Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Anneliese Augustin, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Josef Grünbeck, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Vor der VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung ({0}) 1992: Durch globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft die Schöpfung bewahren - Drucksache 12/2489 -
7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Lieferung von Rüstungsgütern an die Türkei - Drucksache 12/2498 -
Außerdem soll der bereits in der 86. Sitzung überwiesene Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Verkürzung der Juristenausbildung auf Drucksache 12/2280 nachträglich auch an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur Mitberatung überwiesen werden.
Sind Sie mit diesen Ergänzungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 sowie die Zusatzpunkte 4 bis 6 der Tagesordnung auf:
6. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Ludwig Stiegler, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Urheberrecht
- Drucksache 12/1733 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
EG-Ausschuß Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, Robert Leidinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Beendigung der Disziplinarverfahren gegen Soldaten der Bundeswehr, die Angehörige des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL sind
- Drucksache 12/2120 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({2}) Rechtsausschuß
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes ({3})
Gutachten des Sozialbeirats zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung und zu den Rentenanpassungen
- Drucksache 12/1841 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
i) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Integration der Gegenstände des Vertrags der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({5}) und des Vertrags der Europäischen Atomgemeinschaft ({6}) in den Vertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ({7})
- Drucksache 12/2024 7284
EG-Ausschuß ({0}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern
- Drucksache 12/2150 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
ZP5 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Übereinkommen Nr. 153 über die Arbeits- und Ruhezeiten im Straßentransport
Empfehlung Nr. 161 betreffend die Arbeits-und Ruhezeiten im Straßentransport
- Drucksache 12/2151 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Anneliese Augustin, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Josef Grünbeck, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Vor der VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung ({3}) 1992: Durch globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft die Schöpfung bewahren
- Drucksache 12/2489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi, Bernd Henn und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969
- Drucksache 12/613 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({5})
- Drucksache 12/2347 - Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Hinsken
({6})
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Marktstrukturgesetzes
- Drucksache 12/2060 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vorzeitigen Inkraftsetzung des Marktstrukturgesetzes und darauf beruhender Rechtsverordnungen im Beitrittsgebiet ({7})
- Drucksache 12/1946 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({8})
- Drucksache 12/2405 - Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Hornung Peter Bleser
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/2406 - Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Wolfgang Weng ({10}) Ernst Kastning
({11})
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksache 12/1460 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({12})
- Drucksache 12/2496 - Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Hampel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/2497
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen Dr. Wolfgang Weng ({0}) Helmut Wieczorek ({1})
({2})
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur europäischen Automobilpolitik
- Drucksachen 12/956, 12/2292 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Schwörer
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die vorstehenden Außenkanten vor der Führerhausrückwand an Kraftfahrzeugen der Klasse N
- Drucksachen 12/1961 Nr. 3.5, 12/2261 -
Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({6}) des Rates über ein System zur Stabilisierung der Ausfuhrerlöse zugunsten am wenigsten entwickelter Länder in Asien und Lateinamerika
- Drucksachen 12/1072 Nr. 26, 12/2262 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Adler
Klaus-Jürgen Hedrich
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/143/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger ({8})
- Drucksachen 12/1961 Nr. 3.2, 12/2273 -
Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Heise
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte zur Information und Konsultation der Arbeit-
nehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen
- Drucksachen 12/187 Nr. 2.16, 12/2274 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Reimann
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vollendung der Zivilluftfahrtpolitik in der Europäischen Gemeinschaft mit Blick auf den Binnenmarkt
Vorschlag für eine Verordnung ({11}) des Rates über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftverkehrsunternehmen
Vorschlag für eine Verordnung ({12}) des Rates über den Zugang von Luftverkehrsunternehmen zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs
Vorschlag für eine Verordnung ({13}) des
Rates über Flugpreise und Luftfrachtraten
- Drucksachen 12/1449 Nr. 2.13, 12/2283 Berichterstattung: Abgeordneter Ferdi Tillmann
Zu Punkt 7 c wünscht Frau Dr. Barbara Höll das Wort zur Geschäftsordnung. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens der Gruppe PDS/Linke Liste, die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze nicht, wie vom Ältestenrat vorgeschlagen, innerhalb des Tagesordnungspunktes „Abschließende Beratungen ohne Aussprache" durchzuführen, sondern dieses Gesetzespaket im Rahmen einer Debatte zu behandeln.
Es ist schon mehr als ungewöhnlich, daß ein Gesetzentwurf der Bundesregierung nach drei sogenannten Lesungen ohne Aussprache verabschiedet werden soll. Ich erinnere Sie daran, daß der in der vorläufigen Tagesordnung enthaltene Hinweis auf die in der 64. Sitzung angeblich erfolgte erste Beratung verschweigt, daß dieser Gesetzentwurf innerhalb der „Überweisungen im vereinfachten Verfahren", also ohne Aussprache, direkt dem Finanzausschuß überwiesen wurde, der seine Beratung erst gestern abgeschlossen hat. Das Sekretariat des Finanzausschusses fühlte sich gar veranlaßt, die zuständigen Berichterstatter zu besonderer Eile anzumahnen. Ich zitiere:
Da das Finanzverwaltungsgesetz morgen im Plenum in 2./3. Lesung beraten werden soll, ist der Ausschußbericht heute
- also gestern fertigzustellen und zu verteilen.
Warum diese Eile? Warum die Entschlossenheit aller Fraktionen, heute die Verabschiedung dieses
Gesetzentwurfs ohne Debatte förmlich durchzuzokken? Soll hier die Bedeutung eines gesetzgeberischen Vorhabens der Bundesregierung, dem auch die SPD ihre Zustimmung nicht versagen möchte, herabgespielt werden, um der interessierten Öffentlichkeit zu suggerieren, die Veränderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze sei eine staubtrockene Angelegenheit, bestenfalls für Fachidioten, Parlamentsstatistiker und Querulanten der PDS von Interesse?
Die PDS/Linke Liste hat gute Gründe, eine Aussprache über dieses Gesetzespaket zu fordern. Ich will sie Ihnen in Kürze vortragen.
Erstens. Diese Vorlage der Bundesregierung steht in einem sachlichen Zusammenhang mit dem erst kürzlich geänderten und sehr kontrovers diskutierten Außenwirtschaftsgesetz, in dem u. a. dem Zollkriminalinstitut in Köln als dem zentralen Zollfahndungsamt das Recht eingeräumt worden ist, z. B. auch ohne konkrete Verdachtsmomente auf Straftaten und außerhalb eines strafgerichtlichen Ermittlungsverfahrens Telefone abzuhören und Briefe zu kontrollieren. Diese sogenannten Beschränkungen des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses können schon dann angeordnet werden, wenn Tatsachen die bloße Annahme rechtfertigen, daß Personen Außenwirtschaftsstraftaten begehen wollen.
Übrigens legitimiert das Außenwirtschaftsgesetz auch präventive Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis; denn solche Eingriffe in das Grundrecht des Art. 10 des Grundgesetzes müssen erst nachträglich durch eine richterliche Anordnung bestätigt werden.
Zweitens. Das im Außenwirtschaftsgesetz mit quasi geheimdienstlichen Befugnissen ausgestattete Zollkriminalinstitut soll mit der Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes zu einer Oberbehörde des Bundes aufgewertet werden und die Bezeichnung Zollkriminalamt tragen. Die Belegschaft von 200 Angehörigen soll verdoppelt werden. Mit seinem Ausbau und seiner Aufwertung zum Zollkriminalamt soll gleichzeitig seine zentrale Funktion für den Informationsaustausch zwischen den Genehmigungs-, Überwachungs- und Strafverfolgungsbehörden verstärkt werden.
Das bedeutet drittens: Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen und der SPD soll das Zollkriminalamt die durch diese geheimdienstähnlichen Maßnahmen erlangten personenbezogenen Daten verarbeiten und nutzen dürfen. Der datenschutzrechtliche Verarbeitungsbegriff umfaßt jedoch auch die Übermittlung. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat darauf hingewiesen, daß für das Zollkriminalamt bis heute eine bereichsspezifische Regelung der Datenverarbeitung fehlt.
Für die Beurteilung der Bedeutung dieses Gesetzentwurfs ist es aus unserer Sicht auch nicht ganz unwichtig, daß der Datenschutzbeauftragte in seinem Schreiben diplomatisch umschreibt, daß er nur „unter Zurückstellung von Bedenken" redaktionellen Ausbesserungsversuchen von Bundesrat und Bundesregierung seine Zustimmung nicht verweigert hat. Für die PDS/Linke Liste ist es mehr als nur die Meinung einzelner Abgeordneter, wenn CSU-Vertreter wie Herr Faltlhauser und Herr Jäger im Finanzausschuß erklären, sie dächten bereits an eine spätere Revision der vom Datenschutzbeauftragten initiierten Änderungen des ursprünglichen Gesetzestextes.
Viertens. Die Einrichtung des Zollkriminalamtes als zentrales Zollfahndungsamt steht in einem direkten Zusammenhang mit den sogenannten Vorfeldüberwachungen, die durch das geänderte Außenwirtschaftsgesetz legalisiert worden sind. Die Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes gilt einer Behörde, der Befugnisse verliehen worden sind, die denen von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst vergleichbar sind.
Wir fühlen uns in unserer Haltung zu dieser Regierungsvorlage übrigens auch durch den Innenminister von Nordrhein-Westfalen bestätigt, der im Bundesrat anläßlich der Beratung des Außenwirtschaftsgesetzes seine Bedenken so formuliert hat:
Betrachtet man vor diesem Hintergrund noch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze, den die Bundesregierung ebenfalls vorgelegt hat und der den Ausbau des Zollkriminalinstituts zum Zollkriminalamt
Frau Höll, Ihre Redezeit ist beendet.
- ja, ich bin gleich fertig unter erheblicher Verstärkung der personellen und sachlichen Kapazitäten vorsieht, muß man sich fragen, was die Bundesregierung beabsichtigt. Soll hier unter dem Deckmantel der Bekämpfung des illegalen Rüstungsexports ein vierter Nachrichtendienst entstehen?
Das ist die Frage des SPD-Innenministers.
Auf diese Frage möchte die PDS/Linke Liste heute von der Bundesregierung eine Antwort hören. Deshalb beantragen wir, daß über die Drucksache 12/1460 in zweiter und dritter Lesung im Rahmen einer Aussprache beraten wird.
Ich danke Ihnen.
({0})
Zur Geschäftsordnung spricht der Abgeordnete Richter.
Meine Damen und Herren! Es ist nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ein ganz normaler Vorgang, wenn Anträge im vereinfachten Verfahren behandelt werden, und zwar durchgängig von der ersten bis zur abschließenden Lesung. Das gilt insbesondere für Anträge, die Folgen. politischer Grundsatzentscheidungen sind und sich aus einer politischen Grundsatzentscheidung heraus entwickelt haben. Das ist hier der Fall.
Über diese politischen Grundsatzfragen hat das Hohe Haus im Plenum ausführlich diskutiert und entsprechende Entscheidungen getroffen. So liegen die Dinge hier: Am 23. Januar dieses Jahres hat der
Manfred Richter ({0})
Deutsche Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze in zweiter und dritter Beratung gelesen und verabschiedet.
Es ist richtig, daß die geplante Schaffung eines zentralen Zollkriminalamts mit dem Status einer Bundesoberbehörde mit dem geänderten Außenwirtschaftsgesetz zusammenhängt. Aber es dient nicht der Sache, wenn wir die damalige Debatte jetzt noch einmal führen.
({1})
Es geht in der Tat um die Bewahrung wichtiger Schutzgüter. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat Anregungen gegeben. Diese sind berücksichtigt worden. Das ist auch alles beraten worden. Insofern ist den rechtsstaatlichen Bedenken, die geäußert worden sind, Rechnung getragen worden.
Angesichts der Vielfalt der Regelungsinhalte in diesem Gesetz und auch angesichts der ausführlichen Beratungen im Ausschuß sowie der vorliegenden Ausschußempfehlung des federführenden Finanzausschusses und der Stellungnahme der beteiligten Ausschüsse hält die F.D.P.-Bundestagsfraktion die Behandlung im vereinfachten Verfahren für ausreichend und auch für angemessen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich sehe keine weiteren Meldungen zur Geschäftsordnung und lasse über den Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Wer stimmt für diesen Antrag der PDS/Linke Liste? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7 a bis 7 i. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 7 a: Gesetzentwurf der PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/613, „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/2347, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS/Linke Liste abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 7 b: Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Marktstrukturgesetzes auf Drucksache 12/2060. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 12/2405, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei drei Enthaltungen der PDS/Linke Liste angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei drei Enthaltungen der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2405 weiterhin, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1946 zur vorzeitigen Inkraftsetzung des Marktstrukturgesetzes für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei vier Enthaltungen angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 c: Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes. Das sind die Drucksachen 12/1460 und 12/2496. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei drei Gegenstimmen der PDS/Linke Liste angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei drei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 d: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zur Automobilpolitik, Drucksachen 12/956 und 12/2292. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem Richtlinienvorschlag der EG über die Verkehrssicherheit von Kraftfahrzeugen, Drucksache 12/2261. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 f: Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem Vorschlag der EG über ein System zur Stabilisierung der Ausfuhrerlöse, Drucksache 12/2262. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltungen aus der SPD und der PDS/Linke Liste angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 g: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem Richtlinienvorschlag der EG zur technischen Überwachung der Kraftfahrzeuge, Drucksache 12/2273. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Ent-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
haltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 h: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu einem Richtlinienvorschlag der EG über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte, Drucksache 12/2274. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei zwei Enthaltungen angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 i: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu drei Verkehrsverordnungsvorschlägen der EG zur Zivilluftfahrtpolitik, Drucksache 12/2283. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 8:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ferdi Tillmann, Dirk Fischer ({0}), Heinz-Günter Bargfrede, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
- Drucksache 12/1801 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({1})
- Drucksache 12/2411 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Lothar Ibrügger
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß) § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/2428 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried Bohlsen
Werner Zywietz
({3})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ferdi Tillmann, Dirk Fischer ({4}), Heinz-Günter Bargfrede, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 12/1800 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5})
- Drucksache 12/2450 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rupert Scholz Dr. Hans de With
({6})
Ich weise darauf hin, daß über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes namentlich abgestimmt werden soll.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache 45 Minuten vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Als erster spricht der Berichterstatter, der Abgeordnete Ibrügger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir als Berichterstatter, notwendige Ergänzungen zu dem Ihnen vorliegenen Gesetzentwurf zu machen.
Sie sind uns in der Zwischenzeit von der Bundesregierung zugestellt worden, und sie sind für die Entscheidungsfindung am heutigen Tage wesentlich.
Erstens. Bei der vom Land Hessen eingebrachten und vom Ausschuß für Verkehr beschlossenen Änderung des § 32b des Luftverkehrsgesetzes wurde eine notwendige Folgeänderung zu § 32b Abs. 4 übersehen. Der Gesetzentwurf ist wie folgt zu ergänzen: Nr. 16 b, d): In Absatz 4 werden die Wörter „für die Flugverkehrskontrolle zuständigen Behörde" ersetzt durch die Wörter „für die Flugverkehrskontrolle zuständigen Stelle". Die Buchstaben b, d) und e) unter Nr. 16 werden zu e) und f).
Das hat sicherlich zu Ihrer Klarheit beigetragen. Aber ich bitte um Nachsicht. Es muß ins Protokoll.
In Art. 1 Nr. 6 a des Änderungsgesetzes - siehe Seite 5 der Drucksache 12/2411 - muß es wie folgt heißen:
In § 12 Abs. 2 Satz 3, § 16a Abs. 1 und § 18 a Abs. 1 und 2 werden die Wörter „Bundesanstalt für Flugsicherung" ersetzt durch die Wörter „für die Flugsicherung zuständige Stelle" bzw. „für die Flugsicherung zuständigen Stelle".
Auf Seite 22 der Drucksache 12/2411 muß es bei Nr. 1 Artikel 1 statt „Nummer 6" jetzt „Nummer 6 a" lauten.
In meinem Bericht zu § 37 Abs. 1 auf Seite 24 der Drucksache 12/2411 muß es im ersten Absatz wie folgt heißen: „Durch die Neufassung des § 37 werden die Haftungshöchstbeträge für Schäden, von denen Personen und Sachen betroffen sind, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden ({0}), deutlich angehoben."
Dies waren zunächst die Ergänzungen zu dem Gesetzentwurf. Ich habe außerdem als Berichterstatter Ihnen Kenntnis zu geben von der Beschlußfassung des Haushaltsausschusses bzw. des Verkehrsausschusses, nach der wir zu dieser heutigen Debatte und für die heutige Änderung des Grundgesetzes bis zur zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfes Klarheit von seiten der Bundesregierung dahin gehend erwarten, wie die Altersversorgung der von der Bundesanstalt für Flugsicherung in ein Angestelltenverhältnis übergehenden Beamten zur Deutschen Flugsicherungs-GmbH geregelt wird. Dies ist eine entscheidende Vorbedingung auch für die Zustimmungsfähigkeit zu diesem Gesetz.
Am 11. März dieses Jahres hat der Verkehrsausschuß in seinen abschließenden Beratungen dies beschlossen und die Bundesregierung aufgefordert, tätig zu werden, und zwar bis spätestens 27. April eine einvernehmliche und verbindliche Erklärung der Bundesregierung über die Sicherstellung der bisher erworbenen Versorgungsanwartschaften der ausscheidenden Beamten der Bundesanstalt für Flugsicherung abzugeben. Es handelt sich hier um 1 359 Beamte im Flugverkehrskontrolldienst, um 147 Beamte im Vorbereitungsdienst, um 523 Beamte in der Flugdatenbearbeitung und um 839 Beamte im Bereich der Technik, also um isgesamt rund 2 900 Beamte und Beamtinnen im Versorgungsdienst, die Klarheit erfahren müssen, ob sie diese Entscheidung treffen können.
In der Gesetzgebung selber wird dies im einzelnen nicht verbindlich geregelt. Statt dessen zeigen wir Wege auf. Es ist aber erforderlich, daß die Bundesregierung hier - vor oder in der Debatte - deutlich zum Ausdruck bringt, wie sie bei der Vertragsgestaltung mit der künftigen GmbH diese Anwartschaften der bisherigen Versorgung sicherstellen will. Bisher sind zwei Lösungsalternativen diskutiert worden: erstens, Zuweisung der erforderlichen Mittel an die DFS aus dem Bundeshaushalt en bloc oder zum Zeitpunkt des jeweiligen Eintritts des Versorgungsfalles, zweitens, Schließung der Lücke durch jeden Betroffenen selber.
Wie ich von der Bundesregierung gehört habe, wird wegen der Haushaltsbelastungen und wegen der Unzulässigkeit einer erneuten Einbeziehung von Vorsorgeleistungen für vergangene Zeiträume in die Kostengrundlage der Flugsicherungsgebühren eine Alternative geprüft, die haushaltsverträglich und gebührenneutral sein soll. Ich bitte daher als Berichterstatter den Bundesverkehrsminister, der anschließend das Wort ergreifen wird, diese Klarstellung für die Bundesregierung zu geben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Bundesverkehrsminister, Herr Dr. Krause.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute gilt es, dank der Koalitionsinitiative und der konstruktiven Zusammenarbeit aller Fraktionen die gesetzlichen Grundlagen für die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung - mir sei die Bemerkung gestattet: nun endlich - zu schaffen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Tor zur Optimierung unserer nationalen Flugsicherung weit geöffnet und ein sichtbares Signal in der Luftfahrtpolitik gegeben, aber auch endlich gemeinsames politisches Handeln in dieser Frage demonstriert und dokumentiert.
Zurückblickend: Es war ein unvorhersehbar langer Weg. Vor fast zwei Jahren, am 31. Mai 1990, hatte dieses Haus der zehnten Novelle zum Luftverkehrsgesetz schon einmal in zweiter und in dritter Beratung seine Zustimmung gegeben. An dieser Stelle sei mir vielleicht die Bemerkung gestattet, daß dies mit Mehrheitsverhältnissen geschah, wie wir sie zum damaligen Zeitpunkt auch noch kannten. Ich spreche hier als ehemaliger DDR-Bürger. Ihnen allen ist das Schicksal des damaligen Gesetzes bekannt.
Mit der heutigen Beratung bestätigen wir nicht nur unsere damalige Entscheidung, sondern - ich stimme dem Kollegen der SPD zu - wir haben die Zeit inzwischen genutzt, um die Startbedingungen für das neue Flugsicherungsunternehmen maßgeblich, aber auch seine Rahmenbedingungen entscheidend zu erweitern und zu verbessern.
Dennoch, damals wie heute entscheiden wir, ab welchem Zeitpunkt das neue Flugsicherungsunternehmen seine Aufgabe übernehmen soll. Damals wie heute ist im Gesetzentwurf der 1. Januar 1993 vorgesehen. Ich möchte an diesem Beispiel demonstrieren, daß das Vertrauen in die Beamtenschaft meines Hauses, des Bundesverkehrsministeriums, uns die Möglichkeit gibt, an dem wesentlich verkürzten Zeitraum zur Einführung der privatisierten Flugsicherung trotzdem festzuhalten.
Trotz vieler Schwierigkeiten haben wir nachweisen können, daß kein Zeitverlust hingenommen werden muß. Dies ist ein Erfolg, den wir vor allem dem Umstand zuschreiben, daß sich diese Bundesregierung und die im Parlament vertretenen Parteien zu keinem Zeitpunkt von der Notwendigkeit dieser Privatisierungsaufgabe haben beirren lassen.
Im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern wird der Luftverkehr in den nächsten Jahren noch dynamischer anwachsen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erwartet eine Verdoppelung der Zahl der Flugbewegungen im Jahre 2005 gegenüber diesem Jahr. Dabei ist die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa sehr konservativ angesetzt, von der wir ja gemeinsam hoffen, daß sie vor allen Dingen im wirtschaftlichen Bereich wesentlich schneller vorangeht.
Öffentlich-rechtliche „Korsette" werden den Anforderungen dieses Wachstums nicht mehr gerecht. Die Einbindung in das Dienst- und Haushaltsrecht des Bundes hemmt die notwendige Flexibilität bei den Investitionen, erschwert durch zu lange Ausbildungsgänge die personelle Beweglichkeit und ermöglicht zuwenig Spielraum für Leistungsmotivation.
Das neue Unternehmen soll daher das Werkzeug des privaten Rechtes nutzen und über erstens leistungsgerechte Bezahlung, zweitens straffes, gerechtes und motivierendes Personalmanagement, drittens zeitgerechte Gewinnung und Ausbildung des Nachwuchses - eines der größten Probleme, mit dem wir uns schon heute auseinanderzusetzen haben -, viertens marktgerechtes Verhalten und fünftens Inanspruchnahme der finanziellen Ressourcen nicht nur des Staates, sondern auch der privaten Hand für Investitionen die bisherigen Fesseln ablegen.
Ziel ist es, das Personal zu hoher Leistungsbereitschaft zu gewinnen, die inneren Abläufe zu stärken, die Flugsicherung betrieblich und technisch zügig zu modernisieren und sie an den weiter wachsenden
Bedarf heranzuführen, aber auch Europa in der Flugsicherung vorzubereiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die in der letzten Legislaturperiode zur Organisationsprivatisierung der Flugsicherung noch offenen Fragen können heute aus meiner Sicht alle als gelöst angesehen werden: erstens die verfassungsrechtlichen Vorbehalte, auf die Sie hingewiesen haben.
Zweitens ist die zivile und militärische Zusammenarbeit durch eine Vereinbarung mit dem Bundesverteidigungsministerium bereits gelöst worden.
An dieser Stelle sei es mir gestattet, auf die gute Zusammenarbeit mit dem Kollegen Stoltenberg in diesem Zusammenhang hinzuweisen, der an dieser Grundgesetzänderung auf Grund seiner Tätigkeit und seines Engagements mit Sicherheit einen hohen Anteil hat.
Drittens ist auch die Frage, wie die Versorgungserwartungen der freiwillig ausscheidenden Mitarbeiter der Bundesanstalt für Flugsicherung gesichert werden können, jetzt geklärt. Die Lösung dieser so schwierigen Frage ist gefunden. Ich gebe Ihnen - abgestimmt mit dem Finanzminister - die Antwort und zitiere aus dem Schreiben, das Sie demnächst bekommen - ich hoffe, Sie sehen mir das nach, da ich mich ja sonst lieber in der freien Rede übe -:
Die Bundesregierung beabsichtigt, über die Bildung einer Rückstellung bei dem Flugsicherungsunternehmen eine Möglichkeit zur Sicherung der nicht gedeckten Versorgungserwartungen des ausscheidenden BFS-Personals zu schaffen.
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Dem Unternehmen wird dazu das Anlagevermögen der BFS zum 1. Januar 1993 übertragen. Das eröffnet der Flugsicherungsgesellschaft die Möglichkeit zur Bildung einer Versorgungsrücklage und setzt sie in die Lage, den Mitarbeitern Versorgungsangebote zu unterbreiten, die sie zu einem Wechsel in die DFS veranlassen können. Hier wird also das Spiel, das wir vom Tarifrecht her kennen, ordnungsgemäß übertragen und finanzpolitisch abgesichert.
Bei dieser Lösung sind nämlich zwei gewichtige Vorteile unbedingt in den Vordergrund zu stellen: Sie vermeidet erstens zusätzliche Aufwendungen für den Bundeshaushalt; zweitens führt sie zu keiner Mehrbelastung der Luftraumnutzer bei der Entrichtung der Flugsicherungsgebühren.
Sie sehen, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in den letzten beiden Jahren in Zusammenarbeit mit den Fraktionen des Hauses die Probleme lösen konnte. Lassen Sie uns diesen Weg der Privatisierung von öffentlichen Aufgaben weiter gemeinsam beschreiten! Wenn ich hier einen Wunsch anbringen darf: Ich wünsche mir, daß die Lösung der anderen wichtigen Probleme bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben nicht zwei, drei oder vier Jahre dauern, sondern daß wir die Bahnreform in Deutschland hoffentlich im nächsten Jahr wirksam haben werden.
Danke schön.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Ibrügger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben zwei Begriffe gewählt: Privatisierung und Organisationsprivatisierung. Ich will für die Sozialdemokraten deutlich erklären: Für uns hat immer eine höhere Effizienz, eine höhere und bessere operationelle Fähigkeit der Luftverkehrskontrolle durch eine Organisationsprivatisierung, durch eine Anstalt, die voll im Eigentum des Bundes verbleibt, im Vordergrund gestanden.
Es geht nicht darum, etwas zu privatisieren und private Anteile zu erwerben, sondern darum, daß hier die Vorteile des Organisationsrechtes einer GmbH genutzt werden, um eine effiziente, operationell überzeugende und auch personell leistungsfähige Luftverkehrskontrolle der Zukunft sicherzustellen.
Heute vor fast zwei Jahren habe ich für die SPD in der zweiten Lesung einen Änderungsantrag mit folgenden Zielsetzungen eingebracht: Wir wollten eine Aufhebung der bisher unterschiedlich wahrgenommenen Verantwortung ziviler und militärischer Instanzen für die Luftverkehrskontrolle in der Bundesrepublik Deutschland, wir wollten die Flugsicherung aus einer Hand; denn die angestrebte grundlegende Neuorganisation der Flugsicherung gerade auch als Baustein einer künftigen europäischen Luftverkehrslenkung könne auf Dauer nur dann kostspielige und ärgerliche Verspätungen, umweltschädliche Warteschleifen und Umwege in der Streckenführung vermeiden, wenn vom Gesetzgeber zweifelsfrei bestimmt werde: Flugsicherung muß in Zukunft aus einer Hand, d. h. unter einheitlicher und ungeteilter Verantwortung mit ungeteilter Regelungsbefugnis, durchgeführt werden.
Wir alle wissen: Das Ganze hat eine lange Vorgeschichte. Viele Ressorts haben sich in der Vergangenheit unter wechselnden Regierungsmehrheiten bemüht, unseren Forderungen nachzukommen. Manche Bundesregierungen hatten erhebliche Schwierigkeiten, sich zu verständigen. Ich will heute nicht leugnen: Über viele Jahre sind Probleme schubladisiert worden; es ist nichts bewegt worden.
Durch die Initiativen der hier im Haus vertretenen Fraktionen ist es gelungen, mit der heutigen Entscheidung über die Zehnte Novelle zum Luftverkehrsgesetz und mit der Grundgesetzänderung auch die Handlungsfähigkeit des Parlaments unter Beweis zu stellen. Dafür bin ich sehr dankbar; denn in grundsätzlichen Angelegenheiten soll der Gesetzgeber dann, wenn er spürt, daß die Ressorts nicht zu einer Einigung kommen, für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen selbst treffen und nicht der Verwaltung überlassen.
Deswegen hatten wir schon damals, vor zwei Jahren, gefordert, das Parlament solle eine zukunftsorientierte und eine für alle Ressorts der Exekutive verbindliche Regelung treffen. Nur so könnten gewichtige Zweifel an der Legitimation bisheriger Verfahren in
der Flugsicherung beseitigt und die entscheidende Weichenstellung für eine effiziente, sichere und wirtschaftliche Flugverkehrskontrolle für alle Luftraumnutzer vorgenommen werden, für alle Luftraumnutzer - ich betone das hier -, für militärische ebenso wie für zivile. Die Einmütigkeit für gemeinsames Handeln werden wir heute unter Beweis stellen - auch ein Beweis für die Handlungsfähigkeit des Parlaments.
Die Grundforderung der Sozialdemokraten ist nicht vollständig erfüllt - dies betone ist ausdrücklich -, aber wesentliche Forderungen sind erfüllt. Die Integration der überörtlichen militärischen Flugsicherung wird jetzt in der Gesetzgebung verankert. Die Ressortvereinbarung ist nach unserer Auffassung nicht so überzeugend, Herr Minister, wie sie jetzt dargestellt wird. Wir werden beim Vollzug des Gesetzes sehr genau überprüfen, ob diese Ressortvereinbarung anwendungssicher ist. Das gilt vor allem für die künftige Organisation der örtlichen militärischen Flugsicherung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden bei den Haushaltsberatungen, insbesondere bei den Beratungen über den Bundesverteidigungsetat, sehr genau beobachten, wie die künftige militärische Flugsicherung an den Flugplätzen in Ostdeutschland, aber auch in Westdeutschland organisiert wird. Wir wollen nicht, daß dies möglicherweise wiederum zum Anlaß genommen werden könnte, in Form einer flächendekkenden militärischen Flugsicherung einen Ersatz für das bisherige System zu schaffen.
Entschuldigen Sie, Herr Ibrügger, darf ich einmal unterbrechen: Es ist zu laut im Raum. Der Redner muß immer lauter sprechen, um gehört zu werden.
Wenn die Kolleginnen und Kollegen jetzt nicht aufpassen, gibt es bei den Rückflügen heute doppelte und dreifache Verspätungen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen an die Adresse des Bundesverteidigungsministers und der Bundesregierung insgesamt sagen: Es darf keine Sackgasse für das militärische Personal in den örtlichen Flugsicherungsstellen geben. Auch diese Mitarbeiter müssen in Zukunft die Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren, Aus- und Fortbildungsangebote anzunehmen und auch den Übergang zur Flugsicherung der GmbH als beruflichen Aufstieg zu schaffen. Wir halten deswegen vom Prinzip her auch die spätere Einbeziehung der örtlichen militärischen Flugsicherung für geboten.
Dies macht auch sicherheitspolitisch Sinn. Lange Jahre sind die Debatten hier in Strategie und Militärdoktrin vom Ost-West-Konflikt bestimmt worden. Heute reden wir über den offenen Himmel als eine vertrauensbildende Maßnahme in der Sicherheitspolitik. Im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel haben wir erkannt, daß nur ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit weiterhilft, den Frieden zu wahren und Vertrauen zu bilden. Warum nutzen wir nicht auch die Luftverkehrskontrolle, die täglich in Minuten und in Sekunden dazu beiträgt, Vertrauen zu bilden und Sicherheit zu schaffen, als ein Mittel für vertrauensbildende Maßnahmen in Europa? Es gibt eine
Reihe von Hinweisen und Vorschlägen; wir sollten sie nutzen.
Vorher müssen wir aber gleichzeitig vieles überwinden, was sich an nationalen Eigenbröteleien in der Luftverkehrskontrolle entwickelt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den ersten Eindruck mag das technisch klingen, aber wenn Sie und die Öffentlichkeit wissen, daß wir es mit bis zu 10 Milliarden DM volkswirtschaftlichen Verlusten zu tun haben, die durch unzureichende Flugsicherungsverfahren jedes Jahr im Luftverkehr in Europa hervorgerufen werden, wird die Notwendigkeit politischen Handelns offenbar.
In einer Studie der europäischen Luftfahrtorganisation hieß es, mehr als die Hälfte der Flugverkehrskontrollzentralen habe gravierende Mängel in der Leistungsfähigkeit. Hier lohnt sich ein genauerer Einblick, wie es nicht sein sollte:
52 Luftverkehrskontrollstellen leisten gegenwärtig diese Arbeit in einem ungemein wachsenden europäischen Luftverkehrsnetz. Diese 52 Kontrollstellen besitzen 31 unterschiedliche Systeme, nutzen Computer 18 verschiedener Hersteller mit 22 verschiedenen Operationssystemen und 33 verschiedenen Programmsprachen. Ich will in Ihre Erinnerung zurückrufen: Im internationalen Luftverkehr wird englisch gesprochen; alle Lotsen und Piloten sprechen also miteinander in derselben Sprache. Aber bei den für die automatische Datenübertragung notwendigen Computern herrscht die babylonische Sprachverwirrung.
Ich wiederhole: Es sind mehr als 10 Milliarden DM Verluste, die gegenwärtig von allen - von Verbrauchern, von Nutzern und von den Luftverkehrsgesellschaften - zu tragen sind. Wenn nichts Entscheidendes geschieht, werden sich diese Verluste bis zum Jahre 2000 auf 20 Milliarden DM im Jahr erhöhen.
Nach unserer Auffassung gilt es, die jetzt vom Deutschen Bundestag durchzusetzende Reform der deutschen Flugsicherungsorganisation als wesentlichen Baustein eines europäischen Verbundes der Luftverkehrskontrolle auszuformen. Für unsere Nachbarn in Europa würde das bedeuten: Integration aller Flugsicherungsdienste in eine einheitliche, mindestens aber kompatible europäische Flugsicherung. Erste überfällige, aber noch immer auf Widerstand bei unseren Nachbarn stoßende Schritte sind unternommen worden. Sie reichen jedoch nicht aus.
Eurocontrol, als eine europäische Flugsicherungsorganisation gegründet, und zwar mit großem Weitblick in den 60er Jahren, ist durch vielfältige nationale Alleingänge sehr behindert worden und muß jetzt Schritt für Schritt Exekutivbefugnisse für eine europäische Luftverkehrskontrolle übertragen bekommen.
Auch in unserem eigenen Lande bleibt viel zu tun. Es gilt, luftverkehrspolitischen Erfordernissen wie umweltpolitischen Aufgaben gerecht zu werden. Dazu gehört die Verknüpfung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs auf der Schiene mit den Flughäfen in der Bundesrepublik. Ein Ärgernis bleibt noch die mangelhafte oder nicht vorhandene Verknüpfung mit
dem Eurocity- oder Intercity-Verkehr der Deutschen Bundesbahn. Der Luftraum könnte von Umweltbelastungen und unwirtschaftlichem Kurzstreckenverkehr durch das europäische Schienenschnellfahrnetz wesentlich entlastet werden.
Bessere Kapazitätsnutzung durch modernste Technik lautet die Aufgabe für die interkontinentalen Flughäfen der Bundesrepublik Deutschland. Hier gibt es bauliche, technische und organisatorische Möglichkeiten, den weiterhin wachsenden Bedarf im internationalen Luftverkehr pünktlich und zuverlässig abzuwickeln.
Ein europäisch angelegtes Betriebskonzept der direkten Streckenführungen und des optimalen Flugprofils in einem weitestgehend durchlässigen Luftraum ist das Gebot der Zeit. Es darf sich nicht länger an den starren Abgrenzungen der Staaten im Luftraum orientieren. Wir können auch Kapazitäten im Luftraum erhöhen, wenn mehr Luftstraßen eingerichtet, Umwegflüge abgeschafft werden und insgesamt eine höhere Effizienz in der Luftverkehrskontrolle erzeugt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einmal auf den sicherheitspolitischen Aspekt zu sprechen kommen. Die Beendigung des Ost-West-Konfliktes und die dadurch erfolgte erhebliche Verringerung der Zahl militärischer Übungsflüge in ganz Europa muß jetzt schnell genutzt werden, um eine neue Sektorisierung des Luftraumes nach kontrollpolitischen Erfordernissen im europäischen Maßstab vorzunehmen.
Wenn ich höre, daß gegenwärtig trotz erheblichen Abbaus militärischer Flüge noch über 300 militärische Funkkanäle in Anspruch genommen werden, die zivile Luftfahrt diese Kanäle aber dringend braucht, um die Kommunikation zu verbessern, dann, meine ich, ist es an der Zeit, Herr Bundesverteidigungsminister, die Ressortvereinbarung mit Leben zu erfüllen und mehr Kanäle freizugeben. Wir brauchen keine weiteren Sektorisierungen und keine weiteren Kontrollräume. Im Gegenteil: Wir müssen den Koordinationsaufwand vermindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem heutigen Tage treffen wir eine grundlegende Entscheidung für die Organisation des Luftverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn es uns nicht gelingt, dies auch als einen Baustein für die europäische Flugsicherung auszubauen, werden wir im nächsten oder im übernächsten Jahr erneut über Verspätungen und umweltschädliche Auswirkungen reden müssen. Dies sollten wir gemeinsam vermeiden helfen. Wir sollten daher auch unsere Initiativen umsetzen, durch die Gespräche mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Parlamenten der Nachbarstaaten auf haushaltspolitische Entscheidungen dahin Einfluß zu nehmen, europäische Luftverkehrskontrolle als wirksames Instrument und kostensparendes Element auszubauen.
Eurocontrol ist nach unserer Auffassung dafür eine geeignete Organisation. Hier könnten wir gemeinsam unter Beweis stellen, wie nationales Zuständigkeitsdenken überwunden wird. Vor allem brauchen wir dazu eine Überarbeitung der Konvention der Organisation Eurocontrol. Ich erwarte von Ihnen, Herr
Minister Krause, ebenso wie von der Bundesregierung als ganzer, daß gemeinsam mit Frankreich und England Initiativen entwickelt werden, diese EurocontrolKonvention zu ändern.
Wenn das gelingt, dann bleibt eine Luftverkehrskontrolle ohne nationale Barrieren nicht nur eine Wunschvorstellung; dann wird Europa über den Wolken von Madrid bis Moskau, von Schottland bis in die Ägäis wirklich grenzenlos. Nach unserer Auffassung darf kein Tag mehr versäumt werden, dieses Konzept zu verwirklichen.
Herzlichen Dank.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Tillmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätten wir für diesen Tagsordnungspunkt etwas mehr Beratungszeit haben sollen. Schließlich handelt es sich um die erste Verfassungsänderung dieser Legislaturperiode. Dazu wird mein Kollege Professor Scholz nachher noch kurz etwas sagen.
Andererseits können wir uns angesichts der Tatsache, daß wir - es ist schon darauf hingewiesen worden - die 10. Novelle des Luftverkehrsgesetzes bereits einmal am 31. Mai 1990 verabschiedet hatten, recht kurz fassen. Wir können auf das schon damals richtig Gesagte verweisen.
Es ist zu bedauern, daß der Herr Bundespräsident im Januar 1991 dem Herrn Bundeskanzler mitteilen mußte, er sehe sich aus verfassungsrechtlichen Gründen außerstande, das beschlossene Gesetz auszufertigen. Ob der Herr Bundespräsident bei seiner Entscheidung richtig oder falsch beraten wurde, haben wir hier heute nicht zu bewerten. Tatsache ist jedoch, daß der Zeitplan für die dringend erforderliche Strukturreform der Flugsicherung in Gefahr geriet.
Heute hoffen wir jedoch voller Optimismus, daß der „Take-off" der Umstrukturierung der Flugsicherung diesmal so reibungslos verlaufen wird, Herr Minister, daß die neue Deutsche Flugsicherungs-GmbH pünktlich zum 1. Januar 1993 ihre Arbeit aufnehmen kann.
Die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Bundesanstalt für Flugsicherung in eine unternehmerisch denkende und handelnde privatrechtlich organisierte deutsche Flugsicherung ist nämlich heute so dringend wie vor zwei Jahren. Der Luftverkehr hat weiter zugenommen. Der Herr Minister hat auf die Prognosen hingewiesen, die es gibt. Der größere Luftraum im vereinigten Deutschland bringt zusätzliche Herausforderungen.
Das Ziel ist klar: Es geht um die Befreiung vom Ballast des öffentlichen Dienstrechtes und des starren Haushaltsrechtes. Die privatrechtliche Unternehmensform bringt mehr Effizienz. Sie führt zu Leistungssteigerungen durch flexiblere Organisationsstrukturen, durch dynamische Investitions- und Modernisierungsentscheidungen und durch leistungsgerechte Bezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Diese verbesserte Flugsicherung schafft mehr Kapazität im Luftraum, sichert die Verkehrsanforderungen der Zukunft, bringt mehr Verkehrssicherheit und - man denke an die leidigen Verspätungen - geringere Kosten für die Nutzer und weniger Ärger für uns Passagiere.
Übrigens, Herr Minister, die Tatsache, daß die neue deutsche Flugsicherung wie bisher die Bundesanstalt für Flugsicherung auch in Zukunft ein Monopol für das Produkt Flugsicherung besitzt, sollte das Unternehmen dazu verpflichten, streng kostenbewußt zu produzieren, um seine Leistungen den Abnehmern so preiswert wie möglich anzubieten. Darauf sollte auch der Bundesminister für Verkehr als Genehmigungsbehörde für die Flugsicherungsgebühren ein aufmerksames Auge haben.
Einen Unterschied allerdings zu dem Gesetz von 1990 gilt es hervorzuheben; der Herr Kollege Ibrügger hat als Berichterstatter und in seinem Debattenbeitrag schon darauf hingewiesen: Mit der heutigen Entscheidung gelingt uns die Integration der zivilen und der militärischen Flugsicherung, die Herstellung der Einheitlichkeit der Kontrolle im Luftraum. Dies war für uns Verkehrspolitiker schon immer ein wichtiges Anliegen. Die zwischen dem Bundesminister für Verkehr und dem Bundesminister der Verteidigung getroffene Ressortvereinbarung sollte jedoch nicht nur zügig, sondern auch dem Wortlaut nach genau umgesetzt werden.
Im übrigen stimme ich Ihnen, Herr Kollege Ibrügger, zu: Wir haben es hier zwar mit dem Bereich der überörtlichen Flugsicherung zu tun; ich kündige aber für meine Fraktion ausdrücklich an, daß auch über die Probleme der örtlichen militärischen Flugsicherung noch zu reden sein wird.
Besonders hervorheben - ich stimme da Herrn Minister Krause zu - möchte ich den Modellcharakter dieser Gesetzgebung auch für andere Bereiche des Verkehrs, in denen ja ebenfalls über eine Strukturveränderung nachgedacht wird.
Eine Bitte an den Bundesverkehrsminister möchte ich hier noch äußern dürfen: Wir erwarten - Herr Bundesminister Krause, wenn Sie mir eben zuhörten, wäre ich Ihnen sehr dankbar -, daß nach der Verabschiedung des Gesetzes heute nicht der Verkehrsausschuß bzw. das Parlament außen vor bleiben, sondern daß bei der Umsetzung des Gesetzes in die Praxis, also in der Realisierungsphase, der Ausschuß in bewährter Weise auf dem laufenden gehalten wird. Hier ist z. B. an den GmbH-Vertrag, an die Überleitung des Personals und insbesondere auch an die Altersversorgungsfragen zu denken. Ich unterstütze das, was Sie, Herr Kollege Ibrügger, dazu gesagt haben. Wir rechnen dabei auf eine gute Zusammenarbeit - wie bisher schon.
Letztendlich habe ich allen zu danken, die bei der Bewältigung der schwierigen Aufgabe mitgewirkt haben und die dazu beigetragen haben, daß wir dieses Gesetz dann doch wohl heute endgültig verabschieden können. Zunächst einmal ein ganz besonders herzliches Dankeschön Ihnen, Herr Ibrügger, als Berichterstatter! Ich danke der SPD-Opposition für die Bereitstellung der Zwei-Drittel-Mehrheit. Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien und auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesanstalt für Flugsicherung, die nicht nur auch während der langwierigen Beratungen und Verhandlungen ihren Dienst, wie gewohnt, unverdrossen getan haben, sondern uns auch noch mit guten Ratschlägen geholfen haben.
Es bleibt anzumerken und auch zu wiederholen - in dieser Frage teile ich die Meinung des Kollegen Ibrügger -, daß wir mit der heutigen Entscheidung unsere Schulaufgaben in Sachen Flugsicherung erst zum Teil gemacht haben. Die Aufgabe der Schaffung einer gemeinsamen europäischen Flugsicherung bleibt. Dazu ist aber unsere heutige Entscheidung ein Baustein. Die neue Deutsche Flugsicherungs-GmbH ist auch eine gute Grundlage für eine zukünftige europäische Lösung.
Ich bedanke mich für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Gries.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man hat ein zwiespältiges Gefühl, wenn man vor einer namentlichen Abstimmung spricht. Das Vergnügen besteht darin, daß man sonst niemals so viele Kolleginnen und Kollegen im Saal sieht; der Nachteil ist aber der, daß man als Redner oft als überflüssig empfunden wird, weil in den Köpfen ganz andere Gedanken herumgehen. Ich will daher versuchen, meine Zeit hier nicht ganz auszunutzen, um diesem Schicksal nicht völlig zu erliegen.
Ich denke, wir hätten noch einem weiteren Mann danken sollen, nämlich einem Berater des Bundespräsidenten, und zwar dafür, daß er uns zwei Jahre Zeit gegeben hat, um das Gesetz endlich in seiner Substanz gehaltvoller zu machen, als es vorher war. Das ist eigentlich bitterer gemeint, als es klingt. Wir haben jetzt jedenfalls ein Gesetz, das zwar mit zwei Jahren Verzögerung verabschiedet wird, aber besser und umfassender geworden ist, das für mehr Sicherheit im Luftverkehr sorgt und den gesamten Sachkomplex etwas umfangreicher und ausführlicher regelt, als es vorher möglich war. Ich selber bin auch voller Genugtuung darüber, daß wir heute offensichtlich mit einer großen Mehrheit die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen können.
Ich nutze die Gelegenheit, in der gleichen Weise, wie Ferdi Tillmann es eben getan hat, der Opposition und namentlich Lothar Ibrügger für die sehr konstruktive Zusammenarbeit zu danken. Ich verbinde damit auch die Hoffnung, daß das vielleicht beispielhaft für die nächsten Reformen in anderen Fachbereichen, die noch anstehen und die wir machen müssen, sein wird.
Es ist sicher nicht alles gelungen; ich will das nicht wiederholen. Wir müssen das Problem der örtlichen Flugsicherung im militärischen Bereich noch lösen. Aber der entscheidende Fortschritt besteht darin, daß es überhaupt gelungen ist, im Zuge der Umsetzung
der zu Beginn dieser Legislaturperiode getroffenen Koalitionsvereinbarung jetzt das zu regeln, was die Verkehrspolitiker immer wollten, nämlich die zivilmilitärische Integration voranzubringen. Das ist vernünftig, das ist zukunftsweisend, und das sollte hier hervorgehoben werden.
Ich will folgendes hinzufügen und greife aus dem Ganzen nur einzelne Stichworte heraus: Wir schaffen hier die Rahmenbedingungen; anschließend muß aber auch die Umsetzung erfolgen. Auch da bitte ich darum, daß der Minister zuhört, nicht nur seine Beamten, obwohl diese die Last der Arbeit haben. Es muß das umgesetzt werden, was mit dem Gesetz intendiert ist. Der Vollzug darf nicht etwa durch Verordnungen, Verwaltungserlasse und zögerliches Handeln von Unwilligen oder unter Umständen sogar Gegnern dieser Reform aufgehalten werden. Das ist ganz wichtig, weil das Gesetz andernfalls ins Leere liefe und unsere Absichten konterkariert würden.
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Ich muß wirklich noch einmal um Ruhe bitten. Es hat keinen Sinn, daß wir in dieser Weise miteinander reden. Ich höre Sie aus dem Saal viel besser als den Redner.
Wir müssen dafür sorgen, daß dieses Gesetz so umgesetzt wird, wie wir als Gesetzgeber dies wollen. Es muß schnell umgesetzt werden. Das bedeutet auch, daß es eine entsprechende Strukturreform geben muß.
Wenn wir über eine Privatisierung oder privatrechtliche Ausgestaltung reden, dann bedeutet das zugleich auch die Änderung von Verwaltungsstrukturen, die Änderung von Hierarchien. Es muß neue Leistungsanreize geben, es muß Wettbewerb geben, es muß eine klare Führungsstruktur vorhanden sein. Das alles ist mit diesem Gesetz gemeint; andernfalls bräuchten wir es nicht zu verabschieden; dann hätten wir alles so lassen können, wie es ist.
Meine herzliche Bitte ist, daß alle, die davon betroffen sind, daß alle, die daran mitwirken, es so begreifen und ernsthaft befolgen.
Das Gesetz ist zugleich - Lothar Ibrügger hat es schon gesagt - der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Flugsicherungssystem. Die Flugsicherung endet nicht im Saarland oder an der Oder-Neiße-Grenze. Es handelt sich vielmehr um ein europäisches Problem. Es geht auch weit über den EG-Raum hinaus. Die Reform der deutschen Flugsicherung kann im Rahmen des einheitlichen europäischen Systems nur ein Baustein, ein Mosaiksteinchen sein. Ich denke, die Möglichkeit, die wir heute mit der Gesetzesänderung schaffen, ist zur Herbeiführung dieser Situation geeignet.
Die Gesetzesänderung muß vor allen Dingen geeignet sein, den Ansprüchen der Benutzer gerecht zu werden. Ich sage etwas ironisch: Es muß so sein, daß die Flugsicherung die Gebühren, die die Nutzer zahlen müssen, nicht nur einnimmt, sondern auch durch Leistung verdient. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft.
Als Hesse sage ich, da auf der Bundesratsbank im Moment leider kein Vertreter dieses Landes sitzt, noch folgendes: Wir haben die Wünsche Hessens gemeinsam in das Gesetz aufgenommen. Ich appelliere an die hessischen Abgeordneten und diejenigen, die auf der Bundesratsbank sitzen könnten, das gleiche gesamtstaatliche Verantwortungsgefühl zu haben, wenn es um den Ausbau des Frankfurter Flughafens und die Erhaltung der Arbeitsplätze dort geht.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Gesetz mehr Sicherheit im Luftverkehr schaffen. Wir wollen die Möglichkeiten der Nutzung der Investitionen am Boden und der Infrastruktureinrichtungen ebenso wie derjenigen im Luftraum verbessern. Die Luftfahrt ist für uns ein unverzichtbarer und notwendiger Träger des Verkehrs. Ich appelliere an die Lotsen, die Techniker und alle Mitarbeiter in der Flugsicherung, jetzt ihrerseits diese Möglichkeiten zu nutzen, ihrerseits dies als einen Auftrag und als einen Anreiz zu begreifen. Ich hoffe im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen, daß der Motivationsschub allein des Beschlusses heute ausreichen möge, daß die vielfliegenden Abgeordneten den Sommer gut überstehen können.
Vielen Dank.
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Als nächste hat die Abgeordnete Frau Dr. Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen, daß auch die Abgeordneten der PDS/Linke Liste eine Neuorganisation der Flugsicherung für dringend notwendig halten. Allerdings fragen wir uns, ob das mit einer Privatisierung der Flugsicherung zu erreichen ist. „Die Fachleute warnen freilich vor den übertriebenen Hoffnungen, wie sie auch von einigen Politikern an die Neuorganisation der Flugsicherung geknüpft werden", so schrieb das hinsichtlich seiner politischen Neigung sicher unverdächtige Lobbyblatt der deutschen Luftfahrtindustrie, die „Flug-Revue", im vergangenen Monat.
Dem kann nur zugestimmt werden. Der ohnehin schon knappe Luftraum über der Bundesrepublik kann nicht beliebig erweitert werden. Die durch den EG-Binnenmarkt stattfindende Deregulierung im Luftverkehr wird die Flugsicherung an die Grenzen ihrer Belastbarkeit treiben.
Es erhebt sich auch die Frage, ob die vorgesehene Privatisierung des Luftverkehrs, die so sanft daherkommt, nicht die Einstiegsdroge für weitere Privatisierungen im Bereich hoheitlicher Aufgaben des Bundes ist. Schlechte Erfahrungen mit der Privatisierung gibt es in den Kommunen zuhauf, übrigens auch in SPD-regierten Ländern. Nach der Privatisierung kommunaler Betriebe - beispielsweise von Stadtwerken - klagten nicht wenige Kommunalvertretungen hinterher über mangelnde Einflußmöglichkeiten und demokratische Kontrolle dieser zur gemeinschaftlichen Daseinsfürsorge gehörenden Betriebe. Dies wird bei der Privatisierung der Flugsicherung möglicherweise nicht anders sein.
Außerdem: Es kann der Regierung und der Öffentlichkeit nicht egal sein, in welcher Verfassung sich eine privatisierte Flugsicherung befindet oder ob sie gar Konkurs anmelden muß. Spätestens dann ist der Staat wieder in der Pflicht.
Es ist sicher nicht abwegig, hier das eherne Prinzip herrschender bundesdeutscher Wirtschaftspolitik zu entdecken, das da heißt: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste oder, anders ausgedrückt, Privatisierung öffentlicher Betriebe und Einrichtungen, solange damit Gewinne erwirtschaftet werden können, aber Abwälzung der Kosten auf die Allgemeinheit, d. h. auf die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, wenn gesellschaftlich notwendige Aufgaben Zuschußgeschäfte sind oder werden.
Und letztlich: die bisherigen Aussagen der Bundesregierung zur Zukunft des Personals - es wird von „Möglichkeiten" gesprochen - sind zumindest für uns nach wie vor unbefriedigend. Wir können daher dem Zehnten Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes und der Grundgesetzänderung nicht zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Abschließend hat der Abgeordnete Herr Professor Scholz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich den Countdown vor der namentlichen Abstimmung noch etwas aufhalte, aber ich möchte gerne zwei Bemerkungen zu der Verfassungsänderung machen, die wir hier vornehmen und die wir ja im übrigen auch in der Verfassungskommission bejaht, begrüßt, mit aufgenommen haben.
Mit der Aufnahme einer Ermächtigung in Art. 87 d des Grundgesetzes, die Möglichkeit einer Organisationsprivatisierung zu schaffen, wird ein entscheidender Schritt getan - zumindest im Sinne der Klarstellung; ich glaube letztendlich nicht, daß es sehr viel mehr ist. Aber es ist jedenfalls eine Klarstellung, daß sich die öffentliche Verwaltung in ihren Organisationsformen, in ihrer Organisationsgewalt auch auf der Ebene des Bundes - auf Landesebene ist das Ganze im übrigen immer unstreitig gewesen - der Möglichkeiten des Privatrechts, seiner Gestaltungsformen, Handlungsformen - Stichwort: Verwaltungsprivatrecht - bedienen kann.
Es wird weiterhin klargestellt, daß der Einstieg in solche Maßnahmen mit Notwendigkeiten der Flexibilität, der Effizienz, der Wirtschaftlichkeit zusammenhängt. Im spezifischen Fall kommt der bereits angesprochene Punkt verstärkter Supranationalisierung und Internationalisierung des entsprechenden Aufgabenfeldes hinzu.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir damit auch einen Einstieg in die weitere Diskussion materieller Privatisierungen gefunden haben. Wir stehen vor einer Aufgabe, die meines Erachtens im positiven Sinne für Post und Bahn bald gelöst werden muß. Das sind keine Fragen, die nur Organisationsprivatisierungsprobleme nennen, sondern das sind materielle
Privatisierungen oder partiell materielle Privatisierungen.
Wir müssen unsere Verfassung - heute tun wir den ersten Schritt dahin - für ein abgestuftes Spektrum effizienterer Organisationsformen - die des Privatrechts eingeschlossen - öffnen.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung, und zwar zunächst über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf den Drucksachen 12/1800 und 12/2450. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Gegenstimmen aus der Gruppe PDS/Linke Liste und Enthaltungen der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Ich weise darauf hin, daß nach Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erfordert.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob alle ihre Stimme abgegeben haben. - Können wir die Abstimmung schließen? - Das scheint der Fall zu sein.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *) Erst danach werden wir über den Gesetzentwurf zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes abstimmen können.
Wir setzen in der Zwischenzeit die Beratungen fort. Darf ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 und den Zusatzpunkt 7 auf:
9. Fortsetzung der Beratung von Entschließungsanträgen zur Regierungserklärung vom 2. April 1992
hier: Abstimmung der
- Entschließungsanträge der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste
- Drucksachen 12/2414, 12/2415 - ') Seite 7303A
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
- Entschließungsantrag der Abgeordneten Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/ Linke Liste
- Drucksache 12/2416 -- Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
- Drucksache 12/2417 -
ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Lieferung von Rüstungsgütern an die Türkei - Drucksache 12/2498 -
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir stimmen zunächst über die drei Entschließungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste ab.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf der Drucksache 12/2414? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf der Drucksache 12/2415? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf der Drucksache 12/2416? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/2417. Die Fraktion der SPD hat dazu getrennte Abstimmungen verlangt.
Wer stimmt für die Nr. 1 des Entschließungsantrags? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 1 ist abgelehnt.
Wir kommen zu der Nr. 2 des Entschließungsantrags. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/2499 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Nr. 2 in der ursprünglichen Fassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Auch die Nr. 2 ist abgelehnt.
Wir kommen zu der Nr. 3 des Entschließungsantrags. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/2500 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 3 in der Ursprungsfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nr. 3 ist ebenfalls abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Lieferung von Rüstungsgütern an die Türkei ab, Drucksache 12/2498. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Da mir das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch nicht vorliegt, setze ich die Beratungen weiter fort.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen
- Drucksache 12/2453 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({0})
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
EG-Ausschuß
Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Wolfgang Bötsch, Johannes Gerster ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({2})
- Drucksache 12/2112 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Innenausschuß ({3})
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß ({4}) und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlichen Bestimmung des Bürgerbegriffs
- Drucksache 12/2088 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({5}) Innenausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Bundesminister des Innern, Herr Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen an einem Scheideweg der deutschen Innenpolitik. Wir debattieren über das Schengener Abkommen - Vorstufe und Prüfstand für die Zusammenarbeit aller EG-Staaten im gemeinsamen Binnenmarkt. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft befinden sich auf dem Weg zu einem Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Nach der Auflösung der Europäischen Nachkriegsordnung genießen die Bürger Europas heute ein Maß an Freizügigkeit, das vor wenigen Jahren noch unvorstellbar schien. Europa wird eins. Diese Entwicklung, die zur Bewältigung der aktuellen weltweiten Probleme nötig ist und von den meisten Menschen in Europa gewünscht wird, stellt die Staaten gleichzeitig vor neue Herausforderungen. International operierende Kriminalität und illegale Einwanderung fordern eine Verstärkung der internationalen ZusammenarBundesminister Rudolf Seiters
beit. Der Abbau der Binnengrenzen und der Verzicht auf die Schlagbäume muß daher durch ein Bündel von Ausgleichsmaßnahmen flankiert werden, die verhindern, daß die Verminderung oder der Wegfall der Grenzkontrollen Nachteile für die innere Sicherheit mit sich bringt.
Dem Schengener Übereinkommen kommt hier eine Vorreiterrolle zu. Auf Initiative von Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Dr. Kohl im Jahre 1984 wurde am 19. Juni 1990 nach vielen Beratungen, über deren Fortgang die Ausschüsse des Deutschen Bundestages fortlaufend und umfassend unterrichtet worden sind, von den Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland ein Abkommen geschlossen, das mittlerweile von acht der insgesamt zwölf EG-Staaten unterzeichnet worden ist und in Europa und wohl auch weltweit seinesgleichen sucht.
Es sieht den Abbau der Binnengrenzkontrollen bei gleichzeitiger Gewährleistung der inneren Sicherheit vor. Die hierzu vereinbarten Ausgleichsmaßnahmen umfassen u. a. einheitliche Kontrollen an den Außengrenzen, ein gemeinsames Fahndungssystem, Erleichterungen und Vereinfachungen im Bereich des internationalen Rechtshilfeverkehrs und der Auslieferung sowie die Harmonisierung der Sichtvermerks-politik und der Bedingungen zur Einreise von Drittausländern.
Durch diese Maßnahmen bekommt die Politik der Schaffung innerer Sicherheit eine neue europäische Dimension. Die innere Sicherheit wird nicht Opfer, sondern ein Motor und wichtiger Pfeiler der europäischen Einigung. Das Schengener Abkommen gewährleistet freie Fahrt ohne Personenkontrollen an den Binnengrenzen für jedermann und stellt zugleich sicher, daß dieses Recht nicht vom international operierenden Verbrechertum zum Schaden der Bürger mißbraucht werden kann. Es beruht auf der Einsicht, daß grenzüberschreitende Zusammenarbeit der zuständigen Behörden allemal effektiver ist als jede Zufahrtskontrolle per Schlagbaum.
Wir wollen, daß die Notwendigkeit, zum Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen verstärkt mit den Nachbarn zusammenzuarbeiten, nicht zu weniger, sondern zu mehr Sicherheit in Europa führt.
({0})
Das gilt umso mehr, meine Damen und Herren, als das gemeinsame DV- gestützte Fahndungssystem, das Schengener Informationssystem, eine Fahndung in sämtlichen Schengen-Staaten ermöglicht, von Frankfurt/Oder bis Lissabon und von Hamburg bis Palermo. Das SIS orientiert sich an den strengen deutschen Datenschutzregelungen und führt so nicht nur zu einer verbesserten Fahndungszusammenarbeit, sondern stellt auch einen Fortschritt im europäischen Datenschutz dar.
Durch den Vertrag werden die Schengen-Staaten verpflichtet, ihr Datenschutzrecht zu verbessern oder überhaupt erst Datenschutzgesetze zu erlassen.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, daß das Schengener Übereinkommen einen Beitrag zur Schaffung eines europäischen Sicherheitsverbundes leistet, den wir für die Lösung der schweren vor uns liegenden
Aufgaben auch brauchen. Immer mehr Menschen fühlen sich durch den Anstieg der Kriminalität bedroht, die in einem schleichenden Prozeß die Grundlagen unseres friedlichen Zusammenlebens in Frage zu stellen beginnt.
Insbesondere die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Rauschgiftkriminalität stellt eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden, aber auch für die Gesellschaft insgesamt dar. Gefordert sind dabei internationale Konzepte, die im europäischen Gesamtzusammenhang immer wieder zu fordern wir nicht müde werden.
Auf Initiative des Bundeskanzlers haben sich die EG-Staaten in Maastricht - darauf will ich in diesem Zusammenhang auch verweisen - auf den Aufbau einer europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle, Europol, geeinigt. Die organisierte Kriminalität werden wir erfolgreich nur durch eine ganz intensive internationale Zusammenarbeit bekämpfen können.
({1})
Das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland entspricht in vielen Bereichen bereits den im Schengener Übereinkommen eingegangenen Verpflichtungen. Deshalb sind zur Umsetzung dieses Übereinkommens nur wenige Änderungen im deutschen Recht - Melderechtsrahmengesetz, Ausländergesetz, Waffengesetz - erforderlich.
Die Schaffung des europäischen Binnenmarktes sowie die sich abzeichnenden Wanderbewegungen erfordern aber auch auf dem so brisanten Feld der Asyl- und Einwanderungspolitik gemeinschaftliches Handeln. Meine Damen und Herren, wer ja sagt zu einem Europa ohne Grenzen, muß auch ja sagen zu einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik, weil wir nur mit europäischen Lösungen den immer stärker anschwellenden Strom von Flüchtlingen und Asylbewerbern bewältigen können.
({2})
Nun erlauben Sie mir bitte, zu diesem asylrechtlichen Teil in aller Ruhe meine Einschätzung der Lage vorzutragen, wobei ich hier als Innenminister der Bundesrepublik, aber auch als Abgeordneter dieses Hauses spreche. Ich mache den Zusatz: Jedermann weiß ja, daß es auch im Kabinett bei der Beschlußfassung unterschiedliche Protokollnotizen gegeben hat. Ich möchte die Dinge gern aus meiner Sicht vortragen und sagen, wie ich sie beurteile.
Zunächst zum Sachverhalt. Der asylrechtliche Teil des Schengener Übereinkommens regelt, meine Damen und Herren, welche Vertragspartei für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Dadurch soll erreicht werden, daß einerseits jedem Asylbewerber im Vertragsgebiet die Durchführung eines Asylverfahrens garantiert, andererseits die Durchführung mehrerer Asylverfahren in verschiedenen Vertragsstaaten vermieden wird. Die Zuständigkeit wird nach objektiven Kriterien bestimmt, wie z. B. die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung oder die Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates.
Hieraus ergeben sich für jeden Vertragsstaat sowohl Übernahmeverpflichtungen als auch Abgabemöglichkeiten. Die auf der einen Seite bestehenden Übernahmeverpflichtungen bedeuten, daß wir wie die anderen Vertragsstaaten in Zukunft einen Asylantrag nicht allein wegen eines sicheren Aufenthalts in einem der Vertragsstaaten ablehnen können, wenn wir für die inhaltliche Prüfung zuständig sind. Insoweit muß bei uns wie auch in anderen Vertragsstaaten das Verfahrensrecht angepaßt werden.
Von dem uns auf der anderen Seite vertraglich eingeräumten Recht, Asylbewerber zur Durchführung des Asylverfahrens an einen anderen Vertragsstaat zu überstellen, können wir auf Grund unserer Verfassungsrechtslage jedoch nur eingeschränkt Gebrauch machen.
Meine Damen und Herren, nach den von der Rechtsprechung gezogenen weiten Schutzgrenzen des Art. 16 Grundgesetz reicht es nicht aus, daß von unseren europäischen Partnerstaaten dem Ausländer, der zu uns kommt, ein rechtsstaatliches Asylprüfungsverfahren auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention garantiert wird. Der Ausländer muß sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr zuvor in diesem für ihn zuständigen Vertragsstaat aufgehalten und dort seine Flucht beendet haben. Das Gericht nimmt dies erst dann an, wenn er sich dort länger als drei Monate aufgehalten oder Anstalten für einen längerfristigen Aufenthalt getroffen hat.
Das bedeutet, daß wir auch in Fällen, in denen unsere Partnerstaaten zur Aufnahme des Ausländers und zur Durchführung eines Asylverfahrens nach dem Schengener Übereinkommen verpflichtet und bereit wären, auf Grund unserer verfassungsrechtlichen Lage gehindert sind, den Ausländer an diesen Staat zu verweisen. Darüber hinaus müssen wir auch Asylbewerbern, deren Asylantrag zuvor in einem anderen Vertragsstaat abgelehnt wurde, bei uns ein neues Asylverfahren eröffnen, was sonst kein anderer Staat zu tun bräuchte.
Wegen dieser Verfassungsrechtslage, meine Damen und Herren, mußten wir in den Vertrag einen entsprechenden nationalen Vorbehalt aufnehmen, um den Vertrag, der in seiner Gesamtheit eine Vorreiterrolle für Europa darstellt, unterzeichnen zu können. Eine volle und gleichberechtigte Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland an den asylrechtlichen Bestimmungen des Übereinkommens setzt - das ist ja wohl unstreitig - eine Ergänzung des Grundgesetzes voraus.
Ich bin auch der Überzeugung, meine Damen und Herren, daß unserer Bevölkerung nicht verständlich zu machen sein wird, daß unser Verfassungsrecht der Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat entgegensteht, der vertraglich zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet ist, der die Genfer Flüchtlingskonvention anwendet, der in gleicher Weise wie wir ein Rechtsstaat ist und der zum Teil eine längere Asyltradition besitzt als wir. Das Vertrauen in europäische Lösungen wird hierdurch in einer durch die steigenden Asylbewerberzahlen ohnehin beunruhigten Öffentlichkeit mit Sicherheit nicht gefördert.
({3})
Ein Parlament kann auf Dauer nicht gegen eine Mehrheit der Bürger Politik machen, sonst riskiert es den inneren Frieden im Lande.
({4})
In der Asylfrage sind wir dicht vor einer solchen Situation.
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Ich warne davor, die zahlreichen Briefe besorgter Bürger, die erschreckenden Ergebnisse rechtsradikaler Parteien bei den letzten Wahlen und den dramatischen Anstieg der Straftaten bei fremdenfeindlicher Tendenz auf 2 427 im Jahre 1991 leichtfertig zu ignorieren. Ich denke, wir sind uns doch einig, daß wir das Feld nicht rechtsradikalen Demagogen überlassen dürfen, die die Menschen aufhetzen, verunsichern und mit Verachtung die scheinbar handlungsunfähigen demokratischen Parteien und ihre gegenseitige Blockierung vorführen wollen.
({6})
Auch deshalb ist es höchste Zeit, daß wir entschlossen und mit den nach unserer Verfassung erforderlichen Mehrheiten die Voraussetzung dafür schaffen, daß der Asylmißbrauch beendet und der unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen, die unseres Schutzes nicht bedürfen und nicht unter die Asylgarantie des Art. 16 fallen, zurückgeführt wird. Ich sage nicht, daß mit einer Grundgesetzänderung und der Schaffung der erforderlichen Ausführungsgesetze alle Probleme sofort gelöst sind.
({7})
- Das haben wir immer gesagt. Es gibt gar keine andere Auffassung. Ich spreche das wirklich ganz ruhig aus. Natürlich wird eine Grundgesetzänderung nicht alle Probleme lösen. Aber ohne die Grundgesetzänderung ist eine Lösung unmöglich, und ohne Grundgesetzänderung wird die Bundesrepublik Deutschland zum Reserveasylland in diesem Kontinent.
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Die Grundgesetzänderung ist im übrigen auch deshalb erforderlich, um eine engere Zusammenarbeit mit jenen Nachbarstaaten, die nicht zu den SchengenStaaten gehören - wie z. B. Polen, die Tschechoslowakei, die Schweiz und Österreich -, überhaupt erst zu ermöglichen. Hier ist der Abschluß von Rücknahmeübereinkommen erforderlich. Zwischen den Schengen-Staaten und Polen wurde bereits am 29. März 1991, noch unter der Federführung meines Vorgängers Wolfgang Schäuble, ein solches Rücknahmeübereinkommen geschlossen. Ähnliche Abkommen mit der CSFR, der Schweiz und Österreich werden von mir mit Nachdruck angestrebt, wobei ich allerdings darauf hinweisen will, daß sich die Verhandlungen nicht gerade einfach gestalten.
Aber auch dann, meine Damen und Herren, wenn wir zu entsprechenden Abkommen gelangen, so werBundesminister Rudolf Seiters
den diese doch zunächst nur Rücknahmepflichten beinhalten. Wir selbst könnten ohne eine Ergänzung des Grundgesetzes von den dann vereinbarten Abgabemöglichkeiten nur im Rahmen des Art. 16 Gebrauch machen.
Bei der heutigen Debatte geht es daher nicht allein um das Schengener Übereinkommen; in der heutigen Debatte stellt sich auch die Frage, wie Deutschland am europäischen Verhandlungstisch zu einer harmonisierten Asylpraxis in Europa steht.
Ich bin kürzlich von einem Mitglied dieses Hauses nachdrücklich aufgefordert worden, mit der Harmonisierung des Asylrechts in Europa endlich zu beginnen. Die Verhandlungen haben längst begonnen, aber wir stehen immer wieder vor folgendem absurden Dilemma.
Innenpolitisch wird bei uns als Voraussetzung für eine Änderung unseres Asylrechts eine Harmonisierung des Asylrechts in Europa verlangt. Für dann auch bei uns notwendige Harmonisierungsmaßnahmen könne und müsse - so wird gesagt - gegebenenfalls dann auch unser Grundgesetz geändert werden.
Andererseits ist völlig klar, daß unsere Partner in Europa eine Harmonisierung auf der Basis unserer durch Art. 16 und Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes geprägten Rechtsordnung kategorisch ablehnen. Auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hält eine Änderung unseres Asylrechts für notwendig, um zu einer Harmonisierung in Europa zu kommen.
Wenn wir jedoch darüber in den zuständigen Gremien mit unseren Partnern verhandeln, sind wir doch wohl an unser geltendes Recht gebunden, solange das Grundgesetz nicht geändert wird. Folgendes anschauliches Beispiel: Unter der derzeitigen portugiesischen Präsidentschaft befassen sich die eingesetzten Arbeitsgruppen u. a. mit der Festlegung von europäischen Grundsätzen zur Behandlung von Asylsuchenden, die aus Drittstaaten kommen, in denen sie weder verfolgt werden noch befürchten müssen, in einen Verfolgerstaat abgeschoben zu werden, sondern in gleicher Weise wie in den EG-Staaten um Schutz nachsuchen können. Keiner unserer Partnerstaaten hat Verständnis für unsere Rechtslage, daß eine Zurückweisung oder Zurückführung in den sicheren Drittstaat nur zulässig ist, wenn der Ausländer dort seine Flucht beendet hat, also sich dort länger als drei Monate aufgehalten oder Anstalten für einen längerfristigen Aufenthalt getroffen hat. Nach Auffassung aller unserer Partnerstaaten muß es ausreichen, daß der Ausländer die Gelegenheit hatte, sich dort an eine amtliche Stelle mit einem Schutzersuchen wenden zu können.
In dieser Frage, aber auch in anderen, die auch im Hinblick auf einen gleichen Standard bei der Kontrolle der Außengrenzen der Gemeinschaft von Bedeutung ist, sind wir inzwischen in Europa isoliert. Die portugiesische Präsidentschaft würde diesen Komplex gern abschließen.
Und nun frage ich Sie: Wie sollen wir uns eigentlich jetzt im Prozeß der europäischen Harmonisierung verhalten? Soll ich auf der Ministersitzung den
Abschluß dieses Komplexes wegen unserer Verfassungslage blockieren? Das würde bedeuten, daß Deutschland auf dem Gebiete der Harmonisierung des Asylrechts zum europäischen Bremser wird.
Soll ich in Kenntnis, daß eine solche Regelung mit unserer Verfassung nach der angeführten Rechtsprechung nicht vereinbar ist, zustimmen, dann würde mir als Verfassungsminister zugemutet, etwas nach der Rechtsprechung Verfassungswidriges zu billigen.
({9})
Oder soll ich auf der Aufnahme eines nationalen Vorbehalts bestehen, wie hier im Schengener Übereinkommen, und damit ein harmonisiertes europäisches Asylrecht schon in seinen ersten Ansätzen durchlöchern?
An der Beantwortung dieser Frage kommt keine Fraktion dieses Parlaments vorbei. Ich dränge ja gerade deswegen auf Klarheit, weil ich auf dem Wege zur europäischen Harmonisierung des Asylrechts vorankommen will. Das heißt, ich brauche Verhandlungsspielraum. Wird der Verhandlungsspielraum - meine Damen und Herren, das muß ich mit allem Ernst sagen - weiterhin durch unsere asylrechtliche Sonderlage begrenzt, dann muß ich auf das Risiko hinweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Verhandlungsergebnisse weder unterzeichnen noch ratifizieren kann oder daß die Harmonisierung an nationalen Vorbehalten scheitern wird. Und das kann doch eigentlich niemand in diesem Hause wollen.
({10})
Ich sage noch einmal: Wir müssen bei den Verhandlungen zur Kenntnis nehmen, daß sich ein europäisches Asylrecht nicht auf der Grundlage des Art. 16 unseres Grundgesetzes verwirklichen läßt. Es wird aber auch nicht ein Asylrecht des kleinsten gemeinsamen Nenners sein. Mit diesem Schlagwort, daß manchmal auch von einzelnen Mitgliedern dieses Hauses gebraucht wird, wird unterstellt, daß die anderen europäischen Rechtsstaaten nur ein Asyl minderer Qualität gewähren.
Niemand kann aber doch ernsthaft behaupten, daß die Parlamente der anderen europäischen Staaten Lösungen anstreben oder mittragen würden, die politisch Verfolgten die Zuflucht verwehren. Niemand kann doch ernsthaft behaupten, daß nur unsere von der Verfassung geprägte Asylrechtskonzeption dem politisch Verfolgten Schutz gewährt. Ich fände eine solche Einstellung und Aussage nicht fair und nicht in Ordnung gegenüber unseren europäischen Partnern.
Eine Ergänzung des Grundgesetzes, meine Damen und Herren, muß deshalb weiteren Verhandlungen auf EG-Ebene vorausgehen, und sie muß auch dem Inkrafttreten des Schengener Übereinkommens vorausgehen. Europa muß den wirklich politisch Verfolgten Schutz gewähren. Die mißbräuchliche Berufung auf das Asylrecht darf aber nicht zu einem Einwanderungstor gemacht werden.
({11})
Deutschland muß sich europäischen Regelungen gleichberechtigt anschließen können, weil die Probleme der Armuts- und Kriegsflüchtlinge dieser Welt
zu groß sind, als daß sie von einem Land allein gelöst werden könnten.
Umgekehrt dürfen wir die europäische Einigung, für die das Schengener Übereinkommen die Vorstufe bildet, nicht auf dem Altar einer Auffassung opfern, die allen, die in Deutschland eine bessere Lebensperspektive zu finden hoffen, die Tür öffnet, auch wenn sie nicht politisch verfolgt sind und dies bereits in einem unserer Partnerstaaten festgestellt wurde. Dies entspricht eben nicht der Asylverheißung des Grundgesetzes, sondern verstärkt die Krise unseres Grundrechts auf Asyl.
Der Ausweg, meine Damen und Herren, liegt in der Erkenntnis, daß Innenpolitik eine europäische Angelegenheit geworden ist. Dies gilt nicht nur für die Asyl-und Ausländerpolitik, sondern auch für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Aus dieser Erkenntnis heraus ist das Schengener Übereinkommen zustande gekommen. Aus dieser Einsicht heraus müssen wir es nun ratifizieren und umsetzen. Das Schengener Vertragswerk macht Ernst mit der Aufhebung der Grenzen in Europa. Das, wofür Adenauer, de Gaulle, Schuman und de Gasperi gearbeitet haben, ist dabei, verwirklicht zu werden: ein Europa, in dem man von Rom nach Paris, von Madrid nach Luxemburg und von Berlin nach Brüssel fahren kann, ohne Grenzkontrollen zu passieren.
({12})
Ich möchte eindringlich an Sie appellieren, die Weichen zu stellen und grünes Licht für das Schengener Übereinkommen und für die Anpassung des Grundgesetzes an dessen Regelungen im Interesse unserer Bürger und der Bürger Europas zu geben.
({13})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gerd Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht das Schengener Abkommen auf der Tagesordnung. Dazu ist ein Antrag auf Änderung der Verfassung von der CDU/CSU eingebracht worden.
Das Schengener Abkommen ist von der Philosophie her eigentlich eine grandiose Sache. Man erinnere sich an den Spaziergang, den der Kanzler mit Präsident Mitterrand vor mehreren Jahren gemacht hat. Damals haben sich beide überlegt, daß im Vorgriff auf eine europäische Lösung die Freizügigkeit im Personenverkehr für die Vertragsstaaten geschaffen werden sollte. Dieses Vertragswerk ist unter einer bestimmten Europaeuphorie entstanden.
Ich finde es bedauerlich, daß dieses Vertragswerk jetzt mit einer Änderung der Verfassung betreffend das Asylrecht verknüpft wird. Das Schengener Abkommen hätte es verdient - gerade auch unter dem Aspekt der Europamüdigkeit, die wir feststellen -, daß es als Schengener Abkommen gewürdigt würde und deutlich gemacht würde, was das für unsere Bürger in einem Raum ohne Grenzen bedeutet.
({0})
Das Asylrecht spielt im Schengener Abkommen nur eine untergeordnete Rolle. Durch diese Verknüpfung ist auch ein politisches Thema verschenkt worden. Das Schlimme ist, daß die Öffentlichkeit heute nur noch darauf lauert, was der eine oder der andere zum Asylrecht sagt und daß dieses so bedeutsame europapolitische Thema nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
({1})
Meine Damen und Herren, offene Grenzen in Europa bedeutet natürlich, daß es Kompensationsmaßnahmen geben muß, wenn die Menschen die Grenzen ohne Kontrolle überschreiten können. Dies hatte gemeinsame Datenschutzregelungen zur Folge, die sehr vernünftig sind. Damit wurde endlich auch der Datenschutz für Belgien und andere Länder eingeführt, die ihn bisher nicht kannten. Das heißt, man ist durch das Schengener Abkommen in vielen Bereichen Europas bei den Bürgerrechten einen Schritt weitergekommen. Gleichzeitig mußten aber auch Sicherheitsfragen gelöst werden. Ich nenne nur die Rauschgiftproblematik oder die grenzüberschreitende Kriminalität. Es ist gelungen, Verfahren zu entwicklen, die uns helfen, die Sicherheit der Bürger in einen so großen Raum ohne Grenzen weiterhin zu gewährleisten.
Unter diesem Aspekt hat das Asylrecht natürlich eine gewisse Bedeutung bekommen, weil die Einreise in eines der Schengen-Länder voraussetzt, daß die anderen handeln können, wenn ein Mensch, der einen Asylantrag stellt, ohne Grenzkontrollen von einem Vertragsstaat in einen anderen geht. Dies hat aber nichts mit einer materiell-rechtlichen Harmonisierung auf europäischer Ebene zu tun. Leider nicht!
({2})
Es ist durch das Schengener Abkommen nur eine Zuständigkeitsfrage gelöst worden. Aber mit Zuständigkeitsregelungen werden wir die drängenden Probleme der Zuwanderung und des Asylrechts in Europa nicht lösen können, und das, Herr Minister Seiters, haben Sie nicht der Situation angemessen diskutiert.
({3})
Es ist nicht so, daß die Schengener Vertragsstaaten von uns erwarten, daß wir jetzt schon im Vorgriff bei einer Zuständigkeitsfrage die Verfassung ändern, sondern umgekehrt haben die europäischen Staaten - weil wir 60 % der Zuwanderer aufnehmen - leider kein Interesse daran, das Asylrecht in Europa im Moment zu harmonisieren.
({4}) Das ist unser Drama.
({5})
Gerd Wartenberg ({6})
Bei diesen Zuständigkeitsfragen also eine Verfassungsdebatte zu eröffnen ist nicht sehr seriös und macht uns betroffen. Wenn man den Menschen erklären will, daß über europäische Regelungen - diese sind notwendig - und über eine gemeinsame europäische Politik die Zuwanderung insgesamt gerechter und steuerbar gemacht wird, dann kann das nicht an diesem Punkt geschehen.
Meine Damen und Herren, die Asyldebatte in der Bundesrepublik Deutschland ist von schrecklichen Vorkommnissen begleitet worden. Die Töne sind nach den Wahlen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zwar moderater geworden, dennoch muß ich mit Bitterkeit feststellen, daß diese moderateren Töne vor den Wahlen gefehlt haben. Auch die komplexeren Ansätze, die man heute von einzelnen aus der CDU hört, hätte es schon vor den Wahlen geben müssen.
({7})
Dann wären wir in einer anderen Situation.
({8})
Meine Damen und Herren, die Vorstellung, daß über eine europäische Harmonisierung auf der Basis des Schengener Abkommens den deutschen Behörden die Möglichkeit an die Hand gegeben würde, Asylbewerber vom deutschen Asylverfahren fernzuhalten, ist in doppelter Hinsicht von einer gewissen Ahnungslosigkeit begleitet.
({9})
Die an den Grenzen zwischen den Vertragsstaaten gestellten Asylanträge betragen ganze 0,5 %. Diese 0,5 % müssen allerdings noch unter einem anderen Gesichtspunkt gewertet werden. Unser Grundproblem ist, daß wir bei denjenigen, die einen Antrag stellen, immer wieder die Schwierigkeit haben, den Sachverhalt festzustellen, d. h. wer ist der Mann, was ist sein Begehren, wo kommt er her? Dies ist ja notwendig, um die Maßnahmen, die Sie nach dem Schengener Vertrag glauben erfüllen zu müssen, wirksam werden zu lassen. Erst wenn ich das also weiß, kann ich von den 0,5 % diejenigen zurückschikken, die einen Asylantrag in einem anderen Staat gestellt haben. Und das in einer Situation, in der gerade diese Gruppe, die in einem anderen Land abgelehnt worden ist, ohne Papiere bei uns einreist.
Es ist geradezu niederschmetternd, wenn man glaubt, mit diesem Maßnahmenpaket, über eine Verfassungsänderung, könnte man unsere Asyl- und Zuwanderungsproblematik lösen.
({10})
Ich sage das nicht in der Pose desjenigen, der sich darüber freut. Denn wir müssen es schaffen, daß die Zuwanderung steuerbarer ist,
({11})
daß Zuwanderung eingegrenzt wird. Dann muß man
aber versuchen, die richtigen Maßnahmen zu finden.
Die richtigen Maßnahmen kann man aber immer erst abschätzen, wenn man jeden Vorschlag bis zum Detail herunterbuchstabiert. Wir stellen fest, daß dann, wenn man diesen Vorschlag der CDU/CSU, der sich pauschal so gut anhört - Verfassungsänderung bezogen auf Schengen -, auf die Realität herunterbuchstabiert, die Wirkung gleich Null ist.
({12})
Ich will dies an dem weiteren Vorschlag, den Sie machen, darstellen. Sie haben in Ihre Verfassungsänderung die Länderliste eingebracht, die davon ausgeht, daß es verfolgungsfreie Staaten gibt. Welches ist das Kriterium für einen verfolgungsfreien Staat? - Da kann man sich nur an eines halten, an die amtliche Statistik des Bundesamtes für ausländische Flüchtlinge. Wenn Sie diese Statistik aller Staaten dieser Welt, von Andorra bis Zypern, durchgehen, und darauf schauen, welche Menschen bei uns Asylanträge stellen, dann stellen Sie plötzlich fest, daß aus Staaten, in denen es keine Verfolgung gibt, d. h. aus denen noch nie jemand in der Bundesrepublik Deutschland wegen politischer Verfolgung anerkannt worden ist, im vorvorigen Jahr 1,3 % der Asylbewerber kamen, im letzten Jahr etwa 2,5 % der Asylbewerber. Wenn ich eine solche Länderliste für 2,5 % der Asylbewerber habe, muß ich erst einmal das Feststellungsverfahren bewältigt haben, um dem Asylbewerber nachzuweisen, wo er eigentlich herkommt. Worauf reduziert sich also dieser Vorschlag zur Verfassungsänderung eigentlich im Kern?
({13}) - Sie haben recht, Herr Dr. Hirsch, auf nichts!
({14})
Verstehen Sie doch in Ihrem eigenen Interesse, daß man der Bevölkerung doch nicht sagen kann: Dies ist jetzt ein Weg, der wesentlich zur Entlastung der Bundesrepublik Deutschland beiträgt. Dafür darf die Verfassung nicht geändert werden.
({15})
In den Verhandlungen zum Asylbeschleunigungsgesetz, die übrigens im Unterschied zu der öffentlichen Diskussion vor den Wahlen in außerordentlich sachlicher und qualifizierter Weise zwischen den Parteien weitergelaufen sind,
({16})
sind wir an genau die Frage gekommen, die ich Ihnen eben erläutert habe. Eines der größten Probleme ist die Sachverhaltsfeststellung, die Identifizierung. Erst wenn ich das kann, kann ich letzten Endes eine wie auch immer geartete Maßnahme umsetzen. Das ist unser Grundproblem, auch heute.
An dieser Stelle kommen wir auch beim Beschleunigungsverfahren an eine Risikogrenze. Das heißt: Wenn wir Voraussetzungen für Maßnahmen schaffen wollen, die über das Beschleunigungsgesetz hinaus wirken sollen, müssen wir auch über solche Dinge sprechen; dazu sind wir auch bereit; es kann nicht nur beim Beschleunigungsgesetz bleiben. Dann muß aber
Gerd Wartenberg ({17})
eine Lösung gegen die Identitätsverschleierung gefunden werden: Wie kann ich es sanktionieren, wenn derjenige, der bei uns einen Asylantrag stellt, nicht seiner Mitwirkungspflicht hinsichtlich seiner Identifizierung und seiner Herkunft gerecht wird?
({18})
Diese Frage ist inzwischen die Grundfrage bei allen Verfahren, sowohl bei Beschleunigungsgesetzen unterhalb einer Verfassungsänderung als auch bei Verfassungsänderungen. Diese Frage zu lösen ist schwierig. Sie kann dazu führen, daß wir in ein Spannungsfeld zur Verfassung kommen. Dann müssen wir an dieser Stelle vielleicht über die Verfassung reden, aber an dieser Stelle! Ich sage bis jetzt nur „reden". Aber das ist der eigentliche Kernpunkt, nicht die anderen Fragen, die dann folgen. Es gibt dafür im Moment keinen Vorschlag.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen an einem Beispiel noch einmal die Wirkungsweise Ihres Gesetzes deutlich machen: Die Schweiz hat im letzten Jahr die Länderliste eingeführt. Diese Länderliste, die in der Schweiz eingeführt worden ist, betrifft Länder wie Bulgarien, Rumänien, eine Vielzahl von Ländern, aus denen auch zu uns viele Flüchtlinge kommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gerster?
Nein, jetzt nicht. Ich bin gleich zu Ende. Entschuldigung, Herr Gerster.
Diese Länderliste ist eine Liste, die manchem von der Union, vielleicht auch manchem anderen vorschwebt. Nach Einführung dieser Länderliste in der Schweiz rechnet die Schweiz in diesem Jahr mit einer Verdreifachung der Asylbewerberzugangszahlen. Um Ihnen auch das noch einmal deutlich zu sagen: Das sind nicht die Rezepte, mit denen das Problem in anderen europäischen Ländern gelöst werden kann. Ein Blick über die Grenzen weitet manchmal den Horizont, und es sollte nicht so sein, daß man ohne Blick über die Grenzen Erwartungen an die anderen stellt,
({0})
ohne zu gucken, was die anderen denn eigentlich letzten Endes machen.
Was ist notwendig? Die Identifizierung von Menschen, um überhaupt Verfahren in absehbarer Zeit durchführen zu können, muß verstärkt und verbessert werden. Das ist ein sehr schwieriges Problem, weil wir immer wieder an die Sanktionierungsgrenzen kornmen. Ich aber meine, daß es moralisch vertretbar ist, jemanden zu zwingen, an einem Verfahren mitzuwirken; denn er kommt freiwillig hierher und sagt, in diesem Lande wolle er Schutz haben. Dann darf er seine Identität und seine Fluchtgeschichte nicht verschleiern. Das ist nicht akzeptabel.
({1})
Meine Damen und Herren, weiterhin ist es notwendig, daß auf europäischer Ebene ein gemeinsamer Flüchtlingsbegriff nach der Genfer Konvention geschaffen wird, damit die geringen Bindungen der Genfer Konvention - auch sie wird ja immer überbewertet - in entscheidenden Fragen, die zu so unterschiedlichen Verfahrens- und rechtlichen Möglichkeiten in einzelnen Ländern führen, aufgehoben werden.
Ich weiß - das habe ich am Anfang gesagt -, daß viele europäische Staaten daran im Moment kein sonderliches Interesse haben, aber dennoch muß die Bundesregierung in dieser Richtung verhandeln. Erst dann, wenn wir in den Vertragsstaaten eine gleiche Auslegung der Genfer Konvention haben, werden wir in der Lage sein, eine gemeinsame europäische Asylpolitik zu betreiben.
Meine Damen und Herren, die Diskussion um das Asylrecht zeigt sehr deutlich: Wenn man sich den Vorschlägen, die jetzt gemacht worden sind, nähert,
Herr Kollege Wartenberg, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- stellt man fest, daß der Teufel im Detail steckt. Wenn wir es nicht schaffen, in der zukünftigen Debatte alle Vorschläge - und wir sind bereit, alle Vorschläge zu prüfen - auf ihre Wirksamkeit durchzudiskutieren, dann werden wir in der platten Abstraktion stehenbleiben, die gesellschaftliche Spannung nicht auflösen wird. Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, in Zukunft bei Gesprächen über dieses gesellschaftliche Thema zu einer seriösen Form der Diskussion zu finden, in der auf Vorschlag und Wirkung eines Vorschlags
Herr Kollege Wartenberg!
- unter ethischen Gesichtspunkten eingegangen wird. Das wäre mein Wunsch.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt, um Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf den Drucksachen 12/1800 und 12/2450 bekanntzugeben. Abgegebene Stimmen: 571. Ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt: 556. Mit Nein haben gestimmt: 12. Enthaltungen: 3.
Vizepräsident Hans Klein Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572 davon
ja: 556
nein: 13
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Dr. Ackermann, Else Dr. Altherr, Walter Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich
Bargfrede, Heinz-Günther
Dr. Bauer, Wolf
Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad
Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk
Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate
Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter
Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria
Börnsen ({0}), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang
Bohl, Friedrich
Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus
Breuer, Paul
Brunnhuber, Georg Bühler ({1}), Klaus Büttner ({2}),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens ({3}), Manfred Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud
Deres, Karl
Deß, Albert
Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen
Dr. Fell, Karl
Fischer ({4}), Dirk Erik Fischer ({5}), Leni Fockenberg, Winfried Francke ({6}), Klaus Dr. Friedrich, Gerhard
Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({7}), Johannes Geiger, Michaela
Geis, Norbert
Dr. Geißler, Heiner Gerster ({8}), Johannes Gibtner, Horst
Glos, Michael
Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter
Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim
Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang
Grotz, Claus-Peter
Dr. Grünewald, Joachim
Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev
Harries, Klaus
Haschke ({9}), Gottfried
Haschke ({10}), Udo Haungs, Rainer
Hauser ({11}), Otto Hauser ({12}),
Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen
Heise, Manfred
Dr. Hellwig, Renate Dr. Hennig, Ottfried
Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef
Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert
Jäger, Claus
Jaffke, Susanne Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ({13}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin
Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Reiner Dr. Jüttner, Egon
Jung ({14}), Michael Junghanns, Ulrich
Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar
Dr. Kappes, Franz-Hermann Karwatzki, Irmgard
Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter
Klein ({15}), Günter
Klein ({16}), Hans Klinkert, Ulrich
Köhler ({17}),
Hans-Ulrich
Dr. Köhler ({18}), Volkmar
Dr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Dr. Krause ({19}), Günther
Dr. Krause ({20}), Rudolf Karl
Krause ({21}), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf
Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Eberhard Lamers, Karl
Dr. Lammert, Norbert
Lamp, Helmut Johannes Lattmann, Herbert
Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl Josef
Lehne, Klaus-Heiner
Dr. Lehr, Ursula-Maria
Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha
Link ({22}), Walter Lintner, Eduard
Dr. Lippold ({23}),
Klaus W.
Dr. sc. Lischewski, Manfred
Löwisch, Sigrun
Lohmann ({24}), Wolfgang
Louven, Julius
Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael
Maaß ({25}), Erich Männle, Ursula
Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, Günter
Dr. Mayer ({26}), Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Horst Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard
Michalk, Maria
Michels, Meinolf
Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Möller, Franz
Molnar, Thomas Dr. Müller, Günther
Müller ({27}), Elmar Müller ({28}),
Hans-Werner
Müller ({29}), Alfons Nelle, Engelbert
Dr. Neuling, Christian Neumann ({30}), Bernd Nitsch, Johannes
Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard
Otto ({31}), Norbert Dr. Päselt, Gerhard
Dr. Paziorek, Peter Paul Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, Gero Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald
Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Raidel, Hans
Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf
Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm
Reddemann, Gerhard Reichenbach, Klaus Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert
Dr. Riedl ({32}), Erich Rode ({33}), Helmut Rönsch ({34}),
Hannelore
Romer, Franz-Xaver Dr. Rose, Klaus
Rossmanith, Kurt J. Roth ({35}), Adolf Rother, Heinz
Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker
Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({36}), Helmut Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun
Dr. Schäuble, Wolfgang Schemken, Heinz Scheu, Gerhard
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt ({37}), Christian
Dr. Schmidt ({38}), Joachim
Schmidt ({39}), Andreas Schmidt ({40}), Trudi Schmitz ({41}),
Hans Peter
von Schmude, Michael Dr. Schneider ({42}), Oscar
Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert
Frhr. von Schorlemer,
Reinhard
Dr. Schreiber, Harald Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({43}), Dieter
Schulz ({44}), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan
Dr. Schwarz-Schilling, Christian
Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst
Seesing, Heinrich
Seibel, Winfried
Seiters, Rudolf
Skowron, Werner
Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf
Dr. Stavenhagen, Lutz G. Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans
Dr. Frhr. von Stetten,
Wolfgang
Stockhausen, Karl
Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael
Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon
Tillmann, Ferdinand
Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({45}), Friedrich Vogt ({46}), Wolfgang
Dr. Voigt ({47}),
Hans-Peter
Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor
Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen
Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({48}), Herbert Wetzel, Kersten
Wiechatzek, Gabriele
Dr. Wieczorek ({49}), Bertram
Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd
Wimmer ({50}), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({51}),
Simon
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
SPD
Adler, Brigitte Andres, Gerd
Antretter, Robert
Vizepräsident Hans Klein
Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika Bartsch, Holger
Becker ({52}), Helmuth Berger, Hans
Bernrath, Hans Gottfried Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Bock, Thea
Dr. Böhme ({53}), Ulrich Brandt, Willy Brandt-Elsweier, Anni Dr. Brecht, Eberhard Büchler ({54}), Hans Büchner ({55}), Peter
Dr. von Bülow, Andreas Büttner ({56}), Hans Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter
Dr. Däubler-Gmelin, Herta Dr. Diederich ({57}), Nils Diller, Karl
Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf
Dr. Eckardt, Peter
Dr. Ehmke ({58}), Horst Eich, Ludwig
Dr. Elmer, Konrad Esters, Helmut
Ewen, Carl
Ferner, Elke
Fischer ({59}), Evelin
Fischer ({60}), Lothar Formanski, Norbert Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gleicke, Iris
Graf, Günter
Großmann, Achim Haack ({61}),
Karl-Hermann Habermann, Frank-Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hampel, Manfred Eugen Hanewinckel, Christel
Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus
Dr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Hiller ({62}), Reinhold Horn, Erwin
Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janz, Ilse
Dr. Janzen, Ulrich Jaunich, Horst
Dr. Jens, Uwe
Jung ({63}), Volker Jungmann ({64}), Horst Kastner, Susanne
Kastning, Ernst Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich
Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf
Kolbe, Regina
Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf
Dr. Kübler, Klaus Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe
Lange, Brigitte
von Larcher, Detlev Leidinger, Robert
Lennartz, Klaus
Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann ({65}), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß ({66}), Dieter Marx, Dorle
Mascher, Ulrike
Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide
Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert
Dr. Mertens ({67}), Franz-Josef
Dr. Meyer ({68}), Jürgen Mosdorf, Siegmar
Müller ({69}), Michael Müller ({70}), Jutta Müller ({71}), Christian Müntefering, Franz
Neumann ({72}), Volker Neumann ({73}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith
Dr. Niese, Rolf
Niggemeier, Horst Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan
Opel, Manfred
Ostertag, Adolf
Dr. Otto, Helga
Paterna, Peter
Dr. Penner, Willfried
Peter ({74}), Horst
Dr. Pfaff, Martin
Pfuhl, Albert
Dr. Pick, Eckhart
Poß, Joachim
Purps, Rudolf
Rappe ({75}), Hermann Reimann, Manfred
von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd
Rixe, Günter
Roth, Wolfgang Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter
Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Willy Schily, Otto
Schloten, Dieter
Schluckebier, Günter Schmidbauer ({76}), Bernd
Schmidt ({77}), Ursula Schmidt ({78}), Renate Schmidt ({79}), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina
Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil
Schreiner, Ottmar
Schröter, Gisela
Schröter, Karl-Heinz
Schütz, Dietmar
Schulte ({80}), Brigitte Dr. Schuster, Werner Schwanhold, Ernst
Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes
Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid
Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland
Dr. Sperling, Dietrich
Steiner, Heinz-Alfred Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim
Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Dr. Vogel, Hans-Jochen
Voigt ({81}), Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans
Waltemathe, Ernst Walter ({82}), Ralf
Walther ({83}), Rudi Wartenberg ({84}), Gerd
Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara
Weis ({85}), Reinhard Weißgerber, Gunter Weisskirchen ({86}), Gert Welt, Hans-Joachim
Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge
Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun
Dr. Wieczorek, Norbert Wiefelspütz, Dieter Wimmer ({87}),
Hermann
Dr. de With, Hans Wittich, Berthold
Wohlleben, Verena Ingeburg Wolf, Hanna
Zapf, Uta
F.D.P.
Albowitz, Ina
Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Cronenberg ({88}),
Dieter-Julius
Eimer ({89}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg
Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul
Friedrich, Horst Funke, Rainer
Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret
Gallus, Georg
Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, Martin
Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk
Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoth, Sigrid
Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich
Kleinert ({90}), Detlef Kohn, Roland
Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Koppelin, Jürgen
Kubicki, Wolfgang
Dr. Graf Lambsdorff, Otto Lüder, Wolfgang
Lühr, Uwe
Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich
Otto ({91}), Hans-Joachim
Peters, Lisa
Dr. Pohl, Eva
Richter ({92}), Manfred
Rind, Hermann
Dr. Röhl, Klaus
Schäfer ({93}), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt ({94}), Arno Dr. Schmieder, Jürgen Schüßler, Gerhard
Schuster, Hans
Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marna Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid
Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen
Dr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-Ludwig
Dr. Thomae, Dieter
Timm, Jürgen
Türk, Jürgen
Walz, Ingrid
Dr. Weng ({95}), Wolfgang
Wolfgramm ({96}), Torsten
Würfel, Uta
Zurheide, Burkhard Zywietz, Werner
Bündnis 90/GRÜNE
Poppe, Gerd
Schulz ({97}), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Wollenberger, Vera
Fraktionslos
Henn, Bernd Lowack, Ortwin
Nein
SPD
Koschnick, Hans PDS/LL
Bläss, Petra
Dr. Enkelmann, Dagmar
Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor
Dr. Heuer, Uwe-Jens
Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Dr. Seifert, Ilja
Fraktionslos
Dr. Briefs, Ulrich
Enthalten
Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige, Klaus-Dieter Schenk, Christina
Weiß ({98}), Konrad
Vizepräsident Hans Klein
Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags. Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung stelle ich fest, daß die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
({99})
Wir müssen jetzt noch über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes, Drucksachen 12/1801 12/2411, abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter vorgetragenen Änderungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten sofort in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer lehnt den Entwurf ab? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir fahren in unserer Aussprache über die Gesetzentwürfe zur Asylpolitik fort. Als nächstem erteile ich dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abbau der Kontrollen im Personen- und Warenverkehr an den gemeinsamen Grenzen der europäischen Staaten war und ist politisches Ziel der Union: Europa als Modell freier, demokratischer, sozialer und grenzüberschreitender Ordnung. Dabei unterstützen wird die Politik des Bundeskanzlers, der fest entschlossen ist, das historische Werk europäische Einigung zu vollenden, und dies, weil es für die Länder des Kontinents die einzige Chance ist, sich auf Dauer in Freiheit, in Eigenständigkeit und Sicherheit zu behaupten. Sicherheit, das heißt auch innere Sicherheit. Insoweit war die Kontrolle an den Grenzen der Bundesrepublik ein wichtiger Bestandteil unseres Sicherheitssystems und dies insbesondere in drei Bereichen: der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität und der Geldfälschung, der Verschiebung hochwertiger Güter und der Ein- und Ausfuhr von Waffen und Sprengstoffen.
Wir werden, meine Damen und Herren, sicherzustellen haben, den nicht nur alarmierenden Anstieg, sondern die qualitative Veränderung dieser Verbrechen erfolgreich zu bekämpfen. Es ist notwendig, durch geeignete Maßnahmen den Verlust an innerer Sicherheit zu kompensieren; denn das organisierte Verbrechen hat für seine kriminellen Zwecke das vereinte Europa zum großen Teil bereits geschaffen. Diese Leute arbeiten schon heute international und mit Mitteln der modernsten Technik.
Ich meine, dies hat die Bundesregierung in ihren Verhandlungen sehr ernstgenommen. Sie hat eine Reihe vernünftiger Maßnahmen durchgeführt. Ich darf an das gemeinsame Fahndungssystem, an Erleichterungen und Vereinfachungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe, an die Bestimmungen über Auslieferung sowie an die Harmonisierung der Sichtvermerkspolitik für Drittländer erinnern. Einbußen im Bereich der inneren Sicherheit darf es nicht geben, und es wird sie auch nicht geben.
({0})
Nun zum zweiten Teil der Innenpolitik, dem asylrechtlichen Teil des Schengener Abkommens und dem Unionsantrag auf Ergänzung des Grundgesetzes.
Aus gutem Grund haben wir in Artikel 16 des Grundgesetzes das Grundrecht auf Asyl garantiert. Asylrecht wird es auch künftig geben. Hiervon geht unser Antrag zur Ergänzung des Grundgesetzes aus.
Aber wir alle wissen, und die Anerkennungszahlen belegen dies: Ganz überwiegend reisen bei uns Ausländer ein, die nicht politisch verfolgt werden. Daher ist unser Ziel, kurzfristig den Asylbewerberzugang durch gesetzliche Maßnahmen kontrollierbar zu machen, kurzfristig den Asylmißbrauch zu beenden; denn die Menschen in unserem Lande erwarten, daß wir jetzt endlich vernünftige Lösungen dieses Problems anbieten.
({1})
Die Union hat deswegen wiederholt eine Veränderung der Rechtslage gefordert. Aber hierzu ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Wir brauchen Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren der SPD, und Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren der F.D.P., zu einer Grundgesetzänderung. Darauf kommt es an.
({2})
Nun haben wir, meine Kollegen der SPD, gemeinsam Gespräche zur Reform des Asylverfahrensrechtes geführt. Ich hatte die Hoffnung, daß wir auch in bezug auf andere Punkte zu einer Lösung kommen könnten. Ich habe diese Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Wenn ich als Ruhrgebietler mit Bürgermeistern des Ruhrgebietes spreche, dann sagen die mir: Helft uns endlich! Ändert das Grundgesetz! Handelt endlich! Es sind zum großen Teil sozialdemokratische Bürgermeister, die dieses für richtig halten.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir haben das Asylverfahrensgesetz. Wir werden z. B. die Gerichtsverfahren etwas beschleunigen. Aber unser Ziel, die Gerichtsverfahren innerhalb von zwei Wochen zu beenden, werden wir nicht erreichen. Das beispielsweise ist eine Konsequenz aus dem Gesetz. Wir werden nicht in der Lage sein, die kurzen Fristen zu realisieren.
Dies bedeutet höhere Kosten. Dies bedeutet mehr Sammellager in der Bundesrepublik Deutschland, die Sie, Herr Kollege, vor Ort auch nicht akzeptieren. Das ist das Problem, das wir lösen müssen.
Nicht nur das Ergebnis der Anhörung, sondern auch die Wahlen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben uns gezeigt, daß wir eine Politik gegen den Bürger in Fragen der Asylpolitik nicht betreiben können, zumindest nicht auf Dauer; da hat der Bundesinnenminister vollkommen recht.
Deswegen sage ich: Wir wollen Regelungen, auf Grund derer wir gleichberechtigt und nicht hinkend am Schengener Abkommen teilhaben. Es kann doch nicht sein, daß wir Aufnahmeverpflichtungen eingehen, während wir auf der anderen Seite Abgabenverpflichtungen erfüllen müssen. Das gilt doch für alle Vertragsstaaten. Ich sage Ihnen: Da gibt es keine Lösung.
Wenn Sie sagen, der Blick über die Grenzen sei vonnöten, Herr Kollege Wartenberg, entgegne ich Ihnen: Es gibt kein Land in der Welt, das eine so liberale Lösung der Asylrechtsproblematik hat wie die Bundesrepublik Deutschland. Wir werden keine Chance haben, unsere Asylvorstellungen in der Welt durchzusetzen.
Deswegen zum Schluß meine Forderungen an die SPD und an die F.D.P. Erstens. Verabschieden Sie mit uns gemeinsam das Asylverfahrensgesetz! Das muß so schnell wie möglich kommen, meine Kollegen der F.D.P. Zweitens. Sagen Sie Ja zum Schengener Abkommen! Drittens. Stimmen Sie der notwendigen Grundgesetzänderung zu! Es darf keine deutsche Sonderlösung auf dem gemeinsamen Weg nach Europa geben.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben mich eben „Asylant" genannt. Ich kann das im Unterschied zu Ihnen nicht als Beschimpfung empfinden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Es war auch nicht
so gemeint!
Die Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind sicherlich die bedeutendsten innerhalb des Grundgesetzes selbst. Sie regeln die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und sind Ergebnis der Entwicklung der Menschenrechte seit der großen Französischen Revolution. Es ist deshalb kein Zufall, daß dieses Parlament bisher nur zweimal in seiner Geschichte in die Grundrechte eingriff: einmal 1956, als es um die Wiederaufrüstung und die Schaffung der Bundeswehr ging, und einmal 1968, als es um die Einführung der Wehrpflicht und die Notstandsgesetzgebung ging. Wie ich finde, haben sich die beiden Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht bewährt.
({0})
An Hand der politischen Fragestellungen damals wird aber deutlich, wie schwergewichtig die Fragen sind, um die es hier geht. Denn es ging jeweils um Schlußfolgerungen, die aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 gezogen wurden. Das gilt auch für das Grundrecht auf politisches Asyl. Denn damals war die Erfahrung gemacht worden, daß die wirklichen deutschen Patrioten und viele andere Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden, darauf angewiesen waren, nicht nur ihr Land zu verlassen, sondern vor allem in einem anderen Land politisches Asyl zu finden.
Herr Kollege Gysi, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen? - Meine Damen und Herren von der F.D.P.-Fraktion, wenn Sie vielleicht die kleine Fraktionssitzung in einem anderen Raum abhielten, käme dies dem Redner zugute.
({0})
Es handelt sich aber offensichtlich um eine Fraktion innerhalb der Fraktion, wenn Sie genau hinsehen. Das scheint in letzter Zeit typisch zu sein.
Ich glaube, ich war gerade bei einem wichtigen Thema. Lassen Sie mich hinzufügen, daß in den letzten Jahrzehnten in den anderen europäischen Staaten viel Kritik an den Regierungen dafür geübt wurde, daß sie in den Jahren zwischen 1933 und 1945 solchen Menschen, die in Deutschland verfolgt wurden, nicht ausreichend Asyl gewährt haben. Zum Teil wurden sogar Juden an den Grenzen mit der Begründung abgewiesen, daß sie Wirtschaftsflüchtlinge seien. Ich darf auch an diese Parallele erinnern.
Das Besondere besteht ja gerade darin, daß nach Art. 16 des Grundgesetzes der Staat nicht im Einzelfall Asyl faktisch als eine Art Gnadenakt gewährt, wie es z. B. leider in der DDR geregelt war, sondern daß die bzw. der einzelne einen Rechtsanspruch auf Asyl hat, wenn er oder sie in dem Land, aus dem er bzw. sie kommt, politisch verfolgt wird.
In den ersten Jahren wurde Art. 16 betont weit ausgelegt. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil vom 4. Februar 1959 fest:
Das Asylrecht wurde allgemein im Parlamentarischen Rat als das Recht bezeichnet, das dem Ausländer gewährt wird, welcher in seinem eigenen Land nicht mehr leben kann, weil er durch das politische System seiner Freiheit, seines Lebens oder seiner Güter beraubt wird. Schon diese Erwägungen legen es nahe, den Begriff des politisch Verfolgten nicht eng auszulegen. Eine weite Auslegung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes entspricht nicht nur dem Geist, in dem er konzipiert worden ist, sondern auch der Situation, für die er gemünzt war. Sie ist gekennzeichnet durch tiefgreifende gesellschaftspolitische und weltanschauliche Gegensätze zwischen Staaten, die wesensverschiedene innere Strukturen entwickelt haben. In einer Reihe von Staaten wird zur Durchsetzung und Sicherung politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen die Staatsgewalt in einer Weise eingesetzt, die den Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie widerspricht . Das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes sollte auch dieser Notlage Rechnung tragen. Dem muß seine Auslegung entsprechen.
Soweit das Zitat aus dem Urteil.
Natürlich war das damals in erster Linie auf Flüchtlinge aus den real existierenden sozialistischen LänDr. Gregor Gysi
dern bezogen. Aber die Erwägungen, die das Bundesverfassungsgericht anstellte, haben nichts an Gültigkeit verloren. Wenn heute z. B. Frauen im Iran nur deshalb öffentlich ausgepeitscht werden, weil sie zusammen mit Männern in einem Auto fahren, dann spricht dies eben dafür, daß es sich um einen Staat handelt, der - ich zitiere wieder das Bundesverfassungsgericht zur Durchsetzung und Sicherung politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen die Staatsgewalt in einer Weise einsetzt, die den Grundsätzen freiheitlicher Demokratie widerspricht.
Dennoch wurde in dem gerade beschriebenen Fall der Antrag der betroffenen Iranerin auf Asyl vom Gericht mit der Begründung abgewiesen, daß in einer ähnlichen Situation alle Frauen im Iran eine gleiche Behandlung erfahren hätten und damit eine Gleichbehandlung der Frauen im Iran gesichert sei, so daß politisches Asyl nicht gewährt werden könne.
({0})
Diese Auffassung des Gerichts ist nicht nur gleichermaßen abenteuerlich und inhuman, sondern widerspricht eben auch ganz eindeutig dem gerade zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
({1})
Die Rechtsprechung der Gerichte entspricht also leider schon längst der inzwischen von Ihnen geschürten Diskussion. Art. 16 des Grundgesetzes wird immer enger ausgelegt, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine gegenteilige Forderung aufstellte.
Der frühere Bundesinnenminister Schäuble hat sich ja auch schon lobend darüber geäußert, in wieviel Fällen der Bundesgrenzschutz Asylbewerberinnen und Asylbewerber gleich an der Grenze abgewiesen hat, obwohl dies nun eindeutig den rechtlichen Bestimmungen widerspricht.
In Anbetracht dieser Rechtspraxis muß man sich fragen, was denn mit der Grundgesetzänderung eigentlich bezweckt ist, wenn nicht eine noch weitere Beschneidung des Asylrechts. In der Diskussion werden zwei Vokabeln immer wieder verwendet, die eine bestimmte Stimmung in der Bevölkerung schüren sollen. Es handelt sich hier um die Begriffe Asylmißbrauch und Wirtschaftsflüchtlinge. Übrigens werden diese Begriffe leider auch von der SPD benutzt.
Lassen Sie mich etwas zum Begriff des Asylmißbrauchs sagen. Gemeint ist damit, daß Bürgerinnen und Bürger einen Antrag auf Gewährung von Asyl stellen, der sich dann als unbegründet herausstellt. Ein solcher Fall wird als „Mißbrauch" deklariert. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß ich die Verwendung dieses Begriffs bei der Entwicklung eines Rechtsbewußtseins für äußerst gefährlich halte. Es ist doch etwas völlig Normales, daß Anträge an das Gericht gestellt werden, die sich als unbegründet herausstellen. Man kann davon ausgehen, daß in etwa die Hälfte aller Klagen und die Hälfte aller Rechtsmittel bei Gericht keinen Erfolg haben. Wäre dies nicht so, würde dies bedeuten, daß die jeweiligen Antragsgegner - die Verklagten sowie die Berufungs- und Revisionsgegner - immer unterliegen müßten. Aber es ist noch niemand auf die Idee gekommen, den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland, die bei Gericht einen Antrag stellen, eine Klage erheben oder ein Rechtsmittel einlegen, das letztlich als unbegründet zurückgewiesen wird, deshalb einen Mißbrauch des Klagerechts oder einen Mißbrauch des Rechtsmittelrechts vorzuwerfen. Geschähe dies, wäre damit eine erhebliche Einschränkung normaler rechtsstaatlicher Verfahrensrechte verbunden.
Wenn es gerade beim Asylantrag an eine Verwaltungsbehörde bzw. an ein Gericht so formuliert wird, daß es sich um einen Mißbrauch handelt, wenn der Antrag nicht begründet ist, dann ist das eine Diskreditierung von Ausländerinnen und Ausländern. Das wiegt um so schwerer, als es sich hier um ein Grundrecht handelt, was nicht gleichermaßen für alle anderen Anträge bei Gericht zutrifft.
Jeder hier im Saal weiß, mit welchen Bürgerkriegen wir es im Jahre 1991 in Jugoslawien zu tun hatten. Dennoch wird auch für diese Bürgerinnen und Bürger, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, ernsthaft von einem Mißbrauch des Asylrechts gesprochen. Laut „Welt" vom 7. März 1992 ist der wegen seiner rassistischen Äußerungen sattsam bekannte Innenminister Stoiber
({2})
- das müssen Sie bloß nachlesen - noch einen Schritt weitergegangen und hat für Jugoslawinnen und Jugoslawen eine Visumpflicht verlangt, obwohl natürlich auch er ausreichend Phantasie besitzt, um sich auszurechnen, daß die Betroffenen im Augenblick keine ernsthafte Chance haben, in die Hauptstadt Jugoslawiens bzw. in die serbische Hauptstadt zu reisen, um sich ein Visum zu holen.
Für ebenso verfehlt halte ich den Begriff der Wirtschaftsflüchtlinge. Hiermit soll den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land suggeriert werden, daß die meisten Ausländerinnen und Ausländer nach Deutschland kommen, weil sie ein Leben im Luxus führen wollen, das ihnen in ihren Heimatländern vorenthalten wird. Dabei wird nicht erwähnt, daß es sich häufig um Menschen handelt, die in ihren Heimatländern Hunger leiden und die einfach im Interesse ihres Überlebens den Schritt zur Flucht gehen. Es sind ja wohl auch die wenigsten, die anschließend in der Bundesrepublik ein luxuriöses Leben führen.
Es kann als eine gesicherte Tatsache betrachtet werden, daß Menschen nur ungern ihre Heimat verlassen. Die meisten sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge kommen also aus wirklicher Not. Ein Mensch, der in seiner Heimat nicht oder kaum noch existieren kann, muß meines Erachtens auch als verfolgt gelten, denn das erste Menschenrecht ist doch wohl immer noch das Recht auf Leben.
({3})
In der Menschenrechtsdiskussion in der DDR spielte immer die Kritik daran eine große Rolle, daß deren Regierung die Menschenrechte immer nur als die
sozialen Rechte sehen wollte und die politischen ausschloß. Aber ich sage: Es ist ebenso falsch, nur die politischen Rechte zu sehen und die sozialen auszuschließen, die eine Grundlage dafür sind, daß man politische Rechte in Anspruch nehmen kann.
Übrigens: Mit dieser Auffassung stehe ich gar nicht so allein. Ich darf hier einmal laut „Kölnischer Rundschau" vom 4. September 1989 den Herrn deutschen Bundeskanzler zitieren. Er sagte damals wörtlich:
Ich habe etwas dagegen, daß hier bei uns in der Bundesrepublik der eine oder andere sagt: Die kommen ja nur aus wirtschaftlichen Gründen. Ja, meine Damen und Herren, die private Wohlfahrt, eine Verbesserung des eigenen Wohlstands gehören auch zu den Menschenrechten.
Soweit das Zitat des Kanzlers. Natürlich meinte er damals die Flüchtlinge aus der DDR, aber ich finde, es gilt gleichermaßen für Polen, Ungarn, Russen oder auch Afrikanerinnen und Afrikaner.
Ich stütze mich dabei übrigens auch auf das Grundgesetz. In Art. 1 Abs. 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." - Nicht die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar, nein, die Würde des Menschen ist unantastbar, völlig unabhängig von seiner Nationalität! In Art. 3 Abs. 1 heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." - Auch dort wird nicht auf den deutschen Menschen abgehoben. In Art. 3 Abs. 3 heißt es sogar:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
({4})
Ich frage mich, wie Sie die geplanten gesetzlichen Regelungen mit diesen Grundsätzen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung bringen wollen.
Die gesamte Debatte, wie sie insbesondere durch die CDU/CSU in den letzten Monaten bezüglich des Asylrechts geführt wurde, hat meines Erachtens erhebliche negative Auswirkungen auf das Klima der Bundesrepublik Deutschland und damit auch auf das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehabt. Wer rechtsradikale Parolen salonfähig macht, erreicht damit bei Wahlen zwar keinen eigenen Stimmengewinn, wie die letzten Landtagswahlen gezeigt haben, macht damit aber rechtsradikale Parteien parlamentsfähig. Denn auch hier gilt die alte Regel: Wenn schon, dann wählen die Menschen das Original und nicht das Duplikat.
({5})
Natürlich ist auch den Mitgliedern meiner Gruppe klar, daß in der Bundesrepublik Deutschland nicht sämtliche Menschen der übrigen Welt Platz haben, aber es besteht auch keine Gefahr, daß sie alle kommen. In diesem Zusammenhang kritisiere ich die Dramatisierung der Zahlen, mit denen ständig operiert wird, um Angst zu schüren. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden schon mehr Menschen in einem Jahr aufgenommen als im Jahre 1991, so daß zur Dramatisierung gar kein Grund besteht.
({6})
Wenn ich davor warne, eine Dramatisierung vorzunehmen, so bedeutet das nicht, daß ich nicht anerkenne, daß es kommunal ernst zu nehmende Probleme gibt, die einer Lösung bedürfen. Aber diese Lösung kann mit Hilfe der Bundesregierung gefunden werden, nicht jedoch auf Kosten der Ausländerinnen und Ausländer und auch nicht durch die Änderung des Grundgesetzes. Es war natürlich auch von Übel, unmittelbar nach Herstellung der deutschen Einheit eine völlig gleichberechtigte Quotierung der Bewerberinnen und Bewerber hinsichtlich des Asyls für die neuen Bundesländer zu verlangen, obwohl die sachlichen und personellen Voraussetzungen dort nicht vorlagen und obwohl man wußte, welche Stimmung man damit schürt. Während man bei allen anderen Fragen sagte: Da müßt ihr noch Jahre und Jahrzehnte warten, bis ihr gleiche Ansprüche habt, wurde hier sofort scheinbar Gleichheit hergestellt. Viele Kommunen brauchen also Hilfe, aber eben nicht die Änderung des Grundgesetzes.
Wir werden aber auch der Änderung des Art. 24 des Grundgesetzes nicht zustimmen, weil damit ja wohl zusätzlich erreicht werden soll, daß die Bundesregierung zukünftig über völkerrechtliche Verträge auch noch die nunmehr geplante Regelung des Art. 16 des Grundgesetzes unterlaufen darf. Dann wäre es schon ehrlicher, Sie forderten gleich die Abschaffung und sagten, was Sie wirklich wollen.
Im übrigen halte ich die ganze Debatte auch so lange für verlogen, solange aus wirtschaftlichen Gründen nach wie vor Ausländerinnen und Ausländer in unser Land geworben werden. Allein im letzten Jahr waren es über 150 000. Ich finde, daß die Heuchelei ihren Höhepunkt findet, wenn über ein Einwanderungs- und Zuwanderungsgesetz die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften zusätzlich legitimiert wird, gleichzeitig aber das Asylrecht eingeschränkt werden soll.
Aus den gleichen Gründen müssen wir auch die Ratifizierung des Schengener Abkommens ablehnen. Hier wird versucht, eine „Festung Europa" zu zementieren. Es macht die Einschränkung des Asylrechts in der Bundesrepublik nicht besser, wenn darauf hingewiesen wird, daß dies auch in anderen führenden Industriestaaten der Fall ist. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Bestimmungen dieses Abkommens zeigt darüber hinaus, daß hier auch ein erheblicher Abbau an Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit vorgesehen ist. Im Grunde genommen regelt das Abkommen, daß fast jede Ausländerin und fast jeder Ausländer, soweit er nicht aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft stammt, als verdächtig zu behandeln ist. Eingeführt werden soll z. B. die verdeckte Registrierung. Ich hatte gehofft, daß diese Methoden der Vergangenheit angehören. Interessant ist es auch zu lesen, in welchen Fällen eine solche verdeckte Registrierung erfolgen soll: u. a. dann, wenn der Verdacht besteht, daß von der Person eine Gefährdung der Sicherheit des Staates oder der öffentlichen Ordnung ausgeht. Das sind Begriffe, die mir aus dem RechtsDr. Gregor Gysi
wesen der DDR noch sehr geläufig sind, und ich weiß, wie sie mißbraucht wurden.
Ich füge hinzu: Ursprünglich hieß es sogar „Staatssicherheit", aber auf Wunsch der deutschen Seite wurden dann mehrere Genitive gebildet, so daß es jetzt „Sicherheit des Staates" heißt. Das ändert aber nichts an der Identität dieser Begriffe.
Bemerkenswert ist auch, daß die Bundesregierung trotz der Vorbehaltsklauseln natürlich ständig an einem Abkommen gearbeitet hat, von dem sie wußte, daß es grundgesetzwidrig ist, und das sagt etwas über die Einstellung dieser Bundesregierung aus.
Herr Gysi, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Da der Herr Präsident darauf besteht, daß ich meine Rede splitte, muß ich Ihnen nunmehr sagen: Fortsetzung folgt.
({0})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor nunmehr sieben Jahren vereinbaren die Regierungen Frankreichs, der Benelux-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, daß im Kernbereich der Europäischen Gemeinschaft zwischen diesen Ländern für den Personen- und Warenverkehr die Grenzen vollständig und kurzfristig abgebaut werden sollten. Das war der Elan, das war die Vision, die Kohl und Mitterrand nach Schengen brachten, die sie 1985 das Schengener Übereinkommen unterzeichnen ließen. Über die Durchführung dieses Abkommens sprechen wir heute. Man hat fünf Jahre verhandelt, um das Werk zustande zu bringen, mit dem wir uns heute befassen - fünf Jahre, in denen viel gelungen ist, was vorher nicht möglich erschien.
Wir haben - und Herr Minister Seiters hat in dem Teil der Rede, die die Ministerrede war, ja darauf hingewiesen - hier ein Vertragswerk vorliegen, das europäisch einen Datenschutzstandard bringt, der unseren Normen im wesentlichen angemessen ist, wir haben ein Vertragswerk, das den Sicherheitsausgleich bewirkt für das, was duch Grenzöffnung möglicherweise oder befürchteterweise kommen kann. Tausende von Straftaten werden durch das Schengener System verhindert und viele Aufklärungen hoffentlich möglich werden. Dieser Bereich ist absolut und uneingeschränkt unterstützenswert.
Wir Freien Demokraten sagen Ja zum Schengener Übereinkommen, zur Durchführung des Schengener Übereinkommens, Ja ohne Wenn und Aber, ohne irgendeinen Zusatz.
({0})
Wir danken heute ausdrücklich Herrn Staatsminister a. D. Stavenhagen und seinen Mitarbeitern für das Werk, das sie in den fünf Jahren bis 1990 zustande gebracht haben.
({1})
Meine Damen und Herren, wir wollen die Ratifizierung schnell. Wir werden aber in den Ausschüssen gründlich prüfen, wie weit rechtsstaatliche Sorgen, die insbesondere in einigen Bundesratsstellungnahmen sichtbar geworden sind, bis zum Inkrafttreten abgebaut werden können. Wir werden dazu auch die kritischen Hinweise zu den Gefahren der Ausbreitung der Handfeuerwaffen berücksichtigen müssen; denn es kann ja wohl nicht sein, daß wir Kriminalitätserleichterung mit einem Abkommen schaffen, das der Kriminalitätsverhinderung dienen soll.
Wir werden auch hören, was der Datenschutzbeauftragte zu der Stellungnahme der Bundesregierung zum Datenschutzbereich sagt. Wir müssen diese Fragen im Gesetzgebungsverfahren prüfen. Wir werden darauf bestehen, daß, wie im Abkommen vorgesehen, das Durchführungsabkommen zum Schengener Übereinkommen erst in Kraft tritt, wenn in allen Mitgliedstaaten die datenschutzrechtlichen Sicherheitsbestimmungen, insbesondere durch Anerkennung der Datenschutzkonvention des Europarats, festgelegt sind.
Meine Damen und Herren, ich bin Herrn Seiters dankbar für die Fairneß, daß er klargelegt hat, was er als Minister eingebracht hat und was er als Abgeordneter bemerkt hat. Aber es sind dringend einige Ausführungen erforderlich, um deutlich zu machen, daß hier nicht mehr vom Schengener Abkommen die Rede war. Über das Asylrecht und über die Asylthemen wird mein Kollege Dr. Hirsch nachher noch detailliert Stellung nehmen. Aber eines kann ich schon festhalten: Im Schengener Übereinkommen ist keine Notwendigkeit begründet, die Verfassung zu andern.
({2})
Wenn wir dazu einen Zeugen brauchen, so zitiere ich das Schengener Übereinkommen von 1985, das unsere Bundesregierung unter der Leitung von Bundeskanzler Kohl unterzeichnet hat. Hier ist ausdrücklich festgehalten, daß zur Durchführung dieses Übereinkommens Maßnahmen der Gesetzgebung erforderlich werden können, die den nationalen Parlamenten - und jetzt kommt es - im Rahmen der jeweiligen Verfassungen der Unterzeichnerstaaten unterbreitet werden müssen - „im Rahmen der ... Verfassungen" und nicht „durch Änderung ... der Verfassungen" .
({3})
Zu diesem Wort des Bundeskanzlers stehen wir auch heute.
Auch müssen wir sehen, daß wir mit den Vorschlägen, die im Gruppenantrag der Unionsabgeordneten gemacht worden sind, im Verhältnis zur Gesamtproblematik praktisch nichts lösen.
({4})
- Ich habe es formell, aus Koalitionsgründen, nicht als Fraktionsantrag gesehen. Aber ich nehme das, Herr Dr. Schäuble, gerne zur Kenntnis.
({5})
Wir werden uns mit dem Thema Schengen nur dann auseinandersetzen können, wenn wir wissen, daß Schengen der Durchbruch zu einem grenzfreien Europa war und nicht dazu bestimmt war - lesen Sie nach, was die Bundesregierung 1990 selbst gesagt hat -, hier ein Asylthema „aufzumachen" .
Um wieviel Menschen geht es denn überhaupt? Es geht, wenn ich es richtig weiß, um weniger als 1 000 Personen, die aus den Schengener Vertragsstaaten kommen. Die 200 000, die uns die Sorgen machen, verhindern wir doch nicht mit einem Schengener Vertrag.
({6})
Warum hat die Bundesregierung das Dubliner Abkommen, das die ganze EG umfaßt, unterzeichnet, aber hier bis heute nicht vorgelegt, wenn es hier nur um einen ersten Einstieg in die Freiheit innerhalb Europas geht und dabei ein Asylverfahrensrecht innerhalb unserer Verfassung vorgesehen ist, zu dem wir stehen?
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte ist mit dem Asylthema weit über Schengen hinaus verknüpft; das sehe ich sehr wohl. Deswegen haben wir die Arbeitsteilung vorgenommen, daß Herr Dr. Hirsch zu dem Teil nachher noch detailliert Stellung nimmt. Aber daß es mit Schengen nichts zu tun hat, mußte an dieser Stelle deutlich gesagt werden.
Wir wollen, daß Europa Wirklichkeit wird, wir wollen das Europa der Bürger. Dazu ist auch ein materiell-einheitliches europäisches Asylrecht erforderlich. Dieses materiell-einheitliche europäische Asylrecht auf der Grundlage und im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention anzustreben, es in der Harmonisierung zu wollen, darauf kommt es an.
Herr Seiters, Sie haben dann gesagt, Sie bräuchten erst die - durch Schengen notwendige - Verfassungsänderung, um darüber verhandeln zu können. Dem können wir nicht zustimmen. Wir sind der Meinung, daß wir in die Gesamterörterung der Harmonisierung des materiellen Asylrechts einsteigen und dabei auch einen Verfahrensweg finden müssen - nach unserer Auffassung mit der Verfassung übereinstimmend.
Im übrigen schließe ich mich dem an, was Herr Wartenberg gesagt hat: Zum materiellen Recht des rechtsstaatlichen Europa werden wir Ja sagen. Wir wollen nicht pingeliger und rechtsstaatlich nicht klüger als andere Rechtsstaaten in Europa sein.
({7})
Nicht am deutschen Asylwesen soll die Welt genesen. Aber wir wollen materiell wissen, daß wir hier keinen Sonderweg gehen.
Zum Schengener Abkommen sagen wir ja, weil wir für die Bürger die Möglichkeiten der Reisefreiheit wollen, weil wir für die Bürger Sicherheit durch entsprechende Bestimmungen zur Kriminalitätsverhinderung wollen, weil wir für die Bürger wollen, daß Freiheit in Europa geschieht.
Wir machen Europa akzeptabel, wenn wir Schengen schnell in die Wirklichkeit umsetzen, ohne draufzusatteln, ohne Wenn und Aber. Wir sagen zum Schengener Abkommen uneingeschränkt ja.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag ist ein dunkler Tag in der jungen Geschichte unseres wiedervereinigten Landes.
({0})
Ein Menschenrecht, ein Grundrecht, das die besten deutschen Männer und Frauen mit ihrem Blut unter unsäglichen Opfern erkämpft haben, wird hier und heute leichtfertig zur Disposition gestellt.
({1})
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dies war und ist einer der kostbarsten Sätze, die je in deutscher Sprache geschrieben wurden.
({2})
Er wurde geschrieben aus der unmittelbaren Erfahrung der Schuld, der Verfolgung und des Leidens. Er konnte geschrieben werden, weil deutsche Frauen und Männer an der eigenen Seele erfahren hatten, was es heißt, als Verfolgte eine Zuflucht zu finden, als Ausgestoßene willkommen zu sein, als Geächtete geachtet zu werden. Er mußte geschrieben werden, weil deutsche Männer und Frauen im Innersten erschüttert waren von der Schuld, an der sie schweigend, duldend oder tätig Anteil hatten. Er durfte geschrieben werden, weil sie ein besseres Deutschland beginnen wollten, ein Deutschland, das keine Mauern baut.
Sechs Jahrzehnte hatte dieses Land zu leiden unter dem Wahn derer, die das Deutschsein zur Religion erhoben hatten und alles „Undeutsche", wie sie es nannten, verfolgten, vertrieben und vernichteten. Die Folge war ein zerstörtes und geteiltes Land, waren Millionen Tote, waren Ächtung und Verachtung. Ist denn vergessen, wie unendlich mühevoll es war, bis wir Deutschen wieder Achtung und Vertrauen fanden, bis wir heimkehren konnten in die Völkerfamilie, bis dieses Land ein demokratisches Deutschland geworden ist?
Es erfüllt mich mit Trauer und Scham, wenn nun so kurz nach der Wiedervereinigung das alles vergessen zu sein scheint.
({3})
Es ist eine Schande, daß in unserem Land Ausländer beschimpft werden. Wollen Sie das denn ernsthaft bestreiten? Es ist eine Schande, daß Ausländer beschimpft und angegriffen werden, daß mit Ausländerfeindlichkeit Wahlkampf gemacht wird
({4})
Konrad Weiß ({5})
und daß Rechtsradikale in deutsche Parlamente gewählt werden.
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Es ist eine Schande, daß in diesem Land ungestraft nationalsozialistische Pamphlete verbreitet werden dürfen und sich ein deutscher Staatsanwalt weigert, dagegen vorzugehen. So geschehen in Schwedt in Brandenburg im Dezember 1991.
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Ich kann Ihnen den Unflat nicht ersparen. Ungestraft wird da gefordert: „Schluß mit den Holocaust-Vorwürfen! " Ungestraft werden „Treue und Opfersinn, Kameradschaft und Ehre" der feigen diebischen Mörderbande der SS verherrlicht. Und ungestraft wird behauptet, daß Ausländer für „mehr Kriminalität, mehr Vergewaltigung, mehr soziale Unruhen, mehr Umweltverschmutzung, Überfremdung, Fremdbestimmung und antideutsche Propaganda" verantwortlich seien. Wieder wird gebrüllt: „Deutschland den Deutschen!" und: „Ausländer raus!".
So widerwärtig es ist, es gehört leider zur gegenwärtigen Debatte, daß uns dieser dumpfe Ausländerhaß, der sich breitmacht und breitgemacht hat, in seiner ganzen Schäbigkeit bewußt wird. Dieser Ausländerhaß darf nicht die Grundlage unseres politischen Handelns sein.
({8})
Er darf nicht die Atmosphäre bestimmen. Aber er tut es. Er darf nicht die Atmosphäre bestimmen, in der eine so schwerwiegende Entscheidung wie die Änderung des Grundgesetzes gefällt wird.
Es wäre ein schlimmes Zeichen für unsere Demokratie, wenn diese Regierung, wenn die demokratischen Parteien dieses Landes nicht in der Lage wären, dieser Stimmung, die sich breitgemacht hat, mit aller Kraft entgegenzutreten und eine menschenwürdige Lösung für die entstandenen Probleme zu finden.
Aber anstatt nach Alternativen zu suchen, durch die das Recht der Verfolgten nicht unzulässig eingeschränkt wird, anstatt konstruktiv zu denken und zu handeln, haben sich Regierung und SPD mit ihrem Asylverfahrensgesetz in defensiver Hilflosigkeit zusammengefunden.
Sollte sich diese Tändelei als Prolog einer Großen Koalition erweisen, so ist zu fürchten, daß dies der Prolog zu einer neuen Tragödie der Deutschen wird.
({9})
- Hören Sie mir doch bitte erst zu! - Denn auch unsere Demokratie ist verletzlich, ist angreifbar. Nur wenn das sensible Zusammenwirken von Macht und Opposition gewahrt bleibt, ist die Demokratie auf Dauer geschützt.
Ich bitte Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, Sie, die Parlamentarier des wiedervereinigten Deutschland, durch Ihre Entscheidung nicht jene in unserem
Land zu ermutigen, die ihr Heil im deutschen Wahn und Wesen suchen.
Die Änderung des Art. 16 wäre eine hilflose Geste; mehr nicht. Sie würde das Flüchtlingsproblem ebensowenig lösen wie neue polizeistaatliche Verfahren. Oder wollen Sie eine neue Mauer um Deutschland, eine Mauer um Europa bauen?
Die unheilvolle Behauptung, das Boot sei voll, wird regelmäßig mit dem Hinweis verbunden, effizienter und für die betroffenen Menschen humaner sei eine Bekämpfung der Fluchtursachen. Das mag theoretisch stimmen. Mit der Realität unserer Welt aber hat das nichts zu tun. Denn alle bisherigen Vorschläge und Maßnahmen hierzu stehen nach Quantität und Qualität in einer lächerlichen Disproportion zum globalen Flüchtlingsproblem. Es ist einfach unredlich, so zu tun, als könnte eine isolierte Bekämpfung der Fluchtursachen Erfolg haben, während sich unser Weltwirtschaftssystem nicht wirklich ändert und wir auf der wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung des Nordens, auf Wohlstand und Wachstum beharren.
Ein anderes beliebtes Argument ist das von der Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung des Asylrechts. Natürlich ist der Ausbau der Europäischen Gemeinschaft wünschenswert. Aber dabei dürfen wir die Gräben zwischen uns und den armen Ländern des Südens und des Ostens nicht noch mehr vertiefen. Die Ideologie von Schengen aber ist nach außen hin jene Ideologie der Abgrenzung und der Abschottung, gegen die wir jahrzehntelang gekämpft haben, und zwar, wie ich immer dachte: mit Erfolg. Soll das nun hinfällig sein? Wenn von Medien und Politikern immer nur Abgrenzung und Sicherung gegen Mißbrauch gepredigt wird, meine Damen und Herren, bestätigt das Vorurteile gegen Flüchtlinge, gegen Einwanderinnen und Einwanderer in der Bevölkerung. Diese Abwehr grenzt Menschen aus, deren Not und Flucht durch uns mitverursacht ist, oder zwingt Menschen in die Illegalität, nur weil wir nicht bereit sind zu teilen, und verfestigt den Status unterschiedlichen Rechts innerhalb der in Deutschland lebenden Bevölkerung. Diese Politik der Abgrenzung verhindert nicht fremdenfeindliche Angriffe auf die Flüchtlinge, sondern begünstigt diese direkt.
Es ist unerläßlich, daß die Diskussion versachlicht wird.
({10})
Nicht Horrorparolen, sondern Fakten müssen den Disput prägen. Niemand kann bestreiten, daß die Zahl der anerkannten Asylberechtigten überschaubar ist und kein ernsthaftes Integrationsproblem darstellt.
({11})
Das gilt auch für die Flüchtlinge, die im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention aufgenommen worden sind. Die Probleme entstehen allein dadurch, daß alle Flüchtlinge und Einwanderer in das Asylverfahren
Konrad Weiß ({12})
gezwungen werden. Damit sind die Behörden, die Länder und Kommunen natürlich überfordert.
Die angestrebte Änderung des Art. 16 ist ebenso wie das hoffnungslos verfahrene Asylverfahrensgesetz ein Herumdoktern an den Symptomen.
({13})
Eine wirkliche Entspannung kann nur durch ein völlig neues Konzept für eine geregelte Zuwanderung erreicht werden. - Ja, wir haben eine Lösung.
({14})
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN hat mit ihrem Paket aus Einwanderungs-, Niederlassungs- und Flüchtlingsgesetz sowie dem Vorschlag, zu einer Neubestimmung des Staatsbürgerbegriffs ein solides Angebot gemacht. Ich ermutige Sie zum ich weiß nicht wievielten Male, auf dieses Angebot einzugehen, mit uns in einen Disput zu treten und uns bei den Überlegungen, wie dieses Problem gelöst werden kann, nicht auszugrenzen.
Ohne die Anerkennung der Tatsache, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist und bleiben wird, und ohne die Umsetzung dieser Erkenntnis in eine verantwortliche Politik wird es keine Entspannung bei der Zuwanderung geben. Solange das Asylbegehren der einzige legale Weg ist, nach Deutschland einzuwandern, werden die Asylbewerberheime überfüllt und die Behörden überfordert sein. Wenn aber jenen, die aus wirtschaftlicher Not eine Alternative suchen, eine geregelte und verantwortete und gestaltete Einwanderung ermöglicht wird, würde das sehr bald die Zahl der Asylsuchenden vermindern.
Durch unser Einwanderungsgesetz, wie wir es vorgeschlagen und im Bundestag eingebracht haben, werden die Rechtsstellung aller Zuwandererinnen und Zuwanderer und ihre Rechtsangleichung an die Einheimischen gewährleistet. Die für eine Integration nötigen Leistungen des Staates werden ebenso geregelt wie das Verfahren und die Kriterien einer Einwanderung auf Antrag. Unser Flüchtlingsgesetz schafft die Voraussetzungen für eine uneingeschränkte Einlösung des individuellen Menschenrechts auf Asyl nach Art. 16 und gewährleistet durch eine Novellierung des Kontingentflüchtlingsgesetzes die Aufnahme von Armutsflüchtlingen.
Auch ein europäisches Asylrecht muß nach unserer Überzeugung die individuelle Überprüfung eines Asylbegehrens beibehalten und eine gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen gewährleisten.
Nicht zu akzeptieren ist das im Gesetzentwurf der CDU/CSU eingeführte Konzept sogenannter verfolgungsfreier Länder. Flüchtlinge aus solchen Ländern sollen schon an der Grenze zurückgewiesen werden können. Dabei besteht die Gefahr, daß es durch sachfremde Faktoren oder politische Interessen zu gravierenden Fehleinschätzungen kommt - von Böswilligkeiten will ich gar nicht reden - und daß dadurch Menschen einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt werden.
Würde die gegenwärtige Politik der Abwehr gegen Zuwandererinnen und Zuwanderer fortgesetzt, dann müßten Deutschland und Europa immer stärker als Festung ausgebaut werden. Das kann doch niemand wollen. Europa würde zur geschlossenen Gesellschaft - wie es die DDR einmal gewesen ist -, die sich gegen die Armut in der Welt abzuschotten versucht. Aber diese Politik wird scheitern, denn in einer Festung Europa können weder Recht noch Demokratie, noch Wohlstand erhalten bleiben.
Die Bekämpfung von Fluchtursachen bedeutet also politische Arbeit für eine gerechtere politische und ökonomische Weltordnung, für eine solidarische Gesellschaft. Eine Voraussetzung dafür ist, schon heute den Status der Zuwandererinnen und Zuwanderer und die Zuwanderung zu regeln, und zwar in demokratischer und transparenter Weise, und das Asylrecht zu schützen und zu bewahren.
Langfristig, meine Damen und Herren, sind Fluchtursachen jedoch nur durch tiefgreifende Wandlungen zu beseitigen. Nur wenn es gelingt, das Gefälle zwischen Norden und Süden, zwischen Osten und Westen auszugleichen und auf Dauer zu beseitigen, werden künftige Generationen in Frieden leben und überleben können.
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN wird einer Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes nicht zustimmen. Das Recht „Politisch Verfolgte genießen Asyl" bleibt für uns, die wir es spät erworben haben, kostbar und unantastbar.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Weiß, Sie haben zu einer sachlichen Behandlung des Themas geraten; aber wer eine sachliche Debatte will, muß einen Bezug zur Wirklichkeit und zu den wirklichen Problemen, zu den Problemen der Menschen in diesem Lande haben. Sonst entsteht keine sachliche Debatte.
({0})
Wenn Sie das Bemühen, in Europa zu einer gemeinsamen Asylpolitik zu kommen, zu einer europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik fähig zu werden, also in Deutschland Asylrecht so zu gewähren, wie in so alten klassischen Demokratien wie Frankreich und Großbritannien - wenn Sie das so diskreditieren, wie Sie es in Ihrer Rede getan haben, dann hat das mit der Wirklichkeit in diesem Lande und mit den wirklichen Problemen nichts zu tun und ist kein Beitrag zu einer sachlichen Debatte.
({1})
Es geht darum: Das Übereinkommen von Schengen ist ein wichtiger Schritt zu einem Europa ohne Grenzen. Die Öffnung von Grenzen erfordert, daß wir zur Zusammenarbeit in der inneren Sicherheit fähig sind. Kollege Marschewski hat davon gesprochen, daß ein
Europa mit offenen Grenzen nicht ein Europa mit weniger Sicherheit für die Bürger werden darf. Dazu ist mehr Zusammenarbeit der Polizei erforderlich.
Ein Europa mit offenen Grenzen erfordert europäische Zusammenarbeit auch in der Asylpolitik, gerade wegen der Dimension des Problems der weltweiten Wanderungsbewegungen von Ost nach West wie von Süd nach Nord in Europa, in einer Welt, in der die Probleme immer mehr gemeinsame sind und die Unterschiede zwischen arm und reich immer größer - übrigens auch da, wo der „real existierende Sozialismus " zu lange existiert hat und so schreckliche Folgen hinterlassen hat.
({2})
Nun erfordert eine europäische Zusammenarbeit in der Asylpolitik eine Ergänzung unseres Grundgesetzes. Das ist unter allen, die sich mit dem Thema nur einigermaßen beschäftigt haben, unstreitig. Wir haben eine völlig einzigartige Verfassungslage, und wir sind zu einer Zusammenarbeit - der Bundesinnenminister hat dies eindringlich, präzise und in aller Ruhe dargelegt - nicht in der Lage, solange wir eine völlig einzigartige Verfassungslage haben.
Natürlich, Herr Kollege Lüder, ist es wahr, daß wir das Abkommen von Schengen auch ohne Grundgesetzänderung ratifizieren können. Rechtlich ist das wahr. Nur, meine Damen und Herren, wenn wir wirklich sachlich reden, müssen wir sagen, was das heißt. In Art. 29 des Schengener Übereinkommens ist genau geregelt, daß sich die Vertragsparteien verpflichten, „jedes Asylbegehren, das von einem Drittausländer in dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien gestellt wird, zu behandeln". Dann wird geregelt, daß jeder Asylbewerber in einem der Vertragsstaaten - beim Abkommen von Dublin ist das genauso - eine Prüfung seines Begehrens erhält. Dann wird in den weiteren Bestimmungen geregelt, welcher Vertragsstaat für welchen Asylbewerber zuständig ist. Deswegen brauchen wir keine Grundgesetzänderung. Herr Lüder, nur müssen Sie erklären, was das bedeutet.
Dann kommt der Absatz 4. Dort heißt es: Unbeschadet des Absatzes 3
- wo geregelt ist, für welchen Asylbewerber welches Land zuständig ist behält jede Vertragspartei das Recht, bei Vorliegen besonderer Gründe, insbesondere des nationalen Rechts,
- das ist das Thema unserer Debatte ein Asylbegehren auch dann zu behandeln, wenn die Zuständigkeit aufgrund dieses Übereinkommens bei einer anderen Vertragspartei liegt.
Frankreich wird sich nicht beschweren, wenn wir über die 60 % der Asylbewerber hinaus, die wir heute in der Europäischen Gemeinschaft haben, weitere, für die wir gar nicht zuständig sind, in Deutschland aufnehmen.
({3})
- Herr Kollege Wartenberg, das ist so. Hören Sie doch einmal zu. Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Wenn wir das Grundgesetz nicht ergänzen, dann führt das Inkraftsetzen des Schengener Abkommens dazu, daß wir alle Verpflichtungen übernehmen, Asylbewerber auch von den anderen Mitgliedstaaten - Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Italien - unter den Voraussetzungen des Abkommens nach Deutschland zu übernehmen,
({4})
während wir von dem entsprechenden Recht, Asylbewerber an andere Vertragsstaaten abzugeben, wenn die Voraussetzungen des Abkommens gegeben sind, auf Grund unserer Verfassungslage keinen Gebrauch machen können.
({5})
Das ist die sogenannte hinkende Teilnahme.
Deswegen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, bin ich ganz tief überzeugt, daß niemand, der von den wirklichen Problemen dieses Landes und auch der Menschen in diesem Lande etwas weiß und dem am friedlichen Zusammenleben von Deutschen und ausländischen Mitbürgern liegt und dies nicht nur in solchen Reden wie der Ihren, Herr Weiß, bekundet - die dazu gar nichts beitragen, sondern eher schaden -, sondern der die Sachprobleme löst, es verantworten kann, daß wir in einer Zeit wie dieser und bei einem Problem, wie wir es alle kennen, jetzt ein Abkommen in Kraft setzen, bei dem wir nur die Verpflichtungen übernehmen, aber von den Rechten insoweit keinen Gebrauch machen können.
Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion den Antrag auf Ergänzung des Grundgesetzes in diese Debatte eingebracht, und deswegen habe ich gesagt: Ich werde meiner Fraktion eine Zustimmung zur Ratifizierung des Schengener Abkommens ohne eine mindestens gleichzeitige Ergänzung des Grundgesetzes nicht empfehlen.
({6})
Herr Kollege Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß?
Nein, ich möchte jetzt auch im Zusammenhang ein paar Argumente vortragen. Herr Weiß hat hier keinen Beitrag zur sachlichen Debatte geleistet.
({0})
Im übrigen möchte ich die Debatte gern dazu nutzen, daß wir in der wirklich schwierigen und wichtigen Frage ein Stück vorankommen. - Deswegen hoffe ich, daß ein Großteil der Sozialdemokraten - ich habe entsprechende Verlautbarungen aus Ihrer Fraktionssitzung dieser Woche gelesen - diese Auffassung aufgreift, und daß wir das Schengener Abkommen rasch ratifizieren können. Es ist ein guter Schritt voran, Herr Wartenberg. Da haben Sie recht. Aber um eben nicht nur mit den Pflichten, sondern auch mit den Rechten daran teilnehmen zu können, müssen wir
gleichzeitig das Grundgesetz entsprechend ergänzen.
({1})
Es ist übrigens nicht wahr, daß wir die europäische Lösung in der Asylpolitik erst schaffen müssen. Natürlich ist sie nicht perfekt. Aber wir sind alle Mitglieder der Genfer Flüchtlingskonvention. Das Schengener Übereinkommen nimmt in Art. 28 ausdrücklich darauf Bezug. Wir sind alle Mitglieder der Menschenrechtskonvention. Und das Schengener Abkommen selbst enthält die Zuständigkeits- und die Verfahrensregelung, die für eine gemeinsame europäische Asylpolitik - jedenfalls als erste Schritte - notwendig sind.
Und deswegen finde ich, daß wir jetzt, um dieses Abkommen in Kraft zu setzen, das Grundgesetz entsprechend ergänzen müssen und daß wir, wenn wir dies tun, auch weitere Schritte national wie europäisch in der Flüchtlings-, Ausländer- und Asylpolitik miteinander beschreiten können. Aber wir werden, wie der Bundesinnenminister dargelegt hat - und davon weiß ich auf Grund meiner eigenen Erfahrung auch etwas -, in der europäischen Zusammenarbeit nicht einen einzigen Schritt vorankommen, wenn wir nicht zuvor unsere Sonderlage in der Verfassungssituation beendigen.
({2})
Herr Kollege Wartenberg, wir stimmen da überein, daß wir als weiteren Schritt die Anwendung, die Umsetzung der Genfer Konvention materiell wie im Verfahren in Europa harmonisieren sollten. Aber ich sage es Ihnen: Nehmen Sie ernst, was Rudolf Seiters gesagt hat. Wir werden in Europa nicht einen Millimeter vorankommen, solange wir die Sondersituation in der Verfassungslage haben. Wer die Harmonisierung materiell und verfahrensrechtlich will, muß deshalb jetzt in die Grundgesetzänderung eintreten.
Ich bin dafür, und so ist unser Antrag gemeint - übrigens entsprechend dem Abkommen, in Art. 29II, wo ja ausdrücklich die Verpflichtung enthalten ist, jedem Asylbewerber eine Prüfung seines Begehrens zu gewähren, was nicht dazu führen muß, daß damit in allen Fällen ein vorläufiges Aufenthaltsrecht verbunden ist -, daß wir in dem Bereich der Schengener Vertragsstaaten darüber reden, ob wir wirklich Asylbewerbern aus Ländern, in denen es ganz offensichtlich politische Verfolgung nicht gibt, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht einräumen müssen. Aber ich werbe dafür, daß wir auch dies europäisch diskutieren und miteinander lösen. Doch auch dazu kommen wir erst in einem weiteren Schritt.
Wir stimmen völlig überein, daß die große, überwiegende Mehrzahl der Asylbewerber nicht über unsere Grenzen zu den Schengener Vertragsstaaten noch zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft kommen. Das ist doch gar nicht die Frage. Es ist auch nicht die Frage, daß die allerwenigsten Asylbewerber sich an der Grenze melden. Aber den vorläufigen Aufenthalt unverzüglich beenden, wo immer sie sich melden, kann man eben auch nur dann, wenn man das Grundgesetz entsprechend ergänzt hat.
({3})
Und natürlich ist es richtig, daß wir mit den vier Nachbarstaaten, die nicht oder noch nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören - Polen, Tschechoslowakei, Österreich und die Schweiz - ergänzende Abkommen brauchen. Mit Polen haben wir es. Das hat der Bundesinnenminister gesagt. Aber richtig ist eben auch, daß das ja kein Grund ist, das Schengener Abkommen ohne eine Grundgesetzänderung in Kraft zu setzen. Auch diese Abkommen werden mit Rechten und Pflichten nur funktionieren, wenn wir das Grundgesetz entsprechend ergänzen.
Deswegen lassen Sie uns eben auch den weiteren Schritt gemeinsam tun, und ich füge gleich hinzu: Wenn wir wie mit Polen auch mit der Tschechoslowakei, Österreich und der Schweiz entsprechende Abkommen haben, dann wird es natürlich unsere Situation bei der Aufnahme von Asylbewerbern in Europa insgesamt entscheidend verbessern - das ist gar keine Frage -, wenn wir daran mit Rechten und Pflichten teilnehmen können. Nur, dann werden wir auch - und das sage ich heute, meine Damen und Herren - mit unseren Nachbarn darüber reden müssen, daß wir dann natürlich auch bereit sein müssen, Asylbewerber, Flüchtlinge, die weiterhin in den gemeinsamen europäischen Raum kommen, auch gemeinsam in dem europäischen Raum zu verteilen. Wir können auch unsere östlichen Nachbarn nicht mit den Problemen alleinlassen, so wie wir heute durch unsere Verfassungslage von unseren westlichen Nachbarn - ({4})
- Ich habe das immer gesagt, ich habe das auch bei den europäischen Innenministern von mir aus so vorgeschlagen, nur, auch dazu brauchen wir, um verteilen zu können, Frau Däubler-Gmelin, eine Grundgesetzänderung,
({5})
sonst können wir nicht abgeben, sondern immer nur nehmen. Und wer in diese weiteren Schritte eintreten will, muß heute erklären, daß wir die Grundgesetzergänzung jetzt machen und uns auf den Weg begeben.
({6})
Das Allerwichtigste ist, daß wir unsere europäischen Partner und Freunde dafür gewinnen, daß wir die Politik, in der wir ja auch, jedenfalls im Prinzip, übereinstimmen, auch europäisch betreiben, nämlich die Ursachen der Wanderungsbewegungen energischer und tatkräftiger zu bekämpfen, als das bis heute der Fall ist.
({7})
- Ja, wir tun dies.
({8})
Die Bundesrepublik Deutschland tut auf dem Felde der Ursachenbekämpfung mehr als unsere europäischen Partner und Nachbarn miteinander.
({9})
- Herr Schily, lassen Sie mich ein paar Sätze im Zusammenhang sagen. Ich glaube, es ist heute wichtiger, daß Sie meine Vorschläge, was wir jetzt gemeinsam tun sollten, sich im Zusammenhang anhören. Vielleicht wird Herr Klose dann darauf antworten.
Wir werden unsere europäischen Nachbarn und Partner zu einer gemeinsamen Politik der Ursachenbekämpfung nur gewinnen, wenn die Interessenlage in Europa gemeinsamer wird. Solange die europäischen Nachbarn davon ausgehen können, daß die Mehrzahl der Asylbewerber in Deutschland sein wird und dies ein spezifisch deutsches Problem ist, so lange ist die Bereitschaft der anderen, mit uns gemeinsam Ursachen der Wanderungsbewegung zu bekämpfen, eben nicht so groß, wie wir sie uns wünschen. Deswegen ist die Ergänzung unseres Grundgesetzes, um es an den Verfassungsstandard aller anderen europäischen Demokratien anzupassen, ein notwendiger Schlüssel, um zu den weiteren Schritten zu kommen.
Ich begrüße die Bereitschaft der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die ich in diesen Tagen gehört habe, und auch das, was ihr Bundesgeschäftsführer zu der Haltung ihrer Partei erklärt hat.
Herr Wartenberg, ich will in die Rechthaberei heute nicht eintreten. Am 10. Oktober hatte ich im Kanzleramt darum gebeten, daß wir über die Grundgesetzänderung sprechen. Sie haben das damals verweigert.
({10})
Ich bin bitter, daß wir die Debatte, die wir heute führen, nicht schon vor Monaten, wenn nicht sogar schon vor Jahren, miteinander geführt haben. Sie haben sie verweigert.
({11})
Aber ich werbe dafür, daß wir den Blick nach vorne richten.
({12})
- Jetzt holen Sie einen Moment Luft. Ich rede die ganze Zeit davon, was wir tun können und tun müssen, und versuche, Sie davon zu überzeugen, daß der erste Schritt, um das Weitere zu tun, die Ergänzung des Grundgesetzes ist und sein muß.
In diesem Zusammenhang sage ich auch: Wenn wir all dies tun, werden wir unseren Bürgern die Überzeugung vermitteln, daß wir im Rahmen dessen, was möglich ist, politische Probleme auch lösen. Die Bürger erwarten von uns nicht, daß wir nur reden, sondern daß wir handeln. Das heißt, daß wir Lösungen schaffen müssen.
({13})
Lösungen - das heißt nicht, daß keine Flüchtlinge mehr nach Deutschland und Europa kommen werden, sondern das heißt, daß das Problem der Zuwanderung steuerbar wird. Heute können wir es nicht steuern. Die Ängste, die unsere Bürger empfinden, entstehen daraus, daß sie angesichts eines Problems von weltweiter Dimension den Eindruck haben, daß unser Staat nicht in der Lage sei, auch nur ein Stück weit zu steuern. Dies müssen wir ändern.
Herr Kollege Schäuble, der Kollege Schily möchte gern eine Frage stellen.
Ich habe soeben erklärt, Herr Präsident, daß ich jetzt keine Zwischenfragen zulassen möchte.
({0})
- Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. Aber es stört mich nicht, Herr Präsident, wenn Herr Schily steht.
Die Wanderungsprobleme werden bleiben.
Wir wollen - das steht in unserem Antrag - auch in Zukunft politisch Verfolgte aufnehmen, und wir wollen auch an dem Individualrecht des politisch Verfolgten auf Schutz und Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland nichts ändern. Wer dieses Individualrecht erhalten will, wird gut daran tun, einen zu großen Mißbrauch rechtzeitig zu bekämpfen.
({1})
Es ist hohe Zeit.
Aber auch wenn das Wanderungsproblem durch die großen Unterschiede von Arm und Reich bleiben wird, sind Verbesserungen möglich. Wir werden eine fairere Verteilung der Flüchtlinge in Europa auf der Basis einer Grundgesetzänderung und europäischer Zusammenarbeit erreichen, und ich bin überzeugt, daß wir damit den Anreiz für Schlepperorganisationen, Flüchtlinge unter Mißbrauch des Asylrechts nach Deutschland zu bringen, besser bekämpfen können. Denn dieser Anreiz für die Schlepperorganisationen besteht in den Besonderheiten des deutschen Asylrechts. Daran gibt es keinen Zweifel.
({2})
Ich bin überzeugt, daß wir die schwierige Arbeit an der Beschleunigungsnovelle, die wir alle gemeinsam machen, bewältigen werden. Ich danke hier insbesondere den Kollegen des Innenausschusses, die diese mühevolle Arbeit leisten, und daß diese Arbeit von manchen in völlig unverantwortlicher Weise diffamiert wird, Herr Weiß,
({3})
weise ich für alle Kollegen der Fraktionen von CDU/ CSU, SPD und F.D.P. zurück.
({4})
- Sie dürfen nicht nur diffamieren, Herr Weiß, sondern Sie müssen auch einmal einstecken, wenn man etwas zurückgibt.
({5})
- Nein, ich möchte keine Zwischenfrage beantworten.
({6})
Wenn wir über eine Grundgesetzänderung kurzfristig reden, rate ich dazu, Herr Kollege Wartenberg, die Beschleunigungsnovelle noch einmal dahin zu überprüfen, ob nicht die verfassungsrechtliche Problematik, die ja deutlich in der Anhörung aufgezeigt worden ist, verringert werden kann, wenn wir den Zusammenhang zwischen Grundgesetzänderung und Beschleunigungsgesetznovelle herstellen. Wenn wir eine Grundgesetzergänzung haben, werden wir
- davon bin ich überzeugt - eine bessere Chance haben, das Problem zu lösen, das darin besteht, daß viele Kommunalverwaltungen heute wie auch schon in den letzten Monaten Flüchtlingen etwa aus Jugoslawien oder aus Kroatien, die selbstverständlich, so lange dieser Krieg dauert, nicht in das Kriegsgebiet abgeschoben werden - dazu brauchen wir kein Asylrecht -, teilweise raten, Herr bayerischer Innenminister, einen Asylantrag zu stellen, weil dann eine andere Kostenerstattung durch die Länder erfolgt. Ich finde, das sollten wir ändern, denn auch das ist ein Mißbrauch des Asylrechts. Auch dazu wird uns die Ergänzung des Grundgesetzes bessere Möglichkeiten schaffen.
({7})
- Aber natürlich! Solange unser Art. 16 so ist, wie er ist, ist doch die Versuchung groß, von welcher Seite auch immer in das Asylverfahren zu gehen, obwohl von der Sache her in diesen Fällen überhaupt keine Notwendigkeit besteht.
Ich rate dazu, das Aussiedlerthema damit nicht zu verknüpfen.
({8})
- Herr Kollege, vielleicht wissen Sie es nicht, aber wir haben mit dem Aussiedleraufnahmegesetz die Regelung ab dem 1. Juni 1990 geschaffen, daß deutsche Aussiedler etwa aus Rumänien, die das Aussiedleraufnahmeverfahren anstreben, dieses Verfahren bis zum Abschluß von Rumänien aus betreiben müssen. Wenn wir das für Asylbewerber aus Rumänien erreichen wollen, müssen wir das Grundgesetz im Sinne unseres Antrages ergänzen, und dafür werbe ich.
({9})
Aber ich füge hinzu: Wir haben in der Koalition verabredet, Herr Kollege Klose,
({10})
- ich mache darauf aufmerksam und teile es mit; es steht in unserer Koalitionsvereinbarung -, daß wir in dieser Legislaturperiode eine umfassende Reform unseres Staatsangehörigkeitsrechtes wollen, weil wir ja dieses Staatsangehörigkeitsrecht während der Jahrzehnte der deutschen Teilung nicht in Angriff nehmen konnten.
Ich bin dafür, daß wir bei einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes, zu der wir nach der deutschen Wiedervereinigung in der Lage sind, miteinander darüber nachdenken, ob die deutsche Staatsangehörigkeit auch bei Menschen, die über Generationen hinweg keinen Bezug zum deutschen Staatsgebiet mehr haben, automatisch vererbt werden muß, oder ob wir hier nicht ein Ende schaffen sollten.
({11})
Ich rate dazu, auch darüber miteinander zu reden.
({12})
Wenn wir auf diesem Weg die Steuerbarkeit der Zuwanderungsproblematik verbessern und damit die Möglichkeit des Mißbrauchs unseres Grundrechts auf Asyl, das wir in der Substanz nicht verändern wollen, besser bekämpfen, stärken wir die Bereitschaft unserer Mitbürger zu einem friedlichen und freundlichen Miteinander mit den ausländischen Mitbürgern. Das wollen wir gemeinsam, Herr Kollege Weiß.
Wenn wir aber unsere Mitbürger bei diesen Problemen allein lassen und ihnen Lösungen verweigern, wird diese Bereitschaft weiter schwächer. Das kann doch niemand in diesem Hause wirklich wollen.
Es werden auch in Zukunft Ausländer nach Deutschland kommen. Wir werden ein eigenes Interesse daran haben, daß auch in Zukunft Ausländer nach Deutschland kommen. Aber wir müssen es miteinander steuern können.
Ich habe Zweifel - ich sage das auch -, ob wir mit Quoten wirklich etwas Besseres machen. Ich bin nicht sehr für Einwanderungsquoten. Im übrigen meine ich: Wenn schon, dann sollten wir darüber mit unseren europäischen Partnern in einem Europa der offenen Grenzen reden.
Die Diskussion über die Asylproblematik ist in den vergangenen Jahren in einer Weise geführt worden, daß sie von den meisten unserer Mitbürger eher als verwirrend empfunden wird.
({13})
Vermutlich hat jeder seine Beiträge dazu geleistet.
({14})
- Vermutlich hat jeder dazu seine Beiträge geleistet.
Aber wenn dies so ist, sollten wir jetzt nicht wieder neue Verwirrung schaffen. Ehe wir über Quoten reden, sollten wir die Steuerungsmöglichkeiten einführen, die wir heute nicht haben. Deswegen muß zuerst über die Grundgesetzergänzung - ({15})
- Ja, natürlich. Ich weiß nicht, warum Sie lachen. Es tut mir leid: Wenn man auf eine Rede wie die, die ich soeben gehalten habe, mit Lachen antwortet, ist man sich über den Ernst des Problems möglicherweise immer noch nicht im klaren.
({16})
Ich lade Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der freidemokratischen Bundestagsfraktion und auch der anderen Gruppierungen im Deutschen Bundestag ein, mit uns gemeinsam, aber jetzt rasch zu handeln. Es ist hohe Zeit. Wir haben viel zu lange nur geredet und nicht gehandelt. Es muß jetzt rasch gehandelt werden.
({17})
Lassen Sie uns miteinander rasch über gemeinsame Lösungen, die wir - das hat Rudolf Seiters dargelegt - nicht alleine schaffen können, reden. Lassen Sie uns diese Debatte dazu nutzen - ich habe heute versucht, meinen Beitrag dazu zu leisten -, daß wir jetzt unsere gemeinsame Verantwortung für den inneren Frieden und für die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland als einer freiheitlichen Demokratie und als eines freiheitlichen Landes leisten, in dem deutsche und ausländische Mitbürger friedlich miteinander leben und in dem die Bürger auch das Vertrauen haben, daß die Verantwortlichen für diesen Staat in Bund, Ländern und Gemeinden Probleme, die die Bürger als reale empfinden, eben auch lösen. Das ist unsere Verantwortung für die Stabilität und den inneren Frieden. Dazu bitte ich Sie diese Debatte und die nächsten Wochen miteinander zu nutzen.
Ich danke Ihnen.
({18})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.
Herr Kollege Schäuble, ich bedaure, daß Sie, obwohl Sie mich ständig zum Kronzeugen Ihrer Rede gemacht haben, nicht zu einer Zwischenfrage zu Wort kommen ließen. Ich möchte ganz einfach klarstellen, daß ich nicht die Arbeit an einem Asylverfahrensgesetz kritisiert habe,
({0})
sondern das politische Ergebnis dieser Arbeit, das da heißt,
({1})
daß Sammellager eingerichtet werden sollen, das politische Ergebnis, das da heißt, daß sich die Grenzen vom Inneren Europas nach außen hin verlagern sollen, daß Europa ummauert werden soll.
({2})
Es lag mir daran, dies klarzustellen.
Vielen Dank.
({3})
Herr Kollege Schäuble, wünschen Sie zu antworten?
({0})
Dann erteile ich dem Abgeordneten Ulrich Klose das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese schwierige Debatte findet in für die Koalition schwierigen Zeiten statt. Wer auf seiten der Opposition zur Schadenfreude neigt, hätte mancherlei Anlaß zu lachen. Ich neige aber nicht dazu. Ich wünschte mir, die Koalition, die Bundesregierung fänden schnell zu ernsthafter und ernstzunehmender Arbeit zurück. Es gibt genug zu tun, viele Probleme harren der Lösung, das Zuwanderungsproblem gehört dazu.
({0})
Diese Debatte bietet uns vielleicht die Chance, bei der Lösung dieses Zuwanderungsproblems einen Schritt voranzukommen. „Vielleicht" sage ich ganz betont, weil ich weiß, die Versuchung, dieses schwierige Thema parteilich zu instrumentalisieren, war und ist groß, natürlich auch in dieser Debatte. Genutzt hat das bisher niemandem, einer Problemlösung hat es uns nicht nähergebracht, ebensowenig wie Rechthabebeiträge, wer was in der Vergangenheit getan hat, in welcher Funktion, als Minister oder Abgeordneter oder was auch immer. Solche Rechthabebeiträge helfen nicht für die Zukunft. Wir müssen aber über die Zukunft reden.
({1})
Wir alle wissen, weil es schlechterdings nicht zu leugnen ist, Herr Kollege Weiß, wir haben ein Problem: Die Zuwanderung hat Größenordnungen erreicht, die nicht mehr verkraftbar sind. Nehme ich alles zusammen, Asylbewerber, Aussiedler, Familienzusammenführung, legale Gastarbeiter, illegale, dann nähern wir uns in diesem Jahr der 1-Million-Grenze, und das ist zuviel.
Die Gründe, warum das so ist, sind klar. Wir haben nach Westen faktisch keine Grenzen mehr; wir haben nach Osten offene und jedenfalls nicht mehr kontrollierbare Grenzen. Das macht eine Lösung des Problems an der Grenze unmöglich. Wir brauchen aber eine Lösung; denn die Größenordnung der Zuwanderung überfordert die Kommunen. Jeder, der sich in den Kommunen auskennt, weiß das. Sie wissen nicht mehr, wo sie die Menschen unterbringen sollen. Es überfordert erkennbar auch den Emotionalhaushalt breiter Bevölkerungskreise. Ich füge hinzu: Das meiste an diesen zum Teil geschürten Emotionen
gefällt mir nicht; im Gegenteil, es mißfällt mir, und zwar zutiefst.
({2})
Gleichwohl muß die Politik auch solche Emotionen zur Kenntnis nehmen. Sie kann nicht so tun, als gäbe es sie nicht.
({3})
Meine Damen und Herren, was heißt das, eine Lösung suchen? Die Ehrlichkeit gebietet, hier, aber auch draußen auf der Straße und an den Stammtischen zu sagen: Eine Lösung, die die Zuwanderung von heute auf morgen stoppt, gibt es nicht.
({4})
Es werden weiter Menschen nach Westeuropa und in die Bundesrepublik Deutschland kommen, weil nun einmal dieser Teil der Welt bei allen Problemen, die es auch hier gibt, aus der Sicht der Menschen im Süden, in Südost- und Osteuropa wie eine Insel der Seligen angesehen wird. Da die Menschen dort, in ihren Heimatländern, unter zum Teil elenden Verhältnissen leben, ohne konkrete Hoffnung auf Besserung, richten sich ihre Blicke begehrlich auf Westeuropa, und das wird lange Zeit so bleiben. Wir können es, auch wenn wir unsere Entwicklungshilfe verdoppeln, in kurzer Zeit nicht ändern. Das sollte uns nicht davon abhalten, unsere Hilfe zu verdoppeln. Es sollte uns aber helfen, Illusionen zu vermeiden.
Hinzufügen möchte ich dies: Wer die demographische Entwicklung der eigenen deutschen Bevölkerung kennt - die deutsche Bevölkerung nimmt ab und wird dramatisch älter -, der weiß, daß wir in Wahrheit ein Interesse an einer begrenzten und gesteuerten Zuwanderung haben.
({5})
Nicht zuletzt die Vertreter der Wirtschaft haben dies wiederholt auch öffentlich erklärt, z. B. Edzard Reuter. Diese Erklärungen sind zutreffend, wie wir beide, Herr Kollege Schäuble, wissen.
({6})
Es wird also, wie auch immer wir an das Problem herangehen - da gibt es noch immer nicht unbeträchtliche Meinungsverschiedenheiten -, auch in Zukunft Zuwanderer geben. Was wir freilich erreichen müssen, ist eine vernünftige Steuerung dieser Zuwanderung. Das halte ich für möglich. Wir sollten es jedenfalls versuchen.
Dabei ist es hilfreich, zwischen den verschiedenen Gruppen der Zuwanderer sorgfältig zu unterscheiden:
({7})
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge - ca. 20 bis 25 der Menschen, die jetzt aus dem ehemaligen Jugoslawien zu uns kommen, gehören zu dieser Gruppe -, dann Wirtschafts- oder Elendsflüchtlinge, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen - zu dieser Gruppe gehören, schwieriger Punkt, materiell auch
die Aussiedler aus Osteuropa -, und schließlich als dritte Gruppe politisch Verfolgte im Sinne des Art. 16 des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
Für die erste Gruppe, die der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, die derzeit u. a. aus finanziellen Gründen in das Asylverfahren hineingedrückt werden, muß eine Sonderregelung gefunden werden:
({8})
befristete Aufenthaltserlaubnisse mit kurzen Fristen, aber mit Verlängerungsmöglichkeit. Die Erlaubnis erlischt in dem Augenblick, in dem das Kriegsgeschehen beendet ist. Dann müssen diese Menschen zurück in ihre Heimat. Das wollen sie ganz überwiegend auch. Aber auch wenn sie es nicht wollen, müssen sie zurück. In diesem Punkt kann es eigentlich keinen Streit geben.
({9})
Schwieriger ist es bei der zweiten Gruppe, den Wirtschafts- oder Elendsflüchtlingen, zu denen - ich sagte es schon - nach der konkreten Lebenssituation auch die Aussiedler gehören. Für diese Gruppe brauchen wir eine Zuwanderungsregelung, am besten auf europäischer Ebene. Wenn dies in kurzer Zeit nicht erreichbar ist, müssen wir über eine, allerdings europäisch abgestimmte, nationale Regelung nachdenken.
Von einem Einwanderungsgesetz ist in diesem Zusammenhang die Rede. Ich würde es ehrlicherweise eher ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz nennen; denn es geht doch darum, diese Art der Zuwanderung durch Festlegung von Quoten - bei allen Problemen, die auch damit verbunden sind - zu begrenzen.
Über die Größenordnung solcher Quoten und die dann notwendigen Auswahlkriterien - wer begrenzen will, muß auswählen - will ich jetzt nicht spekulieren. Da sind viele Gesichtspunkte zu bedenken: die konkrete Situation in den Herkunftsländern - dies darf man nicht ganz vergessen -, aber auch die infrastrukturellen Möglichkeiten in Deutschland und die legitimen Interessen des eigenen Landes.
In diesem Zusammenhang muß die besondere Situation der deutschstämmigen Aussiedler gesehen werden. Es sind Deutsche, die ursächlich durch deutsche Politik in eine zumeist bittere Lebenssituation hineingedrückt worden sind. Das muß bedacht werden; das kann niemand einfach beiseite wischen. Deshalb sind Präferenzen z. B. für die Erlebnisgeneration, aber auch generelle Präferenzen bei der Aufteilung von Quoten angemessen und vertretbar. Ich halte es aber für schlechterdings ausgeschlossen, diese Gruppe völlig aus einer Zuwanderungsregelung herauszuhalten. Wir können nicht alle auf einmal aufnehmen, und wir wissen das auch.
({10})
Wie immer eine Zuwanderungsregelung mit Quotierung aussieht, eines muß jedenfalls klar sein: Zuwanderungsanträge können - wie schon jetzt bei
Aussiedlern - nur im Heimatland der Zuwanderer gestellt werden. Wer z. B. versucht, als politisch nicht Verfolgter über das Asylverfahren in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen, muß wissen, daß er nach Ablehnung seines Asylantrages hier bei uns einen Zuwanderungsantrag nicht stellen kann, daß er überhaupt auf lange Frist oder auf Dauer keine Chance hat, über die Zuwanderungsregelung zu uns zu kommen. Eine solche Konsequenz ist, wenn wir steuern wollen - und das wollen wir -, unvermeidlich.
({11})
Damit bin ich bei der dritten Gruppe, den politisch Verfolgten. Wenn wir über diese Gruppe sprechen, sollten wir uns immer daran erinnern - immerhin insoweit, Herr Kollege Weiß, bin ich bei Ihnen -, warum der Art. 16 in unserer Verfassung steht, nämlich weil viele Tausende Deutsche während der Nazizeit nur deshalb überlebt haben, weil ihnen in anderen Ländern Asyl gewährt worden ist. Zwei bedeutende Hamburger Bürgermeister, Max Brauer und Herbert Weichmann, waren nach unserem heutigen Sprachgebrauch Asylanten. Das werde ich und dürfen wir alle miteinander nie vergessen.
({12})
Deshalb sage ich für meine Fraktion ganz deutlich - wie ich Ihren Worten, Herr Kollege Schäuble, entnommen habe, in Übereinstimmung mit Ihnen -: Das Individualrecht auf Asyl wollen wir nicht antasten.
({13})
Das heißt, der Satz: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" wird ein Kernsatz unserer Verfassung bleiben.
({14})
Schwierigkeiten gibt es mit den notwendigen Prüfungsverfahren. Sie dauern einfach zu lange. Eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren ist nicht zuletzt im Interesse der wirklich politisch Verfolgten unbedingt geboten.
({15})
Dazu gibt es die Vereinbarung vom 10. Oktober des vergangenen Jahres. Sie muß umgesetzt, die noch bestehenden Differenzen zur Schnittstellenproblematik, zur Bereitstellung von Immobilien müssen im Sinne der Vereinbarung ausgeräumt und für die nahezu 300 000 Altfälle muß eine Lösung gefunden werden. Hier ist, das muß ich betonen, vor allem die Bundesregierung am Zuge.
({16})
Wir wollen, Herr Kollege Schäuble, wie Sie eine europäische Lösung für das Asylproblem. Die Rechtsgrundlagen dafür sind vorhanden: die Genfer Flüchtlingskonvention - niemand plädiert dafür, wir sollten aus derselben ausscheren - und die Europäische Menschenrechtskonvention.
Nach diesen beiden Konventionen haben politisch Verfolgte oder solche, die sich begründet vor politischer Verfolgung fürchten - das ist der Unterschied zwischen Art. 16 und der Genfer Flüchtlingskonvention - einen Anspruch auf individuelle Prüfung und während dieser Zeit ein Bleiberecht.
({17})
- Nach beiden.
Wir wissen aber, daß diese beiden Konventionen auch von den EG-Ländern unterschiedlich interpretiert und angewandt werden.
({18})
Über den Umgang italienischer Behörden mit albanischen Flüchtlingen habe ich, um es milde zu formulieren - Sie haben es einmal härter formuliert, Herr Kollege Schäuble -, gestaunt.
Hier gibt es erkennbar Klärungsbedarf. Deshalb schließen wir Sozialdemokraten uns dem Begehren des niederländischen Parlaments an, das in einer Entschließung gefordert hat, die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofes um die im Schengener Abkommen geregelte Materie zu erweitern.
({19})
In welcher Weise dies geschieht, z. B. nach Art eines Normenkontrollverfahrens, muß noch im Detail geklärt werden. Eine gemeinsame Regelung ohne eine gemeinsame Gerichtsinstanz zumal bei ungenügender parlamentarischer Kontrolle ist jedenfalls problematisch. In diesem Punkt teilen wir die Bedenken unserer Nachbarn. Da der Kollege Seiters gefragt hat, was er denn tun soll, sage ich ihm: Die Bundesregierung ist aufgefordert - denn nur sie kann es tun -, diesen Punkt alsbald zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen.
({20})
Für uns Sozialdemokraten - Sie müssen das einfach sehen - ist dies deshalb von höchster Bedeutung, weil wir die Zuständigkeit anderer Vertragsländer und deren konkrete Entscheidung, zumal die negative, nur dann akzeptieren können und werden, wenn wir sicher sind, daß unsere inhaltlichen und prozessualen Standards in etwa vergleichbar sind und auch dort eingehalten werden.
({21})
Individuelle Prüfung und mindestens eine gerichtliche oder gerichtsähnliche Überprüfungsinstanz müssen gewährleistet sein. Wenn dies gewährleistet ist, sind wir zu notwendigen innerstaatlichen Rechtsanpassungen bereit. Diese Aussage schließt, wie wir nicht erst heute erklären, eine Ergänzung des Art. 16 des Grundgesetzes ein, freilich nicht in der von Ihnen gewünschten Form, Herr Kollege Schäuble.
Die Bedeutung, die eine Änderung des Grundgesetzes für die Praxis haben könnte, wird zudem, wie wir ja alle wissen, allgemein überschätzt, selbst wenn wir mit Listen von Nicht-Verfolgerstaaten arbeiten würden. Einmal abgesehen von der allgemeinen außenpolitischen Problematik solcher Listen - darüber ist ja viel geredet worden -: Die Herkunft aus einem
Nicht-Verfolgerstaat darf doch in keinem Fall zu automatischer Ablehnung führen, weil - insoweit hat Amnesty International gewiß recht - individuelle Verfolgung in jedem Land stattfinden kann. Der Hinweis auf die Herkunft aus einem Nicht-Verfolgerstaat kann daher allenfalls die Bedeutung einer widerlegbaren Tatsachenvermutung haben, mehr sicher nicht.
({22})
Herr Kollege Schäuble, es muß also noch viel nachgedacht und geprüft werden, z. B. die Frage, mit welchen Sanktionen eine bewußt herbeigeführte Ausweislosigkeit zu verbinden ist - folgenlos kann das nicht bleiben - oder die Konsequenzen, die sich aus dem kürzlich gefaßten Vorlagebeschluß des Bundesverwaltungsgerichts für das künftige Verhalten der Fluggesellschaften ergeben. Das sind beides für die Praxis wichtige Fragen.
Wir müssen uns zudem im klaren darüber sein, daß wir von einer wirklichen europäischen Lösung des Asylrechts erst dann sprechen können, wenn es in Europa ein materiell vereinheitlichtes Asylrecht gibt. Davon kann derzeit noch keine Rede sein, obwohl wir diese Vereinheitlichung im Interesse Europas brauchen. Die Bundesregierung bleibt also aufgefordert, weiterhin auf diese Vereinheitlichung hinzuarbeiten.
Im übrigen weiß die Bundesregierung wie wir, daß wir eine wirkliche zahlenmäßige Entlastung für unsere Situation nur erreichen, wenn die Länder Polen, Tschechoslowakei, Österreich und die Schweiz in die Schengener Regelung einbezogen werden,
({23})
was nur denkbar ist, wenn es in Europa eine Art von Lastenverteilungsverfahren gibt; Sie, Herr Kollege Schäuble, haben darüber gesprochen. Wie sonst sollte das funktionieren? Wie sonst könnten wir erwarten, daß sich Polen und die Tschechoslowakei an dem Schengener Regelungssystem beteiligen?
Es gibt also noch viel zu klären und zu tun. Wir wären gut beraten, mit den notwendigen Arbeiten alsbald zu beginnen, um sie, wenn eben möglich, in diesem Jahr abzuschließen.
({24})
Dabei sollten wir auch auf kritische Stimmen hören. Wenn schon Stammtischgespräche viele beeindrukken, um wieviel aufmerksamer sollten wir dann auf kritische Anmerkungen von Amnesty International und anderen Organisationen hören, die der humanitären Rationalität in weitaus höherem Maße verpflichtet sind als der vielzitierte deutsche Stammtisch?
({25})
Allerdings muß eines klar sein: Wir können nicht einfach zuwarten und so tun, als erledige sich das
Problem von selbst. Es erledigt sich nicht von selbst; es wächst.
({26})
Es ist schlechterdings unmöglich, Jahr für Jahr zweimal die Bevölkerung einer Stadt wie Hannover in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das schaffen wir auch dann nicht, wenn wir unsere Integrationsbemühungen, wofür ich plädiere, nachdrücklich verstärken.
({27})
Das Asylrecht als Individualrecht, meine Damen und Herren, wollen wir nicht antasten. Die Zuwanderung jenseits von politischer Verfolgung muß jedoch gesteuert und begrenzt werden. Wir Sozialdemokraten sind nicht die Regierung. Die Regierung muß handeln. Aber wir sind bereit, soweit es in unseren Kräften steht, an der Lösung der Zuwanderungsproblematik in verantwortungsvoller Weise mitzuwirken.
({28})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da ich weiß, daß Herr Schäuble uns in aller Kürze aus einem wichtigen Grund verlassen muß, und da man mit dem Positiven beginnen soll, möchte ich zuerst sagen, daß wir seinen heutigen, von der CDU/CSU nunmehr vorgelegten Vorschlag positiv beurteilen und daß wir ihm dafür danken, daß er derjenige gewesen ist, der nach jahrelangen, gehobener Juristen nicht sonderlich würdigen Vorschlägen - Art. 16 beispielsweise um die Leerformel „Das Nähere regeln die Gesetze" zu ergänzen - den ersten konkreten Vorschlag vorgelegt hat, wie und mit welchem Ziel man Art. 16 in einer konkreten Situation ändern könnte, daß darüber zu reden sich verlohnt. Für diese Konkretisierung, die allerdings auch die Voraussetzung einer jeden Unterhaltung über diesen Punkt ist, bedanken wir uns. Das ist für uns, wie wir auch schon in der Debatte vom 18. Oktober des vergangenen Jahres gesagt haben, der Grund, in aller Gelassenheit und Offenheit darüber zu sprechen.
Wir haben uns nie daran gestört, daß jemand vernünftige Erwägungen über etwaige Änderungen oder Ergänzungen des Grundgesetzes anstellt, sondern wir haben uns daran gestört, daß auch nur der Verdacht aufkommen konnte, wir wollten etwa an dem schlichten und klaren Grundsatz „Politisch Verfolgte genießen Asyl" etwas ändern. Dieser Satz steht aus gutem Grund in unserem Grundgesetz. Seine Weitergeltung ist ernsthaft von niemandem, aus keiner Fraktion, jemals in Frage gestellt worden. Um so seltsamer sind frühere Vorschläge aus anderem Munde, sich um das, was nun einmal ist, mit irgendwelchen geheimnisvollen, geradezu zauberischen Kunstgriffen herumzudrücken.
Detlef Kleinert ({0})
Daß im Konkreten und in der jetzt durch das Schengener Abkommen deutlicher gewordenen Situation nachgedacht wird, und zwar mit der auch von Herrn Klose dankenswerterweise geforderten Zügigkeit, unterstützen wir, und daran wollen wir uns positiv beteiligen, weil es Sinn macht.
({1})
Gewiß soll man nicht nachskaten. Man soll auch keine Schadenfreude walten lassen. Ich habe mir das, was Herr Klose dazu gesagt hat, sehr nachdenklich angehört. Aber wenn ich an die Vorgeschichte und daran denke, daß die Durchführung des vor einem halben Jahr beschlossenen Verfahrens mit vielen praktischen Einzelheiten neben der Diskussion um das Grundgesetz sehr wichtig gewesen wäre, daß aber durch geheimnisvolle Kräfte die Umsetzung des damals einvernehmlich Beschlossenen bis zu den Wahlen in Baden-Württemberg unterblieben ist, mit einem sehr bemerkenswerten, und zwar höchst negativen und bedauerlichen Wahlergebnis insbesondere in Baden-Württemberg, dann, Herr Klose, möchte ich von Ihrer Regel doch abweichen. Ich tue das in der zurückhaltendsten Form, indem ich den daran beteiligten christlichen Kräften eine Bibelstelle über die Folgen dieses Verhaltens zur Erwägung gebe.
({2})
Im 57. Psalm Vers 7 heißt es nämlich: „Sie graben eine Grube mir und fallen selbst hinein."
({3})
Nachdem wir das nun hinter uns haben und hoffentlich alle wieder aus den jeweiligen Gruben zur Tatkraft für die wichtigen Dinge, die zu schaffen und zu leisten sind, zurückgefunden haben, müssen wir die praktischen Dinge, die neben der in einem Teilbereich notwendigen Überlegung über das Grundgesetz stehen, bedeutend schneller, aber nun wirklich sehr viel schneller als bisher, anfassen. Auch wir danken denjenigen, die, wie ich bereits andeutete, mit zeitlich und persönlich unterschiedlicher Intensität an der Umsetzung der seinerzeitigen Übereinkünfte beteiligt gewesen sind, und freuen uns darüber, daß wir nun wohl demnächst zu wirklich greifenden Ergebnissen kommen.
Es ist ja häufig zu beobachten - das rein Menschliche gibt ja auch Lehren für Verhaltensweisen von Politikern und öffentlichen Verwaltungen her -, daß jemand, der eine dringende Arbeit im Haus oder an den Möbeln vor sich hat, zunächst einmal danach trachtet, seine Ausstattung mit Werkzeugen zu verbessern. Er beschafft sich einen großartigen neuen Werkzeugkasten. Damit ist er in die peinliche Lage versetzt, nun die Arbeit beginnen zu müssen.
({4})
Daraufhin fällt ihm vielleicht ein, daß ihm z. B. noch der 16er Schlüssel fehlt, und er hat einen Grund, wieder nicht anzufangen. Es geht nicht an, daß wir uns ausgerechnet in der schicksalhaften Situation, die von der Bevölkerung unseres Landes deutlich so empfunden wird, so wie besagter verhinderter Handwerker
verhalten und immer nach neuen Werkzeugen rufen, anstatt endlich an die Arbeit zu gehen.
({5})
Da wir uns zunächst einmal auf der Bundesebene unterhalten, will ich auch gleich dort anfangen. Wir hören landauf, landab Klagen, daß die mit Sicherheit dringend benötigte Zahl von zusätzlichen Entscheidern für die Asylverfahren oder für die neuerdings dann zu kombinierenden Verfahren nicht gefunden werden können. Gleichzeitig erreicht mich die Nachricht, daß sich z. B. Beamte der Zollverwaltung, die dort keine rechten Aufgaben mehr sehen, was ihnen dankenswerterweise auffällt,
({6})
um eine Stellung als ein solcher Entscheider bewerben und von ihren jeweiligen Dienstherren gesagt bekommen, daß sie völlig unentbehrlich seien, obwohl sie an ihrem Aktenbock und an ihrem Schreibtisch das Gegenteil feststellen können. Warum? Ich vermute einmal - weil das die Ursache sehr vieler zunächst unbegreiflicher Erscheinungen im öffentlichen Bereich ist -, daß man nur so den Stellenkegel aufrechterhalten kann, der benötigt wird, um den Spitzen einer solchen Behörde die entsprechende Besoldung weiterhin garantieren zu können.
({7})
Dabei sollte man über diese Zusammenhänge einmal im ganzen nachdenken.
({8})
- Nein, das will ich nicht. Diejenigen, die dort selber einsehen, daß sie woanders vielleicht noch nützlicher tätig sein können, möchte ich nicht gern behindert wissen. So hatte ich das gemeint.
({9})
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolleg en Hirsch?
Bitte sehr.
Herr Kollege Kleinert, würden Sie vielleicht zu Ihrer Information und zur Beruhigung der Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, daß wir im Innenausschuß die Frage der Werbung sowohl in dem von Ihnen genannten Bereich wie in anderen Bereichen, in denen im öffentlichen Dienst Personal abgebaut wird, natürlich in allen Einzelheiten behandelt und uns vergewissert haben, daß das geschieht?
Ich danke Ihnen, Herr Kollege, für diese erfreuliche Mitteilung und diese Bemühungen des Innenausschusses. Ich bedaure, daß sich diese Bemühungen auf das Verhalten der Dienstvorgesetzten der von mir genannten
Detlef Kleinert ({0})
Beamten noch nicht auswirken konnten, und sehe der glücklicheren Entwicklung gerne entgegen.
({1})
Herr Klose hat in einer Reihe von Einzelfragen das ganze schwierige - Herr Schäuble sprach von verwirrendem - Szenario der nebeneinander bestehenden Gruppen von Bewerbern, der Schwierigkeit, hier sorgfältig zu differenzieren, und der dazu erforderlichen rechtlichen Instrumentarien angesprochen. Ich habe das nicht an allen Stellen in der Absicht ganz klar erkennen können. Wenn wir bei unserem Bemühen, nur die wirklich Asylberechtigten möglichst rasch und ohne Schwierigkeiten bei uns aufzunehmen und die anderen eben nicht, zusätzliche Kontrollen einführen wollen gegenüber in anderen europäischen Ländern, Mitgliedstaaten der EG, bereits getroffenen Entscheidungen, dann, glaube ich, ist das nicht der Weg zu den Vereinfachungen, die wir brauchen.
Aber es mag sein, daß ich Sie auch so verstehen darf, daß wir uns allgemein ein Urteil bilden müssen über die Art und Weise der Rechtsfindung und der zugrunde liegenden Regelungen in anderen Ländern, bevor wir deren Urteile, dann allerdings pauschal, zur Grundlage einer nicht noch einmal gerichtlich auszutragenden Entscheidung hier machen können.
({2})
Das erscheint mir wesentlich, weil wahrscheinlich der Bereich, der durch die vorgeschlagene Grundgesetzänderung notwendigerweise angesprochen wird, nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des Problems etwas rascher lösen helfen wird, während breite Bereiche, auch zahlenmäßig viel größere Bereiche, davon eben nicht berührt werden können, so daß wir wieder vor der Frage stehen, was wir neben den bereits beschlossenen und jetzt hoffentlich anlaufenden Reformen und Verbesserungen noch tun können.
Ich persönlich - das ist keineswegs eine ausdiskutierte Angelegenheit und schon gar nicht in unserer Fraktion -würde bei dieser Gelegenheit das auch auf anderen Gebieten bestehende Übermaß der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 ins Auge fassen
({3})
und nachdenken, auf welche Weise man hier in einleuchtender Weise den tatsächlich bestehenden Unterschieden Rechnung tragen kann.
({4})
Wir haben ja eine geradezu heuchlerische Situation, wenn wir wegen zentimeterweiser Überschreitungen bei Überbauungs- und Nachbarschaftsvorgängen einen breiten Gerichtsweg in drei Instanzen eröffnen und andererseits in lebensentscheidenden Fragen der Menschen, die in großer Not hierher kommen und sich um Asyl bewerben, den Rechtsweg - wenn er denn diesen Namen noch verdient - so verkürzen, daß er eigentlich nicht mehr gegeben ist.
({5})
So etwas kann man vielleicht auch klarer und deutlicher regeln und sich dann zu seiner Entscheidung
stellen, was dem Verständnis der Öffentlichkeit für das, was hier zu geschehen hat, dienen sollte; . . .
Herr Kollege Kleinert, ich weiß, daß Sie das immer besonders schmerzt: Aber Ihre Redezeit ist schon ein gutes Stück überschritten.
... denn da müssen wir wohl alle zusammen unsere Anstrengungen sehr vermehren, unseren Bürgern klarzumachen, was gewollt ist, was schon geschehen ist, auf welchen Grundlagen wir unsere Entscheidungen treffen und daß diese auch gemeinsam zu einem guten Ziel geführt werden. Wir jedenfalls werden daran nach Kräften mitarbeiten.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort dem Staatsminister Dr. Edmund Stoiber.
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({0}): Ich kann die humorvollen Bemerkungen des Kollegen Kleinert, die in einigen Teilen durchaus sehr respektabel sind, leider nicht fortsetzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige ausführliche Debatte zum Schengener Übereinkommen gibt mir nach vielen Anläufen im Bundesrat die Gelegenheit, zum Thema „Asyl" einige Aspekte aus der Sicht eines Vollzugsministers vorzutragen, der mit den Problemen vor Ort ständig, täglich und unmittelbar konfrontiert wird und sich mit Kommunalpolitikern sehr hart auseinandersetzen muß.
Die moralischen Appelle an eine erhöhte Aufnahmebereitschaft haben sich erschöpft. Kommunen leisten Widerstand gegen die Zuweisung weiterer Asylbewerber - ganz gleich, wer dort regiert. Wer die Asylpraxis kennt, ist der Theoriediskussion überdrüssig, wenngleich ich konstatiere, daß einige Bemerkungen und Aussagen von Herrn Klose und auch von Herrn Kleinert mir wenigstens die Hoffnung geben, daß wir nach dieser Debatte auch zu Gesprächen über eine Anderung des Grundgesetzes kommen werden.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte die Gemeinsamkeit mit einigen Fakten vielleicht ein bißchen stören. Wir kommen nur weiter, wenn wir mit einigen politischen Illusionen aufräumen.
Erstens. Die großen Beschwichtiger haben sich gründlich geirrt.
({2})
Bei einer Anhörung im Innenausschuß des Deutschen Bundestages im Februar 1989, also vor gut drei Jahren, haben Sachverständige aus Bayern darauf hingewiesen, daß sich der damalige Asylbewerberstrom noch wesentlich verstärken und sogar verdoppeln könnte, daß die Zahl der Armutsflüchtlinge in der Welt unbegrenzt hoch sei und daß sich die ReisemögStaatsminister Dr. Edmund Stoiber ({3})
lichkeiten nach Deutschland in Zukunft verbessern würden.
Diese Prognosen damals sind von Vertretern der SPD und asylunterstützenden Kreisen als „wildes Horrorgemälde" bezeichnet worden. Damals hatten wir einen Asylbewerberstrom von 8 000 Personen pro Monat. Heute haben wir einen Asylbewerberstrom von über 35 000 Personen pro Monat. - Und das sind, meine sehr verehrten Damen und Herren - hier stimme ich dem Oberbürgermeister von München, Herrn Kronawitter, voll zu -, nicht die Ärmsten, sondern diejenigen, die sich die Reise in unser Land leisten können. Der typische Asylant, der typische Asylbewerber, meine Damen und Herren, ist ein junger Mann zwischen 20 und 30 Jahren, meistens einer Fremdsprache mächtig. Es ist nicht die Frau mit sechs oder sieben Kindern aus Bangladesch oder sonstwo. - Innerhalb von drei Jahren hat sich der Asylbewerberzustrom also nahezu vervierfacht. Ich stelle das nur fest, ohne Schuldzuweisungen. Aber die Beschwichtiger haben sich geirrt, und unsere Warnungen sind heute Realität.
Zweitens. Mit Verfahrensbeschleunigung läßt sich weder der Zugang noch der Bestand an Asylbewerbern reduzieren. Die Bevölkerung ist mit dem Kürzel „Verfahrensbeschleunigung" jahrelang vertröstet worden. Der Bundesgesetzgeber hat auf den Asylbewerberzustrom und die uns seit Jahren bekannten Probleme in immer kürzeren Abständen mit neuen gesetzlichen Regelungen reagiert. Zuletzt hat er - in einem achten Anlauf seit 1980 - bei der Neuordnung des gesamten Ausländerrechts weitere verfahrensbeschleunigende Elemente in das Asylverfahren eingeführt und den Instanzenzug so weit gekappt, wie es verfassungsrechtlich noch zulässig ist. Schon eineinhalb Jahre später wird mit neuen Versprechungen in bezug auf Verfahrensbeschleunigung Politik gemacht.
Diese vielen Anläufe, diese ständigen Versprechungen haben in der Bevölkerung zunächst Hoffnung auf eine Entspannung geweckt. Der Asylbewerberzustrom ist aber noch dramatischer geworden.
({4})
- Die sogenannte alte Leier kann ich Ihnen leider nicht ersparen. - Heute erntet man für den Vorschlag „Verfahrensbeschleunigung" bestenfalls wütende Proteste, eher Gelächter. Die Bürger in Veranstaltungen empfinden diese Argumentation als Beschwichtigung und nehmen sie nicht mehr ernst.
Der Bestand an Asylbewerbern, deren Verfahren noch läuft, steigt seit Jahren kontinuierlich steil an. Zum Ende des vergangenen Jahres hatte das Bundesamt über die Anträge von etwa 250 000 Asylbewerbern noch nicht entschieden. Rechnet man auch noch die Asylbewerber hinzu, deren Verfahren vor den Gerichten anhängig sind, ergibt sich eine Zahl von etwa 400 000 Ausländern, deren Asylverfahren anhängig ist - ein unvorstellbarer Aktenberg, der weiter wächst.
Alle Lösungen mit Verfahrensverkürzungen sind fehlgeschlagen. Unterhalten Sie sich bitte einmal in der Praxis mit dem Chef des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Herrn von
Nieding, der sich bemüht, Personal zu bekommen, und nur noch resignierend sagt: Diesen Job will keiner mehr machen.
({5})
Nur noch 10 % bewerben sich auf seine Ausschreibungen.
Das Asylgrundrecht ist unbestritten das Einfallstor der illegalen Einwanderung. Die Quote der Anerkennung als Asylberechtigte durch das Bundesamt sinkt seit Jahren, und - ich bleibe dabei - der Mißbrauch steigt. Festzustellen ist, daß 90 % der Asylbewerber das Asylrecht zu Unrecht geltend machen, ihre Anträge zu Unrecht stellen und das vorläufige Bleiberecht zu Unrecht in Anspruch nehmen.
({6})
Ich will die sozial und human verständlichen Fluchtgründe vieler Asylbewerber, Herr Klose, nicht leugnen. Aber es sind eben keine nach unserer Rechtslage rechtlich relevanten Verfolgungsgründe.
({7})
Die CSU und die Bayerische Staatsregierung nennen diese Tatsachen seit Jahren beim Namen. Wir warnen seit Jahren vor der unkontrollierten schleichenden illegalen Einwanderung über das Asyl. Wir haben vor sechs Jahren, damals noch unter dem wütenden Protest sehr vieler Kolleginnen und Kollegen, die Änderung des Grundgesetzes gefordert. Hätte man damals schon etwas intensiver in diese Debatte eingegriffen, hätten wir uns vielleicht manche Probleme heute erspart.
({8})
Wer eine Einwanderung will, soll sie - insoweit sind Sie konsequent, Herr Klose - legal politisch durchsetzen.
({9})
Eine Einwanderung über den Schleichweg Asyl ist politisch unredlich und kostspielig.
({10})
Wir sind nach wie vor - hierin unterscheiden wir uns - gegen jede zusätzliche Einwanderung. Für uns gilt das Ausländergesetz, vor allem das, was in der Begründung steht. Demnach ist Deutschland kein Einwanderungsland. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß kein einziges Land innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, also auch nicht die ehemaligen Kolonialstaaten, sich als ein Einwanderungsland bezeichnen. Der Nationalrat in Frankreich hat vor einem halben Jahr noch einmal eindeutig bestätigt: Wir Franzosen wollen kein Einwanderungsland sein.
({11})
Deswegen sollte man bei dieser Debatte, die wir hier national führen, den Blick ein bißchen auch darauf richten: Wie ist denn eigentlich die internationale, die europäische Situation?
({12})
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({0}): Wenn mir das nicht von der Zeit abgeht: Gern.
Es wird Ihnen nicht abgerechnet. Sie dürfen hier so lange reden, wie Sie wollen.
({0})
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({1}): Bitte sehr.
Herr Kollege Schily.
Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, daß nur 10 % der Asylbewerberinnen und Asylbewerber begründet Anträge stellen und 90 % nicht. Es kommt in der politischen Praxis ja wohl darauf an, diese Unterscheidung durchzusetzen. Ist dies eine Frage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts?
({0})
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({1}): Es ist in erster Linie eine verfahrensrechtliche Frage.
({2})
Wir sind - aber dazu komme ich noch - aus verfahrensrechtlichen Gründen für die französische Lösung,
({3})
die ich dann kurz erläutern darf.
Deutschland ist - das hat Herr Schäuble zum Ausdruck gebracht - das Asylzentrum Europas geworden. Deutschland nimmt seit Jahren den weitaus größten Teil der Asylbewerber auf, die in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft kommen. Vor vier Wochen hat der zuständige Kommissar in der Europäischen Gemeinschaft, der EG-Kommissar Bangemann, der früher Bundeswirtschaftsminister war, ausgeführt, daß über zwei Drittel aller Asylbewerber, die in die Europäische Gemeinschaft kommen, in die Bundesrepublik Deutschland gehen.
Ich muß Sie auf folgendes aufmerksam machen, wenn Sie von der europäischen Lösung sprechen und an die Adresse des Bundesinnenministers sagen: Nun mach mal schön! Italien hat eine Aufnahmequote von 0,7 % - 0,7 %! -, und die italienische Mentalität, die wir in diesem Punkt wohl alle ablehnen, ist derart, daß beim brutalen Zurückdrängen der albanischen Flüchtlinge in Brindisi sich in Italien keine wirklich kritische Stimme gegen den Innenminister Scotti erhoben hat und er für seine Tat sogar gelobt worden ist. Wenn man sich dessen bewußt ist, muß man feststellen, wie schwer es werden wird, bei dieser Bewußtseinslage mit Italienern und mit Engländern zu einer einheitlichen Lösung auf unserer Basis zu kommen.
Das müssen Sie den Leuten ehrlich sagen.
({4})
Wir wollen alle eine europäische Lösung. Aber man muß auch wissen, wie außerordentlich schwierig sie durchzusetzen sein wird. Wenn wir keine europäische Lösung bekommen, Herr Klose, dann wird Deutschland immer stärker belastet werden mit all den Konsequenzen, die heute schon angeklungen sind.
Ähnlich krasse Unterschiede stellt man bei uns auch hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens fest. Bei uns dauert es im Durchschnitt wesentlich länger als in anderen europäischen Staaten. Ich bemängele, daß es in Bonn immer noch keine detaillierte Synopse über die rechtlichen Grundlagen und Unterschiede des Asylrechts innerhalb der zwölf EG-Staaten gibt.
({5})
- Ich stelle das nur fest, weil wir eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben haben und für vier europäische Länder von der Universität in Passau auch eine entsprechende Ausarbeitung bekommen haben.
Auf eines möchte ich aufmerksam machen: Vor zehn Jahren, vor den acht Novellen zur Änderung des Asylverfahrensrechts, Herr Klose, hatten wir für die nicht offensichtlich unbegründeten Fälle eine Verfahrensdauer von sechs bis acht Jahren einschließlich der Gerichte. Nach neuen Novellen haben wir für die 70 % der nicht offensichtlich unbegründeten Fälle eine Verfahrensdauer von immer noch zwei bis drei Jahren.
({6})
- Sie können das bestreiten. Dann informieren Sie sich bitte bei den Kollegen der Länder, die mit diesen Dingen leider zu tun haben.
Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage vom Kollegen Hirsch?
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({0}): Nein.
Meine Damen und Herren, auch in den anderen europäischen Staaten gibt es Asylverfahren, die sich über Monate hinziehen. Aber 90 % der Asylfälle führen nur zu einem Aufenthalt von unter einem Jahr, insbesondere weil die Beschwerdemöglichkeiten im Vergleich zum deutschen Asylrechtssystem stark verkürzt sind und Beschwerdeinstanzen nicht einem gerichtlichen Verfahren unterliegen.
Wenn demgegenüber eingewendet wird - so kürzlich der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder -, Deutschland müsse die Hälfte aller abgelehnten Asylbewerber behalten, weil sie nach der Genier Konvention sowieso im Lande verbleiben müßten, so ist das nur ein Teil der BeschwichtigungsStaatsminister Dr. Edmund Stoiber ({1})
politik. Diese Aussage ist schon deshalb rechtlich und sachlich falsch, weil z. B. Frankreich, das ebenfalls die Genfer Konvention zur Grundlage hat, dieselbe Anerkennungsquote hat.
Das Bundesamt und die Gerichte haben die Genfer Konvention als gültiges Bundesrecht bei ihren Entscheidungen selbstverständlich mitzuberücksichtigen. Das tun sie. Dennoch beträgt die Anerkennungsquote, gestützt auf Art. 16 GG und die Genfer Flüchtlingskonvention, weit unter 10 %. Seit Jahren beklagen wir unsere politische Handlungsunfähigkeit in Europa.
Kein europäisches Land denkt gegenwärtig an Harmonisierung auf unserer Rechtsbasis. Im europäischen Vergleich ist unser Asylrecht nicht fusionsfähig. Wenn Sie, Herr Klose, meinen, es werde ein Asylgrundrecht in Europa gegeben, dann sage ich Ihnen: Sie irren sich gewaltig. Ich will das nicht näher ausführen, aber Sie werden doch nicht glauben, daß sich elf Länder innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben haben - die nur eine Staatenverpflichtung bedeutet, jedoch kein subjektiv-öffentliches Recht für den einzelnen garantiert -, auf unsere Rechtsposition, die einmalig in der Welt ist, einlassen werden und sich Probleme aufhalsen, die sie selber gar nicht lösen wollen. Das muß man realistischerweise, wenn man immer von der europäischen Lösung spricht, deutlich sagen.
({2})
Die EG-Regierungschefs haben zwischen den EG-Gipfeln von Luxemburg und Maastricht erkannt, daß ihnen eine Harmonisierung mit dem deutschen Asylrecht schlecht bekommen wird. Deshalb ist in Maastricht die Asylpolitik aus dem Gemeinschaftsrecht ausgeklammert worden. Sie werden in ein paar Monaten die Verträge von Maastricht ratifizieren. Dort heißt es, daß die Asylpolitik keine vorrangige Gemeinschaftsaufgabe ist. Ich bedauere das. Auch der deutsche Bundeskanzler bedauert das sicherlich. Aber er mußte diesen Vertrag unterschreiben, weil die anderen nur mit dieser Passage einverstanden waren. Deswegen fordern wir seit einigen Jahren: Deutschland muß sich europäischen Asylstandards angleichen. Auch das ist heute politische Realität.
Meine Damen und Herren, wenn ich als Vollzugsminister gesprochen habe, muß ich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß die Unterbringung der Asylbewerber in der ganzen Republik zunehmend schwieriger wird. Tagtäglich sind die Zeitungen voll von Berichten, daß irgendeine Stadt mit der Unterbringung am Ende sei. In allen Bundesländern lehnen kommunale Körperschaften die Zuweisung weiterer Asylbewerber zur Unterbringung ab, weil sie keine Kapazitäten mehr besitzen und auf dem Wohnungsmarkt keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr sehen.
Im rot-grün regierten München werden Asylbewerber jetzt schon in Containern auf der Oktoberfestwiese untergebracht. Man hofft, daß nach Schließung des alten Flughafens am 17. Mai 1992 hier weitere
Flächen für Container gefunden werden. Das ist die Realität.
Dennoch wird die selbst vom SPD-Oberbürgermeister Münchens unterstützte Forderung nach einer Änderung unserer asylrechtlichen Grundlagen von jenen SPD-Politikern, die die Probleme vor Ort nicht unmittelbar lösen müssen, zurückgewiesen. Ich sage Ihnen: Gegen die Asylblockade der SPD in Land und Bund kommen die Kommunalpolitiker trotz drastischer Worte noch nicht an.
Der stark gestiegene Zustrom an Asylsuchenden hat natürlich auch zu einer in den letzten Jahren unangemessenen Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte als Asylgerichte geführt. Ich möchte den Gedanken von Herrn Kleinert noch einmal in den Raum stellen: Wie sollen wir den Leuten draußen erklären, daß 50 % aller verwaltungsgerichtlichen Prozesse heute Asylprozesse sind? 30 %, ein Drittel aller Verwaltungsrichter in meinem Lande, machen nichts anderes mehr als nur noch Asyl. Und jetzt sollen wir das noch weiter aufstocken, so daß wir vielleicht morgen oder übermorgen über Beschleunigungsnovellen zu 50 % Richtern kommen, die als Verwaltungsrichter nur noch Asyl behandeln.
({3})
Da können Sie diskutieren, was Sie wollen, die Bevölkerung - ich sage es einmal populistisch - deckt uns draußen das Dach ab. Die Menschen machen es nicht mehr mit und geben uns die gelbe Karte.
({4})
Deswegen muß man diese Diskussion - hier stimme ich dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU völlig zu - im Rahmen der Befindlichkeit unserer Bevölkerung führen. Wir können über dieses Thema nicht mit noch so moralischen Appellen an der Bevölkerung vorbei diskutieren, die in ihrer überwältigenden Mehrheit zwar das Asylrecht bejaht, aber mit genauso einer überwältigenden Mehrheit den Mißbrauch dieses Asylrechts kritisiert und alle demokratischen Parteien hierin in diesem Hause für unfähig hält.
({5})
Meine Damen und Herren, nun droht auch durch das Schengener Übereinkommen eine Sonderbelastung. Das ist ausgeführt worden, und ich will es nicht weiter vertiefen. Herr Schäuble und der Bundesinnenminister haben die rechtliche Problematik sehr deutlich dargestellt. Aber die Vertragsratifizierung ohne ausreichende Grundgesetzänderung ermöglicht es den anderen Vertragspartnern, sich auf unsere Kosten zu entlasten. Das darf für uns nicht akzeptabel sein; denn die Bundesrepublik Deutschland wird damit noch stärker als bisher nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich zum Reserveasylland Europas.
Alle Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderer Vertragsstaat zuständig ist, und auch alle Asylbewerber, die in einem anderen Vertragsstaat schon abgelehnt worden sind, können in Deutschland ein vorläufiges Bleiberecht erhalten und eine zusätzliche Überprüfung nach den deutschen Verfahrensvorschriften
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({6})
einfordern. Umgekehrt gilt das natürlich in keinem Schengener Vertragsstaat.
Dem können wir nicht zustimmen. Das werden unsere Bürger nicht hinnehmen. Ich sage Ihnen noch einmal - und ich warne damit uns alle -: Dies ist im übrigen zusätzliches Wasser auf die Mühlen der Nationalisten und der ständig wachsenden Europagegner.
({7})
Sie geben den Europagegnern ganz simple, ganz einfache Steilpässe, die wir ihnen nicht geben dürfen, wenn wir gemeinsam zu einer Integration Europas kommen wollen.
({8})
Ich bin in einer schwierigen Situation, aber ich kann meine Auffassung nicht unterdrücken: Die Gesetzesinitiative der Unionsfraktion ist dazu nicht ausreichend.
({9})
Eine Ergänzung des Art. 16 GG ohne eine Aufhebung des langjährigen Rechtsweges im Asylrecht schafft bestenfalls bei einem Drittel der Asylfälle Erleichterung. Zwei Drittel aller Asylfälle werden von dieser Grundgesetzänderung, wie sie vorliegt, überhaupt nicht erfaßt. Die CSU will keine Drittellösung, sondern wir wollen ein wirksames Asylrecht für alle Asylbewerber. Ich kann nur alle warnen: Eine Grundgesetzänderung, die nur ein Drittel der Probleme löst
wenn überhaupt -, wird gewaltig auf diejenigen zurückschlagen, die sie verabschiedet haben, wenn sich dann am Zustand draußen nichts ändert.
({10})
Der Schutz wirklich politisch Verfolgter soll dabei nach wie vor durch die Verfassung garantiert werden. Wir wollen den Schutz wirklich politisch Verfolgter keineswegs dem Belieben oder der Stimmungslage in der Bevölkerung ausliefern. Auch nach unseren Vorstellungen soll die Gewährung von Asyl an politisch Verfolgte ausdrücklich durch das Grundgesetz anerkannt und als eine dem Staat obliegende Aufgabe festgeschrieben werden.
Entscheidend ist - hier liegt der Unterschied -: Die Staatsaufgabe der Asylgewährung soll nicht mehr mit der Verbürgung eines individuellen Rechtsanspruchs korrespondieren.
({11})
- Unsere Position ist ja bekannt, Herr Ullmann. - Die nähere Regelung der Asylgewährung muß dem Gesetzgeber überlassen werden. Dieser wird sich dabei an den bewährten Regelungen der anderen westeuropäischen Staaten orientieren. Frankreich z. B. nimmt für sich zu Recht in Anspruch, das Mutterland des Asylrechts zu sein. Bayern will daher in der Asylfrage für Deutschland die französische Regelung. Dieser Vorschlag ist ein echter Beitrag zur Harmonisierung des Asylrechts in Europa.
Das bedeutet aber auch: Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten wird durch ein Beschwerdeverfahren ersetzt, d. h. ein rechtsstaatliches Verfahren, aber in wesentlich kürzerer Zeit.
({12})
Ein rechtsstaatliches Verfahren kann auch ohne Grundrecht auf Asyl und ohne gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden. Die anderen europäischen Staaten kennen den gerichtlichen Rechtsschutz in der Form des Art. 19 Abs. 4 GG für jeden Bewerber nicht. In Frankreich, das sicherlich zu Recht ein besonders hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit für sich in Anspruch nimmt, sind mit der Beschwerdekommission die besten Erfahrungen gemacht worden.
Auch in der Rechtsschutzfrage stimme ich dem Lösungsansatz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zu. In diesem Entwurf bleibt das Grundrecht im Prinzip erhalten. Es bleibt auch der Rechtsschutz für jedermann, der nur behauptet, er sei politisch verfolgt. Allein die Behauptung, aus einem Land zu stammen, in dem politische Verfolgung nicht schlechthin ausgeschlossen ist, würde dann nicht, wie manche meinen, eine gerichtliche Überprüfung vom Heimatland aus erlauben. Hier irrt mein Kollege Schäuble.
Selbstverständlich wird jeder Asylbewerber behaupten, die Einstufung seines Heimatlandes als Nichtverfolgerstaat sei falsch oder speziell ihm drohe dennoch politische Verfolgung. Deshalb kann der Bewerber vor seiner Abschiebung vorläufigen Rechtsschutz beanspruchen und jedenfalls so lange auf Grund der Anordnung des Gerichts im Lande bleiben. Das erlebe ich doch täglich: Natürlich werden die Gerichte § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung anwenden und sagen, der Asylbewerber könne so lange hierbleiben, bis das Gericht entschieden habe.
({13})
Dann läuft eben die Grundgesetzänderung leer.
Meine Damen und Herren, die Überlastung der Gerichte durch die Vielzahl der Anträge, die zur Sicherung des Aufenthalts gestellt werden, ist aber das Kernproblem. Das können wir nur lösen, wenn wir vom Grundrecht auf Asyl und vom Weg zu den Verwaltungsgerichten wegkommen.
Eine letzte Bemerkung. Die Asylpolitik befindet sich an einem Scheideweg. Die Situation verkennen auch diejenigen, die jetzt zur Lösung aller Asylprobleme Einwanderungsquoten fordern. Wer meint, mit einer Einwanderungsquote von 300 000 bis 400 000 pro Jahr bei Aufrechterhaltung des Grundrechts den Asylbewerberstrom zum Versiegen zu bringen, kennt anscheinend weder die Ursachen für den Asylbewerberzustrom noch die Grundtatsachen der Zuwanderung nach Deutschland.
({14})
Insoweit, Herr Klose, hat Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung", sozusagen einer der starken Kritiker der Asylpolitik der Bayerischen Staatsregierung, völlig recht: Sie werden den Asylmißbrauch
Staatsminister Dr. Edmund Stoiber ({15})
durch Einwanderungsquoten nicht beenden können.
({16})
Wir haben jetzt schon einen Zuwachs der Ausländerbevölkerung in einer Größenordnung von 250 000 bis 300 000 Personen im Jahr, z. B. durch Familiennachzug. Wer Einwanderungsquoten fordert, muß zunächst einmal bekennen, daß er die Quote von 300 000 auf diese Mehrung von 250 000 Ausländern draufsetzen will. Wir hätten also dann in der Realität eine Einwanderung von 500 000 bis 600 000 Ausländern im Jahr. Das würde uns innerhalb weniger Jahre einen Ausländeranteil bringen, der sozialen Sprengstoff ersten Ranges enthalten wird.
Wer von der Einwanderungsquote spricht, muß sich auch mit der Aussiedlerfrage auseinandersetzen. Wenn die Aussiedler, die derzeit in einer Größenordnung von 250 000 Personen im Jahr zuwandern, in die Quote mit eingerechnet werden sollen, dann blieben für absehbare Jahre überhaupt keine Kontingente für Ausländer als Einwanderer mehr übrig. Die wohlfeile Idee von Einwanderungsquoten soll also nur von den drängenden Fragen des mißbräuchlich in Anspruch genommenen Asylrechts ablenken.
({17})
Wenn der Mißbrauch des Asylrechts ungebrochen bleibt und wenn auch künftig so leichtfertig und unverantwortlich vom „Einwanderungsland Deutschland" und von einer anzustrebenden „multikulturellen Gesellschaft" gesprochen wird, dann können die Sorgen und Ängste der Bevölkerung einen Resonanzboden abgeben, den verantwortungslose Radikale für ihre Agitation ausnützen werden.
({18})
Wer den Asylmißbrauch nicht beendet, der schafft den Boden, auf dem Reserviertheit gegenüber Ausländern und vereinzelt leider an Fremdenfeindlichkeit wirklich gedeihen können. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.
({19})
Wenn Sie das nicht lösen, dann haben Sie im nächsten Bundestag auf dieser oder jener Seite 30 oder 40 Abgeordnete, die wir alle nicht haben wollen.
({20})
Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung - ich spreche das mehr aus der Praxis an - mit dem Asylthema bestimmt heute - leider - in ihrer Undifferenziertheit jede Versammlung. 30 % der Menschen fühlen sich nach den Umfragen von Frau NoelleNeumann unmittelbar durch einen ungeregelten Zuwachs an Asylbewerbern berührt. Sie kommen aus einer Großstadt. Dann reden Sie einmal mit jemandem unter vier Augen - so wie es Ihr Oberbürgermeister oder Bürgermeister heute oft tut -, welche Ausländerproblematik sich aus der ungeregelten Zuwanderung von Ausländern gerade in Hamburg entwikkelt. Das gilt nicht nur für Hamburg, das gilt für München, das gilt für Frankfurt, das gilt schon für Nürnberg und für andere Mittelstädte. Ich warne davor.
Keiner behauptet, daß durch eine Änderung des Grundgesetzes das Problem der Migration gelöst wird. Wenn Sie uns das unterstellen, kann ich Ihnen nur sagen: Das wissen wir alle. Aber was wir abschaffen müssen, das ist der Mißbrauch. Wenn heute 90 % der Bürgerinnen und Bürger z. B. das Sozialhilferecht unredlich in Anspruch nähmen, also mißbrauchen würden, dann würden sich die Menschen auch aufregen. Wenn 90 % ungerechtfertigterweise Behindertengeld in Anspruch nähmen, würden sich die Leute auch aufregen.
Wenn sich 90 % der Asylbewerber in hohem Maße ungerechtfertigterweise auf diese Mittel stützen - und damit die Landkreise, Bezirke und Gemeinden belasten; zum Teil werden 60, 70, 80 % der Kreis- und Bezirksumlage nur noch für diese Aufgaben verwendet -, schaffen Sie einen Resonanzboden für Ausländerfeindlichkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe sehr, daß wir zu einer realistischen Lösung kommen. Sie kennen unsere Position. Ich warne Sie noch einmal davor, den Rechtsschutz so zu belassen. Dann treiben Sie den Teufel mit dem Beelzebub aus. Sie stehen dann alle, die Sie das zu verantworten haben, 1993, 1994 bei einer unveränderten Zustromsituation vor unlösbaren Aufgaben. Dann werden viele sagen: Das haben wir immer schon gesagt, auch damit kann man es nicht lösen; sie sind unfähig. Und dann kommt genau das, was wir alle nicht wollen: Die Radikalen werden daraus ihre Suppe kochen.
Wenn die demokratischen Parteien nicht in der Lage sind, dies bei allen Widerständen zu lösen, dann haben wir alle miteinander zu verantworten, daß diese Demokratie Schaden nimmt.
Danke schön.
({21})
Das Wort hat nun der Minister für Bundesangelegenheiten und Europa des Landes Rheinland-Pfalz, Florian Gerster.
Staatsminister Florian Gerster ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Beifall der CDU/CSU für Herrn Stoiber war erstaunlich; denn er hat Ihnen in wesentlichen Teilen seiner Rede gesagt, daß die Instrumente, die die Fraktion der CDU/CSU vorschlägt, untauglich sind.
({1})
Das Ratifizierungsgesetz zum Schengener Abkommen hat im Bundesrat überwiegende Zustimmung gefunden; im übrigen auch die Zustimmung des Landes Bayern, obwohl das Land Bayern - vertreten durch Herrn Stoiber - deutlich gemacht hat, daß die „hinkende Teilnahme" - da wird ja bewußt ein unfreundliches Wort genommen - das Ganze unwirksam macht. Aber trotzdem hat Bayern im Bundesrat mit der großen Ländermehrheit zugestimmt.
Damit ist ein wichtiger Schritt zu einer Europäischen Politischen Union hin getan worden, auch dann, wenn wir auf Grund des Art. 29 Abs. 4 des Übereinkommens nicht in vollem Umfang sofort teilnehmen;
Staatsminister Florian Gerster ({2})
denn diese Ausnahmeregelung will eben erst die europäische Lösung verwirklicht oder in Angriff genommen sehen, bevor so weittragende Konsequenzen wie die Änderung der Verfassung gezogen werden.
Die Brisanz dieses Themas kann nicht geleugnet werden. Im ersten Quartal dieses Jahres gab es allein rund 100 000 Asylanträge. Es ist auch richtig - das haben viele Redner übereinstimmend festgestellt -, daß sich ein großer Teil der Asylbewerber auf das Asylrecht beruft, obwohl es in der Substanz auf sie nicht zutrifft.
Ich war aber froh darüber, Herr Kollege Stoiber, daß Sie heute im Gegensatz zu der Debatte im Bundesrat mit etwas mehr Verständnis für die Menschen gesprochen haben, die aus anderen Gründen als politischer Verfolgung zu uns kommen. Wenn wir uns dieses Mindestmaß an Verständnis für Menschen in einer existentiellen Notlage bewahren und dann über Gemeinsamkeiten in der Problembewältigung reden, dann, denke ich, können wir auch deutliche Schritte im Interesse der Bevölkerung, der Kommunen und der Länder weiterkommen.
Wir sind verpflichtet, nach echten Lösungen zu suchen und Scheinlösungen zu vermeiden. Dabei sind fundamentalistische Töne, ob sie nun von der einen Seite aus Bayern oder von der anderen Seite aus Niedersachsen kommen - ich denke an einen kleinen Koalitionspartner dort -, wenig hilfreich.
Wenn Sie die Maßstäbe, die im Entwurf und in der Begründung der CDU/CSU-Fraktion zur Einschränkung von Art. 16 des Grundgesetzes niedergelegt sind, an die genannte Zahl von 100 000 Asylbewerbern im ersten Quartal dieses Jahres anlegen, dann werden Sie feststellen, daß die sogenannte Positivliste - Länder, in denen Verfolgung ausgeschlossen werden kann - auf zwei Drittel der Asylbewerber im ersten Quartal 1992 nicht angewendet werden kann. Wir müssen also deutlich sagen, was wir mit einer Verfassungsänderung erreichen wollen und können. Herr Stoiber hat recht, wenn er sagt, daß das, was vorgeschlagen wird, allenfalls einen Teil des Problemes lösen kann.
Aber wer wirklich dramatisch den Rechtsschutz und die Individualprüfung einschränken will - das will das Land Bayern -, der muß zu einer Art Gnadenrecht übergehen. Das ist die Substanz der Debatte:
({3})
weg von dem subjektiven Recht auf Asyl hin zu einem Gnadenrecht, das der Staat nach Gütdünken gewährt.
({4})
- Richtig.
Im übrigen: Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern und im Verhältnis von Regierung und Opposition in diesem Hause kann man das, was Herr Schäuble heute morgen über die zeitliche Abfolge - erst Grundgesetzänderung, dann eine europäische Lösung - sagte, genau umdrehen. Wenn wir nämlich die Grundgesetzänderung jetzt in der Fassung der CDU/CSU oder in der Fassung des Landes Bayern auf den Weg bringen, dann fehlt auch innenpolitisch der Druck, daß wir in Deutschland das tun, was wir jetzt schon unterhalb der Schwelle des Grundgesetzes tun können, um wirklich die Belastungen, die vom Kollegen Stoiber zutreffend beschrieben worden sind, für Länder und Gemeinden zu verringern.
Genau da gewinnt der sogenannte 16er Schlüssel, von dem Herr Kleinert gesprochen hat, an Bedeutung. Wenn wir den aus der Hand geben und sagen, okay, wir machen eine Grundgesetzänderung, dann ändert sich danach im nationalen, im innerstaatlichen Verhältnis nichts mehr. Denn da hat die Bundesregierung eine dramatische Bringschuld gegenüber den Ländern und Gemeinden, der sie bis zum heutigen Tage nicht ansatzweise gerecht geworden ist.
Dies alles ist mehrfach beschrieben worden. Ich beschränke mich deswegen auf wenige Akzente. Ein europäisches Asylrecht muß in eine Flüchtlings- und Einwanderungspolitik auf europäischer Ebene eingebettet sein, die weit über den eigentlichen EG-Geltungsbereich hinaus greifen muß und die auch die Einwandererstaaten an den Grenzen der EG einbezieht. Das wird übrigens aufwendig und teuer sein, ob das nun die CSFR, Polen oder Österreich betrifft.
Darüber hinaus ist aber auch von Bedeutung, daß diese europäische Lösung nur greifen kann, wenn wir uns auf Standards verständigen, die europaweit gelten und die im wesentlichen in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegt sind.
Wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind, oder wenn deutlich wird, daß diese Voraussetzungen zu erreichen sind, ist eine Änderung des Art. 16 GG vertretbar. Sie ist dann auch notwendig, um das auf europäischer Ebene zu ermöglichen, was von deutscher Seite dazu beigetragen werden muß.
Herr Stoiber und meine Damen und Herren von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen, warum ist es Ihnen eigentlich nicht gelungen, bei den Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag die Vergemeinschaftung des Asylrechts, die Vergemeinschaftung des Ausländerrechts und die Vergemeinschaftung des Einwanderungsrechts in Europa durchzusetzen?
({5})
Warum hat sich Ihre Kraft offenbar bei der Festlegung der Prinzipien zur Wirtschafts- und Währungsunion erschöpft und nicht mehr ausgereicht, diese Vergemeinschaftung, diesen für uns als substantiell zu bezeichnenden Tatbestand zu erreichen? Nicht einmal die Erhöhung der Zahl unserer Sitze im Europäischen Parlament wurde erreicht. Das ist das große Versagen dieser Bundesregierung und nicht etwa eine fundamental falsche Weichenstellung in der Wirtschafts- und Währungsunion. Diese Fundamentalkritik teile ich gar nicht. Da haben wir Wesentliches durchsetzen können, was uns wichtig ist. Die Nichtvergemeinschaftung des Asylrechts aber ist ein schlimmes Versagen der Bundesregierung; gleichermaßen die Nichterhöhung der Sitzzahl, was auch
Staatsminister Florian Gerster ({6})
genannt werden muß, weil es mit in die Verhandlungen gehört.
Das Versagen der Bundesregierung auch gegenüber den Bundesländern - das sage ich als Vertreter eines Landes, das wichtige Voraussetzungen durch Gemeinschaftsunterkünfte, zusätzliche Richterstellen und Verwaltungskräfte geschaffen hat - ist dramatisch, da die Vereinbarungen vom Oktober 1991 - das ist mehrfach erwähnt worden - nicht einmal ansatzweise umgesetzt worden sind, obwohl viele Beispiele aus europäischen Ländern zeigen, daß eine Verfahrensbeschleunigung möglich ist.
Meine Damen und Herren, wir können nur zweigleisig vorgehen. Wir müssen einerseits national, innerstaatlich alles Erforderliche tun, um zu zeigen, daß wir die Probleme nicht nur beschreiben und darüber streiten können, sondern sie auch lösen können. Das ist wichtig zum Abbau von Politikverdrossenheit und Staatsverdrossenheit. Wir müssen andererseits in Europa eine europäische Flüchtlings-und Wanderungspolitik durchsetzen. Der Einfluß der Bundesrepublik Deutschland war in anderen Fragen wirkungsvoll; hier muß er es auch werden. Das ist in erster Linie eine Frage des Verhandlungsgeschicks und der Durchsetzungskraft dieser Bundesregierung. Dann können wir Akzeptanz in der Bevölkerung für Maßnahmen schaffen, die sicherstellen, daß das Asylrecht für diejenigen erhalten bleibt, die wirklich politisch verfolgt sind.
Lassen Sie mich abschließend als Vertreter eines Landes an die Adresse der Bundesregierung und der Regierungskoalition folgendes sagen: Wenn die Bundesregierung und mit ihr die Koalition die Gemeinsamkeit mit den SPD-regierten Ländern sucht - wir sind bereit -, dann muß sie ihrer eigenen Verantwortung gerecht werden. Dafür fehlen bislang leider die Beweise.
({7})
Nun hat das Wort der Kollege Johannes Gerster.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß mein Vorredner meiner Familie angehört, hindert mich nicht zu sagen, daß wir in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung sind. In jeder Familie gibt es schwarze oder rote Schafe. Eben haben Sie ein rotes Schaf gehört.
({0})
Politikverdrossenheit besteht zu Recht, wie ich glaube, weil in dieser schwierigen Frage „Asyl" bisher nicht ausreichend gehandelt wurde und weil wir Gefahr laufen, durch Fachchinesisch und Kauderwelsch eine Sprache zu sprechen, die die Bürger nicht mehr verstehen.
Ich will hier nicht fortfahren, Positionen auszutauschen, sondern versuchen, deutlich zu machen, wo wir uns vielleicht verständigen könnten und verständigen sollten. Dazu ein kleines Zitat:
Es muß klar sein, daß Asylverfahren und Asyl politisch, rassisch und religiös individuell Verfolgten vorbehalten ist.
Dieser Satz besagt ja, das allen anderen weder das Verfahren noch das Asyl zukommt. Dieses Zitat stammt von Ihnen, Frau Däubler-Gmelin.
({1})
Ich glaube, das kann jeder unterstreichen. Die Frage ist nur, was wir aus dieser allgemeinen Feststellung schließen und welche Konsequenzen wir aus dieser Feststellung ziehen müssen.
Dazu halte ich erstens fest: Politisch Verfolgte haben auch in Zukunft ohne Wenn und Aber Anspruch auf politisches Asyl. Das haben hier alle Parteien und Fraktionen gesagt,
({2})
mit Ausnahme von Herrn Weiß - nicht von Herrn Stoiber, wenn man genau hingehört hat -, wobei ich es besonders bedauert habe, daß Sie, Herr Weiß - wie ich sagen muß, wider besseres Wissen -, hier den Eindruck erwecken, als sollte das Asylrecht abgebaut werden, und von einem „schwarzen Tag" reden.
Natürlich sollen politisch Verfolgte Anspruch auf Asyl haben. Das ist ein moralisches Fundament unserer Verfassung, ja, sogar unseres gesellschaftlichen Lebens und der demokratischen Kultur in dieser Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Nur muß genauso deutlich sein: Wenn hier praktisch alle - das haben vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble, bis hin zur F.D.P. auch Herr Klose und andere hier ausgeführt - sagen, das bestehende Zuwanderungsproblem müsse gelöst werden, muß man wissen, wie man das Problem lösen kann und was zu geschehen hat. Wir haben mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz diesen Versuch gemacht.
Ich sage hier noch einmal: Dieses Gesetz hat zwei Elemente, zum einen das Element der Beschleunigung. Hier werden wir auch wegen der inzwischen großen Zunahme von Asylbewerberzahlen sehr schnell an Grenzen stoßen. Wir sind von ganz anderen Zahlen ausgegangen. Das heißt, wir werden unsere Erwartungen, wie sie noch im Oktober bestanden haben, damit nur schwerlich erfüllen können. Ich glaube, auch da besteht Konsens.
Aber dieses Gesetz hat ein zweites Element, nämlich Mißbrauchstatbestände auszuschließen, etwa über die erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu verhindern, daß Menschen nacheinander zwei, drei Verfahren unter unterschiedlichen Namen führen oder gar unterschiedliche Sozialbezüge erhalten. Allein wegen dieses zweiten Teils bleibt das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz notwendig. Wir werden es gemeinsam verabschieden müssen, wenn wir den Aufgaben gerecht werden wollen.
Johannes Gerster ({4})
Wenn aber die Feststellung richtig ist, daß wir allein über die Beschleunigung bei diesen schwierigen individuellen Verfahren der weiterhin zunehmenden Zahl von Zuwanderern - ich spreche im Moment von Ausländern, nicht von Aussiedlern; ich bin auch der Meinung, daß diese Begriffe streng getrennt werden müssen, und werde zu diesem Thema noch reden - nicht gerecht werden, dann können wir die Dinge drehen und wenden, wie wir wollen: Durch die Zusatzvereinbarungen zu den europäischen Abkommen von Schengen und Dublin werden wir international eine Verpflichtung eingehen, die wir national nicht einhalten können. Denn wenn wir gerade mit den Abkommen von Dublin und Schengen regeln, daß der Staat, der einen Asylbewerber aufnimmt, auch für die Durchführung des Verfahrens verantwortlich ist, werden wir bei dem Sozialgefälle innerhalb Europas weiterhin die Tatsache zu registrieren haben, daß allein wegen der höheren Sozialhilfe, die wir in Mitteleuropa haben, Asylbewerber zu uns kommen, die nach der internationalen Vereinbarung in einem anderen Land ihr Verfahren durchführen müssen. Solange der Art. 16 besteht, haben sie dann hier Anspruch auf das Verfahren, auf Unterkunft und Verpflegung aus öffentlichen Kassen.
Wir können zweitens ohne die Grundgesetzergänzung die Tatsache nicht ausschließen, daß Asylbewerber dann, wenn sie von anderen Ländern rechtsverbindlich abgelehnt worden sind, in die Bundesrepublik Deutschland kommen, um einer Abschiebung zu entgehen und um hier ein zweites Verfahren durchzuführen. Solange der individuelle Anspruch nach Art. 16 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 besteht, werden sie dieses Verfahren hier bekommen. Keinerlei internationale Vereinbarung hindert die Menschen daran, dieses Verfahren hier durchzuführen!
Wenn man mit den europäischen Akten redlich umgeht, muß man also sagen: Unser Grundrecht muß den internationalen Vereinbarungen angepaßt werden. Das geht nicht ohne die Grundgesetzergänzung.
Die dritte Bemerkung: Natürlich, Herr Klose, gibt es auch Zuwanderer aus Bürgerkriegsgebieten. Hier sind wir offen - um das klar zu sagen -, darüber zu reden, ob wir sie aus diesen langen Verfahren herausnehmen, wobei aber klar sein muß, daß diese Menschen, solange Bürgerkrieg geführt wird, hier sind, daß aber ihr Aufenthalt unbedingt beendet werden muß, wenn die konkrete Lebensgefahr zu Ende ist. Hier lassen wir mit uns reden; hier können wir mit uns reden lassen.
Die vierte Bemerkung: Wir sollten - ich sage offen, daß es in der Union hier noch unterschiedliche Bewertungen und Haltungen gibt, wie übrigens bei Ihnen auch - über das reden, was Sie unter dem Stichwort „Einwanderungsbegrenzungsgesetz" gesagt haben. Ich bin froh, daß von den Sozialdemokraten eines hier nicht mehr vorgetragen wird: Eine Grundgesetzänderung ist nicht notwendig; wir machen das mit einem Einwanderungsgesetz mit Quoten. - Unsere Meinung ist immer gewesen: Solange das individuelle Asylgrundrecht nach Art. 16 besteht und ein Einwanderungsgesetz mit einer Quote kommt, begrenzen wir nicht die Zuwanderung, sondern schaffen eine neue Rechtsgrundlage, d. h. wir vermehren die Einwanderung, weil die Menschen, die nicht über die Quote hereinkommen, natürlich nach wie vor das individuelle Asylgrundrecht mißbrauchen können, um aus wirtschaftlichen Gründen hier zuwandern zu können.
Dennoch sage ich: Sollte es gelingen, über eine Ergänzung des Grundgesetzes tatsächlich mindestens zu einer Halbierung der Zahl der Verfahren zu kommen, die bei uns als individuelle Verfahren durchgeführt werden, sollte es also gelingen, die Mehrheit derjenigen, die zu uns kommen, die garantiert nicht politisch verfolgt sind, in relativ schnellen Verfahren zu bescheiden und die Konsequenzen aus diesen Bescheiden auch tragen zu können, nämlich die Abschiebung oder das Beenden des Aufenthaltes, wird - dieser Meinung bin ich - die CDU/CSU sicherlich über alle möglichen Modalitäten mit sich reden lassen. Aber ich sage noch einmal: Diese Quotenregelung dürfte nie eine zusätzliche Einwanderung bedeuten, sondern allenfalls einer weiteren Beschleunigung von Zweifelsfallverfahren dienen, worüber wir gern reden, aber immer im Zusammenhang mit dieser Grundgesetzergänzung.
Die nächste Bemerkung: Meine Damen, meine Herren, ich bitte dringend - ich brauche das hier nicht auszuführen -, das Thema der Deutschen, die, Herr Klose, nicht nur Elendsflüchtlinge sind, sondern mit der deutschen Bevölkerung auf Grund von nationaler Zugehörigkeit verbunden sind, nicht durch eine Verfassungsänderung o. ä. behandeln zu wollen - damit würden wir eine Zuwanderung provozieren -, sondern den Weg weiterzugehen, durch administrative Maßnahmen zu erreichen, daß sich die Zahl der Zuwanderer auf relativ natürliche Weise weiter reduziert, wobei klar sein muß, daß für uns die Hilfe vor Ort für diese Menschen natürlich mindestens soviel Bedeutung hat wie Integrationsmaßnahmen hier. Ich behaupte, daß sie auf Dauer sogar eine größere Rolle spielt als die Integration hier.
Zwei Schlußbemerkungen: Ich möchte hier noch einmal in aller Deutlichkeit hervorheben: Wenn es gelingt - und das haben die großen Fraktionen hier übereinstimmend betont -, nicht nur, aber auch mit Hilfe einer Grundgesetzergänzung tatsächlich viele, viele unsinnige Asylverfahren zu vermeiden und damit übrigens auch Geldmittel in großen Mengen einzusparen, sind wir gut beraten, diese Mittel, die ich auf Milliarden Mark beziffere, umzuschichten, um zu helfen, Existenzen in den Gebieten zu sichern, aus denen die Menschen heute aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen. Das heißt, wir machen mit einer Beschleunigung der Asylverfahren, mit einer Konzentrierung auf die notwendigen Verfahren zur Feststellung politischer Verfolgung nicht ein wirtschaftlichfiskalisches Geschäft, sondern wollen dies wiederum nutzen, um den Menschen in der dritten und vierten Welt zu helfen, damit sie dort ihre Existenz sichern. können und bessere Zukunftschancen sehen.
Herr Kollege Gerster, Ihre Redezeit ist bereits um eine Minute überschritten.
Frau Präsidentin, ich bin sofort am Ende. Sie sehen, wie vorbildlich ich im Vergleich zu Bundesratsmitgliedern bin, die 10 Minuten überschreiten. Ich habe nur 10 Minuten gesprochen.
({0})
Dann müssen andere deswegen noch weiter einschränken.
Ich sage es in einem Satz: Das Ziel muß sein, über diese national zu ergreifenden Maßnahmen zu einer europäischen Globalstrategie zur Lösung des Flüchtlingsproblems zu kommen, mit einer gleichmäßigen Verteilung auf die Bundesstaaten in diesem Europa, so wie wir das heute zwischen Bund und Bundesländern praktizieren, um diesen gemeinsamen Aufgaben entsprechen zu können.
Meine Damen, meine Herren, ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bei der Präsidentin für ihre Großzügigkeit. - Schönen Dank.
({0})
Die Präsidentin ist überhaupt nicht großzügig, sondern Ihre Kollegen müssen das einsparen.
Nun hat die Kollegin Herta Däubler-Gmelin das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, nicht um das zu wiederholen, was wir hier schon x-mal besprochen haben, sondern um dem Kollegen Stoiber und auch dem Kollegen Gerster in dem einen oder anderen Punkt zu antworten.
Herr Kollege Stoiber, Sie haben hier mit unglaublich viel Temperament geredet. Das finde ich sehr sympathisch. Auch ich bin ja temperamentvoll. Aber ich halte es für völlig falsch, daß Sie hier so tun, als sei das, was Sie sagen, richtig.
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Das ist es nämlich nicht. Ich glaube, es wäre gut gewesen, Sie wären schon früher hierhergekommen, damit wir uns darüber hätten unterhalten können, was eigentlich an Ihrer Argumentation falsch ist und was Sie daran dringend verändern müssen, wenn Sie Ihren Beitrag dazu leisten wollen - wie wir das wollen und wie das auch die Union und die F.D.P. wollen -, das Problem der Zuwanderung so weit wie möglich lösbar zu machen und gleichzeitig das zu tun, was Sie immer in Nebensätzen sagen, nämlich politisch Verfolgten ihr Recht auf Asyl und auf Schutz zu gewährleisten.
Ich will versuchen, noch einmal ganz deutlich zu machen, was heute eigentlich nicht mehr gesagt werden darf. Wir können heute angesichts der unterschiedlichen Gruppierungen der Zuwanderer, die wir haben, und der unterschiedlichen Antworten, die wir auf die entsprechenden Fragen geben müssen, nicht mehr davon reden, als gäbe es nur den möglichen
Flüchtling und daneben nur die große Gruppe derjenigen, die Mißbrauch üben. Das ist einfach nicht richtig!
Oder sind Sie wirklich der Meinung, daß Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien davonlaufen - sie sind ja in Ihrer Zahl der sogenannten Mißbrauchsflüchtlinge enthalten; juristisch kann man das so sehen, auch wenn es von der Sache her nichts bringt, weil sie weder unter Art. 16 des Grundgesetzes noch unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen -, Mißbrauchsflüchtlinge sind? Sagen Sie doch lieber mit uns: „Wir wollen nicht, daß diese Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge ins Asylverfahren hineinkommt",
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weil es richtig ist, was Herr Gerster gesagt hat - er hat mich da dankenswerterweise zitiert -: Wir wollen nicht, daß diese Bürgerkriegsflüchtlinge ins Asylverfahren kommen. Das soll den möglicherweise politisch, religiös und rassisch Verfolgten vorbehalten sein.
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- Das ist aber der Punkt.
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- Nein, wir brauchen - das wissen Sie ganz genau - dafür eine eigene Rechtsgrundlage. Das ist von Herrn Klose ausgeführt worden, und das ist auch richtig.
Der zweite Punkt betrifft etwas, was meiner Ansicht nach sehr stark dazu beiträgt, Emotionen zu schüren. Ich will jetzt einmal so tun, als würde ich Ihnen abnehmen, daß sie das nicht wollen, weil Sie sehen, daß auch Sie als bayerische CSU von einer solchen Strategie nichts haben. Ich sage Ihnen nämlich: Wenn es so weitergeht, werden die Republikaner bei Ihnen genau die gleichen Einbrüche erzielen, wie sie das in Baden-Württemberg getan haben, weil die Wähler immer das Original wählen. Wenn Sie ein Problem so darstellen, als sei nur noch die Möglichkeit einer Antwort gegeben, die heißt „Ausländer raus!", dann wählen die Menschen die Reps und nicht Sie.
Aber ich will jetzt einfach einmal unterstellen, daß Sie dies nicht wollen. Dann hätten Sie hier erwähnen müssen - es liegt doch in Bayern sehr nahe, dies zu erwähnen -, woran denn die Zunahme der Zuwanderung liegt. Die Zuwanderung nach Deutschland liegt doch nicht an unserem Grundrecht. Das ist doch mittlerweile weitestgehend identisch mit dem, was die Genfer Flüchtlingskonvention auch in den anderen Ländern theoretisch vorschreibt. Sie liegt vielmehr daran, verehrter Herr Stoiber - genau Sie wissen das -, daß Deutschland an der Nahtstelle zum ehemaligen Eisernen Vorhang liegt und daß dieser Eiserne Vorhang, der bisher die Menschen abgehalten hat zu kommen, und zwar durch Schießbefehl, durch Mauer und Stacheldraht, jetzt nicht mehr da ist.
Sagen Sie doch einmal, wie leicht es heute ist, nachdem - das wollten wir ja alle - dieser Eiserne
Vorhang weg ist, von Bayern in die Tschechoslowakei zu kommen, und daß das der Grund ist, warum so viele aus der Tschechoslowakei oder über die Tschechoslowakei nach Bayern kommen. Die Leute davon abzuhalten, nach Mitteleuropa zu kommen, d. h. zunächst in die Bundesrepublik, das wird uns nur dann gelingen, wenn wir es gemeinsam schaffen, Herr Gerster, das zu tun, was Sie jetzt gerade wieder gesagt haben und was auch wir für richtig halten - aber das braucht Zeit -, nämlich die Ursachen für die Flucht zu beheben. Wie wenig wir das schaffen, das sehen wir jetzt gerade an den vergeblichen Bemühungen der EG in Jugoslawien oder - das ist eine Alternative, die doch keiner von uns will - wir verhalten uns so wie die alte DDR. Sie war das einzige zuwanderungsfreie Land in ganz Europa. Warum? Wegen Mauer, wegen Stacheldraht und Schießbefehl. Das ist doch der Grund. Das wollen wir nicht!
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Herr Stoiber, ich erwarte von jemanden wie Ihnen, daß diese ganz entscheidende Bedingung für die Zahl der Zuwanderung einmal, nein, eigentlich jedesmal ausgesprochen wird, weil ich befürchte, daß sonst die Menschen überhaupt nicht verstehen, daß nicht auf der einen Seite potentiell Verfolgte und auf der anderen Seite Mißbrauchende stehen, die von uns etwas in Anspruch nehmen, was sie eigentlich nicht in Anspruch nehmen dürften.
Zum dritten finde ich nicht gut, daß Sie nicht deutlich machen, daß die Aussiedler, d. h. die 2,7 Millionen seit 1986 aufgenommenen Menschen, die bei uns ein Anrecht auf eine Sozialwohnung haben, weil wir sie integrieren wollten, und die eine Menge von Privilegien haben, so viele, daß viele von unseren normalen Bürgerinnen und Bürgern das nicht mehr verstehen, natürlich Zuwanderer sind. Es ist richtig, daß wir für sie gewisse Unterschiede machen, weil wir sagen, diese Menschen - jedenfalls soweit sie zu der sogenannten Erlebnisgeneration gehören - haben unter Hitler und Stalin gelitten. Für diese Generation können wir, Herr Gerster, wenn wir uns auf eine Regelung einigen - was ich gut fände -, bei der Zuwanderung möglicherweise Erleichterungen schaffen. Aber ich möchte gern, Herr Stoiber, daß wir dazusagen: Es sind Zuwanderer.
Wir müssen auch deutlich machen, daß z. B. folgendes nicht richtig ist: Der Sohn meiner Nachbarin, der als Elektriker gerade eine Meisterprüfung macht, muß, wie er mir erzählt, eine Gebühr zahlen, die nicht zu knapp bemessen ist. Neben ihm macht der Sohn eines Aussiedlers die gleiche Meisterprüfung, der hier ebenfalls arbeitet und verdient, und der zahlt keine Gebühr. Solche Ungleichbehandlungen, Herr Stoiber, dürfen nicht sein. Auch die werden wir abbauen müssen.
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- Es gibt ein paar Sachen, die wir abräumen sollten; das wissen Sie ganz genau. Denn genau die Bürgerinnen und Bürger, von denen Herr Stoiber geredet hat, werfen alles in einen Topf. Wir sollten das nicht tun, aber wir sollten natürlich sehen: Einiges muß unbedingt verändert werden.
Jetzt kommt der nächste Punkt. Ich finde es außerordentlich unredlich von Ihnen - darf ich das ganz deutlich sagen -, daß Sie die Zuwanderungszahlen der Bundesrepublik Deutschland z. B. mit denen der EG-Staaten vergleichen, um dann Ihre - wie Sie genau wissen - falsche These zu stützen, das läge an unserem Grundgesetz, daß Sie aber nicht die Zuwanderungszahlen von Österreich heranziehen. Wenn Sie nämlich die Österreicher betrachten, werden Sie feststellen: Sie haben mit der Zuwanderung aus dem Osten genau die gleichen Probleme wie wir. Warum? Weil auch Österreich an der Schnittstelle zum ehemaligen Eisernen Vorhang liegt. Das heißt, die Probleme müssen wirklich mit der Frage des Verschwindens des Eisernen Vorhangs verknüpft werden.
Darf ich wiederholen: Ich finde es sehr wichtig, daß wir nicht nur sagen, wir wollen keine Illusionen verbreiten, sondern das auch nicht tun, weil wir sonst der Politik die Möglichkeit nehmen, nach Änderungen zu suchen und sie auch durchzusetzen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Genau das muß aus den Wahlen gelernt werden.
Es gibt noch eine zweite Lehre aus den Wahlen: daß sich Opportunismus nicht auszahlt.
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- Ich gehöre zu denen, die hier am wenigsten Opportunismus verbreitet haben. Ich sehe ganz andere Leute, die sich da sehr deutlich an die Brust klopfen sollten.
Meine Damen und Herren, eine dritte Lehre: Scheinlösungen zu verbreiten führt zu starken Frustrationen. Deswegen - um Ihnen in einem Punkt recht zu geben, Herr Stoiber - teile ich Ihre Auffassung: Das, was die Union vorgibt, mit ihrer Grundgesetzergänzung erreichen zu wollen, kann sie nicht erreichen.
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Die Änderung, die die Union vorschlägt, kann das nicht erreichen. Sie kann auch nicht erreichen, daß wir in Europa eine Regelung bekommen, die wir tatsächlich brauchen. Ich habe hier schon häufig genug ausgeführt, warum wir sie wollen und wie wir sie wollen.
Ich will noch etwas zu Herrn Seiters sagen: Herr Seiters, ich hätte gerne, daß die Bundesregierung und ganz speziell Sie nicht so tun, als sei Schengen eine Antwort auf die Probleme, die wir heute haben, gerade wenn wir die Zuwanderung aus dem Osten sehen. Sie wissen das ganz genau, und ich weiß, daß Sie das wissen. Deswegen müßten Sie hier, bitte schön, auch einmal sehr deutlich sagen, daß die etwa eine Viertelmillion Zuwanderer aus dem Osten mit Schengen und mit den Regelungen von Schengen in keiner Verbindung stehen und daß es deswegen unsere gemeinsame Aufgabe sein muß, gemeinsame Regelungen mit den Nachbarn in West und Ost zu entwickeln. - Ich sehe, Sie stimmen mir zu. Das möchte ich hier nur gerne einmal von Ihnen hören!
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Ich hätte es auch gut gefunden, wenn Sie sehr deutlich erwähnt hätten, daß natürlich Gott sei Dank überall die Genfer Flüchtlingskonvention und auch die Menschenrechtskonvention gelten. Davon, Herr Stoiber, wollen wir nicht weg.
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Wir wollen auch nicht weg von den individualen Prüfungsrechten, die die Genfer Flüchtlingskonvention vorsieht. Das wollen wir nicht, um das ganz klar zu machen. Da gibt es offenbar Unterschiede zwischen Ihnen von der CSU und anderen in der CDU.
Aber, Herr Seiters, wegen der unterschiedlichen Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention muß es Klarheit in drei Fragen geben, erstens in der Frage: Wer ist Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention? Zweitens: Wer stellt das fest? Drittens: Was sind dafür die Mindestverfahrensanforderungen? - Ich sehe, daß Sie, Herr Staatssekretär Neusel, nicken. Auch ich halte das für richtig. Ich habe es deswegen hier schon x-mal vorgetragen. Es ist übrigens auch erreichbar, und zwar schnell.
Jetzt komme ich zu den Mindestanforderungen. Herr Stoiber, nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben Menschen, die hier sind, ebenso wie nach unserem Grundrecht ein Recht darauf, daß individuell geprüft wird, ob sie ein Bleiberecht haben oder nicht. Sie haben ein Recht darauf, daß das nicht nur durch eine Verwaltungsentscheidung festgestellt wird, sondern auch durch eine im Einzelfall weisungsunabhängige Prüfungsinstanz überprüft wird. Dies ergibt sich - ich würde mich gerne anheischig machen, Ihnen viele Juraprofessoren bis hin zum Bundesverfassungsgericht dazu zu zitieren - aus unserem Rechtsstaatsprinzip. Daß der Art. 19 Abs. 4 diese weisungsunabhängige Entscheidung den Gerichten überantwortet hat, macht Sinn. Deshalb sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, daß nicht nur grundsätzliche Gründe, sondern auch ganz praktische dafür sprechen: Die Beschwerdeausschüsse, die Sie uns nämlich immer wieder andienen, sind sehr viel personalintensiver als das, was Art. 19 Abs. 4 in diesen Fällen als notwendige Mindestrechtsschutzgarantie vorschreibt. Nur segelt Ihr Vorschlag unter einem anderen Etikett, und, Herr Stoiber - das macht es vielleicht für Sie als Ländervertreter so attraktiv -, die Beschwerdeausschüsse, die beim Bund angesiedelt werden, würden natürlich vom Bund bezahlt werden müssen.
Es ist doch so, daß wir das alles hier schon durchgeprüft haben: Was sind die Ziele, die wir erreichen wollen - Schutz für politisch Verfolgte und Steuerung der Zuwanderung -, und was können wir innerhalb der völkerrechtlichen Regelungen, die wir ebenfalls voll unterschreiben, in Europa erreichen? Dazu gehört die Regelung der Beschwerdeausschüsse aus rechtsstaatlichen und aus praktischen Gründen nicht.
Herr Gerster, ich habe mich darüber gefreut, daß Sie gesagt haben: Lassen Sie uns eine Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge finden, die diese nicht ins Asylverfahren bringt. Das finde ich gut. 20 bis 25 % sind angesichts der enorm steigenden Zahlen schon bedeutend. Ich habe mich zweitens darüber gefreut, daß Sie sagen: Wir können über die Aussiedlerfrage reden; wir machen es möglichst so, daß wir keinen Ansaugeffekt bekommen. Das ist vernünftig.
Ich fände es sehr gut, Herr Seiters, wenn Sie die Vereinbarung mit unseren Nachbarn in der Frage, wer Flüchtling ist und wer es feststellt, sowie hinsichtlich der Mindestgarantien in Europa schnell angingen. Ich wiederhole genau das, was ich immer sage: Wenn dann zur Anerkennung von Entscheidungen unserer Nachbarn im Osten und Westen auf dieser Grundlage bei uns gesetzliche, auch grundgesetzliche Veränderungen notwendig sind, sind wir bereit, nicht nur mit uns darüber reden zu lassen, sondern eine vernünftige Regelung zu finden.
Nur eines, meine Damen und Herren, machen wir mit Sicherheit nicht: Wir machen nicht mit, daß man so tut, als gebe es für das schwierige Problem, nämlich die Steuerung der Zuwanderung aus dem Osten, nur eine Lösung, nämlich die Änderung des Art. 16, und daß Sie weiter erklären, dies werde alles lösen, was ja nicht der Fall ist.
({10})
- Nein, nein.
Wir machen noch etwas anderes nicht mit, nämlich daß die Bundesregierung, die in bezug auf die Beschleunigung der Verfahren, die Einstellung von Entscheidern und eine Vereinbarung auf europäischer Ebene handeln kann, das nicht tut, damit die Situation verschärft und dadurch hervorruft, daß unser Ziel, nämlich politisch Verfolgten weiterhin den Schutz und das Asyl im europäischen Rahmen zu garantieren und die Zuwanderung zu steuern, gefährdet wird. Das machen wir nicht mit!
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Unser Ziel ist es, die Zuwanderung zu steuern, aber politisch Verfolgten und denen, die es sein können, den Schutz, den sie heute bei uns haben, weiterhin zu gewährleisten, und das auf europäischer Ebene.
Ganz herzlichen Dank.
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Nun hat der Kollege Burkhard Hirsch das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte befürchtet, eine längere Redezeit in Anspruch nehmen zu müssen, um auf den bayerischen Staatsminister Stoiber angemessen antworten zu können. Das ist nicht nötig. Ich kann mich völlig dem anschließen, was Frau Kollegin Däubler-Gmelin dazu gesagt hat. Wir wollen das Asylrecht als ein individuelles Recht erhalten. Wenn man es zu einer, wie das Tarnwort heißt, Garantie machen würde, wäre es das berühmte Lichtenbergsche Messer ohne Heft und Klinge,
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d. h. es steht auf dem Papier, aber ob es auch Wirklichkeit wird, wollen wir dann einmal später sehen. So
kann man mit einem Recht, das auf der Achtung vor der Individualität eines Menschen beruht, nicht umgehen. Wir werden also an dieser Rechtsschutzgarantie festhalten.
Herr Stoiber hat das französische Rechtssystem angesprochen. Aber wahrscheinlich ist seine Synopse, von der er gesprochen hat, noch nicht fertig. In Frankreich gibt es nämlich ein zweistufiges Rechtsmittelsystem, bis hin zum Conseil d'Etat. In Frankreich gibt es eine großzügige Kontingentflüchtlingsregelung. Frankreich hat mehr Kontingentflüchtlinge aufgenommen, als die Bundesrepublik Deutschland politische Flüchtlinge im Asylverfahren anerkannt hat. Es gibt in Frankreich für Asylbewerber von Anfang an die Arbeitserlaubnis, keine Unterbringung in Sammellagern und volle Freizügigkeit im Land. Allerdings akzeptieren die Franzosen auch den illegalen Aufenthalt von über 1 Million Ausländer. - Wer sagt, die französische Lösung sei eine tolle Lösung, muß sie sich also wirklich erst einmal im einzelnen ansehen.
Das Asylrecht bewegt viele Menschen. Ihnen macht der Eindruck angst, daß die Politik das Problem der Zuwanderung nicht lösen könne oder nicht lösen wolle. Die einen meinen, sie würden von Einwanderern ausgebeutet, die ihre Wettbewerber um Wohnung, Arbeit und Bildung seien. Andere wiederum fürchten, der Staat werde hilflos dem Fremdenhaß nachgeben und damit eine wichtige Grundlage räumen, auf der die Zustimmung vieler Bürger in unserem Staat beruht, nämlich daß dieser Staat der Humanität verpflichtet ist und sich denen nicht verschließt, die bei uns Schutz und Hilfe suchen.
Es ist sicherlich falsch, die Belastungen zu verniedlichen, die aus der Vielzahl der Asylbewerber entstehen. Es ist aber ebenso falsch, darüber hinwegzugehen, daß das Asylrecht auf dem Respekt vor der Gewissensfreiheit, der persönlichen Überzeugung, der Individualität der Menschen beruht. Es ist nicht nur ein Erbe unserer Geschichte, sondern auch und vor allem eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
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Wer an dem Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" festhalten will, sollte daran nicht herumschnitzeln. Niemand wird aus der Fortdauer oder der ständigen Verschärfung der Polarisierung einen Nutzen ziehen. Darum wollen wir hier noch einmal ohne jede Polemik die Position klarmachen.
Die westeuropäischen Länder sind Einwanderungsländer geworden, auch wenn sie es nicht so recht wollen, und zwar ganz unabhängig von ihren Verfassungen und von ihren Asyl- oder Einwanderungsgesetzen. Für Frankreich habe ich das dargestellt. In der Schweiz und in Österreich leben, prozentual auf die Gesamtbevölkerung bezogen, mehr Ausländer als in der Bundesrepublik. Aber auch wir haben außerordentliche Integrationslasten durch Asylbewerber, Aussiedler, Ausländer und in den alten Bundesländern auch durch Übersiedler aus Ostdeutschland zu tragen. Ursachen sind die Öffnung der Grenzen, die wir wollen, die Zukunftssorgen der schon einmal vertriebenen Deutschen in Rußland, um die wir uns kümmern, krasse Unterschiede im Lebensstandard, die so nicht bleiben können, Bürgerkriege, die wir nicht als Asylgrund anerkennen, und die Verletzung von Minderheits- und Menschenrechten, die wir anprangern.
Wer dem Bürger gegenüber behauptet, das sei durch eine Änderung oder Abschaffung des Asylgrundrechts zu lösen, täuscht sein Publikum.
({2})
Wenn wir Europäer unsere Grenzen nicht schließen wollen, dann müssen wir gemeinsam größere Anstrengungen zur Beseitigung der Wanderungsursachen erbringen, hier oder in den Herkunftsländern.
Natürlich sind wir bereit, über alle damit in Zusammenhang stehenden Aspekte zu reden. Wir empfinden die überfraktionellen Verhandlungen, die wir zur dringend erforderlichen Beschleunigung der Asylverfahren brauchen, als ermutigend. Wir brauchen gemeinsame Lösungen und wollen daran mitwirken.
Das Asylrecht ist Sein Teilaspekt, wenn auch ein wichtiger Teilaspekt. Fast 70 % der Bewerber sind Europäer; fast der gesamte Zuwachs gegenüber dem Vorjahr besteht aus Bürgerkriegsflüchtlingen aus Jugoslawien, die eigentlich überhaupt nicht in ein Asylverfahren hineingehören.
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Die Hauptherkunftsländer sind Jugoslawien, Rumänien und die Türkei mit über 60 % aller Bewerber. Mit dem Schengener Abkommen hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Wir wollen das Schengener Abkommen ohne Wenn und Aber so ratifizieren, wie es die Bundesregierung unterzeichnet hat. Es ist völlig unbestreitbar, daß die asylrechtlichen Bestimmungen rechtlich keine Verfassungsänderung voraussetzen - weder bei uns noch bei den anderen Mitgliedstaaten, die das Asylrecht in ihren Verfassungen behandeln wie Frankreich, Italien, Portugal und Spanien. Das war ja auch unsere gemeinsame Absicht, auf die hin verhandelt worden ist, wie sich auch aus der Denkschrift zu dem Schengener Zusatzabkommen eindeutig ergibt.
Wir werden auch kein „Reserveasylland", wie immer wieder gesagt wird. Wir haben nach dem geltenden Asylrecht die Möglichkeit, einen Flüchtling in einen Schengener Vertragsstaat zurückzuschicken, wenn er zunächst dorthin geflohen ist und dort sicher war, selbst wenn er dort ein erfolgloses Asylgesuch gestellt hatte. Das ist geltendes Recht. Das bleibt auch so. Wir wollen auf der anderen Seite aber auch nicht ein Reserveasylland in dem Sinne werden, daß wir politische Flüchtlinge nur dann aufnehmen, wenn absolut kein anderer mehr da ist, der diese lästige Aufgabe für uns übernehmen kann. Auch das wäre keine europäische Lösung.
Ich kann unsere Teilnahme auch nicht als hinkend empfinden.
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Es ist ein merkwürdiger Ausdruck, der sich nicht einbürgern sollte. Ich finde diesen Ausdruck diskriminierend.
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Es ist ein merkwürdiger Ausdruck, denn das Schengener Abkommen bringt ja leider nicht die europäische Harmonisierung, die für einen Raum ohne Binnengrenzen notwendig wäre. Das Schengener Abkommen - man sollte es wirklich einmal lesen, wenn man darüber spricht - regelt nur, wer für einen Flüchtling zuständig sein soll, sonst nichts. Nach dem Schengener Abkommen soll jeder Staat - auch ohne die nationale Vorbehaltsklausel - sein nationales Asylrecht ohne jede Einschränkung behalten. Jeder Staat bleibt frei, ob er den Asylbewerber wenigstens während des Verfahrens aufnimmt. Jeder Staat bleibt frei, ob und in welchem Umfang einem Asylbewerber rechtliches Gehör eingeräumt wird. Jeder Staat bleibt darin frei, was er als politische Verfolgung betrachtet und welche sonstigen humanitären Gründe er akzeptiert, einen abgelehnten Asylbewerber trotzdem zu erdulden. Nach dem Abkommen bleibt jeder Staat merkwürdigerweise selbst darin frei, ob er die Asylentscheidungen eines anderen Vertragsstaats anerkennt oder ob er das nicht tut.
Ich sage noch einmal: Nicht nur die Bundesrepublik, sondern jeder einzelne Schengener Vertragsstaat bleibt in allen diesen Fragen frei, und zwar nicht etwa auf Grund des sogenannten nationalen Vorbehalts, sondern nach dem Inhalt und der Absicht dieses Vertrages.
Das ist der Hintergrund, auf dem die vorgeschlagene Verfassungsänderung gesehen werden muß. Die Forderung, die sich stellt, bedeutet nämlich, daß jeder Flüchtling in einen anderen Vertragsstaat zurückgeschickt werden muß, über den er in die Bundesrepublik im Transit gekommen ist, und zwar unabhängig davon, wie dieser Staat sein nationales Asyl- oder Flüchtlingsrecht jetzt oder in Zukunft gestaltet.
Herr Kollege Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?
Ich möchte damit von der bisherigen Übung in dieser Debatte abweichen: selbstverständlich, Herr Kollege.
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Herr Dr. Hirsch, ich darf mich herzlich bei Ihnen bedanken. - Herr Dr. Hirsch, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Bestimmung des § 29 Abs. 4 des Schengener Abkommens, die Sie vorhin genannt haben, nur auf ausdrücklichen Wunsch der Bundesrepublik Deutschland in dieses Abkommen eingeführt worden ist und daß das, was Sie bezüglich der Freiheit aller Staaten gesagt haben, eine Konsequenz dieser Haltung und dieser Handlung der Bundesrepublik darstellt?
Lieber Herr Kollege, unabhängig davon, auf wessen Wunsch hin irgend etwas eingeführt wird: Wenn es drin ist, ist es drin. Das ist der Punkt.
({0})
So ist verhandelt worden, nicht im Zustand der Bewußtlosigkeit, sondern in voller Absicht. Und ich kann Ihnen sagen, daß in den politischen Beratungen sowohl in Frankreich wie in den Niederlanden dieser nationale Vorbehalt eine große Rolle gespielt hat.
Aber noch einmal - und ich wiederhole das Entscheidende -: Dieser nationale Vorbehalt bezieht sich ja nur auf die Zuständigkeitsfrage. Und leider läßt dieses Abkommen, ob mit oder ohne Vorbehalt, die dargestellten völligen Unterschiede in den einzelnen Asylrechten der europäischen Länder unberührt.
Da muß man konsequent sein und sagen: Wer an dem Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" festhält, der darf diesen Satz nicht bei Gelegenheit des Schengener Abkommens nur auf die Flüchtlinge begrenzen wollen, die entweder vorher von einer unserer Botschaften ein Visum bekommem haben oder die mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik eingereist sind. Wer ein Grundrecht formuliert, wer ein Grundrecht in der Verfassung stehen läßt, der muß es für denjenigen, der vor uns steht, auch realisierbar machen, und zwar unabhängig davon, ob er mit der Eisenbahn oder mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik gekommen ist.
Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Asylrecht. Das wird in einem Raum ohne Binnengrenzen nicht anders gehen. Wir müssen gemeinsame Regeln auch mit den Nachbarn finden, die nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören. Darum hat mich der Abs. 2 a Ihres verfassungsändernden Vorschlages verwundert. Wir werden doch nach Lage der Dinge Österreich und die Schweiz und wohl auch die Tschechoslowakei und Polen aus einer Harmonisierung nicht ausschließen können.
Dieses gemeinsame System kann sich auf wenige tragende Grundsätze beschränken, die in jedem Vertragsstaat mindestens erfüllt sein müssen: auf den Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention, das rechtliche Gehör, die individuelle Prüfung des Antrages, eine unabhängige Kontrollinstanz - nach Möglichkeit ein Gericht -, bestimmte Regeln für einen Abschiebungsschutz und, nach Möglichkeit, ein Verfahren, das eine einheitliche Auslegung des Verfolgungsbegriffs ermöglicht.
In einem solchen System könnte man die in einem anderen Vertragsstaat getroffene positive oder negative Asylentscheidung anerkennen. Und das ist doch entscheidend, nicht ein europäisches Grundrecht; es kommt darauf an, daß wir sicher sein können, daß die Asylverfahren in den anderen Ländern gemeinsamen Auslegungen und bestimmten Mindestanforderungen rechtsstaatlicher Garantien entsprechen.
An einem solchen System muß die Bundesrepublik mit gleichen Rechten und Pflichten teilnehmen, wie das im Koalitionsvertrag von uns gemeinsam festgehalten worden ist, mit gleichen Rechten und Pflichten auch, wenn dafür eine Verfassungsänderung erforderlich werden sollte, was man aber erst dann beurteilen kann, wenn ein solches Verhandlungsergebnis
vorliegt. Wir brauchen, mit anderen Worten, einen gemeinsamen europäischen humanitären Standard.
Wir suchen zur Erreichung dieses Ziels die Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner und auch mit der Opposition in diesem Hause, wie wir das in den letzten Jahren bei schwierigen Problemen wiederholt getan haben. Wir sind sicher, daß wir für eine solche vernünftige Lösung auch die Zustimmung der Mehrheit des Bundesrates finden können. Wir denken, daß wir auch den Innenminister bei den notwendigen weiteren Verhandlungen mit unseren europäischen Nachbarn wirksam unterstützen können und bieten das an.
Zur Ratifizierung des Schengener Zusatzabkommens sind wir ohne Wenn und Aber, ohne Vorbehalt, bereit.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Gregor Gysi.
({0})
Ich hatte Ihnen ja versprochen, das fortzusetzen.
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Ich kann ja nichts für die komischen Regeln hier. - Ich weiß, Sie haben sich schon sehr darauf gefreut. Nun ist es soweit.
Hier ist zunächst gesagt worden, daß die Kosten ungeheuer steigen. Ich habe schon einmal auf die Dramatisierung der Zahlen hingewiesen. Heute sind dazu in der „Süddeutschen Zeitung" Ergebnisse veröffentlicht. Pro Einwohner werden in der Flüchtlingsfrage in Norwegen 11,28 Dollar ausgegeben, in Schweden 10,78 Dollar, in Finnland 8,27 Dollar und in der Bundesrepublik Deutschland ganze 0,92 Dollar. Damit liegt die Bundesrepublik Deutschland an 13. Stelle. In Schweden kommt auf 67, in Deutschland auf 869 Staatsbürger ein Flüchtling - ohne die Aussiedler. Ich finde, das sind bemerkenswerte Zahlen, die hier einmal genannt werden müssen, wenn es um diese Fragen geht.
Natürlich bin ich mir darüber im klaren, daß wir es in Zukunft mit immer größeren Völkerwanderungen in die führenden Industriestaaten zu tun haben werden. Ich weiß auch, daß damit große Probleme verbunden sind. Eine Lösung besteht aber nicht darin, daß wir versuchen, die Grenzen dichtzumachen. Die Lösung besteht nur darin, daß wir die Weltwirtschaftsordnung ernsthaft ändern, d. h., daß wir die Armut in der Dritten und Vierten Welt und die beginnende Armut in Osteuropa beenden. Und dann, wenn diese wirklich notwendige Änderung hinsichtlich der Weltwirtschaftsordnung zumindest eingeleitet ist - aber auch erst dann -, kann man meines Erachtens über Einwanderungsquoten nachdenken.
Diese Änderung ist sehr viel schneller möglich, als es gemeinhin angenommen wird: z. B. durch ein Verbot des Waffenexports, z. B. durch eine Entschuldung der ärmsten Länder dieser Welt, z. B. durch wirksame Entwicklungshilfe zur Selbsthilfe oder durch eine Garantie stabiler Rohstoffaufkaufpreise und durch eine wirkliche Öffnung der Märkte für Produkte aus Osteuropa und der Dritten Welt, einschließlich Lebensmittelprodukte, Textilprodukte etc. Aber keiner dieser Schritte wird gegangen, um hier wirklich eine Änderung in den betroffenen Ländern herbeizuführen. Solange dies nicht geschieht, halte ich die Diskussion für ziemlich heuchlerisch.
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Das Schlimmste an der gegenwärtigen Diskussion - das wurde hier schon mehrfach betont - ist allerdings die Tatsache, daß damit so viele Illusionen verbreitet werden. Sie können Art. 16 des Grundgesetzes 100mal ändern. Nur, damit haben Sie kein einziges Problem im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen gelöst, und das wissen Sie auch.
Ich frage Sie, mit welchem Recht Sie eigentlich so argumentieren, solange aus jeder Mark, die in die Dritte Welt geschickt wird, 3 DM herausgeholt werden. Auch dieses Zahlenverhältnis ist durch Daten bestätigt.
Ich frage Sie: Was machen Sie eigentlich an dem Tag, an dem Hunderttausende an der Grenze stehen, die sich für das geänderte Grundgesetz nicht interessieren, die aber aus wirklicher Armut in die Bundesrepublik flüchten wollen? Wie wollen Sie diesen Strom praktisch aufhalten? Ich finde, die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hat ein Anrecht auf Antwort auf diese Frage. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie illusionär die gegenwärtigen Debatten diesbezüglich sind.
Ich möchte auch ein Wort zur SPD und zu den Argumenten sagen, die ich hier gehört habe.
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Als ich im Oktober 1990 in den Deutschen Bundestag einzog, gab es drei Punkte, von denen die SPD gesagt hat, da werde mit ihr nichts zu machen sein: Das waren die Änderung des Art. 16 GG, der Einsatz der deutschen Bundeswehr außerhalb der NATO-Grenzen und die Forderung nach Abschaffung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Ich muß mit ziemlichem Entsetzen feststellen, wie hier seit Oktober 1990 Schritt für Schritt eine Annäherung an die Position von CDU/CSU bzw. an die der F.D.P. erfolgt. In keinem dieser Fälle gab es bei der CDU/CSU eine Abweichung von ihrer ursprünglichen Argumentation und ihren ursprünglichen Standpunkten. Sie ist immer bei dem geblieben, was sie einmal gesagt hat. Die SPD nähert sich diesen Positionen dramatisch an. Ich habe dafür kein Verständnis und füge hinzu: Wenn man nun schon faktisch eine Große Koalition hat, dann sollte man sie auch ausrufen,
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damit wir hier nicht den Eindruck einer Opposition haben, die gar nicht existiert.
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Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem Gesetzentwurf des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN
zu Art. 116 des Grundgesetzes machen. Ich begrüße ihn im Prinzip. Ich finde, es wird höchste Zeit, daß dieser Volk-und-Boden-Artikel außer Kraft gesetzt wird. Er war historisch noch nie berechtigt, aber historisch auch noch nie so überlebt wie heute.
Ich würde Kritik lediglich in zweierlei Hinsicht üben: Ich halte die verlangte Aufenthaltsdauer von fünf Jahren zur Gewährung von Bürgerrechten für zu lang. Ich meine, drei Jahre würden genügen. Und was mir fehlt, ist eine Regelung der deutschen Staatsangehörigkeit selbst. Ich finde, das sollte man nicht allein dem Gesetzgeber überlassen, sondern diese Regelung muß unbedingt in das Grundgesetz selbst hinein,
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damit es darüber dann anschließend keine Diskussionen gibt. Eine solche Regelung fehlt in diesem Gesetzentwurf leider.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur zwei Urteile benennen, von denen ich meine, daß das Parlament hier einmal schärfstens protestieren muß.
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- Doch, in diesem Falle finde ich schon. Hören Sie es sich erst an! - Sie wissen, daß in der Rechtsprechung leider der Begriff des Bekenntnisdeutschen herausgebildet wurde, daß also zur Anerkennung eines Deutschen aus einem anderen Land auch gehört, daß sich seine Vorfahren zum Deutschtum bekannt haben. Das ist, wie ich meine, schon ein sehr komplizierter Begriff, und eigentlich ist er nicht gerechtfertigt. Das Schlimmste aber ist, was damit passiert. In einem Fall hat das Oberverwaltungsgericht in Koblenz jetzt einen Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß der aus Polen stammende Deutsche sozusagen deshalb nicht als Deutscher anerkannt werden kann, weil sein Vater gegen die deutsche Wehrmacht und nicht auf seiten der deutschen Wehrmacht gekämpft hat. Damit hat er sich nicht zum Deutschtum bekannt.
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- Ja, das gibt es: in Koblenz.
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Ich füge hinzu:
Herr Kollege Gysi, ich bitte Sie, nichts hinzuzufügen, weil Sie die Redezeit bereits um eine Minute überzogen haben.
Ich bin sofort fertig.
({0})
- Doch, ich habe das verstanden.
Und einem Deutschen aus Rumänien ist die Anerkennung mit der Begründung versagt worden, daß sein Vater in die Synagoge ging und sich dadurch zum Judentum und nicht zum Deutschtum bekannt hat.
Das passiert hier ernsthaft in der Rechtsprechung. Dagegen hätte ich mehr Protest erwartet, als aus diesem Haus gekommen ist.
Danke.
({1})
Nun hat der Kollege Dr. Ullmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beginnen muß ich mit einem Dank an Herrn Minister Stoiber, auch wenn er ihn im Moment nicht hören kann. Für mich hat er in einer Debatte, die weithin quälend verlaufen ist, sofort Klarheit gebracht, indem er uns mit der Praxis konfrontiert hat, um die es hier geht, aber auch, indem er gezeigt hat, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Ihr Gruppenantrag eine Mogelpackung ist.
({0})
- Ja, ja; das ist mir natürlich bekannt.
({1})
Er ist eine Mogelpackung, denn Sie wollen genau das, was Herr Stoiber als ein ehrlicher Mann klar sagt: eine Änderung und Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Asyl. Das sollte man wissen. Um diese Alternative geht es in dieser Debatte: Entweder gibt es dieses individuelle Recht auf Asyl, oder wir setzen es außer Kraft; oder wir treiben angesichts der praktischen Probleme, die Herr Stoiber beschrieben hat, eine vernünftige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, wie sie angesichts der gesellschaftlichen Situation nötig ist.
Nun muß ich freilich sagen - ich bedauere außerordentlich, daß Herr Stoiber nicht mehr da ist -: Im Frühjahr 1990 habe ich, mit Ihnen über die Folgen der Währungsunion diskutierend, darauf hingewiesen: Sie werden niemals erreichen, daß durch die Übertragung der DM-Währung nach Ostdeutschland die Flüchtlingsströme zur Ruhe kommen; sondern nach den Deutschen werden natürlich Leute kommen, die genauso schlau sind. Damals bin ich ausgelacht worden.
Jetzt haben wir diese Situation, und jetzt muß ich an Sie appellieren und darauf hinweisen, daß in meinen Augen der schlimmste Mißbrauch des Asylrechts die Sprache derer ist, die von „Asylrechtsmißbrauch" sprechen, wo es sich um Flüchtlinge und Einwanderung handelt. Ich hoffe, diese Bundestagsdebatte bewirkt wenigstens, daß in der Öffentlichkeit Klarheit über diesen Begriffsmißbrauch und diese bewußte Desinformierung unserer Öffentlichkeit entsteht.
Es ist doch völlig klar - da bin ich anderer Meinung als der Kollege Schily -: Hier bedarf es auch einer Änderung des materiellen Rechts dieses Landes, weil wir ganz andere Probleme haben.
Das, was Sie verharmlosend eine Ergänzung des Art. 16 nennen, zielt auf die Außerkraftsetzung dieses Artikels. Wir haben heute oft genug gehört, daß - ich prophezeie das auch Herrn Stoiber - selbst diese Außerkraftsetzung natürlich nicht zu einem Stopp der Einwanderung und zu einer Hilfe für die Flüchtlinge, die zu uns kommen, führen wird.
Darum ist es nötig, daß wir über die Änderung im materiellen Recht dieses Landes sprechen.
Bündnis 90/DIE GRÜNEN hat ein ganzes Gesetzespaket dazu vorgelegt. Meine Aufgabe war es, auf die Drucksache 12/2088 kurz hinzuweisen.
Ich habe angesichts der Gesprächssituation mein Konzept geändert, denke aber, daß zu den Änderungen des materiellen Rechts auch die Neuformulierung und verfassungsrechtliche Bestimmung des Begriffs „Bürger" in unserem Land gehört. Ich gebe Herrn Gysi recht, daß an dieser Stelle das Recht der deutschen Staatsbürgerschaft in unserem Entwurf noch nicht präzise genug bestimmt ist. Ich stimme Ihnen, Herr Gysi, freilich nicht darin zu, daß Art. 116 GG in irgendeiner Weise dem Gedanken des Blut-undBoden-Rechts folgt. Es ist eine Anspielung auf die Abstammung drin. Aber auch der Ehegatte ist einbegriffen. Das mußte man angesichts der weiteren Verbreitung der Deutschen in der chaotischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren vielen Flüchtlingen machen. Im übrigen hält Art. 116 am Territorialprinzip des Staatsbürgerrechts fest. Ich denke, auch Bündnis 90/GRÜNE wird die von Ihnen geforderte Ergänzung nur im Sinne des Territorialprinzips formulieren können. Danke.
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Nun hat der Kollege Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind in der Debatte zum Schengener Abkommen. Dieses Schengener Abkommen vom 19. Juni 1990 regelt die Aufhebung aller Personenkontrollen an den Grenzen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Wir sind jetzt im Grunde aber in einer Asyldebatte, und das deshalb, weil es auf dem Weg des Wegfalls der Grenzkontrollen auch für Asylbewerber einfacher wird, innerhalb der EG in ein anderes Mitgliedsland weiterzuwandern. Die jeweiligen Vorschriften für Ausländer aus Staaten, die nicht der EG angehören, durchzusetzen, wird dagegen erschwert.
Auch das macht die Notwendigkeit immer deutlicher, die Asylpolitik der Mitgliedstaaten vorrangig zu harmonisieren. Ein erster Schritt zur Harmonisierung - ich sage ausdrücklich: ein erster Schritt - sind die asylrechtlichen Regelungen des Schengener Übereinkommens. Das Schengener Übereinkommen garantiert jedem Asylbewerber im Vertragsgebiet die Durchführung eines Asylverfahrens. Die Durchführung mehrerer Asylverfahren in verschiedenen Vertragsstaaten soll vermieden werden. Es legt fest, welches Land das Verfahren durchzuführen hat. Aus dem Übereinkommen ergeben sich dadurch sowohl
Übernahmeverpflichtungen als auch Abgabemöglichkeiten. Auf Grund unserer Verfassungsrechtslage und der hierzu von den Gerichten aufgestellten Kriterien können wir uns jedoch auf die Zuständigkeit eines anderen Vertragsstaates kaum berufen. Auch eine ablehnende Entscheidung eines anderen Mitgliedslandes wäre nicht verbindlich. Bei uns müßte ein neues Asylverfahren durchgeführt werden. Wir könnten also nur die Pflichten, nicht aber die Rechte wahrnehmen, die sich aus dem Abkommen ergeben. Ich halte deshalb in diesem Zusammenhang die Änderung des Grundgesetzes für zwingend notwendig.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, Herr Kollege Wartenberg, welche zahlenmäßigen Ergebnisse ich damit erreiche. Ich gebe Ihnen recht: Eine solche Änderung des Art. 16 bewirkt zahlenmäßig relativ wenig. Ich bin sehr erfreut darüber, daß heute aus der Diskussion doch eines hervorgeht: daß sich die SPD der Diskussion einer zahlenmäßig wirksameren Form der Grundgesetzänderung nicht verschließt, zumindest in Teilen nicht.
In unserer Fraktion - Sie haben es an der Äußerung meines stellvertretenden Parteivorsitzenden Stoiber gemerkt - gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Daß der Praktiker das schärfer sieht als der Bundespolitiker, der den Vollzug nicht zu gestalten hat, ist wohl eindeutig. Ich halte die Änderung für notwendig, auch wenn sie das Ergebnis nicht bringt. Die Zahlen würden ohne eine solche Änderung weiter steigen.
Dieses Ergebnis kann nur durch eine volle und gleichberechtigte Teilnahme der Bundesrepublik an den asylrechtlichen Bestimmungen des Schengener Abkommens vermieden werden.
Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?
Entschuldigung, ich bin zeitlich sehr knapp dran.
Sie kriegen das nicht angerechnet, lieber Kollege Zeitlmann.
Ist mir klar, ich möchte es trotzdem nicht.
Dann ist es recht.
Die Grundgesetzänderung brauchen wir auch aus einem zweiten Grund: Der Europäische Rat in Maastricht hat beschlossen, auf dem Gebiet der Asyl- und Ausländerpolitik eng zusammenzuarbeiten. Bis Ende 1993 soll geprüft werden, ob die EG auch in diesen Bereichen eine Rechtsetzungskompetenz erhalten soll. Unsere Partner in der EG sind jedoch nicht bereit, unser Asylrecht zu übernehmen. Wen wundert's auch, bei unseren Zahlen wären sie schön dumm, wenn sie es täten.
Ohne Änderung des Grundgesetzes werden wir zum Bremsklotz für die notwendige europäische Harmonisierung der Asyl- und Ausländerpolitik. Auch die immer wieder diskutierte Frage einer EinwandeWolfgang Zeitlmann
rungsquote kann das Asylproblem nicht lösen. Was soll denn passieren, wenn die Quote erschöpft ist? Dann beantragt eben doch wieder jeder Asyl, um trotzdem in Deutschland bleiben oder nach Deutschland kommen zu können. Diese Problematik sollten wir immer wieder deutlich machen.
Ich habe außerdem schon wiederholt angedeutet, daß ich allein die Formulierung „Einwanderungsquote" für bedenklich halte. Wenn überhaupt, sollten wir uns auf eine Diskussion auf der Basis des Begriffs „Zuwanderung" einigen. Unter Einwanderung verstehe ich in der deutschen Sprache das endgültige Zuwandern in ein Land mit dem völligen Abbruch der Beziehungen zur alten Heimat und der abschließenden Aufnahme in den neuen Staat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU/ CSU will, daß Menschen, die aus politischen, rassischen und religiösen Gründen verfolgt werden, Asyl erhalten. Dafür sind wir immer eingetreten, und daran soll sich auch nichts ändern. Unsere derzeitige verfassungsrechtliche Lage verpflichtet uns aber, all denjenigen, die ganz offensichtlich keine Asylgründe vorweisen können, ein aufwendiges Asylverfahren zu gewähren und ihnen für die Dauer des Verfahrens den Aufenthalt zu ermöglichen. Dies entspricht nicht mehr dem Sinn des Asylrechts.
Durch eine Änderung des Grundrechts auf Asyl müssen wir erreichen, daß unser Asylrecht nicht mehr länger zum Instrument einer unkontrollierten Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen umfunktioniert werden kann.
Meine Damen und Herren, ich will es abkürzen. Ich bin der Auffassung, daß wir auf Grund der neuen Lage, nicht zuletzt der SPD-Erklärungen von heute, nun zu einer völlig neuen Diskussionsrunde kommen können. Ich glaube, daß wir dies auch tun müssen. Ich appelliere an uns alle: Nehmen wir die Probleme der Bürger jetzt ernst! Die 400 000 Asylbewerber, auf die wir in diesem Jahr zusteuern, sind Anlaß genug, uns jetzt zusammenzusetzen, zu handeln und nicht mehr lange zu reden.
Herzlichen Dank.
Nun hat das Wort die Kollegin Cornelie Sonntag.
Frau Präsidentin! Meine Kollegen und Kolleginnen! Diese Debatte ist ja heute weitgehend von Sachlichkeit geprägt. Aber ich muß daran erinnern, es ist erst wenige Wochen her, daß mit dem Thema Asyl doch Emotionen geschürt wurden, um Stimmen zu fangen. Die Rechnung ist zwar, vor allem in Baden-Württemberg, nicht aufgegangen, sondern gründlich verhagelt. Aber das ist kein Trost. Schließlich gab es in Ihren Reihen Politiker, die das Festhalten am Art. 16 als Humanitätsduselei gebrandmarkt haben und Armutsflüchtlinge als Wirtschaftsschmarotzer bezeichneten. Ich finde, das war auch nicht durch die übliche Holzerei am Aschermittwoch gedeckt und wäre auch hier noch eines Wortes des Bedauerns wert. Ich bitte darum.
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Liebe Kollegen, ich will ebensowenig, daß Ausländer, daß Asylbewerber in eine Vitrine des Wohlwollens gesteckt werden, die sie von jeglicher Kritik abschirmt. Jawohl, natürlich gibt es unter ihnen solche, die Fehler machen und straffällig werden. Aber man muß die Empörung auch in die Richtung anderer Adressaten lenken. Wer ereifert sich denn eigentlich über manche Artikel in Boulevardzeitungen, die serienartig nach dem Motto, was Asylanten alles Schlimmes tun, Vorgänge unzulässig pauschal verallgemeinert haben? Wer prangert Methoden an, mit denen Inhaber von Hotels und Wohnblocks die Gemeinden geschröpft haben - mit ungeheuren Preisen für die Unterbringung von Asylbewerbern?
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Wir brauchen - und ich bitte darum - eine entkrampfte Atmosphäre in der Diskussion um die Asylproblematik. Vielleicht ist dies heute ein Beginn. Ich will ein Klima, in dem man beides kann: die Schwierigkeiten klar beim Namen nennen, aber ebenso deutlich auch sagen dürfen: Wir brauchen auch Zuwanderer, und ein völliges Abschotten gegen die Neuankömmlinge ist weder ökonomisch sinnvoll noch aus humanitären Gründen akzeptabel.
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Liebe Kollegen und Kolleginnen, niemand verniedlicht und verharmlost die Schwierigkeiten, die es in vielen Gemeinden mit der Unterbringung von Asylbewerbern gibt. Keiner leugnet, daß es gerade die sozial Schwächeren sind, die darauf mit Unmut, mit Unverständnis und dem Gefühl der Benachteiligung reagieren. Dann sagen Sie aber auch bitte diesen Menschen ganz deutlich, daß nicht die Zuwanderer es sind, die huckepack die Wohnungsnot bringen, sondern daß die Wohnungsnot da ist, hausgemacht, und daß es sich um ein Versäumnis der Bundesregierung handelt.
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Die beste Waffe gegen Ausländerhaß wäre eine sozial gerechte Politik, die für ausreichend Wohnraum sorgt. Es ist keine Waffe, den Art. 16 des Grundgesetzes als Wunderrezept zur Lösung der Gesamtproblematik anzupreisen, sozusagen als das Sesam-schließe-dich für das Einfallstor Deutschland.
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Über all diese Monate haben Sie die Diskussion um die Flüchtlingsproblematik wider bessere Einsicht auf dieses Stichwort verengt. Heute ist zunächst ein anderer Ansatz gefunden worden; das begrüße ich. Aber Sie haben darüber den Parteienkompromiß um die Beschleunigung der Asylverfahren oft verzögert, auch vor der Zeit kaputtgeredet und torpediert. Auch das können wir hier nicht vergessen.
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Ich appelliere deswegen noch einmal an Sie, daß Sie auch bei dem Dissens, der noch besteht, nämlich bei der vollen Zuständigkeit des Bundes für das gesamte
Verfahren, einlenken und endlich eine verträgliche, einvernehmliche Lösung ermöglichen.
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Es an die Bedingung zu binden, zunächst den Art. 16 zu ändern, ist übrigens wider die Absprache vom 10. Oktober. Es war ausdrücklich festgehalten, eine Straffung der Verfahren ohne Verfassungsänderung möglich zu machen. Auch daran muß man hier erinnern. Man kann mit einem Menschenrecht so einfach nicht umspringen. Für uns ist Art. 16 des Grundgesetzes kein Objekt zum Feilschen. Wir sind hier nicht auf dem Basar.
Mehr als 90 % der Asylsuchenden - Sie wissen es - melden sich nicht an den Grenzen. Sie sind einfach da. Jegliches Bemühen, sie nach etwa erfolgter Grundgesetzänderung schon vor Betreten unseres Landes gewissermaßen auszusortieren, wäre nicht nur vergeblich, sondern geradezu absurd. Auch das Argument, man könne Menschen abweisen, deren Asylbegehren in einem anderen Land abgelehnt wurde, geht an der Wirklichkeit vorbei, weil es nämlich unter weit mehr als 200 000 Asylbewerbern im vergangenen Jahr etwa ganze 100 gab, die es auf diesem Wege versucht haben.
Aber ich glaube, Sie haben diese Fakten unterschlagen, weil es ganz einfach bequemer ist, Patentlösungen vorzuspiegeln, sich nämlich politische Entlastung zu schaffen. Nur, Sie werden nach wenigen Monaten feststellen einige von Ihnen, Herr Zeitlmann, haben es heute ja auch konzediert -, daß sich die Zuwanderung nicht wesentlich verringert. Wenn Sie dann der Bevölkerung etwas vorgegaukelt haben
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und Sie die Enttäuschung der Menschen merken, dann machen Sie sich darauf gefaßt, daß die Zahl der Protestwähler und der Unmut der Bevölkerung in einem ungeahnten Ausmaß weiter anwachsen. Das können wir doch nicht wollen.
Ich gebe zu, daß in meiner Partei kräftig um dieses diffizile Problem gerungen wird. Es ist mir immer noch lieber, daß wir um eine so diffizile Frage ringen, als selbstgerecht und eintönig die Debatte immer nur auf den Art. 16 als sogenannte Wunderwaffe zu reduzieren.
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Deswegen der Unterschied, den wir hier noch einmal deutlich machen: Wir wollen eine gesamteuropäische Regelung; wir haben das hier gesagt. Wir werden am Ende dieses Prozesses zu prüfen haben, ob wir unser nationales Recht den dann vereinheitlichten europäischen Regelungen anpassen. Aber viele von Ihnen wollen diesen Art. 16 und seine Änderung als Morgengabe liefern. Das genau machen wir nicht mit.
Eine Schlußbemerkung. Wir wissen schon, wie sich die Bundesregierung in Europa für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der Partner ins Zeug legen könnte. Da geht es nicht mehr um die ziemlich bürokratische und auch mitleidslose Frage, wie es nun am besten mit den Abkommen von Schengen und Dublin funktioniere, um uns die Flüchtlinge vom Hals zu halten. Das offene, das größere Europa muß den Menschen helfen, in ihrer Heimat bleiben zu können. Wir werden dazu gleich noch von meinem Kollegen Ingomar Hauchler einiges hören. Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Energie. Es geht um eine ökologische Kehrtwende. Es geht auch um die Bildung von Kommissionen, die ein wirklichkeitsgetreues, ein ungeschöntes Bild von der Lage der Menschenrechte in den Ländern dieser Erde abgeben können. Das wäre eine gemeinsame gesamteuropäische Initiative wert.
Wir fragen immer, ob Europa Fluchtburg oder Festung wird. Wir wollen beides nicht. Deswegen müssen wir handeln.
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Nun hat der Kollege Ulrich Briefs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit mehr als 2 000 rassistisch motivierten Angriffen auf Ausländer und Ausländerinnen, so die Angaben des Bundeskriminalamts für 1991, ist die brutale Fratze des deutschen Nationalismus und Rassismus in der politischen Auseinandersetzung wieder aufgetaucht. In Duisburg hat gerade der Prozeß gegen die ebenso dummen wie brutalen Täter von Hünxe begonnen, die zwei libanesische Kinder mit Brandsätzen lebensgefährlich verletzt und eines davon für sein Leben gezeichnet haben.
Schon der Anblick dieser und anderer ebenso brutaler wie haßerfüllter Täter und Vertreter der rechtsradikalen Szene in der BRD belegt, daß „Haß" und „häßlich" nicht nur sprachlich zusammengehören.
Parolen wie „Ausländer raus! " oder „Deutschland den Deutschen! " sind nicht nur dumm, sie sind eine Ungeheuerlichkeit. Sie sind eine Ungeheuerlichkeit gegenüber den mehr als fünf Millionen Menschen aus anderen Ländern, die weit über 150 Milliarden DM des Bruttosozialprodukts jährlich beisteuern und die allein in die Sozialversicherungskassen jährlich mehr als 20 Milliarden DM einzahlen, was übrigens bei weitem mehr ist, als alle Flüchtlinge der Bundesrepublik zusammen jährlich verbrauchen.
Solche Parolen und das dahinterstehende rassistische Denken sind aber auch eine Ungeheuerlichkeit gegenüber den Menschen, die aus vielfältiger Not zu uns kommen. Vergessen wir nicht: Am Anfang eines Großteils der heute stattfindenden Migration aus Ost-und Südosteuropa stand das brutalste politische Terrorsystem der Neuzeit, das Nazisystem, das eben ein deutsches Terrorsystem war, das eben gerade Ost-und Südosteuropa mit Unterdrückung, Krieg, Terror und Mord überzogen hat, damals, als Deutschland am deutschesten war, damals, als Deutschland und leider einiges mehr den Deutschen gehörte - mit furchtbaren Folgen.
Deshalb - und weil wir ein reiches Land sind - haben wir die Pflicht, Flüchtlingen zu helfen und dies auch gegenüber dem wachsenden rassistischen und rechtsradikalen Sumpf in der deutschen Bevölkerung
durchzusetzen und nicht Gesetze wie die heutigen zu machen, die genau diesem Sumpf nachgeben.
Der deutsche Rassismus ist allerdings anders. Er stützt sich auf Fleiß, Ordnungswillen, Gehorsamkeit, Disziplin, Bereitschaft zum Strammstehen, Arbeitseifer usw.
Das ist vielleicht nicht in allen Punkten so schön, aber es ist noch nicht verhängnisvoll. Verhängnisvoll ist aber, daß der deutsche Rassismus sich mit brutalen Aggressionen gegen Menschen und Völker richtet, die anderen Werten eben irgendwie mehr Wert beimessen, als die Deutschen, die z. B. Lebenslust und zivilen Widerstandsgeist höher bewerten als die Bereitschaft, sich am Arbeitsplatz oder in der Armee zusammenzureißen, zu kuschen oder gar strammzustehen.
Vergessen wir nicht: Es kam zum ersten größeren Pogrom in Hoyerswerda, weil ausländische Flüchtlinge etwas zu lange mit möglicherweise etwas zu lauter Musik gefeiert haben. Das alles könnte man spöttisch-amüsiert feststellen, wären nicht die furchtbaren und unentschuldbaren Verbrechen der deutschen Geschichte und wenn es nicht die verbrannten Flüchtlingskinder von Hünxe, den von Rechtsradikalen in Dresden getöteten Mosambikaner Jorge Gormondai, gejagte und getötete Farbige in Eberswalde, Saarlouis und anderswo gegeben hätte.
Dieser historische Zusammenhang muß uns hellhörig machen. Fast 2 500 rassistisch motivierte Angriffe im Jahre 1 nach der Wiedervereinigung im gerade wieder großgewordenen Deutschland, das sich langsam, aber unaufhaltsam in eine europäische Führungsrolle hineinmanövriert!
Und wie reagiert die politische Klasse in diesem neuen Deutschland angesichts dieser Gegebenheiten? Sie gibt nach, wie die heutige Debatte zeigt. Sie macht Zugeständnisse, sie bewegt sich nach rechts. Ja, das tut sie. Kann man aber Rechtsradikalismus, kann man Rassismus, kann man Neonazismus politisch unschädlich machen, indem man in Teilpositionen - wenn auch nur in Teilpositionen - seine Positionen einnimmt?
Genau das geschieht aber mit der Grundgesetzänderung. Das geschieht mit dem Asylbeschleunigungsverfahrensgesetz. Und das geschieht irgendwie auch mit Teilen zumindest des Schengener Abkommens, das hier ratifiziert werden soll.
Nein, was her muß, ist die unnachgiebige politische Auseinandersetzung mit dem rechten Sumpf, ist die konsequente strafrechtliche Verfolgung von rassistischen Straftaten, ist die radikale Aufklärung in Öffenlichkeit, Schulen und Hochschulen, ist der gesellschaftliche Massenwiderstand, ist die praktizierte Solidarität mit Flüchtlingen, ist praktische Hilfe z. B. in der Form der Schaffung einer Stiftung für in diesem Zusammenhang Verletzte, für die Angehörigen getöteter Menschen, ist die gleiche Gemeinschaftlichkeit mit Menschen aus anderen Ländern. Die multikulturelle Gesellschaft - vielleicht ein schlechter Begriff für eine gute Sache - kommt. Herr Geißler hat ja recht. Hören wir doch auf, germanisieren zu wollen. Lassen wir den Menschen ihre Identität. Übrigens, wenn wir integrieren, zerstören wir damit nicht gelegentlich sogar manches Schöne, und setzen wir nicht statt dessen Häßliches an seine Stelle?
Auch Herr Biedenkopf hat recht. Deutschland ist bereits ein Einwanderungsland. Ein größerer Teil meiner Studentinnen und Studenten in Bremen sind z. B. Kinder von türkischen, spanischen, kurdischen, jugoslawischen und italienischen Eltern. Ich empfinde das - schon vom Anblick her - als ausgesprochene Bereicherung.
Können wir in Westdeutschland nicht anständig essen, seit wir ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen bei uns haben? Dieses Land hat gegenüber den 50er Jahren durch das Kommen von Millionen ausländischer Menschen unendlich gewonnen. Warum sollten z. B. Frankfurt am Main oder Frankfurt an der Oder nicht eines Tages Städte sein, in denen man alle paar Straßen sozusagen in ein anderes Land kommt? Kann das nicht ein Teil eines neuen, eines unbekannten, eines im positiven Sinne geradezu abenteuerlichen Zustands sein, an dem es uns in dieser durchorganisierten und durchrationalisierten Welt ansonsten doch zunehmend gebricht?
Die Grundgesetzänderung, das Asylbeschleunigungsverfahren und das Abkommen von Schengen sind angesichts dieser unabweisbaren Entwicklung Schritte und Signale in die falsche Richtung. Deshalb lehnt die Linke in Deutschland das auch ab.
Eine Quotenregelung, die uns handverlesene Facharbeiter, Ingenieure oder Dienstmädchen brächte, wäre auch deshalb schon falsch. Wir brauchen Menschen, die einfach so kommen und kommen können, damit dieses Land, dessen deutsche Bevölkerung
- man kann dazu stehen, wie man will - sowieso schrumpft, in dem es also immer weniger Deutsche geben wird, bunter, vielfältiger, spannender und menschlich reicher wird. Es darf deshalb kein Nachgeben gegenüber den dumpfen deutschen Biertischstimmen geben. Es darf keine Anpassung an den neonationalen, rechtsradikalen Sumpf geben. Wer sich darauf einläßt, versinkt in diesem Sumpf.
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- Herr Gerster, Sie kommen aus Mainz. Dafür ist es adäquat. Die Linke ist für ein offenes Land und gegen Scheinerklärungen. Es sind nicht die fehlenden Arbeitsplätze und Wohnungen zu beklagen, sondern es ist das Hochreden der sogenannten Asylproblematik zu kritisieren. Weiterhin sind das Nachgeben gegenüber dem dumpfen Nationalismus und Rassismus - Gott sei es geklagt, auch in größeren Teilen der deutschen Bevölkerung - sowie der Mangel an Mut zum Widerstand - Widerstand in den Anfängen, der uns die wirklichen politischen Probleme bringt zu beklagen.
Denen, die Arbeit und Wohnung suchen, müssen wir sagen: Mit einer Grundgesetzänderung, mit dem Schritt in den europäischen Überwachungsstaat durch das Schengener-Abkommen und mit der Außerkraftsetzung von Verfassungs- und Menschenrechten durch das Asylbeschleunigungsverfahrensgesetz
- Pro Asyl beklagt das zu Recht - wird nicht eine Wohnung gebaut und wird nicht ein Arbeitsplatz geschaffen. Schaffen ließen sich dagegen Wohnun7342
gen und Arbeitsplätze durch eine konsequente Nutzung der „Friedensdividende". Diese ist zurückzuführen auf die Tatsache, daß der traditionelle Feind - was sehr schön ist - ersatzlos weggefallen ist.
Kollege Briefs, würden Sie bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Neue Feinde sind nicht in Sicht. Deshalb könnte ein Großteil der 52 Milliarden DM des Rüstungsetats, aber auch noch erhebliche andere Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel sind da. Die Zukunft gehört der multikulturellen Gesellschaft. Die ewig gestrigen Deutschlandden-Deutschen-Spinner haben keine Chance. Was fehlt, ist der politische Wille im etablierten Parteienspektrum.
Frau Präsidentin, ich danke für die Geduld.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Gero Pfennig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Wartenberg hat zu Beginn dieser Debatte beklagt, daß der europäische Aspekt des Schengener Übereinkommens bei der Debatte vielleicht zu kurz kommt. Ich möchte deshalb einige europapolitische Aspekte dieses Abkommens hervorheben. Es ist nicht nur ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Raum ohne Binnengrenzen in der Europäischen Union, sondern es ist auch im Zusammenhang mit den geltenden EG-Verträgen, wie sie seit der Einheitlichen Europäischen Akte aus dem Jahre 1986 bestehen, und den in Maastricht beschlossenen Änderungen, dem Vertrag über die Europäische Union, zu sehen.
Schon in den geltenden Verträgen ist im Hinblick auf den freien Binnenmarkt als Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr vorgesehen, und die Gemeinschaft ist sich dabei immer bewußt gewesen, daß es mit einem einfachen Fortfall der Grenzkontrollen und dem Aufstellen blauer Europaschilder an den Staatengrenzen nicht getan ist. Um alle Hindernisse zu beseitigen, sind Regelungen vom Steuerrecht über das Paß- und Führerscheinrecht bis hin zum Ausländerrecht, zum Aufenthalts- und Asylrecht, zum Visumsrecht sowie zur Zusammenarbeit von Zoll, Polizei und Justiz und dem Datenschutz erforderlich. Das Schengener Abkommen ist nur ein ganz kleiner Teil hiervon.
Eine der wesentlichsten Voraussetzungen ist in der Vergangenheit an ganz anderer Stelle geschaffen worden. Im Zusammenhang mit der Einführung des sogenannten Europapasses haben einige EG-Mitgliedstaaten wie z. B. Großbritannien ihr Staatsangehörigkeitsrecht präzisiert. Dadurch ist heute sehr viel klarer, wer Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist und wer nicht.
Deutschland ist in diesem Zusammenhang einmal mehr durch die Wiedervereinigung aller Schwierigkeiten enthoben worden. Beim Schengener Abkommen mußte die Bundesregierung - wofür ihr, den Partnern des Schengener Abkommens und den Kollegen in den Parlamenten Dank gebührt - noch extra durch ein Zusatzprotokoll sicherstellen, daß die damalige DDR im Rahmen des Abkommens nicht als Ausland zu verstehen sei und erleichterte Grenzkontrollen an der innerdeutschen Grenze nicht der Zustimmung der Schengener Partner bedurften.
Wie wichtig die damaligen Schritte waren, zeigt sich heute beim Schengener Übereinkommen und noch mehr bei dem in Maastricht beschlossenen Vertragswerk. Acht Jahre nach dem vom Europäischen Parlament beschlossenen Vertrag zur Gründung der Europäischen Union übernimmt nunmehr der in Maastricht beschlossene Vertrag die Formel, daß die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten Unionsbürger sind. Im Europäischen Parlament kam übrigens dieser Gedanke vom damaligen Straßburger Bürgermeister Pierre Pflimlin, der sich wohl noch an die Formulierungen des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 erinnern konnte.
Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft wird dann das Schengener Abkommen logisch zu Ende geführt, weil damit das Freizügigkeitsrecht wie auch sonstige Grundrechte und bestimmte politische Rechte wie das Kommunal- und Europawahlrecht auf der Unionsbürgerschaft basieren.
Folglich sieht das Maastrichter Vertragswerk vor, daß die von mir im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Freizügigkeit genannten rechtlichen Felder Gegenstand der Tätigkeit der Gemeinschaft sein können und auf jeden Fall Visaangelegenheiten ab sofort Gegenstand der Gemeinschaftsgesetzgebung und von 1996 an sogar Gegenstand der Gesetzgebung mit qualifizierter Mehrheit sind.
Sie mögen daraus ersehen, daß die in Deutschland im Zusammenhang mit Schengen und dem Asylrecht geführte Debatte, ob wir ein nationales Einwanderungsgesetz brauchen, in Wahrheit eine sehr zweifelhafte Debatte ist. Die Zuständigkeit zum Erlaß eines solchen Gesetzes werden wir nach der Ratifikation des Maastrichter Vertragswerkes überhaupt nicht mehr haben. Das wird in wenigen Monaten der Fall sein. Ich bezweifle, ob wir nach der Ratifizierung des Schengener Abkommens angesichts dessen Art. 136 und der Art. 5 und 19 ff. ohne Zustimmung unserer Partner überhaupt noch solche Zuständigkeiten ausüben können. Wir müssen jedenfalls darüber einmal intensiv nachdenken.
In unserem Nachbarland Frankreich, das ja den Anstoß für das Schengener Abkommen gegeben hat, wird dies jedenfalls so gesehen, und deshalb hat dort unmittelbar nach der Ratifikation des Schengener Abkommens bei der Debatte über Maastricht und die notwendige Verfassungsänderung wegen der Beschränkung der nationalen Souveränität eine offene Diskussion darüber stattgefunden.
Ich begrüße sehr, daß mit dem Schengener Abkommen die Mehrheit der EG-Mitgliedstaaten im Vorgriff auf eine Gemeinschaftsgesetzgebung Regelungen gefunden hat, die wirklich Freizügigkeit für die Gemeinschaftsbürger ermöglichen, und gleichzeitig einheitliche Regeln gegenüber Nichtgemeinschaftsbürgern angewendet werden. Hierfür - das ist meine Überzeugung - wird Deutschland sein innerstaatliDr. Gero Pfennig
ches Recht - auch das Grundgesetz - anpassen müssen.
Die überzeugendsten Gründe hat für mich in diesem Zusammenhang der Bericht des Kontrollausschusses zum Schengener Abkommen des französischen Senats vom 12. Dezember 1991 gegeben. Dort heißt es knapp und trocken, nachdem man auf Unzulänglichkeiten des Asylverfahrens in Spanien und Italien hingewiesen hat, daß das deutsche Grundgesetz und das deutsche Asylrecht angepaßt werden müssen. Wenn das in Kürze nicht geschehen sollte, werde man wohl bald wieder zu geschlossenen Grenzen kommen müssen. Ich bitte, das wirklich einmal nachzulesen. Es ist nicht so, daß unsere Partner es etwa nicht stört, ob die Zahl der Asylbewerber in Deutschland hoch oder niedrig ist; es steht dort ausdrücklich, daß nach diesem Abkommen die deutschen Asylbewerber nunmehr auch die französischen Asylbewerber und die französischen Gastarbeiter auch die deutschen Gastarbeiter sein werden. Das heißt, man achtet sehr darauf, was wir tun werden.
Ich bin auch davon überzeugt: Wenn wir - entgegen dem, was beispielsweise in den Berichten des französischen Senats dokumentiert wurde - nicht zu einer Änderung kommen werden, werden wir auch in der europäischen Frage nicht mehr weiterkommen, auch nicht mit der europäischen Gesetzgebung, wenn diese nach den Verträgen von Maastricht anlaufen könnte.
Wir haben, wenn wir es ändern, andererseits den Vorteil, uns in einem gemeinschaftlichen europäischen Rahmen zu befinden und dieses Bild dann auch europäisch zu gestalten. Wir können dann erstmalig eine klare Grenze zwischen Gemeinschaftsangehörigen und anderen - im Schengener Übereinkommen noch Drittausländer genannt - ziehen.
Ich finde übrigens - das wollte ich den Kollegen aus dem Innenausschuß noch zu bedenken geben -, daß die im Ratifikationsgesetz vorgeschlagenen Änderungen des Ausländergesetzes in diesem Punkt sprachlich deutlicher sein sollten. Ein Gemeinschaftsbürger wird zukünftig, insbesondere nach der Ratifikation des Maastrichter Vertrages, nicht mehr ein Ausländer sein, mit dem sich etwa die Ausländerstatistiken und -behörden im klassischen Sinne zu befassen haben, sondern er ist dann ein Unionsbürger und damit eben Inländer. Darauf sollte unser Ausländergesetz mit einer sprachlichen Verbesserung reagieren, die bei sogenannten Ausländerdebatten vielleicht auch einiges im Bewußtsein der Menschen bewirken könnte.
Wir könnten, wenn wir uns der europäischen Entwicklung anpaßten, leichter über den Kern der Probleme in allen Staaten der EG diskutieren: Wie soll sich die Gemeinschaft im Verbund mit den EFTAStaaten, gegenüber den neuen Demokratien in Europa verhalten? Wie soll sie sich gegenüber den an Europa angrenzenden Staaten, insbesondere denjenigen aus Afrika, verhalten?
Ich denke übrigens, daß der Weg hier im großen und ganzen vorgegeben ist, wenn ich die Debatten im Europäischen Parlament und in den Parlamenten der EG-Partnerstaaten beurteile oder wenn ich die Dokumente der EG-Kommission sehe. Die Gemeinschaft wird wie bisher politisch Verfolgte und ansonsten nach der Genfer Flüchtlingskonvention Berechtigte aufnehmen und anderen im Prinzip den dauerhaften Zuzug verwehren. Sie wird alles dafür tun, um die politischen, wirtschaftlichen und allgemeinen Lebensverhältnisse in den betreffenden Staaten so nachhaltig verbessern zu helfen, daß sich der wirtschaftliche Druck vermindert, dort auswandern und in die Gemeinschaft zuziehen zu müssen. Hierfür ist das Schengener Abkommen ebenfalls ein wichtiger Schritt, weil es den Weg eröffnet, sich auf die europäische Lösung der Probleme zu konzentrieren.
Schönen Dank.
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Nun kommt der Kollege Ingomar Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer in seinem Land verfolgt wird und vor Gewalt und Krieg flieht, muß in Deutschland Asyl finden oder so lange bleiben können, bis er ohne Gefahr in seine Heimat zurückkehren kann.
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Dies ist die Position der Sozialdemokraten. Wer dies den Menschen, die vor Tyrannen und vor Kriegen bei uns Schutz suchen, verweigert, wirft die humanitären und christlichen Werte, auf denen unsere Gesellschaft ruht, über Bord.
Wir können aber nicht alle Menschen der Welt bei uns aufnehmen, denen es wirtschaftlich schlechter geht als uns, oder alle, die auf dieser Welt in absoluter Armut leben. Wir würden uns aus ökonomischen und sozialen Gründen übernehmen und am Ende auch das politische Asylrecht gefährden.
Um was es im Kern bei dieser Debatte also geht, ist, wie wir gleichzeitig vor Verfolgung und Gewalt Schutz gewähren und die Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen wirksam begrenzen können. Die Zahl derer, die aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Ausland zu uns gekommen sind, übersteigt bei weitem jene, die politisch verfolgt sind oder aus Kriegsgebieten fliehen.
Der Druck wird stärker werden. Denn die Zahl der Menschen in der Welt, die im absoluten Elend leben oder sterben, wächst rapide; die Kluft zwischen den reichen und den armen Ländern wächst. Dies gilt schon lange für die Dritte Welt. Dazu kommt nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems der wirtschaftliche und soziale Niedergang in Osteuropa und in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Zu verschärfter sozialer Not kommt die wachsende ökologische Bedrohung gerade in weniger entwikkelten Staaten des Südens und Ostens: die Flut in Bangladesch, die Verseuchung in den Slums von Karachi, Lima und Lagos, die Erosion von Ackerland im Niger und die Vernichtung des Regenwaldes in Borneo und Amazonien, die Opfer von Tschernobyl.
Wenn es aber stimmt, daß die wirtschaftlichen Gründe unter den Fluchtursachen auf Dauer am schwersten ins Gewicht fallen, und wenn es wahr ist, daß die heutige Sorge darüber nur wie die kühle Brise ist, die dem eigentlichen Sturm warnend vorausgeht, wenn dies also so ist - die Zahlen belegen dies eindeutig -, so müssen alle Illusionen begraben werden, daß Abschottung, Abschreckung und Ausweisung als - leider sage ich - Hauptgegenstand dieser Debatte die entscheidenden Vorkehrungen sind, um dem äußeren Druck standhalten zu können. Maßnahmen zur Steuerung der Zuwanderung, wie sie auch von Sozialdemokraten mit Recht befürwortet wurden, soweit sie das Grundrecht auf Asyl nicht verletzen, können nur - und auch das nur ungenügend - die Symptome kurieren. Die eigentliche Krankheit unserer globalen Entwicklung können sie nicht heilen. Die eigentliche Krankheit ist der Teufelskreis von Armut, Bevölkerungswachstum, Gewalt und Umweltzerstörung. Statt also nur oder vorwiegend an den Folgen herumzudoktern, müssen endlich auch die Ursachen bekämpft werden, die immer mehr Menschen dazu bewegen, den Marsch nach Norden und Westen anzutreten.
Ich denke, auch in dieser Debatte wurde diese Problematik wieder weitgehend verdrängt, und es ist, glaube ich, ein Armutszeugnis, daß die Mehrheit der Redner heute in dieser Debatte in fünf Stunden zu dieser Frage eigentlich relativ wenig gesagt hat.
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Ist das denn ein riesiger Verdrängungsmechanismus, in dem wir uns befinden, und ist es nicht ein Armutszeugnis, daß Herr Gysi von der PDS am längsten und eindringlichsten dazu Stellung genommen hat?
Welches sind also die eigentlichen Ursachen? Vom Wanderungsdruck haben wir schon kurz gesprochen, also den Faktoren, die immer mehr Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen, um zu überleben und nicht jede persönliche Hoffnung fahren lassen zu müssen.
Diese Faktoren sind aber nicht nur materieller Natur. Neben Gewalt, Armut und Umweltzerstörung sind es immaterielle Gründe, die den Wanderungsdruck auslösen: die wachsende Entwurzelung und Entfremdung vieler Menschen der Dritten Welt, jetzt auch der Zweiten Welt durch die Zerstörung ihrer Kultur und ihres sozialen Umfeldes, die Erschütterung des Vertrauens in die eigenen Werte und Fähigkeiten, die wir mit zu verantworten haben, der Niedergang der Familie und der Subsistenzwirtschaft, die wir im Weltmarkt wegfegen, wodurch zwei Pfeiler des traditionellen sozialen Sicherungssystems der Dritten Welt erodiert werden.
Zu dem objektiven Druck, der immer mehr Menschen veranlaßt und viele förmlich zwingt, ihrem Land den Rücken zu kehren, kommt verstärkend hinzu, daß der Norden auf den Süden und Osten eine immer stärkere subjektive Sogwirkung ausübt. Die Bilder von Reichtum und Luxus, von gutem Leben, erfolgreicher Arbeit, bequemem Wohnen und glücklicher Freizeit, die vom Norden aus in alle Häuser der Welt und viele Hütten des Südens hineinflimmern, tun tagtäglich ihre Wirkung.
Die Signale des Nordens senden eine frohe Botschaft, die die Wirklichkeit verzerrt. Die Menschen im Süden und Osten, die daraus Hoffnung auf ein besseres Leben im Norden schöpfen, dabei gleichzeitig aber in Resignation über die eigene Lage verfallen müssen, wissen meistens ja nicht, daß hinter der Fassade von Dallas, Denver und Dunhill-Reklame auch in den USA, Europa und in Deutschland immer mehr Menschen von Armut bedroht sind, auf der Straße stehen, keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden und daß soziale Spannungen und Ausländerhaß bis hin zum Mord gefährlich wachsen.
Wenn wir den Ursachen der wachsenden Armut in der Welt wirklich begegnen wollen, müssen wir zum einen jene Kräfte in der Dritten Welt und auch in der Zweiten Welt stärken, die im eigenen Land gegen Verelendung, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, soziale Entwurzelung und geistige Entfremdung kämpfen. Deshalb müssen die Menschenrechte, Demokratie und Rechtssicherheit, politische, gesellschaftliche und ökonomische Reformen, aber auch der Abbau krasser Einkommensunterschiede und die Abrüstung zu zentralen Zielen der Entwicklungszusammenarbeit gemacht werden.
Leider handeln die westlichen Industrieländer aber anders, und dies gilt auch für die Bundesregierung. Denn hinter dem persönlichen Anspruch auf den rhetorischen Konferenzformeln, die besonders der Entwicklungs- und Umweltminister pflegen, um die globale Verantwortung der Bundesrepublik zu plakatieren, steht das knallharte Geschäft von Deutschen mit Diktatoren, der Export von deutschen Panzern und deutschem Giftmüll, die Aufnahme von Fluchtkapital und Drogengeldern durch deutsche Banken, die Ausbeutung von ökologischen Reserven in der Dritten Welt auch durch deutsche Konzerne und die Förderung eines urwüchsigen und brutalen Manchester-Kapitalismus in der Dritten Welt durch deutsche Wirtschaftsliberale, also die Förderung eines Manchester-Kapitalismus, der ohne Rücksicht, zumindest ohne große und bewußte Rücksicht, auf soziale, ökologische und bevölkerungspolitische Folgen agiert und Fluchtzahlen produziert. So sind die Zusammenhänge.
Eine Regierung, die in vielen Fällen wegsieht oder gar zusieht, wenn auch durch deutsche Interessen die in den Entwicklungsländern selbst begründeten Ursachen von Vertreibung und Flucht verstärkt werden, darf nicht jammern, daß wir hier ein wachsendes Zuwanderungsproblem haben, wenn sie sich selbst an der weiteren Ausbeutung des armen Teils der Welt beteiligt.
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Der Norden leistet zum anderen jedoch nur zu oft selbst nicht nur Beihilfe zu hausgemachten Ursachen von Flucht und Vertreibung im Süden und Osten. Der Norden verschärft die Situation noch dadurch, daß er über seine Dominanz im internationalen Wirtschafts-und Finanzsystem und durch eine unrealistische und unverantwortliche Auflagenpolitik des IWF die strukturellen und materiellen Vorteile des Nordens sichert, die sozialen und ökologischen Probleme im Süden verschärft und jetzt offenbar noch die Länder des Ostens in das gleiche Schuldendesaster treibt, wie wir
das in den vergangenen zehn Jahren im Süden erlebt haben.
Die Bundesregierung im Konzert der anderen reichen Industrieländer erklärt sich offenbar für nicht zuständig, wenn es darum geht, daß 50 Milliarden Dollar jährlich mehr Kapital vom Süden zum Norden als vom Norden zum Süden fließen. Sie fühlt sich nicht zuständig, daß durch den Protektionismus der Industrieländer den Entwicklungsländern mehr als 50 Milliarden Dollar Erlöse entgehen, daß die westliche Konkurrenz gegenüber lokalem Gewerbe und junger Industrie vor allem in Afrika und jetzt auch in Osteuropa sowie den ehemals sowjetischen Republiken übermächtig ist und daß der Norden einen großen Teil der Intelligenz des Südens an sich zieht und die erste Welt die dritte und jetzt die zweite Welt mit ihren Medienkonserven, also mit ihren Bildern und Begriffen, wahrlich überschwemmt.
Statt daß die deutsche Regierung und die sie tragenden Koalitionsparteien dieses Treiben weiter unterstützen und über die Zuwanderung lamentieren, wäre es richtig, daß sie entschieden auch auf den Feldern handelt, wo sie an den wachsenden Fluchtströmen selbst Schuld trägt.
Meine Damen und Herren, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der neuen Völkerwanderung eingedämmt werden sollen, ist es auch, aber nicht allein und nicht einmal in erster Linie, eine Frage zusätzlichen Geldes. Es ist wirklich unsinnig, bei uns steigende Finanzmittel bald in zig Milliardenhöhe einzusetzen, um für Zuwanderer Eingliederungs-, Rückkehr- und Sozialhilfe zu zahlen. Wohnungen zu bauen und Infrastrukturen zu erweitern, statt daß diese Mittel verwendet werden, um die Ursachen der Wanderung vor Ort mit einem viel höheren Effekt zu bekämpfen.
Eine Frage des Geldes ist es allerdings, wenn der Nettokapitaltransfer vom Süden zum Norden endlich gestoppt werden soll und dem Süden und Osten neben technischer und personeller Zusammenarbeit gezielte Finanzhilfen zur Armutsbekämfung, zum Umweltschutz und zur Investition in eine eigenständige produktive Entwicklung gegeben werden. Die dafür notwendigen Mittel sind jedoch in der Höhe begrenzt. Es ist billiger, in diesem Sinne zu investieren als tatsächlich in eine reine Abschottungsstrategie gegen Zuwanderung.
Kollege Hauchler, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme jetzt zum Schluß. Ich glaube, meine Redezeit ist abgelaufen.
Ich denke, wir sollten nicht nur eine Abschottungsdebatte führen und uns in der Zukunft darauf beschränken, sondern stärker noch als bisher die Ursachen für Flucht und Zuwanderung in den Blick nehmen; denn diese Faktoren wachsen, wenn wir von seiten der Industrieländer hier nicht entscheidend eingreifen.
Vielen Dank.
({0})
Nun hat noch der Kollege Ortwin Lowack das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mißbrauch des Asylrechts ist eines dieser unsäglichen Themen - man kann auch sagen: eine dieser unendlichen Geschichten -, mit denen sich Parlament und vor allem auch die Regierung als zunehmend politikunfähig erwiesen haben.
Es war vor allen Dingen ein trauriges Beispiel dafür, wie die Parteiendemokratie durch Koalitionsklüngel über die Köpfe von Fraktionen und Abgeordneten hinweg degeneriert ist. Das Problem ist doch eigentlich, daß die vielen kleinen Abgeordneten, die genau spüren, was draußen vor sich geht, über Jahre dazu mißbraucht wurden, als Apologeten einer Politik aufzutreten, die in Wirklichkeit nichts anderes war als Entscheidungs-, Prinzipien-, Führungs- und leider oft genug auch Geistlosigkeit an der Spitze.
Jeder weiß doch, daß es gar nicht um die berechtigten Asylanträge geht. Für die hat der größte Teil unserer Bevölkerung volles Verständnis.
Ich halte es für eine bodenlose Unverschämtheit, daß in diesem Parlament die Leute draußen beschimpft werden, wenn es um die Lösung eines politischen Problems geht - die Frage des Umfangs des Asylrechts und vor allen Dingen die Bekämpfung des Mißbrauchs ist ein politisches Problem -, daß man auf die Bevölkerung schimpft, die nachfragt: Wann löst ihr Politiker endlich das euch angetragene Problem? Es geht in Wahrheit um die Bekämpfung des Asylmißbrauchs, der zur Regel geworden ist und der in der politischen Argumentation leider völlig am Leben vorbei zu einer Lappalie herabgewürdigt wurde.
Haben wir uns eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie viele Menschen, angezogen durch das angeblich unbegrenzte deutsche Asylrecht, in dieses Land kommen und dann nach einigen Monaten oder einigen Jahren in ihre Länder zurückgehen müssen und was das für diese Menschen an Entwurzelung in den eigenen Ländern bedeutet? Wir haben ein Interesse daran, daß nach außen klar ist, daß unser Asylrecht nicht mißbraucht werden kann.
Bis auf ein paar Gutgläubige wissen doch alle, daß das Beschleunigungsgesetz, das Sie so als Begleitung mitgegeben haben, nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen, daß es vor allen Dingen die Zugänge derjenigen, die Asylanträge stellen, nicht hemmt.
Aber wer glaubt, dies hätte schon vor Jahren dazu führen können und müssen, daß eine Grundgesetzänderung beantragt wird, täuscht sich. Keine der Parteien des Deutschen Bundestages hatte bis vor kurzem den Mut, einen klaren Entwurf vorzulegen, obwohl die Probleme immer virulenter wurden. Wir wissen, daß sie heute nicht nur die öffentlichen Kassen in einem unglaublichen Maß belasten, sondern daß sie in der Zwischenzeit auch die Kriminalitätsstatistik belasten, daß es zunehmend zu einer Verunsicherung auf unseren Straßen kommt. Hier gibt es in der Zwischenzeit leider schon bittere Erfahrungen und teilweise schon grausame Berichte.
Auch die Union hat jahrelang versagt, weil sie nicht den Mut hatte, mit einem eigenen Konzept anzutreten und in der parlamentarischen Debatte die notwendigen politischen Veränderungen zu erkämpfen. Noch heute stehen die Anträge, über die wir hier zu entscheiden haben, im Grunde genommen einsam in der Wüste da. Sie sind nicht in ein Ausländerrecht eingefaßt, mit dem wir diese hier anstehenden Entscheidungen bei unseren Freunden weltweit plausibel machen könnten.
Die politische Unfähigkeit ist - darüber soll sich hier niemand Illusionen machen - das Ergebnis einer Krise der Fraktionen und Parteien. Vor allem hat die Selbstkastration der Unionsfraktion zu einem reinen Zustimmungsorgan für meistens sehr einsame Koalitionsbeschlüsse oder Nicht-Beschlüsse dazu geführt, daß die sehr wohl erkannten Probleme politisch nicht mehr ausgetragen und zu einer Initiative entwickelt wurden.
Ein weiteres Problem kommt hinzu, und wir sollten uns darüber durchaus im klaren sein: Die meisten Abgeordneten auch dieses Parlaments bringen nicht mehr ihren Sachverstand aus den angestammten erlernten und praktizierten Berufen und damit aus der ständigen Auseinandersetzung mit den Problemen der Bürger in die Parlamentsarbeit ein, sondern haben ihre Erfahrung überhaupt erst in der Politik gesammelt, in die sie von vornherein mit der großen Bereitwilligkeit, sich möglichst stromlinienförmig zu verhalten, eingebaut werden.
Ein Beispiel: 318 Mitglieder hat die Unionsfraktion. Davon sind über 130 Funktionäre, allein 15 stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführer, 21 Arbeitsgruppenvorsitzende, 21 Obleute, 11 Ausschußvorsitzende, Unterausschußvorsitzende, Sonderfunktionäre, Parlamentarische Staatssekretäre, Minister usw. Alle wollen sie ihren Job behalten.
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- Noch nicht, nein. - Alle wollen sie ihren Job behalten und hoffen, den Nachbarn beerben zu können, indem sie sich besonders stromlinienförmig und brav verhalten.
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So hat das „kitchen cabinet" an der Spitze die Möglichkeit, seine oft nicht besonders geistreichen Beschlüsse zu fassen, und geheimnisvolle Koalitionszirkel haben letztlich die richtige parlamentarische Arbeit ersetzt.
Aber auch die Opposition - vielleicht darf ich das als unabhängiger Abgeordneter sagen - hat wohl oft oder zu lange gehofft, sie könnte im Kontakt mit dem kleineren Koalitionspartner in der Regierung vielleicht doch noch zwischendurch einen Machtwechsel erreichen, und wohl deswegen noch nicht ganz ihre Oppositionsrolle hin zu einer lebendigen und manchmal auch humorvoll-konstruktiven Opposition gefunden. Vor allen Dingen würde ich Ihnen wünschen, daß Sie manchmal etwas ideologiefreier praktikable und praktische Lösungen anbieten, mit denen die Menschen draußen leben können, besonders im Asylbereich.
Die über 4 Milliarden DM, die die etablierten Parteien und die ihnen nahestehenden Stiftungen und Einrichtungen pro Jahr aus öffentlichen Kassen kassieren, bedeuten die Abschöpfung eines Teils der Arbeitsleistung von Millionen von Menschen in unserem Staat; dessen müssen sich die Parteien bewußt sein. Sie dürfen dieses Parlament nicht zu einem teuren Volkstheater machen, das nicht mehr seine Probleme oder die Probleme der Menschen löst.
Die Betroffenheit in unserer Bevölkerung sitzt tief; das Mißtrauen gegenüber der Politik hat längst eine kritische Schwelle überwunden. Unser Staat, der über eine so hervorragende Verfassung verfügt, ist durch die Politik in eine Krise geraten, die die vielen Millionen Menschen draußen, die ihrer harten Arbeit nachgehen, nicht verdient haben. Auch das muß in diesem Parlament einmal deutlich gemacht werden.
Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/2453 und 12/2088 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf auf der Drucksache 12/2453 - das Gesetz zum Schengener Übereinkommen - soll zusätzlich an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Es wird außerdem interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/2112 - das ist der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes - federführend an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu irgendwelche anderweitigen Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe damit den letzten Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung, nämlich den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien, Angelika Barbe, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Prüfung des Präparates RU 486 in der Bundesrepublik Deutschland zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch
- Drucksache 12/1835 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit ({0}) Ausschuß für Familie und Senioren
Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens"
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Marliese Dobberthien.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik Deutschland spielt sich zur Zeit ein schier unglaublicher und bisher einmaliger Vorgang ab, der nun durch die parlamentarische Befassung seinen Höhepunkt und, wie ich hoffe, auch sein gutes Ende finden wird.
({0})
Bei Forschungsarbeiten eines französischen Pharmaunternehmens wird zufällig entdeckt, daß eine synthetisch hergestellte hormonähnliche Substanz in alle Fortpflanzungsvorgänge eingreifen kann. Mifepreston, wie diese synthetische Substanz genannt wird, bewirkt, daß die befruchtete Eizelle abgestoßen wird. Damit ist das Präparat, besser bekannt als RU 486, geeignet, eine Schwangerschaft in einem frühzeitigen Stadium medikamentös zu beenden. Es gilt als die schonendste aller verfügbaren Methoden.
Doch statt das Mittel, wie bei Medikamenten normalerweise üblich, zu erproben und, sofern als zuverlässig und unbedenklich eingestuft, anschließend auf den Markt zu bringen, schwingt sich die französische Herstellerfirma zur moralischen Bedenkenträgerin gegen Schwangerschaftsabbrüche auf. In Frankreich nahm sie das Präparat unter dem massiven Druck der kleinen radikalen Minderheit selbsternannter Lebensschützer wieder vom Markt. In Deutschland wird gar nicht erst ein Zulassungsantrag gestellt. Dem Druck von Frauen und der Intervention der französischen Regierung ist es zu verdanken, daß das Präparat Frauen in Frankreich inzwischen wieder zugänglich ist.
Die Behauptung, mit der Einführung von RU 486 werde die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ansteigen, ist durch die dreijährigen französischen Erfahrungen eindeutig widerlegt.
Doch die französischen, englischen und österreichischen Frauen inzwischen zugestandene gesundheitlich weniger risikoreiche Methode wird Frauen in Deutschland verweigert. Die deutsche Mutterfirma, die Hoechst AG, beugt sich nur allzu willig und eilfertig den vermeintlichen Boykottdrohungen der sogenannten Lebensschützer, die versuchen, das Präparat durch die reißerische Bezeichnung „Tötungspille" zu diskreditieren. Die Weigerung, einen Zulassungsantrag für RU 486 beim Bundesgesundheitsamt zu stellen, begründet Hoechst mit drei zuvor zu erfüllenden Bedingungen: erstens ein gesellschaftlicher Konsens über das Thema Schwangerschaftsabbruch einschließlich eines politischen Signals, daß die Einführung des Medikaments erwünscht sei; zweitens eine demokratisch legitimierte rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs; drittens die Kontrolle von Vertrieb und Anwendung des Präparats.
Alle drei Bedingungen sind jedoch längst erfüllt. Die Kontrolle von Vertriebsweg und Abgabe, politisch völlig unstrittig, ist nach Aussage des Bundesgesundheitsamts jederzeit durch eine Vereinbarung mit dem Hersteller zu gewährleisten. Daher ist es eine üble Diffamierung, zu unterstellen, RU 486 werde wie ein x-beliebiges Medikament, vergleichbar einer Kopfschmerztablette, eben mal schnell mit dem Morgenkaffee eingenommen.
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Eine demokratisch legitimierte gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs liegt in der Bundesrepublik Deutschland zweifelsohne durch Einigungsvertrag und Strafgesetzbuch längst vor. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen sind zwar reformbedürftig - wir arbeiten daran -, aber zweifelsfrei und auch rechtlich eindeutig sind sie.
Wenn nun die Hersteller wider besseres Wissen behaupten, die Abtreibungsfrage sei in Deutschland nicht, wie sie sagen, eindeutig geregelt, so ist das nichts anders als eine Ausrede zu Lasten der Frauen.
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Bleibt also der angeblich fehlende gesellschaftliche Konsens übrig. Doch auch dieser ist längst vorhanden. Über 70 % aller Frauen in Deutschland sprechen sich für eine Fristenlösung oder die völlige Streichung des § 218 aus. 80 % aller Frauen wollen nicht, daß der Schwangerschaftsabbruch überhaupt im Strafrecht geregelt wird. Von einem fehlenden gesellschaftlichen Konsens kann also mitnichten die Rede sein.
An politischen Signalen ist in dieser Republik wirklich kein Mangel. Diverse Minister und Ministerinnen, Parlamentarier und Parlamentarierinnen und die Konferenzen der Gesundheits- und Frauenminister bzw. -ministerinnen haben die Beantragung des Präparats ausdrücklich erbeten. Doch die Hoechst AG bleibt hart. In ihren Stellungnahmen versteigt sie sich sogar zu der Behauptung, die Beantragung des Präparats würde einen - ich zitiere - „die Menschenwürde berücksichtigenden Diskurs" behindern. Ich frage nur: Wo bleibt denn die Menschenwürde der Frau?
({3})
Die Unterlassung der Antragstellung ist in der Wirkung eine Einmischung in die politische und ethische Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs überhaupt. Bisher waren es nur Männer in Kirche, Staat und Gesellschaft, die Frauen bevormundeten. Neu ist, daß sich nunmehr ein Unternehmen anmaßt, in Not geratenen Frauen die derzeit schonendste Methode vorzuenthalten. Das grenzt an Mißbrauch unternehmerischer Macht.
({4})
Tatsache ist doch: Bei der Einführung von RU 486 geht es eben nicht um Leben und Tod, wie der Vorstandsvorsitzende von Hoechst behauptet, sondern ausschließlich um eine medizinische Methode. Zwar wirbt Hoechst selbst für das Präparat als ein
medizinisch fortschrittliches Instrument für den Schwangerschaftsabbruch im frühen Stadium.
({5})
- Wenn die Männer sich nur heraushalten würden!
Letztlich bleibt es ein PR-Manöver, denn der Zulassungsantrag wird nicht gestellt. Bemerkenswerterweise hat der Hersteller jedoch keine Bedenken, das technische Gerät für eine Ausschabung der Gebärmutter zu liefern.
({6})
Hinter der Weigerung des Konzerns verbirgt sich ein schwer überbietbares Maß an Frauenverachtung, weil dieser medizinische Fortschritt in der Bundesrepublik Deutschland nicht Einzug halten darf. Leider hat auch das Gespräch zwischen den Mitgliedern der Gesundheitsministerkonferenz und Roussel Uclaf am vergangenen Freitag nichts an der Sachlage verändert. Auf die Erklärung der hessischen Gesundheitsministerin hin, die Herstellerfirma sei nunmehr endlich bereit, den Zulassungsantrag zu stellen, reagierte Hoechst samt Tochter mit der gebetsmühlenartigen Wiederholung alter Positionen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß solche frauenfeindlichen Entscheidungen nur zustande kommen, weil die Unternehmensvorstände voll sind mit persönlich niemals betroffenen Männern.
(Uta Würfel ({7})
- Sie können nun mal nicht schwanger werden. Darum können sie leicht darüber urteilen, was andere zu tun hätten.
({8})
Dafür, daß RU 486 in Deutschland nicht verfügbar ist, trägt auch die Bundesregierung Verantwortung. Trotz ausdrücklicher Befürwortung durch ihre Frauenministerin - sie ist leider nicht hier - zieht sie sich mit fehlender Zuständigkeit aus der Affäre. Gleichzeitig und zur Täuschung der Frauen dürfen diverse Parlamentarierinnen der Regierungsfraktionen die Erprobung des Medikaments fordern, um in der Öffentlichkeit als fortschrittlich zu gelten. Doch auf eine parlamentarische Initiative eben dieser Abgeordneten warten wir bis heute vergebens. Im Gegenteil, wir mußten diese Debatte mit dem geschäftsordnungsmäßigen Aufsetzungsrecht gegen den Widerstand der CDU/CSU-Fraktion sogar erzwingen.
Dieses Spiel mit verteilten Rollen und ständig rotierendem Schwarzen Peter schadet wieder einmal den betroffenen Frauen und lenkt davon ab, daß dieser Bundesregierung am Wohl dieser Frauen wenig gelegen ist.
Die Verweigerungshaltung der Herstellerfirma und der Bundesregierung werte ich daher als einen weiteren jener altbekannten und unzähligen Versuche, Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt zu bevormunden. Wann endlich, frage ich, dürfen Frauen selbst entscheiden, ob sie sich der Austragung einer ungewollten Schwangerschaft und deren Folgen gewachsen fühlen oder nicht? Wann dürfen Frauen, sofern medizinisch befürwortet, die schonendste Abbruchmethode auch erhalten?
Da sich die Bundesregierung geweigert hat, die Bedingungen der Hoechst AG zu erfüllen, und die Hersteller den zahlreichen und an Eindeutigkeit nicht überbietbaren politischen Aufforderungen nicht gefolgt sind, beantragt die SPD-Fraktion nun, daß der Deutsche Bundestag tätig werden möge. Er soll das Unternehmen auffordern, endlich den Zulassungsantrag zu stellen.
Mit dieser Aufforderung - das möchte ich hier ausdrücklich klarstellen - geht die medizinische Verantwortung für das Medikament keineswegs auf die Politik über. Es geht ausschließlich darum, daß der Zulassungsantrag gestellt wird und daß dann fachlich und wissenschaftlich darüber entschieden wird. Dieser Zulassungsantrag ist die unumgängliche Voraussetzung einer kontrollierten Markteinführung. Über die medizinische Unbedenklichkeit und Verträglichkeit muß, wie bei jedem anderen Medikament üblich, das Bundesgesundheitsamt entscheiden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, verleihen Sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag, nachdem er in den Ausschüssen beraten ist, der Aufforderung an Roussel Uclaf Nachdruck, endlich den überfälligen Zulassungsantrag für RU 486 auch in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen!
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Limbach das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dobberthien, es stimmt schon, daß es etwas Einmaliges ist, wenn die SPD beantragt, daß wir ein Pharma-Unternehmen auffordern sollen, beim Bundesgesundheitsamt einen Zulassungsantrag für ein Präparat zu stellen, das dieses Pharma-Unternehmen entwickelt hat. Sie haben ja in der Begründung Ihres Antrags auf die Problematik eines solchen Vorgehens hingewiesen. Dann fragt man sich natürlich, warum wir das denn tun sollen, denn der Antrag auf Zulassung eines Präparates liegt nun wirklich nicht in der Verantwortung des Parlaments, sondern in der Verantwortung des Unternehmens, das das Präparat herstellt.
({0})
Es kann doch nicht sein, daß der Gesetzgeber solche Aufforderungen ausspricht. Sie haben hier nun eine für Sie zutreffende Begründung gefunden. Andere finden bei anderen Gelegenheiten wiederum für sie zutreffende Begründungen. Ich halte das deshalb nicht für richtig, weil damit Verantwortungen verschoben werden, und zwar auf eine Ebene, für die das Parlament in diesem Sinne überhaupt nicht verantwortlich, überhaupt nicht kompetent ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu tun. Ich finde es eigentlich auch ziemlich - da teile ich die Kritik am Unternehmen, die Sie geäußert haben - eigentümlich, daß die Verantwortung dafür, ob man das beantragen will oder nicht, auf Regierung oder Gesundheitsbehörden abgeschoben wird und die Entscheidung von
welchen Bedingungen auch immer abhängig gemacht wird - auf die Bedingung einer Regelung im Zusammenhang des § 218 haben Sie ja hingewiesen; daß wir an einer Reform arbeiten, hat nichts damit zu tun, daß wir nicht eine Regelung hätten. Das ist ja wahr.
({1})
Ich bin aber auch der Meinung, daß wir sehr vorsichtig sein müssen mit einer Art der Beurteilung dieses Präparats, wie Sie sie hier vorgenommen haben.
({2})
- Nein, nein. Ich teile ja Ihre Auffassung, wenn es sie denn ist, daß es nicht in unserem Urteil steht, was das für ein Präparat ist, welche Wirkungen es hat, sondern daß das dafür kompetente Menschen zu beurteilen haben. Sie haben hier aber gesagt, wir müßten dieses Unternehmen auffordern, einen Antrag auf Zulassung von RU 486 zu stellen, weil es sich um die schonendste Methode des Schwangerschaftsabbruchs handle, und es sei geradezu unverschämt, wenn die Bundesregierung, die CDU/CSU-Fraktion und wer auch immer dieses den Frauen vorenthalte.
Nein, wir enthalten nichts vor. Wenn in einer sonst nicht lösbaren Konfliktsituation ein Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt ist, ist es Sache des Arztes, zu entscheiden, welches die richtige und hier anzuwendende Methode ist. Auch dafür hat das Parlament keine Kompetenz in welcher Art auch immer,
({3})
sondern die hat der Arzt. Der wird sich selbstverständlich mit der Patientin beraten, und der Weg wird dann gemeinsam gefunden.
Ihre Interpretation, medizinischer Fortschritt werde vorenthalten, teile ich nicht so ganz. Nun berufe ich mich ausnahmsweise nicht auf eigene Kenntnisse, weil ich solche, wie eben gesagt, was das Medizinische angeht, nur vom Hörensagen, vom Zuhören und vom Lesen habe, sondern ich zitiere, was das feministische Frauengesundheitszentrum in einer Presseerklärung zu RU 486 am 4. November 1991 gesagt hat: „Im Vergleich mit dem Absaugen der Schwangerschaft hat die RU 486 plus Prostaglandine als Abtreibungsmethode wenig Vorteile - chemische Methode, einfache Handhabung - und sehr viele Nachteile: mindestens vier Arzttermine in einer Klinik, lange Prozedur, Unsicherheit, wann die Blutung beginnt, wie lange die Blutung anhält, ob der Abbruch komplett ist, geringe Zuverlässigkeit, mögliche Medikamenteninteraktion. "
Ich sage das jetzt nicht etwa, weil ich damit mein Urteil verbinden will, das darf nicht beantragt und darf nicht zugelassen werden, sondern nur, um deutlich zu machen, wie sehr das auch bei Leuten, die das vielleicht aus einer Betroffenheit, die eine andere ist als die meine, diskutieren, umstritten ist.
Insofern teile ich übrigens die Befürchtung, die andere Gruppen haben, es könne eine Verharmlosung stattfinden, und das könne sozusagen zum vereinfachten Schlucken des Präparates führen, deshalb nicht, weil möglicherweise die psychischen Belastungen bei der Entscheidung, die eine Frau in einer Konfliktlage treffen muß, dann noch viel, viel schwieriger sind, als das im Moment der Fall ist.
Frau Dr. Limbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Wenn Sie die Promotion vergessen würden; die hat nicht stattgefunden.
Dann dürfen Sie jetzt an die Abgeordnete Frau Limbach, Herr Jäger, die Frage stellen.
Frau Kollegin Limbach, ist Ihnen bekannt und würden Sie das dann den Kolleginnen und Kollegen der SPD weitergeben, daß bei der Anhörung vor dem Sonderausschuß des Deutschen Bundestages der ja genügend bekannte Stuttgarter Abtreibungsarzt Stapf erklärt hat, daß er vor einer Anwendung dieses Präparates schon von daher eine gründliche Überprüfung für erforderlich hält, weil nach Anwendung dieses Mittels die betroffene Frau sich über Tage hinweg nur in ganz, ganz nahen Grenzen von der abtreibenden Klinik entfernt aufhalten muß, weil die Gefahr schwerer und lebensgefährlicher Blutungen nicht ausgeschlossen werden kann und deshalb der den Eingriff vornehmende Arzt immer in der Nähe der Patientin sein muß?
({0})
Ich kann Ihre Aussage bestätigen. Wir hatten auch in der Frauengruppe -
Herr Abgeordneter Jäger, Sie sind ein so erfahrener Zwischenfrager und Parlamentarier; es wäre nett, wenn Sie die Usancen des Hauses praktizierten. Danke schön.
Wir haben darüber auch ein ausführliches Expertengespräch in der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehabt. Nur, ich wollte diesen Punkt eigentlich nicht vertiefen, weil es hier und heute nicht um eine Abtreibungsmethode im eigentlichen Sinne geht, sondern wir uns im Grunde darüber unterhalten, ob das deutsche Parlament, der Deutsche Bundestag, ein Pharma-Unternehmen auffordern soll, für ein bestimmtes Präparat die Zulassung beim Bundesgesundheitsamt zu beantragen oder nicht. Das, was Sie angesprochen haben, war ein Nebenpunkt. Aber ich verstehe, daß Sie darauf noch einmal hingewiesen haben.
Frau Abgeordnete Limbach, auch die Abgeordnete Frau Wolf möchte eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Frau Kollegin Limbach, wie bewerten Sie die Tatsache, daß die ehemalige Gesundheitsministerin Hasselfeldt, die Ministerin Schwaetzer und auch die Jugend- und Frauenministerin Merkel die Firma massiv aufgefordert haben, den Antrag auf Zulassung zu stellen? Wie ist das einzuschätzen?
Ich bin der Auffassung, daß jede Ministerin, jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete in diesem Hause das Recht haben, ihrer Meinung entsprechende Äußerungen zu tun. Ob diese Äußerungen so, wie Sie gesagt haben, gefallen sind, weiß ich im Moment nicht. Aber sollten sie so gefallen sein, ist meine Antwort, daß ich jedem zugestehe, daß er sich so äußert, wie er es angesichts seiner Verantwortung für richtig hält. Aber ob der Tatsachenhintergrund so ist, wie Sie dargestellt haben, kann ich nicht beurteilen.
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Ich will jetzt wieder weg von der Diskussion über die Wirkungsweise von RU. Ich wollte Ihnen nur widersprechen, Frau Dobberthien, weil Sie so getan haben, als ob wir, wenn wir den Hersteller jetzt nicht auffordern, die Zulassung zu beantragen, den deutschen Frauen etwas ganz Gutes vorenthalten würden. Ich bin mir eben nicht so sicher, ob wir ihnen etwas Gutes oder etwas Schlimmes, etwas Nützliches oder etwas nicht Nützliches vorenthalten. Aber es ist auch nicht meine Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß eine Firma aus ihrer Verantwortung heraus und in ihrer Kenntnis des Präparats, der Wirkungsweise, der äußeren Bedingungen, die gegeben sein müssen, einen solchen Antrag stellt oder nicht. Ich bin weder der Vertreter dieses Unternehmens, noch bin ich als Abgeordnete zur Therapie verpflichtete Ärztin. Infolgedessen müssen und sollen diejenigen die Frage beantworten, in deren Verantwortungsbereich sie liegt.
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Ich sage jetzt noch einmal: Wenn der Hersteller beim Bundesgesundheitsamt einen Antrag stellen wird, dann wird - davon bin ich überzeugt - dieser Antrag auf Zulassung im üblichen Verfahren geprüft, und nach Ablauf des Verfahrens wird entweder zugelassen - möglicherweise mit Auflagen - oder nicht zugelassen. Dann wird der Bescheid erteilt, und so nimmt das alles seinen Gang.
Ich bzw. meine Fraktion ist jedenfalls nicht bereit, als Gesetzgeber, als Parlament hier Einfluß zu nehmen und diese Firma zur Antragstellung aufzufordern. Deshalb wird meine Fraktion diesem Antrag nicht zustimmen. Im übrigen beantragen wir Oberweisung zur federführenden Beratung an den Gesundheitsausschuß.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bläss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist klar: Wenn sich dieser Bundestag bis heute auf eine fortschrittliche Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch hätte einigen können, dann stünden wir jetzt nicht vor dem Problem, einen Konzern auffordern zu müssen, einen Antrag auf Zulassung des Präparats RU 486 zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch zu stellen. Es ist schon eine merkwürdige Situation. Und ich gebe zu: Die umgekehrte Variante hielte ich jedenfalls für normaler.
Warum löst dieses Präparat, das im katholischen Frankreich seit Jahren erfolgreich angewandt wird und in einigen anderen europäischen Ländern ebenfalls zugelassen ist, solche Aufregung unter Politikerinnen und Politikern aus? Es handelt sich hier um ein Medikament, das einen frühzeitigen, nicht operativen Abbruch unerwünschter Schwangerschaft ermöglicht. Medizinische Risiken und Chancen sollten hier meines Erachtens nicht erörtert werden. Dafür gibt es Expertinnen und Experten, z. B. im Bundesgesundheitsamt, die diese - ich füge hinzu: nur diese - zum Kriterium ihrer Zulassungsentscheidung für die Bundesrepublik machen sollten.
Der Antrag auf Zulassung der RU 486 muß endlich auch hierzulande gestellt werden. Die vieltausendfachen Anwendungen z. B. in Frankreich lassen vermuten, daß Frauen nach Einführung eines solchen Präparats zumindest von der medizinischen Seite her eine wirkliche Wahl zwischen verschiedenen Abbruchmethoden haben. Möglicherweise haben sie damit eine reale Chance, schonend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine unerwünschte Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Jeder früher mögliche Zeitpunkt als z. B. im Vergleich zur Absaugmethode läßt die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen - ob medizinischen oder psychischen - sinken und ist schon deshalb - unabhängig von der Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch - im Interesse der betroffenen Frauen wie auch der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Uns Politikerinnen und Politikern sollte es darum gehen, solche Bedingungen zu schaffen, daß Frauen im Fall unerwünschter Schwangerschaft die Wahlfreiheit zwischen den schonendsten Methoden auch real haben, indem sie die Schwangerschaft so früh wie möglich beenden lassen können.
Meines Erachtens ist das nicht möglich, wenn Frauen Instanzen zu durchlaufen haben, Pflichtberatungen absolvieren und Abbruchgründe artikulieren müssen, wenn durch Strafandrohung Frauen stigmatisiert werden.
Unabhängig von RU 486 brauchen Frauen in diesem Land generell bessere Abbruchmöglichkeiten, auch ambulante, mehr und vor allem unabhängige Beratungszentren in den neuen Bundesländern und vor allem ein Selbstbestimmungsrecht in bezug auf ihre Schwangerschaft. Nur dann kann z. B. die Zulassung der RU 486 für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch eine zusätzliche Wahlmöglichkeit für Frauen bedeuten.
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Das eigentliche Thema dieser Debatte um die RU 486 wird zu gern gemieden. Es sind und bleiben
das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und dessen rechtliche Ausgestaltung. Genau dies wollen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mit allen Mitteln verhindern, bis hin zu einer weiteren Verschärfung der strafrechtlichen Bestimmungen.
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Die SPD-Fraktion hat den vorliegenden Antrag mit der Begründung eingebracht, daß Frauen in diesem Land nicht länger eine für sie vorteilhafte und schonende Abbruchmethode vorenthalten werden darf. Aus eben diesem Grund stimme ich ihm im Namen der PDS/Linke Liste zu.
Ich füge aber hinzu: Angesichts des in den gegenwärtigen Debatten über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vielfach zu vernehmenden Tenors von der Zwangsberatung als dem kleineren Übel bleibt aufs neue festzuhalten:
Die Verordnung der RU 486 ist nur in den ersten sechs bis acht Schwangerschaftswochen empfehlenswert, was bei dem vorgeschriebenen Instanzenweg einer Zwangsberatung und der vorgesehenen DreiTage-Frist zwischen Beratung und Abbruch für die meisten Frauen gar nicht zu schaffen ist.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Mit einer Entscheidung des Bundestags zur Aufforderung an die Hoechst AG, die ansonsten ja nicht so zimperlich im Umgang mit ihren Produkten ist, ist die Diskussion über den frauenfeindlichen § 218 nicht vom Tisch. Die „Gefahr", daß sich Frauen bei dessen Verschärfung oder Beibehaltung selber helfen - möglicherweise auch mit einem illegal beschafften Medikament - ist und bleibt real. Die Lösung lautet also: Ersatzlose Streichung des § 218 und uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht der Frauen.
Ich danke.
({2})
Die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen, haben Sie leider verpaßt.
Ich erteile der Abgeordneten Frau Uta Würfel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es trifft sich gut, daß wir heute über die Methode der Abtreibung mit dem Präparat RU 486 sprechen können. Nachrichten vom Wochenende besagen ja, daß der Konzern Hoechst seine Weigerung bestätigt hat, die Zulassung des in Frankreich seit 1988 zugelassenen Präparats beim Bundesgesundheitsamt zu beantragen.
Wir haben gehört, worum es sich bei diesem Präparat handelt. Es wurde von der Tochtergesellschaft Roussel Uclaf entwickelt und ist ein Medikament, mit dem Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden können.
Die Anwendung dieses Hormonpräparats ist auf die ersten sieben Wochen nach der Befruchtung des Eis begrenzt. Kollegin Limbach hat schon gesagt: Dies hat Vor- und Nachteile. Selbstverständlich bedeutet es, daß sich die Frau sehr frühzeitig zu dem Schwangerschaftsabbruch entscheiden muß und daß die Bedenkzeit dafür nicht sehr lang ist.
Der Nachteil wird von manchem vielleicht auch darin gesehen, daß die Frau sehr eigenverantwortlich handeln muß. Denn wenn vor einem Menschen drei Pillen liegen, die eingenommen werden müssen, wird sehr deutlich, daß in der eigenen persönlichen Verantwortung liegt, was jetzt geschieht. Ich denke, es ist ein psychologischer Unterschied, ob ein Arzt in Vollnarkose an einer Frau einen Abbruch, eine Operation vornimmt oder ob ich selbst als Mensch gefordert bin, jetzt etwas zu tun, eine Tat zu begehen.
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Ich will gar nicht von mir weisen, daß es sich hierbei um eine Tat handelt.
Tatsache ist aber auch, daß dieses Präparat im Grunde genommen dieselbe Wirkung erzielt wie die sogenannte „morning pill", die Pille danach, die bei uns ja zugelassen ist und nur von zugelassenen Stellen abgegeben wird. Beide Medikamente verhindern den Verbleib des Eis in der Gebärmutter und lösen einen spontanen Abgang aus.
Nun, Frau Limbach, kann ich Ihnen sagen, daß es eine Broschüre von Hoechst selbst gibt - ich habe sie hier -, in der der Anwendungserfolg dieses Präparates hinreichend beschrieben wird: daß in 96 % aller Fälle tatsächlich ein kompletter Abort ausgelöst worden ist. Das sind Ergebnisse der umfangreichen Erforschung in Frankreich. Die medizinischen Vorteile werden ebenso beschrieben: daß der entscheidende Vorteil der ist, daß sich die gesundheitlichen Risiken und der apparative Aufwand des chirurgischen Eingriffs umgehen lassen. Zu diesen gesundheitlichen Risiken zählen natürlich die Narkose, aber auch die Gefahren einer unvollständigen Kürettage - das ist eine Ausschabung - von Perforation, Infektion und weiteren Komplikationen, die zu einer späteren Unfruchtbarkeit führen können.
Meine Damen und Herren, wir sollten es nicht vergessen: Früher begaben sich Frauen in ihrer verzweifelten Lage in die Hände von Kurpfuschern und Engelmacherinnen und bezahlten nicht selten mit dem eigenen Leben.
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Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich, Herr Dr. Sopart.
Frau Würfel, Sie haben das Blatt der Herstellerfirma zitiert. Ist in diesem Blatt auch festgehalten, daß die Methode mit RU 486 noch nicht zu Ende entwickelt ist? Ist darin beschrieben, daß das begleitend zu gebende Prostaglandin schwere Gefäßkomplikationen nach sich zieht, die schon zu einem Todesfall durch Herzinfarkt geführt haben? Könnten Sie sich vorstellen, daß die Weiterentwicklung dieser Methode, die im Augen7352
blick läuft, dann automatisch zu einem Antrag auf Zulassung in Deutschland führt?
In der Tat ist hier der eine Todesfall beschrieben. Er wird in den Zusammenhang mit übermäßigem Gebrauch von Nikotin gestellt. Ich überlasse Ihnen diese Broschüre gern, damit Sie sich selbst sachkundig machen können.
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Meine Damen und Herren, könnte man vielleicht sagen, daß den Frauen heute auf subtile Art und Weise zugemutet wird, erhöhte gesundheitliche Risiken auf sich zu nehmen, wenn diese Pille nicht zugelassen wird? Meinen Sie nicht auch, daß den Frauen das Recht auf besten gesundheitlichen Schutz zu verweigern den Verdacht aufkommen läßt, daß Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen sollen, es besonders schwer gemacht werden soll, ja, daß sie im Grunde genommen bestraft werden sollen?
Hoechst läßt mit seiner Verweigerungs- und Hinhaltetaktik, so meine ich, die Frauen tatsächlich im Regen stehen.
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Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich die Firma aus ihrer Verantwortung stiehlt und dieses Verhalten mit dem angeblich fehlenden gesellschaftlichen Konsens begründet. Wann besteht denn nach Meinung von Hoechst ein gesellschaftlicher Konsens, damit ungewollt schwangere Frauen eine Schwangerschaft mit der optimalen Methode legal abbrechen können?
Frauen, die nach Abwägung aller Faktoren die eigenverantwortliche Entscheidung getroffen haben und für die die Voraussetzungen vorliegen, eine Schwangerschaft legal abbrechen zu lassen, haben doch das Recht, daß ihnen die modernste und risikoärmste Methode zur Verfügung steht.
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Die starre Haltung des Hoechst-Konzerns wird angesichts der gesellschaftlichen Gruppen, die sich für eine Zulassung in der Bundesrepublik einsetzen, immer unverständlicher. Frauen in Frankreich, England und Österreich steht mit dieser neuen medikamentösen Methode eine schonendere und risikoärmere Art zur Verfügung, eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
Es ist nicht nachvollziehbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Hoechst immer wieder den Eindruck zu erwecken versucht, die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sei in der Bundesrepublik ungeklärt, und darüber hinaus auch noch unterstellt, daß bei Freigabe von RU 486 dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet werde. Hoechst weiß doch so gut wie wir alle, daß gerade in der Bundesrepublik die Bedingungen, unter denen ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen darf, strengstens geregelt sind. Dazu gehört auch, daß nur in autorisierten Arztpraxen und Krankenhäusern ein Abbruch vorgenommen werden darf und daß ein Schwangerschaftsabbruch nur dann grundsätzlich straffrei ist, wenn die Vorgaben der Indikationsregelung nach geltendem Recht eingehalten werden.
Ein unter ärztlicher Kontrolle verabreichtes Medikament macht eine Operation, einen invasiven Eingriff überflüssig. Aber sicher werden dadurch keineswegs die gesetzlichen Regelungen der §§. 218 und 219 außer Kraft gesetzt.
Politikerinnen aller Parteien, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern mit Nachdruck, das Präparat RU 486 beim Bundesgesundheitsamt zur Zulassung anzumelden. Die F.D.P.-Fraktionsvorsitzenden der Länder und Gemeinden unterstützen ebenfalls in einer Empfehlung diese Forderung. Sowohl der Deutsche Ärztinnenbund als auch die Deutsche Ärztekammer haben sich für eine Zulassung dieses Präparats ausgesprochen. Die Auffassung der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft belegt folgendes Zitat:
Es ist ärztliche Pflicht, daß jeder in der Klinik durchgeführte Schwangerschaftsabbruch unabhängig von der Indikation wie alle medizinischen Maßnahmen so risikoarm wie möglich durchgeführt werden muß.
Also noch einmal eine Verdeutlichung: Es geht hier nicht um die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Frau eine Schwangerschaft abbrechen darf. Diese Frage ist gesetzlich geklärt. Es geht hier um die Forderung, den Frauen die Methode zur Verfügung zu stellen, die die geringsten gesundheitlichen Risiken für die Frau beim Schwangerschaftsabbruch birgt.
Die jetzige Haltung des Konzerns, keinen Zulassungsantrag beim Bundesgesundheitsamt stellen zu wollen, ist unverständlich und läßt die Frage zu, ob sich Hoechst etwa vor den Karren derer spannen läßt, die Wert darauf legen, daß die Frauen beim Schwangerschaftsabbruch auch gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen sollen.
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Ich appelliere also an Hoechst, Frauen, die sich nach den gesetzlichen Vorgaben für einen Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik entschieden haben, nicht länger die risikoärmste Methode zu verweigern.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nur zwei Gründe für mich, vom jetzigen Stand der Dinge ausgehend die Freigabe des Hormonpräparats RU 486, welches stets zusammen mit Prostaglandinen zum Abbruch von Schwangerschaften verwendet werden kann, in Deutschland zu befürworten.
Der erste Grund ist, daß ich es für wünschenswert halte, wenn Frauen zwischen verschiedenen Methoden des Schwangerschaftsabbruchs - wenn sie sich zu einem solchen entschlossen haben - wählen können.
Der zweite Grund - das sage ich ganz offen - ist meine Hoffnung, daß eines Tages ein Mittel zum
Hausgebrauch zur Verfügung steht, damit die Frage des Schwangerschaftsabbruchs endlich dahin kommt, wo sie einzig und allein hingehört, nämlich in die Hand der Frau.
Eines, meine Damen und Herren, muß jedoch ganz klar gesagt werden: Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Präparat RU 486, beim Schwangerschaftsabbruch stets in Kombination mit Prostaglandinen angewandt, keine Alternative zur seit längerem praktizierten und auch bewährten Absaugmethode.
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Zu Euphorie besteht keinerlei Anlaß, und die Zerstörung des bereits entstandenen Mythos ist überfällig.
Nach Auskunft des Feministischen Frauengesundheitszentrums in West-Berlin, das internationale Literatur zu diesem Thema ausgewertet hat, steht fest, daß der chemische Schwangerschaftsabbruch mittels RU 486 nicht privater, unkomplizierter, schonender und unabhängiger von ärztlicher Kontrolle ist als der mechanische mittels Absaugung.
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Die Methode ist immerhin unsicher. In 2 bis 13 % der Fälle ist der chemische Abbruch unvollständig; es muß dann noch die Absaugmethode angewendet werden. Das Verfahren ist zeitaufwendig, es sind mindestens vier Arztkonsultationen erforderlich. Die Verfahrensdauer bewegt sich zwischen einer und zwei Wochen insgesamt. Das Verfahren erfordert eine intensive ärztliche Kontrolle. Es ist nicht für alle Frauen geeignet. Es gibt zahlreiche Gegenindikationen, die das Alter, bestimmte Erkrankungen und auch den Genuß von Nikotin und Alkohol betreffen. Die Frage der Nebenwirkungen ist noch weitgehend ungeklärt, und die Wechselwirkung, da dieses Präparat immer im Zusammenhang mit Prostaglandinen angewandt wird, ist völlig unklar.
Das ganze Verfahren ist unnötigerweise schmerzhaft. Oft müssen schmerzstillende Mittel angewendet werden.
Ein letztes Argument, was ich insbesondere in Deutschland für ein sehr gravierendes halte: Die Pille ist nur bis zur sechsten Schwangerschaftswoche anwendbar. Das wird dazu führen, daß RU 486, wenn es denn hier verfügbar wäre, ohne praktische Bedeutung sein wird. Denn auf Grund der restriktiven Abtreibungsregelung, die wir zumindest in Westdeutschland noch haben, und auf Grund des repressiver. Klimas, welches hier von der Staatsgewalt ausgeht, ist der Anteil von Frauen, die bereits nach sechswöchiger Schwangerschaftsdauer den bürokratischen Hürdenlauf überwunden haben und Zeit haben, selbst eine Entscheidung zu treffen, relativ gering.
Um es also noch einmal ganz klar zu sagen: Der Vergleich zwischen der Absaugmethode, ambulant und mit örtlicher Betäubung durchgeführt, und der chemischen Abtreibungsmethode mittels RU 486 und Prostaglandinen, fällt zum gegenwärtigen Zeitpunkt in allen Punkten positiv für die mechanische Methode aus. Wenn es gute Bedingungen für Abtreibung gibt, wenn also Kenntnisse über Verhütungsmethoden vorhanden sind, wenn ein Abbruch legal ist, wenn Kostenfreiheit gegeben ist, wenn ein unterstützendes moralisches Klima gegeben ist, wenn der Eingriff mittels Absaugung und bei lokaler Anästhesie ambulant durchgeführt wird, wie das in den Niederlanden der Fall ist, entscheidet sich kaum eine Frau für diese Methode.
Statt nun also genau dies in der Öffentlichkeit klarzumachen, statt alle Anstrengungen darauf zu richten, daß überall in der Bundesrepublik Deutschland die schonende und extrem risikoarme Absaugmethode für Frauen tatsächlich zur Verfügung steht - immerhin beträgt die Komplikationsrate weniger als 0,3 %, sie ist damit geringer als bei einem normalen Geburtsvorgang -, wird, wie ich meine, in schon verantwortungsloser Manier das Präparat als die schonendste Art dargestellt, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Das kann ich so hier nicht stehenlassen.
Meine Damen und Herren, es darf nicht geschehen, daß Frauen wieder so belogen werden, wie man es seit Einführung hormoneller Antikonzeptiva ununterbrochen getan hat. Bis heute werden Frauen weitestgehend im unklaren gelassen über die erheblichen Risiken, mit denen die über längere Zeit erfolgende Einnahme solcher Stoffe verbunden ist.
Noch ein Wort zum Schluß. Der schonendste Schwangerschaftsabbruch ist immer noch der, der mit bewährten risikoarmen Methoden in einem angstfreien Klima durchgeführt wird. Wesentliche Voraussetzungen für ein solches angstfreies Klima sind, so meine ich, hier in Deutschland bereits gegeben. 70 bis 80 % der Bevölkerung lehnen den § 218 ab und akzeptieren das Entscheidungsrecht von Frauen. Und es gibt seit längerem eine extrem risikoarme Methode: den ambulanten Schwangerschaftsabbruch in spezialisierten Arztpraxen mittels Absaugung bei örtlicher Betäubung.
Das entscheidende Problem in der Bundesrepublik Deutschland besteht darin, daß es noch immer - zumindest im Westteil Deutschlands - eine restriktive gesetzliche Regelung gibt und daß vor allem noch immer nicht überall in der Bundesrepublik den Frauen die eben genannte schonende und risikoarme Methode de facto zur Verfügung steht. Noch gibt es eben das flächendeckende Netz von ambulanten Abbruchpraxen nicht.
Es muß darum gehen, für den künftigen Umgang mit ungewollten Schwangerschaften gesetzliche Regelungen zu treffen, die, zum ersten, die klare gesellschaftliche Akzeptanz für einen Schwangerschaftsabbruch nach Entscheidung der Frau zum Ausdruck bringen, die, zweitens, den Schwangerschaftsabbruch entmystifizieren und enttabuisieren und die, drittens und letztens, so formuliert sind, daß sie auf Länderebene nicht ausgehebelt werden können, wie das bei der gegenwärtigen Rechtslage in Westdeutschland in Baden-Württemberg und Bayern in extremer Weise der Fall ist.
Danke.
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Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Schmidt-Zadel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Zulassung von RU 486 wird, ebenso wie der Streit um die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, sehr emotional, ja, ich möchte sagen: fast erbittert geführt. Dabei sind es vor allem die Befürworter eines restriktiven Abbruchrechts, die sich vehement gegen eine Zulassung des Präparats aussprechen.
Ihre Argumente sind bekannt; ich will sie aber wiederholen: „Perfektionierung des Tötens", „Todespille gegen ungeborenes Leben" - so etwa sind die Schlagworte, die gegen RU 486 ins Feld geführt werden. Dahinter, meine Damen und Herren, verbirgt sich doch die Absicht, daß das Recht auf Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich abzulehnen sei und dem Vorgang des Schwangerschaftsabbruches selbst, so es nach geltendem Recht überhaupt dazu kommt, keinesfalls der Geruch des Unproblematischen und Leichten anhaften dürfe. Es ist offensichtlich die erklärte Meinung der Zulassungsgegner, daß eine mögliche Unkompliziertheit der Abbruchmethode Ausdruck einer gewissen Beliebigkeit im Umgang mit den ethischen Fragen sei, die sich im Zusammenhang mit der Regelung des Abbruchrechts stellen. Wer, so wird behauptet, die Abbruchmethode vereinfache, wolle die Voraussetzung für den Abbruch vereinfachen.
Die Gegner der Zulassung des Präparats bringen die Diskussion über RU 486 in Verbindung mit der Diskussion über die Neuregelung des Abbruchrechts. Sie verquicken die notwendige medizinische Erörterung der Methode mit der juristischen Erörterung ihrer rechtlichen Voraussetzungen. Diese Verquikkung, meine Damen und Herren, wird auch durch gebetsmühlenartige Wiederholung von gewissen Seiten der CDU, aber auch der Lebensschützer nicht richtiger und auch nicht einsichtiger.
Es ist gerade die Art des Taktierens, die uns hier und heute dazu zwingt, über die Zulassung eines Präparats zu debattieren - auf Antrag der SPD, meine Damen und Herren, und gegen erhebliche Widerstände, das muß hier einmal gesagt werden -, dessen medizinische Bewertung sowohl in der Fachwelt, das haben wir hier gehört, als auch bei politisch Verantwortlichen einer ganzen Reihe von Nachbarländern längst positiv erfolgt ist.
Es sind dabei nicht die ethischen Fragen, mit denen wir uns in dieser Debatte so schwertun, diese sind bei den derzeit praktizierten Abbruchmethoden die gleichen. Nein, es ist der politisch-taktische und ideologische Ballast, der die medizinische Betrachtung von Vor- und Nachteilen einer medikamentösen Schwangerschaftsunterbrechung belastet
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und den Blick dafür verstellt, worum es im wesentlichen geht. Das ist es nämlich.
Es geht um die Frage, welche Methoden bei einem mit geltendem Recht zulässigen Abbruch angewendet werden können, um die Frage, ob Frauen auf die Anwendung einer weniger risikoreichen Methode verzichten sollen, obwohl sie verfügbar ist, um die
Frage, ob uns der Streit um die Neuregelung des Abbruchrechts von der Pflicht entbinden kann, die Gesundheit der Frauen - und das wird dabei gemacht - unnötig aufs Spiel zu setzen, die nach geltendem Recht einen Abbruch vornehmen und die selbst nach Verwirklichung der restriktiven vorliegenden Entwürfe, wozu es hoffentlich nicht kommen wird, auch in Zukunft abbrechen werden.
Eine Antwort auf diese Fragen ist nur nach medizinischen Gesichtspunkten möglich. Ich frage Sie daher, meine Damen und Herren: Wollen Sie Frauen weiterhin zumuten, auch bei einer medizinischen Indikation unnötige Schmerzen erleiden zu müssen? Kein vorliegender Gesetzentwurf zum § 218 geht übrigens davon aus, daß Schwangerschaftsabbrüche gänzlich unterbunden werden können.
Bei den bisherigen legalen Abbrüchen in der Bundesrepublik soll nun durch die Zulassung von RU 486 eine weitere Abbruchmethode alternativ eingesetzt werden, die vielen Frauen - darauf haben meine Vorrednerinnen hingewiesen - das Operations- i and Narkoserisiko eines chirurgischen Eingriffs ersparen könnte. Diese Methode ist eine unter vielen anderen. Sie ist zwar nicht für jede Frau geeignet, aber sie bietet einen gesundheitsschonenderen Eingriff.
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- Das ist so! Dann hören Sie, was die Fachwelt dazu sagt. Vielleicht informieren Sie sich da wirklich einmal richtig. Ich habe mich informiert, Frau Limbach, da brauchen Sie sich nicht aufzuregen.
Das Arzneimittelrecht sieht vor, daß die Herstellerfirma beim Bundesgesundheitsamt einen Zulassungsantrag stellen muß.
Frau Schmidt-Zadel, sind Sie bereit, eine Frage zu beantworten? Ich nehme Ihnen die Zeit nicht, Sie kriegen sie zusätzlich. Oder sind Sie an sich eilig? Das müssen Sie entscheiden.
Ja, ich bin an sich eilig, Herr Präsident, das tut mir leid.
Zu diesem Antrag müssen umfassende Ergebnisse klinischer, pharmakologischer, toxikologischer und analytischer Prüfungen vorgelegt werden. Solche Studien wurden in der ehemaligen DDR begonnen, sind aber durch den Einigungsprozeß abgebrochen worden.
({0})
Sie wurden unter anderem z. B. an der UniversitätsFrauenklinik in Greifswald, von der Weltgesundheitsorganisation und der Tochterfirma von Hoechst, Roussel Uclaf, durchgeführt.
({1})
Da das Präparat RU 486 bereits in Österreich, Großbritannien und Frankreich als Methode für einen frühzeitigen Schwangerschaftsabbruch zugelassen ist, kann man hier schon auf Erfahrungen zurückgreifen, die die positive Bewertung dieses Mittels verstärken. Die gesammelten Erfahrungen belegen, daß es
zu keiner Erhöhung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen gekommen ist. Bei einer rein medizinischen Abwägung der Vor- und Nachteile dieses medikamentösen Verfahrens gegenüber den bislang üblichen Verfahren bietet diese Alternative - ich habe bereits darauf hingewiesen - einen größeren Gesundheitsschutz, da sie das Risiko der Narkose und des chirurgischen Eingriffs ausschließt.
Klinische Erfahrungen in Frankreich und Großbritannien haben gezeigt, daß bei strenger Einhaltung der Anwendungsvorschriften keine gravierenden Risiken aufgetreten sind.
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Bei einer möglichen Anwendung und dem Vertrieb von RU 486 in der Bundesrepublik sind natürlich ebenso strenge Maßstäbe und Vorschriften anzuwenden. Es darf nicht sein, daß jeder Arzt oder jede Apotheke dieses Präparat anwendet oder vertreibt. Nur durch kontrollierte Anwendung können gravierende Risiken vermieden werden. Durch die Einnahme wird die Gebärmutterschleimhaut abgebaut und die Eizelle abgestoßen.
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- Das ist kein Witz, das ist so.
Der Anwendungserfolg in Frankreich wird mit 96 Prozent angegeben; nur bei 4 Prozent mußte eine zusätzliche Absaugung erfolgen.
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- Meine Verantwortung nehme ich schon wahr. Darum brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Herr Kollege.
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Es hat sich gezeigt, daß Frauen, die mit RU 486 abgebrochen haben, auch erneut schwanger werden konnten und gesunde Kinder gebären können.
Die klinischen Ergebnisse haben gezeigt, daß das Präparat nicht nur als alternative Abbruchsmethode positive Verwendung fand, sondern ebenfalls bei Schleimhautwucherungen und der Brustkrebstherapie.
Resümiert man also die Erkenntnisse, die sich aus der medizinischen Bewertung von RU 486 ergeben, bleibt festzustellen: Das Präparat ist in einer bestimmten Phase der Schwangerschaft für eine bestimmte Gruppe von Frauen die schonendste und risikoloseste Methode des Schwangerschaftsabbruchs.
({6})
- Ich habe sowohl Ihnen als auch Frau Schenk zugehört, und ich bitte Sie jetzt, auch mir zuzuhören.
Es hat im Vergleich mit den bisher praktizierten Methoden weniger Nebenwirkungen. Die Gefahr von
Narkosekomplikationen ist ausgeschlossen. Da zudem die Frage, welche Methode beim Schwangerschaftsabbruch vom Arzt letztlich angewendet wird, die Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs überhaupt nicht tangiert, kann einem Zulassungsantrag für RU 486 nicht ernsthaft widersprochen werden.
Im Hinblick auf die europäische Harmonisierung des Arzneimittelrechts läßt sich kaum nachvollziehen, wieso es einen solch großen Widerstand bei einem Präparat gibt, welches bereits in Frankreich, Großbritannien und Österreich auf dem Markt ist.
Der den Eingriff durchführende Arzt darf nicht zum verlängerten Arm derjenigen gemacht werden, die wegen ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs einen möglichst unangenehmen, mit Risiken behafteten Eingriff wollen. Es ist nicht die Aufgabe des Arztes, im Interesse der Abtreibungsgegner für die Erhöhung von Hemmschwellen und Risikobarrieren zu sorgen. Der Arzt hat in der betroffenen Frau die Patientin zu sehen. Ihre Gesundheit und ihr Schutz sind nach der Entscheidung zum Abbruch das Maß aller Dinge.
Die Politik hat dafür zu sorgen, daß den Ärzten die zum Schutz ihrer Patientinnen besten Methoden zur Verfügung gestellt werden.
Frau Abgeordnete Schmidt-Zadel, Sie haben vorhin zum Ausdruck gebracht, Sie seien sehr eilig. Sie tun sich selber einen Gefallen, wenn Sie zum Schluß kommen.
Wenn dazu RU 486 gehört - sehr vieles spricht dafür -, dann ist es unsere Pflicht, für die Zulassung des Präparats zu sorgen.
Vielen Dank.
({0})
Nun erteile ich der Parlamentarishen Staatssekretärin Frau Dr. Bergmann-Pohl das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD, über den wir heute debattieren, ist überflüssig, unseriös, entlarvend und irreführend zugleich.
({0})
- Ich werde das jetzt gleich erklären. Er ist überflüssig, weil der Hersteller selbst mehrfach ausdrücklich betont hat, daß die Voraussetzungen für eine mögliche Anwendung von RU 486 in Deutschland fehlen. Gemeint ist damit neben einer eindeutigen rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in ganz Deutschland
({1})
auch die Garantie angemessener arzneirechtlicher
und ärztlicher Infrastrukturen und Schutzbestim7356
mungen, um - wie in Frankreich - einen möglichen Mißbrauch zu verhindern.
({2})
Es wäre sehr schön gewesen, wenn Frau SchmidtZadel auf die wirklich fundierten Argumente von Frau Schenk eingegangen wäre, dann würden wir uns hier gegenseitig nicht so beschuldigen.
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- Die waren fundiert. Es ist immer sehr schön, hier Redner zu erleben, die wissen, wovon sie reden.
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Diese Bedingungen, ich betone: des Herstellers sind in Deutschland zur Zeit nicht erfüllt.
({5})
- Ja, weil die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung nicht erfüllt sind.
Der Antrag ist auch unseriös, weil er versucht, die Verantwortung für die Entscheidung über einen Zulassungsantrag für ein Präparat auf den Bundestag abzuwälzen.
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Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Würfel zu beantworten?
Nein, ich bin ja auf ihre Bemerkungen eingegangen.
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Meine Damen und Herren, es ist das gute Recht der Frau Staatssekretärin, dies abzulehnen. Frau Staatssekretärin, fahren Sie fort!
Es ist dies ein bisher einmaliger Vorgang, da mir kein Fall bekannt ist, wo eine Behörde oder gar ein Parlament je eine solche Aufforderung ausgesprochen hätte.
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Frau Wolf, es stimmt z. B. auch nicht, daß die Gesundheitsministerin Hasselfeldt die Firma aufgefordert hätte, einen Antrag auf Zulassung zu stellen. Das hat sie nie in dieser Form gesagt.
({1})
Es ist und bleibt allein die Verantwortung der Herstellerfirma, ob sie ihr Produkt dem Bundesgesundheitsamt zur Prüfung vorlegt oder nicht.
Der Antrag ist auch entlarvend, weil er deutlich macht, wo die tatsächlichen Interessen der SPD bei dem Ringen um verantwortliche Lösungen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 218 zu liegen scheinen.
({2})
Hier kann ich nicht in erster Linie den Schutz des ungeborenen Lebens erkennen.
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Dagegen ist es das Ziel der Bundesregierung, den Schutz des ungeborenen Lebens gegenüber den bisherigen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu verbessern. Die derzeitige Methodendiskussion um die sogenannte Abtreibungspille, die die Opposition mit ihrem Antrag anheizt, dient diesem Ziel mit Sicherheit nicht. Statt um die „beste Form der Abtreibung" sollten wir heute lieber die Frage diskutieren, auf welche Weise wir die Prävention verbessern
({4})
und damit die viel zu hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen reduzieren können.
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Schließlich und endlich ist der Antrag auch irreführend, da er den Schluß zuläßt, eine Abtreibung ohne chirurgische Instrumente sei ein Abbruch der „einfacheren Art" , d. h. für die Frau schonender und weniger risikoreich. Das haben wir auch vorhin gehört.
Gerade als Ärztin bin ich entschieden gegen die undifferenzierte Darstellung vermeintlicher „Vorzüge" von nichtoperativen Schwangerschaftsabbrüchen. Dieser oberflächliche Umgang ist dem Problem nicht angemessen.
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Er erweckt falsche Vorstellungen über die tatsächlichen medizinischen Abläufe bei diesem Verfahren. Es ist medizinisch schlicht unrichtig, wenn in der Begründung des Beschlußantrages der SPD der Eindruck erweckt wird, daß es der Einführung von RU 486 bedarf, damit ein Schwangerschaftsabbruch in einem möglichst frühen Stadium durchgeführt werden kann. Dies ist auch mit den bisherigen Verfahren möglich.
Die Redlichkeit gebietet zudem folgende Hinweise: Auch beim nichtoperativen Schwangerschaftsabbruch hat es schwere Nebenwirkungen, sogar mit Todesfolge, gegeben. Wir haben das bereits gehört. Die Herz-Kreislauf-Belastungen sind wissenschaftlich nachgewiesen. - Es besteht ein erheblicher zeitlicher Entscheidungsdruck für die Schwangere im Konfliktfall. Auch das haben wir gehört. - Es sind mehrmalige ärztliche Kontrollen erforderlich. - Und: Der Schwangerschaftsabbruch zieht sich unter teilweise starken Schmerzen über mehrere Tage hin.
Die seelischen Auswirkungen von Schwangerschaftsabbrüchen lassen sich ohnehin nicht an den Statistiken über Krankheits- und Todesfolgen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen ablesen. So gehört zur Risikobewertung des nichtoperativen Schwangerschaftsabbruches auch die Frage nach der seelischen Bewältigung eines sich über Tage hinziehenden Abtreibungsvorganges.
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Gerade zu diesem Aspekt hat der Vertreter des Berufsverbandes der Frauenärzte in der Anhörung vor dem Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" seine Sorge geäußert. Bevor daher unkritisch neue Methoden eingefordert werden, bedarf es der sorgfältigen Analyse dieser Bedenken.
Als persönliches Fazit bleibt festzuhalten: Die Form der Abtreibung ändert nichts an der psychischen Belastung der Frau. Wir alle sind gefordert, eine wirkliche Hilfe im Konfliktfall zu bieten. Neben einer Beratung muß es auch soziale Hilfen geben. Wenn alle Fraktionen eine Verbesserung des Schutzes des ungeborenen Lebens wollen, sollten wir statt eines überflüssigen Methodenstreits politische Glaubwürdigkeit beweisen und trotz der angespannten Haushaltslage Prioritäten setzen und jungen Familien bzw. Alleinerziehenden das Ja zum Kind erleichtern.
Vielen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt über die Geschäftslage informieren. Ich habe drei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen vorliegen, nämlich diejenigen der Abgeordneten Uta Würfel, des Abgeordneten Dr. Sopart und der Abgeordneten Frau Hämmerle. Da es in der alleinigen Entscheidungsgewalt des Präsidenten liegt, mache ich das Haus vorher darauf aufmerksam, daß ich nicht die Absicht habe, weitere Kurzinterventionen zuzulassen - ich kann natürlich nicht das Rederecht der Regierung beschränken -, weil ich gerne zum Schluß kommen möchte; denn viele wollen, auch unter Berücksichtigung der Streiklage, nach Hause kommen.
Ich mache noch darauf aufmerksam, daß auf Kurzinterventionen nicht durch Kurzinterventionen geantwortet werden kann. Das nur zur Information über die Geschäftsordnung.
Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, möchte ich der Abgeordneten Frau Uta Würfel das Wort erteilen.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, es handelt sich dabei eben nicht um einen überflüssigen Methodenstreit, sondern es handelt sich darum, den Frauen, die legal einen Schwangerschaftsabbruch bekommen, die Methode zur Verfügung zu stellen, die am risikoärmsten ist. Nach Auffassung der Experten ist die Anwendung dieses Präparats, dieser medizinische Abbruch, am risikoärmsten.
Ich weiß auch nicht, wie Sie dazu kommen - und dies dazu noch als Medizinerin - zu sagen, daß man in dem Zeitraum bis zur siebten Woche sehr wohl einen operativen Eingriff durchführen sollte oder könnte. Nach meiner Auffassung und nach meinen Kenntnissen nehmen die Ärzte den operativen Eingriff erst nach der siebten Woche vor, so daß sich die Methoden sehr wohl sehr deutlich unterscheiden.
Wie ich vorhin bereits gesagt habe, liegt das Risiko bei der RU darin, daß die Frauen sehr eigenverantwortlich handeln müssen. Deshalb wird diese Methode von gewissen Kreisen für die Frauen abgelehnt.
Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn Sie hier der Meinung von Hoechst folgen und sagen, der Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik sei nicht eindeutig geregelt. Es gibt keinen Regelungsbedarf beim Schwangerschaftsabbruch, sondern die
Fraktionen machen sich zur Zeit daran, zwei verschiedene Rechtstatbestände zusammenzuführen, nämlich die Fristenregelung im Osten und die Indikationsregelung im Westen Deutschlands. Wenn es gelingt, bis zum Ende des Jahres diese Regelungen zusammengeführt zu haben, haben wir ab Januar 1993 wieder eine eindeutige Regelung, nach der ein legaler Schwangerschaftsabbruch in Deutschland möglich sein wird.
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Zu einer Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Dr. Sopart das Wort.
Herr Vorsitzender! Die Redebeiträge verschiedener Kolleginnen hier im Hause, vor allem aber der Redebeitrag von Frau Schmidt-Zadel, die ich ansonsten sehr schätze, haben mich als Arzt sehr betroffen gemacht. Ich halte es für ausgesprochen bedenklich - ich sage das nachdrücklich -, wenn sich in diesem Hohen Hause medizinische Laien dezidiert zu schwierigsten medizinischen Problemen zu äußern versuchen.
({0})
Was dabei herauskommt, ist, denke ich, dem Ansehen dieses Hauses nicht zuträglich.
({1})
Wenn Sie nicht wollen, daß Experten über uns zu lächeln anfangen, dann äußern Sie sich bitte nicht so dezidiert zu so schwierigen fachlichen Fragen!
Danke.
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Nunmehr hat zu einer kurzen Intervention die Abgeordnete Frau Hämmerle das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, daß es auch in meiner Fraktion - ich wäre Ihnen dankbar, Frau Kollegin Bergmann-Pohl, Sie würden zuhören - durchaus unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema geben kann, und Sie wissen, daß ich mich zu diesem Thema selten äußere. Ich möchte deswegen überhaupt nichts zu diesem Methodenstreit sagen, aber was Sie hier geboten haben, Frau Kollegin Bergmann-Pohl, war im Stil ein derartiger Mißgriff, daß ich mich veranlaßt fühle, dies hier zu sagen.
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Ich weise mit Nachdruck zurück, daß Sie den Antrag einer Fraktion, nur weil er inhaltlich etwas anderes begehrt als das, was Sie zu vertreten bereit sind und vor Ihrem Gewissen verantworten können - das will ich überhaupt nicht bestreiten -, in Ihrem Eingangssatz mit „überflüssig", wenn ich mich richtig erinnere, „unqualifiziert", „nicht fundiert" und „verantwortungslos" abqualifizieren.
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Auch dies dient durchaus nicht dem Ansehen dieses Hauses. Ich bin nicht empfindlich in der Auseinandersetzung- das wissen Sie - aber dies war doch etwas, was ich in dieser Kurzintervention einfach zurückweisen möchte, zumal weder die Frau Kollegin Dr. Dobberthien noch die Frau Kollegin Schmidt-Zadel hier gefordert haben, jede Frau möge ab sofort dieses Präparat schlucken, sondern Sie wissen ganz genau, daß gefordert wurde, dieses Präparat in die Untersuchung durch das Bundesgesundheitsamt zu geben, das dann über die Freigabe oder die Nichtfreigabe entscheidet.
({2})
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Großzügigkeit im Zusammenhang mit diesen drei Kurzinterventionen und möchte die Veranstaltung nun auch nicht unnötig verlängern.
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Das wiederum liegt im Interesse des Hauses.
Meine Damen und Herren, neben dem Streit in der Sache haben wir auch noch den Streit, welcher Ausschuß federführend ist. Darüber wird nunmehr abgestimmt. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. wünschen, daß der Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Frauen und Jugend, den Ausschuß für Familie und Senioren sowie den Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" überwiesen wird. Die Fraktion der SPD hat hingegen beantragt, daß der Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Frauen und Jugend überwiesen wird.
Ich möchte nunmehr zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD abstimmen lassen. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
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- Das war dann aber, als ich schon mit der Abstimmung begonnen hatte, eher ist die Anmeldung bei mir nicht - ({1})
Also, Frau Abgeordnete, wenn das Haus keine ernsthaften Einwendungen dagegen hat - Sie haben sich zur Geschäftsordnung gemeldet -, würde ich dies ausnahmsweise auch während der Abstimmung zulassen. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
({2}) - Ich verstehe kein Wort.
({3})
- Das ist bei mir nicht früh genug angekommen.
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Frau Dr. Niehuis, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Ich habe mich zu der Frage der Überweisung an die Ausschüsse gemeldet, weil ich meine, daß es hier um eine Entscheidung geht, die auch eine inhaltliche Tragweite hat. Nach der Diskussion der letzten Stunde bin ich noch mehr davon überzeugt, daß es auch eine wichtige inhaltliche Tragweite hat, wie wir die Überweisung zur Federführung hier tätigen; denn wir müssen bei dieser sensiblen Frage aufpassen, daß wir als Deutscher Bundestag durch die Überweisung an die Ausschüsse nicht ein falsches Signal setzen.
Worum geht es? Wenn der Antrag, der uns vorliegt, fordern würde, daß das Arzneimittelgesetz überprüft und geändert werden müßte, damit das Präparat RU 486 überhaupt mit einem Zulassungantrag in dieser Republik versehen werden könnte, dann wäre es vollkommen unstrittig, daß der Gesundheitsausschuß zuständig wäre. Aber darum geht es überhaupt gar nicht.
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- Das Arzneimittelgesetz muß nicht geändert werden. Sonst wäre der Gesundheitsausschuß in der Tat zuständig.
Von der Rechtslage her bedarf es keiner Änderung des Arzneimittelgesetzes, um eine sorgfältige Prüfung dieses Präparats durch das Bundesgesundheitsamt zu erreichen. Dieser Weg ist geregelt, vielfach erprobt und nur eine Angelegenheit des Bundesgesundheitsamtes. Hier bedarf es wirklich keiner politischen Entscheidung.
Weder die Sache noch der Antrag geben Hinweise, daß es hier um eine primäre Entscheidung des Gesundheitsausschusses ginge. Ganz im Gegenteil - daran möchte ich Sie jetzt nach der Diskussion, die wir gehabt haben, erinnern -: Durch eine Betonung des Gesundheitsausschusses als eines federführenden Ausschusses würden wir in der Öffentlichkeit den fatalen Eindruck erwecken, als ob die Zulassung oder Nichtzulassung eines Präparates in der Bundesrepublik Deutschland von politischen Entscheidungen und nicht von wissenschaftlich-rechtlichen Prüfungskriterien abhängig wäre.
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- Nun lassen Sie doch einmal! Ich rede doch über die Zulassung eines Antrags. Sie ist nicht von der Politik, sondern vom Bundesgesundheitsamt abhängig. Das ist die Frage.
Ich denke, gerade die Diskussion, die wir gehabt haben - ich kann das, was Ihr Kollege Dr. Sopart hier gesagt hat, vollkommen unterstützen -, hat gezeigt: Es wäre fatal, wenn wir den Eindruck erwecken
würden, wir würden uns dies mit unserem politisch-medizinischen Verstand aufhucken. Nein, es geht um etwas ganz anderes. Es geht in dieser Frage um etwas ganz anderes.
Hier geht es um ein Präparat, das in anderen europäischen Ländern schon längst auf dem Markt ist und medizinisch erprobt ist.
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Hier geht es um ein Unternehmen, das sich weigert, den Zulassungsantrag zu stellen. Hier geht es um die Frage, daß ein Präparat, das ausschließlich von Frauen über die Medizin angewendet werden kann, den Frauen als eine Möglichkeit von vornherein nicht zur Verfügung gestellt wird. Hier geht es nicht um die Frage, wie die medizinische Wirkung ist. Es geht vielmehr um die Frage, wie die psychische und soziale Situation für die Frauen ist und ob sie mit dem Präparat umgehen wollen oder nicht.
({3}) - Nun seien Sie doch einmal ruhig!
Frau Abgeordnete, ich unterbreche Sie, und zwar aus zwei Gründen.
Ja, bitte.
A) möchte ich gerne die notwendige Ruhe im Plenum herstellen.
Das ist sehr erfreulich.
B) möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie zur Geschäftsordnung sprechen wollten und nicht zur Sache.
Das kommt jetzt; genau das kommt.
Übertreiben Sie es nicht!
Ich wollte den Kollegen und Kolleginnen eindringlich klarmachen, daß es hier wirklich um eine klassische Frauenfrage geht
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und nicht um eine klassische Medizinfrage. Ich meine, daß sich die Bundesregierung einmal etwas dabei gedacht hat, als sie sagte: Für klassische Frauenfragen brauchen wir in diesem Parlament einen eigenen Ausschuß. Ich bitte Sie, zu überlegen, was für ein politisches Signal wir, wenn Sie die Kompetenz bei einer so klassischen Frauenfrage nicht an den Ausschuß für Frauen und Jugend geben, von diesem Deutschen Bundestag aus in die Öffentlichkeit senden.
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Wir senden nämlich das politische Signal: Dieser Frauenausschuß wurde im Deutschen Bundestag nur als Aushängeschild ohne Konsequenzen, als Täuschungsmanöver gebildet. Wir wollen dieses Signal nicht senden. Darum bitte ich Sie ganz dringend: Überweisen Sie den Antrag federführend an den Ausschuß für Frauen und Jugend.
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Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Hoffakker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Redebeitrag der Kollegin hat die Richtigkeit dessen bestätigt, was die Geschäftsführer abgesprochen hatten, nämlich daß dieser Antrag federführend in den Ausschuß für Gesundheit gehört.
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Wir sollten zum Ernst der Sache zurückkehren und versuchen, dieses Thema von jeder Ideologie freizuhalten.
Was ist der Grundsatz? Der Grundsatz heißt, daß eine Firma nach Prüfung ein Medikament nach dem Arzneimittelgesetz einbringt und den Antrag beim Bundesgesundheitsamt stellt. Dazu hat sich die Firma bisher nicht bereitgefunden. Diese Gründe hat die Firma selbst zu vertreten.
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Ich halte es für unzulässig, durch politischen Druck auf eine Firma einzuwirken, die Zulassung für ein Medikament zu beantragen, das nicht ausgiebig getestet ist. Ich halte es nicht für zulässig, daß ein politischer Druck ausgeübt wird. Deshalb - ich möchte mich hier sehr kurz fassen - bin ich für die genannte Überweisung. Ich spreche für die Koalition.
Herr Hoffacker, ich muß Sie auf folgendes aufmerksam machen: Die Unzulässigkeit, die Sie sehen, kann natürlich vom einen wie vom anderen Ausschuß beschlossen werden. Das hat mit der Geschäftsordnung nicht mehr viel zu tun. Deswegen bitte ich auch Sie, sich auf die Geschäftsordnungsfrage zu konzentrieren.
Ich denke, Herr Präsident, daß ich genau das tue. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mich irre.
Ich beantrage, daß dieser Antrag der SPD dem Gesundheitsausschuß als federführendem Ausschuß zugewiesen wird und zur Mitberatung den Ausschüssen, die Sie gerade vorgetragen haben. Ich stelle diesen Antrag im Namen der Koalition, weil wir uns an Absprachen halten.
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Ich komme nun auf die schon begonnene Abstimmung zurück und lasse über den Antrag der Fraktion der SPD abstimmen, diesen Antrag an den Ausschuß für Frauen und Jugend als federführenden Ausschuß zu
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
überweisen. Wer diesem Überweisungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dieser Vorschlag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.
Ich lasse nun über den Überweisungsantrag der Koalition abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Oppositionsfraktion ist dieser Überweisungsantrag mit Mehrheit angenommen.
Es bleibt mir nur noch übrig, Ihnen eine angenehme Fahrt in den 1. Mai, möglichst wenig streikbeeinträchtigt, zu wünschen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Mai 1992, um 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.