Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne unsere heutige Sitzung im Reichstagsgebäude in Berlin.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Eidesleistung eines Bundesministers
Das ist der erste Bundesminister bzw. die erste Bundesministerin, den bzw. die wir in dieser Wahlperiode in Berlin vereidigen.
Der Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 18. Mai 1992 folgendes mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Hans-Dietrich Genscher, auf seinen Antrag aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und den Bundesminister der Justiz, Herrn Dr. Klaus Kinkel, zum Bundesminister des Auswärtigen und Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Bundesminister der Justiz ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.
({0}) Ich bitte Sie, den Eid zu sprechen.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Sie haben die Eidesformel gesprochen. Ich möchte Ihnen im Namen des Deutschen Bundestages viel Glück und Erfolg bei Ihrer Arbeit wünschen.
Vielen Dank.
({0})
Ich darf mich nach der Vereidigung der neuen Justizministerin am heutigen Tag auch an den ausgeschiedenen Bundesminister Genscher wenden, der auf eine mehr als 20jährige Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung zurückblickt.
Lieber Herr Kollege Genscher, als Außenminister waren Sie ein entscheidender Mitgestalter der deutschen Einheit und der europäischen Einigung. Beharrlich haben Sie auf die Überwindung des OstWest-Gegensatzes und der Spaltung Europas hingewirkt. Ihre politische Arbeit, die Sie stets mit ganzem persönlichen Einsatz geleistet haben, hat Früchte getragen. Am Ende Ihrer Amtszeit als Bundesminister können Sie die Ziele Ihrer Politik als verwirklicht ansehen.
Der Amtsausübung in der Demokratie sind immer Grenzen gesetzt, der Wahrnehmung von Verantwortung nie. Hier setzt sich unser gemeinsamer Weg fort.
Für Ihr politisches Wirken im Dienste der Bundesrepublik Deutschland danke ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Für Ihre weitere politische Tätigkeit begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Dem neuen Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Dr. Kinkel, gratulieren wir ganz herzlich. Wir wünschen ihm für die neue Aufgabe alles Gute.
({1})
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat inzwischen der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Dr. Egon Klepsch, Platz genommen. Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie, sehr geehrter Herr Präsident, ganz herzlich und heiße Sie bei der Sitzung des Deutschen Bundestages im Berliner Reichstagsgebäude herzlich willkommen.
({2})
Wir freuen uns über Ihren Besuch, der Sie außer nach Berlin und Bonn auch nach Schwerin, Potsdam und Halle führt. Dies hat mehr als nur symbolischen
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Charakter. Ihr Besuch bezeugt eindrucksvoll die Bedeutung der neuen Bundesländer für Europa. Ich muß sagen, ich war gestern schon bewegt, wie selbstverständlich wir deutsche Einheit und europäischen Einigungsprozeß an diesem Ort praktizieren können.
Ganz herzlichen Dank für Ihren Einsatz, denn Sie wollen mit uns Europa voranbringen.
Lassen Sie mich im Anschluß daran Geburtstagsglückwünsche an unsere Kollegin Gudrun Weyel aussprechen, die gestern in Berlin Ihren 65. Geburtstag gefeiert hat. Die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hauses!
({3})
Der Kollege Horst Eylmann scheidet auf eigenen Wunsch als ordentliches Mitglied aus dem Wahlprüfungsausschuß aus. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als seine Nachfolgerin die Abgeordnete Dr. Hedda Meseke vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Dr. Hedda Meseke als ordentliches Mitglied für die Dauer der Wahlperiode in den Wahlprüfungsausschuß gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die Tagesordnung erweitert. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Luftverschmutzung durch Ozon - Drucksachen 12/1339 Nr. 2.17, 12/2577 -2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Hermann Bachmaier, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aufnahme gefährdeter Tropenholzarten in das Washingtoner Artenschutzabkommen - Drucksachen 12/2095, 12/2614 -3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Inge Wettig-Danielmeier, Uta Würfel, Dr. Hans de With, Gerhart Rudolf Baum, Susanne Rahardt-Vahldieck, Dr. Wolfgang Ullmann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ({6}) - Drucksache 12/2605 -4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur"
a) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der
Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur"
b) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Markus Meckel, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung von Unterdrückung in der SBZ/DDR"
c) zu dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur" und Förderung außerparlamentarischer Initiativen zum gleichen Thema
d) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Fritz Schumann ({7}), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung der DDR-Geschichte"
e) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg van Essen, Heinz-Dieter Hackel, Dirk Hansen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Aufgaben der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der
Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur"
- Drucksachen 12/2230, 12/2152, 12/2220 ({8}) Buchstabe A, 12/2226, 12/2229, 12/2597 -5. Aktuelle Stunde: Wirtschaftliche Lage der Frauen in den neuen Ländern
Außerdem soll Punkt 7 der Tagesordnung abgesetzt werden.
Der bereits überwiesene Antrag der Fraktion der SPD „Aktionsprogramm zur Sanierung der Ostsee und der Gewässer in den neuen Bundesländern" soll nachträglich dem Verkehrsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Es liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung von Herrn Dr. Seifert vor. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der vorliegenden Tagesordnung wird unter Punkt 2 a und d vorgeschlagen, den durch die Bundesregierung vorgelegten Wohngeld- und Mietenbericht 1991 und die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes im Plenum des Deutschen Bundestages nicht zu behandeln, sondern im vereinfachten Verfahren ohne öffentliche Debatte direkt an die Ausschüsse zu überweisen. Dagegen möchte ich Widerspruch einlegen.
Ich beantrage gemäß § 80 Abs. 4 der Geschäftsordnung, diesen Bericht im Plenum zu beraten. Dies ist in Berlin sehr günstig, nämlich da, wo die Probleme am meisten drängen. Die Gründe liegen auf der Hand. Wohnungsnot und Mietsteigerung gehören sowohl in den westlichen Bundesländern als auch in den östlichen Bundesgebieten zu den brisantesten Themen.
Speziell bei der Mietentwicklung in den östlichen Ländern betreibt die Bundesregierung ein übles Verwirrspiel. Noch ist der erste Mietschock nicht verkraftet, schon wird laut über eine erneute Verdoppelung der Grundmiete nachgedacht, um gleich beschwichtigend zu sagen: 1992 nicht mehr. Aber jeder kann nachrechnen: Wenn sie zum 1. Januar 1993 in Kraft tritt, ist das eine Vervierfachung innerhalb von 15 Monaten. Immer weniger Bürger sind bereit, dieses Spiel mitzumachen. In Halle sind 5 000 Unterschriften gesammelt worden, in Premnitz 2 500, in Dresden 25 000.
({0})
In Berlin gibt es eine Initiative der Berliner Mietergemeinschaft, des Berliner Mietervereins, der Grünen Liga Berlin, des Unabhängigen Frauenverbandes,
({1})
des Demokratischen Frauenbundes und vieler Einzelpersönlichkeiten.
Das gehört nicht zur Geschäftsordnung.
Das ist zur Geschäftsordnung, Frau Präsidentin, denn es handelt sich darum, daß viele Bürgerinnen und Bürger darum
bitten, daß wir dieses Thema hier auf die Tagesordnung setzen. Es ist sehr wichtig.
Ich möchte Ihnen gern die ersten 22 347 Unterschriften der Berliner Aktion übergeben, die fortgeführt wird.
({0})
Ich muß Sie bitten, hier aufzuhören. Wir werden über Ihren Antrag abstimmen. Das Begehren ist vernommen worden.
Wird gewünscht, zum Geschäftsordnungsantrag das Wort zu ergreifen? - Wenn das nicht der Fall ist, möchte ich über den Geschäftsordnungsantrag von Herrn Dr. Seifert abstimmen lassen. Wer ist für eine Debatte über Tagesordnungspunkt 2 a und d? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste und bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Es liegt eine weitere Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Bitte, Frau Bläss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der Gruppe PDS/Linke Liste beantrage ich hiermit eine Aussprache zum Tagesordnungspunkt 3 a: zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtänderungsgesetzes-Menschenhandel.
Sie erinnern sich sicher an die Debatte. Es gab eine grundsätzliche Übereinstimmung über das Anliegen des Bundesrats. Es wurde allerdings sowohl in der ersten Lesung im Bundestagsplenum als auch in der Debatte des Ausschusses für Frauen und Jugend festgestellt, daß die vorgesehene Änderung der §§ 181 und 180 StGB dem Problem des Menschenhandels mit ausländischen Frauen und Mädchen nicht ausreichend gerecht wird. Um in der Diskussion nicht auf halbem Weg stehen zu bleiben, wurde einhellig für eine Anhörung plädiert.
Wir befürchten, daß mit der Verabschiedung des Bundesratsentwurfs die von allen Seiten als unverzichtbar erachteten Schritte nicht erreicht werden. Deshalb hat die PDS/Linke Liste den heute vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht, der u. a. Bestimmungen gegen den Frauenhandel auch im Ausländerrecht verankert wissen will. Über die weiteren Schritte sollte unserer Meinung nach nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch im Plenum diskutiert werden. So könnte der Öffentlichkeit dokumentiert werden, wie ernst es uns, dem Bundestag, damit ist, die unverzichtbaren Änderungen für die Verbesserung der Situation gehandelter Frauen zu realisieren.
Ich bitte deshalb um Zustimmung, eine Debatte zum Tagesordnungspunkt 3 a durchzuführen.
Danke.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Dr. Rüttgers, bitte.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich unbestritten, daß es sich bei den beiden Punkten, die
jetzt in diesen Geschäftsordnungsbeiträgen angesprochen worden sind, um wichtige Themen handelt.
Der Ältestenrat steht jede Woche vor der Frage, wie er die Notwendigkeit inhaltlicher Debatten mit der zur Verfügung stehenden Zeit koordinieren kann. Das ist ein Abwägungsprozeß.
Ich möchte einfach einmal sagen - deshalb habe ich mich gemeldet -, daß die Gruppe PDS/Linke Liste diesem Abwägungsprozeß, der dazu geführt hat, daß wir heute über die Rio-Konferenz, über den CSFR- und den Ungarn-Vertrag reden und diese Punkte zuerst im Ausschuß und dann im Plenum behandeln werden, im Ältestensrat wie auch in den Vorgesprächen der Geschäftsführer zugestimmt hat.
({0})
Ich halte es für einen Mißbrauch der Geschäftsordnung, zu versuchen, durch diesen billigen Trick der Meldung zur Geschäftsordnung und des Vortragens von inhaltlichen Punkten nach außen irgendwelche Effekte zu erreichen.
({1})
Ich sage Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der PDS: Wenn Sie nicht bereit sind, sich an vorher getroffene Vereinbarungen zu halten, dann wird dies Konsequenzen für die Zusammenarbeit in Zukunft haben.
({2})
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung.
Ich lasse über den Antrag, eine Debatte über Tagesordnungspunkt 3 a zu führen, abstimmen. Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe nun Punkt 4 a bis 4i und Zusatzpunkte 1 und 2 der Tagesordnung auf:
4 a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Vorbereitung der VN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung" vom 3. bis 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro
b) Beratung des Ersten Berichts der EnqueteKommission „Schutz der Erdatmosphäre" zum Thema
Klimaänderung gefährdet globale Entwicklung
Zukunft sichern - Jetzt handeln
gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 25. April 1991 ({0})
- Drucksache 12/2400 7574
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
EG-Ausschuß
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Klimaveränderung gefährdet globale Entwicklung
- Drucksache 12/2551 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz ({1}) und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Sofortverbot von ozonschädigenden Substanzen
- Drucksache 12/2072 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr EG-Ausschuß
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller ({3}), Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schutz der Ozonschicht und der Atmosphäre
- Drucksache 12/2121 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Dr. Christian Ruck, Anneliese Augustin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Josef Grünbeck, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Vor der VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung ({6}) 1992: Durch globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft die Schöpfung bewahren
zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Schanz, Brigitte Adler, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
VN-Konferenz Umwelt und Entwicklung 1992
zu dem Antrag der Abgeordneten Konrad Weiß ({7}) und der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE
Kongreß der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung 1992
- Drucksachen 12/2489, 12/1652, 12/2298, 12/2587 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold ({8})
Marion Caspers-Merk
Marita Sehn
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über ihre laufenden Aktivitäten zur Tropenwalderhaltung und zum Stand der Umsetzung der genannten Schutzmaßnahmen auf internationaler, EG-weiter und nationaler Ebene und darüber hinaus über die Entwicklung auf dem Gebiet des Schutzes der tropischen Wälder, sowie Stellungnahme zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zum Schutz der tropischen Wälder
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Hermann Bachmaier, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Importverbot für Tropenhölzer aus Primärwäldern
- Drucksachen 12/1831, 12/921, 12/2109, 12/2598 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Dr. Liesel Hartenstein
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschluß der Bundesregierung zur Reduzierung der energiebedingten CO2-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Zweiten Zwischenberichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion" ({10})
- Drucksache 12/2081 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({11})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen
und Städtebau
Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
i) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michael Müller ({12}), Friedhelm Julius Beucher, Klaus Daubertshäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umwelt und Entwicklung
Politik für eine „nachhaltige Entwicklung"
- Drucksachen 12/1278, 12/2286 ZP1 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Luftverschmutzung durch Ozon
- Drucksachen 12/1339 Nr. 2.17, 12/2577 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dr. Jürgen Starnick
ZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Hermann Bachmaier, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Aufnahme gefährdeter Tropenholzarten in das
Washingtoner Artenschutzabkommen
- Drucksachen 12/2095, 12/2614 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Rieder
Marita Sehn
Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die UN- Konferenz „Umwelt und Entwicklung" vom 3. bis zum 13. Juni 1992 in Rio de Janeiro findet in einer Zeit statt, in der die westlichen Industrienationen vor enormen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Das gilt selbstverständlich auch für unser Land. In einer solchen Situation ist die Versuchung groß, sich nur den Problemen im eigenen Lande zuzuwenden. Demgegenüber glaube ich, daß wir sagen müssen: Von der Konferenz in Rio muß ein Signal für den klaren Willen ausgehen, einer solchen provinziellen Betrachtung entgegenzutreten.
({0})
Es geht in Rio um Weichenstellungen im Interesse der Menschheit. Würden wir vor dieser geschichtlichen Aufgabe versagen, dann bekämen wir vor allem auch von kommenden Generationen Vorwürfe; denn diese Generationen würden die Folgen spüren.
Wir müssen unser Bewußtsein dafür schärfen, daß das Thema „Umwelt und Entwicklung" nicht nur die Dritte Welt, sondern auch unsere eigenen vitalen
Interessen betrifft. Ich erinnere an die Gefahr weltweiter Klimaveränderungen. Das rührt auch an den Lebensnerv unseres Landes. Ich spreche vom Wachstum der Weltbevölkerung, das auch uns zu einem sparsamen Umgang mit knappen Rohstoffen zwingt.
Wir erleben seit langem auch im eigenen Land, daß Not und Elend in der Dritten Welt unzählige Menschen dazu veranlaßt, ihre Heimat zu verlassen und für sich und ihre Familien und Kinder eine bessere Zukunft in den wohlhabenderen Staaten, in den Industriestaaten zu suchen. Schon heute führen Verteilungskonflikte in den asiatischen und in den afrikanischen Nachbarregionen Europas zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die eines Tages durchaus auch unsere Sicherheit bedrohen könnten.
Wie sehr unsere eigenen Interessen von der Entwicklung in anderen Regionen betroffen sind, haben wir am Beispiel Tschernobyl erlebt. Deshalb war und ist unsere Initiative zur Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke in Mittel-, Ost- und Südosteuropa so wichtig.
Vor diesem Hintergrund müssen die Bemühungen um eine weltumspannende Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft auch für Deutschland eine hohe Priorität haben. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, würden wir Deutschen diese Bemühungen angesichts der drängenden und jedermann bekannten innenpolitischen Fragen zurückstellen. Hier geht es nicht um ein „Entweder-Oder"; sondern um ein „Sowohl-alsAuch".
({1})
Wir müssen den Standort Deutschland sichern, aber auch unseren Beitrag zu einer Friedensordnung in der Welt leisten, die den Menschen eine gute Zukunft sichert. Dies liegt nicht zuletzt im ureigensten deutschen Interesse.
Deutschland kann dabei gerade im umweltpolitischen Bereich weiterhin eine vorwärtsdrängende Rolle wahrnehmen, weil unsere nationale Umweltpolitik weltweit anerkannt wird. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Die Bundesregierung hat in einer gewaltigen Kraftanstrengung mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung den SO2-Ausstoß in den alten Ländern von fast 3 Millionen t im Jahr 1982 auf unter 1 Million t im Jahr 1991 senken können. In der früheren DDR lag der SO2-Ausstoß noch bei 5 Millionen t. Dies zeigt die Dimension der Aufgaben auch auf diesem Felde, die in den neuen Bundesländern vor uns liegen.
Wir haben in Europa gegen mancherlei Widerstände den Katalysator als Norm durchgesetzt. In vielen Bereichen haben wir die anerkannt wirkungsvollsten Umweltgesetze der Welt. Rund 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze seit 1982 beweisen auch, daß eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik und ein wirksamer Umweltschutz kein Widerspruch sind und daß wir - wer auf der Hannover Messe war, konnte es beobachten - heute mit deutscher Umwelttechnik auch im Export weltweit gefragt sind.
Es war in Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden möglich, in der alten Bundesrepublik
die weltweit beste flächendeckende Abwasserentsorgung zu entwickeln. Der Rhein hat heute eine bessere Wasserqualität als 1956. Wenn Sie allerdings Elbe oder Oder damit vergleichen, wird deutlich, wo wir in Zukunft die Schwerpunkte der nationalen Umweltpolitik setzen müssen.
Die Bundesregierung hat als Ziel für das Jahr 2005 eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 25 bis 30 % beschlossen. Damit haben wir als erstes großes Industrieland die Verminderung der Treibhausgase aktiv in Angriff genommen. Wir haben die Initiative auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ergriffen. Unser Ziel muß ein gemeinsames Vorgehen aller großen Industriestaaten sein. Ich glaube nicht, daß uns ein nationaler Alleingang in dieser Frage sehr weit bringt.
Die Arbeit der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre unter dem Vorsitz der Kollegen Schmidbauer und Lippold findet weit über unsere Grenzen hinaus Beachtung. Ich will das einmal gerne sagen: Mir ist kein anderes Parlament bekannt, in dem bei einem solch wichtigen Thema Vergleichbares geleistet wurde.
({2})
Bei all unseren umweltpolitischen Bemühungen haben wir stets auch den Fragen der weltweiten Umweltpartnerschaft einen besonderen Platz eingeräumt. Meine Regierungserklärung vom 18. März 1987 stand unter der Überschrift: „Die Schöpfung bewahren - die Zukunft gewinnen". Damals habe ich dazu aufgerufen, den Treibhauseffekt zu einem Thema internationaler Politik zu machen, die Ozonschicht wirksam zu schützen und der Vernichtung tropischer Regenwälder entgegenzuwirken.
Auf den Weltwirtschaftsgipfeln der vergangenen Jahre, zuerst in Toronto im Jahre 1988, habe ich vorgeschlagen, das Thema Umweltschutz mit der Schuldenfrage zu verknüpfen. Heute stelle ich mit Genugtuung fest, daß unsere beharrlichen Initiativen mit dazu beigetragen haben, Schritt für Schritt einen Bewußtseinswandel weit über den Kreis der sieben führenden Industrienationen hinaus zu bewirken. Dennoch sage ich: Wir haben keinen Grund, uns mit dem Erreichten zufriedenzugeben.
20 Jahre nach der ersten UN-Umweltkonferenz 1972 in Stockholm bietet sich nun die Chance, in der gesamten internationalen Umweltpolitik und darüber hinaus in wichtigen Bereichen der Entwicklungspolitik Weichen neu zu stellen und einen großen Schritt auf dem Weg zu einer weltweiten Umweltpartnerschaft voranzukommen.
Die Industrieländer, damit auch Deutschland, müssen sich dabei ihrer besonderen Verantwortung bewußt sein. Die 20 % der Menschheit in den Industrieländern verursachen ca. 80 % aller weltweiten CO2-Emissionen. An diesen Zahlen wird deutlich, wer die Hauptlast und wer die Hauptverantwortung bei der Verminderung der CO2-Emissionen tragen muß. Die Industriestaaten, d. h. auch Deutschland, sind daher gefordert, künftig sorgsamer als bisher mit natürlichen Ressourcen umzugehen. Wir müssen alles tun, um vorhandene technologische Möglichkeiten
besser auszuschöpfen und neue umweltgerechte Techniken zu entwickeln.
Aber auch die Entwicklungsländer müssen ihren Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme leisten. Dabei denke ich vor allem auch an die Erhaltung der tropischen Regenwälder. Natürlich haben die Entwicklungsländer das Recht - niemand wird das bestreiten -, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln und hierfür ihre eigenen Ressourcen zu nutzen. Wir alle haben dafür Verständnis. Wir glauben aber, daß diese Entwicklung - das müssen wir heute sagen und auch von uns selbst fordern - ökologisch verträglich sein muß. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen diese Länder unsere Hilfe. Dies ist nicht nur eine Frage der finanziellen Unterstützung, sondern auch der Übermittlung unserer Kenntnisse und Erfahrungen im Umweltschutz.
Entscheidend ist für diese Länder, für diesen Teil der Welt die Schaffung nationaler und internationaler Rahmenbedingungen, die eine ökologisch verträgliche Entwicklung sichern. Dazu gehört die Verbesserung der Chancen im internationalen Handel. Deshalb setzen wir uns - auch aus anderen guten Gründen - mit Nachdruck für einen baldigen Abschluß der GATT-Verhandlungen ein.
Dazu gehört weiter der Ausbau einer privaten und einer staatlichen Technologiekooperation. Ich nenne auch die Bekämpfung des Teufelskreises von Armut und Bevölkerungswachstum. Nach den Berechnungen der Vereinten Nationen wird die Erdbevölkerung bis zum Jahr 2025 auf 8,5 Milliarden anwachsen. 97 % dieser Zunahme entfällt auf die Entwicklungsländer.
Meine Damen und Herren, bei der Konferenz in Brasilien erwarten wir Entscheidungen in folgenden Bereichen: eine umfassende Umwelt- und Entwicklungsstrategie in dem Aktionsprogramm „Agenda 21", eine Klimaschutzkonvention, eine Konvention zur Erhaltung der Artenvielfalt, eine Erd-Charta mit den Grundprinzipien der Umwelt- und Entwicklungspolitik und eine Deklaration zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder.
Bei den Vorbereitungen dieser Konferenz - es waren viele Einzelgespräche notwendig; ich will bei dieser Gelegenheit allen Kollegen aus der Bundesregierung und allen unseren Mitarbeitern sehr herzlich für diese intensive Arbeit danken - ist uns sehr deutlich geworden, daß das Problembewußtsein für die globalen Zusammenhänge des Umweltschutzes in anderen Ländern noch nicht gleich weit gediehen ist wie glücklicherweise in weiten Kreisen bei uns. Dafür müssen wir - trotz des Zeitdrucks, unter dem wir heute stehen - Verständnis haben. Denn auch bei uns war die Sicht der Dinge noch vor 15 Jahren völlig anders; das wissen wir alle, die Opposition von heute und die Opposition von gestern. Wenn ich mich an meine eigene Zeit als Ministerpräsident eines Bundeslandes erinnere, muß ich sagen: Auch ich habe natürlich- wie viele andere -heute ein anderes Bild von den ökologischen Notwendigkeiten als in jenen Tagen. Deshalb wird es ein wichtiges Ergebnis von Rio sein, daß diese Konferenz das Problembewußtsein weltweit schärft und daß wir einen gegenseitigen Lernprozeß fördern und beschleunigen.
Ziel der Agenda 21 ist eine umfassende Strategie für die globale Entwicklungs- und umweltpolitische Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Gerade an diesem Punkt gestalten sich die Verhandlungen besonders schwierig.
Wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, daß für die meisten Entwicklungsländer heute ganz enorme Probleme im Vordergrund stehen: Dazu gehört vor allem, das Überleben der Bevölkerung zu sichern, und dazu gehören die Bekämpfung der Unterernährung, die Erschließung neuer Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie der Abbau der Schuldenlast. Auch wenn in einigen Fragen noch keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, bin ich zuversichtlich, daß wir in Rio einen Kompromiß für die „Agenda 21 " finden werden, und zwar einen Kompromiß, der uns weiterführt.
Ein besonders wichtiger Punkt ist die Zeichnung einer Klimaschutzkonvention. Vor wenigen Wochen konnten die Verhandlungen in New York mit einem zeichnungsreifen Entwurf abgeschlossen werden. Darin verpflichten sich die Konventionsstaaten zu einer weltweiten Begrenzung der Treibhausgase, insbesondere von CO2.
Die Bundesregierung hat auf weltweite verbindliche Zeitrahmen und Mengenziele zur CO2-Verminderung gedrängt, so wie wir uns auf nationaler Ebene zur Reduzierung der CO2-Emissionen verpflichtet haben. Dies war jedoch - das muß man klar aussprechen - im Vorfeld von Rio noch nicht durchsetzbar. Andere Staaten waren dazu noch nicht bereit. Dennoch bin ich zuversichtlich. Wir haben schon klare Verfahrensregelungen für künftige konkrete Festlegungen zur CO2-Reduzierung erreicht. Darüber soll in kurzen Zeitabständen auf Revisionskonferenzen entschieden werden.
Bei der FCKW-Reduzierung im Jahre 1985, also vor sieben Jahren, wurde nach der gleichen Arbeitsweise begonnen. Auch damals in Wien haben wir uns zunächst auf eine mehr allgemeine Konvention geeinigt.
Angesichts dieser positiven Erfahrung bin ich sicher, daß wir bei der Klimakonvention am Anfang einer guten Entwicklung stehen. Die Bundesregierung wird sofort nach der Konferenz in Rio darauf drängen, mit internationalen Verhandlungen über weitergehende konkrete CO2-Reduzierungsverpflichtungen zu beginnen. Wir werden zu einer ersten Folgekonferenz nach Deutschland einladen.
Bedeutsam ist auch die geplante Konvention zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Wir stehen heute vor einem dramatischen Rückgang der Arten. Dies ist ein Indiz dafür, daß die Lebensgrundlagen auch des Menschen letztlich in Gefahr sind. Wir haben aber gleichzeitig vor allem auch eine ethische Pflicht, die uns anvertraute Schöpfung zu erhalten. In der ErdCharta werden wir grundlegende Prinzipien der Umwelt- und Entwicklungspolitik festlegen können.
Ein ganz anderer wichtiger Punkt ist die Deklaration zur nachhaltigen umweltverträglichen Bewirtschaftung der Wälder. Der bedrohliche Rückgang der Tropenwälder, aber auch der Wälder in anderen Klimazonen, muß uns alle mit großer Sorge erfüllen.
Wir setzen uns deshalb dafür ein, sofort nach Rio mit den Verhandlungen über eine Internationale Waldschutzkonvention zu beginnen. Wir sind auch hier auf nationaler Ebene mit gutem Beispiel vorangegangen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung der Konferenz spielen Fragen der Finanzierung eine ganz wesentliche Rolle. Die vorhandenen Instrumente der multi- und bilateralen Entwicklungszusammenarbeit haben sich durchaus bewährt. Unsere Entwicklungshilfe wird trotz vielfältiger Verpflichtungen, die sich aus der deutschen Wiedervereinigung sowie aus den Problemen in den GUS-Staaten und den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas ergeben, auch in den nächsten Jahren im Rahmen unserer Möglichkeiten steigen. Die Möglichkeiten sind aus den soeben genannten Gründen allerdings geringer geworden.
Für die neuen Aufgaben im weltweiten Umweltschutz steht die globale Umweltfazilität bei der Weltbank zur Verfügung. 1990 ist dieses Finanzierungsinstrument auf eine deutsch-französische Initiative hin eingerichtet worden. Die erste Phase der Arbeit hat gezeigt, daß damit ein wichtiger Beitrag geleistet werden kann.
Wir sind bereit, an einer wesentlichen Aufstockung des bisherigen Volumens dieses Fonds mitzuwirken. Wenn ich dies sage, verbinde ich mit dieser Bereitschaft jedoch die Erwartung, daß auch alle anderen Lander bereit sind, einen angemessenen Teil der Verantwortung mit zu übernehmen.
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Ich denke hier insbesondere an die Vereinigten Staaten von Amerika und an Japan.
({4})
Wir anerkennen die berechtigten Interessen an einer stärkeren Mitwirkung der Entwicklungsländer. Wir sind bereit, ihnen deshalb einen größeren Einfluß innerhalb dieser globalen Umweltfazilität anzubieten.
Wir sind auch bereit, zugunsten ärmerer Länder die Möglichkeit der teilweisen Entschuldung gegen entsprechende Umweltschutzmaßnahmen stärker zu nutzen. Aber auch dies darf kein Alleingang sein. Wir müssen uns deshalb intensiv um ein international abgestimmtes Vorgehen bemühen, das eine faire Lastenteilung sichert.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wie Sie wissen, habe ich frühzeitig erklärt, daß ich selber zu dieser Rio-Konferenz fahren will. Das Ziel dieser Entscheidung war, die Bedeutung dieser Zusammenkunft aus unserer Sicht zu unterstreichen.
({5})
Ich bitte die Ordner auf der Tribüne, dafür Sorge zu tragen, daß die Debatte ordnungsgemäß fortgesetzt werden kann.
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Herr Bundeskanzler, fahren Sie bitte fort.
Meine Damen und Herren, ich finde, zu diesem Thema, das wir heute behandeln, gehört, daß wir gemeinsam zur Freiheit überall in der Welt stehen und überall für die Menschenrechte eintreten.
({0})
Ich freue mich, daß inzwischen die Zusagen vieler Staats- und Regierungschefs vorliegen, an der Konferenz in Rio teilzunehmen. Insbesondere begrüße ich die Teilnahme von Präsident Bush. Ich glaube, das ist eine wichtige Botschaft.
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Die Konferenz von Rio ist kein Endpunkt, sondern soll der Beginn eines Prozesses sein, der uns auf dem Weg zur Lösung der drängenden Zukunftsfragen der Menschheit voranbringt. Es geht uns darum, daß wir zugleich ein weltweit beachtetes Signal für den Schutz der Erde setzen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir stellen uns unserer gewachsenen internationalen Verantwortung. Dies gilt für die Herausforderung beim Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie auch im Hinblick auf die Entwicklung der armen und ärmsten Länder der Welt.
Wir müssen deutlich sehen: Diese Aufgaben stellen sich heute noch dramatischer als vor wenigen Jahren. Die Wiedervereinigung Deutschlands, der demokratische und marktwirtschaftliche Wandel in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas und auch die Perspektiven Westeuropas - der Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion und die Politische Union - verlangen, daß wir die notwendigen Prioritäten setzen. Niemand von uns kann heute so tun, als habe sich in diesen Jahren nichts geändert. Das gilt für den Bund, das gilt für die Länder, das gilt für die Gemeinden vor allem im Blick auf die notwendigen Konsolidierungsanstrengungen in allen Bereichen. Der Bundesfinanzminister hat dafür ein Konzept vorgelegt, das meine nachdrückliche Unterstützung findet.
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Aber ebenso sind die Beiträge von Wirtschaft und Tarifpartnern und von allen gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Man muß hier klar aussprechen, daß die jüngsten Tarifabschlüsse unverkennbare Risiken aufweisen und für die Zukunft keine Richtschnur sein können.
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Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist zugleich die Basis für soziale Sicherheit. Beides gehört untrennbar zusammen.
Ich will das wiederholen, was ich kürzlich im Bundestag in Bonn sagte: Jetzt ist nicht die Stunde für enges Besitzstandsdenken und nutzlose Verteilungskämpfe. Mit solchen Ritualen der Vergangenheit läßt sich für die Zukunft nichts gewinnen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wird die großartige Vision einer Welt „frei von Furcht und Not" entworfen. Auch mit diesem Ziel vor
Augen wurden die Vereinten Nationen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet.
Der Ost-West-Konflikt bildete dann allerdings für die Dauer von Jahrzehnten ein entscheidendes Hindernis dafür, daß eine Weltfriedensordnung auf dieser Grundlage entstehen konnte. Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, hat unsere Welt eine neue Chance, den Frieden zwischen den Völkern als ein Werk der Gerechtigkeit zu gestalten.
Ich glaube, man darf trotz aller Probleme sagen: In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde viel dazugelernt. Es ist vor allem das Bewußtsein dafür gewachsen, daß eine Welt „frei von Furcht und Not" auch die Bewahrung der uns anvertrauten Schöpfung voraussetzt. Deshalb ist es nur konsequent, daß sich die Vereinten Nationen nun auch des Themas „Umwelt und Entwicklung" mit großem Engagement annehmen.
Als ich 1988 beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto vorschlug, den globalen Umweltschutz auf die ständige Tagesordnung der sieben führenden Industrienationen zu setzen, stieß ich auf viel Ablehnung und Skepsis. Heute bezweifelt - auch im Vorfeld des Münchener Gipfels - niemand mehr, daß es richtig war, diese Frage auf die Tagesordnung zu bringen.
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Als eine der reichsten Industrienationen der Erde stehen wir Deutschen dabei gemeinsam mit anderen in einer besonderen Pflicht. Sieben Leitlinien sind für uns wegweisend:
Erstens. Ganz oben auf der internationalen Tagesordnung steht der Dialog zwischen Nord und Süd.
Zweitens. In gleichberechtigter Zusammenarbeit müssen wir den Ländern der Dritten Welt beistehen, Hunger, Not, Krankheiten und Elend zu überwinden.
Drittens. Die Hilfe der reichen Industrienationen für die Länder der Dritten Welt muß vor allem Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Viertens. Damit diese Länder ihre Zukunft mehr und mehr aus eigener Kraft gestalten können, ist ein freier Welthandel unerläßlich. Dazu brauchen wir den Erfolg der GATT-Runde.
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Fünftens. Umweltschutz, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie die Achtung der Menschenrechte bilden für uns ein untrennbares Ganzes.
Sechstens. Die Industriestaaten können von den Entwicklungs- und Schwellenländern wirksame Maßnahmen zur Bewahrung der Schöpfung nur dann glaubwürdig verlangen, wenn sie auf diesem Gebiet selber mit gutem Beispiel vorangehen.
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Siebtens. Wir im vereinten Deutschland stellen uns der globalen Verantwortung. Dies muß trotz aller Probleme geschehen, die wir im eigenen Land zu bewältigen haben.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß wir in der künftigen Betrachtung dessen, was wir heute tun, nicht zuletzt daran gemessen werden, ob wir national wie international unserer Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung nachgekommen sind. Ich möchte uns alle herzlich dazu einladen, in dieser für uns lebenswichtigen Frage gemeinsam zu handeln.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Harald Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Bundeskanzler, wir wünschen uns vorab, daß Sie in Rio mit mehr Engagement das Interesse an einem vernünftigen Ausgleich zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern vertreten, als Sie eben Ihre Regierungserklärung mit erkennbarer Lustlosigkeit vorgetragen haben.
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Es schadet dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland, es schadet der weltweiten Entwicklung, wenn der Bundeskanzler seine Aufgabe in bezug auf eine der zentralen Fragen der globalen Politik hier mehr oder minder nur als lästige Pflichtaufgabe hinter sich bringt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor 20 Jahren fand in Stockholm die erste weltweite Umweltkonferenz statt. Die Hoffnung nach Stockholm auf eine Verbesserung der globalen Entwicklung ist bitter enttäuscht worden. Der Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd, zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern hat sich in den letzten zwei Dekaden dramatisch verschärft. Wir treiben in eine globale ökonomische, ökologische und soziale Krise. Die Hauptverantwortung dafür trifft die Industrienationen. Mit 25 % der Weltbevölkerung beanspruchen sie 80 % des weltweiten Energieverbrauchs; sie verbrauchen 85 % des Holzes, 75 % der Metalle sowie 60 % der Nahrungsmittel.
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Die Industrieländer sind die Hauptverursacher der drohenden Klimakatastrophe, der Zerstörung der Ozonschicht, der Meeresverschmutzung, der Abfallerzeugung und des Artenschwundes, um nur einige Beispiele zu nennen.
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Meine Damen und Herren, die Hauptaufgabe der Politik besteht darin, national, europaweit und global die Teilung durch Teilen zu überwinden.
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Das ist die Aufgabe der Politik!
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Dies ist nur möglich, wenn der Grundwert der Solidarität zur Maxime des politischen Handelns wird. Dagegen, Herr Bundeskanzler, verstoßen Sie und Ihre Politik national und auch international. Das ist der Hauptvorwurf, den wir Ihrer Politik machen müssen.
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Darüber täuschen dann auch wohlklingende Regierungserklärungen nicht hinweg.
Meine Damen und Herren, schon heute steht fest, daß der Weltgipfel in Rio weit hinter dem zurückbleibt, was dringend geboten wäre. Es wird in Rio z. B. keine verbindliche Vereinbarung zur Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen geben; es wird in Rio keine verbindliche Vereinbarung geben, die die notwendige Erhöhung der Entwicklungsgelder zum Inhalt hätte. Es werden wohl nach allem, was man weiß, und auch nach dem, was Sie, Herr Bundeskanzler, hier ausgeführt haben, in Rio einige Grundsatzerklärungen vereinbart werden können; es werden einige mehr oder minder unverbindliche Absichtserklärungen verabschiedet werden. Es wird aber nicht zu konkreten Entscheidungen kommen, die unmittelbar dazu beitragen, den Gegensatz zwischen Nord und Süd zu mildern. Deswegen, meine Damen und Herren, läuft Rio Gefahr, eine Konferenz nach dem Motto zu werden: Außer Spesen nichts gewesen.
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Sicher konnte nur ein Phantast erwarten, daß eine große Konferenz wie ein gigantischer Paukenschlag wirkt und die Staaten der Welt zu einer umweltverträglichen Wirtschafts- und Produktionsweise zwingt. Aber daß die vorhersehbaren Konferenzergebnisse derart mager sein würden, war nun wirklich nicht zu erwarten. Wenn UNCED scheitert - leider deuten alle Vorzeichen und alle vorbereitenden Verhandlungen darauf hin -, dann nicht wegen der Haltung der Entwicklungsländer, sondern vor allem wegen der Haltung der Industrieländer, auch der Bundesrepublik Deutschland.
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Herr Bundeskanzler, wir warnen Sie davor, UNCED und die Konferenz in Rio lediglich als großes Medienspektakel zur Ablenkung von den überbordenden Problemen zu mißbrauchen, mit denen Sie und Ihre Regierung auch in unserem eigenen Land nicht fertig werden.
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Harald B. Schäfer ({10})
Grüne Rhetorik in Zusammenhang mit den Problemen von Umwelt und Entwicklung muß sich in konkreten Verhandlungsergebnissen niederschlagen und darf nicht zum Mantel für faktische Untätigkeit werden.
Der Generalsekretär der UNCED-Konferenz, Maurice Strong, hat kürzlich als ein Hauptziel des Erdgipfels genannt - ich zitiere -, „die Basis für wichtige Veränderungen in unserem ökonomischen Verhalten zu liefern, und zwar als Individuen, als Körperschaften, als Nationen und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern".
Ich möchte es noch einmal betonen: Es geht um eine Änderung des ökonomischen Verhaltens. Es geht um einen ökologischen und ökonomischen Lastenausgleich zwischen den reichen Ländern und den armen Ländern, zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern.
Nie war die Kluft zwischen Erkenntnis und praktischem, konsequentem politischen Handeln so groß wie heute.
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Noch nie wußten wir so gut Bescheid über den dramatischen Zustand unserer Umwelt, über das Ausmaß der Meeresverschmutzung, der Luftverschmutzung, der Klimaveränderungen, über das Schwinden der Ozonschicht, über den Artenschwund, um nur einige Stichworte zu nennen. Nie zuvor wußten wir auch so gut Bescheid über die Verursacher dieser drohenden globalen Katastrophen. Wir wissen, daß wir, die wohlhabenden Industrienationen, dafür maßgeblich verantwortlich sind. Wir wissen auch, was zu tun wäre, um die drohenden Gefahren für unsere Erde abzuwenden. Wir, die Industrienationen, müssen unsere Art, zu produzieren und zu konsumieren, grundlegend ändern, wenn wir das Überleben der Menschheit sichern wollen.
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Wir, die Industrienationen, praktizieren eine Art der Produktion und des Konsums, die mit der Dauerhaftigkeit des menschlichen Seins nicht vereinbar ist. Deswegen ist jetzt eine radikale, eine grundlegende Umkehr geboten.
Dennoch werden - die Regierungserklärung war ein einziger Beleg dafür - die Industrienationen und auch die Bundesregierung nicht müde, tausend Ausreden zu erfinden, die sie davon abhalten, das Notwendige zu tun.
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Der Öffentlichkeit werden immer neue Ablenkungsmanöver und Buhmänner präsentiert, um von der eigenen politischen Untätigkeit abzulenken.
Um es an einem einzigen Beispiel ganz konkret zu machen: Jetzt wird der Versuch unternommen, unsere Empörung über den mangelnden Beitrag der Industrienationen zur Minderung der Umweltverschmutzung auf den Buhmann USA abzulenken. Auffällig schnell hat die EG-Kommission den Buhmann USA
benutzt, um Abstand von dem richtigen EG-Vorhaben zu nehmen, eine eigene Energiesteuer zu erheben,
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weil die Energiesteuer nunmehr an die Gemeinsamkeit mit den USA und Japan gekoppelt wird. Meine Damen und Herren, wie leichtfertig wird hier die Zukunft verspielt!
Nun zur Bundesregierung, Herr Bundeskanzler: Erst will die Bundesregierung angeblich eine Energiesteuer im nationalen Alleingang, dann nur zusammen mit der EG durchsetzen, die die Energiesteuer aber nur zusammen mit den USA und Japan einführen will. Ergebnis: Nichts passiert. Alle reden. Alle beklagen den Zustand der Umwelt. Die Handlungsmöglichkeit, die jede Regierung für sich selbst hat, unterbleibt mit dem Verweis auf Unterlassung des anderen oder verschwindet von der Tagesordnung. Das ist das, was wir kritisieren!
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Ich halte die Zurückstellung jeglichen Signals in Sachen Energiesteuer durch die EG und durch die Bundesregierung kurz vor dem Rio-Gipfel für katastrophal. Es muß der Glaubwürdigkeit der Politik schaden, es muß dem Glauben an die Verantwortungsfähigkeit der Politiker Abbruch tun, wenn zwei Wochen vor UNCED die Hauptverursacher der globalen Umweltzerstörung immer noch mit dem Finger aufeinander weisen, anstatt ihrer eigenen ökologischen Verantwortung entsprechend zu handeln.
Natürlich wissen auch wir, meine Damen und Herren, daß eine internationale optimale Lösung zum Klimaschutz nur zusammen mit den USA zustande kommen kann. Aber es gibt wahrhaftig keinen vernünftigen Grund, der deutschen Öffentlichkeit weiszumachen, ohne die USA würde es keinen Sinn machen, auf nationaler Ebene beispielsweise mit dem Energiesparen zu beginnen. Das Waldsterben muß auch zu Hause gestoppt haben, Herr Bundeskanzler, nicht nur im tropischen Regenwald.
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Die Luftverschmutzung in den Innenstädten muß auch in der Bundesrepublik Deutschland gestoppt werden, weil vielerorts - gerade in diesen Tagen erleben wir es wieder - die Grenzen des Erträglichen überschritten sind.
Nicht zuletzt - um noch ein Beispiel zu nennen - bedeutet unsere Verkehrslawine Energieverschwendung, Stadtzerstörung, Landschaftsverbrauch, Luftverschmutzung. Sie ist Müllverursacher und Allergieerreger dazu. Niemand hindert die Bundesregierung daran, das zu tun, was für eine neue, ökologisch orientierte Verkehrspolitik notwendig wäre.
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Es kann doch niemand der Öffentlichkeit weismachen, daß Herr Bush die Bundesregierung beispielsHarald B. Schäfer ({18})
weise daran hindert, ein allgemeines Tempolimit auf bundesdeutschen Straßen einzuführen.
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Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie spricht deshalb von unserer frisierten Wohlstandsbilanz, die bei einem veränderten ökonomischen Verhalten sehr anders aussähe. Ihr Umweltminister, Herr Bundeskanzler, spricht in diesem Zusammenhang von der Wohlstandslüge der Industrienationen. Gut analysiert, gut beschrieben, Herr Bundesumweltminister! Nur: Wo bleiben die konsequenten Entscheidungen auf Grund der richtigen Analyse?
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Wohlstandsmodell ist ungeheuer attraktiv für die Staaten der Dritten Welt. Es ist aber nur - das wissen wir zwischenzeitlich alle - um den Preis des ökologischen Kollapses zu übertragen. Unser Wohlstandsmodell ist nicht weltweit verallgemeinerbar.
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Wenn das so ist, meine Damen und Herren, können wir nicht Wasser predigen und Wein trinken. Dann müssen wir bei uns zu Hause beginnen, die notwendigen Reformen durchzusetzen. Wir müssen also unser Wohlstandsmodell reformieren. Wir brauchen z. B. ein ernsthaftes, groß angelegtes Energiesparprogramm. Das Ziel heißt, bis zum Jahr 2005 eine Minderung der CO2-Emissionen um 25 % zu erreichen.
Die Bundesregierung, Herr Bundeskanzler, hat Ende 1990 einen CO2-Minderungsbeschluß zu Papier gebracht. Wir haben diese Zielsetzung begrüßt. Wir haben sie unterstrichen. Wir halten sie für richtig. Was wir Ihnen heute freilich leider vorhalten müssen, ist, daß es beim Beschluß auf dem Papier geblieben ist
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und daß keine einzige konkrete notwendige Maßnahme zur Erreichung dieses Zieles eingeleitet bzw. umgesetzt worden ist.
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Das, meine Damen und Herren, ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen.
Es ist deshalb an der Zeit, daß die Bundesregierung diesen CO2-Beschluß endlich durch konkrete Entscheidungen mit Leben erfüllt. Sie muß festlegen, in welchen Bereichen - Verkehr, Wohnungswärme, Industrieproduktion - welche CO2-Minderungsrate erzielt werden soll und welches die Etappenziele sein sollen. Nehmen Sie also bitte, Herr Bundeskanzler, Ihren eigenen CO2-Beschluß endlich ernst, und setzen Sie ihn um, statt ihn wie eine Monstranz folgenlos vor sich herzutragen.
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Im übrigen, Herr Bundeskanzler, haben Sie vorhin zu Recht dem Deutschen Bundestag ein Lob ausgesprochen wegen der großartigen Leistungen der beiden Enquete-Kommissionen zum Schutz der Erdatmosphäre. Ich glaube, das ganze Haus würde das Lob um so mehr goutieren, wenn Sie nicht nur die Arbeit lobten, sondern auch mindestens 70 % der Empfehlungen zur Grundlage Ihrer Regierungspolitik machten.
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Das wäre dann ein Zeichen der Ernsthaftigkeit, mit der Sie dieses Papier umsetzen.
Schon bei der Stockholm-Konferenz, meine Damen und Herren, vor 20 Jahren wurde die Situation des Fünf-Minuten-vor-Zwölf beschworen. Viel zuwenig ist seitdem geschehen. Die globalen Probleme sind weiter vorangeschritten. Das Prinzip der Gerechtigkeit wird immer weiter verletzt, national, international. Mehr als eine Milliarde Menschen leben heute in bitterster Armut. Vergessen wir deshalb nicht - und darüber wird von diesem Pult von unserer Seite aus noch gesprochen werden -, daß die Armutsbekämpfung einer der Schlüssel zur Beendigung des Kreislaufes von Unterentwicklung und Umweltzerstörung ist.
Die UNO hat in ihrem Einsetzungsbeschluß „New and additional fonds", neue und zusätzliche Fonds, gefordert. Mit einem Entwicklungshilfevolumen von 0,43 %, gemessen am Bruttosozialprodukt, sind wir, die international vergleichbar immer noch reiche Bundesrepublik, beschämend weit hinter dem international gesteckten Ziel von 0,7 % zurückgeblieben. Hier müssen wir unsere Leistungen erhöhen, meine Damen und Herren. Leider ist auch in diesem Bereich, nach allem, was man weiß, in Rio keine bindende Vereinbarung möglich.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, müssen Entwicklungsländer besser in den Stand gesetzt werden, eigene Mittel zu erwirtschaften, wofür ein ökologischer Strukturwandel der Weltwirtschaft dringend notwendig ist. Wir, die Industrieländer, müssen unsere Märkte öffnen für Produkte, nicht nur für Rohstoffe aus der Dritten Welt. Herr Bundeskanzler, global grün reden und unsere Märkte gegen die Dritte Welt abschotten, ist unglaubwürdig.
Die terms of trade, also die Austauschrelationen, haben sich in den letzten Jahren dramatisch zuungunsten der Entwicklungsländer verändert. Wir wissen, der Weltmarkt folgt keiner sozial oder ökologisch verantwortlichen Verpflichtung, sondern messerscharfer ökonomischer Logik. Hier komme ich nochmals auf Maurice Strong zurück, der Veränderungen des ökonomischen Verhaltens auch in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen einfordert. Der Weltmarkt diktiert der Dritten Welt Preise, die ökologischen Raubbau und mittelalterliche soziale Ausbeutung zur Folge haben. Dieses Konzept internationaler Verantwortung erzwingt Anpassungen auch bei uns.
Die Agrarsubventionen der EG z. B. bringen einen Kreislauf in Gang, der sowohl ökologisch als auch sozial selbst in fernsten Regionen der Welt zu tiefen Verwerfungen führt. Deswegen müssen wir auch hier, in der EG, ansetzen, um die terms of trade so zu
Harald B. Schäfer ({26})
gestalten, daß sie der ganzen Völkergemeinschaft und nicht nur den Industrienationen zugute kommen.
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Natürlich, meine Damen und Herren, haben die Entwicklungsdefizite im Süden ihre Gründe auch in sozialen, in wirtschaftlichen und in politischen Defiziten in der Dritten Welt selbst. Niemand kann und darf davor die Augen verschließen. Aber wahr ist: Die Hauptverantwortung für die Lösung der globalen Probleme liegt bei den westlichen Industrieländern. Sie haben in den letzten Jahrhunderten die politische und ökonomische Ordnung der Welt geprägt. Sie kontrollieren Weltwirtschaft und Weltfinanzen. Sie entscheiden über ökonomische Strukturveränderungen im Süden und im Osten.
Bei den Industrieländern liegt auch die Hauptverantwortung für die ökologischen Schäden. Es sind die Industrienationen, die in weltweitem Maßstab ihre Konten für Energieverbrauch, Umweltverschmutzung und klimaschädigende Emissionen weit, weit überzogen haben. Sie, die Industrienationen, haben das Know-how, haben das Kapital, um eine globale Politik der Umweltbewahrung und des sozialen Ausgleichs einzuleiten.
Dafür, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte UNCED, hätte der so apostrophierte Welt-Erdgipfel eine Chance geboten. Diese Chance scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt leichtfertig verspielt. Unsere Bitte an Sie, Herr Bundeskanzler, ist, alles, was Ihnen möglich ist, zu tun, beispielsweise indem Sie nachhaltig auf den amerikanischen Präsidenten Bush einwirken, alles, was in Ihrer Macht steht, zu tun, auch durch eigenes Beispiel, damit UNCED doch noch zu einer Konferenz wird, die wenigstens ein Signal für eine zukünftig bessere Entwicklung des Verhältnisses zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich möglich macht.
Wir haben, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur - darin ist sich dieses Haus einig - eine Welt, wir haben eine gemeinsame Verantwortung, und wir, die Industrienationen, haben die Hauptverantwortung, in Rio zu versuchen, die Akzente so zu setzen, daß ein Ausgleich zwischen Nord und Süd jedenfalls erkennbar wird.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Ulrich Klinkert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Schäfer, es spricht für die Qualität der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, es spricht für die Richtigkeit der Umweltpolitik dieser Bundesregierung, wenn Sie, Herr Kollege Schäfer, außer an der Rhetorik
des Vortragenden an der Regierungserklärung absolut nichts anderes auszusetzen fanden.
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Meine Damen und Herren, vor 20 Jahren haben sich 113 Länder in Stockholm zur UN-Konferenz für eine menschliche Umwelt getroffen. Es war die erste globale Diskussion über das Schicksal unseres Planeten. In wenigen Tagen werden in Rio de Janeiro an der Konferenz für Umwelt und Entwicklung über 160 Länder teilnehmen und versuchen, für das gesamte Spektrum der internationalen Umweltpolitik und der damit zusammenhängenden Bereiche der Entwicklungspolitik die Weichen neu zu stellen. Trotz aller Anstrengungen in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Situation der Umwelt insgesamt verschlechtert. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Vernichtung der Wälder, die Ausbreitung der Wüsten, die Belastung von Boden, Luft und Gewässern mit Schadstoffen haben inzwischen weltweit ein Ausmaß erreicht, das eine zunehmende Bedrohung für unsere gesamte Erde darstellt.
Diese durch Menschen verursachte globale Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen erfordert unverzüglich entschlossenes Handeln. National und international müssen neuartige Lösungsansätze und Handlungsstrategien gefunden werden. Hier sind besonders die Industrieländer gefordert, denn wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, daß wir Bewohner der sogenannten modernen Industrieländer zur Zeit mehr Ressourcen, mehr Natur und mehr Umwelt verbrauchen, als uns zusteht. Wir Industrienationen leben teilweise ökonomisch und ökologisch auf Kosten der Dritten Welt und auf Kosten künftiger Generationen. Im Durchschnitt werden beispielsweise in Deutschland jährlich 13 Tonnen CO2 pro Person emittiert. Es ist eine bewiesene Tatsache, daß dieser Wert, würde er weltweit erreicht, zu einer globalen Klimakatastrophe führen würde.
Doch bereits jetzt hat der hohe Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu bedrohlichen Klimaveränderungen geführt. Bereits vor zwei Jahren ist die Bundesregierung der Empfehlung der Enquete-Kommission gefolgt und hat erste Maßnahmen zur Umsetzung ihrer CO2-Minderungspolitik beschlossen. Dabei kommt es darauf an, die CO2-Emissionen, bezogen auf das Jahr 1987, bis zum Jahr 2000 um 25 bis 30 % zu reduzieren.
Nationale Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausemissionen sind aber vor allem wegen ihres Beispielcharakters und ihres Zwangs zu technischen Innovationen notwendig. Hier hat Deutschland weltweit eine Vorreiterrolle übernommen, die sich, zumindest was die Verbindlichkeit beim FCKW-Ausstoß betrifft, in der Zwischenzeit als richtig und günstig auch für die deutsche Wirtschaft erwiesen hat.
Die weltweite Entwicklung zum vermehrten CO2- Ausstoß konnte bisher nicht gestoppt werden. Den internationalen Bemühungen zur CO2-Reduktion sowohl EG-weit als auch weltweit fehlt im Moment der Durchbruch. Wir stärken die Bundesregierung in ihren Bemühungen, eine EG-Übereinkunft zu erzieUlrich Klinkert
len, die wirtschaftliche Anreize schafft, weltweit in Energieerzeugungsanlagen mit hohen Wirkungsgraden zu investieren. Über bessere Wirkungsgrade und umweltfreundliche Energieträger ist es durchaus möglich, die weltweite Energieerzeugung deutlich zu erhöhen, ohne daß dadurch zwangsläufig mehr CO2 emittiert werden muß.
Die Bundesregierung hat deshalb unsere volle Unterstützung, die deutsche Vorreiterrolle verstärkt zu nutzen, um alle Industrieländer zu einem abgestimmten Verhalten zu bringen.
Intensive Anstrengungen von Staat, Gemeinden, Wirtschaft, Verbänden und Bürgern haben in den letzten 20 Jahren nach der ersten UN-Konferenz in Stockholm den Umweltschutz in Deutschland ein gutes Stück vorangebracht. Sie haben in den letzten Jahren zu einer Entkoppelung von Umweltbelastung und Wirtschaftswachstum geführt. Die Umweltbelastung ist in den alten Bundesländern bei deutlichem Wirtschaftswachstum in Teilbereichen spürbar zurückgegangen. Dies gilt insbesondere für die Reinhaltung der Luft und den Gewässerschutz. Dies hat den Industriestandort Deutschland insgesamt nach vorn gebracht.
In diesem Zusammenhang kann es nicht einleuchten, daß von einigen Wirtschaftlern und Politikern die Gefahr heraufbeschworen wird, daß der Standort Deutschland durch konsequente gesetzliche Vorgaben im Interesse der Umwelt für die Wirtschaft unattraktiv würde. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt keine Beispiele von Produktionsverlagerung aus Deutschland auf Grund von Umweltauflagen. Vielmehr sprechen andere Gründe für eine Kapitalflucht ins Ausland, beispielsweise die höchsten Löhne und Sozialabgaben bei gleichzeitig geringster Arbeitszeit, astronomisch hohe Bodenpreise, mittlerweile auch in Ostdeutschland, aber vor allem der Luxus der wohl weltweit längsten Genehmigungsverfahren, und zwar, was das Absurde dabei ist, sogar von Genehmigungsverfahren für Umweltschutzmaßnahmen.
Anspruchsvolle Umweltschutzanforderungen haben Deutschland ein umweltpolitisch hohes Ansehen und wegen der gleichbleibenden Qualität seiner Produkte und der Sicherheit seiner Produktionsanlagen international eine Spitzenposition verschafft. Unser fortschrittliches Umweltrecht hat andererseits dazu beigetragen, daß Deutschland auch hinsichtlich der Dauer der Genehmigungs und Zulassungsverfahren selbst bei umweltschutzerhöhenden Maßnahmen im weltweiten Vergleich an der Spitze liegt. Deshalb ist es zwingend erforderlich, möglichst umgehend Voraussetzungen für Verfahrensbeschleunigungen zu schaffen, die selbstverständlich die materiell-rechtlichen Anforderungen an Genehmigung und Zulassung nicht ändern dürfen und wie bisher die Beteiligung der Bürger sichern.
Aus ökologischen Gründen, insbesondere zur Sanierung der neuen Bundesländer, ist eine Verfahrensbeschleunigung dringend notwendig. Deutschland als eines der modernsten Industrieländer der Welt kann zeigen, daß Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz in sich keine Gegensätze sind.
Der Ihnen vorliegende Antrag „Durch globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft die Schöpfung bewahren", der ja parteienübergreifend eingebracht wurde, schließt die Verantwortung der Industrieländer für die Wirtschaftsentwicklung der Dritten Welt ein.
Worum wird es in Rio gehen? Welche Ergebnisse können dort erreicht werden? Zunächst einmal wird es um die Zeichnung einer Klimakonvention als wohl eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Konferenz gehen. Und hier, Herr Schäfer, kann man Ihnen keineswegs folgen, wenn Sie sagen, daß Rio substanzlos sein wird. Denn eine solche Konvention muß nun eben erst einmal gezeichnet werden, um dann von den Staaten später ratifiziert werden zu können.
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Es wird um Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt und um die Verabschiedung von Grundsätzen zur Erhaltung, umweltverträglicher Bewirtschaftung und Entwicklung der Wälder aller Klimazonen gehen.
Es wird bei der Verabschiedung des Aktionsprogramms „Agenda 21" zur Festlegung vernünftiger und praktikabler Maßnahmen kommen, die nationale Regierungen und internationale Organisationen für eine langfristige Entwicklung ergreifen können. Dabei geht es um die Integration des Umweltschutzes in alle Handlungs- und Politikbereiche, um eine Verbesserung von Bildung und Ausbildung und um die Schaffung angemessener umweltrechtlicher und institutioneller Rahmenbedingungen in allen Ländern.
Rio soll zum Erfolg für die Umwelt, auch über die Erstarkung der wirtschaftlichen Situation in den Entwicklungsländern, führen. Deshalb will die Konferenz ökonomische Zeichen setzen, insbesondere für die Länder der Dritten Welt. Denn Regierungen in den Entwicklungsländern, deren Wirtschafts- und Finanzlage so schlecht ist, daß der Hunger der Bevölkerung zum Alltag gehört, werden nicht einen Pfennig in Klimaschutz investieren können.
Als eines der sichtbaren Beispiele kann die Erhaltung des Tropenwaldes gelten. In den Ländern, in denen es buchstäblich um das nackte Überleben von heute geht, wird man sich um den Tropenwald von morgen nicht kümmern können. Der Tropenwald ist unser aller Klimaspender. Wir dürfen ihn daher nicht „verkonsumieren" , sondern müssen mehr als bisher zu seiner Erhaltung tun.
Vielen Dank.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erklärung der Bundesregierung enthielt eine Menge Absichtserklärungen, Appelle. Aber ich konnte nicht erkennen, welche konkreten Schritte - national und international - nun gegangen werden sollen,
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um die riesige Umweltkrise, in der sich die Menschheit bereits befindet und auf die wir in noch stärkerem Maße zugehen, wirklich zu lösen oder wenigstens einzudämmen.
Die in Rio geplante Konferenz ist eine Konferenz der führenden Industriestaaten und Entwicklungsländer. Ich glaube, daß da auch die Probleme liegen. Es hat ja keinen Sinn, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen: Im 19. Jahrhundert waren Hungersnöte gelegentliche Erscheinungen. Im jährlichen Durchschnitt starben höchstens einige hunderttausend Menschen weltweit an Hunger. Heute sterben jährlich 50 Millionen Menschen an Hunger - eine unvorstellbare Größenordnung.
Eine der Ursachen ist von Hafiz Sabed berechnet worden. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die führenden Industriestaaten seit 1956 insgesamt 50 Billionen - Billionen - US-Dollar aus den Entwicklungsländern herausgeholt haben.
Im Jahre 1900 starb auf der Erde eine Tier- und Pflanzenart aus, im Jahre 1992 werden etwa 1 000 Tier- und Pflanzenarten aussterben. Das gehört - auch für alle Anhänger der Marktwirtschaft - mit zu den Ergebnissen der bisherigen Wirkungsweise der Marktwirtschaft weltweit.
In der Regierungserklärung wird von Problembewußtsein und von einem Lernprozeß gesprochen, der einsetzen muß. Ich hatte gehofft, wir seien über dieses Stadium hinaus. Es geht nicht nur darum, ein Problembewußtsein zu schaffen - das ist vorhanden -, sondern es geht darum, zu handeln. Und es geht um eine Änderung der Lebens- und Produktionsweise, und zwar in erster Linie in den führenden Industriestaaten.
Ich möchte mich gern mit einem Argument auseinandersetzen, das auch jetzt eben in dem Beitrag anklang und das ich für besonders gefährlich halte. Ich will es in ganz sachlicher Form tun. Ich weiß, daß es schwer ist, Umweltpolitik wirklich konsequent zu betreiben und dabei populär zu bleiben. Ich weiß, daß es häufig auch das Argument gibt, das könne sich eine Regierung oder eine Partei einfach nicht leisten, weil dann bei den nächsten Wahlen die Zustimmung zu gering sein könnte. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß dieses Argument höchst gefährlich ist, weil es nämlich in seiner Konsequenz bedeutet zu sagen, daß Demokratie konsequente Umweltpolitik hindert. Wenn aber konsequente Umweltpolitik erforderlich ist, wäre somit Demokratie ein Hindernis dafür.
Wir wissen, daß es auch rechtsextremistische Ökologen gibt, die genau diesen Umstand ausnutzen, um die Abschaffung von Demokratie zu fordern. Das heißt, ich glaube, daß eine Pflicht von Demokratinnen und Demokraten darin besteht, gerade zu erklären, daß Demokratie und Umweltpolitik zwingend zusammengehören und nicht einander ausschließen - einschließlich der Einführung von Maßnahmen, die gegebenenfalls unpopulär sein können. Da muß dann wirklich zwischen Parteien und politisch Verantwortlichen verhandelt werden, um das gemeinsam durchzustehen und gegenüber Wählerinnen und Wählern zu erklären, selbst wenn es nicht populär ist.
Ansonsten warne ich, daß die weitere Zuspitzung der Umweltprobleme zu einer ernsthaften Gefahr für demokratische Ansätze werden kann, und das, so glaube ich, bezahlen wir dann doppelt und dreifach teuer.
Ich will mich darüber hinaus mit der Frage des Verhältnisses der führenden Industriestaaten zur Dritten Welt beschäftigten. Hilfe, hat der Bundeskanzler gesagt, müssen wir leisten. Das ist wahr. Aber welche, habe ich aus der Erklärung nicht entnehmen können. Es war zumindest für mich nicht konkret genug.
Ich glaube, in erster Linie geht es zunächst einmal um die Entschuldung der ärmsten Länder dieser Welt. Darüber kann jetzt nicht mehr länger geredet werden. Das muß einfach irgendwann einmal passieren. Es hat diesbezüglich noch nichts ernsthaft eingesetzt außer Umschuldungen, die aber keine Entschuldung sind.
Das Zweite: Soweit Kredite zurückgezahlt werden, sollten Sie meines Erachtens einem Fonds der UNO zur Erfüllung umweltpolitischer Aufgaben zur Verfügung gestellt werden, und zwar selbstbestimmt durch die sogenannten Entwicklungsländer. Wir brauchen eine wirkliche Öffnung der Märkte der führenden Industriestaaten, auch für Lebensmittelprodukte und alle anderen Produkte aus den Entwicklungsländern - etwas, was bis heute nicht stattgefunden hat.
Wir brauchen eine Veränderung der Preispolitik. Es sind doch die Monopole in den führenden Industriestaaten, die dafür sorgen, daß die Gewinnung von Rohstoffen zu wesentlich geringeren Preisen angeboten werden muß als ihre Veredelung. Es ist aber produktionstechnisch überhaupt nicht erklärbar, daß die Gewinnung von Rohstoffen angeblich so viel billiger sein soll als ihre Veredelung. Das ist eben z. B. ein ganz konkretes Ausbeutungsverhältnis.
Kurzum, wir müssen die Ausbeutung und die Unterdrückung der Dritten Welt endlich und konsequent beenden.
Und dann sagt die Bundesregierung sehr stolz, daß wir führende Standards hier entwickelt haben und überhaupt führend in der Umweltpolitik sind. Nun überlege ich mir einen Moment lang: Was würde denn eigentlich passieren, wenn die führenden Industriestaaten zum Vorbild für die Dritte Welt werden würden? Einmal angenommen, Herr Krause würde Verkehrsminister für Afrika oder für China werden,
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und er würde seine Verkehrswegevorstellungen und Autobahnplanungen dann dort durchsetzen. Wir würden uns einen Moment lang einmal vorstellen, daß man in China oder in Afrika so Auto fahren würde wie hier in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wissen alle, daß dann die Menschheit ihr Ende gefunden hätte, daß dieser Planet zumindest hinsichtlich seiner Naturbestandteile nicht mehr existieren würde.
Darin besteht doch die ganze Arroganz dieser Politik, weil sie nämlich darauf hinausläuft, die bisherige Produktions- und Lebensweise in den führenden Industriestaaten im Abwehrkampf gegen die Dritte Welt zu erhalten. Hier schließt sich auch der
Kreis mit der Asyldebatte, die in diesem Lande geführt wird, denn das ist auch ein Versuch, sich von den Entwicklungsländern abzuschotten und damit eine eigene Produktions- und Lebensweise zu erhalten, die man anderen Ländern nicht zubilligt, weil sie das Ende der Menschheit bedeuten würde.
So gesehen sind die führenden Industriestaaten nicht etwa Vorbild für die Dritte Welt, sondern eher eine Katastrophe. Aber natürlich gibt es nicht wenige Politikerinnen und Politiker in den Entwicklungsländern, die sagen, sie haben einen Anspruch auf ein Entwicklungsniveau der ersten Welt. Das würde einen CO2- und einen SO4-Ausstoß und anderes in einem Maße bedeuten, daß diese Welt zu Ende wäre. Deshalb glaube ich, daß hier wirklich eine regelrechte Wende in der Weltwirtschaftsordnung erforderlich ist, wenn ökologische Probleme gelöst werden sollen.
Es ist hier schon gesagt worden - man kann es nicht oft genug wiederholen -: 80 % der Energieressourcen werden von 25 % der Bevölkerung in den führenden Industriestaaten verbraucht, nicht etwa umgekehrt. Die wirkliche Umweltbelastung geht von den führenden Industriestaaten aus. Wir gefährden die Zivilisation auf diesem Planeten; wir haben immer noch nicht nationale Borniertheit überwunden und begriffen, daß der Planet ein einheitliches Ganzes ist.
Natürlich kritisiere ich auch die Haltung der USA und meine zugleich, die Bundesregierung und die EG können sich nicht dahinter verstecken. Ich füge eins hinzu: Waren wir es nicht - ich weniger, aber andere in diesem Hause -, die z. B. anläßlich des Golfkriegs die führende Rolle der USA akzeptiert haben? Jetzt spielen sie sie eben auch, d. h., daß sie auch bestimmen, welche umweltpolitischen Maßnahmen sie durchführen oder nicht durchführen und auf sich gar keinen Druck ausüben lassen.
Also: Die Fragen der Demokratie, die Fragen einer gerechten politischen Weltordnung - und zwar auch einer demokratischen, also von unten - und die Fragen einer vor allem gerechten Weltwirtschaftsordnung gehören zueinander, wenn man Umweltpolitik wirklich radikal betreiben will, wenn man Produktions- und Konsumtionsweise mit umweltpolitischen Anforderungen auf diesem Planeten insgesamt in Übereinstimmung bringen will.
Ich denke, daß durch diese Konferenz in Rio diesbezüglich die Wende noch nicht eingeleitet wird, sondern es werden viele interessante Reden gehalten werden, aber es wird an praktischen Entscheidungen, die dann auch umgesetzt werden, fehlen. Das hängt u. a. auch mit den Strukturen in diesen Industriestaaten zusammen.
Wenn ich höre, wie dieses Problem vom Kollegen der CDU genutzt wird, um hier zu sagen, daß wir zu hohe soziale Standards haben und daß wir zu hohe Löhne haben, dann denke ich, daß schon wieder der Versuch gemacht wird, solche Probleme auf Kosten der sozial Schwachen und der Lohnabhängigen zu lösen und nicht auf Kosten derer, die wirklich das Geld haben. 670 Mrd. DM der deutschen Unternehmen liegen brach, weil das Finanzkapital so hoch verzinst wird, daß sie keine Lust haben, daraus Produktionskapital zu machen, auch nicht in den neuen Bundesländern. Gehen Sie doch einmal an dieses Geld und nicht immer an die Lohntüten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger.
({2})
Dann würden Sie wirklich eine Veränderung - auch innerstaatlich - herbeiführen, um solche Probleme zu lösen.
Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, machen Sie Ihren gesamten Einfluß geltend, auf dieser Konferenz eine Änderung der Umweltpolitik zu erreichen. Setzen Sie auch ruhig die USA unter Druck, sorgen Sie mit für eine Wende in der Produktions- und Lebensweise der Menschen und vor allem für eine völlige Wende hin zu einer gerechten Weltwirtschaftsordnung für die Dritte Welt.
Danke.
({3})
Als nächster spricht der Abgeordnete Gerhart Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Bemühungen der Bundesregierung in den letzten Monaten verfolgt, wie alle, die wir auf diesem Gebiet tätig sind. Ich habe nicht die geringsten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen der Bundesregierung, die Ziele zu verwirklichen, meine Damen und Herren von der SPD, die wir gemeinsam festgelegt haben.
Ich verstehe einen Teil des Streits, Herr Schäfer, überhaupt nicht: Die Ziele für diese Konferenz sind hier gemeinsam beschlossen worden und sind ein gemeinsames Ziel einer großen Mehrheit des Deutschen Bundestages.
({0})
Die deutsche Regierung vertritt diese Ziele sehr nachhaltig und sehr nachdrücklich auf den verschiedenen internationalen Konferenzen. Es besteht doch wirklich kein Anlaß, Herr Schäfer, sich angesichts der Tatsache, daß die Widerstände nicht im eigenen Land liegen, sondern in anderen souveränen Ländern - beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder in Japan oder in Teilen der europäischen Gemeinschaft, die von sozialdemokratischen Regierungen geführt werden, wie beispielsweise Spanien -, zu profilieren. Spanien hat sich geweigert, die europäische Vereinbarung jetzt wirksam werden zu lassen - über eine Klimaschutzsteuer - und nicht die deutsche Regierung. Die deutsche Regierung hat bis heute dieses Ziel verfolgt, auch das eines europäischen Alleinganges.
Meine Damen und Herren, es ist nicht der erste Versuch, zu einer Internationalisierung der Umweltpolitik zu kommen. Ich darf an die erste Konferenz erinnern: Derjenige, der uns dort 1972 in Stockholm vertreten hat, Hans-Dietrich Genscher, sitzt hier, und zehn Jahre später gab es dann eine Folgekonferenz, auf der ich die Bundesrepublik vertreten habe. Von beiden Konferenzen gingen Impulse aus. Aber heute sind wir weiter. Wir sind Gott sei Dank sehr viel weiter im allgemeinen Bewußtsein, daß wir eine Weltinnen7586
politik, eine Umweltaußenpolitik brauchen und daß Umweltpolitik Stück des Völkerrechts werden muß.
({1})
Globale Herausforderungen erfordern globale Strategien. Und so ist eben auch der Umweltschutz viel schneller, als wir das vor zehn Jahren gehofft haben, zu einer eigenen Politik der Europäischen Gemeinschaft geworden, die eine Umweltgemeinschaft wird. Wir werden jetzt - da hat der Bundeskanzler recht - als ganz wichtige Aufgabe die Heranführung Osteuropas - auch im Umweltschutz - an die Europäische Gemeinschaft leisten müssen, nicht als Deutsche allein, sondern als Europäer.
Aber alles bleibt Stückwerk, wenn wir gegenüber weltweiten Gefahren nicht zu weltweiten Vereinbarungen gelangen. Das ist mit dem Montrealer Abkommen zur Reduzierung von FCKWs 1985 zum erstenmal geschehen. Zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit sind Fristen und Grenzwerte zur Reduzierung einer globalen Bedrohung festgelegt worden. Es ist ein dynamischer Prozeß eingeleitet worden. Es gab Folgekonferenzen, Folgevereinbarungen, und ich bin sicher, daß dies auch bei einer ganzen Reihe von Materien geschieht, die jetzt in Rio nicht abschließend und nicht zufriedenstellend behandelt werden können.
Übrigens ist hier auch die Konvention von Basel zur Reduktion von Sondermüllexporten zu erwähnen.
Wir haben jetzt nach Wegfall des Ost-West-Konfliktes alle Kräfte darauf zu richten, den Nord-SüdKonflikt zu entschärfen. Wir haben die Chance, zu einer neuen Weltordnung zu gelangen und im Rahmen der UNO fundamentale Aufgaben zu verwirklichen: die traditionelle Aufgabe der Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen, die Sicherung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen und als dritte Säule - das stellt Rio dar, das ist ein Anfang - der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Alle drei Bereiche beeinflussen einander. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Demokratie und Umweltschutz beispielsweise. Keine Staatsordnung, keine Gesellschaftsordnung ist mit der Umweltherausforderung besser fertig geworden als die demokratischen Industrieländer des Westens, auch wenn viele Versäumnisse zu beklagen sind. Die Kommandowirtschaften des Ostens haben gegenüber diesen Problemen total versagt.
Was national gilt, gilt auch international, meine Damen und Herren. Der Umweltschutz darf keine mehr oder minder notwendige Randbedingung sein; er muß alle Politikbereiche, auch in den äußeren Beziehungen der Länder, durchdringen: die Außenpolitik, die Entwicklungspolitik, die Agrarpolitik und die anderen Politikbereiche.
({2})
Umweltschutz muß als ein Beitrag zu einer weltweiten Friedenspolitik verstanden werden und in den internationalen Beziehung en den entsprechenden Rang erhalten. Alles das wird in Rio sichtbar werden, unabhängig vom Inhalt der Konventionen, die dort auf der Tagesordnung stehen.
Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses. Im Vorfeld der Rio-Konferenz ist zwar öffentliches Bewußtsein gebildet worden - weltweit, so stark wie nie zuvor -, aber sehr unterschiedlich. Das öffentliche Bewußtsein in den Vereinigten Staaten ist eben nicht so ausgeprägt wie in den europäischen Staaten oder wie bei uns.
Trotz dieser Entwicklung ist nicht damit zu rechnen, daß uns die Erfolgsaussichten der Konferenz befriedigen können. Ich wiederhole noch einmal: Der deutschen Regierung ist hier kein Vorwurf zu machen. Sie hat sich seit Monaten nachdrücklich um bessere Ergebnisse bemüht. Wir haben - bei allen Versäumnissen, die auch wir zu verzeichnen haben - seit Jahrzehnten eine Vorreiterrolle übernommen.
Wenn ich nicht zufrieden bin mit den Vorbereitungen, dann betrifft das u. a. die Klimakonvention. Der Kompromiß von New York befriedigt nicht. Die Bundesregierung hat für eine andere Lösung gekämpft. Es ist zwar eine erste Grundlage für eine neue weltweite Partnerschaft gelegt und eine klare Zeitfolge nach Rio vereinbart worden; nicht erreicht wurde jedoch die Zeitvorgabe für die Stabilisierung der CO2-Emissionen im Jahre 2000. Damit bleibt der Konventionsentwurf deutlich hinter unseren Vorstellungen zurück.
Ich bedaure, daß sich die Europäische Gemeinschaft nicht hat durchringen können, mit einer klaren Entscheidung für eine europäische Maßnahme, eine europäische Umsetzung einer Klimaschutzsteuer nach Rio zu gehen. Sie macht es abhängig von den Entscheidungen der anderen Industrieländer. Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Europäer mit diesem Signal einer bereits getroffenen Entscheidung in Rio aufgetreten wären.
({3})
Meine Partei hat sich seit langer Zeit sehr nachdrücklich für diese europäische Klimaschutzsteuer eingesetzt, für eine europäische Energiesteuer, die nach marktwirtschaftlichen Kriterien die Energie verteuern und damit den sparsamen Umgang - kostenneutral - herbeiführen soll.
Die Bundesrepublik darf jetzt ihre nationalen Ziele, so meine ich, nicht aufgeben. Gerade wenn Staaten und Staatengruppen beispielhaft vorangehen, sind internationale Fortschritte erzielbar. Die Bundesrepublik darf ihre Vorreiterrolle nicht in Frage stellen lassen. Wehren wir uns gegen Tendenzen, die es angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Probleme auch in unserem Lande gibt, Umweltschutz zurückzudrängen.
Auch wenn Schwerpunkte neu gesetzt werden müssen, beispielsweise zwischen Ost- und Westeuropa: Der Umweltschutz war immer eine Zukunftsinvestition in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Das hat die Wirtschaft lange nicht begriffen. Die Wettbewerbsfähigkeit und der technologische Fortschritt sind auch durch dieses Ordnungsrecht, durch die Vorgaben, die wir gegeben haben, bewirkt worden. Sie haben die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft nicht geschädigt, sondern haben uns weitergebracht. Wer das nicht sieht, handelt kurzsichtig und ist später zu Korrekturen veranlaßt, die sehr viel teurer werden.
Herr Abgeordneter Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ulrike Mehl?
Ja, ich will den Gedanken nur zu Ende führen. - Ich habe einmal erlebt, wie die Umweltschutzpolitik Mitte der 70er Jahre heruntergefahren wurde. Die Folgen waren verheerend. Wir mußten später mit sehr viel mehr Mitteln die Dinge reparieren, die wir zunächst zurückgestellt hatten.
({0})
Frau Mehl.
Herr Kollege Baum, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir und andere, die die Entwicklungsländer kritisieren, erst einmal vor der eigenen Türe kehren müssen?
Natürlich!
Sind Sie mit mir der Meinung, daß auch deswegen der Naturschutz bei uns im Lande eine Rolle spielen muß? Sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß das, was die Bundesbauministerin jetzt mit dem Naturschutz und dem Naturschutzgesetz treibt, nicht den Zielen entspricht, die Sie und Herr Kohl gerade formuliert haben? Meinen Sie nicht auch, daß das Bundesnaturschutzgesetz nach fünf oder sechs Jahren Ankündigung nun langsam auf den Tisch gehört?
({0})
Im letzten Punkt bin ich mit Ihnen einig. Das Naturschutzgesetz ist ein Kernstück der Umwelterwartung der F.D.P.,
({0})
übrigens nicht erst in dieser Legislaturperiode.
Aber die Probleme liegen bei der Finanzierung. Keiner der SPD-Finanzminister - Naturschutz ist Ländersache - hat bisher dazu einen Beitrag geliefert. Der Naturschutz muß finanziert werden. Ich suche mit anderen Kollegen nach Finanzierungsmöglichkeiten. Ob sie ausgerechnet in dem Bereich liegen, bei dem wir Handlungsbedarf haben, nämlich im Wohnungsbau, will ich bezweifeln. Wir müssen das Ziel, schnell preiswerte Wohnungen zu bauen, im Auge behalten. Deshalb habe ich ein gewisses Verständnis für die Aspekte, die die Bauministerin ins Spiel bringt. Das ist nicht gegen den Naturschutz gerichtet, sondern nur gegen eine bestimmte Art der Finanzierung des Naturschutzes.
({1})
Meine Damen und Herren, die Anträge des Deutschen Bundestages machen unsere Erwartungen deutlich: Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt und zum Schutz der Tropenwälder, Aktionsprogramm Agenda 21. Die Entwicklungsländer müssen in das Welthandelssystem integriert werden. Von entscheidender Bedeutung ist auch in diesem Zusammenhang der Erfolg der GATT-Runde. Die
Industriestaaten müssen begreifen, daß den Entwicklungsländern dort eine ökonomische Chance gegeben werden muß, wo sie sie selber nutzen können. Das bedeutet Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Bedeutung marktwirtschaftlicher Strukturen für den Entwicklungsprozeß sind inzwischen anerkannt. Die Entwicklungsländer müssen sie in der ihnen gemäßen Weise, nach Entwicklungsmodellen, die sie für ihre Situation entwickeln müssen, verwirklichen. Das ist eben nicht eine bloße Übertragung unseres Wohlstandsmodells. Das kann nicht richtig sein, weder allgemein noch etwa in der Energiepolitik. Ich bin nicht der Meinung, daß die weltweite Einführung des Leichtwasserreaktors die Lösung der Energieprobleme der Dritten Welt brächte.
Armut und Bevölkerungswachstum hängen unmittelbar zusammen. Verstärkte Bemühungen zur Energieeinsparung und zur rationalen Energienutzung sowie Modelle zur internationalen Kompensation sind notwendig. Bei nichtentwickelten Ländern ist mit gleichem Kapitaleinsatz ein weitaus größeres Reduktionspotential zu erreichen als in Staaten mit hohem technischen Niveau. Den Entwicklungsländern ist zu helfen; das gilt insbesondere für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Meine Damen und Herren, ich bin davon fest überzeugt, daß der Zusammenbruch der Sowjetunion auch durch die verheerenden Umweltzerstörungen bewirkt worden ist. Wir müssen den GUS-Staaten bei der Sicherheit der Kernenergienutzung helfen. Die Situation eines Teiles der osteuropäischen Reaktoren beinhaltet eine weithin unterschätzte Bedrohung der Lebensgrundlagen der ganzen Welt.
Entscheidend für den Prozeß wird natürlich auch die Verantwortung der Industriestaaten sein, in Form von Finanz- und Know-how-Transfer. Die absehbaren ökologischen Schäden sind bisher weit überwiegend von uns, den Industrieländern, verursacht worden. Unser Reichtum basiert auf der übermäßigen Inanspruchnahme weltweiter Ressourcen.
Der ganze Prozeß kann nur gelingen, wenn eine Reform des UN-Systems erfolgt. Das System der Vereinten Nationen muß dieser Aufgabe angepaßt werden. Wir brauchen Systeme der Überwachung, der Durchsetzung. Der Club of Rome hat gerade das Stichwort „Umweltsicherheitsrat" geliefert; darüber sollten wir einmal nachdenken, auch über Grünhelme gegen Umweltverbrecher oder umweltverbrecherische Regime. - Das alles sind Stichworte der Zukunft.
Die nationalen und internationalen Vorbereitungen der Konferenz sind unter Einbeziehung aller relevanten Gruppen erfolgt. Ich mache den Vorschlag, eine ständige UN-Umweltkonferenz einzurichten nach dem Vorbild der Menschenrechtskonferenz der UNO. In der Menschenrechtskonferenz der UNO setzen sich die Nicht-Regierungsorganisationen zu einem Dialog mit den Regierungen jährlich in wichtigen Konferenzen seit 48 Jahren zusammen.
Wenn, wie heute absehbar ist, Rio nicht die von uns erwarteten Fortschritte bringen kann, so muß doch eine Signalwirkung davon ausgehen. Es müssen Weichenstellungen erfolgen, es muß ein Druck für
einen weiteren dynamischen Prozeß entwickelt werden.
Meine Damen und Herren, wenn wir soviel über Internationalisierung und Europäisierung reden, sollten wir uns wenigstens einen Moment auch mit der Situation bei uns beschäftigen. Wie arbeiten denn Bund und Länder auf dem Felde der Umwelt- oder Energiepolitik zusammen? Besteht denn nicht die Notwendigkeit auch bei uns, zu Vereinbarungen, zu einem Grundkonsens etwa in der Energiepolitik zu kommen? Dieser Konsens ist verlorengegangen.
({2})
Wir haben keinen Konsens in Entsorgungsfragen. Wir haben keinen Konsens in Sondermüllfragen. Wir müssen uns fragen, wie die Genehmigungsverfahren ausgestaltet werden müssen, daß wir wenigstens unsere Umweltanlagen bauen können - von anderen Dingen ganz zu schweigen.
Ich halte es für einen letztlich unerträglichen Zustand, daß der Bundesumweltminister das Bundesrecht im Kernenergiebereich ständig durch Weisungen durchsetzen muß.
Strengen wir uns an, nicht nur nach Rio und nicht nur auf die Europäische Gemeinschaft zu sehen, sondern kommen wir hier, in unserem Föderalismus, zu tragbaren Lösungen des Miteinanders zwischen Opposition und Regierung!
({3})
So stark also die Notwendigkeit ist, in Rio zu Konventionen zu kommen, eines wird dadurch wieder deutlich: Es geht um tiefgreifende Verhaltensänderungen in unseren Ländern. Es geht um Verhaltensänderungen, die jeden einzelnen Bürger betreffen.
Hier kann nichts auf irgendwelche übergeordneten Gremien abgeschoben werden. Alle Entscheidungen müssen zu Hause umgesetzt werden, meine Damen und Herren.
Ich habe Vertrauen, daß unsere Regierung die Position, die wir in der einstimmigen Resolution festgelegt haben, in Rio vertritt. Sie hat die Unterstützung der Freien Demokraten, und wir wünschen ihr viel Erfolg.
({4})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Feige.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts einer so lustlos geführten Debatte, kann man gar nicht glauben, daß es sich um den Umweltgipfel handelt, eine der größten Konferenzen, die überhaupt auf der Erde stattfinden wird.
Aber auch wenn Spötter sagen: „Traue nur einer Statistik, die du selbst gefälscht hast" , so bezweifle ich die im Nationalbericht der Bundesrepublik Deutschland zur UNCED vorgelegten Datensammlungen nicht. Ich vermisse jedoch eine Reihe von Informationen, die die wirkliche Mitbeteiligung der Bundesrepublik am ökologischen Raubbau der Welt belegen. Ohne ehrliche Informationen oder ungeschminkte Darstellungen über die tatsächlichen Belastungen
oder Trends bei Landschafts- und Naturzerstörungen, zu Deponieflächenbereitstellung, zum Müllexport und zu vielem anderen mehr fällt der Aussagegehalt dieses Berichts an die Vereinten Nationen noch hinter den Wahrheitsgehalt von Münchhausens Geschichten zurück. Insbesondere die Passagen, in denen die Bundesregierung ihre eigenen Leistungen bejubelt, wären ganz sicher von den Gebrüdern Grimm in ihre Märchensammlung aufgenommen worden.
Ein Beispiel mag das belegen. Im Bericht steht, daß sich der gelegentlich von nichtamtlichen Stellen geäußerte Verdacht, daß auch Abfallexporte in Entwicklungsländer stattgefunden hätten, bisher in keinem Fall bestätigt hat. Das schreibt die Regierung zeitgleich, während im Bundestag eine Aktuelle Stunde zu genau diesem Thema stattfindet. Am Müllexport ändert auch eine vor- oder nachträgliche Umdeklarierung von Sondermüll zu Recyclingmaterial nichts.
Ich will mir jedoch eine Auflistung von Einzelbeispielen, von Falschinformationen oder Oberflächlichkeiten im Zusammenhang mit dem Nationalbericht ersparen; es lohnt die Zeit nicht.
Die drohende Klimakatastrophe wird im Mittelpunkt der weltweiten Politik der nächsten Jahre stehen, ob wir es wollen oder nicht. In der Klimaveränderung bündeln sich die Fehlentwicklungen des bisherigen Wirtschaftens der Industriegesellschaft. Hinter den Spurengasen, Kohlendioxiden, FCKWs, Methanen oder Distickoxiden verbirgt sich nämlich nichts anderes als die materielle Grundlage unserer heutigen Lebensweise: von einem extrem hohen ProKopf-Energieverbrauch über die exzessive Automobilität, von der Chemisierung nahezu sämtlicher Lebensbereiche über die Agrarindustrie bis hin zum unbegrenzten Wachstum der Müllberge, von der schrankenlosen Ausplünderung der natürlichen Ressourcen bis hin zur Ausbeutung der Menschen in der Dritten Welt.
Bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe stehen nicht mehr einzelne Auswüchse der Industriegesellschaft zur Debatte, sondern die Grundlagen unseres Produzierens und insbesondere Konsumierens. Gegen Treibhauseffekt und Ozonloch greifen die üblichen Filter und Reparaturtechnologien nicht. Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe bedürfen massiver nationaler und globaler Anstrengungen. Die Industriestaaten tragen dabei eine besondere Verantwortung. Sie müssen hinsichtlich einer drastischen Reduzierung der CO2-Produktion eine Vorreiterrolle übernehmen, und sie müssen einen erheblichen materiellen Beitrag dazu leisten, daß eigene Erfolge nicht durch ungenügende Möglichkeiten in den Staaten der sogenannten Dritten Welt wieder zunichte gemacht werden.
Konzeptionen jedoch, die Unternehmen einen nationalen Umweltbelastungsfreibrief ausstellen wollen, wenn diese dafür in den Umweltschutz der sogenannten Dritten Welt investieren, erinnern mich an den mittelalterlichen Ablaßhandel. Sie wissen schon: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Hocheffiziente Technologien sind nur dann von globalem Nutzen, wenn sie überall schnell und kostengünstig eingesetzt werden. Das
Abholzen der tropischen Regenwälder wird nur dann ein Ende finden, wenn die Menschen in den Entwicklungsländern auf anderem Wege als bisher ihre Existenzgrundlage sichern können. Nur Schuldenerlasse, humanitäre Hilfsprogramme, kostenlose Technologietransfers und eine auf der Gerechtigkeit beruhende Weltwirtschaftsordnung können die Länder der sogenannten Dritten Welt, aber auch die osteuropäischen Staaten in die Lage versetzen, gleichberechtigt und wirkungsvoll an der Lösung der Klimaprobleme mitzuwirken. Ich zitiere:
Ohne einen angemessenen Schutz der Umwelt wird die Entwicklung gefährdet. Ohne Entwicklung gibt es keinen Umweltschutz.
So die sicher nicht GRÜNEN-verdächtige Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht 1992.
Im UNCED-Bericht der Bundesregierung wird diese Kernaussage nur oberflächlich aufgegriffen. Die wenigen Ausführungen zur Nord-Süd-Problematik leiten sich darüber hinaus von völlig falschen Grundvoraussetzungen ab. In wohltönenden Reden - eben wieder - erkennt der Bundeskanzler zwar einen Zusammenhang zwischen den Flüchtlingsströmen in das so reiche Deutschland und der Armut in der sogenannten Dritten Welt an; aber die Regierung kommt nicht einmal im Traum darauf, daß die Menschen vieler Länder deshalb in Armut leben, weil sie den Wohlstand in den nördlichen Industriestaaten mitbezahlen mußten und müssen.
Viele Menschen in den Entwicklungsländern haben ganz einfach nur - „nur" sage ich - Angst, daß ihre Kinder oder sie selbst verhungern. So sind sie gezwungen, weiter die Rohstoffe ihrer Heimat oder die Regenwälder abzutragen.
Von Armut zu sprechen ist das eine. Aber sie zu sehen ist das andere. Die Kollegen, die damals mit dem Umweltausschuß in Indien oder in Pakistan waren und diese riesigen Slums gesehen und miterlebt haben, wie Menschen und Schweine gemeinsam auf Mülldeponien nach Nahrung gesucht haben, müßten darin Grund genug sehen, warum so viele Menschen in den Norden fliehen wollen.
Der Kanzler sagt, es gehe darum, sowohl das eine als auch das andere zu tun. Aber was passiert, wenn, wie hier praktiziert, ein Weder-Noch aktuell ist.
({0})
Dann höre ich in der letzten Zeit unter Kollegen von den Koalitionsparteien immer mehr Stimmen, die der Meinung sind, daß die Entwicklungs- und Schwellenländer selber an den Umweltschäden mitschuldig sind. So sei das politische als auch das wirtschaftliche Management in den Entwicklungsländern inzwischen durchaus in der Lage, seine Fehler zu erkennen, und damit befähigt, diese zu überwinden.
Ich will nicht leugnen, daß eine korrupte und manchmal sogar kriminelle Mafia in den DritteWelt-Staaten bis zu 100 % der Entwicklungshilfe oder Investitionen in die eigene Tasche verschwinden läßt. Das haben wir vor Ort erlebt. Aber ich bitte auch zu bedenken, daß viele Entscheidungsträger in diesen Ländern das Fach Marktwirtschaft in den hochindustrialisierten Staaten des Nordens studiert haben. Sie
sind nicht nur Schüler der Ersten Welt, sondern sie sind, finanziell gesehen, auch zu den Handlangern einer am ökologischen Raubbau orientierten, expandierenden Wirtschaft geworden.
({1})
Anstatt angesichts der Geschwindigkeit der Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde zu begreifen, daß das Anheben der Pro-Kopf-Produktion bei veralteter Technologie in diesen Ländern auch die ökologischen Probleme anwachsen läßt, propagiert das Kanzler-Kabinett lediglich halbherzige Parolen von Wirtschaftsförderung - Wirtschaftsförderung aber, bitte, ohne eigenen Wohlstandsverlust. Das Wort „Konsumverzicht" kommt Ihnen allen nicht in den Sinn. Sie haben viel zuviel Angst, daß die nächsten Wahlen ob solcher kühnen Forderungen verloren werden könnten. Das Verlieren einer Wahl ist für Sie offensichtlich viel schlimmer als der Weltuntergang.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, damit kommen wir zu unmittelbaren Umweltproblemen im eigenen Land. Dort sollte man anfangen. Die Bundesregierung hat im Juni und November 1990 das ehrgeizigste CO2-Reduktionsziel aller Industriestaaten formuliert. Akzeptiert! Bis zum Jahr 2005 sollen die energiebedingten CO2-Emissionen, bezogen auf die alte Bundesrepublik, um 25 bis 30 % im Vergleich zum Ausstoß des Referenzjahres 1987 vermindert werden. Für die neuen Bundesländer wurde eine noch wesentlich höhere Minderungsvorgabe festgelegt.
Diesem richtungsweisenden Ziel der Bundesregierung folgten bis heute keine hinreichenden Taten. Im Gegenteil: Mit dem am 11. Dezember 1991 verabschiedeten sogenannten energiepolitischen Konzept für das vereinte Deutschland verhindert die Bundesregierung die Erreichung des selbst gesteckten Zieles. Mit dem Festhalten an der Option Kernenergie dokumentiert die Bundesregierung ihren Unwillen, an den bestehenden ineffizienten Strukturen des Energiesystems grundsätzlich etwas zu ändern.
Welch ungeheure Kraftanstrengungen nötig sind, zeigen allein schon die Erkenntnisse der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre". Danach erfordert die bloße Stabilisierung - lediglich die Stabilisierung! - des globalen CO2-Gehaltes der Erdatmosphäre in den nächsten Jahrzehnten eine Reduktion des CO2-Ausstoßes in der Bundesrepublik bis zum Jahre 2050 auf ein Fünftel der heutigen Menge. Ohne tiefgreifende strukturelle Veränderungen von Produktions- und Konsumgewohnheiten kann die Bundesrepublik Deutschland keinen ausreichenden Beitrag zur Abwehr des Klimakollapses leisten.
So geht es kurzfristig vor allem um eine tiefgreifende Wende in der Energie- und Verkehrspolitik. Dort müssen wir in den Industriestaaten zuerst ansetzen. Mittelfristig ist eine strukturelle Anpassung des marktwirtschaftlichen Systems an die neuen Herausforderungen unumgänglich. Vorrangig in den Industriestaaten des Nordens heißt es vom ehernen Grundsatz des ungebremsten, undifferenzierten wirtschaftlichen Wachstums Abschied nehmen. Dabei bedarf das
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz der Bundesrepublik ebenso einer Neufassung, wie großangelegte Veränderungen des Steuersystems mit dem Ziel einer ökologischen Ausrichtung heute in die Wege geleitet werden müssen.
Die Größenordnung der notwendigen Veränderungen für Wirtschaft und Gesellschaft verlangen jetzt ein aufrüttelndes Signal. Aber die Regierung ist für ihre Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, inzwischen sattsam bekannt. Man denke da z. B. nur an die Problematik der Berlin-Frage. Nicht umsonst tagen wir heute hier. Nur ein deutliches Sofortprogramm „Klimaschutz", das vor allem Energiesystem und Verkehrswesen umfaßt, gibt den dezentralen Akteuren - Unternehmen, Behörden, Verbänden und Bürgern - die psychologische Unterstützung, das eigene Handeln offensiv zu befördern.
Wenn Frau Merkel am vergangenen Freitag als stellvertretende CDU-Vorsitzende gesagt hat, daß wir hinsichtlich des ökologischen Umbaus erst am Anfang stehen, viel mehr am Anfang als am Ziel, dann frage ich mich: Wer sitzt seit zehn Jahren in der Regierung? Herr Baum - Sie hegen schon seit sechs Jahren Erwartungen -, auch Sie sitzen dort. Warum haben Sie seit zehn Jahren bei einem Startschuß nicht entscheidend mitgewirkt?
({2})
Für einige SPD-Länder gilt das natürlich genauso; darüber müssen Sie selbst einmal nachdenken, meine Damen und Herren von der Opposition.
Sie selbst, Frau Merkel, beklagen, daß Sie immer den Eindruck haben, die Regierung schwimme gegen den Strom. Das ist der Strom der Vernunft, der Bürgerbewegung, der Bürgerinitiativen, der Umweltbewegung. Sie müssen einfach umkehren; dann werden Sie das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen, los. Dann passiert tatsächlich etwas in diesem Land.
Liest man sich die Anträge der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion im Bundestag zur UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung durch, könnte man angesichts der Borniertheit mancher Politiker aus der Haut fahren. Ich lese in einem Antrag der Koalition zur UNCED u. a. die Forderung nach einem Ende des Raubbaus an den Tropenwäldern, und nur Minuten später lehnt dieselbe Koalition einen Antrag ab, der den Import von Edelhölzern aus Primärtropenwäldern in die Bundesrepublik stoppen soll. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie man Doppelmoral anders definieren soll.
Herr Dr. Feige, kommen Sie bitte zum Schluß.
Frau Präsidentin, stehen mir entsprechend der Geschäftsordnung nicht 20 Minuten Redezeit zur Verfügung?
Zehn Minuten. Wir können die Redezeit nicht blocken. Das ist im Altestenrat besprochen, wenn auch nicht endgültig entschieden worden. Ich muß aber sagen: Die Rednerabfolge und die Redezeiten sind völlig ungerecht verteilt, wenn eine Gruppe die gesamte Rednerzeit blockt
und auf einen Redner konzentriert. Ich habe das Herrn Schulz vorher gesagt.
Ich respektiere jetzt Ihre Worte. Ich bin allerdings völlig irritiert und frage mich, welchen Sinn es haben soll, daß ich zweimal zu demselben Thema hier nach vorne kommen muß und nicht im Zusammenhang etwas vortragen kann. Ich glaube, die Koalitionsparteien haben einfach Angst, daß das Bündnis 90/GRÜNE in einer 20minütigen Rede mehr zu sagen hat als die ganze Koalition in Jahren.
({0}) Ich verlasse das Podest unter Protest.
({1})
Zur Geschäftsordnung, Herr Schulz.
({0})
- Wozu möchten Sie sprechen, Herr Schulz?
Zur Geschäftsordnung, Frau Präsidentin.
({0})
- Ich denke, daß die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages das hergibt, meine Damen und Herren, bei all Ihrer Entrüstung, die Sie hier zeigen.
({1})
Frau Präsidentin, bei allem Respekt für Ihr Amt und im Bewußtsein, daß diese wichtige Sachdebatte hier unterbrochen wird: Ich bin der Auffassung, daß es kein Agreement gibt, das die Auslegung erlaubt, daß es den Gruppen nicht zusteht, ihre Redezeit zu verbinden. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben eine Debattenzeit von vier Stunden vereinbart. Der Gruppe Bündnis 90 stehen 20 Minuten zu. Wir haben entschieden, daß ein Redner diese Zeit in Anspruch nimmt und daß sie nicht auf mehrere Personen gesplittet wird.
Eine Regelung dazu steht aus, insbesondere im Hinblick auf Fernsehübertragungen. Wir haben schwere verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Deswegen gab es im Altestenrat noch keine Entscheidung dazu. Wir sind auch bereit, das vor dem Verfassungsgericht klären zu lassen.
Ich denke nur, daß diese wichtige Debatte nicht dazu geeignet ist, an dieser Stelle eine Geschäftsordnungsdebatte zu führen. Ich beantrage deswegen nach § 127 der Geschäftsordnung eine Unterbrechung und die Einberufung des Geschäftsordnungsausschusses zur Klärung der Frage des Splittings von Redezeiten.
({2})
Herr Schulz, ich möchte Ihnen antworten: Nach § 28 unserer Geschäftsordnung - dies ist ist auch im Ältestenrat unbestritten gewesen - liegt der Entscheid über die Rednerabfolge und gerade in diesem Punkt - das war sogar Vorgabe für den Geschäftsordnungsausschuß - bei den jeweils amtierenden Präsidenten. Von daher kann ich Ihren Antrag nicht annehmen. Vielmehr bin ich der Auffassung, dieses Thema ist im Ältestenrat noch einmal zu beraten.
({0})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
({1})
- Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, daß wir im Ältestenrat ausdrücklich den Entscheid in dieser Frage den amtierenden Präsidenten überlassen haben. Wenn Sie den Antrag zur Geschäftsordnung auf diesen Punkt beziehen, dann ist der Geschäftsordnungsausschuß jetzt nicht einzuberufen.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst wollte ich ein Wort an Herrn Kollegen Feige richten, der aber bedauerlicherweise nicht mehr im Saal ist. Dann wollte ich ein Wort an Herrn Kollegen Schäfer richten, der aber leider ebenfalls nicht mehr im Saal ist.
Ich sage es einmal so: Ich bedauere eigentlich, daß Kollege Schäfer wider besseres Wissen hier behauptet hat, die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler seien gerade in den globalen Umweltfragen nicht initiativ geworden. Sie alle wissen - Herr Hauchler, auch Sie -, daß diese Position falsch ist. Ob es die G 7 sind, ob es die OECD ist, ob es die EG ist - in alle Gremien hat gerade dieser Bundeskanzler die entsprechenden Probleme hineingetragen; er hat sie erstmals dort auf dieser Ebene problematisiert und hat dafür gesorgt, daß sie Gegenstand der Tagesordnung werden und daß sie jetzt auch weltweit wirklich Gesprächsthema sind und aus den weltweiten Gesprächsthemen nicht mehr wegzudenken sind.
({0})
({1})
Ich muß eines hinzufügen: Genauso falsch war - ich sage dies aus Kenntnis der Sache - die Äußerung, daß die Bundesregierung die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" nicht aufgegriffen habe. Ich glaube - ich knüpfe an den Kollegen Schmidbauer an -, daß es selten eine so schnelle Umsetzung von Empfehlungen einer Enquete-Kommission oder eines Gremiums in konkrete Handlungen einer Bundesregierung gegeben hat, wie dies bei den Empfehlungen der Enquete-Kommission und den Verlautbarungen der Bundesregierung geschehen ist. Nahezu übergangslos sind die Empfehlungen der Enquete-Kommission in Regierungserklärungen und in entsprechende Programme umgesetzt worden, an denen jetzt gearbeitet wird. Das macht auch das Problem Tropenwald deutlich, wo wir gehandelt und andere nur geredet haben.
({2})
Ich will damit ganz deutlich sagen: Dieser Bundeskanzler behandelt Umweltfragen über das Tagesgeschäft hinaus mit einer Zukunftsorientierung, die ihresgleichen sucht.
({3})
Ich glaube auch, daß wir die globalen Umweltprobleme nicht nur als Tagesgeschäft behandeln können, sondern daß wir darüber hinaus ein Leitbild und eine Vision einer friedvollen, die Menschenrechte verwirklichenden einen Welt brauchen, in der Nord und Süd keine Gegensätze mehr sind. Wir brauchen das Leitbild einer umweltorientierten, die Zukunft der nachfolgenden Generationen sichernden Entwicklung, einer Entwicklung, in der menschenwürdiges Leben und Umwelterhaltung kein Gegensatz sind.
Selbst in früheren Verlautbarungen wesentlicher Institutionen, die das Denken vieler geprägt haben, wie des Club of Rome, ist deutlich geworden, daß es hier Möglichkeiten gibt und daß es Hoffnung gibt, einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -,
der auch in weiterer Zukunft aufrechterhalten werden kann. Er könnte so erreicht werden,
- so der Club of Rome daß die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und noch immer Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen.
Ich finde auch, daß wir uns auf Global 2000 zurückbesinnen müssen, wo schon vor vielen Jahren in bezug auf Umweltschutz und auf die Sicherung der Ressourcen gesagt worden ist:
Es muß eine neue Ära der Zusammenarbeit und
der gegenseitigen Verpflichtung beginnen.
Ich unterstreiche den nachfolgenden Satz ganz besonders:
Aber es gibt Möglichkeiten - und gute Gründe - dafür, daß die USA unter den verschiedenen Nationen hierbei die Führung übernehmen.
Ich würde in der heutigen Situation diesen Satz von Global 2000 noch einmal ganz deutlich herausheben und unterstreichen wollen.
Wir stehen mit unserer heutigen Diskussion sicherlich auch gut in der Tradition des Brundtland-Berichts und sollten uns die Mahnungen, die dort geäußert werden, durchaus zu Herzen nehmen. Ich zitiere aus dem Brundtland-Bericht:
Das jetzige Jahrzehnt ist dadurch gekennzeichnet, daß man sich von sozialen Problemen zurückzieht. Die Wissenschaftler machen uns die drin7592
Dr. Klaus W. Lippold ({4})
genden komplexen Probleme bewußt, die unser Überleben belasten: die Erwärmung des Globus, die Bedrohungen für die Ozonschicht der Erde, die Verwüstung von landwirtschaftlichem Boden. Wir reagieren darauf, indem wir mehr Einzelheiten fordern und indem wir die Probleme an Institutionen weitergeben, die schlecht mit ihnen fertigwerden können. Umweltzerstörung, zuerst hauptsächlich als ein Problem der reichen Länder angesehen und als ein Nebeneffekt von industriellem Wohlstand, ist zu einer Überlebensfrage für die Entwicklungsländer geworden. Sie ist Teil der Abwärtsspirale von ökologischem und wirtschaftlichem Verfall.
Ich glaube, gerade dies macht deutlich, daß wir uns der Frage in einer anderen Form stellen müssen, als dies früher der Fall war. Es geht heute nicht mehr damm, immer noch neue Gutachten anzufordern, neue Stellungnahmen einzufordern, sondern es geht darum, entsprechend dem Kenntnisstand, den wir jetzt haben, endgültig und wissenschaftlich gesichert zu handeln.
Die alte Enquete-Kommission hat Empfehlungen abgegeben, wie das Problem des Klimaeffekts bewältigt werden könnte. Ich sage auch hier und heute: Zu den Vorgaben, die wir damals erarbeitet haben, müssen wir stehen. Sie sind wissenschaftlich begründet. Die zweite Enquete hat es insbesondere als ihren Auftrag verstanden, sich mit Zweifeln an der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit dieser Aussagen auseinanderzusetzen. Dies ist notwendig, weil nicht nur in der politischen Diskussion, sondern auch in der wirtschaftlichen Diskussion angebliche Zweifel erhoben werden, um politisches Handeln zurückzustellen.
Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Wir haben nicht nur erste Hinweise, sondern wir haben auch deutlich gesicherte Erkenntnisse, daß menschliches Verhalten, menschliches Handeln für den Klimaeffekt verantwortlich ist und daß wir ohne eine Änderung unseres Tuns in eine globale Katastrophe hineinlaufen. Ich glaube, vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß der UNCED-Konferenz mehr Bedeutung als früheren Konferenzen zukommt; der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen.
Ich möchte aber auch nicht, daß wir UNCED jetzt zerreden. Ich glaube vielmehr, daß es wichtig ist, einen konstruktiven Beitrag zur Erfüllung des Auftrags zu leisten, den wir uns gestellt haben, nämlich die Entwicklung auf diesem Gebiet voranzutreiben. Ich glaube, daß es - auch für die Enquete - wichtig war, noch einmal deutlich zu machen, daß das alte Ziel, das wir uns gesetzt hatten, nämlich konkrete Klimakonventionen mit konkreten Reduktionsverpflichtungen zu verbinden, auf Grund der weltweiten Situation trotz aller Vorstöße, die wir gemeinsam unternommen haben, bedauerlicherweise nicht erreichbar ist.
Es ist deshalb als eine Second-best-Strategie anzusehen, wenn wir jetzt wenigstens erreichen, daß der Einstieg in das Verfahren zur Problemlösung so geregelt wird, daß wir umgehend zu den Entscheidungen kommen können, die wir bedauerlicherweise nicht sofort treffen können. Ich glaube, daß dies unabdingbar wichtig ist, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil ansonsten die Folgen, die eine Klimakatastrophe nach sich zieht - Stürme und andere Naturkatastrophen -und die wir jetzt an Hand von immer aussagekräftigeren Zahlen belegen können, immer deutlicher spürbar werden.
Ich will ganz deutlich machen, daß für uns in der Enquete-Kommission wichtig ist, daß ein Schritt geschafft wird, mit dem erreicht werden kann, daß sowohl die reichen Länder des Nordens als auch die armen Länder des Südens an einen Tisch gebracht werden können. Ich meine, wir müssen von einer differenzierten Verantwortung ausgehen, die insbesondere die nördlichen Länder trifft. Aber ohne Einbeziehung der südlichen Entwicklungsländer wird eine Problemlösung nicht möglich sein. Die Emissionen der südlichen Entwicklungsländer werden schon in wenigen Jahren die Emissionen der nördlichen Länder übersteigen. Wenn wir nicht heute gemeinschaftlich ins Boot gehen, dann werden wir keine Lösung in dieser Frage herbeiführen.
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Wir müssen dafür - ich sage das ganz deutlich - auch Geld in die Hand nehmen. Die Bundesrepublik hat dies in der vergangenen Zeit getan. Ich freue mich darüber, daß der Bundeskanzler heute erneut in Aussicht gestellt hat, daß die Global Environmental Facilities deutlich angehoben werden. Ich sage: Damit setzen wir ein internationales Zeichen, von dem ich hoffe, daß es Schule machen wird. Dies ist ein erster Schritt zur Finanzierung, den wir dringend brauchen. Ich sage deutlich: ein erster Schritt.
Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faltlhauser?
Ausgesprochen gerne.
Herr Kollege Lippold, Sie haben von dort oben einen etwas besseren Überblick über diesen doch sehr großen Saal als ich. Wir diskutieren ja heute über die gewichtige Frage des globalen Umweltschutzes. Können Sie bestätigen - ich kann es von hier unten nur erahnen -, daß das Bündnis 90, das sich dieser Thematik ja besonders angenommen hat, überhaupt nicht im Saal vertreten ist?
Herr Kollege Faltlhauser, ich bedauere dies ganz außerordentlich, denn ich meine, daß eine Geschäftsordnungsfrage dieser Größenordnung kein Anlaß ist, sich an einer Debatte von solcher Bedeutung nicht zu beteiligen.
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Ich möche das aber auch zum Anlaß nehmen, deutlich zu sagen, daß es sehr gut wäre, wenn viele, die über die Empfehlung und die Gutachten der Enquete-Kommission reden, sie vorher auch gelesen hätten. Denn das würde uns den Prozeß der Diskussion ganz nachhaltig vereinfachen.
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Dr. Klaus W. Lippold ({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich deutlich machen, daß ich über die Bereitstellung von Mitteln in den GEF hinaus nachdrücklich die Position unterstützte, die vom Bundeskanzler ebenfalls angesprochen wurde - ich sage das ganz deutlich, weil es vorhin falsch dargestellt wurde -: daß wir weitere Mittel in den Schuldenerlaß von Ländern nach gezielten, ausgewählten Kriterien investieren werden und daß wir das tun werden, um im Gegenzug Umweltschutzpolitik und Umweltschutzmaßnahmen einzufordern.
Ich verbinde diese Aussage aber auch damit - hier bleibe ich in der Kontinuität meiner früheren Aussagen -, daß nur zusätzliches und frisches Geld letztendlich zu einer Problemlösung beiträgt, nicht allein der Erlaß von Schulden. Auch dafür - Herr Kollege, Sie brauchen das nicht anzumahnen - habe ich mich ausgesprochen, spreche ich mich aus und werde mich auch in Zukunft aussprechen, weil ich das für nötig halte. Wir müssen darüber hinaus den Prozeß der technologischen Kooperation mit all seinen Problemen lösen, weil auf diesem Feld zwar vieles gesagt, aber bislang nur wenig eingeleitet ist. Das ist auch eine Frage internationaler Konferenzen. Ich hoffe, daß wir auch hier zu einer Lösung kommen werden.
Wenn wir jetzt sehen, was in den Vorbereitungsgesprächen für die Konferenz in Rio erreicht worden ist, auf der einen Seite in den INC-Verhandlungen, auf der anderen Seite im PrepCom-Bereich, dann muß man sagen, daß eine Klimakonvention mit einem Stabilisierungsziel, wie sie vorgelegt wird, völkerrechtlich wohl nicht verbindlich, von mir allenfalls als ein erster Schritt gewertet wird, als ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber es wäre natürlich schon gut, wenn im Sinne dessen, was ich vorhin über die Arbeit der Enquete-Kommission gesagt habe, sehr deutlich wird, daß der Follow-up-Prozeß kommt. Auch dazu - das habe ich mir sagen lassen, und ich bitte den Umweltminister, das deutlicher auszuführen - gibt es Überlegungen zu einem Direktstart, gibt es Überlegungen zu einem Follow up. Ich würde es begrüßen, Herr Umweltminister, wenn das in der Realität so wäre, wenn wir dieses Follow up umgehend konkretisieren könnten und wenn unsere Politik, getragen durch alle hier in diesem Hause das mit vorantreiben würde.
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß es mich sehr gefreut hat, daß wir auch den letzten Bericht der Enquete-Kommission einstimmig verabschieden konnten. Ich glaube, daß so fundamentale Fragen, Fragen der globalen Klimaproblematik, Fragen der Artenerhaltung und des Artenschutzes, aber genauso auch Fragen des Tropenwaldes, um die es hier geht, eine gemeinschaftliche Vorgehensweise verdienen. Wenn Sie dazu noch etwas sagen könnten, Herr Umweltminister, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar. Denn von diesem Follow up hängt es ab, wie das Ganze zu bewerten ist.
Nicht zufrieden bin ich darüber - ich sage das deutlich -, daß eine Waldkonvention nicht zustande kommt. Wir sind ursprünglich davon ausgegangen, daß eine Konvention zum Schutz des Tropenwaldes das Vernünftigste wäre, und haben gesagt: Wenigstens das ist unter Umständen durchsetzbar. Es ist an internationalen Widerständen gescheitert. Ich betrachte die Walddeklaration lediglich als einen Ansatz zum Weiterdenken, zum Weiterentwickeln und zur weiteren Arbeit. Den Schutzgedanken, den wir mit der Konvention verbunden haben, scheint sie uns nicht zu sichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Appell an alle schließen, in bestimmten Fragen, die von derart grundsätzlicher Bedeutung sind wie die globalen Umweltprobleme, auf kleinliche Parteilichkeit zu verzichten, das Gemeinsame herauszustellen und zu sehen, daß wir in den internationalen Gremien gemeinschaftlich auf die Ziele hinarbeiten, von denen ich nach wie vor glaube, daß wir sie gemeinschaftlich vertreten. Lassen Sie mich das mit einem Appell an die gesellschaftlichen Gruppen verbinden, an die Nichtregierungsorganisationen, die von uns vielfach die internationale Durchsetzung von Politik einfordern, von denen ich aber in wesentlich stärkerem Umfang sehen möchte, daß sie in ihren internationalen Gremien, auf ihren internationalen Konferenzen in gleicher Weise deutsche Umweltschutzstandards und deutsche Vorstellungen zur Klimapolitik vertreten, und zwar nicht in einer oberlehrerhaften Manier, aber doch in einer Form, daß deutlich wird: Das ist ein Problem, das uns am Herzen liegt, bei dem wir durch eigene Leistung zeigen, daß wir nicht nur darüber reden, sondern zu gemeinschaftlichen Lösungen kommen wollen - für die zukünftigen Generationen.
Herzlichen Dank.
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Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Ingomar Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß der Bundeskanzler, trotz seiner guten und schönen Worte und seiner Beschwörungsformeln, wirklich erkannt hat, wie dramatisch die Lage ist, die auf uns mit einer globalen Umweltkatastrophe zukommt. Er hat schöne Worte gefunden. Er hat von der drängenden Rolle unseres Landes gesprochen, vom Schicksal der Menschheit, von vitalen Interessen, von Verteilungskämpfen, die drohen, und von der gleichberechtigten Partnerschaft. Beschwörungsformeln, vielleicht Verschleierungsformeln, die den Menschen im Lande Sand in die Augen streuen sollen.
Ich denke, daß wir heute zuwenig darüber gehört haben, welche Instrumente wir einsetzen, um die Ziele, die hier genannt worden sind, wirklich erreichen zu können. Ich gebe allerdings zu, daß Herr Lippold - und das freut mich - doch einige - wenigstens einige - selbstkritische Worte gefunden hat.
Meine Damen und Herren, die Vorzeichen für Rio verheißen leider nichts Gutes. In den Zeitungen ist schon von einem „Festival der Heuchelei" und einem „Treffpunkt der Öko-Lügner" die Rede. Und doch müßte die internationale Staatengemeinschaft spätestens in Rio alle Kräfte mobilisieren, um eine globale Umweltkatastrophe zu verhindern. Spätestens in Rio
müßte begonnen werden, den tödlichen Kreislauf von Armut, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung zu durchbrechen. Spätestens in Rio müßten einschneidende Maßnahmen - einschneidende Maßnahmen! - vereinbart werden, um den exzessiven Ressourcenverbrauch, des Nordens vor allem, zurückzufahren.
Doch, wie gesagt, die Zeichen stehen nicht günstig. Der Norden fordert vom Süden, daß der Regenwald endlich geschützt wird; der Süden fordert vom Norden, daß er seinen Energieverbrauch drastisch senkt und mithilft, dem Süden bei der Finanzierung des Umweltschutzes zu helfen. Wie lange nicht mehr in 20 Jahren verdichten sich die Spannungen zwischen Nord und Süd im Vorfeld dieser Konferenz. Und es droht eine offene Konfrontation.
Ich denke, wenn es so weitergeht mit den faulen Kompromissen und den gegenseitigen Schuldzuweisungen, dann drohen neue Verteilungskämpfe à la Nahost, à la Golf-Krieg. Ich denke, wir sollten endlich einsichtig sein und zeitig Geld in die Hand nehmen, zeitig Strukturen verändern, bevor uns solche Verteilungskriege aus Armuts- oder Umweltgründen drohen.
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Wenn die Konferenz in Rio scheitert, wird es erneut Jahre brauchen, bis ein neuer Anlauf gemacht werden kann, um wirksame internationale Konventionen abzuschließen. Die Bundesrepublik, der Bundeskanzler, sollte nun in buchstäblich letzter Minute noch eine Initiative ergreifen, damit es in Rio, notfalls auch ohne die USA, doch noch zu einem substantiellen Angebot der Industrieländer kommt; denn der reiche Norden wird vom armen Süden nur dann ein ökologisches Umsteuern erwarten können, wenn er beweist - und nicht nur redet -, daß er das selbst will und kann.
Natürlich müssen auch der Süden und der Osten umdenken. Neben Menschenrechten und Rechtssicherheit gehören sicher die Bekämpfung absoluter Armut, ein verstärkter Umweltschutz, die Dämpfung des Bevölkerungswachstums und eine ökologische Wirtschaftspolitik künftig zu den Kriterien einer verstärkten entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Doch im Norden liegt der eigentliche Schlüssel zur Bewältigung des Problems. Die besondere Verantwortung des Nordens liegt zum einen darin begründet, daß die globalen Risiken und Fehlentwicklungen stärker vom Norden als vom Süden verursacht sind. Er ist in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker zum Hauptverursacher globaler Umweltzerstörung geworden. Mit 20 % der Weltbevölkerung beansprucht der Norden 80 % der Weltressourcen und emittiert den weit überwiegenden Teil des klimagefährdenden Kohlendioxids. Er kann sich auch von einer Mitschuld an der Armut des Südens nicht freisprechen. Nicht nur in den 500 Jahren Kolonialismus wurde der Süden vom Norden ausgebeutet und an einer eigenständigen Entwicklung gehindert. Dies geschieht ja bis heute. In den letzten Jahren flossen jährlich 50 Milliarden Dollar mehr vom Süden zum Norden als vom Norden zum Süden.
Die besondere Verantwortung des Nordens ergibt sich zum anderen daraus, daß nur der Norden die wirtschaftliche und die politische Macht besitzt, um die Weichen der globalen Entwicklung wirklich neu zu stellen. Der Philosoph Hans Jonas hat eindringlich darauf hingewiesen.
Die Produktionskraft des Nordens übersteigt jene des Südens und des Ostens um ein Vielfaches. Das Sozialprodukt Deutschlands etwa beläuft sich bei 80 Millionen Einwohnern auf 2 600 Milliarden DM, jenes von China beträgt 700 Milliarden DM, - also ein Viertel - bei 1,2 Milliarden Menschen! Bedarf es eines klareren Beweises dafür, daß die ökonomischen Spielräume für politische Zukunftsgestaltung weit eher im Norden als im Süden liegen?
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Dies gilt nicht nur für Finanzen und Wirtschaftskraft, sondern auch für deren Voraussetzungen: nämlich Bildung, Wissenschaft und Technik. Dies gilt auch für die Fähigkeit, sich in der Weltwirtschaft zu behaupten und Einfluß auf sie zu nehmen.
Eine fast überwältigende Macht hat der Norden für die Bildung des globalen Bewußtseins. Über ein weltweites Oligopol von Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen steuert der Norden Wünsche, Erwartungen und Verhaltensweisen bis in die letzten Winkel der Welt.
Schuld und Macht konstituieren also die besondere Verantwortung des Nordens für die globale Entwicklung. Aus dieser Verantwortung erwächst nicht nur eine moralische Verpflichtung der Reichen - und der vergleichsweise Reichen - mit den Armen zu teilen und die globalen Lebensgrundlagen zu erhalten. Der Norden muß auch im eigenen Interesse endlich handeln, um die Ursachen wachsender Wanderung, Bevölkerungsexplosion und Klimaveränderung zu bekämpfen.
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Auch wenn wir jetzt in Deutschland in eine wirklich schwere See geraten sind, müssen wir begreifen, daß wir aus dieser globalen Verantwortung nicht - auch nicht zeitweilig - einfach aussteigen können, weil wir jetzt vermeintlich Wichtigeres, weil Näherliegendes, zu tun haben. Was hat größere Priorität, als diese Erde gemeinsam lebensfähig zu erhalten und für unsere Kinder das Erbe zu bewahren, das unsere Vorfahren in Tausenden von Jahren aufgebaut und uns hinterlassen haben? Wir drohen diese Erde, deren Kultur in Tausenden von Jahren aufgebaut worden ist, in wenigen Jahrzehnten zu zerstören. Wir müssen also handeln. Hier sind vor allem vier Aufgaben dringlich.
Erstens. Der globale Ressourcentransfer muß in sein Gegenteil verkehrt werden. Seit Jahrhunderten fließen die Ressourcen - durch die Gewalt der Waffen und durch ungleichen Tausch - vom Süden zum Norden. Wenn es nicht bald gelingt, diesen Transfer umzukehren, kann es nicht gelingen, im Süden die krasse Armut zu bekämpfen, die wachsende Umweltzerstörung, die dort zunehmend die Folge der Armut ist, zu beseitigen und die Bevölkerungsexplosion wenigstens einzudämmen.
Wenn jetzt geplant ist, 1 Milliarde DM oder 2 Milliarden DM für eine Umweltfazilität der Weltbank neu zu schaffen, so muß man diese Zahl mit der Summe vergleichen, von der die Weltbank sagt, daß sie notwendig wäre, nämlich 75 Milliarden DM. Das ist im letzten Weltentwicklungsbericht nachzulesen.
Am direkten Transfer von Kapital und Technologie hängt jedoch nicht alles. Genauso wichtig und vielleicht noch wichtiger ist es, daß die weltwirtschaftlichen Strukturen nicht länger den Süden benachteiligen. Ohne eine entscheidende Verbesserung der Terms of Trade, ohne stabilere Zinsen auf niedrigerem Niveau, ohne eine gezielte Senkung des Schuldendienstes und ohne den Abbau des Protektionismus greifen alle Transfers und auch die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer, die notwendig sind, einfach zu kurz.
Zweitens. Das internationale Wirtschafts- und Finanzsystem muß reformiert werden. Dazu gehört die Weiterentwicklung des GATT-Systems zu einer echten internationalen Handelsorganisation. Damit soll erreicht werden, daß neben einer grundlegenden Liberalisierung der Handelsbeziehungen weltweit ökologische Mindeststandards gesetzt werden, daß junge Industrien im Osten und im Süden eine Aufbauchance erhalten, daß vor allem regionale Wirtschaftsräume begünstigt werden und daß sich auch die starken Länder einer handelspolitischen Disziplin unterwerfen müssen.
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Weltwirtschaftliche Reformen müssen auch verhindern, daß ein ganzer Kontinent - Afrika - zum weißen Fleck wirtschaftlicher Investitionen wird und dort die armutsbedingte Umweltzerstörung unaufhaltsam weiter und weiter Wälder und Böden und Wasser vernichtet.
Drittens. Der Norden hat zu beweisen, daß er selber zur Strukturanpassung fähig ist. Industrieländer müssen im eigenen Haus Produktion, Arbeit und Verbrauch so umschichten, daß eine ökologisch verträgliche Entwicklung gefördert und wirtschaftlich und sozial schädliche Besitzstände und Konsumgewohnheiten abgebaut werden. Wie können wir von den ärmsten Ländern der Welt fordern, daß sie ihre Verschuldung senken und sich harten Maßnahmen der Strukturanpassung unterwerfen, wenn wir, die reichen Industrieländer, das Staatsdefizit explodieren lassen und unfähig sind, nicht wettbewerbsfähige Teile der Landwirtschaft und der Industrie umzustrukturieren!
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Gerade zynisch ist es jedoch, wenn wir Länder wie China und Indien zum Verzicht auf Milliarden zusätzlicher Autos - was ja den ökologischen Kollaps bedeuten würde - bewegen wollen, selber aber weiter auf absoluter Bequemlichkeit, unbegrenzter Konsumwahl und totaler Mobilität bestehen.
Viertens. Der Norden muß die von ihm selber verursachten Umweltbelastungen schneller und konsequenter verringern, den Ausstoß von Kohlendioxid und den Verbrauch von Rohstoffen drastisch reduzieren, die Verschmutzung der Meere stoppen und den
Entwicklungsländern eine finanzielle Kompensation dafür bieten, daß diese auf den möglichen kurzfristigen Nutzen aus Umweltzerstörung, den wir uns jahrzehntelang, jahrhundertelang geleistet haben, verzichten. Nur wenn der Norden beweist, daß er sein Verhalten wirklich ändert und die Kosten des globalen Umweltschutzes mit übernimmt, wird er den Süden und den Osten dazu bewegen können, schon heute - also wesentlich früher als die Industrieländer - auf ein ökologisch verträgliches Wachstum überzugehen. Wir brauchen eine konzertierte Aktion von Industrie, Verbrauchern und Staat, um die Weichen in unserem eigenen Land neu zu stellen.
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Die besondere Verantwortung des Nordens für die globale Entwicklung rechtfertigt es, ja macht es zwingend, daß die reichen Industrieländer endlich wirkliche Vorleistungen erbringen und vor allem das Tempo einer umfassenden ökologischen Umsteuerung radikal beschleunigen.
Aber dies ist undenkbar, wenn wir nicht unseren eigenen Stil von Leben und Produzieren ändern. Das setzt jedoch voraus, daß wir unseren bisherigen Begriff von Fortschritt und Entwicklung, vielleicht auch unsere Vorstellungen von dem, was Glück ist, hinterfragen und unser westliches Wirtschaftsmodell einer grundlegenden Revision unterziehen.
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Oder geht gar nichts mehr? Sind wir Menschen doch wie Lemminge, die unaufhaltsam auf den Abgrund zumarschieren?
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Minister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten des Landes Hessen, Herr Joseph Fischer.
Minister Joseph Fischer ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Weltbevölkerungsbericht der UN von 1992 beschreibt die gegenwärtige Situation wie folgt:
Es wird erforderlich sein, die Lebensumstände von über 1 Milliarde Menschen zu verbessern, die in absoluter Armut leben. Auch die Erwartungen der 3 Milliarden, die weder reich noch sehr arm sind, sind berechtigt und wollen erfüllt sein. Die Kosten für eine ausgewogene Entwicklung dürfen wir jedoch nicht in dem Maß wie bisher unserer Umwelt aufbürden. Sollen Schritte vorwärts getan und diese Ziele erreicht werden, so muß die Weltbevölkerung langsamer wachsen und muß sich dieses Wachstum regional gleichmäßiger auf die Erde verteilen.
Das ist keine Kleinigkeit, was hier im Weltbevölkerungsbericht in lapidaren Worten als Zielvorgabe und gleichzeitig als Problembeschreibung der aktuellen globalen Situation vorgelegt wurde.
Minister Joseph Fischer ({1})
Wenn man das einmal durchdenkt - der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung heute morgen einen beeindruckenden Versuch gemacht, das zu durchdenken und die Konsequenzen in seiner druckvollen Regierungserklärung, die er hier vorgetragen hat, aufzuzeigen -, dann wird man ihm an einem entscheidenden Punkt widersprechen müssen. Der Bundeskanzler kam zu einem entschiedenen SowohlAls-auch: Er sprach sowohl von der Fortentwicklung des Industriestandorts Deutschland als auch von einer gerechteren Verteilung der Ressourcen dieser Welt. Die Antwort auf die Frage, wie das zusammengehen soll, ist er allerdings schuldig geblieben. Ich befürchte, er macht denselben Fehler wie den im Zusammenhang mit der Einheit nochmals: indem er über die realen Kosten, die eine solche tiefgehende Umorientierung der globalen Weltwirtschaft mit sich bringt, die auch eine Neuverteilung der ökonomischen, der sozialen Gewichte bedeuten wird, schweigt. Dazu hat der Bundeskanzler heute nichts gesagt.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es wichtig, daß man diese Probleme noch einmal aufgreift. Die ökologische Krise, die heute alle benannt haben, ist doch im wesentlichen das Resultat von industriellem Wachstum. Sie ist gleichzeitig das Resultat eines sozialen Problems. In der Dritten Welt verschränkt sich die ökologische Frage dramatisch mit der sozialen. Und wer über diese soziale Frage und über die Ungerechtigkeit der Weltwirtschaft schweigt, wird eines nicht allzu fernen Tages auch auf den reichen Wohlstandsinseln von den ökologischen Folgen eingeholt werden.
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Deswegen hätte es dem Bundeskanzler vor seiner historischen Reise nach Rio gut angestanden, wenn er den Fehler im Zusammenhang mit der Einheit nicht wiederholt hätte, wenn er den Menschen in den reichen Industrieländern reinen Wein einschenken und sagen würde, daß er seine Position entweder nicht ernst meint - dann bleibt es Rhetorik; denn wir werden beides nicht finanzieren können: weitere Zuwächse hier, zusätzlichen Umweltschutz und dann noch ein Aufholen der Schwellenländer und der Dritte-Welt-Länder: mit demselben Motorisierungsgrad, demselben Energienutzungsgrad, demselben Massenkonsum, wie wir ihn auch haben; ich kenne kein Argument, warum wir ihnen das vorenthalten sollten oder könnten; das würde auf eine Art neuen ökologischen Imperialismus hinauslaufen, um sie an der Wahrnehmung von Lebenschancen zu hindern - oder daß er sie ernst meint. Dann aber wird er die Menschen in den reichen Industrieländern darauf vorbereiten müssen, daß wir auch eine Ökonomie des Verzichts entwickeln müssen.
({3})
Ich sage bewußt: nicht nur eine Moral, sondern eine Ökonomie des Verzichts. Denn es wird sich diese Umorientierung auch zu rechnen haben.
Der Abgeordnete Gysi hat - an einem Punkt, an dem es sehr sinnfällig ist - zu Recht gefragt: Was heißt es denn, wenn man diese hohen Maßstäbe in den
politischen Alltag der Bundesrepublik Deutschland übersetzt? Man hat das Gefühl, daß mit dem Quadrat der Entfernung vom Regierungssitz in Bonn die Radikalität der ökologischen Äußerungen zunimmt.
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Insofern fand ich den Hinweis darauf, Herrn Krause mit einem chinesischen Nachnamen zu versehen und als Verkehrsminister in Peking oder auch nur als regionalen Verkehrsminister in Südchina zu denken oder sich vorzustellen, Herr Krause habe als Gouverneur in Brasilien in einem Amazonas-Staat das Sagen, ganz interessant. Dann wird es konkret, meine Damen und Herren. Dann wird man sehr schnell feststellen, wie sich die Sprüche unterscheiden.
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Es gäbe dann sicher jede Menge Raststätten, aber in Sachen Ökologie wäre da nicht mehr allzuviel zu holen.
Wenn man diesen Punkt weiter durchdenkt, dann muß man sich, Herr Bundeskanzler, die Frage stellen - und sie als Bundeskanzler beantworten -: Wie soll es denn funktionieren? Die reichen Industrieländer, 20 bis 25 % der Weltbevölkerung - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen -, verursachen 80% der gegenwärtigen Umweltkrise. Drei Viertel der Menschheit haben an dieser globalen Krise noch gar nicht Anteil gehabt. Die fordern nun ihren Anteil ein. Wo soll denn dieses zusätzliche - auch notwendige - quantitative Wachstum herkommen, wenn wir hier nicht dramatische Schritte der Umverteilung und des ökologischen Umbaus machen?
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Da muß man meines Erachtens Klartext reden, was Ressourcenverbrauch bedeutet.
Ich sage Ihnen als Umweltpolitiker - das hat jetzt mit Parteipolitik überhaupt nichts zu tun; das geht Umweltpolitikern generell so -: Wir können mit ordnungspolitischen Maßnahmen, mit Umweltpolitik nicht einholen, was wir auf der Seite des Ressourcenverbrauchs, an dem wir alle teilhaben - ich nehme mich da überhaupt nicht aus -, z. B. durch die Industrie, durch Massenkonsum, durch die Verkehrspolitik und ähnliches, gleichzeitig in die völlig falsche Richtung kaputtmachen. Das können wir als Umweltpolitiker, auch wenn wir es versuchen, nicht korrigieren.
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Deswegen ein Vorschlag: Anstatt absurde Steuerdebatten zu führen, wie es gegenwärtig der Fall ist, würde ich folgende These vertreten. Kollege Töpfer ist ja mittlerweile bekehrt. Als Oskar Lafontaine und die GRÜNEN im Mai 1989 die Ökosteuerdebatte führten, fand er das alles noch abwegig. Meine These ist: Wenn es Ihnen gelingt, endlich eine ökologische Steuerreform einzuleiten - und Sie sollten dafür alle Unterstützung haben -, so daß der Ressourcenverbrauch,
Minister Joseph Fischer ({8})
der Energieverbrauch zur entscheidenden Besteuerungsquelle wird - und zwar keine Ausdehnung der Staatsquote, das ist überhaupt nicht meine Absicht, sondern eine Umverteilung in der Kostenstruktur beim Steueraufkommen -, dann werden wir wirklich etwas erreichen.
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Dann werden wir völlig neue marktwirtschaftliche Impulse bekommen. Ich frage diese Bundesregierung, die sich ja zur Gralshüterin der Marktwirtschaft gemacht hat: Was, zum Teufel, hindert euch daran, das zu tun? Die Opposition wäre sofort dafür und hätte an dem Punkt überhaupt keine Probleme, Sie darin zu unterstützen. Wir würden für die Umwelt massiv etwas erreichen.
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Statt dessen haben wir die Realität, daß Sie gegenwärtig die Fährnisse und die Widrigkeiten der nationalen Umweltpolitik offensichtlich gerne verlassen und in die internationalen Bereiche ausschweifen. Der Umweltminister ist ja fast schon zu beklagen. Sie werden diese Fragen gestellt bekommen. Wenn Sie auf der einen Seite verkünden, daß der Regenwald geschützt werden muß, dann werden die brasilianischen Konservativen, dann wird der Helmut Kohl Brasiliens Sie fragen: Wie sieht es mit dem Naturschutz bei euch aus? Was macht denn das Naturschutzgesetz des Kollegen Töpfer? Woran ist denn die Landwirtschaftsklausel gescheitert? Gibt es denn da überhaupt noch etwas zu erhalten? Wie ist denn der Zustand des Waldes im Mittelgebirge? Wie sieht denn die Verkehrspolitik aus? Hat das etwas mit dem Waldsterben zu tun?
Alle diese Fragen werden an Sie gestellt werden, wenn Sie in Brasilien auf einen klugen Konservativen treffen. Warum sind Sie nicht einmal in der Lage, dieses Symbol „Tempolimit" durchzusetzen?
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Das wäre das mindeste, meine Damen und Herren, aber nicht einmal dazu sind Sie in der Lage.
Wir haben jetzt die Problematik des Sommersmogs. Die Umweltpolitik ist hier an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit gekommen, wenn die Verkehrspolitik nicht radikal umsteuert.
Meine Damen und Herren, das sind Fragen, die die Bundesregierung konkret wird beantworten müssen, ohne allgemeine wolkige Erklärungen.
Da lächelt Kollege Töpfer. Er verkündet ja mittlerweile unter den Ländern: Helft mir mit der Abfallabgabe! Herr Bundeskanzler, ich will es hiermit tun. Ich appelliere an Sie: Machen Sie es endlich möglich, daß der Kollege Töpfer seine Abfallabgabe in Ihrem Kabinett durchsetzen kann! Das hätte eine große Bedeutung, meine Damen und Herren.
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Vielleicht können Sie sich auf dem Flug nach Rio
darüber austauschen; das wäre durchaus sinnvoll. Ich
nehme an, Herr Kollege Töpfer sieht das so ähnlich
wie ich. Die Länder werden aufgefordert, jetzt selber Abfallabgabengesetze zu machen, weil Kollege Töpfer sich nicht durchsetzen kann. Das ist die traurige Realität der konkreten Umweltpolitik in diesem Lande.
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Zur Energiepolitik. Wie sieht denn die Energiepolitik der Regierung Kohl aus? Kennt sie jemand? Ich habe sie bisher nicht gekannt.
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Die Energiepolitik wird hier im wesentlichen von den großen Stromkonzernen gemacht.
Diese Litanei könnte man ohne weiteres weiterführen. Hier sehe ich die eigentlichen Probleme. Wir werden unserer eigentlichen Vorbildfunktion nicht gerecht. Nur rhetorisch werden wir ihr gerecht, ohne jeden Zweifel.
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Ich bin einmal gespannt, wie Sie mit diesen Verkehrszuwächsen, die Sie heute haben und die der Bundesverkehrswegeplan mehr oder weniger unhinterfragt akzeptiert, zurechtkommen wollen. Es wird nicht einfach, hier umzusteuern. Das würde ich nicht nur der Koalition nicht zumuten. Wir wissen alle, wie schwer es wird, die libidinöse Bindung ans Auto unabhängig von der Parteiorientierung aufzubrechen.
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Es wird kein Weg daran vorbeiführen, und man wird es den Menschen auch zu sagen haben. Aber Ihre CO2-Reduktions-Ziele werden Sie mit der Form von Energiepolitik - mit oder ohne Konsens -, die Sie betreiben, sich bis ins nächste Jahrtausend, bis zum Jahre 2005 abschminken können, es sei denn, Sie setzen weiter darauf, daß in der ehemaligen DDR die Entindustrialisierung vorangeht. Ich gehe allerdings nicht davon aus, daß Sie darauf setzen, sondern davon, daß Sie versuchen werden, auch dort den Aufschwung wieder möglich zu machen.
Summa summarum muß man sich die gegenwärtige Situation anschauen und die Rhetorik wegnehmen.
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Ich meine, bei der Rhetorik gibt es ja schon einen Fortschritt, Herr Bundeskanzler! Ich kann mich erinnern, Herr Kollege Baum, da stand nicht hier am Pult, sondern im alten Plenarsaal des Bundestages im Jahre 1985 der zuständige Umweltminister, Innenminister Zimmermann, und er schnarrte uns GRÜNE in seiner unvergleichlichen Art an, als es um den Katalysator ging: Ja, sollen denn die deutschen Urlauber am Brenner stehenbleiben?
Gut, unter diesem Gesichtspunkt haben wir in der Bundesregierung einen großen Bewußtseinswandel. Aber wenn ich mir die entscheidenden Punkte anschaue, Energiepolitik, Verkehrspolitik, die Tragödie des Giftmüllexports in die Dritte Welt und nach Osteuropa aus allen Industrieländern, wenn ich mir anschaue, daß wir völlig falsche Steuerungsimpulse über unser Steuersystem für die Wirtschaft gesetzt
Minister Joseph Fischer ({18})
haben, wenn ich mir anschaue, daß die größten Unternehmen heute Anlageprobleme für Milliardenbeträge haben, während gleichzeitig im Umweltbereich dieses dringend benötigte Geld fehlt, dann sage ich Ihnen: Die heutige Regierungserklärung war viel zuwenig.
Herr Bundeskanzler, Ihr Kollege, der amerikanische Präsident, wird gegenwärtig schon in allen Karikaturen als „The Environment President" dargestellt; jeden Tag gibt es in der „Herald Tribune" eine neue Karikatur über den Anspruch, Umweltpräsident zu sein. Ich hoffe, Sie werden nicht einen ähnlichen Weg gehen. Ich fürchte aber, wenn das alles war, was Sie heute vorgetragen haben, wenn das alles war, was man über Rio hört, dann werden die Skeptiker recht bekommen, die sagten, das würde unter dem Gesichtspunkt der reichen Industriestaaten ein Gipfel der Heuchler. Dann, meine Damen und Herren, wäre eine große Chance vertan. Damit es nicht so wird, müssen wir die Vorbildfunktion wahrnehmen, d. h. aber, wir müssen hier vor unserer eigenen Türe kehren.
Ihr Engagement für den Regenwald in Ehren, Herr Bundeskanzler. Dasselbe Engagement für den Naturschutz hier in Ihrer Bundesregierung, und Sie wären wesentlich glaubhafter und der Umwelt wäre wesentlich mehr gedient als durch Ihr Engagement, sich für den Regenwald nur rhetorisch einzusetzen.
Danke schön.
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Nun hat der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Klaus Töpfer, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind mit dem Ziel, über 170 Länder weltweit zu einer gemeinsamen Position umweltpartnerschaftlicher Zusammenarbeit zu bekommen, angetreten. Aber wir sind nicht einmal in der Lage, in einer solchen Diskussion der Verlockung zu widerstehen, alles nur unter der parteipolitischen Elle der Auseinandersetzung in Deutschland zu messen.
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Meine Damen und Herren, natürlich könnte ich mit gleicher Münze zurückzahlen. Ich könnte dem Kollegen Fischer sagen, daß er seine Darstellung zum Naturschutz nur deswegen so geben kann, weil in Hessen für den Naturschutz nicht er, sondern sein Kollege Jordan zuständig ist. Herr Fischer sollte einmal bei ihm nachfragen, was das Land Hessen wirklich für den Naturschutz tut, bevor er hier hinkommt und die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der rahmengesetzlichen Regelung dafür verantwortlich macht, was hier nicht passiert.
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Meine Damen und Herren, ich will das gar nicht tun. Ich will es auch deswegen nicht tun, weil ich nur zu gut weiß, daß wir damit nur denen in die Hände spielen, die ein Interesse daran haben, daß in Rio nichts erreicht wird oder daß der Eindruck erweckt wird, als käme in Rio nichts heraus.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch einmal in aller Ruhe und Sachlichkeit zu dem zurückkehren, was in der gegenwärtigen Situation wirklich Not tut, um vielleicht auch einmal über Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Arbeit für Rio zu leisten, damit auch andere an dieser Partnerschaft teilhaben können. Warum das denn eigentlich nicht? Ich werde versuchen, dazu einige Punkte herauszuarbeiten.
Der erste Punkt lautet: Wir sollten uns doch darüber einig werden können, daß die Konferenz in Rio nicht der Endpunkt einer Entwicklung ist, sondern der Startpunkt für einen neuen Prozeß der Zusammenarbeit. Nur wenn wir dies als gemeinsames Ziel haben, schaffen wir die Verbindung zwischen Umwelt und Entwicklung. Meine Damen und Herren, natürlich ist es richtig, daß wir heute ein Stück unseres Wohlstands dadurch subventionieren, daß wir Kosten dieses Wohlstands auf die Natur und die Dritte Welt abwälzen; wir müssen das beenden, indem wir hier die Konsequenzen ziehen. Das können wir aber nicht tun, indem wir das in Rio beschließen, sondern indem wir diesen Prozeß der Zusammenarbeit einleiten.
({2})
Meine Damen und Herren, es geht hier - auch das ist eine der beliebten Vokabeln - um eine „Umweltaußenpolitik". Dann nehmen wir doch einmal Anleihe bei der Außenpolitik. Da fragen wir doch mal bei dem soeben mit Beifall und Ehrung aus diesem Amt geschiedenen Kollegen Genscher nach. Meine Damen und Herren, wir haben 1975 die Schlußakte von Helsinki beschlossen. Diese Schlußakte hat einen KSZE-Prozeß begründet, an dessen Ende der Fall der Mauer, die deutsche Einheit und die Überwindung der Sowjetunion gestanden haben.
Wer 1975 hingegangen wäre und gesagt hätte: nur wenn dieses Ziel schon 1975 in Helsinki erreicht ist, ist das ein Erfolg, der wäre als Narr bezeichnet worden. Aber es ist ein Prozeß der Zusammenarbeit möglich geworden, der dies dann hinterher erreicht hat.
Nun lassen Sie uns doch Kredit nehmen von solchen Überlegungen. Was spricht denn dagegen, daß wir wirklich auch und gerade jetzt nach der Überwindung dieses ideologischen Gegensatzes fragen: Wie können wir den wirklich vorhandenen Gegensatz zwischen Nord und Süd so bewältigen, daß wir nicht in einen neuen kalten Krieg der Armen gegen die Reichen eintreten? Das ist doch die zentrale Fragestellung, und dazu werden wir - das will ich ganz deutlich sagen - eine Schlußakte von Rio haben. Die Schlußakte von Rio wird genausowenig bis ins letzte hinein sagen können, was von allen eingebracht wird, sondern sie muß genauso zu vertrauensbildenden Maßnahmen führen, wie das durch die KSZE in Europa der Fall gewesen ist.
Da muß man sich fragen, wie wir diesen neuen Prozeß der Entspannung, jetzt der Entspannung des
Menschen gegenüber der Natur, bewältigen können.
Hier möchte ich Ihnen einige dieser entspannungs-
und vertrauensbildenden Maßnahmen nennen: Es geht einmal um die Frage der technologischen Zusammenarbeit. Das ist doch nicht Theorie!
Ich war vor wenigen Tagen in Vorbereitung dieser Konferenz in China. Die Chinesen verbrauchen gegenwärtig 1,3 Milliarden Tonnen Steinkohleeinheiten. Hätten sie dieselbe durchschnittliche Technik wie wir sie haben, dann könnten sie dieselbe Energiedienstleistung mit 400 Millionen Tonnen SKE weniger erzeugen. Diese 400 Millionen Tonnen entsprechen genau dem Energieverbrauch, den wir in der alten Bundesrepublik Deutschland gehabt haben. Dann lassen Sie uns doch diese energiepolitische technologische Zusammenarbeit machen! Was spricht dagegen?
({3}) Das ist konkrete vertrauensbildende Arbeit.
Dann können Sie natürlich davon ausgehen, daß wir das zu tun haben, was Technologie auch ist, nämlich Weitergabe von Kenntnis, von Verwaltungserfahrung. Wir haben doch nun als Hausaufgabe mitgenommen - das haben wir doch gerade erfahren -, daß die neuen, die jungen Bundesländer nicht nur mit Geld zu entwickeln sind und daß aufzuholen ist, was dort vertan worden ist, sondern daß wir neue Verwaltungsstrukturen brauchen, daß wir Menschen brauchen, die dieses Instrument einer sozial und ökologisch ausgerichteten Marktwirtschaft auch handhaben können. Deswegen brauchen wir das, was wir international „capacity building" nennen, Aufbau von entsprechenden Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen; das ist eine ganz wichtige und notwendige Arbeit.
Meine Damen und Herren, ich will dem Kollegen Repnik nicht vorgreifen, aber wir sollten den vielen jungen Menschen dankbar sein, die in die Entwicklungsländer gehen und genau ihre Kenntnisse einbringen, um dort Armut und Unterentwicklung zu überwinden. Das ist ein Beitrag, den wir miteinander zu bewältigen haben.
({4})
Ich versuche doch nur, das aufzugreifen, was wir miteinander in Rio einbringen können, meine Damen und Herren. Denn die Diskussion über das Bundesnaturschutzgesetz werden wir auch nach Rio bei uns noch glänzend weiterführen können. Sie wird uns in der Zusammenarbeit von 170 Ländern leider Gottes nicht zentral voranbringen. Vielleicht lernt das auch noch der Kollege Fischer; es kann nicht ausgeschlossen werden.
({5})
Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen in diesem Entspannungsprozeß gehört die Frage des Schuldenerlasses. Auch das sei dem Kollegen Schäfer - meine Damen und Herren, bei der Anrede „Kollege Schäfer" muß ich natürlich immer doppelt einhalten, damit man nicht weiß, wann man ihn doppelt mit „Kollege" anzusprechen hat - einmal ganz konkret gesagt: Darüber wird in dieser Bundesregierung nicht geredet, sondern da ist schon längst entschieden worden. Es ist diese Bundesregierung gewesen, die von Polen bis nach Kenia mehr Schulden erlassen hat als jede andere Regierung in dieser Welt. Wir haben darüber nicht geredet, sondern wir haben das gemacht.
({6})
Das sind ganz konkrete Maßnahmen, indem wir nicht rhetorisch sind, sondern indem wir entscheiden.
Ich wäre allen Seiten dieses Hohen Hauses herzlich dankbar, wenn wir auch draußen an den Stammtischen sagten, daß diese Maßnahmen der Hilfe für die Dritte Welt nicht hinterher unseren Wohlstand in Frage stellen, sondern unseren Wohlstand auf Dauer sichern. Denn wer hat denn dann vor Ort auch den Mut, zu sagen, wir brauchen diese Gelder für die Entwicklungspolitik, für die internationale Umweltpolitik, wenn er möglicherweise bei der nächsten Gehaltsforderung dafür auch etwas nachzudenken hat? Wer hat dann den Mut, nicht nur hier darüber zu sprechen?
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Wir brauchen sehr wohl vertrauensbildende Maßnahmen und Veränderungen der weltweiten Handelsstrukturen. Die OECD hat berechnet, daß die jetzt laufenden GATT-Verhandlungen, wenn sie so durchkommen, den Entwicklungsländern zusätzliche wirtschaftliche Möglichkeiten im Umfang von etwa 55 bis 60 Milliarden Dollar einbringen. Nebenbei gesagt, ist das exakt die Größenordnung, über die wir reden, wenn wir die Ausgaben für dem Umweltschutz von 0,35 % auf 0,7 % des Bruttosozialproduktes ansteigen lassen. Wir sollten uns wirklich darüber klar sein, daß wir gemeinsam die Konsequenzen einer solchen GATT-Verhandlung tragen und daß wir uns bei unserer Bevölkerung, die in der Landwirtschaft tätig ist, darum bemühen müssen, daß sie Verantwortung trägt und das Ihre tut. Wir dürfen nicht nur abstrakt darüber reden.
Vertrauensbildende Maßnahmen sind sehr wohl auch die so notwendigen Veränderungen unseres eigenen Verhaltens. Ich will nur mit einigen Sätzen darauf hinweisen, was getan wurde, damit nicht der Eindruck entsteht, wir wollten das zur Rechtfertigung nutzen. Ich bin der Meinung, das muß wesentlich weiter reichen. Wir als Umweltpolitiker haben uns gerade gegen den Vorwurf zu rechtfertigen, wir hätten den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland in besonderer Weise belastet.
Meine Damen und Herren, auf irgend etwas müssen wir uns einigen: Wenn wir nicht gehandelt haben, können wir auch nicht belasten. Wir haben gehandelt und Eckpunkte gesetzt, damit sich Technik weiterentwickelt. Exakt dies ist es. Ich kann Ihnen das an vielen Stellen ganz konkret nachweisen. Ich habe mich bei den vielen in den Unternehmen zu bedanken, die auf die Herausforderung von neuen Umweltknappheiten mit Kreativität geantwortet haben, die nicht resigniert haben und von diesem Standort nicht weggezogen sind.
({8}) Wir werden sehen, wie sich das weiterentwickelt.
Herr Kollege Fischer, es ist bemerkenswert: Andere machen in ihrem Sektor ganz unspektakuläre Politik. Warum kann man sich zwischen Bundesländern und dem Bund nicht an einer Stelle einmal einigen? Machen Sie doch Ihr Abfallabgabengesetz, und all die anderen Länder können ebenfalls ihre Gesetze machen. Dann können Sie am Ende sagen, wir bräuchten den Bund gar nicht. Aus der Enquete-Kommission höre ich bezüglich des Grundgesetzes doch nur, daß die Länder danach streben mehr Zuständigkeiten zu bekommen. Aber dann stellen Sie sich nicht hierhin und beklagen dies!
({9}) Wir werden unsere Verpflichtungen einhalten.
Es gibt die Klimakonvention. Sie wird völkerrechtlich verbindlich, wenn wir alles daransetzen, den Punkt wirklich klar zu regeln, der entscheidend ist, nämlich die Frage, wie wir Entwicklungsländern dabei helfen, den Festlegungen auch zu entsprechen. Die finanzielle Regelung, die wir etwa in Art. 21 dieser Konvention finden, ist für die allergrößte Zahl dieser Länder ungleich bedeutsamer als die Frage, ob wir uns alle bereits jetzt bereitfinden können, eine Stabilisierung der CO2-Emissionen vorzunehmen.
Ich bin sehr daran interessiert, daß wir unsere Position in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland beibehalten. Wer hindert uns eigentlich daran, selbst bei einer völkerrechtlich verbindlichen Konvention, bei der einige die Stabilisierung nicht mittragen, uns gleichzeitig verbindlich daran zu halten? Ich bin jedenfalls der Meinung, daß das eine große Chance für uns ist und daß wir das nicht nur verbal anstreben sollten, sondern das Ziel mit ganz konkreten Maßnahmen erreichen müssen.
Es gibt in dieser Konvention - ich bitte jeden, sie sich wirklich einmal durchzulesen - bleibende und klare Festlegungen für den Follow-up-Prozeß, also für das, was nach Rio kommt, Herr Lippold. Wir haben dafür einen klaren Zeitrahmen. Ich bin dem Bundeskanzler herzlich dankbar, daß er von dieser Stelle aus die Welt eingeladen hat, die erste Folgekonferenz nach Rio hier in der Bundesrepublik Deutschland abzuhalten. Wir haben uns in der Vergangenheit an der Spitze derer befunden, die weltweiten Umweltschutz vorangebracht haben. Wir sollten auch in der Zukunft an der Spitze sein. Diese Einladung wird dazu beitragen.
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Meine Damen und Herren, wir brauchen ganz ohne jeden Zweifel weitere Maßnahmen: Initiative zur Ächtung von Umweltverbrechen, von der Bundesrepublik Deutschland eingebracht. Wir reden heute so viel von Blauhelmen. Ich meine, wir sollten uns jetzt auch an die Spitze derer setzen, die fragen: Wie bekommen wir Grünhelme, die dort eingesetzt werden können, wo Verbrechen gegen die Umwelt begangen werden, ohne daß die internationale Völkergemeinschaft dem entgegentreten kann? Dies sind Herausforderungen, auf die wir auch durch eine Änderung des UN-Systems an dieser Stelle antworten sollten.
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Rio muß Initiativen für die Weiterentwicklung der Einrichtungen in der UNO bringen, die UNEP, also die Umweltorganisation der Vereinten Nationen, stärken, ein Gremium schaffen, das sich in den Vereinten Nationen damit beschäftigt. Ich unterstütze das, was Sie, Kollege Baum, hier dazu gesagt haben.
Wir müssen in Rio noch weiter gehen, als es der schwierige Konsensprozeß bisher möglich gemacht hat. Wir sehen Rio als einen Rio-Prozeß, der genau wie vorher der KSZE-Prozeß vorangebracht werden muß, damit die Entspannung zwischen Mensch und Umwelt auch erreicht wird.
Meine Damen und Herren, natürlich hätten wir die Klimakonvention an dieser Stelle gerne noch etwas schärfer gehabt. Ich sage aber noch einmal: Für uns war die Zustimmung zu diesem Kompromiß gebunden an eine klare Struktur der Nachfolgeveranstaltung, war gebunden an eine klare Entscheidung bezüglich der Finanzierung für die Entwicklungsländer, war gebunden an eine klare Festlegung in Programmen und Maßnahmen in völkerrechtlich verbindlicher Form, die überprüft werden können und müssen.
Ich sehe erhebliche Schwierigkeiten bei der Konvention zur Artenvielfalt. Ich muß das hier deutlich sagen: Zur Stunde verhandeln unsere Mitarbeiter in Nairobi darüber, um noch zu einem Ergebnis zu kommen. Die Artenvielfalt hiermit zu sichern, ist eine außerordentlich große Schwierigkeit, weil sich die Entwicklungsländer insbesondere die Fragen stellen, wie sie die Biotechnologie, die daran anknüpft, ebenfalls für sich nutzen können und wie sie einen entsprechend fairen Finanzausgleich bekommen. Ich nehme diese Forderung sehr ernst. Es soll nicht der falsche Eindruck entstehen, wir würden irgend jemandem Schuldzuweisungen erteilen.
Es ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen, sondern es ist die Zeit, zu vertrauensvoller Zusammenarbeit zu finden. Deswegen mein dringlicher Appell: Lassen Sie uns aus dieser Diskussion des Hohen Hauses nicht mit dem Symbol herausgehen, daß man sich insgesamt uneinig sei. Man hat zwar unterschiedliche Teilbereiche, in vielen Bereichen aber auch eine gemeinsame Position zur Überwindung der Gegensätze zwischen Nord und Süd.
Wir haben gemeinsam den Abrüstungsprozeß in Europa ermöglicht. Der kalte Krieg zwischen Ost und West ist beendet. Rio muß der Startpunkt dafür sein, daß auch der kalte Krieg zwischen Nord und Süd, zwischen arm und reich nicht entstehen kann und daß wir eine Abrüstung im Verhältnis von Mensch und Natur bekommen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
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Nun hat das Wort Frau Kollegin Dr. Liesel Hartenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Rio steht viel auf dem Spiel. Es hat den Anschein, als ob die Industrieländer das immer noch nicht begriffen hätten, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht.
Der Umweltgipfel, Herr Minister, hätte eine Riesenchance sein können, eine Chance zur Sicherung der Zukunft unseres Planeten. Dazu aber bedürfte es einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller dort versammelten Nationen. Dazu bedürfte es vor allen Dingen der Handlungsfähigkeit und des Handlungswillens der Industrieländer. Aber genau daran fehlt es; das gilt leider auch für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist schon mehrfach gesagt worden, daß die Industrieländer die Hauptverursacher der Umweltzerstörung sind; das trifft zu. Allein das wäre Grund genug, daß sie sofort und wirksam handeln und sich nicht noch einmal Verzögerungstaktiken erlauben.
Die Industrieländer müssen aber auch vorangehen, weil sie allein das technische Know-how und die finanziellen Mittel besitzen, um neue, umweltfreundlichere Produktionsformen durchzusetzen, und weil das Verhalten der Industrieländer entscheidende Auswirkungen auch auf die Entwicklungsländer hat. Denn das westliche Industrialisierungsmodell ist nun einmal das Leitbild auch für die Entwicklungsländer geworden; daran geht kein Weg vorbei. In der Dritten Welt wird sich nichts ändern, wenn sich in den Industrieländern nichts ändert. Dieses Wort des brasilianischen Umweltschützers José Lutzenberger gilt.
Ich frage Sie, Herr Minister: Was tun Sie, um den ökologischen Umbau in unserem eigenen Land voranzutreiben? Was tun Sie z. B. für den vorrangigen Ausbau der Solarenergie, der ganz besonders den Tropenwaldländern zugute käme? Im Norden wird zehnmal mehr Natur - in Form von Wasser, Energie, Rohstoffen - verbraucht als im Süden. Aber gerade weil dies so ist, muß der Norden die Initialzündung geben. Was sich jetzt für Rio abzeichnet, das bleibt weit hinter dem ökologisch Notwendigen und dem technisch Machbaren zurück.
Keine der führenden Industrienationen - auch die Bundesrepublik nicht - hat den Mut, in Rio mit einem kräftigen Wurf die Zielmarke zu bestimmen und gleichzeitig der eigenen Bevölkerung zu sagen: Das muß sein, auch wenn es unbequem ist. Und das kostet zunächst einmal Geld, z. B. in Form einer Energiesteuer. Hier wartet Bonn auf Brüssel, Brüssel wartet auf Washington und Tokio, Washington zeigt wiederum auf Japan und zurück auf die EG-Länder. Das Ganze ist ein Schwarzer-Peter-Spiel der politischen Feigheit, nichts anderes.
({0})
Ich bin überzeugt, Herr Minister Töpfer, daß die Menschen zumindest in unserem Land längst begriffen haben, daß Umweltvorsorge allemal billiger als Umweltreparatur ist; das ist doch unsere Erfahrung. Die Menschen haben auch begriffen, daß wir den Rubikon längst überschritten haben, d. h. daß wir den Punkt erreicht haben, wo die Schäden irreparabel werden, z. B. bei der Klimaaufheizung, z. B. bei der Zerstörung der Wälder.
Frau Kollegin Hartenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grüner?
Bitte schön, Herr Grüner.
Würden Sie es nicht für richtig halten, bei dem Thema Energiesteuer nicht die Kritik in den Vordergrund zu stellen, sondern die Tatsache deutlich zu machen, daß die Bundesregierung diese Energiesteuer fordert, daß die EG-Kommission diesen Vorschlag sensationellerweise aufgegriffen hat, daß es um internationale Durchsetzung geht und daß darin für uns die große Hoffnung besteht? Statt zu kritisieren, müßte doch diese Gemeinsamkeit als eine Chance herausgestellt werden.
Herr Kollege Grüner, meine Antwort: Erstens wird die kranke Welt von der Hoffnung allein nicht gesünder.
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Zweiter Punkt: Halten Sie es denn für vertretbar und für politisch richtig, daß die Bundesregierung schon vor geraumer Zeit eine CO2-Abgabe bzw. eine Energiesteuer angekündigt, dann diese Ankündigung zurückgenommen hat und jetzt auf Brüssel wartet, wobei Brüssel nun mit einem Vorschlag kommt, der aber nur dann realisiert werden soll, wenn - so ängstlich stellt sich die EG dar - Amerika mitmacht, wenn Japan mitmacht, wenn die anderen Industrieländer mitmachen? Solange der eine auf den anderen zeigt und der eine auf den anderen wartet, kommen wir keinen Schritt weiter.
Nun ist es immerhin tröstlich, daß zum Schutze des Klimas und der Artenvielfalt in Rio wenigstens Rahmenabkommen geschlossen werden sollen, wenngleich ohne verbindliche Festlegungen, ohne Selbstverpflichtungen. Der größte Schwachpunkt im Szenario von Rio ist aber das Nichtzustandekommen einer internationalen Waldkonvention, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dieses hat Herr Minister Töpfer auch mit keinem Wort erwähnt.
Das ist deswegen beklagenswert, weil die Wälder der Erde nach den Ozeanen die größte CO2-Senke sind, weil - das ist bekannt - pro Tag 3 000 Quadratkilometer Wald vernichtet werden und weil die Wissenschaft auch keinen Zweifel daran läßt, daß in den tropischen Regenwäldern 70 bis 90 % aller Tier- und Pflanzenarten beheimatet sind. Das heißt, wir verwüsten die Vorratskammern der Erde, ehe wir überhaupt erkundet haben, was sie enthalten. Das ist unverantwortlich gegenüber den künftigen Generationen.
Frau Kollegin Hartenstein, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Bitte schön, Herr Kollege Hauchler.
Frau Kollegin, es ist gerade von der EG-Steuer und den Möglichkeiten, die dadurch gegeben sind, Probleme zu lösen, die Rede gewesen. Können Sie bestätigen, daß von seiten der EG beabsichtigt ist, einen Dollar pro Barrel zu erheben, nachdem früher drei Dollar pro Barrel im Gespräch waren, und können Sie bestätigen, daß dies
einem Pfennig pro Liter entspricht? Welchen Erfolg versprechen Sie sich von einer solchen Maßnahme?
Es ist völlig richtig, daß man hier Zweifel hegen muß, ob diese von der EG ins Auge gefaßte Maßnahme überhaupt einen Erfolg bringen wird. Man muß wissen: Das ist bereits eine Rückzugsposition. Der erste Vorschlag der EG-Kommission lautete: Aufschlag von drei Dollar pro Barrel und Steigerung um je einen Dollar pro Jahr. Das heißt, im Jahre 2000 hätte man einen Aufschlag von 10 Dollar pro Barrel gehabt. Das wäre ein 50%iger Aufschlag gewesen. Allenfalls das hätte noch eine umweltpolitische Wirkung haben können, d. h. die Entwicklung in die richtige Richtung puschen können. Was jetzt geplant ist, ist nach meiner Einschätzung viel zuwenig und daher unwirksam.
({0})
Ich habe beklagt, daß in Rio keine internationale Waldkonvention zustande kommt. Wenn an Stelle dieser Konvention lediglich Grundsätze zum Waldschutz beschlossen werden sollen oder, wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat, eine Deklaration verabschiedet werden soll, dann ist das faktisch ein Nullergebnis, meine Damen und Herren. Das ist ungenügend und kann nicht akzeptiert werden.
Der Herr Bundeskanzler sagte, sofort nach Rio sollten Maßnahmen in die Wege geleitet werden, um eine Waldkonvention zu beschließen. Ich frage, Herr Bundeskanzler: Wann denn? Ist Ihnen bekannt, daß wir eigentlich keine Zeit mehr haben und daß die Naturwälder, die Tropenwälder auf den Philippinen und auf Malaysia in sieben bis acht Jahren verschwunden sein werden, wenn nicht sofort gehandelt wird? Das heißt, wir dürfen uns keine Verzögerungen mehr leisten.
Ich frage deshalb die Bundesregierung: Was hat sie bei den Vorbereitungskonferenzen für Rio unternommen, um zu einer konkreten und wirksamen Waldkonvention zu kommen? Was hat sie unternommen, um den Beschluß des Deutschen Bundestages vom Oktober 1990 umzusetzen? Bis heute ist keine einzige der Forderungen erfüllt, die das Parlament beschlossen hat. Es gibt kein nationales Aktionsprogramm. Es gibt keine Initiativen zur Einrichtung eines Treuhandfonds. Es ist nichts unternommen, um die TropenwaldForstwirtschaftspläne in Tropenwald-Schutzpläne umzuwandeln. Das alles ist Beschluß des Parlaments. Ich appelliere an Sie, diesen Beschluß endlich umzusetzen. Der Deutsche Bundestag verlangt eine gründliche Reform der verheerenden Tropenwaldpläne, die große Teile der Primärwälder für die industrielle Ausbeutung freigeben.
Die Bundesregierung ist stolz auf ihre Vorreiterrolle. Das betont sie immer wieder. Sie hätte die Chance gehabt, mit einem konkreten Maßnahmenbündel nach Rio zu gehen. Das hätte andere Länder in Zugzwang gebracht. Diese Chance wurde vertan. Das ist zu beklagen.
Ich frage Sie noch einmal, Herr Bundeskanzler: Wie ernst ist das Bekenntnis zum Schutz der tropischen Wälder gemeint, wenn die Bundesregierung nicht einmal bereit ist, bei öffentlichen Bauten in der
Planungshoheit des Bundes auf die Verwendung von Tropenhölzern zu verzichten? Sie haben den Antrag der SPD in Bausch und Bogen abgelehnt. Hier beginnt Glaubwürdigkeit. Hier muß man dieses viel strapazierte Wort einmal verwenden.
Inzwischen haben 140 deutsche und europäische Städte, die im Klimabündnis zusammengeschlossen sind, einen generellen Verzicht auf Tropenhölzer beschlossen. Sie haben sich außerdem verpflichtet, bis zum Jahre 2010 den Ausstoß von CO2 zu halbieren. Das verdient Anerkennung, das verdient Unterstützung.
Im übrigen danke ich der Baukommission des Deutschen Bundestages für den Beschluß, beim Umbau des Reichstages keine Tropenhölzer zu verwenden. Das war ein Vorschlag der SPD, den die Baukommission aufgegriffen hat. Ich finde, das ist außerordentlich anerkennenswert.
({1})
Nötig ist nicht nur eine Konvention zum Schutz der Tropenwälder, sondern eine internationale Waldkonvention, die alle Wälder umfaßt, auch die in den gemäßigten Breiten, auch die borealen Wälder. Solange in Kanada riesige Kahlschläge erfolgen, so lange werden die armen Länder im Tropengürtel der Erde nicht zu überzeugen sein, daß sie ihre Wälder unberührt und ungenutzt lassen sollen. Solange - das soll meine letzte Anmerkung sein - unsere eigenen Wälder in den Mittelgebirgen - im Schwarzwald, im Harz, im Erzgebirge und im Bayerischen Wald - wegen der hohen Schadstoffbelastung zu über 50 krank sind, so lange - ich muß das Wort noch einmal benutzen - steht unsere Glaubwürdigkeit auf tönernen Beinen.
Mit leeren Händen nach Rio zu gehen ist eine schlechte Verhandlungsplattform. Auch hier gilt: Auf internationaler Ebene wird sich nichts bewegen, wenn wir nicht auf nationaler Ebene den Anfang machen. Dazu fordern wir die Bundesregierung auf.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Nun hat die Kollegin Marita Sehn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission Schutz der Erdatmosphäre hat in ihrem ersten Bericht im Vorfeld der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung die Notwendigkeit zum sofortigen ökologischen Handeln klar zum Ausdruck gebracht.
Am Ende dieses Jahrhunderts steht die Menschheit vor der großen Herausforderung, die ökologischen Probleme verantwortungsvoll zu lösen. Erprobte Lösungen sind in der Weltgeschichte bisher nicht zu finden.
Die wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Enquete-Kommission mit dem Schwerpunkt Freisetzung klimarelevanter Spurengase aus dem Energiebereich hat ergeben, daß sich mit großer Wahrscheinlichkeit
bislang nur die Emissionen klimarelevanter Spurengase auswirken, die bereits vor 30 bis 40 Jahren freigesetzt wurden. Die Klimaveränderungen werden sich also in den kommenden Jahren unabänderlich verstärken.
90 % der in den letzten 100 Jahren kumulierten CO2-Emissionen, die den Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehaltes auf das heutige Niveau bewirkt haben, stammen von den Industrieländern. Sie stehen deshalb in besonderer Verantwortung für die Festlegung von wirkungsvollen Maßnahmen zur Reduktion ihrer Emissionsraten. Allerdings können die Entwicklungsländer durch Begrenzung ihres Bevölkerungswachstums ebenfalls einen wirkungsvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Wer den wissenschaftlichen Kenntnisstand trotz der jahrelangen eindringlichen Warnungen der Klimatologen noch immer negiert und politisches Handeln von der weiteren wissenschaftlichen Absicherung abhängig macht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
({0})
Die Vorstellung, die drohenden globalen Klimaveränderungen durch geringfügige, lokal begrenzte Maßnahmen beherrschbar zu machen, wird sich als Irrglaube herausstellen. Es ist Zeit, konstruktiv zu handeln.
Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung im nächsten Monat bietet in naher Zukunft die einmalige Chance zum Eintritt in einen neuartigen Nord-Süd-Dialog. Hier gilt es das Instrument für eine international abgestimmte Neuorientierung der Umwelt- und Entwicklungspolitik zu schaffen. Die von der F.D.P. entwickelten Grundsätze des Verursacher-, Vorsorge- und Kooperationsprinzips müssen auf internationaler Ebene anerkannt werden.
Ohne Zweifel haben die Beratungsergebnisse im Zuge der Vorbereitung der UN-Konferenz die Erwartungen an den Gipfel gedämpft. Die strikte Ablehnung der amerikanischen Seite gegenüber der verbindlichen Festlegung von Mengen- und Zeitzielen zur Reduktion klimarelevanter Spurengasemissionen zeigt deutlich, wie stark nationale Interessen im Vordergrund stehen. Ich bin aber der Auffassung, daß Rückschläge zu Beginn internationaler Verhandlungen - wir stehen im Prozeß der Internationalisierung der Umweltpolitik noch am Anfang - normal sind. Entscheidend ist, daß die Verhandlungspartner trotz aller unterschiedlichen Interessen zu Gesprächen bereit sind.
Auch der Beschluß der EG-Kommission einer kombinierten CO2-Energie-Steuer für den Klimaschutz sollte zu einem bedeutenden europäischen Beitrag für die Klimakonvention der Weltumweltkonferenz in Brasilien werden.
Mit dem Beschluß zur Einführung einer CO2-Energie-Steuer hat die EG-Kommission endlich den von der F.D.P. entwickelten Vorschlag einer Klimaschutzsteuer aufgegriffen. Indem die EG-Kommission die Realisierung ihres Beschlusses von analogen Maßnahmen der USA und Japans abhängig gemacht hat,
vergibt die Gemeinschaft die Chance, ein starkes umweltpolitisches Zeichen gegenüber der Dritten Welt und insbesondere gegenüber den USA und Japan zu setzen.
({1})
Die Eindämmung des Treibhauseffektes wird nur über Energiesparmaßnahmen breitester Art und durch effizientere Energieerzeugung und -nutzung möglich sein. Dieses Ziel ist nicht allein durch gesetzliche Vorschriften zu erreichen. Die F.D.P. setzt sich deshalb seit langem - wie auch in ihrem ökologischen Programm der 90er Jahre nachzulesen - dafür ein, daß das marktwirtschaftliche Lenkungsinstrument des Preises ergänzend hinzukommen muß. Die Preisvorteile herkömmlicher Energieträger gegenüber den erneuerbaren Energien müssen gemindert bzw. beseitigt werden. Die Einbeziehung der Kernenergie in die Klimaschutzsteuer fördert die Markteinführung erneuerbarer Energien.
Klimaschutz bedeutet keinesfalls zwangsläufig wirtschaftliche Nachteile und Verlust von Arbeitsplätzen. Langfristig werden die Schäden durch die Klimaveränderung die Investitionen für den Klimaschutz bei weitem übersteigen.
Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, ihre Position im EG-Ministerrat für eine rasche Realisierung einer zeitlich gestaffelten Klimaschutzsteuer mit einer Stabilisierung im Jahre 2000 auf europäischer Ebene klar zum Ausdruck zu bringen und die Bindung des Beschlusses an die Haltung der USA und Japans entschieden abzulehnen.
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Sollte diese Abkopplung im EG-Ministerrat nicht gelingen, fordere ich die Bundesregierung auf, sich den Vorschlag einer Klimaschutzsteuer zu eigen zu machen und ihn als eigenen Vorschlag an die Adresse der Industrieländer auf dem Umweltgipfel zu präsentieren mit der Zielsetzung, ihn zum Gegenstand einer international verbindlichen Klimakonvention unter Industrieländern zu machen. Im Zuge einer kombinierten CO2-Energie-Steuer sollte auch über die Eröffnung von internationalen Kompensationsmöglichkeiten nachgedacht werden.
Die Bundesregierung muß innerhalb der EG und auch während des Umweltgipfels deutlich machen, daß sie ihr selbst auferlegtes Ziel einer Reduktion der CO2-Emissionen um 25 bis 30 % bis zum Jahre 2005 umsetzen wird.
Weiterhin fordere ich die Bundesregierung auf, die Empfehlung en der Enquete-Kommission aufzugreifen und zusammen mit anderen Industrieländern und einem geeigneten Entwicklungsland, das eine auf sparsamen Umgang mit der Energie bedachte Politik verfolgt, den Bau eines solarthermischen Kraftwerkes im Sonnengürtel der Erde zu beschließen.
Neben Maßnahmen zur Verringerung der CO2- Emissionen müssen der Schutz und die Erhaltung der Wälder weltweit nicht nur als CO2-Senken, sondern auch zur Wahrung der biologischen Artenvielfalt auf diesem Planeten zu unserer besonderen Aufgabe werden.
Wird der Einfluß der außertropischen Wälder auf die globalen Klimaveränderungen zur Zeit von Experten noch als sehr gering bewertet, kann sich dies im Laufe der nächsten Jahrzehnte schnell ändern. Wiederaufforstung auch in unseren Breiten ist notwendig. Nach Angaben der FAO hat sich in der Zeit von 1980 bis 1990 die jährliche Entwaldungsrate um 50 % erhöht. 60 % der Waldzerstörungen in den Tropen beruhen auf der Einwanderung und der vorübergehenden Schaffung neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen.
Etwa die Hälfte des Anstiegs der CO2-Freisetzungen seit Anbeginn der industriellen Revolution geht auf das Konto der Waldrodungen. Waldrodungen wirken sich jedoch nicht nur negativ auf das regionale Klima aus; sie stören nachhaltig den Wasser- und Nährstoffgehalt sowie die Bodenfruchtbarkeit.
Die immer wieder von der SPD aufgestellte Forderung nach einem gesetzlichen Importverbot für Tropenhölzer ist kontraproduktiv, meine Damen und Herren. Nicht ohne Grund hat die Enquete-Kommission Schutz der Erdatmosphäre ein Importverbot für Tropenhölzer abgelehnt. Durch das Importverbot würde das Eigeninteresse der Tropenwaldländer am Erhalt ihres Waldbestandes untergraben. Große Waldflächen würden durch andere Nutzungsformen unwiederbringlich zerstört.
Schutz der Tropenwälder muß deshalb heißen: Stärkung des Eigeninteresses der Tropenwaldländer am langfristigen Erhalt ihrer Wälder durch eine umweltverträgliche Bewirtschaftung, Unterstützung der Tropenwaldländer beim Aufbau einer eigenen holzverarbeitenden Industrie, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Tropenholzes zu ermöglichen und den Export von Rundhölzern zu begrenzen, Bekämpfung von Überbevölkerung und Armut als Hauptursachen für die Tropenwaldvernichtungen. Wirtschaftliche Repressalien gegenüber den Tropenwaldländern - nichts anderes würde ein Importverbot bedeuten - zerstören die ohnehin schon geringe Bereitschaft der Tropenwaldländer, sich aktiv an der Realisierung von Tropenwaldschutzkonzepten zu beteiligen. Die ablehnende Haltung der Tropenwaldländer gegenüber der Einflußnahme der Industrieländer auf ihr nationales Erbe wurde anläßlich der achten Vertragsstaatenkonferenz zum Washingtoner Artenschutzabkommen im März dieses Jahr überdeutlich.
Die von deutschen Holzimporteuren angebotene freiwillige Selbstbeschränkung auf Holzimporte aus wiederaufgeforsteten Waldbeständen schafft einen Anreiz zu einer sinnvollen Tropenwaldforstwirtschaft. Die Bemühungen der Bundesregierung zur EG-weiten und internationalen Ausdehnung der deutschen Initiative werden deshalb von der F.D.P. ausdrücklich begrüßt und unterstützt.
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Meine Damen und Herren, die Liste der ökologischen Problemfelder ist lang. Ich wage es nicht, dem einen oder anderen Punkt oberste Priorität einzuräumen. Ich möchte aber meine Rede nicht beenden, ohne noch kurz auf die FCKW- und Halon-Problematik einzugehen.
Gerade im Bereich der ozonschichtschädigenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe verfügt die internationale Staatengemeinschaft mit dem Montrealer Protokoll bereits über ein Instrumentarium zum Klimaschutz.
Neueste Erkenntnisse machen es notwendig, den Zeithorizont für den Ausstieg aus dem Verbrauch und der Produktion von FCKW und Halonen deutlich vorzuziehen. Bislang gab es jedoch nur den Versuch einer Selbstverpflichtung der deutschen Industrie zum vorzeitigen Ausstieg bis Ende 1993. Überlegungen in der EG und den USA führten zu dem Ausstiegstermin Ende 1995. Diese Überlegungen müssen nun endlich in konkrete Vereinbarungen gefaßt werden. Die Bundesrepublik Deutschland muß durch ihre nationale Entscheidung für einen Ausstieg bis Ende 1993 im Vorfeld der vierten Vertragsstaatenkonferenz zum Montrealer Protokoll in Kopenhagen EG-weit und international den Zeithorizont bei der Revision des Protokolls vorgeben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nun hat die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich eines vorwegschicken: Auch ich begrüße Ihre Erklärung, daß die erste Nachfolgekonferenz von Rio in Berlin bzw. in der Bundesrepublik stattfinden soll. Ich hoffe nur, daß sie nicht - wie die UNO-Menschenrechtskonferenz - aus Geldmangel kurzfristig vorher abgesagt wird.
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Meine Damen und Herren, die Konferenz in Rio soll - ich zitiere - „Strategien und Maßnahmen ausarbeiten, die durch stärkere nationale und internationale Anstrengungen die Auswirkungen der Umweltzerstörung stoppen und umkehren und eine nachhaltige Entwicklung fördern". Von den Vorgaben dieser im Dezember 1989 beschlossenen UN-Resolution ist allerdings nicht mehr viel geblieben. Realistisch erscheint da die Plattform des Forums der brasilianischen Nichtregierungsorganisationen, die den UNCED-Prozeß folgendermaßen einschätzen: „Es ist möglich, daß Rio eine taube Nuß wird, ein Zirkus, wo das Jonglieren mit Worten das Fehlen lebendiger Praxis verschleiert und die Spotlights der politischen Selbstdarstellung die finstere Lage der Welt überstrahlen. " - Kanzler Kohl hat heute ein anschauliches Beispiel dafür geliefert.
Die Hoffnung, erstmals in großem Rahmen die Zusammenhänge zwischen der Armut in den Ländern des Südens, der globalen Umweltkrise und den ressourcenplündernden Ökonomien des Nordens zu diskutieren und Strategien zur Überwindung von Armut und Umweltzerstörung zu entwickeln, hat sich zerschlagen. Wie kaum anders zu erwarten, zeigt sich in den Industrieländern keinerlei Bereitschaft zu einer Politik, die über eine Umstrukturierung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Ländern der Dritten Welt überhaupt erst einmal den nötigen Handlungsspielraum einräumen würde, um den Teufelskreis von Armut und Umweltzerstörung zu durchbrechen. Statt dessen geht es den Ländern des Nordens
zum einen um eine möglichst kostengünstige ökologische Abfederung ihrer verschwenderischen Wirtschaftssysteme, zum anderen um die Sicherung des Zugriffs auf die natürlichen Ressourcen der sogenannten Dritten Welt.
Die Länder des Südens konnten sich nicht durchsetzen mit ihren berechtigten Forderungen nach Verhandlungen über die für sie elementaren Fragen wie globale Wirtschaftsreformen, Anpassung des Nordens, d. h. Maßnahmen für die ökologische und weltwirtschaftlich gerechte Umstrukturierung der Ökonomien der Industrieländer, globale Armutsbekämpfung sowie Schaffung demokratischer Institutionen als Nachfolgemechanismen der UNCED - insbesondere im Finanzbereich -, eines von der Weltbank unabhängigen Fonds. Geleitet von nationalstaatlichen Interessen haben die Industrieländer statt dessen ihren sektoralen Ansatz durchgesetzt, nämlich getrennte Verhandlungen über Konventionen zu Klima, Wäldern und Artenvielfalt.
Von der ursprünglich geplanten Erdcharta bindenden internationalen Rechts - ähnlich der Charta der Menschenrechte, die alle Nationen zur Erhaltung der Lebensgrundlage auf unserem Planeten verpflichten sollte - ist nur noch die sogenannte Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung geblieben, die weder die historische Schuld der Industrieländer noch deren parasitären Charakter benennt und schon gar keinen Ansatz liefert, den immanenten Widerspruch zwischen Umwelt und Entwicklung aufzulösen.
Blättert man in der Fülle von Veröffentlichungen und Erklärungen bundesdeutscher Parteien, Politiker und Politikerinnen in den letzten Wochen, so könnte man glauben, die Damen und Herren redeten von einer gänzlich anderen Veranstaltung. Man stolpert über so schöne Rhetorik wie: „Auf dem Weg zu einer weltweiten Umweltpartnerschaft" ; so der Untertitel einer Veranstaltung der CDU. Wenn das, was der UNCED-Prozeß bisher geboten hat und voraussichtlich noch bieten wird, für die CDU für Partnerschaft steht, so kann man nur froh sein, von dieser Art Partnerschaft verschont zu bleiben.
Herr Töpfer gar rühmte in einem Interview mit dem Süddeutschen Rundfunk die - ich zitiere - „harte und wirklich fordernde Position, wie sie die Bundesregierung vertritt". Welche harte und wirklich fordernde Position kann Herr Töpfer meinen?, frage ich mich. Denn nur zwei Tage zuvor konnte man den Zeitungen entnehmen: „Bundesumweltminister Klaus Töpfer betrachtet den Kompromiß bei der New Yorker Klimakonferenz als Erfolg." - Wie kann die Bundesregierung, die sich anmaßt, eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz einzunehmen, mit einem Ergebnis zufrieden sein, das weder mengenmäßige noch zeitliche Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase vorsieht? Ist es das, was die CDU mit globaler Umweltpartnerschaft meint? Der weltweit größte Umweltverschmutzer, die USA, die alleinverantwortlich für den Ausstoß von 25 % der Treibhausgase sind, erklärt: Weiteres Wirtschaftswachstum und der Erhalt von Arbeitsplätzen müssen Vorrang vor vielleicht überflüssigen Umweltschutzvereinbarungen haben. Mehr als 150 Staaten beugen sich diesem Diktat? Wo, Herr Töpfer, bleibt die harte und wirklich
fordernde Position der Bundesregierung? Hier jedenfalls sind Sie auch heute eine Antwort schuldig geblieben.
Oder ist man in Bonn vielleicht ganz froh über den breiten Rücken des Herrn Bush, hinter dem man sich jetzt verstecken, die Hände in Unschuld waschen und ansonsten alles beim Alten lassen kann? Über den deutschen EG-Industriekommissar Martin Bangemann war jedenfalls zu hören, er habe in vorderster Reihe gestanden, als einige EG-Kommissare die Verhandlungen über die Einführung einer EG-weiten Energiesteuer zu blockieren versuchten.
Die EG-Kommission hat mittlerweile beschlossen, die Einführung einer kombinierten Energie- und CO2-Steuer in den zwölf EG-Ländern vorzuschlagen. Aber auch sie hat schnell den breiten Rücken zum Verstecken gefunden, um ihre vollmundigen Bekundungen nicht umsetzen zu müssen; denn, Herr Kollege Grüner, mit Rücksicht auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der westeuropäischen Industrie könne die Steuer nur dann eingeführt werden, wenn sich wichtige andere Industrieländer auf der Rio-Konferenz zu einem ähnlichen Schritt verpflichteten. Mit den „wichtigen anderen Ländern" sind vor allem die USA gemeint. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Also ein weiterer Akt auf der Bühne für ökologische Wortakrobatik zur Einschläferung des Weltgewissens.
Konzepte zur Reduzierung der klimarelevanten Treibhausgase sowie zur Energieeinsparung gibt es zu Genüge: Gute, weniger gute und schlechte. Allein heute liegen uns acht verschiedene Anträge bzw. Berichte vor. Was fehlt, ist der Wille, diese Konzepte umzusetzen. Verkehrsbedingte CO2-Emissionen z. B. werden Prognosen zufolge bis zum Jahre 2005 weiter drastisch ansteigen, wenn keine grundsätzliche Wende in der Verkehrspolitik stattfindet. Liest man jedoch den ersten gesamtdeutschen Verkehrswegeplan, so wird deutlich, daß von einer Abkehr von der autofixierten Verkehrspolitik nicht die Rede sein kann. Eine mittlerweile deutliche Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung fordert die Einführung eines Tempolimits. Nicht einmal der allseits beliebte Verweis auf eine einheitliche europäische Regelung kann hier als Argument dagegen dienen. Denn es gibt nur eine einzige Ausnahme und das ist die Bundesrepublik.
Aber Herr Krause weigert sich weiterhin hartnäckig - die Automobilindustrie läßt grüßen. Dabei ist mittlerweile schon fast abzusehen, daß das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um 25 bis 30 % zu verringern, nicht zu erreichen sein wird. Übrigens, Herr Kollege Fischer - er ist leider nicht mehr hier -, fällt mir partout nicht ein, wo man Herrn Minister Krause hinschicken könnte, wo er keinen Schaden anrichten kann.
({1}) - Auch Ihnen offensichtlich nicht.
Zum Knackpunkt sämtlicher Verhandlungen in Rio wird die Finanzierung des zur Debatte stehenden Maßnahmenkatalogs werden. Die Industrieländer haben begriffen, daß sie für den Zugriff auf die
natürlichen Ressourcen der Dritten Welt, aber auch für eine zunehmend interessanter werdende Monopolstellung in der Verwaltung von Genen, der Nutzung der globalen Biovielfalt und der Handhabung gentechnischer Forschung etwas springen lassen müssen. Es ist also durchaus damit zu rechnen, daß den Ländern des Südens neue Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Aber selbst die vom UNCED-Sekretariat berechnete Summe von 125 Milliarden Dollar, die einer Einlösung der alten UN-Forderung nach Entwicklungshilfeleistungen der Industrieländer in Höhe von 0,7 % des Bruttosozialprodukts gleichkäme, würde keine Umkehr des negativen Ressourcentransfers bedeuten. Berichte der Vereinten Nationen beziffern den Gesamtverlust des Südens allein für das Jahr 1990 auf rund 200 Milliarden Dollar.
Für eine Aufstockung der Finanzmittel für den globalen Umweltschutz werden die Dritte-Welt-Länder eine weitere Kröte schlucken müssen. Statt eines bei der UNO angesiedelten Grünen Fonds, wie ihn die Entwicklungsländer gefordert haben, wird die Weltbank mit der Verwaltung der erweiterten GEF-Mittel beauftragt werden, eine Institution also, die in der Vergangenheit durch ihre Vergabepolitik den Ländern des Südens sogenannte Strukturanpassungsprogramme aufgenötigt und damit nicht unwesentlich zur Verarmung der dort lebenden Bevölkerung beigetragen hat. So sieht das Zeichen aus, Herr Kollege Lippold, das hier gesetzt wird.
Die wahren Ursachen von Umweltzerstörung und Armut in der Welt müssen endlich beim Namen genannt werden. Es sind nicht die Menschen im Süden, sondern die auf Ausplünderung der Dritten Welt basierenden Ökonomien des Nordens, die sich über die von ihnen diktierten weltwirtschaftlichen Strukturen den Zugriff auf die zur Erhaltung ihres Verschwendungswohlstands notwendigen - endlichen - Ressourcen sichern und sich sehr freigiebig dieser Länder als Müllabladeplätze bedienen. Was heute dringend not tut, ist eine deutliche Trendwende, die dem Wachstums- und Entwicklungsmodell des Nordens auf Kosten des Südens eine klare Absage erteilt. Wir haben nur diese eine Erde. Es ist fünf Minuten vor zwölf.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Hans-Peter Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der UNCED-Prozeß hat weltweit das Bewußtsein dafür geschärft - und die Diskussion am heutigen Vormittag hat dies erneut deutlich gemacht -, daß ohne ein Umsteuern der Art zu wirtschaften und zu konsumieren, wie dies in den Industrienationen nun einmal geschieht, das weltweite Ökosystem auf Dauer keinen Bestand haben wird. Viele Menschen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem viele junge Menschen in unserem Land, haben dies begriffen. Auch zahllose Beispiele von Aktionen in den
Kirchen, in den Schulen, in Jugendgruppen im Vorfeld dieses UNCED-Prozesses beweisen dies.
Ich sage dies deshalb, weil ich mich insbesondere an die Vertreter der Opposition wenden möchte. Ich glaube, diese Menschen gehen mit gutem Beispiel voran. Sie machen uns Mut. Wir sollten uns von ihnen ermutigen lassen, diesen Prozeß voranzutreiben und hier nicht nur Schwarzmalerei demonstrieren.
({0})
Aber - ich glaube, dies muß man bei einer solchen Diskussion selbstkritisch einführen - die Jugend ist auch zunehmend beunruhigt, weil sie spürt, daß wir alle gemeinsam noch auf der Suche nach den richtigen Antworten auf die uns gestellten Herausforderungen sind. Ich meine - ich kann dies zumindest für mich persönlich sagen -, niemand hat uns, auch im Laufe des heutigen Tages, endgültige Antworten geben können, auch nicht die Opposition. Es wäre gut für die Diskussion bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, in unserer Gesellschaft, wenn wir mit diesem Thema ehrlich, aufrichtiger umgingen; ich glaube, wir wären überzeugender, gerade den jungen Menschen gegenüber.
Daß wir uns, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, jetzt im Zusammenhang mit UNCED in Nord und Süd gemeinsam um Lösungen bemühen und daß wir dies ohne die fruchtlosen Konflikte nach dem alten Ost-West-Schema tun können, ist ein wichtiger, ein entscheidender Schritt. So gesehen können wir schon heute feststellen - und ich weiß, daß auch diese Feststellung auf Widerspruch treffen wird -: Die Rio-Konferenz hat den Aufwand gelohnt. Wir sind relativ ambitiös in diesen Prozeß hineingegangen. Bundeskanzler Kohl und Minister Töpfer haben dies heute morgen dargestellt. Aber - und ich glaube, auch dies muß deutlich werden - wir haben es bei der gesamten Konferenz nicht mit einem Datum X im Juni dieses Jahres zu tun, sondern wir haben es mit einem langen Prozeß zu tun.
({1})
Wer sich vor Augen führt, was in den letzten zwei Jahren bei uns in Deutschland, in Europa, im Norden, aber auch in den Entwicklungsländern, an Prozessen, an Umdenken gelungen ist zu bewegen, der muß doch sagen: Hier ist bereits Gewaltiges vorangebracht worden. Wir müssen doch etwas in den Köpfen der Menschen im Süden, im Norden ändern. Dazu brauchen wir Zeit. Deshalb wird die Zeit nach Rio so wichtig sein wie die Zeit vor Rio.
({2})
Herr Kollege Schäfer, wir sollten versuchen, gerade weil wir uns doch in der Analyse einig sind, die Konferenz nicht schon in der innenpolitischen Diskussion im Vorfeld zu zerreden, madig zu machen. Wenn es gelingen soll, alle die Probleme einer Lösung zuzuführen, von denen wir uns einig sind, daß sie einer Lösung bedürfen, dann können dies nicht nur die Umwelt- und die Entwicklungspolitiker, dann kann dies nicht nur der deutsche Bundeskanzler, sondern dann bedarf es eines breiten Konsenses in der
Bevölkerung. Woher wollen denn die jungen Menschen bei uns den Mut hernehmen und Hoffnung schöpfen, daß wir erfolgreich sein könnten, wenn wir schon im Vorfeld die potentiellen Ergebnisse zerreden? Deshalb möchte ich Sie bitten: Argumentieren wir doch nach vorn positiv. Ich glaube, es nützt der Sache.
({3})
In einem Punkt, lieber Kollege Schuster, stimme ich Ihnen zu. Es ist heute schon gewiß: Den bisher erreichten Anteil der Belastungen der Luft mit Treibhausgasen, des Wassers mit Schadstoffen - das wird viel zuwenig diskutiert, auch im Zusammenhang mit der Konferenz von Rio - und des Bodens mit chemischen Rückständen und Abfällen können wir in den Industrieländern nicht auf Dauer aufrechterhalten. Dies wurde heute bereits wiederholt gesagt.
Ich betone es aus entwicklungspolitischer Sicht noch einmal, weil wir wissen, daß dieses Verhalten schon gar nicht zum Vorbild für Milliarden anderer Menschen in den Entwicklungsländern dienen darf. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir unser geballtes Wissen, unsere Phantasie, aber auch unsere mit dem Ende des Kalten Krieges geschaffenen finanziellen Spielräume nutzen, um Wege zu einem wesentlich effizienteren Einsatz von Rohstoffen und Energie aufzuzeigen. Wir brauchen bei uns eine Effizienzrevolution. Die Entwicklungsländer haben unser Wirtschaftssystem bisher kopiert. Sie werden es auch in der Zukunft tun, ob wir wollen oder nicht. Darum haben wir, wie ich meine, die Pflicht, es so zu gestalten, daß es auch weltweit übertragbar ist. Ich glaube, Herr Töpfer hat gerade hierzu eine Reihe von Anmerkungen gemacht, wie dies geschehen könnte.
Ich möchte gern auf Frau Kollegin Hartenstein eingehen, weil sie einige Fragen gestellt hat. Frau Kollegin Hartenstein, Sie haben gefragt: Was tun wir eigentlich im Bereich regenerative Energien? Wir stehen doch auch hier nicht am Anfang und sollten nicht den Eindruck vermitteln, als hätten wir bisher geschlafen. Wir haben gehandelt, was nicht bedeutet, daß wir in Zukunft nicht noch mehr tun müssen.
Wir haben allein in unserer bilateralen Zusammenarbeit mit dem Süden für den Bereich der regenerativen Energien immerhin 430 Millionen DM in Projekten umgesetzt. Wir haben für den Bereich Wasserkraft in der finanziellen Zusammenarbeit 2,6 Milliarden DM eingesetzt, und zwar zunehmend in kleinere umweltverträgliche Projekte. Ich glaube, dies ist ein wichtiger Schritt.
Gestatten Sie bitte, bevor Sie die Zwischenfrage stellen, Frau Kollegin Hartenstein, daß ich auch noch das Thema Waldkonvention anspreche. Sie wissen - machen Sie da der Bundesregierung bitte keinen Vorwurf; wir sind uns da noch einig -, daß wir diese Waldkonvention angestrebt haben, daß wir uns in allen Verhandlungsteilen bemüht haben, diese Konvention zustande zu bringen. Die Tatsache, daß es nicht gelungen ist, lag weder an der Bundesregierung noch an anderen Industrienationen - zumindest nicht in erster Linie -, sondern es lag am Unvermögen der Regierungsvertreter aus dem Süden, die gesagt
haben: Wir sind nicht in der Lage, in diesem kurzen Prozeß jetzt im Hinblick auf die Rio-Konferenz eine dritte Konvention qualitativ seriös zu beraten und zu verabschieden; wir sind aber bereit, im Prozeß nach Rio darauf zuzumarschieren. Dies muß doch unser gemeinsames Bemühen sein. Ich glaube, der Vorwurf ging in die falsche Richtung.
In diesem Zusammenhang sollte noch einmal deutlich werden - die Entwicklungspolitiker in diesem Raum wissen es; den anderen möchte ich es zur Kenntnis geben -: Wir können doch nicht so tun, als ob wir par ordre du mufti den Leuten befehlen könnten: „Ab heute haben wir die Erkenntnis, und ihr macht dies so oder anders! " Wenn wir etwas erreichen wollen, geht dies nur in einem partnerschaftlichen Verfahren. Das heißt, wir müssen unsere Partner davon überzeugen, daß sie ihr Verhalten dort ändern müssen, wo sie Fehler machen. Dazu müssen wir in den Dialog mit ihnen eintreten. Wir spüren immer deutlicher, gerade im Bereich Wald und Waldschutz, wie die Vertreter der Entwicklungsländer darauf pochen, daß sie souveräne Staaten sind, daß wir keine Rechte haben, in ihre Souveränität einzugreifen. Deshalb müssen wir sie gewinnen, und dieses Gewinnen kostet Zeit.
Herr Kollege Repnik, die Zwischenfrage ist also gestattet. Bitte, Frau Kollegin Hartenstein.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Sie haben dem Hause dargelegt, was Sie zur Förderung der regenerativen Energien, insbesondere in den Entwicklungsländern, tun. Können Sie mir bestätigen, daß auf der anderen Seite der Bundesforschungsminister immer noch ein Mehrfaches der Summe, die er für alternative Energien ausgibt, für die Förderung der Kernenergie einschließlich der Kernfusion verwendet; und halten Sie dies für richtig?
({0})
Verehrte Frau Kollegin Hartenstein, ich kann nur sagen, daß wir in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesforschungsminister, weil auch er eine Reihe von Projekten aufgelegt hat, in den vergangenen Jahren den Anteil der Mittel in der Forschung und in der Umsetzung im Gesamtbereich alternativer Energien kräftig erhöht haben und daß wir auch in der Zukunft diesem Bereich eine besondere Priorität beimessen wollen. Auch hier befinden wir uns natürlich in einem Bewußtseinsbildungsprozeß, der aber, wie ich meine, in die richtige Richtung weist und schon eine ganze Reihe von Erfolgen aufweisen kann.
Herr Kollege Repnik, es gibt den zweiten Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von dem Kollegen Grüner.
Gern.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Chance, den Technologietransfer in die Entwicklungsländer und die Förderung erneuerbarer Energien mit Blick auf die UNCED-Konferenz zu symbolisieren, darin sähen, wenn die Bundesregierung den Vorschlag der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" aufgriffe, ein Solarkraftwerk im Sonnengürtel der Erde zusammen mit anderen Industrieländern und einem dafür geeigneten Entwicklungsland zu bauen - als ein verständliches Symbol gerade für die Jugend.
Herr Kollege Grüner, wir haben ja in der Agenda 21 eine ganze Reihe einzelner Themen. Bei diesen Themen spielen ja auch der Technologietransfer und die Energiesituation eine Rolle. Wir werden mit Sicherheit auch durch einzelne symbolische Projekte darstellen können, daß wir die Agenda 21 mit Leben erfüllen werden. Wir sind bei der Suche nach einem geeigneten Standort. Ich kann Ihnen heute nicht zusagen, daß wir fündig werden, wohl aber, daß wir das Thema ernst nehmen und uns um etwas bemühen, was Sinn macht. Sinn machen muß es allerdings; es geht nicht an, einen weißen Elefanten irgendwohin zu stellen. Ich bin ganz sicher, daß wir, wenn wir einen Standort und ein Projekt finden, im Sinn des Vorschlags der Enquete-Kommission zu einem Ergebnis kommen werden. An unserem Bemühen soll es nicht fehlen.
Herr Kollege Repnik, ich würde noch eine dritte Zwischenfrage zulassen, wenn auch Sie es tun, nämlich eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth.
Gern.
Ich möchte da anschließen. Wir haben in der Enquete-Kommission einen Vorschlag zu dem Solarkraftwerk im Sonnengürtel gemacht und haben das auch mit Industrievertretern besprochen, die das befürworten und durchführen würden. Leider stellte sich dabei heraus, daß das vom Entwicklungsministerium, vom Forschungsministerium und vom Wirtschaftsministerium aus jeweils unterschiedlichen Gründen nicht aufgegriffen werden konnte, weil es den Richtlinien der Ministerien nicht entspricht. Würden Sie es nicht für sinnvoll halten, wenn der Bundeskanzler, statt mit leeren Händen nach Rio zu gehen, dieses Projekt aufgriffe und Möglichkeiten zur Realisierung dieses Projektes auch aus dem Entwicklungsministerium fände?
Frau Kollegin Ganseforth, der Bundeskanzler wird nicht mit leeren Händen nach Rio fahren. Das ist heute morgen deutlich geworden.
({0})
Wir werden im Bereich der globalen Umweltfazilität unseren Beitrag leisten, übrigens - das ist ganz wichtig - auch zum Zustandekommen der Klimakonvention. Wir werden im Blick auf die Agenda 21 ein Paket vorlegen. Wir machen uns Gedanken darüber, wie man mit anderen gemeinsam - auch dies hat der Bundeskanzler ja gesagt - an das Thema Schuldenerlaß herangehen muß. Seien Sie versichert, daß wir nicht nur platonisch, sondern mit ganz handfesten konkreten Aussagen nach Rio fahren.
Wir werden mit Sicherheit nicht mit einem Projekt, wie Sie es vorhin erwähnt haben, in Rio auftreten. Ich sage noch einmal: Auf Grund langer entwicklungspolitischer Erfahrung halte ich gar nichts davon, ein Projekt symbolisch, beispielhaft irgendwohin in die Welt zu stellen. Die Erfahrung hat uns doch gezeigt, daß gerade technisch schwierige Projekte mit schwieriger Akzeptanz bei der Bevölkerung in aller Regel zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie nicht langfristig vorbereitet sind. Deshalb bedarf ein Projekt, wie es die Enquete-Kommission hier dargestellt hat, einer sehr langfristigen Vorbereitung, einer sehr sorgfältigen Standortauswahl und einer entsprechenden Partnerauswahl. Das können Sie nicht einfach von heute auf morgen aus den Ärmeln schütteln. Dafür bitte ich um Verständnis.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte durchaus selbstkritisch einfügen - weil wir das bei uns in der innenpolitischen Diskussion immer wieder hören; ein paarmal zumindest ist es heute morgen auch hier angeklungen -: In schwierigen Situationen neigen die Menschen dazu, zunächst danach zu fragen, was andere - in dem Fall der Süden - zur Lösung beitragen können. Und die Forderungen sind ja auch richtig: Schützt die Tropenwälder mit ihrem unermeßlichen Artenreichtum und ihrer Klimafunktion! Bremst - auch das wurde heute morgen gesagt - das Bevölkerungswachstum! Macht nicht unsere Fehler beim unbeschränkten Energieverbrauch! Es liegt in unser aller langfristigem Interesse an der Überlebensfähigkeit dieses Planeten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Vertreter der Länder des Südens sehen das natürlich anders. Ihr Interesse ist es häufig, zunächst einmal den nächsten Tag zu überleben. Das ist für 1 Milliarde Menschen durchaus ungewiß. Sie leben in absoluter Armut. 40 000 Kinder - das im Blick zu haben ist wichtig, wenn wir über Rio sprechen - sterben in den Entwicklungsländern täglich an Hunger und vermeidbaren Krankheiten. Deshalb pochen die Entwicklungsländer - wie ich meine, zu Recht - natürlich auch auf ein Recht zur Entwicklung. Erst dann wollen sie - das ist unser täglich Brot und Geschäft - über Umwelt sprechen. Auch das ist, meine ich, verständlich.
Aber heute wissen wir, daß dies kein EntwederOder sein muß. Der gerade von der Weltbank vorgelegte Weltentwicklungsbericht - ich möchte ihn im Gegensatz zum Kollegen Fischer in diesem Punkt positiv zitieren - macht deutlich, daß Wachstum, Entwicklung und Wohlstandsmehrung bei gleichzeitiger Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen durch richtige und rechtzeitige Weichenstellungen möglich sind. Allerdings wissen wir auch - da möchte
ich auf Sie noch einmal eingehen, Herr Kollege Hauchler -, daß Armutsbekämpfung im Mittelpunkt all unseres Tuns stehen muß. Das ist auch unsere Strategie; denn Armut ist das größte Umweltgift im Süden. Und im übrigen führt Armut zu einer beschleunigten Bevölkerungsentwicklung.
Wesentlich ist der Einsatz geeigneter ökonomischer Instrumente und wirtschaftlicher Anreizsysteme, die das Verhalten der Menschen im Süden beeinflussen. Ich glaube, wir würden nicht richtig handeln, wenn wir in einer solchen Debatte wie heute morgen nicht auch die Verantwortung des Südens ansprechen würden. All unser Bemühen würde erfolglos bleiben, wenn der Süden nicht bereit ist, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. Er muß rechtliche, er muß soziale, er muß umweltpolitische Rahmenbedingungen setzen. Wenn das nicht geschieht, dann hat auch die ganze Hilfe keinen Sinn.
Herr Kollege Hauchler, nicht „spätestens in Rio" müssen wir beginnen, wie Sie es gefordert haben. Der größere Teil dessen, was in der Agenda 21, die in Rio verabschiedet werden wird, angesprochen ist, ist Gegenstand unseres tagtäglichen entwicklungspolitischen Handelns. Vieles davon haben wir eingeführt. Gerade der UNCED-Prozeß hat deutlich gemacht, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Entwicklungszusammenarbeit auf einem guten und richtigen Wege ist. Wir wollen dort weitermachen.
Auch in einem anderen Bereich sind wir durchaus vorbildlich. Wir waren eines der ersten Länder, das eine konsequente Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt hat. Mittlerweile nutzt auch die Weltbank dieses Instrument, mittlerweile haben es viele andere Geber. Das heißt: Beispiel gebend haben wir vieles bewirkt.
Die Einbindung von Projekten in nationale Strategien nachhaltiger Entwicklung, vor allen Dingen in Afrika, ist doch auch ein Ergebnis unseres gemeinsamen Bemühens. Auch deshalb sollten wir den Prozeß positiv und nicht negativ begleiten. Wir haben in unserer Rahmenplanung '92 mittlerweile 27 % unserer gesamten Ausgaben für umwelt- und ressourcenschonende Projekte eingesetzt. Das ist doch eine ganz vorzügliche Entwicklung, und 300 Millionen DM Zusagen für Walderhaltung und Forstentwicklung, die wir gemeinsam mit den betroffenen Menschen machen wollen, sollten uns Mut machen.
Ich möchte heute morgen aus meiner Sicht die Opposition, aber auch alle Gruppierungen, die Umweltverbände, die an diesem Thema interessiert sind, einladen, so wie dies in den letzten Monaten geschehen ist, im nationalen Komitee zur Vorbereitung der Rio-Konferenz weiterhin mitzumachen, uns kritisch, aber konstruktiv zu begleiten. Mitmachen, Kollege Schäfer, nicht miesmachen! Nur dann werden wir eine Chance haben.
({1})
Wir sollten es nicht den Lemmingen nachmachen, Herr Kollege Hauchler, sondern mit gutem Beispiel vorangehen.
({2})
Dann bin ich sicher, daß wir die Chance haben werden, die große Zukunftsaufgabe, die in Rio auf der Tagesordnung steht, verantwortlich zu meistern.
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Bevor ich unsere nächste Rednerin aufrufe, habe ich die Freude, auf der Ehrentribüne eine Delegation des ungarischen Parlaments, und zwar seines Umweltausschusses, mit seinem Vorsitzenden, Herrn Dr. Nandor Rott, begrüßen zu können. Wir freuen uns, daß Sie hier unserer Debatte beiwohnen, und begrüßen Sie herzlich bei uns.
({0})
Außerdem möchte ich die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, daß wir mit unserer Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt eventuell etwas vor der Zeit fertig werden könnten und daß dann ohne Mittagspause der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen wird.
Nun hat das Wort Frau Kollegin Professor Monika Ganseforth.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Herr Repnik hat davon gesprochen, daß Dritte-Welt-Gruppen uns Mut machen können und daß sich einzelne sehr engagiert bemühen, die Situation zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern auf eine faire Basis zu stellen. Ich hatte gerade so eine Besuchergruppe vorletzte Woche in Bonn. Ich muß Ihnen sagen: Die haben mir zwar Mut gemacht, aber sie sind ziemlich deprimiert weggegangen, vor allem nach dem Gespräch im Entwicklungshilfeministerium. Das war sehr ernüchternd, und ihnen ist klargeworden, warum manches so schwierig ist. Ich denke, das Engagement auf der einen Seite muß aufgegriffen werden, aber auf der anderen Seite, auf der Seite der Politik, müssen Strukturen geschaffen werden, und daran fehlt es häufig.
({0})
Herr Repnik, Sie sagen außerdem - ich finde, man muß da schon sehr bescheiden geworden sein -: Rio hat sich gelohnt. Wir haben große Erwartungen damit verbunden und haben gehofft, daß die Chance genutzt wird, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, mindestens anzupacken und einen großen Schritt vorwärtszugehen. Wenn man sieht, wie im Vorfeld an jeder Stelle immer wieder gezögert wurde und dann doch nicht gewagt wurde, einen Schritt vorwärtszugehen, sei es auf nationaler, auf europäischer oder auf internationaler Ebene und vor allen Dingen auf Seiten der Industrienationen, dann muß man schon sehr bescheiden sein, wenn man dieses Ergebnis begrüßt. Mitmachen ist sicher weiterhin nötig, weil die Probleme da sind und wir sehen müssen, wie wir zu Lösungen kommen. Wir können
nicht resignieren und aufhören zu kämpfen; aber ein Erfolg ist das nicht.
Wir haben uns in der Enquete-Kommission Schutz der Erdatmosphäre noch im Vorfeld vereinbart und gesagt: Wir wollen noch einmal einen Impuls für Rio geben; wir wollen einen Bericht machen, in dem wir auf die Gefahren hinweisen und das aufschreiben und zusammenfassen, was wir wissen. Unser Bericht heißt: „Klimaänderung gefährdet Entwicklung - Zukunft sichern! Jetzt handeln!" Alles wichtig, alles richtig. Wir wollten damit auch deutlich machen, daß es keine Ausreden mehr gibt, nicht zu handeln, daß die Forschungsergebnisse so erhärtet sind, daß die Beweise für auf uns zukommende Klimaveränderungen erdrückend sind. Wir haben vor allen Dingen auf der Zeitschiene enorme Probleme; denn das, was wir heute machen, wirkt sich in den nachfolgenden Generationen aus.
Der Mensch hat in einem ungemein großen Ausmaß in das komplizierte Räderwerk des Klimas eingegriffen. Ozeane, Atmosphäre, Wolken und Wind wirken zusammen und sind hochgradig gestört. Das Klima läuft aus dem Ruder. Die Anfänge sind deutlich zu sehen. Die genauen Auswirkungen kennen wir nicht, vor allen Dingen nicht bis in jedes Detail; aber wir wissen genug, um sagen zu müssen: Es muß gehandelt werden; es ist unverantwortlich, weiter CO2, FCKW, Methan, Distickstoffoxid und andere Stoffe in die Atmosphäre zu emittieren. Wenn wir ganz genau wissen, wie die Zusammenhänge sind, ist es zu spät. Wir befinden uns in einem riesigen Experiment. Die Beweise erhärten sich. Die regionalen Auswirkungen in jedem Detail wird man aber erst wissen, wenn man nicht mehr eingreifen kann. Wir befinden uns also im Wettlauf mit der Zeit.
Es ist unverantwortlich, daß immer wieder Schlupflöcher und Ausreden gesucht werden, daß der Schwarze Peter weitergegeben wird und keine Klimaschutzpolitik - die den Namen verdient - eingeleitet wird. Dabei ist es so: Auch das Nichtstun ist teuer, sehr teuer.
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Wir haben beispielsweise gehört, daß die Häufigkeit und das Schadensausmaß der Umweltkatastrophen drastisch zugenommen haben. Während in den 60er Jahren 14 Katastrophen gezählt wurden, waren es in den 80er Jahren fünfmal so viel, nämlich 70 Katastrophen.
Wer Kosten beklagt, die durch vorbeugende Klimaschutzpolitik entstehen, muß wissen, welche Kosten entstehen, wenn Klimaschutzpolitik nicht eingeleitet wird. Das fehlt in der nationalen und in der internationalen Diskussion völlig.
In unserem Bericht haben wir gesagt, daß man international handeln muß. Das bringt natürlich mehr. Es kann aber nur überzeugend sein, wenn einzelne Länder, die dazu wirtschaftlich, technisch und politisch in der Lage sind, zeigen, daß es geht und wie es geht. Hier ist die Bundesrepublik gefragt. Es gibt einige Länder, die sich ehrgeizige Ziele gesetzt haben, wir sind es nicht allein: Österreich, Dänemark, Neuseeland, Australien, die Niederlande, Italien und die Bundesrepublik Deutschland haben Ziele benannt. Das Benennen von Zielen ist die eine Seite, das Realisieren jedoch eine zweite. Unsere nachfolgenden Generationen werden uns jedoch nicht an unseren Aussagen und Ansprüchen messen, sondern sie werden uns an dem messen, was wir getan haben und was wir durchgesetzt haben.
Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zu meiner Redezeit; da kann etwas nicht stimmen. Die Uhr steht auf Null, ich habe aber 8 Minuten Redezeit.
Das ist richtig, Frau Kollegin, ich werde es prüfen lassen.
Wir haben große nationale Aussagen gemacht; woran es fehlt ist die Durchsetzung. Die Ziele - das muß man noch einmal sagen; es ist schon gesagt worden -, die die Regierung zugesagt hat, sind auf der Grundlage der Erarbeitung der Enquete-Kommission und auf der Grundlage der Bundestagsbeschlüsse entstanden. Die 25%ige CO2- Reduzierung bis zum Jahr 2005 ging uns nicht weit genug. Immerhin: Wenn sie angepackt würde, wäre sie schon ein großer Schritt in die richtige Richtung. Leider ist es aber bei diesen Aussagen geblieben.
Die Städte des Klimabündnisses haben für sich selbst weitergehende Ziele formuliert. Wir hatten in der letzten Woche ein Gespräch mit Vertretern dieser Städte, die sehr beklagen, daß die Rahmenbedingungen bei der Durchsetzung der Klimaschutzpolitik in den Kommunen und für den einzelnen so schwierig sind. Wie sollen z. B. die notwendigen Energiesparpotentiale aktiviert und in einem Energiemarkt mobilisiert werden, auf dem ein Überangebot besteht? Wie sollen regenerative Energien durchgesetzt werden, wenn die Energiepreise und die Randbedingungen nicht stimmen? Die Energieversorgungsstrukturen, die zentral und angebotsorientiert sind und von Monopolen beherrscht werden, verhindern die notwendigen Umstrukturierungen.
Auf europäischer Ebene findet sogar eine gewaltige Liberalisierung des Energiemarktes statt, die genau das Gegenteil bewirkt. Sie baut nämlich Schwierigkeiten und Hürden für Energiesparpotentiale, für regenerative Energien, für Kraft-Wärme-Kopplung, für alles, was nötig ist, auf.
({0})
Energiesparinvestitionen, die sich langfristig amortisieren, brauchen Anreize. Es muß steuerliche Anreize geben, die es bis zum Ende des letzten Jahres noch gegeben hat. Der Ausstieg aus der FCKW- Produktion und -Anwendung muß sofort erfolgen. Wir haben heute auch einen Antrag, endlich aus der FCKW-Produktion auszusteigen, vorliegen; das muß gemacht und mit Nachdruck betrieben werden.
Die notwendige Verkehrswende muß eingeleitet werden. Die Städte fragen: Wie sollen wir eine Verkehrspolitik machen, wenn die Rahmenbedingungen den Individualverkehr an allen Stellen fördern und der Schienenverkehr, das Fahrrad, der öffentliche Nahverkehr überall hinterherhinken und in dieser Konkurrenz nur Nachteile erleben?
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Es bedarf einer glaubwürdigen nationalen Ausstiegspolitik sowohl in bezug auf die Emission von FCKW, CO2, Methan als auch alle Emissionen, die zum Treibhauseffekt und zum Ozonabbau beitragen, auf nationaler und internationaler Ebene. Das geht nicht zum Nulltarif, doch Nichtstun kostet auch etwas.
Es ist die Verantwortung und die Aufgabe der Politik, diese erkannten Gefahren nicht zu verdrängen, sondern nach Lösungen zu suchen. Wir werden nicht an unseren guten Absichten gemessen, wir werden an dem gemessen, was wir getan haben. Und das ist noch nicht viel!
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bereitschaft aller im Hause vertretenen politischen Kräfte, irgend etwas gegen die weitere Umweltzerstörung und zum Schutz insbesondere der Erdatmosphäre zu tun, ist nicht bestreitbar. Allerdings, die hier und heute konkret vorgeschlagenen Maßnahmen sind notwendig, bei weitem aber nicht hinreichend. Immer noch wird zu sehr nach dem Muster verfahren: Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht naß!
Obwohl die Bevölkerung in weiten Bereichen zu Opfern bereit ist, wird mit der schmerzhaften Wahrheit nach wie vor hinter dem Berg gehalten. Die schmerzhafte Wahrheit lautet: Wir können, wenn wir für unsere Kinder und Enkel, von denen wir die Erde und auch die Erdatmosphäre nur geborgt haben, das Überleben sichern wollen, nicht weiter so verbrauchen, insbesondere nicht weiter so herumrasen, vor allem aber auch nicht weiter so produzieren wie bisher.
Daran insbesondere gebricht es den hier und heute vorgelegten und diskutierten Vorschlägen. Wir müssen die Produktion und die Art und Weise, wie wir produzieren, verändern, zum Teil grundlegend verändern, ja in bestimmten Bereichen, z. B. dort, wo giftige und hochgiftige Stoffe als Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe eingesetzt werden und für die keine Ersatzstoffe gefunden sind oder gefunden werden können, auf die entsprechenden Produktionslinien verzichten. Wie z. B. der BUND fordert, sind derartige ökologische Produktionsanalysen aber erst einmal als verbindliches Element unternehmerischer Investitionsentscheidungen überhaupt einzuführen.
Die Forderung von Bündnis 90/GRÜNE nach dem sofortigen Verbot der Produktion, der Verwendung, des Imports und des Exports von Fluorkohlenwasserstoffen, aller vollhalogenierten FCKW, aller Halone, aller teilhalogenisierten FCKW, aller sonstigen klimaschädlichen FCKW und von bestimmten Chlorwasserstoffen ist voll zu unterstützen. Dahinter steht allerdings die weitergehende Notwendigkeit, die herrschende Produktionslogik und im Grunde auch die herrschende Wirtschaftslogik, die Logik des „immer mehr" und „immer schneller" außer Kraft zu setzen.
Im Rahmen dieses kurzen Redebeitrages können nur einige Punkte angesprochen werden: Um z. B. neue Produktionsrekorde mit immer schnelleren Maschinen zu erreichen, müssen zunehmend umweltbelastende Stoffe eingesetzt werden.
Nach einer Befragung der IG Metall klagen die Kolleginnen und Kollegen in der Metallverarbeitung inzwischen nicht mehr so sehr über schwere körperliche Kraftanstrengungen, sondern vor allem über Belastungen durch Stäube, Flüssigkeiten, Dämpfe und Gase - Dämpfe und Gase, die eben auch, wie im Falle der Fluorchlorkohlenwasserstoffe die Erdatmosphäre belasten oder gar zerstören.
Eine von High-Tech, von Spitzentechnologien geprägte Wirtschaft ist im übrigen auch - das sei an der Stelle angemerkt - wegen der hohen notwendigen Kapitalintensität ökologisch nicht unproblematisch; denn schon wegen der gerade gegenwärtig rapide steigenden notwendigen Kapitalintensität in der modernen Produktion muß immer mehr und immer schneller produziert werden. Und dann treten die Effekte ein, über die wir heute diskutieren.
Also nicht nur die stoffliche Struktur der Produktion, der Verfahren, der Produkte, der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sind unter ökologischen Gesichtspunkten zu analysieren und entsprechende Veränderungen in die Wege zu leiten, sondern auch die ökonomische Zwangsdynamik, das unaufhörliche Zwangswachstum der kapitalistischen Marktwirtschaft sind einzudämmen bzw. in wesentlichen Bereichen außer Kraft zu setzen.
Was nützen Energieeinsparung, effizienterer Ressourceneinsatz, die Reduzierung der CO2-Emissionen, wenn z. B. durch die Verdoppelung des Bruttosozialprodukts in den nächsten 20 oder 25 Jahren das Gesamtemissionsvolumen wiederhergestellt oder gar überholt wird? Was nützen neue Umwelttechnologien, wenn zur Realisierung dieser Technologien z. B. fensterlose, klimatisierte Fabriken notwendig sind, die den Energieverbrauch natürlich hochdrücken? Klimatisiert werden diese Fabriken - das sei angemerkt - übrigens nicht der Arbeiter und Arbeiterinnen wegen, sondern wegen der Hochpräzisionsmaschinerie, die computergesteuert in solchen Fabriken eingesetzt wird.
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Die treibende Kraft hinter dieser Zwangswachstumsdynamik ist nichts anderes als das der kapitalistischen Marktwirtschaft innewohnende und vor allen anderen Zielen rangierende Ziel des Gewinn- und Kapitalwachstums. Das ist keine dogmatische Aussage, sondern alltägliche betriebliche Praxis in der Marktwirtschaft. Ein Betriebskapital, das zehn Jahre lang mit nur 7 % - das ist eine bescheidene Annahme - intern verzinst wird, verdoppelt sich in diesem Zeitraum. Zu dieser Verdoppelung ist im Regelfall eben auch eine weitere erhebliche Ausdehnung der Produktion und in der Konsequenz auch der Verbräuche notwendig.
Auf Gedeih und Verderb - bei Strafe des Untergangs - müssen die Betriebe die Umsätze und die Produktion steigern, damit die Vermögen wachsen 7612
I zunehmend zu Lasten der Umwelt und gerade auch der Erdatmosphäre. Das ist ja das Problem hier. Und das, obwohl wir in Deutschland heute in einer Stunde ungefähr so viel produzieren wie Ende der 40er Jahre an einem ganzen Tag. Und das, obwohl wir wohl noch in diesem Jahrhundert in Deutschland - trotz der Probleme im Osten - im volkswirtschaftlichen Durchschnitt die Schallmauer von 100 000 DM Produktionsleistung pro Arbeitsplatz im Jahr durchbrechen werden.
Aus diesen und vielen, im einzelnen jetzt gar nicht mehr ansprechbaren Gründen möchte ich daher einige weitere, über die bisherige Diskussion hinausgehende unabweisbare Notwendigkeiten für die Lösung der Klimaproblematik stichwortartig anführen. Dazu gehören erstens weitere Arbeitszeitverkürzungen. Nicht geleistete Arbeitsstunden, radikale Arbeitszeitverkürzungen können ein ganz nachhaltiger Beitrag zur Bekämpfung der Klimakatastrophe sein unter der Voraussetzung - das muß man dabei immer sehen - einer sozialen und ökologischen Analyse sowie Beherrschung der Produktion in der verbleibenden Arbeitszeit.
Zweitens. Den Kolleginnen und Kollegen an ihren Arbeitsplätzen, den Betriebs- und Personalräten, den demokratisch gewählten Interessenvertretungen der Beschäftigten, der wirklichen Leistungsträger dieser Gesellschaft, muß ein umfassendes ökologisches Mitbestimmungsrecht bis hin zum Arbeitsverweigerungsrecht bei gesundheitlich und ökologisch schädlichen neuen Verfahren und Produkten eingeräumt werden. Eine Forderung, die die IG Metall im Bezirk Stuttgart bereits vor etwa zehn Jahren erhoben hat. Die ökologische Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes - 40 Jahre nach dem ersten Betriebsverfassungsgesetz und 20 Jahre nach der ersten umfassenden Reform - ist überfällig.
Drittens. Der geringe Anteil des Umweltetats am Bundeshaushalt ist ein Treppenwitz. Es müssen umfangreichere Mittel, gesteigert um mehrere Größenordnungen, für ökologische Produkt- und Verfahrenskonversionen, für Forschungs-, Beratungs- und Umsetzungsaktivitäten gerade auch im Bereich kleinerer und mittlerer Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Nach dem ersatzlosen Wegfall des traditionellen Feindes im Osten könnten dafür im Prinzip mehrere Milliarden D-Mark - wenn wir wollen, sogar 20 oder mehr Milliarden - aus dem Rüstungsetat zur Verfügung gestellt werden.
Viertens. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Forschungs- und Technologiepolitik von Bund und Ländern zu. Organisationen wie der Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fordern deshalb zurecht und mit sehr konkreten Vorschlägen eine umfassende Ökologisierung dieses Politikbereichs.
Abschließend möchte ich Sie in diesem Zusammenhang auf die Vorschläge der Arbeitsgruppe „Ökologische Wirtschaftspolitik" für ein Aktionsprogramm der Bundesregierung mit dem Titel „Klimaschutz braucht Taten statt große Worte" hinweisen. Klimaschutz braucht Taten statt große Worte - ich glaube, das ist hier und heute die richtige Devise.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedrich.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Briefs hat jetzt das Klagelied über die bösen Kapitalisten gesungen. Er hat beklagt, daß wir im Umweltetat relativ wenige Haushaltsmittel bereithalten. Herr Kollege Briefs, das hat seinen Grund darin, daß wir verursachergerechte Umweltpolitik machen. Wenn es irgendwo in der Wirtschaft Umweltprobleme gibt, sind wir nicht bereit, dies mit Haushaltsmitteln zu finanzieren. Wir legen vielmehr die Lasten denjenigen auf, die die Probleme verursachen. Wenn Sie das einmal gelernt haben, dann können wir uns weiter unterhalten.
Ich möchte jetzt nicht das fortsetzen, was viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner gemacht haben, nämlich der Bundesregierung weitere Ratschläge für die Konferenz in Rio zu erteilen. Wir müssen feststellen, daß wir eigentlich ein breites Einvernehmen darüber haben, was notwendig wäre, daß wir uns aber international, zumindest kurzfristig, leider nicht voll durchsetzen können. Es hat keinen Sinn, die Bundesregierung zu kritisieren, weil sie für ihre Vorschläge international auf großen Konferenzen keine Mehrheit bekommt.
Ich möchte ein bißchen auf unsere innerstaatliche Diskussion eingehen. Da gibt es einige Meinungsverschiedenheiten, die vielleicht heute nicht deutlich geworden sind, weil überwiegend Umweltpolitiker geredet haben. Auch uns fällt natürlich auf - einige Kollegen der SPD haben das angesprochen -, daß es interministerielle Arbeitsgruppen gibt, die Maßnahmenkataloge erarbeiten und diese in Sachen CO2-Programm immer mehr verfeinern, daß wir das Ziel, auf das wir uns geeinigt haben, nämlich die Reduktion um mindestens 25 % bis zum Jahre 2005, immer wieder bekräftigen, daß es aber beim Vollzug dieses Maßnahmenkataloges noch hakt. Darüber müssen wir offen und ehrlich reden. Diese Ursachen sind aber heute nicht so zum Ausdruck gekommen, weil, wie gesagt, überwiegend Umweltpolitiker gesprochen haben.
Wir müssen uns noch mit denjenigen auseinandersetzen und bei ihnen noch Überzeugungsarbeit leisten, die Bedenken gegen das Instrument der Umweltabgaben haben; diese gibt es. Diejenigen, die sich in der Wirtschaft Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland machen, wehren sich natürlich zur Zeit gegen alle zusätzlichen finanziellen Lasten. Wir stellen dann aber ganz erstaunt fest, wieviel Masse noch zur Verfügung steht, wenn man bei Tarifverhandlungen zu Abschlüssen kommen muß. Es darf nicht so sein, daß erst Tarifpolitik gemacht wird, daß dann die Sozialpolitik sozusagen befriedigt wird und daß dann am Ende die Umweltpolitik hinten herunterfällt.
Es gibt auch bei uns Wirtschafts- und Finanzpolitiker, die angemessene Rahmenbedingungen für die Wirtschaft an möglichst niedrigen Abgabequoten
messen; das ist auch nicht grundlegend falsch. Wirtschafts- und Finanzpolitiker haben festgestellt, daß sie anläßlich der Probleme der deutschen Einheit zu einem eigenen Sündenfall gezwungen wurden, nämlich Steuern zu erhöhen. Sie möchten jetzt, daß wir durch Umweltabgaben diese Abgabenstatistik nicht noch zusätzlich verschlechtern.
Es besteht ein bißchen die Gefahr - dagegen müssen wir uns wehren -, daß das Problem der Klimaveränderungen nur ein Thema für wirtschaftliche Schönwetterperioden ist.
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Wenn wir wenigstens unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge - es gibt ja Leute, die von den wissenschaftlichen Gutachten noch nicht so überzeugt sind - Handlungsbedarf akzeptieren, müssen wir etwas unternehmen. Dann bleiben eigentlich nur das Ordnungsrecht oder Abgabenlösungen.
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Was, glaube ich, Wirtschafts- und Finanzpolitiker noch nicht ganz erkennen ist, daß das Ordnungsrecht zwar von den Abgabenquoten statistisch nicht erfaßt wird, daß es aber im Vollzug trotzdem sehr teuer ist. Wir haben immer wieder Verbandsgespräche geführt und sehr lange Klagelieder über das teuere und nicht flexible Ordnungsrecht gehört. Ich wundere mich manchmal, daß diejenigen, die das Ordnungsrecht so kritisiert haben, jetzt gegen die Abgaben so vehement vorgehen. Entweder oder, das ist die eigentliche Alternative. Wer sich zu diesem Entweder-Oder äußert, wer hier Ratschläge erteilt, der kann wirklich mit unserer Aufmerksamkeit rechnen. Hier sind wir nicht festgelegt.
Aber noch einmal: Wer Handlungsbedarf bejaht - das machen auch große Industriekonzerne -, der hat im Grunde genommen schon zusätzliche Belastungen auch für die Wirtschaft akzeptiert, weil auch das Ordnungsrecht sehr teuer ist.
Herr Abgeordneter, Sie sind bereit? - Bitte sehr, Frau Abgeordnete Ganseforth.
Herr Friedrich, ich fand sehr interessant, was Sie gesagt haben. Wissen Sie, daß die Energiepreise in Japan viel höher als bei uns sind und daß das dem Industriestandort Japan nicht geschadet hat, daß aber die Energiepreise in den USA extrem niedrig sind, daß das aber nicht zur Produktivitätssteigerung beigetragen hat, daß also dieses Argument gegen Abgaben zumindest partiell durchaus zu entkräften ist?
Frau Kollegin Ganseforth, wir sind uns wirklich darin einig, daß die Verteuerung des Energieverbrauchs ein Beitrag ist, um das CO2-Problem zu lösen. Ich werde allerdings nachher in meiner Rede noch kurz auf die Frage eingehen, ob die Energiesteuer, die jetzt, zum Teil wenigstens, auf europäischer Ebene erarbeitet wird, die optimale Lösung ist. Wir hätten es eigentlich
lieber, daß man sich auch europaweit auf eine reine CO2-Abgabe beschränkt, weil dieses Instrument sehr viel treffsicherer ist.
Wenn wir uns für marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik einsetzen - ganz besonders auf dem Gebiet der Klimapolitik -, dann hat das auch noch einen weiteren Grund, den ich kurz erwähnen möchte: Wenn es richtig ist, daß Ordnungsrecht und Umweltabgaben eine Alternative darstellen, sollte man die Umweltabgaben vor allem in einem Bereich einsetzen, wo Ordnungsrecht noch nicht stört. Wir haben schon bei sehr vielen Schadstoffen ein sehr dichtes Netz von ordnungsrechtlichen Vorschriften. Es wird uns zu Recht immer wieder entgegengehalten: Wenn ihr menschliches Verhalten schon so stark durch Ordnungsrecht steuert, wo ist denn dann überhaupt noch etwas durch Abgaben zu lenken?
Im CO2-Bereich gibt es kein Ordnungsrecht. Es ist sozusagen ein ideales Anwendungsfeld für marktwirtschaftliche und finanzielle Instrumente. Ich fürchte, wenn wir es nicht schaffen, in dem Bereich der Klimapolitik die Abgabenpolitik zu erproben, dann können wir die Anwendung von Abgaben in anderen Bereichen erst recht vergessen.
Bei unserer nationalen Diskussion gab es dann noch einen Hinweis - dem sind wir gefolgt; meine Partei hat entsprechende Beschlüsse gefaßt -, daß Abgaben möglichst harmonisiert werden sollten, zumindest auf EG-Ebene. Da es hier um ein globales Umweltproblem geht, akzeptieren wir dieses Ziel der internationalen Harmonisierung. Das ist allerdings kein spezielles Argument gegen Abgaben. Auch wenn es um Wirtschaftsstandorte und um Wettbewerbsnachteile geht, ist es immer wünschenswert, daß auch Ordnungsrecht harmonisiert wird.
Als Umweltpolitiker weisen wir aber darauf hin, daß man die Umweltpolitik bitte nicht mit dem Argument der Harmonisierung insgesamt absterben lassen darf. Harmonisiert werden müssen Lösungen dort, wo auch die Probleme harmonisiert sind.
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Es gibt aber spezifische Probleme eines dicht besiedelten und hochindustrialisierten Landes. Da können wir unser Handeln nicht davon abhängig machen, ob andere, unsere Nachbarn, in gleichem Maße voranschreiten.
Umweltpolitik in Form der Vorreiterrolle, des nationalen Alleingangs ist da sogar eine Voraussetzung, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv zu machen. Bei der Industrieansiedlung haben wir ja festgestellt, daß sich Ingenieure vor allem für die Gebiete interessieren, wo ein angenehmes Umfeld, wie z. B. in Oberbayern und in München, zu erwarten ist.
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- Auch in Köln, Herr Kollege; das gebe ich Ihnen gerne zu.
Im Bereich der Klimapolitik haben wir zweierlei festzustellen: Einerseits wirken die Klimagase ausschließlich global; das spricht für eine international
abgestimmte Politik. Andererseits müssen wir bei der Problemlösung einen überproportionalen Beitrag leisten. Unser Nachbar Frankreich liegt beim CO2-Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung bei etwa 7,5 t; wir im jetzt etwas größeren Deutschland liegen bei 13 t pro Kopf. Natürlich sagen die Entwicklungsländer und auch unsere Nachbarn - z. B. Frankreich -, wir sollten uns erst einmal ihren Werten nähern, dann seien sie bereit, hier abgestimmt weiter nach unten zu gehen.
Wir brauchen also im Bereich der Klimapolitik - das wollte ich erläutern - eine Mischung von Vorreiterrolle und international abgestimmter und harmonisierter Umweltpolitik.
Wir haben vernommen, daß die EG-Kommission vorschlägt - das entspricht in etwa dem, wie die deutsche Diskussion verlaufen ist -, die Einführung einer kombinierten CO2-Abgabe und Klimasteuer davon abhängig zu machen, daß auch andere große Wirtschaftsnationen dieser Welt mitziehen. Jetzt kommt also das Argument der internationalen Harmonisierung. Wir haben allerdings große Sorge: Wer die totale Harmonisierung auf dieser Welt anstrebt, der wird umweltpolitisch bei der Nullösung landen.
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Deshalb möchte die Union die Bundesregierung auffordern, diesen weiteren Schritt nicht mehr mitzuvollziehen.
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Dem Generationenvertrag, der uns verpflichtet, unseren Kindern eine intakte Umwelt zu hinterlassen, können wir so nicht gerecht werden. Wir dürfen uns umweltpolitisch nicht sozusagen von den Fußkranken in dieser Welt abhängig machen und gerade nur das Tempo mitmachen, das auch noch der letzte Fußkranke bereit ist zu verfolgen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch zwei Minuten Redezeit. Viele Kolleginnen und Kollegen verzichten auf die Mittagspause und hören sich diese Debatte an. Damit sie doch eher zum Mittagessen kommen, beende ich damit meinen Beitrag.
Vielen Dank.
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Für die letzte Bemerkung möchte ich mich im Namen des Hauses ausdrücklich bedanken.
Ich rufe den Abgeordneten Zurheide auf, das Wort zu ergreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn eine Abrüstungskonferenz ende, ohne daß ein neuer Krieg ausbreche, sei sie schon ein Erfolg gewesen, bemerkte Winston Churchill vor 60 Jahren. Ist die UNCED-Konferenz in Rio Anfang Juni dieses Jahres daher schon dann ein Erfolg, wenn es gelingt, wenigstens keine weiteren Ursachen für neue globale Umweltprobleme zu schaffen? Ich meine: Nein. Etwas mehr muß bei der
Rio-Konferenz herauskommen. Unangebracht sind allerdings zu große Erwartungen ebenso wie ein gelegentlich zu beobachtender Fatalismus nach dem Motto, es sei eh schon alles zu spät.
Wir müssen akzeptieren, daß es nicht gelingen kann und nicht gelingen wird, all die riesigen Probleme, die der Titel der Konferenz „Umwelt und Entwicklung" umschreibt, mit einem einzigen Federstrich zu lösen. Wir müssen uns auch von der Vorstellung lösen, die Entwicklungsstandards der industrialisierten Staaten des Nordens seien die allein maßgeblichen. Der eigene Blickwinkel gibt eben immer nur einen bestimmten Ausschnitt des Problems frei. Wir müssen lernen, die Besonderheiten der Entwicklungsländer und ihre Interessen zumindest zu verstehen und zu respektieren.
Wie schnell sind wir eigentlich geneigt, den politisch Verantwortlichen in Entwicklungsländern Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, weil sie zulassen, daß der Waldbestand in den Entwicklungsländern immer mehr reduziert werde? Wie wenig allerdings sind wir bereit, über die wichtigste Ursache für diese Waldvernichtung nachzudenken? Solange für Hunderte von Millionen Menschen der Dritten Welt der Einschlag von Brennholz die einzige Möglichkeit darstellt, um Energie zu produzieren, um dadurch z. B. nur Speisen zubereiten zu können, wird man nicht einfach anklagen dürfen, ohne sich selber den Vorhalt gefallen lassen zu müssen, daß man den Wald doch lediglich als Energiequelle nutze, so wie vor allem der industrialisierte Norden die fossilen Brennstoffe verbrauche, die über Millionen von Jahren gewachsen sind.
Nein, gegenseitige Schuldzuweisungen führen nicht weiter. Sie bewirken außer unfruchtbarer Konfrontation gar nichts. Schuldzuweisungen verstellen im übrigen auch den Blick für die eigentliche Tiefe des Problems.
Es gibt Wechselwirkungen und Ursachenzusammenhänge, die eindeutig sind. Wir haben es mit Teufelskreisen zu tun, die aufgebrochen bzw. unterbrochen werden müssen. Einer davon setzt sich aus den Elementen Armut, Bevölkerungsexplosion, Umweltschäden und daraus wiederum resultierender verschärfter Armut zusammen. Wenn Menschen aus Armut gezwungen sind, Brennholz einzuschlagen und auf diese Weise Wälder zu ruinieren, so hat dies die Konsequenz, daß die Ressourcen Wald und Boden noch knappere Güter werden und man erst recht mit ihnen und von ihnen nicht mehr leben kann.
Wenn eine Altersvorsorge nur durch Kinderreichtum erreicht werden kann, muß die Bevölkerung zwangsläufig explodieren. Bevölkerungswachstum hat in den Entwicklungsländern in aller erster Linie soziale Ursachen. Wenn in Armut lebende Menschen gezwungen sind, ihre Altersvorsorge durch Kinderreichtum sicherzustellen, so muß die Bevölkerung explodieren.
Solange diese Ursache nicht beseitigt wird, wird auch das Bevölkerungswachstum anhalten. Bevölkerungsdruck wiederum führt jedoch zu einer verschärften Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen, obwohl gerade diejenigen Menschen, die diese Ressourcen
übermäßig nutzen, auf die Erträge ihres Bodens angewiesen sind. Der Teufelskreis schließt sich, weil am Ende verschärfte Armut steht.
Niemand von uns kann in seriöser Weise die oft gestellte Frage beantworten, wie viele Menschen diese Erde denn ertragen könne. Es trifft zu, daß die Natur über Selbstheilungskräfte verfügt, die menschliches Handeln gelegentlich vergessen machen. Sicher scheint mir allerdings zu sein, daß wir seit einiger Zeit dabei sind, die Natur zu überfordern. 8,5 Milliarden Menschen, die nach einer Prognose des jüngsten Weltbevölkerungsberichtes im Jahre 2025 auf dieser Welt leben werden, sind eben zuviel. Aber auch hier sollten wir uns vor Hochmut in acht nehmen.
Wir fordern zu Recht Vertreter von Entwicklungsländern auf, Maßnahmen gegen das ungezügelte Bevölkerungswachstum in ihren Ländern zu ergreifen. Wir werden dann jedoch darauf hingewiesen, daß die meisten Länder mit einer hohen Bevölkerungsdichte im industrialisierten Norden liegen, wo man das Bevölkerungswachstum stoppen konnte, allerdings erst nachdem man ein recht hohes Niveau erreicht hatte.
War der Grund für die Beendigung des Bevölkerungswachstums im Norden nicht die Beseitigung der Armut? War es nicht so, daß sich erst, nachdem soziale Grundsicherungssysteme für alle Bevölkerungsschichten eingeführt und Bildung und Ausbildung als zentrale öffentliche Aufgaben akzeptiert worden waren, das Bevölkerungswachstum verlangsamte?
Es gibt einen offenkundigen Zusammenhang zwischen Entwicklung und Umwelt. In ihrem Weltentwicklungsbericht 1992 formuliert dies die Weltbank so:
Wirtschaftliche Entwicklung und vernünftiger Umgang mit der Umwelt sind zwei komplementäre Aspekte ein und derselben Aufgabe. Ohne einen angemessenen Schutz der Umwelt wird die Entwicklung gefährdet; ohne Entwicklung gibt es keinen Umweltschutz.
In Rio besteht die Chance, die so häufig als bloße Worthülse benutzte Formel eines notwendigen partnerschaftlichen Miteinanders mit Leben und Inhalt zu erfüllen. Die Anfang des Jahres in Cartagena veranstaltete UNCTAD-Konferenz hat dafür Maßstäbe gesetzt. Verlauf und Ergebnisse dieser UNCTAD- Konferenz berechtigen zu der Hoffnung, daß sich auch die UNCED-Konferenz nicht in gegenseitigen Anklagen erschöpfen wird.
Die UNCTAD-Konferenz hat sich in ihrer Gesamtheit darauf verständigen können, anzuerkennen, daß alle Weltwirtschaftspartner - alle Weltwirtschaftspartner! - für ihre nationale Entwicklung zunächst und vor allem selber verantwortlich sind und nach Maßgabe ihres eigenen Leistungsvermögens im Rahmen der weltwirtschaftlichen Abhängigkeit einen Beitrag erbringen sollen.
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In Cartagena wurde von der antiquierten Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung Abschied genommen, die nie etwas anderes als eine Forderung nach Dirigismus und Interventionismus im Welthandel war. Die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Regelungsmechanismen wurde herausgestellt, ohne dabei dem Trugschluß zu erliegen, die in den Industrieländern mit großem Erfolg erprobten Systeme brauchten den Entwicklungsländern einfach nur übergestülpt zu werden. Auch insoweit ist dem Weltentwicklungsbericht zuzustimmen, wenn er feststellt, eine Politik, die auf Verhaltensänderungen abziele, solle sich auf wirtschaftliche Anreize stützen.
Es liegt mithin im beiderseitigen Interesse, wenn den Entwicklungsländern beim Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen geholfen wird. Die Industrieländer können und müssen allerdings mehr tun, als direkte finanzielle Transferleistungen zu erbringen. Eine solide Haushalts- und Finanzpolitik in unseren eigenen Ländern sorgt für ein niedriges Zinsniveau, von dem auch die Entwicklungsländer profitieren werden.
Partnerschaftlicher Wettbewerb macht allerdings eine weitere Liberalisierung des Welthandels erforderlich.
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Allen Staaten muß die Möglichkeit gegeben werden, mit prinzipiell denselben Rechten und denselben Pflichten am Welthandel teilnehmen zu können. Die Errichtung geschützter Wirtschaftsblöcke wäre die völlig falsche Antwort.
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Nach Berechnungen der Weltbank wird derzeit am Weltmarkt der enorme Betrag von 100 Milliarden US-Dollar für protektionistische Maßnahmen aufgewandt. Protektionismus - der europäische Agrarmarkt ist nur ein Beispiel dafür - verhindert, daß Entwicklungsländer Einkünfte erzielen, die zur Finanzierung umwelterhaltender Maßnahmen benötigt würden.
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Wenn die Industrieländer mithin ihre Märkte abschotten und Handel nicht ermöglichen, so ist der Nutzen für die Industrieländer nur ein vorläufiger und sehr scheinbarer.
Aber nicht nur die Industrieländer, auch die Entwicklungsländer selber müssen einen Beitrag leisten. Nur eigene Anstrengungen können zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation führen. Nicht immer hat man den Eindruck, daß sich die Politik der Dritte-Welt-Länder durch Reformwillen und Einsicht in globale Notwendigkeiten auszeichnet. Es kann nicht ausreichen, pausenlos und stereotyp zu fordern - wie es einige tun -, die Reichen müßten den Armen helfen, alles andere werde dann schon von alleine gehen. Nicht nur im Norden, sondern auch im Süden ist ein Umdenken erforderlich. „Cash for green" kann nicht die Lösung sein. Wir sollten uns weigern, unter dem neuen Stichwort „Umwelt" bloße Umverteilungsdiskussionen zu führen, die die alten Positionen der sechziger und siebziger Jahre wieder aufnehmen und ihr Scheitern im Grunde doch längst bewiesen haben.
Niemandem im Norden und niemandem im Süden darf erlaubt werden oder ein Vorwand dafür geliefert
werden, sich vor einem Umdenken zu drücken. Der industrialisierte Norden muß seine eigenen Ansprüche an Natur und Ressourcen reduzieren. Genauso wichtig ist es, daß auch die Entwicklungsländer ihre Verpflichtung zur globalen Rücksichtnahme anerkennen, wobei ihr Recht auf Entwicklung nicht geschmälert werden darf.
Der Ost-West-Konflikt, der lange genau auch das Verhältnis der Staaten des Nordens zu denjenigen des Südens bestimmt hat, ist überwunden. Hüten wir uns davor, unsere jahrzehntelang gepflegte Vorstellung von einer bipolaren Welt aus lauter Bequemlichkeit nunmehr auf das Verhältnis zwischen Nord und Süd zu übertragen. Dies dürfte sich schon deswegen verbieten, weil die Interessenlagen der Entwicklungsländer ebenso uneinheitlich sind wie die Interessenlagen der Industrieländer.
Ein fairer Interessenausgleich muß angestrebt werden. Im Dialog zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern darf es keine Tabus geben. Keiner darf sich weigern, sich unbequeme Wahrheiten anzuhören und daraus anschließend die Konsequenzen zu ziehen.
Meine Damen und Herren, Wohlstand wird ohne wirtschaftliches Wachstum nicht möglich sein; dies gilt auch für die Entwicklungsländer. Es muß der Versuch unternommen werden zu definieren, was umweltgerechtes Wachstum heißt und wie es erzielt werden kann. Weder der Norden noch der Süden kann so weitermachen wie bisher. In Rio muß daher der Grundstein für eine globale Verantwortungsgemeinschaft gelegt werden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wallow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu Thailand. Wir alle haben in den letzten Stunden erlebt, wie dort wieder auf wehrlose Demonstranten geschossen wurde. Dafür waren dieselben Leute verantwortlich, die für illegalen profitablen Holzeinschlag im Norden von Thailand verantwortlich sind, die gemeinsame Sache mit der Militärdiktatur in Burma machen und die dabei sind, Tausende von Quadratkilometern Tropenholz abzuholzen. Es stünde der Bundesrepublik gut an, wenn die Bundesregierung ihre Menschenrechtspolitik ernst nähme und ihr gewachsenes Gewicht, von dem der Bundeskanzler heute morgen wieder gesprochen hat, dafür einsetzte, daß die Treibjagd auf Menschen in Bangkok endlich sofort aufhört.
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Zur Konferenz in Rio: Ich bin von Natur aus - das wissen diejenigen, die mich kennen - ein optimistischer Mensch. Aber ich glaube, man kann gar nicht so schwarz malen, wie die Situation, was die Erde, das Wasser und die Luft betrifft, auf der Welt gegenwärtig ist.
Sollte es bei den vorliegenden unverbindlichen Vertrags- und Programmtexten bleiben, bei denen in allen wichtigen Lebensfragen ein Scheitern praktisch programmiert ist, dann fände ich es ehrlicher, man würde sich gegenseitig die Texte zufaxen. Als Signal von dieser Konferenz wird heute schon nicht das ausgehen, was der Bundeskanzler sagt, sondern die Kapitulation der Vernunft.
Sinn macht diese Debatte doch nur, wenn wir, Herr Repnik, zur schonungslosen Analyse bereit sind. Da möchten wir Ihnen beistehen. Auf der Basis einer schonungslosen Analyse kann man dann eigene wirksame Konzepte entwickeln, und die vermissen wir eben.
Wenn diese Konferenz noch einen Erfolg haben soll, dann müssen jetzt richtungsweisende Konzepte entwickelt werden, die völlig anders sind als beispielsweise die Konzepte in Richtung Osteuropa, die von uns ausgehen und für die wir verantwortlich sind. Wir betreiben doch jetzt schon die Vollmotorisierung Osteuropas, und wir sind auch dabei, die sibirischen Wälder, die genauso wichtig für das Klima sind wie die Tropenwälder in Basilien, mit anderen Ländern aufzuteilen.
Es kommt darauf an, den Holzimporteuren gegenüber etwas mehr Courage zu zeigen, und es kommt darauf an, daß wir zwar Ja zum Wachstum sagen, aber zu einem selektiven Wachstum. Der größte Verschwender auf diesem Sektor ist die Waffenproduktion. Sie verschwendet Geist, Arbeitskraft, Geld, Material. Das richtige Signal von uns wäre: runter mit der Rüstung, runter mit der Waffenproduktion!
Erinnern Sie sich: Es war beim Golfkrieg innerhalb weniger Wochen möglich, eine gigantische Maschinerie in Gang zu bringen, die Menschen in Bewegung setzte und die Material, Energie, Geist und Geld - die Bundesrepublik leistete einen Beitrag von 20 Milliarden DM - kostete. Es ist eine Perversität unserer Zeit, daß Ressourcen aller Art mobilisiert werden, um zu zerstören, und daß wir nicht in der Lage sind, in der gleichen Weise und mit dem gleichen finanziellen Engagement Strategien für Entwicklungsländer zu entwickeln, um so von uns aus ein Signal für die Dritte Welt zu setzen.
Zur Lösung der Probleme bedarf es eben eines gebündelten Strategiekonzepts, das die komplexen Beziehungen zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung, zwischen Ressourcenverteilung, sozialer Ungerechtigkeit und Unterdrückung, zwischen Armut und Bevölkerungswachstum, zwischen internationaler Verschuldung und weltwirtschaftlicher Entwicklung berücksichtigt. Es liegt mit in unserer Verantwortung - damit meine ich das gesamte Parlament einschließlich der Herren Möllemann und Bangemann -, wenn es nicht zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs kommt, wenn wir nicht die lebensnotwendige Energiesteuer durchsetzen. Es ist unverantwortlich, daß wir unsere Machtmöglichkeiten, unseren Einfluß auf diesem Feld nicht stärker einsetzen.
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Eines der wichtigsten Hemmnisse für die Entwicklung ist die Überbevölkerung. Vor wenigen Tagen hat
der Erzbischof von Canterbury gesagt: Wer sich weigert, das Problem der Geburtenkontrolle und des Bevölkerungswachstums zu untersuchen, der kann nicht glaubwürdig an Umwelt und Umweltschutz interessiert sein. Das war sein Appell an den Papst. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie endlich einmal den Mut findet, auch in dieser Richtung Appelle nach Rom zu senden.
Wir haben vom ökologischen Lastenausgleich gesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Es ist gegenwärtig nicht einmal möglich, beim Drogenabbau in den Ländern Bolivien, Peru und Kolumbien im eigenen Interesse die Substitution der Droge durchzusetzen, weil deren Rohstoffpreise praktisch gefallen sind und sich die Coca-Bauern daraufhin marktgerecht verhalten, während wir unsere Industriegiganten finanzieren und subventionieren. Es wäre ein Signal in Richtung GATT, wenn wir hier endlich andere Weichenstellungen vornähmen und für bessere Handelsbedingungen sorgten.
Vorhin wurde über Sonnenenergie am Sonnengürtel gesprochen. In Haiti wird der letzte fingerdicke Baum abgesäbelt, damit Holzkohle produziert werden kann. Präsident Aristide hatte die Bundesregierung gebeten, ein Solarkraftwerk zu finanzieren. Das ist aus betriebswirtschaftlichen Rentabilitätserwägungen heraus abgelehnt worden - in einem Land mit 360 Sonnentagen. Wir müßten für Rio endlich das Signal setzen, daß die Belastung von Erde und Wasser, die Belastung der Natur schlechthin in die Rentabilitätsrechnungen eingehen muß. Das war bisher nicht der Fall. Es liegt in unserer Verantwortung, so zu verfahren.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Praxis der Weltbank und zur Akzeptanz unserer eigenen Schutzmaßnahmen seitens der Entwicklungsländer. Das Gefasel von einem weltweiten Militäreinsatz führt beispielsweise dazu, daß die Militärs in Brasilien und Kolumbien die Angst vor Interventionen der Industrieländer in den Tropenwäldern schüren. Wir müssen den Ländern diese Angst nehmen und mit ihnen stärker in Dialog treten, d. h. unsere Gesamtverantwortung mit gutem Beispiel wahrnehmen und anstelle von militärischen Interventionen eine Hilfsstrategie entwickeln.
Ich danke Ihnen.
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Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Paziorek das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist meines Erachtens ein gutes Zeichen, daß der Deutsche Bundestag seine abschließende Stellungnahme zu der UNO-Umweltkonferenz hier in der deutschen Hauptstadt Berlin, im Reichstagsgebäude, berät und verabschiedet. Dadurch wird deutlich, daß das wiedervereinigte Deutschland auf seinem nicht leichten Weg, nach jahrzehntelanger Teilung die innere Einheit des eigenen Landes herzustellen, seine Verantwortung für eine globale Umweltpolitik nicht vergißt, sondern sich
zu dem Auftrag einer internationalen Umweltpolitik uneingeschränkt bekennt.
Die Antwort auf die Herausforderung durch die globale Klimaveränderung kann nur lauten - das haben viele Vorredner auch schon gesagt -: Wer die weitere globale Entwicklung nicht gefährden will, muß die Klimaveränderung zum Stillstand bringen, und wer die Zukunft sichern will, muß heute, nicht etwa erst in einigen Jahren handeln. Wir müssen uns darüber hinaus vor Augen führen, daß schon in den letzten Jahrzehnten eine Klimaveränderung eingetreten ist, die in den nächsten Jahren langsam, aber stetig ihre Auswirkungen zu Lasten der Umwelt zeigen wird.
Die Folgen dieser bereits nicht mehr abwendbaren Klimaänderung, die insbesondere die Entwicklungsländer treffen werden, sind von allen Staaten und damit auch von den Industrieländern solidarisch zu tragen. Wichtiges Ziel der Konferenz in Rio ist die Verabschiedung einer Konvention zum Schutze des Klimas. Darin sollen sich die Staaten völkerrechtlich verpflichten, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu begrenzen und zurückzuführen.
Es ist natürlich enttäuschend, daß in dem Entwurf der Klimakonvention konkrete Termine zur Reduzierung der Treibhausgase nicht enthalten sind. Aber Rio ist - das hat Bundesumweltminister Töpfer zu Recht gesagt - nicht der Endpunkt der globalen Umweltpolitik. In Rio sollte daher die Verständigung erfolgen, daß auf Nachfolgekonferenzen bzw. bei Protokollverhandlungen doch noch konkrete Verpflichtungen der einzelnen Länder zu einer CO2- Reduktion erreicht werden.
Deshalb geht der Hinweis, der heute morgen hier gemacht worden ist, fehl. Da wurde gesagt: Wollen wir uns vielleicht hinter dem breiten, nicht so umweltfreundlichen Rücken der Amerikaner verstecken? Er geht deshalb fehl, weil Bundeskanzler Helmut Kohl hier von diesem Platz aus angeboten hat, die erste Nachfolgekonferenz zu Rio hier in Deutschland durchzuführen. Ich glaube, das ist ein positives Zeichen für einen langfristigen umweltpolitischen Weg.
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Herr Fischer hat unter dem Beifall der SPD-Fraktion die Frage aufgeworfen: Wie soll eine internationale Politik zur Verminderung des CO2-Ausstoßes aussehen? Ich glaube, wir können hierzu einen konkreten Vorschlag machen. Dieser Vorschlag ist in unserem Entschließungsantrag enthalten. Er lautet: internationale Umwelt- und Unternehmenskooperation und Einführung von Kompensationsmöglichkeiten im deutschen Bereich. Aus deutscher Sicht haben nämlich die Bemühungen, die CO2-Emissionen zu verringern, auf drei Ebenen stattzufinden: im nationalen Rahmen, EG-weit und weltweit.
Meine Damen und Herren, die Weltkonferenz 1988 in Toronto hat die Forderung aufgestellt, daß die weltweiten CO2-Ausstöße bis zum Jahre 2005 um 20 % und bis Mitte des nächsten Jahrhunderts um 50 % zu vermindern sind. Das entspricht einer Halbierung des Einsatzes von Kohle, Öl und Gas bei einer bis dahin vielleicht auf rund 11 Milliarden angewachse7618 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 93. Sitzung. Berlin, Mittwoch, Glen 20. Mai 1992
nen Weltbevölkerung. Eine gewaltige Aufgabe! Alle bisher vereinbarten und bekanntgewordenen Perspektiven der Weltenergieversorgung sind mit dieser Toronto-Forderung das muß man ganz deutlich aussprechen - nicht zu vereinbaren. Die international anerkannten Energieprognosen sagen vielmehr aus, daß bis zum Jahre 2020 die CO2-Emissionen im Schnitt um etwas mehr als 1 % pro Jahr und damit um insgesamt 45 % ansteigen werden. Wir können diesen dramatischen Anstieg der CO2-Emissionen nur stoppen, wenn wir uns weltweit zu einer konsequenten, ja, auch für die Industrieländer drastischen Verminderungsquote bekennen und einen solchen Weg auch sofort einschlagen.
Aber es gibt nur folgende Wege zu einer Verminderung der CO2-Emissionen: erstens Umstellen von CO2-intensiven auf CO2-schwache Energieträger, zweitens Energiesparen durch eine rationellere Gestaltung der Energiegewinnung, drittens Substitution, also Ersatz durch erneuerbare Energien, vor allem Sonnenenergie, einschließlich Biomasse, Wind und Erdwärme, und viertens - sicherlich nur als Lösung für eine Übergangszeit - Ausbau der Kernenergie. Diese Wege - egal, für welchen Mix man sich entscheidet - erfordern einen hohen Kapital-und Technologieeinsatz, und zwar weltweit, weltweit deshalb, weil der CO2-Ausstoß ein globales Problem ist und weil daher überall dort, wo Energie gewonnen wird, eine CO2-Verminderungsstrategie greifen muß.
Nehmen wir uns nur das Stichwort Energiesparen vor: Dies bedeutet doch ganz konkret die Umstellung auf eine andere Energietechnik, die zu einem höheren Wirkungsgrad führt, z. B. durch Kraft-Wärme-Kopplung oder Kombikraftwerke. Energiesparen bedeutet auch eine bessere Energieausnutzung, z. B. mittels Wärmedämmung, was zunächst auch wieder Investitionen erfordert und damit Geld kostet.
Dies alles läßt sich in den Schwellenländern und den Ländern der sogenannten Dritten Welt nicht allein durch Kapitaltransfer bewältigen. Dazu benötigen wir auch einen zielgerichteten Technologietransfer. Aber, meine Damen und Herren insbesondere von der SPD-Fraktion, wie wollen wir das denn ganz konkret schaffen - Herr Wallow hat ja gerade wieder allgemein Szenarien beschworen -, wenn wir nicht neue Wege gehen, um diese Lösungsansätze auch tatsächlich konkret umzusetzen?
Wenn es stimmt, daß sich Technologietransfer letztlich nur durch Unternehmenskooperation verwirklichen läßt, weil der Staat kaum über Technologiequellen verfügt, muß durch unsere Politik in Rio eine Entwicklung angestoßen werden, die bewirkt, daß die Industrieunternehmen des reichen Nordens verstärkt in einen solchen Prozeß des Technologietransfers einsteigen.
Der Technologietransfer durch Unternehmenskooperation bedarf der internationalen Förderung, besonders auch durch Entscheidungen in Rio. Eine solche Ermutigung stellen unsere Überlegungen zu einem internationalen Kompensationsmodell dar. Die Regierungsfraktionen sind der Ansicht, daß die Schaffung eines zusätzlichen Anreizes durch die Möglichkeit, Reduktionspflichten für Deutschland teilweise auch in Schwellen- und Entwicklungsbindern zu verwirklichen, zu einer solchen Unternehmenskooperation wirkungsvoll beitragen kann. Wir brauchen Unternehmenskooperation, um auf möglichst effiziente Weise die Steigerungsrate der CO2-Emissionen, wie ich es gerade dargelegt habe, weltweit zu verringern.
Eine solche Kompensationslösung setzt natürlich eine Entscheidung über eine Energie-/CO2-Steuer voraus. Hier muß sich die EG in den nächsten Tagen bewegen, will sie ihre umweltpolitische Führungsrolle in Rio nicht verspielen. Wir wollen eine EG-weite Energie-/CO2-Steuer, damit auch tatsächlich Kompensationen im Steuerrecht angeboten werden können.
Natürlich gibt es im internationalen Bereich Widerstände gegen eine solche Lösung, nicht nur bei uns in Deutschland, auch bei der SPD. Wir sind aber der Ansicht, daß in Rio im Rahmen der Weltklimakonvention geregelt werden muß, daß die Reduktionsverpflichtungen zum Teil im eigenen Hoheitsgebiet erfüllt werden können, zum Teil aber auch in einem Drittland.
Herr Abgeordneter, die Abgeordnete Frau Ganseforth möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, die zu beantworten?
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir recht geben, daß dieser Technologietransfer auch ohne Kompensation möglich ist und daß die CO2-/Energiesteuer auf EG-Ebene oder national auch ohne Kompensation Sinn macht, d. h. daß über diese Kompensation getrennt von Technologietransfer und von CO2-/Energiesteuer diskutiert werden muß.
Frau Ganseforth, ich bin der Ansicht, daß wir heute hier deutlich machen sollten, daß es gerade eine hervorragende Verbindungsmöglichkeit zwischen einer CO2-/Energiesteuer auf EG-Ebene und dem Gesichtspunkt des Technologietransfers und damit auch dem der Kompensationsmöglichkeiten gibt. Theoretisch kann ich mir eine ganze Menge vorstellen. Wir müssen es aber praktisch auf den Weg bringen. Wir müssen Anreize schaffen, damit dieser Technologietransfer auch tatsächlich in Gang kommt. Gerade diesen Gesichtspunkt wollte ich durch meine Ausführungen deutlich machen. Das ist eben das, was uns unterscheidet.
({0})
Ich glaube, das ist das, was heute hier auch politisch herausgearbeitet werden soll.
({1})
Denn, Frau Ganseforth, meine Damen und Herren, jede D-Mark, die irgendwo auf der Welt zur CO2- Reduzierung beiträgt, hilft gegen den Treibhauseffekt. Eine Leistungssteigerung der Kohlekraftwerke
in China um 10 oder 15 % wäre schon ein erheblicher Beitrag zur globalen CO2-Reduktion. Wir wollen nichts anderes, als durch Unternehmenskooperationen und Kompensationsberechnungen die gewaltige Energienachfrage bewältigen und dennoch den CO2-Ausstoß auch weltweit vermindern. Das geht nur über einen solchen von mir geschilderten Weg. Alles andere sind letztlich wirkungslose Strategien, die sich auf dem Papier schön ausmachen, aber leider in die Rubrik „untauglicher Versuch" gehören.
Deutschland darf nicht darauf verzichten, eine Vorreiterrolle im Umweltschutz wahrzunehmen. Doch da eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Deutschland um 25 % weltweit nur 1 % ausmacht, kommen wir um eine internationale Kooperationsstrategie nicht umhin.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Nunmehr hat der Abgeordnete Schanz das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt berechtigte Sorgen und die begründete Annahme, daß die Konferenz in Rio zu einem Mißerfolg wird. Dennoch sollten wir im Interesse der Ärmsten der Armen auf diesem Globus wünschen, daß es noch zu einem Erfolg kommt. Wir sollten begrüßen, daß die Konferenz stattfindet, da ich davon ausgehe, daß sie dennoch einiges klären wird.
Der von der SPD Anfang des Jahres vorgelegte und im April im Plenum behandelte Antrag zur RioKonferenz fordert die Bundesregierung auf, von bloßen Lippenbekenntnissen, wie wir sie auch hier und heute dauernd gehört haben, fortzukommen, sich nicht weiter hinter medienwirksamen Themen wie Tropenwald und Artenschutz zu verstecken, zumal zum einen die angekündigten Maßnahmen weder in Kürze so einfach wie vom Bundeskanzler immer und immer wieder propagiert zu realisieren sein werden und zum anderen ein komplexeres Handeln zur Bewältigung der Umwelt- und Entwicklungsproblematik vonnöten ist.
Nach der Debatte im April wurde der Antrag der SPD zur Beratung an die Ausschüsse weitergeleitet. Die Koalition hatte zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Vorstellungen zur Politikvertretung in Rio entwickelt. Ein nun vorgelegtes, lediglich Allgemeinplätze aufgreifendes Papier wurde nach unserer Auffassung so zusammengeschustert, daß eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem entwicklungspolitisch so relevanten Thema nicht erfolgt ist. Die dort vertretenen Positionen bleiben weit hinter den Forderungen und Formulierungen des sogenannten Perspektivpapiers des nationalen Vorbereitungskomitees für die Rio-Konferenz zurück.
Der von der Koalition vorgelegte Antrag zur UNCED kann damit also nicht die Unterstützung dieses Hauses finden, da er in seinen Positionen weit hinter den aktuellen Erkenntnissen zur Sachlage hinterherhinkt.
Dies bedeutet aber nicht, daß man sich als verantwortungsbewußter Politiker mit dem Perspektivkapitel des Nationalberichts zur Vorbereitung der RioKonferenz zufriedengeben könnte. Nein, eine nähere Analyse wird nämlich zu dem Ergebnis kommen, daß die Maßnahmen nicht weit genug greifen oder daß an den falschen Punkten angesetzt werden soll.
Im Nationalbericht der Bundesregierung wird der Aspekt der Entwicklungspolitik lediglich auf wenigen Seiten abgehandelt. Dies kann so nicht akzeptiert werden. Unser Antrag will dieses Defizit aufarbeiten und formuliert - neben der Analyse der Ursachen für Nicht-Entwicklung und Umweltzerstörung - Ansatzpunkte für die Gestaltung einer den Problemen adäquaten Politik.
Der Antrag fordert die Bundesregierung bzw. den Bundeskanzler und den Umweltminister auf, in Rio ein Politikkonzept zu vertreten, das folgenden Ansprüchen gerecht wird. Dieses Konzept soll festlegen, welchen Beitrag die Industrieländer zur Bewältigung der Problematik zu leisten bereit sind. Dabei soll sich die Bundesregierung in Rio dafür einsetzen, daß es zu einer konkreten Verpflichtung der Industrieländer zur Umsetzung der bereits international getroffenen Vereinbarungen kommt.
Die Bundesregierung soll in Rio ein Konzept zum ökologischen Strukturwandel vertreten, das Gesichtspunkte enthält wie: debt-for-nature-swap, Einführung von sozialen und ökologischen Standards bei GATT, IWF und Weltbank, Weltverschmutzungs- und Weltressourcenabgabe, Wandel vom Konzept der Überbewertung der Arbeitsproduktivität hin zu einem Konzept der Ressourcenproduktivität; - damit meine ich Energie- und Rohstoffeinsparung. Dies sind nur einige wenige Gesichtspunkte.
Die Bundesregierung als Vertreterin eines Industrielandes hat eine Vorbildrolle beim Einsatz moderner Umwelttechnologie einzunehmen und international verbindliche Regelungen zu initiieren.
Außerdem soll in Rio versucht werden - diesen Punkt halte ich für besonders wichtig -, alle Industriestaaten zu veranlassen, eine Art ökologischen Lastenausgleich finanziell und technologisch an die Entwicklungsländer zu leisten.
({0})
Umweltverbraucher sind ja im wesentlichen die Industrieländer und viel weniger die Entwicklungsländer.
Selbst wenn die Konferenz die hoch gesteckten Ziele nicht erreicht, wird sie dennoch ein Erfolg sein, weil Probleme klar aufgezeigt werden und weil genau zu erkennen sein wird, wer beispielsweise für das Scheitern einer gemeinsamen Politikstrategie der Teilnehmerstaaten verantwortlich ist. Hier werden dann die Verantwortlichen klar Farbe bekennen müssen: Entweder sind sie bereit, eine umweltgerechte Politik zu verfolgen und dementsprechend die erforderlichen Leistungen zu erbringen; oder sie werden eindeutig als Blockierer und Bremser in diesem Sinne erkennbar sein. Sie werden sich nach der Konferenz nicht mehr hinter wohlklingenden Lippenbekenntnissen und werbewirksamen Kampagnen verstecken können. Hier meine ich auch die Entwicklungsländer,
aber natürlich an erster Stelle uns selber, da wir reicher sind. Jeder Staat hat im Rahmen seiner spezifischen, ihm eigenen Fähigkeiten die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.
Umweltschutz ist kein Luxus, sondern ein Imperativ des Überlebens. Eine koordinierte effiziente Umwelt-und Entwicklungspolitik liegt damit durchaus in unserem ureigensten Interesse.
Tiefgreifende Reformen sind im Norden wie im Süden erforderlich. Bei der Konferenz in Rio in zwei Wochen bietet sich nunmehr die Gelegenheit, die Weltgemeinschaft auf den Weg der notwendigen, längst überfälligen Reformen zu bringen.
Es gilt im eigenen Land damit anzufangen. Deshalb hoffe ich sehr, daß der Inhalt des von uns eingebrachten Antrags in den Gremien eine große Mehrheit finden wird, so wie jetzt bei der Formulierung der interfraktionellen Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein Versuch unternommen wird.
Will die Konferenz in Rio ihrem Anspruch gerecht werden, eine neue Politikorientierung festzulegen, und soll man, ähnlich wie in der Folge der Konferenz von Helsinki von einem „Geist von Helsinki" gesprochen wurde, von einem „Geist von Rio" sprechen können, dann muß ernsthaft miteinander diskutiert und verhandelt werden und müssen Verständnis füreinander und globale Verantwortung vor nationalen Egoismen stehen.
Betrachtet man allerdings die Debatte im Vorfeld der Konferenz, das Aufbauschen scheinbar unüberbrückbarer Interessengegensätze zwischen Nord und Süd, das Beharren auf kleinkarierten, längst überholten Standpunkten, besonders in den Industriestaaten, so habe ich die Befürchtung, daß sich der „Geist von Rio", der die künftige Politikgestaltung beflügeln soll, eher zu einem Schreckgespenst ausgestaltet, das das kleine, allzu schwache Pflänzchen des gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses zwischen Nord und Süd und auch zwischen uns zu zerstören droht.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß es bei der Konferenz in Rio über Umwelt und Entwicklung um Fragen des Überlebens auf unserem Planeten geht. Die USA scheinen diese Tatsache nicht realisiert zu haben. Alle vom Präsidenten Bush ausgesandten Botschaften signalisierten nicht gerade die Ernsthaftigkeit der amerikanischen Politik, bei der Mitgestaltung einer neuen internationalen Politik der globalen Verantwortung aller Nationen gerecht zu werden. Ich fordere die Vereinigten Staaten auch im Namen meiner Fraktion auf, von diesem Weg wegzukommen, und ich fordere die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf, auf die Vereinigten Staaten und auf Japan so einzuwirken, daß ein Erfolg in Rio im Interesse der Armen dieser Welt, aber auch in unserem eigenen Interesse noch möglich wird. Wenn Sie das tun, finden Sie unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ruck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie auch mich noch einige Bemerkungen zur Rio-Konferenz aus der Sicht der Entwicklungspolitik machen.
Zunächst: Ich bitte auch die Opposition wirklich darum, den Erfolg der Rio-Konferenz nicht schon vorher und im Ansatz zu zerreden.
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Im Gegensatz etwa zu manchen Pressemedien oder auch Profipessimisten hierzulande, die Untergangsstimmung verbreiten, wissen die Politiker und Beamten, die an den langen Vorverhandlungen unmittelbar beteiligt waren, daß die Rio-Konferenz ein Erfolg werden wird und in gewisser Hinsicht bereits ein Erfolg ist.
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Noch nie zuvor hat sich eine solche Zahl von Staatsmännern aus aller Welt versammelt, um über Umwelt und Entwicklung zu diskutieren. Noch nie zuvor haben so viele Nichtregierungsorganisationen und eine so breite Weltöffentlichkeit die Politiker unter Handlungsdruck gesetzt. Und noch nie zuvor wurde so lange zu einem so breiten Spektrum mit einer solchen Ernsthaftigkeit und mit solchen Verhandlungsergebnissen bereits im Vorfeld gerungen. Viele Punkte der bereits ausgehandelten Erd-Charta wären vor einigen Jahren doch wirklich undenkbar gewesen. Das gleiche gilt für eine Fülle konkreter Handlungsvereinbarungen im Rahmen der Agenda 21.
Natürlich wird die Konferenz in Rio nicht alle Probleme zum Thema Umwelt und Entwicklung vollständig und sofort lösen können. Wer das erwartet hat, ist wirklich bar jeglichen Realismus. Rio allerdings muß und kann ein umweltpolitischer Neubeginn zu einem Prozeß sein, der auch zu einem neuen Miteinander der Staaten und Völker führt.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat ihre Umweltkomponente - das haben wir bereits gehört - in den letzten Jahren erheblich ausgebaut. Das gilt nicht nur für die Anzahl der Ressourcenschutzprojekte und die Mittel dafür, sondern auch für den Schuldenerlaß und die Fördermittel für Programme des Tropenwaldschutzes und der Tropenwalderhaltung. Hier ist die Bundesrepublik bekanntermaßen der wichtigste bilaterale Geber der Weltgemeinschaft.
In diesen Entwicklungsprojekten, meine Damen und Herren - darauf möchte ich noch einmal eindeutig hinweisen -, geht es nicht nur um Ressourcenschutz, sondern auch um den Versuch, Schutz und Rehabilitierung der Natur mit den anderen Schwerpunkten unserer Entwicklungszusammenarbeit, nämlich Armutsbekämpfung und Ausbildung, zu verbinden. Wer keine Angst vor einem gefürchteten deutschen Wochenmagazin hat, dem empfehle ich - um nur zwei Beispiele zu nennen - einen Besuch unseres GTZ-Projekts „Wamba" im trockenen Norden Kenias oder von Bouhedma in der Mitte Tunesiens, wo die Wüste in behutsamer, geduldiger und langfristiger Arbeit unserer Experten buchstäblich wieder zum Leben und Blühen gebracht wird, und
zwar mit der dortigen Bevölkerung - für sie, nicht ohne sie oder gegen sie.
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Und da kommen auch Freude und Hoffnung auf. Armutsbekämpfung durch Ressourcenschutz, Einkommensquellen schaffen durch Umweltschutz - das ist, glaube ich, die richtige Zielsetzung.
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Allerdings: Was gut ist, kann auch noch besser werden. Im fraktionsübergreifenden Antrag wird z. B. zu Recht nicht nur die Ausweitung dieser Ressourcenschutzprogramme, sondern auch der Trägerförderung gefordert, werden die stärkere Mobilisierung von Fachkräften und die größere Flexibilisierung unserer Projektpolitik gefordert. Die mit deutscher Gründlichkeit betriebene strikte Trennung zwischen technischer und finanzieller Hilfe ist gerade auch im Umweltbereich oft ungeeignet, der rapiden Zerstörung von Ökosystemen schnell entgegenzuwirken. Aus dem gleichen Grunde wollen wir auch die Zusammenarbeit mit kompetenten nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltbereich deutlich verstärken.
Dennoch, meine Damen und Herren, unsere Entwicklungsprojekte können noch so gut und effizient sein, die globale Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen kann nur durch einen ebenfalls globalen Kraftakt verhindert werden. Bei der internationalen Entwicklungspolitik beginnt dies mit einer grundlegenden Reform beispielsweise im entwicklungspolitischen Durcheinander des UNO-Systems, und mit der Koordinierung der Entwicklungshilfegeber, führt weiter zum weltweiten Bann von Tropenholz aus Raubbau und stellt schließlich die entscheidende Frage, auf die auch die UNCED ihre Finger legt, nämlich: Wie kann der Verelendung der breiten Bevölkerung in der Dritten Welt Einhalt geboten werden? Wie kann diese Entwicklung in eine positive Richtung getrieben werden? Es wurde in der heutigen Diskussion ja deutlich, daß alle Faktoren, die dort zur Umweltzerstörung führen - unsachgemäße Bodenbehandlung, fehlendes Umweltbewußtsein, fehlende Bildung, Bevölkerungsexplosion -, alle eine gemeinsame Wurzel, nämlich die Massenarmut, haben. Deren Bekämpfung steht zu Recht auch auf der Tagesordnung von UNCED, auch in der Agenda 21, und sie ist, meine Damen und Herren, nicht nur Sache des reichen Nordens.
Professor Hauchler, der Schlüssel für die Armutsbekämpfung liegt auch bei den Eliten in den Entwicklungsländern. Armutsbekämpfung ist nämlich auch dort untrennbar mit der Durchsetzung demokratischer Regierungsformen, eines funktionierenden Rechtssystems, einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, eines besseren Bildungs- und Ausbildungssystems und vor allem einer gerechteren Einkommens-und Vermögensverteilung verbunden.
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Auch ich trete leidenschaftlich für eine konsequente Fortsetzung der Schuldenerlasse ein, ohne die viele Entwicklungsländer auch im Umweltschutz nie wieder auf die Beine kommen; aber nicht völlig unkonditioniert, sondern in einem offenen, intensiven Politdialog mit der Absicht, daß langfristig die richtige Zielgruppe davon profitiert. Dies sind nicht die oberen Zehntausend im Empfängerland.
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Dies gilt übrigens auch für zusätzliche Finanztransfers, wie sie auch von uns gefordert werden. Lassen Sie mich noch eines sagen: Dieser Politdialog muß langfristig angelegt sein. Er wird nur wirksam, wenn er bei den kleinen wie bei den großen Empfängerländern konsequent durchgehalten wird. Ich danke auch dem Minister Spranger für seine klare Position in diesem Punkt.
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Natürlich müssen wir auf der anderen Seite - das wurde in der heutigen Diskussion auch überdeutlich - in den Industrieländern Schritt für Schritt, aber entschlossen erstens unsere Handelsbarrieren gegenüber der Dritten Welt abbauen und zweitens gerade auch mit dem globalen Ressourcenschutz unsere personelle, technische und finanzielle Hilfe erheblich erhöhen.
In Deutschland haben die gewaltigen Herausforderungen der Wiedervereinigung und des Zusammenbruchs im Osten nicht zum entwicklungspolitischen Steinbruch geführt, aber einen strikten Sparkurs notwendig gemacht, der für alle Ressorts gilt. Allerdings sind die Anforderungen an den Entwicklungshaushalt in den letzten Jahren überproportional gewachsen, und sie werden weiter wachsen, denn die Probleme der Entwicklungsländer wachsen auf uns zu. Die Bekämpfung der Fluchtursachen, die soziale Ungleichheit, die Bevölkerungsexplosion, das Drogenproblem und vor allem auch die Umweltzerstörung, dazu noch Entwicklungshilfe für den Osten - meine Damen und Herren, das ist mittel- und langfristig mit diesem Entwicklungshaushalt in dieser Ausstattung nicht zu bewerkstelligen. Darüber muß sich jeder im klaren sein.
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Lassen Sie mich abschließend noch unseren Umweltpolitikern den Rücken stärken. Auch der entwicklungspolitische Erfolg der Rio-Konferenz hängt in hohem Maße von den Signalen und dem Erfolg der eigenen Umweltpolitik ab. Wir können den Tropenwaldländern nur mühsam Schutzprojekte abringen, wenn unsere eigene Rote Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten immer länger wird oder wir die Ernsthaftigkeit in unserem Bemühen um die CO2-Reduktion nicht beweisen können. Sosehr ich deshalb die engagierte Vorreiterrolle der Bundesregierung begrüße, so sehr bedauere ich die Haltung der Vereinigten Staaten. Es gibt politische Probleme, die man, glaube ich, vor dem Zufall von Wahlterminen bewahren sollte. Es kann kein seriöses Argument sein, daß man aus ökonomischen Gründen nicht aufhören kann, weiter am eigenen Ast zu sägen. Trotz dieses Rückschlags - mancher wird sicher noch folgen - haben wir jedoch keinen Grund, vor dieser entscheidenden Zukunftsaufgabe zu kapitulieren.
Ich wünsche der Regierungsdelegation unter der Führung des Bundeskanzlers mit Minister Töpfer und Staatssekretär Repnik in Rio viel Standvermögen, das sie aber sicher haben, und viel Glück, das sie brauchen und bei ihrem großen Engagement für die Sache auch verdient haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Feige das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war Ihr eigener Wunsch, daß ich ein zweites Mal komme. Ich glaube, Herr Harries hat gesagt, wir vom Bündnis 90/ GRÜNE hätten nur Privilegien; diese Abgeordneten dürften sogar zweimal reden. Das Privileg können Sie uns ganz schnell wieder nehmen.
Darüber hinaus muß ich sagen: Ich habe die Debatte natürlich verfolgt - dafür ist das Thema zu wichtig -; wir vom Bündnis 90/GRÜNE sind nicht nachtragend, aber wir merken uns alles.
In der Hinsicht danke ich Herrn Staatssekretär Repnik auch dafür, daß er uns eingeladen hat, gemeinsames Bemühen zu zeigen. Es geht tatsächlich darum, daß hier etwas Gemeinsames passiert. In der Hinsicht - muß ich einfach sagen - habe ich überhaupt keine Lust, die Regierung alleine zu lassen; man sollte sie ständig und permanent im Auge behalten. Das habe ich mit der Ministerriege hier vorne gemacht. Dabei ist mir aufgefallen, daß der größte Teil - nachdem der Bundeskanzler gesprochen hat - das Segel gestrichen hat, mit ihm verschwunden ist. Herr Töpfer hat von denen, deren Ressort hier heute angesprochen wurde, am längsten durchgehalten.
Einen habe ich heute vermißt; es ging unmittelbar um sein Ressort, die diesbezügliche Debatte war lange angekündigt: Ich meine den Bundesverkehrsminister. Ich glaube, daß alleine das, was der Bundesverkehrsminister mit einem Federzug versaut, selbst in den mühseligsten Ansätzen im Umweltministerium nicht in einem Jahr aufgeholt werden kann.
({0})
Dabei hat sich gerade Herr Krause in der letzten Zeit - z. B. vor der Enquete-Kommission - zumindest verbal erheblich in ökologischen Wortübungen gezeigt. Will man seinen Worten glauben, so ist genau das Verkehrskonzept, das er vorgelegt hat, der einzige Ausweg aus dem Treibhauseffekt, und das ganze sogar ohne - so sagt er es jedenfalls - Mobilitätsverlust.
Nach Meinung des Verkehrsministers sind Autobahnen nach Osten sogar notwendig, damit Waren aus dem Westen auch in die neuen befreiten Länder befördert werden können. Ich glaube natürlich, daß damit auch Rohstoffe in den EG-Bereich zurückkommen sollen, obwohl es doch effizientere Methoden gibt, mit denen man sie ausnutzen kann.
Der Bundesverkehrsminister bringt es tatsächlich fertig, davon zu sprechen, daß Autobahnen eine wichtige Voraussetzung dafür sind, daß wir in den neuen Ländern überhaupt Umwelt- und Naturschutz betreiben können. Tut er nur so dumm, oder ist er es wirklich? Er will allen Ernstes die wunderschönen Baumalleen in Ostdeutschland durch den Neubau von Autobahnen schützen. Das hat er so gesagt. Auf der allein durch die neue Autobahn - die A 20 in Mecklenburg-Vorpommern - neu versiegelten Fläche könnten über zwei Millionen Buchen stehen und ganz einfach wachsen. Ansonsten finde ich in seinen Vorstellungen immer dieses Argument, nämlich: Wenn Ihr das nicht tut, dann beseitigen wir Eure Alleen, diesen Naturschutz werden wir Euch schon austreiben. Das erfüllt meiner Meinung nach den Tatbestand der Erpressung oder Nötigung. Das kann ich einfach nicht akzeptieren.
Außerdem ist der Bundesverkehrsminister der einzige, der bisher überhaupt davon gesprochen hat, daß man diese Bäume, diese Alleen beseitigen muß. Ich kann dieser Logik nicht folgen. Ich glaube, dahinter steht eine ziemlich starke Automobillobby. In diesem Sinne möchte ich dem Bundesverkehrsminister nicht aus seinem verkehrs- und umweltpolitischen Lügensumpf heraushelfen. Ich muß das so hart formulieren.
Meine Damen und Herren, wir vom Bündnis 90/ GRÜNE setzen gegen diese - wie Frau Merkel sagt - gegen den Strom gerichtete Politik der Bundesregierung die Vorstellung auf ein gerechteres zukunftsorientiertes Konzept. Dazu bedarf es allerdings des Mutes zur Entscheidung und nicht des Aussitzens bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Herr Töpfer, Sie haben doch einen Brief von 100 Parlamentarierinnen aus der ganzen Welt erhalten. Warum haben Sie diesen Brief nicht beantwortet? Da sind sogar Ministerinnen aus Hessen oder Niedersachsen dabei, die Sie einfach gebeten haben, sich dafür einzusetzen, diese Problematik - nämlich die Politik und Situation der Frauen, diesen Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik und der Umweltpolitik - auch in Rio darzustellen. Das wäre doch so einfach gewesen. Das wäre, wie ich gehört habe, als Beispiel für die Zusammenarbeit notwendig gewesen.
({1})
Oder: Vorhin wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung gelobt. Ich finde, das ist phantastisch. Ich akzeptiere das voll und ganz. Aber wo bleibt die Durchführungsverordnung dazu? Auch da sind wir doch ein bißchen über die Zeit hinaus, und dann wären so peinliche Situationen wie im Falle des Steinkohlenkraftwerks in der Stadt Rostock nicht passiert oder das Naturschutzgesetz, das wir bereits erwähnt haben.
Wir brauchen, aber das ist jetzt nicht mehr Ihr Ressort, eine Verkehrswende. Der Entwurf des gesamtdeutschen Verkehrswegeplans gehört in den Papierkorb. Statt dessen ist ein integriertes Verkehrskonzept zu entwickeln, das auch die Erkenntnisse der Klimaforschung aufnimmt.
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Ich will mit ein paar abschließenden Worten einfach sagen: Ich glaube, Herr Paziorek hat gesagt, jede Mark hilft, und da finde ich es gut, daß in den Zeitungen steht - ich will es einfach einmal anders formulieren -, daß die Menschen gerade in den neuen Ländern noch gar keine so richtige Beziehung zu Umweltproblemen haben. Ich glaube aber, sie sind dort sehr weit. Da gab es für mich eine bezeichnende Situation. Da war eine kleine Bürgerinitiative hier aus Pankow, in Berlin, mitten in Umweltproblemen, die gesagt hat, daß sie helfen will. Da gab es eine Situation, die vielleicht unsere Kollegen Damen und Herrn Abgeordneten aus den westlichen Bundesländern nicht nachvollziehen können, weil sie das nicht miterlebt haben. Diese Bürgerinnen und Bürger bekamen ein Briefmarkenheftchen nach Hause geschickt. Da waren zehn Briefmarken zu einer Mark drin, und diese hat ihnen der Herr Schwarz-Schilling mit freundlichen Grüßen dafür geschickt, daß die Postgebühren auf das gesamtdeutsche Niveau angehoben werden sollten. Dafür gab es natürllich keine Gegenleistung, die Post im Osten ist immer noch in der gleichen Situation. Aber zumindest gab es so etwas wie den Versuch: Mit zehn Mark sind Sie dabei, um damit den Menschen zu sagen: Die Bundesregierung denkt an euch.
Diese haben nun einfach die Idee aufgenommen und gesagt: Wir wollen diese Marken nicht, macht sie zu Geld, zehn Mark, und ich gebe meine zehn Mark, manche haben noch etwas dazugegeben, ganz einfach für einen Zweck, für ein Regenwaldprojekt, jede Mark hilft.
Nun haben wir uns also an die Post gewandt - sie haben uns damit beauftragt -, und wir haben versucht, dafür Geld zu kriegen. Entweder war es dem Herrn Schwarz-Schilling zu peinlich, diese Marken, die dort eine gewisse Peinlichkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern hervorgerufen haben, wieder zurückzunehmen, wir haben das Geld nicht gekriegt. Wir haben sie jetzt verkauft, zum Teil, aber ich habe ein paar übrigbehalten, und zwar ganz einfach, um die Probe aufs Exempel zu machen. Ich möchte allen gutgewillten Abgeordneten auch die Chance geben, insbesondere meinen Kolleginnen und Kollegen aus den alten Bundesländern, so ein Heftchen zu erwerben, was darüber hinaus einen entsetzlichen philatelistischen Wert hat. So können Sie helfen. Sie kriegen sogar Marken dafür, Sie haben eigentlich keinen finanziellen Verlust, aber Sie können demonstrieren, daß Sie ganz einfach dabei sind. Immerhin, Briefe schreiben hilft auch Verkehr zu vermeiden. - Das gilt allerdings nicht für Liebesbrief e.
Ich werde sehen, ob ich meine Marken loswerde. Ansonsten muß ich ganz einfach sagen, daß es mir wichtig wäre, daß Sie mit so kleinen Beiträgen doch auch irgendwann einmal dazu kommen, mit großen Beiträgen darauf Einfluß zu nehmen, daß die Bundesregierung und auch die Regierung in den Vereinigten Staaten nicht mehr die Chance haben, eine so entsetzliche Wirtschafts- und Umweltpolitik voranzutreiben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Herr Abgeordneter, ich werde darüber nachdenken, ob solche verkaufsfördernden Empfehlungen von dort unbedingt richtig sind. Im übrigen wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen.
Der Abgeordnete Harries hat jetzt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner erlaube ich mir vorweg die Anregung - obwohl ich weder bei Ihnen noch bei mir irgend welche Müdigkeitserscheinungen feststelle -, doch zu gegebener Zeit in geeigneter Runde einmal darüber nachzudenken, ob wirklich - bei aller Wichtigkeit dieses Themas - vier oder, wie ich feststelle, sogar fünf Stunden erforderlich sind, um hier zu diskutieren. - Zur Anregung weitergegeben!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner hat man auch die Möglichkeit, ein vorläufiges Resümee dessen zu ziehen, was in dieser Zeit diskutiert wurde. Ich meine, wir sind uns einig darüber, daß weltweit Handlungsbedarf besteht, daß es globale Umweltprobleme gibt und daß sich die Dritte Welt entwickeln muß. Mit Recht wurde dargestellt, daß die Dritte Welt unter Hunger, unter Armut, unter Bevölkerungsexplosion, unter Not leidet, selbst Umweltprobleme erzeugt, Tropenwälder vernichtet. Wir sind uns auch einig darüber, daß sich die Verursacher von Schadstoffemissionen und von Umweltproblemen in den Industrieländern, also insbesondere auch bei uns, befinden.
Meine Damen und Herren, wenn ich es richtig werte, sind wir uns auch über die Ziele einig. Ich sagte schon, daß Handlungsbedarf besteht und daß wir aufgerufen sind, zu einem möglichst nahen Zeitpunkt die globalen Umweltprobleme zu regeln, aber gleichzeitig auch die Dritte Welt zu entwickeln und ihr die dazu erforderlichen Chancen zu geben. Nicht einig sind wir uns über die Wege, die zu diesem einvernehmlichen Ziel führen.
Den Beitrag des hessischen Umweltministers kann ich überhaupt nicht ernst nehmen.
({1})
Er hat sich für meine Begriffe wieder als brillanter Feuerwerksspezialist gezeigt, aber nicht als Realpolitiker, der wirkliche Wege zur Erledigung der dargestellten Probleme aufzeigt.
({2})
Im Grunde hat er hier vorgeschlagen, aus dem Industriestandort Bundesrepublik Deutschland, aber auch aus dem Wachstum auszusteigen. Er hat nein zur Kernenergie gesagt - die uns allen bekannten Parolen -, nein zur Autoindustrie,
({3})
nein zur Entwicklung von Wirtschaft und Handel. Das führt nicht weiter.
Die SPD-Opposition hat die Befürchtung dargestellt, daß in Rio im Grunde eine Nullösung zu befürchten und zu erwarten sei und daß daran weitgehend die Bundesregierung und den Bundeskanzler schuld trügen.
({4})
Beide Aussagen halte ich für verkehrt; sie sind nicht haltbar. Rio wird keine Nullösung bringen. Die globale Umweltaufgabe ist ein internationales Thema geworden und wird von der Tagesordnung der internationalen Konferenzen nicht mehr verschwinden. Es ist ganz wesentlich ein Erfolg des Kanzlers, ein Erfolg des Bundesumweltministers und der Bundesregierung, daß das Thema international geworden ist.
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Nach allem, was wir wissen und was vorbereitet wird, haben wir sehr wohl zu erwarten, daß in Rio eine Klimakonvention verabschiedet wird, wenn auch nicht mit dem erhofften weitgehenden Inhalt. Das ist klar, das ist in einer Konferenz nicht zu erreichen. Aber es ist offenbar zu erreichen, daß sich in Rio alle Länder verpflichten, den Ist-Zustand ihrer Schadstoffemissionen zu messen, bekanntzugeben und nachprüfen zu lassen. Ferner wird das Ziel zum Ausdruck kommen, Schadstoffemissionen zu minimieren. Es ist heute mit Recht vom Bundesumweltminister darauf hingewiesen worden, daß eine Folge von Konferenzen den notwendigen Erfolg bringt. Es ist vorhin der KSZE-Prozeß erwähnt worden, der letzten Endes wesentlich zur deutschen Einheit geführt hat.
Ich erinnere an die FCKW- und Halon-Konferenzen in Montreal, London und Kopenhagen. Inzwischen stehen die endgültigen Termine international verpflichtend fest. Ich erinnere auch an die NordseeKonferenzen. Diese drei Konferenzen haben eine weitgehend saubere Nordsee bewirkt.
Es klang bei der SPD auch an, daß zwar kein Austritt aus der Industriegesellschaft, aber im Grunde doch ein globales Umdenken mit Austrittszenarien erforderlich sei. Hiervor kann ich nur warnen. Ich plädiere dafür, daß wir mit Marktwirtschaft, mit qualitativem und quantitativem Wachstum in den Industrieländern, also auch mit uns, an die Bewältigung der Probleme herangehen - allerdings mit einer Marktwirtschaft, die sozial und, wie wir es beweisen und demonstrieren, ökologisch flankiert und abgesichert ist. Dieses Instrumentarium für die Entwicklung der Dritten Welt ist der richtige Weg, um die Ziele zu erreichen.
Ich bedanke mich.
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Meine Damen und Herren, bevor wir nun zu einer Vielzahl von Abstimmungen kommen, möchte ich zunächst einmal die Genehmigung des Hauses einholen, daß der Abgeordnete Michael Müller seine Rede zu Protokoll geben kann; er ist zur Zeit in einer Enquete-
Kommission. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.' )
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 a auf. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE zur Regierungserklärung. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/2620 vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der SPD mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 c auf. Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und F.D.P.: „Klimaveränderung gefährdet globale Entwicklung". Dieser Antrag liegt Ihnen auf der Drucksache 12/2551 vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und Gegenstimmen aus den Gruppen ist der Antrag angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 f auf. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Anträgen der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD sowie der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE zur UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung 1992". Sie liegen Ihnen auf den Drucksachen 12/2489, 12/1652, 12/2298 und 12/2587 vor.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen unter Nr. I die Annahme dieser Entschließung. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion angenommen worden.
Unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/2489 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen worden.
Unter Nr. III wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1652 ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden.
Unter Nr. IV empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2298 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei unterschiedlichem Stimmverhalten der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der beiden Gruppen angenommen worden.
Zum Tagesordnungspunkt 4 g. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Bericht der Bundesregierung und den Anträgen der Fraktion der SPD zur Tropenwalderhaltung. Es handelt sich um die Drucksachen 12/1831, 12/921, 12/2109 und 12/2598.
') Anlage 2
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. I, nach zustimmender Kenntnisnahme des Berichts der Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen worden.
Unter II. empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/921 - Klimaschutz durch Maßnahmen zur Tropenwalderhaltung - abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie eben angenommen worden.
Unter III. wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2109 - Importverbot für Tropenhölzer aus Primärwäldern - ebenfalls abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - dies betrifft Zusatzpunkt 1: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Luftverschmutzung durch Ozon - auf Drucksache 12/2577. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zu? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung bei Enthaltung der beiden Gruppen angenommen worden.
Wir stimmen jetzt - Zusatzpunkt 2 - über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Aufnahme gefährdeter Tropenholzarten in das Washingtoner Artenschutzabkommen ab. Ich verweise auf die Drucksachen 12/2095 und 12/2614. Der Ausschuß empfiehlt unter I. die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? ({0})
- Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, die Möglichkeit geben, ihr Stimmverhalten zu korrigieren: Es handelt sich um eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die auf Antrag der Fraktion der SPD zustande gekommen ist.
({1})
Wenn Sie dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünschen, bitte ich um Ihr Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
({2})
Unter II. empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2095 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung unter II. ist bei sehr unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der Gruppen und der SPD-Fraktion angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 4 b, 4 d, 4 e und 4h und damit zu den Vorlagen auf den Drucksachen 12/2400, 12/2072, 12/2121 und 12/2081. Dies betrifft den Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre", den Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE zum Sofortverbot von ozonschädigenden Substanzen, den Antrag der Fraktion der SPD zum Schutz der Ozonschicht und der Atmosphäre und die Unterrichtung der Bundesregierung zur Reduzierung der energiebedingten CO2-Emissionen.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse vor. Werden aus dem Hause andere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich die Überweisung als beschlossen feststellen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatzpunkt 3 auf:
2. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes
- Drucksache 12/2505 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({3})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumodnung, Bauwesen und Städtebau
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes
- Drucksache 12/2507 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten ({5})
- Drucksache 12/2508 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({6}) Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wohngeld und Mietenbericht 1991
- Drucksache 12/2356 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie und Senioren
Haushaltsausschuß
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
ZP3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Inge Wettig-Danielmeier, Uta Würfel, Dr. Hans de With, Gerhart Rudolf Baum, Susanne Rahardt-Vahldieck, Dr. Wolfgang Ullmann und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ({8})
- Drucksache 12/2605 Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" ({9})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Bei Zusatzpunkt 3 möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß er den in der vergangenen Woche eingebrachten weiteren Gesetzentwurf zu § 218 StGB betrifft.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? ({10})
Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich feststellen, daß das einstimmig beschlossen worden ist.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 3 auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Menschenhandel
- ({11})
- Drucksache 12/2046 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12})
- Drucksache 12/2589 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse Cornelia Yzer
({13})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({14}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Umsetzung der EG-Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens
- Drucksachen 12/770, 12/2540 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich Kolb
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 58 zu Petitionen
- Drucksache 12/2557 Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zum Menschenhandel, der Ihnen auf den Drucksachen 12/2046 und 12/2589 vorliegt.
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf der Drucksache 12/2609 vor. Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen der GRÜNEN ist dieser Gesetzentwurf in der zweiten Lesung angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist bei Enthaltungen der beiden Gruppen angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2609. Wer beabsichtigt, dem Entschließungsantrag zuzustimmen? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P. bei Enthaltung des Bündnisses 90/GRÜNE abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 3 c. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/2557 ab. Es handelt sich um die Sammelübersicht 58. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen.
Meine Damen und Herren, bevor ich zum nächsten Tagesordnungspunkt komme, möchte ich eine Delegation des Bundesparlaments der CSFR, die unsere Debatte zum nächsten Tagesordnungspunkt verfolgen will, begrüßen. Es ist mir eine besondere Ehre und ein Vergnügen.
({16})
Ich tue dies besonders gerne auch in der Hoffnung, daß die anschließende Debatte der Normalisierung und Festigung gutnachbarschaftlicher Beziehungen dienen wird.
Meine Damen und Herren, eine umsichtige Verwaltung macht mich darauf aufmerksam, daß ich eine Beschlußempfehlung, nämlich die zu Tagesordnungspunkt 3 b, übersehen habe. Ich bitte Sie, mir zu helfen, dies zu korrigieren. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Umsetzung der EG-Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens, Drucksachen 12/770 und 12/2540. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch diese
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen worden.
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 5:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Februar 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksachen 12/2468, 12/2612 - Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({17})
- Drucksache 12/2621 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Werner ({18}) Dr. Peter Glotz
({19})
Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE sowie der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Der Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2526 unter Tagesordnungspunkt 5 b betreffend den Vertrag mit der CSFR über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit wurde zurückgezogen.
Zugleich rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 6. Februar 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa
- Drucksachen 12/2469, 12/2613 Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({20})
- Drucksache 12/2622 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers Dr. Peter Glotz
({21})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von zwei Stunden vor. Wenn sich kein Widerspruch erhebt - das ist offensichtlich der Fall -, dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst einmal dem Abgeordneten Werner das Wort. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einmütiger Beratung im Auswärtigen Ausschuß verabschieden wir heute den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag, der in
beiden Signatarstaaten von den Menschen besonders kritisch hinterfragt und teilweise abgelehnt wird. Dennoch hat sich das Föderalparlament in Prag nach mutigen Beiträgen einzelner Befürworter und nachdem die Debatte dort ein hohes Maß an Kritik und Erwartung zum Ausdruck gebracht hatte, mit klarer Mehrheit für diesen Vertrag ausgesprochen.
In der Tat, auch für uns gilt doch, daß der Vertrag nicht das Optimum alles Wünschenswerten ist. Aber dieser Vertrag ist die Konkretisierung des heute im Verhältnis zwischen beiden Staaten Machbaren. Er ist gewiß ein Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen beider Seiten, der dadurch zustande kam, daß die heute noch nicht lösbaren Fragen entweder ausgeklammert und für zukünftige Regelungen offengehalten wurden oder auf andere Weise in Zukunft einer Regelung zugeführt werden sollen. Beiden Seiten ging es darum, im Rahmen des heute Möglichen zukunftsgerichtetes Handeln zu gestalten.
Jeder Einsichtige versteht, warum der Vertrag gerade jetzt angestrebt wurde. Die politische Klugheit gebietet es dem neuen Deutschland, durch vertragliche Regelungen mit den östlichen Nachbarn Vertrauen zu schaffen und zugleich durch enge Kooperation deren Demokratie und Wirtschaft zu stabilisieren. Die Notwendigkeit, den Anschluß an die demokratische und wirtschaftlich erfolgreiche Europäische Gemeinschaft auf dem Wege über Deutschland zu erlangen, hat die CSFR veranlaßt, auf der Grundlage des Vertrages von 1973 ihr Verhältnis zu Deutschland weiterzuentwickeln und für die Zukunft auf eine qualitativ neue Ebene zu stellen.
Mit diesem Beitrag hier möchte ich mich namens der CDU/CSU an die beiden Regierungen, aber auch an die betroffenen Menschen in beiden Staaten wenden.
Den Vertriebenen gegenüber möchte ich unterstreichen: Das Vertragswerk hat die Rechte der Sudetendeutschen nicht geschmälert. Das Vertragswerk hat vielmehr die Bestätigung der tschechoslowakischen Seite gebracht, daß verschiedene Fragen offen sind. Das Vertragswerk hat beiderseits das Eingeständnis von Unrecht und Schuld festgehalten.
Daran vermag der sogenannte Motivenbericht, dessen Inhalt und Herkunft in Prag selber umstritten ist, nichts zu ändern.
({0})
Er sollte im Interesse der Wahrhaftigkeit durch die bald neu gewählte Regierung in Prag möglichst revidiert werden.
Die CDU/CSU-Fraktion legt großen Wert darauf, daß die deutsche und die tschechoslowakische Regierung die Vermögensfrage, die offengehalten wurde, nicht einfach als erledigt zur Seite legen. Es müssen doch Gespräche zwischen den vertriebenen Sudetendeutschen und den Regierungen der Tschechei und der Slowakei darüber in die Wege geleitet werden können, wie der Rechtsfrieden auf für beide Seiten menschlich und wirtschaftlich vertretbare Weise wiederhergestellt werden kann.
Herbert Werner ({1})
Viele Sudetendeutsche würden gewiß auf ihre Ansprüche verzichten, wenn sie den guten Willen und zugleich die kaum mögliche Durchführung von Restitution und Entschädigung seitens der Tschechoslowakei sehen würden. Allen Vertriebenen ist der Gedanke jedweder neuen Vertreibung oder Enteignung völlig fremd.
Die Tschechen möchte ich beruhigen. Jede Form von Entschädigung, die mit einer Bewirtschaftungspflicht oder mit einer Reinvestitionspflicht verbunden ist, kann der CSFR nur helfen, zusätzliches Kapital ins Land zu holen. Mit einer möglichen derartigen Regelung individueller Ansprüche stellt sich unseres Erachtens die Frage der kriegsbedingten Reparationen zwischen beiden Staaten nicht. Es handelt sich hier um die Anerkennung individueller Menschenrechte durch die Tschechoslowakei, die auf dem Wege zu einem Rechtsstaat ist bzw. ein Rechtsstaat sein will.
Ähnlich verhält es sich mit dem Wunsch, daß Prag den Sudetendeutschen gegenüber schon vor dem EG-Beitritt das Recht auf die Heimat anerkennt. Die Tschechen - ich sage dies als Sudetendeutscher - würden sehr rasch sehen, daß nur wenige Sudetendeutsche, die in Deutschland eine Heimat gefunden haben, das Niederlassungsrecht konkret wahrnehmen würden. Jene, die wieder in der CSFR siedeln würden, wären zweifelsohne für dieses Land ein großer Gewinn.
Wenn es eine Tatsache ist, meine Damen und Herren, daß der Vertrag nichts verschüttet hat, dann müssen Wege zur Lösung beider Problemkreise von beiden Seiten gewollt und beschritten werden. Die zukünftige Föderalregierung in Prag sollte deswegen rasch den Mut dazu aufbringen, auch und gerade zum Vorteil der Tschechoslowakei. Ein Spekulieren auf das Abtreten der Erlebnisgeneration wäre verhängnisvoll. Das Wissen um elementares Unrecht ist, wie die Geschichte zeigt, nicht an eine Generation gebunden. Wer die Geschichte möglichst objektiv aufarbeiten und darstellen will, wird notwendigerweise immer wieder das Unrecht beider Seiten beim Namen nennen müssen. Mutige Parlamentarier in Prag haben dies während der Ratifizierungsdebatte getan. Wenn für beide Seiten feststeht, daß die Vertreibung ein Unrecht war, dann müssen beide Seiten Mittel und Wege suchen, um die Folgen dieses Unrechts so weit wie möglich und ohne wechselseitige Überforderung wiedergutzumachen. Nachträglich ungeschehen machen kann man zweifelsohne nichts.
Meine Damen und Herren, die Vertriebenen wissen sehr wohl, daß nichts wieder so werden wird, wie es einmal war, daß aber auch nichts so bleiben wird, wie es heute ist. Ich appelliere deswegen an alle Vertriebenen, dabei mitzuhelfen, daß der Vertrag mit Leben erfüllt wird. Je reichere Früchte er tragen wird, um so leichter werden die offenen Fragen gelöst werden können. Vertrauen auf beiden Seiten tut not. Vertrauen ist die Grundlage für die Lösung des noch Ungelösten. Lassen Sie uns daher gemeinsam mutig anpacken und nicht mißmutig ins Abseits treten!
Ich appelliere an die Vertreter der deutschen Minderheit in der CSFR: Schließen Sie sich zusammen, damit Sie von uns und auch von den tschechoslowakischen Parteien wirkungsvoll unterstützt werden können. Die Restitution für Sie in der Tschechoslowakei ist ein erster gemeinsamer Erfolg. Vergessen Sie als Minderheit in der CSFR aber auch nicht die Notwendigkeit aktiver Mitwirkung im neuen tschechoslowakischen Staat.
Ich appelliere an die Regierung der Tschechoslowakei: Helfen Sie der deutschen Minderheit, ihre Identität zu bewahren! Wehren Sie sich gegen alle Nationalisten, die mit Angstparolen ihr parteipolitisches Spiel treiben. Seien Sie zu Gesprächen mit den vertriebenen Sudetendeutschen bereit, damit beide Seiten die unterschiedlichen Standpunkte authentisch und ohne Verdrehung kennenlernen. Stellen Sie die noch laufenden Versteigerungen früheren deutschen Grundeigentums aus Staatsbesitz deswegen ein. Auch wenn noch in vielen Köpfen die kommunistische und nationalistische Verteufelung der Deutschen steht, wagen Sie in Prag Ihren Führungsauftrag!
Schließlich appelliere ich an die Bundesregierung, sich im In- und im Ausland zum Sprecher für die vertriebenen Sudetendeutschen und für die Volksgruppenrechte zu machen und die Deutschen in der CSFR nach Kräften zu unterstützen und nötigenfalls auch das vereinbarte Schiedsgerichtsverfahren einzuleiten.
Meine Damen und Herren, die vielfältigen Bemühungen zur Zusammenarbeit zwischen den beiden Völkern könnten durch eine deutsch-tschechoslowakische Stiftung koordiniert werden, die den Namen des großen Erziehers und Europäers Jan Amos Comenius, der vor 400 Jahren geboren wurde, tragen könnte. Die gezielte Aufarbeitung der Geschichte, die Analyse der Gegenwartsprobleme, das frühzeitige gemeinsame Anpacken von Zukunftsaufgaben vom Umweltschutz bis zur Kultur, die Koordinierung der vielfältigen Bemühungen der Organisationen und Regionen und die Vermittlung eines breiten Informationsangebotes in beiden Staaten über beide Staaten könnte diese Stiftung der Verständigung und der Versöhnung leisten. So wie die Euro-Regionen und das Jugendwerk wäre die Stiftung ein bedeutsamer Ansatz und eine bedeutsame Umsetzung des Vertrages, über den wir heute entscheiden.
Wenn alles dies, meine Damen und Herren, in guter Absicht auf beiden Seiten geschieht, wenn dies in der Absicht und mit der Bereitschaft geschieht, auf beiden Seiten zur Verständigung zu gelangen, dann wird der Vertrag eine neue und, wie ich meine, gute Epoche zwischen Deutschen und Tschechen und zwischen Deutschen und Slowaken in die Wege leiten. Deswegen bitte ich Sie, meine Damen und Herren, diesem Vertrag zuzustimmen.
Wir, die CDU/CSU, stimmen dem vorliegenden Vertrag zu und bitten Sie zugleich, der Resolution der CDU/CSU und der F.D.P., welche nochmals die Ausgangsposition und die Eckpunkte für die zukünftige Gestaltung des deutsch-tschechoslowakischen Verhältnisses darlegt, Ihre Stimme zu geben. Ich glaube, wir alle sind heute aufgerufen, wie auch immer - mit mehr oder weniger Kritik - wir dem Vertragswerk gegenüberstehen mögen, offensiv und positiv den Schritt in eine gemeinsame gute Zukunft zu tun.
Herbert Werner ({2})
Vielen Dank.
({3})
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Glotz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wiederhole für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die schon in der ersten Lesung ausgesprochene Unterstützung für diese Verträge. Die Bundesregierung kann, Herr Bundesminister, davon ausgehen, daß sich die Sozialdemokraten an allen konkreten Maßnahmen beteiligen werden, die zur Ausfüllung dieser Verträge führen. Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, daß alle Deutschen - aber nicht nur alle Deutschen - begreifen: Ost- und Mitteleuropa ist ein genuiner Teil Europas. Budapest und Prag sind europäische Städte genauso wie Berlin und Paris. Wir reden nicht nur darüber, sondern mit diesen Verträgen handeln wir auch. Das ist unsere gemeinsame Auffassung.
({0})
Diese gemeinsame Handlungsperspektive kann dadurch verdeckt werden, daß zwei unterschiedliche Entschließungsentwürfe von seiten der Koalition und von seiten der SPD und des Bündnisses 90 vorliegen. Das sieht nach Streit aus. Meine Damen und Herren von der Koalition, wir bedauern die gestern aus den unendlichen Tiefen dieser Koalition endlich ans Tageslicht geförderte Entschließung schon deshalb, weil sie ein Zankapfel im tschechoslowakischen Wahlkampf werden könnte. Schon aus diesem Grunde bedauern wir sie. In einer altbayerischen Anwandlung, die mir als Sudentendeutschem gut ansteht, sage ich dazu: Ihre Entschließung ist so unnötig wie ein zweiter Kropf, Herr Bötsch.
({1})
Ich möchte vor der Öffentlichkeit klarstellen: Wir Sozialdemokraten waren dafür, diese Verträge blank zu beschließen, d. h. ohne weitere Entschließungen von unserer Seite oder auch von Ihrer Seite. Wir waren auch zu einem gemeinsamen Text bereit, meine Damen und Herren. Wenn der Text dieser Entschließung aber zu Beginn der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gestern, in der wir die Bedenken des Bundesrates und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu beraten haben, noch nicht vorlag - Herr Lamers mußte seiner Fraktion zu diesem Zeitpunkt noch darüber berichten - und niemand mit der Opposition geredet hatte oder reden konnte, weil sich CSU und F.D.P. wie die Kesselflicker bekriegten, dann kann man uns jetzt nicht mehr zumuten, eine Entschließung zu unterschreiben, die die Olympioniken schließlich am Ende einer langen Wegstrecke mühsam zustande gebracht haben.
({2})
Einer Agenturmeldung entnehme ich: Zur Befriedung der Streitparteien und zur Durchsetzung der Entschließung in der F.D.P. war schließlich der Abgeordnete Genscher notwendig. Für die nächsten Prozeduren dieser Art empfehle ich Ihnen, meine Damen und
Herren, die Einladung von Henry Kissinger. Ihre Debatten werden immer mehr zu Camp-David-Prozessen.
({3})
Meine Damen und Herren, Ihre Koalition ist in einer Stimmung, an die ich mich gut erinnere: Es ist die Stimmung, Herr Kollege Genscher, etwa im Sommer 1981.
Herr Kinkel, ich wünsche Ihnen, daß Sie trotz dieser Krampfzustände eine konsistente Außenpolitik zustande bringen, und wir trauen Ihnen das auch zu.
({4})
Ich habe Anlaß zu der Feststellung: Jenseits des Parteienstreits, den ich gerade ausgetragen habe
({5})
und der in einer Demokratie gelegentlich unvermeidlich ist, gibt es unter den Deutschen eine breite Unterstützung dieses Vertrages.
({6})
Ich habe zwar meine Zweifel, ob es wirklich richtig ist, heute auf eine volle Mitgliedschaft der Tschechoslowakei in der Europäischen Gemeinschaft einen Vorgriff machen zu wollen und Deutschen bei der Niederlassung in der Tschechoslowakei eine Art Sonderstatus einzuräumen. Wir glauben, das ginge nur, wenn man es umgekehrt auch für die Tschechen machte.
({7})
Die gegenseitige Wirkung wäre, daß sich 300 000 Tschechen in der Oberpfalz und in Oberfranken und daß sich 3 000 Sudetendeutsche in Westböhmen niederlassen würden. Dann möchte ich die CSU sehen, meine Damen und Herren!
({8})
Ich glaube, dieses Element der Entschließung ist nicht vollständig durchdacht. Ich bin auch ein bißchen skeptisch, Herr Kollege Werner - trotz Ihrer überaus konstruktiven Rede -, was das Thema Ansprüche betrifft. Was Sie gesagt haben, war ehrlich. Sie haben das Wort von der „kaum machbaren Restitution" ausgesprochen. Ich weiß das zu würdigen. Am ehrlichsten wäre, wenn wir den Sudetendeutschen sagen würden - ich bin Sudetendeutscher -: Leider ist die ökonomische Situation so, daß wir nicht hoffen können, daß Vermögen zurückgegeben werden kann. Das wäre das ehrlichste, was wir sagen könnten.
({9})
Ich möchte in die tschechoslowakische Öffentlichkeit hinein und zu den Kolleginnen und Kollegen, die hier im Hause sitzen, sagen: Lassen Sie sich nicht einreden, daß es, was das deutsch-tschechoslowakische Verhältnis betrifft, heute eine starke Minderheit in Deutschland gäbe, die sozusagen nur darauf lauert,
hinter dem Rücken der Verträge revanchistische Ansprüche anzumelden.
({10})
Wir sind zwar der Meinung, daß die Entschließung der Koalition überflüssig, weil selbstverständlich ist; revanchistisch aber ist sie nicht.
({11})
Der zentrale Hinweis auf den Dialog zwischen Richard von Weizsäcker und Vaclav Havel ist angemessen und richtig formuliert und findet auch die Zustimmung der Opposition.
({12})
Die Forderung des Kollegen Werner, was die Volksgruppenrechte betrifft, wie überhaupt seine ganze Rede, wird von uns mitgetragen. Ich denke, wir sind Gott sei Dank soweit, daß wir heute sagen können: Das ganze deutsche Volk will Versöhnung mit Slowaken und Tschechen. Darüber müssen wir uns nicht streiten. Das ist ein großer Schritt in die Zukunft hinein.
({13})
Damit bin ich bei der Zukunft. Ich will nur zwei Dinge erwähnen. Das eine ist die regionale Zusammenarbeit. Euregio Egrensis heißt das, eine gemeinsame, grenzüberschreitende Region um Eger herum. Wenn wir das gemeinsam fordern, wenn wir - das sage ich jetzt in Richtung CSU - Termine nicht verschieben, sondern unabhängig von Wahlkämpfen wirklich alles tun, damit zustande kommt, was beabsichtigt ist, wenn man die Bereitschaft von Ministerpräsident Pithart und anderen aufgreift, zu uns zu kommen, kann das ein ungeheuer positiver Schritt in die Zukunft sein.
Zweitens unterstütze ich die Idee einer Stiftung. Sie steht auch in unserem Entschließungsantrag. Herr Bundesfinanzminister, bei uns wird nur auf die NS- Opfer der Tschechen Bezug genommen. Wir sind selbstverständlich der Auffassung, daß auch die sudetendeutschen Opfer Berücksichtigung finden sollten, wenn wir das mit den Tschechen vereinbaren können. Daß das möglich ist, davon bin ich nach den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, überzeugt. Ich weiß, in welchen Schwierigkeiten Sie aus allgemeinen finanzpolitischen Gründen sind, weitere Finanzmittel dafür aufzubringen. Ich finde den Vorschlag, eine solche Stiftung nach Comenius zu benennen, sehr, sehr vernünftig und richtig.
({14})
Wenn es uns gemeinsam gelingt, Herr Waigel, eine zukunftsbezogene tschechoslowakisch-deutsche Stiftung zu schaffen, die zwar aufzuarbeiten versucht, was an schrecklicher Vergangenheit zwischen unseren Völkern liegt, aber zugleich in die Zukunft hinein praktische Arbeit tut, wäre das wirklich alle Anstrengungen wert, genauso wie bei der polnischen Stiftung. Lassen Sie uns das gemeinsam versuchen.
({15})
Damit komme ich zum Schluß. Vielleicht vermittelt diese Debatte einen etwas idyllischen Eindruck, meine Damen und Herren. Es gibt Gott sei Dank nicht viele Konflikte zwischen Ungarn, der Tschechoslowakei und Deutschland, für die wir heute Verträge verabschieden. Alle Parteien bemühen sich um neue Konzepte für das neue Europa. Ich erinnere beispielsweise auch an uns Sozialdemokraten. Johannes Rau und Heidemarie Wieczorek-Zeul haben gerade den Versuch eines ersten Drafts, einer ersten Kennzeichnung der Zukunftsprobleme vorgelegt. Aber dazu, wie ernst es um uns herum in Europa ist, zitiere ich zwei Sätze aus der „Wiener Zeitung" von vor wenigen Tagen - das bezieht sich auf Bosnien -:
Was jetzt passiert ist, ist hundertmal prophezeit worden: Libanonisierung, Zersplitterung in viele kleine bewaffnete Gruppen, die keiner politischen Kontrolle unterliegen, ein Kampf ohne Fronten und ein blutiges Gemetzel unvorstellbaren Ausmaßes.
({16})
Politische Extremisten, Marodeure, Straßenräuber, Religionsfanatiker und psychisch gestörte Existenzen terrorisieren die Zivilbevölkerung. Das schlimmste aller möglichen Szenarien ist Wirklichkeit geworden.
Und dann kommt der Satz:
Europas Politiker wollten nichts von den warnenden Stimmen wissen. Sie doktorten dilettantisch und von persönlichen Sympathien geleitet am Problem herum und schafften es, die Lage zu verschlimmern.
Meine Damen und Herren, es sieht in Europa nicht so gut aus, wie der unumstrittene Text der beiden Verträge, über die wir heute beschließen, glauben macht. Lassen Sie uns in den nächsten Monaten schon diese Verträge benutzen, die Chancen ausarbeiten, die in diesen Verträgen und im Verhältnis zu diesen Völkern stecken! Unser Ziel muß es sein, bosnische Situationen in Europa zu vermeiden und die Zusammenarbeit von Tschechen, Slowaken, Ungarn und Deutschen so fest in der Verflechtung des Alltags zu verankern, daß der Irrsinn ethnischer Konflikte das deutschtschechische Verhältnis, das deutsch-slowakische Verhältnis, das deutsch-ungarische Verhältnis nie mehr stören kann. Wenn wir in diesem Sinne gemeinsam arbeiten, können diese Verträge ein großer Schritt in die Zukunft unserer Völker sein.
Herzlichen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Josef Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe mit meinen Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.-BundesJosef Grünbeck
tagsfraktion, aber auch mit vielen sudetendeutschen Landsleuten, sicher auch mit der Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik und der CSFR, daß dieses Parlament heute in einer großen, historischen Stunde sowohl dem deutsch-tschechischen Vertrag als auch dem deutsch-ungarischen Vertrag zustimmt. Lassen Sie mich dazu eine kurze persönliche Erklärung abgeben:
Ich habe als junger Mensch den letzten Krieg als Soldat, mehrfach verwundet, erlebt, und habe mich gefreut, überlebt zu haben und heimzukommen in meine sudetendeutsche Heimat. Mich hat dieser Krieg geprägt, weil ich viele Freunde verloren habe, weil ich als junger Mensch Bombengeschädigte, Greise, Kinder und Mütter, aus den Trümmern holen mußte.
Ich habe also das glückliche Gefühl gehabt, überlebt zu haben. Und dann kam die Vertreibung: Mein Großvater starb während der Vertreibung in einem Straßengraben. Mein Vater starb an den Mißhandlungen, und der Vater meiner Frau wurde ermordet. Dennoch waren meine Frau und ich Mitgestalter und auch Mitunterzeichner der Charta 1950, der Charta der Vertriebenen - meines Erachtens eine der größten Friedensinitiativen, die wir hatten,
({0})
weil man der Rache und der Vergeltung abgeschworen und die Versöhnung und die Aussöhnung festgeschrieben hat.
Aber die Terminologie verlangt, daß ich, wenn ich Versöhnung und Aussöhnung will, verzeihe. Wenn wir gegenseitig nicht verzeihen, können wir auch keine Aussöhnung und Versöhnung beider Völker herbeiführen.
({1})
Die Charta der Vertriebenen hat aber noch einen anderen Bestandteil. Man hat dort schon 1950 das Ziel eines dauerhaften Friedens in Europa festgeschrieben. Wir stehen so nahe davor wie nie zuvor.
Lassen Sie mich aus aufrichtigem Herzen danken: dem Bundespräsidenten für seine Rede in Prag, dem Bundeskanzler und besonders Ihnen, Herr ehemaliger Außenminister und lieber Freund Hans-Dietrich Genscher, für diese beharrliche Leistung der Aussöhnung und der Aushandlung dieser Verträge.
({2})
Was ist jetzt? Ich erinnere mich noch an die Einbringungsrede des Außenministers Genscher, der gesagt hat, es werde in Zukunft mehr als je zuvor nicht mehr auf die Macht, sondern in hohem Maße auf die Verantwortung ankommen. Wo liegt denn die Verantwortung, meine Damen und Herren?
Zwischen Prag und Wien gab es eine Jahrhunderte alte Rivalität deutscher Kultur. In Prag wurde der erste deutsche Kaiser gekrönt. Wir haben einen mitteleuropäischen kulturellen Raum, den es in die neuen Bemühungen um eine europäische Integration einzubringen gilt.
Nicht dem nationalen Egoismus kann jetzt die Stunde schlagen, sondern ich erwarte nun das Wirken der Patrioten für ein gemeinsames Europa.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in aller Offenheit, aber auch mit aller Überzeugung und Leidenschaft sagen: Nicht die Patrioten haben Elend über diese Welt gebracht, sondern die Fanatiker ideologischer nationaler Egoismen. Sie haben die Auseinandersetzungen hervorgerufen, die uns in tiefes Elend gestürzt haben.
({3})
Ich glaube, wir müssen uns verstärkt den Problemen stellen, die jetzt auftreten. Die Kernkraftwerke in der CSFR erreichen nicht das europäische Sicherheitsniveau, die Luftverunreinigung hat zur Zerstörung der schönsten Erzgebirgs-, Riesengebirgs- und Böhmerwaldlandschaften geführt. Die Gesundheit der Bevölkerung ist erheblich gefährdet. Die Flüsse sind erheblich gefährdet. Die herrlichen Kulturdenkmäler sind durch die Luftverunreinigung in erheblichem Maße in Gefahr und zum Teil sogar schon zerstört.
Welches ist nun unsere Aufgabe? Wir werden der Resolution zustimmen, und sie verabschieden. Aber wir wissen auch, daß Resolutionen nicht mehr bewegen, als ihr Inhalt aussagt. Die Resolution, die wir verabschieden, bestätigt - so versteht die Freie Demokratische Partei die heutige Stunde -, daß der Vertrag mit aller Sorgfalt ausgehandelt wurde und daß dieser Vertrag gewährleistet, wenn er mit Leben erfüllt wird, daß die beiden Nachbarn in Zukunft in Freundschaft miteinander leben können. Allerdings entscheiden nicht Resolutionen allein, sondern dieses Parlament, die anderen Parlamente, aber auch die gesamte Gesellschaft müssen die Kraft der Herzen haben, die zum Frieden führen. Sie müssen die Kraft haben, den Geist unserer Zeit zu begreifen, der nicht darauf hinauslaufen kann, daß wir eine ewige detaillierte und dilettantische Aufrechnung von Schuld und Unschuld vornehmen.
({4})
Wir müssen zu einem dauerhaften Frieden kommen. Diesen dauerhaften Frieden können wir nur schaffen, wenn wir uns dieser Regeln bedienen.
Meine Damen und Herren, heute wurde viel von der jungen Generation gesprochen. Ich persönlich wünsche mir nichts sehnsüchtiger, als daß wir unserer jungen Generation ein dauerhaft friedliches Europa übertragen können, in dem unsere junge Generation alle Chancen hat, miteinander ein friedliches und dauerhaftes Europa zu erhalten.
Frieden, meine Damen und Herren, ist nicht alles, aber in dieser Stunde sollten wir uns bewußt sein, daß ohne Frieden alles nichts ist.
Vielen Dank.
({5})
Herr Abgeordneter Dr. Hans Modrow, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Verträgen, die wir heute in letzter Lesung behandeln, stimmen wir zu. Sie können ein wichtiger Bestandteil eines allmählich wachsenden neuen bilateralen Vertragswerkes mit diesen Ländern werden. Sie ziehen einen Schlußstrich unter die geteilte Nachbarschaftsgeschichte zweier deutscher Staaten im Verhältnis zu unseren tschechoslowakischen und ungarischen Nachbarn. Insofern gewinnen sie eine historische Dimension.
Ahistorisch ist jedoch, wenn so getan wird, als beginne erst mit diesen Verträgen das Werk der Aussöhnung. Die Außenpolitik der DDR und vor allem das Verhalten ihrer Bürger haben trotz des Jahres 1968 einen achtbaren Beitrag zur Entwicklung der deutsch-tschechoslowakischen und der deutschungarischen Beziehungen geleistet, auch der von Bundeskanzler Willy Brandt abgeschlossene Vertrag mit der CSSR vom Jahre 1973.
Dies im Blick, unternahm die von mir geleitete Regierung der DDR im Herbst 1989 große Anstrengungen, in neuer Weise gutnachbarliche Beziehungen mit der CSFR und Ungarn auf gleichberechtigter Grundlage zum gegenseitigen Vorteil auszubauen. Zweifellos wurden diese Schritte vom überwiegenden Teil der Bevölkerung mitgetragen.
Entscheidend ist aber nicht der Blick zurück. Es geht darum, intensiv nach Möglichkeiten zu suchen, diese Verträge mit Leben zu erfüllen.
Unser Entschließungsantrag zum Nachbarschaftsvertrag mit der Tschechoslowakei enthält dazu eine Reihe konkreter Vorschläge für eine echte Aussöhnung, für die wir entschieden eintreten.
Ich möchte hinzufügen, daß der Antrag der SPD und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE von uns im wesentlichen unterstützt wird. Wir bestehen jedoch auf der von uns erhobenen Forderung, das Münchener Abkommen von 1938 für von Anfang an null und nichtig zu erklären.
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- Zu dieser Frage möchte ich Ihnen sagen, daß ich als Ministerpräsident der DDR am 3. Dezember 1989 im Namen der Regierung der DDR gegenüber den tschechoslowakischen Völkern die Entschuldigung in historischer Weise in Moskau ausgesprochen habe.
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Der Antrag der Koalitionsparteien kann unsere Zustimmung nicht finden. Gestatten Sie mir, hier etwas zu wiederholen, was ich schon im Auswärtigen Ausschuß gesagt habe: Wir sollten uns über die Stimmung in den Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrags in Mittel- und Osteuropa nicht täuschen. Das beziehe ich ganz besonders auf die Tschechoslowakei. Es gibt unter den Tschechen und Slowaken nicht wenige Befürchtungen vor einer deutschen Übermacht. Wir sind nicht dafür, solche Ängste zu schüren.
Aber wir sind auch dagegen, sie zu übergehen oder zu verschweigen, weil es sonst später ein böses Erwachen geben kann. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß anstelle der früheren Bevormundung und Dominanz der Sowjetunion jetzt eine andere von einem Nachbarn, nämlich Deutschland, tritt. Wir sind entschieden dafür, die Zusammenarbeit auf allen Gebieten, darunter nicht zuletzt die wirtschaftliche Unterstützung für die CSFR und Ungarn, zu intensivieren. Aber dabei sollten die traditionell gewachsenen Strukturen der wirtschaftlichen Verbindungen, z. B. zwischen der CSFR, Ungarn und Polen und auch Ostdeutschland, noch weiter ausgebaut und nicht zerstört werden.
Unsere tschechischen und slowakischen Nachbarn waren tief betroffen, als deutsche Fußballrowdies am Tag der Erörterung des vorliegenden Vertrags in der Föderativen Versammlung auf den Straßen in Prag randalierten. Aber muß es nicht noch viel mehr beunruhigen, wenn der Bundesverkehrsminister auf den Wegweisern von Straßen in Sachsen die tschechischen Ortsbezeichnungen durch die deutschen ersetzen läßt - abgesehen davon, daß den meisten ehemaligen DDR-Bürgern die Namen ohnehin im Prinzip unbekannt sind, weil sie mit einem anderen Wissen auf diesem Gebiet groß geworden sind? Nichts kann mehr Schaden anrichten, als hier Sensibilität vermissen zu lassen.
Schließlich möchte ich darauf verweisen: Offen ist noch immer das Problem der Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus in der Tschechoslowakei, der KZ-Opfer und der Zwangsarbeiter. Jeder weiß, daß für sie eine wirkliche Entschädigung nicht möglich ist. Aber diese Bundesregierung hat sich nicht einmal zu einer Geste aufraffen können.
Wir fordern deshalb, wie für Polen eine Stiftung einzurichten, die hier schnell etwas in Bewegung bringt. Wohl kaum etwas anderes könnte den Willen der Deutschen zur Versöhnung besser zum Ausdruck bringen.
Die beiden Verträge, über die heute zu entscheiden ist, können das Fundament für ein gutes Verhältnis zwischen unseren Staaten und vor allem zwischen den Menschen für die Zukunft bilden. Sie können es, wenn wir diese Länder mit ihren Problemen in dem sich ändernden Mittel- und Osteuropa nicht allein lassen und wenn wir diese Probleme ebenso ernst wie unsere eigenen nehmen. Dann werden wir nicht nur Vergangenheit aufarbeiten, sondern auch eine gemeinsame Zukunft mit diesen Völkern gestalten können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im Bundestag vor zwei Wochen zum erstenmal über die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu den Verträgen mit der CSFR und mit Ungarn debattiert wurde, wurden diese nach dem Vertrag mit Polen als weitere Beispiele für die Bemühungen des vereinigten Deutschlands um eben das gewürdigt, was in ihrem Namen auch benannt ist,
nämlich als einen ernstgemeinten und ernstzunehmenden Versuch, zur Freundschaft und Zusammenarbeit mit unseren Nachbarvölkern zu kommen. Diese Würdigung möchte ich auch heute noch einmal ausdrücklich bekräftigen.
Zu einem solchen ernsthaften Versuch gehört, daß in den Vertragstexten geregelt wird, was einvernehmlich geregelt werden kann. Dazu gehört auch, daß beide Seiten auf Themen und Formulierungen verzichtet haben, die der jeweils anderen Seite nicht annehmbar erschienen. Kompromisse gehören zur Partnerschaft. Das ist banal, aber durchaus auch vernünftig.
Ich meine deshalb, daß das Ergebnis schwieriger, für manche auf beiden Seiten - und jetzt spreche ich vom Vertrag mit der CSFR - auch schmerzhafter Verhandlungen als das akzeptiert werden sollte, was es ist und nur sein kann: als ein vernünftiger Kompromiß, als das derzeit mögliche Optimum, als Beginn einer friedlichen und konstruktiven Zusammenarbeit und, so hoffe ich, als der Beginn einer freundschaftlichen Beziehung zwischen den Staaten und vor allem zwischen den Völkern.
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Das tschechoslowakische Bundesparlament hat genau dies - trotz Kritik von verschiedenen Seiten, die auch dort kam - getan. Es hat diesen Vertrag diskutiert und stellenweise kritisiert. Aber es hat ihn nicht zu ergänzen und zu modifizieren versucht - und dies, obwohl die Aussagen des Vertragstextes zur Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei aus dortiger Sicht durchaus als ergänzungsbedürftig angesehen werden können. Ich meine, der Bundestag wäre gut beraten, ebenfalls auf jegliche Ergänzung oder Relativierung zu verzichten.
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Offensichtlich gibt es aber bei einem Teil der Kolleginnen und Kollegen das unstillbare Bedürfnis, ihre subjektiv verständliche, politisch und historisch aber problematische Sicht der Dinge diesem Vertrag hinzuzufügen oder, wenn das nicht möglich ist, wenigstens in einem öffentlichen Kommentar des Bundestages zum Ausdruck zu bringen. Ich spreche jetzt natürlich von den Entschließungsanträgen, insbesondere der CDU/CSU, aber auch der PDS/Linke Liste.
Ich verkenne nicht den positiven Ansatz in diesen Entschließungsanträgen: die Erinnerung an gute Traditionen der gemeinsamen Geschichte von Deutschen, Tschechen und Slowaken, die Aufforderung zur Lösung offener Fragen. Es stehen viele richtige Sätze in diesen Anträgen, aber die Substanz ist eine andere. Und auch das haben beide Anträge gemeinsam: Sie wollen erreichen, daß das deutsche Parlament etwas beschließt, was diesen Vertrag, was die Beziehungen zwischen dem deutschen Volk und den Völkern der Tschechoslowakei gegenwärtig überfordert. Das hat nichts mit der Gegenwart oder der Zukunft zu tun, sondern das hat etwas mit unserer Vergangenheit zu tun, einer Vergangenheit, deren gewaltsame, ungerechte und brutale Seiten nicht mit der leidvollen Vertreibung der Sudetendeutschen begonnen haben, wie deren Landsmannschaften uns mitunter zu suggerieren versuchten.
Wo in Ihrem Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist die Rede von der Vernichtung der tschechischen und slowakischen Juden? Wo ist die Rede von den schrecklichen Folgen der deutschen Besetzung Böhmens und Mährens? Wo ist die Rede von der Vertreibung auch der Tschechen aus dem Sudetenland? Wer die Ursache der gewaltsamen Einverleibung des Sudetenlandes durch das faschistische Deutschland unter dem Beifall seiner deutschen Bevölkerung mit der Wirkung des verlorenen Krieges und der Vertreibung eben dieser Bevölkerung gleichsetzt, wer diese Kausalität ignoriert, sagt nicht die ganze Wahrheit. Da nutzt es wenig, von Versöhnung zu sprechen. Hier geht es nicht um einseitige Vergebung, sondern um die historische Wahrheit oder wenigstens um die Annäherung an sie. Eben das versucht der Vertrag, den Sie mit Ihrem Entschließungsantrag einseitig verbiegen wollen.
Da auch Ihnen klar ist, daß an den getroffenen Vereinbarungen prinzipiell nichts zu ändern ist, versuchen Sie, Ihr Anliegen durch die Hintertür der zukünftig - irgendwann einmal - möglichen EG- Mitgliedschaft der CSFR einzuführen. Im Vorgriff darauf soll die Niederlassungsfreiheit für Deutsche in der CSFR eingeführt werden, wohlgemerkt, für deutsche Staatsbürger in der CSFR, nicht für wieder tschechoslowakische, die die Sudetendeutschen waren, wie dies die Regierung der CSFR in den Vertragsverhandlungen u. a. mit der Überlegung einer doppelten Staatsbürgerschaft vorgeschlagen hatte, und schon gar nicht für tschechoslowakische Staatsbürger in Deutschland. Dies allerdings wäre eine gute Idee: die Schaffung gleichwertiger Möglichkeiten auf beiden Seiten.
Nur, darum geht es in diesem Antrag offensichtlich nicht. Was Sie trotz aller schönen Worte verlangen, sind einseitige Privilegien für Deutsche, für Bundesbürger. Und das, mit Verlaub, lehnen wir rundweg und in aller Deutlichkeit ab.
Ein Wort zum Antrag der PDS. Ich sagte vorhin, Sie wollen etwas erreichen, was diesen Vertrag, was die Beziehungen zwischen beiden Staaten und beiden Völkern überfordert. Dies gilt auch für Ihren Antrag.
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?
Bitte.
Herr Kollege Poppe, wenn Sie den Resolutionsentwurf der Koalitionsfraktionen lesen, dann werden Sie feststellen, daß es hier heißt: Mitgliedschaft der CSFR in der Europäischen Gemeinschaft und damit verbundene gegenseitige Niederlassungsfreiheit. Wie kommen Sie dazu, das so einseitig zu interpretieren, nachdem doch hier ausdrücklich auf die in der EG selbstverständliche gegenseitige Niederlassungsfreiheit abgestellt ist?
Im Rahmen der EG selbstverständlich, aber die Tschechoslowakei ist noch lange nicht EG-Mitglied, und hier wird im Vorgriff auf eine zukünftig versprochene EG-Mitgliedschaft eine einseitige Vorleistung erhofft oder erwartet. Ich sehe in diesem Text hier nicht, daß im gleichen Atemzug gesagt würde: Sofort auch Niederlassungsrecht der Tschechoslowaken in der Bundesrepublik.
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Noch einmal kurz zum PDS-Antrag. Ich bin der Meinung, daß dieser Antrag den Vertrag überfordert. Das gilt insbesondere für die Forderung nach der völkerrechtswirksamen Betrachtung des Münchener Abkommens als ungültig von Anfang an. Zum Münchener Abkommen kann man natürlich durchaus so stehen, ohne Frage, aber Tatsache ist, daß die Rechtspositionen beider Vertragspartner verschieden waren und daß ihre Gemeinsamkeit die Formulierung des Vertragstextes ist. Ich will dahingestellt sein lassen, ob ihnen die völkerrechtlichen Konsequenzen dieser Forderung im vollen Umfang klar sind; aber wie auch immer, Sie wissen, daß die Mehrheit des Bundestages diesen Antrag ablehnen wird, und mit diesem Wissen konterkarieren Sie, gewollt oder ungewollt, die Formulierung des Vertragstextes.
Ich halte das für unklug, denn die Wirkung einer solchen unnötig provozierten Ablehnung ist genau das, was Sie vorgeben, eigentlich vermeiden zu wollen. Es werden nämlich dadurch möglicherweise Spannungen in den gegenseitigen Beziehungen erzeugt statt abgebaut, und es wird Wasser auf die Mühlen der Vertragsgegner in der CSFR gegossen. An der Realität der gegenwärtigen Situation wird nichts verändert, jedenfalls wird sie nicht konstruktiv beeinflußt.
Wir werden uns deshalb zu Ihrem Antrag, der ja viele Punkte enthält, die auch wir fordern, der Stimme enthalten.
Der Vertrag zwischen der demokratischen CSFR und dem vereinigten Deutschland ist ein zu zarter Keim, als daß man an ihm herumexperimentieren sollte. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P. und PDS/Linke Liste, ihre Entschließungsanträge zurückzuziehen. In diesem Fall würden wir dies auch für unseren gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis 90/GRÜNE vorschlagen, obwohl er sich, wie ich meine, von Ihren Anträgen dadurch unterscheidet, daß sein Anliegen nicht die Relativierung des Vertrages ist, sondern seine konkretisierende Weiterführung und ein Vorschlag, ihn schnell mit Leben zu erfüllen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster hat der Abgeordnete Christian Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Berliner Mauer und mit ihr die kommunistischen
Diktaturen in Osteuropa gefallen sind - so lange ist dies ja noch gar nicht her -, als durch ganz Europa der frische Wind der Freiheit den Verwesungsgeruch kommunistischer Unterdrückung weggeblasen hat,
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keimte die Hoffnung auf, daß die Betrachtung der gemeinsamen Vergangenheit, die Beurteilung der gemeinsamen Gegenwart und die Herausforderung der gemeinsamen Zukunft dazu führen werden, daß Europa näher zusammenrückt und sich seiner guten gemeinsamen Wurzeln besinnt. Der Kommunismus hatte diese Fragen in Wahrheit nie beantwortet, sondern sie zu ersticken versucht. Wie befreiend war da für uns alle die Bereitschaft der Ungarn, den Eisernen Vorhang zu zerreißen! Wie befreiend war da das Auftreten eines Mannes von der moralischen und politischen Statur eines Vaclav Havel!
Wir wissen wohl, was wir den Ungarn zu danken haben, da sie dafür sorgten, daß vor noch nicht einmal drei Jahren der Freiheit und Freizügigkeit der Weg gebahnt worden ist. Wir wissen auch, daß wir Staatspräsident Havel zu danken haben, der sich so nachhaltig mit der Zukunft der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen wie auch mit der Aufarbeitung der dunklen Seiten deutsch-tschechoslowakischer Nachbarschaft auseinandersetzt.
Das Denken in den Kategorien der Versöhnung, der Zusammenarbeit und der Wahrhaftigkeit in der Beurteilung der Vergangenheit ist der Geist, der in Zukunft die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn sowie zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei prägen soll und muß.
Ungarn hat nun ein sehr weitgehendes Wiedergutmachungs- und Entschädigungsrecht für die Opfer der Willkür und Vertriebenen geschaffen. Dies ist ein Weg, denen, die unter Willkürherrschaft vieles oder alles verloren haben, eine späte Gerechtigkeit oder doch zumindest Genugtuung zukommen zu lassen.
Ich danke dem ungarischen Parlament für die Bereitschaft zu so weitgehenden Schritten und bin insgesamt überzeugt davon, daß sich die deutschungarischen Beziehungen für beide Seiten gut und fruchtbar auch auf der Basis dieses Vertrags entwikkeln werden.
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Für den deutsch-ungarischen wie auch den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag gilt jedoch, daß diese Verträge allein die Dynmaik der Entwicklung nicht bestimmen werden. Manche in meiner bayerischen Heimat meinen, einige Entwicklungen wären schon über den Vertragsstandard - gerade in der regionalen Zusammenarbeit - weit hinausgegangen. Diese Verträge stellen eher eine Momentaufnahme des Standes der gegenseitigen Beziehungen dar und bieten einen Rahmen für die weitere Entwicklung.
Ungleich mehr als im Verhältnis zwischen Ungarn und Deutschland hat das Verhältnis zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland zwar jahrhundertelange fruchtbare Tradition, aber auch die bereits erwähnten sehr dunklen Kapitel, an deren AufarbeiChristian Schmidt ({2})
tung wir erst jetzt gehen können, da nach dem Absterben des Sozialismus demokratische Partner miteinander reden können. Dabei stellen wir fest, daß in der Frage der Beurteilung der gemeinsamen Geschichte noch ein Stück Weg zu gehen ist.
Die Historikerkommission wird und muß sich auch der Geschichte der Sudetendeutschen und ihrer Schicksale in der heutigen CSFR, für die der Bundestag 1950 eine Obhutserklärung abgegeben hat, die wir auch heute ernst zu nehmen haben, annehmen. Die Vermittlung ihrer Erkenntnisse insbesondere an die jüngere, an meine Generation ist wichtig, um in der Zukunft nicht falsche Geschichts- und Feindbilder fortzuschreiben.
Ein junger Tscheche sagte mir kürzlich bei einer Diskussion, er verstehe die Diskussion um das Heimatrecht für die Sudetendeutschen nicht, diese seien doch erst 1938 mit Hitler ins Land gekommen. Diese Tatsachen, diese Beurteilungen führen dazu, daß der Vorschlag des Bundeskanzlers, ein deutschtschechoslowakisches Jugendwerk auch unter Einbeziehung der Nachkommen der Heimatvertriebenen, einzurichten, ausdrücklich zu begrüßen ist.
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Ich bedaure, daß in dem Motivenbericht der tschechoslowakischen Regierung oder vielleicht der Ministerialbürokratie zu Fragen der rechtlichen Beurteilung der Vertreibung der Deutschen, zu ihrem Status - Stichwort: Rechtswirkungen des Münchener Abkommens - und zu manch anderen Rechtsfragen der Geist - oder soll ich besser sagen: der Ungeist - vergangener Zeiten weht. Die dort enthaltenen Darstellungen, insbesondere zur angeblichen Rechtmäßigkeit der Vertreibung und Enteignung, weise ich in aller Deutlichkeit zurück.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glotz?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Außenminister Dienstbier den deutschen Botschafter zu sich gebeten und ihm deutlich gemacht hat, daß dieser Motivenbericht keinen völkerrechtlichen Charakter trägt? Das heißt also, daß man ihn in der Tat inzwischen niedriger hängen kann, als wir das gemeinsam in der ersten Lesung getan haben.
Wenn das so ist und auch in der Öffenlichkeit geeignet klargestellt werden könnte, dann wären wir in der Frage der Beziehungen und auch der Beurteilung des Vertrages sicher ein Stück weiter gekommen.
Präsident Havel stellt fest, daß man sich in der Nachkriegszeit in der Tschechoslowakei gegenüber den Deutschen auf das Prinzip der Kollektivschuld eingelassen und individuelle Strafe durch kollektive Rache ersetzt habe. Er sagt weiter, daß man sich das in der Tschechoslowakei jahrzehntelang nicht eingestehen durfte und man sich das auch jetzt noch nicht gern
eingesteht. Doch, so sagt Havel weiter, wie es den Deutschen gelang, die dunklen Zeiten ihrer Geschichte zu reflektieren, muß es auch uns - gemeint: in der CSFR - gelingen.
Allen Respekt vor diesen klaren Worten. Wir sind uns auch eines bewußt: Das Rad der Geschichte kann nicht zurückgedreht werden. So wie es einmal war, wird es nie wieder sein können. Das ist schon deswegen nicht möglich, weil viele nicht ihre Heimat zurücklassen, sondern ihr Leben lassen mußten.
In diesem Zusammenhang sei auch eines deutlich gesagt: Das Deutschland der Expansion gehört endgültig der Geschichte an. Wir können und wollen in der Zusammenarbeit unseren tschechischen und slowakischen Freunden versichern, daß wir Partner in Europa sein wollen und auch Deutschland die Lehren aus der Geschichte gezogen hat.
Der polnische Außenminister Skubiszewski forderte im letzten Jahr vor der UN-Generalversammlung die Vereinten Nationen auf, die Feindstaatenklausel aus der Charta der Vereinten Nationen zu streichen, denn, so formulierte er, sie gehöre auf den Abfallhaufen der Geschichte.
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Wenn auch nicht mehr alles so sein kann, wie es war, und genügend Realismus vorhanden ist, dies einzusehen, so ist doch die Anerkenntnis des Unrechts als Unrecht, wie es Präsident Havel uns vorgeführt hat, ein wesentliches Element für gedeihliche Zusammenarbeit. Nicht nur in den Augen der Betroffenen ist die Vertreibung unschuldiger Menschen aus ihrer Heimat nicht - auch durch keine Siegermachtvereinbarung - zu legitimieren, Unrecht bleibt Unrecht! Deswegen müssen im Geiste der Versöhnung auch die sogenannten Beneš-Dekrete aufgehoben werden.
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Sie sind gekennzeichnet vom Geist des Kollektivschuldgedankens und der Vergeltung und gehören auf den von Minister Skubiszewski zitierten Abfallhaufen der Geschichte.
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Dies umfaßt auch weiterhin, daß über den Verlust der Heimat, das Niederlassungsrecht - und das hat eine andere Qualität als das reine Niederlassungsrecht, das wir mit anderen Staaten verhandeln, es ist ein Angebot, auch Geschichte gemeinsam zu bewältigen - und über die Frage der Wiedererlangung rechtswidrig konfiszierten Vermögens - gesprochen werden muß.
Deswegen fordern wir unsere Partner auf, bei der Privatisierungsaktion die Sudetendeutschen nicht zu diskriminieren.
Als Deutsche haben wir umgekehrt natürlich auch die Verpflichtung, das Unsere dazu zu tun, Vertrauen zu schaffen und unsere östlichen Nachbarn in die europäische Integration einzubeziehen, damit sie auch im Geiste Jean Monnets, Robert Schumans und Konrad Adenauers an der Überwindung des Nationalismus im Geiste eines friedlichen Europas teilhaben
Christian Schmidt ({3})
können. Dazu haben wir uns im Vertrag verpflichtet, und das vorher Genannte ist in einem gegenseitigen politischen Abhängigkeitsverhältnis und Beziehungsverhältnis zu sehen.
Darüber hinaus ist die regionale Zusammenarbeit im Vertrag angesprochen. Der Schutz der deutschen Minderheiten in der CSFR kann als richtungsweisend gelten. Der Vertrag hat sehr viele positive Aspekte in den Punkten, die er regelt.
In dem Antrag einer begleitenden Entschließung wollen wir unsere Erwartungen an die weitere Entwicklung der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen über den Vertrag hinaus dokumentieren. So sollte und muß diese Entschließung auch verstanden werden und ist, so meine ich, für das gesamte Haus zustimmungsfähig.
Ich weiß, daß einige, insbesondere durch das persönliche Erleben betroffene Kollegen zwar dieser Entschließung, nicht aber dem Vertragswerk ihre Zustimmung geben können, zumal sie dieser Motivbericht in einem vielleicht in anderer Richtung gefaßten Beschluß nicht bestärken konnte.
Dennoch halte ich es - trotz der genannten Bedenken und Lücken, trotz der noch nicht gelösten Fragen - für richtig, auch und gerade im Sinne derer, die sich als betroffene Sudetendeutsche um eine weitere Entwicklung der Beziehungen bemühen können und wollen, die Gelegenheiten dieses Vertrages am Schopfe zu packen, seine Chancen auszuloten und ihn im Geiste derer, die ihre Liebe zur alten Heimat in die Partnerschaft zwischen Deutschland und der CSFR einbringen wollen, weiterzuentwickeln in der sicherlich nicht unberechtigten Hoffnung, zukünftig vorurteilsfreier auch an die Dinge heranzugehen und sie zu lösen versuchen, auf die sich in diesem Vertrag eine Antwort noch nicht hat finden lassen.
Ich danke Ihnen.
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Herr Kollege Karsten Voigt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Föderalversammlung in Prag über diesen Vertrag beriet, habe ich an den Beratungen zwar nicht stimmlich, wohl aber als Zuhörer teilnehmen können und draußen mit einigen Demonstranten gesprochen. Deshalb möchte ich am Beginn einige Worte an unsere Kollegen aus der Tschechoslowakei richten.
In der Debatte dort hat der Begriff der Staatsgrenze eine große Rolle gespielt. Ich kann Ihnen nur versichern, daß die Befürchtungen, die in der Debatte zum Teil laut geworden sind - der Vertrag könne eine Relativierung der Grenze zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken sein -, völlig unbegründet sind. Die Deutschen erheben keine Gebietsansprüche, und sie werden sie nicht erheben. Wir betrachten diese Grenze als endgültig. Sie brauchen sich in dieser Beziehung weder über den rechtlichen Status noch
über die tatsächlichen Motive der Deutschen irgendeine Sorge zu machen.
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Zum zweiten haben in der Debatte frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle gespielt, die zum Teil gar nicht auf die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen gemünzt waren. Aber auch diese Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag relativiert, der völkerrechtlich verbindlich ist. Dadurch wurde auch der Art. 23 GG in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht beseitigt. Auch aus diesem Grund sind viele der Bedenken, die in der Debatte der Föderalversammlung vorgetragen wurden, gegenstandslos. Wir haben uns inzwischen völkerrechtlich anders verpflichtet und das Grundgesetz selber geändert. Auch aus dieser Sicht möchte ich Ihnen sagen: Es gibt keinen Grund, in bezug auf die Grenzfrage Skepsis gegenüber den Deutschen zu haben.
Als dritten Wunsch, den ich an Sie habe, möchte ich Sie bitten, den Kollegen in Ihrem Parlament zu sagen, daß es in Deutschland zwar Leute gibt, die Revanchisten sind, ihre Zahl aber gering ist. Sie spielen in diesem Parlament keine Rolle. Das Parlament in seiner Gesamtheit und die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes tragen diesen Vertrag und wollen eine Versöhnung mit dem tschechoslowakischen Volk, den Völkern der Slowakei, Böhmen und Mähren. Das gilt - soweit ich mit ihnen habe sprechen können - auch für diejenigen, die diesem Vertrag nicht glauben zustimmen zu können.
Deshalb bitte ich Sie, daß Sie solche Äußerungen in ihrem Stellenwert richtig gewichten und nicht immer glauben, sie hätten den Stellenwert, den er bei Ihnen in manchen Presseorganen hat.
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Ich selber komme nicht aus dem Grenzgebiet zwischen der CSFR und Deutschland, wohl aber aus dem deutsch-dänischen Grenzgebiet. Ein Teil meiner Familie ist dänisch, mein Teil der Familie deutsch. Ich habe in meiner Jugend als Student an einer Schule für die dänische Minderheit unterrichtet. Das galt damals noch als nationaler Verrat. Heute fände daran keiner mehr etwas. Ich sage Ihnen voraus: Zwischen Deutschen und Tschechen sowie Deutschen und Slowaken wird es in Zukunft eine Chance geben, ein ähnlich gutes und entkrampftes Verhältnis zu entwickeln, wie es zwischen Deutschland und anderen Nachbarn im Westen und Norden besteht, die auch unter deutscher Besatzung heftig haben leiden müssen.
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Dieser Vertrag fiber gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit ist noch nicht gleichzusetzen mit guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit. Deshalb richtet sich mein Appell nicht nur an die tschechoslowakische Seite, sondern auch an die deutsche. Wir sind der größere Nachbar gegenüber den Tschechen und SloKarsten D. Voigt ({3})
waken. Wir haben nie unter tschechischer und slowakischer Besatzung leiden müssen. Wir haben nie fürchten müssen, daß unsere nationale Identität durch Tschechen und Slowaken gefährdet sein könnte. Das nimmt nichts von den Leiden der Vertreibung weg, aber die Tschechen und Slowaken, besonders die Tschechen, haben in Erinnerung, daß ihre nationale Existenz in ihrer Geschichte durch Deutsche und durch deutsche Politik gefährdet gewesen ist.
Deshalb möchte ich als Vertreter des Landes, das in diesem Vertragsverhältnis den größeren Teil darstellt, an uns alle hier und an uns Deutsche insgesamt den Appell richten, daß sie sich, wenn sie nach Prag und Preßburg reisen, nicht so großmotzig aufführen, wie sie es häufig tun.
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Das gilt leider nicht nur für die Fußballer, die ich während dieser Debatte in Prag beobachten konnte. Leider haben viele Deutsche statt der Panzer jetzt ein Verhalten auf Grund der D-Mark, das so arrogant und großkopiert ist, daß ich glaube, daß psychologisch eine neue Art der Gegenreaktion hervorgerufen wird, wenn wir Deutsche uns in unserer ökonomischen Macht nicht anders gegenüber unseren Nachbarn, insbesondere gegenüber unseren östlichen Nachbarn verhalten, nämlich als derjenige, der dort helfen will, der dort Gleichberechtigung fordert, aber auch Gleichberechtigung anbietet.
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Herr Kollege Voigt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grünbeck?
Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der überwiegende Teil der Deutschen, die heute in die CSFR reisen, meine und unsere sudetendeutschen Landsleute sind und daß sie sich wirklich nicht so verhalten, wie Sie es darstellen. Das ist eine Minderheit.
Ich würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die tschechoslowakische Bevölkerung sehr froh darüber ist, daß diese Kontakte nicht nur im kommerziellen Bereich, sondern auch in vielen menschlichen Teilbereichen stattfinden. Das ist ein Kulturaustausch, der längst stattfindet und den man hier nicht in dieser Weise öffentlich diskriminieren sollte.
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Entschuldigung, wenn ich das sage: Ich glaube Sie haben mir gar nicht zugehört. Ich habe das Wort „Sudetendeutsche" in diesem Zusammenhang überhaupt nicht benutzt. Ich bin nicht nur dafür, daß viele Leute reisen, sondern dafür, daß noch mehr Leute reisen, auch in beiderlei Richtung. Trotzdem aber ändert das nichts an dem Tatbestand, daß ein Teil der Deutschen - leider nicht nur derjenigen, die ursprünglich aus dem westdeutschen Teil stammen, sondern zum Teil auch die Kollegen aus dem östlichen Teil Deutschlands - ihre ökonomische Kraft auch durch Auftreten unterstreicht, die weder der Verständigung noch unserem Ansehen im Ausland dient. Das ist übrigens eine Erscheinungsform, die nicht auf die Tschechoslowakei begrenzt ist. Ich bin nicht gegen den Austausch. Ich bin dafür, daß wir uns dabei besser verhalten als bisher.
Verzeihung, Herr Kollege Voigt. Ich will Sie nicht präzisieren, aber gerade war ein mißverständlicher Ausdruck dabei. Sie sprachen von den „Kollegen aus dem östlichen Teil Deutschlands". Wenn Sie in diesem Haus von Kollegen sprechen, sind im Regelfall Abgeordnete gemeint. Das haben Sie sicher nicht gemeint.
Ich meine die Landsleute. Ich würde mir natürlich auch nicht erlauben, einen Präsidenten in eine solche Diskussion einzubeziehen.
Ich möchte zuletzt noch an unsere tschechoslowakischen Gäste sagen - das gilt aber auch für die Ungarn und auch für die Beziehungen, die wir vertraglich vereinbart haben, zu den Polen: Sie müssen aus dieser Debatte mit der Gewißheit scheiden können, daß die Deutschen über alle Parteien hinweg inzwischen klar definierte Interessen haben. Dies bedeutet, daß wir an starken, an wirtschaftlich und politisch starken, Demokratien östlich von uns interessiert sind. Wir wollen nicht eine schwache Tschechoslowakei, wir wollen nicht ein schwaches Ungarn; wir wollen nicht ein schwaches Polen. Wir wollen stabile Gesellschaften und Staaten östlich von uns mit stabilen pluralistischen Demokratien, d. h. auch mit stabilen Ökonomien. Das ist für uns die größte Sicherheit. Wir wollen auch, daß sie, soweit es irgend möglich ist, sie in die gleichen internationalen Organisationen - seien sie gesamteuropäischer oder westeuropäischer Art - einbezogen werden, in denen wir bereits sind.
Zuletzt gestatten Sie mir noch ein Wort an den Bundesaußenminister, der ja noch am Schluß zu uns sprechen wird. Herr Kinkel, wir werden uns darum bemühen, daß die Außenpolitik und die Debatte im Parlament, aber auch in den Ausschüssen, soweit es überhaupt möglich ist, von innenpolitischen oder parteitaktischen Erwägungen freigehalten bleibt. Wir werden uns selber an diesem Grundsatz orientieren und werden Sie daran messen, inwieweit Sie diesen Grundsatz einhalten. Wenn Regierung und Opposition in der Außenpolitik zum gemeinsamen Handeln fähig sind, so kann das die Handlungsfähigkeit in der deutschen Außenpolitik nur stärken und uns allen nützen.
Dies setzt eine umfassende Information und frühzeitige Beteiligung der Opposition in jedem Einzelfall voraus. Die Art und Weise, wie die Koalitionsfraktionen diesmal ihren Antrag trotz vorhergehender Zusage, uns an der Arbeit eines gemeinsamen Antrages zu beteiligen, erarbeitet haben, spricht in diesem Fall leider gegen eine solche Praxis. Das ist ein schlechtes Beispiel und insofern ein schlechter Auftakt für Ihre Arbeit; aber so braucht das nicht zu bleiben.
Sie haben gesagt, daß Sie in Ihrer Amtsführung die Kontinuität zu Ihrem Amtsvorgänger gewährleisten
Karsten D. Voigt ({0})
wollen. Das ist insofern zu begrüßen, als es in der deutschen Außenpolitik keinen Kurswechsel geben sollte. Allerdings erfordern die neuen Herausforderungen in Osteuropa - das zeigt sich auch an der heutigen Debatte über die Tschechoslowakei und Ungarn und vorher auch über Polen - und die neuen globalen Risiken auch neue Antworten.
Ich glaube, daß wir deshalb nicht daran vorbeikommen - wir sollten es bei allem Bekenntnis zur Kontinuität auch offen sagen -: Wir brauchen eine konzeptionelle Modernisierung unserer Außenpolitik, insofern in manchen Punkten auch eine konzeptionelle Erneuerung. Wir brauchen auch - da stimme ich mit Peter Glotz überein, der das bereits in einer anderen Debatte gesagt hat - mehr Realismus, einen neuen Realismus; denn wir müssen nüchtern sehen, was deutsche Außenpolitik kann und was sie nicht kann, wo unsere finanziellen und politischen Grenzen sind. Wir machen uns nicht dadurch beliebt, daß wir jedem alles versprechen, sondern indem wir mehr tun, als wir versprechen, d. h. wir sollten unseren Nachbarn in Ost und West eher weniger versprechen und dafür noch mehr tun.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem Antrag schließen wir, wenn ich Bulgarien und Rumänien ausklammere, eigentlich eine Serie von neuen Verträgen, die unser Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn begründen, ab. Dies ist der erfolgreiche Abschluß einer Periode, der Periode der Entspannungspolitik. Damit sind die vertraglichen Grundlagen zu unseren Nachbarn geregelt. Die Aufgabe, die sich stellt, ist damit aber erst recht nicht erledigt; sie beginnt jetzt erst. Verträge können eine Grundlage sein; sie sind aber nie Ersatz für die Substanz. Die Substanz muß sich in der Alltagsarbeit der Parlamentarier, der Regierungen, vor allen Dingen im Kontakt mit der Bevölkerung bewähren. Da steht uns noch vieles bevor; da müssen wir noch vieles leisten. Im Verhältnis zu Ungarn, Tschechen und Slowaken sollten wir unsere Arbeit da auch nicht als beendet ansehen.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Ulrich Irmer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir uns vor wenigen Wochen in Bonn in erster Lesung mit den beiden Verträgen beschäftigt haben, die heute hier unsere Zustimmung finden werden, hat Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in seiner damaligen Eigenschaft als Minister vor dem Deutschen Bundestag seine Abschiedsrede gehalten. Wir haben ihm damals gedankt.
Heute, in der zweiten Lesung dieser beiden Verträge, wird am Schluß der Debatte der neue Bundesaußenminister Klaus Kinkel das Wort ergreifen. Ich möchte ihm von dieser Stelle aus für seine schwere,
neue Aufgabe guten Erfolg und eine gute Hand wünschen.
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Die Tatsache, daß sich die Abschiedsrede des vorherigen und die Antrittsrede des neuen Bundesaußenministers mit demselben Thema beschäftigen, nämlich den Verträgen mit der Tschechoslowakei und Ungarn, scheint mir eine symbolische Bedeutung zu haben. Sie zeigt nämlich zum einen die Kontinuität der deutschen Außenpolitik.
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Sie zeigt zum anderen, daß wir es hier mit einem Schwerpunkt deutscher Außenpolitik zu tun haben, wenn wir uns mit unseren Beziehungen zu unserem unmittelbaren Nachbarland Tschechoslowakei und zu dem uns gleichfalls sehr naheliegenden Ungarn beschäftigen. Ich glaube, diese symbolische Wirkung sollten wir heute durchaus zur Kenntnis nehmen. Die Beziehungen zu diesen Ländern werden auch in Zukunft ein Schwerpunkt unserer Politik sein müssen. Ich beziehe hier die anderen ost- und mittelosteuropäischen Länder ausdrücklich mit ein, vor allem Polen, mit dem wir unsere vertraglichen Beziehungen schon vor einiger Zeit geregelt haben.
Meine Damen und Herren, gerade weil dies so ist, empfinde ich es als bedauerlich, daß in dieser Debatte ein wenig der Eindruck entstehen konnte, als hätten wir es eher mit den unterschiedlichen Resolutionsentwürfen zu tun als mit den Verträgen selbst.
Auch ich möchte mich jetzt an die Kollegen aus dem tschechoslowakischen Föderalparlament wenden: Ich freue mich sehr, daß Sie hier heute bei uns sind. Wenn Sie in der Vergangenheit durch laute Äußerungen hin und wieder den Eindruck gewonnen haben sollten, als gäbe es dem Vertrag zwischen unseren beiden Ländern gegenüber bei den Deutschen auch nur nennenswerte Vorbehalte irgendwelcher Art, dann kann ich Ihnen versichern: Dies ist nicht der Fall. Das deutsche Volk steht nicht nur mit großer, nein, es steht mit überwältigender Mehrheit hinter dem Aussöhnungswerk, das wir heute durch den Abschluß des Vertrages besiegeln wollen. Das gleiche gilt für den Vertrag mit Ungarn.
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Die wenigen, die hier Vorbehalte haben, sind in ihrer Lautstärke umgekehrt proportional zu ihrer Zahl und zu ihrer Bedeutung.
Kollege Grünbeck hat in für mich sehr eindrucksvoller Weise - ich danke ihm dafür - auf die Schmerzen hingewiesen, die seine sudetendeutschen Landsleute empfinden, wenn es um die Betrachtung der Vergangenheit geht. Aber was wir heute, obwohl wir die Vergangenheit nicht vergessen wollen, tun müssen, ist doch, daß wir in die Zukunft schauen und daß wir sehen, wie wir aus dem Leid der Vergangenheit heraus jetzt unsere Versöhnung gestalten können und vor allem unsere gemeinsame Zukunft bewältigen. Denn das liegt vor uns: eine gemeinsame europäische Zukunft. Wenn es den Tschechen und Slowaken sowie den Ungarn in der Zukunft nicht gutgehen wird, dann wird es auch den Deutschen nicht gutgeUlrich irmer
hen. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft im Herzen Europas. Das sollten wir nicht vergessen.
Hier ist an dem Resolutionsentwurf Kritik geäußert worden. Meine Fraktion hat zu Beginn der ganzen Erörterungen hierüber versprochen, daß in einem von uns mitgetragenen Resolutionsentwurf keine Silbe, kein Punkt und kein Komma stehen werden, die nicht mit dem Buchstaben und dem Geist des Vertrages in Übereinstimmung stehen. Dieses Versprechen haben wir gehalten, meine Damen und Herren.
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Ich bin Herrn Glotz außerordentlich dankbar, daß er uns dies vorhin bestätigt hat.
Meine lieben Kollegen, wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir das, was in beiden Verträgen steht und was auch in dem Vertrag mit Polen steht, schneller und gründlicher in die Tat umsetzen können, nämlich darauf hinzuarbeiten, daß die von uns allen gewünschte Vollmitgliedschaft dieser Länder in der Europäischen Gemeinschaft so bald wie möglich verwirklicht werden kann.
Ich meine, daß wir jetzt mehr tun können, als es in den Europa-Verträgen - so heißen sie ja -, in den Assoziierungsverträgen mit diesen drei Ländern, zum Ausdruck gebracht worden ist. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie insbesondere diese drei Länder schon in naher Zukunft an der Europäischen Politischen Zusammenarbeit beteiligt werden könnten. Jeder von uns weiß, auch die Menschen in diesen Ländern wissen es, daß im Augenblick noch wesentliche wirtschaftliche Voraussetzungen für die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft fehlen.
Aber auf dem politischen Feld kann man schon wesentlich mehr tun; da gibt es diese Hindernisse nicht. Mit Blick auf eine Beteiligung an der Europäischen Politischen Zusammenarbeit könnte man überlegen, ob nicht Gäste aus diesen Ländern mit einer Art besonderem Status vom Europäischen Parlament eingeladen werden könnten.
Ich halte, nebenbei bemerkt, die Aufnahme der Länder in den NATO-Kooperationsrat zwar für außerordentlich wichtig und konstruktiv, aber ich meine, daß wir besondere zusätzliche Anknüpfungspunkte und Institutionen finden könnten, damit die Zusammenarbeit noch besser gestaltet werden kann; denn ich weiß, daß in diesen Ländern das Gefühl besteht, heute in einer Art Sicherheitsvakuum zu leben. Wir haben die Aufgabe, Ihnen die Hand zu reichen und uns Gedanken darüber zu machen, wie wir dort das Gefühl der Sicherheit stärker vermitteln können. Dies gilt übrigens auch für die WEU.
Meine Damen und Herren, wir werden mit großer Mehrheit den Verträgen zustimmen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, daß die konkrete Ausführung gelingt. Ich appelliere an unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft - hier liegt es weniger an uns -, daß wir auch unsere Handelsbeziehungen intensivieren. Bei der Wirtschaftshilfe gibt es nichts Besseres, als daß wir die Grenzen für die Produkte aus diesen Ländern öffnen, damit wir denen die Möglichkeit geben, das zu verkaufen, was sie tatsächlich haben, auch wenn es bei uns sensible Produkte sind und wir gewisse Schwierigkeiten bekommen.
Wir müssen in unseren Handelsbeziehungen zu unseren östlichen Nachbarn wesentlich offener werden als bisher. Auch damit können wir einen deutlichen Beitrag dazu leisten, daß das, was in den Verträgen niedergelegt ist, in Zukunft gelingen möge. In diesem Sinne wünsche ich mir eine gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit und Freundschaft.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es war am Rande der Konferenz der Interparlamentarischen Union 1978 in Prag, als es in der Wohnung des früheren Außenministers Hajek zu einem Treffen mit deutschen Abgeordneten kam. Jiri Dienstbier konnte an diesem Treffen nicht teilnehmen; er mußte als Heizer in seinem Wohnblock arbeiten; aber wir hörten von seinem Schicksal.
Dieses Treffen wurde wie offenbar alle Versammlungen der Dissidenten abgehört. Am nächsten Tag setzten Schikanen für beide Seiten ein. In Deutschland war manchem die Tatsache, daß es dieses Treffen gegeben hatte, sehr peinlich.
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Eine zweite Erinnerung: Wer wie ich in Helmstedt und in Vorsvelde die Züge der Botschaftsflüchtlinge aus Prag hat ankommen sehen, verschlossen, wie sie durch Dresden geleitet wurden, und unter Umständen, die wir alle kennen, nach Stunden und Tagen schwerster Entbehrungen, der wird auch dieses Bild nicht vergessen.
Ich erwähne dies, weil ich glaube, daß wir auch heute den atemberaubenden Wandel vor Augen haben sollten, der in diesen Verträgen zum Ausdruck kommt. Wir haben eine Chance in der Hand, die eine enorme Verpflichtung für uns darstellt. Diese Chance liegt im Zurückfinden zu gemeinsamen ethischen Grundlagen des Zusammenlebens in Europa, nachdem wir das antimoralische und das kriminelle System des Kommunismus überwunden haben.
Die oft zitierten und bedenkenswerten Worte von Präsident Havel und Präsident von Weizsäcker in diesem Zusammenhang stehen für diese Tatsache.
Ich finde es wichtig und richtig, daß Herr Genscher in der ersten Lesung nachdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die zu beratenden Verträge und insbesondere der Vertrag mit der Tschechoslowakei, über den ich hier besonders spreche, auf der Basis ganz bestimmter Prinzipien stehen, nämlich auf dem Prinzip der Achtung der Menschenrechte und Minderheitenrechte und auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Diese Vertragsregelungen sind keine abschließenden Endstufen; diese Verträge sind auf Weiterentwicklung, gerade auch auf die Weiter7640
Dr. Volkmar Köhler ({1})
entwicklung der Minderheitenrechte, angelegt. Der Weg dafür ist mit ihnen geöffnet.
Allein diese Tatsache rechtfertigt es schon, daß wir heute hier auch abschließende Worte über das Ärgernis des Motivenberichts gesagt haben - denn mit Zudecken gewinnen wir die Zukunft nicht - und daß wir auch in einem Entschließungsantrag noch einmal klar erklären, wie wir mit diesen Verträgen in Zukunft umgehen wollen. Denn wir leiten mit dem heutigen Tage eine Entwicklung ein; wir schließen sie nicht ab. Die Dynamik dieser Verträge kommt an vielen Stellen zum Ausdruck. Ich verweise nur darauf, daß der ausdrückliche Hinweis auf den KSZE-Streitbeilegungsmechanismus ja schon eine Fortschreibung des europäischen Standards der Minderheitenrechte darstellt. Dieser Standard der Minderheitenrechte ist in Art. 20 des Vertrages mit der Tschechoslowakischen Republik als Mindestgrundlage bezeichnet worden. Hier besteht eine Verpflichtung für beide Seiten.
Es ist um der Wahrheit willen richtig, Unrecht beim Namen zu nennen, ob es das Unrecht der Vertreibung gewesen ist oder das Unrecht der Verwüstung und Vernichtung eines Dorfes wie Lidice oder was immer man hier nennen könnte. Aber die Bewältigung der Vergangenheit kann nach meiner festen Überzeugung nur Frucht bringen, wenn wir das Ziel der gemeinsamen Zukunft dabei fest im Auge haben und dies unseren Erwägungen überordnen. In der Präambel des Vertrages mit der Tschechoslowakei scheint mir dies in gelungener Weise zum Ausdruck zu kommen, wenn es da heißt, daß unsere beiden Länder,
entschlossen, an die jahrhundertelangen fruchtbaren Traditionen gemeinsamer Geschichte und an die Ergebnisse der bisherigen Zusammenarbeit anzuknüpfen sowie ihre gegenseitigen Beziehungen im Geiste guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit auf eine zukunftsweisende Grundlage zu stellen,
eingedenk der zahlreichen Opfer, die Gewaltherrschaft, Krieg und Vertreibung gefordert haben, und des schweren Leids, das vielen unschuldigen Menschen zugefügt würde,
in dem festen Willen, ein für allemal der Anwendung von Gewalt, dem Unrecht und der Vergeltung von Unrecht mit neuer Ungerechtigkeit ein Ende zu machen und durch gemeinsame Bemühungen die Folgen der leidvollen Kapitel der gemeinsamen Geschichte in diesem Jahrhundert zu bewältigen .. .
zutiefst überzeugt von der Notwendigkeit, die Trennung Europas endgültig zu überwinden und eine gerechte und dauerhafte europäische Friedensordnung einschließlich kooperativer Strukturen der Sicherheit zu schaffen,
- diesen Vertrag abgeschlossen haben.
In Art. 10 Abs. 2 haben wir uns verpflichtet, die volle Eingliederung der CSFR in die Europäische Gemeinschaft zu unterstützen. Ich meine, in diesem Zusammenhang ist es gut, daran zu erinnern, was diese Europäische Gemeinschaft für uns bedeutet. Das Gebot der Einigung Europas hat schließlich für uns
Verfassungsrang. Europa heißt für uns, daß wir europäisches Denken gegen neuen Nationalismus setzen. Europa ist für uns eben nicht primär ein Gebot ökonomischer Vernunft, auch wenn es das ist, und nicht nur ein Gebot sicherheitspolitischer Vernunft, auch wenn es das vielleicht sein sollte, sondern Europa ist für uns eine neue Kultur des Zusammenlebens mit dem Ziel, das Gemeinsame zu stärken und das Trennende zu überwinden, wie es uns unendlich viele leidvolle Kriege und Millionen von Opfern in ganz Europa geboten haben. Das war die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich bis heute als ein tragfähiges Prinzip der Neugestaltung erwiesen hat. Dies wollen wir auch hier anwenden.
Aber ich sage auch in Richtung auf unsere tschechoslowakischen Freunde, daß - anders als mancher Idealist in den 50er Jahren dachte - Europa eben nicht Uniformität, nicht das Untergehen der kleinen Nationen und keinen Identitätsverlust bedeutet. Wir kennen die Angst und Sorge mancher Freunde in der CSFR vor Überfremdung. Deswegen sage ich hier mit allem Bewußtsein, daß wir die Einheit Europas in der Vielfalt - das ist der Reichtum Europas in Wahrheit - suchen. Wir verstehen das Drängen der CSFR, unter das wirtschaftliche und sicherheitspolitische Dach Europas zu treten, und wir wollen dabei helfen. Aber um so mehr wollen wir heute betonen, daß es uns hier um eine neue Kultur des Zusammenlebens geht.
Die CSFR hat hier noch manches mit sich selbst zu diskutieren. Es ist ein Land, das seine Unabhängigkeit spät erreicht hat. Diese Unabhängigkeit mußte gegen vor allem die deutschen und österreichischen Nachbarn durchgesetzt werden. Dieses Durchsetzen und Erkämpfen hat das Gefühl der Bedrohtheit auf beiden Seiten zurückgelassen. Beide Seiten haben jahrzehntelang versucht, sich durch politische Absicherung gegen den jeweiligen Nachbarn die Unabhängigkeit und Sicherheit zu erhalten. Dies ist aber eben die Grundstruktur, die sich jetzt - 1989 und 1990 - gewandelt hat. Die neue Chance der Selbstverwirklichung der Völker in Europa liegt nicht im Gegeneinander, sondern eben im Miteinander.
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Diejenigen, die uns in Prag gerne sagen, daß Prag einmal das Herz Europas gewesen ist, sprechen dann von einer Stadt und von einem Lande, das in diesen Phasen auch wahrhaft im Miteinander mit den Nachbarn lebte, von daher seinen geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Reichtum bezog und uns mit diesem Reichtum befruchtet hat. Auch das großartige Phänomen, das die Stadt Prag darstellt, ist ja im Miteinander von Tschechen, Deutschen, Österreichern und Juden entstanden. Der platte Nationalismus, der hinter dem Kommunismus wirkte, hat vieles unterdrückt und alle arm gemacht, nicht nur die Deutschen.
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Dies gilt es im Miteinander zu überwinden. Ich glaube, das, was wir immer wieder lernen müssen, ist die Lektion, die Shakespeare seinen Shylock hat
Dr. Volkmar Köhler ({4})
lernen lassen: daß man nur um den Preis des Blutes aus einem gemeinsamen Körper das herausschneiden kann, was man für sein alleiniges Eigentum hält, aber daß alle Glieder leben können als das, was sie sind, wenn der gemeinsame Körper lebendig und unverletzt bleibt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mein Wunsch ist, daß wir diese Verträge heute mit solchen Gedanken verabschieden, daß wir mit ihnen so den Weg in eine neue Zukunft für unsere Nachbarvölker öffnen, daß wir so nicht müde werden, für diese Zukunft zu arbeiten und daß wir so unsere Zustimmung der überwältigenden Mehrheit unserer Bürger verständlich und glaubhaft machen können.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dies ist das dritte Mal in diesem Jahr, daß sich der Deutsche Bundestag mit dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag beschäftigt, daß er das intensiv und im Geiste der Verständigung, der guten Nachbarschaft und der Freundschaft tut. Ich glaube, es war wichtig, daß wir schon beim letzten Mal und auch heute eine Debatte geführt haben, die auch in der Art und Weise, wie sie geführt worden ist, deutlich macht, daß wir hier nicht einen ganz beliebigen Tagesordnungspunkt abhandeln, sondern daß es hier um einen Gegenstand geht, der uns alle auch persönlich sehr berührt und der tief an die gemeinsame Geschichte von Völkern rührt, die im Herzen Europas zusammenleben.
Der Geist, der dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag zugrunde liegt, ist der Geist der Versöhnung. Das haben viele vor mir schon gesagt, aber ich möchte hier einen Gedanken anknüpfen und darauf hinweisen, daß Versöhnung natürlich etwas ist, was man nicht anordnen kann. Es sind auch nicht Staaten, die sich durch Dokumente, die sie durch ihre Repräsentanten unterschreiben, versöhnen können, sondern es sind Menschen, die sich versöhnen. Deshalb kommt es wirklich darauf an, was wir aus diesem Vertrag machen und wie wir mit ihm umgehen. Es kommt darauf an, wie wir mit unseren Partnern in der Tschechoslowakei umgehen.
Gestatten Sie mir eine kritische Anmerkung zu etwas, was der Kollege Schmidt hier gesagt, aber vielleicht nicht so gemeint hat. Ich erwähne diesen Punkt, um zu zeigen, wie behutsam wir sein müssen. Er hat wörtlich gesagt: Im Geist der Versöhnung „müssen" die Benesch-Dekrete aufgehoben werden. Ich sage gar nichts zu der Forderung in der Sache. Ich sage nur etwas dazu, daß man nicht gut in einem Satz einerseits von Versöhnung reden und andererseits dem anderen sagen kann: Du mußt aber das und das tun.
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Genau so funktioniert es nämlich nicht. Mit der Sprache, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die wir im Umgang miteinander wählen, fängt es an. Wir als die Vertreter des größeren, des stärkeren und mächtigeren Landes - worauf wir uns nichts einzubilden brauchen - haben mehr Anlaß, empfindsam für Empfindlichkeiten, Gefühle und Ängste auf der anderen Seite zu sein. Es kann vielleicht nicht jeder verstehen, wie lebendig diese Empfindlichkeiten, Gefühle und Ängste bei den Menschen in der CSFR heute noch sind. Aber wir müssen sie sehen, und wir müssen sie berücksichtigen. Wir müssen begreifen, daß dort jedes Wort, das hier gesprochen wird, das im Zusammenhang mit dem Vertrag geschrieben oder gesagt wurde, auf die Goldwaage gelegt wird. Jedes dieser Worte muß dann bestehen können.
Mein Unbehagen an dem Entschließungsentwurf, den die Koalitionsparteien vorgelegt haben, ist nicht eines, das sich an einzelnen Formulierungen festmachen könnte, sondern ich empfinde ein tiefes Unbehagen an dem politischen Geist, an der politischen Psychologie, die dieser Entschließung ganz offenbar zugrunde liegt. Sie wird nach meiner Meinung der besonderen Gefühlslage zwischen Deutschen und Tschechen nicht gerecht. Diese Entschließung, meine Damen und Herren, muß auf der tschechischen Seite den Eindruck vermitteln, als seien es die Opfer, die um Verzeihung bitten müssen. Die Entschließung erwähnt z. B. das Münchner Abkommen nur, um den deutschen Rechtsstandpunkt - den wir ja teilen; es ist ein gemeinsamer Rechtsstandpunkt - klarzustellen. Aber wenn ich in einem solchen Zusammenhang das Münchner Abkommen erwähne, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann muß ich mir klarmachen, daß andere mir sagen werden, daß dieses Abkommen in einem Akt politischer Barbarei von einem wehrlosen Nachbarn erpreßt worden ist.
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Ich kann nicht allein meinen Rechtspunkt darlegen und sagen: Es ist wegen der Rechtsfolgen, die es nun einmal hat, nicht für von Anfang an null und nichtig zu erklären. Das wissen wir ja. Aber zumindest müssen wir dann auch sagen können, daß wir wissen, wie es zustande gekommen ist und daß es nicht etwas ist, worauf wir uns als Politiker eines demokratischen Landes in irgendeiner Weise berufen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verstehe ja, warum Sie die Vermögensfrage in diesem Entschließungsentwurf noch einmal ansprechen, warum Sie auch die Frage des Rechts der Sudetendeutschen auf Ansiedlung in der Tschechoslowakei schon jetzt im Vorgriff auf die gegenseitige europäische Niederlassungsfreiheit fordern. Ich verstehe das. Aber Sie wissen ganz genau - denn viele von Ihnen sind in der letzten Zeit oft genug dort gewesen und haben die Kontakte -, daß derjenige von uns, der so über die Vermögens- und die Ansiedlungsfragen redet, neue Ängste erzeugt. Sie mögen das für übertrieben und für unrealistisch halten. Aber es ist die Wahrheit. Sie werden mir nicht widersprechen können. Auch Sie haben erlebt, daß in den Dörfern und kleinen Städten, in denen früher Deutsche gelebt haben, heute die Tschechen, die das hören, sich
fragen: Was heißt es denn, wenn die Mehrheitsparteien im Deutschen Bundestag von den offenen Vermögensfragen und vom Ansiedlungsrecht reden? Heißt das, daß wir das wieder hergeben müssen, was wir jetzt haben, heißt das, daß wir hier wieder weg müssen? - Natürlich wissen wir, daß das nicht gemeint ist und daß das unrealistisch ist. Aber ich bitte einfach um Verständnis dafür, daß diese Ängste und diese Sorgen da sind
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und daß der kleinere Nachbar ja wohl etwas mehr Recht hat, gegenüber dem großen besorgt zu sein, als der große gegenüber dem kleinen.
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Ich hätte es lieber gesehen, wenn Sie bei dem geblieben wären, was wir gemeinsam in einer früheren Debatte schon erreicht hatten: daß wir über das hinaus, was der Vertrag in, wie ich finde, würdigen und eindeutigen Worten, vor allen Dingen in seiner Präambel, sagt, keine Erklärungen mehr abgeben, weil alles, was darüber hinaus noch gesagt werden kann, eigentlich nur eine Abschwächung ist. Sie haben aus Gründen, die Sie besser kennen als ich und die Sie vertreten müssen, einen anderen Weg gewählt. Sie haben die Diskussion damit nicht beendet. Ich möchte Sie an Ihre Verantwortung erinnern, sich im weiteren Verlauf, wenn es darum geht, diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen, immer bewußt zu sein und bewußt zu bleiben, daß die Grundlage für das, was wir jetzt gemeinsam tun wollen, gegenseitiges Verzeihen ist. Hier ist auch mehrfach gesagt worden: Mit Aufrechnen kommen wir nicht weiter. Es hilft uns eben nicht, wenn der eine ruft „Vertreibung" und der andere ruft „Lidice". Ein Unrecht kann nicht durch ein vorhergegangenes legitimiert werden. Das wissen wir. Aber wir wissen auch, daß es in der Geschichte Zusammenhänge von Ursache und Wirkung gibt, die wir nicht verleugnen dürfen, nicht vergessen dürfen und die uns zu großer Vorsicht und Behutsamkeit zwingen.
Meine Damen und Herren, die beiden Verträge sind von der Bundesregierung, die sie ausgehandelt hat, von beiden Vertragspartnern - das gilt auch für die Regierung Ungarns -, ganz bewußt in einen europäischen Zusammenhang gestellt worden. Der europäische Zusammenhang ist eigentlich die weiterführende Perspektive, die sich aus diesen Verträgen ergibt. Was wir bisher besprochen haben, auch was ich bisher gesagt habe, ist ja immer noch der Versuch, mit Lasten aus der Vergangenheit fertig zu werden, die wir tragen müssen, ob wir 1945 schon gelebt haben oder nicht. Aber die europäische Perspektive ist das, was uns als Gestaltungsaufgabe durch diese Verträge mitgegeben wird.
Die Tschechoslowakei und Ungarn sind europäische Kernländer, sie gehören in das vereinte Europa. Für mich ist ein vereintes Europa ohne diese Länder
mit ihrer jahrhundertealten, zutiefst europäischen Kultur weder vorstellbar noch wünschenswert.
Hier ist mehr über die Tschechoslowakei als über Ungarn gesprochen worden. Das hat mehr innen- als außenpolitische Gründe. Ich will noch ein Wort zu Ungarn sagen: Ungarn hat ja eine ganz besondere Rolle bei dem revolutionären Wandel in Osteuropa und in Südosteuropa gespielt. Für mich war ein Erlebnis im Juni 1989 eines, das ich nie vergessen werde, das zu den beeindruckendsten in meinem ganzen politischen Leben gehört: die Trauerfeier, die Rehabilitierungsveranstaltung für die Opfer des Volksaufstandes von 1956, eine ungeheuer beeindruckende Veranstaltung mit Hunderttausenden von Menschen. Mir war nach diesem Ablauf im Juni 1989 klar - ich habe darüber hier im Bundestag wenige Tage später berichtet - und ich habe damals wörtlich gesagt: Das, was in Budapest auf dem Heldenplatz geschehen ist, das wird auch auf dem Wenzelsplatz in Prag und auf dem Alexanderplatz in Berlin geschehen. Ich habe damals wirklich nicht geglaubt, daß das innerhalb von Monaten geschehen würde - das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen -, aber ich werde nicht vergessen, wo der Anfang dieses Prozesses für jeden, der sehen konnte, wirklich sichtbar geworden ist. Darum empfinde ich es mit Dankbarkeit und Freude, daß auch Ungarn in dieses Vertragswerk einbezogen ist und wir auch Ungarn den Weg in das gemeinsame Europa öffnen wollen.
Aber Europa ist nicht hinter Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu Ende. Wir empfinden die Verantwortung für das ganze Europa, und uns bedrückt, was wir in Teilen dieses unseres Europas erleben: Flüchtlingsströme, Krieg, Bürgerkrieg, geschlossene Grenzen, sich verhärtende Herzen und das Gefühl, vielleicht doch zu wenig getan zu haben und vielleicht nicht das tun zu können, was eigentlich notwendig wäre.
Was wir sehen, ist klar: Die nationalen und auch die religiösen Gefühle von Menschen werden von verantwortungslosen Führern in schamloser Weise mißbraucht. Sie spielen mit den Gefühlen von Menschen wie auf einem politischen Klavier und lösen Mord und Totschlag aus.
Wir können nicht wegsehen. Wir können also nicht sagen: Laßt sie mal so lange weitermachen, bis sie nicht mehr können, irgendwann hören sie schon auf. Isolationismus, uns zurückziehen auf uns selbst, eine Festung Westeuropa sind kein Weg. Das entspräche nicht unserer historischen Verantwortung und auch nicht unserem Verständnis von der Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie in der ganzen Welt.
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Wir können aber auch nicht einfach dreinschlagen. Auch der Interventionismus ist keine Lösung. Lieber Herr Kinkel, wenn ich Sie an dieser Stelle zum erstenmal in Ihrem neuen Amt ansprechen darf: Darüber werden wir noch zu diskutieren haben. Sie haben, wie sich das gehört, erst einen Tag nach Ihrem Amtsantritt in Interviews, die sicher schon vorher aufgezeichnet wurden - zumindest in einem Fall muß
es so gewesen sein; ich weiß ja auch, wie das geht, und es war auch richtig -, eine Bemerkung gemacht, die mich doch ein bißchen nachdenklich gestimmt hat, nämlich daß es wohl nicht ohne Gewehre gehen wird. Ich habe das nicht so verstanden, Herr Kinkel, daß Sie das wollen, sondern ich habe es verstanden als Ausdruck einer gewissen Resignation vor etwas, was Sie offenbar für unvermeidlich halten. - Sie nicken; es scheint so zu sein.
Ich halte das gar nicht für unvermeidlich. Das möchte ich Ihnen deutlich sagen.
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Ich möchte Ihnen auch im Namen meiner politischen Freunde mit auf den Weg geben, daß wir eigentlich von Ihnen, Herr Dr. Kinkel, als Bundesaußenminister erwarten, daß Sie eine Politik betreiben, die genau das überflüssig macht, die uns nicht dahin bringt, daß wir das tun müssen.
({6})
Ich glaube, es gibt noch Instrumente, es gibt noch Mittel, mit denen man das tun kann. Es sind noch nicht alle friedlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, das Zusammenleben der Menschen in Europa in einer humanen, toleranten, menschenfreundlichen Weise zu ermöglichen.
Wir werden Ihnen ganz sicher bei allen Bemühungen helfen, die Sie unternehmen, diesen Weg der Kooperation und der Partnerschaft zu gehen, vielleicht auch die Verträge, über die wir heute hier diskutieren, anderen in Europa als ein Modell anzubieten, ihnen von unseren Erfahrungen mitzugeben, wie man das Verhältnis zwischen Nachbarn, die Probleme miteinander haben und hatten, auch gestalten und wie man mit den Rechten von Minderheiten und Volksgruppen in Staaten umgehen kann, in denen verschiedene Gruppen, Völker und manchmal sogar ganze Nationen miteinander leben müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Nachdenken über diese Debatte gingen mir ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Bert Brecht nicht aus dem Sinn, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, aber ohne eine Interpretation zu geben - jeder wird vielleicht selber ein bißchen darüber nachdenken wollen, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Ich möchte mit diesen Zeilen schließen:
Im Grunde der Moldau gehen die Steine, es liegen vier Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht
und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden,
dann kommt schon der Tag.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Reinhard von Schorlemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich gestehe ganz offen, daß ich sehr erfreut bin, am Geburtstag meines Vorvorredners und niedersächsischen Fraktionskollegen Dr. Volkmar Köhler
({0})
zum erstenmal hier in Berlin in diesem Gebäude während einer Bundestagssitzung zu sprechen.
Ich möchte mich nur dem deutsch-ungarischen Vertrag zuwenden, der für mich und für uns das gleiche Gewicht wie der Vertrag mit der Tschechoslowakei hat. Ich tue das auch, weil wir, glaube ich, alle ein wenig bewegt sind, wenn wir an einer nordöstlichen Stelle des Reichstagsgebäudes vor einer Bronzetafel stehen, die im vergangenen Jahr von dem Präsidenten des ungarischen Parlaments und der Präsidentin des Deutschen Bundestags enthüllt worden ist - in absehbarer Zeit wird auch vor dem Gebäude des ungarischen Parlaments eine solche Tafel angebracht werden - und auf der in deutscher und in ungarischer Sprache steht:
10. September 1989
Ein Zeichen der Freundschaft zwischen dem ungarischen und dem deutschen Volke für ein vereintes Deutschland, für ein unabhängiges Ungarn, für ein demokratisches Europa
Von dieser nordöstlichen Stelle des Reichstagsgebäudes ging bis November 1989 der Blick direkt auf die Mauer an die Spree. Zahlreiche Kreuze erinnern noch heute an die ganze Brutalität der Mauer und des Gebildes, das durch diese unmenschliche Mauer angeblich geschützt werden mußte.
Weil eben die Ungarn am 10. September 1989 gleichsam den ersten Stein aus dieser Mauer geschlagen haben, begrüße ich und, ich glaube, begrüßen wir alle es sehr, daß während dieser Berlin-Sitzung des Bundestags die Abstimmung über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa erfolgt.
({1})
Zwischen Deutschen und Ungarn gab es seit Jahrhunderten und Generationen keine besonderen Probleme.
Seit Jahrhunderten lebt in Ungarn eine große deutsche Minderheit. Gerade dieser Vertrag enthält die beste Minderheitenregelung überhaupt. Er sollte meines Erachtens für andere vertragliche Regelungen immer wieder Vorbild sein. Diese Minderheitenregelung mußte nicht etwa den Ungarn abgerungen werden; nein, sie wurde in weiten Teilen in Ungarn schon vorgelebt. Für ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das den Schutz und die angemessene Förderung von Minderheiten und Volksgruppen zum Inhalt hat, könnte diese Regelung ein Beispiel sein.
Als 1989 die großen Freiheits- und Unabhängigkeitskundgebungen in Budapest auf dem Heldenplatz und in vielen Städten Ungarns stattfanden, war dort auf Transparenten zu lesen: „Ungarn kehrt heim nach Europa".
Ich glaube, dieses Bekenntnis und auch unsere Dankbarkeit gegenüber Ungarn kommen im Art. 3 des Vertrags zum Ausdruck. Wir stehen positiv zur Perspektive des Beitritts der Republik Ungarn zur Europäischen Gemeinschaft und setzen uns für diesen Beitritt ein, sobald die politischen und die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Wir Deutschen sollten, was die politischen Voraussetzungen angeht, bei unseren EG-Partnern Hauptdränger und Motor zum EG-Beitritt Ungarns sein.
Ein großes Problem bewegt die Ungarn und muß auch uns bewegen: die Sicherheit dieses Landes bei der grausamen und schwierigen Situation in der unmittelbaren Nachbarschaft. Hierbei kommt der Weiterentwicklung der Strukturen der KSZE eine besondere Rolle zu.
Der durch die Ungarn eingeleitete wirtschaftliche Umgestaltungsprozeß, der durch Investitionen von Industrie, Gewerbe, Handel und Handwerk aus Deutschland sehr positiv begleitet wird, ist deshalb so erfreulich, weil dort ein gutes Investitionsklima für Investoren vorzufinden ist. Hierzu gehört eine wegweisende Entschädigungsregelung gerade für die Ungarndeutschen, besonders für vertriebene Ungarndeutsche. Wir sind dankbar und stolz, daß gerade die ungarndeutschen Abgeordneten im ungarischen Parlament sich mit Vehemenz und über alle Grenze hinweg für eine solche befriedigende Lösung eingesetzt haben.
({2})
Dieser Vertrag sieht eine Intensivierung des Kulturaustauschs auf allen Ebenen vor. Es ist nur zu begrüßen, daß großes Gewicht darauf gelegt wird, die umfassenden und engen Kontakte zwischen der deutschen und der ungarischen Jugend weiter zu vertiefen. So werden Begegnungen den Austausch und die Zusammenarbeit von Jugendlichen unterstützen und fördern.
Heute besuchen zwei Delegationen von Ausschüssen des ungarischen Parlaments ihre deutschen Kollegen hier im Reichstagsgebäude in Berlin. Dadurch erleben wir, wie wirklichkeitsnah gerade auch die im Vertrag angesprochenen Kontakte zwischen unseren beiden Parlamenten gestaltet werden. Fragen der Umweltpolitik und der Finanzen z. B. werden heute auf der Tagesordnung dieser Gespräche stehen.
Ich darf an dieser Stelle wiederholen, was ich schon in der ersten Lesung des Vertrages gesagt habe: Es kommt nicht von ungefähr, daß die deutsch-ungarische Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag mit rund 100 Mitgliedern eine der größten ist. Das macht deutlich, wie verbunden sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerade ihren ungarischen Parlamentskollegen fühlen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der erste frei gewählte Abgeordnete des ungarischen Parlaments nach über 40 Jahren kommunistischer Diktatur, Garbor Roszik, übergab mir in Gödöllö ein Stück Stacheldraht, das nach dem Durchschneiden des Zaunes zwischen Ungarn und Österreich für Deutsche aus
der früheren DDR in seine Hände kam. Vielleicht ist es sogar ein wenig sentimental, das zu sagen. Aber wir alle wissen, daß gerade bei der Verabschiedung des deutsch-ungarischen Vertrages viel Herz mitwirkt.
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Dieser Vertrag wird sich weiterentwickeln, weil Deutsche und Ungarn das nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen so wollen.
Deshalb appelliere ich namens der CDU/CSU- Fraktion an alle Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages: Stimmen wir einmütig für diesen Vertrag und legen wir damit ein gutes Fundament für die weiteren Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn, das von Zusammenarbeit und Dankbarkeit getragen wird.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Freimut Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein paar Worte möchte ich, so ziemlich am Ende dieser Debatte, gerne loswerden.
Ich habe im Jahre 1983 von Vaclav Havel, der damals gerade wieder im Gefängnis saß, seine Briefe an seine Frau, die er aus dem Gefängnis geschrieben hatte, gelesen. Wir haben diese Briefe 1984 veröffentlicht. Warum sage ich das? Der Grundtenor dieser sehr umfangreichen Briefesammlung, der mich bei keinem anderen Buch, das ich herausgegeben habe, so bewegt hat wie bei diesem war optimistisch. Man stelle sich das vor: Ein Mann, der im Gefängnis Briefe schreibt, ist von einem solchen Optimismus, von einer solchen Zukunftssicherheit geprägt und schreibt davon an seine Frau.
Es gibt unter diesen, glaube ich, 250 Seiten nicht eine einzige Seite, auf der Pessimismus, auf der Angst zu finden ist. Daß ein solcher Mann - der aus der Literatur kommt und den zu publizieren ich immer als große Ehre empfunden habe -, der ganz zentral für die geistige Vorgeschichte dieses Vertrages und ganz zentral für Europas, Mitteleuropas Zukunft steht, ein solcher Optimist ist, sollte uns heute bewegen.
Warum? In diesen Verträgen - da will ich auch den polnischen Vertrag noch einmal erwähnen - ist das Kernstück, das Scharnier zwischen Vergangenheit und Zukunft die Behandlung der Minderheitenfrage. In bezug auf die Vergangenheit wird hierzu in allen drei Verträgen etwas sehr Konkretes angesprochen. Es ist gleichzeitig ein Ausweis dafür, wie man Minderheitenfragen in ganz Europa künftig auch dann regeln können sollte, wenn die Minderheit anderswo keinen großen Bruder hat, der als völkerrechtlicher Partner solche Verträge schließen kann. Von daher sollte auch von diesen Verträgen, von unserer Gemeinsamkeit - es gibt ja gegen diese Verträge keine Gegenstimmen - ein Hoffnungssignal nach ganz Europa ausgehen: So konnten die Deutschen und die Tschechen und die Slowaken und die Ungarn und die Polen miteinander das schwierige Feld der Vergangenheit von Minderheiten und der Zukunft
von Minderheiten miteinander regeln - als Chance für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wo das zentrale Problem der Zukunft die Minderheitenfrage sein wird, als Chance auch für die Völker des ehemaligen Jugoslawiens, wo das Minderheitenproblem für eine lange Zeit ein dramatisches Problem sein wird. Dafür könnten diese Verträge ein Signal sein: Wir haben das geschafft.
Das ist auch der leichte Schatten - das will ich noch sagen -, der darauf durch zwei oder drei Formulierungen in Ihrem Entschließungsantrag geworfen wird. Wir werden Ihrer Entschließung nicht zustimmen können. Es wäre besser gewesen, wir hätten diese Formulierungen mit diesem EG-Vorgriff, gar nicht erst bekommen.
Wir sollten gemeinsam in unseren Beziehungen zu allen anderen Staaten in Osteuropa immer wieder darauf hinweisen: Dies ist der Weg, hier ist eine Chance, daß Minderheiten, gesichert durch völkerrechtliche Verträge, genauso viel Zukunftsmut, genauso viel Optimismus haben können - was zur Zeit nicht der Fall ist - wie Vaclav Havel - ich habe es am Anfang meines Beitrags gesagt - damals in einer für ihn zunächst sehr aussichtslos erscheinenden Situation.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren! Das Wort hat jetzt unser Kollege Ortwin Lowack.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Fünf Minuten Redezeit zum deutsch-tschechoslowakischen Vertrag für eine Stimme gegen den Vertrag und für die Rechte der Betroffenen sind unfair. Aber es entspricht wohl den verkrusteten Strukturen dieses Parlaments,
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dem auferlegt ist zu funktionieren, statt wichtige Dinge ausführlich zu debattieren.
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Um im Versmaß des Kollegen Verheugen zu bleiben, das mich etwas inspiriert hat, möchte ich es so ausdrücken: Verzeiht, daß ich die Eintracht störe, doch ist nicht immer gut, was ohne Widerspruch das Parlament passiert.
In der ersten Lesung hatte ich an die Bundesregierung 20 Fragen von großer nationaler Bedeutung gestellt. Es waren nicht meine Fragen, sondern die der Betroffenen, vor allem Fragen des Völkerrechts und der künftigen gemeinsamen Gestaltung Europas. Ich stelle fest, daß sämtliche Fragen durch die Bundesregierung unbeantwortet sind.
Ich muß deshalb unverändert festhalten: Dieser Vertrag dient nicht dem Recht; er dient dem Unrecht.
Er ist Vorbild und Aufmunterung für andere, mit der grausamen Vertreibung von Menschen Recht zu schaffen. Bei allen Verdrehungen und Versuchen, mit Briefen und Entschließungen die betroffenen Heimatvertriebenen in die Irre zu führen, läßt sich leider nicht verdrängen: Der Vertrag ist schlecht. Er schreibt stalinistisches Unrecht fort. Er hat keine Perspektive für eine gemeinsame deutsch-tschechische oder deutsch-slowakische Zukunft.
Ich frage: Ist es nicht blanker Zynismus, wenn der größte Außenminister aller Zeiten - wie er sich, allerdings im Karneval, selber bezeichnet hat - in einem begleitenden Brief in Erinnerung ruft, daß erst die in Art. 10 erwähnte Perspektive der vollen Eingliederung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in die Europäischen Gemeinschaften in wachsendem Maße die Möglichkeit schaffen werde, daß sich auch Bürger der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik niederlassen könnten, vor allem, wenn es im nächsten Satz in bezug auf die Rechte der betroffenen heimatvertriebenen Deutschen heißt, dieser Vertrag befasse sich nicht mit Vermögensfragen?
Mit dieser Klausel in diesem Brief sollen die Rechte der Betroffenen ausgeschlossen werden, vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht zu werden. Das ist Zynismus. Man verhindert damit, daß Leute ihre Rechte vor einem deutschen Gericht geltend machen können, indem man außenpolitisch nicht das vorträgt, was hätte vorgetragen werden müssen, was man hätte regeln sollen.
Statt das als Völkermord einzustufende Verbrechen der Vertreibung wiedergutzumachen, wird - geradezu lächerlich - den Überlebenden und den Nachkommen ein EG-Niederlassungsrecht in Aussicht gestellt. Statt Vermögensfragen völkerrechtlich zu regeln und den Vertreiberstaat zur Restitution zu veranlassen, wird dies auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben. Das Schlimmste ist: Die Betroffenen werden nicht beteiligt. Eine Riesenchance ist durch die Kabinettspolitik vertan, die einzelnen, denen persönlich Unrecht geschehen ist, an diesem Versöhnungsprozeß zu beteiligen.
Es gibt doch nicht nur eine deutsche Geschichte von Schuld, Sühne und Kriegsursachen. Vielmehr war es Deutschland - das wir zu vertreten haben -, das in den letzten 400 Jahren ständig an Substanz verloren hat und erleben mußte, daß sich die Nachbarn oft genug bedient, bereichert, daß sie geplündert und zerstört haben.
({2})
Vaclav Havel hat einmal gesagt, daß die Grundvoraussetzung für eine wirkliche Freundschaft zwischen unseren Völkern die Wahrheit sei. Ich stelle ausdrücklich fest, daß dieser Vertrag diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt. Der Stachel der Ungerechtigkeit und das Unrecht der Überheblichkeit der Politik werden bleiben. Sie machen diesen Vertrag bereits heute zur Farce.
Noch ein Wort zur CSU - mir tut es leid, wenn ich darauf hinweisen muß -: Sie als Papiertiger zu
bezeichnen umschreibt nur einen Teil der Wahrheit. Eher schon erinnert sie mich an den kleinen afrikanischen Springbock, der die große Fähigkeit hat, Sprünge nach oben zu machen, ohne dabei vom Platz wegzukommen. Vor allem aber täuscht sie einen wichtigen Teil ihrer eigenen Klientel über die Wahrheit hinweg, auch über die Ihres eigenen inneren Zustands. Hätte sie wirklich den Mut, der sie nach Auffassung ihres derzeitigen Vorsitzenden geradezu umwerfend attraktiv macht, würde sie heute geschlossen mit Nein stimmen.
Mut hat diese Partei schon lange nicht mehr, und auch ihre Prinzipien von Freiheit und Recht wurden der Vasallentreue zu einem Kanzler geopfert, dem ich leider nicht zusprechen kann, daß er erkennbare Prinzipien oder Vorstellungen darüber hat, welche Rolle Deutschland in der Welt und in Europa zu spielen hat.
Doch warnen möchte ich - um im Versmaß zu bleiben -, denn unser Volk verachtet diese Führung, die ohne Not das wirklich Mögliche verspielt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu der Eingangsbemerkung des Kollegen Lowack sagen. Er hat bemängelt, daß er nur fünf Minuten Redezeit hat. Ich glaube, daß das Präsidium angemessen reagiert hat. Denn wie sind denn die Rechte der 661 anderen Abgeordneten?
({0})
Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Fritz Wittmann das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl es dem Anlaß eigentlich nicht angemessen ist, muß ich doch ein Wort zu meinem Vorredner sagen. Herr Kollege Lowack, wem verdanken Sie dieses Mandat?
({0})
Wieso haben Sie dieser Partei dann so lange angehört?
Nur diese Frage stelle ich Ihnen. Mehr möchte ich auf
Sie nicht eingehen, weil es sich wirklich nicht lohnt.
({1})
Bei diesen Verträgen und bei dieser Diskussion erleben wir, daß die Geschichte doch keine Schlußstriche ziehen kann, wie es manche - nicht aus diesem Hause - im Zusammenhang mit dem deutschtschechoslowakischen Vertrag gemeint haben. Wir wollen die Beziehungen auf eine neue Basis stellen. Das ist wahr. Die Frage ist nur: Erreichen wir diese Basis? Ich glaube, wir müssen erst noch einiges aus der Vergangenheit miteinander erörtern.
Die Tschechoslowakei ist ein verhältnismäßig junger Staat. Wir sollten alle miteinander akzeptieren, daß die Tschechen und die Slowaken auf ihren jeweiligen Staat stolz sind; denn ihre Staatlichkeit ist inzwischen Geschichte geworden.
Aber lassen Sie mich dazu sagen: Diese Geschichte dauert erst seit 1918/19, und manchmal hatte man den Eindruck, daß das Deutsche Reich mit dem Rücken zum Böhmerwald bzw. zum Erzgebirge stand. Und man muß feststellen, daß 1918/19 3,5 Millionen Deutsche gegen ihren Willen in diesen Staat eingegliedert wurden.
Aber vor diesem Jahr 1918/19 lagen Hunderte von Jahren gemeinsamer Geschichte, in deren Verlauf Deutsche, Tschechen, Slowaken und Ungarn in einem größeren Staatsgebilde nebeneinander lebten. Wäre der Erste Weltkrieg nicht gekommen, dann wäre vielleicht der Mährische Ausgleich von 1905 zu einem Modell geworden für den Ausgleich der Rechte und Möglichkeiten von Volksgruppen. Das Ende des Ersten Weltkriegs hat dem ein Ende gesetzt.
Das Dritte Reich mißbrauchte dann die berechtigten Volksgruppeninteressen der Sudetendeutschen. Dann erfolgte 1945 die Vertreibung der Sudetendeutschen. Meine Damen und Herren, nicht Aussiedlung, nicht Abschiebung oder Ausweisung, es war Vertreibung. Das hat Vaclav Havel richtig charakterisiert.
({2})
Im Prager Frühling bestand wieder die Hoffnung einer Begegnung zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken. Sie wurde durch den Einmarsch des Warschauer Paktes zunichte gemacht. Es waren die Sudetendeutschen, die 1968 den Tschechen, die in unser Land kamen, in besonderem Maße Hilfe leisteten und sie als Landsleute betrachteten.
Der sogenannte Prager Vertrag von 1973 trägt noch die Unterschriften kommunistischer Politiker. Es ist verständlich, daß man nach Wiedergewinnung der Freiheit auf beiden Seiten Verträge haben wollte, die die Unterschrift demokratischer Politiker tragen. Man wird aber fragen können, ob jetzt schon die Zeit reif war, einen solchen Vertrag zu schließen; denn der Motivenbericht der CSFR - selbst wenn er relativiert worden ist - zeigt doch, daß noch Vorstellungen vorhanden sind von dem, was Vertreibung, Vermögenskonfiskation und sonstige Rechtsfragen ist, die kontrovers sind.
Der Vertrag ist in der Tat ein Dokument, zu dem die einen sagen können, „ja, aber", die anderen aber sagen müssen „nein, aber". Es sind viele Dinge, viele Ansätze vorhanden, z. B. der Kopenhagener Standard der Minderheitenrechte, ein Standard, der weiter geht als der im deutsch-polnischen Vertrag. Aber es fehlt das innerstaatliche Instrumentarium in der Tschechoslowakei, um diesen Vertrag im innerstaatlichen Bereich Wirklichkeit werden zu lassen. Wir hoffen, daß das kommt mit dem Weiterbau des Rechtsstaates.
Die Deutschen, die jetzt im tschechischen und im slowakischen Teil der Tschechoslowakei leben, erhalten zum Teil ihr Vermögen zurück. Aber die Versteigerung des konfiszierten Vermögens geht weiter. Die Aufhebung der Dekrete des Jahres 1945 ist für die Sudetendeutschen nicht etwa das, was sie mit Eigentumsrückgabe verbinden. Nein, es wäre ein Zeichen zur Wiederherstellung des verletzten Rechtsbewußtseins.
({3})
Die Sudetendeutschen sind nicht die Shylocks der Weltgeschichte, die ihr Recht bis zum letzten Komma haben wollen. Wir wollen nur ein Zeichen sehen.
Ich glaube, eine Entschädigung kommt jetzt nicht in Betracht. Ich sage persönlich: Nur der kann mit Recht eine Entschädigung oder Rückgabe verlangen, der bereit ist, in diesem Lande zu investieren und wirtschaftlich tätig zu werden und nicht Geld aus diesem Lande herauszuholen.
({4})
Auch gilt ein Gesetz noch, das die Unrechtshandlungen des Jahres 1945 rechtfertigen will.
Meine Damen und Herren, die Sudetendeutschen, Herr Kollege Voigt, gehen nicht als Kapitalisten hin, sondern als Kulturbringer. Die Gotteshäuser werden wiederhergestellt. Es war für mich einer der bewegendsten Momente, im vergangenen Jahr mit Tschechen und Deutschen an dem Patrozinium in meinem Heimatort, das erste seit 1945, teilzunehmen.
Wir gehen davon aus, daß die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. Juli 1950 weiter gilt, wo es heißt:
Das Prager Abkommen der DDR ist nicht vereinbar mit dem Anspruch des Menschen auf seine Heimat. Der Deutsche Bundestag erhebt deshalb feierlich Einspruch gegen die Preisgabe des Heimatrechts der in die Obhut der deutschen Bundesrepublik gegebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei und stellt die Nichtigkeit des Prager Abkommens fest.
Abschließend heißt es dort:
Er - der Bundestag - richtet an die Gesamtheit der freien Völker den Appell, im Geiste der Atlantikcharta für eine Friedensordnung einzutreten, in der die natürlichen Rechte auch der Deutschen gewahrt sind.
In diesem Sinne bitte ich zu verstehen, daß die Sudetendeutschen von der Bundesrepublik erwarten, daß sie weiterhin ihre Rechte vertritt.
Ich danke Ihnen.
({5})
Herr Dr. Wittmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Glotz? - Nein.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Würdigung der Verträge mit der CSFR und Ungarn im Rahmen der ersten Lesung im Deutschen Bundestag am 6. Mai 1992 verabschiedete sich Hans-Dietrich Genscher als Bundesaußenminister vom Deutschen Bundestag. Die zweite und abschließende Lesung der Verträge - Herr Kollege Irmer hat darauf hingewiesen - gibt mir heute, nur zwei Tage nach meiner Amtsernennung, im Bundestag die Gelegenheit, zum ersten Mal als Bundesaußenminister zu sprechen.
Beide Verträge fanden am 6. Mai 1992 in diesem Hause wie auch beim ersten Durchgang im Bundesrat und in den Ausschüssen erfreulicherweise eine breite Zustimmung. Ich werte dies als Ausdruck des Bewußtseins für die wahrhaft historische Bedeutung, die dem Abschluß dieser Verträge zukommt. Mit ihnen und mit den bereits unterzeichneten Verträgen mit Bulgarien und Rumänien schließt sich sozusagen ein Kreis.
Dieser Kreis öffnete sich u. a., als Präsident Gorbatschow den Völkern Mittel- und Osteuropas die Freiheit der Wahl versprach und die Menschen in Warschau, in Prag, in Budapest, in Dresden und in Berlin für ihre Freiheit und für Menschenrechte auf die Straße gingen.
In dieser Stunde vergessen wir auch nicht - das klang schon vorher einmal an -, daß es das ungarische Volk war, das mit großem Mut als erstes eine Bresche in den Eisernen Vorhang schlug.
({0})
Es hat unsere Mitbürgern in der ehemaligen DDR in menschlicher Solidarität geholfen und damit die unaufhaltsame und unumkehrbare Entwicklung in Richtung deutsche Einheit in Gang gesetzt.
Der Höhepunkt dieser so nicht vorhersehbaren dramatischen Umbrüche in Mittel- und Osteuropa und in der ehemaligen Sowjetunion war für uns Deutsche die lang ersehnte Freiheit; für unsere Nachbarn, die Polen, die Ungarn, die Tschechen und Slowaken, war es die Befreiung von vier Jahrzehnten Unfreiheit, Unterdrückung, Zwang und Bevormundung. Auch daran denken wir heute anläßlich der abschließenden Lesung der beiden Verträge.
Wenn wir nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa sprachen, meinten wir zu oft und zu leicht nur Westeuropa. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Entfallen der jahrzehntelangen massiven Bedrohung des Weltfriedens eröffnete sich die Chance, wieder an das ganze Europa zu denken und für das ganze Europa zu handeln. Prag, Warschau und Budapest, Sofia und Bukarest kehrten auch in unserem Bewußtsein wieder dorthin zurück, wo sie immer hingehörten: in das eine, unteilbare Europa.
({1})
Die beiden Verträge, um deren Ratifikation es heute geht, sind bei dieser Rückkehr eine ganz wichtige Etappe.
In dieser europäischen Perspektive liegt neben den bilateralen Aspekten ihre tiefere geschichtliche Bedeutung. Durch sie wird ein bedrückendes Stück Nachkriegsgeschichte, für das auch wir Deutsche uns mitverantwortlich fühlen müssen, endgültig abgelöst. Auf ihrer Grundlage kann eine hoffnungsvolle, neue europäische bilaterale Entwicklung in Gang kommen.
Es muß deutlich gesagt werden, daß im deutschtschechoslowakischen Vertrag nicht alle Fragen in einer für alle zufriedenstellenden Weise gelöst werden konnten; das ist schon angesprochen worden. Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zu den Vermögensfragen mußten wir uns darauf ver7648
ständigen, daß sich dieser Vertrag nicht damit befaßt. Wie im Vertrag mit Polen ist diese Feststellung im ergänzenden Briefwechsel getroffen worden, der integraler Bestandteil dieses Vertrages ist. Die Möglichkeit zur Niederlassung für Deutsche in der CSFR ist ebenfalls durch den ergänzenden Briefwechsel in der Perspektive der europäischen Einheit eröffnet worden.
Ich bin sicher - das wird auch von tschechoslowakischer Seite bestätigt -, daß die zunehmende Annäherung der CSFR an die Europäische Gemeinschaft auch in diesem Punkt - so hoffe ich jedenfalls; ich bin fast sicher - Bewegung bringen wird.
Wir müssen uns bei der Bewertung dieses Vertrages immer darüber im klaren sein, wie tief die Wunden auf beiden Seiten noch schmerzen und wie kurz erst die Zeit der Versöhnung ist. Es bleibt wahrhaftig noch viel aufzuarbeiten. Dies schaffen wir aber nur, wenn wir nach vorne schauen. Nur so können wir eine dunkle Vergangenheit überwinden und den Weg in den Köpfen für eine bessere Zukunft freimachen. Von dieser Bereitschaft der Bürger auf beiden Seiten der Grenze - es geht in der Tat nicht nur um die Verträge -, die Chancen der Zukunft und nicht nur die Schatten der Vergangenheit zu sehen, wird es abhängen, wie schnell die relativ weit gespannten Ziele dieses Vertrages in der Praxis Wirklichkeit werden können. Bereits jetzt gibt es eine breite Zusammenarbeit der Menschen, die uns eigentlich Zuversicht verleihen sollte.
Gerade die Deutschen, die aus der angestammten Heimat vertrieben wurden, müssen hierin eingebunden und so zu einer Brücke der Verständigung werden. Die Zukunft muß natürlich von der jungen Generation beider Länder gestaltet werden. Sowohl das deutsch-tschechoslowakische wie auch das deutsch-ungarische Verhältnis werden bereits heute von vielfältigen Kontakten auf regionaler und kommunaler Ebene geprägt.
Die Wirtschaftsbeziehungen entwickeln sich trotz der schwierigen Anpassungsprozesse günstig. 1991 waren wir erstmals größter Exportmarkt der CSFR und größter Handelspartner Ungarns. Damit tragen wir zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder bei, was auch eine ganz wesentliche Rolle spielt.
Die Grenzen sind offen; es gibt gegenüber der CSFR und Ungarn keine Visapflicht mehr. Neue Grenzübergänge wurden eröffnet.
Das Goethe-Institut ist sowohl in Budapest wie in Prag vertreten, und das Engagement der politischen Stiftungen hat sich erfreulicherweise gewaltig verstärkt. Das gilt auch für die Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft. Die Nachfrage nach deutschem Sprachunterricht - ich finde, das ist besonders erfreulich - ist so groß, daß sie trotz Entsendung zahlreicher deutscher Lektoren kaum befriedigt werden kann. Hier sind dringend noch zusätzliche Anstrengungen notwendig, Anstrengungen, die sich, wie ich meine, wirklich lohnen und auszahlen werden.
({2})
Meine Damen und Herren, der Vertrag mit Ungarn knüpft an die traditionell freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern an. Er enthält eine in ganz Europa beispielhafte Regelung der Rechte deutscher Minderheiten. Auch für Ungarn gilt dasselbe wie für die CSFR, Polen, Rumänien und Bulgarien. Alle diese Staaten sehen ihre eigentliche Chance für den Anschluß an Europa im Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Den Weg für diesen Beitritt zu ebnen, die Wartezeit zu verkürzen - auch dies ist ein ganz wesentliches Ziel unseres bilateralen Vertragsgeflechts mit unseren Nachbarn im Osten.
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Natürlich müssen sie sich auch selber helfen, aber sie brauchen unsere Unterstützung. Ohne diese Unterstützung wird es nicht gehen. Die Perspektive des Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft, sobald hierfür die wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen, ist für unsere Nachbarn das Licht am Ende des Tunnels. Sie müssen möglichst bald wissen, daß sie dazugehören.
({4})
Deshalb hat die Europäische Gemeinschaft mit Polen, mit der CSFR und mit Ungarn im Dezember letzten Jahres Assoziierungsverträge mit Beitrittsperspektive abgeschlossen. Mit demselben Ziel muß bald auch mit den anderen Staaten Mittel- und Südosteuropas verhandelt werden. So kann die neue europäische Architektur entstehen, die uns vom Nationalismus, vom Vormachts- und Gleichgewichtsdenken weg zu einer neuen Kultur des politischen Zusammenlebens in Europa bringen soll.
Ich möchte die heutige Gelegenheit meiner ersten Rede als Bundesaußenminister im Deutschen Bundestag auch dazu nutzen, meinen festen Willen zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen, auch und vor allem natürlich mit dem Auswärtigen Ausschuß, den ich gestern besucht habe, deutlich zu machen.
Die Außenpolitik liegt in ganz besonderer Weise - Herr Voigt, Sie haben darauf hingewiesen - in der Gesamtverantwortung von Regierung und Parlament. Der über Parteigrenzen hinweg erfreulicherweise bestehende Konsens über die Grundlinien unserer Außenpolitik ist zu einem ganz wichtigen Bestandteil unserer politischen Kultur geworden. Mir liegt außerordentlich viel daran, daß dieser Grundkonsens so weit wie nur irgend möglich erhalten bleibt.
({5})
Herr Genscher, mein politischer Ziehvater, hat die Notwendigkeit der Kontinuität der deutschen Außenpolitik in den Mittelpunkt seiner Abschiedsrede gestellt. Ich möchte Ihnen sagen - das wird Sie nicht wundern -, daß ich das auch so sehe.
In dieser Zeit weltweiter Umbrüche müssen wir selbstverständlich für neue Entwicklungen offen sein; an unserer Verläßlichkeit und Berechenbarkeit darf
jedoch kein Zweifel aufkommen. Die Zustimmung unserer Nachbarn zu unserer Wiedervereinigung war ein ganz erheblicher Vertrauensvorschuß. Wir haben nach der Einheit als größer gewordenes Deutschland auch eine größere Verantwortung. Dieser Verantwortung und dieser Erwartungshaltung müssen wir, sollten wir entsprechen.
Deshalb werden wir auch in Zukunft keine nationale, sondern europäische und transatlantische Politik betreiben. Hierzu gibt es - ich glaube, da sind wir uns alle einig - im Grunde auch gar keine Alternative.
({6})
Wir werden uns daher auch in Zukunft an die Wertbezogenheit unseres Grundgesetzes halten. Ich wiederhole etwas, was im Bundestag schon öfter gesagt wurde - aber gerade mir als bisherigem Bundesjustizminister liegt sehr viel daran, daß Sie das auch von mir hören -: Die Wahrung der Menschenrechte hat für uns hohe Bedeutung. Deshalb werden wir uns weiter dafür einsetzen, daß die Chance für Freiheit und Demokratie östlich von uns nicht an sozialer Not und Umweltzerstörung zerbricht.
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Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist die Last der existentiellen Friedensbedrohung in gewissem Sinne von dieser Welt gewichen. Hierdurch brechen aber auch jahrhundertealte nationale Völkerkonflikte wieder auf, die in der kommunistischen Ara quasi wie unter einer Eisdecke begraben lagen. Die durch den Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ausgelöste Massenflucht muß uns aufrütteln. Die Bundesregierung wird morgen hochrangig an der von Österreich einberufenen Flüchtlingskonferenz in Wien teilnehmen. Hier ist eine übergreifende internationale Hilfsanstrengung erforderlich. Wir werden auch weiterhin darauf drängen, daß die Vereinten Nationen ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet nachkommen und gerecht werden.
Der anhaltende Krieg in Kroatien und BosnienHerzegowina ist ein Alarmsignal für den kommenden KSZE-Gipfel in Helsinki. Wir müssen in Europa endlich eine Lage schaffen, die es uns erlaubt, dieser Art von Konflikten Herr zu werden, und zwar nicht nur im Sinne einer Reparatur, sondern im Sinne der Vorbeugung und der Konfliktverhütung. Hierfür müssen im KSZE-Raum die Institutionen der neuen europäischen Architektur so ausgestattet werden, daß die neue europäische Friedensordnung der Charta von Paris Wirklichkeit werden kann.
Aber wir dürfen in Europa nicht nur Nabelschau betreiben. Die Welt hat sich gerade in den letzten Jahren beileibe nicht nur in Mittel- und Osteuropa verändert, gleichsam atemlos, von niemandem so vorhersehbar oder vorhergesehen. In der Dritten Welt bleiben die gewaltigen sozialen und ökologischen Herausforderungen eine Zeitbombe, der wir, auch wenn unsere Kräfte noch so angespannt sind, genausowenig ausweichen können wie derjenigen in Osteuropa.
({8})
Gegen die Weltwanderungsbewegung des Hungers und der Not werden wir - das ist ein Satz, den ich auch in der Innenpolitik in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt habe, denn diese Weltwanderungsbewegung ist auslösendes Element auch unserer Asylproblematik -- auf Dauer nicht durch Gesetze und Verwaltungspraktiken allein vorgehen können. Wir dürfen und können uns in diesem offenen Europa und in diesem offenen Deutschland nicht abschotten.
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Es bleibt auch im neuen Amt mein Credo, daß unendlich viele Menschen auf dieser Erde praktisch von der Sekunde ihrer Geburt an nicht die geringste Chance haben, ein auch nur einigermaßen menschenwürdiges Leben zu führen. Die Welt ist zutiefst ungerecht. Wir müssen auch mit unserer Außenpolitik versuchen - ich gebe zu, das ist nicht allein zu schultern und nicht allein zu bewegen -, dort zu helfen, wo es irgendwie geht.
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Es gibt auf Dauer keinen anderen Weg, als den Menschen in ihrer Heimat eine Lebenschance zu geben. Das allerdings werden wir - ich wiederhole es - nicht allein schultern können. Es bedarf einer gigantischen Anstrengung aller Industrienationen, nämlich derer, die in der Lage sind, wirklich vor Ort zu helfen. Wir müssen uns sehr hüten, den Eindruck zu erwecken, als wären wir in der Lage, das von der Bundesrepublik aus zu tun. Wir alle wissen, daß das nicht möglich ist. Aber es ist eben auch so, daß wir unser Gewissen mit humanitären Gesten allein - so wichtig sie sind - auf Dauer nicht freikaufen können.
Die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro und die UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien im nächsten Jahr müssen für die künftige Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd eine neue Grundlage schaffen - dies nicht im Sinne eines Diktats des Nordens, sondern im Sinne einer wirklichen globalen Partnerschaft.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Politischen Union und längerfristig zu den Vereinigten Staaten von Europa bleibt zwingend unser Kernziel. Die Verträge von Maastricht müssen ohne Verzug ratifiziert werden. Da Ja zu Maastricht ist unser Ja zu einem demokratischen, föderalen und bürgernahen Europa.
Die deutsch-französische Freundschaft muß sich auch in Zukunft als Motor der europäischen Integration bewähren. Ich habe mich am Montag bei meiner ersten Auslandsreise unmittelbar nach Amtsübernahme mit dem Kollegen Roland Dumas, einem engen Freund von Herrn Genscher, getroffen. Wir haben
volle Übereinstimmung über eine unverändert gültige, vertrauensvolle Partnerschaft und enge Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich erzielt. Der vor uns liegende deutsch-französische Gipfel in La Rochelle wird dies erneut bestätigen.
Die Nordatlantische Allianz bleibt der unverzichtbare Garant unserer Sicherheit. In ihr manifestiert sich die unauflösliche Werte- und Schicksalsgemeinschaft zwischen den europäischen und den nordamerikanischen Demokratien. Die Freundschaft und Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten bleibt wie die zu Frankreich von prioritärer Bedeutung für die deutsche Außenpolitik. Ich möchte sehr, daß dies weiter gilt.
({11})
Herr Verheugen, Sie haben eine Passage aus einem Interview, das ich in den letzten Tagen gegeben habe, angesprochen. Die Passage lautete etwa - ich habe den Wortlaut nicht dabei; deshalb kann ich ihn nur sinngemäß wiedergeben -: Es wird leider nicht ganz ohne Gewehre gehen. Diese Passage hat sich auf die geplante Grundgesetzänderung hinsichtlich der UNO-Problematik bezogen.
Mir ist jede kriegerische Handlung persönlich zutiefst zuwider.
({12})
Ich würde uns allen, auch mir selber, sehr, sehr herzlich wünschen, daß es nie dazu kommt, daß im Ernstfall die Bundeswehr mit dem Gewehr in Bereichen, um die es bei der Änderung des Grundgesetzes geht, zum Einsatz kommt. Aber ich möchte deutlich und klar sagen, daß ich der Auffassung bin, daß es, nachdem wir uns wohl entschlossen haben, eine Grundgesetzänderung herbeizuführen, nicht ausreichen würde und wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden würden, wenn wir eine so restriktive Fassung des Grundgesetzes fänden, die es im Ernstfall bei UNO-Einsätzen und unter den bekannten Kautelen der UNO-Aufsicht nicht möglich machen würde, daß die Bundeswehr letztlich auch mit dem Gewehr eingreifen könnte.
Ich persönlich bin der Überzeugung, daß wir der gewachsenen Verantwortung, die die Bundesrepublik auch durch die Wiedervereinigung gewonnen hat - jetzt fassen Sie es bitte richtig auf, nämlich so, wie ich es sagen möchte , nicht gerecht werden können, wenn wir in Zukunft nur mit der Blume im Gewehr auftreten könnten. Das ist meine Überzeugung. Ich möchte alles tun, um das in der Praxis zu verhindern, möchte aber deutlich sagen - diese Auffassung habe ich bisher auch als Bundesjustizminister vertreten -, daß wir eine Grundgesetzänderung brauchen, die nicht zu restriktiv sein darf.
({13})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Voigt? - Bitte sehr.
Herr Bundesminister, weil Ihre Äußerung vorsichtig, aber dadurch in der Formulierung auch etwas uneindeutig war,
möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht, weil für eine Grundgesetzänderung, wie Sie und wie wir wissen, die Zustimmung der SPD erforderlich ist, in diesem Fall weniger für mehr halten könnten und ob Sie deshalb nicht eine Zustimmung der SPD und aller Parteien zu UNO-Blauhelmeinsätzen oder möglichen zukünftigen KSZE-Blauhelmeinsätzen für den richtigen Schritt zu dieser Zeit, der ausreicht,
({0})
halten könnten.
Grundsätzlich stimme ich Ihnen darin voll zu, daß, was Bundeswehreinsätze im UNO-Bereich anbelangt, weniger besser ist als mehr. Über das andere lassen Sie uns reden. Ich bin jetzt in meiner ersten Rede nicht in der Lage, Koalitionsmeinungen und Regierungsmeinungen zu dieser Grundgesetzänderung wiederzugeben. Aber ich darf doch als deutscher Außenminister meine, wie ich finde, vorsichtig geäußerte Meinung sagen. Ich habe ja nur geglaubt, auf die vorsichtige Kritik von Herrn Verheugen etwas sagen zu sollen. Wir werden uns darüber unterhalten.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Anlaß unserer heutigen Debatte zurückkommen. Die Ihnen heute zur Zustimmung vorliegenden Verträge sind Elemente einer umfassenden europäischen Friedensarchitektur, die wir gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden in der EG, im Atlantischen Bündnis sowie in Mittel- und Osteuropa schaffen wollen.
Nichts würde unser Bewußtsein um diese europäische Bedeutung der Verträge deutlicher unterstreichen als ein klares zustimmendes Votum aus diesem Haus. Um dieses klare zustimmende Votum möchte ich Sie als neuer Außenminister herzlich bitten.
Vielen Dank.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen 12/2468 und 12/2612 vor.
Zur Abstimmung liegen mir Erklärungen der Kollegen Sauer und Jagoda'), der Kollegen Dr. Riedl und Rossmanith **), des Kollegen Dr. Wittmann und 19 weiterer Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion ***) sowie des Abgeordneten Jäger ****) vor.
*) Anlage 3
**) Anlage 4
***) Anlage 5 ****) Anlage 6
Vizepräsident Helmuth Becker
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2621, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Meine Damen und Herren, aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion gibt es eine Reihe von Gegenstimmen. Enthaltungen? - Es gibt keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
({0})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/2624. Dazu liegt mir eine Erklärung der Abgeordneten Lüder, SchmalzJacobsen, Hirsch, Baum und Starnick vor *).
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/2624 angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2623. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
({1})
- Ich kann gerne hinzufügen: bei zahlreichen, nein, bei wenigen Stimmenthaltungen aus der Fraktion der F.D.P.
({2})
- Meine Damen und Herren, wenn es da Mißverständnisse gibt, können wir diese schnell klären. Ich frage noch einmal: Wer enthält sich dazu der Stimme?
- Das ist der größere Anteil der Mitglieder der F.D.P.-Fraktion; jedenfalls ist es jetzt von hier aus so zu sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/2625. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
- Für den Antrag haben die Mitglieder der Gruppe PDS/Linke Liste gestimmt. Gegen diesen Antrag haben die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und der
*) Anlage 7
F.D.P.-Fraktion gestimmt. Ein Großteil der Mitglieder der SPD-Fraktion hat sich der Stimme enthalten.
({3})
- Nein, nicht alle. - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa ab. Es handelt sich um die Drucksachen 12/2469 und 12/2613. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2622, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen?
- Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED- Diktatur"
a) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur"
b) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Markus Meckel, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung von Unterdrückung in der SBZ/DDR"
c) zu dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur" und Förderung außerparlamentarischer Initiativen zum gleichen Thema
d) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Fritz Schumann ({5}), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Einsetzung einer Enquete-Kommission „Politische Aufarbeitung der DDR-Geschichte"
e) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Jürgen Augustinowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg van Essen, Heinz-Dieter Hackel, Dirk Hansen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.
Vizepräsident Helmuth Becker
Aufgaben der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur"
- Drucksachen 12/2230, 12/2152, 12/2220 ({6}) Buchstabe A, 12/2226, 12/2229, 12/2597 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dorothee Wilms Markus Meckel
Gerd Poppe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile unserer Kollegin Dr. Dorothee Wilms das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere tägliche Arbeit hier im Deutschen Bundestag ist normalerweise auf Gegenwart und Zukunft gerichtet. Die Enquete-Kommission soll sich vorwiegend mit der Vergangenheit und ihren Wirkungen auf die Gegenwart beschäftigen. Vergangenheit - so hat es Bundespräsident von Weizsäcker einmal formuliert - könne man nicht bewältigen; sie lasse sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen; wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließe, werde blind für die Gegenwart.
Dieses Wort, meine Damen und Herren, war auf die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland gemünzt. Aber ich finde, es besitzt auch Gültigkeit, wenn wir auf die Jahre. der SED-Diktatur in Deutschland blicken. Wir können diese 40 Jahre, die für ungezählte Deutsche Unrecht und Verfolgung mit sich brachten, die Leid, Demütigung, Entmündigung und Entwurzelung bedeuteten, nicht „bewältigen", weil sie sich ja nicht ungeschehen machen lassen. Wir können uns ihnen nur stellen, uns mit ihnen auseinandersetzen, und das wollen und werden wir in der Enquete-Kommission tun.
Wir tun dies vor allem um jener Deutschen willen, die der SED-Diktatur unterworfen waren und zu deren Opfern wurden und die auf der Schattenseite deutscher Nachkriegsgeschichte standen. Selbstverständlich können wir das Unrecht, das sie in über 40 Jahren erlitten haben, nicht in allem wiedergutmachen, schon gar nicht im materiellen Sinne, aber wir wollen ihnen - so steht es in der Präambel unserer Beschlußempfehlung - Hilfen bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Hilfen bei der Bewertung eigener und fremder Verantwortung und Schuld geben, Hilfen, die heilend wirken sollen. Es geht darum, jenen, die unter dem SED-Regime leben mußten, etwas zurückzugeben, was ihnen der allmächtige Staat brutal zu nehmen versucht hat: Selbstwertgefühl, Ehre, Identität.
Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit geht aber alle Deutschen an; täuschen wir uns da nicht! So ist der Auftrag dieser Kommission ein gesamtdeutscher Auftrag. Die Teilung Deutschlands mit all ihren
Folgen war unser gemeinsames Schicksal. Deshalb sprechen wir in der Präambel unserer Beschlußempfehlung von den gemeinsamen Aufgaben aller Deutschen, sich mit dem SED-Staat und seinen Folgen auseinanderzusetzen. Deshalb schlagen wir vor, der Kommission folgenden Namen zu geben: Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur in Deutschland.
Die Kommission - die vorliegende Beschlußempfehlung zeigt es Ihnen - hat sich selbst ein sehr großes und umfassendes Arbeitsfeld zugewiesen. Erlauben Sie mir, aus der Fülle der Punkte nur zwei anzusprechen, deren Aufnahme in die Beschlußempfehlung wir von der CDU/CSU-Fraktion für unverzichtbar gehalten haben:
Das ist einmal die Frage nach den, wie es in der Präambel heißt, Wurzeln des in der SBZ/DDR errichteten diktatorischen Systems. Wir müssen diesen Wurzeln nachgraben, wenn wir die Strukturen und die Strategien der SED-Diktatur, aber auch die Instrumente, deren sich die SED bediente, um Macht zu begründen, Macht zu rechtfertigen und zu zementieren, begreifen wollen.
Es geht hier auch nicht nur um das MfS, die Stasi, sondern um die, denen die Stasi Schild und Schwert war. Die DDR, die zweite Diktatur auf deutschem Boden in diesem Jahrhundert, dieses System des sogenannten real existierenden Sozialismus, baute auf Fundamenten auf, die eindeutig ideologischer Natur waren. Es mag sein, daß der eine oder andere auch höhere SED-Funktionär das marxistisch-leninistische Einmaleins nicht mehr bis zur letzten Perfektion beherrschte oder beherrschen wollte. Aber Tatsache ist und bleibt, daß mit der Ideologie der Grundstein für alles gelegt wurde, was nach 1945 zunächst in der SBZ und dann in der DDR geschah. Deshalb werden und müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen. Theorie und Praxis können nicht auseinandergerissen werden. Die Praxis folgte der vorgegebenen Theorie.
Zweitens erscheint es uns unabdingbar, die Aufarbeitung der DDR-Geschichte in den Rahmen der innerdeutschen Beziehungen und Verbindungen zu stellen, und zwar nicht nur der Beziehungen der Regierungen, sondern aller auf allen Ebenen: Welche Rückwirkungen hatten die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR auf die innere Entwicklung des SED-Staats? Das gleiche gilt auch umgekehrt. Es darf gerade auf diesem Feld, so denke ich, nichts ungeklärt bleiben, es darf wegen der Menschen im vereinten Deutschland nichts nachträglich verharmlost werden. Nur wenn wir so handeln, werden wir der Aufgabe gerecht, die sich diese Enquete-Kommission setzt, nämlich Vertrauen zwischen den Menschen in Deutschland zu schaffen.
Lassen Sie mich noch einmal sehr deutlich sagen: Letztlich müssen wir uns in all unseren Überlegungen und in all unseren Projekten und Vorhaben an den Menschen orientieren. Wir müssen die Menschen als Ausgangs- und Zielpunkt nehmen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dieser Beschlußempfehlung zustimmen, auch in der Erkenntnis, daß wir manches vielleicht anders formuliert oder akzentuiert hätten. Aber wir haben uns um der Sache und um der Menschen willen dem gesetzten Ziel untergeordnet, einen gemeinsamen, zwischen uns allen unstrittigen Auftrag zu formulieren. Ich denke, das ist gut so.
Danke schön.
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Ich erteile jetzt unserem Kollegen Markus Meckel das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor einem halben Jahr den Vorschlag für die Einsetzung dieser Kommission machte und wir dann in einer kleinen Gruppe zusammensaßen, um den ersten Antrag dafür zu formulieren, als wir dann auch mit Kollegen aus anderen Fraktionen sprachen, glaubte ich nicht, daß es uns gelingen werde, diese Kommission wirklich einzusetzen. Als wir vor zwei Monaten die Kommission einsetzten, glaubten viele nicht, daß es uns gelingen werde, eine gemeinsame, von allen getragene Aufgabenstellung zu erarbeiten, die dann auch noch Qualität hat.
Ich denke, wir legen sie Ihnen nun vor, entgegen den Erwartungen vieler. Ich meine, das ist ein sehr gutes Zeichen dafür, daß sich das deutsche Parlament, der Deutsche Bundestag, mit großer Ernsthaftigkeit diese Aufgabe vornimmt, um sich die belastete Geschichte der zweiten deutschen Diktatur dieses Jahrhunderts zum Thema zu machen, nach den Folgen zu fragen, die sie für die Menschen hatte, und auch danach zu fragen, was das für uns hier im Deutschen Bundestag heißt.
Daß wir Ihnen diese Aufgabenstellung heute vorlegen, ist ein Zeichen für den Willen zum Konsens, ist ein Zeichen dafür, daß wir bereit sind, daß der Deutsche Bundestag bereit ist, sich differenziert auf die Geschichte einzulassen und sie nicht als Holzhammer zu mißbrauchen, mit dem dann möglicherweise eine Partei auf die andere einschlägt. Ich bin froh darüber; denn insbesondere die Menschen im Osten Deutschlands erwarten, daß ihre Geschichte und sie mit ihrer Geschichte ernst genommen werden, daß diese Geschichte differenziert betrachtet wird und nicht auf Enthüllungsgeschichten reduziert. Deutschland braucht eine würdige Beschäftigung mit den Opfern von 45 Jahren Repressionsgeschichte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht selten hört man angesichts gerade anderen Umgangs mit dieser Geschichte heute schon sagen: Laßt doch die Vergangenheit, wir müssen uns der Zukunft zuwenden. - Ich möchte dagegen betonen: Die Art und Weise, wie wir mit dieser Vergangenheit umgehen, mit ihren Folgen, den Opfern und den Verantwortlichen, wird sich ganz wesentlich auf unsere Zukunftsfähigkeit auswirken. Was Geschichte noch nach Jahrzehnten bedeutet, haben wir gerade in der Diskussion, die wir jetzt hinter uns haben, zu den Verträgen gemerkt.
Ich denke, in der Frage, wie wir mit der Geschichte umgehen, steht die Glaubwürdigkeit von Politik auf dem Spiel. Wir hoffen, in der Kommission einen Beitrag zur Versöhnung in Deutschland leisten zu können, zur, wie es heißt, Festigung des demokratischen Selbstbewußtseins und der Weiterentwicklung einer gemeinsamen politischen Kultur in Deutschland.
Die vorliegende Aufgabenstellung der Kommission ist kein schwacher Kompromiß der ursprünglichen Anträge. Ich denke sagen zu können - jedenfalls bin ich der Meinung -, er ist besser als alle einzelnen Anträge, die von uns vorgelegt worden sind, da er die spezifische Aufgabe einer solchen Kommission besser und konzentriert verdeutlicht und gleichzeitig zeigt, wie wir arbeiten wollen. Wir wollen - und ich denke, darauf sollten wir Wert legen - ein ergebnisorientiertes, differenziertes Arbeiten.
In dem Antrag steht dann auch, worauf wir als praktische Konsequenzen hinaus wollen. Wir wollen Beiträge zur politischen und moralischen Rehabilitierung der Opfer und zur Überwindung der diktaturbedingten Schäden leisten. Wir wollen das Aufzeigen von Möglichkeiten zur Überwindung fortwirkender Benachteiligungen in Bildung und Beruf und Beiträge zur Klärung der Problematik von Regierungskriminalität in der DDR geben.
Der Erhalt, die Sicherung und die Öffnung der entsprechenden Archive sind uns wichtig, auch die Verbesserung der historischen Arbeit an dieser Geschichte. Es wird ganz wesentlich sein, Handlungsempfehlungen an den Deutschen Bundestag zu geben im Hinblick auf gesetzgeberische Maßnahmen und sonstige politische Aktivitäten. Und dann etwas, das wir ganz gewiß auch im Hinblick auf unsere Nazivergangenheit als Deutschland auch heute immer noch brauchen: Hinweise zur pädagogisch-psychologischen Verarbeitung auch der DDR-Vergangenheit.
Meine Damen und Herren, die Arbeit dieser Enquete-Kommission ist eine besondere gegenüber früheren und anderen Enquete-Kommissionen. Nur die Aufgabe des Reichstagsausschusses, der sich während der Weimarer Republik zwölf Jahre lang mit den Folgen des Ersten Weltkriegs beschäftigt hat, ist mit unserer Aufgabe vergleichbar, und auch dieser Auftrag war im Vergleich zu unserem noch begrenzt.
Wir werden uns also sehr auf die zentralen Fragen konzentrieren müssen, dürfen uns nicht verzetteln und müssen, wie ich denke, mit einer klaren Konzeption arbeiten. Besondere Aufgaben erfordern besondere Methoden und eine entsprechende Ausstattung. Darum wollen wir den Deutschen Bundestag dann auch bitten.
Wir haben erste Verabredungen über unsere Arbeitsweise getroffen: In der ersten Phase haben wir uns zwei Veranstaltungen vorgenommen, in denen wir im besonderen Kontakt mit der Öffentlichkeit bleiben wollen, mit der Öffentlichkeit im Lande, mit Opfern und mit denen, die sonst noch mit der Aufarbeitung beschäftigt sind.
Einmal wollen wir eine Anhörung zu dem Thema machen: Was ist politische Aufarbeitung? Hier wollen wir das Verhältnis zur juristischen Aufarbeitung klären: Welches Recht galt denn in der DDR, und was sind die Bewertungsmaßstäbe, mit denen wir hier umgehen, wenn wir konkretes Handeln beurteilen wollen? Was ist persönliche Verantwortlichkeit, und was ist durch die Struktur bedingt? Wo sind die Grenzen und die Möglichkeiten juristischer Aufarbeitung, und wo liegt hier unsere Aufgabe? Dieser Frage wollen wir uns im Gespräch mit anderen stellen.
Ferner wollen wir im Gespräch sein mit den Initiativen im Lande, den Dokumentationszentren, Arbeitsgruppen und Bürgerinitiativen, die sich das Thema der Aufarbeitung zum Ziel setzen. Wir haben kein Monopol auf Aufarbeitung und wollen es nicht haben. Dies geht nicht; wir können hier nur unseren Beitrag leisten. Dies wollen wir im öffentlichen Diskurs und im Gespräch miteinander tun.
Ferner brauchen wir das Gespräch mit den Opfern, wobei in diesem Zusammenhang natürlich dieser etwas diffuse Begriff genauer auszudifferenzieren ist. Die Opfer müssen rehabilitiert werden, und sie bedürfen der Hilfe und Förderung.
In knapp zwei Jahren wird wenigstens ein Zwischenbericht auf dem Tisch liegen müssen. Wir werden dafür sehr angestrengt arbeiten müssen. Dies erfordert ein ernsthaftes und methodisch reflektiertes Herangehen mit einer klaren Konzeption für den gesamten Zeitraum, was die Arbeitsweise betrifft. Hier steht, wie ich denke, die Seriosität des Unternehmens auf dem Spiel. Über verschiedene Konzeptionen läßt sich streiten. Wichtig ist jedoch, daß wir zu einer gemeinsamen Konzeption in der Vorgehensweise kommen, zu einer Konzeption, die der Aufgabenstellung wirklich gerecht wird.
Manche Vorschläge - dies muß ich bekennen - zu unserem Vorgehen, könnten, so denke ich, dazu beitragen, die Seriosität der Arbeit der EnqueteKommission in Frage zu stellen. Ich meine, ein Potpourri von Themen und ein wechselweises Ansprechen von Themen, die man dann nicht wirklich bearbeiten kann, werden die Ernsthaftigkeit unserer Arbeit in der Öffentlichkeit in Frage stellen. Ich hoffe sehr, daß es uns gelingt, in den nächsten Wochen auch in der Frage der Arbeitsweise zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen, das der Aufgabe gerecht wird. Ich hoffe, daß es uns gelingt, die Fragen so zu stellen, daß die Menschen erkennen, daß es ihre Fragen sind, die hier thematisiert werden, daß es ihre Bedrückungen sind, die sie in der Vergangenheit schwer belastet haben und die sie in ihrem Leben mit tragen.
Ich hoffe, daß es uns gelingt, diese Fragen so zu stellen, daß wir sie auch durch die Art, wie wir sie behandeln, so bearbeiten können, daß dies der Ernsthaftigkeit des Unternehmens gerecht wird.
Meine Damen und Herren, wir haben uns auf einen schweren Weg gemacht, der in der Parlamentsgeschichte einzigartig ist. Gehen wir ihn so, daß wir anschließend mit Würde und vielleicht auch mit Stolz auf diesen Weg zurückblicken können.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Dirk Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt Ihnen eine Beschlußempfehlung vor, die, wie bereits gesagt wurde, nach intensivstem Bemühen in der Kommission einstimmig angenommen wurde. Der Text ist kein Kompromiß - das ist wohl wahr -, sondern er ist ein Konsens. Er macht deutlich, wie ernst alle in der Kommission die Aufgabenstellung genommen haben. Wir wollen Wissen sammeln, Wissen aufbereiten und Wissen öffentlich nutzen. Aufklärung heißt unsere Aufgabe - und das ohne Tabus.
Der Aufgabenkatalog ist lang und umfangreich. Vielleicht erschreckt manche die Vorlage. Wir sind uns bewußt, daß in ca. zwei Jahren nicht alle aufgeführten Punkte intensiv bearbeitet oder gar dargestellt werden können. Der Bericht, vielleicht der vorläufige Teil und der Zwischenbericht im Jahre 1994 werden Schwerpunkte klarmachen. In den kommenden zwei Jahren sind Konzentration und exemplarisches Arbeiten nötig.
Die Arbeit der Enquete-Kommission ist kein Ersatz für die justitielle Bewältigung oder andererseits auch nicht für die wissenschaftliche Bearbeitung der Themen. Sie ist Teil einer öffentlichen - um mit Habermas zu reden - ethisch-politischen Selbstverständigung. Sie will nicht persönliche Schuld vor den Kadi zitieren. Sie will nicht Rache üben und verteufeln und auch nicht strafrechtliche oder zivilrechtliche Präjudize schaffen.
Aber sie will vorbehaltlos Akten öffnen, kritisch die Vergangenheit vergegenwärtigen, dem Zeitzeugen der Repression ein Forum bieten - Herr Meckel ist soeben darauf eingegangen, daß wir gerade dazu als dem ersten schreiten werden -; sie will die staatlichen und die gesellschaftlichen Mechanismen von Unterdrückung offenbaren, die Chancen von Opposition und Widerstand belegen, und sie will darauf verweisen, wie auch über 40 Jahre vor Abgrenzung von Mauer hinweg die Deutschen in Ost und West ein gemeinsames Schicksal erlitten haben. Die neue Benennung der Enquete-Kommission will dies kenntlich machen.
Die doppelte Vergangenheit, die auch vor dem Fragezeichen von Kontinuitäten oder Diskontinuitäten der Jahre vor 1945 steht - II. 8 etwa -, stand immer unter dem Vorzeichen wechselseitiger Einflüsse und Verständigung. Aus ihr entsteht die gemeinsame Zukunft der deutschen Einheit.
Manche fragen skeptisch, weil dem politischen Alltag und seinen Konflikten zugewandt: Wozu Historie?
In diesem Zusammenhang finde ich es, wohl wissend, daß die Enquete-Kommission eine Kommission des Bundestags ist, schade, daß auf der Regierungsbank sich nur zwei Vertreter dieser Frage stellen. Um
so dankbarer bin ich, daß eben diese beiden ihr Gewicht deutlich machen.
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Wozu Historie? Mir scheint: Die Erinnerung befreit. Sie macht Zukunft möglich. Sie ist Teil der Versöhnung. Sie ist Grundlage der Demokratie. Sich erinnern heißt Wahrheiten suchen und sagen. Dies schafft Identität.
Die Enquete-Kommission ruft auf: Machen wir uns ans Werk!
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Kollege Dr. Dietmar Keller ist der nächste Redner. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Enquete-Kommission ist in gewissem Maß ein Experiment. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Deutschen Bundestags ist ihr Gegenstand ein politisch-historisches, geistes- und ideologiegeschichtliches Thema, das seinen Hintergrund in einer unterschiedlichen machtpolitischen Entwicklung über fast ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte hat. Was die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg auf verschiedene Art und Weise mitunter versäumt und vernachlässigt haben, versucht jetzt eine parlamentarische Institution für die Nachkriegsgeschichte, ohne dabei andere Formen der Aufarbeitung der Geschichte zu vernachlässigen.
Die Enquete-Kommission unterliegt naturgemäß - auch durch ihre Mitglieder - der Gefahr, persönlich erlebte Geschichte und subjektive Eindrücke und Erlebnisse zur Geschichte zu machen. Wir sollten uns in der Kommission gegenseitig davor warnen.
Deshalb begrüße ich den erreichten Konsens, daß die Enquete-Kommission Forschungen und Archivstudien nicht ersetzen kann und der Wissenschaft nicht vorgreifen will. Die Wissenschaft steht vor einer großen Herausforderung und auf dem Prüfstand, eigene Antworten zu geben.
Es ist auch zu begrüßen und angenehm, daß das Wort der Sachverständigen, die vor allem aus der Welt der Wissenschaft kommen, in der Enquete-Kommission gehört und ernstgenommen wird.
Die von der Enquete-Kommission hier unterbreitete Aufgabe ist weder die Summe noch der Querschnitt der vorliegenden Anträge der Koalition, der SPD, des Bündnisses 90/GRÜNE oder der PDS/Linke Liste, sondern der Versuch eines Konsenses, der in fairem Umgang miteinander unter weitestgehender Ausschaltung parteipolitischer Interessen erstritten wurde.
Erlauben Sie mir deshalb auch ein Wort in eigener Sache. Die vorliegende Aufgabe entspricht in manchen Passagen nicht meinen persönlichen Vorstellungen. Das wird aber manchen anderen Mitgliedern der Enquete-Kommission genauso ergehen. Sie hat auch nicht die Zustimmung der Gruppe, der ich angehöre, der PDS/Linke Liste, gefunden. Ich persönlich hätte
mir gewünscht, daß Vorurteile in der Formulierung von zu bearbeitenden Problemstellungen hier und da neutralisiert worden wären. Ich hätte mir gewünscht, der Verflechtung der Geschichte der BRD und der DDR und ihrem internationalen Umfeld und Beziehungsgefüge einen größeren Stellenwert zuzumessen. Ich hätte mir auch gewünscht, daß Ursachen und Wirkungen von Identifikationsverhalten von Bürgern der DDR stärker berücksichtigt worden wären. Aber solche und andere Wünsche haben auch die anderen Mitglieder der Enquete-Kommission in der Diskussion aufgeworfen.
Ich habe dem Antrag, der Aufgabenstellung in der Kommission zugestimmt. Auch in der Abstimmung hier im Bundestag würde ich zustimmen - wenn die Wahrnehmung eines anderen Termins mich daran nicht hindern würde -: weil ich die Hoffnung auf eine objektive Darstellung des Gewesenen - der Geschichte der DDR im Positiven und Negativen - ohne Vorbehalte habe; weil ich die bisherige Atmosphäre in der Enquete-Kommission für eine gewisse Gewähr halte, daß sich die Mitglieder um die Suche der Wahrheit bemüht haben und auch weiterhin bemühen werden; weil ich die Hoffnung habe, daß die Arbeit der Enquete-Kommission zur Versachlichung der Diskussion und damit letztendlich auch zur Versöhnung beitragen kann, und weil ich noch daran glaube, daß die Kultur des Umgangs miteinander in der Enquete-Kommission - und hoffentlich auch die erreichten und noch vorzulegenden Ergebnisse - zur Verbesserung der politischen Kultur in diesem Hause beitragen kann.
Ich danke.
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Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort jetzt unserem Kollegen Rainer Eppelmann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern uns sicher: Am 12. März dieses Jahres, als der Deutsche Bundestag beschloß, diese Enquete-Kommission einzusetzen, lagen vier verschiedene Aufgabenbeschreibungen auf dem Tisch. Wir haben dann den Auftrag erhalten, bis zum heutigen Tag eine Beschlußempfehlung vorzulegen. Wir haben diese Aufgabe erfüllt, und zwar - wie die Vorrednerinnen und Vorredner das schon gesagt haben - auf eine, wie ich finde, besondere Art und Weise, die mir Mut macht, was die weitere Arbeit dieser Enquete-Kommission angeht. Es liegt nur eine Beschlußempfehlung vor, der die Mitglieder, die Abgeordneten der Enquete-Kommission einstimmig zugestimmt haben. Ich bin besonders dem Abgeordneten Dr. Keller dankbar, daß das bis heute anhält. Danke dafür!
Einhellig haben wir u. a. - ich darf einige Zitate anführen - formuliert:
Die Geschichte und die Folgen der SED-Diktatur in Deutschland politisch aufzuarbeiten, ist eine gemeinsame Aufgabe aller Deutschen.
An anderer Stelle heißt es wörtlich:
Noch belastet das Erbe der SED-Diktatur das Zueinanderfinden der Menschen in Deutschland. Die Erfahrungen von Unrecht und Verfolgung, Demütigung und Entmündigung sind noch lebendig. Viele Menschen suchen nach Aufklärung, ringen um Orientierung im Umgang mit eigener und fremder Verantwortung und Schuld; sie stellen Fragen nach den Wurzeln.
Ein weiteres Zitat:
Die eingesetzte Enquete-Kommission ist den Menschen in ganz Deutschland verpflichtet, vor allem aber den Deutschen in den neuen Bundesländern, die über nahezu sechs Jahrzehnte hinweg diktatorischen Regierungsformen unterworfen waren; ihnen Hilfen bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und bei der Bewertung persönlicher Verantwortung anzubieten, betrachtet der Deutsche Bundestag als ein wesentliches Anliegen der Kommission.
Der Deutsche Bundestag ist sich der Grenzen bewußt, die einer politisch-rechtsstaatlichen Aufarbeitung gezogen sind. Um so wichtiger ist das Bemühen,
- heute und auch weiterhin; wir dürfen uns davon nicht abbringen lassen verletztem Rechtsempfinden durch Offenlegung des Unrechts und Benennung von Verantwortlichkeiten Genüge zu tun. Zugleich gilt es, einen Beitrag zur Versöhnung in der Gesellschaft zu leisten ... Die Arbeit der Enquete-Kommission hat das Ziel, im Dialog mit der Öffentlichkeit zur Festigung des demokratischen Selbstbewußtseins und zur Weiterentwicklung einer gemeinsamen politischen Kultur in Deutschland beizutragen.
Vorrangig sind folgende praktische Konsequenzen ihrer Arbeit anzustreben:
- Beiträge zur politischen und moralischen Rehabilitierung der Opfer und zur Überwindung der diktaturbedingten Schäden,
- Aufzeigen von Möglichkeiten zur Überwindung fortwirkender Benachteiligungen in Bildung und Beruf,
- Beiträge zur Klärung der Problematik und Regierungs-Kriminalität in der DDR .. .
Es heißt nachher weiter:
Die Arbeitsweise der Enquete-Kommission soll u. a. folgende Elemente enthalten:
- Gespräche mit Betroffenen und Bürgergruppen vor Ort,
- Dialog mit Wissenschaftlern und Initiativen, die die DDR-Geschichte aufarbeiten,
- öffentliche Anhörungen und Foren .. .
Unser Bemühen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sein, einerseits deutlich zu machen, daß nicht alles Leid und Unrecht der 45 Jahre DDR aufgearbeitet und zur Kenntnis genommen werden kann. Das geht leider nicht, zumindest nicht durch uns. Andererseits aber sind wir willens, den Eindruck zu vermitteln, daß es uns um die ungefilterten Erfahrungen der vielen Unbekannten unter uns geht. Die 16 Millionen Ostdeutschen und die gut 60 Millionen Westdeutschen sollen erfahren, begreifen und immer wieder mitbekommen: Es geht um ihre 45 letzten Jahre und nicht nur um die von einigen ausgesuchten Persönlichkeiten.
Wir wollen möglichst direkt und nah die Beschwernisse und Eindrücke, das Leid der Betroffenen und die Vorschläge der gleich uns Beschäftigten hören. Wir wollen politisch analysieren, feststellen, urteilen und bewerten und, so erforderlich, dann praktische Konsequenzen für das Handeln dieses Hauses vorschlagen.
Wenn uns das wenigstens in Teilbereichen bis zum Frühjahr 1994 gelingen soll, dann sind wir ganz gefordert, mit Herz und Verstand, mit dem Willen zur Gerechtigkeit und der Fähigkeit zum Verständnis und zur Barmherzigkeit, vor allem aber als Ostdeutsche und Westdeutsche. Denn, wer das noch nicht begriffen hat, das gilt für dieses Haus und für die 80 Millionen Deutschen: Wir gehören zusammen, wir brauchen einander auch bei dieser Aufgabe.
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Enquete-Kommission hat ihre Arbeit zu einer Zeit aufgenommen, da viele Menschen in Deutschland den Sinn einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur bereits wieder in Frage zu stellen beginnen. Zu diesem beklagenswerten Umstand haben sowohl die Mystifizierung des Staatssicherheitsdienstes als auch die zahlreichen neuentstandenen Legenden und aktuellen Fehlbewertungen beigetragen.
Ich nenne noch einmal drei Beispiele dafür. Den Stasiakten könne keine Beweiskraft zugebilligt werden, wird gesagt, der Stasioffizier aber, der sie angelegt hat, sei ein durchaus ernst zu nehmender Entlastungszeuge.
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Das fragwürdige Gespräch mit der Stasi wird nachträglich zur einzigen Möglichkeit verklärt, damals etwas für die Menschen getan haben zu können. Bald, so ist zu befürchten, werden sich diejenigen, die von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben, dafür entschuldigen müssen.
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Gern wird auch behauptet, die Stasidiskussion würde vom Westen aus forciert, um die letzten bewahrenswerten Reste der DDR niederzumachen.
Genug der Legenden. Richtig ist sicher, daß die aktuelle Diskussion sehr verkürzt geführt wird, da sie sich überwiegend auf die Stasi bezieht, da immer noch vor allem von den Helfern und Helfershelfern, wenig von den Hauptverantwortlichen und noch weniger
von den Opfern die Rede ist und da meist von einem rein ostdeutschen Problem ausgegangen wird.
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Um diesen Defiziten zu begegnen, ist Aufklärung vonnöten, Aufklärung durch Fakten. Das Ziel muß eine umfassende Offenlegung der Herrschaftsstrukturen und Repressionsmechanismen in der SED-Diktatur sein. Die Enquete-Kommission wäre überfordert, wollte sie dies im Alleingang leisten. Sie kann und soll jedoch den öffentlichen Diskurs, die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung anregen und fördern. Dies wird nicht den Identitätsverlust der Ostdeutschen zur Folge haben, sondern bietet ihnen die Chance, verlorenes Selbstbewußtsein neu zu entwickeln. Um das zu erreichen, ist ihnen gegenüber angesichts ihrer psychosozialen Situation allerdings ein hohes Maß an Sensibilität entgegenzubringen.
Wir müssen uns nicht nur auf exemplarische Weise den historischen Eckdaten der DDR-Geschichte zuwenden, sondern auch dem Alltagsleben, den subtilen Formen der Unterdrückung, den Erscheinungen von Anpassung und Resignation, den Möglichkeiten der Verweigerung und des Widerstandes und dem Problem der persönlichen Verantwortung in der Diktatur.
Wir müssen - aller Mystifikation zum Trotz - dem öffentlichen Diskurs die z. T. abhanden gekommene politische Dimension zurückgeben können. Dazu gehört auch, nach dem Fortleben diktatorischer Strukturen in der Demokratie zu forschen und die Konsequenzen für die Entwicklung der Demokratie zu ziehen.
Spätestens an dieser Stelle wird klar, daß nicht nur vom Osten zu reden ist; die Menschen im Westen müssen sich endgültig vom überkommenen, bipolaren Denken verabschieden, anstatt etwas mitzubetreiben, was kürzlich in einem bemerkenswerten Essay als „die geistige Wiedererrichtung der DDR" beschrieben wurde.
Meine Damen und Herren, bei all dem dürfen wir die Erwartungen, die sich an unsere Arbeit richten, nicht zu hoch schrauben; die politische Auseinandersetzung mit der Diktatur schafft noch keine Gerechtigkeit.
Viele Opfer resignieren angesichts der Schwierigkeiten der Justiz und der Tatsache, daß sich die Diener des Systems sehr schnell unter den neuen Bedingungen zurechtfinden, während die Last der Aufarbeitung vor allem auf den Opfern selbst liegt.
Sich auf die Sicht der Betroffenen, sich auf ihren sogenannten moralischen Rigorismus einzulassen, bedeutet in der Tat, die eigenen ein für allemal gesichert geglaubten Positionen einer erneuten kritischen Überprüfung auszusetzen. Sie werden ihr nicht in jedem Fall standhalten. Aber davor sollte sich niemand fürchten, ganz im Gegenteil: Je offener die gesamtdeutsche Debatte geführt, je intensiver die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte als Folge und Bestandteil einer gemeinsamen deutschen Geschichte begriffen wird, um so aussichtsreicher werden die Bemühungen sein, die noch vorhandene Kluft zwischen Ost und West zu überwinden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Jürgen Schmieder das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu den Mitinitiatoren dieser Enquete-Kommission gehört, zumindest auf seiten der Liberalen. Im Prinzip bin ich froh, daß wir diese Form der Aufarbeitung der politischen Vergangenheit gefunden haben und daß wir diese Form der Aufarbeitung dem Tribunal vorgezogen haben.
Ich freue mich, daß wir in der Enquete-Kommission eine einvernehmlich abgestimmte Konsenslösung für den Auftrag der Enquete-Kommission gefunden haben. Insbesondere diese Konsenslösung spricht nachhaltig dafür, daß in der Enquete-Kommission eine sehr konstruktive, sachorientierte Zusammenarbeit vorherrscht und daß wir in der Kommission einen sehr fairen Umgang miteinander pflegen. Ich beziehe alle ein. Mein Dank richtet sich an die Vertreter der PDS.
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Auf Grund dessen, daß wir eine Konsenslösung erzielt haben, spare ich es mir jetzt, auf bestimmte thematische Inhalte einzugehen. Ich möchte mir erlauben, einen Schwerpunkt besonders herauszustellen: Hier geht es aus meiner Sicht um die vorrangige Rolle der Untersuchung der Bedeutung der Ideologie im Zusammenhang mit integrativen Faktoren und disziplinierenden Praktiken. Es gilt, die Funktion und die Instrumentalisierung genau dieser Ideologie zu untersuchen, eigentlich die Dogmatisierung und Verherrlichung zur Wissenschaft. Es geht darum, den Stellenwert und den Mißbrauch von Erziehung, Bildung, Kunst, Kultur und Sport sowie den Umgang mit Karriereangeboten und diversen Privilegien zu untersuchen. Ich bin froh darüber, daß wir in der Enquete-Kommission relativ einig waren und genau diesen Punkt ziemlich weit vorn plaziert haben, denn das unterstreicht nachhaltig den Stellenwert, den ich auszudrücken versucht habe.
Die Enquete-Kommission hat sich auf eine Arbeitsweise verständigt, die man eigentlich nur hochgradig begrüßen kann. Es wird Gespräche geben mit Betroffenen, es wird Gespräche geben mit Bürgergruppen, mit Wissenschaftlern und anderen Initiativen, die sich gleichfalls den Auftrag gestellt haben, die politische Vergangenheit, praktisch die DDR-Geschichte, aufzuarbeiten. Natürlich - Vorredner haben es schon geschildert - wird es auch öffentliche Anhörungen und Foren geben, und die Enquete-Kommission wird Gutachten und Forschungsarbeiten vergeben.
Die Enquete-Kommission ist sich selbstverständlich im klaren darüber, daß sie die gesamte Aufgabenstellung, die jetzt zur Abstimmung vorliegt, nicht selbst erledigen kann. Sie kann im Prinzip nur Anregungen, Empfehlungen, Hinweise und Beiträge liefern. Selbstverständlich wird sie am Ende der Legislaturperiode einen Bericht vorlegen.
Die Enquete-Kommission kann selbstverständlich nicht die strafrechtliche Aufarbeitung ersetzen, und sie kann natürlich auch nicht der historischen Forschung vorgreifen bzw. die historische Forschung ersetzen. Die Enquete-Kommission möchte einen Beitrag zur Versöhnung leisten und versteht sich als ein Instrument zur Aufarbeitung der politischen Vergangenheit der Ex-DDR.
Danke schön.
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Als letzter Redner in der Debatte hat jetzt das Wort unser Kollege Dr. Hartmut Soell.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Ich möchte einige Bemerkungen zu den methodischen Problemen unserer Arbeit machen, ohne Wasser in den Wein zu gießen. Aber ich meine, daß wir uns bewußt bleiben sollten, daß wir hier - einige der Vorredner haben es schon betont - auf einem schwierigen Feld zwischen einer Sachstandsenquete und einer Mißstandsenquete befinden. Die meisten Enquete-Kommissionen, die wir bisher hatten, haben sich durch mehr oder minder exakte wissenschaftliche Daten ihre Felder erschließen können, jedenfalls wenn die methodischen Voraussetzungen jeweils geklärt waren.
Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur" muß sich bei ihrer Arbeit, selbst wo sie im Konsens stattfindet, dessen bewußt sein, daß sie bei der Auswahl der Einzelthemen, der Fragestellungen und Methoden, von der Bewertung ganz zu schweigen, weltanschauliche, also wertbezogene Vorprägungen zu eigen hat, die immer durch öffentliche Diskussionen kontrolliert werden müssen. Das heißt, die Rückbindung an die Arbeit der Foren, der Initiativen der Gruppen der Betroffenen muß immer wieder stattfinden.
Wir sollten uns auch nicht der Illusion hingeben, daß wir hier gewissermaßen Objektivitätsgrade erreichen, die ja - jedenfalls nach dem ideologischen Ende derer, die meinten, sie hätten die Geschichte und dadurch auch die historische Objektivität für sich gepachtet - für uns eigentlich überwunden sein sollten. Es geht wesentlich um intersubjektive Verständigung, die immer von neuem erfolgen soll. Wir sind weder Oberrichter im strafrechtlichen noch im politisch-moralischen Sinne.
Bei dieser Gratwanderung gibt es natürlich noch eine weitere Möglichkeit, zu straucheln und abzustürzen. Angesichts der Themenfülle können Erwartungen bei uns wie bei anderen ausgelöst werden, die wir in keiner Weise erfüllen können. Deshalb die stets zu beachtende Einschränkung, die wir uns selber auf erlegt haben, nämlich daß wir historische Forschung weder vorwegnehmen noch gar ersetzen können.
Zu den Konsequenzen unserer Arbeit, insbesondere den Handlungsempfehlungen, hat der Kollege Meckel schon einiges gesagt. Wir müssen während der Arbeit in erheblichem Umfang von den Erfahrungen und Erkenntnissen der Betroffenen, aber auch der Wissenschaftler sowie von denen, die in den Institutionen und Strukturen der SED-Diktatur tätig waren, Gebrauch machen.
Forschungsaufträge müssen über den Kreis der dabei beteiligten Sachverständigen hinausgehen. Sie sollten auch längere Zeiträume umfassen können als die zwei Jahre, die uns zugemessen sind. Es geht vor allem um die Verknüpfung von systematischen Fragestellungen mit einzelnen Phasen der Geschichte des SED-Staates seit 1945, wie wir dies im Abschnitt III noch einmal deutlich gemacht haben, damit bestimmte Gruppen von Betroffenen in spezifischer Weise herausgearbeitet werden können. Es werden im großem Umfang - auch darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben - weiße Flecken bleiben, die von der Wissenschaft langfristig sehr viel genauer untersucht werden müssen.
Damit unsere Arbeit nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern zu wirkungsvollen Handlungsempfehlungen kommt, wollen wir unsere Arbeit in einigen Bereichen durch Arbeitsgruppen vorstrukturieren. Es soll erstens eine Arbeitsgruppe zur Sichtung der Archive geben: Wir brauchen bald entsprechende Untersuchungen über die Bestände und die Zugangsmöglichkeiten. Erhebliche Bestände sind nach dem 9. November vernichtet worden. Auch darüber müssen wir uns ein Bild verschaffen, und zwar sehr bald.
Zweitens soll es eine Arbeitsgruppe geben, die sich mit der Rolle der Stasi und den Akten, die sie hinterlassen hat, beschäftigt. Diese Arbeitsgruppe soll die Arbeit der gesamten Enquete-Kommission vorbereiten, damit diese intensiver verläuft. Wir wissen - davon hat der Kollege Poppe gesprochen -, daß sich die Stasi in Teilen der Öffentlichkeit inzwischen als eine Art Mythos darstellt. Es wird nicht leicht sein, diesen Mythos zu entmythologisieren, ohne die Wirkung zu bagatellisieren.
Dabei können zwei Erfahrungen helfen. Ich möchte hier einmal aus dem Nähkörbchen des Historischen Seminars plaudern. In jedem einzelnen Fall müssen die kritischen Fragen, die mit „W" beginnen, gestellt und so umfassend wie möglich beantwortet werden: Wer hat was wie wann wo zu welchem Zweck gemacht? - Dabei wissen wir, daß es schon in rechtsstaatlichen, also sogenannten normalen Systemen irreführend ist, wenn man nur auf eine Quellengruppe vertraut. Es kommt wirklich darauf an, weitere schriftliche Quellen hinzuzuziehen sowie Beteiligte anzuhören und zu fragen, in welcher Rolle, Funktion und Verantwortlichkeit sie sich befanden.
Eine zweite sehr persönliche Erfahrung: Wer wie ich mit Polizeiakten, Ermittlungsakten, Aussagen von Spitzeln und Informanten in autoritären und totalitären Systemen einigermaßen Bescheid weiß - wenn auch nicht unbedingt umfassend; bei der Beschäftigung mit der Stasi gewinnen wir immer neue Erkenntnisse -, muß feststellen, daß diese Akten in der Regel sehr, sehr viel mehr über die Verfasser dieser Berichte und Akten, über die Mechanismen der Institutionen, in denen sie tätig sind, insbesondere auch über die Hierarchien und Verantwortlichkeiten Auskunft geben, als eine wahrheitsgemäße Darstellung von TatDr. Hartmut Soell
sacken enthalten. Sie sind zunächst allenfalls Indizien dafür, daß Vernehmungen, Berichterstattungen und Denunziationen überhaupt stattgefunden haben.
Nur wenn wir mit solcher kritischen Sonde an die Stasi herangehen, die sich von außen angesichts ihres Perfektionsdrangs zunächst als eine sehr deutsche Mischung von Terrorinstrument auf der einen Seite und wahnhaftem Zirkel auf der anderen Seite darstellt, können wir dazu beitragen, die Stasi zu entmythologisieren, ohne ihre fatalen Wirkungen zu bagatellisieren. Nur so wird es uns gelingen, die SED und ihre Führung als die Hauptverantwortlichen der linken Variante totalitärer Versuchung in der jüngsten deutschen Geschichte zu entlegitimieren und so zur Bildung eines demokratischen Selbstbewußtseins beizutragen. Das ist neben der Beseitigung des Unrechts - soweit dies irgend möglich ist - eine der Hauptaufgaben dieser Kommission. Ich wünsche uns eine erfolgreiche Arbeit.
Schönen Dank für das Zuhören.
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Meine Damen und Herren, bevor wir jetzt zur Abstimmung kommen, hören wir zwei Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung.
Zunächst hat zu einer Erklärung zur Abstimmung unser Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten für notwendig, da das Mitglied meiner Gruppe und unser Vertreter in der Enquete-Kommission Dietmar Keller dem Beschlußvorschlag zugestimmt hat. Er trägt damit unseren Gruppenantrag nicht mehr.
Ich kannte Dietmar Keller bis 1990 nicht persönlich. Seitdem, seit über zwei Jahren, waren wir Seite an Seite in den komplizierten Tagen der letzten Volkskammer und dann im Bundestag. Mich hat seine Entscheidung schwer getroffen.
Für mich gibt es nicht nach wie vor vor allem zwei Gründe, an meiner Ablehnung der Aufgabenstellung der Kommission festzuhalten, wie ich sie mit meiner Rede am 13. März deutlich gemacht habe.
Erstens wird mit dieser Aufgabenstellung historische Gerechtigkeit verhindert. Wie schwer sie zu erlangen ist, wissen wir alle. Dieser Beschluß aber läßt zu vieles weg, als daß er ein Wegweiser für historische Gerechtigkeit sein könnte.
Wir hatten in unserem Antrag gefordert, zugleich mit der Auseinandersetzung mit vielfältigen Unterdrückungsmechanismen zu beachten, daß es in der DDR auch Leistungen und Werte gab, die die Zustimmung vieler Bürgerinnen und Bürger fanden. Die DDR war Staat und Gesellschaft. Wir sehen in der DDR einen legitimen Versuch - wenn auch gescheitert -, zu den aggressiven und antidemokratischen Traditionen in Deutschland eine Alternative zu schaffen. Rudolf Bahro schrieb kürzlich: „Wenn die Schlacht von Stalingrad und was dahin geführt hat, sozusagen keine historische Legitimität konstitutiert, dann gibt
es rational keine Möglichkeit, den Biographien von Menschen gerecht zu werden, die sich hier einstmals engagiert hatten" . - So steht es in der „Jungen Welt" vom 6. Mai dieses Jahres.
Das alles ist im Beschlußentwurf nicht enthalten. Zugleich gibt es zweifellos moderatere Töne als in den ursprünglichen Vorlagen. Die Vokabel vom Unrechtsstaat kehrt nicht wieder. Am schlimmsten ist für mich die Formel von „nahezu sechs Jahrzehnten diktarorischer Regierungsform" im Osten Deutschlands.
({0})
Diese Formel setzt den gescheiterten Sozialismusversuch in der DDR Nazideutschland - wie auch immer verschleiert - gleich.
({1})
Ungenügende Abrechnung mit dem Nazi-Faschismus wird jetzt gutgemacht durch eine Abrechnung mit den Sozialisten in der DDR.
Zweitens geht es mir auch um die Interessen, Wünsche, Hoffnungen und die Verzweiflung meiner Wähler und Anhänger in Ostdeutschland. Dort verschärft sich die ökonomische und soziale Krise, gibt es Massenarbeitslosigkeit, Abwicklung und Demütigung von Hunderttausenden. Die Konflikte zwischen Ost und West spitzen sich zu. Viele Menschen verzweifeln am Sinn ihres Lebens. Verurteilung und Abstrafung erscheint als notwendige Konsequenz gegenüber schuldig gewordenen Handlangern einer Diktatur.
Der Kampf gegen Vereinigungsunrecht schöpft seine Kraft auch aus der eigenen Identität. Wer mit Scham und Schuldgefühl auf seine eigene Geschichte zurückblickt, der vermag auch nicht zu kämpfen. Es hilft auch nicht Trotz und Starrsinn. Es hilft nur wirkliche Trauerarbeit, die aber nicht im Geiste der Rache, des Siegesbewußtseins von außen geleistet werden kann.
({2})
Kurt Biedenkopf hat in einem Artikel gegen die „Aufholjagd des Ostens" - „Frankfurter Rundschau" vom 27. März 1992 - eine Identität des Ostens eingefordert. Diese Identität kann ohne ein Annehmen der Geschichte in ihrem ganzen Umfang, der Hoffnungen, der Kämpfe, der Schuld und des Unrechts nicht erlangt werden. Sie zeigt sich heute auch in der Verteidigung Manfred Stolpes, im Auftreten von Peter Michael Diestel und anderer CDU-Abgeordneter Brandenburgs, die erklären: Ich war Ostdeutscher, ich werde es immer sein.
Ich werde in zwei Monaten 65 Jahre. Ich hatte und habe keinen politischen Ehrgeiz. Ich sehe es nur noch als meine Aufgabe an, die Interessen derer zum Ausdruck zu bringen, die es mit diesem ungeheuren Umbruch in Ost-Deutschland schwerhaben, der MZ-
Arbeiter in Zschopau, ebenso der Wissenschaftler der Karl-Marx-Universität in Leipzig, meiner Wissenschaftlerkollegen in Berlin, der vielen Rentner, die mit Rentenbestrafung und dem Sinnverlust nicht fertig werden, derer, die im demokratischen Sozialismus
immer noch eine Alterantive zum Kapitalismus sehen.
({3})
In der Beschlußvorlage ist davon die Rede, daß es gelte, „einen Beitrag zur Versöhnung in der Gesellschaft zu leisten" . Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, daß es auch in diesem Hause eine Möglichkeit gemeinsamer Arbeit gibt.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort zu einer Erklärung Frau Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab: Ich habe keinerlei Veranlassung, mich von meinem Kollegen Dietmar Keller zu distanzieren. Ich bin sehr froh, daß er in der Enquete-Kommission mitarbeitet, und betone, daß ich als Westlerin sehr, sehr viel gerade von ihm über die DDR gelernt und erfahren habe.
Dennoch möchte ich ganz kurz begründen, warum auch ich der Beschlußempfehlung nicht zustimmen werde. Für mich hat dies vier inhaltliche Gründe, die in meinen Augen zu einer politischen Schieflage in der Aufgabenstellung führen.
Erstens. Die Einleitung enthält eine Reihe von bewertenden Feststellungen, die, wenn überhaupt, doch nur das Ergebnis der Untersuchung sein können. Eine Vorwegnahme erschwert in meinen Augen eine wirklich offene Untersuchung.
Zweitens. Für fatal halte ich auf jeden Fall die indirekte Gleichstellung des deutschen Faschismus mit dem gesellschaftlichen System der ehemaligen DDR. Diese spiegelt sich in der bereits zitierten Formulierung wider, wonach die Menschen in den neuen Bundesländern „nahezu sechs Jahrzehnte lang diktatorischen Regierungsformen unterworfen" waren, wobei z. B. die demokratischen Ansätze in der DDR unmittelbar nach 1945 einfach unterschlagen wurden. Diese Gleichstellung bedeutet, daß die Singularität des Faschismus bestritten und damit an die unsägliche sogenannte Historikerdebatte angeknüpft wird.
Drittens. Versöhnung erfordert Differenzierung. Es trägt eben gerade nicht zu einer wirklichen Erkenntnis über die ehemalige DDR bei, sondern verzerrt von vornherein, wenn schon durch die Fragestellung ausschließlich Negativerscheinungen dieses Systems Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Das hat überhaupt nichts mit DDR-Nostalgie zu tun, sondern das ist gerade eine Erfahrung, die ich wiederum als Westlerin bei vielen Reisen in den neuen Bundesländern gemacht habe.
Das DDR-System beruhte eben auch oft auf zumindest partieller Zustimmung, z. B. wegen der sozialen und materiellen Sicherung von Frauen, wegen eines wesentlich geringeren Einkommensgefälles als in der BRD. Zur Lebenswirklichkeit gehörte auch das. Deshalb gehört das auch zur Aufgabenstellung der Kommission. Es kann eben nicht nur um die „Offenlegung des Unrechts und um die Benennung von Verantwortlichkeit" gehen, wobei das natürlich auch Aufgabe ist,
sondern es muß auch einbezogen werden, daß insbesondere nach 1945 das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft für viele Menschen eben eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus darstellte.
Viertens. Meines Erachtens müssen gerade auch die innenpolitischen Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland ({0}) eine größere Rolle spielen, weil sie sich eben auch auf die innenpolitische Entwicklung der ehemaligen DDR konkret ausgewirkt haben. So war z. B. das System der ehemaligen DDR zu keiner Zeit so repressiv wie in der Zeit der wirtschaftlichen Blockade und der Nichtanerkennung der ehemaligen DDR durch die BRD.
({1})
Das muß ebenfalls einbezogen werden. Das läßt sich auch ohne Probleme nachweisen.
Ich setze sehr auf die Wissenschaftler in dieser Kommission. Aber aus den genannten Gründen werde ich heute der Beschlußempfehlung nicht zustimmen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED- Diktatur", Drucksache 12/2597. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung bei vier Gegenstimmen der PDS/Linke Liste und einer Enthaltung aus den Reihen der SPD angenommen.
Ich möchte Sie noch über folgendes unterrichten: Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes scheidet der Kollege Rudolf Kraus als stellvertretendes Mitglied aus. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolger den Kollegen Eduard Oswald vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Eduard Oswald als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde
Wirtschaftliche Lage der Frauen in den neuen Ländern
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster unserer Frau Kollegin Ulla Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der SPD haben diese Aktuelle Stunde zur wirtschaftlichen Lage der Frauen in den neuen Bundesländern beantragt, um auf die katastrophale Situation aufmerksam zu machen und um die Regierung - ich bedaure sehr, daß sie nicht anwesend ist - zu unverzüglichem Handeln aufzufordern. Ein politischer Anfang ist mehr als überfällig; denn wir halten es für politisch unverUrsula Schmidt ({0})
antwortlich, weiterhin auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu setzen.
Den Ausspruch von Bundeskanzler Kohl im Ohr, niemandem würde es nach der Vereinigung schlechter als zu DDR-Zeiten gehen, frage ich mich, an wen er dabei gedacht haben mag. Für Frauen gilt diese schöngefärbte Einschätzung auch nicht im entferntesten; sie gehören zu den klaren Verliererinnen der deutschen Einheit.
({1})
Wer trägt außer dem richtlinienbestimmenden Bundeskanzler für die wirtschaftlichen Belange der Frauen in den neuen Ländern die Verantwortung? Ist es Wirtschaftsminister Möllemann mit dem direkten Bezug zur Treuhand? Ist es Bundesminister Blüm, in dessen Kompetenz Arbeitsmarkt und Arbeitsförderung, Umschulung und Arbeitslosigkeit fallen? Beiden ist zweifelsohne eine Zuständigkeit anzulasten. Die Hauptzuständigkeit aber liegt bei Frauenministerin Angela Merkel, die noch dazu als gewählte Politikerin aus einem der neuen Bundesländer die Lebenssituation der Frauen vor und nach der Vereinigung aus eigener Anschauung am besten kennen sollte und daher wie kein anderes Mitglied der Bundesregierung dafür prädestiniert ist, den unverantwortlichen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Auf sie als Hoffnungsträgerin haben viele Frauen im östlichen Teil Deutschlands vertraut und sehen sich jetzt zutiefst enttäuscht.
({2})
Wenn Frau Bundesministerin Merkel anwesend wäre, würde ich sie fragen, was sie bis heute unternommen hat. Konnte sie den verzweifelten Frauen im Osten Deutschlands die Zukunftsängste nehmen?
({3})
Hat sie den Versuch gestartet, für Millionen bereits arbeitslose sowie die in der Vorarbeitslosigkeit stehenden Frauen - etwas anderes ist die Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahme für Frauen nicht - auch nur die kleinste Perspektive aufzuzeigen? Ich behaupte: nein. Ich selbst habe von 35jährigen Frauen hören müssen, daß sie für berufliche Qualfizierungsmaßnahmen zu alt seien und daß in Anbetracht der horrenden Arbeitslosigkeit nicht die geringste Chance bestünde, in einem neu erlernten Beruf einen Arbeitsplatz zu finden.
Ich würde Frau Ministerin Merkel fragen, ob es sie unbeeindruckt läßt, wenn sich Frauen, die jünger als sie selbst sind, zu einer verlorenen Generation zählen. Mich läßt das nicht unberührt.
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Frau Ministerin hat gefordert, die Frauen müßten entsprechend ihrem Anteil an der Arbeitslosenquote an ABM und Umschulungsmaßnahmen beteiligt werden. Das ist richtig und gut. Aber sie muß wissen - wir alle müssen das wissen -, daß gerade diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Frauen mehr als fragwürdig sind. Sie sind vom Ansatz her widersinnig. Sie sind oft nicht effektiv; denn sie münden in der überwiegenden Mehrzahl nicht in Dauerarbeitsverhältnisse und sind praktisch eine andere Form der Warteschleife, die den Beginn der vorhersehbaren Dauerarbeitslosigkeit zeitlich etwas hinauszögert.
Für die Frauen in der ehemaligen DDR war es selbstverständlich, einer Erwerbsbeschäftigung nachzugehen. 94 % standen im Arbeitsleben und haben Beruf und Familie miteinander vereinbart.
({5})
Den offiziellen Verlautbarungen zufolge schwankt heute die Frauenarbeitslosigkeit zwischen 55 % in Mecklenburg-Vorpommern und 62 % in Sachsen. Diese Zahlen, so dramatisch sie sind, verschlimmern sich aktuell immer stärker. Ich selber habe in den ländlichen Gebieten von Mecklenburg-Vorpommern Gegenden besucht, wo die Frauenarbeitslosigkeit bei fast 100 % liegt.
Ist dieser Regierung eigentlich bewußt, zu welchen Verzweiflungstaten sich Frauen gezwungen sehen, nur um einen Arbeitsplatz zu bekommen? Immer mehr junge Frauen lassen sich sterilisieren. Die vom Arzt bescheinigte Sterilisation macht die Bewerbung aussichtsreicher, wie ihnen von Arbeitgebern gesagt werden soll. Die Gleichstellungsbeauftragte von Magdeburg hat mir diese Ungeheuerlichkeit erst heute in einem persönlichen Gespräch bestätigt. Während es im Jahre 1989 an der Medizinischen Akademie Magdeburg nur acht Sterilisationen bei Frauen gab, waren es im Jahre 1991 in dieser einen Klinik bereits 1200 Frauen - die meisten unter 30 Jahren -, die diesen hohen Preis, für immer auf Kinder zu verzichten, zahlen, nur um sich um einen Arbeitsplatz bewerben zu können. In benachbarten Städten verhielt es sich ähnlich. Erkundigen Sie sich bitte in Stendal, in Dessau und wie die Städte heißen.
Ich habe in den letzten Tagen in den Presseverlautbarungen von Unionskolleginnen und -kollegen viele Worte zum Schutz des werdenden Lebens gehört. Ich wünschte mir, daß genau aus diesem Kreis die Proteste dagegen mitgeführt würden, daß Frauen im Kampf ums wirtschaftliche Überleben gezwungen werden, für immer auf Mutterschaft zu verzichten.
({6})
Hier feiert der Hochkapitalismus des 19. Jahrhunderts späte Triumphe, wobei mir unter den zahlreichen Entgleisungen jener Zeit kein Fall bekanntgeworden ist, daß jemals eine solche Bewirtschaftung des weiblichen Körpers vorgekommen wäre. Ich sage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich gehe davon aus, daß es niemanden in diesem Saal gleichgültig sein oder unberührt lassen kann, wenn die Bescheinigung über Sterilisation als Eintrittskarte zum Arbeitsplatz gilt.
({7})
Selbst wenn viele dieser Vorwürfe sich im einzelnen nicht beweisen lassen, schlimm genug ist doch, daß eine Situation in den neuen Ländern vorherrscht, daß Frauen glauben, nur dann, wenn sie für immer auf ein Kind und auf das Gebären verzichten, hätten sie eine
Ursula Schmidt ({8})
Chance auf einen Arbeitsplatz und damit auf eine Sicherung der eigenen Existenz.
Frau Kollegin Schmidt, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß. Bedenken wir weiter: Frauenarbeitslosigkeit, Dauerarbeitslosigkeit endet in der Sozialhilfe. Wir können es nicht zulassen, daß wir die weibliche Bevölkerung in den neuen Bundesländern zu einem Volk von Sozialhilfeempfängern machen. Wir müssen daran denken, daß die Perspektivlosigkeit die Gewalt in den Familien und auch die Gewalt außerhalb fördert. Das wird in allen Gesprächen, die wir führen, immer wieder berichtet.
Wir dürfen nicht verkennen, daß diese Hoffnungslosigkeit Menschen auch dahin treibt, daß sie leicht ein offenes Ohr für den Rechtsradikalismus bekommen.
Frau Kollegin Schmidt, ich muß Sie bitten, Ihre Rede zu beenden.
Gehen wir alle gemeinsam daran, diese Probleme zu lösen. Wir werden dabei die Regierung unterstützen.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir befinden uns in einer Aktuellen Stunde. Unsere Geschäftsordnung sagt: Redebeiträge bis zu fünf Minuten. Ich bitte, das wirklich zu beachten. Die Präsidenten hier oben haben keine andere Wahl, als nach fünf Minuten zu unterbrechen.
({0})
Als nächste Rednerin hat das Wort unsere Kollegin Claudia Nolte.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde soll die wirtschaftliche Situation von Frauen in den neuen Bundesländern beleuchtet werden. Bei der Betrachtung sind mir zwei Seiten wichtig.
Zum einen muß man die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern und die Auswirkungen auf die Menschen sehen. Andererseits bestehen strukturelle Nachteile für Frauen unabhängig von Ost oder West.
Wer die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern bewertet, muß wissen, daß wir heute die Suppe auslöffeln, die uns die SED eingebrockt hat.
({0})
Die Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern
hinkt noch weit hinter der in der alten Bundesrepublik
hinterher. Flankierende sozialpolitische Maßnahmen sind notwendig, um Härten zu entschärfen.
Mit einem Anteil von 60 % sind Frauen überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Wir haben dies bereits in der letzten Sitzungswoche ausführlich diskutiert. Ich habe dabei auf Bemühungen hingewiesen, den mit knapp 40 % noch zu geringen Frauenanteil an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu erhöhen. Ebenso wurde deutlich, daß der über 60prozentige Frauenanteil an Fortbildungs- und Umschulungsprogrammen erfreulich hoch ist.
Strukturelle Benachteiligungen von Frauen in der ehemaligen DDR wirken sich auch heute noch ungünstig auf ihre wirtschaftliche Situation aus. Typische Frauenberufe wurden schlechter bezahlt.
({1})
Im Durchschnitt hatten Frauen ein Drittel weniger in ihrer Lohntüte als Männer.
Hausfrauenarbeit wurde materiell ungenügend gewürdigt, und führende Positionen in Wirtschaft und Verwaltung waren in der Regel mit Männern besetzt. Frauen blieben auch da außen vor. Auch das ist sicher ein Grund dafür, daß Frauen die ersten sind, die entlassen werden, und die letzten sind, die man wieder einstellt.
Mit diesen strukturellen Nachteilen sind die Frauen in den alten und neuen Bundesländern auch heute noch konfrontiert. Trotzdem: Es ist sichtbar, daß bei allen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt positive Akzente für Frauen gesetzt werden konnten.
({2})
Unbestritten stellt sich für einige Frauen die wirtschaftliche Situation als schwierig dar. Ich denke z. B. an Alleinerziehende. Nur, ich glaube, daß sich im allgemeinen, aber insbesondere in der Familie, die materielle Situation von Männern und Frauen nicht gravierend unterscheidet.
Von „Verliererinnen der Einheit" zu sprechen halte ich in keiner Weise für gerechtfertigt. Wir können auch das, was wir durch die Wiedervereinigung gewonnen haben, nicht allein in D-Mark bewerten.
({3})
- Wenn Sie die Wirtschaft meinen, geht es schon irgendwie darum. - Auch für Frauen brachte der Einigungsprozeß kurzfristige und weitreichende Veränderungen in der Ausdehnung persönlicher und politischer Freiheiten, insbesondere was Meinungspluralismus, materielle Wahlmöglichkeiten und Mobilität angeht. Wer den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ablehnt, muß sich als Verlierer der deutschen Einheit fühlen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 40 Jahre lang wurde in der ehemaligen DDR alles schöngeredet. Die größten Mikrochips der Welt wurden als Erfolg verkauft. Aber in dem Maße, in dem früher alles
bis zum Überdruß verschönert wurde, wird heute übermäßig schwarzgemalt.
({4})
Die Realität ist nicht schwarz-weiß. Zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern sind der Meinung, es geht ihnen heute besser als vor der Wiedervereinigung. Sicherlich sind noch große Anstrengungen erforderlich, aber die Lage ist tatsächlich besser, als sie beschrieben wird. Daran, daß es aufwärts ging, haben Frauen einen großen Anteil.
Zu einem Drittel sind es Frauen, die öffentliche Existenzgründerprogramme nutzen. Allein im ersten Quartal hat der Bund so etwa 700 Millionen DM für Unternehmerinnen bewilligt. Über 40 % aller Unternehmungsgründungen in den neuen Bundesländern geschehen durch Frauen. Es ist gut, daß Frauen mit ihrem Engagement zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den neuen Bundesländern und zum Aufschwung beitragen. Darin sind sie verstärkt zu unterstützen und zu ermutigen.
Danke.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Eva Pohl.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohl niemand in diesem Hohen Hause bestreitet, daß die Frauen in den neuen Bundesländern die eigentlichen Verliererinnen des wirtschaftlichen Umbruches sind.
({0})
Wohl kaum jemand zieht in Zweifel, daß die Frauen in Ostdeutschland engagierte Frauen mit einer soliden beruflichen Ausbildung sind. Als Berufsgruppe sei das mittlere medizinische Personal genannt. Dennoch, rund eine dreiviertel Million der Frauen in Ostdeutschland sind derzeitig arbeitslos. Der Frauenanteil an der Gesamtarbeitslosigkeit beträgt etwa 65 %. Die Ursache, das sozialistische Wirtschaftssystem, ist hinlänglich bekannt. Die Gründe für den hohen Frauenanteil sind vielschichtig, etwa der Zusammenbruch ganzer Berufszweige, in denen fast ausschließlich Frauen beschäftigt waren, beispielsweise die Bekleidungsindustrie. Zudem streben Männer in typische Frauenberufe, etwa im Versicherungswesen, im Finanzwesen. Diese Tatsachen müssen wir zur Kenntnis nehmen. Unsere politische Aufgabe aber ist es, für diese Frauen Perspektiven zu eröffnen, damit sie wieder Eingang in das Berufsleben finden.
({1})
Wir wollen auch niemanden darüber hinwegtäuschen, daß trotz aller Beschlüsse der Bundesregierung und deren Vollzug der Flächenbrand nicht sofort zum völligen Erlöschen gebracht werden kann. Es gilt, Prioritäten zu setzen, und zwar vorwiegend für alleinstehende Mütter und Frauen, aber auch für die Frauen
um das 50. Lebensjahr. Wir dürfen nicht Hoffnungslosigkeit verbreiten, es gilt vielmehr, neue Lösungswege zu finden, die durch den effektiven Einsatz der bereitgestellten Finanzmittel mehr Frauen in Arbeit bringen.
Im Rahmen der Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit sollten Umschulung und Fortbildung ein noch größeres Gewicht erhalten.
({2})
Die Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen müssen noch gezielter auf Berufe orientiert werden, die einen dauerhaften Arbeitsplatz garantieren.
({3})
Ich denke dabei insbesondere an Berufe wie Verkäuferin oder Kellnerin - hier möchte ich die Treuhandanstalt bitten, die notwendige schnellst mögliche Privatisierung der ehemaligen FDGB-Heime zu garantieren - oder Tätigkeiten im verwaltungstechnischen Bereich wie beispielsweise in den Grundbuchämtern, wo Frauen eine sehr gute und wichtige Arbeit leisten könnten.
ABM-Stellen sollten vorwiegend im sozialen und sozialpädagogischen Bereich genehmigt werden,
({4})
in dem die größte Gewähr gegeben ist, daß dauerhaft Arbeitsplätze entstehen. Ich denke hierbei beispielsweise an Erziehungsberatungsstellen, die meines Erachtens zwingend erforderlich sind, um Eltern und Kindern und insbesondere unseren Jugendlichen Rat und Hilfe angedeihen zu lassen. Viele Jugendliche sind in Gefahr, die Orientierung zu verlieren oder haben sie bereits verloren. Das bereitet den Boden für Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, die es zu verhindern gilt.
Ich denke aber auch an ABM-Stellen im kommunalen Bereich,
({5})
z. B. in Wohngeldstellen. Denn die Kommunen sind derzeit nicht in der Lage,
({6})
die Kosten im dafür notwendigen Umfang aufzubringen.
({7})
Bei den Arbeitsmarktsgesprächen in den neuen Bundesländern haben wir uns als Bundestagsabgeordnete und haben sich auch die Abgeordneten des jeweiligen Landtags einzubringen, um neue Lösungswege zu finden. Um dauerhafte Arbeitsplätze für Frauen und Männer zu schaffen, ist es wichtig, daß wir darüber nachdenken, bereitgestellte finanzielle Mittel auch in anderer Form einzusetzen. So könnten beispielsweise Mittel aus dem Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" dazu verwendet werden um Kon7664
zepte zu einer überregionalen Wirtschaftsstruktur zu entwickeln,
({8})
die garantieren, daß Frauen und Männer über Beschäftigungsgesellschaften optimale und sichere Arbeitsplätze erhalten.
({9})
- Doch, das will unsere Fraktion.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich folgendes sagen: Frauen dürfen nicht in Angst vor Schwangerschaft geraten. Oder noch schlimmer: Es darf nicht Sterilisation für Arbeitsplatzgarantie in Ostdeutschland stehen.
({10})
Frau Abgeordnete Petra Bläss, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mehr als überfällig, daß wir hier und heute über die wirtschaftliche Situation von Frauen im Osten debattieren. Vor kurzem hat alle Fraktionen dieses Hauses ein Brief des frauenpolitischen Runden Tisches Berlin mit der Bitte erreicht, eine Aktuelle Stunde zum Thema „Frauenarmut im Osten Deutschlands " hier im Bundestag durchzuführen. Die Abgeordnetengruppe der PDS/Linke Liste hatte daraufhin am 14. Mai eine Aktuelle Stunde zur Frauenarmut beantragt. Wir wurden jedoch durch die Präsidentin davon in Kenntnis gesetzt, daß unserem Anliegen aus Gründen des Stärkeverhältnisses nicht stattgegeben werden konnte. Ich hoffe, daß es bei der nunmehr durch die SPD beantragten, wenn auch meines Erachtens unter einer wesentlich diplomatischeren Überschrift laufenden Aktuellen Stunde zu einer sachlichen Debatte auch und gerade zu dem von uns ursprünglich beantragten Thema „Drohende Frauenarmut" kommt.
Die Bilanz für Ost-Frauen, anderthalb Jahren nach den Jubeltönen vom Oktober 1990, bietet alles andere als Anlaß zur Freude. Spitzenreiterinnen sind sie nur dort, wo es um die Herausdrängung aus bisherigen Arbeits- und Lebenszusammenhängen geht: bei Arbeitslosigkeit, Sozialhifebedürftigkeit und niedrigen Renten. Schon längst hat sich herumgesprochen - wir haben es heute hier in diesem Saal schon gehört -, daß es vor allem Frauen sind, auf deren Rücken die vielgepriesene wirtschaftliche Umstrukturierung, die sogenannte Marktanpassung, ausgetragen wird.
Ich bin in den letzten Monaten in vielen Kreisen der neuen Bundesländer, wo ich zu Hause bin, gewesen und kann deshalb aus eigener Anschauung sagen, was diese wirtschaftliche Lage bedeutet. Frauen werden aus der Erwerbsarbeit und von Lohnersatzleistungen ausgegrenzt. Zunehmend mehr Frauen müssen von Sozialhilfe leben. Doch der Gang zum Sozialamt wird die um sich greifende Armut nicht aufhalten. Frauen, die es bisher gewohnt waren, für die Existenzsicherung selbst aufkommen zu können, empfinden es
als diskriminierend, nunmehr auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Aus Scham vor sozialer Ausgrenzung nehmen viele von ihnen die Leistungen nicht wahr. Es wird in der Öffentlichkeit wenig dafür getan, den Frauen bewußt zu machen, daß sie nicht Almosen in Anspruch nehmen, sondern einen Rechtsanspruch auf die Leistungen haben. Im Westen nennt man dieses Phänomen schon seit langem verschämte Armut, ein harmloser Begriff für die tatsächlichen, existenzbedrohenden Auswirkungen.
Laut Art. 31 des Einigungsvertrages ist es „Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln" . In der Realität aber wurde mit der Überstülpung der Arbeits- und Sozialordnung der Alt-BRD auf die neuen Bundesländer das genaue Gegenteil bewirkt. Beispiele dafür sind die Abschaffung von Freistellungsrechten zugunsten der Betreuung von Kindern bei gleichzeitigem Abbau der Kindereinrichtungen, der Wegfall der zusätzlichen Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf den Rentenanspruch berufstätiger Frauen, die drastische Reduzierung der Freistellungszeiten im Falle erkrankter Kinder, die rücksichtslose Kündigung von Frauen, die der Umstrukturierung der Wirtschaft im Wege waren, sowie Abdrängen in Frühverrentung.
Von den offiziell registrierten 1,2 Millionen Arbeitslosen sind 750 000 Frauen. Nicht enthalten in dieser Zahl sind Frauen, die in AB-Maßnahmen, Umschulungen, Kurzarbeit, Altersübergangsgeld oder Vorruhestand sind, ganz zu schweigen von den Frauen, die wegen fehlender bzw. nicht finanzierbarer Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht erwerbstätig werden können, aber nicht in der Arbeitslosenstatistik auf tauchen.
Auch das den neuen Ländern komplett übergestülpte System der sozialen Sicherung bietet den Frauen in den neuen Bundesländern nur unzureichenden Schutz gegenüber sozialem Risiko, weil dieser Schutz geknüpft ist an in der Erwerbsarbeit gezahlte Beiträge und erworbene Anwartschaften.
Dem patriarchalischen Ansatz im Sozialsystem entspricht, daß keine eigenständige soziale Sicherung vorgesehen ist, die einer typisch weiblichen Biographie entspricht. Die Ehe als Versorgungsinstitution bzw. lebenslage Unterhaltsgemeinschaft ist inzwischen ebenso eine Fiktion wie Vollbeschäftigung und das vielgepriesene Normalarbeitsverhältnis. Dort, wo Frauen überhaupt noch eine Chance auf einem Arbeitsmarkt haben, handelt es sich zunehmend um ungeschützte, schlecht bezahlte und befristete Beschäftigungsverhältnisse.
Meine Damen und Herren, weitere Folgen der verschlechterten Arbeitsmarktchancen für Frauen sind neben der ökonomischen und sozialen Ausgrenzung zunehmender Wohnungsmangel und eine schlechtere Gesundheitsversorgung, insbesondere auf dem Lande. Unsicherheit und Zukunftsangst drücken sich nicht zuletzt in dem drastischen Geburtenrückgang und - das wurde in der Debatte schon öfter erwähnt - in dem rasanten Anstieg der Sterilisationsrate im Osten Deutschlands aus.
Statt aber die Ursachen der Perspektivlosigkeit für Frauen zu bekämpfen, kommt die Bundesregierung auch noch mit Plänen zur Verschärfung des § 218. Mit Kriminalisierung und Zwangsberatung sollen Frauen zur Fortsetzung ungewollter Schwangerschaften gebracht werden, ohne daß die Grundvoraussetzungen einer gesicherten Existenz für Frauen und Kinder gegeben sind. Durch die Politik der Bundesregierung wird in zunehmendem Maße ein gesellschaftliches Klima erzeugt, das diesen Zustand als Normalität erscheinen läßt, frei nach dem Motto: Männer werden arbeitslos, Frauen werden Hausfrauen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich habe aber eigentlich noch eine Minute.
Sie haben noch null Minuten.
Dann möchte ich zum Abschluß des Debattenbeitrages nur noch einmal an die Forderungen des frauenpolitischen Runden Tisches erinnern, die wir alle bekommen haben, und daran, daß heute nachmittag auf dem Alexanderplatz Tausende von Betroffenen gegen Sozialabbau protestiert haben, darunter eine Menge Frauen. Ich denke, wir sollten ihren berechtigten Forderungen weiterhin Gehör verschaffen, sie als die eigentlichen Sachverständigen viel mehr anhören und gemeinsam . . .
Frau Kollegin!
... nachdenken über Konzepte, um die gegenwärtige Situation wieder verbessern zu können.
({0})
Ich muß das noch einmal sagen: wenn „0" und Rot aufleuchtet, ist die Redezeit abgelaufen, bei Gelb ist es noch eine Minute. Wenn der Präsident sagt, die Redezeit ist abgelaufen, dann noch einen Satz und nicht einen Absatz! Also bitte, wollen wir uns alle daran halten.
Als nächste hat das Wort die Kollegin Ilse Falk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde in seiner zugleich verallgemeinernden wie aber auch einengenden Formulierung macht es nötig, sich zunächst zu verständigen, worüber wir eigentlich reden, erweckt es doch den Anschein, als könne man die gesellschaftliche Gruppe der Frauen in ihrer Komplexität isoliert unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten, aufzählen, wo Frauen benachteiligt sind, um dann Handlungswege abzuleiten.
Zunächst ist doch zu klären: Wie kommt es denn eigentlich zur „wirtschaftlichen Lage" von Frauen?
Da ist zunächst die alleinstehende berufstätige Frau. Deren Situation muß natürlich voll der des Mannes vergleichbar sein. Wenn es hier Benachteiligungen gibt, z. B. schlechtere Möglichkeiten des Zugangs zu Ausbildung und Arbeitsplatz auf Grund
des Geschlechts oder schlechtere Bezahlung für gleiche Leistung, so ist mit Nachdruck die Behebung dieser Mißstände zu fordern.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß diese Frauen in der heutigen Diskussion im Mittelpunkt der Überlegungen stehen sollen. Es wird vielmehr um die große Zahl der Frauen gehen, die in den neuen Ländern auch als sogenannte Familienfrauen voll berufstätig waren und heute arbeitslos sind.
Bei einer Bewertung ihrer hohen Erwerbsbeteiligung darf man allerdings nicht außer acht lassen, daß diese für viele Frauen in der Regel nicht wirtschaftliche Selbständigkeit bedeutete, sondern auf Grund der niedrigen Einkommensstruktur in der ehemaligen DDR erforderlich war, die oft zwei volle Einkommen für den Lebensunterhalt notwendig machte.
Die wirtschaftliche Lage dieser Frauen leitete sich also schon damals aus dem gemeinsamen Familieneinkommen ab und läßt den Umkehrschluß zu, daß der Umfang der Arbeitslosigkeit, von der, wie wir alle wissen, Frauen besonders betroffen sind, nicht unbedingt über ihre wirtschaftliche Situation Auskunft gibt. Wie oft führte und führt die gleichberechtigte Einbeziehung der Frau in das Erwerbsleben zu einer erheblichen Doppelbelastung, die auch bei Frauen in der ehemaligen DDR mit Erreichen eines gewissen Lebensstandards den Wunsch nach Teilzeit-Arbeitsplätzen laut werden ließ!
Hier ist mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, welch wichtige Beiträge unser Staat durch sozialpolitische Maßnahmen gerade zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Familie und damit zur Entlastung der Frauen leistet.
Als dritte Gruppe sind die Alleinerziehenden zu nennen. überwiegend Frauen, die bei Arbeitslosigkeit tatsächlich in besonderer Weise betroffen sind. Daß hier verstärkte Hilfen in Ost und West notwendig sind, ist allen damit Befaßten bekannt.
Bei allen Überlegungen zur Erwerbstätigkeit der Frauen und ihrer wirtschaftlichen Lage dürfen wir uns nicht zu verkürzten Formeln verleiten lassen, die da lauten: Voll berufstätige Frauen = wirtschaftlich unabhängig = glücklich; oder umgekehrt: arbeitslos oder teilzeitbeschäftigt = arm = unglücklich.
Im Gespräch mit Frauen in den neuen Ländern wird in der Tat immer wieder dieser Ansatz formuliert: Frauen, die arbeitslos sind, fühlen sich minderwertig, benachteiligt, betrachten es als eigenes Versagen, daß sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Was läge also näher, als durch Wiederherstellung des Verlorengegangenen den seelischen Frieden wiederherzustellen? Also: „Recht auf Arbeit"; Kinderbetreuungseinrichtungen von 0 Jahren bis zum Ende der Schulzeit: von 6 Uhr bis 19 Uhr für alle Kinder - um nur zwei Beispiele zu nennen. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht die Lösung sein!
Sollten wir nicht endlich aufhören, alle Probleme, die sich aus einer total veränderten Situation ergeben, wirtschaftlich und finanziell begründen und beantworten zu wollen? Ist es nicht an der Zeit, daß wir die
Frauen in den neuen Ländern in ihrem Selbstbewußtsein stärken,
({0})
daß wir ihnen Mut machen, sich auch für Familie zu entscheiden, daß wir ihnen Freiräume schaffen, sich in der Gesellschaft zu engagieren, politisch, sozial, wie auch immer, daß wir ihnen helfen, die vielfachen Formen der Lebenserfüllung zu erkennen und zu verwirklichen?
Hier liegen doch der Wert und die Chance der neugewonnenen Freiheit.
Hören wir doch auf, die Nöte der Frauen auf ihre wirtschaftliche Lage zu reduzieren! Diese wirtschaftliche Lage wird erst dann relevant, wenn sie die Frauen in ihrer freien Entscheidung zwischen Beruf und Familie behindert und sie in eine Richtung zwingt, die sie eigentlich nicht wollten. Hier die notwendigen Voraussetzungen zu verbessern und zum Teil auch noch zu schaffen, muß unser gemeinsames Anliegen sein, nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern für alle Frauen in der ganzen Bundesrepublik.
({1})
Meine Damen und Herren! Es ist eine kleine Irritation entstanden. Ich will Ihnen das erläutern. Hier gibt es einen gelben Knopf, der aufleuchten kann. Über diesem Knopf steht in kleiner Schrift: „Letzte Minute". Wenn der rote Knopf aufleuchtet, bedeutet das: Ende der Redezeit. Wie es jetzt eingestellt ist, geschieht das nach genau fünf Minuten. Die Kollegin von der PDS hat vorhin sechseinhalb Minuten geredet. Ich habe ihr also nicht eine Minute weggenommen, sondern anderthalb Minuten dazugegeben.
({0})
Da wir in der Zeit schon sehr weit fortgeschritten sind, bitte ich Sie - die Kollegin Falk hat gerade ein Beispiel gegeben --, auf die Sekunde zu reden.
Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Christina Schenk das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich meine, daß es an der Zeit ist, daß sich dieses Hohe Haus mit einem der dringendsten Probleme befaßt, die sich als direkte Folge des Anschlusses der DDR an die BRD ergeben haben, nämlich die wirtschaftliche Situation der Frauen.
Die Passagen im Einigungsvertrag, die explizit Frauen betreffen, sind, gemessen an der Realität der DDR, außerordentlich dürftig. Aber es findet sich dort zumindest ein Hinweis auf die Notwendigkeit, die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten.
In Umsetzung dieser Aufgabe in den ostdeutschen Bundesländern hat die Bundesregierung ihr eigenes Szenario entwickelt. Die Leitlinien der Politik der Bundesregierung - umgesetzt von den diversen
Ministerien und der Treuhand, unterstützt durch die Medien - könnte frau wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Es ist sorgfältig der Eindruck zu vermeiden, daß der Geschlechterkampf in der BRD ein besonderes und dringliches Anliegen sei. Es geht um die Modernisierung der Wirtschaft, um die Demokratisierung der Gesellschaft, um Freiheit und Wohlstand für alle. Die Bundesregierung wird sich bei allen Gelegenheiten immer wieder besorgt über die sogenannte Frauenfrage äußern und die Beachtung der Rechte der Frauen proklamieren.
Zweitens. Unter der Parole „Modernisierung der Wirtschaft" ist die bestehende Wirtschaftsstruktur aufzulösen. Vorrangig sind Betriebe mit einem überdurchschnittlich hohen Frauenanteil zu schließen. Der Personalbestand in den weiterexistierenden Betrieben ist drastisch zu senken. Vorrangig sind Frauen, vor allem Mütter von noch betreuungspflichtigen Kindern und Ehefrauen weiterhin erwerbstätiger Männer, zu entlassen.
Drittens. Es sind neue Betriebe zu gründen, die, vor allem in qualifizierten Tätigkeitsbereichen mit Leitungsfunktionen, vorrangig Männer einstellen.
Viertens. Die Berufs- und Tätigkeitsstruktur ist grundsätzlich zu überprüfen. Berufs-und Tätigkeitsfelder mit überdurchschnittlichem Frauenanteil sind abzugruppieren und zu entwerten.
Fünftens. Das bestehende Normalarbeitsverhältnis ist so auszubauen, daß seine Leistungsanforderungen es den Männern objektiv unmöglich machen, sich an der Alltagsbewältigung in den privaten Haushalten angemessen zu beteiligen. Die Berücksichtigung der Lebensbedürfnisse der nachwachsenden Generation und die Bewältigung des außerbetrieblichen Alltags werden hiermit zur Sache, und zwar zur Privatsache, der Frauen erklärt.
Sechstens. Die nach den Regeln des Normalarbeitsverhältnisses eingerichteten Arbeitsplätze sind vorrangig mit Männern zu besetzen. Als Ventil für zu befürchtenden Unmut der Frauen sind Teilzeit- und befristete Arbeitsplätze anzubieten, und zwar vorrangig in den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen. Die bei den Frauen durch den Wechsel auf Teilzeitarbeit oder durch den Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit entstehenden Einkommensverluste werden durch überdurchschnittliche Anhebung der Männerverdienste ausgeglichen.
Siebtens. Außerhäusliche Kinderbetreuungseinrichtungen werden drastisch reduziert. Die Öffnungszeiten werden von den betriebsüblichen Arbeitszeiten entkoppelt. Gleichzeitig wird eine Kampagne für die kindgerechte Betreuung und Erziehung in der Familie gestartet, deren Ziel die Desavouierung der außerhäuslichen Kinderbetreuung ist.
Dieses Szenario, meine Damen und Herren, ist nicht fiktiv. Es mag vielleicht nirgendwo schriftlich festgehalten sein, bildet aber dennoch die Grundlage des politischen Handelns dieser Bundesregierung.
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Auch ist es die Intention, mit der seitens der Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die private Wirtschaft geschaffen werden.
Wie real dieses Szenario ist, belegen die Analysen und Daten zur Arbeitsmarktsituation von Frauen. Wir erleben gegenwärtig die Neuauflage des sogenannten Nachkriegseffektes: Männer verdrängen Frauen aus der Produktion. Frauen, die es gewohnt waren, im Beruf ihren Mann zu stehen, stehen jetzt vor den Werktoren der Betriebe. Ausbildungsplätze, z. B. auf der Neptun-Werft in Rostock, sind nur noch männlichen Schulabgängern zugänglich.
Verschärft wird die Arbeitsmarktsituation für Frauen zugleich dadurch, daß sie auch aus den qualifizierten sogenannten frauentypischen Berufen ausgegrenzt werden. Damit wird bisherige Qualifikation zunächst einmal massenhaft entwertet. Frauen, die bisher männertypische Tätigkeiten ausgeübt haben, die z. B. Kranführerinnen, Schlosserinnen, Tischlerinnen waren oder in Bauberufen tätig waren, werden nun zu Floristinnen, Sozialarbeiterinnen, Bürokauffrauen und ähnlichem umgeschult. Frauen mit Hochschulabschluß finden sich in Kursen zur Steuergehilfin oder Altenpflegerin wieder. Qualifizierung wird auf diese Weise zur Dequalifizierung, zumal wenn Frauen, wie dargestellt, massenhaft in Berufe umgeschult werden, in denen schon jetzt oder in Kürze das Angebot die Nachfrage übersteigen wird.
Die Strukutur des Weiterbildungsmarktes und die Entwicklung des Arbeitsmarktes sind also in keiner Weise aufeinander abgestimmt. Im Gegenteil, fehlende Konzepte zur Wirtschafts- und Strukturentwicklung in den Regionen machen diese Art von Dequalifizierung überhaupt erst möglich.
Über die Qualität der von den verschiedenen Trägern zumeist westdeutscher Herkunft angebotenen Kurse wäre noch extra zu reden.
Unter diesen Bedingungen herrscht eine große Verunsicherung bezüglich des Weiterbildungsmarktes. Fortbildung und Umschulung werden für viele so zur verlängerten Warteschleife in die Arbeitslosigkeit. Indiz für diese tiefgreifende soziale Verunsicherung von Frauen ist die Tatsache - wie hier schon erwähnt wurde -, daß sich jetzt ein bedeutender Teil der Frauen sterilisieren läßt. Existenzängste dieser Art, wie sie zur bundesdeutschen Wirklichkeit zählen, waren in der DDR unbekannt.
Frau Kollegin, die Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.
Gut, ein Satz noch: Ich meine, daß die Bundesregierung es bisher wirksam verstanden hat, die Probleme der Frauenerwerbslosigkeit zu ignorieren. Man kommt zwingend zu dem Eindruck, daß Frauen sich endlich mit dem ihnen zugewiesenen Status als Hausfrauen oder Teilzeitbeschäftigte, als schlecht Verdienende und vom Sozialamt Abhängige abfinden sollen. Daß das nicht der Fall sein wird, geht insbesondere aus der Demonstration hervor, die heute nachmittag auf dem Alexanderplatz stattgefunden hat.
Danke schön.
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Das Wort hat die Abgeordnete Evelin Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Bemerkung zur Abgeordneten Frau Falk machen. Gott sei Dank war es so, daß Frau und Mann in einer Familie arbeiten mußten, und jetzt sind vielleicht alle beide arbeitslos. Ein Arbeitsloser allein kann die Familie nicht ernähren. Gott sei Dank hat damals die Frau mitgearbeitet, nun sind es zwei, und nun kommt die Familie eventuell durch.
Es ist im Prinzip ein Teufelskreis, in dem sich die Frauen in den neuen Bundesländern zur Zeit befinden. Sie waren als erste arbeitslos. Sie mußten als erste überlegen, wo sie sparen müssen. Sie haben ihre Kinder aus den Kindergärten und -krippen herausgenommen. Diese Krippen wurden dann geschlossen. Wenn diesen Frauen dann Qualifizierungsmaßnahmen angeboten wurden, konnten sie sie einfach nicht wahrnehmen, weil dann ihre Kinder nicht mehr in den Kindergärten oder Kinderkrippen untergebracht werden konnten, denn die waren schon nicht mehr da.
Von den Qualifizierungsangeboten - das muß ich Ihnen sagen - sind manche der blanke Hohn. Nicht nur, daß die Qualifizierungsangebote für Frauen immer wesentlich kürzer sind oder daß die Frauen dort keine Zertifikate bekommen, auch inhaltlich ist es manchmal einfach nicht mehr zu ertragen. Da wird Frauen, Näherinnen, aus einem Bankrott gegangenen Betrieb angeboten, sich zu qualifizieren, und zwar als Näherinnen. Da werden Frauen aus einem Braunkohlentagebau Angebote gemacht, sich zu Verkäuferinnen zu qualifizieren, während ringsherum Verkäuferinnen en gros auf die Straße gesetzt werden.
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Die Frauen haben sich bei uns über die Arbeit definiert. Diese Arbeit war zwar manchmal schwer, aber sie war nicht überflüssig und auch nicht nutzlos. Sie kommen oft in mein Büro und sagen: Mein Gott, wir sind doch nicht auf die Straße gegangen, damit wir jetzt auf der Straße liegen!
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Wie wahr dieser Satz ist, meine Damen und Herren, möchte ich nur an zwei Beispielen aus meinem Wahlkreis belegen. Da gibt es eine Elektroschmelze Zschornewitz. Dort wurden 84 `/o Frauen und 77 % Männer entlassen. Aber es kamen nur 31 % Frauen in die ABM und 69 % der Männer. Im Braunkohlentagebau Bitterfeld werden noch 1992 10 000 Männer und Frauen entlassen, darunter 2 500 Frauen; das sind 25 %, obwohl der Anteil der Frauen in diesem Betrieb nur bei 18 % lag. Die 25 % Frauen, die jetzt entlassen werden, können mit ABM nicht aufgefangen werden.
Ich gebe zu, daß anfangs viele Frauen einfach froh waren, daß sie einmal eine Ruhepause hatten und von der Arbeit ausspannen konnten. Sie haben auch gern, wenn beide in einem Betrieb arbeiteten, dem Mann den Vorrang gelassen und gesagt: Arbeite du doch
Evelin Fischer ({2})
weiter, dann bleibe ich eine zeitlang zu Hause. Sie begreifen aber jetzt allmählich, daß die Bundesregierung sie auf das Niveau des Westens bringen will, und diesmal ist das Niveau des Westens weitaus tiefer als das Niveau des Ostens, denn im Westen arbeiten nur 51 % der Frauen. Ich kann die Ministerin Merkel - sie ist nicht anwesend - nicht verstehen, daß sie sich als eine gestandene Ostfrau auf dieses Niveau begeben will; beim besten Willen nicht. Die Wähler, die sie gewählt haben, erwarten eigentlich etwas ganz anderes; sie erwarten, daß sie an die Wirtschaft nicht nur appelliert, sie erwarten, daß sie jetzt Maßnahmen ergreift, damit sich diese Situation der Frauen in den neuen Bundesländern endlich wendet, daß sie sich verbessert.
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Ich habe vorhin von diesem Teufelskreis „Arbeitslosigkeit" gesprochen und die Kindertagesstätten erwähnt. Dazu muß ich sagen, daß in den Kindertagesstätten vorrangig Frauen gearbeitet haben, die wiederum arbeitslos sind. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Bildungsbereich: Frauen sind die ersten, die dort gehen müssen.
Im Schulbereich sind es die Hortnerin und die Unterstufenlehrerin. Im Hochschulbereich sind es besonders der Mittelbau und die Verwaltung. Ein Beispiel aus der MLU in Halle: 86%) der Frauen arbeiten in der Verwaltung, 46 % als wissenschaftliche Assistentin, 60 % sind Lektorin, aber nur 5 Professorin. Aber gerade in diesem mittleren Bereich ist der Personalabbau am größten.
In der beruflichen Bildung werden die Mädchen immer mehr in die klassischen Frauenberufe gedrängt, in die, in denen sie später schlecht bezahlt werden, und in die, bei denen die Eltern sogar noch die Ausbildung bezahlen müssen.
Im Regierungsbezirk Dessau hat erst ein Drittel der Schulabgänger überhaupt eine Lehrstelle. Vorausgesetzt, daß dieses eine Drittel von 50 % Mädchen und 50 % Jungen belegt ist, bekommen immerhin zwei Drittel aller Mädchen keine Lehrstelle.
Noch eine letzte Zahl: In meinem Arbeitskreis sind jetzt im April 71,2 % arbeitslos gewesen. Das sind genau 1 428 Schicksale.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.
Der letzte Satz: Ich habe als Abgeordnete eine Verantwortung für diese 1 428 Frauen.
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Das war ein Satz.
Auch wenn es mir persönlich gut geht und ich hier auf schallschluckenden Teppichen laufe und in Hotels übernachte -
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Schade; den Satz wäre ich gern noch losgeworden. Aber ich gebe ihn zu Protokoll.
({0})
Meine Damen und Herren, ich kann doch nicht bei jedem Redner nach fünfeinhalb oder sechs Minuten sagen, daß die Redezeit zu Ende ist, ohne daß der Redner aufhört zu reden. Ich bitte Sie doch herzlich, sich innerhalb der Aktuellen Stunde an fünfminütige Redebeiträge zu halten.
Als nächstes erteile ich der Abgeordneten Michalk das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Niemand bestreitet, daß von Beginn der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, also vom 1. Juli 1990, an die Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt für die Frauen insgesamt ungünstiger verlief als für die Männer. Besonders bei höherqualifizierter Tätigkeit ist ein überproportionaler Rückgang der Frauenbeschäftigung zu verzeichnen. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig, daß sich die wirtschaftliche Situation generell verschlechtert hat. Eine pauschalisierte Betrachtung - so wie ich sie eben wieder gehört habe - ist ebenso fehl am Platze wie eine Verniedlichung der Entwicklung.
({0})
Aufmerksamkeit seitens der Politik ist geboten. Aber das ständige Debattieren bringt den Familien, den Frauen, den Alleinerziehenden keine Verbesserung. Vielmehr habe ich den Eindruck, daß Hilfen in Form von Beratung, daß das Informieren über die jetzt bestehenden Rechte der Frauen, daß das zielstrebige Durchsetzen gesetzlicher Regelungen zur wirklichen Gleichstellung der Frauen der Ansatz für die Lösung sind.
Aber, meine Damen und Herren, die Tatsache, daß z. B. weniger Teilzeitarbeitsplätze für Frauen angeboten werden - zwei Zahlen: 1990 waren es 26 %, und 1991 waren es 18 % -, ist nicht nur ein Signal für die Politik, sondern auch für die Wirtschaft. An der Notwendigkeit der materiellen Unabhängigkeit von Frauen hat sich im letzten Jahr des Umbruchs - da stimme ich Ihnen zu - in den neuen Bundesländern nicht viel geändert. Der Wunsch, arbeiten zu gehen, steht nach wie vor obenan. Aber auch das ist nicht pauschal zu sehen. Auch Frauen haben unterschiedliche Lebensgestaltungswünsche, und dem müssen wir Rechnung tragen.
Alleinerziehende haben es z. B. unbestritten schwerer als verheiratete Frauen. In den neuen Bundesländern sind 20 % der Familien Alleinerziehende mit Kindern. Da Kündigungsschutzregelungen für Alleinerziehende nicht mehr gelten, sind Hilfen zum Lebensunterhalt erforderlich.
Natürlich muß verhindert werden, daß Familien und Alleinerziehende in soziale Randpositionen gedrängt werden. Die regionale Wirtschaftsförderung könnte mit einer gezielten Mittelvergabe dazu beitragen, daß ein höherer Anteil von qualifizierten Arbeitsplätzen
für Frauen bereitgestellt und flexible Arbeitszeiten angeboten werden. Diese Frage ist nicht hier zu lösen, sondern da gebe ich die Verantwortung tatsächlich der Wirtschaft weiter.
({1})
Wir wissen, daß Frauen bei Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen bereitwilliger als ihre männlichen Kollegen sind.
({2})
Ihre wirtschaftliche Lage stellt sich besser dar als oftmals bekannt
Herr Kollege Büttner, Sie haben heute schon ein großes Kontingent an Zwischenrufen. Ich glaube, es langt bald.
- und als durch die öffentliche Meinung dargestellt wird.
Nach dem AFG wird bei Fortbildungsmaßnahmen z. B. Unterhaltsgeld gezahlt. Neben dem Unterhaltsgeld kann die BA bei Vorliegen der Voraussetzungen auch Kosten, die durch die Fortbildungsmaßnahmen entstehen, übernehmen. Man sollte heute auch einmal ein paar konkrete Dinge nennen, wenn man schon diese Debatte führt. Also Lehrgangskosten, Fahrtkosten, Kosten für die Arbeitsbekleidung, Kranken- und Unfallversicherung, Kosten für Unterkunft und ebenso Kosten für Betreuung des Kindes eines Teilnehmers - bis zu 60 DM monatlich - werden übernommen.
Diese Leistungen nach § 45 kann auch derjenige beantragen, der arbeitslos ist.
({0})
Ich erinnere ebenso an die Einarbeitungszuschüsse.
Die vorgenommenen Einschränkungen gelten eben nicht für Frauen. Warum sagt das hier keiner? Das ist in der Öffentlichkeit auch viel zu wenig bekannt.
Alleinerziehende haben unbestritten eine große Last zu tragen. Niemand kann behaupten, daß der Staat nicht gute Regelungen geschaffen hat, um die uns andere Länder beneiden. Auch das sollten wir heute hier sagen.
Nun will ich ganz einfach ein paar konkrete Beispiele dazu nennen. Wer Arbeit hat, kann z. B. im Lohnsteuerjahresausgleich als Sonderausgabe ohne Nachweis einen Pauschbetrag von 480 DM je Kind sowie für das erste Kind bis zu 4 000 DM und jedes weitere 2 000 DM bei Einzelnachweis geltend machen.
Wer aber keine Arbeit hat oder vielleicht sogar Sozialhilfeempfänger ist, wird nicht alleingelassen. Entsprechend dem Regelsatz mit Miet- und Heizkostenzuschüssen und einmaligen Beihilfen steht ein Betrag von 1 500 DM zu Buche. Ich erinnere, was ich selbst bekommen habe, als ich Kinder erzogen habe. Gegebenenfalls kommt noch das Erziehungsgeld von 600 DM hinzu. Ich selbst habe 230 Mark in der Zeit bekommen, wo ich meine Kinder erzogen habe. Da
wollen Sie mir erzählen, daß die wirtschaftliche Lage generell schlechter geworden ist!
({1})
Über den normalen Regelsatz von ca. 400 DM wird auch in den neuen Bundesländern ein Mehrbedarfszuschlag von 20 % gewährt, den wir auf 30 % erhöhen wollen.
Ich könnte die Beispiele noch weiterführen. Sie wissen genau, daß wir
Frau Kollegin, führen Sie das bitte nicht weiter. Auch Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Vielen Dank, es tut mir leid; ich hätte gern noch den abschließenden Satz gesagt, daß es in den Ländern auch Verantwortung gibt und Sachsen bei der Kindergartenregelung große Vorteile geschaffen und Beispiele gegeben hat, die nachzuahmen sind.
Danke.
({0})
Frau Kollegin Uta Würfel, Sie haben das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine erste Reaktion auf die Beantragung dieser Aktuellen Stunde war: Muß das sein? Haben wir diese Selbstbefassung schon wieder nötig? Eigentlich ist doch ein Parlament dazu da, Gesetze vorzubereiten. Braucht's das denn nun wirklich, daß wir wieder so eine Polarisierung betreiben, unter Umständen Frauen gegen Männer - Männer gegen Frauen?
Aber ich bin dann zu dem Schluß gekommen, daß es durchaus richtig und angebracht ist, sich hier heute in Berlin mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
({0})
Denn in der Tat ist es so, daß im Gegensatz zu der Arbeitsmarktsituation in den alten Bundesländern in den neuen Bundesländern die Arbeitslosigkeit von Frauen wesentlich höher ist.
Die Statistik weist aus, daß im April in den neuen Bundesländern insgesamt 753 000 Frauen ohne Erwerbstätigkeit waren. Es ist schon gesagt worden: Dies entspricht dem immens hohen Prozentsatz von 62,9 % aller Arbeitslosen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, daß es für jeden Menschen wichtig ist, sein Brot eigenständig verdienen zu können.
({1})
Es erhöht das Selbstwertgefühl eines Mannes und ebenso einer jeden Frau, für sich selbst sorgen zu können und nicht von staatlichen Hilfen abhängig sein zu müssen. Zwar geben die Statistiken zur Arbeitsmarktsituation absolute Zahlen und Prozentzahlen wieder; hinter diesen nackten Zahlen stecken jedoch Schicksale. Diese Arbeitsmarktsituation, wie sie im Osten besteht, löst Gefühle von allerhöchster
Betroffenheit bis hin zu Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit aus.
Ich denke, wir alle sollten uns heute dazu bekennen, daß wir mit den Menschen fühlen, die in einem solchen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
({2})
Man mag es uns Frauen deshalb schon nachsehen, daß wir als Politikerinnen speziell einen Blick auf die Frauen in den neuen Bundesländern werfen; denn sie sind, wie wir gehört haben, überproportional betroffen. Sie machen praktisch zwei Drittel aller Arbeitslosen im Osten aus.
Ein Aspekt wurde bereits angesprochen: Es gibt im Osten wesentlich mehr alleinerziehende Frauen als im Westen. Somit ist es für diese Mütter von elementarer Bedeutung, ihre Kinder weiterhin in Kinderbetreuungseinrichtungen versorgt zu wissen, damit sie überhaupt einem Beruf nachgehen können. Tragisch ist es doch besonders dann, wenn der Arbeitsplatz gehalten werden konnte und nun dieser Arbeit nicht nachgegangen werden kann, weil die Kinderbetreuungsmöglichkeiten weggefallen sind, oder wenn eine Arbeitsaufnahme nicht möglich ist, weil die Kinderkrippenplätze auf einmal weggefallen sind.
Natürlich ist man geneigt, in einer solchen Situation ein halbvolles Glas als ein halbleeres zu betrachten. Deshalb darf bei dieser Debatte auch nicht der durchaus positive Hinweis fehlen, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Notwendigkeit des Erhaltes von Kinderbetreuungseinrichtungen erkannt hat und durch die Förderung von AB-Maßnahmen in erheblichem Umfang dazu beiträgt, solche Einrichtungen zu erhalten. Vielleicht sollten wir mehr darauf hinweisen, daß dies möglich ist.
Die Kommunen sind darüber hinaus gefordert, Weichenstellungen in die richtige Richtung vorzunehmen und ihrerseits den Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen zu decken und diese vorzuhalten.
Sollte es uns gelingen, den Gruppenantrag zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zeitgerecht zu verabschieden, greifen die sozialen Maßnahmen ab dem 1. Januar 1993 ebenso wie die rechtlichen Regelungen. Das bedeutet natürlich auch, daß im Hinblick auf den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und auf den Schutz des geborenen Lebens zumindest die Einrichtungen erhalten, ausgebaut oder neu geschaffen werden müssen, die Frauen im Osten und Westen Deutschlands brauchen, um eine Erwerbstätigkeit sinnvoll mit den Familienpflichten verbinden zu können.
({3})
Wenn es uns gelingt, diesen Gruppenantrag durchzubringen, haben Frauen in Zukunft einen Rechtsanspruch darauf, ihre Kinder gut versorgt zu wissen, wenn dies in der Familie nicht möglich ist.
Als ich gestern die Pressemitteilung las, nach der sich Frauen in Sachsen-Anhalt offensichtlich auf den Druck von Arbeitgebern hin zur Sterilisation gezwungen sehen, konnte ich es einfach nicht glauben. Ich
kann es einfach nicht begreifen, daß es ein derartiges menschenverachtendes Geschehen geben soll.
({4})
Die Frage, die wir uns alle stellen müssen, ist doch: Wie weit müssen Frauen getrieben worden sein, daß sie sich die Möglichkeit, schwanger zu werden und ein Kind gebären und aufziehen zu können, von Arbeitgebern nehmen lassen? Diese Pressemitteilung wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation von Frauen in den neuen Bundesländern.
Frau Kollegin - Uta Würfel ({0}): Ja, ich sehe es. - Ich kann abschließend nur sagen: Ich wünsche allen Frauen, daß sie initiativ werden, daß sie für sich Nischen finden, daß sie ihre Kraft gestalterisch einbringen können. Ich wünsche ihnen Mut und Durchhaltevermögen. Was ich politisch dazu tun kann, ihre Situation zu erleichtern, will ich gerne tun.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Ulrike Mascher.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine ungeprüfte Zeitungsente, was meine Kollegin Ulla Schmidt und auch noch einmal Frau Würfel hier angesprochen haben. Wir haben das sorgfältig geprüft. Wir haben Klinikchefs in Sachsen-Anhalt gefragt, die uns das leider bestätigt haben.
Frau Michalk hat als Beispiel für die doch nicht so schlechte Lage der Frauen die Palette der Instrumente für eine aktive Arbeitsmarktpolitik aufgezählt. Frau Michalk, diese Instrumente sind ganz gut. Nur, wenn der Bundesanstalt für Arbeit die Mittel zum Einsatz dieser Instrumente gestrichen werden, dann sind Frauen zur Dauerarbeitslosigkeit verurteilt. Das ist ja der Plan von Bundesfinanzminister Waigel.
({0})
Ich möchte mich jetzt an eine Gruppe von Frauen wenden, deren wirtschaftliche Lage möglicherweise noch schwieriger ist als die derjenigen, die noch im Arbeitsleben stehen oder die noch die Chance haben, wieder hereinzukommen; das sind die Rentnerinnen. Viele Rentnerinnen, die den vollmundigen Erklärungen des Bundesarbeitsministers: „Deutschland wächst zusammen, die Renten wachsen mit" vertraut haben, fühlen sich getäuscht, wenn sie die neuen Rentenbescheide mühsam genug durchgearbeitet haben. Sie stellen fest, daß die durchschnittliche Frauenrente von 937 DM, die sich gegenüber der durchschnittlichen Frauenrente vor der Währungs- und Sozialunion von 460 DM immerhin verdoppelt hat
das anerkenne ich durchaus -, nicht ausreicht, um ohne schwere Sorgen leben zu können. Die Mieten steigen um ein Vielfaches und fressen trotz Wohngeldzahlungen große Teile der Renten auf. Der Krankenkassenbeitrag muß gezahlt werden, die Heizkosten, die Kosten für die notwendigen Lebensmittel
oder der Preis für das Essen im Seniorenklub. Das alles hat sich nicht nur verdoppelt, wie die Rente, sondern es hat sich teilweise verzehnfacht. Ein Platz in einem Altenheim, der vor der Wende etwa 100 Mark kostete, kostet heute 1 800 DM. Da bleibt, wie bei vielen Rentnerinnen im Westen, nur das Taschengeld für den persönlichen Bedarf.
Viele der alten Frauen, die während des Krieges und während 40 Jahren in der DDR schwer gearbeitet haben, empfinden es als demütigend, auf Taschengeld angewiesen zu sein. Sie begreifen nicht, warum ihre Ersparnisse bei der Sozialhilfe angerechnet werden oder warum die Einkommenssituation der Kinder überprüft wird.
Noch stärker als bei den alten Frauen im Westen der Bundesrepublik ist die Scheu, zum Sozialamt zu gehen. Die Scham, ihre Armut offenbaren zu müssen, die Angst vor dem Rückgriff auf die Kinder, oft auch die Unkenntnis unseres schwierigen Sozialsystems führen dazu, daß Armut für viele alte Frauen im Ostteil unseres Landes das Markenzeichen des vereinigten Deutschland geworden ist.
({1})
Und was geschieht von seiten der Bundesregierung, damit das Versprechen des Arbeitsministers Wirklichkeit wird? „Wer ein Leben lang gearbeitet hat, kann sich darauf verlassen, daß er als Rentner nicht in die Armut abgleitet" - sicher hat Herr Blüm auch Rentnerinnen gemeint. Bisher aber gibt es kein Konzept der Regierung gegen die Altersarmut von Frauen. Die Arbeitslosigkeit der Frauen programmiert die Altersarmut der nächsten Generationen vor. Der Sozialzuschlag, mühsam genug durchgesetzt, der eine Mindestrente von 600 DM für Alleinlebende festschreibt, ist bis 1996 befristet.
Angesichts der realen Armut von alten Frauen schäme ich mich fast, auf die Erklärung des Bundestages von 21. Juni 1991 zu verweisen, wo wir alle gemeinsam für 1996 Maßnahmen zur Bekämpfung der Altersarmut vereinbart haben. Die alten Frauen brauchen jetzt eine soziale Grundsicherung, damit die Sorge, die Angst vor der Zukunft nicht weiter wächst.
({2})
Kann ich meine Miete zahlen? Reicht die Rente noch zum Leben? Kann ich meine Kinder noch besuchen, wenn ich kein eigenes Geld habe? Auch die Sorge: Wer zahlt denn später das Begräbnis, wenn meine ganzen Ersparnisse weg sind?
Sicher haben die Rentnerinnen in der DDR auch kein leichtes Leben gehabt, aber das Gefühl einer tiefen Unsicherheit, das heute bei vielen alten Frauen vorherrscht, hat ihr Leben bis zur Wende nicht geprägt.
({3})
Ich wünsche mir deshalb, daß mehr Politikerinnen aus Ostdeutschland, die ein Regierungsamt haben, z. B. Frau Merkel, die Sache der Frauen, den Kampf
gegen Arbeitslosigkeit und Armut zu ihrem Thema machen.
({4})
Regine Hildebrandt, die Frauen- und Arbeitsministerin aus Brandenburg, ist dafür ein ermutigendes Beispiel.
Danke.
({5})
Frau Abgeordnete Angelika Pfeiffer, Sie haben das Wort.
Übrigens war die Kollegin Mascher in puncto Zeiteinhalten auch ein ermutigendes Beispiel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal komme ich mir vor wie auf der falschen Veranstaltung, sehe ich Frauen aus den neuen Bundesländern, die die ehemalige DDR hochleben lassen und vergessen, was geworden wäre, wenn wir uns nicht zu einem Land vereinigt hätten.
({0})
Auch ich bin eine Frau aus den neuen Bundesländern, und ich möchte Ihnen heute - das müssen Sie mir gestatten; ich haben Ihnen auch ganz höflich zugehört - meine Meinung darlegen.
Gerade in unserer Zeit, in der über Anonymität und zuwenig Mitmenschlichkeit geklagt wird, erfahren Frauen und Familie mit Recht eine neue Wertung, eine bessere Wertung, als es sie jemals in der ehemaligen DDR gegeben hat.
({1})
Die eigenen Kinder müssen heute nicht mehr für die Altersversicherung ihrer Eltern aufkommen; dies leistet nämlich die Rentenversicherung.
({2})
So haben sich die Frau und die Familie zu einer Gemeinschaft entwickelt, die vor allem Halt, Geborgenheit und verläßliche Lebensbedingungen für Eltern, für die Kinder und auch oft für die Großeltern bietet. Familien brauchen ein familien- und kinderfreundliches Klima in der Gesellschaft.
({3})
Ich will nicht sagen, daß das Klima hier so hervorragend ist. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie mies das Klima in unserem ehemaligen sozialistischen Staat war.
Der Staat darf nicht in die Familie hineinreden. Das hatten wir in der DDR. Das wollen wir nicht mehr. Das ist Geschichte. Wir wollen das auch in dem neuen Deutschland nicht zulassen.
Die Aufgaben der Hausfrau und Mutter werden zwar in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen
anerkannt; noch immer aber ist nicht überall bewußt, daß Familientätigkeit genauso viel wert ist wie Erwerbstätigkeit.
({4})
Würde man den Wert der unentgeltlich erbrachten Haushalts- und Familienarbeit in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbringen, stiege das Bruttosozialprodukt um jährlich 600 Milliarden DM.
Wer will, daß sich Frauen und Männer frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten, muß die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Eine freie Entscheidung ist nicht möglich, wenn die Familie materiell so schlecht gestellt ist, wie bei vielen Familien
({5})
- lassen Sie mich doch ausreden! - in den neuen Bundesländern. Dort ist diese Forderung nicht erfüllt; dort müssen beide Ehepartner arbeiten gehen. Sie können es aber nicht, weil Frauen, aber auch Männer leider Gottes von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Hilfen für die Familien sind deshalb ein ganz entscheidender Beitrag zur Lebensplanung von Müttern und Vätern. Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub, Erziehungsjahre - ich will das nicht alles aufzählen; das haben Sie und meine Kollegen schon hervorragend gebracht -: Sie wissen selber, welche Möglichkeiten es gibt.
Bei alldem, was ich eben aufzählte, dürfen wir aber nicht vergessen, wie schwierig die Situation der Familien in den neuen Bundesländern ist. Angefangen bei meiner Schwester - ich darf Ihnen das sagen -: Zwei Jahre arbeitslos, weil ihr Betrieb in Konkurs gegangen ist; die jungen Leute von 30 Jahren leben von Sozialhilfe. Und doch würde meine Schwester um nichts in der Welt tauschen und zu den Verhältnissen in der ehemaligen DDR zurück wollen.
({6})
Sie weiß genau, daß sie die schwere Zeit überbrücken wird. Ich wollte Ihnen dies als Beispiel sagen.
Innere Mauern brechen bei uns Menschen in den neuen Bundesländern auf, und Gott sei Dank dürfen sie jetzt aufbrechen. Gerade in der Familie sollte man aber darauf achten, daß es eine größtmögliche Kontinuität gibt.
Und doch, sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren: Die Frau und die Familie leben. Ich selbst bin ein eifriger Verfechter von Frauen und Familie und würde für langjähriges glückliches Familienleben Orden verleihen. Das gefällt Ihnen sicher nicht; ich weiß, daß die Sozis ein bißchen lockerer leben.
({7})
Bei allen Schwierigkeiten sehe ich optimistisch in die Zukunft der Familie und in eine Zukunft, die uns alle Voraussetzungen gibt, Familie zu leben. Wem es in den neuen Bundesländern zu langsam geht, den werde ich daran erinnern, wem wir diese Situation zu verdanken haben: In erster Linie denke ich an die Genossen, auch an die ehemaligen Genossen in den Reihen der SPD; davon gibt es genug, meine Damen und Herren.
({8})
Das gilt für all die Genossen, die im Reichstag sitzen und die sich zu DDR-Zeiten als Genossen anredeten und das jetzt wieder tun.
({9})
- Ich freue mich, daß Sie so erregt sind, und danke Ihnen.
({10})
Herr Kollege Büttner, ich habe meinen Ehrgeiz dareingesetzt, möglichst keinen Ordnungsruf zu erteilen. Aber auch bei Zwischenrufen in Situationen, die einen ärgern, darf man die Grenzen nicht überschreiten.
Als nächste hat die Abgeordnete Christel Hanewinckel das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Nolte und liebe Frau Pfeiffer, Sie haben ganz recht: Die DDR schönzureden ist nicht okay. Nur, die Situation, die wir jetzt haben, schönzureden hilft auch nicht.
({0})
- Ja, Sie haben schöngeredet.
An manchen Stellen hatte ich den Eindruck - in der Tat auch bei dem letzten Redebeitrag, dem von Frau Pfeiffer -: Ich bin auf der falschen Veranstaltung. Es geht doch nicht darum, daß wir jetzt hier ständig aufrechnen, wie es einmal in der DDR war und wie es jetzt ist. Ich denke, was jetzt gefragt und jetzt an der Reihe ist, ist, daß wir uns in der Tat der Situation der Frauen annehmen. Sie wissen aus Leipzig sicher ganz genauso oder Frau Nolte aus dem Harz oder woher sie kommt, wie die Situation vor Ort ist.
({1})
- Aus Thüringen. Entschuldigung, ich habe Sie soeben verwechselt.
Ich brauche hier nicht noch einmal Zahlen aufzulisten. Ich möchte nur auf einzelne Punkte gesondert eingehen, vor allen Dingen auf folgenden Punkt: Hier wird immer davon geredet, daß die Frauen doch bitte schön zusehen sollten, daß sie an Heim und Herd wieder zurückfinden mögen, und wie gut das wäre.
Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich hier eine Arbeit tue, für diese Arbeit bezahlt werde und daß ich diese Arbeit gern tue. Ich gehe davon aus, daß dieses
Recht allen Frauen zusteht und daß es Frauen gibt, die sagen: Ich entscheide mich anders.
Aber wir als Verantwortliche in der Politik sind gefragt, mit dafür zu sorgen, daß Frauen und Männer wirklich gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten haben.
({2})
Es haben hier schon verschiedenste Vorrednerinnen festgestellt, daß dies im Moment in unserem Lande so nicht der Fall ist, daß Frauen nämlich nicht nur zwei Drittel der Arbeitslosen ausmachen, sondern daß Frauen auch an vielen anderen Stellen in unserem Land wirklich die Benachteiligten sind.
Ich möchte eine Zahl zu den vielen Zahlen, die hier schon genannt worden sind, hinzufügen; Frau Süssmuth hat sie genannt. Von den Sozialhilfeempfängern in ganz Deutschland sind 81 % weiblichen Geschlechts.
({3})
- 81 % der Sozialhilfeempfänger sind weiblichen Geschlechts.
({4})
- In ganz Deutschland.
Jetzt können wir uns, denke ich, leicht ausrechnen, was das für die neuen Bundesländer bedeutet. Ich gehe davon aus, daß wir uns über Parteigrenzen hinweg einig sind, daß wir nicht dafür Politik machen, daß mehr und mehr vor allen Dingen Frauen zu Sozialhilfeempfängerinnen in diesem Land werden.
({5})
Es geht vielmehr darum, politische Instrumente zu entwickeln, daß die Sozialhilfe wirklich wieder zu dem wird, wozu sie - das habe ich hier gelernt einmal entstanden ist und wozu sie gefordert und gefördert worden ist. Im Moment sieht es aber so aus, daß Frauen mehr und mehr in die Sozialhilfe abgedrängt werden.
Ich denke vor allen Dingen an die alleinerziehenden Frauen. Es ist eine Karriere nicht nur der Frauen, sondern vor allen Dingen auch der Kinder in der Sozialhilfe geradezu vorgezeichnet.
({6})
Wir sind die, die dafür politisch verantwortlich sind. Mit dieser Verantwortung möchte ich so umgehen, daß sie mich nicht noch weiter drückt.
Deshalb ist mein Appell an alle hier im Hause, vor allen Dingen an die Frauen, insbesondere an Frau Merkel und Frau Rönsch, die beide heute leider nicht da sind, daß wir uns hier im Bundestag solidarisieren, daß wir uns mit den Frauen im Lande solidarisieren und kämpfen. Wir müssen uns fragen: Was können wir tun? Was können wir mit einbringen? Denn wer außer uns hat solche Mittel und Möglichkeiten, daß politisches Denken und politische Ideen tatsächlich in politisches Handeln umgesetzt werden?
({7})
Ich habe hier an verschiedenen Stellen gehört, daß gute Ideen da sind. Wenn ich bestimmte Pressemitteilungen lese, dann denke ich immer: Gut und schön. Aber was folgt denn daraus?
({8})
Ich möchte gern, daß es damit aufhört, daß wir uns regierungspolitische oder parteipolitische Fehler leisten. Vielmehr sollten wir gemeinsam etwas für die Frauen tun. Damit tun wir nicht nur etwas für 53 % der Bevölkerung, sondern für die gesamte Bevölkerung.
Jetzt mache ich doch einen Rückgriff auf die Zeit der DDR und möchte noch etwas dazu sagen, welchen Wert Familie und Kinder dort hatten, Frau Pfeiffer. Bei einer Anhörung in unserem Ausschuß wurde von den Experten einhellig mitgeteilt, daß für Frauen und Männer in der DDR Familie und Kinder und auch die Ehe mit die höchsten Werte darstellten. Das war für mich insofern verblüffend, weil unter den Wirtschaftsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland diese Werte offenbar nicht so einhellig im Vordergrund stehen.
Ich frage dann schon: Bewirken wir mit unserer Politik, daß Familie, Kinder und damit auch die Frauen immer mehr diskreditiert werden? Ich möchte daran keinen Anteil haben. Vielmehr möchte ich über Parteigrenzen hinweg alles tun, daß Frauen, Familien und vor allen Dingen auch Kinder ein wirklich würdiges Leben in diesem Land führen können. Dazu gehören auch eine wirkliche Arbeitsfähigkeit und wirtschaftliche Möglichkeiten für Frauen.
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Nach 14 Rednerinnen in dieser Aktuellen Stunde kommt nun der erste Redner. Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Rother.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleiche Rechte für Männer und Frauen, wir haben sie im Deutschen Bundestag. Sie sehen, ich rede hier zu dem Problem der Frauen. Ich bin dankbar, in der heutigen Aktuellen Stunde etwas zur wirtschaftlichen Lage der Frauen in den jungen Bundesländern sagen zu können und auch zu der Behauptung, die Frauen seien die Verlierer der deutschen Einheit.
Die Rentnerinnen in den neuen Bundesländern sind die Gewinnerinnen der deutschen Einheit.
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Seit der Rentenangleichung zum 1. Juli 1990 sind die Versichertenrenten um fast 90 % gestiegen. Die Kaufkraft der Renten hat sich trotz der gestiegenen Lebenshaltungskosten im Vergleich zu 1989 bereits vor der letzten Rentenanpassung zum Jahresbeginn 1992 um 45 % erhöht. Zum 1. Januar 1992 wurden die Renten um 11,65 % erhöht. Eine weitere Rentenerhöhung tritt zum 1. Juli 1992 in raft. Sie wird netto
12,79 % betragen und damit die Kaufkraft der Rentnerinnen weiter verbessern.
Weil die Frauen in Ostdeutschland im Durchschnitt deutlich mehr Berufsjahre haben als die im Westen, sind deren Renten auch höher. Die durchschnittliche Versichertenrente von Frauen in Ostdeutschland beträgt nach der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1992 826 DM gegenüber 713 DM im Westen.
Für rund 700 000 Witwen hat sich die Witwenrente seit Januar 1992 um durchschnittlich 290 DM im Monat erhöht.
Diese Zahlen machen deutlich: Die Mär von der grassierenden Altersarmut der ostdeutschen Rentnerinnen ist absurd. Sie stellt die Realität auf den Kopf.
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Auch nicht erwerbstätige Mütter werden heute deutlich besser gestellt als zu DDR-Zeiten. Jetzt erhalten alle Mütter Erziehungsgeld, gleichgültig, ob sie vorher erwerbstätig waren oder nicht.
Unbestritten ist, daß die Frauen in den neuen Bundesländern vom Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft besonders betroffen sind. Sie, meine Damen und Herren, kennen die Situation: Der Anteil der Frauen an der Zahl der Arbeitslosen liegt seit einigen Monaten über 60 %. Einmal arbeitslos geworden, haben es die Frauen ungleich schwerer, wieder eine Arbeit zu bekommen.
Ich kann die bitteren Gefühle jeder einzelnen Frau gut verstehen, wenn sie nach langjähriger Tätigkeit in einem Betrieb nicht mehr gebraucht wird oder wenn in Familien plötzlich beide Ehepartner ohne Arbeit sind, womöglich auch noch der Sohn oder die Tochter. Gerade dann macht sich das Gefühl der Resignation breit.
Deshalb müssen die Frauen in starkem Maße vom massiven Einsatz unserer arbeitsmarktpolitischen Instrumente profitieren. Die Arbeitsämter bemühen sich um eine Erweiterung des Maßnahmespektrums und um Frauenbeschäftigung auch in nicht typischen Frauenberufen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollen deshalb besonders im Bereich der sozialen Dienste genutzt werden. Wir brauchen AB-Maßnahmen insbesondere für Frauen
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ab dem 45. Lebensjahr.
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Ich glaube, das ist ein Irrtum. - Zur Verbesserung des Frauenanteils bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird auch die Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit beitragen, bei Maßnahmen mit überwiegendem Frauenanteil weiterhin einen Zuschuß zu den Lohnkosten bis zu 100 % zu gewährleisten.
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Es gibt allerdings eine Personengruppe, deren materielle Lage vollkommen unzureichend ist. Das sind die Menschen, die in Pflegeheimen leben. Die
entstehenden Pflegekosten übersteigen selbst die höchsten Renten. Aber dies ist kein Problem der Rentenversicherung, es ist auch kein Ausdruck von Altersarmut. Es ist ein Problem, das dringend im Rahmen einer eigenständigen Pflegeversicherung gelöst werden muß.
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Ich bin davon überzeugt, daß dies auch gelingen wird.
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Aus diesen Darstellungen ergibt sich folgendes Gesamtbild: Es gibt keine generelle Frauenarmut in den neuen Bundesländern. Davor bewahrt die Rentnerinnen auch der Sozialzuschlag zur Rente, der bei unzureichendem Einkommen gewährt wird. Er wird übrigens zum 1. Juli 1992 weiter erhöht, von 600 DM für Alleinstehende auf 658 DM, für Verheiratete von 960 DM auf 1 054 DM.
Wenn Frauen in eine materielle Notlage kommen, dann sind dies in der Regel Einzelschicksale, die von der Sozialhilfe aufgefangen werden können und müssen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sofort, Herr Präsident. - Die Frauen in den neuen Ländern sind überdurchschnittlich von der Arbeitslosigkeit betroffen. Die aktive Arbeitsmarktpolitik -
Herr Kollege, nach diesem Hinweis gibt es nur noch einen Satz.
Wir sind noch nicht über den Berg, wir sind aber, so denke ich, auf dem richtigen Weg. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, diesen erfolgreichen Weg weiterzugehen!
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Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Cornelia Yzer das Wort.
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- Eine Sekunde, Frau Parlamentarische Staatssekretärin! - Ich muß dem Kollegen Büttner sagen: Wenn Ihr Rede- und Zwischenrufbedürfnis so groß ist, dann wenden Sie sich doch einmal an die eigene Fraktion. Vielleicht werden Sie auch einmal auf die Rednerliste gesetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat natürlich gezeigt, daß wir in einer sehr schwierigen Zeit des Übergangs leben. Die Debatte hat aber auch bewiesen, daß einige die Ursachen hierfür nicht mehr wahrhaben wollen. Dabei mull man sich immer die Vergangenheit vergegenwärtigen, wenn man Zukunft bewältigen will.
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Pari. Staatssekretärin Cornelia Yzer
Es war der Sozialismus, der uns das schlimme Erbe hinterlassen hat, an dem heute Frauen am schwersten zu tragen haben.
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Der Bund, die Länder und die Gemeinden unternehmen große Anstrengungen, um den Übergang zur Sozialen Marktwirtschaft so erträglich wie möglich zu gestalten. Dennoch ist es nicht leicht. Ich weiß, daß es gerade für die einzelne Frau, die von Arbeitslosigkeit betroffen ist, schwer ist, anzuerkennen, daß ihr Betrieb schließt und sie in ihrer bisherigen Position nicht mehr gebraucht werden wird. Aber es gibt keine Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft. Wer nichtmarktkonforme Lösungen anpreist, wie dies zum Teil hier heute geschehen ist,
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der versucht zu verschleiern, daß es gerade die nichtmarktwirtschaftlichen Instrumente waren, die die Menschen in den neuen Bundesländern in ihre wirtschaftliche Bedrängnis gebracht haben.
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Es steht außer Frage: Die Situation vieler Frauen in den neuen Bundesländern ist außerordentlich schwierig. Der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit beträgt 62,9 %. Von den ehemaligen landwirtschaftlichen Arbeitnehmerinnen finden sogar nur noch zwischen 10 und 25 % weiterhin in landwirtschaftlichen Betrieben Arbeit. Wir dürfen auch nicht hinnehmen, daß der Anteil der Frauen an der Arbeitslosenquote doppelt so hoch ist wie der der Männer.
Gleichzeitig zeigen sich Probleme, die uns aus Westdeutschland bekannt sind: Zu wenig Teilzeitarbeitsplätze stehen zur Verfügung, und der Anteil von Frauen auf der Leitungsebene von Verwaltung und Unternehmen ist viel zu gering.
Aber - auch das möchte ich deutlich betonen wer nur eine Negativliste aufstellt, verzerrt die Realität.
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Ich halte es für erfreulich, daß die Eintritte von Frauen in Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung mit 60,8 % sehr hoch sind. Über 500 000 Frauen nahmen 1991 an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen teil. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind es über 200 000 Frauen, die neu in solche Maßnahmen eingetreten sind. Das ist ein Zeichen, daß Frauen bereit sind, die Chancen intensiv zu nutzen, die ihnen hier geboten werden. Die Frauen in den neuen Ländern haben den Mut, sich den Umstrukturierungen zu stellen. Sie bringen dazu auch gute Voraussetzungen mit. 90 % haben eine Berufsausbildung.
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Der Bedarf an Facharbeitern und Fachkräften in den neuen Bundesländern steigt. Wir haben eine Vielzahl von Frauen, die sogar über zwei Facharbeiterabschlüsse verfügen. Im stark expandierenden Dienstleistungssektor bieten sich für Frauen gute Beschäftigungsmöglichkeiten. Und auch das ist wichtig: Immer
mehr Frauen finden den Weg in die Selbständigkeit. Über 40 % der Selbständigen in den neuen Bundesländern sind Frauen. Nebenbei bemerkt: Im Westen macht ihr Anteil bei den Selbständigen nur ein Drittel aus.
Frauen werden von den Vorteilen, die die Soziale Marktwirtschaft bietet, profitieren. Rentnerinnen profitieren schon heute davon. Ich halte nichts davon, Tatsachen zu zerreden. Die Rentenhöhe ist seit der Währungsunion im Durchschnitt fast verdoppelt worden. 150 000 Witwen erhalten erstmals eine Rente in Höhe von 60 % der Rente ihrer Männer.
Auch das ist noch einmal zu betonen: Junge Frauen in den neuen Ländern können erstmals wählen, ob sie sich, vielleicht nur für eine Übergangszeit, ausschließlich der Familie widmen wollen. Wir haben den Erziehungsurlaub auf drei Jahre verlängert und das Erziehungsgeld ab 1993 auf zwei Jahre. Die Frauen können im übrigen mit ihrem Partner vereinbaren, daß er die Möglichkeit, sich ausschließlich der Familie zu widmen, wahrnimmt. Das zeigt, daß Frauen in den neuen Bundesländern freier leben können als in der Vergangenheit. Sie haben endlich die Wahlfreiheit, die wir jeder Frau zubilligen wollen.
Die Bewältigung der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist eine soziale Herausforderung ersten Ranges. Unsere Gesellschaft muß sich dieser Aufgabe mit aller Kraft stellen. Ich bin sicher, daß sie diese Aufgabe bewältigen wird, wenn wir wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, die das ermöglichen. Dabei müssen wir aber darauf achten, daß der Arbeitsmarkt in der Übergangsphase nicht zu Lasten von Frauen ins Gleichgewicht gebracht wird. In der Übergangsphase, in der der Aufschwung noch nicht „volle Fahrt" erlangt hat und sich noch nicht selbst trägt, müssen zunehmend allgemeine Fördermaßnahmen mit frauenspezifischen Aspekten gekoppelt werden.
Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung sollten in Arbeitsamtsbezirken mit einem besonders hohen Anteil von arbeitslosen Frauen mit Anreizen gekoppelt werden, qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze für Frauen zur Verfügung zu stellen.
Wir brauchen besondere Anstrengungen, um Beschäftigungsinitiativen für Frauen im ländlichen Raum zu entwickeln. AB-Maßnahmen, an denen Frauen inzwischen zu rund 40 % teilhaben, können in der Übergangsphase hilfreich sein. Wir müssen aber auch betonen: Sie dürfen nicht zu Lasten von Dauerarbeitsplätzen gehen.
Wir müssen die Bereitschaft zur Selbständigkeit von Frauen weiter fördern und mit Beratungsangeboten unterstützen. Bisher konnten mit Hilfe der Bundesregierung und aus ERP-Mitteln 115 000 Existenzgründungen ermöglicht werden. Dadurch wurde ein Investitionsvolumen von 42 Milliarden DM in den neuen Bundesländern freigesetzt.
Aber nicht nur Staat und Politiker sind hier gefordert. Die Tarifparteien sind in gleicher Weise gefragt. Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen in Zukunft ihre Verantwortung gegenüber Frauen ernster nehmen. Das gilt nicht nur bei Betriebsschließungen und -neugründungen, sondern gerade auch bei der Aus7676
Pari. Staatssekretärin Cornelia Yzer
gestaltung der Arbeitsverhältnisse und für die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen.
Es geht jetzt darum, daß die Frauen in den neuen Bundesländern eine gute Zukunftsperspektive sehen. Wir wissen alle: In einer Wirtschaft, in der die Kräfte des Marktes das Regulativ bilden, ist eine Stimmungslage oftmals wichtiger als mancher gesetzliche Rahmen. Deshalb dürfen wir hier nichts zerreden: wir müssen Frauen einen Motivationsschub geben. Dabei sind wir alle gefordert, der Staat ebenso wie die Unternehmen und die Verbände.
Wir wollen, daß die Interessen der Frauen auch in einem schwierigen Umstrukturierungsprozeß gewahrt werden.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
VN-Menschenrechtskonferenz in Berlin 1993 - Drucksache 12/2365 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({0}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Ältestenrat ist für die Ausprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Vera Wollenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Jeder blamiert sich, so gut er kann" scheint das Motto der Regierungskoalition für den Rest der Legislaturperiode geworden zu sein. In einer Zeit, wo der Hund einer unbekannten Justizministerin mehr von sich reden macht als die Inhaberin eines Schlüsselressorts der Regierung, ist die Staatskunst auf den Hund gekommen. Die Blamage der Absage der Menschenrechtskonferenz 1993 in Berlin ist ein weiteres Beispiel für die Instinktlosigkeit und die Politikunfähigkeit unserer Regierung.
Die Bewerbung Wiens war ein kluger politischer Schritt, mit dem Österreich uns vorgemacht hat, wie man, jahrelang stigmatisiert durch die Präsidentschaft einer äußerst zweifelhaften Persönlichkeit, auf dem Gebiet aktiver Menschenrechtspolitik Glaubwürdigkeit zurückgewinnt, alle Chancen nutzt, die mit der Ausrichtung dieser seit 25 Jahren ersten Menschenrechtskonferenz der UNO verbunden sind.
Ist der Flurschaden für die deutsche Menschenrechtspolitik, den die für alle Betroffenen im In- und Ausland unverständliche Entscheidung des Außenministers verursacht hat, damit aus der Welt? Keineswegs; denn die Beliebigkeit, mit der die überraschende Absage seinerzeit mit an den Haaren herbeigezogenen Kosten-Argumenten zurechtgebogen wurde, hat dem offiziell beschworenen Eintreten der
Deutschen für die Menschenrechte langfristig den Boden entzogen und vor allem im Ausland mehr als nur das schale Gefühl hinterlassen, daß sich deutsche Menschenrechtspolitik, wenn es darauf ankommt, eben doch auf leere Beschwörungsformeln beschränkt.
Auch wenn der zweite Punkt unseres Antrags, mit dem die Bundesregierung zur Wiederbewerbung um die Menschenrechtskonferenz in Berlin aufgefordert werden sollte, inzwischen obsolet geworden ist, halten wir nach wie vor die im ersten Teil vorgeschlagenen Feststellungen des Bundestages zum Verhalten der Bundesregierung in dieser Frage und zum Stellenwert des Konferenzortes Berlin für aktuell und konsensfähig über alle Parteigrenzen hinweg. Das ist vor allem das erschreckende Faktum, daß die Bundesregierung es bis heute nicht für nötig gehalten hat, ihre plötzliche Absage politisch nachvollziehbar zu begründen.
Daran ändern auch die vom Auswärtigen Amt nachgeschobenen Kostenargumente nichts. Im Gegenteil, die Kostenplanungen für die angeblich erforderlichen Notbauten um Kongreßhalle und Reichstag herum, die in der Kostenschätzung des Auswärtigen Amtes mit 40 Millionen DM zu Buche schlagen, werden gänzlich unglaubwürdig, wenn man dieser Planung die Möglichkeiten des Berliner ICC und des direkt angrenzenden Ausstellungsgeländes am Funkturm gegenüberstellt.
Will man uns denn für dumm verkaufen und ernsthaft behaupten, die Kapazitäten der Wiener City seien umfassender und vor allem billiger zu nutzen als die des ICC, eines der größten und modernsten Konferenzzentren in Europa? Will man uns wirklich weismachen, ein privat angemieteter Pkw koste 1 000 DM am Tag, der zusätzliche Fuhrpark damit 5 Millionen? Hier sind die Kosten wohl nachträglich nach oben manipuliert worden, um das eigene politische Versagen zu beschönigen.
Schon jetzt sind wir überzeugt, daß die nächste Blamage für die Bundesregierung mit Sicherheit ins Haus steht, nämlich dann, wenn uns die Österreicher vorrechnen werden, wie man als kleines Land eine Konferenz von dieser Wichtigkeit und Dimension erfolgreich finanziert und organisiert. Trübe Aussichten für Bonn, aber auch für die Hauptstadt Berlin als den künftigen Standort internationaler Behörden und Organisationen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn Wien eine gute Alternative zu Berlin ist, die viele der politischen Kriterien erfüllt, die auch für Berlin gegolten hätten, bleibt das Problem der Glaubwürdigkeit der deutschen Menschenrechtspolitik bestehen.
So sehr wir uns gefreut haben, von Abgeordneten aller Fraktionen Zustimmung zu unserem Antrag und Unterstützung signalisiert bekommen zu haben, so wenig können wir nachvollziehen, daß uns jetzt dieselben Kolleginnen und Kollegen drängen, den Antrag zurückzuziehen, und, Wien 1993 im Auge, zur Tagesordnung überzugehen gedenken.
Aber um unseren Kollegen von der Regierungskoalition zu ersparen, eine unentschuldbare Fehlentscheidung verteidigen zu müssen, und unseren KolleVera Wollenberger
gen von der SPD eine ebenso peinliche Stimmenthaltung zu ersparen, haben wir uns entschlossen, unseren Antrag zurückzuziehen.
Danke.
Als nächster hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort, wiewohl sich jetzt natürlich die Frage aufdrängt, ob die Diskussion weitergeführt werden muß.
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- Das ist ja in Ordnung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat eine etwas merkwürdige Situation, wenn man einen Antrag, den man zurückzieht, vorher begründet und damit eine Debatte zwar eröffnet, aber gleichzeitig den anderen die Möglichkeit nehmen will, darauf zu entgegnen. Ich hätte geglaubt, daß die Sitzung in Berlin einen würdigeren Abschluß als ein solches Theaterbeispiel bekommt.
Was an dem Antrag gut ist und was Sie etwas hätten ausführen können, Frau Kollegin, ist die umfangreiche und vorbehaltlose Würdigung der erfolgreichen Menschenrechtspolitik aller Bundesregierungen, die Sie hier leider mit keinem Wort erwähnt haben.
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Dieser Würdigung ist in der Tat nichts hinzuzufügen. Denn es gehört zu den elementarsten Entwicklungen der Völkerrechtsgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, daß gerade in der Menschenrechtspolitik aus relativ unverbindlichen Formeln, Grundsätzen, moralisierenden Normen Rechtssätze, handlungsfähige organisierte Einheiten mit Durchsetzungsmöglichkeit geworden sind.
Das ist etwas, woran wir auch in diesem Haus gemeinsam weiterarbeiten sollten.
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist etwas entstanden, was Kant in seiner berühmten Schrift „Über die Idee einer Geschichte der Menschheit" in der ebenso berühmten „Berlinischen Monatsschrift" 1789 veröffentlicht hat, nämlich daß die Menschheit durch die Verrechtlichung des Zusammenlebens auch der Völker und Staaten aus dem Zustand der Wilden heraustreten und sich zu einer Rechtsgemeinschaft organisieren sollte. Das Entscheidende ist - das wurde vor 200 Jahren gesagt -, daß das Souveränitätsdenken der Staaten nicht mehr auf Dauer die Menschenrechte des einzelnen überwuchern kann.
Das ist die entscheidende Entwicklung in den letzten 50 Jahren gewesen, die Sie in Ihrem Antrag erwähnen und würdigen. Denn das ist nicht von allein entstanden. Es ist im Grunde genommen relativ nebensächlich, ob eine Veranstaltung 1993 in Berlin oder anderswo stattfinden soll. Warum die Entscheidung so getroffen worden ist, darauf will ich gar nicht mehr eingehen. Das ist nämlich alles schon im Deutschen Bundestag in einer Aktuellen Stunde behandelt worden. Ich sehe weder aus Ihrer Begründung noch aus Ihrem Vortrag hier, daß sich an dem, was damals gesagt und vorgetragen worden ist, irgend etwas
verändert hätte. Es gehört auch, meine ich, zum Selbstverständnis eines Parlaments, daß man nicht versucht, Debatten immer wieder zu wiederholen, ohne daß sich etwas Neues dazu ergeben hat.
Wichtig ist für uns gemeinsam politisch eigentlich nur eines, nämlich daß aus der Absage der Veranstaltung in Berlin nicht etwa geschlossen werden kann, die politische Bedeutung der Menschenrechtspolitik für die Bundesregierung oder für die Bundesrepublik hätte sich verändert; und wichtig ist nur, daß national und international kein Zweifel daran möglich ist, daß wir diese Menschenrechtspolitik unverändert fortsetzen werden. Das auszusprechen wäre ein Sinn einer solchen Debatte.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Kollege Rudolf Bindig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nochmals haben wir Anlaß, uns mit der Fehlentscheidung der Bundesregierung vom Februar dieses Jahres zu befassen, die für Berlin vorgesehene UN-Menschenrechtskonferenz 1993 plötzlich abzusagen.
Erinnern wir uns an den Vorgang: Im Mai vorigen Jahres hat Außenminister Genscher dem UN-Generalsekretär Berlin als Tagungsort der für 1993 geplanten zweiten großen, weltweiten Menschenrechtskonferenz vorgeschlagen. In der Tat wäre Berlin ein idealer Konferenzort für eine solche Menschenrechtskonferenz gewesen. Berlin ist ein Symbol des Endes des Totalitarismus faschistischer wie kommunistischer Prägung. Hier, entlang des Reichstages, verlief die Mauer, die mehr als 250 Opfer gefordert hat. Die Kreuze für die Ermordeten mahnen uns, die brutale Gewalt nicht zu vergessen, die hier an Menschen ausgeübt wurde, die sich nach Freiheit sehnten. Nun, wo die Freiheit und die Geltung der Menschenrechte in ganz Deutschland hergestellt worden sind, hätten wir die Symbolkraft dieses Ortes, dieser Stadt einsetzen können, um weltweit Bilanz über die Lage der Menschenrechte zu ziehen und neue Perspektiven für die weitere Verbreitung und Durchsetzung der Menschenrechte zu entwickeln.
So haben es auch die anderen Mitgliedsländer der UN gesehen, und nach intensiven Bemühungen der deutschen Diplomatie hat die Generalversammlung dem Tagungsort Berlin zugestimmt. Damals erklärte Außenminister Genscher, Deutschland und Berlin seien sich der Verantwortung und auch der Ehre, die mit der Übertragung der Gastgeberrolle verbunden sind, bewußt. Mit dem gefaßten Beschluß zur Ausrichtung in der Bundeshauptstadt würden die Vereinten Nationen die aktive Rolle würdigen, die Deutschland international und im Rahmen der Vereinten Nationen für die weltweite Anerkennung der Menschenrechte spielt. Die Wahl Berlins als Konferenzort sei zugleich ein Zeichen des Vertrauens und der Anerkennung gegenüber dieser Stadt, die wie kaum ein anderer Platz in der Welt mit dem Fortschritt der Menschenrechte in den letzten Jahren verbunden sei. - Recht so!
Um so peinlicher war die plötzliche Absage der Konferenz. Sie war ein Affront gegen die UNO. Die Regierung hat eine große Chance auf kleinlich-peinliche Weise verspielt. Die aufmerksamen Beobachter dieser Negativleistung haben denn auch einhellig festgestellt, daß die Prügel, die Genscher und die Bundesregierung im Bundestag für diese Fehlentscheidung bereits erhalten haben, zu Recht verteilt wurden.
Peinlich auch die uns hier als sogenannte Begründung vorgelegte dubiose Rechnung, wonach für die ca. 15 000 Besucher angeblich ca. 100 Millionen DM Kosten aufzubringen gewesen wären. Jetzt hat sich nach dem Absagedebakel Wien um die Durchführung der UN-Menschenrechtskonferenz beworben, wo die Kosten auf ca. 80 Millionen österreichische Schilling - das sind fast 11 Millionen DM - veranschlagt werden. Das ist, grob gerechnet, der neunte Teil des Betrages, den man uns weismachen wollte.
Nun, die Peinlichkeit ist geschehen; sie ist nicht revidierbar. Jetzt ist es zu spät, Berlin nochmals formal ins Gespräch zu bringen. Wichtig ist uns, daß sich die Bundesregierung nun um so intensiver um die inhaltliche Vorbereitung der Konferenz bemüht. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in Absprache mit den anderen europäischen Ländern - auf der Konferenz in Wien einen operativen Vorschlag zur Neuordnung des internationalen menschenrechtlichen Instrumentariums vorlegt mit der Zielsetzung, den geltenden Verträgen und Abkommen und vor allem den Kommissionen und Ausschüssen mehr Rechte und Durchsetzungskraft zu verleihen. Es geht um den UN-Menschenrechtshochkommissar, um den UN-Menschenrechtsgerichtshof, um den internationalen Strafgerichtshof und das Voranbringen der Arbeit an einem internationalen Verbrechenskodex für Straftaten gegen die Menschheit. Hier soll und muß die Bundesregierung zur Vorbereitung dieser wichtigen Konferenz initiativ werden.
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Herr Abgeordneter Heribert Scharrenbroich, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollegin Wollenberger, die letzten Reden halten mich davon ab, auf Ihren Anfangssatz einzugehen: Jeder blamiert sich, so gut er kann. Ich finde es vielmehr erfreulich, daß wir jetzt doch die Debatte nutzen, um über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und dieses Parlaments zu sprechen.
Es ist selbstverständlich, daß es auch für die Bundesregierung - das hat Frau Staatsministerin SeilerAlbring in der Aktuellen Stunde auch schon deutlich gemacht - natürlich sehr ärgerlich ist, daß der Standort Berlin nicht gehalten werden konnte. Herr Kollege Bindig, Sie haben richtig begründet, warum es wichtig, interessant und wertvoll gewesen wäre, aber das wird natürlich der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung und des Parlaments überhaupt keinen Abbruch tun. Ich glaube auch, daß die Zahlenvergleiche, die jetzt gemacht werden, überhaupt nicht haltbar sind. Natürlich verfügt Wien als VN-Stadt über ganz andere Einrichtungen und kann diese Konferenz zu ganz anderen Bedingungen durchführen.
Ich meine vielmehr, darauf hinweisen zu sollen, daß der Antrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Gegensatz zu der Rede von Kollegin Wollenberger eigentlich den Geist der Menschenrechtspolitik, wie wir sie sowohl im Unterausschuß als auch im Parlament hier pflegen, sehr gut wiedergibt, wie Kollege Hirsch bereits sagte. Ich möchte noch einmal zitieren, wie es in dem Antrag steht. Dort wird nämlich festgestellt: Im Verbund mit ihren Partnern ist es den wechselnden Bundesregierungen gelungen, ein international glaubwürdiges und konsequentes Bild deutscher Menschenrechtspolitik zu zeichnen und während der vergangenen 20 Jahre die Instrumente und Standards des internationalen Menschenrechtsschutzes über die beiden Menschenrechtspakte hinaus mit Beharrlichkeit und Überzeugung weiterzuentwickeln.
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Ich bedaure es fast, daß Sie die weitere Beratung dieses Antrags jetzt nicht mehr ermöglichen, denn ich glaube, er war sehr gut. Aber wir haben ja noch andere Möglichkeiten, unsere Politik konstruktiv weiter zu entwickeln. Daß wir dies tun, möchte ich daran belegen, daß es der deutschen Delegation bei der Interparlamentarischen Union gelungen ist, in die Entschließung der Interparlamentarischen Union die Wünsche einzubringen - dies also nicht nur von den Regierungen, sondern auch von den Parlamentariern -, die sich auf einen Hochkommissar für Menschenrechte und einen Internationalen Menschenrechtsgerichtshof richten.
Ich darf die Debatte auch nutzen, um von hier aus mitzuteilen, daß es sich wirklich lohnt, sich für die Menschenrechte zu engagieren, daß dies nicht verhallt und keine papierene Erklärung ist. Heute hatte ich die Freude, mit dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten von Peru, Vargas Llosa, zu sprechen. Er sagte mir, daß die Entschließung des Deutschen Bundestages zu Peru in Lateinamerika eine beachtliche Resonanz gefunden hat und daß er von Peru aus um Interviews zu dieser Entschließung des Deutschen Bundestages gebeten worden ist.
Ich kann uns nur ermuntern, mit unserer Politik weiter fortzufahren und immer wieder den Konsens zu suchen, wie er erfreulicherweise im Unterausschuß Menschenrechte sehr gepflegt wird. Wir werden allerdings auch Wert darauf legen - das haben wir der Bundesregierung im Unterausschuß mehrfach gesagt -, daß wir intensiv an der Vorbereitung dieser Menschenrechtskonferenz beteiligt werden. Mit der Tatsache, daß diese jetzt in Wien stattfindet, ist überhaupt kein Hindernis gegeben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Staatsminister Helmut Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde kann ich nur sagen: Ich bin froh, daß Frau Wollenberger erkannt hat, daß ihr Antrag nicht mehr aktuell war. Man hätte uns das schon etwas früher sagen können. Wir hätten uns dann diese Debatte zu dieser Stunde gespart, um, vielleicht bei vollerem Haus, zu Fragen der Menschenrechte sachlich Stellung nehmen zu können, statt nachzukarten über ein Ereignis, das wir längst bedauert haben. Es geht um die Absage einer Konferenz, um die wir uns sehr bemüht hatten. Aber Ihre Verschwörungstheorie, die Sie aufgetischt haben, wir hätten vermeiden wollen, hier eine Menschenrechtskonferenz durchzuführen, ist nun wirklich kaum mehr überbietbar. Warum hätten wir uns denn sonst darum bemüht, sie hierher zu bekommen?
Aber wir haben Folgen des Zusammenwachsens dieser Stadt zu bedenken gehabt. Die Unkosten, die Ihnen schon im Februar von meiner Kollegin in der Aktuellen Stunde genannt wurden, waren sehr beträchtlich. Auch Ihre Lösung, die Sie jetzt servieren - mit dem Internationalen Kongreßzentrum in Berlin - war nicht machbar. Ich will das jetzt nicht mehr im einzelnen darstellen. Es ist ausdrücklich gesagt worden: Die Unkosten hätten nach unseren Berechnungen 90 Millionen DM betragen.
Es ist völlig richtig, daß Wien - darauf hat Herr Scharrenbroich hingewiesen -, ein sehr angesehener und für viele Konferenzen der UN bereits erprobter Standort, den Zuschlag bekam; es hat vor allem die Einrichtungen, die in Berlin provisorisch hätten geschaffen werden müssen, und zwar ohne Nutzen für die Infrastruktur Berlins. Insofern liegen die Unkosten, die immer noch erheblich sind, weit unter denen in Berlin, ganz zu schweigen vom Bundeshaushalt, von dem wir alle wissen, daß er große Ausgaben leider nicht mehr verkraftet.
Ich bedaure das. Ich selbst hätte die Konferenz sehr gerne hier in Berlin gesehen und kann nur unterstreichen, was bereits gesagt worden ist. Lassen Sie uns jetzt auf die Vorbereitung der Konferenz konzentrieren; lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, was wir auf dieser Konferenz an durchsetzbaren und vertretbaren Standpunkten präsentieren sollten!
Sie wissen, daß es nicht immer gut ist, wenn man die Menschenrechte stets nur in der Dritten Welt einklagt. Die Ereignisse in Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien, Ereignisse in Republiken der ehemaligen Sowjetunion und andere Vorkommnisse, geben uns zu denken. Bei der Menschenrechtsdiskussion sollten wir Europäer nicht auf einem hohen Roß sitzen.
Wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, daß es gerade Länder der Dritten Welt sind, die unsere gelegentlich rigiden Vorstellungen zu Menschenrechten anders sehen und uns Kulturexport vorwerfen, uns vorwerfen, daß ihnen fremde Philosophien, fremde Ethiken sozusagen aufoktroyiert werden sollen. Das ist ein Vorwurf, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Insofern bin ich froh, daß das gerade bei dieser Menschenrechtskonferenz in Wien ein wichtiges Thema sein wird: Der Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der Entwicklung ist eine ganz wichtige Frage dort.
Herr Kollege Bindig, wir werden über die Forderung, die Sie aufgestellt haben, sprechen müssen. Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß die Bundesregierung mit einer ganz klaren Konzeption in diese Konferenz hineingeht. Wir haben uns inzwischen bemüht, Teilnehmer aus Staaten, die am wenigsten entwickelt sind - least developed countries - auch durch einen freiwilligen Fonds der Bundesregierung zu unterstützen, damit sie die Reise nach Wien bezahlen können. Es ist eine sechsstellige Summe, die sie in die Lage versetzen soll, an der Vorbereitung und der Durchführung dieser Konferenz teilzunehmen.
Ich darf noch einmal ausdrücklich betonen, daß sich der Konferenzort zwar bedauerlicherweise geändert hat, daß wir in Wien aber mit der gleichen Entschiedenheit, wie wir das in Berlin getan hätten, für Fortschritte in dieser so entscheidenden Frage eintreten. Sie können sicher sein, daß uns die Opposition zumindest in dieser Angelegenheit keine Vorwürfe machen wird.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ihren Antrag auf Drucksache 12/2365 zurückgezogen. Damit entfällt auch die in der Tagesordnung vorgeschlagene Überweisung.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/ Linke Liste
Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes
- Drucksache 12/2567 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer FünfMinuten-Runde vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Petra Bläss.
Meine Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr fand die erste von drei Anhörungen zum Rentenüberleitungsgesetz im Bundestag statt. Trotz massiven Protests von Sachverständigen und Verbänden wurde am 21. Juni letzten Jahres das Rentenüberleitungsgesetz durch den Bundestag gepeitscht; ich sage bewußt „gepeitscht", weil es viele überlegenswerte Vorschläge gab, die mit dem Vorschaltgesetz der SPD bzw. unserem Antrag auf Verschiebung der Überführung um ein Jahr hätten diskutiert und verarbeitet werden können. Damit alles noch als letzter Akt vor der Sommerpause über die Bühne gehen konnte,
wurde nur ein entschärfender Kompromiß verabschiedet.
Protest und Widerstand waren damit vorprogrammiert, und er ist ausgebrochen, und er schwillt an, seit die Rentnerinnen und Rentner der östlichen Bundesländer im Winter ihre Rentenbescheide erhielten.
Heute, am 20. Mai 1992, war der traditionsreiche Alexanderplatz der Ort zur Äußerung des Unmuts Tausender, die sich mit dem Wegfall von sozialen und anderen Zuschlägen, Auffüllbeträgen, Pfennigerhöhungen, mit dem politisch motivierten Einfrieren oder Kürzen von Rentenleistungen um die verdienten Früchte ihrer jahrzehntelangen Arbeit gebracht sehen.
Ich füge an dieser Stelle hinzu: Ich habe auf dem Alexanderplatz heute eine unheimlich große Erwartung auf die heutige Debatte erfahren, und ich denke, wenn die Protestierenden vom Alexanderplatz den leeren Saal hier sehen würden, wären sie noch enttäuschter, als sie es eh schon sind.
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Es ist beschämend wie die sich als Sozialstaat brüstende Bundesrepublik die Rentnerinnen und Rentner der ehemaligen DDR behandelt.
Wir übersehen nicht die Schwierigkeiten bei der Herstellung der Rechtseinheit bei Renten. Wie wenig aber selbst Bundesminister Blüm von der eigentlichen Logik des DDR-Rentenrechts begreifen will, zeigten seine Ausführungen bei der von unserer Abgeordnetengruppe beantragten Aktuelle Stunde im Januar. Wir meinen, Gegenläufigkeit der politischen Systeme darf nicht auf dem Rücken der Existenz von älteren und behinderten Bürgerinnen und Bürgern ausgetragen werden.
Daß es um die bloße Existenz im wahrsten Sinne des Wortes geht, liegt in der eingleisigen Vorsorge in der DDR begründet. Dort war die Rente die grundlegende und für viele die einzige Versorgungsform fürs Alter, während sich in der Bundesrepublik drei Säulen ergänzen. Derartiges läßt sich aber von den älteren Bürgerinnen und Bürgern der östlichen Bundesländer nicht nachholen.
Wir übersehen aber zugleich nicht, daß auch das bundesdeutsche Recht grundlegender Veränderungen bedarf. Erinnert sei nur an solche unsozialen, untragbaren Wirkungen wie die weibliche Altersarmut und die jüngste, nicht einmal den Inflationsausgleich bringende Erhöhung der Westrenten um nur 2,7 %.
Den Rentnerinnen und Rentnern der ostdeutschen Länder wurde der tatsächliche Wert des bundesdeutschen Rentenrechts erst so richtig bewußt, als sie ihre sogenannte anpassungsfähige Rente in den Bescheiden entdeckten, die für 83 % niedriger ist als die nach DDR-Recht gezahlte.
Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Ost und West fordern wir deshalb die Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes. Es ist ein humanes Rentenrecht für soziale Gerechtigkeit bei sozialer Sicherheit zu finden, und es sind die grundlegenden Konstruktionsfehler beim Rentenüberleitungsgesetz zu beseitigen.
Lassen Sie mich hier einfügen: Uns ist schon bewußt, daß unser Antrag an den Entschließungsantrag vor einem Jahr bei Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes anknüpft. Er tut das ganz bewußt.
Die Konstruktionsfehler des Rentenüberleitungsgesetzes sind wirklich zu beseitigen, nicht nur weiter zu entschärfen, wie sich das in jüngsten Reformüberlegungen andeutet. Ist die Erweiterung des Ausnahmekatalogs etwa eine förderliche Reaktion auf die solidarischen Aktionen der verschiedensten Rentnerinnen- und Rentnergruppen, denen es um eine prinzipielle Korrektur geht?
Eine Herausnahme weiterer Gruppen von Leitenden aus der Begrenzung setzt weiter voll darauf, daß das Schubkastendenken vertieft wird. Als Effekt für den Vorschlag, nach der 1,4-Entgeltregelung als leitend Eingestufte nicht auf 1,0 zu reduzieren, sondern bei 1,4 zu belassen, kann ich mir nur vorstellen, daß es damit die Betroffenen bei der Verfassungsbeschwerde, die sie anstreben, schwerer haben werden. Also auch hier keine tatsächliche Lösung.
Wir unterstützen deshalb den Appell der über 20 Verbände und Vereine an den Bundestag, den diese selbst heute auf dem Alex, also faktisch vor unserer Haustür hier in Berlin, mit ihren Füßen bekräftigten. Die fachliche Kompetenz der Betroffenenverbände sollten wir unbedingt nutzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam gesetzgeberisch tätig werden! Schieben Sie nicht die zum Teil hochbetagten Bürgerinnen und Bürger auf die lange Bank des Rechtsweges von Widerspruch und Klage! Überfordern Sie nicht das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidungen, die hier im Bundestag getroffen werden müssen! Oder - das muß man leider fragen - kalkulieren Sie makaber die biologische Lösung ein? Denn monatlich sterben 15 000, jährlich also 180 000, der von diesem Gesetz „beglückten" - ich sage das „beglückten" bewußt in Anführungsstrichen - Rentnerinnen und Rentner. Soll das eine neue Spielart von Finanzsanierung auf dem Rücken Wehrloser sein, -
Frau Kollegin, Sie sind schon wieder ein Stück über die Zeit!
Dann haben Sie sich verrechnet. - Ich bin sofort fertig.
Ich bin überzeugt, daß Protest und Widerstand nicht nachlassen werden. Gestehen wir gemeinsam hier im Bundestag Fehler ein! Korrigieren wir das Rentenüberleitungsgesetz im Interesse eines würdigen Lebens im Alter.
Ich danke.
({0})
Erlauben Sie mir nur den kleinen Hinweis, daß es immer etwas problematisch ist, wenn die Gruppe oder die Fraktion, die einen Antrag gestellt hat und selber mit ganzen drei KolleVizepräsident Hans Klein
gen im Raum ist, dann beklagt, daß das Haus so leer ist.
({0})
Unabhängig davon halte ich die Situation, bei der das Präsidium langsam in der Überzahl ist, für einen Zustand, mit dem wir uns in den nächsten Tagen und Wochen einmal sehr ernsthaft werden beschäftigen müssen. Wir können uns nicht dagegen wehren, die Zahl der Abgeordneten zu verkleinern, wenn wir, seit wir 662 Mitglieder haben, ein noch leereres Haus haben als je zuvor.
({1})
Dieser Vorwurf trifft natürlich nicht die, die hier sind.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, als nächster hat der Kollege Alfons Müller ({2}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihre Behauptung, verehrte Frau Kollegin, wir hätten hier vor einem Jahr etwas „durchgepeitscht", mit Nachdruck zurückweisen. Wir haben hier schnell gehandelt, weil wir den Menschen helfen wollten.
({0})
Es ging doch darum, nicht nur die staatliche Einheit, sondern auch die soziale Einheit zustande zu bringen. Das war das Motiv.
Nun wollen Sie mit Ihrem Antrag das RentenReformgesetz 1990 und auch das Rentenüberleitungsgesetz wieder in Frage stellen. Mit dem Hinweis auf kleine Renten behaupten Sie, das bestehende System der lohn- und beitragsbezogenen Rente müsse aufgegeben, zumindest aber wesentlich geändert werden. Sie übersehen dabei, daß die 1957 unter Konrad Adenauer geschaffene lohn- und beitragsbezogene gesetzliche Rentenversicherung kein allgemeines Bedarfsdeckungssystem für soziale Notfälle ist. Dafür müssen wir andere Instrumente einsetzen; denn unser Rentensystem ist an die persönliche Beitragsleistung des einzelnen Versicherten gekoppelt. Sie wissen genauso wie wir alle: Wer lange Zeit Beiträge in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe zahlt, erhält im Versicherungsfall eine höhere Rente als derjenige, der eine geringere Beitragsleistung erbringt. Ich finde, das gebietet auch das Prinzip der Gerechtigkeit.
Die dynamische Rentenformel stellt zudem sicher, daß die Renten immer auch der allgemeinen Lohnentwicklung folgen. So nehmen auch die Rentner am wirtschaftlichen Aufschwung teil. Die Steigerung in Höhe von 11,25 % - am 1. Juli kommt eine weitere Erhöhung - macht deutlich, daß im Gegensatz zum früheren System in der ehemaligen DDR die jetzige Rentenleistung keine Fürsorgeleistung ist, die vom Wohlwollen der jeweils Herrschenden abhängig ist.
({1})
Unser Rentensystem hat sich in den 35 Jahren seit 1957 bestens bewährt. Es ist gerecht und durch seine strenge Lohn- und Beitragsbezogenheit vor Willkür geschützt.
({2})
Natürlich gibt es kleine Renten, die allein nicht zum Leben reichen. Aber das ist nicht nur in den neuen Bundesländern der Fall, sondern auch in den alten Bundesländern so. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen sehr oft im persönlichen Schicksal begründet.
Wir haben im vergangenen Jahr lange darüber diskutiert, ob wir eine Aufstockung von Kleinrenten auf einen bestimmten Mindestbetrag vornehmen sollen oder nicht. Wir haben das damals aus einer Reihe von Gründen abgelehnt. Ich kann aus Zeitgründen leider nicht auf diese schwierige Problematik der Altersarmut und der notwendigen Maßnahmen, die wir treffen müssen, um sie zu beseitigen, eingehen. Aber mir ist es zu einfach, zu sagen: Zu Lasten der Rentenversicherung wird eine Grundsicherung allgemeiner Art ohne Beitragszahlung erforderlich. Das führt zu einer politisch gefährlichen Vermischung der beitragsfinanzierten leistungsbezogenen Rentenversicherung mit einer allgemeinen Grundsicherung durch die Sozialhilfe mit steuerfinanzierten Elementen. Mir sind die Folgen für die Solidargemeinschaft der Beitragszahler dabei einfach zu risikoreich. Es dürfte dabei auch Verfassungsprobleme geben.
Was die Prämisse angeht, Kindererziehungszeiten und Pflegeleistungen zur besseren Alterssicherung von Frauen höher zu bewerten, so laufen Sie bei uns offene Türen ein. Kollegin Mascher hat schon auf die Resolution vom 21. Juni 1991 Bezug genommen, die wir gemeinsam verfaßt haben. Nachdem aber auf Betreiben meiner Fraktion in der Mitte der 80er Jahre erstmals Kindererziehungszeiten im Rentenrecht rentenbegründend und rentensteigernd eingeführt wurden, sind mit dem Rentenreformgesetz 1992 weitere Verbesserungen erfolgt. Jetzt geht es darum, auf der Grundlage der eben erwähnten Entschließung weitere Schritte zur Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und der Pflege zu tun, um die in der Familie erbrachten Leistungen noch besser anzuerkennen und zu werten. Wir möchten sichergestellt sehen, daß auch die in der Familie erbrachten Leistungen genau wie Erwerbsarbeit berücksichtigt werden. Ich denke, damit schaffen wir einen eigenständigen Beitrag zur Lösung der Probleme der Altersarmut bei Frauen.
({3})
Wir brauchen dabei nicht Ihren Antrag. Bereits der Verband der deutschen Rentenversicherungsträger ist dabei, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten. Der Sozialbeirat hat sich mit der Problematik befaßt, und auch das Bundesarbeitsministerium ist dabei, entsprechende gesetzgeberische Initiativen zu erarbeiten. Ich denke, wir sollten an unserer Absicht festhalten, noch in dieser Periode gesetzliche Regelungen einzubringen und durchzusetzen.
Herr Kollege Müller- Alfons Müller ({0}) ({1}): Ich weiß.
Alfons Müller ({2})
Meine Damen und Herren, wir lehnen den Antrag der PDS ab, weil wir ihn als einen Schritt in die falsche Richtung ansehen. Wir möchten unser bewährtes Rentensystem weiter und familiengerecht ausbauen.
Vielen Dank.
({3})
Frau Kollegin Ulrike Mascher, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast ist man versucht, hier jeden einzelnen zu begrüßen.
({0})
Ich möchte nur die Äußerungen, die der Herr Präsident zu der Präsenz gemacht hat, dahin gehend ein wenig korrigieren, daß ihm sicher auch die Planungen von Ausschüssen bekannt sind, die Sitzungen in Berlin und außerhalb von Berlin haben.
Das tun Sie besser nicht, Frau Kollegin, weil die Äußerungen des Präsidenten keiner Kommentierung bedürfen, um nicht zu sagen, daß das nicht zulässig ist.
({0})
Frau Bläss, wir haben zu unserem Rentensystem schon mehrere grundsätzliche Diskussionen geführt. Ich bestreite nicht, daß viele Rentnerinnen und Rentner auch angesichts der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesarbeitsministers sehr viel größere Erwartungen an das westdeutsche Rentensystem hatten, als es erfüllen konnte. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß die Rentensteigerungen nicht ausreichen, um z. B. die explosiven Mietsteigerungen, die als Folge der Marktwirtschaft auch im Bereich der Wohnungsversorgung insbesondere Rentnerinnen mit niedrigen Renten betreffen, auszugleichen. Wir kalkulieren auch nicht mit dem Zeitablauf, um die Situation von Rentnern und Rentnerinnen zu verbessern.
Die SPD-Fraktion hat am 4. Mai einen Antrag eingebracht, um eine soziale Grundsicherung im Alter bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bereits jetzt zu realisieren, und zwar für die Rentner und Rentnerinnen in Ostdeutschland und für die Rentner und Rentnerinnen in Westdeutschland, von denen jedenfalls bestimmte Gruppen von der Altersarmut betroffen sind. Wir wollen das jetzt machen, nicht erst 1996, wie wir das gemeinsam in einer Entschließung festgelegt haben.
({0})
Die SPD bringt nächste Woche einen Antrag ein, um das Rentenüberleitungsgesetz möglichst rasch mit einigen Korrekturen zu versehen, von denen wir glauben, daß sie notwendig sind. Die SPD wird auch ein Konzept für eine eigenständige soziale Sicherung der Frau vorlegen, um den Auftrag, den wir uns gemeinsam gegeben haben, zu erfüllen. Ich glaube,
daß man mit einem solch unterschiedlichen Herangehen und auch einem gestaffelten Vorgehen vielleicht mehr für die Rentner und Rentnerinnen in Ostdeutschland erreicht und vielleicht auch etwas schneller.
Daß es Defizite in unserem sozialen Sicherungssystem gibt, sollte man, denke ich, nicht bestreiten. Wir sollten versuchen, gemeinsam daran zu arbeiten, die Situation zu verbessern. Wir werden Ihrem sehr allgemein gehaltenen Antrag heute nicht zustimmen. Ich hoffe aber, daß wir gemeinsam an der Verbesserung der Lebenssituation von Rentnern arbeiten können und da auch mit Unterstützung der CDU/CSU etwas durchsetzen und erreichen können. Ich hoffe, dafür auch die Unterstützung der F.D.P. zu haben. Ich hoffe, ich habe alle Gruppen, die noch hier sind, und Fraktionen gebührend zur Mitarbeit aufgefordert.
Danke.
({1})
Herr Kollege Schreiner, selbst das fromme Anschauen des Präsidenten kann gefährlich werden, wenn es verbalisiert wird.
({0})
Als nächste hat die Kollegin Eva Pohl das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag versucht die PDS, sich als Fürsprecher der Rentnerinnen und Rentner zu profilieren - wahrlich ein untauglicher, unglaubwürdiger Versuch. Denn es war doch gerade die SED/PDS, die die Rentner in der ehemaligen DDR im Stich gelassen hat.
({0})
Sieht man sich den Antrag der PDS genauer an, so kann man nur der Aussage zustimmen, daß es sich bei der Renteneinheit um die Zusammenführung zweier sehr unterschiedlich entwickelter Rentensysteme gehandelt hat. Dies war eine schwierige und große Aufgabe, die, so meine ich, im großen und ganzen und im breiten Konsens zufriedenstellend gelöst worden ist.
({1})
Dies schließt natürlich nicht aus, daß im einzelnen Fehler vorgekommen sind, die korrigiert werden müssen. Wenn ich vor wenigen Tagen einen Rentenbescheid gesehen habe, der bei 48 Arbeitsjahren ein Entgelt von 0 DM auswies, weiß jeder: Das kann nicht stimmen. Solche Fehler führen zu Irritationen bei den Betroffenen.
Irritationen hat es auch bei den aus Verwaltungsgründen notwendigen Pauschalierungen der Hinterbliebenenrenten und bei der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgung gegeben. Wir haben in einem Gespräch bei der BfA Anfang dieser Woche noch einmal darauf gedrungen, die offenkundigen Fehler schnell zu beseitigen und so rasch wie möglich insbesondere bei den älteren Mitbürgern die pauschalen
Rentenberechnungen durch die konkrete Nachberechnung abzulösen.
Wenn heute so getan wird, als nähmen nur die Antragsteller die rentenrechtliche Situation der Frauen im Bundesgebiet ernst, so ist dies falsch. Ich möchte an die gemeinsame Entschließung von CDU/ CSU, SPD und F.D.P. anläßlich der Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes erinnern, mit der wir eine bessere Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten, die Bekämpfung der Altersarmut sowie Schritte in Richtung auf eine eigenständige Sicherung der Frau gefordert haben.
({2})
Die Forderung, die Rentenanpassung mindestens in Höhe der Inflationsraten vorzunehmen, ist sicherlich populär. Aber Populismus ist keine geeignete Richtschnur für stabile Renten. Wer jetzt an dem vereinbarten Anpassungsmechanismus drehen, ihn aus vermeintlich guten Gründen modifizieren will, öffnet das Tor zu einer Entwicklung, die wir eigentlich abgeschlossen glaubten, weil sie unter dem Stichwort Verschiebebahnhof den Finanzministern zwar kurzfristig finanzielle Entlastung gebracht, längerfristig aber die Rentenversicherung diskreditiert und Unsicherheiten wegen der Sicherheit der Renten provoziert hat.
Ein Ziel der Rentenreform und dieses Anpassungsmechanismus war und muß es auch bleiben, den Gleichklang zwischen dem Anstieg der verfügbaren Einkommen, der Beschäftigten und der Rentner sicherzustellen.
({3})
Von den Belastungen für die Rentenversicherung und den Bundeshaushalt einmal ganz abgesehen: Hieran wird im übrigen auch deutlich, wie notwendig gerade im Interesse der Rentner und der Beitragszahler eine Politik der Konsolidierung und äußersten Sparsamkeit ist. Von steigenden Inflationsraten werden diese Bevölkerungsgruppen am stärksten betroffen.
Jedermann, der sich ernsthaft mit der Problematik der Zusatz- und Sonderversorgung beschäftigt hat, weiß, wie komplex, wie schwierig diese Thematik war und ist. Hier galt es, abzuwägen und zu entscheiden. Es sollte alle, die jetzt Änderungen fordern, nachdenklich stimmen, daß die ostdeutschen Länder, die sich zu Recht als Sachwalter ihrer Bürger verstehen, diesen Regelungen zugestimmt haben, wohl auch in der richtigen Erkenntnis, daß es keine perfekte, keine alle zufriedenstellende gerechte Lösung gibt.
Natürlich muß die Rentenversicherung immer wieder den geänderten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen angepaßt werden. Dabei ist es für uns entscheidend, daß die Grundprinzipien der Beitrags- und Leistungsbezogenheit nicht durch Mindestsicherungselemente weitgehend überlagert oder gar verdrängt werden. Insofern halten wir nichts davon - kaum daß das Rentenreform- und das Renten-Überleitungsgesetz zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten sind -, jetzt wieder mit neuen Ankündigungen und Forderungen Verunsicherung bei Rentnerinnen und Rentnern zu schaffen. Gerade die Rentenversicherung, die auf langfristigen Planungen und Erwartungen basiert, braucht ein hohes Maß an Verläßlichkeit, wenn sie auf Dauer ihre Akzeptanz behalten soll. Daran sollten wir alle gemeinsam interessiert sein.
({4})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unser Kollege Rudolf Kraus.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht aus unserer Sicht der Dinge keinerlei Notwendigkeit, ein neues Rentenversicherungssystem einzuführen. Das bundesdeutsche Rentenversicherungssystem, dessen Grundlagen bekanntlich 1957 gelegt worden sind, hat sich nach unserer Auffassung bewährt. Deshalb ist es nicht abschaffungswürdig oder vom Prinzip her zu ändern.
Bereits damals wurden die Prinzipien beschlossen, die auch für die Zukunft maßgebend bleiben sollen: Lohn- und Beitragsbezogenheit, Lebensstandardsicherung und Teilhabe der Rentner am Produktivitätsfortschritt. Auf dieser Grundlage basieren auch das Rentenreformgesetz 1992 und das Renten-Überleitungsgesetz, die in breitem Konsens von Koalition und SPD verabschiedet wurden.
Von der deutschen Einheit haben in Ostdeutschland am schnellsten die Rentnerinnen und Rentner profitiert.
({0})
An dieser Tatsache gibt es für mich nichts zu rütteln. Darüber bin ich natürlich froh. Sie haben es sich schließlich auch verdient; denn sie haben unter der Trennung am längsten gelitten.
({1})
Um rund 90 % sind die Renten in den neuen Bundesländern vom Juni 1990 bis Anfang 1992 gestiegen. Das Aufholen geht weiter. Zum 1. Juli 1992 werden die anpassungsfähigen Renten in Ostdeutschland wiederum um 12,79 % erhöht. Damit werden sich die Renten in den neuen Bundesländern gegenüber dem Stand vor der Sozialunion im Juni 1990 im Durchschnitt bereits verdoppelt haben; denn die durchschnittliche Rente stieg in diesem Zeitraum von 425 DM auf 952 DM. Dasselbe gilt übrigens auch für die Kriegsopfer.
Die gemeinsame Rentenreform von Bundesregierung und Opposition ist ein Musterbeispiel dafür, daß Politiker unterschiedlicher Parteien im Interesse der Menschen erfolgreich zusammenarbeiten können.
Kurz einige Bemerkungen zu den einzelnen Prämissen des Antrags. Erstens. Immer mal wieder taucht die Forderung nach Grundsicherung im Alter auf. Im Jahre 1957 erfolgten unter Konrad Adenauer die Weichenstellungen für ein modernes, verpflichtendes Rentensystem. Die Rente ist keine Zuteilung. Sie ist lohn- und beitragsbezogen. Sie ist dynamisiert.
Dadurch nehmen die Rentnerinnen und Rentner an den Fortschritten der Volkswirtschaft teil. Lohn ist der Maßstab für die Rente. Die Rente ist kein Akt der Barmherzigkeit. Sie ist gerechter Alterslohn für Lebensleistung. Kein Rentner braucht für seine Rente danke schön zu sagen. Auch für die Zukunft wollen wir, daß der, der ein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, eine andere Rente bekommt als der, der weniger erwerbstätig war und weniger Beiträge gezahlt hat.
Zweitens. Bereits bei der Verabschiedung des Renten-Überleitungsgesetzes am 21. Juni 1991 hat der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag angenommen, wonach die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung und der Pflege noch in dieser Legislaturperiode verbessert werden soll. Deshalb ist der Antrag auf Einsetzung einer Arbeitsgruppe völlig überflüssig.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß das am 1. Januar 1992 wirksam gewordene einheitliche Rentenrecht - anders, als die Antragsteller annehmen - erhebliche Verbesserungen gerade auch für viele Frauen in den neuen Bundesländern gebracht hat. Die Regelungen des früheren DDR-Rechts über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten waren nur auf dem Papier besser. Materiell wirken sie sich in vielen Fällen überhaupt nicht aus. Das betone ich, weil uns manche glauben machen wollen, daß das frühere DDR-Rentenrecht besonders frauenfreundlich gewesen wäre.
Drittens. Die Rente in der Bundesrepublik ist lohn- und beitragsbezogen. Sie orientiert sich eben nicht an der Preisentwicklung. Das hat sich für die Rentner nur günstig ausgewirkt.
Bei einer Bindung an die Entwicklung des Preisniveaus im Jahre 1957 wären die Renten heute nicht einmal halb so hoch, wie sie tatsächlich sind. Aus
100 DM Rente im Jahre 1957 sind nach Abzug der Preissteigerungsraten, also real 232 DM geworden. Die Rentner heute können sich also deutlich mehr als doppelt soviel von ihrer Rente kaufen wie die Rentner im Jahre 1957. Wären die Renten 1957 dagegen an die Preissteigerungsrate gebunden worden, wäre ihre Kaufkraft nicht gestiegen, sondern gleich geblieben.
Wir brauchen kein grundsätzlich anderes Rentenrecht. Wir brauchen Kontinuität in der Rentengesetzgebung. Die Menschen in unserem Land schätzen Verläßlichkeit der Rentenpolitik höher als kurzatmige Vorteile.
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß sich diese Auffassung bei den Beratungen des vorliegenden Antrags in den Ausschüssen tatsächlich durchsetzen wird.
Ich bedanke mich.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/2567 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 3. Juni 1992, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.