Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/21/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung. Ich möchte zunächst einige Mitteilungen bekanntgeben: Ich teile mit, daß Herr Dr. Worms am 31. Januar 1991 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als sein Nachfolger hat Herr Abgeordneter Hüppe am 1. Februar 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Herzlich willkommen. ({0}) Für Herrn Dr. Geisler ({1}), der am 12. Februar 1991 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat, hat Frau Abgeordnete Michalk am 13. Februar 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. ({2}) Wir begrüßen die beiden Kollegen und heißen sie herzlich willkommen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt: 1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur wachsenden Wohnungsnot und zur Lage der Wohnungswirtschaft ({3}) 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten der PDS/Linke Liste: Fraktionsstatus gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Drucksache 12/86 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/ GRÜNE: Erteilung eines Grundmandats für die Besetzung der Gremien - Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - Mitglieder des Vertrauensgremiums gem. § 10a Abs. 2 BHO - Mitglieder des Gremiums gem. § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ({4}) - Drucksache 12/109 4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Gysi und der Abgeordneten von PDS/Linke Liste: Berücksichtigung aller Gruppen und Fraktionen des Bundestages bei der Besetzung der Ausschüsse und sonstigen vom Bundestag zu bestimmenden Besetzungen - Drucksache 12/115 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/ GRÜNE: Änderung der Geschäftsordnung für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes ({5}) - Drucksache 12/110 6. Wahlvorschlag für die Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/87 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/107 8. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/118 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/ GRÜNE: Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/134 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten von PDS/Linke Liste: Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/135 11. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Situation in Jugoslawien 12. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungsexporten - Drucksache 12/120 13. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Maßnahmen zur Einschränkung von Rüstungsexporten - Drucksache 12/119 14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lederer und der Abgeordneten von PDS/Linke Liste: Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz - Stopp der Rüstungsproduktion - Drucksache 12/116 15. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Finanzierung der Schiffsentsorgung in deutschen Seehäfen nach MARPOL - Anlage I und II - Drucksache 12/117 Ferner sollen der Tagesordnungspunkt 4 bereits nach der Aussprache zur Regierungserklärung und der Tagesordnungspunkt 7 vor Tagesordnungspunkt 3 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Präsidentin Dr. Süssmuth Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Finanzpolitik im vereinten Deutschland Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/121 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Das Wort hat Bundesfinanzminister Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf für den Bundeshaushalt 1991 gebilligt. Mit der Kabinettsentscheidung ist klar: Die Eckwertebeschlüsse, die wir vor der Wahl getroffen haben, werden vollständig eingehalten. ({0}) - Sie werden doch Zahlen nicht bestreiten. Die Zahlenbestimmung liegt darin, daß wir uns vorgenommen haben - wir werden das einhalten - , daß die Nettokreditaufnahme unter 70 Milliarden DM bleiben wird und daß ein Entlastungsvolumen von mehr als 35 Milliarden DM erbracht wird. Genau das haben wir getan. ({1}) Mit dem Entlastungsvolumen des letzten Jahres ist das ein Konsolidierungsprogramm von 50 Milliarden DM. Ein solches Konsolidierungsprogramm hat es seit 1949 nicht gegeben. Insofern sind wir unserer soliden Finanzpolitik treu geblieben. ({2}) - Ich freue mich, daß sich darüber auch der Kollege Vogel freut. Eine gemeinsame Freude früh um 9 Uhr am Donnerstag, das ist doch eine schöne Angelegenheit. ({3}) Der Regierungsentwurf zeigt auch: Durch zusätzliche nationale und internationale Anforderungen steht die Finanzpolitik in Deutschland vor den größten Herausforderungen in der Nachkriegsgeschichte. Die besondere Situation der Jahre 1991/92 ergibt sich aus der gewaltigen Dimension der zu bewältigenden Finanzierungsaufgab en, aus der Schwierigkeit ihrer Planbarkeit und schließlich aus ihrer Zwangsläufigkeit. Nicht die Finanzpolitik, nicht die Haushaltspolitik, sondern die weltpolitische Situation und unsere Handlungspraxis haben das Tempo der Wiedervereinigung bestimmt. Auch der Golfkonflikt und die Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Ländern vollziehen sich nicht nach den Vorgaben unserer ursprünglichen Haushaltsplanung. Von der Finanzpolitik wird vielmehr zu Recht Flankensicherung für die anstehenden nationalen und internationalen Aufgaben erwartet. Wir haben diese Flankensicherung bisher ohne Brüche und Verspannungen geleistet. Aber es gibt Grenzen der Belastbarkeit. Die Finanzpolitik kann nicht alles ausgleichen, was an Entwicklungen, etwa bei der Lohn- und Einkommenssteigerung im Beitrittsgebiet oder im internationalen Bereich, erfolgt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die finanzpolitischen Aufgaben der Wiedervereinigung bisher gelöst und werden es weiter tun. Im letzten Jahr wurden rund 30 Milliarden DM an Unterstützung für die neuen Bundesländer - ohne die von der Opposition geforderte Steuererhöhung - finanziert. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn wir uns im Herbst 1989 auf das Pferd der Steuererhöhung gesetzt hätten ({5}) was manche von uns verlangt haben, dann wären wir heute bei der vierten oder fünften Steuererhöhung angelangt und hätten jetzt nicht die Reserven, um unumgängliche internationale und nationale Probleme lösen zu können. ({6}) Wir haben für 1991 die Eckwertebeschlüsse vom letzten Herbst durch den Haushaltsentwurf verwirklicht. Wir haben das angekündigte Entlastungsvolumen von ursprünglich 35 Milliarden DM mit 37 Milliarden DM im Haushaltsentwurf noch übertroffen. Die Kreditaufnahme bleibt mit 69,6 Milliarden DM unter der selbst gesetzten Obergrenze. ({7}) - Makulatur ist möglicherweise das, was Sie heute noch einbringen. ({8}) - Ich weiß es nicht, aber ich nehme an, der Einwurf war von Herrn Gysi. ({9}) - Entschuldigung, Herr Kollege Vogel. Ich glaube, daß ich - - Er war von Ihnen; dann bitte ich um Entschuldigung. Bei Ihnen werte ich es anders, als wenn es von Herrn Gysi gekommen wäre. ({10}) Aber Makulatur ist das, was Sie in Ihrer ganzen Finanzpolitik bis 1982 geleistet haben. Das will ich Ihnen einmal sagen. ({11}) Sie müssen ja froh sein, daß wir damals die Finanzpolitik übernommen haben. Sonst könnten Sie sich an der Einheit Deutschlands überhaupt nicht freuen. UnBundesminister Dr. Waigel ter Ihren finanzpolitischen Bedingungen hätte sie überhaupt nicht durchgeführt werden können. ({12}) Wir haben umfangreiche Einsparungen und Umschichtungen - z. B. im Verteidigungsbereich - durch eine systemgerechte Finanzierung der zusätzlichen Kosten der Arbeitslosigkeit, durch den Abbau von Finanzhilfen und durch Umschichtungen zugunsten der neuen Bundesländer beschlossen. Der Ausgabenanstieg im Finanzplanungszeitraum 1992 bis 1994 bleibt mit durchschnittlich 1,7 % weit unter dem erwarteten Anstieg des Bruttosozialprodukts. Genau das ermöglicht ja Spielräume für die Finanzpolitik, die früher, als die Steigerungsraten des Haushalts ständig über der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts lagen, nicht vorhanden waren. Und: Die durch Art. 115 des Grundgesetzes vorgegebene Grenze für die Kreditaufnahme wird bereits ab 1992 wieder erreicht. Wir werden unsere finanzpolitischen Entscheidungen auch in den kommenden Monaten nach dem sachlich Notwendigen und gesamtwirtschaftlich Vertretbaren treffen. Wir werden uns nicht von Wunschvorstellungen leiten lassen, wir werden aber auch nicht auf diejenigen hören, die nichts anderes als Zusammenbruch, Katastrophen und Schreckensbilder kennen. Ich habe mich nie dazu verstiegen, das Ausmaß der notwendigen Investitionen in die deutsche Einheit bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma zu beziffern. Wir waren immer der Meinung: Es ist nicht voraussehbar und von niemandem berechenbar, was dies genau kostet. Auch heute kann dies noch niemand berechnen. ({13}) Darum ist die Forderung des Kollegen Vogel - die er in den letzten Tagen erhoben hat - nach einer Entschuldigung wegen angeblich falscher Prognosen geradezu absurd. ({14}) Sollen wir uns vielleicht dafür entschuldigen, in der historischen Sekunde, in der die Wiedervereinigung möglich war, durch die unverzügliche Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion das Tor zur deutschen Einheit weit aufgestoßen zu haben? ({15}) Wenn es jemanden in diesem Hause gibt, der darüber nachdenken sollte, wie oft er sich im letzten Jahr geirrt hat, dann wären das Sie und Ihre Freunde, Herr Kollege Vogel. ({16}) Sollen wir uns dafür entschuldigen, daß der Einigungsvertrag in kurzer Zeit zustande kam und ratifiziert werden konnte? Sollen wir uns dafür entschuldigen, daß mit dem Überleitungsvertrag - 50 Jahre nachdem der erste sowjetische Soldat deutschen Boden betreten hat - der letzte sowjetische Soldat deutschen Boden wieder verlassen wird? Das ist unsere Politik gewesen und nicht die Ihre, Herr Kollege Vogel! ({17}) Warum nimmt die SPD unsere gewaltigen finanziellen Leistungen für die neuen Bundesländer, die Errichtung des Fonds Deutsche Einheit, die Vielzahl der Programme und Unterstützungsmaßnahmen, mit denen wir den wirtschaftlichen Neubeginn in den neuen Bundesländern ermöglichen, nicht zur Kenntnis? Im April letzten Jahres habe ich bei den Finanzministern auf die Frage, was die deutsche Einheit kosten könnte, gesagt: Ich kann mich weder für die Unternoch für die Obergrenze verbürgen. Es mag sein, daß sie im Jahre 1991 40 Milliarden bis 60 Milliarden DM beträgt. ({18}) Dann, Herr Kollege Vogel, sind die Finanzminister der SPD - ({19}) - Herr Kollege Vogel, wenn Sie hier stehen, dann legen Sie großen Wert - ({20}) - Entschuldigung, Herr Kollege Vogel, ich darf Sie doch einmal ansprechen. ({21}) Ich will Sie nur ganz höflich und freundschaftlich ansprechen: Wenn Sie hier stehen, dann bitten Sie darum, daß man Ihnen zuhört. Nur um dies bitte ich Sie jetzt auch. Sie können sich anschließend gerne melden; Sie haben ja diese Möglichkeit. Im übrigen habe ich gegen Zwischenrufe nichts einzuwenden. ({22}) - Selbstverständlich, ich habe dagegen überhaupt nichts einzuwenden; das ist nicht mein Problem. Im Gegenteil, es ermuntert mich. Wenn es Ihnen guttut, freut es mich. Wenn Sie aber vielleicht zuhören könnten, würde es Ihnen nicht einmal schaden. ({23}) Herr Kollege Vogel, fair war es nicht, daß dann diejenigen aus Ihren Reihen, denen man mutmaßliche Größenordnungen der Kosten der deutschen Einheit genannt hat, in die Landtagswahlkämpfe gegangen sind und jeder Gemeinde und jeder Stadt vorgerech342 net haben, welcher Kindergarten dann nicht gebaut werden könne. ({24}) Feststeht: Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Interessen der neuen Bundesländer zurückgestellt oder die berechtigten Forderungen und Wünsche ignoriert. Es wurde vielmehr das getan, was notwendig und vernünftig ist. Rechnet man alle Finanzierungsinstrumente und Programme zusammen, ergeben sich in den nächsten vier Jahren staatliche Finanzierungsströme mit einem Volumen von mehreren 100 Milliarden DM zugunsten der neuen Bundesländer. Ich nenne nur beispielhaft den Fonds Deutsche Einheit mit 115 Milliarden DM im Zeitraum von 1990 bis 1994, die zahlreichen Investitions-, Existenzgründungsund Industrieansiedlungsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM, die Investitionen der Deutschen Bundespost mit insgesamt 55 Milliarden DM, die Kreditermächtigung der Treuhandanstalt für Privatisierung und Sanierung mit 25 Milliarden DM sowie die zuletzt beschlossenen steuerlichen Maßnahmen: Verzicht auf Gewerbekapital- und Vermögenssteuer, Sonderabschreibungen und den Freibetrag für Lohn- und Einkommensbezieher für das Gebiet oder für die Bürger in den fünf neuen Bundesländern. Diese Maßnahmen können - das weiß jeder - nur mit zeitlicher Verzögerung auf Investitionen und Beschäftigung durchschlagen. Man sollte sich einmal daran erinnern, wie wir geschmäht und angegriffen worden sind wegen unserer Finanz- und Steuerpolitik in den Jahren 1982, 1983 und 1984. Und es hat sich herausgestellt: Sie war richtig und hat zu dem längsten Konjunkturaufschwung der deutschen Wirtschaftsgeschichte seit 1949 geführt. ({25}) Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit wird - das wissen wir, das wußten wir - leider noch zunehmen. Aber die marktwirtschaftlichen Strukturen wachsen bereits. 267 000 Gewerbeanmeldungen sind ein klarer Beweis für Initiative und Leistungswillen. Im Mittelpunkt der marktwirtschaftlichen Erneuerung - und damit auch kritischer Beurteilungen - steht die Arbeit der Treuhandanstalt. Bei der Aufgabe, rund 8 000 Unternehmen in Privateigentum zu überführen, gibt es zwangsläufig Schwierigkeiten. Ich bitte das bei aller Kritik an der Treuhandanstalt und ihrer Arbeit mit in Betracht zu ziehen. Die Arbeit in der Treuhandanstalt ist inzwischen organisiert und durchaus erfolgreich. Rund 700 Unternehmen mit 300 000 Arbeitsplätzen sind privatisiert. Die Privatisierung von Einzelhandel und Gaststätten ist fast abgeschlossen, und alte Seilschaften in ehemals volkseigenen Betrieben werden aufgebrochen. Ich bin sicher: Gerade durch die jetzt wirksam werdende Arbeit der Treuhandanstalt wird der wirtschaftliche Neubeginn im Beitrittsgebiet maßgeblich gefördert. Auch im staatlichen Bereich droht kein Zusammenbruch wie manchmal befürchtet. Bei ordnungsgemäßer Weiterleitung der Mittel dürfte es keine Liquiditätsengpässe in den öffentlichen Haushalten geben. Fehlerquellen liegen in der Verwaltung, aber nicht in einer mangelhaften finanziellen Ausstattung. Wir haben ausreichend Mittel bereitgestellt, damit kein Land, keine Stadt und keine Gemeinde zum Konkursrichter gehen muß. Reserven der neuen Länder bei der Deutschen Bundesbank und Festgeldanlagen bei Banken sind kein Zeichen allgemein drohender llliquidität. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbank verfügten die östlichen Länder - ohne Berlin - am 19. Februar 1991 über ein Guthaben von 8,7 Milliarden DM. ({26}) Ich sage das, meine Damen und Herren, ohne jeden Vorwurf. Ich sage das nur als Feststellung. Das zeigt doch eines ganz deutlich: Natürlich ist auch über die Finanzausstattung noch einmal zu sprechen. Aber ich glaube nicht, daß das Hauptproblem im Augenblick das Geld allein ist, ({27}) sondern das Hauptproblem liegt in der Verwaltung, in der Effizienz, ({28}) im Mittelabfluß. ({29}) Und das ist das Entscheidende, worauf wir uns meines Erachtens stürzen müssen, was wir angehen müssen: daß wir hier Fachleute zur Verfügung stellen, daß wir hier Fachleute ausbilden und alles daran setzen, um den Menschen durch die direkte Umsetzung der Programme und der Finanzierungsmöglichkeiten zu helfen. Das scheint mir der entscheidende Schwerpunkt zu sein, der sich unserer Arbeit in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten stellt. Meine Damen und Herren, nach unseren Einschätzungen - und diese Einschätzungen stimmen mit denjenigen der alten Bundesländer überein - sind in der Haushaltsplanung einiger östlicher Bundesländer verschiedene Positionen enthalten, die einer exakteren Nachprüfung nicht standhalten. Darüber wurde gestern in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv beraten. Wir werden diese Beratungen fortsetzen. In den Voranschlägen der neuen Bundesländer sind umfangreiche Preisstützungsmaßnahmen enthalten, die nach unseren Vorstellungen rascher abgebaut werden sollten, als dies einige östliche Bundesländer vorsehen. Auch sind die sächlichen und personellen Verwaltungsausgaben im Vergleich zu westlichen Bundesländern überhöht. Es bestehen auch Zweifel, ob sich das veranschlagte Investitionsvolumen von der Kapazität der Verwaltung und der Bauwirtschaft her überhaupt realisieren läßt. Darum ja auch unsere Forderung, daß Planungsvorhaben und ähnliches mehr gerade in den neuen Bundesländern entscheidend verkürzt werden. ({30}) Wir können dort nicht mit den Planungs- und Genehmigungszeiträumen rechnen und zufrieden sein, wie sie im alten Bundesgebiet üblich sind. Insgesamt erscheinen die von den östlichen Bundesländern angesetzten Ausgaben von über 108 Milliarden DM und das sich daraus ergebende Defizit von über 50 Milliarden DM zu hoch. Nach unseren Vorstellungen lassen sich die Ausgaben um über 30 Milliarden DM und das Defizit um mindestens die Hälfte reduzieren. Ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Finanzausstattung des Beitrittsgebiets muß von den westlichen Bundesländern kommen. ({31}) Wir haben uns schon im letzten Jahr - damals leider vergeblich - entschieden für eine volle Einbeziehung der neuen Bundesländer in die Umsatzsteuerverteilung eingesetzt. Ich habe mich mit Nachdruck darum bemüht, aber damals nicht mehr erreicht, als dann im Einigungsvertrag festgeschrieben worden ist. Wäre man damals unserer Forderung gefolgt, würden sich heute viele Klagen erübrigen. Eine Finanzierungsregelung, bei der der Bund allein in den Jahren 1990 und 1991 Leistungen von 110 Milliarden DM übernommen hat, während die Länder in erster Linie mit den noch geringen Zinskosten für ihren Anteil am Fonds Deutsche Einheit belastet sind, kann keinen Bestand haben. ({32}) Wir reden bei Bund und Ländern dabei nur über haushaltswirksame Zahlen. Ich möchte den Beitrag, den die Länder im direkten Verwaltungsaustausch, in der Schulung, in der direkten konkreten Hilfe - viele Kommunen auch durch Patenschaften - übernehmen, überhaupt nicht geringschätzen. Nur, meine Damen und Herren, es muß noch viel mehr sein. Jeder Gemeinde, jeder Stadt, jedem Kreis und den Ländern ist noch mehr zuzumuten. Man sollte aus jedem Bereich ein oder zwei Fachleute des einfachen, des mittleren, des gehobenen und des höheren Dienstes zur Verfügung stellen, um drüben den Kommunen und Verwaltungen besser zu helfen, als das bisher der Fall gewesen ist. ({33}) Ich begrüße die grundsätzliche Bereitschaft der alten Bundesländer, über die Umsatzsteuer einen größeren Beitrag zur Finanzierung der Einheit zu leisten. Bei der heutigen Finanzministerkonferenz können wir gemeinsam unter Beweis stellen, wie lebensfähig unsere föderale Ordnung unter schwierigen Bedingungen ist. Bund und Westländer gemeinsam sind in der Lage, das Notwendige für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern zu finanzieren. Meine Damen und Herren, wir haben uns in den letzten Tagen und Wochen dazu bekannt - der Bundeskanzler, die Koalitionsparteien - , daß Einnahmeverbesserungen angesichts der Herausforderungen unverzichtbar und unumgänglich sind. Entscheidender Grund für notwendige Einnahmeverbesserungen sind folgende Faktoren: der Golfkonflikt, der trotz des von uns allen herbeigesehnten, hoffentlich raschen Endes erhebliche finanzielle Risiken birgt; des weiteren unsere Mitverantwortung für Freiheit und wirtschaftlichen Aufschwung in den Ländern des ehemals kommunistischen Machtbereichs. Es kann nicht in unserem Interesse liegen, daß dort die neuen Demokratien und neue freie Volkswirtschaften angesichts der ungeheuer schwierigen Bedingungen in sich zusammenbrechen und damit eine ernste Gefahr für unseren Frieden und unsere Freiheit darstellen. ({34}) Wir müssen die Konsequenzen einer dramatischen Strukturkrise in der östlichen Hälfte Europas auch für die wirtschaftliche Entwicklung bei uns, nicht zuletzt für viele Betriebe in den neuen Bundesländern, nüchtern sehen. Diesen Zusatzbedarf können wir mit der vorhandenen Finanzausstattung de facto nicht mehr abdecken. Wir haben zwar haushaltstechnisch für den deutschen Beitrag zur Lösung des Golfkonflikts in den ersten drei Monaten immerhin 11 Milliarden im Rahmen unseres selbst gesetzten Kreditrahmens untergebracht. Wir haben auch bereits erhebliche Milliardenbeträge in den Jahren 1990 und 1991 zugunsten unserer östlichen Nachbarn eingeplant. Aber diese zusätzlichen Belastungen konnten nur durch Verzicht auf notwendige nationale Maßnahmen getragen werden. ({35}) Die haushaltsmäßige Darstellung der zusätzlichen Finanzierungsaufgaben ändert nichts an der Notwendigkeit, zum Ausgleich den Einnahmerahmen zu erweitern. Zu den notwendigen nationalen Aufgaben gehört das neue Gemeinschaftswerk für mehr Beschäftigung und Investitionen in den neuen Bundesländern. Die Schwerpunkte dieses Programms konzentrieren sich auf zusätzliche Verkehrsmaßnahmen, auf die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur, auf den Wohnungs- und Städtebau sowie auf eine Anhebung der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wir wollen den Menschen in den neuen Bundesländern trotz aller Schwierigkeiten und Probleme eine positive wirtschaftliche und berufliche Perspektive sichern. Über Einzelheiten unseres Finanzierungskonzepts werden wir jetzt in der Koalition beraten und entscheiden. Dabei werden wir uns an den folgenden Kriterien orientieren: Der Finanzrahmen muß alle erkennbaren Risiken abdecken. Die notwendigen Steuererhöhungen dürfen Wachstum, Investitionen und Beschäftigung nicht gefährden, und die Finanzierung der unabweisbaren Mehraufwendungen muß von allen Bevölkerungsgruppen getragen werden. ({36}) Es geht um die solidarische Bewältigung nationaler Herausforderungen, die uns alle betreffen. Alternativen zu einer spürbaren Verbesserung der Steuereinnahmen kann ich nicht erkennen. Selbst wenn der Golfkonflikt innerhalb weniger Tage beendet sein sollte, bleiben wir mit den bisher angefallenen Kosten belastet. Und die Risiken aus dem ehemaligen Ostblockbereich bleiben unabhängig vom Golfkonflikt bestehen. Ich bin natürlich für jeden Vorschlag dankbar, wie die erheblichen zusätzlichen Belastungen ohne Steuererhöhungen zu bewältigen sind. ({37}) Ich bitte jedoch auch aus der theoretischen Warte mancher Forschungsinstitute und unabhängiger Institutionen, deren Rat ich sehr schätze, folgendes nicht zu übersehen ({38}) - nein, ich schaue auf Sie - : Wir haben innerhalb eines Zwei-Jahres-Zeitraums 1990/91 beim Bund bereits Haushaltsentlastungen von rund 50 Milliarden DM verwirklicht, 37 Milliarden DM im Haushaltsentwurf für 1991, rund 13 Milliarden DM durch die Nachtragshaushalte für 1990 und den zurückgezogenen ursprünglichen Entwurf zum Haushalt 1991. Wir haben bereits mit der Steuerreform 1990 13 Milliarden DM an Steuervergünstigungen und Steuersubventionen gestrichen. In den Koalitionsvereinbarungen haben wir weitere Einschnitte mit einem Volumen von 6,5 Milliarden DM bei den Steuervergünstigungen und Finanzhilfen vorgesehen. Zusammen mit der vorgesehenen Gegenfinanzierung der ersten Stufe der Unternehmensteuerentlastung, nämlich Einschränkung der Abschreibungsspielräume, und dem Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung kommen wir dann auf ein Subventionsabbauvolumen von rund 40 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das ist schon eine ganze Menge. Wer mehr will, muß dann auch sagen, wie das zu bewältigen ist und welche Einschnitte das mit sich bringt. ({39}) - Nein, ich höre auch immer wieder viele Subventionsabbauvorschläge aus den Reihen der SPD, die ich für völlig illusionär halte. ({40}) Noch weitergehende Einschnitte und Umschichtungen sind problematisch. Wir müssen auch die Auswirkungen der gewaltigen Veränderungen im Umfang und in der Struktur der öffentlichen Haushalte auf die Einkommen und die Absatzbedingungen der Betriebe in Ost und West in Rechnung stellen. Steuererhöhungen, meine Damen und Herren, sind auch unter internationalen Aspekten richtig. Unsere Selbstverpflichtung der Begrenzung und Rückführung - ({41}) - Also, wenn jemand ein Tor mit dieser voluminösen Stimme aufmacht, dann kann es sich nur um Duve handeln. ({42}) Ich nehme Sie gerne einmal mit, Herr Duve, zur IWF-Konferenz, ({43}) damit Sie dort auch einmal etwas von Geld und Kredit mitbekommen und nicht nur mit dem lauten Wort umgehen. Wir sind bisher unserer Herausforderung gerecht geworden. Jedermann muß wissen, daß wir unsere internationalen Verpflichtungen nur erfüllen können und uns damit treu bleiben, wenn wir dafür den Kapitalmarkt nicht weiter in Anspruch nehmen. Für diesen Zweck ist eine stärkere Erhöhung der Steuern unumgänglich. Damit erbringen wir unseren bisher schon sehr produktiven Beitrag zum internationalen Fortschritt, zur internationalen Stabilität und zum Wachstum in der Welt wie kaum eine andere Nation unter den Weltwirtschaftsmächten. ({44}) Weil wir bisher die Investitionen in die deutsche Einheit nur zu einem Teil über zusätzliche Kreditaufnahme finanziert haben, weil in der Bundesrepublik die Ersparnis unverändert weit über dem Durchschnitt der westlichen Industrieländer liegt und weil die Geldwertstabilität nicht in Frage gestellt ist, konnten wir in den letzten zwölf Monaten das Zinsniveau bei 9 % halten. Entgegen manchen Befürchtungen nach den jüngsten zinspolitischen Beschlüssen der Bundesbank ist jetzt der Kapitalmarktzins sogar um 0,7 Prozentpunkte zurückgegangen, und auch der Zinsabstand zu den Vereinigten Staaten hat sich deutlich verringert. Das ist der beste Beweis für das Vertrauen in unsere Finanzpolitik, der Beweis für die Konsequenz und Solidität, mit der wir die drastisch gestiegenen nationalen und internationalen Anforderungen bewältigen. 1990 war das Jahr des Aufbruchs zu Frieden und Freiheit. Die Menschen in Ost und West konnten auf eine bessere Zukunft hoffen, auf Sicherheit und Verständigung zwischen den Völkern. Manches von dem, was wir 1990 weltweit erträumten und erhofften, scheint nun in Gefahr. Die Grausamkeiten des Krieges sind in unser Bewußtsein zurückgekehrt. Der Prozeß der Marktwirtschaft und Demokratie ist in vielen Ländern schwieriger als zunächst erwartet. Niemand weiß, welchen Weg die östliche Weltmacht in den kommenden Monaten und Jahren gehen wird. Wir können an einem Kurswechsel am allerwenigsten interessiert sein. Unsere Aufgabe ist es, in internationaler Solidarität die Weichen richtig zu stellen. Wir werden materielle Beiträge zur Bewältigung internationaler Aufgaben entsprechend unserer gewachsenen weltpolitischen Verantwortung leisten. Aber nicht alles ist eine Frage von D-Mark und Dollar. Wir können uns eine Idylle in Wohlstand und Frieden weder durch höhere Kredite noch durch Steuererhöhungen kaufen. Wir müssen uns vielmehr engagieren; wir müssen Stellung beziehen, und wir müssen sagen, was wir für Recht und für Unrecht halten. Wir sind gerüstet und stark genug, um auch die Doppelbelastung der nationalen und internationalen Verpflichtungen zu tragen. Wir leisten unseren Beitrag zur nationalen und internationalen Solidarität. Mit dem Haushalt für das Jahr 1991 und mit den weiteren finanzpolitischen Entscheidungen werden wir unserer Verantwortung und den Herausforderungen der Zukunft gerecht. Ich danke Ihnen. ({45})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Herrn Dr. Vogel im Namen des Hauses nachträglich ganz herzlich zu seinem 65. Geburtstag gratulieren, den er am 3. Februar begangen hat. Herzlichen Glückwünsch und Dank für Ihre Arbeit. ({0}) Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Thierse das Wort.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, nachdem ich Ihnen mit Aufmerksamkeit und, wie Sie bemerkt haben, ohne jeden Zwischenruf zugehört habe ({0}) - mal sehen -, frage ich mich und frage ich Sie: Wann waren Sie eigentlich zum letztenmal in einem der sechs neuen Länder, ({1}) in einem Rathaus, in einem der Betriebe, die jetzt vor der Schließung stehen, und unter Leuten, die arbeitslos sind oder von „Kurzarbeit Null" betroffen sind, also nichts zu tun haben? Ich denke, wenn Sie dort gewesen wären, würden Sie über die dortige Situation anders reden. Wiederum - zum wievielten Male und wie lange noch? - muß über die Sorgen ({2}) der Menschen in den östlichen Bundesländern geredet werden, ({3}) über ihre beängstigende Situation und über das Versagen der Bundesregierung. ({4}) Kleinlaute Eingeständnisse, man habe etwas „falsch eingeschätzt" , etwas „unterschätzt", eine „Dimension nicht erkannt" - alles Zitate von Möllemann oder Rühe - können mich angesichts einer langen Debatte zwischen den Parteien, angesichts auch sozialdemokratischer Warnungen, nicht zuletzt von Oskar Lafontaine, ({5}) angesichts eindringlicher Warnungen auch von vielen Sachverständigen und Wirtschaftsleuten heute nur noch zornig machen. ({6}) Trotzdem: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Die dramatische Situation in den neuen Ländern scheint also inzwischen selbst von der Bundesregierung begriffen worden zu sein. Deshalb gestatten Sie mir zur Vergegenwärtigung der Situation nur einige ganz wenige Beispiele. Im Januar dieses Jahres betrug die Arbeitslosenquote im östlichen Deutschland 21 %; die Kurzarbeiter selbstverständlich eingeschlossen. In manchen Regionen der neuen Länder ist bereits jeder zweite arbeitslos. Prognosen über 40 % Arbeitslose Mitte des Jahres sind nicht unrealistisch. In der Stadt Potsdam werden pro Monat 10 Millionen DM benötigt, um die Wärmeversorgung zu gewährleisten. Selbstverständlich ist der Bedarf nicht gedeckt, weil man nicht weiß, woher man die Mittel nehmen soll, weil man der Zusage der Bundesregierung, für diesen Bedarf einzustehen, irrtümlich vertraut hat. In Magedeburg hat die Stadtverwaltung errechnet, daß sie über 200 Milliarden DM benötigt, um allein die Wohnungssubstanz zu erhalten; da ist weder von Sanierung noch von Renovierung und schon gar nicht von Neubau die Rede. Aber das Geld fehlt. ({7}) Die Werftarbeiter in Rostock hatten die Hoffnung, durch die Wartung von Schiffen der NVA, die jetzt der Bundeswehr gehören, einen guten Teil ihrer Arbeitsplätze erhalten zu können. Sie stellen nun fest, daß der Verteidigungsminister die Schiffe in Westdeutschland warten läßt. ({8}) Die Treuhand läßt ohne Konzept Betriebe in die Pleite laufen - Interflug ist nur ein besonders drastisches Beispiel -, weil Entscheidungen zu lange dauern, für die Belegschaft undurchsichtige Kriterien angewandt werden und nicht einmal daran gedacht wird, welche Folgen für die von Ihnen so viel gelobten kleinen und mittleren Betriebe eintreten, wenn Großbetriebe wie Polygraph, Carl Zeiss, Robotron, Wartburg usw. ersatzlos geschlossen werden. Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist ein Verfassungsauftrag. Wir haben dieses Verfassungsgebot frühzeitig ernst genommen. Wir wußten, welches Erbe die SED hinterlassen hat, welche außerordentliche politische, wirtschaftliche, soziale Aufgabe vor uns steht. Wir haben das den Wählern auch vor dem 2. Dezember gesagt. ({9}) Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben sich in diesem Punkt lieber eine Schonfrist von mehreren Monaten gegönnt. Sie haben es verschwiegen oder wundersame Geschichten von den Selbstheilungskräften des Marktes erzählt, eines Marktes, dessen Zusammenbrechen sie im übrigen tatenlos zugesehen haben. ({10}) - Sie waren offensichtlich wirklich noch nie im anderen Teil Deutschlands; sonst wüßten Sie nämlich, wie schwarz es dort in Wirklichkeit ist. ({11}) Es gibt gewiß viele Ursachen für die gegenwärtige katastrophale Misere im östlichen Deutschland. Zur Ergänzung Ihres Katalogs der Ausreden nenne ich nur drei dieser Ursachen: erstens die investitionsfeindliche Fehlentscheidung zur Eigentumsfrage im Einigungsvertrag, die wir nicht zuletzt Herrn Lambsdorff zu verdanken haben, ({12}) zweitens den erbarmungslosen Verdrängungswettkampf westdeutscher Firmen und Handelsketten gegen Ostprodukte, so daß der Binnenmarkt für eigene Produkte der neuen Ländern zusammengebrochen ist, ({13}) drittens und vor allem den vollständigen Ausfall von Wirtschaftspolitik aus Bonn im letzten halben Jahr. ({14}) Wo blieb denn das reich entfaltete wirtschaftspolitische Instrumentarium, das möglich und sinnvoll gewesen wäre und immer noch ist: von der Gewährung von Mehrwertsteuerpräferenzen für das Gebiet der ehemaligen DDR bis zu für die neuen Länder beschäftigungswirksamen Auflagen bei Staatsaufträgen an Firmen in Westdeutschland oder für Aufträge in den neuen Bundesländern, von der Förderung privater Investitionen durch Sofortabschreibungen oder Investitionszulagen bis zu Bürgschaften, Beteiligungsgesellschaften und bis zur Übernahme sanierungsfähiger Betriebe in industrielles Bundesvermögen, wie es bei VW und Salzgitter in der Geschichte der Bundesrepublik so erfolgreich geschehen ist? Nichts von alledem! Es gibt auch keinerlei Ansatz zu einer Industrie- und Strukturpolitik für die neuen Länder, sondern nur Zuwarten, Bagatellisieren, Schönreden, eine Politik der Selbsttäuschung und der Täuschung anderer. ({15}) Es ist nicht mehr die Erblast der SED allein. Es sind auch Ihre Versäumnisse, zu deren Wiedergutmachung wir als Opposition mahnen müssen. Aber eines bleibt dabei klar: Sie sind die Bundesregierung, Sie haben die Verantwortung, und Sie haben die Mehrheit hier im Hause, mit der Sie darüber bestimmen, womit und von wem der von Ihnen grundlos erhöhte Preis der Einheit bezahlt werden muß. Herr Waigel, mir dröhnen die Ohren von Ihrem unüberhörbaren Schweigen, einem Schweigen, das nun schon seit Monaten anhält und immer lauter wird. Seit Sommer vorigen Jahres haben wie Sie aufgefordert, Zahlen über die Kosten der deutschen Einheit zu nennen und Vorschläge zu machen, wie diese Kosten vernünftigerweise aufzubringen sind. ({16}) Wir haben Sie immer wieder geradezu angefleht, solche Vorschläge zu machen, nicht um sie abzulehnen, nicht um uns vor der Verantwortung zu drücken, ({17}) sondern um sie, wo irgend möglich, mitzutragen um der Qualität der deutschen Einigung willen. ({18}) Jeder weiß, was jetzt erforderlich ist. Aber der Bundesregierung möchte ich es vorsichtshalber noch einmal sagen: Die Menschen brauchen Arbeit. Woher kann sie kommen? Wir stellen heute einen Entschließungsantrag. Ich will ihn nicht ausführlich referieren, sondern daraus nur drei Schwerpunkte erläutern: Erstens. Die öffentlichen Hände müssen investieren: in das Verkehrswesen, in das Kommunikationswesen, in Wohnungen - Erhalt, Erneuerung, Neubau - , in die Wasserversorgung, in die Energieversorgung und in das Energiesparen. Die öffentlichen Hände müssen ihre Dienstleistungseinrichtungen erhalten und ausbauen. Das gilt vor allem für das Gesundheitswesen, die Kinderbetreuung, die Justiz und - mit Verlaub - die Kultur. Zweitens. Die Länder und Gemeinden brauchen dringend ausgebildetes, hockqualifiziertes Personal. Das heißt, sie brauchen auch die Mittel, um diese Menschen angemessen zu entlohnen. Es gibt im übrigen gute Leute nicht nur in westdeutschen Behörden, es gibt engagierte und qualifizierte Menschen auch in sogenannten Warteschleifen. ({19}) Drittens. Wir brauchen private Investitionen. Der Staat kann dazu etwas sehr Einfaches tun: Er kann diese Investitionen verbilligen. Meinetwegen können sie ganz abgeschrieben oder ganz bezuschußt werden. Wenn wir ein solches Angebot befristet unterbreiten, werden wir endlich an die Arbeit gehen können. Alles, was uns heute regional und sektoral wegbricht, wird uns morgen fehlen und alle in Deutschland auf Dauer belasten. Man sollte lieber jetzt bei den investiven Ausgaben großzügig sein, als über Jahre einen Berg von rein konsumptiven Sozialausgaben mit sich herumzuschleppen. ({20}) Über das zuletzt Gesagte besteht wahrscheinlich weitgehende Einigkeit. Aber - so lautet die peinigende Frage - : Wer soll das bezahlen? Unsere Gegenfrage war stets: Wieviel wird es denn kosten? Auch ich kann mich auf keine Summe festlegen. Ich bin kein Finanzminister und habe auch keinen Apparat. Von einem zusätzlichen Bedarf von 200 bis 230 Milliarden DM in den nächsten vier Jahren ist die Rede. Ich vermute nach den Beobachtungen des letzten Jahres, es könnten sogar noch mehr werden. Wir stehen zu unseren Wahlkampfaussagen. Eine der wichtigsten lautete, ohne Steuererhöhungen werde es nicht gehen. ({21}) Das haben wir vor der Wahl gesagt. ({22}) Eine pauschale Zustimmung zu Steuererhöhungen, wie die Regierungsparteien sie uns jetzt abverlangen, um ihren Wortbruch besser bemänteln zu können, einen solchen vorauseilenden Gehorsam können Sie von uns nicht verlangen. ({23}) Ich fordere den Bundeskanzler deshalb auf: Kommen Sie auf uns zu! Gestehen Sie sich und uns ein, daß Sie sich - ich will es freundlich bezeichnen - verschätzt haben! ({24}) Sie wissen, und wir wissen: Erhebliche Mehreinnahmen des Staates sind notwendig. Sie sind notwendig für einen guten und vernünftigen Zweck, nämlich für das friedliche Werk der deutschen Einigung. Für die deutsche Einigung sind Ausgaben tausendmal vernünftiger verwendet als für Aufgaben im Zusammenhang mit einem Krieg. ({25}) Herr Waigel, geben Sie sich einen Ruck! Machen Sie seriöse, lautere und großzügige Vorschläge zur Finanzierung der deutschen Einigung ({26}) und zur Bewältigung der dramatischen Probleme in den sechs neuen Ländern. Wir werden Ihre Vorschläge unvoreingenommen prüfen. Die SPD ist keine dumme Neinsagerpartei. ({27}) Wir haben zur deutschen Einheit ja gesagt. ({28}) - Sehr lange vor Ihnen! ({29}) Ich weiß noch sehr genau, warum ich in die SPD eingetreten bin. Das hat etwas mit ihrem Verhältnis zur deutschen Einheit zu tun, mit ihrem lange währenden Verhältnis zu dieser Einheit. ({30}) Wir haben zur deutschen Einheit ja gesagt, und wir sagen auch zur Überwindung der Teilung durch Teilen ja. Wir werden Ihre Vorschläge, die Sie machen müssen - Sie sind schließlich in der Regierung - , prüfen. Wenn die Steuern sozial gerecht und ökologisch vernünftig sind, wenn weitere Kreditaufnahmen auf das engste begrenzt bleiben - das ist ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft - und wenn das böse Spiel aufhört, arme und reiche Bundesländer, östliche und westliche Bundesländer, SPD- und CDU-regierte Bundesländer gegeneinander auszuspielen, dann kann man mit der Opposition reden. An die Stelle von Tricks auf Kosten der Bundesländer müssen zwei Grundsätze treten: Erstens. Alle Länder sind gleichzustellen. Aber Gleichheit bedeutet, Ungleichheit zu berücksichtigen. ({31}): Richtig!) Mit dieser Maßgabe sind die neuen Länder den alten Ländern vergleichbar finanziell auszustatten! Zweitens. Die öffentlichen Dienstleistungen und die Gestaltungsspielräume der Länder dürfen dabei nicht abgebaut werden. Der wichtigste Grundsatz aber ist für die Sozialdemokraten, daß man nicht Steuern erheben kann, die alle treffen, wenn man zugleich Steuern für Einzelinteressenten drastisch senkt. ({32}) Die Steuersenkungspläne für Unternehmen und Spitzenverdiener gehören über Bord, Herr Waigel. Sonst können wir nicht mit ins Boot. ({33}) Daß Gleichbehandlung Ungleichheiten berücksichtigen muß, gilt nicht nur für Bundesländer, sondern auch für die einzelnen Steuerzahler. Vom Kleinverdiener kann nicht dasselbe erwartet werden wie vom Millionär. Deshalb fordern wir eine Ergänzungsabgabe von 10 % auf alle zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM für Ledige bzw. 120 000 DM für Verheiratete. ({34}) Wir fordern auch eine Arbeitsmarktabgabe, damit Beamte, Selbständige, Abgeordnete, Finanzminister und andere Minister sowie die inzwischen erheblich gewachsene Anzahl von Staatssekretären ihre Chance zur Solidarität erhalten. ({35}) Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei muß finanziell großzügig sowie schnell und unbürokratisch gehandelt werden. Das Geld, das wir heute in einer gemeinsamen Anstrengung aufbringen, spart uns morgen nicht nur Geld. Es geht um die Überwindung von Angst und Verzweiflung, die ganz schnell in Protest umschlagen kann, ({36}) was noch gut wäre, aber auch in Aggression; das wäre - ich hoffe, wir sind da einer Meinung - sehr zu bedauern. ({37}) - Entschuldigung, ich heize Arbeitslosigkeit nicht an; ich rede nur über sie, um sie zu bekämpfen. ({38}) Herr Waigel, wenn wir Arbeit und soziale Sicherheit finanzieren, die den Menschen eine Perspektive bieten, dann schaffen wir Freiheit von Not und setzen Gestaltungskräfte frei, die am Ende allen zugute kommen. Darf ich Ihnen, Herr Waigel, zum Abschluß ein ermunterndes Goethe-Wort dedizieren: „Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken. " Warum sollte das nicht auch Ihnen gelingen? Danke schön. ({39})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer neue Forderungen, ganz gleich, von welcher Seite sie formuliert werden, tragen vielfach mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung bei. ({0}) Der Prozeß der Wiedervereinigung ist ein einmaliger geschichtlicher Vorgang. Man kann auf vergleichbare Prozesse in der Vergangenheit nicht zurückgreifen. Herr Kollege Thierse, wir haben die Schwierigkeiten nicht nur theoretisch diskutiert, sondern wir versuchen, die Menschen auf ihrem schwierigen Weg zu begleiten, den sie in den neuen Bundesländern zu gehen haben. Ich sage dies sehr persönlich, weil ich mich in den neuen Bundesländern sehr engagiere: Meine Eltern sind 1953 aus der DDR vertrieben worden. Ich kenne die Probleme von damals und von heute aus eigenem Erleben. Ich kenne die Sorgen aus vielen Gesprächen mit Freunden und Verwandten, mit denen ich nicht erst seit der Öffnung der Mauer, sondern seit 1970 ständig im Gespräch bin. ({1}) Wir engagieren uns hier nicht, indem wir die Situation dramatisieren, sondern indem wir versuchen, einerseits Verständnis für die Probleme aufzubringen, andererseits bei den Menschen in den neuen Bundesländern Verständnis dafür zu gewinnen, wie schwierig der Weg ist, die Krise des Sozialismus nach 40 Jahren Sozialismus zu überwinden. ({2}) Ich glaube, in den vergangenen eineinhalb Jahren hat sich niemand für die Menschen, für ihre Probleme und Sorgen mehr engagiert als Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel, die beide in vielen Gesprächen und Besuchen immer wieder versucht haben, die Probleme nicht zu bagatellisieren, sondern sie sehr deutlich herauszustellen. Mit einer Dramatisierung der Probleme nehmen wir den Menschen in den neuen Bundesländern den Mut. Was sie brauchen, ist Mut auf diesem schwierigen Weg. Wir sollten ihnen helfen, Selbstvertrauen zu gewinnen, damit sie die Schwierigkeiten mit unserer Hilfe überwinden können. Wenn Sie sagen, wir hätten die Probleme unterschätzt, muß ich darauf hinweisen, daß auch Ihr Kanzlerkandidat Lafontaine noch in der Mitte des vergangenen Jahres erklärt hat, die DDR sei ein blühendes Industrieland. Wir haben bereits damals auf die riesigen wirtschaftlichen Probleme und den Zusammenbruch der Industriestrukturen hingewiesen. Die einander widersprechenden Aussagen „Öffentliche Haushalte in den neuen Bundesländern stehen kurz vor dem Aus" einerseits und „Die neuen Länder rufen Milliarden-Beträge nicht ab" andererseits sind jedoch kaum geeignet, Licht in die teilweise verworrene Situation zu bringen. Ich möchte deswegen die heutige Debatte nutzen, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Ich will dazu drei Fragen formulieren: Erstens. Hat der Bund den von ihm geforderten Beitrag geleistet? Zweitens. Wie steht es mit dem solidarischen Beitrag der alten Länder? Drittens. Wie können wir kurzfristig helfen, um vorhandene Investitionshemmnisse in den alten Ländern aus dem Weg zu räumen? Die Antwort auf die erste Frage lautet klar und eindeutig: Ja. Der Bund leistet seinen Solidarbeitrag. Er erfüllt natürlich nicht alle an ihn gerichteten Forderungen. Das hat er nie getan; denn der Bedarf, die Forderungen sind nahezu grenzenlos, die Möglichkeiten der Finanzierung aber immer wieder begrenzt. Hier trägt der Bund gesamtstaatliche Verantwortung. Der gestern im Kabinett verabschiedete erste gesamtdeutsche Haushalt 1991 ist dafür der beste Beweis. Nachdem bereits 1990 Milliardenbeiträge zur Anschubfinanzierung im sozialen Bereich, für erste Maßnahmen im Infrastruktur- und Umweltschutzbereich und für vieles mehr geleistet wurde, wird dieser Weg der Hilfe 1991 konsequent fortgesetzt. Entsprechend dem Haushaltsentwurf sind rund ein Fünftel der Gesamtausgaben, also 80 Milliarden DM von rund 400 Milliarden DM, einigungsbedingte Ausgaben. Dazu kommen die Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit, die am Kapitalmarkt aufgenommen werden. Dazu kommen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, die größtenteils von den Beitragszahlern getragen werden. Ich sage ohne jede Einschränkung: Der Bund ist damit an die Grenze seiner Möglichkeiten gelangt, und dies im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens. Wir tragen gesamtstaatliche Verantwortung für Stabilität, Beschäftigung und wirtschaftliches Wachstum. Zweitens. Der Bund kann sich der im Weg der Wiedervereinigung auf Deutschland zukommenden höheren internationalen, auch finanziellen, Verantwortung nicht entziehen. ({3}) Die Warnungen der Deutschen Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht vor einer Schuldenlawine müssen ernst genommen werden. Mit knapp 70 Milliarden DM Nettokreditaufnahme für 1991 bleibt die Bundesregierung innerhalb ihrer Eckwertebeschlüsse vom vergangenen November. Dies bedeutet Kontinuität und Verläßlichkeit; für den Kapitalmarkt sehr wichtige Indikatoren. Damit wissen alle, welchen Teil des Sparvolumens der Bund für seine Aufgaben in diesem Jahr beansprucht. Das wirkt stabilisierend auf das Zinsniveau; die Hypothekenzinsen sinken bereits. Lassen Sie mich zum zweiten Grund kommen. Bis heute hat es die Bundesregierung geschafft, die aufgelaufenen zusätzlichen Verpflichtungen aus der höheren internationalen Verantwortung im Rahmen der 70 Milliarden DM Neuverschuldung aufzufangen. Wir wissen jedoch alle, daß die bisherigen Beträge noch nicht die Endbeträge sind. Wir wissen auch, daß sich die Bundesrepublik diesen Verpflichtungen nicht entziehen kann und - das füge ich für unsere Fraktion hinzu - auch nicht entziehen will. Bei Teilen der SPD habe ich da meine Zweifel. Sie sollten sich hier ein Beispiel an der Labour Party Großbritanniens nehmen. Eine solche Haltung der Opposition würde auch uns die internationalen Verhandlungen erleichtern. ({4}) Die zusätzlichen Verpflichtungen beziehen sich jedoch nicht nur auf das Gebiet des Nahen Ostens. Wir sind vor allem in Osteuropa gefordert. Ich fasse zusammen: Der Bund leistet seinen Beitrag. Mehr kann er aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung und auf Grund der zunehmenden internationalen Verpflichtungen nicht übernehmen. Die Antwort auf die zweite Frage, wie es mit dem Solidarbeitrag der alten Länder steht, ist aus meiner Sicht klar zu beantworten: Der Beitrag der alten Bundesländer ist zu gering. ({5}) Ich hoffe, daß die Finanzminister aller Länder heute zu einvernehmlichen Lösungen kommen. Die Lösung kann nur lauten: Stärkung des föderativen Staatsaufbaus. Dazu gehört eine angemessene Finanzausstattung. Dies betrifft in erster Linie die Finanzbeziehungen der Länder untereinander. Meine Damen und Herren, Sonntagsreden allein helfen uns nicht weiter. Die neuen Länder müssen als gleichberechtigte Partner behandelt werden. Das heißt konkret, der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer ist für alle Länder nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu verteilen. Das wäre der erste Schritt in die richtige Richtung; denn gestaltende Politik ist nur mit eigenem Geld möglich. ({6}) Die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse wird im wesentlichen bestimmt durch eine angemessene Finanzausstattung der Länder untereinander. Der Aufbau einer eigenen Verwaltung hängt auch vom Geld ab. Die Forderung nach einer angemessenen Finanzausstattung habe ich in der Vergangenheit allzuoft aus den Landeshauptstädten der alten Länder gehört. Sie müssen sich nun an ihren eigenen Maßstäben messen lassen. ({7}) In diesem Zusammenhang stelle ich aber aus der Bundessicht genauso klar fest, daß der Bund die Forderungen der neuen Länder, die Subventionen, etwa im Wohnungsbau und in vielen anderen Bereichen, weiter zu finanzieren, zurückweisen muß. Im vergangenen Jahr hat der Bund alle Verpflichtungen der ehemaligen DDR übernommen. Die Länder waren erst im Aufbau, aber die Kompetenzen für diesen Bereich liegen unbestritten bei den Ländern. Deswegen müssen auch die Länder in diesem Bereich ihre Verantwortung übernehmen. Lassen Sie mich iur dritten Frage kommen: Wie können wir kurzfristig Investitionshemmnisse in den neuen Ländern überwinden? Eines gleich zu Beginn: Neue Programme sind dazu nicht notwendig. Ich darf daran erinnern, daß die Umstrukturierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern mit zahlreichen Hilfen unterstützt worden ist, auf die der Finanzminister noch einmal hingewiesen hat. Die Schwierigkeiten liegen doch vielmehr in der Umsetzung dieser Programme. Dies liegt im wesentlichen an der bisher unzureichend funktionierenden Verwaltung in den neuen Bundesländern, insbesondere auf kommunaler Ebene. ({8}) Schuld tragen nicht die Menschen, die dort leben. Die Deutschen dort sind unter einem durch Bevormundung und Fremdbestimmung geprägten System aufgewachsen. ({9}) Leistungsbereitschaft hängt mit Selbstvertrauen zusammen. In einem Staat, in welchem die Partei alles regelte, wurde Selbstvertrauen systematisch unterdrückt. Daß heute die Menschen trotz dieser Vergangenheit bereit sind, sich zu engagieren, ist um so erstaunlicher. ({10}) Die Menschen brauchen unsere Hilfe auf ihrem schwierigen Weg. ({11}) Sie brauchen vor allem Verständnis, und sie brauchen personelle Hilfe bei der Überwindung dieser Schwierigkeiten. ({12}) Wir müssen ihnen auf diesem schwierigen Weg Mut machen, und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sollten aufhören, den Weg Lafontaines, die Krise herbeizureden, fortzusetzen. ({13}) Damit helfen Sie den Menschen nicht, sondern damit nehmen Sie ihnen den Mut für ihren schwierigen Weg. ({14}) Allerdings ist planwirtschaftliches Denken nicht auf Knopfdruck mit dem Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 verschwunden. Die Umstellung auf das marktwirtschaftliche System ist nur durch einen Lernprozeß zu verwirklichen. Lernen kann man am besten in der Praxis. Es ist deshalb notwendig, in weit größerem Maße als bisher Anreize dafür zu setzen, daß geschultes Verwaltungspersonal im Gebiet der ehemaligen DDR tätig sein kann. Wir haben bei den Beratungen über den Nachtragshaushalt dafür befristet - gegen den Widerstand der Opposition - finanzielle Hilfen zur Verfügung gestellt. Wir werden diese finanziellen Hilfen - ich hoffe, diesmal mit der Zustimmung der Opposition - verlängern. ({15}) - Ich weiß, der Kollege Esters hat da mitgemacht, aber die Mehrheit der Opposition hat im Haushaltsausschuß dagegen gestimmt. Der Finanzminister aus Brandenburg, der heute weitere Unterstützungen fordert, hat damals im Haushaltsausschuß vehement dagegen plädiert, den Einsatz von fachkundigem Personal mit finanzieller Hilfe zu unterstützen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Struck?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) - Vielen Dank, Peter. Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung - dies wird an diesem praktischen Beispiel des deutschen Einigungsprozesses deutlich - ist unendlich wichtig für eine funktionierende Marktwirtschaft. Beklagen sich bei uns Partner, die am Wirtschaftsprozeß beteiligt sind, oftmals über zuviel Verwaltung, so ist das Gegenteil, eine nicht funktionierende Verwaltung, genauso lähmend oder noch lähmender. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich deshalb bei den Haushaltsberatungen intensiv darum bemühen, den Verwaltungsaufbau in den neuen Ländern unterstützend zu begleiten. Ich fasse zusammen: Der Bund kommt gegenüber dem Beitrittsgebiet seinen Verpflichtungen nach. ({1}) Die alten Länder sind gefordert, einen höheren Solidarbeitrag zu leisten. ({2}) Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam für einen beschleunigten Aufbau einer funktionierenden Verwaltung sorgen. Gelingt dies, dann bin ich zuversichtlich, daß wir unserem gemeinsamen Ziel, der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in Deutschland, schon 1991 ein großes Stück näher kommen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnet Herr Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt den ersten gesamtdeutschen Haushaltsentwurf vor. Er ist mit 400 Milliarden DM der größte in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik. Aber in welcher Situation legt sie ihn vor? Wie greift er in diese Situation ein? Die wirtschaftliche Situation im Westen ist sehr günstig, die im Osten ist - vorsichtig gesagt - düster. Die soziale Situation im Westen ist bei weitem nicht so günstig wie die wirtschaftliche. Auch hier gibt es mehr als 6 Millionen Menschen, die z. B. von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind. Im Osten jedoch nähert sich die soziale Lage der Katastrophe: Arbeitslosigkeit, die schneller zunimmt, als selbst die kritischsten Analysen noch vor wenigen Monaten sagten; Gemeinden stehen vor der Pleite - eine hat bereits ihre Verwaltung dichtmachen müssen -; Betriebe brechen zusammen oder werden von der Un-Treuhand in den Konkurs manövriert wie die Interflug. Ein Land, die frühere DDR, das jahrzehntelang mit geringerer Produktivität - das stimmt - und mit vielen selbstgemachten Problemen vor sich hinwirtschaftete, immerhin 1988 aber noch der zehntgrößte Industriestaat der Welt war und weder Arbeitslosigkeit noch explodierende Mieten kannte, lernt jetzt auch die zweifelhaften Segnungen des kapitalistischen Westens kennen: Massenarbeitslosigkeit - insbesondere sind die Frauen betroffen - , Verarmung großer Schichten der Bevölkerung, Miet- und Wohnungsnebenkostensteigerungen in sehr starkem Maße, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit bei immer mehr Menschen, steigende Selbstmordzahlen. Und was macht die Bundesregierung in dieser Situation? Sorgt sie für wirksame Abhilfe, z. B. durch öffentlich finanzierte Hilfsprogramme? Nein. Geklotzt wird vielmehr bei der deutschen Beteiligung am Golfkrieg; über 17 Milliarden DM werden allein im ersten Quartal 1991 dafür bereitgestellt. Weitere unabsehbare Milliardenforderungen kommen von den einen Angriffskrieg führenden alliierten Mächten, an der Spitze von den Amerikanern, auf die BRD zu. ({0}) Der Golfkrieg droht zu einem Milliardengrab bisher nicht gekannten Ausmaßes zu werden, auch für die Bundesrepublik, auch für die öffentlichen Haushalte in der BRD. Irgendwie scheint er dennoch wie gerufen zu kommen, nämlich sozusagen als patriotischer Vorwand, um Steuererhöhungen durchzusetzen, Steuererhöhungen für die neue Großmachtrolle Deutschlands. Wir sind wieder wer, und wir sind wieder dabei. Bezahlen sollen über Verbrauchsteuererhöhungen vor allem die Normalverdiener und die sozial Schwachen. Geschont werden sollen dagegen die Reichen und Superreichen, die Spekulations-, die Kriegs- und die Anschlußgewinnler in der deutschen Wirtschaft. Der Golfkrieg kommt auch wie gerufen, um die vor der Wahl abgegebenen Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, nunmehr schlicht und einfach zu brechen. Angesichts des stolzen Gefühls, wieder dabei zu sein, meint man, würden die Bürger eine Kriegssteuer schon hinnehmen. Geklotzt wird also bei der Kriegsbeteiligung am Golf, womit sich die BRD zugleich am Bombenterror und an Akten des Völkermords gegenüber der irakischen Zivilbevölkerung beteiligt. ({1}) Gekleckert wird dagegen im Osten. Erst hat die Bundesregierung die DDR ökonomisch einfach zugrunde gehen lassen, ({2}) im Rahmen planmäßiger Planlosigkeit sozusagen. Wer eine Volkswirtschaft mit dem Produktivitätsniveau 100, die BRD, auf eine Volkswirtschaft mit dem Produktivitätsniveau 60, die DDR, aufprallen läßt, riskiert den völligen Zusammenbruch der weniger produktiven Volkswirtschaft. Dieser Zusammenbruch tritt jetzt in der DDR ein. Ursache ist das Fehlen jeder Übergangsregelung, jeder Sicherung eines geordneten Übergangs auf neue ökonomische Strukturen. Der Crashkurs, begonnen mit der Währungsunion, rächt sich nun bitter. Die BRD - oder besser: die Mehrheit der Bevölkerung - wird für das wirtschaftspolitische Versagen der Bundesregierung in der historischen Stunde des Anschlusses der DDR an die BRD schwer gestraft. Sie muß jetzt in einem Maße Steuer- und Sozialabgabenopfer bringen, wie sie bei einer planmäßigen Oberleitung auf die Bedingungen des einheitlichen Deutschlands nicht notwendig gewesen wären. Nun muß die Bundesregierung aber vor allem Löcher stopfen. Das heißt genaugenommen: Sie stopft sie gar nicht oder nur unzureichend. Sie läßt die Finanzlöcher, z. B. bei den Gemeinden- und Länderfinanzen, in den fünf neuen Bundesländern einfach größer und größer werden. Die derzeitige finanzpolitische Diskussion ist seitens der Bundesregierung durch Konfusion und Konzeptlosigkeit gekennzeichnet. Aber auch das hat Methode. Nur in einem sind sich alle Vertreter der Koalitionsparteien einig: An den wirklichen Reichtum dieser Gesellschaft, an den Reichtum insbesondere der Wirtschaft soll nicht herangegangen werden. Wir, die PDS, fordern dagegen ein Soforthilfeprogramm für den Osten, ({3}) mit dem dem Beschäftigungsabbau, z. B. durch Vergabe öffentlicher Aufträge, entgegengewirkt wird; ein Soforthilfeprogramm, mit dem ökologisch und sozial sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden, ({4}) in der Althausmodernisierung und Wohnumfeldverbesserung, bei der Gebäudeisolierung und Wärmedämmung, im Infrastrukturausbau, in der Altlastenentsorgung, ({5}) bei der Umstellung von Produkten und Verfahren im Maschinenbau, in der Textilindustrie, in den Werften, in der Nahrungsmittelindustrie, in der Landwirtschaft, in den östlichen Bundesländern insgesamt; ein Soforthilfeprogramm, mit dem soziale Dienstleistungen im Bildungssystem, bei der Kinder- und Kleinkinderbetreuung nicht abgebaut, sondern ausgebaut werden und mit dem zum Teil - ich denke, das sollten wir sogar auf den Westen übertragen - auch hier ähnliche Versorgungsgrade wie früher in der DDR geschaffen werden - da hat, denke ich, manches Modellcharakter -; ein Soforthilfeprogramm insbesondere auch im Kulturbereich, damit nicht zum Teil einmalige Potentiale kultureller Leistungsfähigkeit einfach weggeholzt, sondern erhalten werden. Es bedarf dazu der Initialzündung. Es bedarf planmäßiger Entwicklung und Ausrichtung gezielter beschäftigungspolitischer Strukturkonzepte auf regionaler, kommunaler und Länderbasis in den neuen Bundesländern. Dazu muß insbesondere die Treuhand anders organisiert, demokratisiert werden. Privatisierung darf nicht mehr alleiniges Ziel sein. Dazu müssen Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften in der Treuhand wirkliche Mitbestimmungsrechte erhalten. Die für ein solches Hilfsprogramm notwendigen Mittel sind doch durchaus vorhanden. Sie müssen nur durch politischen Willensakt, z. B. hier, erschlossen werden. Wir, die PDS, schlagen daher vor: neben Steuererhöhungen für höhere Einkommen - da sind wir mit einigen anderen Kräften hier durchaus einer Meinung - Vermögensabgaben für alle natürlichen und juristischen Personen jenseits einer Grenze von 500 000 DM Nettovermögen, in die Vermögensstruktur muß eingegriffen werden. Wir schlagen insbesondere gezielte Solidarabgaben für den Aufbau im Osten durch Erhebung entsprechender Abgaben vor, und zwar erstens auf den weiter wachsenden Mittelzufluß der Wirtschaft - das sind derzeit jedes Jahr nämlich bereits über 600 Milliarden DM - , zweitens auf die riesigen, vagabundierenden Kapitalien der Wirtschaft, drittens auf versteckte Vermögenswerte der Unternehmen, die sogenannten stillen Reserven, viertens auf Rüstungsgewinne der deutschen Rüstungsindustrie, fünftens auf die im Osten zum Teil durch völlig aufwendungslosen Erwerb angeeigneten Vermögenswerte und sechstens auf sonstige spekulative Gewinne. ({6}) Eine solche Finanzpolitik könnte zugleich ein Beitrag zur Abschwächung der wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich auch im Westen sein. ({7}) Sie würde der Wirtschaft zugleich etwas von ihrem aggressiven Druck auf die Gesellschaft und die natürliche Umwelt - Beispiel: Erpressung durch die Pharma-Konzerne - nehmen, und sie würde auch die Probleme der Menschen im Osten lösen helfen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wer der Rede des Abgeordneten Briefs zugehört hat, ({0}) der muß sich wohl daran erinnern, daß er es war, der am 17. Juni vorigen Jahres, als der jetzige Ministerpräsident Stolpe die Festrede hielt, mit einer Fahne mit Ähre und Zirkel fortgesetzt umherschwenkte. Sie haben die deutsche Einheit nie gewollt. Sie wollen die DDR auch heute noch, und Sie trauern darüber, daß die deutsche Einheit die DDR abgeschafft hat. Das ist die Wahrheit. ({1}) Ich bekenne ganz offen, daß mir diese Rede heute schwerfällt. Wer korrigiert sich schon gerne selber? Aber darum geht es nicht, und darum darf es auch nicht gehen. Es widerspricht meiner ganzen ökonomischen Grundüberzeugung, auf Strukturbrüche im Osten Deutschlands mit Steuererhöhungen reagieren zu müssen. Aber ebenso hielte ich es für grundfalsch, die staatlichen Defizite noch weiter auszudehnen. Es ist - verzeihen Sie dieses Bild - die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und es ist die traurige Erkenntnis, daß wir zwar viel von „teilen" gesprochen haben, daß aber offenbar gerade die Politik - ganz generell: die Politik - dazu nur begrenzt oder gar nicht willens ist. Es ginge doch nur darum, das Mehr im Westen jetzt den Menschen im Osten unseres Landes zu überlassen. Aber die Gebietskörperschaften im Westen schaffen nicht einmal die notwendige Ausgabendisziplin. Es wird der Koalition, der FDP, mir persönlich vorgeworfen, wir hätten uns geirrt, wir hätten die Wähler getäuscht. ({2}) Ich bestreite Irrtum in Teilbereichen nicht, ich wehre mich aber entschieden gegen den Vorwurf der Täuschung. Dafür nur drei Beispiele: Ich habe am 4. Oktober 1990 bei unserer Debatte im Reichstag gesagt: Der wirtschaftliche Tiefpunkt ist noch gar nicht erreicht. Die Talsohle ist noch längst nicht durchschritten. Niemand sollte den Neubürgern der größeren Bundesrepublik etwas vormachen. Der Wiederaufbau wird Jahre erfordern, Geduld und harte Arbeit dazu. In fast allen meinen Wahlreden - ich habe gestern noch einmal in meinen Redenotizen nachgesehen - habe ich gesagt, daß wir im Sommer 1991 mit 3 Millionen Arbeitslosen rechnen mußten. Und das wird kommen. Die Null-Kurzarbeit ist gleich Arbeitslosigkeit. Das habe ich überall gesagt. Wenn uns Herr Briefs erzählen will, die DDR sei noch vor wenigen Jahren das zehntgrößte Industrieland der Welt gewesen: Das ist sie deswegen gewesen, weil die Statistiken lügenhaft waren. Das war der einzige Grund dafür. ({3}) Wie oft habe ich im Wahlkampf gesagt - nicht immer zur Freude auch unseres Koalitionspartners, vielleicht manchmal auch nicht eigener Parteifreunde -, daß eine noch so wahlerfolgreiche Regierung das Ende einer Legislaturperiode nicht erleben kann, wenn es uns nicht gelingt, Dynamik und Wachstum der Marktwirtschaft im Osten zu entfalten. ({4}) Aber ich habe auch gesagt: Wir müssen es schaffen, wir werden es schaffen. Dieser festen Überzeugung bin ich auch heute noch. Es ist richtig: Die finanz- und haushaltspolitische Lage in der Bundesrepublik hat sich am Beginn dieses Jahrzehnts fundamental verändert. Die Hilfen, die der Bund den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt hat, haben tiefe Löcher gerissen. Haushaltspolitische Belastungen sind entstanden, die mit außenpolitischen Aspekten des Einigungsprozesses, mit dem Verhältnis zur Sowjetunion etwas zu tun haben. Eine neue große Aufgabe, die noch nicht zu beziffern ist, ergibt sich aus der Entwicklung in den Reformländern Mittel- und Osteuropas. Was muß in Jugoslawien nach den heutigen Nachrichten geschehen? Schließlich die Golfkrise. Bisher haben wir rund 17 Milliarden DM aufgebracht oder werden sie aufbringen. Wir wissen nicht, was noch folgt. Es gibt haushaltspolitische Risiken, die wir selbst produziert haben. Hier denke ich vor allem an Länder und Gemeinden, die schon seit einiger Zeit vom Kurs der soliden Ausgabenpolitik abgewichen sind. Im Finanzplanungsrat wurde die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Politik der Ausgabendisziplin auf allen Ebenen immer wieder bekräftigt. Die Ausgaben sollten danach um nicht mehr als 3 % steigen. Und wie sieht es aus? Die Ausgaben der Länder erhöhten sich von Januar bis November vergangenen Jahres gegenüber dem Vorjahr um fast 7 %, und bei den Gemeinden waren es 8,5 %. Diese Entwicklungen sind bedenklich. Sie sind um so bedenklicher, als sich Länder und Kommunen bisher an der Finanzierung der deutschen Einheit wenig beteiligt haben. Sie haben vielmehr auf der Einnahmenseite noch Nutzen daraus gezogen. ({5}) Die in all diesen Entwicklungen angelegten haushalts- und finanzpolitischen Risiken bergen erhebliche ökonomische Gefahren, wenn ihnen nicht durch einen Kurs der strikten finanzpolitischen Solidität begegnet wird. ({6}) Es ist nirgendwo in der Welt bisher gutgegangen, wenn Geld- und Finanzpolitik gegeneinander gearbeitet haben. Entweder nahm die Stabilität Schaden oder Investitionen, Wachstum und Beschäftigung wurden abgewürgt oder sogar beides, wie wir es Anfang der 70er Jahre erlebt haben. Die Koalitionsparteien haben im November 1990 mit dem Eckwertebeschluß die richtigen Konsequenzen gezogen. Zu Recht mahnt die Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom Februar zur Ausgabendisziplin, vor allem auf den Ebenen von Ländern und Gemeinden. Nach dem Eckwertebeschluß ist das Defizit der Gebietskörperschaften 1991 auf 140 Milliarden DM zu begrenzen. Aber wenn Sie die Planungen von Ländern und Gemeinden zugrunde legen, dann beziffert die Bundesbank diesen Betrag heute schon auf 155 Milliarden DM. Von Solidität der Finanzpolitik kann unter solchen Umständen kaum noch gesprochen werden. Konsolidierung heißt in erster Linie strikte Sparsamkeit und Ausgabendisziplin. Der Beschluß der Bundesregierung, 2 % Ausgabenzuwachs in den nächsten Jahren nicht zu überschreiten, ist richtig, ist notwendig. Unterstützung sollten alle Initiativen zur Sparsamkeit finden. Das gilt insbesondere für den Ansatz des Bundeswirtschaftsministers, die Subventionen zu kürzen. Sie sind ja nicht nur unter haushaltspolitischen, sondern auch unter ordnungspolitischen Gründen so problematisch. Es gibt genügend Erfahrungsgründe für die Skepsis, die gegenüber diesem Vorschlag geäußert wird - jawohl - , und Herr Möllemann kennt sie selbst sehr gut. Aber wann, wenn denn nicht jetzt, soll das politisch schwierige Vorhaben der Subventionskürzung in Angriff genommen werden? Wie groß muß der Druck denn noch werden? ({7}) Ich vermisse fast jede Anstrengung von Ländern und Gemeinden. Ja, manche warten - so hat es mir ein SPD-Landesminister kühl gesagt - , geradezu darauf, daß die Bundesregierung endlich die Steuern erhöhe, damit die Ausgaben in den alten Bundesländern - er hat seines gemeint - weiter gesteigert werden könnten. ({8}) Das ist eine fatale Entwicklung. Ich bin mit Ihnen, Herr Thierse, der Auffassung, daß Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf, und habe auch das im Wahlkampf gerade zur Steuerpolitik häufig genug gesagt. Sie haben damit recht. Meine Damen und Herren, natürlich sind Sparsamkeit und Ausgabendisziplin allenthalben der bessere Weg. Aber machen wir uns doch nichts vor. Selbst wenn wir alle Anstrengungen schnell unternehmen, die Ausgaben unter Kontrolle zu bringen, dann ist es kaum realistisch, anzunehmen, daß in kurzer Zeit die notwendigen Einsparungen zur Kompensation der Ausgabensteigerungen erzielt werden können. Damit stehen wir vor der Wahl zwischen Steuererhöhungen und noch mehr Schulden. Beides belastet die Wirtschaft. Angesichts der großen Gefahren weiter steigender Defizite muß nach unserer Überzeugung und auch nach meiner Überzeugung - aber ich sage noch einmal: zu der habe ich mich schweren Herzens durchgerungen; ({9}) ich lasse mich dafür auch kritisieren, daß ich nicht vom ersten Tage an auf diese Planke gesprungen bin; es fällt mir verdammt schwer, weil ich es für ökonomisch falsch halte -, das Urteil zugunsten von Steuererhöhungen ausfallen. Sie haben in Ihrem Antrag, Herr Kollege Vogel, eine verräterische Formulierung: Sie wollen auf weitere Kreditaufnahmen „soweit wie irgend möglich" verzichten. ({10}) - Na gut, ich nehme das Wort „verräterisch" gerne zurück. ({11}) Es ist eine irreführende, eine zur Frage veranlassende Formulierung. Was heißt das: „soweit wie irgend möglich"? Ist das eine klare Absage an höhere Defizite oder ist das eine unklare Formulierung, die Ihnen das Fuchsloch offen läßt, doch noch weitere Schulden aufzunehmen? ({12}) Es ist wichtig, daß beim Thema Steuererhöhungen einige Kriterien unbedingt beachtet werden. Es kommt darauf an, daß solche Steuererhöhungen nicht die Investitionen und damit Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigen. Die soziale Politik, die wir heute betreiben müssen, ist auf die Herstellung von Arbeitsplätzen gerichtet. Das ist das einzige Kriterium, an dem sich der Inhalt der Steuerpolitik auszurichten hat, an nichts anderem. ({13}) Herr Thierse, das ist eben die Schwäche des Vorschlages, den Sie vorgetragen haben: auf der einen Seite massive Förderung privater Investitionen und auf der anderen Seite der Vorschlag, diejenigen zu besteuern, die diese Investitionen leisten sollen und leisten können. ({14}) - Wenn Herr Briefs hier sagt, die Inhaber eines Nettovermögens von 500 000 DM sollten herangezogen werden, dann hat der Mann keine Ahnung von den Vermögensverhältnissen deutscher Arbeitnehmer; dann ist das letzte Einfamilienhaus dabei. ({15}) - Ich habe ja nicht gesagt, daß Sie etwas mit Herrn Briefs zu tun haben. ({16}) - Herr Vogel, so weit gehe ich nun doch noch nicht. Wir müssen aufpassen, daß die Leistungsbereitschaft der Leistungsträger der Wirtschaft, die wir gerade jetzt brauchen, nicht gemindert wird. Wir müssen bei den Steuererhöhungen auch aufpassen, daß die Anstöße zur Preis- und Kostensteigerung, die vollständig ja wohl kaum vermieden werden können, möglichst gering gehalten werden. Die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ist die innenpolitische Hauptaufgabe dieser Legislaturperiode. Darin werden alle Fraktionen übereinstimmen. Diese Aufgabe fordert von uns allen ein großes Maß an Verantwortung. Ich bin trotz all der Hiobsbotschaften, die derzeit über uns hereinbrechen, nach wie vor optimistisch, daß wir dies gemeinsam schaffen werden. Es gibt auch gar keine Alternative zu dem eingeschlagenen Weg. Aber ich halte es für falsch, wenn wir - was manche tun - jetzt anfangen, Katastrophengemälde zu malen, die potentielle Investoren nur abschrecken würden. ({17}) Es geht nicht um Schönrednerei, sondern es geht um ein abgewogenes Urteil. Die Diskussion, die derzeit bei uns geführt wird, erschreckt mich schon etwas. Sie kontrastiert interessanterweise zu dem Optimismus und der Zuversicht, die man bei ausländischen Investoren, die in den neuen Bundesländern aktiv werden wollen, antreffen kann und die ich gerade in der vorigen Woche in den USA verspürt habe. Die Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern haben wir weitgehend vorausgesehen. Ich empfehle nur, nochmals in die Gutachten der Institute oder des Sachverständigenrats hineinzusehen. In diesen Gutachten wird über die Entwicklung von Produktion und Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit genau das gesagt, was bisher eingetreten ist. Niemand hat prognostiziert, daß die Wende in diesem Winter eintritt. Es wurde vielmehr vorausgesagt, daß sie erst im Sommer 1991 oder später erreicht werden könnte. Es kommt nicht unerwartet, Herr Thierse, daß Betriebe im Zuge der schweren Strukturkrise durch die Treuhand geschlossen werden müssen. Auch dies wurde - jedenfalls von mir - immer wieder hervorgehoben. Ich habe ja meine leidvollen Erfahrungen mit der Schließung von Werften. Für all die Schiffe, die in Rostock derzeit auf Kiel liegen, gilt: Nach meinen Informationen bringt der Verkaufspreis zweier Schiffe nicht einmal den Materialwert ein; der Verkaufspreis aller anderen Schiffe deckt nicht einmal die Produktionskosten. Die westdeutsche Werftindustrie hatte ja eine ähnliche Situation zu bewältigen. Da hilft doch nur eine Strukturpolitik und eine Ansiedlungspolitik zugunsten neuer Industrien; denn diese Industrie ist zu einem großen Teil nicht mehr wettbewerbsfähig, und sie wird auch nicht mehr wettbewerbsfähig werden. Wir müssen den Menschen das erklären, so schwer das auch fallen mag. Ich habe das in Bremen ja einmal tun müssen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr, Herr Reuschenbach.

Peter W. Reuschenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, empfinden Sie es nicht auch als einen Widerspruch, daß, worauf Sie zuletzt hingewiesen haben, alle Prognosen schon aus dem Sommer des vorigen Jahres auf ein solches ökonomisches Desaster im Gebiet der ehemaligen DDR hingewiesen haben, während Sie und Ihre Parteifreunde, z. B. Herr Möllemann, sich erst in den letzten Wochen zu einer neuen großen Kraftanstrengung durchgerungen haben, um diese - wie Sie selbst sagten - schon so lange erkennbaren Folgen zu überwinden und abzumildern?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Frage, Herr Reuschenbach, schließt an das an, was Herr Thierse gesagt hat, daß wir zuviel Zeit verloren haben. Darf ich einmal fragen, meine Damen und Herren, welche Fraktion in diesem Hause uns daran gehindert hat, im Oktober zu wählen, und auf den 2. Dezember gewartet hat? ({0}) Meine Damen und Herren, schließlich war es auch nicht unerwartet, daß der sogenannte RGW-Handel mit der Umstellung auf konvertierbare Währung zusammenbrechen würde. Auch dies läßt sich z. B. im Herbstgutachten der Forschungsinstitute nachlesen. Aber dies ist, wie ich glaube, im Gespräch mit unseren Landsleuten aus der früheren DDR, Herr Thierse, der wichtige Punkt: Es ist etwas anderes, ob man von einer voraussichtlichen Entwicklung spricht oder ob man sie tatsächlich erlebt, wie das jetzt geschieht. Ich habe auf vielen Marktplätzen in der früheren DDR gesagt: Die verdeckte Arbeitslosigkeit wird sich in offene Arbeitslosigkeit verwandeln. - Die Menschen haben zumeist mit dem Kopf genickt und gesagt: Er hat ja recht. - Jetzt aber werden sie selber davon betroffen; das ist etwas anderes als die rationale Einsicht. ({1}) - Ja, Herr Thierse, es gab in der Tat eine verdeckte Arbeitslosigkeit in Höhe von 2 Millionen. Fast alle Betriebe in der früheren DDR waren zu 100% überbesetzt. Unerwartet, meine Damen und Herren, kamen ganz andere Dinge. Offenbar ist die psychologische VerfasDr. Graf Lambsdorff sung, die den Bürgern der neuen Bundesländer in 40 Jahren Planwirtschaft und Unterdrückung eingetrichtert wurde - Herr Borchert hat dies angesprochen -, schwieriger abzuschütteln, als es erforderlich wäre. Wir hatten nicht in dieser Form mit der Funktionsunfähigkeit der Verwaltungen gerechnet, auch die Schwierigkeiten bei der Überwindung der Eigentumsproblematik wurden falsch eingeschätzt. ({2}) - Ja, siehe unsere Gespräche. Nur, meine Damen und Herren, Herr Vogel, wir haben eine Verfassung, an die wir uns zu halten hatten. Ich bleibe dabei: Wir haben den Grundsatz privaten Eigentums, so wie er in unserer Verfassung geschützt ist, aufrechterhalten. Wir sind es gewesen, die den Anstoß gegeben haben, das Kapitel „Investitionsgesetzgebung" in den Einigungsvertrag einzubringen. Daß dieses Kapitel nachgebessert werden muß, wissen wir; dies läßt die begrüßenswerte Initiative des Justizministers erkennen. Sie hätten auch einen anderen Weg gehen können. ({3}) - Wir alle, Frau Däubler-Gmelin. - Die ungarische Regierung z. B. hat gesagt: Alle kommunistischen Eigentumseingriffe bleiben unberührt - eine konservativ angeführte Regierung. Dies ist nach unserer Verfassung wohl kaum denkbar. Investitionsnotwendigkeiten müssen vor den Schutz des privaten, individualen Eigentumsanspruchs gestellt werden. ({4}) Das steht im Einigungsvertrag. Sie haben dem zugestimmt, aber er ist so, wie wir wissen, nicht genügend handhabbar. Deswegen wird er jetzt nachgebessert. ({5}) Fehleingeschätzt, meine Damen und Herren, habe auch ich die Entwicklung der Einkommen, die sich von der Produktivitätsentwicklung völlig entfernt hat und den Standortvorteil zeitweilig niedriger Arbeitskosten früh vergibt. Aber in einem wiedervereinigten Deutschland mit unbeschränkter Mobilität war es wohl eine Illusion, etwas anderes zu erwarten. Es ist um so gefährlicher, wenn jetzt Löhne gefordert werden, die insbesondere für die Bürger in den neuen Bundesländern falsche Signale setzen und die ohnehin sehr schwerwiegenden Probleme noch erheblich verschlimmern. Differenzierung ist nach wie vor ein Gebot der Stunde. Deswegen appelliert die FDP an die Gewerkschaften - bitte protestieren Sie nicht gleich, sondern hören Sie es bis zum Ende an - , sich in diesem Sinne ihrer wirtschaftspolitischen Verantwortung zu stellen. Viele Gewerkschaften tun dies übrigens. Nur, das sieht man nicht im Fernsehen. Alle diese Faktoren behindern den Aufschwung in den neuen Bundesländern ohne Zweifel. Sie erklären aber nicht oder nur zu einem geringen Teil, was bisher eingetreten ist. Um so bedeutsamer ist, daß sie in die Zukunft wirken. Um so dringlicher ist, daß wirtschaftspolitisch hier angesetzt wird. Die Initiative des Bundeswirtschaftsministers für eine Strategie „Aufschwung Ost" findet deshalb die volle Unterstützung meiner Fraktion. Sie sollte der Koalition als Arbeitsgrundlage für weitere Beschlüsse dienen. Wir müssen sehen, daß die psychologische Situation der Menschen in den neuen Bundesländern in hohem Maße angespannt ist. Wir müssen ihnen auch menschlich helfen. Ganz schlicht gesagt: Wir müssen rüber. Wir müssen unserer Routine hier entrinnen und jetzt auf Straßen und Plätzen Rede und Antwort stehen. Vor allen Dingen müssen wir hören, was sie uns zu sagen haben - dreimal, viermal hinhören. Ich schließe nicht aus, daß diese Anspannung Ausdruck in Emotionen, sozialen Spannungen und Unruhe findet, Herr Thierse; das haben andere auch gesagt. Aber gerade dieses Konfliktpotential erfordert von uns rasches Handeln, verlangt von uns allen, das zu tun, was den Anpassungsprozeß in den neuen Bundesländern schnell voranbringt. Deshalb muß der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern schnell auf eine neue Basis gestellt werden. ({6}) Die neuen Bundesländer müssen unverzüglich 100 % Anteil an der Umsatzsteuer erhalten. ({7}) Deshalb müssen wir, meine Damen und Herren, alle - ich sage: alle - wachstumsbedingten Steuermehreinnahmen den neuen Bundesländern zur Verfügung stellen. ({8}) Um so unverständlicher ist mir manche Hartleibigkeit, ja Kaltschnäuzigkeit, mit der sich die Mehrheit der Länder jedenfalls bisher gegen eine Neugestaltung des Finanzausgleichs wehrt. ({9}) Meine Damen und Herren, die FDP hat früh vor der Neidgesellschaft gewarnt, in der die Bürger im Osten darüber klagen, daß zuwenig getan wird, und im Westen darüber, daß zuviel getan wird. Das zeichnet sich jetzt leider ab. Aber es kann jetzt nicht darum gehen, die alte und schöne Bundesrepublik immer noch schöner zu machen. Oder wie die „Süddeutsche Zeitung" gestern schrieb: „In Thüringen wird ein Rathaus geschlossen, und wir bauen weitere Kongreßzentren, Schwimmhallen oder Rathäuser." Das halten wir auf Dauer nicht aus. Es geht jetzt um den Aufbau der neuen Bundesländer, und der muß schnell geschehen. ({10}) Dieser Aufbau, meine Damen und Herren, der neuen Bundesländer ist die bessere, ist die beste Investition für eine gemeinsame, für eine bessere deutsche Zukunft. Ich bedanke mich für Ihr Zuhören. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Briefs hat ausweislich des Präsidentin Dr. Süssmuth stenographischen Protokolls in seiner Rede behauptet - ich zitiere -, die Bundesregierung beteilige sich an Akten des Völkermords. Ich erteile ihm dafür einen Ordnungsruf. ({0}) Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Thierse zu: Sicher wäre die Einschätzung von Herrn Waigel anders ausgefallen, wäre er Finanzminister in einem der fünf neuen Bundesländer. Vielleicht sollte er sich zeitweilig und gelegentlich mit seinen Kollegen Münch, Milbradt oder meinetwegen auch Kühbacher abwechseln. ({0}) Das schärft das Problembewußtsein und die Sicht auf die tatsächlichen Dinge. - Ich meine: vor Ort und nicht in der Rede. Meine Damen und Herren, wer kennt die Szene nicht? Da liegt ein Todkranker, und um ihn herum streitet sich eine eilig herbeigerufene Schar von Wunderdoktoren. Jeder schwört auf sein Patentrezept. In unserem Fall ist die ehemalige DDR der Patient, der eine klare, dem Krankheitsverlauf angepaßte Stufentherapie benötigt. Die Bundesregierung hat ihn statt dessen an den DM-Tropf gehängt. Doch der Patient gesundet nicht. Zusätzliche Mittel sollen nun Heilung bringen. Minister Blüm fordert eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige. Minister Möllemann ist gleich mit der ganzen Hausapotheke erschienen. Minister Genscher wiederholt seine Forderung, den Länderfinanzausgleich vorzuziehen. Minister Waigel weist die alten Länder auf ihre Mitverantwortung hin und bereitet sich auf Steuererhöhungen vor. Der CSU-Generalsekretär will den Umsatzsteueranteil der neuen Länder kurzfristig auf 90 % und mehr erhöhen. Der CDU-Generalsekretär möchte überall ein bißchen, aber nur vorübergehend die Steuern anheben. Nur einer hält sich auffallend zurück: Aus dem Mantel der Geschichte, der ihn gestreift hat, ist ein Mantel des Schweigens geworden. Die Richtlinien der Politik bestimmt der Kanzler. Bloß: Wann? ({1}) Die Analysedaten des Patienten sind ernüchternd. Ich spare mir die Einzelheiten. Sie alle kennen die Fieberkurve. Ich will hier keine Schwarzmalerei betreiben. Nach und nach räumt die Regierung ein, daß sie den Aufgabenumfang der deutschen Vereinigung falsch eingeschätzt hat. Nun gut, Lernprozesse sind erfreulich; aber damit allein ist es nicht getan, meine Damen und Herren von der Regierung. Sie haben nicht nur die Probleme in ihrer Dimension sträflich unterschätzt, Sie haben sie auch grundsätzlich falsch angefaßt. Bitte vergessen Sie nicht, daß Sie im vergangenen Frühjahr gegen den ausdrücklichen Rat eines Großteils der wissenschaftlichen Forschungsinstitute, gegen den Rat der Bundesbank die Wirtschaft der DDR einem brutalen Anpassungsschock ausgesetzt haben, dessen vernichtende Auswirkungen absehbar waren. Anstatt sich in einem parteiübergreifenden nationalen Verständigungsprozeß zu stellen und der einmaligen historischen Herausforderung gerecht zu werden, sich erst ein Bild über Zustand und Aufgaben in den neuen Bundesländern zu machen, dann die Kosten zu ermitteln und im letzten Schritt deren Finanzierung zu sichern, hatten sich Regierung und Sozialdemokraten in einem wahltaktischen Steuerstreit verzettelt. Wenn Sie jetzt die Meldungen vom Zusammenbruch in den neuen Ländern auf die Erblast des Sozialismus schieben, dann lenken Sie damit von Ihrer eigenen abenteuerlichen Politik ab. Aber das lassen wir nicht durchgehen. Es ist auch Ihre Politik, die das Chaos in den ostdeutschen Ländern mit verursacht hat. Jetzt müssen Milliarden und immer neue Milliarden herbeigeschafft werden, um den völligen Zusammenbruch zu verhindern. Es sind beileibe nicht nur die Kosten der deutschen Einheit, die da finanziert werden, sondern es sind auch die Kosten Ihrer Politik. Die ehemalige DDR-Wirtschaft befindet sich im freien Fall vom Plan in den Markt. Für diese historisch einmalige Situation gibt es keine Beispiele und keine Erfahrungen. Trotzdem gibt es Leute, die den Mut haben, vorherzusagen, daß und wann die Talsohle in Ostdeutschland erreicht und durchschritten wird. Hut ab vor so viel Mut! Aber das Bild von der Talsohle könnte trügerisch sein. Daß nach jedem Tal wieder ein Hoch kommt, stimmt vielleicht für den Konjunkturverlauf. Was aber jetzt in der ehemaligen DDR passiert, ist kein konjunktureller Abstieg, ist auch keine Konjunkturkrise. Es ist der Zusammenbruch der öffentlichen Infrastruktur und der tragenden industriellen Struktur. Niemand darf sich einbilden, daß danach ein steiler Aufschwung kommt, der alle Probleme vom Tisch fegt. Mit jedem Tag, den die ostdeutschen Länder tiefer abrutschen, wird der Aufschwung mühsamer, komplizierter und teurer werden. „Keine Gewalt" war die Überzeugung Tausender im Herbst 1989 auf den Straßen der DDR. Was sie jetzt erleben, ist die nackte ökonomische Gewalt. Vermutlich wird sich schon bald ein neuer Proteststrom, diesmal in Richtung Bonn in Bewegung setzen. Zwei Probleme müssen jetzt gleichzeitig angefaßt werden. Länder und Gemeinden müssen schleunigst in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Es ist anzuerkennen, daß ihre Lage ungleich schwieriger als die westdeutscher Gebietskörperschaften ist. Zusätzlich zu den Aufgaben, die auch auf westdeutsche Großstädte zukommen, müssen ostdeutsche Städte zum Teil extrem defizitäre Bereiche wie Kindergärten, Krippen, Polikliniken, das Wohnungswesen und den öffentlichen Personennahverkehr unterhalten. Sie stehen vor gewaltigen Investitionen. Ihnen fehlen bereits die Mittel für Instandsetzung, Modernisierung und Reparatur. Die Finanznot der Länder setzt sich in den Gemeinden fort. Einige Städte stehen am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Allein die Stadt Leipzig weist ein Defizit von 1,6 Milliarden DM aus, ein Defizit, das 70 % des Gesamthaushalts der Stadt ausmacht. AndeSchulz ({2}) ren Städten wie Rostock, Frankfurt/Oder oder Chemnitz, um nur einige zu nennen, geht es ähnlich. Viele Städte sind noch gar nicht in der Lage, einen Haushalt für 1991 vorzulegen. Mit zirka 50 Milliarden DM beziffern die ostdeutschen Länder und Gemeinden ihren zusätzlichen Finanzbedarf. Ob das das letzte Wort sein wird, steht dahin. Die katastrophale Finanzlage der öffentlichen Haushalte östlich der Elbe ist eine Folge der Bonner Politik, die seit Beginn des Einigungsprozesses die wirtschaftlichen Nöte in der nun ehemaligen DDR systematisch unterschätzt hat. Erinnert sei hier an den Ex-DDR-Finanzminister Romberg, der im vergangenen Sommer die dürftige Finanzausstattung für die ostdeutschen Länder und Kommunen im Einigungsvertrag und damit seinen Amtskollegen Waigel scharf kritisiert hat. ({3}) Sie, Herr Waigel, haben ihn damals, wenn ich mich recht erinnere, einen Laiendarsteller genannt. Es wäre an der Zeit, das zurückzunehmen. ({4}) Heute zeigt sich, daß Rombergs Befürchtungen noch weit übertroffen werden. Doch es geht nicht nur darum, den aktuellen Finanzbedarf zu decken. Die Realisierung des Kommunalvermögensgesetzes, eines wirklich wichtigen Gesetzes, das den Kommunen finanzielle Perspektiven einräumt, wird ständig unterlaufen. Hier spielt die Treuhand eine unrühmliche Rolle. Sie enthält den Kommunen Grundstücke vor, verhindert den Aufbau kommunaler Energieversorgungseinrichtungen, die den Städten Einnahmen brächten, nötigt ihnen auf der anderen Seite Verlustbringer wie den öffentlichen Nahverkehr auf. Die Treuhand privatisiert an den Interessen der Kommunen regelrecht vorbei. Das muß ein Ende haben. Wenn die Länder nicht schleunigst handlungs- und zahlungsfähig werden, können auch die bestgemeinten Aufbauprogramme und Infrastrukturhilfen nicht greifen. Das mindeste, was jetzt ansteht, ist die sofortige und volle Einbeziehung Ostdeutschlands in den Länderfinanzausgleich. Entweder sind wir ein Volk - dann muß auch die gemeinsame Familienkasse geteilt werden - , alles andere ist Geschwätz. Die öffentliche Diskussion um die Kosten der Einheit hat sich in der letzten Zeit auf den Aspekt der Länderfinanzen verengt. Genauso wichtig ist aber etwas anderes, und damit komme ich zum zweiten Punkt. So wie sich die Entwicklung abzeichnet, kann die Treuhand die ihr zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllen. Daß binnen überschaubarer Frist das Gros der Treuhandunternehmen privatisiert sein wird, erwartet wohl niemand mehr. Aber selbst dort, wo privatisiert wird, sind die Verluste an industrieller Substanz und an Arbeitsplätzen enorm. Das Beispiel Zeiss-Jena zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, selbst leistungsfähige Unternehmen bei ihrer Privatisierung zu erhalten. ({5}) Was geschieht mit den Betrieben, die nicht privatisierbar sind? ({6}) Die können doch nicht einfach dichtgemacht werden. Die wird die Treuhand sanieren müssen. Aber dazu fehlt es an vielem, nicht zuletzt an Geld. Geschieht das nicht, dann wird das Arbeitsplatzangebot in den ostdeutschen Ländern auf Jahre hin so gering sein, daß ein Großteil der Bevölkerung gezwungen wird, in den Westen auszuwandern. Dann werden die Steuereinnahmen der Länder anhaltend niedrig bleiben, und damit bleibt die Infrastruktur schlecht. Davon sind schließlich auch die Neuinvestitionen, auf welche die Strategen des Aufschwungs offenbar vorrangig setzen, ebenfalls in Frage gestellt. Ist die Abwärtsspirale erst richtig in Gang, kommt die Stunde der Wahrheit. Wir werden nach der Debatte um die Länderfinanzen die Debatte um die Treuhandfinanzen bekommen, und die wird sicher nicht erfreulicher werden. Dann werden wir uns auch mit den 106 Milliarden DM Altschulden der Unternehmen befassen müssen, die ebenfalls die Treuhand belasten und zur Zeit einen Flächenbankrott bewirken. Wenn Sie jetzt Finanzpläne machen, Herr Waigel, dann planen Sie das gleich mit ein. Das bleibt Ihnen und der Bevölkerung ohnehin nicht erspart. Der Haushalt 1991 muß diese beiden Problemfelder angemessen berücksichtigen. Sonst wird er das Papier nicht wert sein, auf das er gedruckt wird. Dazu - und das sieht ja nach den Wahlen das ganze Haus so - wird es Steuererhöhungen geben. Zusätzliche Lasten müssen und können die Leistungsfähigen tragen und nicht diejenigen, die sich am schlechtesten wehren können. Steuererhöhungen müssen von ihrer Lenkungswirkung her ökologisch zumindest verträglich sein. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Unsere eigenen Vorstellungen haben wir immer wieder genannt. Ich nenne hier noch einmal die Ergänzungsabgabe für Höherverdienende, eine Solidarabgabe aus nicht investierten und nicht ausgeschütteten Gewinnen der Unternehmen, die seit langem fällige Besteuerung der Zinserträge. Wir verlangen weiter den Verzicht auf die Abschaffung der Gewerbekapital- und der Vermögensteuer, den Verzicht auf die geplante Unternehmensteuerreform, die ein überflüssiges Steuergeschenk und in der jetzigen Situation ein Hohn ist. Aber Steuererhöhungen und der Verzicht auf unsinnige Steuersenkungen können nicht alles sein. Der Haushalt wird daran zu messen sein, inwieweit seine Ansätze den Willen zur solidarischen Selbstbeschränkung erkennen lassen. Das gilt zuallererst für die Ausgaben, die sich Regierung und Parlament selbst genehmigen. Wir werden sehen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, sind wir uns - ich hoffe es - wenigstens darin einig, daß der von Ihnen vorgeschlagene Verzicht auf zukünftige Steuersenkungen keine Einnahmeverbesserung zur Lösung der Probleme des Haushalts 1991 darstellt?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gegensätzlicher Auffassung, weil ich meine, daß die Kommunen damit natürlich enorme Einnahmen haben, die im anderen Falle wegfallen. ({0}) - Das ist wohl die Diskrepanz zwischen unseren Auffassungen. Der Bundesregierung fehlt bis heute ein schlüssiges Konzept für den Aufbau der fünf neuen Länder. Ihr scheint noch immer nicht bewußt zu sein, daß die vorrangige Aufgabe dieser Legislaturperiode die Verwirklichung der inneren Einheit Deutschlands ist. Das eigentliche Ziel, die Verwirklichung gleicher Lebensverhältnisse im gesamten Deutschland, rückt in weite Ferne, wenn der Bund und die alten Länder so weitermachen wie bisher. Aus eigener Kraft - das stand von Anfang an fest - kann der deutsche Osten den wirtschaftlichen Gleichstand mit dem wohlhabenden Westen nicht schaffen. Doch die Koalition hat die Kosten der deutschen Einheit monatelang heruntergespielt und hat alles versucht, um den Bürgern einzureden, es gehe schmerzarm ohne Steuererhöhungen. Sie war bereit, für den Golfkrieg innerhalb von Tagen die Steuerschraube anzuziehen. Wenn das Wort pervers nicht vorhanden wäre, müßte es in diesem Falle erfunden werden. Da werden einerseits Mittel - inzwischen etwa 17 Milliarden DM inklusive Sachleistungen - aufgebracht, um in der Golfregion eine Infrastruktur zu zerstören, und zwar Mittel, die andererseits nötig wären, um im Osten eine Infrastruktur aufzubauen oder zu modernisieren. Hierbei habe ich noch nicht einmal die Folgekosten für den Wiederaufbau der Region am Golf mit berücksichtigt. Die Bundesregierung hat mit ihrer ausschließlich an Wahlerfolgen und nicht an den Interessen der Menschen orientierten Politik nicht nur das soziale Desaster in den fünf neuen Bundesländern zu verantworten; sie hat auch zu verantworten, daß die emotionale Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschen jeden Tag tiefer wird. Wenn ich mich hier in Westdeutschland umhöre, dann stelle ich fest, daß dem buchstäblichen „Ossi" immer öfter Spott und Haß entgegenschlägt, vor dem ich erschrecke. ({1}) Wir, die Leute aus der ehemaligen DDR, werden als solche empfunden, die nur Forderungen stellen, als konsumwütige lästige Bittsteller, die man am liebsten so schnell wie möglich wieder los wäre. ({2}) Der bürokratische und auf immer neue finanzpolitische Wendungen bedachte Umgang der Bundesrepublik mit den neuen Bundesländern gibt den Menschen in Westdeutschland keine Chance, die Einheit Deutschlands auch als ihre eigene Angelegenheit zu begreifen. Ich habe unter Westdeutschen viel persönliches Interesse und persönliche Hilfsbereitschaft erlebt. All das scheitert aber immer wieder an den bürokratischen Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt werden. ({3}) Wenn die Bundesregierung nicht endlich beginnt, die Herstellung der gesellschaftlichen Einheit Deutschlands nicht nur als finanzielle, sondern als menschliche, soziale und geistige Herausforderung zu begreifen, wird in einigen Jahren die Spaltung Deutschlands tiefer sein als vor der Öffnung der Mauer. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Wagner. Ministerpräsident Dr. Wagner ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Debatte über die Finanzierung unserer gesamtstaatlichen Probleme spielt selbstverständlich der Finanzbedarf der neuen Länder eine entscheidende Rolle. Es handelt sich bei den Summen, die wir gemeinsam aufzubringen haben, um die Wirtschaft und die Verwaltung dort in Gang zu bringen, die Infrastruktur in Ordnung zu bringen und ganz allgemein den dringend notwendigen Aufschwung herbeizuführen, um eine erhebliche, allerdings auch um eine vorübergehende Belastung. Es ist eine Belastung, von der wir annehmen dürfen, daß sie Jahr für Jahr allmählich degressiv sein wird, weil nach aller Voraussicht die neuen Länder mehr und mehr in der Lage sein werden, ihre Aufgaben durch eigene Einnahmen in einem immer höheren Anteil zu finanzieren. Für das laufende Haushaltsjahr und für die nächsten Jahre stehen allerdings erhebliche Belastungen an. Diesen Belastungen stehen Mehreinnahmen gegenüber, die sowohl der Bund als auch die Länder und in einem gewissen Umfang auch die Gemeinden zu verzeichnen haben. Diese Mehreinnahmen gehen auf zwei Wirkungen zurück: einmal darauf, daß im Gefolge des Zusammenwachsens der beiden Teile Deutschlands zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum das Wirtschaftswachstum verstärkt worden ist. Das zusätzliche Wachstum, das als Folge der Einheit anzusehen ist, dürfte im vergangenen Jahr bei 1 bis 2 gelegen haben. Es hat natürlich zu Mehreinnahmen geführt. Zum anderen sind erhebliche Umsatzsteigerungen bei den Wirtschaftsunternehmen in der alten Bundesrepublik zu verzeichnen, die auf die Nachfrage aus den neuen Ländern zurückgehen. Daher ist die erhebliche Steigerung des Umsatzsteueraufkommens zu einem beachtlichen Teil - ganz gewiß nicht in Höhe der ganzen 12 %, um welche die Umsatzsteuereinnahmen im vergangenen Jahr gewachsen sind, aber doch Ministerpräsident Dr. Wagner ({1}) in einer Größenordnung von vielleicht 4 bis 5 % - als einheitsbedingt anzusehen. Das müssen wir also auch sehen. Das sind rein wirtschaftlich und finanziell gute Perspektiven des deutschen Zusammenschlusses für die kommenden Jahre. Aber selbstverständlich sind diese Mehreinnahmen weit davon entfernt, den Betrag zu erreichen, den wir jetzt mobilisieren müssen, um den Aufbau in der früheren DDR zu bewerkstelligen. Zu diesen großen Aufgaben kommt die Belastung aus dem Golfkrieg hinzu. Wir beteiligen uns an den Lasten dieses Krieges. Das ist eine notwendige, ja zwingende Folge aus der Tatsache, daß wir ohne Wenn und Aber an der Seite der alliierten Mächte stehen, die am Golf die Aggression abwehren. Es wäre eine sonderbare, seltsame Solidarität, wenn sie sich nur in guten Worten äußerte und wir nicht bereit wären, auch finanziell zu den ungeheuren Lasten beizutragen, die dieser Krieg verursacht. Deswegen stehe ich und steht die Landesregierung von Rheinland-Pfalz voll und ganz zu diesem finanziellen Beitrag zu den Lasten des Krieges. ({2}) Dies zusammen ergibt aber eine Gesamtlast, die mit der gegenwärtigen Finanzkraft der Bundesrepublik - und zwar der Bundesrepublik auf den drei Ebenen Bund, Länder und Gemeinden - nicht mehr zu bewältigen ist; diese Gesamtlast hat ein Ausmaß angenommen, daß Steuererhöhungen unumgänglich geworden sind. Was nun speziell die Finanzierung des Aufbaus in der früheren DDR angeht, so möchte ich hier zum Ausdruck bringen, daß dies natürlich eine Aufgabe des Bundes ist, aber auch eine Aufgabe der Länder und Gemeinden. Die Länder und Gemeinden haben ja eine gesamtstaatliche Mitverantwortung und nehmen sie zu erheblichen Teilen auch wahr; sie werden sie auch weiterhin wahrnehmen. Daß dies so ist, ergibt sich schon aus der ganz einfachen Erwägung, meine Damen und Herren: dann, wenn es um nationale Aufgaben dieses Ranges mit finanziellen Auswirkungen dieses Umfangs geht, kann es nicht angehen, daß sich die Anforderungen nur an die eine Hälfte des Steueraufkommens im Gesamtstaat richten, nämlich an die Hälfte, die dem Bund zufließt, und die andere Hälfte des Gesamtsteueraufkommens, die nämlich grosso modo an Länder und Gemeinden geht, nicht herangezogen wird. Deswegen ist das auch von Anfang an so angegangen worden. Ich möchte dazu gern einige Worte sagen, vielleicht auch mit einem etwas anderen Akzent als dem, der bisher hier angeklungen ist. Wir haben gemeinsam den Fonds Deutsche Einheit begründet. Damals herrschte die Auffassung vor, daß damit ein wesentlicher Teil - jedenfalls der wohl überwiegende Teil - der Finanzierungsnotwendigkeiten abgedeckt sei. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß nach Abzug eines kleineren Vorwegfinanzierungsbetrags des Bundes der ganz überwiegende Teil dieses Fonds von Ländern und Bund gemeinsam zu gleichen Teilen finanziert wird. Dabei handelt es sich um erhebliche Beträge. Meine Damen und Herren, der Betrag des Fonds, der in diesem Jahre 1991 zu Lasten der Länder geht, beträgt 15,5 Milliarden DM. Diesen Betrag hört man in der finanzpolitischen Diskussion hier in Bonn - auf der Ebene der Finanzpolitiker - und auch in den Diskussionen und Auslassungen in den Medien relativ selten. Warum? Weil es üblich geworden ist, als Leistung der Länder nur die in diesem Jahr zu erbringende Zins- und Tilgungslast für den Fonds anzurechnen. ({3}) Diese Rechnung ist aber wirtschaftlich und finanzpolitisch nicht in Ordnung. ({4}) Sie ist nicht in Ordnung. - To whom it may concern, sage ich dies selbstverständlich. ({5}) Sie ist deswegen nicht in Ordnung, weil die Kredite, die der Fonds aufnimmt, natürlich nicht formal in den Haushalten des Bundes und der Länder als Kreditaufnahme und als Ausgabe erscheinen, weil aber natürlich die wirtschaftliche und finanzpolitische Konsequenz dieser Operation genau dieselbe ist, wie wenn die Länder den auf sie entfallenden Betrag selbst als Kredit aufnähmen und in die frühere DDR transferierten. Das ist doch selbstverständlich und sollte eigentlich nicht einer näheren Erläuterung bedürfen. Ich habe es hier aber gesagt, weil es offenbar nötig ist. Also bleibt uns, wenn wir den Anteil der Länder und Gemeinden korrekt beurteilen wollen, nichts anderes übrig, als diesen Anteil des Fonds mitzurechnen. Dazu kommen eine Reihe von weiteren Beträgen, so daß sich schon jetzt die Beiträge der Länder in einer Größenordnung von 16, 17 vielleicht auch 18 Milliarden DM in diesem Jahr, 1991, bewegen. ({6}) Ob das ausreicht, ist ein anderer Punkt, auf den ich gleich zu sprechen komme. Aber das ist zunächst einmal der Sachverhalt. Nun stellt sich heraus - wir haben darüber mehrfach diskutiert - , daß die bisher geplante Finanzausstattung für das Beitrittsgebiet, namentlich also für die neuen Länder und im Zusammenhang damit für die dortigen Gemeinden, nicht ausreicht. Diese Finanzausstattung ist zwar schon jetzt erheblich, aber sie reicht nicht aus. Wir müssen uns zusätzliche Mittel und Wege einfallen lassen. Deswegen habe ich in diesen Tagen einen Vorschlag gemacht, der dazu geeignet ist, den neuen Ländern und im Verbund damit ihren Gemeinden erheblich weiterzuhelfen. Hier ist heute mehrfach die Forderung erhoben worden, daß die neuen Länder umgehend zu 100 % an der Umsatzsteuer zu beteiligen seien. Ich habe diesen Vorschlag gegenüber der Presse vor drei Tagen hier in Bonn gemacht. Ich mache diesen Vorschlag hier erneut; ich vertrete ihn. Wir haben bislang 55 % festgeschrieben. Aber wenn so getan wird, als wäre das noch der Stand der Diskussion, dann ist auch dies irrig. Schon bei der Ministerpräsident Dr. Wagner ({7}) Finanzminister- und anschließenden Ministerpräsidentenkonferenz zusammen mit dem Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister am 8./9. Januar war deutlich, daß bei einer ganzen Reihe von Ländern - ich denke, jedenfalls bei allen unionsregierten Ländern - die Bereitschaft bestand, den Anteil von bislang 55 % auf 85 To zu erhöhen. ({8}) Ich füge um der Korrektheit willen hinzu, daß auch die von der SPD regierten Länder bereit waren, ihre Leistungen für die ehemalige DDR zu erhöhen, allerdings auf einem anderen Wege, nämlich auf dem Wege einer Aufstockung des Fonds, an der sich dann nach der gegebenen Systematik Bund und Länder zu gleichen Teilen hätten beteiligen sollen. Ich halte weiterhin den Weg über die Erhöhung der Umsatzsteuer für den richtigen, und zwar systematisch schon deswegen, weil wir damit sofort und nicht erst nach einer Übergangszeit von einigen Jahren den von der Verfassung vorgesehenen Normalzustand der Umsatzsteuerverteilung herstellen. ({9}) Ich meine also, wir sollten uns dazu jetzt entschließen, dies sofort ins Werk setzen und für dieses Jahr durchführen. ({10}) Da nun jeder Prozentpunkt bei der Verschiebung von den alten zu den neuen Ländern ein Volumen von etwa 110 Millionen DM ausmacht, würde die Realisierung des Vorschlags den neuen Ländern zusätzlich 5 Milliarden DM zuführen, selbstverständlich zu Lasten der alten Länder. Es ist allerdings meine Überzeugung - auch die gemeinsame Überzeugung der Finanzminister der alten wie der neuen Länder - , daß dies noch nicht ausreicht. Es muß eine zusätzliche Maßnahme ergriffen werden. Ich erblicke eine Möglichkeit, sie in einer weiteren Anstrengung des Bundes zu ergreifen. Bekanntlich entnimmt der Bund dem Fonds Deutsche Einheit, bevor er an die Länder transferiert wird, einen Vorwegbetrag von etwa 5 Milliarden DM. Ich meine - das ist der zweite Teil des Vorschlags, den ich am vergangenen Montag hier unterbreitet habe -, daß der Bund auf diese Vorwegentnahme von 5 Milliarden DM verzichten sollte, ({11}) so daß der Betrag, der den neuen Ländern und damit auch ihren Gemeinden über den dort ebenfalls bestehenden Verbund zufließen würde, insgesamt etwa 10 Milliarden DM ausmacht. Es ist die Frage erlaubt, ob dies dann ausreichen wird. Mit letzter Sicherheit läßt sich das gegenwärtig nicht sagen, weil beklagenswerterweise unser Zahlenmaterial und unsere Prognosen auch jetzt noch sehr unzuverlässig sind. Ich sage aber - ich stütze mich dabei auch sehr stark auf das, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, an groben Berechnungen hier heute morgen vorgetragen haben - , daß auch nach meiner Einschätzung die Länder und ihre Gemeinden im Beitrittsgebiet nach heutiger Erkenntnis mit dieser Ausstattung zurechtkommen müßten, wobei ich unterstelle, daß auch sie einen gewissen Anteil ihrer Finanzierung über eine Kreditaufnahme zu bewältigen haben. Das kann ihnen zugemutet werden. Wir alle nehmen Kredite auf. Wir nehmen gegenwärtig sogar mehr Kredite auf, als uns lieb ist. Die neuen Länder haben gegenwärtig keine Schulden. Auch sie können also in vertretbarem Umfang Kredit aufnehmen. Nach den Rechnungen, die wir angestellt haben und die sich weitgehend mit denen des Bundesfinanzministers decken, die er heute morgen hier vorgetragen hat, müßte dies gehen. Meine Damen und Herren, ich bin dafür, daß wir zu diesen Entscheidungen so rasch wie möglich kommen; denn was mir mißfällt und was auch schädlich ist, sind das gegenwärtige Getöse und die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Es besteht auch ein klein bißchen die Gefahr, daß sich eine Konfrontation zwischen den Ländern in der früheren DDR und den Ländern in der alten Bundesrepublik ergibt. Der Kollege Biedenkopf hat vor einiger Zeit gesagt, es müßte bedeutend mehr für die neuen Bundesländer getan werden. Er sagte weiter, daß dies aber nicht in einer Polarität zwischen westlichen und östlichen Ländern in dem Sinne diskutiert werden sollte, daß die einen fordern und die anderen nichts oder nur teilweise etwas gewähren. Herr Biedenkopf ist dagegen, daß diese Polarität entsteht. Auch ich bin in diesem Punkt ganz dieser Meinung. Allerdings meine ich, daß dazu - ich sage das auch an die Adresse des Kollegen Biedenkopf - natürlich auch die Tonart in den östlichen Ländern einen Beitrag liefern muß. ({12}) Ich hoffe sehr, daß wir Ende Februar zu dieser gemeinsamen Lösung kommen. Ich habe - ich darf das sagen - schon vor Weihnachten und im Januar, zwar nicht mit der Konkretheit, wie ich es heute hier sage, aber doch sehr deutlich erklärt, daß die Länder in der alten Bundesrepublik sehr wohl bereit sein müssen, für die Länder im Beitrittsgebiet mehr zu tun. Ich darf Ihnen allerdings sagen und möchte Ihnen das nicht vorenthalten, daß ich dafür von der Opposition in meinem Lande sofort massiv getadelt worden bin. ({13}) Die Opposition tönte: „Skandal, der Ministerpräsident verschenkt das Geld des Landes! " Ich sage das an den Herrn Kollegen Thierse, weil der vorhin seriöse, lautere und großzügige Vorschläge gefordert hat. ({14}) Geben Sie, Herr Thierse, diese Mahnung an Ihre Vertreter in den Ländern - auch nach Mainz - weiter. ({15}) Ministerpräsident Dr. Wagner ({16}) Lassen Sie mich noch sagen, daß aus der Sicht meines Landes und der Sicht einer Reihe weiterer Länder bei den zusätzlichen Anstrengungen der neuen Länder natürlich eines vor allem geboten ist: Es muß dabei gerecht zugehen. Unter gerecht verstehe ich, daß die Verteilung der Lasten gleichmäßig erfolgt und daß reiche wie arme Länder in der alten Bundesrepublik in gleichmäßiger Weise zu diesen Lasten herangezogen werden. ({17}) Modelle, die darauf hinauslaufen, daß man einmal anfängt, die Finanzierung da zu suchen, wo Interessen - insbesondere der ärmeren Länder - liegen, also etwa durch ein Streichen der Strukturhilfe, finden nicht unsere Zustimmung. ({18}) Vorletzte Bemerkung, Frau Präsidentin. ({19}) - Entschuldigung, Herr Präsident. Während ich sprach, hat der Vorsitz gewechselt. Alles, was ich über die notwendige Verbesserung einer Finanzausstattung der neuen Länder gesagt habe, hat nichts mit einer akuten Finanznot zu tun. Man muß unterstreichen, weil es eigenartig klingt, wenn man von „sofortiger Pleite" und „Büros schließen" und dergleichen hört. Dies ist bei der Lage, in der wir uns befinden, Unfug. Auf den Konten der neuen Länder bei der Bundesbank befinden sich viele Milliarden, die zinslos lagern. ({20}) - Es stimmt, Herr Kollege Vogel! Das besagt nichts über die finanziellen Bedürfnisse und deren Abdeckung im ganzen Haushalt. Es besagt allerdings, daß gegenwärtig und auch für die nächsten Wochen von einer akuten Finanzklemme, von einer drohenden Pleite und dergleichen nicht die Rede sein soll. ({21}) Dergleichen Dramatisierungen sollten unterbleiben. ({22}) - Es ist so, wie ich sage. Letzter Punkt. Die Länder sind sich bewußt - vielleicht müssen sie sich noch mehr bewußt werden -, daß das, was von einigen Rednern angesprochen wurde, nämlich die bilaterale Hilfe von Land zu Land, etwa von Rheinland-Pfalz hinüber nach Thüringen, insbesondere die Hilfe beim Aufbau der Verwaltung, sehr richtig ist. Ich darf Ihnen sagen, daß wir erhebliche Anstrengungen machen. Aus Rheinland-Pfalz befinden sich gegenwärtig etwa 250 Beamte in Thüringen, wo sie intensive, sehr angestrengte und auch sehr fruchtbare Arbeit leisten. Aus Hessen und Bayern sind auch viele da. ({23}) Die anderen Länder tun das auch. Es gibt zwar graduelle Unterschiede, aber sie alle leisten etwas. Ich habe bei einer gemeinsamen Besprechung dem Kollegen Duchac, Thüringen, das Angebot gemacht, daß er sich da, wo er weitere Kräfte braucht, insbesondere bei bestimmten Fachrichtungen, also Fachleute, etwas für die Finanzämter, für die Finanzverwaltung, für die Justiz oder die Grundbuchämter, ({24}) weiter an uns wenden kann und daß wir uns bemühen werden, über das hinaus, was wir bisher leisten und an Kräften dorthin entsandt haben, etwas zu tun. Dies ist sehr wichtig, denn es kommt entscheidend darauf an, daß die Verwaltungen in Gang kommen. Wir können und wir werden diesen Problemen gemeinsam gerecht werden. Ich danke Ihnen. ({25})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren! Ich erteile das Wort nunmehr dem Präsidenten des Senats und Ersten Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Herrn Klaus Wedemeier. ({0}) Präsident des Senats Wedemeier ({1}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich zur Aufklärung beitragen: Es gibt in Bremen natürlich keinen Ersten Bürgermeister, sondern einen Bürgermeister. Meine Damen und Herren, wenn über die Finanzierung der deutschen Einheit geredet wird, möchte ich noch einmal zwei Sätze in Erinnerung rufen, die am Anfang der Debatte - die begann ja vor der Wahl - gesagt worden sind. Zum einen: „Niemandem" -- gemeint sind die Bewohnerinnen und Bewohner in der ehemaligen DDR - „wird es schlechter gehen als vorher, vielen aber besser." Sinngemäß hieß es für die Westdeutschen: „Niemand wird etwas abgeben müssen." Damit sind auch Steuererhöhungen abgelehnt worden. Sehr verehrter Herr Finanzminister, ich finde es ziemlich dreist, jetzt der SPD vorzuwerfen, wir hätten Steuererhöhungen vor der Wahl gefordert. Wir haben darauf aufmerksam gemacht: Es wird nicht ohne gehen. ({2}) - Der Unterschied liegt darin, daß es die Sozialdemokraten nicht lassen können, vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. ({3}) - Wenn Sie einen solchen Zwischenruf machen, will ich darauf eingehen. Wenn Herr Lambsdorff jetzt sagt, wir hätten über Steuererhöhungen eher reden können, wenn wir Sie nicht gehindert hätten, am 2. Dezember zu wählen, sondern wenn wir erlaubt hätten, daß am 3. Oktober Präsident des Senats Wedemeier ({4}) gewählt worden wäre, dann sagt er mir damit, daß er am 4. Oktober über Steuererhöhungen geredet hätte. ({5}) - Das ist ein zwingender Schluß. ({6}) Damit, sehr geehrter Herr Lambsdorff, geben Sie zu, daß Sie es eher gewußt haben. Man hätte es auch wissen müssen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Lambsdorff? Präsident des Senats Wedemeier ({0}) : Bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bürgermeister, würden Sie mir zustimmen, daß die von Ihnen in Anspruch genommene Logik etwa der des Satzes „Donnerstag ist es kälter als draußen!" entspricht? ({0}) Präsident des Senats Wedemeier ({1}): Haben Sie noch eine Frage, Herr Lambsdorff? ({2}) - Dann ist es gut. ({3}) Ich war für Ihre Offenheit, die Sie hier unbewußt an den Tag gelegt haben, jedenfalls dankbar. Meine Damen und Herren, wir stehen heute vor dem Scherbenhaufen solcher Versprechungen. Zumindest die Menschen in den neuen Ländern stehen vor dem Scherbenhaufen solcher Versprechungen. Die Menschen drüben haben es mit einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft zu tun, die ihnen unvertraut war, die ihnen unbekannt war. Dem begeisterten Ruf „Einig Vaterland!" bei den Demonstrationen, den die meisten von uns freudig aufgenommen haben, ist in großen Teilen der Bevölkerung die Ernüchterung gefolgt. Es ist zwar das System zusammengebrochen, aber es gibt keine Perspektive und keine Hoffnung. ({4}) Ich sage das aus eigener Anschauung: Es fehlen Zeichen eines wirklich erfolgversprechenden Neuanfangs. Wer vor der Wahl die Aussage gewagt hat, es werde in den neuen Ländern drei Millionen Arbeitslose geben, ist als Schwarzmaler verteufelt worden. ({5}) So war das. Heute wird hier, ohne wenigstens ein Wort der Entschuldigung zu sagen, einfach von drei Millionen Arbeitslosen ausgegangen. Die Kurzarbeiter werden alle dazugezählt. Das haben Sie vor der Wahl noch bestritten. ({6}) Aber ich will da nicht nachkarten. Das Problem ist, daß die Marktwirtschaft - das spüren heute viele; wir wissen das seit langem - oft eben auch keine Ethik kennt. Sie kann für den einzelnen brutal sein. Damit hat sie auch ihren Preis. Das hat Detlev Rohwedder schon im letzten Jahr deutlich zu machen versucht, als er - das ist bemerkenswert - die westdeutschen Unternehmen aufgerufen hat, sich in den neuen Ländern nicht wie Kolonialoffiziere zu benehmen. Er hat sie aufgerufen, Anstand zu bewahren, der zur Sozialen Marktwirtschaft gehört. Diesem mangelnden Anstand sind die Menschen drüben ausgesetzt. Der Anstand ist nicht vorhanden. Dieser rasante Übergang ist für viele geistig und seelisch nicht zu verkraften. Ihr Selbstwertgefühl wird bedroht. Das müssen wir in Rechnung stellen und bedenken, wenn wir über die Hilfe für die neuen Länder reden. Man wird im vereinten Deutschland noch lange „wir" und „ihr" sagen. Ich glaube auch nicht, daß wir 1991 diesbezüglich einen entscheidenden Schritt vorankommen. Aber ich hoffe, daß wir einen Schritt vorankommen. Ich spüre bei Debatten - erlauben Sie mir den Hinweis: auch hier - Überheblichkeit unsererseits gegenüber den Menschen in den neuen Ländern. Ich denke, daß wir keinen Grund zu Überheblichkeit und Hochmut haben. Wir hatten durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die einmalige Chance, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, und die Menschen im östlichen Deutschland haben die alleinige Last, zumindest die Hauptlast des verlorenen Krieges tragen müssen. ({7}) - Das sage ich überall. Das Problem heute ist, daß die Massenarbeitslosigkeit, vor der die Menschen in der ehemaligen DDR stehen, nicht nur das soziale Sicherungssystem belastet, sondern daß auch der innere Frieden bedroht ist, wenn der soziale Frieden erst einmal belastet ist. Der innere Frieden ist Bedingung für den äußeren Frieden. Ich war auch nach dem 3. Oktober, bis in die vergangenen Tage hinein, des öfteren in den neuen Ländern. ({8}) Was mich bedrückt - vielleicht ging es auch Ihnen so - ist, daß viele Menschen in den neuen Ländern das Wort „Beitritt" nicht mehr hören können. ({9}) Ich habe sogar Menschen getroffen, die gesagt haben - das muß uns nachdenklich machen, und deshalb Präsident des Senats Wedemeier ({10}) dürfen wir sie nicht beschimpfen - : Unter Honecker ging es uns besser. ({11}) Ich teile diese Auffassung nicht, sondern ich gebe nur wieder, was gesagt wird. Ich denke, hinhören in den neuen Ländern ist manchmal besser, als nur über sie zu reden. ({12}) Ich habe die Befürchtung: Wir alle waren stolz darauf, daß es einen friedlichen 9. November, eine demokratische, unblutige Revolution gegeben hat. Wir Westdeutschen waren daran nicht beteiligt und haben nichts dazu beigetragen. ({13}) - Ich komme darauf noch zurück, falls Sie so lange hierbleiben. Ich fürchte, daß wir es alsbald - das fürchten auch Bürgermeister der Städte dort - mit sozialen Unruhen und Demonstrationen zu tun haben werden, die nicht mehr friedlich verlaufen. Und dann frage ich mich, was man über uns sagen wird. Was ist notwendig , meine Damen und Herren? Es ist kein gutes Zeichen, daß der Aufbruch, der in den neuen Ländern längst hätte stattfinden müssen, bis heute nicht stattgefunden hat, obwohl Zeit genug da war. Es passiert nichts in der Stadtsanierung, es passiert nichts im Wohnungsbau, es passiert nichts im Straßenbau. Die Ursachen sind uns bekannt; es sind auch die Verwaltungsstrukturen. Dafür kann aber niemand etwas; es braucht auch Zeit, solche Strukturen umzubauen. Es ist eine Tatsache, daß Mittel nicht dorthin kommen, wo sie jetzt hin müssen, um Arbeit zu schaffen, nämlich direkt zu den Gemeinden. ({14}) Ich weiß, daß es da ideologische Vorbehalte gibt, sich darüber zu verständigen, Beschäftigungsgesellschaften in den neuen Ländern zu gründen, damit wir dort verhindern, was viele hier leidvoll haben erfahren müssen, jedenfalls in einigen Bundesländern. Graf Lambsdorff hat Bremen und die Schiffbauindustrie erwähnt; etwas ähnliches droht in Mecklenburg-Vorpommern. Wir dürfen die Menschen nicht erst in die Arbeitslosigkeit fallenlassen, um dann irgendwann eine Beschäftigungsgesellschaft zu gründen, ({15}) sondern sie müssen sofort von ihrem Betrieb in eine Beschäftigungsgesellschaft überführt werden können, weil man sie da auch durch die Parallelität von Aus- und Weiterbildung auf neue Aufgaben hin qualifizieren kann. Er ist, glaube ich, nicht da, aber ich möchte Herrn Bundesminister Blüm Mut machen, sein Aufbauwerk ABM durchzusetzen, auch wenn es nur 250 000 sind. Es ist etwas, und es ist die einzige Chance, für 250 000 etwas zu tun. Ich sage ihm für die Arbeitsminister Westdeutschlands zu, daß wir das unterstützen, was er sich da vorgenommen hat. Das Hauptproblem scheint mir aber die mangelnde Finanzausstattung der Gemeinden zu sein. Ich würde übrigens nicht, Herr Kollege Wagner, den Ländern in der DDR vorwerfen, sie hätten 8,6 Milliarden DM bei der Bundesbank liegen. Das ist übrigens zinslos, wie das Gesetz ist. Das hat bestimmte Gründe; das hat etwas mit Liquidität zu tun. Ich will darauf jetzt nicht weiter eingehen; es darf kein Vorwurf an die neuen Länder in Deutschland sein. ({16}) - Natürlich ist das Geld, aber es kann übermorgen schon wieder weg sein. Darüber müssen wir jetzt nicht lange reden. Das Hauptproblem ist, daß die Kommunen zuwenig Geld haben, um Arbeit zu schaffen, und ich bitte, darüber nachzudenken. In der Gemeinde entscheidet sich, ob Menschen Mut zur Zukunft finden. In der Gemeinde entscheidet sich, ob sie sich - übrigens auch von uns - abwenden, und keine der großen demokratischen Parteien hätte etwas davon, wenn sich Menschen aus -Politikverdrossenheit, aus Enttäuschung abwenden. ({17}) Aber sie könnten es tun, wenn die Versprechungen, die wir alle zusammen bisher gemacht haben, insbesondere die Koalition, folgenlos bleiben. Ich halte es für einen Konstruktionsfehler im Einigungsvertrag, daß wir das Steuersystem der alten Bundesrepublik auf unser geeintes Deutschland übertragen haben. Damit hat sich übrigens der Bund einen Großteil der Steuereinnahmen aus den neuen Ländern zunächst einmal gesichert, nämlich aus der Mehrwertsteuer und der Lohn- und Einkommensteuer. Das muß man wissen. Weil die neuen Länder und in ihnen die Gemeinden über Jahre hinaus nicht annähernd über Steuereinnahmen in einer Höhe wie die westdeutschen Länder und Gemeinden verfügen werden, ist das, was wir dort gemacht haben, falsch. Wir sollten es korrigieren. Die neuen Länder sind schon heute nicht oder kaum in der Lage, den Kommunen jene 20 % zuzuweisen, die diesen aus den Steuereinnahmen der Länder drüben zustehen. Die Kommunen, deren Hauptfinanzierungsquelle der Fonds Deutsche Einheit ist - das muß man sich einmal überlegen, daß sie keine höheren Steuereinnahmen haben, als die Zuweisung aus dem Fonds Deutsche Einheit ausmacht -, verfügen über Einnahmen von insgesamt 20 bis 25 Milliarden DM im Jahr. Ich rede jetzt nicht über die Länder. Über die Länder wird viel geredet, aber das Hauptproblem wird immer übersehen. Die Bundesregierung schätzt die Ausgaben der Kommunen in den neuen Ländern auf ca. 40 Milliarden DM. Es besteht also eine Differenz von bis zu Präsident des Senats Wedemeier ({18}) 15 Milliarden DM. Da müssen wir den Kommunen jetzt helfen. Deshalb will ich für die Kommunen in der DDR hier fünf Forderungen aufstellen. Erstens. Der Bund muß in die Lage versetzt werden - über das Wie reden wir ja noch -, den Städten und Gemeinden in der ehemaligen DDR direkt unter Umgehung der Länder - alles andere würde wegen der Verwaltungsstruktur, nicht wegen der Politiker dort, hemmend wirken - 10 Milliarden DM jährlich zur Verfügung zu stellen, damit Investitionen in den Kommunen sofort in Gang kommen. Es gibt genügend Möglichkeiten, in den Kommunen etwas zu tun. Ich habe sie zum Teil aufgezählt. Wichtig ist, daß die Abrechnung dieser Investitionsgelder hinterher erfolgen kann, daß es nicht so abläuft wie bei uns: Die Gemeinde stellt einen Antrag; der Antrag geht an das Land; das Land prüft und prüft; dann geht der Antrag an das zuständige Bundesministerium; dann erhält die Gemeinde auf demselben Weg zurück die Entscheidung darüber mitgeteilt, ob Mittel zur Verfügung gestellt werden oder nicht. In den Kommunen der ehemaligen DDR muß hinterher abgerechnet werden. Ich bitte sehr darum, dies zu überlegen. Das kann eine wesentliche Hilfe für die Kommunen sein. Art. 104 a des Grundgesetzes gibt die Möglichkeit dazu her. Zweite Forderung: Die Gemeinden und Städte in den neuen Ländern müssen die Schulden beim ehemaligen volkseigenen Wohnungsvermögen loswerden. Die Gemeinden ersticken an den Schulden der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die Gemeinden in den neuen Ländern zahlen für diesen Bereich pro Kopf heute schon mehr Zinsen als manche westdeutsche Gemeinden. Da gibt es allerdings Unterschiede. Wir müssen irgendeinen Weg finden, den Gemeinden in der DDR diese Schulden abzunehmen. Ich habe gehört, es soll dafür ein Moratorium geben. Dritte Forderung: Die Gemeinden brauchen das Verfügungsrecht über Grund und Boden, und zwar schnell. Ohne Verfügungsrecht werden keine Investitionen getätigt, und ohne Investitionen gibt es keine Arbeitsplätze. ({19}) Der Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe" muß endlich durchgesetzt werden, sonst wird gar nichts passieren. ({20}) Vierte Forderung: Es muß ausreichend Geld für den Verwaltungshaushalt da sein. Fünfte Forderung. - Ich mache es jetzt kurz, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist. - Es war auch ein Fehler und kommt einer kalten Enteignung gleich, den Gemeinden die Energieversorgungsunternehmen zum zweitenmal gestohlen zu haben. Zum erstenmal sind sie durch das SED-Regime enteignet worden, zum zweitenmal durch uns. Wir haben da einen Fehler gemacht. ({21}) Das muß rückgängig gemacht werden. ({22}) Es gibt in Westdeutschland 700 Kommunen, die eigene Stadtwerke haben. 150 Kommunen in den neuen Ländern haben Entsprechendes beantragt; entschieden ist bisher gar nichts. Ich will mich vor dem Thema Finanzen nicht drükken, Herr Bundesfinanzminister. Deshalb dazu noch ein Wort. Sie haben beim Fonds Deutsche Einheit, ich glaube, sogar hier im Bundestag, aber mindestens im Bundesrat, mindestens im Gespräch beim Bundeskanzler, gesagt: Das war es. Das Risiko, wenn es mehr wird, trägt der Bund. Das haben Sie, Herr Waigel, wahrscheinlich auch hier, uns und der Öffentlichkeit gesagt. ({23}) Nun sagen Sie wenigstens: Das war es eben nicht. Auch da haben wir falsch gelegen. - Es kommt ja nicht mehr darauf an, daß Sie auch da falsch gelegen haben. Ich bin dem Kollegen Wagner dankbar, daß er Ihre Zahl - wenn Sie da so weitermachen, vergiften Sie Atmosphäre - der 3 Milliarden DM korrigiert hat. Wir Länder leisten wesentlich mehr. Lassen Sie bitte das Zahlenspiel: Sie 80 Milliarden DM, wir 3 Milliarden DM. Bei Ihnen rechnen Sie alles hinein, was Bundesaufgaben auch in Westdeutschland sind, und bei uns rechnen Sie nur die Zinsen hinein. Wir sind bereit - ich rede für die SPD-regierten Länder - , mit Ihnen darüber nachzudenken, wie wir zu weiteren Einnahmen oder Ausgabenentlastungen kommen. Ich biete Ihnen das an. ({24}) Aber erstens. Es nicht angehen - das sage ich auch für die Gemeinden in den neuen Ländern -, daß die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer gesenkt werden und Sie gleichzeitig andere Steuern anheben wollen. Das ist mit uns nicht zu machen. ({25}) Zweitens. Es kann nicht angehen, daß das Dienstmädchenprivileg verbessert wird, aber andere mehr zahlen sollen. Auch das ist mit uns nicht zu machen. ({26}) Drittens. Ich schließe mich der Forderung der Ministerpräsidenten der Ost-Länder an, daß die Subventionierungen, besser: Preisstützungen, fortgeführt werden, weil sie jetzt nicht abrupt abgebrochen werden können. Viertens. Herr Wagner hat es schon gesagt: Die Einnahmen des Bundes aus dem Fonds Deutsche Einheit Präsident des Senats Wedemeier ({27}) in Höhe von 15 % müssen den neuen Ländern zur Verfügung gestellt werden. ({28}) - Nein, es ist noch nicht Schluß. Es geht noch weiter. ({29}) Ich komme nämlich jetzt fünftens zur Ergänzungsabgabe, sechstens zu Einsparungen - ich mache das jetzt etwas schneller ({30}) und siebtens zur Einführung einer Arbeitsmarktabgabe. Auch da möchte ich Herrn Blüm nachhaltig unterstützen. ({31}) Dann sind wir auch bereit, über die Frage zu reden, ob die Umsatzsteuer jetzt sofort zu 100 % neu verteilt bzw. die Einwohnerwertung der neuen Länder auf 100 % angehoben werden soll. Ich weiß, daß das eine berechtigte Forderung ist. Aber das kann nicht das einzige sein, was wir tun. Herr Kollege, es muß mehr passieren. ({32}) Ich darf zum Schluß noch einen Satz sagen. Ich freue mich, daß jetzt überall, im Deutschen Bundestag, im Bundesrat und in der Öffentlichkeit, gleiche Lebensverhältnisse für alle Deutschen verlangt werden. Ich schließe mich dem ausdrücklich an. In den letzten 10, 15 Jahren haben wir solche Forderungen zum Teil vergeblich aufgestellt; ich weise damit zart auf ein Problem hin, das ich in meinem Bundesland habe. Meine Damen und Herren, welche Steuern auch erhöht werden sollen - ich habe gesagt: wir bieten unsere Mithilfe an, auch im Bundesrat - , die Vorschläge müssen von Herrn Waigel, müssen von der Bundesregierung kommen. ({33}) Wir werden uns nicht verweigern, wenn sozial ausgewogene Vorschläge kommen. Ich bitte aber darum: Jetzt muß die Wahrheit auf den Tisch. ({34}) Die Deutschen in den neuen Ländern und unsere gemeinsame Zukunft vertragen einen erneuten Wortbruch nicht. ({35})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Weng ({0}).

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nach der Rede zweier Repräsentanten von Bundesländern natürlich reizvoll, sich darüber Gedanken zu machen, worin der Unterschied zwischen diesen beiden Redebeiträgen lag. Ich glaube schon, daß es nicht überzeichnet ist, wenn ich sage: Auf der einen Seite hatten wir den ausgewogenen und zu erwartenden Vortrag des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes. Auf der anderen Seite klang es so, wie man es von Parteifunktionären gewöhnt ist. ({0}) Nun könnte man zu der Auffassung kommen, daß das parteipolitisch zu sehen ist. Aber ich glaube, man darf eines nicht übersehen: In dem einen Bundesland ist die FDP Koalitionspartner, in dem anderen sollte sie es werden. ({1}) In der augenblicklich außerordentlich bewegten Situation der öffentlichen Finanzen stelle ich fest, daß das theoretisch Richtige und Notwendige kaum mehr getan werden kann, sondern daß wir uns - ich hoffe, dies gilt nur für eine kurze Phase des Handelns - auf das Mögliche konzentrieren müssen. Kein Zweifel kann daran bestehen, daß das dringendste Problem der deutschen Finanzpolitik im Augenblick die massive Förderung der Umstrukturierung und der Entwicklung der neuen Bundesländer sein muß. Hierzu wird die FDP-Bundestagsfraktion jeden möglichen Beitrag leisten. Die Dynamik der Entwicklung in den neuen Bundesländern übertrifft im negativen Sinne unsere Erwartung: Die Bürger dort harren eben nicht aus und warten nicht auf eine positive Gesamtentwicklung, sondern sie versuchen - und wer könnte das nicht gut verstehen - , ihr persönliches Leben unter den jetzigen Bedingungen bestmöglichst zu gestalten. Dies führt dazu, daß weiterhin in großem Maße leistungsbereite Menschen in die alte Bundesrepublik ausweichen, wo ihnen eine ausgezeichnete Konjunktur und ein aufnahmefähiger Arbeitsmarkt erheblich bessere Startmöglichkeiten bieten, als dies zu Hause der Fall ist. Genau diese Menschen fehlen für den Neuaufbau ihrer Heimat. Hieraus resultiert ganz zwangsläufig neue staatliche Verantwortung, auch neue Verantwortung des Bundes. Das heißt folgendes: Erstens. Die theoretische Idee einer mittelfristigen Anpassung der Löhne und Gehälter wird nicht standhalten. Wir sehen das heute schon an vielen Stellen. Ich sage das auch mit Blick darauf, daß z. B. qualifizierte Kommunalbeamte von der Wirtschaft schnellstens abgeworben werden und damit Lücken hinterlassen, die sich nicht schließen lassen - mit den bekannten Konsequenzen für die Struktur der Verwaltung. Diese Anpassung wird schneller kommen müssen, als das in der theoretischen Vorstellung vorgesehen war. Zum zweiten. Zum Aufbau der dortigen Verwaltung, aber auch zum Aufbau der dortigen Infrastruktur muß die Unterstützung wesentlich umfangreicher sein, als dies bisher gedacht war. Dr. Weng ({2}) Zum dritten. Im Westen müssen wir alle - auch unsere Bürger, aber auch die Gebietskörperschaften - aufhören, so zu tun, als sei in Wirklichkeit überhaupt nichts geschehen. Ich sage das mit Blick auf eine Äußerung hier heute morgen zu den Werften, die bestimmte Wartungen nicht mehr ausführten, weil diese Wartungen plötzlich von westlichen Werften vorgenommen werden. Wenn diese Behauptung - ich weiß nicht mehr, welcher Kollege es hier dargestellt hat; ich glaube, es war Herr Thierse - so stimmt, dann ist das wirklich ein falscher Weg. Es darf nicht sein, daß der Verteidigungsminister die Schiffe der Volksarmee jetzt aus Rostock abzieht und auf westdeutschen Werften warten läßt und damit die Arbeitsplätze in Rostock noch viel stärker gefährdet. Dies ist ein kleines, aber ein vielleicht typisches Beispiel, das uns zu denken geben muß. ({3}) Die Menschen in der Bundesrepublik, besonders die Menschen in den neuen Bundesländern haben natürlich wenig Verständnis für das Zerren um Finanzen, das im Augenblick stattfindet. Leider kann ihnen aber dieses Zerren, diese in der Politik demokratischer Staaten übliche öffentliche Auseinandersetzung nicht erspart werden; denn die Verteilung des verfügbaren öffentlichen Finanzaufkommens ist eine außerordentlich schwierige und auch eine außerordentlich folgenreiche Angelegenheit, die immer auch langfristig gedacht werden muß. Und wenn die Verteilung von Zuwächsen in der Vergangenheit schon immer schwer war, wie schwer ist dann Umverteilung! Umverteilung aber, meine Damen und Herren, wird sein müssen. Die Grundzüge der Finanzpolitik der Koalition und damit der FDP, die sich in den Koalitionsvereinbarungen widerspiegeln, bleiben richtig. Die ins Auge gefaßte Verschuldung ist gerade noch vertretbar. Warnsignale der Deutschen Bundesbank und heute ja auch eines wissenschaftlichen Instituts dürfen nicht übersehen werden. Also sparsames Handeln einerseits, aber massive Notwendigkeiten in den neuen Bundesländern andererseits. Diese Gratwanderung war schon schwierig genug, als wir nur unsere eigenen Angelegenheiten vor Augen hatten. Jetzt stehen wir zusätzlich vor der bekannten weltpolitischen Situation, in der unsere Verbündeten angetreten sind, um eine nachhaltige Störung, wenn nicht gar eine Zerstörung der Weltordnung zu verhindern, der Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Unsere Verbündeten haben hierfür Anspruch auf die bestmögliche Unterstützung durch uns. Diese Unterstützung bedeutet zusätzliche Belastungen für unseren Haushalt. Ich sage in Kenntnis der Einschränkungen, die viele unserer Bürger schon auf Grund der seitherigen Beschlußlage erwarten müssen, Beschlüsse, die ja noch nicht umgesetzt sind und die im Haushalt 1991 umgesetzt werden: Wir werden trotzdem im in der kommenden Woche beginnenden Haushaltsverfahren noch nach weiteren Möglichkeiten der Einsparung suchen und den Finanzminister hierin unterstützen. Es ist auch ein interessantes Signal, daß der Bundeswirtschaftsminister eine alte Forderung der FDP auf lineare Subventionskürzungen aufgegriffen hat. Meine Fraktion ist gespannt darauf, inwieweit in den finanzpolitischen Spitzengesprächen der nächsten Tage diese Überlegungen zu Ergebnissen führen. Eines darf jedenfalls nicht sein: Wenn kurzfristig der Haushaltsausgleich ohne Erhöhung der Abgabenlast für die Bürger nicht möglich erscheint, wenn also ein Thema, das für die Koalition sonst ein TabuThema gewesen ist, nämlich Steuererhöhungen, doch offen diskutiert wird und diskutiert werden muß, dann darf nicht wie bei einem Dammbruch plötzlich alles und jedes zur Disposition stehen. Ich will, meine Damen und Herren, hier nicht die Spekulationen weiter vertiefen, aber ich meine: Wenn schon Erhöhungen von Steuern, dann kann es nur da sein, wo es auch bisher nicht für ordnungspolitisch völlig falsch angesehen wurde. Wir sollten auch die Argumente der Opposition, insbesondere die aus den Wahlprogrammen, sorgfältig prüfen. Ich komme zurück auf das Zerren um die Finanzverteilung. In den westlichen Bundesländern boomt die Wirtschaft in allen Bereichen. Wer in Lokalzeitungen über die Debatten vieler Gemeinderäte zu ihren Haushalten liest, der sieht oft eine verbesserte, oft deutlich verbesserte Finanzlage. Gerade weil dies nicht in allen Gemeinden in gleicher Weise der Fall ist, besteht eine besondere Verantwortung bei den wirklich reichen Gemeinden. Es ist leider kaum zu sehen, daß irgendwo dieser Verantwortung - den Appellen alleine - Folge geleistet würde. Mein Appell geht dahin, Partnerschaften auszubauen oder schnellstens neu aufzubauen und sie außer mit freundlichen Worten auch mit tatsächlichen massiven Hilfeleistungen, vor allem im personellen Bereich, zu flankieren. Meine Bitte an die Gemeinden: Lassen Sie Ihre wünschenswerten Prestigeobjekte einfach ein paar Jahre liegen, und helfen Sie direkt da, wo es nicht um eine noch schönere und größere Stadthalle oder um ein weiteres Hallenwarmbad geht, sondern wo die Gefahr eines Zusammenbruchs der Infrastruktur besteht! ({4}) Meine Bitte und meine Aufforderung an die Bundesländer: Bei den anstehenden Gesprächen um eine Umstrukturierung der Finanzverteilung sind Sie kurzfristig am stärksten gefordert. ({5}) Der Zahlenvergleich von Aufwendungen des Bundes und der Länder - auch wenn hier über diesen Zahlenvergleich natürlich immer wieder gestritten wird und er ganz präzise in einem laufenden Verfahren wahrscheinlich nie herzustellen sein wird - spricht trotzdem eine deutliche Sprache zugunsten des Bundes und zu Lasten der Länder, die hier mehr tun werden müssen, die auch signalisiert haben, hierzu bereit zu sein. ({6}) Bei allem Verständnis für Eigeninteressen und bei aller Sympathie für einen funktionierenden Föderalismus: In den Gesprächen der kommenden Wochen, Dr. Weng ({7}) deren Ergebnis für die Entwicklung unseres Landes und gerade für die Chancen unserer neuen Bürger so wichtig sein wird, sind sie zuallererst zu gesamtstaatlicher Verantwortung und Solidarität aufgefordert. Wenn mir hier eine Bemerkung erlaubt ist, meine Damen und Herren: Die Äußerung eines Repräsentanten eines Bundeslandes, daß er ein Gesamtkonzept scheitern lassen würde, wenn nicht sein Bundesland aus seiner Sicht angemessen Berücksichtigung fände, d. h. stärker als das im Moment konzipiert ist, ist nach meinem Dafürhalten kein Signal gesamtstaatlicher Verantwortung. ({8}) Meine Damen und Herren, wenn der Bundestag in der zweiten Märzwoche den Haushalt von 1991 in erster Lesung berät, werden Weichen gestellt sein. Sie wissen, daß Termine für die Spitzengespräche der Koalition in der Frage der einzelnen Finanzbeschlüsse festgelegt worden sind und daß wir bis zum Beginn der Haushaltsberatungen einen festeren Grund haben werden als im Augenblick. Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesfinanzminister benötigen für die Fortsetzung des klaren Konzepts soliden Haushaltens in dieser schwierigen Zeit unsere Unterstützung. Auch wenn das Medienspektakel manchmal einen anderen Eindruck vermitteln mag, die FDP-Bundestagsfraktion ist zu dieser Unterstützung bereit. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den noch vorliegenden Wortmeldungen werden wir diesen Tagesordnungspunkt noch etwa eine Stunde weiterdiskutieren. Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Dr. Schumann ({0}).

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der gemeinsamen Freude, die Herr Bundesminister Waigel heute früh hier initiieren wollte, können wir leider nicht teilhaben; ich glaube, mit uns auch viele Menschen in den fünf neuen Ländern, weil ihnen ganz anders zumute ist. Es bleibt dabei, daß es der Regierung nach wie vor an klaren Konzepten fehlt, wie sich die deutsche Einheit denn nun tatsächlich vollziehen kann. Fakt ist doch: Wir haben jetzt mit einem Staat zu tun, in dem zwei Gesellschaftsordnungen zu Hause sind, nämlich die der reichen Geber und die der armen Bittsteller. Alle Warnungen, die ja nicht die deutsche Einheit verhindern sollten, wie uns immer unterstellt wird, wurden mindestens als Boshaftigkeit abgetan. An die Stelle von sachlicher Analyse der Gegebenheiten und konzeptioneller Arbeit auf dieser Grundlage wurde der Wunderglaube der Selbstregulierung der Marktwirtschaft gesetzt. Nun braucht sich niemand zu wundern, daß der Markt eben regelt, daß anstatt eines vernünftigen Kurses der Überführung der zentralistischen Planwirtschaft der ehemaligen DDR in die Wirtschaftsbedingungen der westlichen Welt, die übrigens auch in vielen Teilen weit von der freien Sozialen Marktwirtschaft entfernt sind, ein Crashkurs gefahren wird. Für den Markt und das Kapital ist es eben - zumindest gegenwärtig - am billigsten und einfachsten, sich aus der Konkursmasse zu bedienen. Mit der Devise „Privatisieren vor Sanieren", nach der die Treuhand letztendlich fast alles liquidiert, wird gleichzeitig ein sozialer Kahlschlag vorgenommen, der seinesgleichen sucht. 8,6 % Arbeitslose im Januar - 10 % bei den Frauen und 7 % bei den Männern - sind ja auch nur ein kleiner Teil der Wahrheit. 700 000 befinden sich in der Warteschleife, aus der es für die meisten ja auch nur einen Ausweg gibt, und weitere 1 850 000 befinden sich in Kurzarbeit. Das ist doch nichts anderes als verdeckte Arbeitslosigkeit. Es sind damit schon 3 Millionen, Graf Lambsdorff, die davon betroffen sind. Sie können mir glauben, daß ich weiß, wovon ich rede. In meiner Familie habe ich auch zwei Null-Kurzarbeiter. Nun kann sich das ein Bundestagsabgeordneter leisten. Nur die allerwenigsten Familien in der ehemaligen DDR haben ein Familienmitglied, das finanziell so gutgestellt ist. Rund eine halbe Million Menschen - vor allem Frauen - sind Alleinerziehende in den fünf neuen Ländern; sie sind besonders hart davon betroffen. Letztendlich geht es mir auch nicht nur um finanzielle Sicherstellung. Ich finde es für ein Gesellschaftssystem menschenunwürdig, wenn junge Leute mit 19 und 20 Jahren im Aus sind, ohne Aussicht auf Änderung, wenn qualifizierte Facharbeiter mit langjährigen Erfahrungen, wenn Diplomierte mit Berufen, die auch dem Weltstand nicht nachstanden, heute keine Chance mehr haben. Ich habe vor 14 Tagen mit Interesse in einer Fachzeitschrift ein Interview mit Opel-Chef Hughes gelesen. Er stellte dort fest, daß die qualitativ besten Vectra in Eisenach montiert werden. Nur, was hilft das den Arbeitern im ehemaligen Automobilwerk Eisenach? Auf mich wirkt auch die große Umschulungskampagne mehr als Verhöhnung und weniger als echte Hilfe. Ich wohne z. B. in einem Dorf mit 2 000 Einwohnern. Wenn sich dort gegenwärtig fünf Mann als Steuer- und Vermögensberater ausbilden lassen, dann frage ich mich: Wen wollen sie denn beraten? ({0}) - Als Arbeitsloser vielleicht. - Gehen Sie einmal auf Arbeitsämter in den fünf neuen Ländern! Wenn einer Diplom-Landwirtin mit langjährigen Erfahrungen im Pflanzenschutzmitteleinsatz - auch westlicher Produktion - dort empfohlen wird, Bäuerinnen in den alten Bundesländern einmal zum Friseur oder zum Einkaufen zu fahren, dann muß man zumindest beachten, daß ihr vorgeschlagen wird, Bäuerinnen zu fahren. Vielleicht ist das die Berufsbezogenheit, die damit zum Ausdruck kommt. Die Beschäftigungspolitik vergangener Bundesregierungen muß angesichts hunderttausender Langzeitarbeitsloser in den alten Bundesländern als gescheitert angesehen werden. Unter den Bedingungen des Übergangs von Betrieben aus einer abgeschotte368 Dr. Schumann ({1}) ten Wirtschaft in der ehemaligen DDR zu offenen Weltmarktbedingungen versagt sie für die Arbeitnehmer völlig. Es gab und gibt nicht wenige sozial denkende Wirtschaftsexperten in den fünf neuen Ländern, die bemüht waren und sind, diesen Übergang mitzugestalten und im Interesse der Menschen zu bewältigen. Sie werden kriminalisiert, demoralisiert und letztendlich ganz einfach übergegangen. Es sind unter anderem die aufgeknackten Seilschaften, wie Bundesminister Waigel sagte, die im übrigen fast ausschließlich durch neue, aber wirkliche Seilschaften ersetzt wurden, wenn auch zugegebenermaßen nach anderen Kriterien: Familienbindung und Verwandtschaft sowie gemeinsame Vergangenheit in Aufsichtsräten großer Konzerne sind die neuen Maßstäbe bei der Besetzung von Ämtern und Stellen. Wenn dies mit Fach- und Sachkompetenz einhergeht, ist es vielleicht noch erträglich. Schier unerträglich ist aber die unglaubliche Ignoranz und Arroganz, mit der viele antreten. Unserer Meinung nach wird es nur dann gelingen, den Übergang zur Wirtschaft sozial und auch finanziell verträglich zu gestalten, wenn dies zur echten Gemeinschaftsaufgabe aller Menschen wird. Nicht das Hin- und Herschieben zwischen Bund und Altländern, zwischen alten und neuen Ländern hilft hier weiter. Für mich war die heutige Rede von Bundesminister Waigel erneuter Beweis, daß am Kern vorbeigeredet wird. ({2}) Ohne funktionierende Wirtschaft in den neuen fünf Ländern wird es auf Dauer ein Faß ohne Boden geben. Genau das, was die Koalitionsparteien vor einem Jahr, vor der Volkskammerwahl, der damaligen DDR-Regierung unter Hans Modrow vorgeworfen haben, haben sie jetzt selbst organisiert. Wenn dieses Faß auch ein Loch hatte - vielleicht sogar ein großes - , so haben Sie ihm jetzt den Boden ausgeschlagen. Mit wortreichen Diskussionen zur Finanzpolitik ist es nicht mehr zu machen. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile dem Abgeordneten Esters ({0}) das Wort.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Graf Lambsdorff, recht herzlich für Ihre Aufrichtigkeit danken, die Sie hier an den Tag gelegt haben. Ich kann mir vorstellen, daß es für jemanden schwer ist, jetzt diese Situation vorzufinden, wenn er in der Zeit davor von einer anderen Situation ausgegangen ist. Ich könnte mir vorstellen, daß dies für uns beispielgebend sein sollte; denn wir alle kommen in Situationen, wo wir uns politisch irren oder Fehlprognosen abgeben. Ich habe Ihre Äußerungen als sehr angenehm empfunden. ({0}) Die schwerwiegenden Enttäuschungen und verlorenen Hoffnungen vieler unserer Mitbürger in den neuen Bundesländern hat mein Kollege Thierse mit größerem Recht dargestellt, als ich es tun könnte. Uns Abgeordneten aus den alten Bundesländern sollte in diesem Parlament, das im vergangenen Jahr von dröhnenden Erwartungen und feierlichen Triumphen widerhallte, heute ein Gefühl gemeinsam sein: das Gefühl der Beschämung. Ihre Freiheit haben sich die Deutschen in der ehemaligen DDR weitgehend selbst erkämpft. Wir hier, im alten Westen, jedoch haben unseren Part bislang nicht ausreichend erbracht. Wir werden gerühmt für unsere Wirtschaftskraft, unsere leistungsfähigen Unternehmen, unser technisches und organisatorisches Wissen und unsere Innovationsfähigkeit. Es scheint aber so, als versagten wir auf breiter Front, wenn wir diese Fähigkeiten im neuen Teil Deutschlands anwenden sollen. Diese Debatte hat nur dann einen Sinn, wenn wir uns darin einig sind, daß es unmöglich so weitergehen kann wie bisher. Wir müssen umdenken, wir müssen Besitzstände antasten, und wir müssen Rituale ändern, die der neuen Aufgabe nicht gerecht werden. Wir brauchen ein Ende der Verteilungskämpfe zwischen Bund und Ländern, wenn es um den Neuaufbau von Mecklenburg und Thüringen geht. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung aller gesellschaftlichen Gruppen, der Regierungen, der Parlamente, der Unternehmen ebenso wie der Gewerkschaften, um den Bürgern in den neuen Ländern die Gewißheit zu geben, angenommen zu werden und dazuzugehören. Welche Forderung stellt sich nun in dieser Situation an die Finanz- und Haushaltspolitik? Manchmal kommt es einem vor, als ob eine Veranstaltung nach dem Vorbild „Jugend forscht" abliefe. Im Augenblick liefern ungeheuer viele Kollegen so etwas wie Zwischenberichte ab - natürlich öffentlich - , und am 28. Februar tagt dann unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers die Jury. Ich würde davor warnen, schon jetzt andauernd mit neuen Vorschlägen in die Öffentlichkeit zu gehen, weil sonst unter Umständen die Jury am 28. 2. überfordert sein könnte. ({1}) Wichtig ist für uns, daß es in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhungen geben kann mit Ausnahme der Maßnahmen, die zur Ankurbelung der Wirtschaft in den neuen Ländern erforderlich sind, und der Maßnahmen, die uns das Verfassungsgericht zur Lösung aufgetragen hat. Alles andere sollten wir lassen, auch übrigens im mittelfristigen Interesse der Länder und Gemeinden in den neuen Bundesländern. Hinzukommen muß ein Prinzip äußerster Sparsamkeit. Hier muß dann all das, von dem immer getönt worden ist, im Bereich des Subventionsabbaus auch wirklich angepackt werden. Während das Kabinett beschließt, die Finanzhilfen um einen geradezu lächerlich geringen Betrag von 500 Millionen DM abzubauen, hält die Bundesregierung mit forschen Vorschlägen für den Abbau der Preisstützungen in den Haushalten der neuen Bundesländer nicht zurück. ({2}) Die Vorschläge der Bundesregierung streichen die Preisstützungen von rund 37 Milliarden DM auf knapp 16 Milliarden DM zusammen - Kürzungen, die die Lebensverhältnisse der 16 Millionen Menschen massiv berühren. ({3}) Wenn die Bundesregierung selbst auch nur ansatzweise zu eigenen ähnlichen Kraftanstrengungen fähig wäre, wie sie sie von anderen verlangt, würden entscheidende Finanzierungsspielräume für die erforderlichen Aufbauleistungen eröffnet. ({4}) Sparen fängt bekanntlich vor allem zu Hause an. Wenn ich den Part der Regierungsbildung nehme mit all dem, was durch Zellteilung und anderes mehr dazugekommen ist, dann sehe ich, daß von Sparsamkeit in diesem Bereich nun wirklich nicht geredet werden kann. Wie ich höre, geht der Finanzminister da auch nicht gerade mit gutem Beispiel voran, wenn er noch einen dritten beamteten Staatssekretär haben will. Die Solidarität wird auch auf dem Prüfstand stehen, wenn es um die Umschichtungen in den einzelnen Haushalten zugunsten der neuen Länder geht, Umschichtungen, die in besonderer Weise auf den Verkehrshaushalt zielen, um die für das Anspringen des marktwirtschaftlichen Erneuerungsprozesses notwendigen Verkehrsinfrastrukturleistungen zu finanzieren. Das gleiche gilt für den Bereich Bildung und Wissenschaft mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, für den Forschungs- und Technologieetat. Das bestehende Forschungs- und Technologiepotential in den Wissenschaftseinrichtungen und den Betrieben der früheren DDR muß zunächst finanziell, soweit es zukunftsträchtig ist, erhalten werden und neu formiert werden, denn die Wettbewerbsfähigkeit einer Region hängt in entscheidender Weise vom Technologieverbund zwischen Forschung und Unternehmen ab. Um einen dritten Punkt herauszugreifen: Wir werden auch darauf achten müssen, daß die Bundesstiftung Umwelt ihre Aktivitäten schwergewichtig in den neuen Ländern entfaltet. Mir ist dabei auch bewußt, daß dann, wenn diese Forderungen in konkrete Politik umgesetzt werden, jeder von uns in seinem Wahlkreis betroffen sein kann. Deshalb betone ich auch, daß es hier nur um eine gemeinsame große Anstrengung gehen kann. Um den in Gang befindlichen Zerfall der öffentlichen Strukturen in den neuen Bundesländern aufzuhalten, brauchen wir ein finanzielles Sofortprogramm, das unbürokratisch und verläßlich ausreichende Finanzmittel für die dringend notwendigen öffentlichen Investitionen zur Verfügung stellt. Vergleiche mit der Finanzausstattung der alten Bundesländer allein helfen nicht weiter. Denn es geht darum, dem Nachholbedarf und dem Wiederaufbau dieses Teils Deutschlands Rechnung zu tragen. Ein Gesamtkonzept der Bundesregierung, das diese Notwendigkeiten mit den Finanzbedürfnissen der alten Bundesländer und des Bundes in mittelfristiger Sicht zusammenfaßt, fehlt bisher. Dazu drei Beispiele. Die Bundesregierung hat den Finanzierungsbedarf der neuen Bundesländer in ihrer mittelfristigen Projektion bis 1994 auf eine Ausgabensteigerung von jährlich 5 % ausgelegt. Mit einer derartigen Steigerung, die den Normalhaushalten des Westens bei einer voll entwickelten Infrastruktur entspricht, lassen sich gleichartige Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland nicht herstellen. ({5}) Gleichzeitig sind die Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit mit einer so starken Degression versehen worden, daß sie von 35 Milliarden DM in 1991 auf 0 DM in 1995 zurückgehen. Damit wird den neuen Ländern und Gemeinden die Basis ihrer Finanzausstattung entzogen, da ihre eigene Steuerkraft auf längere Sicht unterentwickelt bleiben wird. Die Tatsache, daß die Bundesregierung zur Liquiditätssicherung bereits in den ersten beiden Monaten dieses Jahres mit 14,3 Milliarden DM rund 45 % des gesamten Jahresbeitrags als Liquiditätshilfe ausschütten müßte, zeigt, wie irreal diese Annahmen sind. Die Bundesregierung versucht, dieser beklemmenden Finanzperspektive dadurch auszuweichen, daß sie auf die angebliche Null-Verschuldung der neuen Länder und Gemeinden verweist. Wie ist denn hier die Wirklichkeit? Das für die Gemeindeinvestitionen auf drei Jahre ausgelegte Zehn-Milliarden-DM-Kreditprogramm war bereits im Januar voll mit Anträgen belegt. Es wurde auf 15 Milliarden DM aufgestockt. Wurde dieser Kreditrahmen tatsächlich, was zu erwarten steht, voll ausgeschöpft, so hätten die Gemeinden bereits im ersten Jahr kommunaler Selbständigkeit eine Verschuldung angehäuft, für die die westdeutschen Gemeinden bei einer vergleichbaren Betrachtung der Leistungsfähigkeit vierzig Jahre gebraucht haben. - Ende der Fahnenstange. Wie sieht es bei den Bundesländern aus? Die Fehleinschätzung der Bundesregierung wird in geradezu klassischer Weise bei der Konstruktion des Kreditabwicklungsfonds deutlich. Dieser Fonds übernimmt nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages die aus der früheren DDR herrührenden Verpflichtungen einschließlich der Staatsverschuldung. Dieser Fonds hat eine Laufzeit von drei Jahren, bis 31. Dezember 1993. Ab 1994 werden die Schulden des Fonds jeweils zur Hälfte vom Bund und von den neuen Bundesländern übernommen, soweit sie nicht auf die Treuhandanstalt übertragen werden können. Dahinter stand die Erwartungshaltung beim Abschluß der Staatsverträge, daß die Treuhandanstalt aus der Vermarktung der früheren volkseigenen Betriebe ein gewaltiges Milliardenvermögen anhäufen würde, das es erlaubt, die Verschuldung weitgehend auf die Treuhand zu übertragen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Treuhand selbst entwickelt sich zu einem notleidenden Dinosaurier, bei dem die Erlöse in zweistelliger Milliardenhöhe hinter den Aufwendungen zurückbleiben. Die hälftige Übernahme der Schuldenlast des Kreditabwicklungsfonds hängt deshalb wie ein Damoklesschwert über den neuen Ländern und droht diese finanzwirtschaftlich zu erdrosseln. Für uns ist ebenfalls der ganze Teil wichtig, der hier schon von verschiedener Seite angesprochen worden ist, nämlich die Stärkung der Verwaltungskraft. Hier muß der bisherige Umfang ganz kräftig erweitert werden. Denn wir alle haben erfahren, daß die Soziale Marktwirtschaft nur dann funktionstüchtig ist, wenn neben ihr auf staatlicher Seite eine leistungsfähige Verwaltung steht. Tragfähige finanzielle Anreize für die Bediensteten müssen auch in Zukunft bleiben, und es darf keine Einbahnstraße sein, nur von West nach Ost. Verwaltungshilfe heißt auch, daß wir im Austausch die Menschen aus den neuen Bundesländern und Gemeinden in ihre künftigen Aufgaben einzuarbeiten haben. Ein wichtiger Punkt für uns ist noch, daß die Abwicklung eines größeren Infrastrukturprogramms, bei dem wir die Ergänzungsabgabe vorsehen, über das bewährte Instrument der Kreditanstalt läuft, weil dann die Einnahmen aus dieser Ergänzungsabgabe direkt und ohne verwaltungsmäßige Schwierigkeiten in Investitionen umgesetzt werden können und weil es dann auch möglich ist, bestimmte Aufträge im Hoch- oder Tiefbau oder auch in Planungskapazitäten zusammen mit Unternehmen aus dem Bereich der neuen Bundesländer und der Bundesrepublik durchzuführen. Wenn wir diese unbürokratische und solide Abwicklung hinkriegen, dann kommen hier Investitionen zustande und haben wir - mit Ausnahme der Rechtsverhältnisse - auf administrativer Seite auch weniger mit Investitionshemmnissen zu tun. Dies sollte für uns eine gemeinsame Aufgabe sein. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Rose ({0}). ({1}) Sie haben das Wort.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach manchem anderen Redner der Opposition muß ich es als nahezu angenehm empfinden, daß ich nach dem Kollegen Esters, einem ausgewiesenen Haushaltsfachmann, reden darf. Ich gestehe dem Kollegen Esters auch zu, daß er mit vielen Fakten und Zahlen gearbeitet hat und deshalb auch für die Haushalts- und Finanzlage der Bundesrepublik Deutschland mehr Konkretes zu sagen hatte. Haushaltspolitiker sind es ja überhaupt gewohnt, mit Fakten umzugehen und nicht wilden Spekulationen zu frönen. Wenn es um Geld geht, wird zwar gerne spekuliert, Gewinne werden aber nur dann gemacht, wenn man von faktischen und nicht von fiktiven Zahlen ausgeht. Das Szenario der Pleiten, das in den letzten Tagen zunehmend gemalt wird, ist erstens - wenn wir alles anschauen - nicht von Fakten gedeckt und zweitens auch nicht hilfreich. Wer hat denn etwas davon, wenn ihm der Niedergang prophezeit wird? Insofern ist es auch müßig, im nachhinein noch die Frage zu stellen, ob der Kanzlerkandidat der SPD recht gehabt habe. Ich bin insgesamt dankbar, daß es zur deutschen Einheit kam, und wir sollten die Herausforderungen der deutschen Einheit annehmen und nicht nachkarten. Wir sollten deshalb auch manche Probleme, die es jetzt gibt, gemeinsam anpacken. ({0}) Es ist deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, parteipolitisch leicht zu durchschauen, wenn Sie jetzt mit einem neuen Programm kommen. ({1}) Dieses Programm - „Aufschwung Ost" oder wie immer Sie es nennen - ist leicht zu durchschauen. Wenn Sie sich jetzt als Retter in der Not aufspielen wollen, weil Sie es angeblich immer gewußt haben, kann ich Ihnen sagen: Sie haben nur eines gewußt, nämlich zu warnen und damit die Einheit möglichst weit hinauszuzögern. Das war Ihr Ergebnis. ({2}) Lafontaine hat es noch vor kurzem als Kardinalfehler des Kanzlers bezeichnet, nicht rechtzeitig vor den Opfern wegen der deutschen Einheit gewarnt zu haben. Wenn es nach Lafontaine ginge, so würde er am liebsten noch heute vor der Einheit warnen. ({3}) Er würde am liebsten noch heute einen Staatsbesuch als Ministerpräsident des Saarlandes bei seinem Kollegen aus dem Saarland drüben machen. ({4}) Meine Damen und Herren, kommen wir zu den heutigen Tatsachen. ({5}) - Sie werden sich, Herr Kuhlwein, wieder beruhigen. Sie haben eine sehr schöne kräftige Stimme. ({6}) Sie werden sich wieder beruhigen. - Danke sehr. Ich komme jetzt zu den Tatsachen des jetzigen Haushaltsverfahrens und der Finanz- und Haushaltslage. Wir haben nämlich nach wie vor - und das werden die Kollegen des Haushaltsausschusses bestätigen - ein geordnetes Haushaltsverfahren. Wir haben einen geordneten Haushalt; wir haben eine stabile Währung; ({7}) wir haben bisher nur positive Signale an die Finanzmärkte; der Zinsgipfel ist überschritten, und die VerDr. Rose schuldung ist tragbar, auch wenn immer wieder gewarnt wird. Diese Warnungen sollten wir ernst nehmen; aber das, was wir jetzt haben, ist durchaus im Rahmen des Akzeptablen. ({8}) Das Jahr 1990 - das wissen Sie ebenfalls -, auch wenn der Haushaltsabschluß für dieses Jahr erst in wenigen Tagen kommen wird, hat mit 18 Milliarden DM weniger an Verschuldung als genehmigt abgeschlossen. Dadurch ist auch der Kapitalmarkt entlastet worden. Für 1991 sind strenge Ausgabendisziplin und äußerste Sparsamkeit vorgesehen. Wir wollen nämlich das Markenzeichen dieser Koalition, die Solidität der Finanzen, nicht aus den Augen verlieren. ({9}) Wir haben bis dato auch immer noch keine Steuererhöhungen, auch wenn nach den vielen Äußerungen der letzten Zeit der Eindruck von mehreren Dutzend Belastungsraten entstanden ist. Meine Damen und Herren, wir haben mit 22,5 % die niedrigste Steuerlast seit 30 Jahren. Das ist Tatsache; das sind Fakten; das ist bisher nicht zu bestreiten. ({10}) Der im Kabinett verabschiedete Haushalt 1991 baut auf diesen genannten Daten auf. Die Nettokreditaufnahme wird sich bei allen Schwierigkeiten vertreten lassen. Allerdings werden wir bei den Ausgaben nicht alle Wünsche befriedigen können. Von diesen - das weiß jeder von uns - gibt es viele. Große Aufgaben liegen vor uns. Vor allem die Einheit Deutschlands, die Zusammenführung der Menschen und die Schaffung bestmöglicher Lebensverhältnisse im eigenen Land bleiben eine Herausforderung. Es soll natürlich niemand meinen, in den alten Bundesländern, also in der alten Bundesrepublik, seien alle Aufgaben gelöst. Ich nenne nur die Umwelt oder die Pflegefallversicherung und viele andere Themen. Aber Priorität für uns alle haben die fünf neuen Bundesländer. Dort häufen sich die Hiobsbotschaften, die wir Parlamentarier alle ernst nehmen sollen. Vor allem Wahlkreisabgeordnete können sich gut in das hineindenken, was es heißt, Betriebsstillegungen oder Fördersatzveränderungen hinnehmen zu müssen. Gerade deshalb betone ich: Niemand darf locker über diese Hilferufe hinweggehen. Man muß auch die Leute verstehen, wenn sie darüber erbost sind, daß plötzlich überall Milliarden zur Verfügung stehen, während sie zum Wiederaufbau des eigenen Landes fehlen. ({11}) Das gilt im übrigen nicht nur für die neuen Länder. Ich könnte Ihnen viele Diskussionen aus dem eigenen Bereich schildern, wo man ebenfalls das Gefühl hat: Jetzt plötzlich werden Gelder locker gemacht, die bisher nicht da waren. Als Politiker muß man allerdings alles richtig einschätzen können. Ein Schreckensruf wie z. B. „Leipzig ist Mitte Februar zahlungsunfähig" , der heute ebenfalls erwähnt wurde, alarmiert. Aber immer nach Bonn zu rufen, das ist nicht der richtige Weg. ({12}) Der Ruf nach Bonn, nach Sofortmitteln, überhaupt der Ruf nach dem Staat, der Ruf nach dem Bund darf nicht zur obersten Richtschnur verkommen. Wir müssen den Bürgern vielmehr beibringen, daß in einem freien Land freie Bürger, d. h. Bürger mit Eigeninitiative, gefragt sind. Am Beginn der alten Bundesrepublik stand auch nicht der Ruf nach Bonn, sondern da stand die Maxime, daß wir in die eigenen Hände spucken müssen, um zu arbeiten und aufzubauen. Da stand die Maxime, daß man arbeiten muß. ({13}) - Herr Kollege Kuhlwein, Sie rufen „Hört! Hört! " ({14}) Hören Sie mal, auch Ihre SPD-Kollegin Frau Simonis, Finanzministerin in Schleswig-Holstein hat davon gesprochen - so lese ich es heute in der Zeitung -, daß die neuen Länder erst in den eigenen Taschen nachsehen sollen, bevor sie Forderungen an andere stellen. ({15}) In Bonn werde geredet - so heißt es - , während im Osten die blanke Not herrsche. Das trifft ins Leere, wenn man die richtigen Vergleiche zieht. ({16}) Der Lebensstandard in den neuen Bundesländern kann nicht von heute auf morgen verändert und verbessert werden, ({17}) und er kann auch nicht mit dem in der alten Bundesrepublik Deutschland verglichen werden. ({18}) Meine Damen und Herren, ich wohne an der Grenze zur Tschechoslowakei. Diese Tschechoslowakei bemüht sich sehr stark um neue, bessere Lebensverhältnisse. Sie schreien aber nicht, daß sie von einem Tag auf den anderen denselben Lebensstandard haben wollen wie ihr Nachbar an der anderen Seite. Das geht nicht. ({19}) Man muß sich also auch selber anstrengen, und man muß selber einiges tun. Der Vergleich zwischen der sozialistischen DDR und den freien Ländern Sachsen, Thüringen, Brandenburg oder Mecklenburg endet mit der Frage, ob man den alten Zustand wiederhaben will. Man muß also richtig vergleichen können und darf nicht nur Forderungen stellen. ({20}) Meine Damen und Herren, betrachten wir die Finanzlage Deutschlands, dann wird uns der enger werdende Finanzrahmen deutlich. Überall will man Geld haben, viel mehr Geld. Wir können aber nicht die Probleme der ganzen Welt lösen. Die deutschen Finanzen sind weltweit hoch geschätzt. Eine Dauermelkkuh sind wir Deutschen aber nicht. ({21}) - Sicher sind wir weltweit geschätzt! Die deutsche Währung ist die härteste Währung; alle wollen von uns Geld. Wir müssen also aufpassen, daß uns die Frage, wer das alles bezahlen soll, nicht erdrückt, wobei diese Frage ja im ganzen Land gestellt wird. ({22}) Allzu schnell landet man bei einem Beitrag der Bürger, sprich: bei Steuererhöhungen. Ich betone daher nochmals: Bisher haben wir trotz zahlreicher SPD-Forderungen keine Steuern erhöht. Auch der Haushaltsentwurf 1991 ging von der Beibehaltung der bisherigen Steuerquoten aus und hatte trotzdem 11 Milliarden DM für die Bewältigung des Golfkrieges beinhaltet. Niemand kann aber erwarten, daß bei ständig neuen Forderungen an den Bundeshaushalt gezaubert werden kann. ({23}) Als Haushaltspolitiker bin ich grundsätzlich der Ansicht, daß das Sparen nie aufhören darf. So stelle ich mich erneut hinter die Aussage des Bundes der Steuerzahler, der vor einer Woche unter dem Motto „Steuererhöhungen sind unnötig" Vorschläge für einen vierjährigen Sparplan gemacht hat. Ich will jetzt nicht alle darin enthaltenen Punkte aufzählen, aber wir sind immer gefordert, erst einmal zu prüfen, was wir sparen können, ({24}) bevor wir neue Steuererhöhungsvorschläge machen und dem Bürger das Geld aus der Tasche ziehen. Ein Punkt dieses Steuererhöhungsverhinderungsplans des Bundes der Steuerzahler ist die Nichtausweitung von Sozialleistungen. ({25}) Wenn natürlich jedesmal jemand ruft „Wir brauchen noch mehr, noch mehr! ", dann klappt es nicht. Der Bund der Steuerzahler schlägt z. B. vor, für ABM in den alten Bundesländern nicht mehr so viel zu zahlen. Sie brauchen sich ja nur anzuschauen, wieviele Leute auf der einen Seite einen Arbeitsplatz suchen und wieviele Arbeitgeber auf der anderen Seite verzweifelt Arbeitskräfte suchen. Das paßt ja insgesamt nicht zusammen. Meine Damen und Herren, der Steuerzahlerbund sagt auch, daß z. B. der Bezug des Erziehungsgeldes nicht unbedingt verlängert werden muß, sondern daß er sich auf die Bedürftigen konzentrieren sollte. Das brächte nach Meinung des Steuerzahlerbundes 8 Milliarden DM und wäre wirklich sozial gerecht. Ob der Steuerzahlerbund mit dem Bezieher von Erziehungsgeld oder Erziehungsurlaub möglicherweise einen bekanntgewordenen SPD-Oberbürgermeister meint, das weiß ich nicht. Auf jeden Fall aber sind bestimmt noch genug Maßnahmen zu finden, bei denen gespart werden kann, bevor man das schwierige Instrument der Steuererhöungen zum Tragen kommen läßt. ({26}) - Ich habe mit Dienstmädchen nichts am Hut. ({27}) Wenn die Forderungen von irgendeiner anderen Fraktion kommen, treffen sie mich überhaupt nicht. Das war noch nie die Forderung der CSU. Die CSU ist eine echte bayerische Volkspartei. Sie kümmert sich um die großen Schichten des Volkes. Deshalb sollten Sie diesen Vorwurf an jemand anders richten. Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten auch eines wissen. Deshalb habe ich dies so deutlich gemacht, damit nicht immer nur, weil einmal dieser Stein ins Wasser geworfen wurde, von den Ossis gesprochen wird, die den Hilferuf an den Westen richten. Wir sollten wissen, daß wir auch in unserem eigenen Bundesland, im Freistaat Bayern, noch viele Probleme zu lösen haben. Wir brauchen jedoch zur Lösung dieser Probleme viel mehr Konsens. Wir brauchen den Konsens zwischen der Opposition und der Regierung, wir brauchen den Konsens zwischen dem Bund und den Ländern - dazu ist heute schon viel gesagt und von den Ministerpräsidenten, die hier anwesend waren, auch einiges versprochen worden -, und wir brauchen viel mehr Konsens zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Das Jahr 1991 wird eine Nagelprobe werden. Wir brauchen aber auch, meine Damen und Herren, etwas mehr Gelassenheit und nicht derartig viele Angriffe, wie sie heute beispielsweise gegen den Bundesfinanzminister zu hören waren. ({28}) Was der Kollege Thierse von der SPD gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister geäußert hat, war nicht gerade das Fairste. ({29}) Goethe zu zitieren und damit einen Bundesminister madig zu machen ({30}) war wirklich nicht die „große Erfindung". Dazu würde ich Ihnen, Herr Thierse, am liebsten sagen: Schauen Sie sich einmal den neuen Band von Rainer Kunze „Deckname Lyrik" an; ({31}) darin können Sie einiges finden, was zumindest Ihrem Vorgänger und auch manchem von Ihnen vorgeworfen werden könnte. Graf Lambsdorff hat davon gesprochen, daß es nicht gehen kann, daß im Osten Rathäuser geschlossen, im Westen aber neue Kongreßhallen gebaut werden. Dafür gab es breite Zustimmung im Plenum; es gab auch Zustimmung bei der SPD. Ich habe das dankbar registriert. Aber ich möchte Sie zum Schluß um folgendes bitten: Wenn es darum geht, draußen vor Ort diese Aussage, nämlich keine Kongreßhalle, keine neuen Sportplätze usw. zu bauen, zu erfüllen, sollten Sie auch Ihre SPD-Kollegen ersuchen, nicht der Bundesregierung Vorwürfe zu machen, daß aus dem Bundeshaushalt nichts mehr bezahlt wird. Auch diesen Konsens und dieses Zusammenarbeiten brauchen wir. Dann wird die Entwicklung im Jahre 1991 zum Positiven für das deutsche Volk gelingen. ({32})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Bernrath ({0}).

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nachdem Herr Rose hier die Regierungen der neuen Bundesländer für unfähig erklärt hat, mit ihren Problemen fertigzuwerden, nachdem er die Bürger dort beschimpft hat, sie seien faul - das kam deutlich heraus - , sie würden die Ärmel nicht selbst aufkrempeln, muß ich noch einmal wiederholen, auch wenn Sie es nicht gerne hören: Die Lage hat sich in den neuen Bundesländern dramatisch verschlechtert. Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich der 3-MillionenGrenze. Null-Kurzarbeit ist Arbeitslosigkeit. Die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Aufwendungen für das Wohnen, steigen stärker als die Einkommen. Die Versorgung mit sozialen Einrichtungen, ob Kindergartenplätze oder Horte, verschlechtert sich. Der wirtschaftliche Aufschwung kommt nicht in Gang. Insbesondere bleibt die Investitionstätigkeit - die private wie die öffentliche - weit hinter den Erwartungen zurück. Ein Ende dieses dramatischen Erdrutsches in den neuen Ländern ist nicht absehbar. Maßgebend dafür sind die völlig unzureichende Finanzausstattung der neuen Länder, vor allem ihrer Gemeinden, die mangelnde Leistungsfähigkeit der Verwaltung, die fortdauernde Ungewißheit über die Eigentumsverhältnisse bei der überwiegenden Zahl der Grundstücke und die unzulängliche Infrastruktur. Das alles war in vollem Umfang absehbar; nichts an dieser Entwicklung war überraschend. ({0}) Insofern wird es doch wohl zulässig sein, Sie hier daran zu erinnern, daß wir Sie von der ersten Stunde an auf diese Zwangsläufigkeit hingewiesen haben. Die Protokolle unserer Debatten im Herbst vorigen Jahres vor dem Einigungsvertrag bestätigen, wie fahrlässig, zutreffender gesagt: wie vorsätzlich die Bundesregierung aus wahltaktischen Gründen nahezu alles unterlassen hat, diese Katastrophe abzuwenden. ({1}) Wir haben von Anfang an auf die Voraussetzungen für eine sozial funktionierende Einigung Deutschlands hingewiesen. Nach der Überwindung der Teilung war die Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen die vordringliche politische Aufgabe. Wir haben gesagt, daß wir sie nur bewältigen werden, wenn wir schnell eine leistungsfähige, zuverlässige öffentliche Verwaltung aufbauen. Dafür wiederum würde eine funktionierende kommunale Selbstverwaltung die wichtigste Grundlage sein. Dagegen hat die Bundesregierung trotz aller Ihrer Beteuerungen lediglich Illusionen und falsche Erwartungen genährt. Sie hat, wenn überhaupt, unverantwortlich gehandelt. Ich erinnere an Leipzig und an Rostock - viele von Ihnen werden den Bundeskanzler begleitet haben; Herr de Maizière sitzt hier -, wo der Bundeskanzler den Zuhörern das Blaue vom Himmel herunter versprochen hat. Heute ist Leipzig pleite. In Rostock werden die Werften geschlossen. Die Aufträge, die dort wahrgenommen werden könnten - wir haben es eben unwidersprochen gehört -, gehen in den westlichen Teil der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundespost gibt die 23 zufällig gefundenen Leitungsnetze an die Treuhand, an die Bürokratien drüben. Sie beläßt sie bei der chemischen Industrie, trotz deren Bedeutungslosigkeit. Sie denkt nicht daran, die kommunalen Verwaltungen in diese Netze einzubeziehen und sie damit zu befähigen, Infrastrukturleistungen zu erbringen und damit wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren dort zu schaffen. ({2}) Ich stimme darum dem Präsidenten des DIHT zu, der in diesen Tagen gesagt hat: Eine funktionierende Verwaltung zu schaffen, ist zur Zeit wichtiger als ein paar Kilometer Autobahn; denn ohne eine effiziente öffentliche Verwaltung ist eine moderne Industriegesellschaft nicht denkbar. Sie ist wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur, die der Staat vorhalten muß, und daran mangelt es zur Zeit im wesentlichen in den neuen Ländern. Besonders desolat ist der Zustand bei den kommunalen Gebietskörperschaften, die für die Ausführung der neuen Landes- und Bundesgesetze vor Ort zuständig sind. Neben der unerläßlichen finanziellen Grundausstattung - es geht eben doch um Geld, Herr Finanzminister - fehlt es den Kommunen insbesondere an qualifiziertem Personal, das die neuen Gesetze anwenden kann. Schlimmer noch: Wegen der schlechten Bezahlung drohen die wenigen fähigen Köpfe in die besser zahlende Privatwirtschaft oder in den westlichen Teil Deutschlands abzuwandern. Auch daran wird sich nichts ändern, solange die öffentlichen Verwaltungen nur etwa 35 % der Bezüge zahlen können, die im Westen üblich sind. Auch das muß bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt werden. Eine bessere finanzielle Rahmenausstattung in den fünf neuen Bundesländern reicht jedoch allein nicht aus, die Probleme, insbesondere die Personalprobleme, zu lösen. Wir brauchen Verwaltungspraktiker aus dem Westen; denn die Bereitschaft westlicher Fachleute, in die neuen Bundesländer zu gehen, hat in den letzten Wochen nicht gerade zugenommen. Seitdem die Staatssekretärsposten oder andere Führungsfunktionen vergeben sind, sind die Schlangen westlicher Bewerber, die bereit waren, in die fünf neuen Länder überzuwechseln, erheblich kürzer geworden, wenn nicht ganz verschwunden. ({3}) Um befähigte Mitarbeiter in genügender Zahl zu veranlassen, zumindest befristet in den neuen Ländern mitzuarbeiten, bedarf es einerseits finanzieller Anreize und andererseits Personalkostenzuschüsse durch Bund und Länder, die in ausreichendem Umfang insbesondere den Kommunen nicht zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang ist auch rechtzeitig daran zu denken, daß hinderliche administrative Vorschriften, wie die Befristung von Abordnungen auf den 31. März, aufgehoben werden und daß vor allen Dingen die Auslauffrist für Trennungsentschädigungen, die ebenfalls auf den 31. März fixiert ist, wegfallen. Sonst wird niemand umwechseln. Vor allen Dingen wird sonst auch niemand bereit sein, auf Dauer in den östlichen Ländern mitzuarbeiten. Der Export westlicher Fachleute - darauf ist hingewiesen worden - kann keine Dauerlösung sein. Wir haben genügend leistungsbereite Mitarbeiter in den neuen Bundesländern. Sie müssen lediglich ausgebildet werden. Dafür ist es wiederum notwendig, daß wir frühzeitig dort wie auch hier Institute schaffen, die personelle Leistungskapazitäten aus- und fortbilden, damit die Länder langfristig auch personell auf eigenen Beinen stehen können. Ohne diese Aus- und Fortbildung wird es nicht gelingen, eine Kontinuität im Verwaltungshandeln zu sichern. Hierzu gehört auch der Vorschlag der ÖTV, zentrale und insbesondere regionale Personalvermittlungsstellen einzurichten. Damit könnte der Personaleinsatz wesentlich erleichtert werden. Ich darf noch anmerken, daß auch die Verwaltungsstrukturen verbessert werden müssen. Ich erinnere nur daran, daß wir im westlichen Teil der Bundesrepublik bei 60 Millionen Einwohnern 3 300 hauptamtliche kommunale Verwaltungen haben. In den östlichen Ländern mit etwa 15 Millionen Einwohnern gibt es 7 500 Städte und Gemeinden, von denen 700 nur bis zu 3 000 Einwohner haben. Diese Zersplitterung kann auf Dauer nicht hingenommen werden. Es müssen - hierzu haben die kommunalen Spitzenverbände Vorschläge gemacht - Finanzierungsanreize geschaffen werden, die das Bündeln von Verwaltungen in den kleinen Gemeinden erleichtern oder begünstigen. Obwohl die Zeit fast abgelaufen ist, möchte ich gerne noch etwas zu der Notwendigkeit sagen, im Bereich der kommunalen Grundstücke zu schnelleren Verfügbarkeiten zu kommen. Da das vorher schon von anderen Rednern angedeutet worden ist, kann ich darauf verzichten. Auch die Privatisierungsabsichten der Koalition sind nicht gerade förderlich für die Kommunen, insbesondere dann, wenn sie in Bereichen wahrgenommen werden sollen, wo die Kommunen alleinige Zuständigkeit haben oder die Eigentümer der dafür erforderlichen Grundstücke und Gebäude sind. Auch hier erinnere ich an das, was die kommunalen Spitzenverbände bereits angemeldet haben. Ich verweise auf unseren Entschließungsantrag, in dem wir zusammengefaßt haben, welche Forderungen wir erfüllen helfen wollen, welche Forderungen wir an die Regierung richten. Ich möchte in diesem Zusammenhang vor dem Hintergrund dieser Forderungen abschließend vor allen Dingen darauf hinweisen, daß diese Aufgabe - Herr Rose hat sie eine große Aufgabe genannt, die dann natürlich auch große Anstrengungen erfordert - nicht nur erfüllt werden muß, um dort funktionierende Verwaltungen und damit prosperierende Länder zu bekommen, sondern weil die Länder der Europäischen Gemeinschaft wie auch die Länder im Osten Europas gespannt nach Deutschland schauen; denn wenn bei uns unter diesen Bedingungen eine schnelle Umstellung von Staat, Wirtschaft und Kommunen auf gesicherte rechtsstaatliche, sozial zuträgliche Regelungen nicht gelingt - es ist unsere gemeinsame Forderung, daß sie gelingt - , würde eine Ausdehnung der kommunalen Selbstverwaltung in Europa scheitern und die osteuropäischen Länder würden den Mut verlieren, diesen Weg überhaupt zu beschreiten. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nunmehr hat das Wort der Abgeordnete de Maizière, CDU/CSU.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom 19. April 1990 vor der Volkskammer habe ich im Zusammenhang mit dem Problem der Überwindung der Teilung Deutschlands gesagt, daß die Teilung nur durch Teilen überwunden werden kann. Dieser Appell ist von vielen Bürgern, insbesondere auch von den politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik und in den alten Ländern, gehört und auch beherzigt worden. Ich denke hierbei insbesondere an die erheblichen Mittel, die uns, der damaligen DDR-Regierung, im Zusammenhang mit der Realisierung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zugewiesen wurden. Dafür soll auch hier einmal ein Wort des Dankes gesagt werden. ({0}) Nachdem sowohl die inneren als auch die äußeren Aspekte der Einigung geklärt waren, konnten wir den 3. Oktober, den Tag des staatlichen Vollzuges der Einigung Deutschlands, erleben. Die Freude, die gelegentliche Euphorie der Tage um den 3. Oktober hat - das ist auch gut so - einer gewissen Ernüchterung, die den Blick schärft, Platz gemacht. de Maizière Nun gilt es, wie es der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 30. Januar 1991 formulierte, die Einheit „geistig-kulturell, wirtschaftlich und sozial" zu gestalten. Wörtlich sagte er: ... in den kommenden Monaten und Jahren hat ein Ziel hohe Priorität . . .: gleiche Lebensverhältnisse ... in ganz Deutschland herbeizuführen. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam erreichen. Es kommt meines Erachtens nicht darauf an, uns gegenseitig vorzuhalten, wer besser die Ärmel aufkrempeln kann; denn das ist ja wohl bekanntlich erst der Beginn der Arbeit. ({1}) - Herr Dr. Vogel, wenn schon ein Blick einen solchen Streit hervorrufen sollte - genau das Gegenteil war meine Absicht. Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Abgeordneten aus den neuen Ländern fühlen uns dieser Aufgabe, nämlich der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse, in besonderer Weise verbunden und sehen es als unsere Pflicht an, die Solidarität der alten Bundesländer und der in ihnen wohnenden Mitbürger immer wieder zu erbitten und auch anzumahnen. Die Schwierigkeiten sind groß. Was sind die Gründe für die außerordentlich schwierige Finanzlage der Länder und der Kommunen, die der Ministerpräsident von Sachsen, Herr Biedenkopf, und der Finanzminister aus Brandenburg, Herr Kühbacher, hier vor drei Wochen zutreffend schilderten? Ich nenne einige der Hauptursachen. Erstens. Es ist zu einem fast völligen Zusammenbruch der Zahlungsfähigkeit der osteuropäischen, früher im RWG verbundenen Länder gekommen. Die Hoffnung, die notwendige Strukturanpassung der Unternehmen bei Aufrechterhaltung der für den RGW-Export bestimmten Produktion leisten zu können, kann sich so nicht erfüllen. ({2}) Die Einnahmeverluste dürften nach vorsichtiger Schätzung bei 40 Milliarden DM liegen. Zweitens. Die Investitionen - sowohl deutscher als auch internationaler Investoren - zur Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze sind nicht in dem Maße erfolgt, wie sie notwendig und erhofft waren. Der Verlust der osteuropäischen Märkte, verbunden mit der Unsicherheit in Eigentumsfragen, hat diesen, hoffentlich vorübergehenden Attentismus bewirkt. Drittens. Die Anpassungsschwierigkeiten sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft sind insgesamt größer, als von uns zunächst gedacht. Dies müssen wir selbstkritisch erkennen. Allerdings wird zur Zeit einmaliges, ja erstmaliges, nämlich der Übergang von einer Kommandowirtschaft zu einer Sozialen Marktwirtschaft, geleistet. Dafür gab es bisher kein Beispiel und erst recht nicht irgendwelche geeigneten Lehrbücher. Aber - auch dies müssen wir erkennen - die Öffnung der Mauer, der Prozeß der Einigung, hat zu einem beachtlichen Aufschwung der Konjunktur in den alten Bundesländern geführt. So betrugen die Steuermehreinnahmen des Bundes 1989/90 11, 9 Milliarden DM und 1990/91 23,1 Milliarden DM, also zusammen rund 35 Milliarden DM. Bei den Ländern stehen in den gleichen Zeiträumen 4,7 bzw. 24,7 Milliarden DM Mehreinnahmen zu Buche. ({3}) Diesen Mehreinnahmen stehen zwar Leistungen im Fonds Deutscher Einheit gegenüber, die aber wesentlich geringer als die Mehreinnahmen sind. Die alten Länder sollen, verbleibt es bei der jetzigen Regelung, in den Jahren 1991 bis 1994 insgesamt nur 11,8 Milliarden DM in den Fonds zahlen. Dies entspricht nicht einmal 50 % der im Zeitraum von 1990 bis 1991 bezogenen Mehreinnahmen in Höhe von 24,7 Milliarden DM. ({4}) Lassen Sie mich mein Eingangszitat, auch wenn es drastisch ist, um einen Halbsatz ergänzen: Teilung wird durch Teilen aufgehoben, nicht durch Verdienen. ({5}) Die Einnahmen der neuen Länder und ihrer Gemeinden haben selbst bei der, insbesondere für die Gemeinden zu optimistischen Steuerschätzung vom Dezember 1990 einschließlich der Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit in den nächsten Jahren eine fallende Tendenz. So werden die Einnahmen in Höhe von 47,3 Milliarden DM in 1991 auf rund 40,9 Milliarden DM in 1994 sinken, d. h. daß die Pro-KopfEinnahmen im Vergleich zu den alten Ländern von gegenwärtig 60 v. H. auf etwa 45 v. H. sinken werden. Ursache dafür sind das Zurückgehen der Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit bei - wie wir jetzt sehen müssen - gleichzeitig nur mäßigem Steueranstieg. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich weiß, daß Zahlen auf die Dauer ermüdend wirken. Dennoch schien es mir notwendig, Ihnen das nach meiner Ansicht relevante Zahlenmaterial vorzutragen. Die von den alten Ländern bezogene und aus der Presse abzuleitende Haltung bezieht sich derzeit auf die Bereitschaft, einer Neuverteilung der Umsatzsteuer zuzustimmen. Dies ist erfreulich, aber erst ein erster, leider zu kurzer Sprung. Den neuen Ländern würde diese Maßnahme zwar Mehreinnahmen in Höhe von etwa 5 Milliarden DM bringen, aber das zu erwartende Haushaltsdefizit in Höhe von 40 bis 50 Milliarden DM würde so nur zu etwa einem Neuntel gemindert werden. Ein wirklich deutlicher Schritt auf den Länderfinanzausgleich zu ist meines Erachtens daher unverzichtbar. ({6}) Zu Recht wird man fragen müssen, was in den neuen Ländern geschehen kann, um diese Situation de Maizière zu verbessern. Einer der notwendigen Schritte ist der sukzessive Abbau der Subventionen auf Mieten, Energie, Brennstoffe und Verkehr. Den Menschen in den neuen Ländern ist diese Notwendigkeit bewußt, sehen sie doch täglich ihre zerfallenden Städte und ihre zerstörte Umwelt. Sie fragen aber auch: Ist für die Wirtschaft in den alten Bundesländern das Wort „Subvention" tatsächlich ein Fremdwort, ist der so behutsame Abbau der Zonenrandförderung in einer erkennbar boomenden Region so gerechtfertigt, oder braucht zum Erhalt des Arbeitsplatzes nur die Reederei an der Nordsee, nicht auch die in Rostock Hilfe? ({7}) Auf solche beliebig fortsetzbare Fragen werden wir nur gemeinsam Antworten finden können, wenn sie allenthalben überzeugen sollen. Der Bundesfinanzminister hat den Haushaltsentwurf 1991 vorgelegt, der eine höhere Neuverschuldung als 70 Milliarden DM ausschließt. Diese Begrenzung ist angesichts der Kapitalmarktsituation, des herrschenden Zinsniveaus wohl notwendig und richtig, so daß neue Einnahmequellen erschlossen werden müssen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? de Maizière ({0}): Nein, im Moment nicht. In den letzen Tagen sind Steuererhöhungen der unterschiedlichsten Art erörtert worden. Ich will mich an der Diskussion, welche Steuerart um wieviel Prozent angehoben werden oder welche Steuersenkung unterbleiben sollte, nicht beteiligen, sondern auf den Rat kluger Experten vertrauen. Es kann nicht um publikumswirksame, sondern es muß um die finanzwirksamste Methode gehen, die die Probleme lösen hilft. ({1}) - Das sicherlich, Herr Dr. Vogel. Es ist ausgeführt worden, daß die notwendige Hilfe Deutschlands im Golfkonflikt Steuererhöhungen nicht ausschließe. Aber dies ist den Menschen in den neuen Ländern nur dann vermittelbar, wenn wir zugleich eine Antwort für die Lösung der dort bestehenden Probleme finden und auch anbieten. ({2}) Wohl auch, aber nicht nur der Bund, sondern insbesondere die alten Länder, sind in ihrer Solidarität gefordert. Natürlich ist ein Bundesstaat auch immer durch den Wettbewerb der Länder und dadurch auch durch den Verteilungskampf in den Finanzen gekennzeichnet, sowohl im Verhältnis zum Bund als auch im Verhältnis untereinander. Dennoch habe ich diesen bundesdeutschen Föderalismus immer als ein wirkliches Vorbild nicht nur für Demokratie, sondern auch für Kooperation, Solidarität und wirkliche Gemeinschaft verstanden. So haben wir, die wir im anderen Teil Deutschlands und seiner totalen Zentralstaatlichkeit leben mußten, diesen Bundesstaat der alten Bundesrepublik stets verstanden. So haben wir ihn zu unserem Vorbild bei der Wiedereinführung der Länder gemacht, und so schauen die Menschen in den neuen Ländern jetzt voller Hoffnung auf die bundesstaatliche Struktur. Soll das Bekenntnis zum kooperativen Föderalismus nicht zum Schein oder zur Worthülse werden, so ist jetzt wirkliche Kooperation und wirkliche Solidarität gefordert. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Abgeordneter, darf ich Sie nochmal fragen, ob Sie jetzt eine Zwischenfrage zulassen? de Maizière ({0}): Ich habe gesagt, ich möchte zum Ende kommen. ({1}) - Bitte. Frau Marx (SPD'. Eine Frage: Wie beurteilen Sie aus Ihrer eben hier vorgetragenen heutigen Sicht Ihre seinerzeitige Entscheidung, den Finanzminister Walter Romberg zu entlassen? ({2}) de Maizière ({3}): Ich halte die Entscheidung nach wie vor für richtig, ({4}) und zwar weil das von ihm verfolgte Modell keinesfalls besser gewesen ist als das, was dann zur Vereinbarung gekommen ist. ({5}) - Da sollten Sie Richard Schröder fragen. Wir haben lange darüber gesprochen. ({6}) Sie sollten ihn fragen, weil er bei dem Gespräch dabei war, ob es richtig ist, daß ein Minister die Richtlinienkompetenz anerkennt oder nicht anerkennt. ({7}) - Frau Kollegin, es war Dr. Romberg, der darum gebeten hatte, daß Richard Schröder an dein Gespräch teilnehmen sollte. ({8}) Ich bin gern bereit, mich über diese Frage noch einmal zu unterhalten. Ich muß allerdings auch feststelde Maizière len, daß es in einer Debatte sachdienliche oder weniger sachdienliche Fragen geben kann. ({9}) Soll das Bekenntnis zum kooperativen Föderalismus nicht zum Schein und zur Worthülse werden, so sind jetzt wirkliche Kooperation und Solidarität gefordert. Es genügt nicht, immer dann auf den Bund bzw. auf den Zentralstaat zu verweisen, wenn es Geld kostet. Wir alle sprechen davon, daß der Umbau von der sozialistischen Kommandowirtschaft in eine Soziale Marktwirtschaft eine erstmalige und für ganz Osteuropa pilothafte Bedeutung hat. Wenn viele unseren bundesdeutschen Föderalismus - wie ich meine: auch mit Recht - als Modell für das künftige einige Europa preisen, dann muß dieser Föderalismus jetzt auch die Probe der Integration der fünf neuen Länder vorbildhaft leisten. Lassen Sie mich schließen mit einem Sprichwort, das da lautet: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Wir Abgeordneten aus den neuen Ländern blicken gespannt auf die Entwicklung der nächsten Woche, insbesondere aber auf den 28. Februar 1991. An diesem Tag kann parteiübergreifende Solidarität unter Beweis gestellt werden. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, wie sind damit am Ende der Aussprache. Bevor wir über einen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD abstimmen, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Thalheim ({0}) das Wort zu einer Erklärung gemäß § 30 unserer Geschäftsordnung - Erklärung zur Aussprache -.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Ausführungen des Abgeordneten Rose fühle ich mich als ehemaliger Bürger der DDR beleidigt. Die Rede war im Ton arrogant, und sie gipfelte in dem Vorwurf, daß die Bürger der ehemaligen DDR im Prinzip zu faul sind, etwas zur Besserung ihrer Situation beizutragen. Das war ganz einfach Stammtischniveau. ({0}) Der Finanzminister hat heute früh in seiner Rede erwähnt, wie viele Betriebsgründungen es in der ehemaligen DDR gibt. Das zeigt doch, daß die Bereitschaft vorhanden ist, viel zu machen. Ich gehöre zu denen, die im landwirtschaftlichen Bereich derartiges vorhaben. Aber vor jedem Betriebsgründer türmen sich Riesenschwierigkeiten auf. In meiner Heimatgemeinde gehen die Handwerker händeringend ins Rathaus, um Aufträge zu erbitten. So ist die Situation. Ich muß auch auf folgendes aufmerksam machen: Wir sind nicht Bürger der CSFR, sondern Bürger des gemeinsamen Deutschlands. Das ist ein wesentlicher Unterschied. ({1}) Wir sind also keine Bittsteller. Deshalb habe ich die Bitte an den Abgeordneten Rose, sich bei uns zu entschuldigen. ({2}) Ich spreche weniger für mich. Ich komme aus der Region Chemnitz, wo die Textilindustrie stark verbreitet ist. Dort sind unzählige Frauen jeden Morgen losgezogen, haben ihre Kinder um 6 Uhr - Sie verstehen richtig - in die Kinderkrippe geschafft, haben neun Stunden an der Nähmaschine gestanden und sind mit 700 DM nach Hause gegangen. Jetzt haben sie kaum eine Möglichkeit, selbst auf ihr weiteres Schicksal Einfluß zu nehmen. Das ist die Situation. Die Rede war für diese Situation einfach unangemessen. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, das war eine Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung. Ich will aber noch einmal deutlich machen: Mit einer Erklärung zur Aussprache dürfen nur Äußerungen, die sich in der Aussprache auf die eigene Person bezogen haben, zurückgewiesen werden. Herr Abgeordneter Dr. Thalheim hat betont, daß er sich persönlich betroffen fühlt. Nun kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/121. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Stimmen der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt. Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen - Drucksache 12/103 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({0}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen ({1}) - Drucksache 12/105 Überweisungsvorschlag : Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Ich erteile dazu Herrn Bundesminister Dr. Kinkel das Wort. Vizepräsident Becker Für die Aussprache sind eineinhalb Stunden vorgesehen. So ist es interfraktionell vereinbart. Herr Minister, bitte sehr.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Dank gilt zunächst den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP dafür, daß sie die von der Bundesregierung am 6. Februar 1991 beschlossenen und dem Bundesrat zugeleiteten Entwürfe übernommen und heute hier im Deutschen Bundestag eingebracht haben. Ich bitte das Hohe Haus und den Bundesrat um Verständnis für dieses Vorgehen im Interesse der neuen Bundesländer und der betroffenen Menschen. Ich bitte auch um Verständnis dafür, daß ich als Regierungsmitglied aus den genannten Gründen bei einem von den Fraktionen eingebrachten Entwurf sozusagen protokollwidrig als erster spreche. Ich bin für das Entgegenkommen, daß man mir hier entgegengebracht hat, sehr dankbar. Die beiden Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe sind eine Folge dessen, was das SED-Unrechtsregime uns an katastrophalen Verhältnissen im Bereich des Eigentums hinterlassen hat. Am Eigentum der Bürger hat sich die DDR wahrhaft schamlos vergangen. Die Geschichte dieses Staates war eine einzige Kette von Unrecht und Enteignungen. 1945 bis 1949 wurden zahllose Landeigentümer um 3,3 Millionen ha land- und forstwirtschaftlichen Besitz und rund 7 000 Unternehmer und Mittelständler um ihr Eigentum gebracht. Ihnen wurde allein zum Verhängnis, daß sie einer Gesellschaftsschicht angehörten, der die kommunistische Ideologie ein Existenzrecht absprach. 1952 wurden alle diejenigen pauschal enteignet, die aus der DDR geflohen waren. Gleichzeitig wurde alter Westbesitz unter staatliche Verwaltung gestellt, allein Zehntausende von Grundstücken. 1958 wurde für die Zukunft, aber eben auch rückwirkend, das Flüchtlingsvermögen unter treuhänderische Verwaltung gestellt. 1972 schließlich wurden die letzten zehntausend mittelständischen Unternehmer gezwungen, sich aus ihren Unternehmen ganz zurückzuziehen und sie dem Staat zu überlassen, nachdem die Mehrzahl von ihnen schon früher gezwungen worden war, den Staat als Teilhaber aufzunehmen. Dieses Schicksal teilten damals immerhin rund 1 700 Handwerkegenossenschaften. Ich finde, diese Zahlen allein sind erschreckend genug, aber sie geben nicht das ganze Ausmaß des Unrechts wieder. Wenn man „treuhänderische Verwaltung" hört, klingt das fast legal. Es war aber nichts anderes als eine besonders perfide Enteignung: Die Grundstücke wurden so mit Abgaben und angeblichen Reparaturkosten belastet, daß die Kosten die niedrig gehaltenen Mieten überstiegen und das Eigentum wegen Überschuldung an den Staat fiel. Häufig bekamen dann noch SED-Günstlinge das ehemalige Westeigentum zur Nutzung zugewiesen. Die Folge dieser kriminellen Machenschaften - ich nenne es so deutlich - war, daß nach der Revolution ca. 50 % des Grund und Bodens in der DDR sozialistisches Eigentum waren. Alle Unternehmen waren in der Hand des Staates; denn Privateigentum an Produktionsmitteln war grundsätzlich untersagt. Es ist klar, daß diese gewaltige Vermögensmasse jetzt wieder soweit wie irgend möglich in private Hände zurückgeführt werden muß. Leider können wir - ich betone das: leider! - die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 unter sowjetischer Oberhoheit aus den bekannten Gründen nicht rückgängig machen. Hier muß es aber, wie im Einigungsvertrag angesprochen, aus meiner Sicht jedenfalls zu raschen Ausgleichsleistungen kommen. Im Einigungsvertrag haben wir uns nach sehr langen tatsächlichen und rechtlichen Diskussionen bei den Enteignungen für die Zeit nach 1949 für das Restitutionsprinzip entschieden: Die enteigneten Eigentümer bekommen ihre Grundstücke und Betriebe zurück; ist das nicht möglich, wird eine Entschädigung gezahlt. Dies war meines Erachtens nicht nur eine rechtlich zu entscheidende Frage, sondern durchaus auch eine Frage der Moral, übrigens auch eine Sache der wirtschaftlichen Vernunft. Ich höre jetzt immer wieder von der SPD, der Grundsatz „Restitution vor Entschädigung" müsse umgedreht werden. Ich will einmal ganz deutlich fragen: Sollte dies grundsätzlich gemeint sein, dann würde mich schon interessieren - insbesondere auch nach den Verhandlungen bis zum Schluß des Einigungsvertrages - , wie dies rechtlich und tatsächlich gerechtfertigt werden soll. Sollte es einzelfallbezogen gemeint sein, würde ich gern darauf hinweisen, daß wir schon durch unser Investitionsgesetz mit den vier Paragraphen im Einigungsvertrag, vor allem aber auch durch das, was in dem heute anstehenden Artikelgesetz steht, wahrscheinlich zu über 50 % von dem Grundsatz „Restitution vor Entschädigung" weg sind. Das heißt: Wir sind bereits jetzt bei mehr Entschädigung als Restitution. Ich räume ein: Die praktischen Probleme bei der Rückabwicklung sind gewaltig. Über 1 Million Rückgabeanträge liegen bei den 213 Landratsämtern und den 34 kreisfreien Städten in den neuen Bundesländern. Ca. 10 000 Anträge betreffen allein die Rückgabe von mittleren und kleineren Unternehmen. Eine zentrale Stellung bei der Rückabwicklung nimmt die noch von der Volkskammer errichtete Treuhandanstalt ein. Sie hat den Auftrag, das ihr übertragene Vermögen zu privatisieren. Mit der Verantwortlichkeit für über 8 000 Betriebe - das ist heute morgen schon einmal angesprochen worden - handelt es sich um die mit Abstand größte Industrieholding der Welt. Daneben ist die Treuhand auch noch eine gigantische Liegenschaftsverwaltung. Im Interesse der Menschen und im Interesse des Rechtsstaats müssen wir die Flut der Rückgabeanträge und die ungeheure Privatisierungsverpflichtung meistern; es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Das Regelungssystem für die Zeit nach 1949 sieht wie folgt aus: Der Einigungsvertrag enthält das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen. In diesem Gesetz ist, wie vorher betont, der Grundsatz „Restitution vor Entschädigung" festgeschrieben. Teil des Einigungsvertrages ist das auch erwähnte Investitionsgesetz. Sein Ziel ist, durch eine VorfahrtsregeBundesminister Dr. Kinkel lung die investitionshemmenden Wirkungen des Restitutionsprinzips an Grundstücken aufzufangen. Ich räume auch ein, was wir von Anfang an gewußt haben: daß der Grundsatz „Restitution vor Entschädigung " zwangsläufig einen Zielkonflikt zwischen einerseits der grundsätzlichen Rückgabeverpflichtung und andererseits der Zielvorstellung bedeutet, ja, bedeuten muß, möglichst schnell zu möglichst viel Investitionen zu kommen. Denn diese Investitionen setzen geklärte Eigentumsverhältnisse voraus, und das ist leider Gottes, wie geschildert, nicht der Fall. Dazu kommt, daß sich die Verwaltungen in den fünf neuen Ländern erst im Aufbau befinden, daß teilweise alte Seilschaften die Verfahrensabläufe behindern, die unter der SED entstandene Bürokratie selbständiges Handeln leider nicht gewöhnt ist und eine schreckliche Angst vor Haftungsregelungen und Regreßansprüchen hat. Es hat sich aber auch gezeigt, daß die gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen. Sie müssen ausgebaut und verbessert werden. Das geschieht heute durch die beiden Ihnen vorliegenden Entwürfe des Artikelgesetzes und des Spaltungsgesetzes. Wir hatten - ich habe das schon mehrfach an anderer Stelle betont - eben nicht die Zeit, die Wiedervereinigung zu proben. Wir hatten auch nicht die Zeit, dies im rechtlichen Bereich zu tun. Ich möchte mit Nachdruck sagen, daß die vorliegenden Gesetzentwürfe in engster Zusammenarbeit mit den neuen Bundesländern - was ich für selbstverständlich halte - , mit der Treuhandanstalt und auch den Wirtschaftsverbänden abgestimmt und erarbeitet worden sind. Worum geht es schwerpunktmäßig? Die Rückgabe von Unternehmen wirft häufig schwierige tatsächliche und rechtliche Fragen auf. Oft muß die endgültige Klärung der Eigentumsverhältnisse abgewartet werden. Um hier Abhilfe zu schaffen, haben wir das Instrument der vorläufigen Einweisung erarbeitet. Künftig kann sich der Antragsteller in das von ihm beanspruchte Unternehmen vorläufig einweisen lassen und dann sofort mit den Investitionen beginnen. Faktisch kann er sich wie ein Eigentümer verhalten. Fremde Investoren erhalten die Möglichkeit, ein Unternehmen zu erwerben, wenn der rückgabeberechtigte Eigentümer den Betrieb selbst nicht führen kann oder will. Diese Fälle sind nicht selten: Der Eigentümer ist alt, lebt im Ausland oder ist aus anderen Gründen nicht mehr daran interessiert, sich selbst unternehmerisch zu betätigen. Selbstverständlich wird der Eigentümer in diesen Fällen entschädigt. Es wollen auch nicht alle neuen Investoren sofort ein Unternehmen kaufen. Viele sind nur daran interessiert, Unternehmen zu pachten oder Gebäude zu mieten. Auch ist der gegenwärtige Verfügungsberechtigte nicht selten an Eigeninvestitionen interessiert. Dies wird durch das neue Gesetz ermöglicht. Es werden privat vereinbarte Schiedsgerichte zur Erledigung von Streitfällen ermöglicht, die sonst durch die Behörden erledigt werden müßten. Es werden Entflechtungen zur Wiederherstellung vor allem mittelständischer Unternehmen ermöglicht, was ich für besonders wichtig halte. ({0}) Ein neues Gesetz wird die exakte Zuordnung des ehemals volkseigenen Vermögens erlauben. Die pauschale Zuweisung von ehemals volkseigenem Vermögen an Bund, Länder und Gemeinden und die Treuhandanstalt genügt nicht, vor allem nicht den grundbuchrechtlichen Anforderungen, wo wir sowieso die Hauptprobleme haben. Zahlreiche Schwierigkeiten sind die Folge. Ganz wichtig schließlich noch das Spaltungsgesetz. Die alten Kombinate und Volkseigenen Betriebe der DDR waren betriebswirtschaftlich völlig unsinnig aufgebaut und zusammengesetzt. Sie waren ein typisches Produkt der sozialistischen Plan- und Kommandowirtschaft, die im totalen wirtschaftlichen Ruin endete. Wir können an diesen monströsen Gebilden nicht interessiert sein. Um sie zu privatisieren, müssen kleinere Einheiten geschaffen werden können. Das wird jetzt durch das Gesetz möglich. Dazu kommen weitere, aufgetauchte Hemmnisse beseitigende Vorschriften, auf die ich jetzt im einzelnen nicht eingehen kann und will. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Investitionen sind mit das zentrale Problem in den neuen Bundesländern. Wir müssen alles nur Menschenmögliche tun, um zu diesen Investitionen zu kommen, um sie anzukurbeln. Nur so schaffen wir die dringend benötigten Arbeitsplätze, steigern die Steuerkraft der Länder und Kommunen, verhindern ein Ausbluten der neuen Länder, schaffen auch ein gewisses Klima von Hoffnung und Zuversicht, das die Menschen im Lande hält und sie ihre Geschicke tatkräftig in die eigenen Hände nehmen läßt. Darauf muß es uns ankommen, darauf kommt es in der Praxis hauptsächlich an. ({1}) Hier schließt sich auch der Kreis zum Aufbau des Rechtsstaates, der mir als Justizminister so wichtig ist; ich durfte hier im Parlament ja auch schon dazu vortragen. Er verlangt eben eine demokratische Justiz, eine funktionierende Verwaltung. Beides kostet Geld. Die Probleme mit den fehlenden Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, Beamten usw. sind mir gerade auch bei meiner Reise durch die fünf neuen Länder mehr als deutlich vor Augen geführt worden. Mit dem vorgelegten Gesetzespaket leistet der Gesetzgeber seinen Beitrag zur Förderung der Investitionen in den neuen Bundesländern. Dieses Gesetz sollte so schnell wie möglich verabschiedet und in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Darum bitte ich Sie alle sehr herzlich. Ich möchte mit Nachdruck betonen, daß besseren Lösungen im Laufe der Beratungen selbstverständlich nichts im Wege steht. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, SPD.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, es wird Zeit, daß sich der Deutsche Bundestag mit den wachsenden Problemen der Menschen in den Städten und Gemeinden der fünf neuen Länder gründlich befaßt und nach Lösungsmöglichkeiten sucht. Heute morgen haben wir viel darüber geredet, daß mehr Engagement, Solidarität und Geld nötig sind, um die Lebensbedingungen zu verbessern und um in ganz Deutschland einheitliche Lebensbedingungen zu schaffen. Wir Sozialdemokraten haben betont - und wir bleiben dabei - , daß die Menschen, die Gemeinden, aber auch die Länder in Ostdeutschland nicht mehr länger in die unwürdige Rolle von Bittstellern gedrängt werden dürfen, die sich dann auch noch in möglichst demütiger Haltung Bonn nähern. Sie alle haben nämlich den verfassungsrechtlichen Anspruch auf die gleichen Lebens- und Entwicklungsbedingungen, d. h. auch auf die gleiche Ausstattung ihrer Städte, wie wir sie hier im Westen gewohnt sind. Das gilt nicht nur, wenn es um Geld geht oder um den Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung oder Justiz - Sie wissen, daß wir darin übereinstimmen, Herr Bundesjustizminister -, sondern das gilt auch für Gesetze oder gesetzliche Regelungen, die helfen sollen, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen, die helfen sollen, Betriebe anzusiedeln, und die ihren Teil dazu beitragen sollen, die wunderschönen alten Städte in den fünf neuen Ländern zu erhalten und sie wieder so schön zu machen, wie sie früher einmal gewesen sein müssen. ({0}) Die Reparaturgesetze zur Klärung der verworrenen Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden und an Unternehmen, die Sie, Herr Justizminister, vorgelegt haben, sind genau solche Gesetze. Wir alle wissen ja, wie verheerend sich die Probleme mit den ungeklärten Eigentumsverhältnissen zur Zeit auswirken. Bei den Behörden liegen über 1 Million Anträge auf Rückgabe von Grundstücken an alte - also früher einmal enteignete - Eigentümer. Die Treuhand muß über das Schicksal von mehr als 9 000 Unternehmen und der damit verbundenen Arbeitsplätze entscheiden. Als ich diese Zahlen gelesen haben, ging es mir wahrscheinlich so wie Ihnen: Wir stutzen angesichts solcher Zahlen, weil wir ganz genau wissen, daß 1 Million Anträge über 1 Million Verwaltungsvorgänge bedeuten. Das hat Hunderttausende von Streitfällen zur Folge, die zunächst von den Verwaltungsbehörden entschieden werden müssen und dann womöglich auch noch vor Gericht gehen. Das ist schon eine schwerwiegende Sache, wenn wir wissen, daß die Verwaltungen - trotz bewunderungswürdig engagierter und motivierter Kommunalpolitiker - in vielen Gemeinden und Städten in den fünf neuen Ländern überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, damit gar nicht fertigwerden können, die Gerichte im übrigen auch nicht. Was das bedeutet, ist klar. Das bedeutet das Ende der Verfügbarkeit von Grund und Boden. Das bedeutet die totale Blockade der Investitionen. Auf deutsch heißt das: Nichts läuft, alles bricht zusammen. In einer solchen Situation befinden sich nun die Menschen in den fünf neuen Ländern. Einige Kollegen und ich waren in der letzten Woche in Wismar, in Schwerin und Rostock. Diese Städte liegen in einer wunderschönen Gegend, Süddeutschen wie mir einigermaßen fremd. Dort oben an der Ostseeküste gibt es traditionell sehr wenig Industrie. Dort gibt es Ferienbetriebe, Landwirtschaft und Werften, aber das ist auch alles. In diesen Gebieten schlagen die Probleme über den Köpfen der Menschen zusammen. Ich nenne die Umstellungsschwierigkeiten auf der einen Seite und die Strukturkrise in der Landwirtschaft sowie die Strukturkrise bei den Werften auf der anderen Seite. Da bricht wirklich alles zusammen, und die Arbeitslosenzahlen schnellen hoch. Dann, Herr Justizminister, lesen die Menschen in der Zeitung, daß z. B. die FDGB-Heime im Ostseebad Kühlungsborn, die sich ganz hervorragend als Hotels oder Familienheimstätten eignen würden, immer noch geschlossen sind, obwohl die Saison mit Sicherheit kommt und die Arbeitslosigkeit dort 80 % übersteigt. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, hätten Sie denn Verständnis dafür, daß, wenn Sie arbeitslos wären, unklare Gesetze, ungeklärte Verwaltungszuständigkeiten und Streitereien mit der Treuhand dazu führen, daß ganze Landstriche zu veröden drohen? Ich nicht, und ich nehme an, Sie auch nicht. Ich hätte auch kein Verständnis dafür, was einige Kilometer weiter passiert, in Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Sie muß um ihr Stadtbad kämpfen, das sie zur Stadtentwicklung dringend braucht und das seit über 100 Jahren in ihrem Besitz war. Warum? Weil es als Folge von falschen Entscheidungen in den letzten Jahren über die Treuhand an westliche Investoren verkauft wurde. Es darf doch wohl nicht wahr sein, meine Damen und Herren, daß Gesetze, die wir hier machen, solche Entwicklungen zulassen oder sogar noch vorschreiben. Die Verantwortlichen in Schwerin haben wirklich et- was Wichtigeres zu tun, als sich jetzt mit der Treuhand auch noch monatelang darüber zu streiten. Nehmen wir einen kleinen anderen Ort mit 605 Seelen. Dort muß der Bürgermeister, der um die Ansiedlung von Betrieben bemüht ist und dazu kommunale Grundstücke braucht, den Interessenten sagen: Es tut mir leid, es läuft überhaupt nichts. Zuerst muß ich von der Treuhand meine eigenen kommunalen Grundstücke bekommen. Was muß er dafür tun? Dafür muß er, im letzten Jahr zum dritten Mal, Formulare ausfüllen und der Treuhand übersenden. 253 Formulare allein in diesem kleinen Ort - wir haben sie uns zeigen lassen - , und jedes Formular hat vier Seiten! Dies muß für jedes Grundstück geschehen. Wissen Sie, was er da nachweisen muß? Er muß u. a. nachweisen, daß ein Grundstück, das er jetzt wiederhaben will, schon vor 1933 in kommunalem Besitz war. Dies gilt sogar für das Rathaus in dem er amtiert. In offensichtlichen Fällen ist es leicht, da kann er das. In solchen Fällen ist das Verfahren nur unsinnig und ärgerlich, weil er für die Menschen in dieser Situation eigentlich etwas anderes tun müßte. In anderen Fällen aber hat er es wirklich verdammt schwer, weil, wie wir alle wissen, die Grundbücher in einem jammervollen Zustand sind. Die Urkunden, die er jetzt bräuchte, lieFrau Dr. Däubler-Gmelin gen zwar irgendwo - in Barby oder an anderen Orten -, er kommt aber nicht dorthin. Was soll er eigentlich machen? Soll er eidesstattliche Erklärungen mit all den persönlichen Risiken abgeben, obwohl er erst 45 Jahre alt ist? Ich sage das nur deswegen, weil Sie, Herr Bundesjustizminister, gerade davon gesprochen haben, Ihnen sei nicht ganz verständlich, daß man in den fünf neuen Ländern Sorge vor Haftungen habe. Mir ist das angesichts solcher Zustände und solcher Anforderungen durchaus nicht unverständlich. Ich verstehe jedenfalls gut, daß er sich die Haare rauft, wenn er sich mit solch läppischem Zeug herumschlagen muß und um ihn herum alles verfällt. Übrigens, das Zerfallen der Häuser ist mein nächstes Stichwort: Dieses Problem besteht in vielen der alten Städte, gerade im Innenbereich. Da fallen die Häuser tatsächlich zusammen. Daß schnelle Hilfe, Sanierung notwendig wäre, weiß jeder von uns. Übrigens brächte dies auch den Handwerkern Aufträge, den Arbeitnehmern Lohn und Brot, und die Menschen bekämen die dringend benötigten Wohnungen. Geschehen tut aber viel zuwenig, nahezu nichts. Geschehen kann auch nur viel zuwenig, nahezu nichts, weil der Streit um das Eigentum an Immobilien oder Grund und Boden, der Streit auch über die Höhe der Entschädigung alles weitere stoppt. Wenn wir nicht schnell Wirksames tun, dann wird es in den nächsten Jahren so weitergehen. Daß es so nicht weitergehen darf, darüber sollten wir uns einig sein. Wir sollten uns auch noch darüber einig sein, daß wir uns nicht nur über die Gründe für diese Entwicklung unterhalten. Es ist natürlich richtig, daß die Umwandlung der SED-Wirtschaft in Soziale Marktwirtschaft unglaublich schwierig ist, viel schwieriger, als sich manche vorgestellt haben. Natürlich ist es so etwas wie die Quadratur des Kreises, ein Unternehmen zu verkaufen, um Arbeitsplätze zu sichern, wenn Grund und Boden als Voraussetzung für Investitionen von Volkseigentum in bürgerlich-rechtliches Eigentum zurückverwandelt werden soll und gleichzeitig Enteignungen, Besitzentziehungen, die mit Unrecht verbunden waren, korrigiert werden müssen - daran zweifelt niemand - und die Grundbücher und die Katasterämter in dem bekannt-beklagenswerten Zustand sind. Das alles wissen wir mittlerweile; es erklärt eine ganze Menge. Ich sage Ihnen aber: Dies wird nicht mehr lange entschuldigen, daß alles so weitergeht. Wir alle wissen - die von Ihnen vorgelegten Reparaturgesetze zeigen übrigens, daß auch Sie dies mittlerweile wissen - , daß auch die Entscheidungen dieses Hauses im letzten Jahr korrigiert werden müssen. Das gilt für die Gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen, das gilt für das Vermögensgesetz im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag. Diese Korrekturnotwendigkeit, zumindest in Form einer Interpretation, gilt natürlich auch für die Artikel 20 und 21 des Einigungsvertrages. Die haben ja alle den gleichen Webfehler, nämlich den, daß es einfach falsch war, so einseitig, wie man das bei den Unternehmen getan hat, oder auch so stark - da ist es eine Frage der Quantität und nicht der Qualität -, wie es im Grundstücksbereich geschehen ist, auf die Rückgabe, also auf die Naturalrestitution, zu setzen. Wer wirklich wirtschaftliche Dynamik wollte, wer nicht nur nach rückwärts abwickeln wollte - was auch ehrenwert ist, das wird gar nicht bestritten -, sondern wer für die Zukunft planen und gestalten wollte, wer also die Voraussetzungen für Investitionen und Arbeitsplätze erleichtern, wenn nicht schaffen wollte, der mußte von Anfang an stärker, Herr Bundesjustizminister, auf Entschädigung - nicht allein auf Entschädigung, aber stärker auf Entschädigung -, also auf Ausgleich statt Rückgabe, setzen. ({1}) Ich darf jetzt noch hinzufügen: Wir alle erinnern uns sehr wohl an den Satz von Manfred Stolpe, den er am 17. Juni des letzten Jahres schon gesagt und gerade uns zugerufen hatte: Das gehe alles so schnell, wir müßten bereit sein, in verantwortlicher Reparaturarbeit auch die Fehler, die wir gemacht hätten, zu korrigieren. Aber wir erinnern auch daran, gerade weil wir diesen Satz unterstreichen, daß wir Sie gewarnt hatten und daß wir auch in den Verhandlungen zum Einigungsvertrag immer wieder darauf bestanden haben, man solle die Gewichte ein gutes Stück in die andere - nämlich in die richtige - Richtung verschieben. Sie wissen das ganz gut, Herr Bundesjustizminister. Ich weiß aúf der anderen Seite auch, warum es nicht ging. Ich denke, es muß jetzt korrigiert werden, damit die Menschen in den fünf neuen Ländern nicht länger das Nachsehen haben. Wir haben Ihnen zugesagt, und dazu stehen wir, daß wir die von Ihnen vorgelegten Reparaturgesetze zügig mit Ihnen beraten werden. Das wollen wir tun, aber wir betonen auch - und ich bitte Sie, das jetzt genauso ernst zu nehmen, wie ich Ihr Kooperationsangebot sehr wohl gehört habe - , daß wir möglichst gemeinsam genau prüfen müssen, ob Ihre Vorschläge die Probleme wirklich lösen oder wenigstens erleichtern, ob sie also die Blockade der Investitionen überwinden, ob sie die Verfügbarkeit von Grund und Boden erhöhen, ob sie die Privatisierung von Unternehmen zum Zweck der Arbeitsplatzsicherung und der Arbeitsplatzbeschaffung tatsächlich vorantreiben können. Ich denke, wir sollten uns einig sein, daß wir die gleichen Fehler, die gemacht wurden, nicht - auch nicht graduell - nochmals machen oder gar festschreiben. Deswegen will ich jetzt einige Punkte zu den Gesetzentwürfen sagen. Wir kennen sie zwar erst seit einigen Tagen, aber es läßt sich beim ersten Druchlesen schon manches dazu sagen und auch einiges finden, was sehr vernünftig zu sein scheint. Ich hoffe z. B. - ich beziehe mich da auf den Bereich Zuordnungsgesetz -, daß insbesondere Bürgermeister sich in Zukunft nicht mehr so lange mit der Treuhand herumschlagen müssen. Voraussetzung allerdings ist, daß die Entscheidungsmöglichkeiten der Treuhand wirklich nachhaltig und schnell verbessert werden. Wir hoffen, daß das geschieht. Die brauchen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ob diese so schnell eingearbeitet werden können, werden wir sehen. Ärgerlich finden wir in diesem Zusammenhang, daß hinsichtlich des Kuddelmuddels mit den zuständi382 gen Entscheidungsstellen auch im Zuordnungsgesetz keine so klare Regelung getroffen worden ist, wie das hätte geschehen können. Ich finde insbesondere, daß die ersatzweise Zuständigkeit des Bundesfinanzministers zur Bestimmung der zuständigen Stelle im Zweifelsfall wirklich noch nicht das Gelbe vom Ei ist. Wir finden es gut - um jetzt noch etwas Positives herauszugreifen - , daß der Kreis der Instrumente zur Gewinnung von Investoren im sogenannten Vermögensgesetz erweitert wird. Die Möglichkeit der Erteilung von Investitionsbescheiden auf die Bestellung von Erbbaurechten, die Begründung von Teileigentum, die Möglichkeit der befristeten Vermietung und Verpachtung, die Bestellung von dinglichen Rechten bei Eigeninvestitionen durch die Verfügungsberechtigten können sicherlich den unterschiedlichen Anforderungen besser gerecht werden, als die heutigen rechtlichen Verhältnisse das zulassen. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch eine Menge Zweifel, eine Menge Probleme. Über diese will ich jetzt noch reden, weil wir uns mit diesen Problemen in den wenigen Tagen, die wir zur Beratung dieses Gesetzes Zeit haben, beschäftigen müssen, weil wir diese beraten müssen und weil wir dann - ich nehme Sie da beim Wort - möglicherweise in einigen Punkten bessere Lösungen finden müssen. Erstens. Ich finde es ziemlich ärgerlich, wie die Bundesregierung mit den Rechten von Arbeitnehmern umgegangen ist, und zwar im Vermögensgesetz und im Spaltungsgesetz. Ich habe am 7. Februar in der „FAZ" Gesetzentwürfe gelesen, in denen alles in Ordnung zu sein schien. Man ist davon ausgegangen, daß der Rat und die Kenntnis von Arbeitnehmern gerade in solchen Fragen selbstverständlich nicht nur vernünftig, sondern auch sinnvoll sind. Denn wer soll noch mehr Kenntnisse haben als die, um die es in erster Linie wirklich geht? Dann hat es in den letzten Tagen eine Rolle rückwärts gegeben, eine Kehrtwendung. Wir konnten lesen, daß alles, was auch nur entfernt an Arbeitnehmerrechte erinnerte, aus dem Spaltungsgesetz und aus dem Vermögensgesetz offensichtlich herausgestrichen worden ist. Gestern wiederum haben wir gehört, es hätte schon wieder eine Kehrtwendung gegeben, diesmal eine Rolle vorwärts. Mir ist aber nicht klar - weil ich die entsprechenden Veränderungen der Gesetze noch nicht mitgeteilt bekommen habe -, ob das stimmt oder nicht. Ihren Worten, Herr Bundesjustizminister, habe ich das auch nicht entnehmen können. Deswegen sage ich - sei es, wie es wolle - : Wir wollen, daß die Rechte der Arbeitnehmer in vernünftiger und angemessener Weise berücksichtigt werden, und zwar in allen Reparaturgesetzen, auch im Spaltungsgesetz. Wir halten das für eine Selbstverständlichkeit. ({2}) Zweitens, zum Spaltungsgesetz selbst: Ich stimme Ihnen hier zu. Auch wir begrüßen dieses Gesetz, weil es konkurrenzfähige Einheiten schaffen soll: durch Teilung der Riesendinosaurier aus den alten planwirtschaftlichen Zeiten, die wirklich nicht bewegungsfähig, schon gar nicht wirtschaftlich handlungsfähig waren. Diese Abspaltungen sollen an Investoren veräußert werden. Meist wird ein Rest zurückbleiben, der am Ende liquidiert wird. Funktionieren kann das alles nur, weil die Möglichkeit vorgesehen ist, die neuen, abgespaltenen Betriebe von den Altschulden zu befreien. So weit, so gut. Aber das bedeutet zugleich, daß die Altschulden beim Restbetrieb konzentriert werden. Was sich da aus dem Gesetz ergibt, ist nun wirklich ärgerlich. Es ist ärgerlich, daß Sie den Gläubigern des alten Mammutbetriebs eine durch nichts gerechtfertigte Übersicherung verschaffen wollen. Das alles geht auf Kosten der Allgemeinheit. ({3}) Wir halten das weder für gerecht noch für vernünftig. - Ich habe eben gehört, das stimme gar nicht. Ich bitte Sie, gucken Sie in die §§ 10 und 11. Danach ist das so. Wenn wir das aber zweifelsfrei ausschließen können, wäre ich sehr damit einverstanden. Wir haben einige Fachleute befragt. Die sagen uns: Natürlich ist das so. Das ist wieder eine Durchspiegelung der Ideologie, daß man die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert. Das wollen wir nicht mitmachen. Der dritte Punkt ist mir ganz besonders wichtig: Die Reparaturgesetze, Herr Bundesjustizminister, sind ungemein kompliziert formuliert. Sie werden das feststellen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie es wirklich einmal wagen, diese Gesetze aufzuschlagen und von Anfang bis Ende durchzulesen. Wenn Sie das tun, werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: Auch in Stuttgart, in Bonn, in Hamburg oder in München würden diese Regelungen erst nach einer längeren Einarbeitungszeit funktionieren können. Warum? Einfach deshalb, weil sie so kompliziert sind. Das wäre so, obwohl wir dort ausgefuchste Spezialisten haben, Leute, die das seit Jahren machen und die ganz genau wissen, wie sie es machen müssen und wo sie fragen können, wenn sie etwas nicht wissen. Aber wie das in den Gemeinden, in den Kreisen oder Städten der fünf neuen Länder gehen soll, weiß ich wirklich nicht. Mich hat hellhörig gemacht, daß die Vertreter der neuen Länder gestern im Rechtsausschuß des Bundesrats gerade gegen diese Punkte erhebliche Einwände und Zweifel erhoben haben: auf insgesamt über 113 Seiten, wie uns im Rechtsausschuß des Bundestages der Vertreter des Bundesjustizministeriums gestern liebenswürdigerweise mitgeteilt hat. Ich sage Ihnen: Wir müssen diesen Zweifeln und diesen Problemen nachgehen. Sie wissen, wir Sozialdemokraten haben ein Anhörungsverfahren beantragt, auf das wir uns gestern im Rechtsausschuß geeinigt haben. Wir werden es am 5. März durchführen und darauf bestehen, daß in diesem Anhörungsverfahren Praktiker zu Wort kommen, und zwar solche aus den fünf neuen Ländern, die mit diesen Regelungen arbeiten müssen, und zwar nicht unter unseren Bedingungen, sondern unter den Bedingungen, die sie in den Verwaltungen ihrer Städte und Gemeinden heute vorfinden. Wenn die uns sagen: Das geht so nicht, wenn die uns sagen: Wir brauchen einfachere Regelungen, wenn die uns sagen: Wir brauchen andere, einfachere Verfahren, dann werden wir diese Reparaturgesetze in der geboFrau Dr. Däubler-Gmelin tenen kurzen Zeit ändern müssen. Da rechne ich auf Ihre Kooperation. Ein vierter Punkt: Die Durchführung komplizierter Regelungen ist meistens nicht nur langwierig, sondern auch teuer. Zeit haben wir angesichts der täglich wachsenden Probleme nicht, und über die Kosten der Durchführung dieser Reparaturgesetze, Herr Bundesjustizminister, sagen die Entwürfe, die uns heute vorliegen, nichts. Ich glaube, daß wir uns auch damit beschäftigen müssen. Wir sagen: Die fünf neuen Länder, die Gemeinden, die Städte, die sich damit befassen müssen, dürfen aus diesem Grund nicht noch zusätzlich belastet werden. Ich weiß, daß das ein heikles Problem ist. Aber ich meine, das ist ernst, und wir werden hier nach Wegen suchen müssen. Fünfter Punkt: Ich habe die Sorge, daß Ihre Reparaturentwürfe zwar die eine oder andere Korrektur in die richtige Richtung anstreben, also durchaus nach vorne gestalten wollen, daß aber diese Schritte, diese Korrekturen und die vorgeschlagenen Entscheidungen in einigen Fällen zu klein und zu zaghaft sind. Ich befürchte, daß sie deshalb letztlich unwirksam bleiben müssen. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen. Es geht ja - das ist der Obersatz, dem wir sicherlich alle zustimmen -, um die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Da gibt es nun ein Unternehmen, wie es tausendfach vorkommt, das in den 50er Jahren enteignet wurde. Oder nehmen wir ein Unternehmen aus den Enteignungswellen des Jahres 1972. Der frühere Eigentümer ist alt, aber er hat Erben, die sich für den Betrieb interessieren. Jetzt steht die Treuhand vor folgender Frage: Sie hat einen anderen Unternehmer als Investor an der Hand. Dieser wäre als Unternehmer sogar geeigneter, hat Erfahrung und könnte den Betrieb - jedenfalls zum größten Teil - erhalten und damit die Arbeitsplätze sichern. Aber da ist der Eigentümer, und da sind die Erben. „Rückgabe oder Entschädigung" ist da genau die Frage - übrigens auch nach Ihren Reparaturentwürfen, Herr Bundesjustizminister; denn da gilt ja im Prinzip der Vorrang der Rückgabe weiter. Jedesmal, wenn man an den Neuregelungen auch nur ein bißchen kratzt, kommt das ganz „frisch, fröhlich und frei" wieder zum Vorschein. Auch dann, wenn der Eigentümer oder die Erben als Unternehmer nicht so gut geeignet sind wie andere, können sie sich durchsetzen, entweder durch Zeitablauf oder durch neue Instrumente, die Sie ihnen an die Hand geben. Ich darf nur noch einmal sagen: Die Voraussetzungen für einen Verkauf oder für eine langfristige Verpachtung an dritte, besser geeignete Unternehmen sind in Ihrem Reparaturgesetz so eng gefaßt, daß sie praktisch kaum hilfreich sein dürften. Immer dann, wenn sie wirklich vorliegen, hat der frühere Eigentümer immer noch die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Das dauert erfahrungsgemäß meistens so lange, bis die Arbeitsplätze kaputt und die Menschen arbeitslos sind. Er hat - das ist neu, und man wird noch einmal überdenken müssen, ob das so geht - zusätzlich die Möglichkeit, einen Verkauf an einen Dritten durch seinen Antrag auf vorläufige Einweisung zu verhindern. Ist das wirklich sinnvoll? Kommt man so zu einer vernünftigen Erhaltung erhaltungsfähiger Betriebe oder Teilbetriebe? Wir meinen, daß das sehr zweifelhaft ist. Wir wollen dies in dem Anhörungsverfahren in zehn Tagen genau überprüfen lassen. Wir fanden es jedenfalls außerordentlich interessant, daß gestern der Vertreter der Treuhand im Rechtsausschuß genau auf diesen wunden Punkt hingewiesen hat. Er hat erklärt, hier würden Probleme nicht gelöst, sondern eher vergrößert. Er hat sich mit großem Engagement dafür eingesetzt, dieses Mal endlich - Sie sind Schwabe, Herr Bundesjustizminister; deshalb sage ich das einmal so - „einen Knopf ans Sacktuch" zu machen, das heißt Nägel mit Köpfen, also die Korrektur wirksam zu gestalten, eine Generalnorm zu schaffen, die das Prinzip der Restitution durch das Prinzip ersetzt, Unternehmen so schnell wie möglich an kompetente investitionswillige Unternehmer zu übergeben und dann - das ist wichtig - die Eigentümer oder ihre Erben angemessen zu entschädigen. Ich glaube nicht, daß Sie bereit sind - jedenfalls erschien mir das gestern im Rechtsausschuß so - , dieser weitgehenden, . aber wahrscheinlich richtigen Empfehlung zu folgen. ({4}) Ich hoffe, daß wir uns nicht in einem halben Jahr in diesem Haus wieder treffen müssen, um über das nächste Reparaturgesetz zu beraten. Es wäre tragisch, wenn die Menschen in den fünf neuen Ländern auch diesmal wieder die mangelnde Bereitschaft zu wirklichen Korrekturen tragen müßten. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir die Möglichkeit haben, so schnell nach Beginn dieser Legislaturperiode die beiden Gesetzentwürfe, den Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen und den Entwurf eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen, hier vorzulegen. Wir haben uns die Arbeit geteilt. Zum Spaltungsgesetz wird dann nach mir von unserer Fraktion Herr von Stetten sprechen. Herr Minister, wir haben gern die Reihenfolge so gewählt, damit uns, da das Gesetz bereits insgesamt vorgestellt worden ist, die Möglichkeit bleibt, ein paar nachdenkliche Gedanken darüber zu äußern. ({0}) - Da müssen Sie abwarten; sie kommen ja. Ich darf unmittelbar zu den Einzelheiten des ersten Gesetzentwurfs, des Entwurfs des Artikelgesetzes, kommen und zunächst sagen, daß die Art. 5, 8 und 3, also zur Gesamtvollstreckung, zum Treuhandgesetz und zur Grundstücksverkehrsordnung, wahrscheinlich kaum zu ändern oder zu ergänzen sein werden. In bezug auf den Art. 7, der die Produktionsgenossenschaften und die Entwicklung der Einkaufs- und Liefergenossenschaften betrifft, glauben wir, daß man in der Lage sein wird, insbesondere für die Altgenossenschaften bürokratische Erleichterungen für die Neueintragungen ergänzend vorzusehen. Darüber hinaus - Frau Däubler-Gmelin, hier sind wir uns völlig einig - freuen wir uns ganz besonders über das Zuordnungsgesetz. Wir halten es für dringend erforderlich. Ich glaube aber im Gegensatz zu Ihnen, daß der Finanzminister hierfür den Letztentscheid haben sollte. Wer sollte es sonst? Denn es handelt sich ja weitgehend um Bundesvermögen. Wir müssen, soweit die Oberfinanzdirektionen jetzt für zuständig erklärt worden sind, darauf achten, daß diese, obwohl sie noch nicht voll funktionsfähig sind und obwohl noch aus den alten Bundesländern geholfen wird, bereit sind, diese Aufgaben jetzt schon wahrzunehmen. Denn sonst wäre diese Zuständigkeit nur eine Scheinzuständigkeit. Es wird auch nötig sein, noch einmal zu überprüfen, ob die Abgrenzung der Zuständigkeit der Behörde nach dem Vermögensgesetz scharf genug erfolgt ist. Hinsichtlich des D-Markbilanzgesetzes war es erforderlich, die recht kurzen Fristen zu verlängern; das war ganz klar. Hier werden wir uns insbesondere noch einmal mit dem Bestätigungsvermerk beschäftigen müssen, der ja im Vorfeld schon zu einer intensiven Diskussion geführt hat. Lassen Sie mich aber nach der Erwähnung einzelner Artikel zum Kernpunkt, zu den Art. 1 und 2, kommen. Es muß meines Erachtens auch im Rahmen einer solchen Debatte nach draußen deutlich gemacht werden, wo die Schwierigkeiten bisher gelegen haben und welche Schwierigkeiten wir jetzt mit den Gesetzentwürfen beseitigen oder zumindest abschwächen wollen. Das Prinzip der sogenannten Eigentumserklärung vom 15. Juni des vorigen Jahres ist klar: Obenan steht der Schutz des Eigentums; enteignetes Vermögen muß zurückgegeben werden. An diesem Prinzip ist festzuhalten. ({1}) Wir haben allerdings - das ergibt sich aus der Natur der Sache - bereits bei der Abfassung des Einigungsvertrages gesehen, daß der Grundstücksverkehr dadurch natürlich erschwert wird. Deshalb ist es bereits damals zum Investitionsgesetz gekommen. Das Prinzip der Restitution ist für Grundstücke und Gebäude durchbrochen worden, und zwar für Fälle des Verkaufs, wenn Investitionen im Vordergrund stehen und sich als möglich erweisen. Das Prinzip ist jetzt weiter für Fälle der Vermietung und Verpachtung auf zwölf Jahre durchbrochen. Es kann - lassen Sie mich das so kurz sagen, um die Probleme darzustellen - auf zwölf Jahre verpachtet und vermietet werden, wenn nur so der Pachtbetrieb überlebensfähig ist. Gleichzeitig soll dies aber mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz und dem Gesetz über Agrarstruktur und Küstenschutz übereinstimmen. Schließlich soll dann aber doch wieder nicht verpachtet werden, wenn der Berechtigte zur Gründung eines eigenen Betriebes auf die Fläche angewiesen ist. Dies zeigt das Dilemma auf, wenn man ein Prinzip hochhalten will, dann aber eine andere Vorfahrtsregelung schaffen möchte. Hier ergeben sich - Sie, Herr Minister, haben das vorhin schon erwähnt - Zielkonflikte. ({2}) Das gleiche gilt für die Neuregelung in § 6 Abs. 6 des Vermögensgesetzes. In diesem Fall kann das Prinzip zur Fortführung des Betriebs und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze oder dann, wenn dadurch Investitionen ermöglicht werden, durchbrochen werden. Allerdings kann der Berechtigte dem entgegenwirken, indem er einen Antrag auf vorläufige Einweisung stellt. Auch hier gilt: Das Prinzip wird durchbrochen, aber mit Bremsen versehen. Dies zeigt auch, daß man in jedem Moment sämtliche Beteiligten vor Augen haben muß. Wir haben auf der einen Seite den materiell Berechtigten, der die Rückgabe erreichen will, und auf der anderen Seite den investitionsbereiten Neuerwerber. An Behörden haben wir die Behörde des Vermögensgesetzes und den Verfügungsberechtigten, in der Regel die Treuhandanstalt. Diese vier Beteiligten haben nicht selten - man wird wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle sagen können: meistens - unterschiedliche Interessen. Frau Däubler-Gmelin hat hier vorhin einen solchen Fall dargestellt. Diese unterschiedlichen Interessen bei der Kompliziertheit der Regelungen schaffen die Gefahr, daß sich die Beteiligten in den vorgesehenen Verfahren ständig gegenseitig blockieren. ({3}) - Die Überschrift, die dies hat, Herr Kollege Dr. de With, ist doch klar. Wir versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen und zu bewältigen. Wir werden - und ich werde Sie beim Wort nehmen - um die Formulierungen wetteifern; denn ich nehme an, daß Sie im Ergebnis dem Ziel dieses Gesetzes zustimmen. ({4}) - Hier wird es in erster Linie um die Formulierungen gehen. Sie haben darauf hingewiesen. Ich habe mich darüber gefreut. Denn drei Ebenen haben wir zu unterscheiden. Zum einen geht es um den Zielkonflikt zwischen der Rückgabe und einer möglichst schnellen Gangart, ein Unternehmen wieder in den Wirtschaftsverkehr zu bringen. Es ist - wenn man sich die Arbeit der Treuhandanstalt vor Augen hält - in der letzten Zeit auch Helmrich in den Zeitungen immer wieder deutlich geworden, daß die Treuhandanstalt oft Schwierigkeiten hat, die Unternehmen am Markt unterzubringen. ({5}) - Reprivatisierung? - Sie dürfen nicht alles durcheinanderbringen; das hat überhaupt keinen Sinn. ({6}) - Ich verstehe Ihre Einwände nicht. Sie reden gegen die Treuhand; Sie sagen etwas zur Regierung; Sie sagen etwas zur CDU. Sie sollten sich mit den Gegenständen selber beschäftigen, Herr Schily; ({7}) dann kämen Sie wahrscheinlich zu etwas klareren Aussagen. Ich möchte Ihnen noch sagen: Die Reprivatisierung durch die Treuhand hat sich in der letzten Zeit erheblich beschleunigt. Es gibt inzwischen 600 Unternehmen mit 281 000 Arbeitsplätzen, die am Markt wieder frei tätig sind. Frau Däubler-Gmelin, Sie haben vorhin über die Klarheit der Rechtsvorschriften gesprochen. Ich gebe Ihnen recht: In diesem Punkt können wir in einen gemeinsamen Wettbewerb eintreten. Ich hoffe auf Ihre Mitarbeit. Das ist die zweite Ebene. Die Verfahren - deshalb habe ich die Behörden besonders erwähnt, übrigens Behörden, die mit Ihrer Zustimmung, mit Ihrem Votum im letzten Jahr geschaffen worden sind - dürfen keinen Anlaß geben, sich gegenseitig ständig zu blockieren. Das ist die dritte Ebene, auf die wir unser Augenmerk richten sollen. Ich meine, wir sollten als zusätzlichen Vorschlag prüfen, ob wir nicht ähnlich wie im Kartellrecht für manche Probleme eine Ministergenehmigung vorsehen könnten. Als letztes komme ich auf den Fahrplan zu sprechen, damit niemand außerhalb dieses Hauses sich falsche Vorstellungen macht und glaubt, wir könnten uns Zeit nehmen, über dieses Gesetzesvorhaben ein Jahr oder länger zu beraten. Wir haben - wie vorhin schon gesagt wurde - vereinbart, am 5. März eine Anhörung hierzu durchzuführen. Wir wollen die Beratungen bereits in der am 11. März beginnenden Woche im Ausschuß abschließen und haben vor, am 14. oder 15. März im Plenum endgültig zu beschließen. ({8}) - Wenn es geht. Nach Möglichkeit soll sich der Bundesrat am 22. März damit befassen. Ich hoffe, daß es uns dann gelingt, das gemeinsame Ziel, das wir alle hier im Hause haben, zu erreichen, nämlich die Investitionen zu erleichtern, die Privatisierung zu beschleunigen und die Verfügbarkeit von Grund und Boden, insbesondere für Gewerbeansiedlungen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zu verbessern und damit für eine florierende Wirtschaft in den fünf neuen Ländern zu sorgen. Vielen Dank. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Borchert von der CDU hat heute früh gesagt, man dürfe eine Krise nicht herbeireden. Ich meine aber auch, daß man sie nicht wegreden sollte. Der krisenhafte Zustand in der ehemaligen DDR muß uns im Zusammenhang mit den beiden heute vorgelegten Gesetzentwürfen zu der Frage veranlassen: ({0}) Welche Rolle kann und muß die Treuhandanstalt bei der Bewältigung dieser Situation, bei der Verhinderung einer Katastrophe im Osten Deutschlands spielen? Sie verwaltet als größte Staatsholding der Welt gegenwärtig etwa 9 000 Betriebe. Bisher sind von diesen Betrieben 200 bis 300 verkauft. Sie verfügt über Werte von mehreren 100 Milliarden DM. Ihr gehören - wie dies der Chef der Treuhandanstalt im „Spiegel" Nr. 5/1991 erklärte - 40 % des Vermögens der früheren DDR. Es scheint mir ganz offensichtlich, daß der Weg zur Bewältigung der Krise im Osten Deutschlands ohne prinzipielle Überlegungen zur Rolle der Treuhand nicht erfolgreich gegangen werden kann. Welchen Weg ist die Treuhand bisher gegangen? Gegründet wurde sie mit der Aufgabe der Privatisierung des volkseigenen Vermögens. In den damaligen Diskussionen in der Volkskammer gab es an der Einseitigkeit dieser Zielstellung erhebliche Kritik, z. B. von den Abgeordneten Schulz und Schröder. Der Abgeordnete Professor Steinitz von unserer Fraktion erklärte, daß damit die Weichen zur Unterordnung der DDR-Wirtschaft gestellt seien, ja daß die Gefahr ihrer Zerrüttung und des Untergangs ganzer Zweige und Regionen mit verheerenden Folgen vorprogrammiert sei. Es wurde damals von uns vorgeschlagen, die Interessen der juristischen und der natürlichen Personen der DDR verstärkt zu berücksichtigen und Persönlichkeiten, die Erfahrung in der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen haben, in den Verwaltungsrat einzubeziehen. Beide Vorschläge wurden abgelehnt. Der Ablehnung verfiel auch die Streichung der Altschulden. Trotz der damals mit großem Nachdruck hervorgehobenen Einwände wurde der Weg der umgesteuerten Privatisierung weitergegangen. Es herrschte damals die Vorstellung - im Gegensatz zu der Auffassung, die Graf Lambsdorff heute hier vorgetragen hat - , daß die Marktwirtschaft nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die Probleme der DDR in einem raschen Zeitraum lösen werde. Das westdeutsche Kapital werde in kurzer Zeit in die DDR einfließen und die Wirtschaft rasch weiterentwickeln. Die Regierung de Maizière und später die Regierung Kohl gingen offensichtlich davon aus, daß die Selbstheilungskräfte des Marktes genügen würden. Während der Beitritt neuer Länder zur EG jahrelanger Vorbereitung bedurfte, ist man offenbar davon ausgegangen - das ist jedenfalls so gesagt worden - , daß für die DDR eine solche Übergangsperiode mit staatlicher Steuerung nicht erforderlich sei. Jetzt sind die Folgen eingetreten, vor denen damals gewarnt wurde. Die Wirtschaft Ostdeutschlands befindet sich in einer tiefen Krise, deren Ende noch keineswegs abzusehen ist. In dieser Situation werden uns erneut rechtliche Regelungen vorgelegt, die auf nichts weiter abzielen, als diese Politik der Privatisierung ohne staatlichen Rahmen und ohne eine entsprechende staatliche Strukturpolitik in beschleunigtem Tempo fortzusetzen. Es wird von der Annahme ausgegangen, das Scheitern der bisherigen Politik sei ausschließlich auf Hindernisse zurückzuführen, die der raschen Privatisierung entgegenständen und das Wegräumen dieser Hindernisse, d. h. das ungestörte Wirken des Marktmechanismus, werde die Dinge sehr rasch zum Besseren wenden. Das Gesetz über die Spaltung der Unternehmen soll es ermöglichen, die Unternehmen durch eigene Entscheidungen aufzuteilen und dadurch eine raschere Privatisierung zu gestatten. Dies gilt jedenfalls für einzelne Teile. Die übrigen werden dann allerdings um so schwerer verkäuflich sein. Bei den anderen Einzelregelungen geht es in erheblichem Umfang um Korrekturen, z. B. im Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen. Hier handelt es sich - das wurde hier schon deutlich gemacht - um einen Zielkonflikt zwischen dem Schutz früherer Eigentümer und ihrer Restitutionsansprüche einerseits und der Unterstützung von Investitionen andererseits. Die gesetzlichen Regelungen sind kompliziert und unübersichtlich. Hier wären durchaus Verbesserungen erforderlich. Das Grundproblem liegt aber nach unserer Auffassung an einer anderen Stelle. Die gegenwärtige Krise ist jedenfalls zu einem Teil auf das verfehlte Konzept der Treuhandanstalt zurückzuführen, das jetzt in verstärkter Form fortgeführt werden soll. Die ungesteuerte Privatisierung verwandelt sich zusehends in etwas, was nur als Kahlschlagsanierung bezeichnet werden kann: Die Interflug wurde nicht privatisiert, sondern liquidiert. In Eisenach werden die Automobilwerke geschlossen. Gestern demonstrierten über 35 000 Arbeitnehmer der Werften in Mecklenburg-Vorpommern gegen die Streichung der Hälfte der Arbeitsplätze. Der Vorsitzende der Treuhandanstalt Rohwedder hat die Zielsetzung der Gesellschaft im „Spiegel" mit folgenden Worten charakterisiert: „Wir arbeiten betriebswirtschaftlich und firmenbezogen; die Politik arbeitet wirtschaftspolitisch und regionalbezogen." Das bedeutet, daß eine Staatsholding, die über 40 To eines Territoriums verfügt, nur betriebswirtschaftlich und firmenbezogen, also nicht sozial und gesellschaftsbezogen, denkt. Sie versteht sich offenbar als gewaltiges Immobilienmaklerbüro ohne politische Verantwortung. ({1}) Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet jegliches Eigentum. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Um so mehr muß das für den größten Eigentümer des Landes gelten, der zugleich eine staatliche Einrichtung ist. Es geht also nach unserer Meinung darum, den Auftrag der Treuhandanstalt neu zu bestimmen. Ohne eine auf langfristige Sanierung der Betriebe im Einklang mit den Interessen des Territoriums, also unter regionaler Sicht, unter Einbeziehung der Notwendigkeit, Arbeitsplätze zu erhalten, angelegte Konzeption ist der Weg aus der Krise nicht möglich. Wir halten es also für notwendig, daß ein abgestimmtes Strukturkonzept für das Gebiet der ehemaligen DDR vom Bundeswirtschaftsministerium, von den Wirtschaftsministerien der Länder und von der Treuhand verwirklicht wird. Dabei halten wir eine Mitwirkung der Gewerkschaften, der Betriebs- und der Personalräte für erforderlich. Wir sollten auch prüfen, wieweit es notwendig ist, die Länder ganz oder teilweise am Vermögen besonders wichtiger Betriebe zu beteiligen. Die Fortsetzung der bisherigen Politik der Treuhand widerspricht dem Verfassungsauftrag des Art. 72 des Grundgesetzes, der Forderung nach der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse. Diese bisherige Politik muß deshalb durch eine wirkliche Industrie- und Wirtschaftspolitik ersetzt werden, in die die Treuhand verbindlich einzubinden ist. Danke sehr. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat Frau Abgeordnete Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen in den neuen Bundesländern brauchen unsere Hilfe finanzieller, personeller und rechtlicher Art und vor allen Dingen das Gefühl und das Bewußtsein, daß wir wirklich und nicht gönnerhaft helfen wollen. Unstreitig ist, daß die Umstrukturierung von einer sozialistischen Planwirtschaft in eine Soziale Marktwirtschaft auf riesige Schwierigkeiten stoßen muß. Die bestehenden Rahmenbedingungen machen das unternehmerische Risiko für Investoren schwer kalkulierbar und gefährden damit den Erhalt bzw. die Schaffung von Arbeitsplätzen. Was fehlt, sind eine notwendige Infrastruktur, eine funktionierende Verwaltung mit geschultem Personal, eindeutige Regelungen der offenen Vermögens- und Eigentumsfragen und eine klare Zuständigkeits- und Verfahrensregelung, insbesondere für die Zuordnung des ehemaligen volkseigenen Vermögens. Woran scheitern denn z. B. viele Anträge von Hausbesitzern in den neuen Bundesländern auf Erwerb des Grundstücks, auf dem ihr Haus steht? Sie scheitern an der fehlenden Feststellung, wer nach den Regelungen des Einigungsvertrages über das Grundstück verfügen kann: die Gemeinde, der Kreis, das Land, der Bund oder die Treuhandanstalt. Über eine Million Anträge auf Rückübertragung von Vermögenswerten machen auf krasse Weise deutlich, daß dringender Handlungsbedarf besteht und wie groß das begangene Unrecht ist. ({0}) Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen, die die Koalitionsfraktionen advokatorisch von der Bundesregierung übernommen haben, wird angestrebt, das Instrumentarium zur Veräußerung, Rückübertragung und Entflechtung von Unternehmen zu verbessern. Es gilt, so schnell wie möglich Anreize für Investitionen zu schaffen. Wir können nicht noch einige Monate warten und müssen es auch nicht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage in den Jahren 1945 bis 1949 muß nicht abgewartet werden. Die Regelung über die Rückgabe von Betrieben und Einzelgrundstücken ist nicht abhängig von dieser Entscheidung. Außerdem wird es ein eigenes Entschädigungsgesetz geben, das aber noch längere Arbeiten erforderlich machen wird. ({1}) Jedes Hinauszögern ist unverantwortlich und zum Nachteil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Ostdeutschland. Ich bin froh, daß wir in dieser Frage einen Konsens haben. Viele unterschiedliche Interessen sind bei einer Regelung der offenen Vermögensfragen im Spiel. Es handelt sich um den Berechtigten, also um den Alteigentümer, der die Rückgängigmachung des in den vergangenen Jahrzehnten erlittenen materiellen Unrechts durch Rückgabe bzw. Rückübertragung des enteigneten Vermögens erwartet, um den Investor, der nicht gleichzeitig Alteigentümer ist, der aber den Erwerb von rechtlich unbelastetem Grund und Boden oder von Unternehmen für Investitionen und damit zur Sicherung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen braucht, und um den Verfügungsberechtigten; in den meisten Fällen ist das zur Zeit die Treuhandanstalt, die möglichst schnell die Reprivatisierung von Unternehmen anstrebt, um drohende Konkurse abzuwenden. Die mit dem Einigungsvertrag geschaffenen Regelungen reichen auf Grund der Erfahrungen der letzten Monate nicht aus. Für die FDP gibt es bei diesen Gesetzentwürfen zwei Eckwerte: die Erleichterung von Investitionen, um eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft überhaupt aufbauen zu können, und auf der Grundlage dieser Zielsetzung die Wahrung und Achtung von Eigentumsrechten. Rückgabe von Eigentum vor Entschädigung war und ist dabei die Grundhaltung der FDP und kann auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht grundsätzlich korrigiert werden. ({2}) Wird der Gesetzentwurf diesen Maßstäben, diesem Zielkonflikt gerecht, unter Abwägung aller berechtigten Interessen und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Situation? Ja. Wir akzeptieren, daß der Grundsatz der Rückgabe vor Entschädigung dann nicht strikt eingehalten werden kann, wenn es tatsächlich um die Erleichterung von Investitionen und damit um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Daß heißt z. B., daß ein Investor einen Sanierungsplan vorlegen muß und der Alteigentümer den Erlös aus dem Verkauf des Unternehmens erhält, wenn er selbst nicht in der Lage oder willens ist, das Unternehmen weiterzuführen. Wir erwarten, daß sich mit der Möglichkeit der „vorläufigen Einweisung" nach dem Vermögensgesetz bei nicht hundertprozentig eindeutiger Eigentumslage künftig Verzögerungen vermeiden lassen. Wir begrüßen die Ansätze zur Entlastung der Verwaltung wie z. B. die Tatsache, daß Vereinbarungen zwischen dem Verfügungsberechtigten und dem Berechtigten einem Handeln der Behörde vorgehen können. Von seiten der Behörden muß jederzeit auf eine gütliche Einigung hingewirkt werden. Mit der Eröffnung eines Schiedsverfahrens wird ebenfalls eine einvernehmliche Lösung der Beteiligten ohne die zuständigen Behörden ermöglicht. ({3}) Alle diese Maßnahmen können jedoch nur dann zu einem Erfolg führen, wenn potentielle Investoren ihre unternehmerische Zurückhaltung gegenüber den neuen Bundesländern aufgeben und ihrer mit der Vereinigung gewachsenen Verantwortung gerecht werden. ({4}) Den Vorwand der ungeklärten Eigentumslage nehmen wir ihnen mit diesem Gesetz. Gesetze - da stimme ich meinen Vorrednern zu - dürfen nicht so kompliziert sein, ({5}) daß sogar Juristen Schwierigkeiten haben, sie anzuwenden. Noch so gute und perfekte Gesetze können dann nicht zum Erfolg führen, wenn ihre Umsetzung nicht konsequent und rasch erfolgt. Wir brauchen diese Gesetze. Aber die besten Gesetze helfen nichts, wenn sie nicht konsequent angewendet werden können. Damit dies möglich ist, brauchen die zuständigen Behörden in den neuen Bundesländern, insbesondere die im Aufbau befindlichen Landesämter und die Kommunalverwaltungen, vorrangig zusätzlich schnelle personelle Unterstützung und Verstärkung. Vielen Dank. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, es steht mir nicht zu, den Fraktionen und Gruppen Empfehlungen zu geben, wie sie mit ihren Neulingen - die Zahl ist ja groß - umgehen sollen. ({0}) Vizepräsident Klein Aber ich möchte Sie doch auf die sympathische Geste der Fraktion der Freien Demokraten nach der Jungfernrede der Kollegin Leutheusser hinweisen. ({1}) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gratuliere. Auch ich möchte es so gut haben. ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ziehen Bilanz. Alle deutschen Länder tun das jetzt; gemeinsam. Sie wollen wissen und sie müssen wissen, wie der weitere gemeinsame Weg aussieht. Was hat die Bundesregierung in diesem entscheidenden Moment zu sagen? Sie philosophiert über die Steuerpolitik der frühen 80er Jahre. Sie verteidigt die Eckdaten, die wir mittlerweile alle auswendig kennen, rechtfertigt die lange absehbaren Steuererhöhungen mit der internationalen Lage - ein apologetischer Schachzug mehr, um von dem Thema abzulenken, das Gegenstand der heutigen Debatte ist: die katastrophale Situation in den Ländern und Kommunen, für die die Etikettierung „Beitrittsgebiet" der für die Regierung charakteristische Sprachgebrauch zu werden scheint. Für die Einschätzung dieser Lage gibt es einen Konsens von rechts bis links, den offenbar nur der Herr Finanzminister nicht teilt. Was hat die Regierung hierzu zu sagen? - Sie hat dazu zu sagen - wir haben es gehört - , daß die Koalition angesichts des offenkundig gewordenen neuen Finanzbedarfs über weitere Maßnahmen verhandeln und sie beschließen wird. Das kommt einer Bankrotterklärung gleich und muß als Verhöhnung derer wirken, die jetzt auf eine Antwort gewartet haben, angefangen bei den Ministerpräsidenten und den Regierungen der Länder der ehemaligen DDR bis hin zu den Arbeitern und Arbeiterinnen, Rentnern und Rentnerinnen, Studenten und Studentinnen, die richtungweisende politische Entscheidungen, und nicht abermals neue bürokratische, unanwendbare Regelungen fordern. Reparaturgesetze zu Reparaturgesetzen. Der Bundesfinanzminister hat recht: Zahlen kann man nicht leugnen. Und er hat auch darin recht, wenn er für die Sisyphusarbeit der Treuhand Respekt und Dankbarkeit einfordert. Aber hat er überhaupt selbst Kenntnis von den Zahlen der Treuhand, die seinem Zweckoptimismus kategorisch widersprechen? Von 8 000 Objekten sind nicht einmal 600 privatisiert, von 12 000 Rückerstattungsansprüchen der Enteignungen von 1972 ist erst ein Viertel befriedigt. Mit anderen Worten: Nicht einmal ein Zehntel im einen und gerade ein Viertel im anderen Fall können als funktionsfähige Unternehmen angesehen werden. Wo soll unter solchen Bedingungen wirtschaftlicher Aufschwung herkommen? Wenigstens eine Teilantwort gibt die Regierung mit ihren Gesetzesvorlagen, die im Kern auf eine Novellierung der Treuhandgesetzgebung hinauslaufen, auf die ich mich hier beschränken will. Beurteilen kann man sie nur angemessen, wenn sie an der von Anfang an gegebenen Zweckbestimmung der Privatisierung des sogenannten Volkseigentums von vor dem 9. November 1989 gemessen werden, einer Zweckbestimmung, die im Blick auf die sichere Erkenntnis getroffen wurde, daß der Staat DDR früher oder später erlöschen würde und damit der verfassungsmäßige Garant des Eigentums. Zu diesem Zweck haben die Bürgerbewegungen die Errichtung der Treuhand gefordert. Daran muß ihre jetzige Tätigkeit gemessen werden. Ich könnte Ihnen im einzelnen noch beschreiben, welche rechtlichen Vorstellungen wir dabei gehabt haben. Ich muß das jetzt aus Zeitgründen übergehen und kann nur darauf hinweisen, daß weder das erste Gesetz vom 1. März noch das vom 17. Juni 1990 unseren Vorstellungen entsprochen hat. Offenkundig ist die Regierung zur selben Erkenntnis gekommen; denn wir sehen jetzt vor uns eine dritte Novellierung als Ausweg aus der Sackgasse. Der entscheidende Vorschlag ist die Einführung der Rechtsform der Unternehmensspaltung bzw. -abspaltung. Hier werden Vorbilder aus dem britischen und französischen Recht, vor allem das Landwirtschaftsanpassungsgesetz der DDR vom 29. Juni 1990, aber auch die 6. EG-Richtlinie vom 17. Dezember 1982 als Grundlage des neuen Gesetzentwurfs genutzt. Man muß alles begrüßen, was die Arbeit der Treuhand zu erleichtern geeignet ist, was der Dezentralisierung und Flexibilisierung der schwer handhabbaren Unternehmensmasse dienen kann. Aber wird der Entwurf das leisten, was die Treuhand sich von ihm verspricht? Hierzu zwei Bemerkungen: Erstens. Nach eingezogenen Erkundigungen ist das bei dem zugrunde gelegten Landwirtschaftsanpassungsgesetz jedenfalls nur in ganz geringem Maße der Fall. Überschuldete Genossenschaften werden auch durch die Möglichkeit ihrer Spaltung nicht handlungsfähiger. Zweitens. Jede Übernahme fortschrittlichen EG-Rechts kann nur begrüßt werden. Aber das herangezogene EG-Gesetz von 1982 erklärt ausdrücklich den Schutz der Arbeitnehmer, Gläubiger und eine möglichst weitgehende Offenlegung des Spaltungsvorganges als Gesetzeszweck. Diese Gesichtspunkte sind im Regierungsentwurf bei weitem nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Im Gegenteil: Der hier obwaltende Minimalismus stimmt ausgesprochen bedenklich. Lassen Sie mich unbeschadet der noch fälligen Detaildebatte in den Ausschüssen zwei Gesichtspunkte jetzt schon als vorrangig anmelden: die auch vom Gesetzespaket der Regierung nicht geleistete generelle Neukonsolidierung des Eigentumsrechts. Wie soll es zu einer solchen kommen, wenn wir uns hier noch über Restitution oder Entschädigung streiten? Im übrigen, Herr Helmrich, möchte ich sagen: Wenn es nur so einfach wäre. Wir streiten doch auch um das Was. Wenn Sie zugehört haben, werden Sie bemerkt haben, daß fast jeder der Redner verschiedene Zahlen der Betriebe genannt hat, die von der Treuhand zu behandeln sind. Das hat Gründe: Die Treuhand selbst kennt diese Zahlen nicht genau. Da beginnen schon die Unklarheiten. Den Damen und Herren von der FDP möchte ich sagen: Als Sie vorhin beim Restitutionsprinzip geklatscht haben, hatte ich den Eindruck, da wußte bei Ihnen weder die Rechte noch die Linke, wozu sie geklatscht hat. ({1}) Hier ist eine generelle Neuformulierung nötig. Darum fordere ich, daß die Rechtsabteilung der Treuhand erweitert und mit der Vorbereitung von Regelungen beauftragt wird, die zum Inhalt haben: erstens eine endgültige Liquidation der noch immer wirksamen Eigentumsgesetzgebung der NS-Zeit, zweitens eine Generalentscheidung über die eigentumsrechtlichen Aspekte der Kriegsfolgen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da ich vom Herrn Präsidenten ermahnt worden bin, muß ich die zweite Forderung in einem Satz zusammenfassen. In ihrem Kommentar zu dem anderen Gesetzespaket über die Beseitigung von Investitionshemmnissen hat die Regierung das volkseigene Vermögen privaten Unternehmen, dem Bund, den neuen Bundesländern und den Kommunen nach bestimmten Regelungen zugeordnet und damit - was ganz gravierend ist - zum erstenmal in der Gesetzgebung den bisher anerkannten Rechtsanspruch auf Entschädigung für die bei dem Umtausch am 1. Juli 1990 entstandenen Verluste bei Sparguthaben gestrichen und sich nicht dazu erklärt. Sie muß sich aber dazu erklären und sagen, was das bedeutet: Will sie diese Ansprüche nicht mehr anerkennen? Wie soll damit umgegangen werden? Das ist kein Wunsch - um den Herrn Finanzminister zu zitieren - , sondern es ist eine Forderung, die ich hiermit erhebe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Dr. Ullmann, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin damit am Ende. Danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Stetten.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Monaten alle mit Schrecken erkennen müssen, daß die alten Strukturen in den fünf neuen Bundesländern mit rasanter Geschwindigkeit zerbrechen und der Erhalt von alten Betrieben bzw. der Neuaufbau von Betrieben und damit die Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen nicht Schritt halten konnten. Wir haben oft beklagt, daß die Treuhandanstalt, die die Aufgabe hat, das ehemalige volkseigene Vermögen und dabei besonders die Betriebe zu privatisieren, zu langsam und zu ineffektiv gearbeitet habe. Die Treuhand hat sich - meines Erachtens zu Recht - u. a. durch ein Memorandum gegen viele unberechtigte Vorwürfe zur Wehr gesetzt und auf ungenügende oder fehlende gesetzliche Bestimmungen hingewiesen, die ihre Arbeit erschweren, hemmen oder gar unmöglich machen. Als einen Schritt hat die Regierung das Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen - kurz Enthemmungsgesetz oder Artikelgesetz oder, wie Frau Däubler-Gmelin sagt, eines der Reparaturgesetze - vorgelegt. Wir haben es vorhin beraten. Als zweiter Schritt folgte das nicht minder wichtige Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen. Über den Namen bin ich etwas unglücklich, zumal wenn es in der Abkürzung als „Spaltungsgesetz" bezeichnet wird. Dies ist im Zuge der Wiedervereinigung nicht gerade glücklich. ({0}) Wir kennen den Begriff der Spaltung zwar aus der 6. Richtlinie der EG und auch aus dem Steuerrecht, ebenso aus dem Diskussionsentwurf zur Bereinigung des Umwandlungsrechts. Das vielleicht schönere Wort Entflechtung hat schon § 6 b des Vermögensgesetzes verbraucht. Vielleicht können wir das Gesetz „Auf - und Abspaltungsgesetz" nennen, wenn wir uns an dem Wort Spaltung reiben. Übrigens, Frau Däubler-Gmelin: Das Gesetz liegt seit gestern vor. Ich weiß nicht, ob Sie es draußen nicht bekommen haben. Es ist also nichts, was Ihnen vorenthalten wurde. ({1}) - Soweit ich das überblicke, sind sie in dem Gesetzentwurf enthalten. Wir werden gleich noch darauf kommen. ({2}) - Sie können es von mir haben. Bitte schön. Das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 hat das volkseigene Vermögen quasi auf die Treuhand übertragen. Die Kombinate wurden, soweit nicht bereits in Aktiengesellschaften umgewandelt, zum 1. Juli 1990 in Aktiengesellschaften im Aufbau und die Kombinatsbetriebe und andere in Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Aufbau per Gesetz verwandelt. Das Vermögen aus der Fondsinhaberschaft und der in Rechtsträgerschaft gehaltene Grund und Boden wurden zum selben Zeitpunkt in das Privateigentum der neuen Kapitalgesellschaften überführt. Dies hat die großen, oft unübersichtlichen verschachtelten sozialistischen Betriebe erhalten, die in der Regel nicht lebensfähig sind und auch aus räumlichen und betriebswirtschaftlichen sowie rechtlichen Gründen getrennt werden müssen. Ich will Sie jetzt nicht mit juristischen Einzelheiten langweilen, aber das deutsche Recht kennt nicht die Aufteilung einzelner Betriebsteile durch einen Akt, die sogenannte Gesamtrechtsnachfolge. Dies kennen wir nur im Erbfall, bei der Verschmelzung oder Umwandlung. Nach deutschem Recht müßte bei einem Teilbetriebsverkauf jedes einzelne Grundstück und jeder einzelne Vermögensgegenstand - bis hin zum Bleistift - für sich übertragen werden. ({3}) - Das war falsch, aber es ist nun einmal so. So haben wir es im Gesetz. Dann müssen wir unser BGB ändern. Das wäre nicht schwierig. Jede einzelne Forderung müßte abgetreten werden, und bei der Übernahme von Verbindlichkeiten ist in der Regel die Zustimmung der Gläubiger erforderlich. Dies ist ein nicht durchzuführendes Unterfangen und führte in der Vergangenheit zu Untätigkeit oder Betriebsübertragungen, die rechtlich mangelhaft waren. Der vorliegende Gesetzentwurf soll mit diesen Schwierigkeiten aufräumen, indem er der Treuhand - Herr Kollege, diesmal nur der Treuhand - die Möglichkeit gibt, die ihr unterstehenden Gesellschaften vereinfacht zu teilen, nämlich durch eine partielle Universalsukzession oder Spezialsukzession. Dies sind übrigens Möglichkeiten, die im französischen und britischen Recht schon verankert sind, im Landwirtschaftsanpassungsgesetz vom Juni 1990 enthalten und durch die oben genannte EG-Richtlinie gedeckt sind. Nach dem Gesetz gibt es nun zwei Möglichkeiten, und zwar erstens die Aufspaltung. Dabei teilt die bestehende Kapitalgesellschaft als übertragender Rechtsträger unter eigener Auflösung und Abwicklung ihr gesamtes Vermögen und überträgt es im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf mindestens zwei andere Kapitalgesellschaften, die dadurch neu entstehen. Die bestehende Kapitalgesellschaft löst sich nach entsprechenden Eintragungen ohne neuen Rechtsakt automatisch auf. Zweitens. Bei der Abspaltung bleibt die übertragene Kapitalgesellschaft bestehen und überträgt nur Teile ihres Vermögens - Betriebsteile - auf eine oder mehrere neu zu gründende Gesellschaften. Mit den entsprechenden Eintragungen sind die neuen Kapitalgesellschaften gegründet, die alte Kapitalgesellschaft, die Muttergesellschaft, bleibt verkleinert erhalten. Dies gilt auch, wenn die Treuhand nur mittelbar, gegebenenfalls über verschiedene Mütter und Töchter, bei einer Enkelgesellschaft beteiligt ist. Jetzt ist wichtig zu bemerken, daß die jeweiligen Kapitalanteile der alten bzw. neuen Gesellschaften bei der Treuhand verbleiben. Diese kann nun die neuen Gesellschaften vorübergehend getrennt führen oder die Anteile ganz oder teilweise an einen oder mehrere Investoren verkaufen oder im Rahmen des Gesetzes über offene Vermögensfragen auf diejenigen übertragen, die einen Anspruch auf Rückübertragung wegen früherer Enteignung haben. Um die Entflechtung zu erleichtern und zu beschleunigen, wird auf die Verpflichtung zur Auflösung bzw. Aufdeckung stiller Reserven verzichtet. Diese müssen erst im Falle einer späteren Realisierung der Einkommen- und Körperschaftsteuer unterworfen werden. Entsprechend bei den Verschmelzungs- und Umwandlungshandlungen gilt § 613 a BGB auch bei der Aufspaltung und Abspaltung, da im Gegensatz zur Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen gemäß der Bestimmung des neuen § 6 b des Vermögensgesetzes kein Verwaltungsakt vorliegt, sondern die Übertragung durch Rechtsgeschäft vorgenommen wird. Sinnvoll wäre es zwar, wenn die Geltung des § 613 a BGB für zwei Jahre in den neuen fünf Bundesländern ausgesetzt würde, wie in der Koalitionsvereinbarung angestrebt. ({4}) Solange dies nicht der Fall ist, werden Problemfälle, auf die ich jetzt nicht näher eingehen will, bleiben. Förderlich ist die Geltung der Bestimmungen des § 613 a BGB für den Entschluß, eine auf- oder abgespaltene Gesellschaft zu übernehmen, nicht. Sie sind ein Investitionshindernis in den neuen Ländern. Die Mitwirkung der Betriebsräte ist durch das Betriebsverfassungsgesetz - insbesondere durch § 111 - gesichert; es bedurfte keiner eigenen Feststellung. In § 10 sollte noch klargestellt werden, daß es sich bei der Gesellschaft oder den Gesellschaften nach der Auf- und Abspaltung um neue Betriebe gemäß § 112 a Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes oder - wenn das nicht gewünscht wird - um eine Umstrukturierung handelt. Festzuhalten ist aber gleichzeitig, daß die Vierjahresfrist für die Erzwingbarkeit eines Sozialplanes ab der Entstehung der abspaltenden Gesellschaft - in der Regel gemäß § 11 des Treuhandgesetzes vom 1. Juli 1990 - läuft. Bedenken bestehen gegen § 13 des Gesetzes in der jetzigen Fassung, weil hier für Betriebsräte ein Rest- bzw. Übergangsmandat als Sonderrecht - warum eigentlich? - geschaffen wird, das zu erheblichen Interessenkollisionen und Investitionshemmnissen führen kann. Es geht schlichtweg nicht, daß z. B. ein einzelner Betriebsrat bei einer Aufspaltung in zwei konkurrierende Einzelunternehmen beiden als Betriebsrat angehört. Das Gesetz soll der Erleichterung der Entflechtung dienen und Ansporn zu Investitionen sein und nicht durch Sonderregelungen zum Betriebsverfassungsgesetz Investoren abschrecken. Wir sollten ehrlich sein und den Mut haben, § 13 ersatzlos zu streichen. Dann gilt für die Betriebsräte das Betriebsverfassungsgesetz mit der ergangenen Rechtsprechung. Dadurch sind die Rechte der Arbeitnehmer ausreichend geschützt. Das Betriebsverfassungsgesetz hat sich bewährt und sollte nicht geändert werden. Sinn und Zweck des Gesetzes werden durch die Bestimmungen klar zum Ausdruck gebracht. Es ist praktikabel und führt zu schnellen, übersichtlichen Entscheidungen. Die Eintragungsvorschriften verhindern Unklarheiten. Durch die notarielle Beurkundungspflicht - im übrigen bereits durch das Aktiengesetz und GmbH-Gesetz gegeben - werden Vertragsfachleute einbezogen. Zur Beschleunigung kann auf die umständlichen Spaltungsberichte und Prüfung der Spaltung durch Erklärung gegenüber dem Registergericht verzichtet werden, selbstverständlich nicht dagegen auf den Spaltungsplan. Die Gläubiger und Inhaber von Sonderrechten sind ausreichend geschützt, und zwar im Gegensatz zu der Meinung, die Frau Däubler-Gmelin vertritt. Ich darf hier einfach auf den § 11 verweisen. In § 11 Abs. 1, Frau Däubler-Gmelin, in Verbindung mit § 10 steht das alles. ({5}) - Darüber werden wir uns dann noch unterhalten. ({6}) - Ich behaupte, daß darin steht, daß die gesamten beteiligten Gesellschaften als Gesamtgläubiger haften. ({7}) - Aber ich darf ja wohl erwidern, wenn Frau Däubler-Gmelin sagt, es stimme nicht. Dann darf ich doch aus dem Kopf einen Paragraphen zitieren, Herr Kollege de With. ({8}) - Gut, dann werden wir weitersehen. Meine Damen und Herren, durch entsprechende Strafvorschriften und Haftungsvorschriften werden die Mitglieder des Vorstandes der Aktiengesellschaft und die Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausreichend zu Ordnung und Recht angehalten. Wichtig ist auch, daß Betriebsübertragungen oder Betriebsteilübertragungen, die vor dem 1. Januar 1991 in rechtlich nicht einwandfreier Weise durchgeführt wurden, durch dieses Gesetz rückwirkend geheilt werden. Wichtig ist ebenfalls - das muß ich auch erwähnen - : Das „Spaltungsgesetz" ist kostenneutral. Es wird den Registerbehörden einige Arbeit machen; aber hierfür werden ja Gebühren erhoben. Das Auf- und Abspaltungsgesetz ist ein sinnvolles Gesetz zur Bewältigung der Aufgaben der Treuhand und wird zur schnelleren Entflechtung der sozialistischen Betriebseinheiten führen. Es erleichtert eine Neuordnung, fördert die Investitionsmöglichkeiten und trägt damit zum Aufschwung in den fünf neuen Bundesländern bei. Das Gesetz verdient Ihre Zustimmung. Danke schön. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Türk, Sie haben das Wort.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute vor allen Dingen - so sehe ich das - über Koalitionsentwürfe zur Beseitigung von Privatisierungs- und Investitionshemmnissen. Das ist für die neuen Bundesländer unbedingt erforderlich. Ich freue mich, daß der neue Bundesjustizminister kurz nach seiner Amtsübernahme diese Entwürfe auf den Tisch gelegt hat. ({0}) Es sind in der Tat Hemmnisse für Investitionen und in der Arbeit der Treuhand zu beseitigen. Die Entwürfe stehen zur Diskussion und zur kurzfristigen Entscheidung. Hier sollte endlich parteiübergreifend im Interesse der neuen Bundesländer zusammengearbeitet werden. Einige Anmerkungen zum Gesetzentwurf über die Spaltung der Treuhandunternehmen: Es ist in der Tat notwendig, daß in Kürze die Möglichkeit entsteht, Kapitalgesellschaften ohne zeitaufwendige Umwege in wirtschaftliche - das betone ich - Einheiten aufteilen zu können. Zu prüfen ist aber, ob ein schnellerer Ablauf bis zur Eintragung in das Handelsregister erreicht werden kann. Ebenfalls wäre im Ausschuß darüber zu beraten, den Gesetzestext - das wurde heute schon einmal gesagt - für Normalbürger verständlicher zu machen, einfacher zu fassen. Das gilt allerdings für alle Gesetzentwürfe. Zweitens zum Entwurf eines Artikelgesetzes zur Hemmnisbeseitigung. Zunächst zu Art. 1: Die Schwierigkeiten, wie bei Ansprüchen Dritter zu verfahren ist, wurden erkannt und im wesentlichen beseitigt. Zu Art. 2 und 3: Die Regelung mit der Bestellung eines Erbbaurechtes an Stelle des Kaufs eines Grundstückes ist sinnvoll und förderlich. Allerdings ist insbesondere die Verfahrensweise zur Beantragung und Erteilung der Investitionsbescheinigung zu vereinfachen. ({1}) Zur Beschleunigung des Verfahrens sind dort Fristen einzubauen. Zu Art. 7, der sich auf Produktionsgenossenschaften des Handwerks bezieht: Hier ist zu überlegen, ob die DDR-Verordnung vom 8. März 1990 noch bis Ende 1992 gelten kann; denn auch hier sind selten Auswüchse zu beobachten. Über die genannten Gesetzesartikel hinaus sollte überlegt werden, ob nicht ein Weiteres hinzugefügt werden muß, nämlich die Ablösung alter Geschäftsleitungen zu regeln; denn lange überfällig ist der Aufbau fähiger, unbelasteter Geschäftsleitungen. Das merkt keiner mehr, aber das ist so. Diese neuen, unbelasteten Geschäftsleitungen sollten, wenn das Ganze klappen soll, vorzugsweise aus folgenden Kräften bestehen: jungen und frischen Ostdeutschen mit Ideen - denn die haben wir, auch wenn es manchmal bezweifelt wird - , Westdeutschen natürlich mit marktwirtschaftlicher Erfahrung und - die nehme ich auch nicht aus - alten Ostdeutschen mit Standortkenntnis392 sen. Bewertungsmaßstab: Kompetenz und Loyalität. Bezahlung - das getraue ich mich hier auch zu sagen - : nach westdeutschen Maßstäben. Der Stimulus muß halt sein. Ziel: Entfilzung alter, uneffektiver Strukturen. ({2}) Ich bin auch sicher, daß diese neuen Leute eine wesentliche Verstärkung der Treuhand darstellen würden. Nun zur Arbeit der Treuhandanstalt selbst: Die Treuhand sieht ihre Aufgabe hauptsächlich - und so ist sie angelegt - in der Privatisierung. Notwendig ist aber eine regionale Gestaltung von Wirtschaftsstrukturen, die neben der Abschaffung uneffektiver Arbeitsplätze vor allem effektive erhält und neue schafft. Ich bin überzeugt, daß die Treuhand dieser gewaltigen Aufgabe mit ihrer jetzigen Struktur und Besetzung nicht gewachsen sein kann. ({3}) Sie bezeichnet sich selbst als weltgrößtes Unternehmen. Das ist sicherlich nicht mit 800 Beschäftigten in der Berliner Zentrale und 600 in den Niederlassungen zu beherrschen, ({4}) zumal bei der Notwendigkeit, schnell und trotzdem gut zu sein. Ein weiteres großes Hemmnis für Investoren ist sicherlich die Nachbewertungsklausel. Hier besteht der Anspruch, schnell und definitiv zu bewerten. Also muß kurzfristig eine Vielzahl von Betriebsprüfern geworben und eingesetzt werden. Es kann festgestellt werden, daß die schlechten Ergebnisse der Treuhandarbeit zum einen durch die beschriebenen Hemmnisse bedingt waren; zum anderen - das ist für mich der Hauptgrund - ist die Treuhand falsch ausgerichtet, d. h. sie kann nicht nur vermögensbildende Einrichtung sein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Türk, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende. Wir brauchen vielmehr - und das ist umgehend notwendig - ein komplexes Wirtschaftskonzept, welches ebenfalls die Wohnungspolitik und die Landwirtschaftspolitik einschließt. Wir müssen die Abwanderung stoppen. Das heißt, der Aufschwung ist zu organisieren. Im Selbstlauf geht das nicht. Wirtschaftsminister Möllemann hat ein solches Konzept mit seinem Arbeitspapier „Strategie Aufschwung Ost" vorgelegt. Es ist zwingend notwendig, über dieses Papier schnellstens zu diskutieren und es zu verabschieden. Wenn meine Überlegungen richtig sind, muß zwangsläufig und ab sofort die Treuhand nicht mehr dem Finanzministerium, sondern dem Wirtschaftsministerium zugeordnet werden. ({0}) Die entsprechende Änderung des Einigungsvertrages kann und muß schnellstens erfolgen. Vielen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich erlaube mir einen kleinen Hinweis. Ich sehe, daß sich viele von Ihnen schon ihre Abstimmungsunterlagen geholt haben. Noch ist aber nicht festgelegt, wie viele Kreuze auf je einer Karte gemacht werden können. Ich warne davor, jetzt schon anzufangen, die Karten vorsorglich auszufüllen. Das wollen wir doch erst tun, wenn wir soweit sind. Ich sage Ihnen das nur, damit die Stimmkarte dann nicht ungültig ist. Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Nitsch das Wort.

Johannes Nitsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin wohl der letzte Redner zu diesem Teil der Tagesordnung. Ich bin sehr froh, daß die Debatte über diese beiden Gesetzentwürfe in einer derart sachlichen und konstruktiven Atmosphäre verlaufen ist. Das steht etwas im Gegensatz zu der Debatte heute früh. Ich darf dies vielleicht auch als gutes Omen dafür werten, daß der zeitliche Durchlauf durch das Parlament und durch die Ausschüsse ebenso glatt und schnell erfolgt; denn es sind Gesetzentwürfe, die sehr eilbedürftig sind. Ich möchte alle daran Beteiligten bitten, das Tempo zu forcieren und die Beratungen in keiner Weise zu behindern. Zu dem Begriff Spaltungsgesetz - vielleicht darf ich mich an der Diskussion über neue Titulierungen beteiligen - : Möglicherweise könnte man es auch mit dem Begriff Entflechtungsgesetz belegen. Das würde diesen Umstand ja genausogut beschreiben und unterläge keiner negativen Vorbelastung. In den Kombinaten der DDR war der größte Teil des volkswirtschaftlichen Vermögens konzentriert. Die Privatisierung dieses Teils des Volksvermögens entspricht nicht dem Zeitempfinden, das wir alle haben. Ich möchte deshalb in den nachfolgenden Überlegungen die Bitte vortragen, den Text des § 7 des Gesetzentwurfs dahin gehend zu ergänzen, daß auch Entscheidungsträger, die bisher nicht berücksichtigt sind, Spaltungspläne einreichen können. Bisher sind es nur die unmittelbaren Anteilseigner, also die Treuhandanstalt oder die Kombinatsaktiengesellschaften, die dies tun können. Die von der Spaltung direkt Betroffenen, also die einstmals selbständigen oder jetzt geschaffenen Tochter- oder Enkelunternehmen, kommen - ebenso wie ihre Mitarbeiter - in dieser Entscheidungsebene nicht vor. Viele meiner Kollegen und ich werden mit Anfragen und Bitten überschwemmt, gerade diesen Tochter- und Enkelunternehmen die Chance zur einstmals erfolgreichen Selbständigkeit erneut oder endlich wieder zu verschaffen; wenn nötig, auch gegen den Willen der Aufsichtsräte der Kombinatsaktiengesellschaften, die, wenn überhaupt, kein großes Interesse haben, ihre wirtschaftlich attraktiven Tochterunternehmen aus der Bilanz zu verlieren. Deswegen meine ich, daß wir bei der Aufstellung von erfolgversprechenden Unternehmens-Spaltungskonzeptionen unbedingt auch den Wettbewerb von unten zulassen sollten, indem wir den Tochterunternehmen das Recht geben, einen eigenen Spaltungsplan zu entwerfen und diesen auch gegen die Kombinatsaufsichtsräte, aber mit Zustimmung der Treuhand durchzusetzen. ({0}) Wir könnten mit dieser Erweiterung der Entscheidungsbefugnis auch erreichen, daß der unternehmerische Trieb in der Treuhandanstalt schneller in Bewegung gerät und sich enger am Markt orientiert. Ferner würden wir den Kombinatsaktiengesellschaften die Möglichkeit entziehen, ihre tatsächlich wirtschaftliche Leistungskraft mit Hilfe gefesselter Töchter zu verschleiern, und die Muttergesellschaften zwingen, die Ineffizienz ihrer Verwaltungsstrukturen offenzulegen. Auch der sozialpolitisch wichtige Faktor der Mitbestimmung könnte Bedeutung erlangen. In den Spaltungskonzeptionen könnten die Tochter- oder Enkelunternehmen Beteiligungsmodelle entwickeln und realisieren, die das gemeinsame Interesse aller in diesen Unternehmen Beschäftigten finden werden. Mir ist klar, daß wir mit dieser Erweiterung durch den Gesetzentwurf Neuland betreten. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung wird aus guten Gründen oft als das Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet. Vielleicht könnten wir diesem bewährten Gesetz ein ähnliches zur Seite geben, das genauso erfolgreich und konstruktiv den wirtschaftlichen und sozialen Neuaufbau in den neuen Bundesländern unterstützt. Ich danke Ihnen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/103 und 12/105 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 12/103 soll zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 bis 5 auf: 7. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates Rechtsstellung von Bündnis 90/GRÜNE im 12. Deutschen Bundestag - Drucksache 12/149 - b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates Rechtsstellung der PDS/Linke Liste im 12. Deutschen Bundestag - Drucksache 12/150 ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten der PDS/Linke Liste Fraktionsstatus gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Drucksache 12/86 ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE Erteilung eines Grundmandats für die Besetzung der Gremien - Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission - Mitglieder des Vertrauensgremiums gem. § 10a Abs. 2 BHO - Mitglieder des Gremiums gem. § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ({0}) - Drucksache 12/109Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ZP4 Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Gysi und der Abgeordneten von PDS/Linke Liste Berücksichtigung aller Gruppen und Fraktionen des Bundestages bei der Besetzung der Ausschüsse und sonstigen vom Bundestag zu bestimmenden Besetzungen - Drucksache 12/115 ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE Änderung der Geschäftsordnung für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) - Drucksache 12/110 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die gemeinsame Beratung eine 5-Minuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Professor Riege.

Dr. Gerhard Riege (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001844, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Problembereich, der zur Debatte steht, möchte ich zunächst auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. September 1990 verweisen. Diese Entscheidung war von der Überlegung getragen, daß die Chancengleichheit der Parteien, die ihren Betätigungsraum bislang in der DDR hatten, für den gesamten Wahlprozeß gegeben sein müsse. Deshalb wurde die Fünfprozentklausel gesplittet und in zwei Zählgebieten in Ansatz gebracht. Der Sinn kann nicht nur darin gesehen werden, die Chancen der nominierenden Organisationen oder Bündnisse im Wahlverfahren im engerem Sinne einander anzugleichen und die Chancengleichheit für den Prozeß der Vorbereitung bis zum Wahltag und der Ermittlung der Wahlergebnisse herbeizuführen, sondern auch und vor allem darin, die Vertretung der jeweiligen Wählerschaft, die Wahrnehmung derer Interessen, über die gesamte Wahlperiode hinweg im Bundestag zu ermöglichen. Nur dann hat dies, so scheint mir, einen überzeugenden Sinn. Dies führt direkt zu den Fragen, die den Status der Zusammenschlüsse der Abgeordneten im Parlament betreffen. In der bisherigen Erörterung ist schon mehrfach das Argument bemüht worden, daß zwischen Wahlrecht und Parlamentsrecht zu unterscheiden sei. Gewiß gibt es da keine Identität. Ich bin jedoch der Überzeugung, daß das Parlamentsrecht so gestaltet sein muß, daß es dem Wählervotum Ausdruck verschafft. Dieses Wählervotum hat gleichwertige Legitimationen für alle Mandate hervorgebracht, und diese Gleichwertigkeit muß sich nicht nur als juristischer Titel zeigen, sondern sich in der Praxis erweisen können. Wir haben wiederholt betont, daß Parlament und Fraktionen Mittel zum Zwecke der Demokratie sind. Um die stark unterschiedlichen Bedingungen, denen wir uns gegenübersehen, zu kennzeichnen, möchte ich auf folgendes hinweisen. In den fünf neuen Ländern bedeuten 5 % des Stimmergebnisses 7 Abgeordnete. In den alten Bundesländern würden 5 % 27 Abgeordnete bedeuten. In den alten Bundesländern hätten etwa 6,2 % der Stimmen genügt, d. h. ein Mehr von etwa 1,2 % über die Sperrklausel hinaus, um die Stärke einer Fraktion zu erlangen. In den fünf neuen Ländern wären ca. 24 % der Zweitstimmen nötig gewesen, um zur Fraktionsstärke zu kommen, d. h. ein Mehr von etwa 19 % wäre erforderlich gewesen. Meine Partei erzielte rund 11 % der Zweitstimmen, mehr als der Doppelte des Sperrklauselwertes. Ich finde, daß der Kern des Problems bei der Art liegt, wie ein Teil der Wählerschaft der ehemaligen DDR behandelt wird, denn die Mandatsfragen, über die wir heute unter einem bestimmten Aspekt zu befinden haben, betreffen immer das Verhältnis zwischen den Wählern und den Abgeordneten. Es geht also um den Status jener beiden politischen Organisationen - man muß das so deutlich aussprechen -, deren Besonderheit darin besteht, nahezu ausschließlich Bürger aus den neuen fünf Bundesländern zu vertreten. In allen anderen Fraktionen dieses Hauses sind die Ostvertreter integriert; sie stellen in diesen Fraktionen eine Minderheit dar. Daß es eine spezifische Interessenproblematik der Ostwähler gibt und daß uns diese Problematik, diese Spezifik noch längere Zeit beschäftigen wird, das zeigen unsere letzten Debatten, die heutige eingeschlossen, und das zeigen die zunehmenden öffentlichen Äußerungen, die Demonstrationen -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Professor Riege, darf ich Sie eine Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, der Redner spricht im Rahmen einer 5-Minuten-Debatte. Er hat jetzt noch ganze 20 Sekunden Redezeit. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Gespräche, soweit sie sich nicht um die Debatte selbst drehen und nicht dem Redner gewidmet sind, doch woanders führen oder unterlassen würden, und jetzt dem Redner ein Minimum an Aufmerksamkeit schenkten, damit er in dieser ganz kurzen Zeit zum Ende kommen kann.

Dr. Gerhard Riege (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001844, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielleicht ist die Situation im Saal auch auf die grundsätzliche Einstellung zu dieser Spezifik in den fünf neuen Bundesländeern zurückzuführen. ({0}) Bitte lassen Sie mich auf folgendes hinweisen. Ich komme aus Jena. Heute haben wir dort die Situation, daß von rund 27 000 Beschäftigten des Zeiss-Werkes im optimistischen Fall 5 000 Beschäftigte übrigbleiben sollen, im pessimistischen 2 750. Diejenigen, die hier in Wegfall kommen werden, sind nicht Arbeitsunwillige.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist weit überschritten. Dr. Riege (({0}): Wir werden nach dem Beschlußentwurf, der unterbreitet ist, die Möglichkeit haben, an der Arbeit des Parlaments teilzunehmen, aber wir werden nicht die Möglichkeit haben, all das...

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit ist abgelaufen. Dr. Riege (({0}): ... so wahrzunehmen, wie das im Interesse unserer Wählerschaft erforderlich ist. Ich bitte, das zu berücksichtigen und im Sinne der beiden Vorlagen, die wir . . .

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege! Dr. Riege (({0}): ... eingebracht haben, zu entscheiden. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Köppe!

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Ältestenrats ist das Ergebnis mühsamer und zäher Verhandlungen. Wir können diesem Vorschlag ganz überwiegend zustimmen. ({0}) Als für uns wichtigstes Resultat möchte ich das uns zugestandene Grundmandat in allen Ausschüssen hervorheben. Ganz und gar nicht zustimmen können wir allerdings dem Regelungsvorschlag Nr. 2 e, worin wir bezüglich der Geltendmachung bestimmter GeFrau Köppe schäftsordnungsrechte, etwa Antrag auf Aktuelle Stunden und vieles Wichtige mehr, weiterhin stark benachteiligt werden, je nach Umsetzung dieser Vereinbarung müssen wir uns ausdrücklich vorbehalten, gegebenenfalls um rechtliche Überprüfung nachzusuchen. Wie ernsthaft Sie diesen Kompromiß einzuhalten gedenken, meine Damen und Herren aus den Fraktionen, können wir anläßlich der folgenden Wahlen zu den Kontrollorganen der Nachrichtendienste prüfen. Wir beantragen - auch dieser Punkt wird in gemeinsamer Debatte mit behandelt - entsprechend der Beschlußempfehlung des Altestenrates, die uns ein Grundmandat in jedem Ausschuß zuspricht, ein solches Grundmandat für die Parlamentarische Kontrollkommission, das G-10-Gremium und das Vertrauensgremium. Ich möchte Ihnen das begründen. Wir haben in der DDR hautnahe Erfahrungen mit einem Geheimdienst, der Staatssicherheit, gemacht. Wir sind von diesen Erfahrungen geprägt. Viele von uns, die sich seit Herbst 1989 in Bürgerbewegungen organisiert haben, wurden von der Staatssicherheit bespitzelt, überwacht und inhaftiert. Vielleicht können Sie verstehen, meine Damen und Herren, daß wir auf Grund dieser Erfahrungen Geheimdiensten, die überall auf der Welt mit konspirativen Mitteln arbeiten, zumindest kritisch gegenüberstehen. Ich möchte Ihnen nicht verhehlen: Am liebsten wäre mir die sofortige Abschaffung sämtlicher Geheimdienste. ({1}) Aber sie sind nicht abgeschafft. Und hier soll heute über die Besetzung von Gremien zur Kontrolle der Geheimdienste entschieden werden. Wir wollen in diesen Gremien mitarbeiten. Wir möchten wissen: Gegen wen richtet sich diese Heimlichtuerei, und welchen Sinn hat sie? Was haben die Geheimdienste zu verbergen? Wessen Telefonate sollen weshalb abgehört werden? Von wie vielen Bürgern und Bürgerinnen werden deshalb Daten gespeichert? Wieviel kostet uns das alles? Meine Damen und Herren, Sie können uns ruhig als geheimdienstgeschädigt betrachten und möglicherweise auch als besonders mißtrauisch gegenüber solchen Diensten. Das sind wir Abgeordneten von Bündnis 90 und den GRÜNEN ganz sicher. Wenn nun auch bei uns im Osten die Geheimdienste aus Westdeutschland aktiv werden sollen, kann deren Kontrolle nicht allein, wie in dem Wahlvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD vorgesehen, die Sache von Politikern aus Westdeutschland sein. Bei diesen Wahlvorschlägen taucht nämlich kein einziger Ost-Abgeordneter auf. Deshalb fordere ich besonders Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der alten DDR, aber auch alle anderen auf: Beteiligen Sie uns an der Arbeit der PKK, des G-10-Gremiums und des Vertrauensgremiums. Oder entspricht es etwa Ihrem Demokratieverständnis, daß nur eine einzige Oppositionsgruppe exklusiv an diesen Kontrollaufgaben beteiligt sein soll? Unserem entspricht das nicht. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben bereits in der konstituierenden Sitzung in Berlin über die grundsätzliche Problematik gesprochen. Somit kann ich mich darauf beziehen. Ich meine aber, daß wir danach sehr intensive Gespräche, Beratungen und Verhandlungen geführt haben, die uns zu einem guten Ergebnis gebracht haben. Es ist so, daß sich die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen und Gruppen um einen Kompromiß bemüht haben. Die Gespräche waren sehr sachlich, fair und offen. Es ging uns bei diesen Verhandlungen nicht so sehr um die Statusfragen, sondern um die Inhalte. Es wurden sehr detailliert und sorgfältig die konkreten Wünsche der Abgeordneten vom Bündnis 90 gewertet, um im Rahmen der Autonomie des Bundestags zu einer sachgerechten Lösung zu finden. Ich meine auch, daß der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90 aus unseren Beratungen den Eindruck mitgenommen haben muß, daß wir das Bündnis 90 nicht ausgrenzen wollen. Unsere Beratungen waren vielmehr von dem Respekt geprägt, den wir den Vertretern einer Gruppierung entgegenbringen, die doch sehr wesentlichen Anteil am Sturz des menschenverachtenden Unrechtsregimes in der alten DDR gehabt hat. Wir laden Sie ein, konstruktiv an der parlamentarischen Arbeit teilzunehmen. Ich habe auch den Eindruck, daß Ihre bisherigen Einlassungen uns durchaus optimistisch stimmen können. Wir sind dem Bündnis 90 beim Verhandlungsergebnis außerordentlich weit entgegengekommen. Ich nenne drei wesentliche Punkte: Erstens die Mitgliedschaft mit vollem Rede-, Antrags- und Stimmrecht in allen Fachausschüssen des Deutschen Bundestages, zweitens das Recht, Gesetzentwürfe, Anträge, Entschließungsanträge, Große und Kleine Anfragen einzubringen und drittens - das soll hier nicht verheimlicht werden - finanzielle Zuschüsse in Höhe von fast 4 Millionen DM pro Jahr. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bohl, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, dies ist die übliche Situation vor Abstimmungen. Es wird immer lauter und für den Redner fast unmöglich, sich noch Gehör zu verschaffen. Ich bitte Sie doch sehr herzlich! - Übrigens, Herr Professor Riege, das hat nichts mit dem Thema zu tun; so ist das immer. Der Präsident muß sich dabei immer sehr bemühen, dem Redner in dieser Situation Gehör zu verschaffen. Wenn Sie unbedingt Gespräche im Saal führen wollen, so führen Sie diese doch bitte so leise, daß der Redner noch einigermaßen vernehmbar ist. Bitte, fahren Sie fort.

Friedrich Bohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000230, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es kann also kein Zweifel daran bestehen, daß die Mitglieder von Bündnis 90 im Deut396 schen Bundestag effektiv und angemessen mitwirken können. ({0}) Nicht eingeräumt werden können allerdings - das will ich auch deutlich sagen - eine Reihe von geschäftsordnungsrechtlichen Positionen wie zum Beispiel das Recht, namentliche Abstimmungen zu verlangen, die Beschlußfähigkeit zu bezweifeln und bestimmte Geschäftsordnungsanträge zu stellen. Ich sage Ihnen auch ganz offen, warum das unserer Überzeugung nach nicht geschehen kann. Die Ausübung dieser Rechte ist ganz besonders zeitintensiv. Ich erinnere nur an die über 200 namentlichen Abstimmungen, die die GRÜNEN in der 9. Wahlperiode begehrt haben. ({1}) Für uns wäre es in der Tat nicht akzeptabel, wenn eine kleine Gruppe von Mitgliedern in dieser Art und Weise über das Zeitbudget von über 600 anderen Abgeordneten verfügen könnte. Das wäre eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Parlaments. ({2}) Meine Damen und Herren, ich meine, daß wir insgesamt ein gutes und vernünftiges Paket geschnürt haben, das im großen und ganzen auch von den Kollegen vom Bündnis 90 so akzeptiert wird. Dafür bedanke ich mich auch. Wir müssen als Demokraten akzeptieren, daß PDS/ SED davon mit profitiert. Allerdings muß ich die Mitglieder der SPD-Fraktion enttäuschen, die möglicherweise an Abspaltungen denken. Unsere Regelung gilt ausschließlich für die beiden Gruppierungen aus den neuen Bundesländern und ist kein Modellfall für die Ausstattung sonstiger Abgeordnetengruppen. Darauf wollte ich doch hinweisen. ({3}) Insgesamt, meine Damen und Herren, ist das Verhandlungsergebnis gut. Ich bedanke mich auch bei der Bundestagspräsidentin, daß sie daran mitgewirkt hat, und empfehle, dem Vorschlag zuzustimmen. Vielen Dank. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Struck, ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat sehr ausführlich die Frage des Status der Abgeordneten, der Kolleginnen und Kollegen aus der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE diskutiert. Ich verweise noch einmal darauf, daß wir eine Regelung finden wollten, die dem Umstand Rechnung trägt, daß gerade die Abgeordneten von Bündnis 90 zusammen mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der ehemaligen DDR diesen Wandel und die Revolution in der DDR wesentlich mitgetragen haben. ({0}) Deshalb waren wir von Anfang an entschlossen, der Gruppe Bündnis 90 den Fraktionsstatus zu gewähren. Wir haben uns mit dieser Vorstellung gegenüber den beiden Koalitionsfraktionen nicht durchsetzen können. Ich denke, daß das, was der Ältestenrat jetzt zur Beschlußfassung empfiehlt, eine sehr gute Lösung ist, um gut miteinander arbeiten zu können. Das Entscheidende ist nicht, welchen Status eine Gruppierung hat, sondern das Entscheidende ist, welche Rechte eine Gruppierung hat und wie sie ihre parlamentarischen Möglichkeiten wahrnehmen kann. Da, glaube ich, sind wir zu einem guten Kompromiß gekommen. Ich beziehe meine Ausführungen im wesentlichen auf die Gruppe Bündnis 90. Ich betone hier noch einmal ausdrücklich - da, denke ich, spreche ich für die große Mehrheit des Hauses -, daß wir dann, wenn wir Vereinbarungen für die Gruppierung Bündnis 90 treffen, leider - ich betone dieses Wort - natürlich auch die Abgeordneten der PDS gleich behandeln müssen. Wir werden die Anträge der PDS hier heute sämtlich ablehnen. Das tun wir auch deshalb, weil es uns nicht in den Kopf will, daß die PDS zwar eine Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anstrengen will, aber trotzdem entschlossen ist, die Rechte, die wir jetzt der Gruppierung Bündnis 90 gewähren wollen, sozusagen als Mitläufer mitzunehmen. Wenn Sie konsequent sein wollen, dann warten Sie das Ergebnis Ihrer Klage ab. ({1}) und beteiligen sich nicht an der Wahrnehmung der Rechte, wie wir sie jetzt für das Bündnis 90 festgelegt haben. Ein letztes Wort an Sie, Frau Kollegin Köppe, gerichtet. Ich denke, daß uns alle im Laufe der nächsten Zeit, schon sehr bald - ich richte diesen Appell auch an die Kolleginnen und Kollegen in den Fachausschüssen, an die Ausschußvorsitzenden und an die Obleute - , die Mitwirkung des Bündnisses 90 zu der Erkenntnis kommen läßt, daß wir gut miteinander arbeiten können, auch ohne daß es den Fraktionsstatus haben wird. Ich wiederhole hier für meine Fraktion das schon im Ältestenrat abgegebene Versprechen: Wenn es Unklarheiten gibt, Frau Kollegin Köppe, werden wir sie so regeln, daß es zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit Ihnen führen kann.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine erste Frage: Der Bundestag hat auf der konstituierenden Sitzung mit meiner und, glaube ich, auch mit Ihrer Stimme beschlossen, die Anträge zur Beratung an den Ältestenrat und an den Geschäftsordnungsausschuß zu überweisen. Mir ist bisher keine Empfehlung des Geschäftsordnungsausschusses bekannt. Wie kommt diese Verletzung des damaligen Beschlusses des PleGysi nums zustande? Denn dieser Ausschuß hat darüber ja gar nicht beraten. ({0}) Die zweite Frage: Sie hatten damals selbst statt einer Änderung der Geschäftsordnung möglicherweise eine Anerkennung als Fraktion nach § 10 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung angeregt. Dieser Antrag liegt jetzt vor. Wenn ich es richtig verstehe, würden Sie ihm inzwischen nicht zustimmen wollen?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gysi, Sie können es vielleicht noch nicht wissen, weil Sie sich in Ihrer politischen Arbeit mit anderen Dingen zu beschäftigen hatten. Ich möchte Ihnen sagen: Der Ältestenrat ist federführend, und der Ältestenrat hat entschieden. Was die zweite Frage angeht, betone ich noch einmal ganz ausdrücklich: Es kommt nicht auf den Namen an, den eine Gruppierung hier im Deutschen Bundestag hat, sondern es kommt auf die Rechte an, die diese Gruppierung hat. Die Empfehlung, die wir heute hier beschließen wollen, gewährt den Abgeordneten vom Bündnis 90 die Rechte, die ihnen nach unserer Auffassung zustehen sollen. Deshalb bitte ich um Zustimmung. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Als letzter 5-Minuten-Beitrag in dieser Debatte folgt der des Herrn Kollegen Lühr von der FDP.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP gibt der Beschlußempfehlung des Ältestenrates ihre Zustimmung. Eigentlich - das hat die Debatte des heutigen Vormittags gezeigt - hätte dieses Hohe Haus Wichtigeres zu tun, als Statusprobleme zu klären. Die FDP hat sich in den Verhandlungen im Ältestenrat dafür eingesetzt, beiden Gruppen ein faires Angebot zu machen, das ihnen im wesentlichen die vollen Rechte einer Fraktion einräumt. Einzig Bündnis 90/GRÜNE haben sich durch die Art und Weise der Verhandlung und ihren verbindlichen Stil als demokratiefähig erwiesen. ({0}) Die PDS/Linke Liste profitiert unverdient von der Hochachtung der Vertreter der Fraktionen vor den Mitgliedern dieser Gruppierung, die sich im Kampf gegen das SED-Regime persönlich verdient gemacht haben. ({1}) Die Entscheidung zugunsten der getrennten Wahlgebiete berücksichtigt den Umstand, daß Parteien und Vereinigungen in der ehemaligen DDR nicht die materielle Möglichkeit hatten, sich aus dem Stand in der gesamten Republik dem politischen Wettbewerb zu stellen. Bündnis 90 und andere mußten beziehungsweise konnten ihre Wählerstimmen daher nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gewinnen. Bündnis 90 erreichte dort die notwendigen 5 % der Wählerstimmen, allerdings nicht 5 % der Mandate dieses Hauses. Die PDS/Linke Liste trat rechtlich unter den gleichen Voraussetzungen an, faktisch allerdings mit hinübergerettetem Apparat und Kapital. Auch sie erreichte keine 5 % der Mandate dieses Hauses. Wenn die Großzügigkeit des Wahlrechts aus den bekannten Gründen auch die Quantität der Basis des Mandats zugunsten der Bewerber in der ehemaligen DDR reduziert hat, die Qualität der Verantwortung ist damit nicht reduziert. Die Abgeordneten der PDS/ Linke Liste, die sich offensichtlich nicht nur als Rechtsnachfolger, sondern auch in der Tradition ihrer Vorgängerpartei sehen, die sich über 40 Jahre hybrid Privilegien auf dem Territorium der DDR sicherte, tragen daher zwar Mitverantwortung -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Lühr, ich bitte um Verzeihung; ich unternehme einen letzten Versuch, für Ruhe zu sorgen. Meine Damen und Herren, diese Art des Verhaltens auch gegenüber einem neuen Kollegen hat auch eine menschliche Dimension. ({0}) Es ist fast unerträglich, wenn nicht einmal ich hier oben mehr hören kann, was der Redner spricht. Ich bitte Sie also, diese wenigen Minuten der Rede des Herrn Abgeordneten Lühr nicht zu benutzen, um am Rande des Saales in voller Lautstärke Gespräche zu führen; Sie haben doch alle Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Dies ist doch ein Parlament, und „parlare" heißt schließlich „reden". ({1})

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Dank, Herr Präsident! - Die Kollegen der PDS/Linke Liste tragen daher zwar Mitverantwortung für die sozialistische Katastrophe in einem deutschen Teilstaat, die wir aufzuarbeiten haben; die Verantwortung des Mandats im gesamtdeutschen Bundestag reduziert sich hingegen nicht auf den Teil der ehemaligen DDR. Es ist traurig, aber leider wahr, daß auch die Nachfolger der Erzseparatisten heute Mitverantwortung für dieses Deutschland tragen. Der Zusammenhang des Status der Fraktionen mit der auf ein Teilterritorium reduzierten Fünfprozentklausel ist aus unserer Sicht konstruiert und abwegig. Im übrigen möchte ich aber auch aus meiner persönlichen Meinung keinen Hehl machen. Dieses Parlament, das sich mit allen Kräften um den wirtschaftlichen Aufbau und gerade auch um den Aufbau von Recht und Demokratie in der ehemaligen DDR bemühen muß, sollte sich selbst keinen Bärendienst erweisen und hier auf die Strategie der PDS/Linke Liste hereinfallen. Wir sollten nicht zulassen, daß die ausgemachten Gegner des freiheitlichen Rechtsstaates dessen Vorzüge bei der Verfolgung ihrer Ziele extensiv instrumentalisieren können. ({0}) Meine Damen und Herren, die Anerkennung als Fraktion weist schließlich auch über den Bereich des Deutschen Bundestages hinaus, wie zum Beispiel mit der Antragsberechtigung in einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Soweit sich Rechte aus dem Status des freigewählten Abgeordneten herleiten, ist aus der Sicht der FDP der nach den jüngsten Verhandlungen sogar komfortable Gruppenstatus mehr als ausreichend. Wenn der Abgeordnete Dr. Riege am 24. Oktober letzten Jahres von dieser Stelle aus das Recht reklamierte, Entschließungsanträge einzubringen, Sitz und Stimme in den Ausschüssen verlangte und damals meinte - ich zitiere - : Etwas Größe des Bundestages in bezug auf unseren Antrag würde ich für sehr günstig erachten. dann wird, so meine ich, der Bundestag heute mit seinem Beschluß über die vorliegende Empfehlung über diese geforderte Größe deutlich hinauswachsen. Denn ich erinnere daran: Damals waren es noch einige Abgeordnete der PDS mehr. Abschließend möchte ich sagen: Ich empfinde es als fast makaber, daß die PDS ihre Gruppenrechte de Luxe ausgerechnet der politischen Einsicht derjenigen zu verdanken hat, die ihre Vorgängerin, die SED, hat prügeln und vertreiben lassen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Beschlußempfehlung des Ältestenrats zur Rechtsstellung von Bündnis 90/ GRÜNE im 12. Deutschen Bundestag, Drucksache 12/149. - Die Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE verlangen getrennte Abstimmung zu Nr. 2 e dieser Beschlußempfehlung. Ich rufe deshalb zunächst die Nummern 1 und 2 a bis 2 d der Beschlußempfehlung auf. Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung - soweit wir das hier sehen konnten - insoweit angenommen. Wer stimmt für Nr. 2 e der Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Nr. 2 e der Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste und bei einer Enthaltung angenommen. Wir stimmen jetzt über die Nummern 2 f bis 2 h sowie über Nr. 3 ab. Wer diesen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ältestenrats insgesamt angenommen. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ältestenrats zur Rechtsstellung der PDS/Linke Liste im 12. Deutschen Bundestag auf Drucksache 12/150 ab. - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Ältestenrats ist von der Mehrheit des Hauses bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen der PDS/ Linke Liste angenommen. Wir stimmen über den Antrag der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/86 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS/ Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wir kommen nun zu den Anträgen, die die Einräumung eines Grundmandats für die Gruppen in verschiedenen Gremien betreffen. Die Anträge von Bündnis 90/GRÜNE auf den Drucksachen 12/109 und 12/110 sollen an den Ältestenrat überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir stimmen jetzt über den Antrag der PDS/Linke Liste auf der Drucksache 12/115 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste und einige Stimmen vom Bündnis 90/ GRÜNE mit dem Rest der Stimmen des Hauses abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 o und den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf: 3. Einsetzung von Gremien und Wahlen a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Einsetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission gemäß §§ 4 und 5 Abs.4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes - Drucksache 12/108 - b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung - Drucksache 12/106 - c) Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission gemäß §§4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes - Drucksachen 12/88, 12/112, 12/137 - d) Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung - Drucksachen 12/89, 12/113, 12/138 - e) Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ({0}) - Drucksachen 12/90, 12/114, 12/139 - f) Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu berufenden Richter des BundesverVizepräsident Klein fassungsgerichts gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ({1}) - Drucksache 12/91 ({2}) - g) Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Ausschusses für die Wahl der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes ({3}) - Drucksache 12/92 ({4}) - h) Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53 a des Grundgesetzes - Drucksache 12/93 - i) Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({5}) - Drucksache 12/94, 12/111, 12/141 - j) Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 Wahlprüfungsgesetz - Drucksache 12/95, 12/142 - k) Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung gemäß § 6 Abs. i und 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und § 2 der Verordnung über die Bundesschuldenverwaltung - Drucksache 12/96, 12/144 - 1) Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gemäß § 313 Abs. i und 2 des Lastenausgleichsgesetzes - Drucksache 12/97, 12/145 - m) Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Infrastrukturrats beim Bundesminister für Post und Telekommunikation gemäß § 32 des Poststrukturgesetzes - Drucksache 12/98, 12/146 - n) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 der Geschäftsordnung des Beirats zur Bestimmung der Anlässe für die Ausgabe von Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag der Deutschen Bundespost ({6}) - Drucksache 12/99, 12/147 - o) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 der Geschäftsordnung des Beirats für die graphische Gestaltung der Postwertzeichen der Deutschen Bundespost - Drucksache 12/102, 12/148 ZP6 Wahlvorschlag für die Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/87 Wir beginnen mit dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 12/108: Einsetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste, Bündnis 90/GRÜNE und einer SPD-Stimme ist der Antrag angenommen. Ich rufe den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 12/106 auf: Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Enthaltung der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE angenommen. Meine Damen und Herren, wir führen jetzt die Wahlen zu fünf Gremien mit Stimmkarten und Wahlausweis durch. Es handelt sich um folgende Gremien: Parlamentarische Kontrollkommission, Vertrauensgremium, G-10-Gremium, Wahlmännerausschuß und Richterwahlausschuß. Interfraktionell ist vereinbart worden, diese Wahlen miteinander zu verbinden. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erläutere Ihnen jetzt das Wahlverfahren. Die fünf Stimmkarten für die Wahlen haben Sie in der Vorhalle erhalten. Es besteht jetzt für diejenigen, die sie noch nicht haben, noch die Möglichkeit, sie zu holen. Außerdem benötigen Sie Ihren gelben Wahlausweis, den Sie, soweit dies noch nicht geschehen ist, Ihrem Schließfach entnehmen können. Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimmkarten also an Ihrem Platz ankreuzen. Zur Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission möchte ich noch folgendes ausführen: Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 332 Stimmen erhält. Auf der hierfür vorgesehenen weißen Stimmkarte können Sie höchstens acht Namensvorschläge ankreuzen, da die Parlamentarische Kontrollkommission nach dem eben gefaßten Beschluß acht Mitglieder haben soll. Zur Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums: Auch hier ist nur gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h. mindestens 332 Stimmen erhält. Auf der blauen Stimmkarte hierfür dürfen höchstens fünf Namensvorschläge angekreuzt werden, nachdem wir eben die Mitgliederzahl so festgelegt haben.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses besteht das Gremium aus fünf Mitgliedern. Sie können also auf Ihrer gelben Stimmkarte höchstens fünf Namen ankreuzen. Bezüglich der Wahlen zum Wahlmännerausschuß und zum Richterwahlausschuß möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß jeweils nur ein Vorschlag auf der grünen und der orangefarbigen Stimmkarte angekreuzt werden darf. Die Wahlvorschläge mit den Namen der Kandidaten - Drucksachen 12/91 ({0}) und 12/92 ({1}) - liegen in der Eingangshalle aus. Für alle jetzt durchzuführenden Wahlen gilt folgendes: Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als die zulässige Zahl von Ankreuzungen, andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die fünf Stimmkarten in eine Wahlurne hier vorne werfen, bitte ich Sie, den Schriftführern an der Wahlurne Ihren Wahlausweis zu übergeben. Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Wahlen. - Meine Damen und Herren, ich werde eben darauf aufmerksam gemacht, daß einige Kollegen auf den Wahlmänner-Stimmkarten bereits alle drei angekreuzt haben. Der sicherste Weg ist, sich eine neue Stimmkarte geben zu lassen. - Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmkarten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Daran knüpfe ich, da ich von einer Fraktion weiß, daß es dort Irritationen bei der Ausfüllung der Zettel gab, noch die besondere Bitte, daß man möglichst den erkennbaren Willen gelten läßt. Meine Damen und Herren, das Ergebnis wird später bekanntgegeben. * ) Wir kommen jetzt zu den Wahlen, die ohne Stimmkarte und ohne Wahlausweis durchgeführt werden, und zwar zunächst zur Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes. Wer dem interfraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 12/93 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist damit angenommen. Somit sind die vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Wir wählen jetzt die vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses - Tagesordnungspunkt 3i - . Hierzu liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/94 sowie *) Ergebnis der Wahl der Mitglieder des G-10-Gremiums Seite 407 B, Ergebnis der Wahlen der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, des Vertrauensgremiums, des Wahlmännerausschusses und des Richterwahlausschusses Seite 431 A. Wahlvorschläge der Abgeordneten des Bündnis 90/ GRÜNE und der Abgeordneten der PDS/Linke Liste auf den Drucksachen 12/111 und 12/141 vor. Wir stimmen zunächst über die Wahlvorschläge der Gruppen ab. Wer stimmt für den Wahlvorschlag vom Bündnis 90/GRÜNE? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist bei Ja-Stimmen des Bündnis 90/GRÜNE und einiger SPD-Kollegen und bei Enthaltungen einer größeren Anzahl von SPD-Abgeordneten vom Rest des Hauses abgelehnt. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist von der Mehrheit des Hauses bei Ja-Stimmen der Abgeordneten PDS/Linke Liste und bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist bei Gegenstimmen von Bündnis 90/GRÜNE und einigen PDS-Abgeordneten sowie bei Enthaltung von Kollegen des Bündnis 90/GRÜNE und PDS-Abgeordneten angenommen. Damit sind die vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 3 j. Wir wählen die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses. Hierzu liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/95 sowie ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/142 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/ Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE vom Rest des Hauses abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist bei Gegenstimmen von PDS/Linke Liste und bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses und deren Stellvertreter gewählt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 k, zur Wahl der vom Bundestag in den Schuldenausschuß zu entsendenden Mitglieder. Hierzu liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/96 und ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/144 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Bundestag in den Schuldenausschuß zu entsendenden Mitglieder und deren Stellvertreter gewählt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 31. Wir wählen die vom Bundestag zu bestimmenden MitglieVizepräsident Klein der des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt. Dazu liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/97 und ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/145 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/ Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Bundestag in den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt zu entsendenden Mitglieder gewählt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 m. Zu wählen sind die vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Infrastrukturrats beim Bundesminister für Post und Telekommunikation. Es liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/98 und ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/146 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Infrastrukturrats und deren Stellvertreter gewählt. Tagesordnungspunkt 3 n! Ich rufe die Wahl der vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost auf. Hierzu liegen uns ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 12/99 sowie ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/147 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag PDS/Linke Liste? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Programmbeirats der Deutschen Bundespost sowie deren Stellvertreter gewählt. Tagesordnungspunkt 3 o! Wir wählen nun die vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost. Es liegen ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD auf Drucksache 12/102 sowie ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/148 vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/ Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von FDP und Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunstbeirats der Deutschen Bundespost gewählt. Zusatztagesordnungspunkt 6! Abschließend wählen wir die bisher nur vorläufig bestimmten Schriftführer. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 12/87? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist bei Gegenstimmen von PDS/ Linke Liste und einigen Enthaltungen von Bündnis 90/GRÜNE der interfraktionelle Wahlvorschlag angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 7 bis 10 auf. ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/107 ZP8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/118 ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/134 ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten von PDS/Linke Liste Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament - Drucksache 12/135 Ich höre von den Fraktionsgeschäftsführern, daß inzwischen eine Vereinbarung getroffen ist, dazu eine 5-Minuten-Runde durchzuführen. Es handelt sich um die Beratung von vier Anträgen zur Entsendung von Beobachtern in das Europäische Parlament. Ich erteile Herrn Kollegen Dr. Rüttgers das Wort.

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Volksmund sagt: Was lange währt, wird endlich gut. Ich meine, für die Entsendung der Beobachter aus den fünf neuen Bundesländern in das Europaparlament gilt dies wahrlich nicht. Wer diesen Ablauf und zum Teil die Entscheidungsfähigkeit der SPD miterlebt hat, der weiß, daß es mehr als zu bedauern ist, daß dieser Vorgang auch heute nur vorläufig zum Abschluß gebracht werden kann und weil eine Fortsetzung in Karlsruhe möglich erscheint. Dabei sind wir bereits seit Monaten dabei, dieses Thema zu diskutieren. Am 8. August 1990 hat die Volkskammer zum erstenmal Beobachter für das EG-Parlament gewählt. Wir haben eine Regelung in der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag vom 18. September 1990. Im Europaparlament hat es bereits am 8. Oktober 1990 erstmals einen Beschluß zur Entsendung von Beobachtern gegeben. Mehrere Versuche im November und Dezember letzten Jahres, diesen Punkt hier auf die Tagesordnung zu setzen, sind leider nicht erfolgreich gewesen. Der Grund lag darin, daß die SPD nicht bereit war, die Entscheidung der frei gewählten Volkskammer der damaligen DDR und damit das Ergebnis der Volkskammerwahlen als Grundlage für diese Entsendung zu akzeptieren. ({0}) Statt dessen hat man versucht, mit immer neuen Störmanövern, an denen sich auch die sozialistische Fraktion im EG-Parlament, ja sogar ein Vizepräsident, beteiligt hat, ({1}) diese Entscheidung hinauszuschieben. Dabei kann es keinen Zweifel geben, daß die Bürger der neuen Bundesländer einen Anspruch darauf haben, im Europaparlament vertreten zu sein. ({2}) Ich frage mich: Wie wollen wir eigentlich die Rückkehr nach Europa, wie Vaclav Havel das ja 1989 genannt hat, umsetzen, wenn mehr als 16 Millionen Bundesbürger 1994 nicht im Europaparlament vertreten sind? Und ich frage mich: Wer soll denn in den neuen Ländern bei den Kommunen und bei den Betrieben Hilfestellung leisten, wenn es darum geht, sich etwa an europäischen Aufbau- und Finanzierungsprogrammen, an Förderprogrammen zu beteiligen? Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion haben durch die Einbringung eines Antrages die heutige Entscheidung herbeigeführt. Die neun Beobachter der CDU/CSU und je ein Vertreter der Liberalen und des Bündnisses 90 können heute gewählt werden. SPD und PDS haben sich über die ihnen zustehende Anzahl von Beobachtern nicht einigen können. Wir werden uns deshalb auch bei den entsprechenden Anträgen der Stimme enthalten. Ich meine abschließend: Vor allem die SPD hat es zu verantworten, wenn heute wieder ein Stück Gemeinsamkeit aus der Zeit der deutschen Revolution beerdigt wird. ({3}) Vielen Dank. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heutigen Beschluß findet ein langer und schwieriger Weg sein Ende, insbesondere wenn ich an die Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen DDR denke, die sich sehr intensiv noch in der damaligen Volkskammer mit dieser Frage beschäftigt haben. Herr Kollege Rüttgers, auf Ihre Polemik einzugehen lohnt sich nicht. Ich möchte nur noch einmal den Unterschied in den Rechtsauffassungen über die Frage darlegen, welches Wahlergebnis bei der Berechnung der insgesamt 18 vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Beobachter zugrunde gelegt werden soll. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß das letzte aktuelle Wahlergebnis, das das gesamte Gebiet Deutschlands angeht, zugrunde gelegt werden sollte. Die letzte Wahl war am 2. Dezember und nicht am 18. März. Das heißt, wir werden ganz konkret - ich sage das auch für die Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht so intensiv mit der Frage beschäftigt haben -, auch über die Abstimmungen, zu entscheiden haben, ob die Sozialdemokraten 5 - das entspräche dem Wahlergebnis vom 2. Dezember - Beobachter nach Straßburg entsenden können oder nur 4 - das entspräche dem Wahlergebnis vom 18. März. Wenn man der Auffassung der SPD folgt, es müßten 5 entsandt werden, könnten bei der PDS nicht 3 - zugrunde gelegt das Wahlergebnis vom 18. März -, sondern nur 2 entsandt werden. Wir werden das im Abstimmungsverhalten deutlich machen. Ich möchte in meinem Beitrag nur das Abstimmungsverhalten der SPD-Fraktion zu diesen vier vorliegenden Anträgen erläutern: Wir werden uns bei dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP der Stimme enthalten. Wir werden selbstverständlich unserem eigenen Antrag zustimmen. Wir werden auch dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE zustimmen. Wir werden den Antrag der PDS, wenn er so bleibt, wie er vorgelegt worden ist, nämlich 3 zu entsenden, nicht zustimmen, sondern aus den genannten Gründen ablehnen. Abschließend möchte ich sagen - und ich denke, da wird der Kollege Rüttgers wieder mit mir übereinstimmen - : Wir können alle sehr froh sein, daß wir diese Kuh jetzt endlich vom Eis bekommen haben. Ich wünsche den Beobachtern, den Kolleginnen und Kollegen, die von uns nach Straßburg und Brüssel entsandt werden, viel Erfolg bei ihrer Arbeit auch im Sinne des Deutschen Bundestages. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Hoyer, Sie haben das Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Rüttgers und Struck haben ja die Schwierigkeit, vor der wir hier standen, sehr plastisch geschildert. Ich komme im Ergebnis zu dem, was der Kollege Rüttgers auch für die Fraktion der CDU/CSU vorschlägt. Wir als Liberale haben eine große Sympathie dafür, das Ergebnis der Volkskammerwahl vom März 1990 zu Grunde zu legen. Aber wir haben natürlich ein großes politisches Verständnis für das Begehren der SoDr. Hoyer zialdemokraten. Wir haben bei diesem Thema ein übergeordnetes Ziel, nämlich diese eigentlich erfreuliche Einladung des Europäischen Parlaments annehmen zu können. Dieses Thema muß endlich vom Tisch. Wir können das Europäische Parlament nicht länger hinhalten. Wir laufen sonst Gefahr, daß der Eindruck entsteht, als wäre der Deutsche Bundestag an dieser Einladung des Europäischen Parlaments nicht interessiert. Ich meine, wir müssen heute zu einer Entscheidung kommen. Wir werden selbstverständlich dem Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zustimmen, und wir werden dem Wahlvorschlag des Bündnisses 90/GRÜNE zustimmen. Obwohl Liberale traditionell nicht gerade diejenigen sind, die sich gerne der Stimme enthalten, werden wir uns bei den Wahlvorschlägen von SPD und PDS der Stimme enthalten, ({0}) wie wir es interfraktionell auch vorbesprochen hatten. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riege.

Dr. Gerhard Riege (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001844, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Interesse der Mitwirkung an den Prozessen der europäischen Einigung setze ich voraus. Die Entscheidungssituation von heute berührt - das wurde hier schon ausgesprochen - die Abgeordneten der PDS. Diesen Abgeordneten soll zugunsten der SPD die Möglichkeit genommen werden, drei Vertreter in das Europäische Parlament zu entsenden. Statt drei sollen ihr zwei Vertreter zugestanden werden. Die Begründung wird - das ist hier schon ausgesprochen worden - aus den Wahlen vom 2. Dezember hergeleitet. Ich möchte deutlich sagen: Das bedeutet eine Veränderung der Rechtsgrundlage für die Entsendung der Vertreter in das Europäische Parlament überhaupt. Die Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag enthält folgende Aussage: Die von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik in das Europäische Parlament entsandten Abgeordneten erhalten für die laufende Legislaturperiode des Europäischen Parlaments die Rechtsstellung eines Mitglieds des Europäischen Parlaments. Das ist eine eindeutige Aussage dieses Vertrages. Die Bezugsgröße ist mithin nicht der eine oder der andere Wahltermin, sondern vor allem die Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. Nach meiner Erfahrung gab es in dieser Frage zunächst Konsens, auch dahin gehend, daß keine verfassungsrechtlichen Probleme bestehen, wenn der Bundestag die Benennung der Vertreter für das Europäische Parlament bestätigt und die vorgesehenen 18 Mitglieder entsendet. Das gilt für die Gesamtzahl ebenso wie für die Struktur nach Fraktionen. Der Einigungsvertrag, in dem das Zitierte steht, wurde zwischen den Partnern ausgehandelt und durch die Parlamente mehrheitlich bestätigt. Es entsprach dem Willen der Parteien, daß die Benennung der Beobachter durch die Volkskammer den Bundestag bindet. Das Parlament steht - ich sehe das so - heute vor der Entscheidung: Bekennt es sich zum Beschluß der Volkskammer oder nicht? Das ist für mich auch eine Frage, die am konkreten Fall Grundsätzliches im Verhältnis zum ehemaligen Partner und zur selbst gefällten Entscheidung zur Bindung an den Einigungsvertrag aufwirft. Ich ziehe daraus die Schlußfolgerung: Nur durch die Übernahme des am 28. September 1990 von der Volkskammer erfolgten Benennungsvorgangs durch den Bundestag wird dem Willen der Vertragsparteien des Einigungsvertrags entsprochen. Das wurde in diesem Haus auch durch die Bundesregierung bekräftigt. In einer früheren Debatte hat die Staatsministerin im Auswärtigen Amt auf entsprechende Anfrage ausdrücklich gesagt, es sei keine besondere Entscheidung des Bundestages nach dem Einigungsvertrag und der Entscheidung der Volkskammer nötig. Ich darf folgendes anfügen: Natürlich bleiben wir bei unserer Vorstellung, die ich für begründet halte, würden es jedoch für möglich halten, daß im Interesse einer differenzierten Entscheidung und Meinungsbildung hier im Haus eine Einzelabstimmung über unsere Vorschläge erfolgt. Danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Poppe, Sie haben das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte zwei ganz kurze Einlassungen, nachdem ich zunächst einmal prinzipiell begrüße, daß sich alle Fraktionen bereit erklärt haben, nun dem Beobachterstatus von ehemaligen DDR-Bürgern im Europaparlament zuzustimmen. Ich muß aber darauf hinweisen, daß es aus mehreren Gründen angemessen wäre, es bei der Entscheidung der Volkskammer zu belassen. Zum einen ist im Sinne der Arbeitsfähigkeit der ganzen Gruppe eine schnelle Entscheidung wirklich nötig. Seit Monaten bereiten sich diese 18 benannten Abgeordneten bzw. zum Teil die Nachrücker auf ihre Aufgaben vor, haben ihre beruflichen Aufgaben zugunsten dieser Tätigkeit eingeschränkt oder zurückgestellt. Dies ist auch ein rein menschliches Problem. Zum anderen ist die Änderung der Geschäftsordnung des Europaparlaments auf der Grundlage des Volkskammerentschlusses zustande gekommen. Prinzipiell bin ich der Auffassung, daß die Volkskammer der damaligen DDR das erste frei gewählte Parlament der DDR und damit auch fähig war, souveräne Entscheidungen zu treffen. Ich bitte Sie, dies zu akzeptieren. Schließlich würde ich auch den rechtlichen Einlassungen des Kollegen Riege folgen. Ich denke, daß es im Sinne der Arbeitsfähigkeit der Gruppe - Sie müssen bedenken, daß diese Abgeordneten zu jeder Sitzung des Parlaments nach Straßburg fahren, dort auf den Zuschauertribünen sitzen, ansonsten mit ihrer Arbeit aber nicht beginnen können - angemessen wäre, es bei der alten Entscheidung zu belassen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich rufe die Anträge in der Reihenfolge der Drucksachennummern auf. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 12/107? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei jeweils einer Gegenstimme des Bündnisses 90/ GRÜNE und der SPD sowie vielen Enthaltungen angenommen. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/118? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei wenigen Gegenstimmen und einer großen Zahl von Enthaltungen angenommen. Wer stimmt für den Antrag von Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/134 ({0})? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer Enthaltung aus den Reihen der CDU/CSU ist der Antrag angenommen. Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, daß von den 18 zu entsendenden Beobachtern damit bereits 16 bestimmt sind. Die Gruppe der PDS/Linke Liste wünscht, daß über die von ihr vorgeschlagenen Bewerber auf Drucksache 12/135 getrennt abgestimmt wird. Als erstes ist Frau Kaufmann vorgeschlagen. Wer stimmt für diesen Vorschlag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Vorschlag ist bei Enthaltungen von SPD, Bündnis 90/GRÜNE und einer Reihe von CDU/ CSU- und FDP-Abgeordneten angenommen. Als zweites wurde Herr Kertscher vorgeschlagen. Wer stimmt für diesen Vorschlag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Vorschlag ist bei einigen Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP und bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Damit sind die vom Bundestag in das Europäische Parlament zu entsendenden 18 Beobachter gewählt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nach diesem Wahlmarathon rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt 11 auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zur Situation in Jugoslawien Die Fraktion der FDP hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Kollege Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist zur Zeit auf den Golf gerichtet. Das ist verständlich, aber es sollte darüber nicht die Brisanz eines Konfliktes übersehen werden, der sich praktisch in unserem Vorgarten ständig zuspitzt. Seit dem Beginn der Kampfhandlungen am Golf ist immer wieder behauptet worden, dies sei doch alles vermeidbar gewesen und man hätte sich nur rechtzeitig um politische Mittel der Konfliktlösung kümmern müssen. Ich lasse dahingestellt, ob dies zutrifft. Ich möchte nur betonen, daß wir diese Aktuelle Stunde deshalb beantragt haben, weil wir es vermeiden möchten, uns zu späterer Zeit im Hinblick auf Jugoslawien den gleichen Vorwurf anhören zu müssen. Es kommt darauf an, in der Situation in Jugoslawien jetzt rechtzeitig politische Auswege zu suchen und zu finden. Meine Damen und Herren, daß wir uns mit diesem Thema überhaupt beschäftigen, bedeutet natürlich keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens. In dem enger zusammenwachsenden Kontinent ist es selbstverständlich, daß es keinem Europäer gleichgültig sein kann, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen wie in Kosovo kommt oder wenn die akute Gefahr besteht, daß der Konflikt eskaliert und daß das ganze Land in Gewalt, Blutvergießen und Bürgerkrieg gestürzt wird. So ist die erste, eindringlichste Botschaft, die von hier und von allen anderen Europäern an die jugoslawischen Völker ausgehen muß: Wie immer ihr eure Probleme behandelt, tut es friedlich und verzichtet auf Gewalt! ({0}) Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es politische Gründe, die hier angesprochen werden müssen. Es kann nicht im Interesse der Stabilität der Region Südosteuropa liegen, und es kann auch nicht im Sinne einer Annäherung dieser Regionen an Europarat und Europäische Gemeinschaft sein, daß der Bundesstaat Jugoslawien auseinanderbricht. Es ist eine im Grunde tragische Situation: Wir hier im Westen versuchen nationale Grenzen zu überwinden. Wir versuchen, uns durch Übertragung nationaler Souveränitäten zu einem Bundesstaat in Europa zusammenzuschließen, und in anderen Weltgegenden, wo Bundesstaaten existieren, reicht die Kraft nicht aus. Da brechen Nationalitätenkonflikte aus, und es ist traurig, daß bundesstaatliche Strukturen, die schon vorhanden sind, zunehmend an Akzeptanz verlieren. Meine Damen und Herren, kann man denn dem Problem nationaler Minderheiten wie der Albaner in Serbien oder der Serben im Kosovo und in Kroatien leichter beikommen, wenn man kleine nationale Einzelstaaten schafft, als in einem viele Völker umfassenden Bundesstaat? Doch wohl nicht. Wenn einer wie gestern der kroatische Präsident Tudjman im „General-Anzeiger" auf die Gefahr hinweist, im Falle des Ausscheidens von Slowenien und Kroatien aus dem Bund drohe die großserbische Prätention und der daraus resultierende Bürgerkrieg, ({1}) dann kann ich doch nur sagen: Das muß ihn erst recht veranlassen, das Auseinanderbrechen des Staates mit allen möglichen Mitteln zu verhindern. Glaubt denn schließlich jemand im Ernst, der Weg nach Europa werde erleichtert, wenn statt eines Bundesstaates eine Menge von Kleinstaaten vor der Türe stehen und in Europa Eintritt haben wollen? Die Balkanisierung des Balkans, meine Damen und Herren, kann nicht die Lösung der jugoslawischen Probleme bringen. Wir fordern die Bundesregierung auf, zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und nach Möglichkeit im Rahmen von Europarat und KSZE unverzüglich eine Initiative einzuleiten, durch die den Konfliktparteien in Jugoslawien die guten Dienste der übrigen Europäer angeboten werden: als Berater, als Schlichter und als ehrliche Makler. Es sollte möglich sein, durch ruhige Verhandlungen mit allen an den Auseinandersetzungen Beteiligten doch noch politische Lösungen zu finden, mit denen Gewalt verhütet, die Zersplitterung des Landes verhindert und die Anbindung der jugoslawischen Völker an das übrige Europa gesichert werden kann. Noch ist es nicht zu spät. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann nicht unsere Aufgabe sein - das hat eben auch der Kollege Irmer gesagt - , den Jugoslawen vorzuschreiben, wie sie sich staatlich organisieren sollen. Aber - hier stimme ich absolut mit ihm überein - wir sollten zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft helfen, wo wir helfen könnten. Die Prinzipien, an denen wir diese Hilfe ausrichten sollten, möchte ich in vier Punkten beschreiben. Erstens. Wir fühlen uns alle in diesem Hause strikt an die Grundsätze der KSZE gebunden, was Minderheitenrechte betrifft, noch einmal verdeutlicht in Kopenhagen im Juli 1990. Aus diesem Grunde müssen wir, gerichtet an die serbische sozialistische Partei und an Slobodan Milošević sagen können: Die Art, wie in Kosovo mit dem albanischen Bevölkerungsteil umgegangen wird, ist ein nationalistisches Verbrechen, das man verurteilen muß und mit dem man sich öffentlich auseinandersetzen muß. ({0}) Zweitens. Ich denke, wir alle bekennen uns auch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist allerdings kein Patentrezept. Es verpflichtet uns z. B. keineswegs, für die Loslösung des Baskenlandes von Spanien oder Frankreich oder Nordirlands von Großbritannien einzutreten. Selbstbestimmung ist nicht automatisch Lostrennung, sondern Selbstbestimmung heißt Abwägung, eine Abwägung, in die nicht nur das Volk einbezogen werden kann, das sich lostrennen möchte, sondern auch der gesamte Verband einbezogen werden muß. Hier stimme ich Herrn Kollegen Irmer zu. Am deutlichsten kann man das an der mazedonischen Frage sehen. Ich denke an die dortige panmazedonische Bewegung. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, daß wir wieder tiefe Konflikte, vielleicht sogar kriegerische Konflikte um Gebietsforderungen an Bulgarien, an Griechenland und an Jugoslawien bekommen, dann wäre das in der Tat ein Rückfall in die Zwischenkriegszeit, den wir keinesfalls begrüßen können. Dritte Bemerkung. Das bedeutet allerdings, daß wir uns als Mitglied der EG eindeutig gegen Gewaltanwendung in jeder Richtung engagieren müssen. Das heißt, wenn sich die reicheren Slowenen und Kroaten aus dem Staatsverband lösen wollen, kann ich durchaus verstehen, was das für den gesamten Verband bedeutet und warum andere dagegen sind. Aber den Versuch, solche Probleme mit militärischen Mitteln zu lösen, dürfen wir unter gar keinen Umständen unterstützen. ({1}) Vierte und letzte Bemerkung: Ich denke, wir sollten mit Sympathie die Versuche des Vorsitzenden der Jugoslawischen Föderation, Ante Marković, betrachten, Jugoslawien zusammenzuhalten. Wo die Europäische Gemeinschaft im ökonomischen Bereich helfen kann, sollte sie helfen. Die Chance mag gering sein, aber die Beteiligten und Betroffenen mögen bedenken, daß ein Zerfall Jugoslawiens in der Tat die Lebensqualität von Millionen von Menschen nach unten drücken würde. Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn es eine naheliegende Folgerung für mich gibt, die man aus diesen Problemen in Jugoslawien ziehen muß, dann ist es die, dafür zu sorgen, daß wir im Rahmen der KSZE einen Konfliktschlichtungsmechanismus zustande bekommen, später einmal in einer zweiten Phase vielleicht sogar mit Blauhelmen, aber in einer ersten Phase zur Antizipierung und zur Verhütung von Konflikten, damit wir nicht zusehen müssen, meine Damen und Herren, wie in einem Europa, von dem wir gehofft haben, daß es friedlicher wird, Minderheiten sozusagen gedrückt und vielleicht sogar ausgemordet werden. Denn das wäre schrecklich. ({2})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Kollege Vogel ({0}).

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Entscheidung des slowenischen Parlaments, auch das schon erwähnte Interview des kroatischen Präsidenten Tudjman im gestrigen „General-Anzeiger" , der morgige Krisengipfel in Jugoslawien, in Sarajewo, machen deutlich, daß wir es in der Tat mit einem aktuellen Problem zu tun haben und wir deshalb zu Recht hier eine Aktuelle Stunde abhalten. Für die CDU/CSU möchte ich unterstreichen, was der Bundeskanzler in seinem Brief an den jugoslawi406 Vogel ({0}) schen Ministerpräsidenten Ante Marković geschrieben hat: Wir sind über die Zuspitzung der Ereignisse in Jugoslawien zutiefst beunruhigt, und uns kann es nicht gleichgültig sein, ob der Vielvölkerstaat Jugoslawien auseinanderbricht oder in gewalttätigen inneren Auseinandersetzungen zu einem Unruhefaktor auf dem Balkan wird. Unser deutsches wie auch unser gemeinsames europäisches Interesse, das eigene jugoslawische Interesse allemal, muß es sein, daß Jugoslawien im Konsens seiner Republiken als eine freiheitliche demokratische Gemeinschaft konstituiert wird. Eine Einheit Jugoslawiens - und da stimme ich meinen Vorrednern zu -, die darauf beruhte, daß ein serbischer Hegemonieanspruch, womöglich mit Hilfe der jugoslawischen Armee, durchgesetzt wird, kann weder im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker Jugoslawiens noch im Interesse der Stabilität auf dem Balkan und in Europa liegen. Uns macht es besorgt, daß immer noch vorhandene kommunistische Machtstrukturen in Jugoslawien die Verwirklichung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse überall in Jugoslawien behindern und daß die Verwirklichung der Menschen- und Minderheitsrechte unzureichend gewährleistet ist. Die Situation der albanischen Minderheit im Kosovo gehört ebenso zu unseren Sorgen wie die Probleme von Minderheiten in anderen jugoslawischen Republiken. Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich das Interview gelesen, das der kroatische Präsident Tudjman dem „Bonner General-Anzeiger" in seiner gestrigen Ausgabe gewährt hat. Es ist alarmierend, wenn

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Die geschichtliche Erkenntnis zeigt, daß die Gründung eines Jugoslawien als demokratische staatliche Gemeinschaft nicht möglich ist. Gestern hat das slowenische Parlament die einvernehmliche Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien verlangt, was ja nicht besagt, daß man in Slowenien nicht bereit ist, über eine andere Art des Zusammenlebens im Gespräch zu bleiben. Ich hoffe deshalb auch, daß das kein letztes Wort ist und daß in der serbischen Hauptstadt wie auch in der Führung des jugoslawischen Staatspräsidiums endlich eingesehen wird, daß nicht Drohen mit dem Einsatz der jugoslawischen Armee, sondern nur das Finden von Konsens zwischen den sechs Republiken die jugoslawische Krise lösen kann. Wenn die Aufteilung in selbständige Staaten vermieden werden soll, dann wird eine grundsätzliche Umformung des Verhältnisses der Teilrepubliken Jugoslawiens zueinander unumgänglich sein. Ich möchte wiederholen, was der Bundeskanzler an Ministerpräsident Marković geschrieben hat. Ich zitiere: Die Einheit Jugoslawiens und die Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens seiner Völker und Republiken können nur als Ergebnis eines friedlichen politischen Dialogs auf der Grundlage der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte aller Beteiligten gesichert werden. Mit Recht mahnt der Bundeskanzler eine friedliche und einvernehmliche Lösung an, damit die im November des vergangenen Jahres auch von Jugoslawien unterzeichneten Grundsätze der Charta von Paris für ein neues Europa, die ja auch die Unterschrift von Herrn Jović trägt, und die anderen KSZE-Dokumente zur Geltung gelangen. Die CDU/CSU hofft, daß die Verlegung des morgigen jugoslawischen Krisengipfels nach Sarajewo zu dem Optimismus berechtigt, daß sich alle Seiten um eine friedliche und einvernehmliche Lösung bemühen werden. Danke schön. ({0})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Modrow. ({0})

Dr. Hans Modrow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001518, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jüngste Entwicklung in Jugoslawien hat vielerorts Beunruhigung ausgelöst. Die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, die auch die Sorge unserer jugoslawischen Freunde ist, wird von den Abgeordneten der PDS/Linke Liste voll geteilt, wissen wir doch um den Platz Jugoslawiens in Europa und in der internationalen Staatengemeinschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Jugoslawien hat als ein führendes Land der Bewegung der Nicht-Paktgebundenheit allgemeine Anerkennung gefunden und positive Tendenzen in der internationalen Entwicklung sehr beeinflußt. Unser eigenes Land ist mit vielen Fäden gedeihlicher zwischenstaatlicher Beziehungen, ökonomischer Kooperation und vor allem auch unzähliger persönlicher Kontakte, entstanden und vertieft in umfangreichem kommerziellem, kulturellem und touristischem Austausch, mit Jugoslawien und seinen Bürgerinnen und Bürgern verbunden. In einem engen Wechselverhältnis stehen Deutschland und Jugoslawien auch in der Geschichte. Diese war, wie wir alle wissen, gegenseitig bereichernd und befruchtend, aber auch konfliktvoll und leidvoll. Stets müssen wir uns auch dessen bewußt sein, daß die Erinnerung der jugoslawischen Völker an den Oberfall der deutschen Wehrmacht auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht verblaßt ist. Die Achtung vor den Opfern, vor 1,7 Millionen Jugoslawen, die der Zweite Weltkrieg forderte, verpflichtet das vereinte Deutschland, uns alle, zu größtem Respekt, zu höchster Zurückhaltung bei der Bewertung der inneren Entwicklung dieses Landes. Der Deutsche Bundestag ist aufgefordert und verpflichtet, alle Versuche, Druck auf Jugoslawien auszuüben und die innere Lage des Landes zu beeinflussen, zurückzuweisen, sich für die Verwirklichung der Menschenrechte einzusetzen und eine Politik, die gegen Minderheiten gerichtet ist, zu verurteilen. Gesellschaftliche Umbrüche und nationale Auseinandersetzungen haben auch nach jugoslawischer EinDr. Modrow schätzung eine explosive Situation geschaffen. Ausländische Einmischung kann diese Situation nur zusätzlich belasten. Sie trägt in keiner Weise zu einer friedlichen Lösung der inneren Konflikte bei. Meine Damen und Herren, deutsche Friedenspolitik muß darauf gerichtet sein zu verhindern, daß der Balkan und Jugoslawien als sein zentraler Teil erneut zu einem Pulverfaß werden. Das würde aber geschehen, wenn aus kurzsichtigen machtpolitischen Erwägungen heraus versucht würde, den drohenden Zerfall der jugoslawischen Föderation zu beschleunigen. Das würde den Balkan erneut in ein Gebiet gefährlicher Spannungen mit nicht absehbaren Folgen für die gesamte europäische Entwicklung verwandeln. Im Gegenteil: Die europäische Entwicklung sollte sich so gestalten, daß nationale Probleme und Konflikte eine immer geringere Rolle spielen und daß wir über diesen Weg auch von Europa aus mithelfen, Probleme, die es auf diesem Gebiet gibt, zu lösen. ({0}) - Herr Geißler, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wieviel Begeisterung es für die Selbstverwaltungskonzeption des Sozialismus in Jugoslawien nicht nur unter linken Kräften gegeben hat; weltweit war man, glaube ich, in zurückliegender Zeit darüber nicht wenig begeistert. Die PDS/Linke Liste fordert die Bundesregierung auf, gegen die genannten Versuche, deren es zur Genüge gibt, entschieden aufzutreten und für solche äußeren Bedingungen zu wirken, die den jugoslawischen Völkern die Wahrnehmung ihres in der UNOCharta und in den Dokumenten des KSZE-Prozesses verankerten Selbstbestimmungsrechts ermöglichen. Es ist allein ihre Sache, in freier Entscheidung und ohne äußere Einmischung über ihre Zukunft, über die gesellschaftliche und staatliche Form ihres Zusammenlebens zu entscheiden. Für ein Denken in den überlebten Kategorien von Expanison und Streben nach Einflußsphären ist ebensowenig Platz wie für arrogante Besserwisserei und Großmannssucht. Auch hier gilt es, die Lehren der Geschichte zu beherzigen; sie sind geradezu teuer vom deutschen Volk bezahlt worden. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich muß die Aktuelle Stunde kurz unterbrechen, weil ich Ihnen das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des G-10-Gremiums bekanntgeben muß. Von den 662 stimmberechtigten Abgeordneten haben 620 ihre Stimmen abgegeben. Alle Stimmen waren gültig. Von den gültigen Stimmen entfielen auf die Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP ausreichend viele Stimmen, um diese Kandidaten zu wählen. Die von den Gruppen der PDS/Linke Liste sowie dem Bündnis 90/GRÜNE vorgeschlagenen Abgeordneten haben nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Als Mitglieder des G-10-Gremiums sind danach die Abgeordneten Helmrich, Zeitlmann, Paterna, Dr. de With und Baum gewählt. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Helmrich 532 Stimmen, den Abgeordneten Zeitlmann 501 Stimmen, den Abgeordneten Paterna 488 Stimmen, den Abgeordneten Dr. de With 506 Stimmen, den Abgeordneten Baum 496 Stimmen, den Abgeordneten Dr. Briefs 15 Stimmen und den Abgeordneten Weiß ({0}) 95 Stimmen. Wir können jetzt mit der Aktuellen Stunde fortfahren. Ich erteile dem Abgeordneten Poppe das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erfahrungsgemäß neigt die Macht dazu, auf einem einmal erreichten Zustand zu beharren, Krisen und Konfliktsituationen vorzugsweise durch eine Minimalreform im Inneren oder durch vorsichtige diplomatische Schritte nach außen zu bewältigen. Oft genug aber in der jüngeren Vergangenheit reichten die kleinen Schritte der Regierungen nicht mehr aus, die Konflikte zu bewältigen. Der Status quo der 80er Jahre beispielsweise, der zeitweise die Weltlage stabilisieren half, erwies sich schließlich als Hemmnis für die Entwicklung der Demokratie in Ost- und Ostmitteleuropa. Der Westen befand sich mit seiner zurückhaltenden Diplomatie gegenüber spätstalinistischen Systemen nicht mehr auf der Höhe der Zeit, was er schließlich auch unter einigen Schmerzen erkannte. Wer daraus die richtigen Schlußfolgerungen zieht, wird feststellen, daß es zur Bewältigung der Krise in der UdSSR und in Jugoslawien nicht ausreicht, daß man die jeweilige Zentralmacht stützt, verbal zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Demokratisierung ermuntert, im übrigen aber im Sinne der Vereinfachung eigener politischer und wirtschaftlicher Aktivitäten einen Zustand der Erstarrung mit Stabilität verwechselt. Nationale Selbständigkeit hat für die Völker der bisher dirigistisch verwalteten Syteme einen ganz anderen Stellenwert als für manchen demokratiegewohnten Westeuropäer. Lassen Sie sich an zwei Ereignisse des gestrigen Tages erinnern, meine Damen und Herren, die durchaus als die beiden Seiten einer Medaille betrachtet werden könnten: Demonstrierende Albaner stürzen den verhaßten Enver Hodsha von seinem Denkmalssockel und damit zumindest symbolisch die letzte Bastion des Stalinismus in Europa. Und das slowenische Parlament beschließt eine Verfassungsänderung, die der Belgrader Zentralregierung die Befugnis entzieht, Entscheidungen über Slowenien zu treffen. Diese Ereignisse folgen in vielem der gleichen Logik wie die Entwicklung in Polen, der Tschechoslowakei, der ehemaligen DDR, im Baltikum und anderswo. Trotzdem sollten wir uns vor voreiligen Analogieschlüssen und undifferenzierter Betrachtung ebenso hüten wie vor dem Aufstellen falscher Alternativen. Die Konflikte in Jugoslawien haben eine ganze Reihe von Gründen: die serbischen Hegemoniebestrebungen, die Versuche von Teilen der Armee, das alte System zu restaurieren, die andauernden Menschenrechtsverletzungen in Kosovo, aber auch die ungleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den unterschiedlichen Grad von Demokratie. In höchstem Maße unwahrscheinlich ist es nach allen bisherigen Erfahrungen, daß ausgerechnet der jugoslawische Zentralstaat fähig sein sollte, aus der Krise herauszuführen. Er wird deshalb auf längere Sicht nicht zu erhalten sein. Das hat übrigens auch der derzeitige Ministerpräsident der Zentralregierung, Markovic, erkannt - da muß ich Ihre Aussage, Herr Glotz, etwas relativieren - , der den Teilrepubliken ein Minimalprogramm zur Funktionserhaltung bis zur vertraglichen Neuregelung der Beziehungen untereinander vorgeschlagen hat. Slowenische und kroatische Politiker haben auf für viele Osteuropäer charakteristische Weise das Bedürfnis nach Souveränität formuliert. Das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums Mesić stellt fest: Wir können den Weg, den Europa genommen hat, erst jetzt nachholen. Der slowenische

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Eine vernünftige Trennung ist die Voraussetzung für die Selbständigkeit und damit für die Gründung einer neuen Gemeinschaft souveräner Staaten. Hier zeigt sich eine emanzipatorische Komponente des Strebens nach nationaler Unabhängigkeit, welches oft allzu vereinfacht nur als Gefahr für die Gemeinschaft der Völker dargestellt wird. Gewalt droht gegenwärtig vor allem auf Grund des serbischen Hegemonialanspruchs und der darauf beruhenden Menschenrechtsverletzungen. Gewalt wird angedroht von der von ehemaligen Parteifunktionären beherrschten jugoslawischen Armeeführung, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Gewalt ist andererseits aber auch nicht auszuschließen, wenn sich Teilrepubliken von Jugoslawien trennen. Bürgerkriegsähnliche Zustände in mehreren Regionen könnten die Folge sein. Eine Konföderation souveräner Staaten ist wohl der einzig sinnvolle Ausweg aus dem Dilemma. Lassen Sie mich abschließend ganz kurz zwei Vorschläge machen, wie von außen Einfluß auf die Entwicklung genommen werden könnte. Wir schlagen zwei Wege vor. Zum einen ist Jugoslawien auf finanzielle Hilfe angewiesen. Das betrifft besonders die ärmeren Republiken, zu denen auch Serbien gehört. Solche Hilfe ist nur sinnvoll, wenn sie sich mit der Entwicklung demokratischer Verhältnisse und der Garantie der Minderheitenrechte verbinden läßt. Kredite der EG von solch einer Entwicklung abhängig zu machen erhöht sowohl die Chancen der Demokratisierung wie auch die Effizienz der Mittelverwendung. Zum anderen sollte eine Konferenz - da möchte ich Ihnen ausdrücklich zustimmen, Herr Glotz - im KSZE-Rahmen zur Behandlung der Probleme in Jugoslawien angeregt werden. Die KSZE verpflichtet alle europäischen Staaten auf Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte, ist deshalb als Konfliktschlichtungs- und Kontrollorgan am ehesten geeignet und könnte somit den internationalen Rahmen des notwendigen Demokratisierungsprozesses bilden.

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Abschließend möchte ich noch sagen, daß ich es für erwähnenswert halte, daß der Kollege Lowack von der CSU, der sich sicherlich keine große Nähe zu den politischen Vorstellungen von Bündnis 90 und GRÜNEN nachsagen lassen will, ({0}) kürzlich im gleichen Zusammenhang die KSZE ins Spiel gebracht hat. Vielleicht besteht so die große Chance, einen gefährlichen Krisenherd zu beseitigen, wenn rechtzeitig mit dem gemeinsamen Nachdenken und Handeln aller Demokraten begonnen wird. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat die Kollegin Frau Dr. von Teichman.

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, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zeigt, daß wir alle mit Besorgnis und mit großem Ernst die jüngsten Entwicklungen in Jugoslawien beobachten. Bei dieser Debatte befinden wir uns auf einer Gratwanderung. Einerseits können und wollen wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen. Andererseits ist Deutschland als Mitglied der Völkergemeinschaft, als Unterzeichner von Menschenrechtskonventionen aufgerufen, zu den Menschenrechtsverletzungen und zu den Rückschritten im Demokratisierungsprozeß in Jugoslawien deutlich Stellung zu nehmen. ({0}) Der Deutsche Bundestag darf dazu einfach nicht schweigen. Darüber hinaus berühren die Auseinandersetzungen in Jugoslawien unsere Interessen als Nachbarn in Europa, auch ganz direkt. Die Instabilität der Föderation bedeutet nicht nur eine Gefahr für den inneren Frieden Jugoslawiens, sondern bedroht auch die Stabilität der ganzen Region und Europa insgesamt. Wir haben ein großes Interesse, daß die Integrität Jugoslawiens erhalten bleibt. Wer heute nur noch den einen Weg heraus aus der Föderation sieht, der sei daran erinnert, daß eine unbedachte Loslösung mehr Schaden als Nutzen bringen kann. Emotionen, mögen sie noch so verständlich sein, sind ein schlechter politischer Ratgeber. Auch die Interessen Gesamteuropas an einer berechenbaren Entwicklung sollten hier nicht unbeachtet bleiben. Aber, meine Damen und Herren, eine Integration um jeden Preis kann auch nicht das Ziel sein. Die Integrität darf nur auf demokratische Art und Weise erhalten werden. ({1}) In einer Zeit, in der Europa immer mehr zusammenwächst und in der unser Kontinent auf beispielhafte Weise vorführt, wie friedliche Diskussion und konstruktiver Interessenausgleich sogar unter einst verfeindeten Staaten und Völkern aussehen können, muß es möglich sein, einen Weg zu finden für einen friedlichen Dialog. Alles andere wäre gefährlicher Anachronismus. Wir müssen an den jugoslawischen Ministerpräsidenten und an alle beteiligten Gruppen appellieren, diesen friedlichen Weg zu gehen. Selbstverständlich ist es notwendig, daß alle Bevölkerungsgruppen in dem Vielvölkerstaat Jugoslawien über die Form ihres Zusammenlebens selbst entscheiden. ({2}) Diese Form des Zusammenlebens kann nur von Dauer sein, wenn sie das Ergebnis eines demokratischen Entscheidungsprozesses, eines friedlichen politischen Dialoges ist. Selbstverständlich, meine Damen und Herren, müssen die Menschen- und Minderheitsrechte auf allen Seiten gewahrt bleiben, muß die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet sein. Wer die Autonomie im Kosovo abschafft, der hat keine überzeugende Position, wenn er andererseits für sich selbst als Minderheit in Kroatien Autonomie fordert. ({3}) Gewalt und Unterdrückung führen zu keiner dauerhaften Lösung, sondern enden nur in einer ausweglosen Situation. Sie würden das Leben vieler Menschen - nicht nur in Jugoslawien - gefährden und der demokratischen Entwicklung ein Ende setzen. Damit wäre aber auch die weitere Annäherung Jugoslawiens an die Europäische Gemeinschaft gefährdet. Einsicht und Kompromißbereitschaft sind gefragt. Die Grundsätze der Charta von Paris für ein neues Europa müssen eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten des Europarates und die KSZE-Staaten sind aufgerufen, sich diesem Problem intensiv zu widmen und zu Lösungsansätzen beizutragen. Meine Damen und Herren, es ist nicht zu übersehen, daß, wie so häufig, auch dieser Konflikt in Jugoslawien nicht nur ethnische, religiöse und politische Gründe hat, sondern auch materielle Ursachen. Das soziale und wirtschaftliche Gefälle bei gleichzeitiger Anwesenheit von Minderheiten der jeweils anderen Republik führt zu erheblichen Spannungen. Eine Angleichung der Lebensverhältnisse ist eine Voraussetzung für den dauerhaften Bestand einer Föderation. Dies gilt für den Vielvölkerstaat Jugoslawien genauso wie für die Völker der Europäischen Gemeinschaft. Hier ist die Europäische Gemeinschaft - hier sind auch wir als Bundesrepublik gefordert. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Auch vom Präsidium einen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Jungfernrede. Nun hat der Kollege Verheugen das Wort.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es zeichnet sich ab, daß dies eine Aktuelle Stunde wird, in der wir in der Frage, wie das zu beurteilen ist, was sich in Jugoslawien vor unseren Augen abspielt, breit übereinstimmen. Es zeichnet sich aber auch ab, daß dies eine Debatte wird, an deren Ende das Gefühl einer gewissen Ohnmacht, vielleicht sogar Resignation, übrigbleibt, weil nur sehr wenig zu sehen ist, was wir denn tatsächlich tun können, um dem Zerfall eines politischen und gesellschaftlichen Systems wie Jugoslawien entgegenzuwirken. Man muß sich klar darüber sein: Es handelt sich in erster Linie um einen gesellschaftlichen und daraus folgenden staatlichen Zerfall. Jugoslawien ist deshalb ein so bedrückendes Beispiel, weil - ein Blick in die Geschichte Europas dieses Jahrhunderts zeigt dies - Jugoslawien ganz sicher die schwierigste aller Staatsgründungen gewesen ist. Man muß den Jugoslawen jetzt auch einmal etwas Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Tatsache, daß sie es so lange geschafft haben, unter den Bedingungen zusammenzuleben, unter denen sie zusammenleben mußten, ist eine beachtliche Leistung. ({0}) Man mag von dem früheren Staatschef Tito in vielerlei Hinsicht denken, was man will, aber daß er dieses Land zusammenhalten konnte - er konnte es - , ist unabhängig von allem anderen tatsächlich eine Leistung, die man jetzt vielleicht noch deutlicher sieht als früher. ({1}) Das gesellschaftliche Modell, das Jugoslawien einmal war, ist lange dahin. Eben hat es etwas Unruhe gegeben. Darum möchte ich darauf hinweisen, daß die gesellschaftliche Alternative, die Jugoslawien dargestellt hat, von weiten Teilen nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Linken mit großer Sympathie betrachtet worden ist, und zwar in einer Zeit, als die europäische Linke noch bis tief in die Sozialausschüsse der Union hineinreichte - ich gebe zu: das ist heute nicht mehr der Fall; aber das war ja mal so -; ({2}) außerhalb der europäischen Linken ist es, Herr Kollege, wenigstens mit Interesse als eine Alternative innerhalb des kommunistischen Systems betrachtet worden. - Sie - das weiß ich - haben da nie Grautöne gesehen. Für Sie gab es immer nur schwarz und weiß, wie überhaupt in der Politik. Deshalb habe ich Sie aus dieser Darstellung ausdrücklich ausgenommen. Der staatliche Zerfall, den wir jetzt sehen, ist die Folge der Tatsache, daß es auch diesem jugoslawischen Modell nicht gelungen ist, die sozialen Spannungen, speziell zwischen Nord und Süd, zu überwinden. Dann sind eben all die alten Probleme, die kulturellen und die ethnischen Gegensätze, wieder aufgebrochen, die Gegensätze an der Nahtstelle, wenn ich das so sagen darf, des alten Abendlandes und des alten Morgenlandes. Ganz sicher ist es auch so, daß in einer solchen Situation alte Ressentiments erwachen. Das Schlimmste, was passieren konnte, ist geschehen: Der alte Streit von Nationalitäten um die Vorherrschaft entstand neu. Darum muß hier noch ein deutliches Wort zu Serbien gesagt werden: Ich halte nichts davon, Serbien in der innerjugoslawischen Auseinandersetzung in die Rolle des bösen Buben zu schicken. Es gibt in Serbien auch andere als Milošvić und seine Partei, mit denen es sich auch zu reden und zu diskutieren lohnt. Was aber nicht hingenommen werden kann, ist die massive, sich fortsetzende, sich sogar noch steigernde Menschenrechtsverletzung in Kosovo. Hier ist den Menschen die Autonomie weggenommen worden. Was sich im Augenblick abspielt, ist eine Form von Repression, die ganz offensichtlich darauf angelegt ist, die Albaner aus Kosovo zu vertreiben. Sie sollen dazu gebracht werden, daß Land zu verlassen. ({3}) - Das ist wie in anderen Teilen der Welt, die wir beide gut kennen, Herr Kollege Lummer, ein Fall, wo die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen eines Landes zu Staatsbürgern zweiter oder sogar dritter Klasse gemacht wird. Wie wir das in dem Teil, den wir beide im Auge haben, nicht wollen, so wollen wir das auch in Kosovo nicht. Das ist vollkommen klar. ({4}) Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag in dieser Aktuellen Stunde sehr deutlich den Apell an Serbien richtete, den Autonomiestatus von Kosovo wiederherzustellen und den Menschen dort das Verbleiben zu ermöglichen. Denn auch das wollen wir sagen: Der Auswanderungsdruck, der dort erzeugt wird, ist einer, der - das sage ich ganz egoistisch - auch uns erreichen kann ({5}) - und uns bereits erreicht - und der uns Probleme schafft. Aber er ist auch einer, der in der Region selber ein internationales Problem schafft. In Verbindung mit den Problemen, die wir ohnehin schon in Albanien haben, ist das möglicherweise außenpolitisch gesehen der gefährlichste Aspekt. Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Ich rate sehr dazu, daß sich die Bundesregierung und wir uns innerhalb des Hauses ernsthaft Gedanken darüber machen, was wir tun können, um Einfluß zu nehmen. Da werden alsbald Fragen auf uns zukommen, die zu beantworten sind: Wie gehen wir denn damit um, wenn sich Slowenien und Kroatien abtrennen und dann vielleicht in die Europäische Gemeinschaft wollen? Sagen wir Ihnen: Wir sind nicht an jugoslawischen Teilrepubliken interessiert, sondern wir wollen Jugoslawien unbedingt als Ganzes? Wollen wir sagen: Wir wollen Jugoslawien um jeden Preis als Ganzes, auch dann, wenn es ein nicht demokratisches, nicht pluralistisches, ein von einer ethnischen Gruppe hegemonial beherrschtes System sein sollte? Das sind die Fragen. Ich bin im Moment - ebensowenig wie die meisten hier - nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben. Darum begrüße ich es, daß diese Aktuelle Stunde stattfindet, damit zumindest einmal das Problem definiert werden kann. ({6})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Kollege Schäfer.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt die aktuellen Entwicklungen in Jugoslawien mit großer Aufmerksamkeit und Sorge. Die gestrigen Beschlüsse des slowenischen Parlaments zu einer einvernehmlichen Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und die heutigen Beschlüsse des kroatischen Parlaments, wie wir sie gerade dem Ticker entnehmen - sind ein weiterer Schritt in Richtung auf eine Veränderung der bisherigen Staatsordnung dieses Landes. Der Anfang des Jahres begonnene politische Dialog des jugoslawischen Staatspräsidiums, der Republikführung und der jugoslawischen Bundesregierung über die zukünftige staatliche Ordnung des Landes wird zwar fortgesetzt, hat jedoch bisher keine substantiellen Fortschritte erbracht. Er wird von vielfältigen Gegensätzen und Interessenkonflikten überschattet, insbesondere von einem scharfen Konflikt zwischen Serbien, der jugoslawischen Volksarmee und der kroatischen Führung. Das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Slowenien und Kroatien haben als Frist für Ergebnisse der Gespräche den Zeitraum bis Ende Juni 1991 gesetzt und drohen andernfalls mit dem Austritt aus Jugoslawien. Durch die anhaltenden und hier auch von allen Kollegen dargestellten Menschenrechtsverletzungen im Kosovo ist die Lage zusätzlich beeinträchtigt worden. Die jugoslawische Bundesregierung hat größte Schwierigkeiten - auch das ist heute deutlich geworden - , das weitere Funktionieren des Staates durch ein Minimalprogramm sicherzustellen, bis die Gespräche über die zukünftige staatliche Ordnung Jugoslawiens Ergebnisse zeigen. Der Zusammenbruch des Handels mit den Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, der Ausfall des Sowjetöls und die Auswirkungen des Golfkonfliktes haben die wirtschaftlichen Probleme Jugoslawiens noch verschärft. Folgen sind wirtschaftliche Schrumpfung - allein im letzten Jahr minus 10 % -, sinkende Investitionen - 1990 eine Verringerung von 20 % -, Inflation - im vergangenen Jahr 120 % -, steigende Arbeitslosigkeit und ein rasch wachsendes Defizit in der Handelsbilanz, das 1990 erstmals seit langem zu einer negativen Leistungsbilanz geführt hat und den in den letzten Jahren erreichten Zahlungsbilanzüberschuß gefährdet. Zwar ist es - das ist auch zu Recht gesagt worden - innere Angelegenheit der Jugoslawen, über die Zukunft ihres Staates selbst zu entscheiden. Es ist jedoch zu hoffen, daß es gelingt, diese Entscheidungen - gleichgültig, wie sie ausfallen werden - zwischen allen Beteiligten einvernehmlich zu treffen. Andernfalls wäre nicht nur der innere Frieden Jugoslawiens, sondern auch die Stabilität in ganz Südosteuropa gefährdet. Schon jetzt ist das Verhältnis Jugoslawiens zu einigen Nachbarstaaten belastet: zu Ungarn wegen ungarischer Waffenlieferungen an Kroatien, zum sich öffnenden Albanien wegen des Kosovo, zu Griechenland und Bulgarien wegen eines wachsenden, teils mit Gebietsansprüchen einhergehenden mazedonischen Nationalismus. Wir sind uns mit unseren Partnern in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit einig, daß der Erhalt Jugoslawiens und die Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens seiner Völker und Republiken nur auf der Grundlage von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Ergebnisse eines friedlichen politischen Dialogs, der auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie die Menschen- und Minderheitsrechte berücksichtigt, möglich sein wird. Die Anwendung von Gewalt würde dagegen mit Sicherheit in eine ausweglose Situation führen. Schon die Drohung mit Gewalt widerspricht den von Jugoslawien auf der Grundlage der KSZE-Dokumente eingegangenen Verpflichtungen, insbesondere der Charta von Paris für ein neues Europa und des Kopenhagener Dokuments, und gefährdet die weitere Annäherung des Landes an die Europäische Gemeinschaft. Dieser Haltung haben die Zwölf am 5. Februar in einer Demarche bei der jugoslawischen Regierung, die anschließend den jugoslawischen Republiken zur Kenntnis gegeben wurde, zum Ausdruck gebracht. Der Bundeskanzler hat in einem Schreiben vom 7. Februar - der Kollege Vogel hat es zitiert - an den jugoslawischen Ministerpräsidenten Markovic sein persönliches Engagement in dieser Angelegenheit fortgesetzt. Die Demarche der Zwölf und das Schreiben des Bundeskanzlers fanden breiten Widerhall in der jugoslawischen Öffentlichkeit und haben ihre Wirkung insofern nicht verfehlt, als sich die Lage seitdem etwas entspannt hat. ({0}) - Ich habe auch von der Demarche der Zwölf gesprochen, Herr Kollege. Wenn Sie nur auf den Bundeskanzler abheben, waren Sie vielleicht etwas voreilig. - Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine Einmischung der Armee in den innerjugoslawischen Dialog. Signale einer gewissen Flexibilität kommen auch aus Serbien, das einer Verlegung des für den 22. Februar angesetzten nächsten Krisengipfels nach Sarajewo zugestimmt hat. Soweit wirtschaftliche Faktoren dazu beitragen können, die innerjugoslawischen Gegensätze abzubauen, sei auf folgendes verwiesen: Neben der politischen Unterstützung Jugoslawiens im Rahmen der Zwölf unterstützt die Bundesregierung aktiv die langjährige erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit des Landes mit der Europäischen Gemeinschaft. Das bereits 1980 abgeschlossene Kooperationsabkommen wird ergänzt durch Finanzprotokolle, deren Mittel überwiegend für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden. Dies liegt auch im Interesse der Gemeinschaft, für die Jugoslawien schließlich Transitland ist. Ende Dezember 1990 einigte sich die Gemeinschaft auf die finanziellen Ansätze im Verhandlungsmandat für das 3. Finanzprotokoll 1991 bis 1996: 730 Millionen ECU Darlehen der Europäischen Investitionsbank und 77 Millionen ECU Zuschüsse aus dem EG-Haushalt. Gleichzeitig mit dem Finanzprotokoll soll mit Jugoslawien ein Transitabkommen ausgehandelt werden. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, daß Jugoslawien Mittel aus dem sogenannten PHARE-Programm der EG für die mittel- und osteuropäischen Länder im Rahmen der Gruppe der 24 erhält. Jugoslawien wünscht die Einbeziehung in das EGAssoziierungskonzept mit den mittel- und osteuropäischen Ländern. Wir unterstützen diesen Wunsch und hoffen, daß die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Aufnahme erfolgversprechender Assoziierungsverhandlungen hoffentlich bald erfüllt werden. Im Einklang mit den Zwölf wird die Bundesregierung im Dialog mit der jugoslawischen Regierung auch weiterhin für die Prinzipien der Demokratie, der Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte und des friedlichen Dialogs als Grundlagen für die Bestimmung der Zukunft des Landes eintreten. Die Bundesregierung hält es für wichtig, daß von deutscher Seite auch das Gespräch mit den jugoslawischen Republiken geführt wird. Die Bundesregierung appelliert an alle verantwortlichen Kräfte in Jugoslawien, in verantwortungsbewußtem Handeln dazu beizutragen, daß eine Form gefunden werden kann, in der die Völker Jugoslawiens auf demokratischer Grundlage ihren Platz in der europäischen Familie finden. Vielen Dank. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.

Dr. Hans Stercken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002246, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa geht den Weg der Vereinigung, der Integration, der Demokratie und der Respektierung der Menschenrechte. Dies ist der Weg zum Frieden, der Weg zur Sicherheit durch Zusammenarbeit. Die Überzeugungen und Erfahrungen, die wir in der Europäischen Gemeinschaft machen, empfehlen wir anderen, die auch ihre regionalen Probleme entspannen könnten, wenn sie sich dieser Prinzipien bedienen würden. Die ethnischen Eigenarten sind dann kein Abgrenzungskriterium mehr. Für die meisten ist aber die Wertvorstellung der Einheit nur interessant und attraktiv, wenn sie sich in pluraler Mannigfaltigkeit erreichen läßt. Es geht nicht nur um Wirtschaft und Finanzen, so wichtig das Überleben auch sein mag. Natürlich ist die damit verbundene soziale Dimension Bestandteil des Europas der Bürger, aber zum Bild des Menschen gehören zunächst einmal seine Rechte, der Schutz der Persönlichkeit, wie ich denke. Der Auswärtige Ausschuß hat mit einer Delegationsreise im November des vergangenen Jahres ver412 deutlichen wollen, was wir von neuen Partnern in Europa erwarten. Aber wir entdeckten in unseren Gesprächen sehr unterschiedliche Einstellungen zu grundsätzlichen Fragen. Oft schien der regionale Nationalismus stärker ausgeprägt als die Bereitschaft, sich im Sinne der Politik der Europäischen Gemeinschaft und des Europarates länderübergreifenden Orientierungen und Aufgabenstellungen zuzuwenden. Europa besitzt schon seine transnationalen Strukturen, wendet also eine andere Qualität von Außenpolitik an im Vergleich zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts. Jede Halbherzigkeit, jeder engstirnige Nationalismus erschwert daher die Verbindung mit Europa. Das müssen alle Republiken Jugoslawiens erkennen und akzeptieren. Sonst geht die Grenze zwischen Billigung und Ablehnung einer europäischen Option quer durch das Land. Nicht die ökonomischen Ungleichgewichtigkeiten sind das Trennende - die gibt es auch in anderen europäischen Ländern -, das Bekenntnis zu den neuen europäischen Strukturen ohne jedweden nationalstaatlichen Chauvinismus ist das eigentliche Entscheidungskriterium, um das es uns geht, wenn wir uns mit unseren Gedanken und Empfehlungen in diesen sich immer mehr zuspitzenden Prozeß einschalten. Wir werben für ein uns allen willkommenes europaorientiertes Jugoslawien, in dessen Republiken insgesamt dieses Konzept und seine Konsequenzen bejaht und vollzogen werden müssen, nicht nur in den nördlichen. Der Auswärtige Ausschuß hofft, in Kürze seine Gespräche mit den Kollegen aus den Republiken Jugoslawiens fortsetzen zu können. Wir haben, wie die Kollegen aus anderen Parlamenten, aus dem Europäischen Parlament und dem Europarat in Belgrad und in den Hauptstädten der Republiken keinen Zweifel daran gelassen, daß es kein Europa ohne freie Europäer, keine wirtschaftlichen Vorteile ohne die Akzeptanz grenzüberschreitender Gemeinsamkeiten auf der Grundlage von Marktwirtschaft, Freiheit und Recht gibt. ({0}) Wir warten jetzt auf überzeugende Zeichen der europäischen Neuorientierung aus Serbien und den anderen südlichen Republiken. Dies so offen anzusprechen ist, so denke ich, ein Zeichen der Ehrlichkeit und nicht unerlaubte Einmischung. Gemeinsamkeit kann nur zustande kommen, wenn sich alle Republiken Jugoslawiens an diesen Prinzipien gleichermaßen ausrichten: an der europäischen Freiheit und Freizügigkeit, am Respekt vor dem Recht aller Menschen. Diese Werte liegen dem europäischen Frieden zugrunde, um den es letzten Endes geht. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon in den Beiträgen der anderen Kollegen deutlich geworden, daß wir kein Interesse an einer weiteren Desintegration Jugoslawiens und an einer völligen Loslösung einzelner Republiken vom bisherigen jugoslawischen Staatsverband haben. Auf der anderen Seite kann dieser Staat nicht mit Gewalt und auch nicht mit dem Anspruch etwa der Armee oder dominierender Parteien oder dominanter nationaler Minderheiten, Hüter der Einheit zu sein, zusammengehalten werden. Dabei füge ich hinzu, Herr Kollege Vogel: Nicht die Reste ideologischer Machtstruktur allein schaffen das Problem, das trennend ist, sondern es sind ebenso sicher die religiösen, wirtschaftlichen und ethnischkulturellen Faktoren, die trennend wirken und dies auch weiterhin tun werden. Soweit es überhaupt noch Chancen für einen Zusammenhalt gibt, können sie nur auf der Basis der Gleichberechtigung, der Freiwilligkeit und allseitiger Kompromißbereitschaft genutzt werden. Gerade im letzten Punkt haben die Jugoslawen bisher ein erstaunliches Standvermögen an den Tag gelegt. Ich hoffe, daß man darauf auch weiterhin bauen kann. Lassen Sie mich einige Bemerkungen aus der Sicht eines Mitglieds der Delegation des Europarats machen. Jugoslawien hat vor einem Jahr, als der Desintegrationsprozeß noch nicht soweit fortgeschritten war, den Antrag gestellt, Vollmitglied des Europarats zu werden. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats - Der Kollege Reddemann weiß das als unmittelbar Beteiligter auch sehr gut - hat sich bisher noch nicht in die Lage versetzt gesehen, diesem Antrag zuzustimmen. Nicht zuletzt die Vorgänge im Kosovo spielen dabei ein erhebliche Rolle. Es sind im wesentlichen zwei Bedingungen, die nach der Diskussion im Politischen Ausschuß des Europarats zu erfüllen sind. Die eine Voraussetzung besteht darin, daß freie Wahlen auf der Ebene des Bundesstaats abgehalten werden, falls die künftige Verfassung dies überhaupt noch vorsieht. Die zweite Voraussetzung ist die Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention, also auch des dort enthaltenen Rechts auf Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, eine Ratifizierung ohne jeden Vorbehalt, und sei es auch nur ein territorialer Vorbehalt. Das schließt ausdrücklich die Möglichkeit von Individualbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern des Kosovo in Straßburg ein. Damit bin ich bei einem weiteren Problem. Wir brauchen - unabhängig davon, ob die Erhaltung des jugoslawischen Bundesstaats gelingt oder nicht - dringend eine europäische Minderheitenschutzkonvention, ({0}) die auch ein Klagerecht von nationalen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten und deren frei gewählten Vertretern beim Straßburger Gerichtshof garantiert. Das geht weit über die Probleme Jugoslawiens hinaus und betrifft alle Minderheiten im zusammenwachsenden Europa, natürlich auch im zuDr. Soell sammenwachsenden Deutschland, bis hin zu den Mitbürgerinnen und Mitbürgern sorbischer Sprache und Kultur. Hierbei ist festzustellen, daß die Parlamentarische Versammlung des Europarats in seiner sehr ausführlichen Empfehlung an den Ministerrat vom Herbst 1990 eine wichtige Vorarbeit geleistet hat. Jetzt ist es am Ministerrat, bei uns natürlich vor allen Dingen Sache des federführenden Außenministeriums, die notwendige Feinarbeit beschleunigt voranzutreiben. Das Warten auf etwaige Ergebnisse der KSZE-Konferenz, die im Juli diese Jahres stattfinden soll, bringt nach unserer Meinung eine Verzögerung mit sich, die nicht zu verantworten ist. Die Probleme, die es in West- und Südeuropa, auch in Ländern der Europäischen Gemeinschaft und damit des Europarates, gibt, sind zwar nicht zu übersehen, sie sollten uns aber angesichts der ungleich größeren, ungleich brennenderen Minderheitenproblematik im östlichen und südöstlichen Europa - bis hin zur Sowjetunion - nicht daran hindern, die Arbeit an einer Minderheitenschutzkonvention beschleunigt voranzubringen. Solange diese Konvention nicht existiert, bietet der Europarat durch seine Versammlung seine guten Dienste als Berater, als Vermittler und als Dialogpartner an; denn wir wollen zumindest den bisher erreichten Gaststatus für Jugoslawien nicht gefährden, sondern erhalten. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld beim Zuhören. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Dies ist zwar die erste Debatte über eine neue Situation im Südosten Europas, aber es ist sicher nicht die letzte. Denn wir wollen uns darüber im klaren sein, daß die vielen Zündstoffe, die sich angesiedelt haben, nicht nur in Jugoslawien liegen, sondern daß die stalinistische Herrschaft über Ost-und Südosteuropa nur verdeckt hat, daß in einer Fülle von Staaten ähnliche Probleme mit Minderheiten und ähnliche Fragen der Grenzen eine große Rolle spielen, und zwar in ständig steigendem Maße. Ich fürchte also, wir werden über dieses Thema noch häufiger sprechen müssen. Ich bedanke mich beim Herrn Kollegen Soell, daß er den Europarat ins Spiel gebracht hat; denn ich glaube, es ist zwingend notwendig, daß wir die Situation in Jugoslawien und auch auf dem Balkan überhaupt nicht nur aus dem nationalen Interesse betrachten. Wir müssen den Maßstab anlegen, den der Europarat in vielen Jahren erarbeitet hat und der es erforderlich macht, die Situation eines Landes eben nicht nur nach den Fragen: Wie groß ist welcher Wirtschaftsanteil? Wie interessiert sind wir an möglichen Sicherheitsmaßnahmen? zu bewerten. Der Maßstab, den wir anlegen, lautet: Wo ist die Souveränität eines Staates, wo ist das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und wo vor allem sind die Menschenrechte, die jedem einzelnen zustehen, in einem solchen Staat gesichert? An dieser Stelle sollten wir in aller Ruhe sagen - hierbei hebe ich mich vielleicht ganz wenig von dem ab, was der eine oder andere hier gesagt hat - : Es kommt nicht nur auf die Frage an, ob wir Jugoslawien auf jeden Fall erhalten sehen möchten. Selbstverständlich hätten auch wir Deutschen dies aus unserer generellen Sicht gerne gesehen. Aber vergessen wir bitte nicht: Es gibt in Europa auch eine Fülle kleiner Staaten, die wesentlich weniger Einwohner haben als etwa ein slowenisch-kroatischer Staat oder vielleicht auch als ein slowenischer und ein kroatischer Staat. Die Politiker und die Menschen in diesen Staaten sind durchaus nicht ohne weiteres der Auffassung, daß nur große Staaten - jetzt sage ich einmal: ein wieder größer gewordener Staat wie Deutschland - in Europa das Normale sind. Deswegen ist meine feste Überzeugung: Es ist zwingend notwendig, daß wir das Thema Selbstbestimmungsrecht in der Frage der Entwicklung in Jugoslawien an den Anfang stellen; ({0}) denn dann sind wir in Einklang mit den übrigen europäischen Staaten. Ein zweiter Punkt ist wichtig, und er ist aus der Sicht des Europarats geradezu zwingend. Wir sind zwar mit Jugoslawien seit vielen Jahren im Gespräch, in einem positiven Gespräch, wie ich als Teilnehmer vieler solcher Gespräche sagen kann. Aber wir müssen noch immer feststellen, daß die Menschenrechte nicht nur im Kosovo, sondern vor allem auch in den südlichen Republiken der augenblicklichen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nicht garantiert worden sind. Wir erleben immer wieder, daß Delegationen zu uns nach Straßburg mit ganz konkreten Fällen kommen, bei denen deutlich ist, daß dort der Polizeistaat - egal, ob er nun kommunistisch untermauert ist oder nationalistisch gefüttert worden ist - noch immer in dieser Form besteht. Dies bedeutet, daß für uns der zweite Punkt entscheidend sein muß, daß wir Jugoslawien oder Teile Jugoslawiens erst dann in der europäischen Völkerfamilie so voll begrüßen können, wie wir es möchten, wenn auch diese Fragen der Menschenrechte geklärt sind und man nicht dauernd mit neuen Vorwürfen gegen Polizei, gegen die Justiz und gegen die Armee rechnen muß. Meine Damen, meine Herren, es wäre schön, wenn wir es schaffen würden, uns nicht jetzt noch über die Frage zu streiten, wie denn das jugoslawische System, das jugoslawische Modell richtig wäre. Es hat mich tief beeindruckt, daß der Herr Kollege Modrow darüber gesprochen hat. In den Zeiten, als ich noch in der sogenannten DDR leben mußte, war Titoismus etwas, das mit Gefängnis bestraft wurde. Es hat mich etwas amüsiert, daß der Herr Kollege Verheugen voll in diese Sache hineingefahren ist. Als er noch in der Partei dort drüben war, hat einer seiner Parteivorsitzenden gesagt, das jugoslawische Modell sei praktisch das Ärgernis des Kapitalismus und des Sozialismus zusammen. Wir wollen darüber heute keine Diskussion führen. ({1}) - Verehrter Herr Kollege! Reden wir nicht weiter darüber. Da Sie sich ja eben selbst als Meister der Grautöne bezeichnet haben, ist mir das Thema egal. Ich habe nur eine abschließende Bitte: daß wir in den Punkten, in denen die Möglichkeit besteht, miteinander zu arbeiten und miteinander auch gegenüber Jugoslawien oder Teilen Jugoslawiens tätig zu sein, diese Gemeinsamkeit erhalten, damit wir auf die Weise in einem Teil Europas die Menschenrechte ein Stück stabilisieren und auch ein Stück zur Gemeinsamkeit Europas beitragen. ({2})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Kollege Koschnick.

Hans Koschnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001185, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ganz wenige Worte! Ich spreche hier als ein Mann, der in jungen Jahren am Straßenbau in Jugoslawien mitgearbeitet hat, um einen Teil der Folgen des Krieges in einem Land zu beseitigen, das ungemein unter deutscher Besatzung gelitten hat. Ich gehöre zu einer jungen Generation, die damals hoffte, daß ein Modell wie Skandinavien in sozialen Fragen, die Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien und die Kibbuz-Bewegung in Israel neue Perspektiven geben könne. Ich weiß, es war falsch. Aber ich sage nichts gegen die Hoffnung, die wir Jungen damals hatten, weil es neue Entwicklungen waren. In diesem Parlament gibt es eine Menge Leute, die eine Zeitlang für Jugoslawien waren, nur weil sie antistalinistisch waren, und die manches getan haben, weil Jugoslawien auf einer anderen Ebene gearbeitet hatte. Andere waren der Meinung, es gebe eine neue Veränderung in einem sozialen Bezug, wie wir sie erhofft haben, was aber, wie wir hinterher festgestellt haben, sehr unrealistisch war. Wir haben alle gelernt, ich jedenfalls, und ich meine, ich müßte mich deswegen nicht schämen. Eines aber weiß ich: Zu einem Zeitpunkt, zu dem wir uns gemeinsam bemühen, in Richtung auf eine politische Union in Europa hinzuarbeiten, während wir in Richtung auf die Vereinigten Staaten von Europa arbeiten - ich greife gern auf, was Hans Stercken vorhin hier gesagt hat - , stellen wir zugleich fest, daß die Auflösung des Kalten Krieges in Europa neue Dinge zum Aufbruch bringt, von denen wir gehofft hatten, sie wären überwunden. Nicht nur im jugoslawischen Bereich, auch in anderen Teilen zeigen sich neue Nationalismen, die wir ernst zu nehmen haben, und zwar nicht weil wir Antworten zu geben haben. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" , ist nicht meine Position. Aber ich wäre sehr froh, wenn es eine Perspektive für den Balkan gäbe, die nicht in die Jahre nach 1900 und zu den ersten drei Balkankriegen mit dem „Pulverfaß Balkan" zurückführt, die auch nicht zur panslawistischen Position nach 1919 hinführt, sondern deutlich macht: Es müßte eigentlich besser sein, wenn sich die Nationen in Europa verständigen könnten, dieses Europa in einer größeren Gemeinschaft aufzubauen, wie Sie es, Herr Stercken, ja vorhin gesagt haben. Von daher sage ich: Alles, was die Auflösung in Jugoslawien bewirkt, ohne eine Perspektive für Europa zu bringen, ist für mich ein Zurück nach gestern. Nur: Ich bin kein jugoslawischer Staatsbürger, ich bin kein Staatsbürger von Slowenien, obwohl mein Name slowenisch sein könnte. ({0}) - Nein, nein! Ich bin Kaschube. Mein Name heißt im Kaschubischen „Korbmacher" . In Slowenien hieße ich Mäher. Korbmacher ist glaubwürdiger. ({1}) Ich weiß nicht genau, ob wir nicht eigentlich eine Position einnehmen müßten zu sagen: Können wir den Menschen nicht mit einer Perspektive in die Zukunft helfen, statt zu dem Alten zurückzukehren? Das ist eine Frage, mit der wir auch am Baltikum konfrontiert sind, mit der wir konfrontiert sind in bestimmten Bereichen Europas, in der Sowjetunion, in der Moldawischen Republik und in anderen Gebieten. Wo sind die Antworten? Können wir nicht - ohne daß wir sagen, wir wissen es besser - einen Weg finden, gemeinsam etwas zu bauen, das uns weiterhilft? Wenn die Menschen sagen: Aber nicht mehr in dieser Konstruktion, dann, sage ich, sollen sie entscheiden, einen anderen Weg zu gehen. Aber werben werde ich dafür, nicht auseinanderzulaufen, sondern neue Formen des Miteinanders zu finden. Das gilt für Slowenien, das gilt für Kroatien, das gilt für andere Bereiche. Gleichzeitig sage ich: Ich bin für den Europarat als eine Perspektive, zunächst einmal den großen Brükkenbau zu schaffen, die geistig-kulturellen europäischen Dinge zusammenzuführen, die Menschenrechtsfragen, die kulturellen Fragen, die Rechtsfragen anzugehen. Dann kann man aber kein Strafrecht mehr haben wie noch vor einem Jahr Jugoslawien, wo Gesinnung statt Taten bestraft wurde. ({2}) Das hat sich inzwischen geändert. Ich bin der Meinung, wir haben Perspektiven in der Menschenrechtsfrage. Ich kann sie aber nicht lösen, indem ich sage: Ich weiß genau, wo die Grenze ist, ich weiß, was weiter gemacht werden muß. Eines weiß ich auch: Eine Dezimierung Europas in einem bestimmten Haus außerhalb des EG-Rahmens in immer kleinere Staaten bedeutet, daß immer weniger Staaten ökonomisch lebensfähig sein werden. Wir werden die politische Umstrukturierung erreichen: Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie. Und dann bricht die Demokratie zusammen, weil am Ende die materiellen Voraussetzungen für die Demokraten, die entscheiden, nicht mehr gegeben sind. ({3}) Wir haben doch alle 1933 und anderes mitgemacht. Laßt uns also gemeinsam nachdenken und nicht sagen: Wir wissen es besser. Laßt uns den Dialog erhalten und sagen: Nicht das Sprengen Europas, nicht das Sprengen eines Verbandes ist die Antwort, sondern die Antwort kann nur lauten: Soviel Freiheit wie möglich, soviel Selbstbestimmung wie möglich, Menschenrechte nicht soviel wie möglich, sondern prinzipiell, und Wege, die dabei helfen können, daß wir Europa gemeinsam zusammenhalten. Das wäre meine Antwort. Lassen Sie uns da zusammenarbeiten. Danke schön. ({4})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als vor vier Jahren. die Föderative Sozialistische Volksrepublik Jugoslawien ihre Unterschrift unter die europäische Kulturkonvention setzte, haben viele in Europa gehofft, daß zu diesem Zeitpunkt eine neue Entwicklung beginnen könnte. Jugoslawien ist Mitglied im Rat für Kulturelle Zusammenarbeit geworden, als erstes jener Länder, die im Rahmen des Auflösungsprozesses des Warschauer Paktes erst im letzten Jahr dazugekommen sind. Es war übrigens damals neben Finnland das einzige Land außer den Mitgliedsländern des Europarates, das die Kulturkonvention unterschrieben hatte. Auch die bilaterale und transnationale Zusammenarbeit in verschiedenen Gremien wie etwa der Arbeitsgemeinschaft Alpen/Adria mit den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien hat gezeigt, daß Jugoslawien auf dem Wege zu Europa war. Im Februar 1989 hat auf einer ZK-Sitzung des Bundes der Kommunisten, der regierenden Partei, der damalige Vertreter Sloweniens, Milan Kucan, folgendes zu Protokoll gegeben: Jugoslawien wird eine demokratische Gesellschaft werden oder nicht mehr existieren. Es kann keine Demokratie ohne politischen Pluralismus geben. Ich glaube, das war eine sehr kluge Aussage auf dieser ZK-Sitzung. Nur, die Entwicklung, die wir seitdem erlebt haben, hat offensichtlich gezeigt, daß dies in Gesamtjugoslawien nicht möglich war. Während in Slowenien und Kroatien der Weg zur Demokratie beschritten wurde, erlebten wir in anderen Teilen Rückschläge. In Serbien wurde gar ein gegenteiliger Weg beschritten. Unter Mißachtung selbst der gültigen Bundesverfassung wurden die beiden autonomen Provinzen Woiwodina und Kosovo ihrer Unabhängigkeit beraubt. Lassen Sie mich hier nur eine kleine Nebenbemerkung zu dem Kollegen Verheugen machen: Ich gehe nicht so weit, zu sagen: Die große Leistung Titos besteht darin, daß er Jugoslawien zusammengehalten hat; denn es kommt immer auch auf die Methoden an, mit denen ein Staat zusammengehalten wurde. ({0}) Während Apartheid in Südafrika auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wird, feiert sie im Kosovo fröhliche Urständ. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie Schulunterricht für Albaner heute abgehalten wird, wenn Sie berücksichtigen, daß 1 400 mittelständische Betriebe geschlossen wurden, dann wissen Sie, daß der Weg zu Pluralismus und Demokratie dort sicher nicht begangen wird. Der Bund der Kommunistischen Partei Serbiens hat sich aufgelöst. Er hat sich zusammen mit der Sozialistischen Allianz zur Sozialistischen Partei Serbiens vereinigt. Er hat nebenbei auch über 100 Millionen DM an Vermögen dieser Parteien übernommen und führt die alte Politik unter einem neuen Namen im Grunde genommen weiter. An die Stelle des Kommunismus ist ein Nationalismus, Sozialismus, Populismus unter großserbischen Vorzeichen getreten. Auch Serbien hat sich eine Verfassung gegeben, die nationalstaatlich ist. In Art. 72 heißt es, daß das serbische Parlament über Krieg und Frieden entscheidet und internationale Verträge ratifiziert. Die Lage scheint explosiv zu sein. Wir können nur hoffen, daß es gelingt, daß diejenigen, die in diesem Teil Europas echte Reformen wollen, auf friedlichem Wege im Gespräch im Rahmen der KSZE mit Hilfe der Europäer noch zu einer solchen Vereinbarung kommen können. In wenigen Stunden - kann man sagen - findet in Sarajewo ein nächster Krisengipfel der jugoslawischen Führung statt, genau dort, wo durch die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde. Franz Ferdinand, ein Mann, der eine vorsichtige Förderung der individuellen und nationalen Bestrebungen der Völker der Donau-Monarchie damals unterstützt hat, wurde von großserbischen Verschwörern ermordet. Dieses Menetekel von 1914 sollten alle Europäer, aber auch diejenigen, die in den nächsten Tagen beim Krisengipfel über die Zukunft Jugoslawiens verhandeln, immer im Hinterkopf haben. ({1})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Kollege Freiherr von Schorlemer.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, diese Aktuelle Stunde hat deutlich gemacht, daß wir alle hier im Deutschen Bundestag die aktuelle Entwicklung in Jugoslawien mit Sorge und mit Aufmerksamkeit verfolgen. Ich denke, daß uns nicht nur die Geschichte dieses Jahrhunderts lehrt: Ein Zusammenleben in einem Staat mit mehrern Völkern unterschiedlicher Religionen, Kulturen und Sprachen ist letztlich nur in einer demokratischen Ordnung mit starken föderativen Strukturen und dem Erleben der eigenen kulturellen und religiösen Identität möglich. Ich glaube, es ist auch deutlich geworden, daß eine Armee, die sich jetzt vornehmlich als innenpolitische Macht darstellt, auf Dauer nicht den inneren Frieden und den inneren Ausgleich bringen kann. Die Jugoslawen haben - auch das hat diese Debatte deutlich gemacht - selber erkannt, daß ihre bisherige staatliche Form, nämlich die Sozialistische Föderative Repu416 blik, überholt ist. Das System der Arbeiterselbstverwaltung als Wirtschaftsordnung ist total gescheitert. Daher steckt Jugoslawien jetzt in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Daher wurden seit 1988 marktwirtschaftliche Reformen eingeleitet. Wir Deutsche haben nach zum Teil wechselvoller Geschichte ein positives Verhältnis zu den Völkern in Jugoslawien. Wir sind seit jeher der größte westliche Handelspartner Jugoslawiens. Wir haben die Rolle Jugoslawiens unter den Blockfreien immer als bedeutend anerkannt. Wir wissen, daß jährlich millionenfache persönliche Begegnungen zwischen Deutschen und Jugoslawen im Urlaub stattfinden. Es gibt allein 22 deutsch-jugoslawische Städtepartnerschaften. Deswegen verfolgen wir mit Sorge die Entwicklung in diesem Land und appellieren an alle Verantwortlichen auf der jugoslawischen Bundesebene, besonders aber an die Verantwortlichen in Slowenien, in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina, in Makedonien, Montenegro, in der Woiwodina, im Kosovo und vor allem im größten Teilstaat, in Serbien. Die nahezu einstimmige Entscheidung des slowenischen Parlaments am gestrigen Tage und auch die heutige Entscheidung des Parlaments von Kroatien über eine neue staatliche Einteilung Jugoslawiens bzw. die absolute Selbständigkeit von bisherigen Teilstaaten ist für mich eine Entscheidung für die morgen stattfindende Konferenz über die Zukunft Jugoslawiens. Ich hoffe, daß am 22. Februar alle Gesprächspartner diese Entscheidung Sloweniens und Kroatiens richtig gewichten. Ich hoffe aber besonders, daß wir darin einig sind - diese Debatte hat das deutlich gemacht - , daß die Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens der Völker und Republiken Jugoslawiens nur auf einer Basis von Rechtsstaatlichkeit und von Demokratie möglich ist, daß Menschenrechte und Minderheitenrechte berücksichtigt werden müssen und daß auf die Anwendung von Gewalt verzichtet werden muß. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es in Jugoslawien viele Verantwortliche gibt, die dies auch so sehen. Ich glaube, daß dieser Appell der Aktuellen Stunde gerade von diesen als ein verantwortungsbewußter Appell verstanden und aufgegriffen wird. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Meine sehr geehrten Herren und Damen, die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Dem Kollegen Verheugen erteile ich wegen seiner unparlamentarischen Äußerung „alter Verleumder", die an den Kollegen Reddemann gerichtet war, einen Ordnungsruf. ({0}) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 12 bis 14 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung - Drucksache 12/104 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß ZP12 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungsexporten - Drucksache 12/120 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Innenausschuß Rechtsausschuß ZP13 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Einschränkung von Rüstungsexporten - Drucksache 12/119 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Innenausschuß Rechtsausschuß ZP14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lederer und der Abgeordneten von PDS/Linke Liste Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz - Stopp der Rüstungsproduktion - Drucksache 12/116 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Innenausschuß Rechtsausschuß Meine Herren und Damen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Besteht darüber Einverständnis? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dieses so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heute zur Debatte stehende Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung fällt in eine hochsensible Zeit, die gerade von uns Deutschen zügiges politisches Handeln erfordert. Es ist meines Erachtens nicht nur eine politische, sondern auch eine moralische Notwendigkeit, den Gesetzentwurf in den Ausschüssen sehr schnell zu beraten, um die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes möglichst schnell auf den Weg zu bringen. Besonders hervorzuheben sind die zukünftige Behandlung von Verstößen gegen Sanktionen der Vereinten Nationen als schwere Fälle der Strafbarkeit und auch die Anhebung der Mindeststrafe auf ein Jahr; ebenso die regelmäßige Ahndung als Straftat bei Ausfuhrgenehmigungen, die durch falsche Angaben über die militärische Verwendung erschlichen worden sind. Über die angestrebte Aufklärung im Vorfeld und die erweiterten Befugnisse des neustrukturierten Zollkriminalamtes müssen wir uns in den Ausschüssen noch mehr Klarheit verschaffen. Das Gesetzesvorhaben muß in diesem Zusammenhang als konsequente Fortentwicklung der schon im Juni des vergangenen Jahres durchgeführten Verschärfung des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes verstanden werden. Die damalige Strafverschärfung war Ausdruck des ernsten Anliegens der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen sowie der Opposition, daß weder deutsche Bürgerinnen und Bürger noch deutsche Technologie zur Entwicklung, Produktion, zum Handel und zur Verbringung von chemischen, biologischen und atomaren Waffen beitragen. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Es ist der illegale Waffenexport, der die Bundesrepublik und ihre Wirtschaft in Verruf gebracht hat. Es steht völlig außer Frage, daß es mit diesen Gesetzesbrechern keine Gnade geben darf und ihnen drastische Strafen aufzuerlegen sind. ({0}) Darüber hinaus kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen - dies sage ich mit aller Betroffenheit -, daß gerade wir Deutsche mit besonderem Schamgefühl erfüllt sind. Es ist diese aus der historischen Verpflichtung erwachsene Betroffenheit, die es für uns erforderlich macht, Israel nicht nur schnell finanzielle Hilfe zukommen zu lassen, sondern auch mit entsprechenden Gütern zu unterstützen. Wir sind damit von dem von uns eingeschlagenen Weg der Rüstungsexportbeschränkung abgewichen. Dies geschah in Übereinstimmung mit fast allen politischen Kräften in der Bundesrepublik und zeigt sehr deutlich, daß bestimmte historisch gebundene Ereignisse eine Abweichung vom eigenen Kurs unabweisbar machen können. Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eines aber hat der Golfkrieg überaus drastisch vor Augen geführt: Die meisten politischen Entscheidungen bleiben wirkungslos oder zumindest ohne weitreichende Relevanz, wenn ausschließlich in nationalen Kategorien gedacht und gehandelt wird. Eine Reihe von multilateralen Verflechtungen und außenwirtschaftlichen Verpflichtungen verlangen die Entwicklung von globalen Konzepten und Strategien. Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht: Ende 1992 wird der Europäische Binnenmarkt voraussichtlich vollendet. Wer sich auf diese Entwicklung einstellen will, muß zumindest in europäischen Strukturen denken. Bei der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft bleiben allein nationale Bestrebungen wirkungslos. Ohne Zweifel muß, um illegalen Exporteuren das Handwerk zu legen, die Rüstungskontrolle internationalisiert werden. Die Bundesrepublik muß darum ihre Möglichkeit nutzen, mit dem heutigen Gesetzentwurf, der im internationalen Vergleich auf hohem Niveau liegt, in der Gemeinschaft initiativ zu werden und auf eine restriktive internationale Waffenexportpolitik zu drängen. Schon 1989 habe ich, Herr Bundesminister Möllemann, für die CDU/CSU den Vorschlag gemacht, daß die EG-Kommission einen Verordnungsentwurf für den Export chemischer Vorprodukte vorlegen sollte. Darüber hinaus habe ich für die CDU/CSU in der Debatte um das Außenwirtschaftsgesetz im vergangenen Jahr klare Richtlinien der EG-Kommission für den Export sensibler Technologien gefordert. Ohne solche Regelungen werden unsere Bemühungen in bestimmten Bereichen ohne Erfolg bleiben. Ich finde es gut, daß diese Formen von Initiativen öffentlich endlich mehr Aufmerksamkeit finden und diskutiert werden. Über die internationale Kontrolle des Rüstungsexports wird in verschiedenen Bereichen diskutiert werden. Darüber werden wir auch mit den Sozialdemokraten in den Ausschüssen und wahrscheinlich auch im Plenum in nächster Zeit häufiger debattieren. ({1}) Es wird zu prüfen sein, ob es Möglichkeiten gibt, diese Kontrolle auch über die Westeuropäische Union oder über Europa hinaus in die KSZE einzuführen. Es ist auch anzuregen, daß diese Frage im NATO-Rat häufiger zur Sprache kommt, damit auch dort möglicherweise Initiativen entwickelt werden. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der innenpolitischen Diskussion über das überaus wichtige Thema des Waffenexports machen. Auch die heutige Debatte wird zeigen - vielleicht auch nicht - , daß wir offenbar das einzige Land sind, das in dieser Thematik nicht zu einem Zusammenspiel aller nationalen Interessen findet. ({2}) Ich gebe dennoch die Hoffnung nicht auf, daß wir im Interesse der Sache konsensfähig sein werden. Die Gespaltenheit der offiziellen und inoffiziellen Linie innerhalb der sozialdemokratischen Partei und die extreme Emotionalisierung durch viele Sozialdemokraten ({3}) - und genau dies hat nichts mit historischer Betroffenheit zu tun - sind der Debatte und einer zügigen politischen Reaktion auf die momentane Situation absolut unzuträglich. Ich fordere die Opposition deshalb nachdrücklich auf, ihre unzutreffende und unerträglich verzerrende Pauschalisierung gegen die deutsche Wirtschaft einzustellen. ({4}) Wer hier unkritisch ungeprüfte Vorwürfe gegen die deutsche Wirtschaft übernimmt, macht sich einer unvertretbaren Verwischung der Tatsachen schuldig. Soweit bekannt, wurden von den Amerikanern und Briten über verschiedene Kanäle etwa 140 Hinweise übermittelt, die 114 verschiedene Unternehmen oder Sachverhalte betreffen sollen. Teilweise stammen die Vorwürfe aus deutschen Medien, die dann über den amerikanischen Kongreß oder andere Institutionen wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Davon sollen, was ausgesprochene Embargo-Umschiffungen anbelangt, etwa 40 Fälle abgeschlossen sein. Soweit mir bekannt ist, Herr Bundeswirtschaftsminister, konnte der Verdacht in 29 Fällen nicht bestätigt werden. In 11 Fällen soll ermittelt werden, von denen bisher einer das Embargo definitiv umgangen haben soll. Wer diese Zahlen hört, muß im Hinblick auf die öffentliche Diskussion nachdenklich werden, wie auch die täglichen Dementis und - teilweise - Strafverfahren von Firmen gegen Verdachtsmomente einen auch nachdenklich stimmen müssen; denn wir sind ein Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat sollten gerade wir Politiker vorsichtig sein, schon bei Verdächtigungen davon auszugehen, daß es Beweise seien. Bei aller Verurteilung der illegalen Exporte aus unserem Land ohne Wenn und Aber und der von mir nachdrücklich betonten besonderen Verantwortung Deutschlands seien noch folgende Hinweise gestattet. Eine Wiederholung schadet hier nicht. Erstens. Seit 1982 gibt es keinen legalen Waffenexport von deutscher Seite in den Irak. Zweitens. Es ist mehr als bekannt, daß Deutschland nicht an der Spitze der Exporteure steht. ({5}) Wir alle wissen, daß die Exportstatistik zeigt, daß wir auf der Liste der Lieferanten mit zahlreichen anderen Ländern weit hinter der Sowjetunion und Frankreich stehen. Bezeichnenderweise werden diese ausländischen Verstrickungen in der renommierten Presse unserer Nachbarn sehr viel genauer dokumentiert als bei uns. Vor allem zeigen diese Pressestimmen aber auch, daß internationale Vereinbarungen über strengere Exportbestimmungen unvermeidbar sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, selbstverständlich werden wir den von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf sehr sorgfältig prüfen und in den Ausschüssen miteinander diskutieren. Aber die überzogenen, nicht nachgewiesenen Vorwürfe, die sich global an die deutsche Wirtschaft richten, sind scharf zu mißbilligen. In diesem Sinne wäre besonders bei der SPD im nationalen Interesse und auch im Hinblick auf viele Bereiche, die sie unmittelbar angehen, mehr Fairneß zu erwarten gewesen. ({6}) Ich bedaure, daß sich die Sozialdemokraten den Vorwurf gefallen lassen müssen, in dieser Pauschalisierung sehr häufig Wortführer zu sein. ({7}) Nicht das Zurechtrücken der Tatsachen schadet dem Ruf im Ausland, sondern die außenpolitische Linie der SPD sorgt sehr häufig für Irritationen. Von den unsäglichen und bestürzenden Äußerungen des Herrn Ströbele von den GRÜNEN, die Iraks Angriffe auf Israel zu rechtfertigen versuchen, möchte ich gar nicht reden. Diese Äußerung halte ich für grob instinktlos, man kann sie gar nicht hart genug zurückweisen. Wir werden auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch eine lange Durststrecke vor uns haben, um den außenpolitischen Schaden zu beheben, den Kriminelle zu verantworten haben. Jede internationale Konferenz muß uns in Zukunft recht sein, um die Exportbestimmungen zu internationalisieren. Ich fordere die Bundesregierung darum zum wiederholten Male auf, sich in diesem Sinne zu engagieren. Wir können im Ost-West-Bereich auf unsere Erfahrungen mit der COCOM-Liste zurückblicken. Eine ähnliche Instanz wäre im Nord-Süd-Kontext zu suchen. Sie sollte nicht nur europaweit, sondern im Zusammenspiel mit der UNO eine Ächtung des Exports von biologischen, chemischen und atomaren Waffen anstreben. Das, meine Damen und Herren, wäre ein wesentlicher Schritt in eine neue Dimension von Waffenexportkontrollen. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Kollege Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns heute erneut mit einem Thema beschäftigen, das in den vergangenen Monaten und Jahren mehrfach auf der Tagesordnung des Parlaments gestanden hat. Aktueller Anlaß sind die Ausfuhren deutscher Unternehmen in den Irak. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen erheblichen Beitrag zur militärischen Aufrüstung des Irak geleistet, insbesondere im Bereich der Massenvernichtungstechnologien. Das wollen wir doch zu Beginn einmal festhalten, Herr Kittelmann. Die Hochrüstung des Irak dokumentiert in erschreckender Weise, welche Auswirkungen lückenhafte Gesetze und mangelhafte Exportkontrollen, aber auch eine zu großzügige Genehmigungspraxis haben. Deshalb sollten wir nicht nur von illegalen, sondern auch von endlich wirksameren legalen Rüstungsexportkontrollen reden. ({0}) Niemand kann heute mehr die Augen davor verschließen, daß eine ganze Reihe von deutschen Unternehmen und nicht nur einige wenige schwarze Schafe zu Exporteuren des Todes geworden sind. Das bedrückt mich, und das bedrückt uns. Es bedrückt mich um so mehr, weil viele der tödlichen Geschäfte ungestört abgewickelt werden konnten, weil sich die Bundesregierung und ihr Beamtenapparat mit der Rolle des Zuschauers begnügt haben - um das einmal sehr vorsichtig festzustellen. ({1}) - Da schreien Sie auf, wie Sie vor einem Jahr aufgeschrien und nichts gemacht haben. Es ist immer das gleiche mit Ihnen. „Wir müssen das Thema in den Griff kriegen", forderte der Bundeskanzler bereits Ende 1988, als ihm die Amerikaner ihre Erkenntnisse über die mit deutscher Hilfe in Libyen errichtete Giftgasfabrik präsenBachmaier tierten. Dies ist bis heute weder ihm noch der Bundesregierung auch nur ansatzweise gelungen. Das ist kein Zufall. Wer über lange Jahre hinweg allein Profitinteressen im Auge hat und sicherheits- wie friedenspolitische Erwägungen bei Rüstungsexporten vernachlässigt, dem fehlt eben die nötige Sensibilität für die Gefahren, die mit diesen Exporten verbunden sind. ({2}) Als die SPD in der Rabta-Debatte des Deutschen Bundestages im Januar 1989 verlangte, nicht nur die Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasproduktion, sondern auch die Mitwirkung am Bau der dazugehörenden Raketen unter Strafe zu stellen, spottete Graf Lambsdorff, daß dann auch sein Schwager, der den Amerikanern auf den Mond geholfen habe, bestraft und eingesperrt worden wäre. Lohnend ist es auch, sich noch einmal die Ergebnisse des Atomskandal-Untersuchungsausschusses in Erinnerung zu rufen. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Haussmann hat vor dem Ausschuß nachweisbar und unumwunden eingeräumt, daß bei rüstungsrelevanten Exporten das Gefahrenbewußtsein der Genehmigungsbehörden - und jetzt hören Sie genau hin - nicht mit der Entwicklung der Gefahren gestiegen sei, so daß die Genehmigung zu sehr die Regel, die Ablehnung zu sehr die Ausnahme wurde. „Trampelpfade" nannte man das damals. Trampelpfade am Rande der Illegalität seien entstanden, und die lasche Behördenpraxis sei ein falsches Signal an die Adresse derjenigen gewesen, die es mit den Vorschriften nicht so genau nehmen wollten. So der erst jüngst aus dem Amt geschiedene Bundeswirtschaftsminister. Sein Vorgänger Graf Lambsdorff, in dessen Amtszeit ganz besonders großzügig im Bereich der nuklear-technologischen Kooperation verfahren wurde - und das mit aktiver Unterstützung durch den Minister selbst -, sieht dagegen immer noch das Ende der deutschen Exportwirtschaft vor der Tür stehen, wenn scharfe Kontrollen verlangt werden. Das Versagen der federführend für die Exportüberwachung zuständigen FDP-Minister ist offenkundig. Wer eben den Profit vor die Moral stellt, meine Damen und Herren, hat den Anspruch auf die Leitung - und das muß man in diesem Zusammenhang bei dieser Chronologie des Versagens auch einmal sagen - des Wirtschaftsministeriums verwirkt. Er sollte einmal in sich gehen und fragen, ob er dort am richtigen Platze ist. ({3}) Erwähnen muß ich in diesem Zusammenhang aber auch den Bundesaußenminister, der auf so wundersame Weise um eine Vernehmung vor dem Atomskandal-Untersuchungsausschuß herumgekommen ist, dessen Akten uns jedoch vorlagen. Regelmäßig hat das Auswärtige Amt dann, wenn es um die Erteilung kritischer Exportgenehmigungen ging, gegenüber dem federführenden Wirtschaftsministerium Bedenken geäußert, so daß seine Akten sauber blieben. Wenn das Wirtschaftsministerium diesen Bedenken dann aber nicht Rechnung trug, verlief die Sache im Sande und wurde in aller Regel die Genehmigung erteilt. Nicht ein einziges Mal hat nach unseren Erkenntnissen der Bundesaußenminister die Frage der Erteilung einer Exportgenehmigung zum Gegenstand einer Auseinandersetzung im Kabinett gemacht. Das muß man auch berücksichtigen, wenn man die Verantwortlichkeiten einmal ausmißt. ({4}) - Ich kann Ihnen das belegen, Herr Kittelmann. Ich würde bei diesem Thema diese Art des frivolen Lächelns einmal kurzzeitig unterbrechen. Auch in den Fällen, in denen illegale Ausfuhren aufgedeckt wurden - nicht etwa auf Grund von Ermittlungen der Bundesregierung, sondern in der Regel auf Grund von Recherchen einzelner Journalisten oder auf Grund von Hinweisen ausländischer Geheimdienste - , sind konsequente Reaktionen ausgeblieben. Ob es um die Lieferung von Bauplänen für U-Boote nach Südafrika ging - der U-Boot-Ausschuß hat hier die notwendigen Erkenntnisse zutage gefördert - , um die Ausfuhr nukleartechnischer Komponenten und von Know-how nach Pakistan und Indien, um die Lieferung der Chemiewaffenfabrik nach Libyen oder um die Beteiligung bei der Entwicklung und Produktion von Trägersystemen im Irak, in Ägypten oder in Argentinien, immer war die Reaktion der Bundesregierung die gleiche: Wenn die Fakten nicht mehr abzustreiten waren, wurde großes Entsetzen über diese kriminellen Taten geäußert. Es folgten vollmundige Ankündigungen von Gesetzesverschärfungen. Nach einiger Zeit, wenn sich das Interesse der Öffentlichkeit anderen Vorgängen zugewandt hatte, erfolgte allmählich der Rückzug. Die vorgelegten Gesetzentwürfe wurden in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages immer weiter aufgeweicht und verwässert. ({5}) - Herr Kittelmann, daß gerade Sie sich nach dem wesentlichen Tatbeitrag, den Sie dazu immer geleistet haben, künstlich erregen können, dazu gehört schon ein erhebliches Maß an Vermessenheit. ({6})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege Bachmaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kittelmann?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es sein muß. Angerechnet wird es mir ja nicht.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie mir zustimmen, Herr Kollege, daß sich die von Ihnen sehr hoch aufgebauschte Problematik lediglich auf die Frage der Einführung des Begriffs der fahrlässigen Beihilfe und zweitens auf die Frage beschränkte, ob eine EinJahres-Frist oder eine Bewährungsstrafe möglich ist, daß dieses sehr ausführlich - übrigens auch teilweise mit Ihrer Zustimmung - im Rechtsausschuß als eine mögliche Variante diskutiert wurde und Sie lediglich aus innenpolitischen Gründen das Ganze aufgebauscht haben und dies, wie ich feststellte, noch immer anhält?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das will ich Ihnen überhaupt nicht zugeben. Sie wissen ganz genau, daß das Gegenteil der Fall ist. Wer in diesem Zusammenhang von aufgebauschter Problematik spricht, der zeigt schon durch seine Wortwahl, daß er bis heute nicht verstanden hat, worum es geht. ({0}) So ist es ganz selbstverständlich, daß wir heute wieder mit dem Schrecken vor den illegalen Exportaktivitäten deutsche Unternehmen in Richtung Irak konfrontiert sind. Aber heute kann sich niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, mehr damit herausreden, er habe von den Mängeln bei der Exportüberwachung nichts gewußt. Die Ergebnisse der entsprechenden Untersuchungsausschüsse sind in diesem Hause ausführlich diskutiert worden. Eine Reihe von Journalisten hat dieses Thema immer wieder aufgegriffen, und das auch in Zeiten, in denen es weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Wer bereit war, die Mängel zur Kenntnis zu nehmen, und wer gewillt war, etwas zu ändern, hatte reichlich Gelegenheit dazu. Aber das Argument, eine lückenlose Kontrolle könne es nicht geben, wurde bereitwillig dazu genutzt, scharfe und wirklich effiziente Maßnahmen zu unterlassen. Das gewohnte Ritual scheint sich bereits zu wiederholen. Scharfe Maßnahmen bei der Exportüberwachung hat der neue Bundeswirtschaftsminister in Presseveröffentlichungen angekündigt. Den scharfen Worten folgte aber bislang nur ein sehr zahmer Gesetzentwurf, der uns heute zur ersten Lesung vorgelegt worden ist. „Forsch und inhaltsarm" bezeichnete ihn die „Frankfurter Rundschau" nicht zu Unrecht. Die Aufweichtendenzen haben bereits wieder angefangen. Auch in diesem Punkt, Herr Minister Möllemann, sind Sie schneller als Ihr Vorgänger. Sie legen uns heute im wesentlichen eine Verschärfung - jetzt hören Sie einmal genau zu, Herr Kittelmann - des § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes vor. Dies ist, wenn man die ganze Dimension, vor der wir heute stehen, berücksichtigt, ein kleiner Schritt - zugegebenermaßen - in die richtige Richtung. Wir nehmen zur Kenntnis, daß Sie einen Änderungsantrag unserer Fraktion aus der vergangenen Legislaturperiode, den die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP damals noch vehement abgelehnt haben, fast wörtlich aufgreifen. Dennoch bleibt es nach Ihrem Entwurf dabei, daß illegale Exporte im Grundtatbestand auch mit einer Geldstrafe geahndet werden können. Lediglich für besonders schwere Fälle sind härtere Strafen vorgesehen. Der Begriff des besonders schweren Falles ist aber besonders vage. Für mich sind illegale Rüstungsexporte immer schwere Fälle. Sie müssen deshalb immer hart geahndet werden. ({1}) Wo sind denn Ihre drastischen Verschärfungen? Wo sind denn die von Ihnen angekündigten Regelungen zur Erlösabschöpfung und zur Aufnahme der Strafvorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes in das Strafgesetzbuch? Es sind lediglich 14 Tage zwischen Ankündigung und bisheriger Nichterfüllung vergangen. Wir halten eine Vermögensstrafe für unerläßlich, damit sich illegale Exporte nicht lohnen. Im Fall Imhausen und im Fall der Lieferung der Chemieanlage nach Libyen darf der Täter den Gewinn aus dem kriminellen Geschäft - von weit über 70 Millionen DM ist die Rede - behalten. Dies ist für uns nicht akzeptabel. ({2}) Die Aufnahme der Strafvorschriften gegen illegale Rüstungsexporte in das Strafgesetzbuch halten wir für wichtig, um die herausgehobene Bedeutung und die besondere Verwerflichkeit dieser Taten deutlich zu machen. Auch hier haben Sie und die zuständigen Abteilungen des Wirtschaftministeriums und auch des Justizministeriums offensichtlich Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wir haben uns entschlossen, Ihnen bei diesen Themen die notwendige Nachhilfe zu geben, und legen heute einen Gesetzentwurf vor, der diese Punkte umfaßt. Es ist unabdingbar, Rüstungsexporte aus dem für die Exporteure so komfortablen Nischendasein des Nebenstrafrechts endlich herauszuholen. Deshalb haben wir uns gefreut, als Sie dies angekündigt haben. Allerdings haben Sie es bis heute nicht erfüllt. Bevor ich auf die Einzelheiten unseres Gesetzentwurfs eingehe, lassen Sie mich noch einen Bereich ansprechen, der in der Diskussion der vergangenen Wochen eine wichtige Rolle gespielt hat. Immer wieder war auch in Kreisen der Bundesregierung von der Einschaltung der Geheimdienste in die Aufdeckung illegaler Rüstungsexporte die Rede. Schließlich kündigte Herr Möllemann an, die Bundesregierung wolle dem Zollkriminalinstitut bereits im Vorfeld eines Verdachtes das Abhören des Telefonverkehrs von Unternehmen ermöglichen. In Ihrer Vorlage ist von einer Telefonüberwachung über die von der Strafprozeßordnung vorgesehenen Fälle hinaus keine Rede mehr. Ich sage ausdrücklich: Ich bedauere dies nicht. Rechtsstaatliche Prinzipien wie der Grundsatz, daß polizeiliche Tätigkeit und nachrichtendienstliche Vorfeldermittlung zu trennen sind, dürfen auch dann nicht zur Disposition gestellt werden, wenn es um die Exporteure des Todes geht. ({3}) Derartige Mittel kommen jedenfalls nicht in Betracht, solange die verfassungsrechtlich unbedenklichen Instrumente zur Verhinderung illegaler Exporte bereits im Vorfeld nicht ausgeschöpft sind. Dies ist noch lange nicht der Fall. Ich denke beispielsweise an die Möglichkeit von Außenwirtschaftsprüfungen. Dazu werde ich gleich ein Wort sagen. Lassen Sie mich jetzt auf die Einzelheiten unserer Vorschläge eingehen. Wir schlagen vor, Straftaten im Zusammenhang mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie strafbare illegale Rüstungsexporte als Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr in den Abschnitt über gemeingefährliche Delikte Bachmaler des Strafgesetzbuchs aufzunehmen. Diese Handlungen gefährden den Frieden und damit das Leben einer Vielzahl von Menschen. Über die Strafbarkeit der Herstellung und Weitergabe von ABC-Waffen haben wir bereits im letzten Jahr diskutiert, als es um die Einfügung dieser Bestimmungen in das Kriegswaffenkontrollgesetz ging. Die SPD-geführten Bundesländer haben damals - Sie wissen das - im Vermittlungsausschuß verhindern müssen, daß die von der Bundesregierung selber vorgelegten Entwürfe durch ihre eigenen Koalitionsfraktionen abgeschwächt wurden - - so geschehen am 1. Juni des vergangenen Jahres in diesem Hause -. Wir sprechen uns dafür aus, neben diesen Delikten auch den illegalen Export von Rüstungsgütern und rüstungsnahen Gütern - ich nehme hier Bezug auf die entsprechenden Abschnitte der Ausfuhrliste und nenne als Beispiele Waffen und Rüstungsmaterialien, Ausrüstungen für kerntechnische Zwecke und Ausgangsstoffe sowie Anlagen, die zur Erzeugung chemischer oder biologischer Kampfmittel geeignet sind - als Verbrechen in das Strafgesetzbuch einzufügen. Um den sogenannten Dual-use-Bereich zu erfassen, also Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können, fordern wir auch eine strenge Bestrafung der illegalen Ausfuhr anderer Güter, von denen der Täter weiß oder wissen mußte, daß sie für militärische Zwecke bestimmt sind. Diese Regelung schließt an die Ankündigung des Wirtschaftsministers an - und wir vertrauen darauf, daß dies noch in die Tat umgesetzt wird - , eine eigenständige Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Dual-use-Waren einzuführen, wenn der Exporteur von einer militärischen Verwendung durch Einsatz in einem Rüstungsprojekt Kenntnis hat. Ich begrüße diesen Plan des Bundeswirtschaftsministers und hoffe, daß er zügig in die Tat umgesetzt wird, so daß unsere darauf aufbauende Anschlußvorschrift diesen Tatbestand zur Wirkung bringen kann. ({4}) Ich will das von uns vorgeschlagene System noch einmal verdeutlichen: schärfere Strafen für Herstellung und Weitergabe atomarer, biologischer und chemischer Waffen, harte Strafen - nicht unter einem Jahr Freiheitsentzug - für die illegale Ausfuhr von Rüstungsgütern und ähnlich gefährlichen Waren, aber auch für den ungenehmigten Export von Dualuse-Produkten, wenn sie einer militärischen Verwendung zugeführt werden sollen. Von diesen Regelungen mit hohen Freiheitsstrafen wären alle uns bekannten schweren Fälle von Rüstungsexportverstößen erfaßt worden, die in diesen Monaten zur Aburteilung bei den Gerichten angestanden haben, also Imhausen ebenso wie NTG und andere Fälle. Als Auffangtatbestand verbleibt dann immer noch § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes. Sichergestellt wäre mit dieser Lösung, daß illegale Rüstungsexporte nicht mehr als Kavaliersdelikte durchgehen könnten. Nur die Androhung längerer Freiheitsstrafen kann angesichts der lockenden Gewinne potentielle Täter abschrecken. ({5}) Ich habe darauf bereits in der Sitzung vom 1. Juni des vergangenen Jahres hingewiesen, in der wir über den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs beraten haben. Schon mehrfach habe ich darauf Bezug genommen. Ich habe damals gesagt, daß derjenige, der auch für diese Fälle Bewährungsstrafen ins Auge faßt, entweder noch nicht begriffen hat, worum es geht und mit wem er es zu tun hat, oder ganz einfach an den unerträglichen Verhältnissen nichts ändern will. Hätten Sie damals bereits die notwendigen Konsequenzen gezogen, dann müßten wir uns heute nicht über weitere Verschärfungen unterhalten. ({6}) Aber auch von Nebenstrafen und Nebenfolgen kann eine weitere abschreckende Wirkung ausgehen.

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sie der Wahrheitsfindung dient, gern.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bachmaier, erinnern Sie sich an manche Diskussionen in diesem Hause in den letzten Jahren, in denen uns Kollegen Ihrer Fraktion vorgehalten haben, man dürfe nicht so sehr auf die Wirkung der Generalprävention setzen? Ich erinnere zum Beispiel an die Geltendmachung dieses Arguments bei der Terroristenbekämpfung und bei der Rauschmittelbekämpfung. Wieso glauben Sie, daß ausgerechnet auf diesem Gebiet die Generalprävention diese ungeheure Wirkung hätte, die Sie sich davon versprechen?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eylmann, Sie wissen ebensogut wie ich, daß die Androhung von Freiheitsstrafen, die vollzogen werden und von denen man sich nicht freikaufen kann, gerade auf Wirtschaftskriminelle - die Schlimmsten unter den Wirtschaftskriminellen sind ja die Rüstungsexporteure - einen nachhaltigen Eindruck macht. Denn so etwas fürchtet diese Klientel am meisten. Geldstrafen fürchten sie nicht, weil sie aus diesen verruchten Geschäften horrende Gewinne erzielen. ({0}) Ein weiterer Punkt: Ein Unternehmer, der weiß, daß seine Existenz auf dem Spiel steht, wird sich genau überlegen, ob er sich auf derartige riskante Geschäfte einläßt, auch wenn die entsprechenden Gewinne winken. Leider hat sich das derzeit zur Abschöpfung von Verbrechensgewinnen zur Verfügung stehende gesetzliche Instrumentarium als weitgehend wirkungslos erwiesen. Sie wissen das; wir haben darüber bereits in der letzten Legislaturperiode diskutiert. Unser Entwurf sieht vor, den Strafgerichten zu ermöglichen, den Täter immer dann zur Zahlung eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrags zu verurteilen, wenn er sich durch die Begehung einer strafbaren Handlung unrechtmäßig bereichert hat. Diese Novellierung richtet sich nicht speziell gegen Waffenschieber, sondern auch gegen sonstige Wirtschaftskriminelle und gegen Drogentäter. Wir haben darüber diskutiert. Nur kurz erwähnen möchte ich im Zusammenhang mit den sonstigen Folgen der Straftat die Möglichkeit der Einziehung von Produktionsanlagen und der Ächtung der Tat durch eine Veröffentlichung der Verurteilung. Unser Ziel muß es sein, illegale Rüstungsexporte bereits im Vorfeld zu verhindern. Als effizientes und rechtsstaatlich unbedenkliches Mittel kommen hierfür Außenwirtschaftsprüfungen in Frage, die in Zukunft stringenter und mit dem notwendigen gesetzlichen Zwang durchzuführen sind, auch in Zeiten, in denen Rüstungsexporte möglicherweise aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Um solches in Zukunft sicherzustellen, schlagen wir eine Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlage, des § 44 des Außenwirtschaftsgesetzes, vor. Um sicherzustellen, daß die Behörden wirklich handeln, werden sie verpflichtet, Außenwirtschaftsprüfungen bei Unternehmen vorzunehmen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines illegalen Rüstungsexports oder für die Vorbereitung einer solchen Straftat vorliegen. Doch die illegalen Rüstungsexporte sind nur die eine Seite der Medaille. Vieles konnte unter den Augen der Behörden ganz legal exportiert werden, entweder weil die Maschen des Außenwirtschaftsrechts viel zu weit geknüpft sind, weil die Genehmigungsbehörden schliefen und auch in kritischen Fällen Genehmigungen erteilten oder weil sie augenzwinkernd mit den Antragstellern zusammenarbeiteten und die möglichen Folgen sensitiver Lieferungen nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesamt für Wirtschaft stellten immer heraus, daß sie für die Wirtschaft arbeiten, vergaßen dabei aber, sich für die Friedenssicherung einzusetzen. Die deutsche Exportkontrolle - dies müssen wir heute unumwunden einräumen - hat versagt. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Genehmigungsverfahren z. B. für Nuklearwaren die Tendenz, nichtweiterverbreitungspolitische Bedenken hinter deutsche Exportinteressen zurückzustellen. In anderen Bereich ist es, wie wir mittlerweile wissen, ähnlich. Solches Verhalten hängt zum einen mit Informationsdefiziten zusammen. Daher sprechen wir uns dafür aus, die Zuständigkeit für die Entscheidung über Ausfuhrgenehmigungen und die Zuständigkeit für Aufdeckung und Verhinderung illegaler Exporte zusammenzulegen. Die gravierenden Mängel bei der Exportkontrolle sind aber auch darauf zurückzuführen, daß eine Behörde, deren Aufgabe es ist, Wirtschaftsinteressen zu fördern, zugleich eine Kontrollfunktion mit entgegengesetztem Ziel ausüben soll. Ich habe Zweifel, ob es gut ist, die Exportkontrolle unter dem Dach des Bundeswirtschaftsministeriums zu belassen. Hier liegen Interessenkonflikte auf der Hand. Die Aufgabe einer effizienten Kontrolle von Rüstungsexporten ist so wichtig, daß sie von einer eigenen technisch und personell gut ausgestatteten Behörde wahrgenommen werden muß. Ich kann mir vorstellen, daß es Herrn Möllemann sehr schwerfallen wird, auf Zuständigkeiten zu verzichten. Ich bin aber überzeugt, daß es schon von den anderen Aufgaben her, die in diesem Bereich wahrzunehmen sind, unter der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums eine strenge und wirklich effiziente Exportkontrolle letztlich auch strukturell nicht geben kann. ({1}) Lassen Sie mich abschließend noch einiges bemerken: Der vorliegende Gesetzentwurf enthält eine Regelung für das Kriegswaffenkontrollgesetz. Wir werden auf diesen Punkt in der Debatte über eine künftige Verfassung zurückkommen, da wir ihn für einen Ausfluß aus dem Friedensgebot des Art. 26 des Grundgesetzes halten. Wir meinen, daß das Waffenexportverbot einer verfassungsmäßigen Absicherung bedarf. Um einen Waffenexport über die NATO-Länder hinaus effizient und nachhaltig zu verhindern, haben wir im Vorgriff auf eine verfassungsrechtliche Regelung eine entsprechende Vorschrift in das Kriegswaffenkontrollgesetz aufgenommen. Japan ist uns in dieser Beziehung ein gutes Vorbild. Wir verweisen doch auch sonst immer gern auf Japan.

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß!

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. Es ist kein Zufall, daß unter den Waffenlieferanten des Iraks der Name Japan fehlt. Japan hat von den großen Wirtschaftsnationen die umfassendsten Beschränkungen für Rüstungsausfuhren. Die japanische Rüstungsindustrie beliefert praktisch ausschließlich die eigenen Streitkräfte. Nehmen wir uns auch in diesem Fall Japan zum Vorbild. Dann sind wir in Zukunft weniger in Rüstungsexportskandale verstrickt.

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende!

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. Herr Möllemann hat laut „Spiegel" vom 4. Februar - dies sage ich abschließend - die Entwürfe seines Hauses mit der Bemerkung kommentiert: „Jetzt sind wir ausverkauft; unsere Phantasie ist am Ende." Herr Möllemann, ich hoffe, mit unseren Vorlagen werden wir Ihrer mangelnden Phantasie auf die Sprünge helfen. Es kann wesentlich mehr getan werden, als bislang getan wurde. Ich meine, wir sollten endlich mit einer wirksamen Rüstungsexportkontrolle anfangen, damit wir hier nicht alljährlich nachbessern müssen und der nächste Skandal bereits ins Haus steht. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gysi.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine wenigen Damen und Herren! Ich finde, daß dieses Thema etwas mehr Aufmerksamkeit von allen Fraktionen - das ist übrigens eine Kritik auch an unserer Gruppe - verdient hätte. Ich will, weil ich Ihre Gedanken ahne und weil es mir ein Bedürfnis ist, etwas zu Rüstungsexporten aus der früheren DDR sagen. Ich glaube, man muß hier zwei Dinge feststellen: Erstens. Es gab, durch welche Umstände auch immer, in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik eine in der Qualität und im Umfang wesentlich geringere Rüstungsindustrie, weil fast alle Waffen durch die DDR aus der Sowjetunion importiert worden sind. Aber in dem Umfang, in dem es sie gab, gab es einen durch die Gesellschaft überhaupt nicht kontrollierten Export. Nach den bisherigen Feststellungen waren das zwei oder drei Herren, die das entschieden haben. Ich sage Herren, weil Damen wirklich nicht dabei waren. Diese Herren sind entsprechende Exportverpflichtungen eingegangen und haben die Exporte vorgenommen. Das hat übrigens dazu geführt, daß man heute sagen kann, daß sehr wohl auch seitens der DDR Rüstungsexporte in den Irak stattgefunden haben und auch hier eine Mitschuld und Mitverantwortung vorliegt. Darunter ist einer, der offensichtlich führend beteiligt war und der sich im Westteil Deutschlands offenbar wesentlich wohler fühlt als viele, die wesentlich weniger Mitverantwortung tragen und die sich gegenwärtig im Ostteil Deutschlands aufhalten. Namen brauche ich, glaube ich, nicht zu nennen; sie sind allgemein bekannt. Eine andere Tatsache ist natürlich, daß es in der Bundesrepublik immer eine sehr viel umfassendere Rüstungsindustrie gegeben hat. Meines Erachtens besteht hier die Frage, ob nicht ein Umdenken erforderlich ist. Zwar stimmt es, daß die wichtigste menschliche Eigenschaft das Denken ist, aber die Untergruppe des Denkens, die ich für besonders wichtig halte, ist das Umdenken. Ich finde, wir müßten auf dieser Spirale irgendwann einmal herauskommen. Wir müssen uns die Frage stellen: Geht es wirklich noch um die Frage der Exportbeschränkung? Oder geht es nicht vielleicht um das Exportverbot? Ist nicht überhaupt der Weg der Abrüstung der beste Weg, um auch Rüstungsexporte und damit Aufrüstung in anderen Staaten zu verhindern? Ich finde, daß der vorliegende Regierungsentwurf einem solchen Umdenkprozeß nicht entspricht. Er ist sozusagen eine etwas straffere Ordnung des bisherigen Systems. Und das bringt nicht viel ein. Auch zum Strafrecht will ich etwas sagen. Der Entwurf der SPD ist hier schon ein Qualitätssprung. Das muß man anerkennen. Ich kann allerdings für meine Gruppe sagen: Wir sind auch gegen die Exporte in den NATO-Bereich. Das hat viele Gründe. Ich will ein Beispiel nennen: Wer garantiert eigentlich, wie die Türkei mit Waffen, die sie aus Deutschland importiert, dann umgeht, z. B. gegenüber dem kurdischen Teil der Bevölkerung? Was passiert eigentlich, wenn ein NATO-Staat in Drittländer weiterliefert? Das soll zwar ausgeschlossen werden; aber Sie wissen selbst, daß es kaum Instrumentarien gibt, um das irgendwie wirksam zu prüfen und zu kontrollieren. Letztlich bleibt es ein Appell; es ist nicht durchsetzbar. Damit bestehen natürlich Gefahren, daß deutsche Waffen auf dem einen oder anderen Weg doch wieder in Staaten geraten, die Krieg führen. Ein weiteres großes Problem - ich bitte, darüber ernsthaft nachzudenken - ist die Tatsache, daß die Rüstungsindustrie wohl ganz überwiegend privatwirtschaftlich aufgebaut ist. Privatwirtschaftlich heißt nun einmal: am Gewinn, am Profit orientiert. Damit wird die Sache kompliziert, weil das etwas mit Nachfrage und Angebot zu tun hat. Die Nachfrage ist natürlich dort besonders groß, wo Kriege geführt werden sollen. Wenn man über Exportverbote nachdenkt, ist das ein wirkliches Problem. Wenn Bundesbahn und Bundespost staatlich organisiert sind, sollte das erst recht die Rüstungsindustrie sein, solange man sie überhaupt noch braucht. Im Bundestag wird dann auch Verständnis dafür herrschen, daß sie nicht sehr rentabel ist, weil dann die Gewinnorientierung weg ist. Lassen Sie mich zwei Bemerkungen zum Strafrecht machen. Ich behaupte: Wenn die Strafrechtsnormen so bleiben, wie sie jetzt vorgeschlagen sind, würde jeder gute Anwalt - da kenne ich einige - fast immer einen Freispruch erreichen. Die Strafbarkeit wird so und in dieser Form fast nie nachweisbar sein. Wenn Sie hier nicht andere Kriterien schaffen, daß in einem möglichst frühen Stadium bei Verletzung dieser Rechtsnorm strafrechtlich eingegriffen werden kann, wird das Ganze einfach eine Verdienstquelle für gute Anwälte sein, die sich die Freisprüche sichern und ihre Gebühren vom Bund zurückerhalten, abgesehen davon, daß die eigentlichen Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ich stimme auch dem zu, daß hier mit Geldstrafen wenig zu machen ist. Freiheitsstrafen und Vermögenseinziehung sind das mindeste. Lassen Sie uns bitte - ich bin am Ende meiner Redezeit - einfach darüber nachdenken, ob wir in Anbetracht des Golfkrieges und in Anbetracht der Tatsache, daß auch deutsche Waffen gegen Israel gerichtet sind, nicht wirklich umdenken und sagen wollen: Wir nehmen als ersten Schritt in das Grundgesetz ein wirkliches Rüstungsexportverbot auf, und zwar hinsichtlich aller Staaten, so daß wir nur noch die eigenen Streitkräfte beliefern, und das von Jahr zu Jahr immer weniger, bis im Abrüstungsprozeß weitere größere Fortschritte erzielt sind. Dann können deutsche Waffen im Ausland durch keinen anderen Staat mehr mißbraucht werden. Dann kann es solche Skandale wie den gegenwärtigen nicht mehr geben. Um das zu erreichen, wenn Sie dem also zustimmen sollten, müßten allerdings Instrumentarien in der Wirtschaft geschaffen werden, um dort rechtzeitig mit der Kontrolle zu beginnen. Das Strafrecht allein schafft es nicht: Es wird nämlich immer erst tätig, wenn die Straftaten bereits begangen worden sind, und damit eindeutig zu spät. Danke schön. ({0})

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Familienname ist Kolb; ich bin Unternehmer und komme aus Südhessen. Gestatten Sie mir daher zunächst in aller Sachlichkeit den Hinweis, daß keine verwandtschaftlichen, gesellschaftrechtlichen oder sonstigen Beziehungen zu jenem Unternehmen gegeben sind, das ein wesentlicher Auslöser für die erneute Überarbeitung des Außenwirtschaftsgesetzes ist. Daß diese Erklärung erforderlich ist, macht deutlich: Die deutschen Unternehmer sind durch das Verhalten einiger schwarzer Schafe in der Defensive und haben sich gegen allgemeine Schuldzuweisungen zu wehren. Ich möchte zu Beginn meiner Rede bitten, zu differenzieren und die Mehrzahl, die sich korrekt verhält, nicht pauschal mit einigen wenigen Straftätern gleichzusetzen. ({0}) Zur Gesetzesvorlage: Es gibt bei der Gestaltung außenwirtschaftlicher Regelungen immer die Alternative: Allgemeinverbot mit Erlaubnisvorbehalt oder Grundsatz der Freiheit mit dem Vorbehalt von Beschränkungen. Im Außenwirtschaftsrecht der Bundesrepublik hat die Entscheidung für den Grundsatz der Freiheit aus guten Gründen ihren Niederschlag gefunden. Freiheit setzt allerdings Verantwortung voraus; es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Die FDP- Bundestagsfraktion betreibt daher bewußt die heute zur Beratung stehenden erneuten Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes und der Straßprozeßordnung, die Ausdruck der Ernsthaftigkeit sind, der mit der Freiheit einhergehenden Verantwortung gerecht zu werden. Daß diese Änderungen heute, nur kurze Zeit nach der Reform des Außenwirtschaftsrechtes in den Jahren 1989/90, vorgenommen werden, zeigt, daß diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen jetzt und künftig nicht müde werden und in der Ernsthaftigkeit nicht nachlassen werden, die der Freiheit korrespondierende Verantwortung auszuüben und denjenigen den Raum für ihre illegalen Machenschaften zu nehmen, die glauben, die gegebenen Freiheiten unter Gefährdung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Unternehmen mißbrauchen zu können. Wir sehen unsere Zustimmung zu dem Gesetzentwurf auch als Ausdruck unserer besonderen internationalen Verantwortung. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß es für die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit Rüstungsexporten keine Entschuldigung durch den Verweis auf das Verhalten anderer Staaten geben kann und darf. Wir nehmen unsere internationale Verantwortung ernst. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Dokumentation dieser besonderen Verantwortung und die umgehende Reaktion auf erneute Versuche, Freiheit zu mißbrauchen. Aber es muß auch der Hinweis erlaubt sein: Die Bundesrepublik hat aus ihrer besonderen Verantwortung heraus bereits gehandelt. Der Unternehmer, der für Rabta in Libyen verantwortlich zeichnete und zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, könnte für das gleiche Vergehen heute zu zehn Jahren Haft verurteilt werden. Die Umgestaltung des § 34 AWG zu einem Gefährdungsdelikt ist ein geeigneter Weg, die Ausfuhren sensitiver Güter wirksam zu kontrollieren. Künftig werden alle Fälle des Exportes von Gütern der Listen A, B, D und E sowie Güter der Nr. 1711 der Liste C, die ohne oder auf Grund erschlichener Genehmigung exportiert werden, wirksam und erleichtert strafrechtlich - und nicht wie bisher nur als Ordnungswidrigkeit - verfolgt werden können. Desgleichen werden Strohmannkonstruktionen abschrekkend bedroht. Die Ermächtigung zum Erlaß von selbständig neben der Rechtsverordnung stehenden Verwaltungsakten ermöglicht es der Bundesregierung überdies, im Einzelfall auf Versuche, Rüstungsexporte zu erschleichen, schnell und wirksam zu reagieren. ({1}) Die FDP-Fraktion ist auch bereit, zum Zweck der wirksamen Bekämpfung illegaler Exporte einer Fernmeldeüberwachung in Fällen begründeten Verdachts und auf Grund richterlicher Entscheidung zuzustimmen. Unserer weiteren aufmerksamen Beobachtung bedürfen allerdings die Exporte von Gütern der Liste C, mit Ausnahme der erwähnten Nr. 1711. Es sind dies in aller Regel sogenannte Dual-use-Güter, d. h. Güter, die sowohl zur zivilen als auch zur militärischen Verwendung geeignet sind. Hier wird auch in Zukunft, entsprechend der bisherigen Rechtslage, die Eignung zur Gefährdung der Rechtsgüter nach § 7 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz im Falle illegaler Exporte nachzuweisen sein. Damit sind wir bei einer der zentralen Fragen der Rüstungsexportkontrolle: Bei Dual-use-Produkten stößt eine auf Freiheit basierende Gesetzgebung an ihre Grenzen. Was der Gesetzgeber nicht leisten kann, ist, fehlende Moral der in den Unternehmen verantwortlich Handelnden zu ersetzen. Daher ist bei diesen Dual-use-Gütern in besonderem Maß die Eigenverantwortung der Unternehmen und der Unternehmensverbände gefordert. Wer hier künftig als Verantwortlicher in einem Unternehmen Mißbrauch treibt, darf keine stillschweigende Duldung durch anDr. Kolb dere Unternehmer oder die Mitarbeiter in den Betrieben erfahren. Es darf auch nicht so sein, daß wir Selbständigen, wir Unternehmer - und ich spreche hier als Unternehmer - immer nur die Solidarität und Hilfe der Politik einklagen. Es muß auch eine Wirtschaftsethik, einen Verhaltenskodex geben, der geeignet ist, das Vertrauen der Bürger in das Rechtsempfinden der gesellschaftlichen Entscheidungs- und Leistungsträger zu erneuern und dauerhaft zu bewahren. ({2}) Der Anlaß zur erneuten Änderung des AWG sind nicht legale Exporte, sondern illegale Exporte. Die Bundesrepublik hat beispielsweise seit mehr als 30 Jahren keine Exporte von Rüstungsgütern in den Irak mehr genehmigt. ({3}) Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Waffenexportland. Der legale Export von Kriegswaffen hatte 1990 einen Anteil von 0,3 % am Gesamtexport. Die wirtschaftliche Bedeutung des legalen Rüstungsexports ist somit sehr gering. Ich brauche nicht zu wiederholen, daß die FDP überdies auch in der Frage der legalen Exporte eine äußerst restriktive Linie hält, die durchgängig durch eine Reihe von Parteitagsbeschlüssen bis hin zum Wahlprogramm 1990 dokumentiert wird. ({4}) Ich komme zum Schluß und möchte nicht versäumen, noch auf eine wichtige Frage hinzuweisen, die wir bei allem Bemühen, illegale Exporte zu bekämpfen, nicht übersehen dürfen und die uns möglicherweise bereits morgen erneut beschäftigen wird.

Dr. Christa Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002001

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich bin dabei, zum Ende zu kommen. Ich bitte um Ihr Verständnis. - Wir leben und wirtschaften in einem arbeitsteiligen Europa. Wir nähern uns dem gemeinsamen europäischen Markt, in dem nationale Kontrollen schwieriger werden als bisher. Wir brauchen - und hier stimme ich dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, ausdrücklich zu - ein gleichgerichtetes Verhalten aller europäischen Staaten. Wir werden unseren eigenen hohen Anspruch nur dann durchhalten können, wenn wir es erreichen, daß die Vorschriften mit denen der EG abgestimmt werden und in ein Konzept zu einer europäischen Kontrolle von Rüstungsexporten einfließen. ({0}) Wie sollten wir uns zukünftig an Gemeinschaftsprojekten der Rüstungskooperation beteiligen können, wenn die Gefahr besteht, daß auf diesem Wege erneut eine deutsche Beteiligung an Waffenlieferungen in Drittländer möglich wird? Die Bundesregierung ist und bleibt aufgefordert, hier initiativ zu werden. ({1}) Meine Damen und Herren, der Auftrag zu ständiger Weiterentwicklung des AWG bleibt bestehen. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß wir uns jetzt und zukünftig dieser Aufgabe stellen werden. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollenberger.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Wochen stehen die Rüstungsexportpraktiken der deutschen Industrie im Kreuzfeuer nur allzu berechtigter Kritik; denn hemmungslose Waffenexporte haben den grausamen Krieg am Golf erst möglich gemacht. Immer lauter wird dabei die Frage nach der Rolle der Politiker, vor allen Dingen nach der der Bundesregierung bei diesen Rüstungsexporten gestellt. Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf der CDU/CSU und FDP soll offensichtlich die Flucht nach vorn angetreten und der Öffentlichkeit suggeriert werden, das Problem der Rüstungsexporte sei vor allem ein Problem einer Handvoll Firmen, die sich in kriminellen Praktiken üben. ({0}) - Hören Sie mir erst einmal weiter zu. Natürlich geht die deutsche Industrie nur allzugern auf das Ablenkungsmanöver ein. Als in der vergangenen Woche der neue Wirtschaftsminister Möllemann die Bonner Journalisten über sein Vorhaben in Sachen Exportkontrolle informierte - übrigens ohne die Namen betreffender Firmen zu nennen - , begrüßte der BDI seine Initiative und bot seine konstruktive Mitarbeit an. Freude über soviel Eilfertigkeit kann dennoch nicht aufkommen, wenn man weiß, daß selbst Herr Möllemann einräumen mußte, daß die bisher bestehenden Möglichkeiten der Strafverfolgung und Bestrafung nicht ausgeschöpft wurden. Weder Gesetze noch internationale Verträge und auch nicht die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes können den Export von Kriegswaffen und Rüstungstechnologien verhindern, wenn der politische Wille für ihre ernsthafte Durchsetzung fehlt. Damit sind wir beim Kernpunkt. Das eigentliche Problem sind keineswegs die illegalen, sondern die offiziell genehmigten Rüstungstechnologie- und Waffenexporte. ({1}) - Das ist richtig. - Die deutsche Industrie ist im Grunde gesetzestreu. Sie war es auch im Falle der Irak-Exporte. ({2}) Bundesdeutsche Rüstungsexporte scheuen zwar das Licht der Öffentlichkeit, passieren die deutschen Grenzen jedoch in aller Regel unter strikter Beachtung der jeweils geltenden Ausfuhrbestimmungen. Von der C-Waffen-Fabrik im irakischen Samarra, vor deren Folgen die Bundesregierung übrigens frühzeitig gewarnt wurde, war in diesem Hohen Haus schon des öfteren die Rede. Sie besteht zum großen Teil aus Anlagen, die seinerzeit die Bundesrepublik mit Bonner Genehmigung verließen. Ich zitiere aus einer Antwort der Bundesregierung an die damalige Abgeordnete Petra Kelly vom 7. Juli 1984: Bei den von der Firma Karl Kolb Pilot Plant in den Irak gelieferten Anlagen handelt es sich um katalogmäßig angebotene Labor- bzw. Produktionsanlagen, die nicht zur Herstellung chemischer Waffen geeignet sind. Ebenso sprach die Bundesregierung von zivilen Produkten, als bekannt wurde, daß die bayerische Rüstungsschmiede MBB Kampfhubschrauber in den Irak geliefert hatte. Als Kampfbomber vom Typ Tornado an das Königreich Jordanien geliefert werden sollten - wobei die Kreditanstalt für Wiederaufbau diesen Deal mitfinanzieren sollte -, hieß es dann lapidar, die Verantwortung liege bei den Briten. Dies ist die ganz alltägliche Normalität, die Deutschland zu einem der führenden Rüstungsexporteure der Welt gemacht hat. ({3}) Normal ist in diesem Land, daß umfangreiche Rüstungsexportgeschäfte abgewickelt und immer dann, wenn es brenzlig wird, mit einer Fülle von Argumenten der Regierung legitimiert werden. Dabei reichen die offiziellen Äußerungen von der Behauptung, es handele sich um zivile Geschäfte, bis hin zu wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Bundesrepublik. Vom ursprünglichen Gelöbnis „Nie wieder deutsche Waffen" hin zu „Kein Krieg ohne uns" - das ist die tragische Bilanz deutscher Exportpolitik, wobei alles mit Wissen und Billigung der Bundesregierung geliefert wird, was nicht ausdrücklich verboten ist. ({4}) Wie bereitwillig die Bundesregierung mit ihren Genehmigungen verfährt, beweist die Tatsache, daß sie erst kürzlich den Export von Milan-Panzerabwehrraketen nach Indien gestattete, obwohl ihr doch die pakistanisch-indischen Spannungen bekannt sein müßten. Ein Blick in die globalen Angaben der Bundesregierung zeigt, daß noch im Jahre 1989 genehmigungspflichtige Waren von strategischer Bedeutung im Wert von 95 Millionen DM ganz legal in den Irak geliefert wurden. In einer Antwort auf Fragen der GRÜNEN im Bundestag bestätigte die Bundesregierung im November 1990, daß noch 1985, also während des Krieges zwischen Irak und Iran, sogar Waffenmunition und Rüstungsmaterial im Wert von 65 Millionen DM mit Bonner Genehmigung in den Irak gelangten. Branchenkenner wie der Geschäftsführer der Fahrzeugfirma Blumhardt in Wuppertal, Dr. Dieter Göhnen, erklärten, daß es zeitweise für Belieferungen privater Kunden im Irak keine staatlichen Hermes-Bürgschaften gab, wohl aber für die Exporte an die irakische Armee. Deshalb habe ich gesagt, daß wir weniger novellierte Gesetze als vielmehr den politischen Willen brauchen, Rüstungsexporte nicht mehr zuzulassen. Spätestens in einer Situation, da deutsches Giftgas jüdische Menschen bedroht und irakische Menschen von einem Diktator in einem Krieg geopfert werden, der u. a. durch deutsche Waffen möglich wurde, sollten wir die Lehren aus der verhängnisvollen Rolle, die hemmungslose Rüstungsexporte spielen, ziehen. Deshalb ist die vorliegende Novellierung der Strafprozeßordnung unzureichend. Wir brauchen ein generelles Exportverbot für Waffen und Rüstungsgüter, das im Grundgesetz verankert ist. Gleichzeitig müssen die Anstrengungen für eine weltweite paritätische Abrüstung erhöht werden. Wir brauchen flankierende Maßnahmen, um die Rüstungsindustrie zu einer Umstellung auf zivile Märkte zu bewegen. Der von uns eingebrachte Gesetzentwurf zur Rüstungskonversion, der von diesem Parlament abgelehnt worden ist, hätte die Bundesregierung beauftragt, sich um dieses Problem zu kümmern. Da die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes von den aktuellen Ereignissen unterstrichen wurde, werden wir den Entwurf demnächst erneut einbringen. Inzwischen könnte sich die Gesellschaft aber auch mit den ihr eigenen Mitteln gegen Rüstungsexporteure wehren. Wir schlagen vor, daß bei öffentlichen Ausschreibungen rüstungsexportierende Firmen nicht mehr den Zuschlag erhalten. Empfindliche Gewinneinbußen könnten schneller als alle anderen Maßnahmen die Exporteure zum Umdenken bewegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich einigermaßen an die Zeit hielten. Ich habe Ihnen schon deutlich mehr Zeit zugestanden.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sofort fertig; nur noch zwei Sätze. Gesetze lassen sich umgehen. Dem unbedingten Willen der Gesellschaft zur Veränderung ist dagegen nicht auszuweichen. Das haben die Erfahrungen des friedlichen Umsturzes in Osteuropa belegt. Nur wenn es keinen Handlungsspielraum mehr für die Todeskrämer gibt, können zukünftige Kriege verhindert werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst im Namen der Bundesregierung den Koalitionsfraktionen dafür danken, daß sie bereit waren, den vor wenigen Tagen dem Parlament zugeleiteten Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages einzubringen. Das wird zu einer ganz erheblichen Beschleunigung bei der Beratung des Gesetzentwurfes führen. Damit können wir auch außenpoliBundesminister Möllemann tisch demonstrieren, daß wir in der Lage sind, in dieser sensiblen Frage rasch und entschlossen zu handeln. Der Anlaß der Vorlage ist Ihnen bekannt. Dazu einige Stichworte. Die Bundesregierung hat gegenüber dem Irak niemals Genehmigungen zum Export von Kriegswaffen - etwa Panzer, Kampfflugzeuge oder Raketen - gegeben; nicht nach 1982, allerdings auch nicht vor 1982. Es laufen jedoch, wie Sie wissen, aus der Zeit vor dem Embargo mehrere Verfahren wegen illegaler Exporte. Diese Fälle sind besonders bedrükkend und gefährlich, weil sie im Bereich der Technologie für Chemiewaffen, Nukleartechnologie und Raketen stattgefunden haben. Ferner sind in den letzten Monaten eine Reihe von versuchten Verstößen gegen das Wirtschaftsembargo bekanntgeworden. Hier dauern die Ermittlungen noch an. Schließlich lassen die Bemühungen ausländischer Staaten nicht nach, sich sensitive Waren zum Aufbau einer eigenen Rüstungsproduktion aus der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. Leider haben deutsche Unternehmen hierzu Hilfestellung geleistet. Ein lückenloser Bericht über die Erkenntnisse über illegale Rüstungsexporte in den Irak soll diesem Haus möglichst rasch vorgelegt werden, wie ich es anläßlich der Debatte vor einigen Wochen zugesagt habe. Unter dem Eindruck von Rabta sind das Außenwirtschaftsrecht und das Kriegswaffenkontrollgesetz in den letzten zwei Jahren bereits mehrfach verschärft worden. Mit dem Entwurf, den die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat und der heute zur ersten Beratung ansteht, sollen die einschlägigen Vorschriften in folgenden Punkten noch verbessert werden. Erstens wird ein besonderer Straftatbestand für Embargoverstöße eingeführt. Die Mindeststrafe beträgt jetzt ein Jahr, die Höchststrafe 10 Jahre Freiheitsstrafe. Zweitens werden illegale Exporte über Strohmänner mit einer Höchststrafe von fünf Jahren bestraft. Drittens soll eine Ausfuhr auf Grund erschlichener Angaben regelmäßig eine Straftat mit einer Höchststrafe von fünf Jahren und nicht mehr ein Tatbestand des Ordnungswidrigkeitsrechts sein. Viertens werden illegale Ausfuhren von Waffen, Nukleargütern, Chemie- und Biologieanlagen, die zur Herstellung von Kampfstoffen geeignet sind, regelmäßig Straftaten sein. Eines Nachweises, daß eine Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik erfolgt ist, bedarf es nicht mehr. Fünftens schlägt die Bundesregierung die Einführung einer Befugnis für den Wirtschaftsminister zur Anordnung von Außenwirtschaftsbeschränkungen im Einzelfall vor, um bei drohenden Ausfuhren, auch ohne daß eine Rechtsverordnung vorliegt, rasch handeln zu können. Sechstens soll in der Strafprozeßordnung die Möglichkeit zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs in Fällen begründeten Verdachts von Verstößen im Außenwirtschaftsbereich geschaffen werden, was bisher schon bei Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz möglich ist. Dieser Gesetzentwurf ist besonders eilbedürftig. Ich wäre deswegen dankbar, wenn die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen so rasch wie möglich aufgenommen werden könnten. Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz klar sagen, daß die Bundesregierung bei den anstehenden Beratungen bereit ist, Anregungen und Vorschläge für eine noch bessere Ausgestaltung der Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts zu berücksichtigen. Ich bin zu einem aufgeschlossenen Dialog hierüber bereit. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf soll so rasch wie möglich ergänzt werden - Herr Kollege Bachmaier, ich möchte dies gerne, weil Sie dort ein Monitum hatten, erläutern -, und zwar noch in dieser Woche, d. h. morgen, leiten wir dem Parlament eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes zu, in dem das Zollkriminalinstitut die Möglichkeit erhält, Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis schon bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht einer Straftat, also im Vorfeld von Außenwirtschaftsverstößen, vorzunehmen. Ich würde Sie herzlich bitten, darüber nachzudenken, ob das angesichts der Situation nicht wirklich notwendig ist, daß wir auf die Fälle, über die wir reden, immer erst gestoßen sind, wenn vollendete Tatsachen geschaffen worden waren. ({0}) Von daher, meine ich, ist das ein Instrumentarium, das man bei durchaus legitimen Bedenken, die Sie angedeutet haben, unter Güterabwägung doch einbringen kann. Gleichzeitig soll das Gesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes geändert werden, damit Erkenntnisse, die im Rahmen der sogenannten strategischen Kontrolle - § 3 des G-10-Gesetzes - gewonnen werden, verwertbar sind. Das Finanzministerium wird einen Entwurf zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes vorlegen, mit dem der Aufgabenbereich des Zollkriminalinstituts erweitert wird. Schließlich wird das Justizministerium zwei Entwürfe vorlegen - Herr Kollege Bachmaier, auch dort gilt, daß der Kabinettsbeschluß bereits gefaßt ist; es geht schlicht um die technische Konkretisierung, es steht nicht zur Disposition - : zum einen eine Änderung des Strafgesetzbuches, in das die verschärften Strafbestimmungen des Außenwirtschafts- und des Kriegswaffenkontrollgesetzes künftig übernommen werden sollen. Zum anderen wird eine Vorschrift vorgelegt, mit der alle Einnahmen aus illegalen Exporten abgeschöpft werden können, ohne daß der Exporteur, wie bisher möglich, Kosten abziehen kann. Damit wird das sogenannte Bruttoprinzip eingeführt. Das entspricht auch Ihrer Anregung. Hierüber gibt es also keinen Dissens. Wichtig ist auch eine noch effizientere Arbeit der Genehmigungsbehörde. Wie Ihnen bekannt ist, möchte ich die Ausfuhrkontrollabteilung aus dem Bundesamt für Wirtschaft ausgliedern und zu einem selbständigen Ausfuhramt ausbauen. Sobald die tech428 nischen Fragen geklärt sind, werde ich Ihnen einen Gesetzentwurf zur Neuorganisation des Bundesamtes vorlegen. Lassen Sie mich noch sagen, daß ich es ausdrücklich begrüße, wenn die Medien, die politischen Instanzen und die Wirtschaftsverbände mit eindeutigen Äußerungen die Ächtungskampagne gegen diejenigen unterstützen, die die Möglichkeiten des freien Außenwirtschaftsverkehrs in verbrecherischer Weise mißbraucht haben. Die allergrößte Zahl unserer Unternehmen - dies hinzuzufügen halte ich für genauso geboten und selbstverständlich - verhält sich völlig legal und wird in ihrem Ansehen dennoch von den kriminell Handelnden mitbelastet. Deswegen ist es gut, wenn die Unternehmensverbände hier eindeutig Partei nehmen und beziehen. Durch eine weitere rasche Verschärfung der Exportkontrollen, wie jetzt vorgesehen, und die ebenso energischen administrativen Maßnahmen müssen wir den illegalen Lieferanten das Handwerk legen. Erlauben Sie mir zum Schluß zu drei Punkten der Debatte kurze Anmerkungen. Ich glaube, es hilft nicht viel, wenn wir bei der Bewertung von Rüstungsgüter produzierenden Unternehmen Kriterien verwenden, wie sie vorhin im Beitrag der Kommilitonin vom Bündnis 90 gebracht worden sind. ({1}) - Der Kollegin vom Bündnis 90. ({2}) - Es ist wohl wahr: Man wird den Bildungsminister so schnell nicht los. ({3}) - Es ist wahr: In den Hörsälen war mehr los. Es waren auch mehr Leute da. Übrigens: Einer der Kollegen, der vorhin moniert hat, daß so wenige da seien, ist jetzt schon wieder nicht mehr hier. Es ist natürlich auch nicht so mitreißend, wenn Herr Gysi sagt, es müßten mehr hier sein, redet und dann selbst nicht mehr da ist. Ganz konsequent ist das auch nicht. ({4}) - Also, Herr Gysi hat sich bei Herrn Gallus entschuldigt; das entschuldigt natürlich dann alles. ({5}) Wir haben eine bewußte politische Entscheidung getroffen, die von fast allen Fraktionen dieses Parlaments getragen wird: daß wir eine bewaffnete Landesverteidigung haben. Daß wir für die dazu geschaffene Bundeswehr die eigene Bewaffnung zum Teil selbst herstellen, ist gewollter Entschluß dieses Parlaments. Die Aufträge hierzu werden von diesem Parlament beschlossen, auch die Finanzierung abgesichert. Von daher ist es nicht seriös, wenn man in einer Anwandlung von Populismus so tut, als wären die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Rüstungsunternehmen a priori mit einer amoralischen, nicht akzeptablen Tätigkeit befaßt. Das ist nicht richtig. ({6}) Dann wären die Beschlüsse, die wir hier gefaßt haben, unmoralisch. Ich bitte wirklich, das auseinanderzuhalten. Die Frage, wem wir welche Rüstungsgüter in welches Land zu exportieren erlauben, ist eine ganz andere. Wir werden ja darüber in einer anläßlich des Antrags über die Grundgesetzänderung zu führenden Debatte zu reden haben. Ich möchte die Kollegen der SPD-Fraktion doch noch einmal bitten, darüber nachzudenken, ob es so furchtbar überzeugend ist, wenn man in ein und derselben Woche diesen Antrag ankündigt und gleichzeitig dem Export von Rüstungsgütern in einen Nicht-NATO-Staat zustimmt. Sie haben das getan. Ich habe dem auch zugestimmt. Aber es ist nicht konsequent zu sagen „nur NATO" und gleichzeitig zu sagen: auch nach Israel. Israel wird wohl auch künftig der NATO nicht angehören. Von daher sehen Sie, daß man in gewissen Situationen gehalten sein kann, aus außenpolitischen Gründen von einer Regel abzuweichen. Ich bitte Sie deswegen, noch einmal darüber nachzudenken, ob Ihr Antrag so konsequent ist. Eine letzte Bemerkung. Wir werden auch über das Thema der Abwägung des Interesses an Kooperationen zum Zwecke der Standardisierung, der Kostenersparnis nationaler Rüstungsproduktionen z. B. eines Flugzeugs - das ist heute auch gar nicht mehr zu bezahlen - und der restriktiven Exportpolitik zu reden haben. Sie wissen, daß wir Partner haben, die fast überallhin exportieren. Die Systeme, die wir heute im Irak sehen, kommen ja durchweg durch die Bank aus Ost und West. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß wir zu entscheiden haben werden, ob wir alles nur noch national auf eigene Kosten produzieren oder nur noch im Ausland kaufen wollen. Man kann das wollen. Aber so wird diese Debatte zu führen sein. Ich glaube, es ist vernünftig, wenn wir sie neben dieser Diskussion über illegale Exporte und getrennt davon führen, weil es wirklich um zwei verschiedene Sachverhalte geht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bachmaier, Sie haben erst die Wortwahl des Kollegen Kittelmann kritisiert, dann aber in bezug auf den Kollegen Kittelmann selbst von seinem „Tatbeitrag" gesprochen. Sie wissen, daß das ein Begriff aus dem Strafrecht ist. Ich meine, Sie sollten das zurechtrükken. In der gegenwärtigen Situation ist eine nüchterne und sachbezogene Behandlung des Themas Waffenexport nicht einfach. Daß in Israel alte Menschen, die der Vergasung in der Nazizeit mit Mühe entronnen sind, gegenwärtig ständig eine Gasmaske bei sich tragen müssen, weil sie wieder von einem skrupellosen Diktator mit Giftgas bedroht werden, an dessen Produktion Deutsche mitgewirkt haben, ist ein Vorgang, den mit Fassung zu ertragen uns allen schwerfällt. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich habe vor zwei Wochen in Israel vor diesen Menschen gestanden. Wir sind uns sicherlich alle einig, daß diejenigen, die fahrlässig oder vorsätzlich an dieser Waffenproduktion mitgewirkt haben, unnachsichtig verfolgt und bestraft werden müssen. Ebenso besteht kein Streit darüber, daß wir alles tun müssen, um zu noch strengeren und wirksameren Exportkontrollen zu kommen. Allerdings, wir müssen das bei allem emotionalen Engagement mit kühlem Kopf tun. Extreme cases make bad laws - Herr Kollege de With hat einmal dieses englische Rechtssprichwort hier zitiert. Nach Ihrer Stakkato-Rede, Herr Kollege Bachmaier, scheint diese Gefahr bei Ihnen besonders aktuell zu sein. ({0}) - Hören Sie zu, dann bekommen Sie auch alles mit. Nun wird von der Opposition und auch weithin von der sogenannten Friedensbewegung aus durchsichtigen politischen Gründen der Eindruck erweckt, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hätten den zur Waffenproduktion genutzten Technologietransfer in den Irak verhindern können, wenn sie es nur gewollt hätten. Das ist eine völlig unbewiesene Unterstellung, die zudem noch von eigenen Fehleinstellungen im Golfkonflikt ablenken soll. Von den bisher wegen der Irak-Exporte eingeleiteten Ermittlungsverfahren ist bislang keines eingestellt worden, weil die Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes nicht ausgereicht hätten. Im übrigen will ich in diesem Zusammenhang - ausnahmsweise einmal zustimmend - den Kollegen Gansel zitieren - er ist leider nicht anwesend -, ({1}) der in der Debatte am 1. Juni des Vorjahres erklärte: Wir hatten - das ist wahr - auch schon bisher schärfere Gesetze zur Kriegswaffenkontrolle als andere Staaten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, das Wort „sogenannten" zu erläutern, das Sie jetzt in Verbindung mit der Friedensbewegung gebraucht haben? ({0})

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mache ich gern; denn ich glaube, daß die Friedensbewegung in Gefahr ist, einen weit größeren Unfrieden auf der Welt hervorzurufen, wenn sich ihre Ziele realisieren. ({0}) Das, Herr Kollege, können Sie ja in vielen Äußerungen ehemaliger Mitglieder der Friedensbewegung nachlesen. Ich denke nur an Wolf Biermann. ({1}) Vielleicht können wir Einigkeit wenigstens darüber erzielen, daß das schwerwiegendste Problem nicht der genehmigungspflichtige Export von Waffen im engeren Sinne darstellt. Von der Bundesrepublik sind - im Gegensatz zu westlichen Nachbarstaaten - solche Waffen nicht in den Irak geliefert worden. Das Problem stellen vielmehr die Lieferungen von Gütern und Technologien dar, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können. Von den etwa 18 Millionen Exportsendungen, die jährlich die Bundesrepublik verlassen, enthält ein erheblicher Teil solche sensiblen Güter. Die Palette reicht vom Lkw, den Sie natürlich auch für militärische Zwecke einsetzen können, bis zum Computer-und Softwarebereich. Es geht keineswegs nur um Komponenten für Waffen, sondern auch um Technologien, die andere Länder in die Lage versetzen, selbst Waffen sowohl für den eigenen Gebrauch als auch wieder für den Export in andere Länder herzustellen. Es ist kein Geheimnis, daß die größten Rüstungsexporteure im Ostblock saßen. So ist seit Jahren bekannt, daß die Sowjetunion unzweifelhaft der wichtigste Waffenlieferant des Irak war. Ich erwähne dies nicht zur Entlastung der Bundesrepublik, sondern um die werte Opposition daran zu erinnern, daß sie sich in der Vergangenheit nachdrücklich für eine weitgehende Aufhebung der COCOM-Liste eingesetzt hat. Ich zitiere aus der Großen Anfrage der SPD-Fraktion vom 12. Juli 1988: Wir müssen wieder weg vom Embargo- und hin zum Kooperationsdenken. Die COCOM-Embargo-Liste muß endlich gründlich revidiert werden. Was nicht im engeren Sinne - im engeren Sinne! als Waffe, Waffenbestandteil und Technik zur Herstellung von Waffen zählt, muß von der Liste gestrichen werden. Nun will ich ja nicht bestreiten, daß damals im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung der Ostblockländer eine Durchforstung der COCOM-Liste sinnvoll war, obwohl wir damals nicht so weit gegangen sind, wie Sie es wollten. Aber daß jede Lockerung der COCOM-Liste bei der Dual-use-Technologie die Gefahr mit sich bringt, daß über Ostblockstaaten diese Technologie auch in den Nahen Osten gelangt oder Ostblockstaaten den Nahen Osten mit Waffen versorgen, die gerade unter Anwendung dieser Technologie auf den modernsten Stand gebracht worden sind, kann man ja nicht ernsthaft in Abrede stellen. Ihrer Politik fehlt eine klare Linie. Damals waren Sie ungeheuer liberal, heute wollen Sie am liebsten jeden Exporteur von Dual-use-Gütern, ganz gleich ob er fahrlässig oder vorsätzlich handelte oder vielleicht gutgläubig war, hinter Gitter bringen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie bereit, noch eine Zwischenfrage zu beantworten?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rechne es Ihnen nicht an.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie mir erklären, was Sie angesichts der grundlegend veränderten Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa unter dem Begriff Ostblock verstehen?

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen auf der einen Seite, daß die COCOM-Liste den Export in die UdSSR beschränkte, und Sie wissen auf der anderen Seite, daß die Sowjetunion bis in die jüngste Zeit hinein - auch nach Ausbruch des Iran-Irak-Krieges - den Irak in großem Maße mit modernen Rüstungsgütern, mit modernen MiG-Abfangjägern beliefert hat. Dieser Zusammenhang ist deutlich, und er scheint mir eine ausreichende Antwort auf das zu sein, was Sie hier zu rügen scheinen. ({0}) Obwohl wir noch nicht einmal Erfahrungen mit dem ab 1. Juli des letzten Jahres geltenden verschärften Außenwirtschaftsrecht haben, wollen wir jetzt § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes weiter verschärfen. Wir werden im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für weitere Vorschläge offen sein. Ich warne aber davor - ich habe das schon mit meiner Zwischenfrage getan - , die generalpräventive Wirkung solcher Gesetzesänderungen zu überschätzen. Sie selbst haben uns mehrfach darauf hingewiesen, z. B. im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung des Rauschgifthandels. Wir sehen in der Tat bei der organisierten Kriminalität, daß die Androhung hoher Strafen allein wenig bewirkt. Jemand, der in großem Maße mit Rauschgift handelt, will genauso wenig ins Gefängnis kommen wie derjenige, der mit Waffen handelt. Die Wirksamkeit der Generalprävention hängt davon ab, wie hoch das Risiko für den Täter ist, auch erwischt zu werden. Allein auf dem Frankfurter Flughafen werden monatlich im Durchschnitt mehr als 200 000 Kisten für die Ausfuhr abgefertigt. Nach Schätzungen der Zolldienststellen enthalten deutlich über 10 000 dieser Kisten sensible Ware. Aus technischen und personellen Gründen kann aber weniger als 1 % dieser Kisten tatsächlich überprüft werden. Dieses Beispiel macht doch deutlich, worum es in Wahrheit geht. Wir brauchen weniger neue Straftatbestände und schärfere Strafandrohungen als vielmehr eine höhere Aufklärungsquote. Diese läßt sich nur erreichen, wenn unsere Strafverfolgungsbehörden effektiver arbeiten können. Dies wiederum können sie nur, wenn sie ein verbessertes gesetzliches Instrumentarium für die Aufklärung und Fahndung in die Hand bekommen. ({1}) Wir weisen schon seit längerer Zeit darauf hin, daß uns die organisierte grenzüberschreitende Kriminalität, wozu der Handel mit Drogen, aber auch der mit Waffen gehört, über den Kopf zu wachsen beginnt. In dem heute vorgelegten Gesetzentwurf ist zunächst nur der Katalog der Straftaten, deren Verdacht eine Telefonüberwachung möglich macht, um § 34 AWG erweitert worden. Darüber hinaus brauchen wir aber dringend sowohl praktikable als auch rechtsstaatlich abgesicherte Regelungen moderner Aufklärungs- und Fahndungsmethoden. Ich erinnere an das vor einigen Monaten vom Bundesrat eingebrachte Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität, das ja gesetzliche Grundlagen für den Einsatz dieser modernen Fahndungsmethoden schaffen wollte. Ich halte es für dringend erforderlich, möglichst schnell ein Strafverfahrensänderungsgesetz vorzulegen, das diese Fragen regeln soll. Ich begrüße sehr die Ankündigung des Ministers, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis schon zur Vorfeldaufklärung ermöglichen soll. Unseren Zoll- und Polizeibeamten ist nicht zuzumuten, daß man sie mit einem völlig unzulänglichen Instrumentarium in den Kampf gegen hochspezialisierte Verbrecherorganisationen schickt. Außerdem scheint mir auch die Frage noch nicht ausdiskutiert zu sein, ob wir beim Kampf gegen den Waffenhandel im weitesten Sinne nicht auch andere Behörden als Zoll und Polizei zur Vorfeldaufklärung einsetzen müssen. Ich denke an den Bundesnachrichtendienst, über den in diesem Zusammenhang ja schon nachgedacht worden ist und über den wir weiter nachdenken müssen. Bisher haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, immer dann, wenn es um eine gesetzliche Regelung dieser neuartigen Fahndungs- und Aufklärungsmethoden ging, ablehnend reagiert und ein Schild hochgehalten, auf dem stand: Datenschutz. ({2}) Es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie auf der einen Seite vollmundig fordern, der Staat möge jeden illegalen Export von Rüstungsgütern im weitesten Sinne unter Einschluß von Dual-use-Gütern unmöglich machen, ihm auf der anderen Seite aber die dafür erforderlichen gesetzlichen Möglichkeiten verweigern und ihm dann, wenn leider Gottes der eine oder andere kriminelle Waffenexporteur unentdeckt bleibt, auch noch Komplizenschaft vorwerfen. Dieses Doppelspiel werden wir nicht länger hinnehmen. Sie werden demnächst Gelegenheit haben, unter Beweis zu stellen, daß Sie auch zu den strafprozessualen Konsequenzen Ihrer heutigen Forderungen stehen. Vielen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP sowie der SPD auf den Drucksachen 12/104 und 12/120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es Wünsche, dies zu ändern, oder auch zusätzliche Wünsche? - Das ist nicht der Fall. Die Anträge der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/119 und der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/116 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Auch das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen. Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, kann ich weitere Ergebnisse der Wahlen bekanntgeben. *) Es geht zunächst einmal um die Parlamentarische Kontrollkommission. Von 662 stimmberechtigten Abgeordneten haben 620 ihre Stimme abgegeben. 619 Stimmen waren gültig, eine war ungültig. Enthaltungen gab es keine. Die von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP vorgeschlagenen Abgeordneten haben die erforderliche Mehrheit erreicht. Die Abgeordneten der Gruppen PDS/Linke Liste und Bündnis 90/ GRÜNE haben die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder nicht erreicht. Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission sind demnach die Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Olderog, Kraus, Dr. Penner, Dr. Struck, Dr. de With, Dr. Solms und Dr. Hirsch. Ich gebe nunmehr die Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums bekannt. Von den 662 stimmberechtigten Mitgliedern haben 620 ihre Stimme abgegeben. Wiederum waren 619 Stimmen gültig und eine ungültig. Es gab keine Enthaltungen. Die von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP vorgeschlagenen Abgeordneten haben die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder erlangt, nicht dagegen die von den beiden Gruppen vorgeschlagenen Abgeordneten. Zu den Mitgliedern des Vertrauensgremiums sind demnach die Abgeordneten Roth ({0}), Dr. Rose, Walther, Purps und Dr. Weng ({1}) gewählt. Ich gebe jetzt das Ergebnis der Wahl für das Gremium der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht bekannt. Von den 662 stimmberechtigten Abgeordneten haben 620 ihre Stimme abgegeben. Davon waren 599 Stimmen gültig und 21 Stimmen ungültig. Es gab drei Enthaltungen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 301 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 229 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 66 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 6 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der *) Liste der Teilnehmer an den Wahlen Anlage 2 Fraktion der SPD 5 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 1 Mitglied. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge gewählt, in der ihre Namen auf dem Vorschlag erscheinen. Ich bitte Sie, die Namen aus der Drucksache 12/91 ({2}) zu entnehmen. Selbstverständlich werden die Namen auch ausgehängt. * ) Ich komme nunmehr zum Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses nach § 5 des Richterwahlgesetzes. Von den 662 stimmberechtigten Abgeordneten haben 620 ihre Stimme abgegeben. Davon waren 601 Stimmen gültig, 19 Stimmen ungültig. Es gab zwei Enthaltungen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 301 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 232 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 66 Stimmen. Ebenfalls nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 9 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 6 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 1 Mitglied. Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter ebenfalls in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag erscheint. Ich bitte, die Namen aus der Drucksache 12/92 ({3}) zu entnehmen. Auch dieses Ergebnis wird ausgehängt. ** ) Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zum Tagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Thierse, Roth, Adler, Koltzsch, Kuessner, Müller ({4}), Oostergetelo, Pfuhl, Sielaff, Schröter ({5}), Dr. Thalheim, Weyel, Wimmer ({6}) und der Fraktion der SPD Verlängerung der Aussetzung der Zins- und Tilgungsleistungen auf Altkredite im Bereich der Landwirtschaft der neuen Bundesländer - Drucksache 12/13 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Hier ist interfraktionell der Vorschlag gemacht worden, eine Debattenzeit von 45 Minuten zu akzeptieren. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich kann dies als beschlossen feststellen. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben im Dezember einen Antrag für eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums im Bereich der Landwirtschaft eingebracht. Diesem Vorschlag entsprach die Bundesregierung, und das zum Jahresende 1990 auslaufende Schuldenmoratorium wurde verlängert. *) Siehe auch Anlage 3 **) Siehe auch Anlage 4 Auch der zweiten Forderung des SPD-Antrags nach Entschuldung landwirtschaftlicher Betriebe hat die Bundesregierung formal Rechnung getragen, indem sie sich mit der Treuhandanstalt auf ein Konzept der Einzelfallentschuldung verständigte. Der Auftrag des Art. 25 Abs. 3 des Einigungsvertrages ist damit für sie ausgefüllt. Also alles bestens? Wir meinen: keinesfalls. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, die Situation in der Landwirtschaft der ehemaligen DDR ist katastrophal. Das ist in erster Linie eine Folge der Mißwirtschaft in der DDR, die von der SED und den Blockparteien zu verantworten ist. Aber wie in der übrigen Wirtschaft sind auch in der Landwirtschaft seitens der Bundesregierung die Probleme völlig verkannt worden. Auch die agrarpolitischen Entscheidungen des letzten halben Jahres wurden in erster Linie unter wahltaktischem Blickwinkel getroffen. Die Eckpunkte künftiger Agrarpolitik sind bis heute nur verschwommen zu erkennen. Die Verwirrung ist groß. Stellvertretend für die Verunsicherungspolitik sei die im Dezember 1990 durch das Bundesministerium für Landwirtschaft verfügte Sperrung und dann doch noch erfolgte Freigabe der Starthilfe für die Umstrukturierung der LPGen und der Zuschüsse für die umweltverträgliche Landwirtschaft genannt. Bis Ende Februar war nicht klar, ob sich die CSU mit ihrem ausschließlich auf Familienbetriebe orientierten agrarpolitischen Konzept durchsetzen kann oder ob die Umstrukturierungsförderung auch für ehemalige LPGen als Genossenschaften und Kapitalgesellschaften weitergehen wird und wieviel Mittel insgesamt dafür zur Verfügung stehen werden. Es ist also kein Wunder, daß sich die falsche Einschätzung der Situation und die zögerliche Haltung der Regierungsparteien auf die Stimmung der Menschen in den neuen Bundesländern niederschlägt. ({0}) Diese ist von Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst geprägt. Vielen ehemaligen LPGen droht der Konkurs, oder er ist schon eingetreten. Die Folgen sind wachsende Arbeitslosenzahlen gerade in den strukturschwachen ländlichen Räumen ohne nennenswerte Erwerbsalternativen. Die erforderliche Umstrukturierung der Landwirtschaftsbetriebe, also der oft überdimensionierten LPGen, geht nur schleppend voran. Das gleiche gilt für die Zusammenführung der Tier- und Pflanzenproduktion. Nicht zuletzt ist die oft unterschiedliche Verschuldungshöhe der Betriebe ein Hemmnis für das Zusammengehen. Die Wiedereinrichtung landwirtschaftlicher Familienbetriebe bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Dazu kommt die unbefriedigende Erlössituation, die alle Betriebsformen gleichermaßen hart trifft. Die Auszahlungspreise beispielsweise bei Milch liegen erheblich unter denen in den alten Bundesländern. Wir Sozialdemokraten haben frühzeitig auf die Probleme aufmerksam gemacht und haben Infrastrukturinvestitionen in den ländlichen Räumen sowie Anpassungs- und Überbrückungshilfen für die neuen Bundesländer gefordert. Sie haben das Gegenteil gemacht: die Probleme verniedlicht und uns als Nörgler hingestellt. ({1}) Jetzt darf nicht noch mehr Zeit verstreichen. Es ist ein agrarpolitisches Konzept für die Umstrukturierung der Landwirtschaft in der ehemaligen DDR notwendig. Dieses Konzept kann nur von der realen Betriebsstruktur ausgehen, wie sie jetzt in den neuen Bundesländern gegeben ist. Eine Übernahme der Agrarstruktur der alten Bundesländer ist unrealistisch. Wir sehen die Aufgabe der Agrarpolitik darin, Leitlinien für die dringend notwendige Umstrukturierung der Landwirtschaftsbetriebe vorzugeben, die auf den heutigen Strukturen in den neuen Bundesländern aufbauen, eine Chancengleichheit aller Betriebsformen einräumen, ohne den landwirtschaftlichen Familienbetrieb als Leitbild der EG-Agrarpolitik grundsätzlich aufzugeben. Neben der Ausgestaltung der Förderprogramme zur Umstrukturierung sehen wir zwei Schwerpunkte: Erstens die Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes mit dem Ziel, die Bedingungen für die Umstrukturierung der ehemaligen LPGen einschließlich der Vermögensauseinandersetzung beim Ausscheiden ehemaliger Mitglieder präziser zu fassen. Die Aktivitäten der Bundesregierung auf diesem Gebiet werden von uns unterstützt. Zweitens. Die Fragen der Entschuldung der Altkredite müssen im Sinne der Betroffenen zufriedenstellend gelöst werden. Die Entschuldung muß vor dem Hintergrund der sogenannten sozialistischen Agrarpolitik gesehen werden. Die Landwirtschaft unterlag wie kaum ein anderer Bereich der staatlichen Reglementierung. Der größte Teil der Schulden im investiven Bereich geht auf politisch verordnete Objekte zurück. Das waren erstens Anlagen der industriemäßigen Tierproduktion und zweitens Anlagen im Bereich der Gemüse- und Sonderkulturproduktion mit dem Ziel einer autarken Versorgung der Bevölkerung. Durch staatliche Preis- und Subventionspolitik wurde künstlich ein positives Aufwand/Nutzen-Verhältnis ermöglicht. Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion sind diese Voraussetzungen für ein derartig „effektives" Wirtschaften entfallen. ({2}) - Das „effektiv" ist bewußt in Anführungszeichen gesetzt, weil das seinerzeit auf Subventionen beruhte. Unter heutigen Bedingungen sind aus den Einnahmen weder eine Tilgung noch eine Zinszahlung realisierbar. Die Gründe dafür können wir wie folgt auflisten. Erstens. Gemessen am bundesdeutschen Standard sind die Anlagen technisch/technologisch veraltet bzw. basierten auf einer unter Effektivitätskriterien ungeeigneten technologischen Grundkonzeption. Selbst bei straffester Rationalisierung sind diese Anlagen weder einer effektiven Nutzung noch einem wirtschaftlichen Umbau zuzuführen. Zweitens. Die Anlagen wurden vergleichsweise kostenaufwendig errichtet. Selbst nach der Währungsunion liegen die Gestehungskosten über dem vergleichbaren Niveau der Altländer. Der technologische Rückstand ist dabei noch nicht berücksichtigt. Drittens. Viele Anlagen sind unter den heutigen marktwirtschaftlichen Bedingungen überhaupt nicht mehr zu nutzen, sofort stillzulegen oder bereits stillgelegt. Ich möchte diese Aussagen am Beispiel von konkreten Objekten aus meinem vorhergehenden Verantwortungsbereich, der Abteilung Landwirtschaft des Regierungsbezirks Chemnitz, erhärten. ({3}) Diese Beispiele sollen exemplarisch für einen großen Teil der Altschulden stehen. Erstes Beispiel: eine Gewächshausanlage in der LPG Schwarzenberg. Sie wurde in 500 Meter Höhe zur Tomatenproduktion errichtet. Jährlicher Zuschuß: 1 Million Mark. ({4}) Zur Zeit sind die Nachfolgebetriebe, in der Regel kleine Landwirtschaftsbetriebe, mit den Altkrediten belastet. Zweites Beispiel: im Kreis Rochlitz die Milchviehanlage der LPG Kottwisch. Sie war als RGW-Beispielsanlage mit 400 Milchkuhplätzen geplant. Sie wurde auf 630 aufgestockt mit dem Hinweis, daß erhebliche staatliche Fördermittel eingesetzt werden sollten. Letzten Herbst, bei 80 % Fertigstellung, erfolgte der Baustopp. Zur Zeit ist die Anlage mit 7,6 Millionen DM belastet. Für die Fertigstellung wären noch 2 Millionen DM nötig. Der Betrieb ist in Konkurs gegangen. Zur Zeit verschleudert ein Konkursverwalter aus den alten Bundesländern das Vermögen. Die Konsequenz: Die ehemaligen Landeinbringer werden den nackten Boden aus dem Betrieb zurückbekommen. Ich frage Sie: Wie will ein privater Landwirt so anfangen? Die Folge wird sein, daß das Land von Großpächtern aus den alten Bundesländern gepachtet wird. Damit entstehen landwirtschaftliche Strukturen, wie wir sie gerade nicht haben wollen. Der Vorwurf, der an die Entschuldung gebunden ist, daß wir damit Strukturen zementieren wollten, wird dadurch ad absurdum geführt. Die zwei Beispiele stehen exemplarisch und sollen genügen. Solange ungewiß ist, wer die Schulden für diese unwirtschaftlichen oder nutzlosen Anlagen übernimmt, bleibt die Herausbildung von Familienbetrieben schwierig und die Teilung der Genossenschaften problematisch, weil die Nachfolgebetriebe die Schulden übernehmen müssen. Aus diesen Gründen fordern wir mit Nachdruck die Entschuldung. Auch kritisieren wir die Entschuldungskonzeption der Bundesregierung, die uns bis jetzt zwar nur im Entwurf vorliegt. Aber wir können uns schon mit dem Entwurf nicht einverstanden erklären. Am 1. Juli war die DDR-Landwirtschaft mit 7,6 Milliarden DM verschuldet. Nach unserer Kenntnis plant die Bundesregierung eine Plafondierung der Verschuldung auf 1,4 Milliarden DM. Es ist zu fragen, ob die 1,4 Milliarden DM ausreichen werden oder ob an sich sanierungsfähige Betriebe über dieser Plafondierung kaputtgehen. Vage ist auch die Regelung, daß nur Verbindlichkeiten entschuldet werden, die keinen positiven Beitrag zum Betriebsergebnis geleistet haben. Völlig abwegig ist außerdem die Vorstellung des Bundesfinanzministers, daß Betriebe, die nach der Entschuldung Gewinne machen, 50 % dieser Gewinne wieder an die Treuhand abführen müssen. ({5}) Für diesen Teil der Betriebe stellt die Regelung keine Entschuldung dar, sondern nur ein Schuldenmoratorium. Solche Betriebsleiter, die den Neubeginn wagen und tatkräftig angehen, werden sogleich wieder beim Übergang von der Marx- zur Marktwirtschaft bestraft. Richtig ist, von den umzuschuldenden Betrieben Sanierungs- und Entwicklungspläne zu verlangen. Aber die Betriebe, die diese vorlegen können, weil sie berechtigte Hoffnungen auf die Wettbewerbsfähigkeit in einem übersehbaren Zeitraum haben, müssen nach unserer Auffassung alle in den Genuß der Entschuldung kommen. Sie fallen nach unserer Auffassung unter die Einzelfallregelung des Art. 25 Abs. 3 des Einigungsvertrages. Hier gibt es aber noch einige Haken. Die Bundesregierung ist zwar unserer Auffassung, daß das Schuldenmoratorium zu verlängern ist, gefolgt, sie hat es aber unterlassen bzw. nicht geleistet, daß nahtlos Entschuldungsregelungen greifen. Jetzt kann es geschehen, daß an sich sanierungsfähige Betriebe durch die hohen Zinszahlungen, die nach der Beschlußlage der Bundesregierung sofort oder noch vor einer möglichen Entschuldung einsetzen, so geschwächt werden, daß auch sie pleite gehen. Das darf nicht geschehen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sofort das Schuldenmoratorium solange zu verlängern, bis über die Entschuldung in allen Einzelfällen entschieden ist. ({6}) Dies ist auch deshalb nötig, weil zwar richtigerweise von den zu entschuldenden Betrieben Sanierungs- und Entwicklungspläne verlangt werden, diese aus verständlichen Gründen aber nicht von heute auf morgen zu erstellen und zu begutachten sind. Die Verwaltung, die das alles kann, gibt es in den neuen Ländern noch gar nicht. Sie befindet sich im Aufbau. ({7}) Auch aus diesem Grunde muß die Bundesregierung das Schuldenmoratorium verlängern und die Entschuldung, den Verwaltungsaufbau, auch mit Ver434 waltungshilfe aus den alten Ländern, vorantreiben. Alles andere wäre unredlich. Ich betone noch einmal: Ihre Plafondierung ist Ausdruck von Halbherzigkeit und eine leider auch in diesem Punkt konsequente Fortsetzung der bereits von mir geschilderten CSU-Politik zum Nachteil vieler landwirtschaftlicher Betriebe bei uns. Unser Antrag, das Schuldenmoratorium zu verlängern und Entschuldungsregelungen zu erlassen, die einen Neubeginn in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer nicht behindern, sondern beim Übergang zur Marktwirtschaft fördern, hat deshalb bis heute seine volle Berechtigung. Ich fordere Sie auf, die Gesamtprobleme der Altschulden nunmehr endlich zufriedenstellend im marktwirtschaftlichen Sinne zu regeln. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krause ({0}).

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Beim vorliegenden Antrag haben wir den Fall, daß eine Oppositionspartei vom Plenum die Weiterführung von Maßnahmen fordert, die die Regierung seit Monaten ohnehin durchführt. ({0}) Warum der Antrag? Wenn dich deine Gegner loben, dann traue ihnen nicht. ({1}) - Ich lebte bislang als Dezernent in einem Kreis, in dem die meisten Privatisierungen im Land Sachsen-Anhalt stattgefunden haben. Wenn es hier so dargestellt worden ist, als gäbe es in der Landwirtschaft der ehemaligen DDR nur lammfromme Opfer, so ist das wirklich nur die halbe Wahrheit und führt am Thema vorbei. ({2}) Dieser Antrag muß Anlaß sein, das bisherige allgemeine Schuldenmoratorium noch einmal zu hinterfragen. ({3}) Woraus resultiert die Verschuldung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften? Ich will nicht das wiederholen, was der Vorredner sagte. Die sogenannten LPGen waren staatlich gelenkte Betriebe. Die Eigentümer waren de facto enteignet. Eine LPG mit Namen Friedrich Schiller war z. B. ebensowenig ein literarischer Verein wie eine Genossenschaft. ({4}) Die sogenannte sozialistische Landwirtschaft wurde mit immer höheren Subventionen zu Lasten der Gesamtbevölkerung künstlich am Leben erhalten. Sie können im Statistischen Jahrbuch nachlesen, daß 1989 die tatsächlichen Verluste für den Staatshaushalt netto 4 500 Ostmark pro Hektar betrugen. Dies wurde lügenhaft als Stützung der Verbraucherpreise verkauft. Die Butter war teurer als hier. ({5}) - Für die Wasserbutter nicht; dafür gilt es nicht. Für Investitionen mußten aber auch dann noch Zwangskredite aufgenommen werden, wenn die LPGen ein Guthaben hatten. In den meisten LPGen überstiegen demgegenüber - das ist für einen Westdeutschen ganz schwer verständlich - die Zwangsabführungen an den Staatshaushalt bei weitem die noch offenstehenden Kreditsummen - sie wurden genannt - in Höhe von derzeit 7,6 Milliarden DM. Das heißt, unabhängig von allem anderen Finanztohuwabohu hatten die Betriebe in den letzten fünf bis acht Jahren wesentlich höhere Summen, das Mehrfache, über dieselben Banken abzuführen, bei denen noch Kredite ausstanden. Das Finanzdurcheinander der Papiermark der DDR war auch in der Landwirtschaft rechnerisch richtig und gleichzeitig sachlich völlig falsch. Es wird die Verlängerung des Schuldenmoratoriums geben; darüber sind sich doch alle einig. Aber sie verlangt konkrete Bedingungen: eine juristisch einwandfreie Umwandlung der sozialistischen Zwangsgenossenschaften, eine Wiederherstellung von Verfügungsgewalt und Verantwortung der Eigentümer, und zwar der Verfügungsgewalt über Vermögen und über die Geschäftsführung. Hören Sie den Vorschlag: die Verfügungsgewalt der Eigentümer über Vermögen und über die Geschäftsführung. Die Beschäftigten, die heute noch in den Betrieben arbeiten, verfügen seit einem Jahr plötzlich ganz allein über das Betriebsvermögen. Was derzeit in vielen LPGen läuft, wurde angedeutet, ist aber - hören Sie bitte zu, meine Herren Sozialisten - eine Umverteilung des den Bauern geraubten Eigentums auf die Arbeitnehmer und - wie schon gesagt - betriebsfremde kriminelle Elemente. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo zuzulassen?

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Noch nicht, am Schluß. Wer sich an der gesetzwidrigen und kriminellen Aufteilung der von den LPGen nur genutzten Vermögen jetzt beteiligt, macht sich persönlich mitschuldig. Dies ist ein Trojanisches Pferd der alten Machthaber des SED-Staates. So werden bisher redliche Menschen systematisch an neuem Unrecht beteiligt. Die Landbevölkerung - das werden mir diejenigen, die aus der ehemaligen DDR kommen, bestätigen - wird gegeneinander aufgewiegelt. Wer sich am Betrug beteiligen läßt, wird aber letztendlich der am meisten Betrogene sein. Er soll dann die Zeche für die SED-Verbrecher mitbezahlen. Dr. Krause ({0}) Deshalb sind wir konkret für eine Entschuldigung der nicht Schuldigen, aber nicht für einen pauschalen Freibrief für die in vielen LPGen immer noch wirtschaftenden roten Bankrotteure. ({1}) Es darf und wird demzufolge keine Haftungsgemeinschaft zwischen den sozialistischen Betrügern und den betrogenen Bauern geben. Die Bestohlenen haften nicht für die Verbindlichkeiten der roten Diebe. Eine bilanzielle Entlastung wird deshalb konkret immer eine Entschuldung der nicht Schuldigen sein müssen, eine Entschuldung aber immer nur für einen konkreten Einzelfall. Sie ist niemals ein Freibrief für kollektive Mißwirtschaft. Das Schuldenmoratorium läuft jetzt schon acht Monate. ({2}) - Nein, am Schluß! ({3}) Die Neuschulden pro Tag, die neu gemachten innerbetrieblichen Schulden zu Lasten der Vermögen, der Tierbestände, sind in ihrer Summe wesentlich höher als die bisherigen Altschulden von - Sie haben es sicherlich ausgerechnet - I 240 DM pro Hektar. Pro Tag gingen etwa 15 Mark - unter sozialistischen Ostmarkverhältnissen - „den Bach runter". Das war so bei niedrigeren Löhnen und höheren Preisen! Jetzt ist das, was verwirtschaftet wird, wesentlich mehr. Das Schuldenmoratorium läuft - wie gesagt - acht Monate. Eine Reihe von Betrieben hat die Chance zur Umstrukturierung schon recht gut genutzt. Aber in vielen LPGen wurde der Kostensatz künstlich auf 200 % erhöht. Natürlich ist es unbefriedigend, daß die Erzeugerpreise heute wesentlich niedriger sind als in den alten Ländern. Aber es ist verantwortungslos, wenn zugleich in vielen LPGen die Gehälter auf das Zwei- bis Dreifache erhöht wurden. Das haben Sie nicht erwähnt. ({4}) Der Antrag der SPD auf eine pauschale Verlängerung des Schuldenmoratoriums darf nicht dahin führen, daß Gewinne, Guthaben und Betriebsvermögen unter den letzten Beschäftigten privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. ({5}) Auch der Steuerzahler und der Sparer dürfen nicht die Zeche für weitere Mißwirtschaft bezahlen. Die Lösung liegt also erstens in der Verhinderung weiterer Mißwirtschaft und zweitens in einem differenzierten Moratorium. Sie haben die Zahlen ja genannt, 1,4 Milliarden DM gegenüber 7,6 Milliarden DIVI; das sind 20%. Das ist wesentlich mehr, als für eine Stornierung - wenn dies generell ware - notwendig wäre. Ich sagte es schon einmal: Eine pauschale Verlängerung des Schuldenmoratoriums als einen warmen Regen über Gerechte und Ungerechte lehnen wir ab. ({6}) - Das habe ich selbst geschrieben. - Eine spätere teilweise Rückzahlung, wie das hier genannt wurde, bedeutet ja nicht - das hat niemand gesagt -, daß 50 % der Gewinne an die Treuhand gehen, sondern es geht, falls Gewinne gemacht werden, um his zu 50 % dieser bilanzierten Entlastung. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. ({7}) - Nein, Sie haben wohl nicht richtig gelesen. Für neu eingerichtete Familienbetriebe und andere rechtsstaatliche Bewirtschaftungsformen gibt es Erlaßmöglichkeiten. Das hat Ihnen das Ministerium sicherlich auch gesagt. Die SED-geschädigten Bauern werden unter einer von dieser Koalition getragenen Regierung nicht die Suppe auslöffeln müssen - da bin ich sicher - , die ihnen die Kommunisten eingebrockt haben und die ihnen ein SPD-Ministerium in Ost-Berlin mit diesem blöden Gesetz versalzen wollte. ({8}) Weiterführung des Schuldenmoratoriums im konkreten Einzelfall ja, aber keine Blankovollmacht für weiteres kollektives Herunterwirtschaften! Der Einsatz dieser Mittel muß einzig und allein dem Wiederaufbau einer wirtschaftlich und rechtlich sauberen Landwirtschaft und einer - ich sagte es schon - Entschuldung der Nichtschuldigen zugute kommen. Noch ein Letztes! Zuruf von der SPD: Das ist gut!) Ein neues Konzept „Verfügungsrecht der Eigentümer über ihr Eigentum" ! Das wichtigste ist jetzt, daß nicht die Beschäftigten, die sich in alter Art und Weise „Mitglieder nennen, Verkäufe tätigen, Guthaben herunterwirtschaften, sich bis zu fünfstellige Summen auszahlen. Es geht nicht um die Alternative Familienbetrieb oder Genossenschaft, also darum, daß derjenige, der sich nicht selbständig machen will, sein Land der alten LPG lassen müsse. So ist es nicht. ({9}) Es wird ein völlig neues Anpassungsgesetz notwendig sein. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte darum, den Redner doch ausreden zu lassen. Im übrigen hat Herr Dr. Krause verkündet, daß er am Ende seiner Rede die Frage beantworten werde. Dann können Sie ihn erneut fragen. Jetzt aber sollte er die Möglichkeit haben, ungestört zu Wort zu kommen.

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wird ein neues Gesetz geben, das von den roten und rosaroten politiDr. Krause ({0}) schen Schimären des Anpassungsgesetzes frei sein wird. Ich gestatte jetzt, wenn sie nicht auf mene Redezeit angerechnet wird, die Zwischenfrage. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Oostergetelo, bitte schön!

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wenn man die Probleme in den neuen Bundesländern und die Schwierigkeiten der Umgestaltung nach diesen 40 Jahren, die Sie zu Recht kritisiert haben, sieht, ist es dann zuviel verlangt, wenn man ein Schuldenmoratorium fordert, bis die Schuldenfrage geklärt ist? Hier gibt es jetzt ja eine Einigung. Ist das wirklich zuviel verlangt? Was können die einzelnen dafür, was dort in 40 Jahren geschehen ist? Sind Sie der Meinung, daß die vielen Bankrotte billiger sind, als wenn man den einen oder anderen retten hilft? Ich frage Sie, was die Kritik anbelangt, die Sie hier sehr derbe vorgetragen haben: Sind denn die Pressemitteilungen völlig falsch, in denen uns mitgeteilt wurde, daß es in Stendal einen Veterinärmediziner gab, der heute Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt ist, der ein hohes Lob auf die Politik des damaligen SED-Regimes gesungen hat?

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum letzten: Sie müßten konkret sagen, wann er wo ein hohes Lob gesungen hat. ({0}) - Das ist mein Kollege Gies; ich kenne ihn.. Zu der anderen Frage: Ich möchte nicht, daß nur der eine oder der andere gerettet wird. Ich möchte, daß alle; die Land eingebracht haben, die Inventar eingebracht haben, die vertrieben wurden, die enteignet wurden, die eingesperrt wurden, die hei den Zwangskollektivierungen unter fadenscheinigsten Vorwänden vor der Ernte mitsamt Frau eingesperrt wurden, und daß diejenigen, die 30, 35 Jahre gearbeitet haben, bei der Verteilung des Vermögens etwas erhalten. ({1}) Deswegen bin ich für jede Unterstützung derer, die in voller Verantwortung wirtschaften. Aber, Herr Oostergetelo, es sollte keinen pauschalen Regen - ich sagte es bereits - über Ungerechte und Gerechte geben. Die rote Mißwirtschaft hat genug veruntreut. Die Banken sollten ihre Möglichkeiten nutzen, weitere Mißwirtschaft zu verhindern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Thalheim den Wunsch zu einer Zwischenfrage. Sind Sie bereit, auch darauf zu antworten? - Auch diese gestatte ich noch, wie auch eine weitere. Dann aber entsteht sozusagen die - Situation, daß die Antwortzeit länger als die Redezeit ist. Das hei fit, da hört es mit der Gemütlichkeit dann auf. - Herr Dr. Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben sehr vehement auf das alte System geschimpft. Deshalb mein Frage: Wann sind Sie in die Partei eingetreten?

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie die SED meinen: Darin war ich nie. ({0}) Wenn Sie die CDU meinen: Ich bin dort Anfang März eingetreten. ({1}) - Im letzten Jahr. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie dem fragenden Kollegen der SPD mitteilen, . . .

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dreiecksfragen lasse ich nicht zu. Herr Dr. Krause, bitte schön, Sie können fortfahren.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... daß es auch in diesem Hause sehr prominente Mitglieder der SPD gab, . . .

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nein, das war eine eindeutige Dreiecksfrage.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

... die Hohelieder auf SEDFunktionäre gesungen haben?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Dr. Krause, fahren Sie in Ihren Ausführungen fort.

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie die Presse, also die fünf Zeitungen in unserer Altmark, des letzten Jahres lesen, dann werden Sie feststellen, daß ich zwar allerhand Lieder gegen die SED gesungen habe, aber auf die SED bestimmt nicht. Außerdem darf ich Ihnen mitteilen, daß meine Ehefrau und ich 1:3/4 Jahr Einstellungsverbot hatten. - Das antworte ich auf Ihre Frage; von wegen Hohelieder! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Krause, für die vielen Jahre, die Sie als Tierarzt in der LPG tätig waren, haben Sie verdammt wenig von dem verstanden, was in der LPG tatsächlich passiert. ({0}) Das muß ich Ihnen bier einmal ganz eindeutig sagen. Eine zweite Bemerkung: Sie haben sich hier über die Subventionen des roten verdammten Regimes ausgelassen. Sie haben davon profitiert; denn Tierärzte haben jahrelang im Durchschnitt das zweifache von dem verdient, was ein Genossenschaftsbauer verDr. Schumann ({1}) dient hat. Auch das muß man hier ganz deutlich sagen, wenn wir über solche Dinge reden. ({2}) - Halb so viel wie Herr Krause, das kann ich Ihnen nachweisen. Mich verwundert, daß Herr Krause hier behauptet, es sei alles klar, die Regierungsparteien hätten das sowieso vorgehabt. Mir ist auch bekannt, daß das Bundeslandwirtschaftsministerium und die Treuhand bereits Mitte Dezember haben verlautbaren lassen, daß das Schuldendienstmoratorium fortgeführt werden soll. Mich verwundert um so mehr, daß die dafür verantwortlichen Minister in der darauffolgenden Zeit einfach in der Deckung geblieben sind. Die Gruppe der PDS/Linke Liste unterstützt deshalb ausdrücklich den vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion. Wir möchten ihn ergänzen. Ich befinde mich in Übereinstimmung mit dem, was Kollege Dr. Thalheim hier ausgeführt hat. Erstens ist der vorgesehene Zeitraum, das erste Quartal, völlig undiskutabel. Eine Beschränkung des Moratoriums auf das erste Quartal wäre nur akzeptierbar, wen danach ohne Verzug die Streichung der betrieblichen unverschuldeten und betriebswirtschaftlich unzumutbaren Altkredite erfolgt. Nur befürchte ich, daß die jetzige Konstruktion, Entschuldung aus Erlösen der Treuhand, das unmöglich macht. Tatsache ist: Es werden kaum landwirtschaftliche Grundstücke verkauft, und die Übergangspachtverträge, die von der Treuhand abgeschlossen werden, spielen nach meinen Berechnungen nicht einmal 10 % der erforderlichen Mittel für die Einzelfallentschuldung ein. Notwendig wäre somit entweder die Finanzierung der Entschuldung auch aus Bundesmitteln, wie dies bereits in der Stellungnahme des Agrarausschusses der Volkskammer zum Einigungsvertrag gefordert wurde - dies geschah dort auch mit Stimmen der CDU und der FDP - oder die Aussetzung der Tilgungs- und Zinsleistungen mindestens bis zum Jahresende. Zweitens stimmen mir die Verfasser des Antrags sicher zu, daß das Schuldendienstmoratorium lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist. Was nach wie vor fehlt, ist ein komplexes Konzept der Bundesregierung für eine progressive Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft und dessen aktive Beförderung mittels entsprechender juristischökonomischer Rahmenbedingungen. Gegenwärtig erleben wir einen zunehmend ungeordneten Verlauf und Umstrukturierungsprozeß. Allein in Sachsen-Anhalt, Herr Krause, sind von 800 LPGs 85 in der letzten Zeit ersatzlos und konzeptionslos über Konkursverfahren oder Gesamtvollstreckung aufgelöst worden. Wenn Sie einmal so etwas miterlebt haben, dann wissen Sie, daß das im Prinzip für die betroffenen Bauern das letzte ist, das für sie stattfindet. Sie sind verbittert. Sie sprechen von der zweiten - für sie also endgültigen - Enteignung. Ihre Hoffnungen, nach der Wende betriebswirtschaftlich vernünftig, standortgerecht, marktorientiert und im Sinne bester deutscher Genossenschaftstradition frei von staatlicher Bevormundung wirtschaften zu können, erwiesen sich als Seifenblasen. Bundesminister Kiechle sagte zur Eröffnung der Grünen Woche: Umstrukturierung und Neuaufbau müssen im Beitrittsgebiet Hand in Hand gehen, auch in der Landwirtschaft. Leider tut die Bundesregierung nichts, um diesen Grundsatz mit Leben zu erfüllen; im Gegenteil: Das, was sich vollzieht, kann auch ich aus eigener Lebenserfahrung nur als bewußte Zerstörung der ostdeutschen Agrarstrukturen bezeichnen. Wie soll ein LPG-Vorstand erfolgreich die von den meisten Mitgliedern gewünschte Umwandlung in eine eingetragene Genossenschaft meistern, wenn alle Rahmenbedingungen Verhinderungsbedingungen sind? Dazu gebe ich Ihnen einige Beispiele. Über den volkseigenen Boden schließt die Treuhand lediglich Übergangspachtverträge bis zum 30. September ab, weil Bayerns Ministerpräsident vom Bundesfinanzminister verlangt - ich zitiere jetzt wörtlich - , „sicherzustellen, daß die in den Jahren von 1945 bis 1949 Enteigneten durch Zwischenverfügung oder Verpachtung keinen Schaden erleiden und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden". Unter dieser Voraussetzung kann kein Agrarunternehmen einen Entwicklungsplan aufstellen. Im Rahmen der angedachten Ausgleichsleistungen für die Enteigneten soll offenbar das Vorkaufs- und Pachtrecht zur Hauptform werden. Deshalb wurde das Veräußerungsverbot landwirtschaftlicher Grundstücke für Gebietsfremde mit dem Einigungsvertrag aus dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz gestrichen. Damit wird die Produktionsbasis der Genossenschaft zerstört. Auch nach der jüngsten Planak-Runde gibt es keine Chancengleichheit bei der investiven Förderung. Nach wir vor funktioniert der faktische Kreditboykott der Banken, weil die Bundesregierung Bundesbürgschaften, wie sie auch die SPD und konkret Oskar Lafontaine am 14. Dezember in Berlin forderte, ablehnt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, ob man Sie über das rote Licht und dessen Bedeutung aufgeklärt hat. Ich muß Sie auf das rote Licht hinweisen. ({0})

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluß. Zusammenfassend fordere ich die politischen Entscheidungsträger auf: Trennen Sie sich davon, das ideologisierte Modell West als alleiniges Ziel der Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft durchzusetzen. Das ist ein Kurs der Wunschdenker, aber es ist kein Kurs, der den Realitäten, weder den objektiven noch den subjektiven Voraussetzungen entspricht. 438 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 21. Februar 1991 Dr. Schumann ({0}) Nicht zuletzt wiederhole ich unsere Mahnung: Denken Sie auch an den Steuerzahler. Die Begrenzung der Kosten der Einheit durch Nutzung aller Entwicklungsfähigen in der Ex-DDR ist ein Gebot der Vernunft und nicht zuletzt auch ein Auftrag Ihrer Wähler, der Wähler der Koalitionsparteien. Danke. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Türk. - Herr Abgeordneter Schäfer, Sie müssen sich noch etwas gedulden.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Krause nicht folgen kann. Ihr Beitrag hilft unseren LPGs bestimmt nicht. ({0}) Die Hilfe für die Bauern ist sicherlich notwendig. Wir debattieren heute einen SPD-Antrag, der in weiten Teilen bereits erledigt ist. Die Bundesregierung hat mit der Verlängerung des Zinsmoratoriums der Opposition einen Noch-Weihnachts-Wunsch erfüllt und noch einmal 50 Millionen DM für eine Vereinbarung mit der DG-Bank zur Übernahme der Zinszahlungen zur Verfügung gestellt. Damit wurden schon sehr frühzeitig die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Zinsmoratoriums bis Ende Februar 1991 geschaffen. Spätestens dann muß Klarheit über die Entschuldung der landwirtschaftlichen Unternehmen in den Bundesländern herrschen. Eine weitere Verlängerung des Zinsmoratoriums halte ich daher nicht für notwendig. Sie wäre zwar sachlich und rechtlich möglich, würde aber den Druck auf die Bundesregierung vermindern, sich nun endlich über eine Entschuldungsrichtlinie zu einigen. Je schneller diese kommt, um so besser. ({1}) - Der ist mit mir vollkommen einer Meinung. Urn so besser ist dies für dringend notwendige LPGUmstrukturierungen. Die Zeit drängt. Ich werde Ihnen Pilotprojekte auf den Tisch legen. Dann werden wir das Ganze praktizieren. Die Treuhandanstalt hat eine Richtlinie für die Entschuldung landwirtschaftlicher Unternehmen erarbeitet. Sie soll Grundlage und einheitlicher Kriterienkatalog für die Entschuldungsentscheidungen der Treuhandanstalt sein. Sie muß natürlich mit den zuständigen Ministern innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden. Über diese Selbstverständlichkeit gibt es keinen Zweifel. Das Verfahren darf sich aber nicht endlos hinziehen. Die Treuhandanstalt muß in ihrer schwierigen Arbeit unterstützt werden. Hier darf auch nicht das Argument geliefert werden: Die in Bonn entscheiden ja nicht; wenn es nach uns ginge, herrschte längst Klarheit. Deshalb appelliere ich an die Bundesrepublik, den Richtlinienentwurf zügig abzustimmen, um damit die Voraussetzung für eine geordnete Entschuldung zu schaffen und den Unternehmen, die umstrukturieren, investieren und kooperieren wollen, die notwendige Klarheit zu geben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo zu beantworten?

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, wenn Sie etwas Rücksicht nehmen; es ist heute meine zweite Rede.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei Ihrer Art der Rede werde ich selbstverständlich Rücksicht nehmen. Mir hat das, was Sie gesagt haben, sehr gefallen. Wenn Sie generell ein Schuldenmoratorium bzw. dessen Fortsetzung ablehnen, habe ich dafür Verständnis. Aber wir wissen, daß die Fragen der DM-Bilanz und der Aufstellung, wie es mit der Schuldenfrage konkret weitergeht - die Abmachung ist ja neu - , in den paar Tagen bis Ende Februar nicht gelöst werden können. Dann darf es doch nicht sein, daß Unternehmen, die man retten könnte, am 1. März bankrott gehen. Ich denke, Sie sind da gar nicht anderer Meinung. Meine Bitte ist, ob Sie nicht mitmachen wollen, ob Sie als Marktwirtschaftler, wie ich hoffe, nicht mit mir der Meinung sind, daß man die Betriebe entschulden kann, denen vom Finanzminister auferlegt wird: Du muß aber dann, wenn du mal Gewinne machst, 50 % - das kann ja wohl nicht wahr sein - abführen. - Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es bleibt mir nichts weiter übrig, als Ihnen zuzustimmen. ({0}) Aber wenn Sie weiter zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, daß ich das noch bringe. Entschuldigen Sie also bitte, wenn ich mich da wiederhole. Eine Beurteilung der Richtlinie selbst ist mir schwer möglich. Ich muß offen sagen, daß ich mich als Parlamentarier aus Brandenburg - um das hier einmal zu sagen - , der natürlich vor Ort Rede und Antwort dazu stehen muß, was in der derzeit brenzligen und kritischen Situation der Landwirtschaft - und nicht nur dort - schwierig genug ist, nur sehr schlecht informiert fühle. Es gibt nur Entwürfe der Richtlinie, die uns bislang ebenfalls nicht zugänglich sind. Es sei nur ein internes Dokument der Treuhand, wurde uns gesagt. Erst wenn sich eine gewisse Verwaltungspraxis herauskristallisiert habe, werde man die Richtlinie veröffentlichen. Ich halte das für einen unhaltbaren Zustand, ({1}) den ich natürlich nicht akzeptieren kann, weil die Zeit drängt. ({2}) Wie soll ich am Wochenende, wenn ich nach Hause komme, Fragen beantworten, wenn ich nur auf die Ministerien und die Vertraulichkeit verweisen und den Leuten lediglich sagen kann, daß die näheren Angaben später kommen? Ich sage das, urn auf Ihre Anfrage einzugehen. Man fragt mich dann mit SicherTürk heit: Was willst du dann in Bonn, wenn du solche Sachen nicht einschieben kannst? Eine Beurteilung ist daher nur eingeschränkt möglich. Klar scheint zu sein - ich muß es so betonen, weil wir die Richtlinien nicht im einzelnen kennen - : Entschuldungsmaßnahmen sollen nur für Unternehmen durchgeführt werden, die auf der Basis eines detaillierten Sanierungs- und Entwicklungsplans nachweisen, daß sie innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren die Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Das ist sicherlich in Ordnung, wenn es so wäre. Die Entschuldungsmaßnahmen sind nur für Verbindlichkeiten vorgesehen, die bis zum 30. Juni 1990 bestanden und in die DM-Eröffnungsbilanz aufgenommen wurden. Die Verbindlichkeiten mußten durch Gebietskörperschaften der ehemaligen DDR veranlaßt und durch Maßnahmen entstanden sein, die keinen positiven Beitrag zum Betriebsergebnis oder zur Substanzverbesserung geleistet haben. Drittens. Die Antragsausschlußfrist soll bis zum 31. März gehen. Haben Sie gehört? - Diese Frist ist natürlich viel zu kurz. Wie will man in dieser kurzen Zeit etwas erledigen? ({3}) Diese Hauptelemente, die ich gerade genannt habe, kann ich befürworten und mittragen. Nicht einverstanden bin ich allerdings, wenn ich höre, daß auch unternehmenseigene Vermögenswerte zur Entschuldung eingesetzt werden sollen. Dies kann doch nicht im Sinne einer vernünftigen Entschuldungsregelung sein. Wenn die Unternehmen nicht für die Schulden verantwortlich sind, dürfen sie auch nicht zur Tilgung herangezogen werden. ({4}) Ähnlich steht es mit der Idee eines Besserungsscheins, also der Rückerstattung von Entschuldungshilfen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Unternehmen gebessert hat. Hier kann ich auch wieder nur fragen: Wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die nach Anwendung relativ enger Entschuldungskriterien entschuldet werden, oder wollen wir sie nicht? Diese Frage stellt sich. Man kann diese Unternehmen doch nicht mit der Pflicht zur Gewinnabführung für Schulden, die sie nicht zu vertreten haben, in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung beeinträchtigen. Derartige Entscheidungen würden die von Arbeitskräfteabbau und anderen Strukturbrüchen schon stark angeheizte Lage auf dem Lande noch weiter verschlechtern - Sie können sicher sein, daß es diese angeheizte Lage gibt - und politisch kaum noch kontrollierbar machen. Das unterschätzt man hier offenbar. Ich möchte die Bundesregierung daher dringend auffordern, auf eine derart restriktive Entschuldungspraxis zu verzichten, der Richtlinie kurzfristig zuzustimmen und damit einen einigermaßen geordneten Umbau der Landwirtschaft im Osten zu ermöglichen. Andernfalls werden sich die Konkurse noch mehr häufen und die sozialen Spannungen weiter zunehmen. Das darf man mit Sicherheit nicht verniedlichen. Noch ein Nachsatz. Ich sage das deshalb so deutlich, weil die Umstrukturierung der Ost-Landwirtschaft durch jüngste Fehlentscheidungen des Planungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur, Planak, zumindest behindert wird. Sosehr die Entscheidungen zur LPG-Umstrukturierung grundsätzlich zu begrüßen sind, so wenig verständlich ist die Ausklammerung der Forderung von Stallneubauten. An die Adresse der Bundesregierung sage ich: Ohne Einbeziehung der Stallneubauten wird es keine sinnvolle Umstrukturierung zu wirtschaftlichen und wettbewerbsfähigen Einheiten geben. Daher muß der Planak so bald wie möglich eine Revision der Entscheidung vornehmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme aus Mecklenburg und bin am Wochenende auch wieder gefragt. Die katastrophale Situation im Bereich der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern ist nur eine Komponente eines kollabierenden Wirtschaftssystems. Sie ist aber auch das unmittelbare Ergebnis einer zumindest fahrlässig-oberflächlichen Analyse der realen Ausgangspositionen im vergangenen Jahr. Um die politischen Neulasten der Regierung zu überdecken, reicht es heute bei weitem nicht mehr aus, die bestehende Wirtschaftssituation im Osten lediglich den Auswirkungen der beseitigten DDR-Planwirtschaft zuzuordnen. ({0}) Die komplexe Offenlegung des tatsächlichen ökonomischen und ökologischen Status quo im Osten steht auf der Tagesordnung. Diese Offenlegung darf bitte nicht nur durch die Medien, sondern muß irgendwann auch einmal durch die Regierung erfolgen. ({1}) Es hat nicht das Geringste mit Schwarzmalerei zu tun, wenn man sich aktuelle Meldungen aus den neuen Bundesländern vor Augen führt. Die Arbeitslosigkeit inklusive der Null-Stunden-Kurzarbeit - die muß man ja mitzählen - erreicht im LPG-Bereich die 50-%-Grenze; lokal sind es sogar 80 %. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Konkurse landwirtschaftlicher Betriebe gehören immer mehr zur Tagesordnung, übrigens auch bei neugegründeten Familienbetrieben, was ich um so mehr bedauere. Wissen Sie, Herr Krause, die Betriebe werden ihre Produkte einfach nicht mehr los; sie werden durch Handelsketten boykottiert. ({2}) Wie soll man dann reagieren können? Der Leistungsabbau begann bei den Sozialleistungen. Die Schließung von Betriebskindertagesstätten trifft wieder zuerst die berufstätigen Frauen. ({3}) Im Bereich der Tierhaltung verschärft sich der systematische Strukturverfall noch schneller. Bitte, Herr Krause, als Tierarzt: Nachrichten darüber, daß die Tiere in den Ställen mancher Betriebe ohne hinreichende Versorgung einfach umkommen, weil kein Geld für Futter da ist oder für das Betreuungspersonal, oder die Nachrichten, daß ehemals zum Verkauf vorgesehene tragende Rinder in den Ställen unkontrolliert abkalben und die neugeborenen Kälbchen im Kot krepieren, müßten Sie doch berühren. ({4}) All diese Nachrichten lassen mich die Sinnhaftigkeit der gegenwärtigen Landwirtschaftspolitik bezweifeln. Welcher Minister dieser Regierung ist eigentlich für die Ostlandwirtschaft verantwortlich? Ich glaube Graf Lambsdorff unbesehen, daß die Koalition die gegenwärtige Situation weitgehend vorausgesehen hat. Ich nehme darüber hinaus an, daß die Koalition diese besser vorausgeplant hat, als es jede Planwirtschaft je schaffen konnte. Wir stimmen dem Antrag der SPD in der Drucksache 12/13 zu, die leider erst heute auf der Tagesordnung steht. Seine Umsetzung ist ein kleiner Baustein für das notwendige Aufbauprogramm auch der Landwirtschaft in den fünf neuen Ländern. Ich bezweifle jedoch, daß eine Verlängerung des Schuldenmoratoriums nur bis März 1991 ausreicht. Vielleicht können so einige Betriebe das bis jetzt noch nicht finanzierte Saatgut für die Frühjahrsbestellung oder für die Restaurierung der veralteten Technik in Ordnung bringen. All das wird den freien Fall des bäuerlichen Aufgebens östlich der ehemaligen Zonengrenze vielleicht bremsen, aber nicht aufhalten. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Sie an die Worte des Abgeordneten de Maizière von heute vormittag erinnern, der auch zu Ihnen sagte: Wer schnell hilft, hilft doppelt. ({5}) Eigentlich müßte dieser Antrag, der heute gestellt ist, sofort abgestimmt und nicht erst in irgendeinen Ausschuß gegeben werden. Glauben Sie bitte nicht - ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen, aber ich sage noch einen abschließenden Gedanken -, daß die komplexen Probleme der Wirtschaft der neuen Bundesländer die westlichen Bundesländer nicht erreichen werden! Die Welle der politischen Neulasten wird auch Bayern, Niedersachsen, Hamburg oder andere Länder treffen. Die Flucht vom Land in die Stadt hat längst begonnen und ist voll im Gange. In der Stadt findet man keine Arbeit mehr; also wird man aus den östlichen Städten in die westlichen Städte gehen. Dann wird auch Sie das irgendwann mal erreichen, denn irgendwann kt auch hier einmal die Arbeitsmarktlage erschöpft. Diese innerdeutsche Frachtverschiebung kann leicht in eine niemandem nutzende Rolle rückwärts umschlagen. In Rostock demonstrierten kürzlich 35 000 Menschen gegen die Mißwirtschaft ihrer Regierung. ({6}) Das sind jetzt schon fast dreimal so viele wie damals im Herbst 1989, als eine Regierung zu Fall kam. Ich danke. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Gallus das Wort.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Antrag der SPD auf Drucksache 12/13 rennt bei der Bundesregierung offene Türen ein ({0}) - das ist doch klar - , weil wir in den sechs Monaten des letzten Jahres 150 Millionen DM und in den ersten zwei Monaten dieses Jahres 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Jetzt sind wir einen Monat auseinander. Ich darf Ihnen aber sagen, daß wir seit vorgestern eine Arbeitsanweisung der Treuhandanstalt haben, die gleichzeitig an die Bundesländer und an die Verbände gegangen ist, mit den Richtlinien, wie die weitere Umschuldung und Schuldentilgung in den Produktionsgenossenschaften zu geschehen hat. Ich glaube, niemand kann etwas dagegen haben, daß die Treuhandanstalt vier Wochen früher, als Sie das erwartet haben, nun in der Lage ist, diese Geschichte in Angriff zu nehmen. Sie verlangen im zweiten Absatz wörtlich: Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert, Artikel 25 Abs. 3 des Einigungsvertrages, wonach Erlöse der Treuhandanstalt im Einzelfall auch für Entschuldungsmaßnahmen zugunsten von landwirtschaftlichen Unternehmen verwendet werden, . . . Genau das machen wir! ({1}) -- Ja, natürlich. ({2}) Sie können aber hier, wenn Sie einen solchen Antrag stellen, nicht die globale Forderung auf Gesamtentschuldung erheben. Das ist doch völlig ausgeschlossen. Sie haben hier cinch einen Antrag, der das Gegenteil dessen beinhaltet, was Ihr Redner vor ein paar !Minuten gesagt hat. ({3}) - Hundertprozentig! Ich kann genau lesen. Ich kenne die SPD gut genug. Ihr seid doch viel klüger, als ihr zugebt! ({4}) Ihr habt doch einen Kollegen hier ins Feuer gehen lassen auf der Basis eines Antrags, der im Sinne der Bundesregierung sehr moderat formuliert ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ja, natürlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Thalheim, Sie haben die Möglichkeit zu fragen.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gallus, haben Sie nicht verstanden, daß ich ganz speziell auf Schulden im investiven Bereich hingewiesen und damit schon eine Eingrenzung für die Frage nach dem Einzelfall vorgenommen habe? Es ging nicht um Schulden im Umlaufmittelbereich, die vor allen Dingen jene Betriebe aufgenommen haben, die schlecht gewirtschaftet haben. Der Antrag enthielt auch eine Präzisierung der Fälle - deshalb wurden sie extra aufgeführt -, welche Anlagen wir ganz bewußt ansprechen.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, dann ist es ja um so besser. Jetzt sage ich Ihnen, worauf die Richtlinien der Treuhand basieren, damit Sie Bescheid wissen. ({0}) - Nein. Die Rede war völlig anders aufgezogen, als die Fragestellung hier jetzt gezeigt hat. ({1}) Ich darf Ihnen jetzt den Inhalt der Richtlinie vortragen, damit Sie wissen, was die Treuhandanstalt vorhat. Voraussetzung für eine Entschuldung ist die Antragstellung bis spätestens 31. März dieses Jahres. Bereits bei der Treuhandanstalt vorliegende Anträge brauchen nicht erneut gestellt zu werden. Erforderlich ist zweitens die Vorlage eines detaillierten Sanierungs- und Entwicklungsplans einschließlich eines Plans für die Neustrukturierung des Unternehmens. Dieser Plan muß nachweisen, daß das Unternehmen selbst oder im Falle der Neugliederung die aus dem Unternehmen hervorgehenden landwirtschaftlichen Betriebe innerhalb von drei Jahren die Wettbewerbsfähigkeit erreichen werden. Der Plan soll in der Regel mit demjenigen übereinstimmen, der zur Erlangung einer Investitionsförderung nach der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes vorzulegen ist. Ich möchte diejenigen Kollegen, die der Meinung sind, es müßte ein warmer Regen der Umschuldung niedergehen, ohne Rücksicht auf die Umstrukturierung, davor warnen, das kommunistische System fortzuführen. ({2}) Deshalb ist die Richtlinie ganz richtig aufgebaut. Gegenstand der Entschuldung sind Verbindlichkeiten, die am 30. Juni 1990 bestanden und in die DM- Eröffnungsbilanz aufgenommen wurden, durch Gebietskörperschaften der ehemaligen DDR veranlaßt und für Maßnahmen verwandt wurden, die keinen positiven Beitrag zum Betriebsergebnis geleistet und zu keiner erheblichen Substanzverbesserung des Unternehmens geführt haben. Ich kann also sagen, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD: Die Treuhand hat ihren Anteil zu dem, was die Bundesregierung geleistet hat, beinahe voll erfüllt. ({3}) - Sie laufen der Zeit immer hinterher. ({4}) Ihr Sprecher wollte hier deutlich machen, als bemühte sich die Bundesregierung nicht, der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern zu helfen. Dazu möchte ich Ihnen aber auch noch einiges sagen. ({5}) - Nicht hinreichend? Bei der Realisierung Ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen hätten wir das Geld überhaupt nicht in diesem Ausmaß, um hier helfen zu können. ({6}) Wir haben im letzten halben Jahr des vergangenen Jahres nicht weniger als 3 Milliarden DM Hilfen für den Preiseinbruch und Anpassungshilfe gezahlt. Ich muß mich heute aber selber fragen, ob diese Gelder in jedem Fall auch sinnvoll und richtig angewendet worden sind. ({7}) Es wird nämlich von manchem ehemaligen SED-Produktionsgenossenschaftschef vergessen, meine Damen und Herren, ({8}) daß auch rechtlich - daran hat sich die Bundesregierung zu halten - sehr wohl ein Unterschied zwischen volkseigenen Betrieben und Produktionsgenossenschaften besteht, die nämlich eher den Charakter des Privaten haben, zumindest der Beteiligten. Auch das muß man in diesem Zusammenhang einmal überlegen. Deshalb dürfen Sie die einseitige, pauschale Forderung so nicht in den Raum stellen. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Redefluß unterbrechen? ({0}) Es gibt zwei Bitten, Zwischenfragen zu beantworten. Zunächst einmal Herr Abgeordneter Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie sich am Anfang Ihrer Rede bemüht haben, zu dem Antrag zu reden, da auch klargestellt ist, daß unser Redner nicht gegen den Antrag ist, sondern wir zur Abstimmung stellen, was im Antrag steht, da aber die Geschäftsführer die Überweisung vereinbart haben und da wir wirklich keine Zeit haben und Sie meinen, daß das meiste erfüllt sei, wäre es dann nicht richtig, wenn wir beide jetzt gemeinsam sagen würden: Dann laßt uns auch darüber abstimmen und nicht nur wieder vertagen! Wir würden das gerne mitmachen. ({0}).

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, das ist doch keine Frage an mich. Ich kann nur sagen, daß ich die Überweisung für sinnvoll halte, weil wir dann im Ausschuß über weitere Einzelheiten sprechen könnten. Ich würde sogar empfehlen, die Überweisung vorzunehmen. ({0}) - Ich habe gesagt, daß ich nicht zuständig bin. Aber wenn diese Frage gestellt ist, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, die Überweisung aufrechtzuerhalten, weil ich nämlich der Meinung bin, daß es so viele Detailfragen gibt ({1}) und im Ausschuß manche Sorge aufgegriffen werden kann, daß es sinnvoll ist, das Ganze jetzt nicht durch eine Abstimmung abzuwürgen, sondern im Ausschuß zu behandeln. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun Herr Dr. Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie hatten soeben erwähnt, wieviel die DDR-Landwirtschaft im vergangenen Jahr an Hilfen erhalten hat. Ist Ihnen bekannt, daß im Landwirtschaftsministerium Anfang September der damalige Staatssekretär Haschke die Parole ausgegeben hat: Alle müssen ihr Geld erhalten, egal, ob effektiv oder uneffektiv. Wie Ihnen bekannt ist, waren die Hilfen für das dritte Quartal an die Vorlage von Sanierungskonzepten gebunden. Aber wie mein Vorwurf schon vorhin war: Im Herbst 1990 war die Parole - dafür hat die Regierung viel Geld ausgegeben - : Das, was ist - auch das Negative -, muß erhalten und stabilisiert werden. Ist Ihnen bekannt, daß Herr Haschke diese Parole klar und deutlich vor 300 Mann ausgesprochen hat?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt. Sie können doch von mir nicht erwarten, daß ich alle Äußerungen sämtlicher Staatssekretäre der ehemaligen DDR im Kopf behalte. Das ist doch völlig ausgeschlossen. ({0}) - Na, nun einmal langsam! Ich kann aber dem Kollegen bestätigen, daß mir vieles nicht gefallen hat, insbesondere, was die Art und Weise anbetrifft, das Geld zunächst einmal dort hinzubringen, wo es hingehört. Ich habe einmal die Auffassung vertreten, daß ich jetzt 100 Leute hinüberschicke, um das Geld zu verteilen, weil es da manche gegeben hat, die unfähig waren, das Geld dort hinzubringen, wo man es gebraucht hat. Auch das muß man einmal sehen. ({1}) Über eines, meine Damen und Herren, wollen wir uns hier doch einmal ehrlich unterhalten: Wir alle freuen uns, daß es uns heute gemeinsam möglich ist, hier die Einheit nun auch faktisch zu vollziehen. Aber wie schwierig das in vielen Bereichen ist und welcher katastrophale Zustand in vielen Bereichen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geherrscht hat, das hat keiner von uns gewußt ({2}) - ob Verwaltung, Post! Ich komme gleich noch darauf zu sprechen. Ich bleibe nämlich gleich dabei; lassen Sie mir noch ein paar Minuten Zeit. - Nein, keine Zwischenfragen mehr. Das zweite, wo sich die Bundesregierung einen großen Ruck gegeben hat: Wir haben bisher in den alten Bundesländern das Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes gehabt. ({3}) - Ja, ist das eine Schande? Was haben denn Sie hei den kommunistischen Strukturen drüben gehabt? Sie haben 4 200 Betriebe gehabt. Sie haben Agrarpreise der Landwirtschaft in einer Größenordnung bezahlt - ({4}) - Entschuldigung! Ich sage es nur einmal, weil ein paar das System so verteidigen. Aber das alte System --({5}) Ich kann nur eines sagen, meine Damen und Herren: Wir sollten hier auch einmal anerkennen, daß das alte System im Agrarbereich bankrott gehen mußte; denn 16 Millionen Einwohner mit 32 Milliarden DM zu subventionieren, das hält niemand aus. Die Bundesregierung hat nicht nur ({6}) für 2,5 Milliarden DM ein Geschäft mit den Russen gemacht, bei dem wir allein 1,5 Milliarden direkt als Ausgleichszahlungen auf den Tisch legen mußten, um die überschüssigen Fleischbestände abfließen zu lassen, sondern noch mit 800 Millionen für den Transferrubel geradestehen müssen. Ich sage das nur, weil hier der Vorwurf erhoben wurde, die Bundesregierung würde nichts tun.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, ich bin weit davon entfernt, die Ihnen grundgesetzlich zugesicherte Redefreiheit einzuschränken; ({0}) aber ich möchte Ihnen und mir den Vorwurf ersparen, ich würde Sie besser behandeln als andere. Deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie langsam zum Ende Ihrer Ausführungen kämen.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich hoffe, Herr Präsident, Sie haben mir auch die Zwischenfragen zugute gehalten. Ich möchte nur noch eines sagen: Die Bundesregierung hat sich bemüht, für die Weiterführung auch von Produktionsgenossenschaften 2,5 Millionen DM pro Betrieb, wenn er Zukunftschancen hat, zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht wenig. Daß hier auch Fehler begangen worden sind, das hat sich nicht die Bundesregierung zuzuschreiben, sondern die neuen Bundesländer haben nicht den Mut gehabt, eine entsprechende Position zu vertreten. ({0}) - Ich weiß, wie es gelaufen ist. Ganz zum Schluß, meine Damen und Herren: Wir müssen alle daran arbeiten. Sie beklagen hier, nur aus dem Westen kämen Nahrungsmittel. Sagen wir doch offen und ehrlich: Auch das, was drüben in den neuen Bundesländern produziert wird, ist gut! Das haben wir auf der Grünen Woche gesehen. ({1}) Jetzt, meine Damen und Herren, müssen wir natürlich auch noch die Verarbeitungsbetriebe umstrukturieren. Das alles geht nicht von heute auf morgen. Aber das Anpassungsgesetz wird die Bundesregierung so schnell wie möglich auf den Weg bringen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die vereinbarte Redezeit ist mehr als abgelaufen. ({0}) - Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Der Herr Staatssekretär hat aber auch deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er nicht bereit war, weitere Fragen zu beantworten. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/13 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. Andere Vorschläge sind nicht gemacht worden. Dann darf ich das als beschlossen feststellen. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksache 12/22 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Familie und Senioren ({1}) Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/22 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Familie und Senioren, nicht wird irrtümlich ausgedruckt, an einen anderen Ausschuß, sowie zur Mitberatung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. So beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes Drucksache 12/42 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschult für Familie und Senioren Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von 30 Minuten vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies ebenfalls als beschlossen feststellen. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Herr Bundesminister der Justiz, Dr. Kinkel, das Wort.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute geht es um die Schaffung der Voraussetzungen für die Ratifizierung eines bemerkenswerten völkerrechtlichen Instruments zum Schutz der Menschenrechte. Das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. November 1989 verabschiedete Übereinkommen über die Rechte des Kindes ist der erstmals unternommene Versuch in der Geschichte der Völkergemeinschaft, weltweit verbindliche Maßstäbe für die Gestaltung der rechtlichen und sozialen Verhältnisse junger Menschen umfassend zu kodifizieren. Die Bundesregierung hat dieses Übereinkommen am 26. Januar 1990 gezeichnet. Inzwischen liegen 130 Zeichnungen vor, und 69 Länder haben bereits ratifiziert. Ich freue mich, daß es uns trotz einiger Schwierigkeiten, die wir mit der Auslegung des Übereinkommenstextes hatten, gelungen ist, dem Deutschen Bundestag das Vertragswerk bereits ein Jahr später vorzulegen und damit dem auch aus Ihren Reihen geäußerten Wunsch nach zügiger Zuleitung des Vertragsgesetzes zu entsprechen. Manchmal wird etwas gedankenlos gesagt, wir seien eine kinderfeindliche Gesellschaft. Das ist, so meine ich jedenfalls, so nicht richtig. Kinder sind nicht unsere Feinde, aber wir Erwachsenen verfolgen häufig zu gedankenlos unsere eigenen Interessen, und auf die Interessen der Kinder achten wir nicht genügend. Wir müssen deshalb, wie ich meine, mehr Rücksicht auf Kinder nehmen, ihnen Zuwendung zeigen, ihnen Raum lassen. Kinder gehören mit zu den schwächsten Gliedern in unserer Gesellschaft. Sie sind in ganz besonderer Weise hilfsbedürftig. Die Kinderkonvention der Vereinten Nationen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer kinderfreundlicheren Gesellschaft. Und die wollen wir ja wohl alle. Weltweit ist der Schutz der Kinder leider immer noch unzureichend. Oft werden ihnen die elementarsten Menschenrechte vorenthalten. Die Kinderkonvention wird deutliche Fortschritte bringen. Wir hoffen vor allem, daß durch die Konvention in den Ländern der Dritten Welt die Rechtsstellung der Kinder entscheidend verbessert werden kann. Ziel der Konvention ist es, in mehr als 50 Artikeln zum Schutz der Kinder die wichtigsten Menschenrechte zu garantieren. Aus der Vielzahl der Regelungen einige: Jedes Kind hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie ein garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung. Als ich es gelesen habe, habe ich es fast als absurd empfunden, daß man so etwas fordern muß. ({0}) Alle Kinder müssen vor Gewalt geschützt werden. Gewalt ist nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch seelische Gewalt, Ausbeutung, Verwahrlosung und Vernachlässigung und - was, wie ich meine, besonders erdniedrigend ist - sexueller Mißbrauch. ({1}) Geistig und körperlich behinderte Kinder haben einen Anspruch auf ein erfülltes und menschenwürdiges Leben. Der Kriegseinsatz von unter 15jährigen Kindern wird verboten - dringend notwendig, wie wir aus der allerletzten Zeit wissen. Von allen Dingen, die man Kindern antun kann, ist ihre Verwicklung in Kriege wohl das Grausamste. Ich sage, daß uns die Schutzfrist von 15 Jahren als zu niedrig erscheint. ({2}) Die Bundesregierung wird bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde eine völkerrechtliche Erklärung abgeben. Ich weiß, daß das in diesem Hause teilweise Bedenken ergeben hat. Mancher hätte eine vorbehaltlose Zustimmung vorgezogen. Ich weiß das insbesondere von dem Kollegen Eimer, der, wie ich hervorheben möchte, seine besonderen Verdienste um I die Rechte der Kinder hat. ({3}) Ich nehme diese Einwendungen deshalb auch sehr ernst. Eine vorbehaltlose Zustimmung ist aber auf Grund der Haltung der Bundesländer nicht möglich. Gemäß der Lindauer Absprache haben die Länder eine solche Erklärung verlangt. Wir müssen dem entsprechen. Ohne diese Interpretationserklärung kann das Vertragsgesetz daher nicht verabschiedet werden. Die Kinderkonvention würde scheitern. Da wir das nicht wollten, mußten wir zustimmen. Wir stehen mit dieser Interpretationserklärung nicht allein; viele andere Staaten haben ebenfalls Vorbehalte gemacht und andere Erklärungen abgegeben. Die Erklärung hindert uns im übrigen in keiner Weise, unser Recht zu reformieren und zu verbessern. Das wollen wir tun. Die Kinderkonvention kann und muß uns wichtige Anstöße und Anregungen geben, die Situation der Kinder in unserer Gesellschaft zu verbessern. Einiges - ich würde sogar sagen: vieles - ist mittelbar und unmittelbar schon geschehen. Ich nenne die Erhöhung des Kindergeldes, die Möglichkeit des Erziehungsurlaubs, das Erziehungsgeld und manches mehr. Im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 218 wird sicher darüber nachzudenken sein, jedem Kind einen Kindergartenplatz zu garantieren. ({4}) Trotz aller Bemühungen gibt es aber zugegebenermaßen auch bei uns immer noch Defizite. Eine besondere Form der Gewalt gegen Kinder ist die von Erwachsenen geduldete und leider Gottes sogar teilweise geförderte Pornographie mit Kindern, die Kinderprostitution und leider immer auch noch der Handel mit Kindern, vor allem mit Hindern aus der Dritten Welt. Denken wir auch an die große Zahl der Kindesmißhandlungen und an die traurige Bereitschaft vieler Menschen, vor diesen Mißhandlungen die Augen zu verschließen. Es geht nicht nur um Gesetze - vielleicht nicht einmal in erster Linie - , sondern es geht, wie ich meine, auch um einen Bewußtseinswandel, der dringend notwendig ist. Allerdings kann der Gesetzgeber auch einiges tun. Betroffen sind Fragen des Unterhalts, der elterlichen Sorge, des Erbrechts. Es geht auch um den Umgang des nichtehelichen Kindes mit seinem Vater. Kinder haben eben keinen Einfluß auf die Lebensform ihrer Eltern, und sie dürfen dadurch auch keine Nachteile erleiden. ({5}) Ganz generell sollen Kinder nicht unter den Lebensverhältnissen ihrer Eltern leiden. Für den Fall der Scheidung soll deshalb die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge gesetzlich verankert werden. ({6}) Ich bin aber auch dafür, daß wir ganz neue Denkansätze zumindest wagen. Ich nenne ein Beispiel: das gerichtliche Verfahren. Bisher wurden die Interessen der Kinder sehr unterschiedlich wahrgenommen, teils von den Eltern, teils vom Jugendamt, teils von Richtern und Staatsanwälten. Da alle diese Beteiligten im wesentlichen Eigeninteressen vertreten, stehen die Interessen der Kinder nicht immer im Vordergrund. Wir sollten deshalb überlegen - ich gebe das zu überlegen - , ob die Rechte der Kinder in die Hände eines qualifizierten Interessenvertreters, eines Kinderanwalts, gelegt werden könnten. ({7}) Um Kindern mehr Zuwendung, Würde und Sicherheit zu geben, reichen gesetzliche Regelungen - ich wiederhole es - allein nicht aus. Es kommt auf die Verwirklichung der Rechte der Kinder in der Praxis an. Wir müssen allgemein eine Einstellung erreichen, die die Kinder mit als schwächste Glieder unserer Gesellschaft begreift und sie als vollwertige und besonders schützenswerte Persönlichkeiten anerkennt. Es reicht eben nicht, daß wir nur vorübergehend über schreckliche Bilder vernachlässigter oder mißhandelter Kinder bewegt und geschockt sind. Wichtiger ist, daß wir im Alltag immer beachten, Kinder sind kleine Menschen, die große Rechte brauchen. ({8}) Ich als Bundesjustizminister möchte mich jedenfalls - das verspreche ich - in ganz besonderer Weise um die Belange der Kinder kümmern. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich mit einem kleinen Vorwurf beginne, der sich eigentlich an uns selber richtet: Ich denke, es ist dem Thema nicht angemessen, daß wir hier nur eine halbe Stunde Debattenzeit für dieses Thema haben. ({0}) Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang anderer Themen, die aus meiner Sicht weit weniger gewichtig sind, und denen wir mehr Zeit gewidmet haben. Ich erinnere mich, daß wir in der letzten Legislaturperiode, als wir über die Rechtsstellung des Tieres debattiert haben, glaube ich, eine ähnliche Debattenzeit zur Verfügung hatten. Jeder und jede kann daran, glaube ich, seine und ihre Folgerungen knüpfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stimme dem Herrn Justizminister zu: Diese Konvention ist in der Tat ein Meilenstein in der Geschichte der UN. Es hat ja fast ein Jahrzehnt gedauert, bis man sich zu dieser Konvention hat bewegen können. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Vorgang. Es mag Zufall sein, aber es muß uns dennoch Anlaß zur Fragestellung geben, ob wir den Belangen der Kinder die angemessene Aufmerksamkeit zuwenden. Es ist gesagt worden: Kinder sind mit die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Schon aus diesem Grunde ist unsere besondere Solidarität notwendig. Mancher, der das zu ratifizierende Abkommen betrachtet, ist in der Versuchung, sich bequem zurückzulehnen mit der Feststellung, daß diese internationale Konvention eigentlich nur die anderen Staaten treffe. So klingt es gelegentlich auch in der Denkschrift der Bundesregierung zu dieser Konvention an. Ich denke, es gibt keinen Anlaß zur Selbstzufriedenheit, vielmehr gibt es gerade auf diesem Gebiete viel zu tun. Mir ist heute bei der Lektüre der „Süddeutschen Zeitung" ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs besonders aufgefallen, überschrieben: „Kindergarten ja - Spielplatz nein". Die Entscheidung, die dort abgedruckt und zum Teil zitiert ist, ist, meine ich, durchaus typisch. Es geht um die Frage, ob der Kinderlärm für die Nachbarschaft so belastend ist, daß der Bau eines Kinderspielplatzes verhindert werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu meinem Bedauern den Beschwerdeführern insofern Recht gegeben. Was mich an diesem Urteil besonders stört, ist, daß man mangels einer rechtlichen Grundlage versucht hat, Kinderlärm anhand anderer Kategorien, nämlich Gewerbelärm, zu messen. Ich halte das für völlig unangemessen. ({1}) Ich denke, es ist gut, daß manche Dinge nicht geregelt sind. Das ist für die Justizpolitiker gelegentlich doch ein Lichtblick. Solche Urteile sollte es bei uns eigentlich nicht geben. Sie werden mir nachsehen, daß ich die Beurteilung dieser Entscheidung in die Ausführungen einbeziehe, obwohl ich wenig Zeit habe, da auch meinem Kollegen Herrn Schmidt Redezeit zusteht. Wir können auf unsere Fortschritte in der Gesellschaft im Hinblick auf Kinder nicht allzu stolz sein. Diese Konvention sollte uns Anlaß sein, immer wieder Rechenschaft darüber abzulegen, ob wir genügend in Richtung einer kinderfreundlichen Gesellschaft handeln. Diese Konvention setzt im übrigen nur Mindeststandards. Das heißt, ein Wettbewerb darin, wie man die Rechte der Kinder und ihre Sorgen ernst nimmt und ihre Rechte weiterführt, ist immer wieder erwünscht. Wir wissen aber auch: Recht und Gesetz können nicht alles erzwingen, insbesondere nicht, was notwendig ist: mehr Verständnis und Toleranz. Hier muß sich in unserer Gesellschaft noch viel ändern. Unsere Bereitschaft und unsere Toleranz sind gefragt, denn Kinderpolitik ist Zukunftspoltitik. Schönen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Seesing das Wort.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir lange überlegt, ob ich überhaupt in der Debatte über das Übereinkommen über die Rechte des Kindes das Wort ergreifen soll. Mit dem Kollegen Pro446 fessor Pick stelle ich nämlich die Frage: 30 Minuten Redezeit - ist es das, was wir für die Kinder, für unsere Kinder noch übrig haben? Ist das vielleicht ein Symptom für die Zeit, die wir heute für Kinder zu geben bereit sind? Nun habe ich im Deutschen Bundestag allerdings auch die Erfahrung gemacht, daß es nicht auf die Länge der Redezeit und auch nicht auf die Zahl der Abgeordneten im Plenum ankommt, um etwas voranzubringen. ({0}) Es geht mehr um den politischen Willen, etwas zu tun. Da stellt sich nun schon wieder die Frage, was hier denn politisch und gesellschaftlich bewegt werden kann oder soll, denn an dem Text des Übereinkommens können wir nichts ändern. Sonst würde ich mir ernsthaft überlegen, z. B. eine andere Fassung des Art. 6 vorzuschlagen. Dort heißt es nämlich in Abs. 1: „Die Vertragsstaaten erkennen an, daß jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat. " In der Präambel dieses Übereinkommens wird betont, daß die Vertragsstaaten dieses Übereinkommen auch eingedenk der Tatsache vereinbart haben, daß das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt, bedarf. Es gibt aber keine allgemeingültige Interpretation dieses Textes, so daß offenbleibt, ob das Lebensrecht des Kindes auch schon vor seiner Geburt besteht. ({1}) Es bleibt jedem Vertragsstaat überlassen, wie er diese Problematik im Rahmen seiner Verfassung regeln will. Nun heißt es aber weiter im Art. 6 Abs. 2 dieses Übereinkommens: „Die Vertragsstaaten gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung der Kinder." Ich persönlich bin nicht der Ansicht, daß sich diese Forderung nur auf Maßnahmen zur Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit und auf die Bekämpfung der Kinderkrankheiten beschränkt. Und wenn meine Ansicht richtig ist, dann muß einem deutlich werden, daß noch lange nicht, trotz aller sonstigen Bestimmungen dieses Übereinkommens, gleiche Chancen für alle Kinder geboten werden. Essen und Trinken, Wohnen und Arbeiten, Bildung und Lebensgewohnheiten werden nach wie vor noch sehr unterschiedlich sein. Das hängt ab von Religion und Kultur, politischem System und wirtschaftlichem Entwicklungsstand des einzelnen Staates. Was können wir nun bewegen? Denn rechtlich scheint bei uns alles klar zu sein. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat im Hinblick auf dieses Übereinkommen in der Landtagsdrucksache 10/4470 vom 8. Juni 1989 festgestellt, daß dieses Übereinkommen eine Vielzahl von Verpflichtungen der Vertragsstaaten begründet, die im Hinblick auf die rechtliche Stellung des Kindes in Deutschland bereits weitgehend verwirklicht seien. Dennoch möchte ich eine Frage stellen: Ist wirklich schon alles in Ordnung? Ich denke z. B. an den Art. 9 des Übereinkommens. Da heißt es: Die Vertragsstaaten stellen sicher, daß ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, daß die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, daß diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. Aber wie ist es denn, wenn das Kind diese Trennung nicht will? Reicht die Bestimmung: Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßig persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. Ich kenne Kinder, die weinen jede Nacht, weil Mutter sie nicht zum Vater läßt und die Gerichte das für Recht halten. Manchmal frage ich mich, ob der Haß der Mutter auf ihren früheren Partner so noch gefördert werden darf. Das ist nur ein Beispiel. Ich frage mich auch, ob es nicht ein Verstoß gegen dieses Übereinkommen ist, wenn Kinder des ersten Schuljahres in der Schule vor dem Fernsehgerät sitzen und sich die Zusammenschnitte von Kriegsereignissen angucken müssen, um dann mühselig zu schreiben: „Ich bin gegen den Krieg." Wer ist schon nicht gegen den Krieg? ({2}) Aber ich frage: Darf man Sechsjährige so in Angst setzen? Das Übereinkommen spricht davon, daß im Sinne diese Übereinkommens ein Kind jeder Mensch ist, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unser Gesetz spricht vom 14. Lebensjahr. Unsere Kinderkommission hat sich verdienstvollerweise auch der Älteren angenommen. Einigen Jugendpolitikern hat das, wie es heißt, nicht gepaßt. Ich halte die Kinderkommission für eine wichtige Einrichtung unseres Parlaments. Es ist aber notwendig, daß die Ausschüsse des Bundestags die Anliegen unserer Kolleginnen und Kollegen, die hoffentlich recht bald wieder eine Kinderkommission bilden, aufgreifen und umsetzen. Es wird auf Dauer nicht mehr ohne weiteres zur Mißachtung von Kindern kommen können, wenn sich das Bewußtsein für die Rechte und für die Würde und für das besondere Schutzbedürfnis der Kinder stärker als bisher entwickelt. ({3}) Wir werden nicht jeden Vater ins Gefängnis stecken können, der seinem Sohn einmal eine Tracht Prügel verabreicht, was zweifellos vorkommt und immer noch vorkommen wird. Ich weiß aus eigener Erf ah-rung in der Schule, daß noch zu oft Kinder mit Worten, wenn man so sagen darf, niedergemacht werden, Kinder, die sich in aller Regel nicht wehren können. Auch das darf nicht sein. Meine Damen und Herren, es gibt also auch für uns noch viele Gründe, diesem Übereinkommen beizutreSeesing ten, es zu nutzen, das Denken der Menschen mehr auf die Belange der Kinder zu richten. Herzlichen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Wäre die anstehende Ratifizierung der Konvention der UNO vom 20. November 1989 durch den Deutschen Bundestag als die Übernahme ihrer Artikel in das geltende Recht der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen, so wäre das ein begrüßenswerter Fortschritt, weil damit unser Land kinderfreundlicher und zukunftsorientierter gestaltet werden würde. Bedauerlicherweise schränkt die Bundesregierung durch die im Gesetzentwurf dem Konventionstext nachgefügte Denkschrift diese Chance in gravierender Weise ein. ({0}) Die in der Denkschrift der Bundesregierung unter III. „Würdigung des Übereinkommens" getroffene Feststellung, daß das Übereinkommen Standards gebiete, die in der BRD verwirklicht seien, und keinen Anlaß für grundlegende Änderungen oder Reformen des innerstaatlichen Rechts böte, kann von mir nur als blanker Zynismus gegenüber Kindern sowie deren Eltern und vor allem als Versuch bewertet werden, die tiefen Widersprüche zwischen dem Inhalt der Kinderkonvention und der Realität zu verdecken. Erstens sollte die Bundesregierung nicht den bestehenden Handlungsbedarf negieren, auf dem bisher durchaus unbefriedigenden Stand beharren und demzufolge im innerstaatlichen Recht hinter der Konvention zurückbleiben, sondern aus der Konvention normative Schlüsse auf sozialem und kulturellem Gebiet ziehen. Es käme mir darauf an, den ein Menschenleben wesentlich prägenden politischen, sozialen, sittlichen und kulturellen Wert Kindheit ins Bewußtsein der Öffentlichkeit und der Träger staatlicher Verantwortung zu rücken. In diesem Zusammenhang müßten auch verfassungsrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Damit meine ich, daß das in Art. 1 des Grundgesetzes formulierte Grundrecht auf Unantastbarkeit der Würde des Menschen - unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Rasse, seiner Nationalität, seiner sozialen Herkunft und Stellung, seines weltanschaulichen, religiösen und politischen Bekenntnisses - durch die Unabhängigkeit von seinem Alter bzw. seiner Jugend ergänzt werden müßte. Zweitens scheint es mir bezeichnend, daß sich ausgerechnet bei der Benennung der Kosten ein nicht zu übersehender Übersetzungsfehler eingeschlichen hat. Im englischen Originaltext wird im Art. 4 ausdrücklich von den Vertragsstaaten hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Kindern verlangt, solche Maßnahmen im größtmöglichen Maß ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zu treffen. Die Formulierung „im größtmöglichen Maß" wurde im deutschen Text diskret verschwiegen. Drittens möchte ich an einigen konkreten Beispielen den sehr dringlichen Handlungsbedarf zur Veränderung des geltenden innerstaatlichen Rechts als Konsequenz der Ratifizierung der Kinderkonvention anmahnen. Für veränderungswürdig halte ich die Objektrolle von Kindern im innerstaatlichen Rechtssystem. So werden in Sorgerechtsverfahren in der Regel die Eltern gehört, die selbst aussagefähigen Kinder nur im Ausnahmefall. Deshalb sollte einem Kind der Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Anwalt zur Verteidigung seiner Rechte auf harmonische Persönlichkeitsentwicklung, auf Fürsorge und Erziehung durch Mutter und Vater, unabhängig davon, ob diese miteinander verheiratet sind oder nicht, zuerkannt werden. Art. 10 fordert die wohlwollende Prüfung der Einreise von ausländischen Kindern zwecks Familienzusammenführung. Rechtspraxis jedoch ist, daß das Ausländergesetz große Unterschiede zwischen einreisenden Kindern aus EG-Staaten oder aus Dritte-WeltLändern macht. Zum Beispiel Studenten, selbst aus Krisengebieten, ist es verwehrt, ihre Kinder in die BRD nachziehen zu lassen. Art. 12 sichert dem Kind das Recht auf freie Meinungsäußerung in allen es selbst berührenden Angelegenheiten zu. Dazu gehört in erster Linie sein Recht auf Leben in Frieden. Demzufolgen müssen die Rechte von Kindern und Jugendlichen zur Teilnahme an Antikriegsaktionen - Anti-Golfkrieg-Demos - respektiert ({1}) und können nicht mit behördlichen Sanktionen geahndet werden. ({2}) Art. 14 sichert dem Kind Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit zu. In der Denkschrift werden einseitig nur die Meinungsbildung des Kindes zur Religion behandelt und damit Kinder und Eltern benachteiligt, die eine freigeistige Weltanschauung vertreten. Art. 18 gebietet den Vertragsstaaten, sicherzustellen, daß Kinder berufstätiger Eltern Kinderbetreuungsdienste nutzen können. Die Denkschrift der Bundesregierung schränkt dies auf „soweit vorhanden" ein und betont die Nichtverpflichtung der Vertragsstaaten, solche Einrichtungen zu schaffen. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den Koalitionsvereinbarungen, die einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz in Aussicht stellen. Dazu ist es nötig, in den alten Bundesländern neue Plätze zu schaffen und die in den neuen Bundesländern ausreichend vorhandenen Plätze vor der Ruinierung zu bewahren. Aus diesem Grunde halte ich es für unangebracht, nach Art. 44 der Kinderkonvention zu verfahren und erst innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten einen Fortschrittsbericht vorzulegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Dr. Höll, ich hatte Ihnen versprochen, großzügig zu sein. Aber Sie hatten auch versprochen, nicht zu übertreiben.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Der letzte Satz: Vielmehr fordere ich die Bundesregierung auf, binnen kürzester Frist dem Bundestag einen Bericht über die sich aus der Ratifizierung der UNO-Kinderkonvention ergebenden Notwendigkeiten innerstaatlicher Änderungen des geltenden Rechts vorzulegen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von den Vereinten Nationen vorgelegte Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes ist watteweich formuliert, und zwar so watteweich, daß selbst die Bundesrepublik, in der die Lebenssituation von Kindern alles andere als befriedigend ist, fast bedenkenlos Vertragsstaat werden kann. ({0}) Die Bundesregierung hat recht, wenn sie behauptet, daß das Übereinkommen Standards setzt, die in der Bundesrepublik fast alle bereits erfüllt sind. Das spricht allerdings nicht für das hohe Niveau dieser Standards, sondern ist Resultat der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, die für das Zustandekommen dieses Übereinkommens notwendig war. In zwei Bereichen meint die Bundesregierung allerdings, die noch weit unterhalb des Übereinkommens liegenden Standards durch eine Erklärung bzw. durch eine besondere Interpretation absichern zu müssen. In einem Fall geht es um ausländische Kinder, deren rechtliche Diskriminierung und Unterprivilegierung in der Erklärung der Bundesregierung zum Übereinkommen bekräftigt wird. In einem anderen Fall geht es um das nach bundesdeutscher Rechtsprechung immer noch bestehende sogenannte Züchtigungsrecht, auf das zu verzichten die Regierung deutschen Eltern offensichtlich nicht zumuten will. Die öffentliche Akzeptanz der körperlichen Züchtigung beinhaltet aber auch die Toleranz gegenüber der emotionalen Züchtigung, gegenüber Liebesentzug, Abwertung des Kindes und der Zerstörung seines Selbstbewußtseins. Diese beiden Punkte in der Denkschrift zum Übereinkommen und in der Erklärung der Bundesregierung lehnen wir, die Abgeordneten vom Bündnis 90/DIE GRÜNEN, entschieden ab. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle beklagen die kurze Redezeit; auch ich. Ich meine, wir beklagen sie zu Recht. Aber ich darf kritisch und selbstkritisch anmerken, daß keiner von uns vorhin dem Vorschlag des Präsidenten für diese Redezeit widersprochen hat. ({0}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Voraussetzungen für die Ratifizierung der UN-Kinderkonvention geschaffen werden - ein Übereinkommen mit einer sensationell positiven internationalen Resonanz, in dessen Mittelpunkt das Wohl des Kindes steht; eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Denn was könnte einer Gesellschaft, Politikern, Eltern, Verantwortlichen in allen Bereichen mehr am Herzen liegen als das Wohl der Kinder und Jugendlichen, in die wir unsere Hoffnungen transferieren und die politische Entscheidungen leben und erleben müssen. Es werden Maßstäbe für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen gesetzt, die in Teilbereichen auch Anlaß zur Prüfung und Verbesserung der eigenen Gesetze sein können. Auch bei uns kann noch viel mehr für Kinder getan werden. Zahlreiche Vorschläge dazu haben wir heute hier gehört. Ich glaube, der Bundesminister der Justiz hat seine Eignung als Kinderanwalt vorhin in seiner Rede schon dargelegt. ({1}) In der Koalitionsvereinbarung ist auf Initiative der FDP der Prüfauftrag zur Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder im Umgangs-, Sorge-, Erb- und Unterhaltsrecht enthalten. Wir begrüßen, daß schon seit längerer Zeit an einer Reform des Sorgerechts insgesamt durch das zuständige Ressort gearbeitet wird. Aber um so mehr müssen wir deshalb bedauern - dies ist noch einmal hervorzuheben -, daß durch die Bedenken von Bayern und Baden-Württemberg, nicht durch die der Bundesregierung, Vorbehalte hinsichtlich der Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes und des Sorge- und Umgangsrechts von getrenntlebenden oder geschiedenen Eltern in die Erklärung, die die Bundesregierung zur Ratifizierung hinterlegt, aufgenommen werden muß. ({2}) Ebenso soll, wie auch in Art. 18 der Konvention allgemein formuliert, der Anspruch auf einen Kindergartenplatz nach unseren Vorstellungen zusammen mit den Ländern in dieser Legislaturperiode unbedingt realisiert werden. Wir wollen durch aktives Handeln und nicht nur durch wohlklingende Worte dieses ehrgeizige Vorhaben zum Wohl des Kindes verwirklichen, so wie es sich für uns aus vielen Punkten der UN-Kinderkonvention ergibt. ({3}) Mit der Anerkennung der Kinderkonvention, an der es trotz dieses Vorbehalts natürlich keinen Zweifel geben darf, nehmen wir uns hier selbst alle in die Pflicht. Danke. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Als letztem erteile ich dem Abgeordneten Schmidt ({0}) das Wort.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist heute kein Tag, an dem sich der Bundestag mit Ruhm bekleckert, nicht nur wegen der Redezeit, sondern auch deswegen, weil heute im Laufe des Tages der Ältestenrat die Wiedereinsetzung der Kinderkommission aus formalistischen Gründen, wie ich meine, verschoben hat. ({0}) Ich glaube, dies wirft auch ein Licht darauf, wie man mit Kinderpolitik in diesem Hause umgeht, wenn es dann ganz konkret wird. Aber auch die Redezeit - ich wiederhole damit die Rüge, die mehrfach von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern ausgesprochen ist - finde ich zutiefst skandalös. Da haben sich zahllose Vertreter aus vielen Ländern der Welt mehr als zehn Jahre in Konferenzen Gedanken gemacht, wie die Interessen der Kinder mehr als bisher in die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit gerückt werden können. Da hat die UNO-Vollversammlung am 20. November 1989 - übrigens unter Beteiligung der Kinderkommission; drei Mitglieder sind ja hier im Hause - einstimmig die Konvention mit 54 Artikeln beschlossen. Da finden sich nach langen Vorbereitungen im Interesse der Kinder alle Nationalitäten, Religionen, Weltanschauungen und Rassen zu einem bemerkenswerten Kompromiß zusammen. Da besteht endlich einmal wieder die Gelegenheit im deutschen Parlament, auf der Basis eines fundierten Beratungsobjekts die Interessen von Kindern in die politische Auseinandersetzung hineinzutragen und gleich zu Beginn der parlamentarischen Arbeit dieser neuen Legislaturperiode besondere Akzente zu setzen. Da könnte die Chance wahrgenommen werden, die frühere Einsetzung einer Kinderkommission nicht als politisches Alibi erscheinen zu lassen. Da könnte die von vielen politischen Seiten begrüßte Teilnahme des Bundespräsidenten am Weltkindergipfel Ende September 1990 in New York durch eine Parlamentsaktivität nachhaltig und konkret untermauert werden. Und was machen wir daraus? 30 Minuten Redezeit bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs zur Ratifizierung. Dies ist ein ernsthafter Vorwurf; ich protestiere energisch dagegen. Ich finde auch, daß man nach mehr als drei Jahren Bestehen der Kinderkommission in diesem Hause - sie wird hoffentlich wieder eingesetzt werden; so ganz zweifle ich noch nicht daran - zum erstenmal öffentlich fragen sollte, ob denn die Einsetzung dieser Kommission nicht doch ein Alibiakt gewesen ist. ({1}) - Herr Krause, erinnern Sie sich an Ihre Landwirtschaftsdebatte. Dann sollten Sie jetzt hier ruhig sein. ({2}) In der Sache kann und will ich heute nicht allzu viel vortragen. Das wäre auch sehr unangemessen. Aus kinderpolitischer Sicht kann ich nur darauf aufmerksam machen, daß die von der Bundesregierung im Gesetzentwurf dargestellte Selbstgefälligkeit, das deutsche Recht entspreche bis auf einige Marginalien den Anforderungen der Konvention, so nicht akzeptiert werden kann. Das sage nicht nur ich, sondern das sagen viele Fachleute draußen. Ich will nur einen Satz aus der Erklärung als Anlage zur Denkschrift zitieren, der lautet: Die Bundesrepublik erklärt, daß das Übereinkommen über die Rechte des Kindes nach ihrer Auffassung ausschließlich Staatenverpflichtungen begründet, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt. Dies nenne ich selbstgefällig. Die wenigen Anmerkungen, die dann noch folgen, sind ebenso im nebulösen Raum belassen, was ihre weiteren politischen Folgeakte angeht. Darum, denke ich, ist es wichtig, daß wir die Bundesregierung, aber auch das Parlament insgesamt zur weiteren Beratung dieses Themas auffordern, sich dieser Sache intensiver als bisher zuzuwenden und sie aufzuklären, sich auch selbst Aufträge zu erteilen, um herauszufinden, wie denn die Schwachpunkte, was die kinderpolitischen Rechte angeht, möglicherweise noch in die Debatte eingebracht und ausgemerzt werden können. Ich nenne hier auch ausdrücklich die Aktivitäten der Kinderkommission in der abgelaufenen Legislaturperiode. Wir haben einen 28seitigen Bericht erstellt, mit dem unglaublich viele Initiativen in Gang gesetzt worden sind; parteiübergreifend und ohne jede Auseinandersetzung in der Sache ist dadurch unglaublich viel zustande gekommen, was vielleicht auch beispielhaft für manche andere Ausschußarbeit in diesem Hause gewesen sein könnte. ({3}) Ich will daran erinnern, daß wir insbesondere beim Züchtigungsrecht, das hier eben schon erwähnt worden ist, aber auch im Interesse der Beseitigung der Kinderpornographie zusammen mit den Frauen dieses Hauses eine ganze Reihe von Zeichen gesetzt haben, die in der Öffentlichkeit - vor allem in der Fachöffentlichkeit - auch ernst genommen worden sind und die immer von dem Willen getragen waren, für die Kinder eine bessere Gesellschaft zu gestalten. Wir haben eine Menge zu tun. Wir dürfen nicht weiter die Interessenten, die Verbände, die Organisationen, aber auch uns selbst, die Menschen in diesem Lande, enttäuschen, indem wir so tun, als sei hier bei uns im Lande für die Kinder alles im Lot. Diejenigen, die sich mit offenen Augen für diese Dinge in unserer Gesellschaft bewegen, werden eine Fülle von Benachteiligungen unserer Kinder feststellen. Als Letztes will ich mit allem Ernst sagen - auch das gehört nach meiner Ansicht dazu - : Wir müssen die Kinder davor schützen, die Verlierer des Golfkrieges zu werden, und wir müssen die Kinder davor schützen, die Verlierer der deutschen Einheit zu werden. ({4}) Schmidt ({5}) In diesem Sinne hoffe ich mit allen - das sind vielleicht dann doch nicht wenige - , die guten Willens sind, daß wir aus dem vorliegenden Entwurf des Ratifizierungsgesetzes doch noch etwas gestalten können. Vielen Dank. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende dieser Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/42 an die in der Tagesordnung ausgedruckten Ausschüsse zu überweisen, außerdem zur Mitberatung auch an den Ausschuß für Familie und Senioren. Darüber hinaus ist mir eben von den Geschäftsführern der Fraktionen und Gruppen mitgeteilt worden, daß sie wünschten, die Vorlage zur Mitberatung auch dem Rechtsausschuß zu überweisen. ({0}) - Das ist der nächste Tagesordnungspunkt? Entschuldigung, dann ist das etwas anderes. Das ist hier oben offensichtlich falsch angekommen. Dann darf ich die Überweisung entsprechend der Vorlage als beschlossen feststellen, wenn niemand Einwendungen dagegen hat. Ich rufe jetzt Punkt 10 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Köppe, Dr. Feige, Poppe, Frau Schenk, Schulz ({1}), Dr. Ullmann, Weiß ({2}) und Frau Wollenberger ({3}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Befreiung von Militärsteuern - Drucksache 12/74 Überweisungsvorschlag : Finanzausschuß ({4}) Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß Für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes ist eine Fünfminutenrunde vorgesehen, das heißt, jeder Fraktion stehen fünf Minuten Redezeit zur Verfügung. Außerdem hat mich der Abgeordete Conradi gebeten, ihm Redezeit für die Darlegung einer abweichenden Meinung zu gewähren. Ist das Plenum damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann werden wir so verfahren. Wir können mit der Beratung beginnen. Zunächst hat die Abgeordnete Frau Köppe das Wort.

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahren verstärkt sich die Kritik an Rüstung und Militär und damit auch an den hohen Ausgaben für diese Zwecke. Es erscheint vielen Bürgerinnen und Bürgern unerträglich, Rüstung - und jetzt auch noch eine Kriegsbeteiligung - durch ihre persönlichen Steuerabgaben zu finanzieren. Besonders für Pazifisten ist dies ein tiefgreifender Gewissenskonflikt. Politiker sollten akzeptieren, so denken wir, daß sich Kriegsgegner und Kriegsgegnerinnen nicht damit abfinden wollen, zwar für den Frieden beten zu dürfen, aber für den Krieg zahlen zu müssen. Für die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen besteht im Rahmen des geltenden Rechts keine Möglichkeit, die Finanzierung von Militärausgaben wirkungsvoll und konsequent zu verweigern. Die Bundesrepublik ist bisher mit einer Summe von 17 Milliarden DM am Golfkrieg beteiligt. Bezahlt wurde dieses Geld von den Steuerzahlern. Im Zusammenhang mit dem Golfkrieg wird jetzt von Steuererhöhungen gesprochen. Sicherlich ist Ihnen das Ergebnis einer Umfrage zu diesem Thema bekannt, die besagt, daß 62 % der Bevölkerung aus den alten und 88 % der Bevölkerung aus den neuen Bundesländern gegen eine Steuererhöhung aus Anlaß des Golfkrieges sind. Auch auf diesem Hintergrund bitte ich Sie, sich mit unserem Gesetz zur Befreiung von Militärsteuern sachlich auseinanderzusetzen. Mit diesem Gesetz soll jeder bzw. jede Steuerpflichtige die Möglichkeit erhalten, über die eigene Beteiligung an der Finanzierung von Militärausgaben selber zu entscheiden. Dazu regelt das Gesetz zunächst die Neuorganisation der Finanzierung der militärischen Verteidigung über einen Militärfonds, welcher ausschließlich über die zu erhebende Militärsteuer zu finanzieren ist. Von dieser Militärsteuer kann Befreiung erlangt werden, wenn aus Gewissensgründen die finanzielle Beteiligung an dieser Finanzierung von Rüstung nicht mitgetragen werden kann. Wir betonen dabei ausdrücklich - denn dieser Vorwurf ist uns in letzter Zeit oft gemacht worden - , daß mit diesem Gesetz den Bürgern und Bürgerinnen keine generelle Entscheidung über die Verwendung ihres Steueraufkommens zugebilligt wird. Schon das Grundgesetz sieht aber bei Gewissensentscheidungen eine besondere Situation gegeben. Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes garantiert allgemein den besonderen Schutz von Gewissensentscheidungen, Art. 4 Abs. 3 das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Analog zur Kriegsdienstverweigerung sollte mit dem Hinweis auf Art. 4 Abs. 1 ein Rechtsanspruch auf Verweigerung der Finanzierung von Rüstungsbestrebungen geschaffen werden. Wir sind der Meinung, daß niemand gegen sein Gewissen zur Beteiligung an militärischer Rüstung gezwungen werden sollte. Aus Gründen der Steuergleichheit fließt der entsprechende Steueranteil einem zu schaffenden Sondervermögen Rüstungskonversion zu, dient also der Überleitung von Rüstung in ökologisch und sozial verträgliche Produktion, unterstützt ganz praktisch Abrüstung. Als eines der Hauptargumente gegen den Abbau von Rüstung und Militär wird immer wieder und besonders von den CDU-Kollegen auf den Wegfall von Arbeitsplätzen verwiesen. Durch die Einrichtung eines Rüstungskonversionsfonds werden für diesen Umbau Geldmittel zur Verfügung gestellt. Wir denken, daß unser Gesetzentwurf eine Chance für all diejenigen ist, die wirklich Abrüstung wollen, und zwar Abrüstung schon jetzt. Frau Köppe Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Rind das Wort.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, Steuern für besondere Zwecke zu erheben und getrennt zu verwalten, ist nicht neu. So, wie der Gesetzentwurf formuliert ist, wäre allerdings eine Befreiung von einem Teil der Lohn- und Einkommensteuer gegeben. In der Begründung steht zwar, daß etwas anderes gewollt ist, nämlich ein Wahlrecht des Bürgers. Aber wenn es so gewollt ist, ist es im Gesetzentwurf falsch formuliert. Wenn ich aber unterstelle, daß die Antragsteller nicht vorhaben, die Steuerbelastung der Bürger zu verändern, wenn diese sich für oder gegen die sogenannte Militärsteuer entscheiden, ({0}) dann muß ich Ihnen sagen, daß das Ende einer geordneten Finanzpolitik erreicht wird, wenn wir Steuerzuweisungen in Töpfchen einzuordnen beginnen. Ich sehe schon die Forderung, nach der sogenannten Militärsteuer eine sogenannte Straßensteuer zu erheben, die jeder verweigern kann, der eine beschleunigte Verkehrskonversion mit einer Schienensteuer erreichen will. Die Reihe derartiger umwelt-, gesundheits- und friedenspolitisch motivierter Spezialsteuern ließe sich beliebig verlängern. Ich verstehe, daß sich die Kollegen vom Bündnis 90 in der Finanzpolitik noch nicht zurechtfinden. Die Vorstellung, daß in einem Töpfchen die sogenannte Militärsteuer und in einem anderen die Rüstungskonversionssteuer bürokratisch aufwendig verwaltet werden und daß sie dann, ohne die Höhe der Einnahmen zu kennen, den verschiedenen Aufgabenbereichen zugeteilt werden, läßt mich schlichtweg erschaudern: Da stehen leere Töpfchen herum; da laufen Töpfchen über. Woher mit dem Geld für die Aufgaben in diesem Bereich? Wohin mit dem Geld, das für den anderen Bereich nicht gebraucht wird, aber vorhanden ist und - nach dem Wortlaut Ihres Gesetzes - für andere Staatsaufgaben nicht eingesetzt werden darf? Der richtige Weg, um Ausgaben für die Verteidigung zu vermindern, ist die Fortsetzung der Friedenspolitik. Die Entscheidung über den Anteil seiner Steuergroschen für Rüstungsausgaben und damit für die Verteidigung fällt der Bürger alle vier Jahre bei der Bundestagswahl. Er ist sich dabei bewußt, welche Position die Parteien zu den Fragen der Friedens-, Rüstungs-und Verteidigungspolitik beziehen. Diese Wählerentscheidung ist eine Gewissensentscheidung auch über das, was Sie vom Bündnis 90 Militärsteuern nennen. Abschließend sei bemerkt: Wenn Sie in Ihrem Entwurf schreiben, für Kriegsgegner und Pazifisten sei die Beteiligung der Steuerzahler an den Kosten des Golfkrieges unzumutbar, dann nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Kriegsgegner und Pazifisten sind ebenso in den Reihen derjenigen zu finden, die mithelfen wollen, den Aggressor und Mörder Saddam Hussein in seine Schranken zu weisen, bevor er, durch einen gelungenen Überfall auf Kuwait ermutigt, weitere Greueltaten verüben könnte. ({1}) Diese Mitbürger und Mitbürgerinnen werden nicht akzeptieren, daß Sie zu Unrecht das Monopol auf Friedensliebe und Kriegsgegnerschaft beanspruchen. Wir werden in den Beratungen diesem Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht nähertreten. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete von Larcher. von Larcher ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, über den wir hier sprechen, kommt zwar vom Bündnis 90/GRÜNE, aber zu verantworten haben ihn CDU/CSU und FDP. ({1}) - Ja, Sie haben richtig gehört. Einmal abgesehen von Ihrem unverantwortlichen und unaufrichtigen Gerede über die Kosten der deutschen Einheit im Wahlkampf: Es war doch eine ungeheure Zumutung für jeden denkenden Menschen, zu behaupten, für den Aufbau in den Ländern der ehemaligen DDR brauche man keine Steuererhöhungen, und gleichzeitig eine Kriegsteuer anzukündigen, wie Sie es in der Regierungserklärung und in der Debatte darüber getan haben, ({2}) eine Kriegsteuer zur Finanzierung des Golfkrieges. Diese Bundesregierung finanziert den Golfkrieg mit Steuergeldern. Ein Betrag von 17 Milliarden DM ist schon häufig genannt worden. Wenn der Golfkrieg nicht bald zu Ende geht, wird sich dieser Betrag vervielfachen. Wie Sie hier verfahren sind, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, und immer noch verfahren, straft Ihr Gerede vom mündigen Bürger Lügen. Sie behandeln doch die Bürgerinnen und Bürger wie unmündige Kinder. Aber nicht einmal unmündigen Kindern sollte man die Unwahrheit sagen. Kein Wunder, wenn viele Menschen darüber nachdenken, wie sie verhindern können, daß mit ihrem Geld, mit ihren Steuern dieser verheerende Krieg finanziert wird, weil sie sich in ihrem Gewissen nicht schuldig machen wollen am Sterben und Leiden der Menschen und der Kreatur. Kein Wunder, daß in Betrieben und in gesellschaftlichen Gruppen bis hinein in kirchliche Arbeitskreise eine Steuerboykottdiskussion eingesetzt hat. Die Motive dieser Menschen, die darüber nachdenken und die ihrem Gewissen gemäß handeln, sind ehrenhaft. Diese Menschen haben unsere Unterstützung gegen infame Diffamierungen. Sie sind es leid, daß immer noch - trotz des Abbaus der Konfrontation zwischen Ost und West und des Beginns einer Sicherheitspartnerschaft - diese Bun452 von Larcher desregierung und die sie tragenden Parteien Superverteidigungshaushalte aufstellen. Sie sind es leid, daß mit ihrem Geld immer noch unsinnige Waffensysteme bezahlt werden, ({3}) statt daß damit ökologische, soziale und sinnvolle ökonomische Projekte und die notwendige Rüstungskonversion finanziert werden. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch den Entwurf des Bündnisses 90/GRÜNE. Ich gestehe, daß ich ihm persönlich - wie mein Freund Peter Conradi - Sympathien entgegenbringe, mehr noch allerdings dem hinter dem Entwurf stehenden Motiv. Aber obwohl wir Sozialdemokraten die Motive, die zu dieser Initiative geführt haben, verstehen und sogar teilen - das Motiv nämlich: kein Geld für den Golfkrieg -, halten wir diesen Weg nicht für gangbar. Wir Sozialdemokraten wollen keine Militärsteuer als Zwecksteuer ({4}) und keine Steuererhöhungen für den Golfkrieg. Ich möchte mich - auch in Anbetracht der kurzen Redezeit - nicht mit den verfassungsrechtlichen und den haushaltsrechtlichen Fragen auseinandersetzen. Wir Sozialdemokraten bleiben bei unseren Forderungen: keine Mark für den Golfkrieg, wohl aber Geld für humanitäre Zwecke, zur Behebung der ökologischen Schäden, zum Wiederaufbau und zur Beseitigung der verheerenden Zerstörungen dieses Krieges zum Wohle der dort Lebenden, der überlebenden Menschen. Wir lehnen jede Kriegsteuer ab. Im übrigen fordern wir eine drastische Reduzierung des Verteidigungshaushaltes sofort und in weiteren Schritten seine Halbierung, wie in unserem Wahlprogramm angekündigt, die weitere Abrüstung und Veränderung der Bundeswehr- und der NATO-Struktur, hin zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit, sowie das Verbot des Rüstungsexports in Nicht-NATO-Länder, wie wir das heute beantragt haben. ({5}) - Das ist eine Unverschämtheit! So wollen wir Sozialdemokraten sicherstellen, daß das von den Menschen schwer verdiente Geld nicht zum Töten, nicht für wahnsinnige Rüstungsprogramme, sondern für gesellschaftlich sinnvolle, soziale und ökologische Zwecke ausgegeben wird. In diesem Zusammenhang ist auch an unseren Vorschlag zu erinnern, mit Mitteln aus dem Verteidigungshaushalt einen Rüstungskonversionsfonds zu errichten. Nicht die individuelle Entscheidung im Einzelfall über die sinnvolle Verwendung von Steuergeldern kann unser staatspolitisches Ziel sein, sondern wir sagen - da stimme ich Herrn Rind zu; allerdings sollten Sie auch danach handeln - : Bei Wahlen können die Bürgerinnen und Bürger in unserer Republik entscheiden, was mit ihrem Geld gemacht wird. Das setzt allerdings voraus, daß man ihnen vor der Wahl sagt, was man vorhat. ({6}) Das setzt weiter voraus, daß man Wahlprogramme in der Sache begründet und nicht unter der Frage zusammenschreibt: Womit sind Stimmen zu fangen und womit nicht?, unabhängig davon, was man nach der Wahl tatsächlich machen will. Und damit schließt sich der Kreis. Zu verantworten haben den Gesetzentwurf von Bündnis 90/GRÜNE diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien. Wir Sozialdemokraten können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Eimer das Wort.

Norbert Eimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000458, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede meines Vorredners klang unwahrscheinlich moralisch. Ich will es mal anders formulieren. Sie argumentieren: Wir für das Feine, für das Humanitäre, und die anderen, die Amerikaner, sollen ihren Kopf hinhalten, sollen ihr Blut vergießen, um einen Aggressor zu stoppen. Die einen für das Grobe, die anderen für das Feine. Ich halte diese Einteilung, diese - internationale - Arbeitsteilung, für in höchstem Maße unmoralisch. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Braband.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Abgeordneten des Bündnisses 90/ GRÜNE stellt in gewisser Weise eine Kostbarkeit unter den vielen Papieren dar, die in den letzten Monaten dieses Haus passiert haben. Warum? ({0}) - Bitte? Ich war in der ehemaligen DDR im Gefängnis, mein Herr. Hier wird der Versuch gemacht, auf konstruktive Weise mit den veränderten Bedingungen in Europa umzugehen, und der Möglichkeit Raum gegeben, endlich die Gewohnheit dieser patriarchalischen Welt, die Lösung ihrer Probleme in jedem Fall auch militärisch zu denken und vorzunehmen, abzulegen. Dieses Gesetz trägt der Tatsache Rechnung, daß sehr viele Menschen in Ost und West in einem Krieg eben nicht mehr die legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sehen. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben im Herbst 1989 gezeigt, daß sie willens und in der Lage sind, ihre Welt mit friedlichen Mitteln zu verändern. Es ist der Beweis erbracht worden, daß das möglich ist. Niemand kann daran vorbei. Selbstverständlich sind Politikerinnen und Politiker ganz besonders gefragt, wenn es gilt, neue Ideen über das Zusammenleben von Menschen zu entwickeln, die dann neue Verhaltensweisen ermöglichen. Bisher wurde - so sehe ich das - jede, aber auch wirklich jede Chance vertan, aus der Vereinigung der beiden deutschen Staaten etwas wirklich Neues entstehen zu lassen, und sei es ein neuer Denkansatz. Statt dessen werden fortschrittliche Gesetze der alten DDR eliminiert, die Notwendigkeit einer Verfassung für dieses Land geleugnet, die Friedensbewegung diffamiert und insbesondere der Wille der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger zur Entmilitarisierung und Abrüstung, ({1}) die eine wesentliche Forderung des Herbstes war, durch Einverleibung in die NATO ignoriert. Wenn in diesem Hause und in seinen Ausschüssen bereits laut darüber nachgedacht wird, wie das durch den Golfkrieg verbrauchte Kriegsmaterial schnellstmöglich ersetzt werden kann, dann ist genau das der Beweis für die Unfähigkeit, die Probleme der Menschheit - Umweltzerstörung, Krieg, Hunger in der Dritten Welt - durch solidarisches Handeln und eben nicht durch Aufrüstung und Krieg zu bewältigen. Ich behaupte, daß sich hier nicht nur Unfähigkeit, sondern auch mangelnder Wille zeigt. Wir, die Abgeordneten der PDS/Linke Liste treten für konsequente Entmilitarisierung und Abrüstung ein ({2}) und betrachten diesen Gesetzentwurf als einen ersten kleinen, aber sehr wirkungsvollen Schritt dahin, nicht nur die Menschen, die für sich bereits entschieden haben, Rüstung und Krieg nicht mehr mitzufinanzieren, nicht weiter zu kriminalisieren, sondern auch bei anderen Menschen ein Bewußtsein für diese Problematik entstehen zu lassen. Er bietet für jede und jeden die Chance, Verantwortungsgefühl für das zu entwikkeln, was wir mit uns machen und machen lassen, und diese Verantwortung durch eine persönliche Gewissensentscheidung auch wahrzunehmen. ({3}) Steuern sind Abgaben des und der einzelnen an das Gemeinwesen zur Finanzierung der Kosten, die entstehen, um dieses Gemeinwesen aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, und zwar im Interesse und zum Wohle aller in ihm lebenden Menschen und - so füge ich hinzu - weder zu ihrem Schaden noch zum Schaden der außerhalb von ihm lebenden. Es ist an der Zeit - darüber ist schon viel geredet worden - , den vorhin erwähnten veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen. Abrüstungsverhandlungen sind nur die eine Seite. Wenn diesen Verhandlungen nicht entsprechende Maßnahmen im Inland folgen, die sich eben nicht auf die bloße Reduzierung von Mensch und Material beschränken, sondern den Geist in Frage stellen, der uns weismachen will, es käme darauf an, sich unter allen Umständen und mit allen Mitteln auch gegen die Interessen anderer Menschen durchzusetzen, so führen diese Verhandlungen zu weiter nichts als zum quantitativen Abbau und gleichzeitiger qualitativer Verbesserung von Kriegspotential. Ich sehe, daß meine Redezeit beendet ist. Ich möchte Ihnen noch einen letzten Satz sagen: Ich denke, dieser Gesetzentwurf ist eine gute Gelegenheit für alle die, die der Friedlichkeit der Veränderungen in der DDR ihre Bewunderung und ihren Respekt gezollt haben, daraus nun auch praktische Konsequenzen zu ziehen. ({4}) Ich jedenfalls, irgendwann von meinem Sohn gefragt, was ich getan habe, möchte ihm wirklich antworten können. ({5}) Ich danke Ihnen. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vertrete mit einigen Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion eine von der großen Mehrheit der SPD-Fraktion abweichende Meinung. Diese möchte ich hier in die Diskussion einbringen. Es geht hier um Gewissensfragen. Gewissensfragen sind in unserer Verfassung sehr hoch angesiedelt. In Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die Gewissensfreiheit festgelegt. Und auch die Menschenwürde des Art. 1 des Grundgesetzes hat etwas mit dem Gewissen zu tun. Das Grundgesetz nennt einen Konfliktfall zwischen dem Gewissen des einzelnen und den Forderungen des Staates, nämlich den Fall des Kriegsdienstes. Es steht bei den Grundrechten in Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. " ({0}) Die Frage, die ich hier stelle, ist die: Warum können wir kein Gesetz machen mit dem Inhalt: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Steuer gezwungen werden. Das ist die Fragestellung, um die es geht. ({1}) Vor allem den Liberalen möchte ich sagen: Ich habe gedacht, die Liberalen ständen für das Gewissen der Menschen und für Liberalität. Aber Ihre Beiträge werden der Gewissensnot der Menschen, die bei ihren Finanzämtern sagen, daß sie daran nicht beteiligt werden wollen, nicht gerecht. Es sind nur einige. ({2}) - Herr Jäger, es gibt bei Fünf-Minuten-Beiträgen leider keine Zwischenfragen. - Diese Menschen sind in persönlicher Bedrängnis. Wir sollten uns nicht damit herausreden, daß es eine Minderheit ist; denn Gewissensfragen sind immer Minderheitsfragen. Vielmehr sollten wir uns fragen, warum wir ihnen nicht - ebenso wie wir den Kriegsdienstverweigerern den Ersatzdienst einräumen - die Möglichkeit geben, die Militärsteuer zu verweigern und ihre Steuer ersatzweise einem anderen, friedlichen Zweck zu widmen. Das stände einer Demokratie gut an. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sie, Herr Eimer, sonst sehr gerne beschwören - informieren Sie sich einmal! -, haben sehr wohl steuerliche Ausnahmeregelungen für Minderheiten, die in Gewissensfragen anders entscheiden. ({3}) Man soll also Amerika nicht immer nur bemühen, wenn es um den Krieg und um Rüstung geht, sondern man soll die liberale, freiheitliche Tradition Amerikas hier auch einmal in die Debatte einbringen. Nun wird das aktualisiert durch die hemmungslose Kriegsrederei einiger Politiker - ich rechne Ihren Beitrag dazu - und einiger Journalisten ({4}) und durch die Tatsache, daß diese Regierung und eine Mehrheit der Koalition erklärt haben, sie seien nicht bereit, die Steuern für die Entwicklungshilfe zu erhöhen, sie seien nicht bereit, die Steuern für die Brüder und Schwestern in der ehemaligen DDR zu erhöhen, aber sie sind bereit, die Steuern für den Golfkrieg zu erhöhen, und das löst natürlich bei vielen Menschen Nachdenklichkeit und Protest aus. Die Antwort der Bürokraten, auch der Bürokraten in diesem Hause, wir hätten das noch nie so gemacht, und da könnte jeder kommen, ist des Problems unwürdig. Wenn wir hier ein Gesetz machen, nachdem wir jemandem das Recht geben, aus Gewissensgründen seinen Anteil an den Steuern nicht militärischen Zwecken, sondern friedlichen Zwecken zu widmen, dann gilt dies nur für diesen einen Zweck, und dann kann nicht jeder andere auch kommen. Ich nehme es ernst, daß das Parlamentsrecht uns vorbehält, die Staatsausgaben zu bestimmen, aber ich sehe nicht, daß das Parlamentsrecht uns das Recht gibt, die Gewissensentscheidung des einzelnen Bürgers zu ersetzen. Dies ist nicht unsere Sache. Nun könnten Sie etwa auf den § 218 hinweisen, und ich wäre, Herr Jäger, bereit, darüber sehr ernsthaft zu diskutieren, denn es hat 1988 eine Verfassungsgerichtsentscheidung gegeben, als eine beitragspflichtige Versicherte die Krankenversicherung zwingen wollte, Abtreibungen nicht mehr zu bezahlen. Das hat das Verfassungsgericht abgelehnt; das war auch ein ganz anderes Ziel als das Ziel dieses Gesetzentwurfs. Aber wenn es darum geht - wir werden in diesem Jahr noch einmal darüber debattieren - , etwa einer Beitragspflichtigen in der Krankenversicherung zu erlauben, zu sagen, ich will nicht, daß mit meinem Beitrag gegen mein Gewissen Schwangerschaftsabbrüche finanziert werden, dann nehme ich das sehr ernst und bin sehr wohl bereit - Herr Jäger, ich werde Sie daran erinnern - , eine entsprechende Regelung zu suchen. Ich sehe durch den Gesetzentwurf keinen Abbau der Parlamentsrechte, wenn in Bayern die Bürger des Freistaats über ein höchst kompliziertes Abfallgesetz - übrigens mit einem bemerkenswerten Ergebnis, ({5}) mit einem in jeder Hinsicht interessanten Ergebnis -, dann wird da die Kompetenz des Parlaments sehr viel eher gefährdet, als wenn wir hier einer Minderheit einräumen, nach ihrem Gewissen einen Teil ihrer Steuern anders zu widmen. Ob der Antrag praktikabel ist, ist hier nicht der Gegenstand; darüber soll der Ausschuß beraten. Unser Grundsatzprogramm, das der Sozialdemokraten, sagt: Die parlamentarische Demokratie vermindert und ersetzt nicht die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Ich meine, wir sollten den Gesetzentwurf nicht so leichtfertig vom Tisch wischen. Es geht um das Gewissen von Menschen, und damit sollte man sich ernsthaft auseinandersetzen. Ich bitte Sie - auch im Namen einiger Kollegen - , dieses Gesetz im Ausschuß ernsthaft zu beraten und nicht so abzutun, wie Sie das hier getan haben. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich das Wort zu Kurzinterventionen erteile, Herr Abgeordneter Conrad, möchte ich noch einmal klarstellen: Ich habe nicht gesagt, es gibt keine Zwischenfragen bei FünfMinuten-Beiträgen, ({0}) sondern ich habe gemeint, bei Aktuellen Stunden mit Fünf-Minuten-Beiträgen gibt es keine Zwischenfragen. In Analogie dazu möchte ich die Debattenbeiträge nicht auseinandergerissen wissen, sondern ich empfehle, dann lieber von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch zu machen. Es liegt also in der Kompetenz des amtierenden Präsidenten, das zu machen, wie er es für richtig hält. ({1}) Zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Abgeordneten Jäger das Wort. ({2})

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Conradi hat selber den Punkt, nach dem ich mit meiner Zwischenfrage fragen wollte, aufgegriffen und hat darauf hingewiesen, daß es Menschen gibt, die sich beschwert fühlen, wenn ihre Sozialversicherungsbeiträge zur Tötung ungeborener Kinder verwendet werden. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, Herr Kollege Conradi, daß Sie sich im Verlauf Ihrer Äußerungen als sensibel in dieser Frage erwiesen haben. Ich muß Ihnen nur leider sagen, daß das eine völlig neue Sache ist und daß ich beim Verlauf der bisherigen Diskussion über diese Frage bei Ihnen und Ihren Parteifreunden keinerlei Sensibilität in dieser Frage erkennen konnte. Im Gegenteil, ich mußte immer wieder feststellen, daß von dort alle Versuche konterkariert wurden, daß man gegen die Möglichkeiten vorging, sich gegen die Pflicht zur Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen zu diesem Zweck zu wenden. Sie wären glaubhafter gewesen, wenn Sie nicht erst heute die Bereitschaft erklärt hätten, dazu aufmerksam auf Lösungsvorschläge zu achten, sondern wenn Sie sich auch schon in der Vergangenheit als ein Streiter für die Rechte der betroffenen Sozialversicherungspflichten erwiesen hätten, was leider nicht der Fall ist. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer weiteren Kurzintervention - ich nehme an, der Abgeordnete Conradi ist damit einverstanden, damit er auf beides antworten kann - erteile ich dem Abgeordneten Hansen das Wort.

Dirk Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000804, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Conradi, ich finde, es ist in Ordnung, daß der Gesetzentwurf, der von Frau Köppe hier begründet wurde, tatsächlich schon insofern ein fruchtbares Ergebnis gezeitigt hat - das haben Sie in mir provoziert -, als man sich Gedanken darüber macht: Gewissensfragen - ja oder nein. Das finde ich an sich sehr in Ordnung. Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, wenn Sie einzelne Fraktionen - und dann ausgerechnet Liberale - gewissermaßen als Kriegstreiber verleumderisch in die Ecke stellen, und zwar mit einer Argumentation, die eigentlich mit dem sensiblen Anliegen kaum noch etwas zu tun hat. Sonst müßte ich Sie als Architekten beispielsweise fragen, ob kinderfeindliche Hochbauten oder Straßen, auf denen zahllose tödliche Unfälle auch mit Kindern passieren und die auch durch Steuermittel finanziert wurden, für Sie jeweils eine Gewissensfrage darstellen sollen. Ich finde, es ist entweder pharisäisch oder eine Inflationierung des Begriffs Gewissen, wenn man versucht, an Hand des einen Beispiels auf diese Art und Weise moralisch zu argumentieren und Kollegen oder andere Parteien in die Ecke zu stellen. Dies finde ich argumentativ einfach nicht in Ordnung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zur Erwiderung hat der Abgeordnete Conradi das Wort.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jäger, ich habe vor vier Jahren zu einem ähnlichen Gesetzentwurf hier ebenfalls - im Unterschied zu meiner Fraktion - die Gewissensfreiheit sehr hoch angesetzt und dazu geredet. Sie können mir nicht vorhalten, ich hätte das früher nicht gesagt. Was die Krankenversicherung betrifft, so habe ich hier dargestellt, daß ein großer Unterschied besteht, ob eine Versicherte oder eine Gruppe von Versicherten erreichen will, daß die Krankenversicherung Schwangerschaftsabbrüche überhaupt nicht mehr bezahlt - dies hat Karlsruhe zurückgewiesen - , oder ob eine Versicherte bzw. ein Versicherter wie Sie sagt: Ich will mit meinem Beitrag Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr finanzieren, und ich will eine Regelung, die es mir erlaubt, diesen Teil des Beitrags anderen Zwecken zu widmen. Darum geht es. Wenn Sie letzteres, was ich dargestellt habe, wollen, werden Sie in diesem Hause und draußen immer meine Unterstützung finden, weil ich Gewissensentscheidungen für eine schwerwiegende Sache halte, die das Parlament nicht an sich ziehen kann. Ich hoffe, das ist damit zwischen uns klar. Was die FDP betrifft, Herr Kollege: Ich habe vom hemmungslosen Kriegsgerede, nicht von Kriegstreiberei oder Kriegshetze geredet. Ich hätte das nicht getan, hätte nicht der Herr Kollege Eimer meinen Vorredner Herrn von Larcher in seiner Intervention dermaßen in die Ecke gestellt: er rede unmoralisch, da es doch hier um den Krieg gehe, die müßten ihren Kopf hinhalten und ihr Blut hergeben, aber wir seien noch nicht einmal bereit, dafür zu zahlen. ({0}) Das fand ich als Intervention diesem Problem nicht angemessen. Dagegen habe ich mich verwahrt. Ich werde Herrn Eimer hier nicht Kriegshetzerei oder etwas Vergleichbares unterstellen. Was den Beispielsfall mit dem Hochhaus oder dem Straßenbau betrifft: Ich glaube, dieses Beispiel liegt neben der Sache. Ich habe gesagt: Das Parlament muß entscheiden, ob es einen bestimmten Gewissenskonflikt für so wichtig hält, daß es dem einzelnen Staatsbürger in einem bestimmten Fall die Möglichkeit gibt, seinem Gewissen nachzukommen und nicht der Mehrheitsentscheidung des Parlaments oder der Pflicht, Steuern zu zahlen oder Kriegsdienst zu leisten. Ich wäre der letzte, der behaupten würde, die Frage, ob ein Hochhaus oder eine Autobahn gebaut wird, sei eine Gewissensfrage. Nein, ich bin der Meinung, analog zur Kriegsdienstverweigerung sollten wir ernsthaft überlegen, ob die Kriegsdienststeuerverweigerung nicht auch ein Gewissenstatbestand ist, den wir freiheitlicher regeln können, als es bisher der Fall ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Grünewald das Wort.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Sicht auf die verfassungsrechtliche Wirklichkeit in unserem Lande kann ich mich trotz der sehr engagierten Diskussion sehr kurz fassen. Es ist nun einmal so, daß jeder Bürger zur Entrichtung der ihm auferlegten Steuern verpflichtet ist. Die Verwendung des Steueraufkommens, also das, was der Staat damit macht, berechtigt nun niemanden, dem Staat unter Berufung auf Grundrechte, insbesondere auf die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes, Steuern vorzuenthalten. Das, Herr Kollege Conradi, ist nicht die Antwort von Bürokraten. Das ist vielmehr die Antwort unseres höchsten Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, wenn es sagt - ich zitiere - : Der einzelne Bürger, der eine bestimmte Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten. Soweit dies mit seinem Glauben, seinem Gewissen, seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekennntnis unvereinbar ist, kann er jedenfalls nicht verlangen, daß seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird. So weit das Zitat. Ich meine, diese Entscheidung unseres höchsten Gerichts läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ich meine aber auch noch auf einen anderen verfassungsrechtlichen Aspekt hinweisen zu müssen. Unser Grundgesetz verweist nun einmal die Entscheidung über die Verwendung von Haushaltsmitteln in die ausschließliche Zuständigkeit der gesetzgebenden Körperschaften. Diese Entscheidungsbefugnis wäre aber eingeschränkt, wenn, wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, ein wesentlicher Teil des Steueraufkommens von vornherein bestimmten Zwecken zugeordnet würde. Vielmehr steht nach unserer Haushaltsverfassung das gesamte Steueraufkommen grundsätzlich für die Finanzierung aller, ausnahmslos aller, Staatsaufgaben zur Verfügung. Im übrigen frage ich die Antragsteller, wie der Verteidigungsminister nach Ihren Vorstellungen überhaupt eine vernünftige Planung machen sollte. Das Problem erkennen Sie ja auch selber, da Sie bei der Lösung darauf hinweisen, daß es einfach nicht geht, den Steuerpflichtigen generelle Mitspracherechte einzuräumen, weil dies, wie Sie sagen, staatliche Finanzplanung verunmöglichen würde. Ich frage Sie noch weiter: Wie soll die Bundesregierung ihren nach wie vor bestehenden Bündnisverpflichtungen nachkommen, die teilweise schon vor unserer Zeit eingegangen worden sind? Wie soll sie diesen Bündnisverpflichtungen nachkommen, die wir erfüllen müssen und die wir auch verläßlich und gerne erfüllen wollen? Meine Damen und Herren, schon diese wenigen Gründe machen in ausreichendem Maße deutlich, daß dem vorliegenden Gesetzentwurf sowohl die verfassungsrechtliche als auch die haushaltspolitische Grundlage fehlt. Die Bundesregierung wird diesem Entwurf deshalb nicht nähertreten. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieser Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/74 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Das sind der Finanz-, der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuß. Soeben ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf zur Federführung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Das heißt, logischerweise sind die anderen Ausschüsse dann zur Mitberatung aufgerufen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann darf ich das als beschlossen feststellen. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Finanzierung der Schiffsentsorgung in deutschen Seehäfen nach MARPOL - Anlage I und II - Drucksache 12/117 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 12/117 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Andere Vorschläge werden nicht gemacht. So ist auch dies beschlossen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Februar, 9 Uhr ein und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Restabend. Die Sitzung ist geschlossen.