Schiene, Wasserstraße und ÖPNV bringen, weil wir alle wissen, daß die Umweltverträglichkeit der Verkehrsentwicklung für ein funktionsfähiges und gesellschaftlich tragfähiges Verkehrssystem eine entscheidende Rolle spielt. Was wir brauchen, ist ein leistungsfähiger Mobilitätsverbund, das heißt, ein Verkehrssystem, in das alle Verkehrsträger integriert und bei dem sie alle intelligent miteinander verknüpft sind.
({0})
Jeder, der sich damit näher befaßt, weiß, daß einer der wichtigsten Bausteine für ein solch intelligentes Verkehrssystem die moderne Kommunikations- und Informationstechnologie, die Telematik, ist. Es ist wahrlich an der Zeit, daß sich auch der Verkehr stärker als bisher dieser Technologie bedient, ohne die in anderen Wirtschafts- und Lebensbereichen schon lange nichts mehr läuft, und daß auch der Bundestag diesem bisher eher nur im fachlichen Teil betrachtete Thema die Aufmerksamkeit schenkt, die es braucht.
Wir wissen, daß Experten schätzen, daß in den nächsten zehn Jahren in der Europäischen Union ein Marktvolumen für Telematik in Höhe von 200 Milliarden DM entstehen dürfte. Daraus ersehen wir, daß es nicht nur um die intelligente Lösung von Verkehrsproblemen, sondern auch um wirtschaftliche Dynamik und um Arbeitsplätze geht, wenn wir über dieses Thema heute und morgen sprechen.
({1})
Mit dem Einsatz von Verkehrstelematik wollen und werden wir zum einen die Verkehrsträger an ihren Schnittstellen verknüpfen und damit die Bildung umweltschonender Transportketten erleichtern, zum zweiten die bestehende Verkehrsinfrastruktur effizienter nutzen und Engpässe beseitigen, zum dritten die Verkehrsabläufe rationalisieren und ineffizienten und überflüssigen Verkehr vermeiden - ich nehme dieses Wort bewußt in den Mund - und zum vierten die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Verkehrsabwicklung wirksam verbessern.
({2})
Viele, die sich mit dem Thema Telematik befassen, wissen: Es geht nicht um reine Zukunftsmusik. In allen Verkehrsbereichen gibt es schon heute Telematikanwendungen, die sich im praktischen Einsatz beBundesminister Matthias Wissmann
währen und ihren Nutzen unter Beweis stellen. Lassen Sie mich nur einige Beispiele herausgreifen:
In den Häfen entstehen mit Unterstützung der Bundesregierung Informationsverbände zwischen den beteiligten Verkehrsträgern, Unternehmen der Hafenwirtschaft und Behörden, die sich auf entsprechende Telematikdienste stützen. Hier sind wir ein Vorreiter in Europa und der Welt.
Ein anderes Beispiel: Immer mehr Transportunternehmen setzen rechnergestützte Logistik- und Flottenmanagementsysteme ein.
Damit läßt sich der immer noch viel zu hohe Anteil der Leerfahrten im Güterverkehr drastisch reduzieren.
({3})
Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel, die CityLogistik. Wir haben inzwischen in vielen Städten und Gemeinden hervorragende Beispiele mit einem modernen Verkehrsmanagement: durch logistische Planung, durch elektronische Vernetzung von Speditionen, Fuhrunternehmen, Händlern, Gemeinden und Städten.
Wenn gut geplant ist, dann fahren eben nicht 30 Lkw mit jeweils einem Paket zum selben Handelsunternehmen, sondern ein Lkw mit 30 Paketen.)
({4})
Ergebnis: Weniger Verkehr, die Belastung der Bürger wird reduziert, Lärmschutz und Umweltschutz werden konkret.
Wir haben Beispiele der City-Logistik, wo es durch solche intelligente, logistisch vernetzte Planung zu einer Reduzierung der Fahrten in die Stadt von bis zu 60 Prozent gekommen ist.
Oder nehmen Sie den ÖPNV. Durch Einsatz von Betriebsleitsystemen im ÖPNV werden die Umlaufzeiten um bis zu 15 Prozent verkürzt. Zusätzliche Kundendienste, wie zum Beispiel elektronische Fahrplanauskunftssysteme und die Einführung bargeldloser Zahlungsmittel, erhöhen merklich die Chancen des ÖPNV, sich neue Kundenkreise zu erschließen.
Ein anderes Beispiel. Rechnergesteuerte Parkleitsysteme sorgen in manchen Städten bereits für eine beträchtliche Abnahme des Parksuchverkehrs, der ansonsten in Spitzenzeiten in manchen Städten 20 und mehr Prozent des fließenden Verkehrs ausmacht.
Oder nehmen Sie ein Beispiel, das im nächsten Jahr mehr und mehr für den Bürger erfahrbare Wirklichkeit wird. Schon Mitte nächsten Jahres wird die digitale Ausstrahlung von automatisch generierten Verkehrswarnmeldungen auf der Basis hochaktueller Verkehrsdaten, RDS/TMC genannt, in Deutschland flächendeckend möglich sein.
Um es etwas populärer zu sagen: Während man heute die Staumeldungen meist erst dann bekommt, wenn der Stau schon wieder vorbei ist, wird man dann die Staumeldung nicht nur unmittelbar bekommen, sondern man wird sie mit Knopfdruck auch für den Bereich abrufen können, in dem man fährt, und nur der Bereich interessiert ja auch wirklich.
({5}) Auch dies ist ein sinnvoller Fortschritt.
Oder, meine Damen und Herren, ich nehme die Systeme zur Steuerung der Betriebsabläufe im Schienenverkehr. Wir setzen zunehmend ein Zugsteuer- und Betriebsleitsystem ein, das sich in ganz Europa ohne Hindernisse im Hochgeschwindigkeitsverkehr, aber auch in anderen Bereichen realisieren läßt.
Ich will überhaupt betonen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es uns bei Telematik - ich habe es bereits an einigen Beispielen gesagt - keineswegs nur, wie mancher glaubt, um die Straße geht. Es geht uns um die Vernetzung der Systeme, und es geht uns genauso wie urn die Straße auch um den ÖPNV, den Bahnverkehr, den Schienenverkehr.
Wenn wir jetzt das erste Mal auf der Strecke BaselOffenburg mit dem sogenannten Computer integrated Railroading Geld einsetzen - was heißt: Zugabfolgen werden elektronisch gesteuert, der Zugführer kontrolliert noch, aber er fährt nicht mehr selbst -, dann hat das eine ganz praktische Folge. Ohne ein Gleis auszuwechseln, wird die Kapazität auf diesem Schienenteilstück um bis zu 30 Prozent erhöht.
Meine Damen und Herren, mit intelligenter Technik bessere Verkehrslösungen - das ist unsere Strategie für die Zukunft des Verkehrs.
({6})
Gemeinsam mit der EU sind wir dabei, ein globales, nach zivilen Kriterien zu betreibendes Satellitennavigationssystem zu entwickeln, das die für viele Telematikanwendungen erforderliche Standortbe - stimmung von Fahrzeugen und Gütern deutlich verbessern soll.
In einer Industriegesellschaft muß sich die Politik als Wegbereiter für den Einsatz moderner Technologien und Innovationen verstehen; sie muß die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, bürokratische Hemmnisse beseitigen und auch, wo notwendig, eine Anstoß- und Moderatorenrolle zusammen mit Wirtschaft und Gesellschaft übernehmen.
Ich habe deswegen im Dezember vergangenen Jahres unter dem Dach des Wirtschaftsforums Verkehrstelematik Spitzenvertreter der Verkehrspolitik aus Bund, Ländern und Gemeinden, der Industrie und der öffentlichen Verkehrsträger, der Bahn, unter meiner Leitung zusammengebracht.
Ziel dabei ist es, die Einführung von Verkehrstelematik in einem integrierten Gesamtverkehrskonzept am Standort Deutschland zu koordinieren und voranzutreiben. Sinn dieses Forums ist kein unverbindlicher Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Es geht uns darum, gezielte, von Politik und Wirtschaft gemeinsam getragene Entscheidungen und deren konsequente Umsetzung voranzubringen. Daß es allen Beteiligten damit ernst ist, hat bereits die erste Sitzung bewiesen, in der konkrete Vereinbarungen getroffen worden sind:
Erstens. Wir waren uns einig: Telematik ist vorrangig Aufgabe der Privatwirtschaft, für die sie neue Chancen im Wettbewerb entwickeln muß. Aufgabe des Staates ist es, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Zweitens. Wir waren uns einig - übrigens auch mit den Vertretern der Automobilindustrie -, daß Vorrang integrierte Telematiksysteme haben und Ziel nicht die isolierte Verbesserung des einzelnen Verkehrsträgers, sondern die Optimierung des Gesamtsystems sein muß.
Drittens. Die Wirtschaft wird auf der Grundlage breiten Wettbewerbs Endgeräte entwickeln, die dem Telematiknutzer eine individuelle Auswahl der jeweils gewünschten Dienste ermöglichen soll. Dabei sollen unterschiedliche Grundtechnologien durch gemeinsame Schnittstellen verbunden werden können. Dem Nutzer, dem Bürger, soll ein System zur Verfügung stehen, das einfach, sicher, kostengünstig und für vielfache Anwendungen tauglich ist.
Viertens. Dreh- und Angelpunkt einer effektiven Telematikanwendung in einem auch wirtschaftlich zusammenwachsenden Kontinent ist ein Optimum an Standardisierung und Interoperabilität der Systeme in Deutschland wie in ganz Europa, denn nur interoperable Telematikdienste verschaffen dem Nutzer die größstmöglichen Vorteile. Nur so läßt sich ein verkehrsträgerübergreifender und grenzüberschreitender Verkehr sinnvoll organisieren.
Fünftens. Die Entwicklung privatwirtschaftlich aufgebauter und betriebener Telematikdienste erfordert den Zugriff auf vorhandene Verkehrsdaten der öffentlichen Hand und deren Verknüpfung mit Verkehrsdaten privater Dienstleister. Ziel ist es daher, ein verkehrsträgerübergreifendes Verkehrsdatenmanagement zu entwickeln und zu implementieren, das die von der öffentlichen Hand und von privaten Dienstleistern erhobenen Verkehrsdaten zusammenführt. Damit wird ein praktisches Beispiel für Publicprivate-partnership auf dem Gebiet der Telematik realisiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei genauer Betrachtung, glaube ich, können wir feststellen, daß wir in Telematikfragen in Deutschland die Chance zu einem großen Konsens - auch die Gewerkschaften unterstützen diese Idee -, aber auch die Chance zu einer Avantgarderolle auf dem Kontinent wie weltweit haben. Deswegen will ich zum Schluß den Satz des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema Technologie in Erinnerung rufen, den er uns vor einiger Zeit zugerufen hat. Er hat gesagt: In der Welt des 21. Jahrhunderts, in einer Welt globalisierter Märkte besiegen nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.
Ich will am Beispiel der neuen Verkehrstechnologien sagen: Je schneller wir, Politik auf allen Ebenen, Wirtschaft und Gesellschaft, bei dem Einführen von modernen Telematiksystemen vorankommen, je eher wir Pilotprojekte umweltverträglichen Verkehrsmanagements in Deutschland schaffen, desto größer ist die Chance, daß daraus auch weltweit eine industriepolitische Strategie für unser Land wird. Insofern können sich Verkehrspolitik, Umweltpolitik und Industriepolitik am Beispiel der Telematik zu einem sinnvollen Gesamtkonzept vernetzen.
Ich danke für Ihr Interesse.
({7})
Das Wort hat Kollege Reinhold Hiller, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß sagen, die Rede des Verkehrsministers hat mich etwas überrascht. Es freut mich, daß er unseren Antrag, den wir eingebracht haben, sehr genau gelesen hat, denn viele Anregungen, die wir gegeben haben, sind erfreulicherweise von ihm aufgenommen worden. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.
({0})
Ich finde, es ist ein beachtlicher Fortschritt, wenn man diese Rede mit Reden von Vertretern der Regierungsfraktionen vergangener Jahre vergleicht, als wir zu jedem verkehrspolitischen Problem immer nur das Wort „Telematik" gehört haben, was damals von Ihnen als Wunderwaffe zur Lösung aller Verkehrsprobleme angesehen wurde. Insofern zeigt sich, daß in Debatten des Deutschen Bundestages Fortschritte erzielt werden können.
Die SPD-Fraktion ist es gewesen, die als erste einen umfassenden Antrag zur Telematik in diesem Hause eingebracht hat. Die SPD fordert von der Bundesregierung nach wie vor eine ökologische Wende in der Verkehrspolitik. Die Verkehrssituation ist gerade in den Ballungsräumen von einer ständig ansteigenden Lawine mit hohen Belastungen für Bevölkerung und Umwelt geprägt. Fachleute gehen heute davon aus, daß man in der gesamten EU im Jahr mehrere Milliarden an Verlusten auf Europas Verkehrswegen zu verzeichnen hat.
Deshalb muß verantwortungsbewußte Verkehrspolitik davon ausgehen, den bisher vorhandenen Verkehr zu bewältigen. Trotz aller Anstrengungen zur Verkehrsvermeidung und anhaltender ökonomischer Krise in Europa ist wegen der weiteren Integration der osteuropäischen Staaten noch mit einem enormen Anstieg des Verkehrs zu rechnen.
Telematik kann eine konsequente Politik der Verkehrsvermeidung nicht ersetzen, Herr Wissmann. Das ist der erste Punkt der Kritik.
({1})
Wir müssen auch außerhalb der Telematik die Rahmenbedingungen dafür schaffen, um überflüssige Verkehre zu vermeiden. Leerfahrten und Suchfahrten von Lkw und volkswirtschaftlich fragwürdige Transporte quer durch Europa werden weiterhin die Lebensadern unseres Kontinents verstopfen. Maßnahmen zur Verminderung der Verkehrslawine insgesamt und politische Entscheidungen über eine gerechte Anlastung der Kosten für den Verkehr sind
Reinhold Hiller ({2})
nach wie vor für uns die Möglichkeit, um marktwirtschaftlich zu wirksamen Veränderungen zu kommen.
({3})
Welchen Stellenwert haben moderne Verkehrssysteme der Bundesregierung tatsächlich? Ich muß bekennen: Über Ihre Rede war ich angenehm überrascht. Aber die Vergangenheit und Ihre Taten zeigen leider das Gegenteil,
({4})
was wir auch in Ihrem Bericht zu den EU-Empfehlungen, Herr Brunnhuber, lesen konnten.
Verkehrsminister Wissmann und viele Vertreter der Koalitionsfraktionen sprechen immer von den großen Chancen der Telematik. Dem können wir zustimmen. Doch der Beginn Ihrer Telematikpolitik war der zaghafte Versuch auf der BAB 555 zur Einführung von Telematiksystemen auf Deutschlands Autobahnen. Dieser Versuch war von Ihrem Vorgänger noch aus der Hoffnung heraus geboren, durch die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren ans große Geld der Autofahrer zu gelangen. Das wollen wir hier mal ganz ehrlich zugeben.
Daß dieser Versuch gescheitert ist, bedeutet natürlich auch ein Scheitern der Politik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang. Denn sie hat der Privatisierungseuphorie einen deutlichen Dämpfer versetzt. Ich empfehle Ihnen - Sie haben unseren Antrag ja genau gelesen -, sich mit Roland Berger auseinanderzusetzen. Dann wissen Sie genau, wovon ich rede.
In diesem Punkt ist die SPD-Bundestagsfraktion bestätigt worden. Sie hat von Anfang an die Politik in Form dieses Modellversuchs abgelehnt, weil es dabei nicht um Verkehrsvermeidung und um eine moderne Verkehrspolitik ging, sondern, wie ich bereits sagte, um die Privatisierung des Autobahnnetzes. Ich kenne auch noch entsprechende Äußerungen Ihres Vorgängers.
Auch dazu hat Roland Berger das Notwendige gesagt, und deshalb fasse ich in diesem Punkt noch einmal zusammen: Wir lehnen nach wie vor eine Privatisierung des Bundesfernstraßennetzes ab, weil die öffentliche Hand sich der Verantwortung des Infrastrukturauftrages nicht entziehen darf.
({5})
Es kommt ein weiterer Punkt hinzu, bei dem große Skepsis angebracht ist. Das haben Sie leider in Ihrer Rede nicht zum Ausdruck gebracht. Die vollständige Gebührenerfassung kann dazu führen, daß Bewegungsprotokolle erstellt werden, und die erinnern mich an Orwell. Den gläsernen Autofahrer lehnen wir ebenfalls ab. Auch dies ist kein Instrument der Telematik.
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Dies hätte seitens der Bundesregierung klargestellt werden können; denn auch dazu gibt es in der Bevölkerung erhebliche Ängste. Angesichts der Finanzlage - dazu haben wir in den letzten Wochen einiges gehört - bleibt nur zu hoffen, daß der Bundesfinanzminister die Autobahngebühr für Pkw nicht irgendwann wieder aus der Schublade herausholen wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eines sagen: Wenn andauernd über die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geredet wird, dann finde ich es absolut kontraproduktiv, wenn man in diesem Bereich immer wieder weitere Kostensteigerungen diskutiert. Telematiksysteme sind für uns keine Abkassierinstrumente.
({7})
Anders stellt sich die Situation im Lkw-Bereich dar. Hier ist die gerechte Anlastung der Infrastrukturkosten noch längst nicht geregelt. Ich hätte erwartet, daß Sie, Herr Minister, zu diesem Thema mehr gesagt hätten. Wir treten dafür ein, daß bestehende Wettbewerbsvorteile für ausländische Lkw abgebaut werden. Wir treten auch dafür ein, daß man die Bausteine der Telematik nutzt und daß es streckenbezogene Abrechnungsmodelle für Lkw in der Zukunft gibt.
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Diesen Weg halten wir für viel besser und viel konkreter als Ihre Vorschläge. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich der von Ihnen angekündigte Konsens auch auf diesen Bereich beziehen würde.
Ein weiterer Bereich, den Sie auch angesprochen haben: Telematik ist natürlich nicht ausschließlich etwas für Straßen. Wir wollen - wir würden uns freuen, wenn Sie bei unserem Modell mitmachten - verhindern, daß Lkw durch Ihr Modell auf kostenfreie Straßen in Wohngebieten abgedrängt werden. Auch das ist ein wichtiger Aspekt unserer Politik. Es ist auch in diesem Bereich möglich, durch Telematik Fortschritte zu erzielen.
Meine Damen und Herren, Worte und Taten müssen zueinander passen. Wir werden genau darauf achten, ob Ihren Ankündigungen die entsprechenden Taten folgen werden. Aber ich bleibe bei meiner Meinung - das ist auch die Meinung der SPD-Fraktion -: Telematik wird in Zukunft keine Wunderwaffe sein. Selbst das aufwendigste High-Tech-System kann die grundsätzliche Misere im Verkehrsbereich nicht lösen, wenn es nicht zu einer gerechten Anlastung der Kosten in der Zukunft kommen wird.
Der Sinneswandel der Bundesregierung gibt uns Möglichkeiten für neue Verkehrsleitsysteme; ich will nicht all das, was Sie gesagt haben, wiederholen. Das betrifft die Eisenbahn ebenso wie den ÖPNV. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung die Kommunen unterstützen würde, die ganz konkret an diese Maßnahmen herangehen. Denn durch die Politik der CDU/CSU fehlt es in vielen Kommunen am Geld, um diese Instrumente dort einzusetzen. Das darf man nicht vergessen.
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Reinhold Hiller ({10})
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt ansprechen: Sie haben von Schiene und Hafen gesprochen. Ich komme aus einer Hafenstadt und weiß, wie weit die Technik dort inzwischen vorhanden ist, wie überflüssige Verkehre sehr wohl vermieden werden können und wie man dafür sorgen kann, daß die Schiene besser ins Geschäft kommt. Ich würde es allerdings sehr begrüßen, wenn die Schiene den Verkehr, der in den Häfen nachgefragt wird, auch immer aufnehmen könnte. Auch dies wäre eine Aufgabe der Bundesregierung, bei der sie eine vernünftige Verkehrspolitik stärker unterstützen könnte.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Wichtig ist auch der Sicherheitsbereich. Da haben wir in den vergangenen Jahren auf den Straßen Gott sei Dank eine ganze Reihe von positiven Beispielen - leider viel zu spät - erfahren können. Ich wünsche mir, daß dieser Bereich in der Zukunft noch stärker ausgebaut wird.
Herr Kollege Brunnhuber, Ihnen kann ich eine intensive Lektüre unseres Antrags empfehlen. Denn in Ihrer Beschlußempfehlung sind Sie noch nicht auf dem neuesten Stand. Vielleicht werden wir positiv überrascht. Ich hoffe, daß Sie angesichts der Ausführungen des Ministers unserem Antrag zustimmen werden.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hiller hat schon recht: Es war ein bemerkenswerter Unterschied in der Tonlage, in den Nuancen in Ihren Ausführungen, Herr Minister Wissmann, zu erkennen. Während Sie in den vergangenen Jahren eigentlich einer Euphorie der Telematik ein bißchen das Wort geredet haben - drücken wir es mal ganz sanft aus -, haben Sie heute schon viel nachdenklicher und meiner Ansicht nach auch viel realistischer die Chancen und den Stellenwert dieses Instruments, eingebettet in ein gesamtes verkehrspolitisches Konzept, zu erkennen gegeben.
Zu dieser Ernüchterung hat, so meine ich - Herr Kollege Hiller hat es schon angesprochen -, vor allem der Versuch auf der Autobahn vor den Toren Bonns, zwischen Köln und Bonn beigetragen. Denn die hochfliegenden Erwartungen, die Sie selber jahrelang mit genährt haben, daß sich über diese Form der elektronischen Mauterhebung auf Autobahnen letztlich die Löcher in den Haushaltskassen von Theo Waigel würden stopfen lassen und daß man damit die neuen Straßen würde bauen können, mußten Sie selber begraben. Das Ergebnis dieses Großversuchs war niederschmetternd; die Unternehmensberatung Roland Berger ist ja zitiert worden. Sie hat klar gemacht, daß es nicht nur im Pkw-Bereich in absehbarer Zeit keine elektronische Maut geben wird. Vielmehr mußten Sie selber sogar eines draufsetzen und sagen, auch im Lkw-Bereich werde sie vor dem nächsten Jahrtausend nicht kommen, weil man es datenschutzrechtlich nicht hinbekomme und weil es auch von den Kontrollen her gar nicht realisierbar sei.
({0})
Jetzt hätte ich eine Bitte an Sie, Herr Minister Wissmann: Seit letzter Woche gibt es in diesem Kabinett wieder einen Minister, der die elektronische Maut ins Spiel bringt und propagiert. Der Mann recycelt sozusagen Ihre Ideen. Der versteht etwas vom Recycling; er war nämlich früher einmal Umweltminister. Auch dem Herrn Töpfer sollten Sie jetzt klarmachen, daß er, nachdem Sie das hohe Lied auf die Autobahnmaut nicht mehr anstimmen, Ihnen nachahmen sollte. Er muß doch den Abgesang verstanden haben.
({1})
Er sollte sich nicht länger zum getreuen Eckart der Baulobby machen und Erwartungen wecken, die nachher nicht erfüllt werden können. Also: Klären Sie das in der Bundesregierung; Sie haben da Abstimmungsbedarf: hü oder hott, Maut oder nicht Maut. Ich bin gespannt auf das Ergebnis dieser Diskussion.
Wir wollen jetzt zurückkehren zu einer nüchternen Bestandsaufnahme, und die heißt ganz klar, auch aus unserer Sicht: Telematik ist kein Ziel, sondern ein Instrument, und ein Instrument kann immer nur so intelligent sein, wie derjenige ist, der es anwendet.
Solange Sie Ihre verkehrspolitischen Ziele falsch setzen und falsch definieren, werden Sie auch mit den intelligentesten Instrumenten letztlich in die Irre laufen. Solange Sie nämlich Telematik - ihr Staubeispiel war ein gutes Beispiel in dieser Richtung - dazu einsetzen wollen, um letztlich den alltäglichen Stau auf Deutschlands Straßen nicht ursächlich zu bekämpfen, sondern auf knapper werdendem Verkehrsraum noch mehr Autos unterzubringen, werden Sie die Verkehrsvermeidung und -verlagerung niemals hinbekommen, sondern nur das Chaos auf höherer Ebene organisieren.
Das sage nicht nur ich, sondern das bestätigen auch Ihre eigenen Parteikollegen, zum Beispiel der CDU-Europaabgeordnete Georg Jarzembowski. Ich zitiere wörtlich - jetzt hören Sie genau zu, Herr Brunnhuber; das ist Ihr Kollege -:
Ich fürchte, Telematik ist ein magisches Wort, das die Mißstände der Vergangenheit verbergen soll.
Das genau ist der Grund, warum sich das Europäische Parlament fraktionsübergreifend von dieser Telematikeuphorie verabschiedet hat.
Ich will Ihnen gern sagen, in welchen Bereichen wir seitens unserer Fraktion durchaus für eine verstärkte Entwicklung und für den konsequenten Einsatz telematischer Instrumente - aber eingebettet in die richtige Zielsetzung - eintreten. Es geht nämlich genau um die Optimierung - Herr Kollege Hiller hat es teilweise schon angesprochen - der öffentlichen Verkehrsträger, bei Bus und Bahn.
Albert Schmidt ({2})
Wir befinden uns da in voller Übereinstimmung mit dem Deutschen Städtetag und dem VDV, dem Verband der Deutschen Verkehrsunternehmen, die beide im letzten Herbst auf der Konferenz in Freiburg ausgeführt haben: Es muß darum gehen, Telematik zu nutzen, um den Vorrang für den Umweltverbund zu organisieren. Das muß die Zielsetzung sein, und dann haben Sie sofort unsere Unterstützung.
({3})
- Es darf durchaus zwischendurch auch geklatscht werden. - Erst vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung machen die Instrumente Sinn.
Wir brauchen auch die moderne Elektronik auf der Schiene. Denn das ist, wie Sie zu Recht ausgeführt haben, nicht nur eine Frage der Kapazitätserhöhung von bestehenden Strecken, sondern das ist auch eine fiskalische Frage, eine Frage der Haushaltsmittel. Denn wenn ich bestehende Strecken besser ausnutzen kann, dann muß ich weniger neue Strecken bauen; auch das schont die Kassen.
Das ist auch eine Frage der Sicherheit. Das schwere Unglück im Dezember letzten Jahres in Garmisch-Partenkirchen zum Beispiel wäre möglicherweise durch modernere Elektronik vermeidbar gewesen.
Wir brauchen also vor allem Telematik für den öffentlichen Verkehr, auch in den Städten - ich möchte ein paar Stichworte nennen: Busspuren, Vorrangschaltungen bei Ampeln für den öffentlichen Verkehr, Pförtnerampeln -, innovative Organisation von Bedarfs-ÖPNV, zum Beispiel von Rufbussen, von Anrufsammeltaxen. Hier kann die Telematik überall Beiträge leisten. Rechnergestützte Kundeninformationen sind ebenso wichtig wie bargeldloses Zahlen. Die Pay-Card, die es demnächst bei der Deutschen Bahn AG gibt, müßte es eigentlich in jedem Umweltverbund geben.
({4})
Zu Recht hat übrigens der VDV darauf hingewiesen, daß im Bereich der öffentlichen Verkehrsträger ein Riesenpotential für eine sinnvolle Industrieproduktion vorhanden ist. Täglich sind in Deutschland 24 Millionen Menschen mit öffentlichen Verkehrssystemen unterwegs. Diese würden davon profitieren. Auch im Produktionsbereich und im Dienstleistungsbereich gibt es ein Riesenpotential an hochqualifizierten und zukunftsorientierten Arbeitsplätzen, das wir allerdings nur dann erschließen können, wenn von den Gemeinden, von den Ländern und auch vom Bund die nötigen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden.
Der Güterverkehr kann nur noch ganz kurz angesprochen werden. Es geht hier vor allem um die Optimierung der Logistikketten und auch um eine verbesserte Sicherheit im Gefahrguttransportbereich. Auch hier kann die Telematik wichtige Beiträge leisten.
Ich komme zum Schluß; Stichwort: Güterverkehr, Schwerlastverkehr. Die Vignette ist eine Krücke; das ist eine Notlösung. Am Ende dieses Jahrtausends, wo man in der Lage ist, auf den Mond zu fliegen, muß es ein zentrales Projekt dieser Regierung sein, eine leistungsbezogene Schwerverkehrsabgabe zu erheben, die differenziert nach Zeit, nach Strecke, nach Gewicht und nach Emission erhoben werden kann. Das geht mit Hilfe der elektronischen Technik. Die Kosten dafür hat nach unserer Auffassung die Transportwirtschaft verursachergerecht zu tragen. Das müßte das Zentralprojekt bei der Telematik sein.
({5})
Setzen Sie also ruhig auf modernste Technik. Sie haben dazu jederzeit unsere Unterstützung. Verfolgen Sie dabei aber die richtigen Ziele, und vergessen Sie nicht: Es gibt ganz einfache untechnische Instrumente, die man ebenfalls einsetzen kann, die in Sachen Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung wesentlich mehr bringen würden, weil sie sich nämlich ursächlich auf den Stau beziehen. Solange Sie aber den Mut nicht haben, Tempolimits konsequent umzusetzen, solange Sie den Mut nicht haben, über eine Erhöhung der Mineralölsteuer steuernd in das Verkehrsgeschehen einzugreifen, so lange werden Sie mit der Telematik alleine auch nicht zum Ziele kommen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Verkehrsminister von der falschen Seite des Hauses Beifall bekommt, dann kann man natürlich erstaunt sein. Der Beitrag des Kollegen Schmidt hat das Ganze, glaube ich, wieder etwas zurechtgerückt. Denn wenn man sich die Anträge der Grünen und der SPD anschaut, erkennt man, daß dort der Geist des technischen Fortschritts der beiden Parteien nach dem verkehrspolitischen Dreisatz weht: Tempolimit, Verteuerung des Straßenverkehrs und - wenn das alles noch nichts nützt - Verbote. Das kommt auch auf der zweiten Seite des SPD-Antrags deutlich zum Ausdruck.
Eigentlich wollen Sie die Telematik überhaupt nicht. Sie haben das Ganze deswegen zunächst auf den Bereich „road pricing" reduziert und nehmen jetzt einen Versuch zum Nachweis, ob so etwas funktioniert, ob Erfassung funktionieren kann - es ist tatsächlich nachgewiesen, daß das klappen kann -, um das ganze System in Frage zu stellen.
Tatsächlich ist es so, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß der Bundestag in der letzten Legislaturperiode ein Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz beschlossen hat, das die Möglichkeit eröffnet, Maut zu kassieren, allerdings aus europarechtlichen Gründen beschränkt und reduziert. Deswegen muß man die Aussage sehr wohl wichten, was mit diesem Gesetz möglich ist und was nicht. Aber es soll hier keiner so tun, als wäre es überraschend und neu. Das
Gesetz liegt nun dem Bundestag vor und kann unter Umständen zum Tragen kommen.
Was ist die Situation jetzt? Wir haben 47 Millionen zugelassene Fahrzeuge, über 900 Milliarden Personenkilometer, 400 Milliarden Tonnenkilometer im Jahr 1995, 1,6 Millionen Hektar Verkehrsfläche. Das sind - um gleich Vorwürfen entgegenzutreten und nicht wieder den Vorwurf eines gigantischen Flächenversiegelungsprogrammes zu hören - knapp 5 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland. Die können wir allein mit dem Weiterbau von Infrastruktur oder mit Ausweitung sicher nicht lösen. Deswegen hat diese Koalition und die F.D.P.-Fraktion in dieser Koalition in der letzten Legislaturperiode bereits begonnen, eine Verkehrspolitik vorzulegen, die aus mehreren Teilen besteht.
Wir haben, was die Gemeindeverkehrsfinanzierung angeht, die Etats deutlich erhöht. Wir haben Hindernisse abgebaut. Wir haben den Katalog erweitert. Wir haben im steuerlichen Bereich, was das Jobticket und andere Bereiche angeht, die Stellung des öffentlichen Personennahverkehrs deutlich verbessert. Wir haben das Personenbeförderungsgesetz auf Bereiche ausgeweitet, die Sie damals noch gar nicht gekannt haben.
({0})
Wir haben das gesamte Instrumentarium durch eine aktive Politik ergänzt und erweitert,
({1})
zum Beispiel durch den Einsatz von neuer Technik, die durch mehr Informationen und durch mehr Hilfen dazu beiträgt, den Verkehr flüssiger zu machen.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß jeder Deutsche im Schnitt 65 Stunden pro Jahr im Stau verbringt. Wenn es uns gelingt, davon auch nur einen Tag wegzunehmen, dann hat das umweltpolitisch deutlich mehr Wirkungen als alle anderen bisher beschlossenen Gesetze. Das muß man endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
({2})
Hier ist ein weiterer Aspekt schon genannt worden. Es gibt welt- und europaweit einen Bedarf an Nachrüstung für solche Systeme von schätzungsweise 200 Milliarden DM. Telematik als Ganzes ist wieder einmal eine Technik, in der Deutschland führend ist.
({3})
Das bedeutet nicht nur Aufträge, sondern auch Arbeitsplätze, aber eben nur so lange, wie wir in der Lage sind, diese führende Position zu halten. Das heißt, wir müssen in Europa einheitliche Standards setzen. Man kann nämlich eine europäische Lkw- streckenbezogene Gebühr nur abverlangen, lieber Kollege Schmidt, wenn die anderen Europäer mitmachen. Es nützt nichts, nur die deutschen Fahrzeuge entsprechend auszurüsten. Wir brauchen einheitliche europäische Regeln. Diese können wir nur definieren, wenn wir an der Spitze der Bewegung bleiben und die bei uns vorhandenen Technikfolgen nach vorne ziehen. Dazu gehört auch der Einsatz von
Satellitennavigation. Dazu gehört die entsprechende Umsetzung. Dazu gehört die entsprechende Verknüpfung. Die Diskussion in der Koalition und in der F.D.P. war nie nur auf die Straße verengt. Das sind schlicht und ergreifend Märchen.
({4})
Der Einsatz von Technik auch im Bereich der Schiene ist nun einmal eine ergänzende und vornherein geplante Maßnahme. Ich will jetzt nicht auf SchleswigHolstein eingehen. Ich glaube, das ist das Bundesland, in dem auch die letzten Strecken endlich elektrifiziert werden, was die Schiene angeht.
Das Ganze ist eigentlich als ein Hilfsangebot gedacht, die vorhandenen Mittel zum reibungslosen Verkehrsablauf zu nutzen. Denn die Arbeitszeitverkürzungen sind mittlerweile durch die staubedingten Aufenthalte aufgesogen worden.
Das alles ändert nichts daran, daß wir aus unserer Sicht eine Verkehrspolitik betreiben müssen, die Technik anbietet, um solche Nachteile zu beseitigen. Man muß diese Möglichkeiten dann aber auch nutzen und nutzen dürfen. Eine Politik, die nach wie vor darauf vertraut, daß ein starres Tempolimit, daß Beschränkungen oder die Verteuerung der Nutzung der Verkehrsinfrastruktur auf die Dauer zur Lösung der Probleme führt, wird scheitern. Ein Weg zurück in das System, Deutschland zu einem Volk von Jägern, Sammlern und Fallenstellern zu machen, was die Technologie betrifft, ist mit Sicherheit der falsche Weg, um Antworten für die Zukunft zu geben. Das Ganze wird dann noch ergänzt durch eine Technik, die die Emissionsbezogenheit der Motoren betrifft, und durch ergänzende Gesetzgebung.
Das alles wird sehr sorgfältig vorbereitet und bietet sich dann als ganzheitliches Programm an, wobei die Telematik einen wichtigen, aber nicht den ausschlaggebenden Anteil hat. Deswegen ist auch der Vorwurf falsch, wir würden das als alleinseligmachendes Mittel ansehen. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen zurückgeben. Sie haben für jede verkehrspolitische Problematik nur eine Lösung, das Tempolimit. Das reicht auch nicht aus.
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- Ja, das kommt auch noch dazu. Das heißt im Endeffekt: intelligente Verkehrslenkung, Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung eingeschlossen. Das bedeutet weniger staubedingte Zeit, weniger Ressourcenverluste, weniger Emissionen und - das ist wohl das Wichtigste und hat sich schon bewiesen - einen Rückgang von Unfallzahlen. Es gehört ein bißchen mehr als solche Anträge dazu, das umzusetzen. Deswegen werden wir auf diesem Weg weitermachen.
Danke sehr.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Winfried Wolf, PDS.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Friedrich hat es als falsch und lächerlich bezeichnet, Tempolimits zu fordern. Das heißt, daß sich alle OECD-Staaten lächerlich verhalten.
Bundesregierung, Europäische Kommission und SPD plädieren für die Investition von Dutzenden Milliarden DM für teure Telematik-Systeme. Einiges davon ist sinnvoll, überwiegend ist es schädlich. Bei der SPD ist damit sehr viel Wunschdenken verbunden.
So ist - auch bei Herrn Wissmann - viel von Verkehrsvermeidung die Rede gewesen. Das Gegenteil ist wahr. Mit den Worten von Wolfgang Zängl aus der „Süddeutschen Zeitung": Telematik trägt „nicht zur Verkehrsvermeidung bei". Sie reduziert „keine Verkehrsnachfrage, sondern soll im Gegenteil mehr Verkehr ermöglichen". „Dadurch verschärfen sie die Verkehrsprobleme ..." Tatsächlich wächst der Verkehr mit oder ohne elektronischen Schnickschnack.
Gestern haben wir eine EU-Richtlinie im Ausschuß durchgewinkt. Die Kommission hat schwarz auf weiß hineingeschrieben, daß der motorisierte Verkehr und die Umweltbelastungen „weiter wachsen" würden. Letzte Woche antwortete mir das Verkehrsministerium auf meine Anfrage, ob im Jahre 1997 ein neuer Bundesverkehrswegeplan vorgelegt werde, mit Nein. Der Grund ist klar: weil keine der Daten des alten Bundesverkehrswegeplans aus dem Jahre 1992 stimmen. Statt dessen registrieren wir: Halbierung des Umfangs des Güterverkehrs auf der Schiene, massive Steigerung des motorisierten Verkehrs auf der Straße.
Auch der Telematik-Antrag der Grünen ist eigentlich gar nicht so grün. Er flüchtet in andere, mit der Überschrift nicht ausgedrückte Themen, um am Ende ein entschiedenes Jein zur Telematik zu sagen - wie der aktuelle Zustand der Grünen: ein bißchen Frieden und ein bißchen Bosnien-Krieg. Das Plädoyer im Antrag der Grünen - ähnliches findet sich bei der SPD und der Bundesregierung -, Telematik bei der „permanenten Information über die Abfahrtszeiten am Bahn- und Bussteig" einzusetzen, ist zwar nett, man kann es sich aber heute weitgehend sparen.
Woran es am Bahn- und Bussteig derzeit mangelt, sind Menschen, nicht Maschinen. Wir haben doch heute oft die Situation, daß Züge ohne Ankündigung und ohne an den Zügen erkennbare Zielorte in Bahnhöfe ein- und wieder ausfahren. Das heißt: Nach den Geisterfahrern haben wir jetzt die Geisterzüge.
Es gibt dieses nette Bonmot, der Mann aus Oggersheim habe bei der Frage nach der Datenautobahn immer nur „Autobahn" , also Bahnhof verstanden. Doch was ist, wenn er instinktiv richtig verstand und das Thema so lange aussaß, bis klar war, daß es primär darum geht, Datenautobahnen einzusetzen, um die Autobahnen zu optimieren?
Verkehrsminister Wissmann forderte im Jahre 1994 - Kollege Hiller hat darauf hingewiesen - „Autobahnerfassungssysteme" als „Teil einer großen Privatisierungsstrategie". Das mag jetzt angesichts der großen Pleiten bei den Telematik-Großversuchen nicht mehr ganz aktuell erscheinen. Andererseits geht es in diese Richtung weiter: In Bayern läuft gerade das absurde Projekt „Companion", bei dem elektronisch vernetzte Leitpfosten an der A 92 Informationen über Staus und Nebelbildung geben sollen. Ein einziger solcher Leitpfosten kostet 30 000 DM - mehr als ein Sozialhilfeempfänger im Jahr erhält.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei dem Gerede über Schnelligkeit und Effizienz im Verkehr sollten wir damals und heute vergleichen. Ich bin immer wieder überrascht, wie effizient Verkehr vor 50 oder 90 Jahren war. Ein gewisser Walter Seebohm war 1907 Leutnant im Infanterieregiment 167 - dessen Neffe war übrigens Bundesverkehrsminister HansChristoph Seebohm. Der zitierte Seebohm berichtet aus dem damaligen Kassel, wo er in der Tischbeinstraße - im Zentrum - wohnte und in der Sommerresidenz des Kaisers, im Schloß Wilhelmshöhe, unter anderem als Tennispartner des Kaisers im friedlichen Einsatz war. Ich zitiere aus dem Seebohmschen Tagebuch:
In den ersten Jahren fuhr ich mit der Elektrischen ... Als ich zum ersten Mal zum Essen bleiben sollte, hatte ich meine Sachen ({0}) nicht mit ... Der Kaiser fragte mich auf dem ({1})Platz: ,Haben Sie Sachen zum Umziehen mit?' Auf meine Verneinung: ,Schade, ich wollte Sie zum Essen bitten. Oder können Sie noch herunter und rechtzeitig wieder heraufkommen?' Ich sagte natürlich ja. Es war ({2}) 7 Uhr 15. Um acht das Essen. Eine schöne Hetzjagd begann ... ({3}) ich war wieder im Schloß, als die Herrschaften sich gerade zu Tisch setzten. ,Donnerwetter. Das ging aber galopp', sagte der Kaiser.
Ich habe die Wege überschlägig berechnet und mir die Fahrzeiten der damaligen Tram in Kassel angesehen. Alles haut hin: zwei Tramfahrten à 4 Kilometer, vier Fußwege, einmal Umziehen in der Wohnung, alles zusammen 45 Minuten. Das ist heute aussichtslos - egal, ob mit Auto, mit Straßenbahn oder mit Telematik.
Herr Friedrich, wir plädieren nicht für die Rückkehr in kaiserliche Zeiten. Ein bißchen von dem „Donnerwetter. Das ging aber galopp", das der Kaiser 1907 zum Kasseler ÖPNV äußern konnte, wäre aber doch insgesamt im öffentlichen Verkehr angesagt. Dafür braucht man zuerst Menschen und Kundenfreundlichkeit, erst an zweiter Stelle Elektronik.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Georg Brunnhuber, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß wir heute über Telematik diskutieren, liegt daran, daß eine Große
Anfrage der Koalitionsfraktionen vorliegt, die, wie ich meine, in ausgezeichneter Weise von der Regierung beantwortet wurde. Es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß ein Teil der Redner der Opposition diese Anfrage offensichtlich überhaupt nicht gelesen hat; sonst könnte es nicht zu solch unmöglichen Anmerkungen kommen, wie dies hier geschehen ist.
({0})
Ich möchte mich beim Minister und bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich bedanken; denn in der Antwort auf diese Anfrage ist wirklich alles umfassend dargestellt, was für und was gegen die Telematik spricht. Insofern hoffe ich, daß wir bei der Beratung der Anträge im Ausschuß aufeinander zugehen können. Was ich gehört habe, ist teilweise ganz positiv. Aber im Antrag der SPD selber, Herr Hiller, steht noch sehr viel Ungereimtes.
({1})
„Telematik" ist ein Kunstwort aus Telekommunikation und Informatik. In beiden Bereichen explodiert die Entwicklung geradezu. Wir haben es von mehreren Rednern gehört: 200 Milliarden DM Marktvolumen in den nächsten Jahren werden erwartet. Es wäre geradezu töricht, wenn man hier nicht politisch handeln würde.
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Es ist richtig, daß die Telematik nicht alle Verkehrsprobleme lösen kann. Aber alle Verkehrsprobleme sind mit der Telematik leichter lösbar. Dieser Satz stimmt auch.
({3}): Nicht einmal das ist richtig! - Elke Ferner [SPD]: Welche Drucksachennummer hat eigentlich Ihr Antrag?)
Das zu erwartende gesamteuropäische Verkehrswachstum - Deutschland ist ein Transitland - wird ohne Telematik-Systeme nicht mehr lenk- und organisierbar sein. Allein bis zum Jahr 2000, also in nicht einmal vier Jahren, werden in der Europäischen Union zirka 180 Millionen Fahrzeuge zugelassen sein.
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Bisher sind in der Regel nur die Techniken der jeweiligen einzelnen Verkehrsträger verbessert worden, ohne daß das Gesamtsystem Verkehr betrachtet wurde. In einer Zeit, in der moderne Informationstechniken in allen Wirtschaftsbereichen, aber auch in unserem privaten Umfeld zur Grundausstattung gehören und selbst SPD und die Grünen sich rühmen, daß sie nun auch im Internet vertreten sind und es benutzen, muß auch der Verkehr solche Techniken für sich nutzen.
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Die Verkehrstelematik wird erheblich dazu beitragen - da beißt die Maus keinen Faden ab -, daß der
Zielkonflikt zwischen Verkehr und Umwelt gelöst werden kann. Mit den modernen Telekommunikations- und Informatiksystemen sind neuartige Formen der Zusammenarbeit der einzelnen Verkehrsträger möglich. Telematik kann die Verkehrsströme mit Hilfe von elektronischen Systemen in beherrschbare Bahnen lenken.
Herr Kollege Brunnhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wolf?
Nein.
Die Tage unhandlicher Stadtpläne sind gezählt. Es ist auch nur noch eine Frage der Zeit, bis Fahrzeuge in Innenstädten zu elektronisch reservierten Parkplätzen geleitet werden. Dadurch können bis zu 70 Prozent der Verkehrsbewegungen, insbesondere an Samstagen, in unseren Großstädten verhindert werden.
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Die modernen Systeme können aber noch mehr. Durch diese und viele andere Einsatzmöglichkeiten wird das Wachstum des Verkehrs nicht nur gestoppt, sondern die Verkehrsleistung nimmt tatsächlich ab. Das muß man zur Kenntnis nehmen.
Viele sind gegen die Telematik, ohne zu wissen, daß sie im Alltag bereits in vielfacher Weise Verkehrstelematikdienste in Anspruch nehmen. Vielleicht fahren Sie, Herr Schmidt, oder auch Sie, Frau Ferner, demnächst auf der Autobahn A 5. Dort gibt es zwischen dem Homburger Kreuz und dem Westkreuz Frankfurt eine sogenannte Verkehrsbeeinflussungsmaßnahme. Jetzt hören Sie einmal genau zu: Dort wurde ein Rückgang der Zahl der Stauunfälle um 38 Prozent, der Auffahrunfälle um 24 Prozent, der Schwerverletzten um 50 Prozent und der Leichtverletzten um 41 Prozent verzeichnet, obwohl der Verkehr um 7 Prozent zugenommen hat. Im Vergleich dazu stieg die Zahl der Stauunfälle im übrigen Hessen um mehr als 12 Prozent und die Zahl der Auffahrunfälle um fast 17 Prozent. Dies ist ein schlagender Beweis, daß Telematik für die Verkehrssicherheit ein ganz enormer Fortschritt ist.
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Meine Damen, meine Herren, im Zug merken Sie es nicht, aber selbst dort wird die Telematik heute schon eingesetzt; wir haben es gehört. Ohne diese Technik wäre es zum Beispiel gar nicht möglich, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Mit der Telematik wird es nicht nur möglich sein, daß die Bahn ihre Güterwaggons überall in Deutschland findet, sondern auch, daß sie die Zugfolge mit Höchstgeschwindigkeit verdichten kann, was sehr wichtig ist, um die Kapazitäten auszulasten. Dies alles weiß unsere Wirtschaft.
Ich bin dem Verkehrsminister sehr dankbar - hier darf ich für die CDU/CSU-Fraktion sprechen -, daß er in seinem Hause das Forum „Telematik" eingerichtet hat, bei dem alle Kapazitäten Deutschlands an einem Tisch sitzen und darüber beraten, wie man diese Technik, vernetzt im gesamten Verkehrssystem, voranbringen kann.
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Es ist nun einmal wahr, daß unsere Kapazitäten auf Schiene und Straße durch die telematischen Systeme um teilweise bis zu 30 Prozent verbessert werden können. Meine Damen, meine Herren, wir wären doch mit dem Holzhammer gepudert, wenn wir diese Technik nicht einsetzten.
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Es ist übrigens immer wieder zu erwähnen, daß die Nebenprodukte der Telematik unter anderem die Reduktion der Umweltbelastungen und die Erhöhung der Verkehrssicherheit sind. Hier sei eine Zahl genannt, die in den letzten Tagen bekannt wurde: Von 1994 auf 1995 sank die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten um 3,4 Prozent auf 9 485. Das ist die niedrigste Zahl seit 1953. Ich bin sicher, daß dies nicht nur an der verbesserten Technik im Auto liegt, sondern auch schon Ausfluß unserer verkehrstechnischen Leitsysteme, der telematischen Systeme auf unseren Straßen, ist.
Ich habe vorhin schon gesagt: Der Antrag der SPD zur Telematik im Verkehr
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ist teilweise völlig anders als das, was wir von Herrn Hiller hörten. Man merkt bei diesem Antrag, daß Sie insgeheim durchaus die großen Chancen sehen, die die Telematik bietet.
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In Ihrer inneren Zerrissenheit zwischen Anhängern und Gegnern moderner Technik müssen Sie aber so durcheiern.
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Da geht es Ihnen wie beim Transrapid. Hinter vorgehaltener Hand sagen Sie: Jawohl, das ist ein tolles System. - Wenn Sie sich aber öffentlich äußern, müssen Sie gegen den Transrapid sein, weil sonst eventuell Ihre Nominierung bei den diversen Landesparteitagen in Gefahr ist.
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Meine Damen, meine Herren, auch wenn Deutschland alles unternähme, um den individuellen Verkehr zu minimieren, würde es als d a s Transitland zusätzliches Verkehrswachstum haben. Dies führt zu den uns allen wohlbekannten negativen Auswirkungen wie Staus, Unfällen und vielem mehr. Es ist also unsere politische Pflicht, die modernsten Mittel einzusetzen. Dazu braucht die Industrie uns als Partner. Aber auch die Bundesländer und Kommunen müssen Planungssicherheit haben.
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Derzeit werden in Europa rund 64 Feldversuche durchgeführt, die alle zu einem positiven Ergebnis kommen. Der Staat kommt bei der Telematik eben nicht nur als Nachfrager in Frage; er muß vielmehr politische und natürlich auch technische Standards definieren. Die Politik muß dafür sorgen, daß innerhalb Europas, nicht nur innerhalb Deutschlands, kompatible Systeme eingeführt werden.
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Wir sind froh, daß die Initiativen der Unionsfraktion vom Bundesverkehrsminister so intensiv verfolgt werden. Gerade auf europäischer Ebene ist Deutschland bei der Telematik treibende Kraft. Hierdurch werden Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Ich sage: Wer dafür ist, daß Arbeitsplätze und der Standort Deutschland erhalten werden, der muß sich auch für dieses moderne System einsetzen. Letztendlich wird unser aller Wohlstand, auch unser wirtschaftlicher Wohlstand, davon abhängen, daß unser Verkehrssystem funktioniert, daß die Güter, die in Deutschland erzeugt werden, transportiert werden können, damit wir sie verkaufen können.
Ich fasse zusammen: Wer für Telematik ist, der unterstützt auch moderne Technik in Deutschland,
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der sichert Arbeitsplätze, der schafft neue Arbeitsplätze, der ist dafür, daß Deutschland in Europa als wichtiger Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig bleibt.
Diese Regierung wird diese Politik vorwärtstreiben, weil wir für Arbeitsplätze sind und Technik nicht aus ideologischen Gründen ablehnen.
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Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Ganseforth, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Brunnhuber hat eben in seiner Rede für die Koalitionsfraktionen wieder richtig angefangen, von den Chancen und Möglichkeiten zu schwärmen, die die Telematik bietet. Es klang so, als ob sie alle Probleme im Verkehrsbereich löst. Herr Minister Wissmann hatte zwar heute schon in den einführenden Worten diese Haltung etwas
korrigiert. Aber ich habe doch den Eindruck gehabt, die leuchtenden Augen, die er bei dem Thema immer wieder hat, waren nicht zu übersehen.
Sie halten Telematik für den Schlüssel zur Lösung der Verkehrsprobleme. Es gibt genügend Verkehrsprobleme: verstopfte Städte, die Belastung der Menschen durch Lärm und Emissionen, Verkehrsunfälle, die Versiegelung von Flächen, die Zerschneidung der Landschaft, das Sterben der Wälder und die Gefährdung des Klimas. Probleme haben wir genug. Die prognostizierten Zuwachszahlen an Menschen und Gütern im Verkehrssektor übersteigen jede Vorstellung und sind nicht zu verkraften. Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber weiterem Straßenbau sinkt. Auch fehlt das Geld im Haushalt. Herr Wissmann kann ein Lied davon singen, wo die Mittel für die Bereitstellung weiterer Verkehrsinfrastruktur herkommen sollen. Die ökologischen Probleme will ich hier gar nicht ansprechen.
Es ist verständlich, daß eine Regierung und die sie tragende Koalition, die der Verkehrsentwicklung tatenlos zusehen, nun nach dem Strohhalm greifen und versuchen, Zeit zu gewinnen. Mehr ist es nämlich nicht; denn die Hoffnungen, die Sie hier äußern, werden sich nicht erfüllen. Der automobile Kollaps wird durch eine Vergleichmäßigung der Auslastung der Verkehrsinfrastruktur allenfalls hinausgezögert, wenn nicht Verkehrsvermeidung und -verlagerung hinzukommen, wenn die Verlagerung von der Straße auf die Schiene und auf den Umweltverbund nicht endlich in den Mittelpunkt der Politik gestellt wird.
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Optimisten erwarten zum Beispiel, daß durch Telematik die großen Zahlen der Leerfahrten im LkwVerkehr beseitigt werden. Dabei wird vergessen, daß ein Drittel der Leerfahrten durch den Transport von Spezialgütern entsteht. Zum Beispiel bei Tankfahrzeugen, Fahrzeugen für chemische Produkte, Kühlfahrzeugen für Lebensmittel usw. lassen sich Leerfahrten nicht vermeiden. Sie können nicht mit demselben Lkw Lebensmittel hin- und Benzin und Treibstoff zurücktransportieren. Insofern lassen sich Leerfahrten nicht vermeiden. Dasselbe gilt bei Transportströmen in die Ballungszentren und in die Städte hinein, die unpaarig sind. Auch dort ist das Verlagerungspotential relativ gering.
Teilleerfahrten sind ebenfalls unvermeidbar, wenn bei Verteiltouren die Güter sukzessive abgeladen werden. Das kann man nicht gänzlich vermeiden. Dazu kommen Fahrten, bei denen Ziel- und Abholorte versetzt sind. Der Teufel steckt also im Detail. Man muß sich das sehr genau anschauen und darf nicht allgemein sagen: Telematik löst alle diese Probleme. Will man zum Beispiel im Werkverkehr die Leerfahrten verhindern, dann muß man das Verbot der Ladungsaufnahme für Dritte beseitigen. Dort also muß etwas getan werden.
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In allen diesen Fällen kann das Zauberwort Telematik allein wenig bewirken. Wichtig ist nach wie vor eine Anlastung der externen Kosten im Lkw-Verkehr. Ohne diese werden Sie Ihre Wünsche und Wunschvorstellungen überhaupt nicht erfüllen.
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Ein anderes Beispiel für die Mogelpackung ist die Erwartung, daß die Umweltbelastungen verringert und der Kraftstoffverbrauch gesenkt werden, weil durch Telematik der Verkehrsfluß verbessert wird. Das hat Herr Friedrich gesagt. Das hat auch Herr Brunnhuber gesagt. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Kürzere Tür-zu-Tür-Zeiten, Verkehrsleitsysteme, die die Verkehrsströme nur anders verteilen und womöglich noch durch Wohngebiete führen - Herr Hiller hat darauf hingewiesen, daß das nicht sein darf -, und eine Maximierung der Automobilität werden die Attraktivität der Straße eher steigern und so die Verkehrs- und Umweltprobleme noch verschärfen.
Auch wenn Sie gesagt haben, die Unfallzahlen gingen durch Telematik zurück - es gibt noch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel wurden auf der total überlasteten A 2 im Raum Hannover-Lehrte-Braunschweig durch Überholverbote für Lastwagen und ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern die Unfallzahlen in vergleichbarer Größenordnung zurückgeführt. Auch die Stauzeiten sind durch solche Maßnahmen zurückgegangen.
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Es gibt also einige Möglichkeiten mehr.
Ich möchte auf einen Punkt in der Großen Anfrage eingehen. In Frage 12 wollen Sie wissen, inwieweit die Telematik zu einer klimaverträglichen Verkehrspolitik beiträgt, und zielen auf das ab, was die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" im Bereich Klima und Verkehr empfohlen hat. Jetzt möchte ich einmal aus der Antwort der Bundesregierung vorlesen; denn diese zeigt das Wunschdenken. Da heißt es:
So können z. B. im Personenverkehr zu Hause verfügbare Verkehrsinformationen zum Verzicht auf die Benutzung des eigenen Fahrzeugs und zur Wahl öffentlicher Verkehrsmittel bewegen . . .
Glauben Sie das wirklich? Wird nicht vielmehr der potentielle Nutzer das eigene Fahrzeug verwenden, solange ihm durch die Information freie Kapazität angezeigt wird? Wenn die Anzeige ausweist, daß es keine freie Kapazität gibt, wird er doch nicht etwa ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen - soll er vielleicht den Bus nehmen, mit dem er dann in demselben Stau steht? -, sondern er wird so lange warten, bis wieder Kapazität frei ist. Es ist also reines Wunschdenken, daß diese Informationen zu Hause am Computer dazu führen, daß ein potentieller Nutzer umsteigt.
Außerdem heißt es in der Antwort: „Dynamische, d. h. situationsabhängige Parkleitsysteme" werden helfen. Sie werden helfen, eben nicht umzusteigen. Genau an diesen Stellen zeigt sich das WunschdenMonika Ganseforth
ken, und man merkt, wie wenig realistisch Ihre Vorstellungen sind.
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Zum Beispiel wird im Rahmen des Telematik-Projektes STORM, das in Stuttgart läuft, dem Autofahrer P + R angedient, „bevor er in einen Stau gerät oder in der überlasteten City erfolglos nach einem Parkplatz sucht". Genau das führt aber dazu, daß der Verkehrsverbund sozusagen zum Überlaufsystem für den Straßenverkehr wird. Das darf nicht sein.
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Der Verkehrsverbund hätte dann die Funktion eines Ersatzes oder einer Ergänzung für die Straße; so würde das jedenfalls funktionieren. Der Verkehrsverbund wird bei Ihrem Ansatz nicht gewinnen.
Schauen Sie sich die Große Anfrage einmal an, von der Sie hier eben so begeistert erzählt haben. Die Hälfte der Fragen zu den Verkehrsträgern beziehen sich auf Telematik auf der Straße. Die restlichen Fragen stellen Sie zum Luftverkehr - der auch nicht besonders umweltfreundlich ist -, und dann kommen unter „ferner liefen" noch Schiene, Schiff und öffentlicher Personenverkehr. Es spricht für sich, wie Sie das aufgeteilt haben. So ist Ihr Denken in bezug auf Telematik.
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Dabei - wir haben es gehört - gibt es gerade im Bereich von Schiene und öffentlichem Nahverkehr erhebliche Potentiale und große Notwendigkeiten für eine sinnvolle und intelligente Nutzung der Telematik. Ähnlich ist es, wenn die Regierung von der Verknüpfung der Verkehrssysteme durch Telematik spricht, wobei es dann immer heißt, jeder Verkehrsträger solle entsprechend seinen Stärken eingesetzt werden. Ich stelle mir einen Nutzer vor, der sich wie ein Fisch im Wasser durch Europa bewegt, mit dem Flugzeug, mit dem Auto, mit der Bahn, mit dem Bus, je nachdem. Der pfiffige Nutzer wird Mobilität durch Telematik hervorragend nutzen können.
Sie haben es gesagt, Herr Minister: Die Schnellen werden die Langsamen besiegen. Aber wo bleiben die anderen? Damit meine ich nicht die Jäger, Sammler und Fallensteller, Herr Friedrich, sondern ich meine die alten Menschen, die Behinderten und die Kinder. Wo sollen diese in Ihrer schönen, mobilen neuen Welt bleiben? Wir müssen eine Verkehrspolitik machen, die umwelt- und sozial verträglich ist. Das, was Sie hier zugrunde legen, ist das keineswegs. So, wie Sie das ansetzen, geht es in die falsche Richtung. Wir brauchen dezentrale Strukturen, Stärkung der Nähe, eine Nutzungsmischung und Erhöhung der Raumwiderstände. Das sichert Arbeitsplätze. Telematik ist nur im Rahmen eines umfassenden Gesamtverkehrskonzepts sinnvoll, das alle Verkehrsträger einschließt und den Schwerpunkt auf eine Verkehrspolitik des Vermeidens und Verlagerns legt.
Schluß mit dem Wunschdenken! Wir fordern von Ihnen eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der Telematik, wie sie in unserem Antrag vorgenommen wird. Es ist übrigens erstaunlich, daß Sie zwar permanent von Telematik reden, aber noch nicht einmal einen Antrag zustande gebracht haben. Das erklärt auch, warum hier unterschiedliche Positionen dargelegt worden sind. Das liegt daran, daß Sie nicht genau sagen, was Sie nun meinen. Wir wollen eine Telematik-Anwendung im Verkehr in sinnvoller Weise. Telematik darf nicht das Alibi für verkehrspolitische Untätigkeit werden.
Schönen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Renate Blank, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schluß der Debatte kann ich nur feststellen, daß es allerhöchste Zeit ist, daß sich das System Verkehr der modernen Informationstechnik annimmt.
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Denn Telematik eröffnet neue Dimensionen verkehrspolitischen Handelns. Komplex ist bei unserer föderalen Struktur allerdings das Zusammenwirken staatlicher Ebenen untereinander und mit der Privatwirtschaft. Ein koordiniertes Zusammenwirken staatlicher Ebenen, von Bund, Ländern und Kommunen, und privater Unternehmen ist die Voraussetzung für die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen, damit sich der Zukunftsmarkt erfolgreich entfalten kann. Außerdem brauchen wir eine europaweite Abstimmung, damit alle Verkehrsträger, Straße, Schiene, Luft und Wasser, erfolgreich vernetzt werden können.
Lassen Sie mich nur einen Teilaspekt der Telematik herausgreifen, nämlich die Vernetzung des Individualverkehrs mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Das sind natürlich insbesondere Verkehrsleit- und Parkleitsysteme. Wenn es um die Lösung von Verkehrsproblemen in Ballungszentren geht, sind zwar in erster Linie die Kommunen gefordert; dazu gehört aber, daß man dem Einsatz der Telematik im Verkehr positiv gegenübersteht. Vor allem rotgrüne Stadtregierungen betrachten die Telematik im Verkehr als Teufelswerk
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und verkennen dabei die großen Chancen zukunftsfähiger Verkehrssysteme, die ein hohes Maß an Umweltverträglichkeit mit industrieller Modernisierung in einem volkswirtschaftlich relevanten Sektor verbinden.
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In Nürnberg wurde, obwohl die positive Wirkung durchaus erkannt wurde, sogar absichtlich auf ein Verkehrsleitsystem verzichtet, weil Staus und Engpässe als öffentliche ideologische Rechtfertigung einer Anti-Auto-Politik wohlwollend in Kauf genommen werden
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bzw. gefördert wurden.
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Zum Beispiel wurde bei der Vorstellung eines Verkehrsleitsystems vom zuständigen Baureferenten mit Erschrecken ausgerufen: Dann würde ja der Verkehr flüssiger werden; das ist nicht im Sinne rot-grüner Politik.
Unser Bestreben ist, mit Telematik den Verkehr flüssiger zu gestalten, Fahrzeiten zu verkürzen und Staus zu vermeiden, damit weniger Umweltbelastung entsteht.
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Warum ich das erzähle? - In Nürnberg ist die rotgrüne Verweigerungs- und Verhinderungspolitik gescheitert. Dem Wähler ist die Technikfeindlichkeit endlich zuviel geworden.
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Wer Telematik im Verkehr ablehnt oder nur „road- pricing" darunter versteht und auch denkt, daß dadurch eine Verlagerung auf Wohngebiete erfolgt, hat wirklich keine Ahnung davon, was Telematik alles kann.
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Zum Beispiel ist eine Verbesserung der Verkehrssituation in Ballungsräumen durch die Beeinflussung von Verkehrsnachfrage, Verkehrsmittelwahl und Verkehrsablauf möglich. Ein Verkehrsleitsystem im Ballungsraum mit Park-and-Ride-Plätzen kann sogar die Bevorzugung des ÖPNV beinhalten. Aber so weit scheinen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, noch gar nicht gedacht zu haben.
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Außerdem kann Parksuchverkehr fast vollständig vermieden werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lehnen Sie Telematik im Verkehr nicht ab!
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Sie schaden mit Ihrer Technikfeindlichkeit der Zukunft unseres Landes.
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Im Bereich Verkehrstelematik sind wir derzeit noch führend in Europa, und es gilt, diesen Vorsprung zu halten und unserer deutschen Industrie einen europäischen und weltweiten Erfolg zu ermöglichen. Wenn Sie das Bündnis für Arbeit ernst nehmen, dann können Sie Telematik nicht ablehnen.
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Denn die Verkehrstelematik gibt wichtige Impulse zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Es ist schon ausgeführt worden, daß das Marktvolumen im Bereich der Telematik
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allein in Europa auf über 200 Milliarden DM in den nächsten 10 Jahren geschätzt wird.
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Kollege Schmidt, Ihnen gegenüber kann man das nicht oft genug wiederholen. Sie wissen ja von Ihrer beruflichen Laufbahn her, daß es wichtig ist, richtige Dinge immer zu wiederholen, damit es endlich auch diejenigen, die es nicht glauben, kapieren.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, überwinden Sie Ihre Technikfeindlichkeit,
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und wirken Sie in Ihren Gebietskörperschaften darauf hin, daß im Zusammenwirken mit der Privatwirtschaft die Telematik gewinnen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu der Mitteilung der Europäischen Union über Telematikanwendungen im europäischen Verkehrswesen, Drucksache 13/1602. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/4019 und 13/4441 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren, Michael Müller ({0}), Wolfgang Behrendt weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gefährdung der Böden erkennen und vorsorgenden Bodenschutz durchsetzen
- Drucksache 13/3553 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1994 des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen „Welt im Wandel: Die Gefährdung der Böden"
- Drucksache 13/2221 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Debatte eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Klinkert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bodenschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Ohne Luftreinhaltung, ohne Gewässerschutz, ohne umweltgerechte Abfallwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft oder Raumordnung kann man keinen wirksamen Bodenschutz erzielen.
Dies stellt auch das Jahresgutachten 1994 des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen fest. Das Jahresgutachten kann als wichtiger Schritt zum Ziel einer umfassenden Verbesserung des Schutzes des Bodens bezeichnet werden. Die Handlungsempfehlungen des Beirates bestätigen, daß die Bundesregierung mit ihrer Bodenschutzpolitik auf dem richtigen Weg ist.
Nicht nachvollziehen kann ich deswegen
({0})
die Schlußfolgerung der SPD in ihrem Antrag, die Bundesregierung habe im Bereich des Bodenschutzes nichts oder nichts Wesentliches geleistet.
({1})
Lassen Sie mich deshalb einige Details anführen.
Die Belange des Bodenschutzes wurden bei der Umsetzung der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung, die ja bereits aus dem Jahre 1985 stammt, in mehr als 50 Rechtsetzungsakte des Bundes integriert. Regelungen wurden insbesondere im Immissionsschutzrecht, im Pflanzenschutz- und Düngemittelrecht, im Wasser-, Abfall- und Chemikalienrecht und in einigen anderen Regelungen mit aufgenommen. Die Bundesregierung hat dazu dem Deutschen Bundestag mehrfach berichtet.
Außerdem sind wir auf einem guten Weg zur Verabschiedung des Bundesbodenschutzgesetzes. Frau Bundesministerin Merkel hat am 22. März den Entwurf dieses Gesetzes auf den Tisch gelegt und an die betroffenen Verbände und an die Länder verschickt. Ich freue mich schon jetzt auf die Beratung dieses Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und im Umweltausschuß.
Gleichzeitig wird im Bundesumweltministerium mit Hochdruck am untergesetzlichen Regelwerk gearbeitet, das unter anderem bundeseinheitliche Bodenwerte zur Gefahrenabwehr und zur Vorsorge enthalten wird.
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In Summe werden durch das Bundesbodenschutzgesetz und durch das untergesetzliche Regelwerk weitere Verbesserungen des Bodenschutzes erreicht werden, wie das auch vom Beirat mit Recht gefordert wurde.
Weil aber der Bodenschutz eine Querschnittsaufgabe ist, muß er natürlich mit anderen vorhandenen Regelungen verzahnt und darf nicht auf diese übergestülpt werden. Unter anderem deshalb wird das künftige Bundesbodenschutzgesetz ein Artikelgesetz sein, das auch einige andere bestehende Gesetze ändern wird.
Das Bodenschutzgesetz schafft die Grundlage für die bundeseinheitliche Behandlung bestehender BoParl. Staatssekretär Ulrich Klinkert
denbelastungen, aber auch für bundeseinheitliche Regelungen zur Vorsorge vor weiteren Belastungen. Die Funktionen des Bodens sollen in ihrer Leistungsfähigkeit nachhaltig erhalten und, wo notwendig, auch wiederhergestellt werden. Hierzu sind Gefahrenabwehr- und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen.
Damit wird der Boden als Umweltmedium nicht nur mittelbar, sondern künftig auch unmittelbar durch Bundesgesetz einem direkten Schutz unterstellt. Sowohl im Gutachten des wissenschaftlichen Beirats als auch im Gesetzentwurf ist die Bedeutung des flächenhaften Bodenschutzes verankert. Dessen Wirksamkeit muß natürlich überwacht werden, und die auch im SPD-Antrag enthaltene Forderung zum Boden-Monitoring wird deswegen im Gesetz wiederzufinden sein, übrigens andere Forderungen ihres Antrages auch.
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Ich begrüße ausdrücklich die Forderung ihres Antrags,
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eine bundeseinheitliche Regelung in Form eines Bundesgesetzes zu schaffen, das sowohl Bodenschutz als auch Altlastenbeseitigung gemeinsam und verbindlich behandelt. Wir stimmen auch darin überein, daß Anforderungen an den Schutz und die Sanierung von Böden erarbeitet werden müssen; letzterem wird vor allem das untergesetzliche Regelwerk dienen. Dieses Regelwerk wird damit nicht nur ökologische Effekte hervorrufen, sondern es wird auch Investitionssicherheit und Vertrauen in die Entscheidungen von Behörden schaffen.
Wichtig ist, daß jetzt zügig in die Phase der Diskussion und Umsetzung des Gesetzentwurfs eingetreten wird. Im Mai werden wir dazu die Anhörung der Verbände durchführen und das Gesetz mit den Ländern erörtern, damit es vor der Sommerpause vom Kabinett behandelt werden kann, um dann dem Bundesrat zugeleitet zu werden.
Diskussionen wird es sicherlich zu der von der SPD erhobenen Forderung einer Jedermann-Vorsorge geben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch der Regierungsentwurf enthält Vorsorgeanforderungen, zum Beispiel zu Schadstoffeinträgen. Eine allumfassende Vorsorgepflicht kann jedoch nicht sinnvoll sein; denn menschliche Aktivitäten sind ohne Inanspruchnahme des Bodens nun einmal nicht möglich, zum Beispiel wird man für den Bau weiterer Wohnhäuser Boden nutzen müssen.
Das Gesetz wird allerdings Pflichten zur Vermeidung und zur Abwehr von Bodenbelastungen und die Forderung der Sanierung der Böden und Altlasten enthalten. Ein besonderer Schwerpunkt des Gesetzes ist genau diese Altlastensanierung. Geregelt werden die Erfassung altlastenverdächtiger Flächen, die Aufstellung von Sanierungsplänen und die Pflicht zur umfassenden Information der Öffentlichkeit über Sanierungsmaßnahmen.
Neu ist eine Verfahrensbeschleunigung bei Anordnungen zur Altlastensanierung unter anderem dadurch, daß alle Behördenentscheidungen, die sich auf ein konkretes Sanierungsprojekt beziehen, künftig auch in einer Anordnung zusammenzufassen sind.
Im Gesetzentwurf heißt es:
Mit Grund und Boden soll sparsam umgegangen werden. Hierbei sind Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen.
Diese Pflicht, die ins Baugesetzbuch aufgenommen werden soll - auch das ist übrigens eine gemeinsame Forderung -, wird für die städtebauliche Praxis in der Zukunft von erheblichem Gewicht sein, unter anderem bei der Aufstellung von Bauleitplänen.
Weiterhin soll das im Baugesetzbuch bereits geregelte Abbruchgebot um ein Entsiegelungsgebot bei dauerhaft nicht mehr genutzten Flächen erweitert werden.
Meine Damen und Herren, das Bundesbodenschutzgesetz kann natürlich nur Bodenschutzbelange innerhalb Deutschlands regeln. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung betrachtet in seinem Bericht aber auch die weltweite Gefährdung von Böden. Er beschreibt die Hauptfunktionen der Erdhaut Boden als Lebensraum, Regelungs-, Produktions- und Kulturraum in seinen vielfältigsten Funktionen.
Internationale Aktivitäten, die von der Bundesregierung unterstützt und zum Teil auch initiiert wurden, wie das Bemühen um den Klimaschutz, zur Verhinderung der Wüstenbildung oder zum Erhalt der Artenvielfalt und der Wälder, tragen dem medienübergreifenden Charakter des Bodens Rechnung und werden durch die Bundesregierung konsequent umgesetzt und fortgeführt.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Bundesregierung bereits in der Vergangenheit dem Schutz des Bodens einen hohen Stellenwert beigemessen hat.
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Dies wird mit dem Bundesbodenschutzgesetz konsequent fortgeführt und in eine neue Rechtsqualität gehoben. Ich lade Sie zur Zusammenarbeit bei der Verabschiedung und Umsetzung dieses Gesetzes ein.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Die optimistische Einschätzung, die Herr Staatssekretär Klinkert gegeben hat,
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sei sehr realistisch, sagen Sie; aber ich darf daran erinnern, daß wir hier in der vergangenen Woche geDr. Angelica Schwall-Düren
rade das Altlastengutachten II des Sachverständigenrates für Umweltfragen debattiert haben, und heute haben wir erneut ein wissenschaftliches Gutachten vorliegen, das eine ganz andere Sprache spricht. Hier wird ganz deutlich auf die Handlungsdefizite der Bundesregierung abgehoben.
In der Tat, Herr Staatssekretär, weist uns der Sachverständigenrat Globale Umweltveränderungen darauf hin, welche überragende Funktion das Medium Boden für unsere Lebensbedingungen hat:
Die Bodenfruchtbarkeit und das Ausmaß der Bodendegradation bestimmten seit jeher die Qualität menschlicher Lebensbedingungen, die Welternährungslage und damit den Wohlstand der Menschheit. Wir müssen in der Tat begreifen, welch wichtige Bedeutung die vier auch von Herrn Staatssekretär genannten Grundfunktionen des Bodens für uns haben.
Um die Gewichtigkeit deutlich zu machen, möchte ich noch einmal aus dem Gutachten zitieren:
Weltweit weisen bereits rund 15 % der Landfläche erkennbare anthropogene Degradationserscheinungen auf.
Aber nicht nur die Ursachen sind global, sondern auch die Folgen. Die Bodendegradation wirkt sich negativ auf die Produktion von Nahrungsmitteln aus. Sie beeinflußt in weiten Teilen die Biodiversität; besonders in den Regionen, wo Wälder gerodet werden, wird die Lebensraumfunktion gestört. Durch Veränderung des Energieumsatzes und der biogeochemischen Kreisläufe von Kohlenstoff und Stickstoff wirkt die Degradation auch auf das Klima ...
Wenn wir also nicht wollen, daß es zu der Verschärfung der schon eingetretenen Gefährdung der Ernährungsgrundlagen und des Naturhaushalts kommt, müssen wir uns der Verantwortung für den Umgang mit unserem Boden jetzt stellen. Dies gilt für die internationale, aber auch für die nationale Ebene.
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Der Wissenschaftliche Beirat warnt davor, daß die Probleme der Bodendegradation den terrestrischen Folgen des Klimawandels in den nächsten zwei bis drei Dekaden deutlich vorauseilen werden. Mein Kollege Christoph Matschie wird auf die Notwendigkeit einer internationalen Bodenkonvention zu sprechen kommen, wie in dem Gutachten angemahnt, aber von Ihnen, Herr Staatssekretär, hier überhaupt nicht erwähnt.
Es freut uns, daß die Bundesregierung richtig erkannt hat - und damit auch unsere ungeteilte Zustimmung findet -,
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„daß nur durch die Verbesserung des nationalen Bodenschutzes die Voraussetzungen für einen wirkungsvollen internationalen Beitrag zur Erhaltung der Böden geschaffen werden". Mit unserem Antrag
verfolgen wir das Ziel, den Worten jetzt Taten folgen zu lassen. Auch hier betone ich, daß der Antrag auch einen internationalen Teil hat.
Wir zielen mit unserem Antrag nun aber auch auf die nationale Ebene. Wenn Sie vorhin die Bodenpolitik der Bundesregierung so lobend erwähnt haben, so muß ich das ganz anders interpretieren. In der Tat haben wir seit über einem Jahrzehnt eine durchaus gute Bodenschutzkonzeption, und die Diskussionen über die politischen Maßnahmen zu einem nationalen Bodenschutz dauern an. Ich freue mich auch über Ihre Ankündigungen, Herr Klinkert. Allein, mir fehlt der Glaube, daß wir nun wirklich mit einem Bodenschutzgesetz vorankommen und daß wir insbesondere auch das untergesetzliche Regelungswerk relativ rasch bekommen.
Die Altlastenproblematik, über die wir erst letzten Donnerstag hier im Plenum debattiert haben, liefert das eindrucksvollste und plausibelste Beispiel dafür, wie dringend notwendig gesetzlich vorgegebene vorbeugende Maßnahmen zum Bodenschutz sind. Solange es dazu nicht kommt, wird der sorglose Umgang mit dem Medium Boden weiter anhalten.
In einem dichtbesiedelten und hochindustralisierten Land wie Deutschland ist die Beanspruchung der Böden erheblich. Erosion, Stoffeinträge, Landverbrauch und -versiegelung beeinträchtigen die schon erwähnten verschiedenen Bodenfunktionen. Der Landschaftsverbrauch durch die Zunahme an Siedlungs- und Verkehrsflächen - er spielte eben auch in der Verkehrsdebatte eine Rolle - beträgt in Deutschland derzeit 71 Hektar pro Tag, so die Angaben der Bundesregierung; es gibt auch noch andere Zahlen. Zwar nimmt der Landschaftsverbrauch in den alten Ländern nicht mehr so stark zu wie in den neuen Ländern, wo - bedingt durch erhöhte Bautätigkeit bei Wohnungen und Infrastruktur überwiegend auf Grund des hohen Nachholbedarfes - eine steigende Tendenz zu beobachten ist. Aber 1961 betrug die Siedlungsfläche beispielsweise in Nordrhein-Westfalen noch 14,6 Prozent der Gesamtfläche, 1995 aber bereits 21 Prozent.
Verständlich, aber besorgniserregend ist die Entwicklung, daß Investoren Gebiete zur Bebauung bevorzugen, in denen keine Bodenkontamination vorliegt. Schwierig dürfte es dagegen sein, Investoren im Ballungsraum Leipzig-Halle-Bitterfeld zu finden; denn diese Region ist eine der Regionen mit den stärksten Umweltbelastungen in Europa, wobei die Belastungen vor allem auf den Einsatz von schwefelhaltiger Braunkohle in der Energiewirtschaft und auf die Konzentration der chemischen Industrie in dieser Region zurückzuführen sind. Dies beeinträchtigt Landschaft und Boden, wie es die Untersuchungen des Wissenschaftlichen Beirates eindrucksvoll dokumentieren. Aber nicht nur dies: Auch die Wasserversorgung und die Gesundheit sind Faktoren, die den Raum Leipzig-Halle-Bitterfeld nach den Untersuchungen des Beirates für Investoren nicht attraktiv machen. Wir haben dort den Raum mit der höchsten Bronchitismorbidität ganz Ostdeutschlands.
Die Folge liegt auf der Hand: Investoren wählen Gegenden mit günstigeren Bodenausgangswerten.
So schließt sich der Kreislauf, und der zunehmende Bodenverbrauch wird fortgesetzt. Da aber der Boden genauso wie Wasser und Luft zu den nicht vermehrbaren Umweltmedien gehört, brauchen wir ein Bodenschutzgesetz, das Vorgaben für vorsorgenden Bodenschutz und für die Sanierung der Böden liefert, auch um dem fortschreitenden Flächenverbrauch entgegenzuwirken.
Vor dem Hintergrund des Jahresgutachtens und vor dem Hintergrund zahlreicher anderer von Experten zusammengestellter Gutachten und Handlungsempfehlungen ist es nicht nachvollziehbar, wieso die Bundesregierung das Bodenschutzgesetz bisher immer noch nicht vorgelegt hat. Sie haben es ja nun angekündigt. Wir als Parlamentarier haben es noch nicht zu Gesicht bekommen; es hat das Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit noch nicht erblickt. Wir erwarten aber, daß dieses Bodenschutzgesetz in Kürze vorgelegt wird.
Herr Staatssekretär, liebe Kollegen und Kolleginnen, ich betone: Die SPD sieht ein Hauptziel des Gesetzes in der Verpflichtung für jedermann, über einen vorsorgenden Bodenschutz den Boden als Lebensraum und Ökosystem zu erhalten,
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damit für nachfolgende Generationen die Produktion unbelasteter Nahrungsmittel und nachwachsender Rohstoffe gesichert ist und die Regelungs-, Filter- und Speicherfunktion für einen funktionierenden Wasserhaushalt erhalten bleibt. Stoffeinträge müssen nach dem Stand der Technik minimiert werden, damit Beeinträchtigungen von Boden und Grundwasser und neue Altlasten verhindert werden. Ich betone besonders das Grundwasser; denn dies ist meiner Kenntnis nach im Bodenschutzgesetz nicht vorgesehen.
Ein Verschlechterungsverbot muß über ein gesetzlich geregeltes Monitoring gesichert werden. Auch wenn Sie, Herr Staatssekretär, ausgeführt haben, daß schon Verbesserungen erfolgt sind, so sind wir gleichwohl der Meinung, daß alle relevanten Rechtsbereiche dynamisiert fortgeschrieben werden müssen, damit der Vorsorgegedanke dort integriert wird und Bodenschädigungen durch Schadstoffeinträge, Erosion und Bodenverdichtung vermieden werden. Wir erwarten auch, daß in Kürze das von Ihnen angekündigte Entsiegelungsgebot und die Maßgabe, die Versiegelung auf das notwendige Maß zu reduzieren, in das Baugesetzbuch aufgenommen werden.
Zum Schluß: Das Jahresgutachten des Beirates hat wieder einmal mehr die Handlungsdefizite der Bundesregierung herausgestellt. Wir hoffen und sind inzwischen auch davon überzeugt, daß mit unserem Antrag nun der letzte Anstoß gegeben ist, damit die Bundesregierung dem Schutz des Bodens endlich die Bedeutung einräumt, die ihm zur Sicherung unserer elementaren Lebensvoraussetzungen gebührt.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße es für unsere Fraktion, daß wir uns nach der schwerpunktmäßig am Abfallbereich orientierten Debatte der vergangenen Woche heute mit dem neuen Rechtsbereich des Bodenschutzes beschäftigen. Es bedarf wohl noch der einen und anderen Anregung, um anzustoßen, daß neben dem Immissionsschutz, dem Gewässerschutz und dem Abfallrecht mit dem Bodenschutz ein neuer, sich gerade in der Entwicklung befindlicher Rechtsbereich nun in das Umweltschutzrecht eingegliedert wird, dem auch ein hoher Stellenwert eingeräumt werden muß. Von daher ist es auch Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß wir dem Element Bodenschutz in unserer integrierten Umweltschutzpolitik entsprechende Geltung verschaffen.
Wir wissen alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Boden ist in vielfältiger Weise durch Vergiftung, Verdichtung, Erosion und Versiegelung bedroht. Politisches Gegensteuern ist in noch stärkerem Maße als in der Vergangenheit gefordert. Aber wir müssen uns auch nichts vormachen: Der Bodenschutz in Deutschland und auch anderswo fängt nicht mit dem Bodenschutzgesetz an, sondern wir haben hier in den vergangenen Jahren viel erreicht, insbesondere dadurch, daß wir das Verwaltungshandeln auch im Hinblick auf die Gefährdung von Böden sensibilisiert haben.
Etwa 11,5 Prozent des Bundesgebietes werden als Siedlungs- und Verkehrsflächen genutzt. Im Vergleich zur Landwirtschaft, die rund 50 Prozent der Fläche beansprucht - zu dem Themenbereich wird der Kollege Straubinger gleich noch ausführlich Stellung nehmen -, und zur Waldfläche mit knapp 30 Prozent scheint dieser Anteil sehr gering zu sein. Es bestehen jedoch starke regionale Unterschiede im Siedlungsflächenanteil. So müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß etwa in den Großstadtregionen und Ballungsräumen der alten Bundesländer Verdichtungen von über 50 Prozent, in Großstädten teilweise von deutlich über 70 Prozent, anzutreffen sind.
In den neuen Ländern bestehen hohe Verdichtungen um Berlin und um Dresden sowie entlang der Siedlungsachse von Magdeburg über Leipzig bis Chemnitz. In dichtbesiedelten Räumen konzentrieren sich die Belastungen des Bodens. Es findet ein stetiger Eintrag von Schadstoffen in den Boden, der zu einer Anreicherung führt, statt. Die Folge sind negative Veränderungen der physikalischen, chemischen und biologischen Bodeneigenschaften. Darüber hinaus treten Grundwasserabsenkungen, Verminderung der Pflanzendecke und die Reduzierung biologisch aktiver Bodenflächen sowie eine starke Versiegelung auf.
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In den Verdichtungsräumen sind Bodenschutzmaßnahmen somit vordringlich durchzuführen. Herr
Kollege Matschie, Sie wissen, daß vieles von dem im allgemeinen Verwaltungshandeln schon integriert ist. Ich habe darauf hingewiesen. Wir können nicht einfach so tun, als stünden wir beim Bodenschutz bei Null. Es geht dabei im Kern um eine Vereinheitlichungsstrategie.
Darüber hinaus sind im gesamten Bundesgebiet zur Zeit rund 140 000 Altlastenverdachtsflächen erfaßt, in den neuen wie in den alten Bundesländern jeweils etwa 70 000. Die Lösung der Altlastenproblematik ist für die zukünftige wirtschaftliche Bedeutung im Hinblick auf Investitionen in diesem Land von herausragender Bedeutung.
Daher - das gestehe ich ohne weiteres ein - hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem Jahresgutachten, das wir heute debattieren, zahlreiche Anregungen gegeben, wie der Schutz des Bodens noch zu verbessern ist. Wissenschaftliche Beiräte und Gutachten wären ja sinnlos, wenn sie nicht auch Verbesserungsvorschläge machen würden. Viele dieser Anregungen wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgreifen und im Rahmen des jetzt versandten Entwurfs zu einem Bundesbodenschutzgesetz diskutieren. Wir wollen mit dem Bundesbodenschutzgesetz auf nationaler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen, sowohl Vorsorge als auch Sanierung gesetzlich zu regeln.
Zu der Einschätzung, daß dieses Gesetz in die richtige Richtung zeigt, ermutigen mich die ersten Reaktionen von Umweltschutzverbänden. So hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Unterstützung für das Gesetzgebungsverfahren signalisiert. Frau Kollegin Schwall-Düren, sollten Sie den Text dieses Gesetzentwurfs vom BUND oder von anderen Verbänden noch nicht erhalten haben - er ist ja an einige Dutzend Verbände verschickt worden -, bin ich gerne bereit, zur Verbesserung und Intensivierung des Dialogs Ihnen den Gesetzestext informell zur Verfügung zu stellen.
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Das Bodenschutzgesetz ist die Antwort auf die Forderung des Sachverständigenrats für Umweltfragen und des Wissenschaftlichen Beirats für globale Umweltveränderungen. Wir von der CDU/CSU streben an, daß das Gesetz in einem breiten Konsens getragen wird. Ich glaube, in kaum einem anderen Bereich sind sich Regierung, Opposition und Verbände so einig wie bei der Einführung dieses einheitlichen Bundesbodenrechts. Ich appelliere daher an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, aber auch an die Länder, sich aktiv an diesem Gestaltungsprozeß zu beteiligen.
Ich erinnere an die guten Gespräche im Zusammenhang mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz. Von diesem hat die Kollegin Caspers-Merk hier vor einer Woche behauptet, es sei ein Meilenstein.
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Jetzt gilt es, einen weiteren Meilenstein des Umweltrechts zu formulieren, nämlich das Bundesbodenschutzgesetz.
Ich glaube, daß wir in den ersten Gesprächen, die auf die Bodenschutzpolitik abzielen, beispielsweise bei der Anhörung zum Hochwasserschutz, diesen Konsens und die gemeinsame Verantwortung von Ländervollzugsbehörden und Rahmengesetzgeber Bund deutlich gemacht haben. Dies werden wir weiter vorantreiben.
Mit dem Bundesbodenschutzgesetz soll der Boden in seiner Funktionsvielfalt erhalten bleiben. Damit dient das Gesetz dem Vorsorgegedanken. Der Boden muß vor weiteren Schadstoffeinträgen geschützt werden. - In dem Antrag der SPD ist das der Grundsatz eines Verschlechterungsverbots. - Wir müssen uns konkret darüber unterhalten, wie entsprechende Regelungen auszugestalten sein werden.
Im Bereich der Sanierung müssen wir die vielfältigen Erfordernisse, die die Altlastenproblematik, beispielsweise das Altlasten-Il-Gutachten der vergangenen Woche, aufgezeigt hat, durch eine entsprechend differenzierte Antwort bei der feinen Ausgestaltung des bodenschutzrechtlichen Handlungsinstrumentariums berücksichtigen. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, daß nicht mehr genutzte Flächen einer angemessenen neuen Nutzung zugeführt werden. Den ausdrücklichen Bezug auf die Nutzung einer Fläche gilt es auch im Rahmen von eventuellen Sanierungen zu berücksichtigen. So weise ich darauf hin, daß wir unterschiedliche Sanierungserfordernisse ins Auge fassen sollten, je nachdem, ob es sich um einen Kinderspielplatz mit hoher Sensibilität oder um eine neue Industrieansiedlung auf einer bisher industriell genutzten Fläche handelt.
Ich freue mich, daß der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten auch sehr stark auf die ökonomischen Aspekte des Bodenschutzrechtes hingewiesen hat. Von vielen wird in diesem Bereich immer behauptet, es handele sich nur um eine zusätzliche Kostenbelastung. Nein, der Beirat legt sehr klar dar, daß eventuellen Sanierungen auch entsprechende Erträge oder Nutzen gegenüberstehen, daß unterbliebene Sanierungsmaßnahmen dauerhaft zu sehr viel höheren Kosten führen und daß das Bodenschutzgesetz auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu einem Impuls für die Bundesrepublik Deutschland führt.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erörtern müssen, ist die Sorge der Unternehmen über den Umfang zukünftiger Sanierungen. Die Einheitlichkeit des Rechts und die Tatsache, daß teilweise von Regierungspräsident zu Regierungspräsident im Vollzug des allgemeinen Polizeirechts recht unterschiedlich vorgegangen wird, ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Wir müssen den investitionsbereiten Unternehmen klar sagen, in welchem Maß sie mit Belastungen oder Sanierungsauflagen zu tun haben werden, wenn sie auf Verdachtsflächen investieren. Gerade in dem Bereich werden wir, meine ich, relativ rasch zu vernünftigen Ergebnissen kommen.
Konzeptionell steht damit der Gesetzentwurf für das Bodenschutzgesetz auf zwei Beinen: Das eine Bein ist die Vorsorge, und das andere Bein ist die Altlastensanierung. Beides muß ineinandergreifen und sollte nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Es gibt hier ja noch einige Diskussionspunkte mit den Ländern. All diejenigen, die meinen, daß unser Gesetzentwurf hier nicht weit genug gehe, sollten sich einmal ansehen, wer denn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß die Länder mehr Regelungskompetenzen erhalten. Hier gilt es, einen Konflikt zu vermeiden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt erste Anregungen aus der Wirtschaft an ein entsprechendes Bundesbodenschutzgesetz. Insbesondere gibt es Sorgen von mittelständischen Unternehmen, daß der Bodenschutz zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung führt. Diese Sorge ist ernst zu nehmen, und deswegen begrüße ich das Vorhaben der Bundesregierung, Sanierungsauflagen nicht nur nutzungs-, sondern auch verkehrswertabhängig zu begrenzen, außerordentlich. Trotzdem bleibt ein privatwirtschaftliches Risiko bei Investitionen auf Verdachtsflächen. Hier weise ich ausdrücklich auf die Möglichkeiten hin, im Rahmen von Versicherungen Vorsorge zu betreiben. Der Staat kann nicht alle Risiken zu seinen Lasten umwidmen.
Auch werden wir im Gesetzgebungsverfahren Anregungen prüfen, ob - und wenn ja, in welchem Maße - steuerliche Rückstellungen geltend gemacht werden können. Das ist ein ganz großes Problem, insbesondere bei Altlastflächen. Hier müssen wir zu funktionsfähigen Regelungen kommen.
Bodenschutz ist Querschnittsaufgabe. Darauf weisen sowohl der Sachverständigenrat als auch die Zielsetzung des jetzt versandten Gesetzentwurfs hin. Deswegen ist es wichtig, daß wir uns auch im Rahmen der Beratung des Bundesbodenschutzgesetzes darüber unterhalten, welche anderen Fachregelungen wir in artverwandten Regelungsbereichen treffen werden, beispielsweise im Bereich der Landwirtschaft, aber auch im Bereich des Baurechts. Das Entsiegelungsgebot ist ja schon erwähnt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, daß der jetzt vorliegende Gesetzentwurf und die Anregungen der Wissenschaftler des Wissenschaftlichen Beirats sowie des Sachverständigenrats für Umweltfragen genug Material für die Gesetzesberatung des Bundesbodenschutzgesetzes liefern. Ich bitte die Bundesregierung, relativ rasch mit dem Anhörungsverfahren zuwege zu kommen und dem Bundestag eine Kabinettsvorlage zuzuleiten. Wir werden dann - Frau Kollegin Schwall-Düren, ich nehme an, daß Sie die Berichterstattung übernehmen - unmittelbar in die Fach- und Detailberatungen eintreten mit dem Ziel, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einen Meilenstein der Umweltgesetzgebung vorzulegen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Herr Kollege Dr. Jürgen Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern es sehr, daß Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, nur ein dünner, beinahe nichtssagender Kommentar zu den umfangreichen Abhandlungen des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen zu den globalen Bodenproblemen gelungen ist.
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Daran hat auch Ihr Beitrag von heute, Herr Staatssekretär, nichts geändert.
Bei den nationalen Bodenproblemen haben Sie von Ihrer eigenen Bodenschutzkonzeption von 1985 hier im Land bisher rein gar nichts umgesetzt. Gut ein halbes Dutzend Referentenentwürfe zu einem Bodenschutzgesetz haben Sie bis jetzt verschlissen und nun gerade einmal einen zur Anhörung der Verbände gebracht, und der ist - es sei mir gestattet, Herr Kampeter - bodenlos schlecht, auch wenn Sie versucht haben, ihn schönzureden.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, besetzen wieder einmal verbal ein Thema, bewegen sich dabei aber auf demselben niedrigen Niveau wie die Bundesregierung, glauben gar, in Ihrem Antrag ohne jede Begründung auskommen zu können. Immerhin ist eines Ihrem Papier zugute zu halten: Die zentrale Aussage „Bodenschutz ist notwendig" könnte glatt von uns sein, nur ist unsere Initiative nicht wie bei Ihnen mit diesem Satz erledigt. Er ist bei uns lediglich die Überschrift eines kompletten Bodenschutzgesetzes, welches wir in den nächsten Tagen hier einbringen werden und womit wir wieder einmal originäre Regierungsarbeit erledigen werden. Das sollte Ihnen, Herr Staatssekretär, und Ihrer Ministerin doch zu denken geben. Gerade die Umweltministerin hätte eines aus der Klimadebatte lernen sollen: Selbstverständlich muß endlich globaler Bodenschutz betrieben werden. Aber es darf dabei nicht vergessen werden, daß auch der hiesigen Umwelt durch die Zuspitzung nationaler Bodenschutzziele weitaus besser gedient wäre.
Im übrigen hat der Wissenschaftliche Beirat bei seiner globalen Problemanalyse mit 12 festgestellten Syndromen peinlicherweise eine Bodenkrankheit übersehen, nämlich das ,,Deutschland-Syndrom", das Sie von der Regierungskoalition in seiner Gänze zu verantworten haben und das andererseits in seinen Auswirkungen vom Sachverständigenrat für Umweltfragen sehr wohl skizziert worden ist. Unter diesem 13. Syndrom der Bodendegradation ist ein Umgang mit dem Boden zu verstehen, der sich nur an der optimalen Nutzung des Bodens orientiert mit der Folge flächenhafter Boden- und Grundwasserverseuchung mit Säurebildnern, Nitraten, Pestiziden und Altlastenfolgeprodukten.
In dieser Einschätzung stehen wir nicht alleine. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen
weist in seinem 96er Gutachten darauf hin, daß die absolute Zahl aller Pflanzenschutzmittelfunde im Rohwasser und darunter auch die Zahl aller Funde mit Konzentrationen oberhalb des Grenzwertes der Trinkwasserverordnung weiterhin ansteigt. Und wörtlich - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - heißt es:
Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist nach Maßgabe der Persistenz von schwer kalkulierbaren Langfristeffekten auf die Umwelt auszugehen.
Die Tatsache, daß es sich bei der Mehrzahl der Funde um das seit 1991 verbotene Atrazin handelt, ist ein deutlicher Hinweis darauf: Vom wirklichen Bodenschutz sind wir weiter denn je entfernt. Wie stark sich die Problematik des Deutschland-Syndroms zugespitzt hat, ist auch daraus zu ersehen, daß die in der Vergangenheit verursachten Nährstoffaltlasten durch den aktuellen Trend des Rückgangs des Handelsdüngerverbrauchs nicht verringert werden. Auch ist noch nicht die Spur einer Abnahme der Nitratbelastung im Trinkwasser zu verzeichnen.
Gerade an den ökologisch notwendigen Bodenschutzzielen fehlt es in den Vorstellungen der Bundesregierung. So ist Bodenschutz bei ihr auch weiterhin nur nutzungsbezogen denkbar - soll heißen: Boden soll nur so weit saniert werden, wie es der nachfolgende Nutzungszweck erfordert. Wir dagegen wollen, daß der Boden an seinen natürlichen Funktionen gemessen wird. Der Schutz der Böden muß um ihrer selbst willen erfolgen. Das erfordert natürlich eine ziemlich weitgehende Sanierung, vielleicht nicht immer bis zur natürlichen Ackerbodenqualität, aber doch überall so weit, wie es immer möglich ist. Es kann doch nicht angehen, daß alle kontaminierten Flächen zukünftig nur deshalb halbherzig saniert werden, weil für ihre weitere Verwendung urplötzlich nur noch Parkplätze oder Industrieansiedlungen vorgesehen sind.
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So wie wir Sie, Herr Kampeter, und die Damen und Herren der Koalition kennen, würden Sie das doch gleich in Ihrem Sinne nutzen. Wo bliebe dann der Bodenschutz? Leider wird dem Parlament eher der Bodenzustand der Sahelzone nahegebracht, als daß die Bundesregierung auf die kritischen Forderungen des Beirats eingeht. Die laufen darauf hinaus, daß die Bundesrepublik international eine Vorreiterrolle bei der Erhaltung der biologischen Artenvielfalt spielen soll, was im Sinne des Beirats bedeuten würde, daß das Bundesnaturschutzgesetz zügig novelliert wird.
Auch die vom Beirat festgestellten Defizite in Sachen Bodenschutzforschung können wir nur dick unterstreichen. Vor allem erwarten wir von der Bundesregierung, doch bitte schön einmal zu unterbreiten, warum sie zwischen Flensburg und Garmisch in Zukunft nur noch partiellen Bodenschutz betreiben möchte. - Ja partiell. Denn, Herr Kampeter, was ist in Ihrem Entwurf nicht alles vom Bodenschutz ausgenommen! Es sind nicht nur die ökologisch unsinnigen Ausnahmen für militärisch genutzte Flächen und
Einrichtungen - Ausnahmen, die wir inzwischen sattsam genug kennen und an denen das Ende des Kalten Krieges in den deutschen Umweltgesetzen bisher spurlos vorüberging.
Verwirklicht sich die Vorstellung der Bundesregierung, dann ist künftig weder das Aufbringen von Pestiziden, Düngemitteln, Gülle oder Abwasser Sache des Bodenschutzes, noch sind es Gentech-Flächen, Atom-Altlasten wie Wismut und einiges andere mehr. Und da bedauern wir es sehr, daß die SPD mit ihrem Antrag nicht über das hinausgegangen ist, was auch im Entwurf der Bundesregierung schon formuliert wird.
Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, die Konzeption des Bodenschutzes zu überlassen heißt doch, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Der Umweltministerin müßte bekannt sein, daß wir bei weitergehender Bodenversiegelung wie gehabt in 81 Jahren gar keinen Bodenschutz mehr brauchen. Dann brauchen Sie höchstens noch über eine Betonflächen-Freihalteverordnung nachzudenken. Dann kommt in der Tat jede bindend festgeschriebene Entsiegelungspflicht zu spät. Warum eigentlich wollen Sie, Herr Kampeter, und diese Regierung nicht einsehen, daß Sie seit 1985 den Bodenschutz sträflichst vernachlässigt haben? Sonst müßte der Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht ständig ein Bodenschutzgesetz angemahnt haben.
Zudem fehlt eine verantwortungsvolle Finanzierung der Altlastensanierung. Hier läßt der Bund die Länder einmal mehr im Stich, obwohl er für die Sanierung von Rüstungs- und Militäraltlasten als Rechtsnachfolger der Wehrmacht in der Pflicht steht und obwohl er die ökotoxische Hinterlassenschaft der ehemals in Ostdeutschland stationierten Sowjetarmee durch den Einigungsvertrag quasi miterworben hat.
Meine Damen und Herren, was not tut, ist endlich eine sich an der Vorsorge und am Verursacher orientierende, tiefgreifende Bodenschutzpolitik. Dies bedeutet letztendlich auch eine organisatorische und im Haushalt verankerte Eigenständigkeit des Bodenschutzes und damit ein Ende der bis heute betriebenen Nachrangigkeit.
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Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Wissenschaftlichen Beirats und die Nachricht, die er enthält, sind eigentlich erschreckend. Praktisch alle fruchtbaren Areale der Erde werden bereits von Menschen bewirtschaftet. Zusätzliche nutzbare Flächen sind kaum noch verfügbar. Die Menschheit wächst aber weiterhin jedes Jahr um 1,7 Prozent. Der weltweite Ernährungsnotstand ist also mehr oder weniger vorgezeichnet. Das heute diskutierte Gutachten des
Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen bringt ein bisher nicht so beachtetes Problem stärker ins Bewußtsein: Der Boden ist die Grundlage unserer Ernährung. Wenn wir Hungersnöte in großen Teilen der Welt vermeiden wollen, wenn wir Kriege, Wanderungsbewegungen und soziale Unruhen vermeiden wollen, dann müssen wir den Boden als Lebensgrundlage begreifen und schützen.
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Das heißt erstens, die Böden müssen weltweit vor weiterer Degradation geschützt werden, und das heißt zweitens, die Ertragsfähigkeit der Böden muß durch Züchtungen gesteigert werden.
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Das Rezept „Mehr Dünger und Pflanzenschutzmittel" wird dabei nicht helfen, wäre auf längere Sicht sogar kontraproduktiv. Also müssen die Chancen der Gentechnologie - da sind wir wieder an einem Punkt, über den wir im Umweltausschuß einmal reden sollten - genutzt werden. Wer hier aus ideologischer Verbohrtheit Blockade betreibt, handelt verantwortungslos gegenüber den Menschen, die nicht im Überfluß leben wie wir, und erst recht gegenüber den künftigen Generationen in vielen Teilen der Welt.
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Aber nicht nur das Thema Gentechnologie muß diskutiert werden. Wir wissen ganz genau, daß wir ohne eine aktive Bevölkerungspolitik keinen Bodenschutz betreiben können. Die Nutzung der Gentechnologie allein kann nicht die Grundlage für eine gesicherte Ernährung in der Zukunft schaffen, sondern das muß ineinandergreifen.
Wir haben es hier mit einem zentralen Punkt der internationalen Politik für eine nachhaltige Entwicklung zu tun. Die im Oktober 1994 unterzeichnete Wüstenkonvention ist ein richtiger und wichtiger Schritt in diese Richtung. Mehr als 25 Prozent der Landoberfläche der Erde und über 900 Millionen Menschen sind von der zunehmenden Wüstenbildung, von Erosion und Dürre bedroht. Die Europäische Union und auch Deutschland beteiligen sich aktiv, auch finanziell, an den Projekten zur Bekämpfung der Wüstenbildung.
Wir brauchen aber eine weitergehendere, übergreifende internationale Bodenschutzpolitik. Die Ursachen für die Zerstörung des Bodens als unserer Lebensgrundlage sind vielfältig. Industrielle Landwirtschaft, Übernutzung der Wälder, Luftschadstoffe, Altlasten, Armutsmetropolen und Zersiedlung sind nur einige Ursachen. Deswegen möchte ich die Bundesregierung ermuntern, für eine integrierte globale Bodenschutzpolitik einzutreten. Ob man nun allerdings eine eigene Bodenkonvention anstrebt - wie es gefordert wurde - oder die Wüsten- und die Artenschutzkonvention erweitert, halte ich in diesem Zusammenhang für nicht so entscheidend.
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- Ja, richtig. - Wichtig ist, daß die Notwendigkeit einer vorsorgenden Bodenschutzpolitik auf die internationale Tagesordnung kommt.
Natürlich besteht auch ein nationaler Handlungsbedarf, um den Boden als unsere Lebensgrundlage zu bewahren und Bodenbelastungen zu beseitigen. Bevor ich aber auf die nötigen nationalen Regelungen eingehe, sollten wir uns zunächst einmal anschauen, was schon getan wurde.
Die Düngeverordnung ist jetzt in Kraft; sie wird ein ganz wesentlicher Beitrag dazu sein, die Überdüngung unserer Böden zu verringern. Aber auch ohne diese Verordnung haben wir bereits rückläufige Entwicklungen bei den Belastungen aus dem Bereich der Landwirtschaft.
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- Herr Kollege Rochlitz, so wurde beispielsweise der Absatz von Handelsdünger zwischen 1981 und 1993 um etwa 25 Prozent je Hektar genutzter Fläche gesenkt. Auch bei den Pflanzenschutzmitteln ist der Trend rückläufig.
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Das EU-Extensivierungsprogramm führt zur Stilllegung der weniger fruchtbaren Böden und zu einer Konzentration auf die fruchtbaren Böden. Das entspricht genau der Forderung des Gutachtens.
Die F.D.P. unterstützt das Vorhaben eines Bundesbodenschutzgesetzes. Ich freue mich - ich sage das in Richtung des Staatssekretärs; wir haben ja schon mehrfach die Gelegenheit gehabt, über dieses Thema hier aus anderem Anlaß zu sprechen -, daß dieses Gesetzgebungsverfahren jetzt endlich vorangeht. Im Mai soll die Anhörung im Bundesumweltministerium stattfinden. Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf im Laufe dieses Jahres im Parlament beraten werden.
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Ich will noch einmal deutlich machen: Die Einführung eines solchen Gesetzes ist auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung überfällig. Wir haben das mehrfach diskutiert. Wir brauchen Rechtssicherheit für Investoren, einheitliche Regelungen und einfachere Verfahren zur Altlastensanierung. Wir werden über dieses Gesetz sicherlich noch ausführlich diskutieren können, wenn es vorliegt.
Einige aus unserer Sicht positive Ansätze, die wir in dem derzeitigen Entwurf bereits jetzt erkennen, will ich erwähnen: Zum einen ist der Sanierungsplan aus unserer Sicht ein gutes Instrument der Verfahrensbeschleunigung; denn er integriert alle erforderlichen Genehmigungen. Zum zweiten erleichtert und beschleunigt die Einbeziehung der Gewässer in die bundeseinheitliche Regelung der Altlastensanierung die Sanierungsverfahren. Zum dritten findet der Ansatz der nutzungsabhängigen Sanierung unsere Unterstützung.
Hierzu möchte ich noch etwas sagen, da Kollege Rochlitz hierauf vorhin eingegangen ist. Es wäre meines Erachtens bei der Altlastensanierung in Industriegebieten unverhältnismäßig, die Wiederherstellung der natürlichen Bodenqualitäten zu verlangen. Nur durch nutzungsabhängige Sanierungsziele werden wir es schaffen, auch Altstandorte wieder einer Nutzung zuzuführen. Wenn Sie überzogene Sanierungsanforderungen stellen, erreichen Sie nur eines: Dies wird dazu führen, daß beispielsweise Investoren auf die grüne Wiese gehen. Zersiedlung ist das letzte, was wir mit dem Bodenschutzgesetz erzielen wollen. Das Gegenteil wollen wir erreichen. Weder die Grünen noch die SPD wissen nach meinem Eindruck, was sie wollen, bzw. übersehen die Konsequenzen ihrer überzogenen Forderungen.
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Ich hoffe doch sehr, daß die Beratungen im Ausschuß Ihren Erkenntnisprozeß in diesem Bereich fördern werden.
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- Ja, ich weiß, Herr Koppelin: Das ist ein frommer Wunsch, aber man soll ja die Hoffnung nie aufgeben.
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Der Vorwurf, das Bodenschutzgesetz räume der öffentlichen Hand Privilegien ein, ist erkennbar nicht gerechtfertigt.
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Ich will betonen: Die F.D.P. würde dem auch nicht zustimmen.
Die Forderung der SPD, auch militärische Altlasten - Herr Rochlitz hat es ja gerade noch einmal für die Grünen gesagt - in die Definition der Altlasten einzubeziehen, hat schlicht finanzielle Beweggründe
- wie so oft. Die Länder wollen damit höhere Finanzansprüche an den Bund begründen. Ihnen reichen die jährlichen Mittel in Höhe von 50 Millionen DM, die sie von Minister Waigel für die Sanierung von Kriegsfolgealtlasten erhalten, nicht. Die Debatte über Änderungen beim finanziellen Bund-Länder-Ausgleich gehört nach meiner Auffassung allerdings in einen anderen Zusammenhang.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, daß wir bei der Beratung dieses Sachverständigengutachtens - und in der Folge bei der Beratung des Bodenschutzgesetzes - zu vernünftigen Regelungen kommen und in dem einen oder anderen Punkt nach der Diskussion vielleicht auch zu einer gemeinsamen Auffassung.
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Frau Kollegin Eva Bulling-Schröter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer interessant, wie man vom Thema Bodenschutz zur Überbevölkerung und dann natürlich zur Gentechnologie kommt. Irgendwie muß dieses Thema immer mit untergebracht werden; das ist klar. Die Firma Bayer hat erst kürzlich beim Europäischen Patentamt in München die Gensau genehmigen lassen.
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- Ich spreche immer zur Sache, Herr Kampeter.
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- Jetzt fangen wir an!
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Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, sehe ich Bilder von Wiesen, die heute Autobahnen oder Gewerbeflächen sind, von Äckern und Gärten, auf denen heute Reihenhäuser stehen. Schleichend, doch für jedefrau und für jedermann sichtbar, vollzieht sich ein Prozeß der permanenten ,,Flächenvernutzung". Die Bundesrepublik zieht sich den Boden unter den Füßen weg.
Von 1970 bis 1995 sind zirka 1,3 Millionen Hektar Land verbaut worden. Das entspricht der hundertfachen Fläche des Bayerischen Waldes. Seit Mitte der 80er Jahre sinkt der neue Landschaftsverbrauch von 113 auf 90 Hektar täglich - eine Abnahme, aber nur eine Verringerung des Tempos des zusätzlichen Flächenverbrauchs. 90 Hektar am Tag heißt nämlich nichts anderes, als daß die Siedlungs- und Verkehrsfläche unseres Landes im Jahr um die Größe der Fläche der Stadt Frankfurt am Main wächst.
Was bei der Diskussion um das sogenannte Wirtschaftswachstum nur schwer zu vermitteln ist, daß permanentes Wachstum innerhalb begrenzter Systeme zum Kollaps führt, dürfte beim Flächenverbrauch wohl einleuchten: Das Territorium der BRD läßt sich nicht vermehren.
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Der BUND stellt in bezug auf den ungezügelten Flächenfraß fest:
Der Naturverbrauch wächst schneller als die Bevölkerung. Das heißt, wir leben in immer größeren Wohnungen, erhöhen unseren Raumbedarf für Fabriken und Büros und fahren auf immer breiteren Straßen.
Ist das die Nachhaltigkeit, von der wir reden?
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- Ich spreche auch nicht von „unserer Fabrik" . Ich habe keine, wahrscheinlich im Gegensatz zu Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beeinträchtigung der Bodenfunktionen, die Degradation der Böden in Deutschland hält an, insbesondere durch die Hauptbelastungsquelle, die Wirtschaft. Der Ferntransport von Nähr- und Schadstoffen, lokale KontaEva Bulling-Schröter
minationen, Abfall- und Altlasten, Bergbau, Tourismus und nicht zuletzt die militärische Nutzung von Böden sind wesentliche Quellen der Bodenschädigung.
Als vor zehn Jahren die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung verabschiedet wurde, schien das eine Reaktion auf diese Entwicklung zu sein. Der vorliegende Referentenentwurf des Bodenschutzgesetzes fällt aber weit hinter die damals postulierten Grundsätze zurück; denn dieses lang erwartete Gesetz soll für wesentliche Verursacherbereiche der Bodendegradation nicht gelten: Die Flächen des Straßen- und Verkehrswegebaus, militärisch genutzte Liegenschaften, in Betrieb befindliche Abfallanlagen, radioaktive Altlasten oder dem Bergrecht unterliegende Flächen sind ausgenommen. Auch das Aufbringen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Abwasser, Klärschlamm, Kompost und von anderen organischen Stoffen ist nicht geregelt. Eine der wesentlichen Quellen der Bodenbelastung, die Verunreinigung über den Luftpfad - Stichwort: Bodenversauerung -, findet überhaupt keine Erwähnung.
Ein zentraler Punkt des Bodenschutzgesetzes soll über den Verordnungsweg ausgestaltet werden: die Vereinheitlichung der dann bundesweit gültigen Vorsorge-, Prüf- und Maßnahmewerte. Was man vom Umweltministerium auf der Berliner Utech-Tagung über die Erarbeitung der Prüfwerte hörte, wirft ein trübes Licht auf das künftige Bodenrecht: Bei der Prüfung, ob bei einer Fläche eine schädliche Bodenveränderung oder eine Altlast vorliegt, soll nicht mehr das Prinzip der konsequenten Vorsorge Maßstab sein. Schutz- und Nutzfunktion werden nun gleichrangig behandelt; Herr Professor Rochlitz hat dazu schon gesprochen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates nehmen die Gefahren der globalen Bodendegradation einen großen Raum ein. Dazu möchte ich abschließend nur sagen: Mit Förderprogrammen und bilateralen Abkommen allein, so wichtig sie auch im einzelnen sein mögen, lassen sich die Ursachen von Brandrodungen, unkontrollierter Urbanisierung - dazu steht auch etwas im Gutachten -, Raubbau oder Bodenübernutzung im Trikont nicht beseitigen. Solange auch deutsche Unternehmen weiter an der Abholzung von Wäldern, an Verschuldungszinsen und an Monokulturen in der sogenannten Dritten Welt prächtig verdienen, leistet Deutschland einen Beitrag dazu, auch anderen Völkern den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
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Ich erteile dem Kollegen Max Straubinger das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bulling-Schröter hat vorhin die Kollegin Homburger kritisiert, weil diese hier die Gentechnik mit angesprochen hat. Ich bin der Meinung, daß es sehr wohl wichtig ist, auch beim Bodenschutz die neuesten Techniken einzusetzen. Dies wirkt sich gerade im landwirtschaftlichen Bereich insofern aus, als bei Züchtungen Resistenzen in die Pflanzen hineingezüchtet werden, um kein Pflanzenschutzmittel mehr ausbringen zu müssen. Das ist für den Bodenschutz eine wichtige Grundlage.
Die heutige Debatte zeigt, daß die Bundesregierung schon in der Vergangenheit ihren Aufgaben gerecht wurde, wobei es natürlich auf allen Gebieten um Verbesserungen geht, die zu erreichen sind. Es ist erforderlich, daß die Politik weiterhin darauf ausgerichtet ist, den Schutz der Böden auf den verschiedenen fachlichen Gebieten national und international zu verbessern. Wir können nur im nationalen Bereich mit eigenen Gesetzesregelungen handeln. International müssen wir vor allen Dingen darauf hinwirken, daß die Ausbreitung von Wüsten und die Rodungen des Urwalds eingestellt werden bzw. dem kurzfristigen ökonomischen Ziel Einhalt geboten wird.
Mein Vorredner, Herr Kampeter, hat schon darauf hingewiesen, daß bei dieser Diskussion den Landwirten eine besondere Bedeutung und auch Verantwortung beizumessen ist. Ich möchte aber herausstellen, daß die Landwirtschaft dem schon in der Vergangenheit gerecht geworden ist, auch wenn es vielleicht einzelne Kritikpunkte gibt.
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- Doch.
Ich möchte auch herausstellen, daß die Nutzung unserer Böden zur Nahrungsmittelproduktion nicht mit einer Belastung des Bodens gleichzusetzen ist.
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Es ist grundsätzlich ein natürlicher Vorgang, daß auf dem Boden Pflanzen wachsen oder sich Lebewesen im Boden befinden und damit natürlich auch Nutzer des Bodens sind; das sollten wir anerkennen. Die Nutzung der Pflanze ist keine Beeinträchtigung für den Boden.
Ich glaube, daß die Bauern in der Vergangenheit nie ein Interesse daran hatten, durch übermäßigen, sinnlosen Betriebsmitteleinsatz die Qualität des Bodens zu mindern. Die Landwirte hatten immer ein Interesse daran, die Ertragsfähigkeit, die Leistungsfähigkeit ihrer Böden zu erhalten. Darauf ist hier hinzuweisen.
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In der Koalitionsvereinbarung wurde festgeschrieben, ein Bundesbodenschutzgesetz zu verabschieden. Die Vorredner haben vielfach darauf hingewiesen. Mit der Versendung des Referentenentwurfes wird verdeutlicht, daß wir dem nachkommen. Aber es ist natürlich wichtig, bei den anstehenden Diskussionen verschiedene Dinge noch intensiver zu diskuMax Straubinger
tieren. Das Bodenschutzgesetz muß selbstverständlich verwaltungsmäßig umsetzbar sein. Auch muß es die richtige Abgrenzung zu den bestehenden Spezialgesetzen haben, die zweifelsohne tangiert sind.
Gerade hinsichtlich der landwirtschaftlichen Nutzung ist für mich wichtig, daß in dem Entwurf die Feststellung enthalten ist, daß die Bodennutzung nach den Regeln der guten fachlichen Praxis die nötige Vorsorgepflicht erfüllt. Auch dies ist anzuerkennen. Ziel der guten fachlichen Praxis der landwirtschaftlichen Bodennutzung ist nämlich, die nachhaltige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit und der Leistungsfähigkeit als natürliche Ressource zu erhalten. Wir verstehen darunter auch, standortangepaßte Nutzung oder Strukturelemente in der Flur zu erhalten oder auszubauen, die biologische Aktivität des Bodens oder den Humusgehalt zu steigern.
Ich möchte feststellen, daß dies schon jetzt Bestandteil der landwirtschaftlichen Produktionsweise ist.
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Die Rückgänge beim Düngemittelverbrauch wie beim Pestizid- und Pflanzenschutzmittelverbrauch verdeutlichen dies zusätzlich. Es ist als Erfolg der Agrarpolitik zu werten, daß es den Böden in unserem Bereich bessergeht.
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Auch die Bundesregierung hat dies mit einer Düngeverordnung, mit einer Gülleverordnung unterstrichen und hiermit die nötigen gesetzlichen Instrumente geschaffen.
Im Zusammenhang mit unseren Böden, die den vielfältigsten Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, muß meines Erachtens bei der anstehenden Diskussion mehr der Vermeidung der Schadstoffbelastung als der Beschränkung der Bewirtschaftung der Böden das Wort geredet werden. Unsere Landwirte können nichts gegen die Umwelteinflüsse tun, die in vielfältigster Art und Weise auf unsere Böden einwirken. Dafür sind sie auch nicht haftbar zu machen.
Wenn später unter Umständen Anordnungen zur Beschränkung der wirtschaftlichen Nutzung der Landwirtschaft erfolgen, dann muß dies finanziell ausgeglichen werden. Ich glaube, auch dies müssen wir anmahnen. Wir werden dies in die Beratung des Gesetzentwurfs einbringen, wobei ich nicht verkenne, daß natürlich der Wille vorhanden sein muß, dies anzuerkennen. Das gilt nicht nur für die Bundesseite, sondern auch für die Länderseite.
Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir mit dem nötigen Willen das Bundesbodenschutzgesetz verabschieden und damit einen Meilenstein in der Umweltpolitik setzen werden.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Christoph Matschie.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal mit dem Punkt beginnen, in dem wir uns wahrscheinlich einig sind: in der Feststellung, daß wir an Boden unter den Füßen verlieren. Ich sage das bewußt in diesem doppelten Sinn; denn der Verlust an Boden ist Verlust an Lebensraum, Verlust an Nahrungsmittelgrundlage, an biologischer Vielfalt, an Regelungsfunktion. Der Beirat hat uns deutlich gemacht, wie ernst das Problem ist.
In diesem Zusammenhang ist es natürlich schade, daß wir über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung reden, der nicht auf dem Tisch liegt. Auch ist es schade, wenn Sie, Herr Kollege Rochlitz, von einem Gesetzentwurf der Grünen berichten, der ebenfalls nicht auf dem Tisch liegt. Es wäre für diese Debatte gut, wenn wir die Entwürfe auf dem Tisch liegen hätten und sie dann ausführlich im Detail beraten könnten.
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Ich möchte mich einem Thema zuwenden, das bisher nur sehr verkürzt eine Rolle gespielt hat, nämlich die internationale Bodenschutzpolitik. Der Beirat hat deutlich gemacht, daß zwar einerseits die Ursachen für den Verlust und die Schädigung von Böden sehr vielfältig sind, aber andererseits klare Ansätze für politisches Handeln erkennbar sind. Er hat sogar unterstrichen, daß viele Formen der Bodenzerstörung Folge von Politikversagen sind.
Wenn wir über den internationalen Bodenschutz reden wollen, stellt sich natürlich zunächst die Frage: Wie glaubwürdig sind wir selber in dem, was wir tun? Auch wenn hier in der Vergangenheit einiges erreicht worden ist - die Defizite sind ebenfalls deutlich benannt worden -, müssen wir uns klarmachen, daß der Naturverbrauch in den Industriestaaten immer noch zehnmal so hoch ist wie der Naturverbrauch pro Kopf in den Entwicklungsländern.
Ein wesentlicher Faktor im Zusammenhang mit der Überbeanspruchung von Böden ist das Bevölkerungswachstum. Dieses Problem stellt sich besonders stark in den Ländern, die schon jetzt über eine nur unzureichende Ernährungsbasis verfügen. Ich nenne dieses Problem zuerst, da es den Druck auf andere Problemfelder immer weiter verstärkt. Es gilt zwar generell, daß das ein sehr sensibles Thema in der internationalen Politik ist. Nichtsdestoweniger gibt es auch hier relativ klare Handlungsmöglichkeiten.
Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung hat in einem Bericht deutlich gemacht, daß das Weltbevölkerungswachstum zu fast einem Drittel aus ungewollten Schwangerschaften herrührt und daß einer der Hintergründe dafür auch wieder der ungenügende Zugang zu Familienplanungsmöglichkeiten ist. Die
Weltbevölkerungskonferenz in Kairo hat deshalb einen Aktionsplan beschlossen, der die Industriestaaten dazu verpflichtet, ein Drittel der weltweit benötigten Mittel für den Zugang zu Familienplanungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Damit bin ich bei einem Defizit der jetzigen Politik der Bundesregierung. Nach dem gültigen Schlüssel müßte die Bundesregierung im Zieljahr 2000 umgerechnet 540 Millionen DM für diesen Bereich aufbringen. Dazu hat sie sich verpflichtet. Dies würde bedeuten, daß die Mittel von heute - etwa 208 Millionen DM - Jahr für Jahr um etwa 83 Millionen DM aufgestockt werden müßten, um diese Zielgröße zu erreichen. Tatsache ist allerdings, daß die Bundesregierung zur Zeit plant, die Mittel - gegen einen gültigen Beschluß des Bundestages - auf dem gegenwärtigen Stand einzufrieren.
Die Bundesregierung sagt selbst in ihrem Bericht zum Jahresgutachten:
Die Bundesregierung sieht, wie der Beirat, im starken und regional unterschiedlichen Bevölkerungswachstum die Hauptgefährdungsquelle für die Bodenfunktionen.
Dann stellt sich die Bundesregierung hier hin und unterläuft die Verpflichtungen, die sie in Kairo eingegangen ist, und gleichzeitig einen gültigen Beschluß des Bundestages, indem sie die Gelder einfrieren will. Das ist doch nur noch schizophren zu nennen.
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Ein zweiter Bereich in der internationalen Politik, der eine erhebliche Rolle spielt, ist die Auseinandersetzung mit der zunehmenden Wüstenbildung. Ein Viertel der gesamten Erdoberfläche und damit ein Sechstel der Weltbevölkerung sind davon betroffen. Hier ist zunächst einmal anzuerkennen, daß es im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit einige positive Beispiele gibt, wie die Kooperation mit Namibia oder Mali. Unbefriedigend ist allerdings, daß auch die Bundesregierung trotz des Problemdrucks in den Verhandlungen um die Wüstenkonvention keine weiteren finanziellen Zugeständnisse gemacht hat.
Unzureichend ist ebenso die bisherige Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen. Denn die Wüstenkonvention ist eines der wenigen internationalen Abkommen, bei dem die Partizipation der betroffenen Bevölkerung an den Projekten, und zwar völkerrechtlich verbindlich, im Zentrum steht. Ohne Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen ist die Umsetzung der Konvention in Frage gestellt.
Eine Gefahr besteht natürlich auch dann, wenn man die Aktivitäten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu stark auf den Bereich der Wüstenbildung einengt. Damit bin ich bei einem dritten Komplex, der hier eine Rolle spielt. Der Wissenschaftliche Beirat macht gerade am Fallbeispiel des Großraums Sahel deutlich, daß weltwirtschaftliche Gegebenheiten, zum Beispiel die Agrarsubventionen der Industriestaaten, unsere Exportpolitik, die internationale Verschuldung oder die von uns geförderten Strukturanpassungsprogramme, negative Auswirkungen auf die Böden haben.
Nicht zuletzt die hohe Verschuldung vieler Entwicklungsländer hat dort den Trend zu agrarischer Exportproduktion verstärkt. Dies führt auf der einen Seite in vielen Fällen zu Monokulturen und starker Technisierung mit all den bekannten Auswirkungen auf die Böden und zum anderen - nicht minder gravierend - zu einer Verdrängung der landwirtschaftlichen Subsistenzwirtschaft auf marginale Böden, was auch zu einer Übernutzung und zu Verlust an Boden führt.
Die G-7-Staaten sind ja übereingekommen, angesichts der dramatischen Verschuldungssituation umfassende Lösungen zu finden. IWF und Weltbank haben deshalb kürzlich vorgeschlagen, für eine Reihe von hochverschuldeten armen Ländern einen 90prozentigen Schuldenerlaß durchzuführen. Bislang - damit bin ich bei einem weiteren Versäumnis der Bundesregierung - blockiert der Bundesfinanzminister jede weitere multilaterale Entschuldungsinitiative, aber auch eine Ausweitung des bilateralen Schuldenerlasses. Beim jüngsten Treffen der Finanzminister der G 7 wandte sich Waigel auch gegen den von Großbritannien und den USA getragenen Vorschlag, Goldbestände des IWF zu verkaufen, um die Entschuldung damit voranzutreiben. Er blockiert somit auch diesen Weg.
Nun ist nach Ansicht sehr vieler Entwicklungsexperten gerade die Entschuldung eines der Hauptprobleme, das eine tragfähige Entwicklung behindert. In dem Zusammenhang muß man dann am Ende fragen: Was nützen all die Beteuerungen der Bundesregierung, dem internationalen Bodenschutz ein größeres Gewicht zu geben, ohne konkrete Maßnahmen, ohne konkrete Finanzierung? So kann sich nichts verbessern. Den Prüfstein für die wohlmeinenden Worte stellen die konkreten Projekte, die vorliegen, und die konkrete Finanzierung, die angeboten wird, dar.
Wenn ich die Liste der Empfehlungen des Beirates noch einmal durchgehe, dann muß ich feststellen: Fehlanzeige bei der Lösung der Verschuldungskrise; Fehlanzeige bei der Finanzierung der Bevölkerungspolitik; Rückgang der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, gerade auch im Bereich der Landwirtschaft. Die vom Wissenschaftlichen Beirat empfohlene Anhebung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 1 Prozent gehört für die Bundesregierung - ich zitiere - „nicht zu den Zielsetzungen". Ja, es ist sogar geplant, im nächsten Haushalt weitere deutliche Einschnitte vorzunehmen.
Was die Bodenkonvention betrifft, so führt die Bundesregierung neben einigen anderen Begründungen zum Beispiel auf - ich zitiere -: „... im Hinblick auf die derzeitigen Finanzierungsmöglichkeiten sieht die Bundesregierung derzeit keinen unmittelbaren Bedarf, eine besondere Bodenkonvention vorzuschlagen."
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Ich meine, wir brauchen nicht weiter über eine internationale Bodenschutzpolitik zu reden, wenn wir eine internationale Bodenschutzkonvention mit dem Argument blockieren, wir können es sowieso nicht finanzieren. Nein, meine Damen und Herren von der Koalition, ich glaube, auf diese Art und Weise kann man keinen Boden gutmachen.
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Die Bundesregierung fordert in ihrer Stellungnahme, daß die in unseren Industriegesellschaften ausgeprägte Bodenvergessenheit überwunden werden muß. Dazu kann ich nur sagen: Richtig so! Bitte, meine Damen und Herren, fangen Sie damit an. Keiner hindert Sie daran.
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Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3553 und 13/2221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 26. April 1996, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.