Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes einberufen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Eidesleistung des Bundesministers der Verteidigung
Der Herr Bundespräsident hat mir folgendes mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Gerhard Stoltenberg, auf seinen Antrag aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und Herrn Volker Rühe zum Bundesminister der Verteidigung ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid.
Herr Bundesminister Rühe, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.
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Herr Bundesminister, ich darf Sie bitten, den Eid zu sprechen.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister, Sie haben den Eid gesprochen.
Ich möchte Ihnen für Ihre Aufgabe Erfolg, Glück und Gottes Segen wünschen. Herzlichen Glückwunsch!
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
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Zugleich möchte ich dem ausgeschiedenen Bundesminister Dr. Stoltenberg für seine jahrzehntelange verdienstvolle Tätigkeit in hohen Amtern der Bundesrepublik Deutschland im Namen des ganzen Hauses meinen Dank aussprechen.
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Gestatten Sie mir, daß ich, bevor wir in den Tagesordnungspunkt 2 eintreten, nachträglich auch von dieser Stelle aus Herrn Bundesminister Genscher zum 65. Geburtstag die Glückwünsche des Hauses ausspreche.
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Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu aktuellen Fragen der deutschen Außenpolitik
Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und drei Entschließungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf auch ich im Namen der Bundesregierung ein besonders herzliches Wort des Dankes an Gerhard Stoltenberg richten.
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Er ist am Dienstag dieser Woche als Bundesminister der Verteidigung zurückgetreten. Ich möchte ihm auch von dieser Stelle aus für seine sehr persönlich getroffene Entscheidung meinen besonderen Respekt bekunden.
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Gerhard Stoltenberg hat die politische Verantwortung dafür übernommen, daß im Verteidigungsministerium in einer wichtigen Sache nicht entsprechend dem erklärten Willen des Parlaments gehandelt wurde. Er hat dies in der ihm eigenen noblen Weise getan.
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Gerhard Stoltenberg hat in 25 Jahren Regierungsverantwortung die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland an entscheidenden Stellen mitgestaltet: als Bundesforschungsminister, als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, als Bundesfinanzminister und als Bundesverteidigungsminister.
Ich will seine Leistungen gerade in den vergangenen Jahren hervorheben: Er hat unter außergewöhnlichen Bedingungen hervorragende Arbeit im schwierigen Amt des Bundesverteidigungsministers geleistet.
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Was dies bedeutet, kann man erst richtig ermessen, wenn man sich nochmals den grundlegenden Wandel der letzten drei Jahre vor Augen hält. Als Gerhard Stoltenberg im April 1989 Verteidigungsminister wurde, war Deutschland noch geteilt. Der Ost-WestKonflikt und damit die militärische Bedrohung im Herzen Europas waren noch nicht überwunden. Gerhard Stoltenberg übergibt eine gesamtdeutsche Bundeswehr, die ihren Bündnisverpflichtungen in einem neuen Umfeld gerecht wird und die einen ganz wesentlichen Beitrag zur inneren Einheit Deutschlands leistet.
Die Auflösung der Nationalen Volksarmee, die Neustrukturierung der Bundeswehr, der Beginn ihrer Reduzierung auf 370 000 Soldaten sowie ein völlig neues Stationierungskonzept, alle diese schwierigen Aufgaben wurden unter seiner Leitung inzwischen bewältigt oder auf den Weg gebracht.
Ich danke ihm für seine unermüdliche Arbeit und für seine große Leistung als Bundesminister in schwierigen Zeiten. - Lieber Gerhard, ich möchte das so persönlich sagen: Ich danke Dir auch ganz persönlich für Freundschaft und Unterstützung in diesen Jahren.
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Wer Gerhard Stoltenberg kennt, der weiß, daß für ihn der Begriff Pflicht kein leeres Wort ist, sondern Maßstab seines Handelns. Ich rechne auch in Zukunft auf seine Erfahrung und seinen Rat.
Mit Volker Rühe übernimmt ein Kollege das Amt des Verteidigungsministers, der seit vielen Jahren als ausgezeichneter Kenner der Außen- und Sicherheitspolitik ausgewiesen ist. Ich wünsche ihm von Herzen für sein verantwortungsvolles neues Amt Glück und Erfolg.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gerade an dem Amt und den Aufgaben des Verteidigungsressorts werden die tiefgreifenden Veränderungen und die neuen Herausforderungen deutlich, denen sich heute die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik gegenübersieht. Frieden und Stabilität in ganz Europa, in seiner Mitte wie an seinen Grenzen, ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für eine weiterhin stabile Entwicklung auch bei uns in Deutschland. Bei allen Problemen, die uns im eigenen Land bedrängen, dürfen wir die Entwicklungen in der Welt nicht aus den Augen verlieren.
Dabei ist es richtig, daß uns die Sicherheitslage in unserer nächsten Nachbarschaft am unmittelbarsten berührt. Dies muß auch die Prioritäten unseres Handeins bestimmen.
Wir müssen klar sehen, daß heute wesentliche Gefährdungen der europäischen Stabilität von der Peripherie her kommen. Ich denke hierbei vor allem an den Mittelmeerraum, dessen Stabilität eben nicht nur für die unmittelbaren europäischen Anrainer von Bedeutung ist, sondern dessen Entwicklung ganz Europa angeht.
In diesem Raum ist die Türkei für Europa und für das Atlantische Bündnis ein wichtiger Partner. Die von mir geführte Bundesregierung hat sich stets zur Tradition der Freundschaft zwischen dem deutschen und dem türkischen Volk bekannt. Die bei uns lebenden und arbeitenden türkischen Mitbürger sind eine wichtige Brücke zwischen unseren Völkern.
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Die Bundesregierung und vor allem auch ich selbst, wir setzen uns seit vielen Jahren für eine engere Ausgestaltung der deutsch-türkischen Beziehungen ein. Wir treten insbesondere für den Ausbau des Verhältnisses zwischen der Türkei und der Europäischen Gemeinschaft auf der Grundlage der bestehenden Assoziierung ein. Dies muß auch für die Zukunft Leitlinie unserer Politik sein.
Partnerschaft und Freundschaft, meine Damen und Herren, dürfen aber keine Einbahnstraße sein. Mit dem Geist von Partnerschaft und Freundschaft sind unqualifizierte Angriffe wie die des türkischen Staatspräsidenten vom vergangenen Wochenende nicht vereinbar.
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Ich weise sie deshalb auch von dieser Stelle aus noch einmal in aller Form zurück.
Meine Damen und Herren, die Türkei war in der Vergangenheit auf Grund ihrer exponierten Lage an der Südostflanke der NATO ein Eckpfeiler auch unserer Sicherheit. Heute und für die Zukunft nimmt
ihre Bedeutung angesichts der Entwicklung im Süden der früheren Sowjetunion sowie in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens weiter zu. Eine demokratische und in sich gefestigte Türkei kann und muß eine stabilisierende und zukunftsweisende Rolle für das Verhältnis dieser Region zu Europa einnehmen.
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Vor diesem Hintergrund hat auch die Bundesregierung in erheblichem Umfang Rüstungshilfe für die Türkei wie auch zugunsten Portugals und Griechenlands geleistet. Diese Rüstungshilfe, meine Damen und Herren, erfolgte in der Kontinuität auch der früheren Bundesregierungen und vor allem auch im Interesse der Atlantischen Allianz.
Ich weise allerdings mit Nachdruck noch einmal darauf hin: Die entsprechenden Lieferverträge sehen ausdrücklich vor, daß dieses Material ausschließlich zur Verteidigung und - dies ist entscheidend - im Rahmen des Bündnisses verwendet werden darf. Wir bestehen darauf, daß diese Vereinbarungen strikt eingehalten werden. Wir werden nicht hinnehmen, daß von uns geliefertes Material im Rahmen innerer Konflikte eingesetzt wird.
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Die Bundesregierung wird daher mit der türkischen Regierung darüber zu sprechen haben, wie die strikte Einhaltung dieser Vereinbarungen sichergestellt werden kann. Wir halten es im Interesse eines guten und vertrauensvollen deutsch-türkischen Verhältnisses, aber auch wegen der Beziehungen innerhalb der Atlantischen Allianz für unerläßlich, daß wir hierbei zu einer befriedigenden Lösung kommen. Die Türkei selbst muß sich als Teil der westlichen Wertegemeinschaft - als Mitglied der NATO, des Europarats und der KSZE - an den europäischen Standards und Verpflichtungen messen lassen. Dies gilt vor allem für die Konventionen und Dokumente über Menschen- und Minderheitenrechte.
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Die Bundesregierung hat daher die von der neuen türkischen Regierung unter Ministerpräsident Demirel angekündigte Politik der Verständigung mit der Bevölkerung im Südosten des Landes ausdrücklich gewürdigt.
Ministerpräsident Demirel hat dieser Tage - ich zitiere ihn - erklärt, daß er den sich zunehmend vertiefenden Beziehungen zu Deutschland besonders große Bedeutung beimesse. Ich begrüße seine Äußerung, und auch wir wünschen, daß die traditionell guten deutsch-türkischen Beziehungen erhalten bleiben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir alle verfolgen mit großer Sorge die Eskalation der Gewalt im Südosten der Türkei. Wir alle sind über die unschuldigen Opfer unter der Zivilbevölkerung zutiefst erschüttert. Wir haben stets bekräftigt, daß Gewalt kein Mittel der Politik sein kann, weder nach außen noch im Innern. Die Bundesregierung verurteilt
und bekämpft jegliche Art von Terrorismus auf das Nachdrücklichste.
Auch der Türkei bestreitet niemand das Recht, sich gegen terroristische Handlungen auf rechtsstaatliche Art und Weise zur Wehr zu setzen. Die Bundesregierung weist mit Nachdruck Unterstellungen von türkischer Seite zurück, daß in Deutschland die PKK unterstützt werde. Wir werden und wollen auf keinen Fall zulassen, daß innertürkische Konflikte auf deutschem Boden ausgetragen werden.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, für die Entwicklung einer stabilen friedlichen Ordnung in Europa hat das deutsch-polnische Verhältnis eine Schlüsselfunktion. Der soeben abgeschlossene Besuch von Präsident Walesa hat dies erneut unterstrichen. Die Geschichte hat uns gezeigt, daß dauerhafter Friede auf unserem Kontinent nur gewährleistet ist, wenn Deutsche und Polen in guter Nachbarschaft, ja, in Vertrauen und Freundschaft zusammenleben.
Wir sind jetzt dabei, das deutsch-polnische Verhältnis zukunftsgewandt zu gestalten. Das deutsch-polnische Vertragswerk ist am 16. Januar 1992 in Kraft getreten. Die Vereinbarungen über die deutsche Minderheit sind beispielhaft in Europa. Es ist offenkundig, daß sich ihre Lage inzwischen wesentlich verbessert hat. Wir sind selbstverständlich nachhaltig um weitere Fortschritte bemüht.
Die deutsch-polnische Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit hat vor wenigen Tagen weitreichende Verbesserungen der Situation an der deutsch-polnischen Grenze, d. h. mehr Übergänge und schnellere Abwicklung beschlossen. Auch der deutsch-polnische Umweltrat hat seine Arbeit begonnen. Das deutsch-polnische Jugendwerk, auf das ich persönlich besondere Hoffnung setze, wird noch in diesem Jahr seine Tätigkeit aufnehmen.
Präsident Walesa hat in den Gesprächen mit mir bekräftigt, daß die Festigung der Demokratie und der konsequente Übergang zur Sozialen Marktwirtschaft für ihn vorrangige politische Ziele auf dem Weg Polens nach Europa sind. Ich habe unsere Bereitschaft erklärt, Polen auf diesem Weg tatkräftig zu unterstützen. Das Assoziierungsabkommen zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft und der Beitritt Polens zum Europarat sind erste wichtige Schritte.
Ich habe dem polnischen Präsidenten versichert, daß sich die Bundesrepublik Deutschland, wenn insbesondere die wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind - und dies will ich unterstreichen -, nachdrücklich für den Beitritt Polens zur künftigen Europäischen Union einsetzen wird.
Deutsche und Polen haben aus den leidvollen Kapiteln der Geschichte gelernt. Deshalb sollten wir heute unsere Kräfte zusammenführen, um gemeinsam eine friedliche Zukunft zu bauen; denn wir stehen ja auch gemeinsam in der Verantwortung für kommende Generationen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Europa - und unser eigenes Land, Deutschland, in
seiner Mitte - durchlebt eine Zeit des tiefen Umbruchs. Was Jahrzehnte unumstößlich schien, wie die Konfrontation zwischen Ost und West, wie die Teilung unseres Vaterlandes, wurde in einer kurzen Zeitspanne weggefegt. Alte Vorurteile, Klischees und Feindbilder landeten dort, wo sie hingehören: auf dem Abfallhaufen der Geschichte.
Der Wandel eröffnet nunmehr für alle Völker in Europa die großartige Chance, ihr Schicksal und ihre Zukunft in eigener Verantwortung zu gestalten. Wir Deutschen haben unsere historische Chance genutzt. Deutschland hat in Frieden und Freiheit und im Einvernehmen mit all seinen Nachbarn und Partnern seine Einheit wiedergefunden.
Ich verstehe natürlich die Sorgen vieler Menschen, daß der Wandel neue, ungewohnte Probleme und auch Unwägbarkeiten mit sich bringt. Wir wissen vor allem aus unserer deutschen Erfahrung, wie schwer die Völker in Mittel-, Ost- und Südosteuropa unter der verheerenden Hinterlassenschaft des kommunistischen Zwangssystems leiden. Gerade wir in Deutschland wissen, was es bedeutet, den Schutt einer über 40jährigen Fehlentwicklung beseitigen zu müssen.
Unsere Nachbarn, die Reformstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, und die Nachfolgerepubliken der Sowjetunion brauchen einen neuen Halt. Wir Deutsche wollen gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten dazu beitragen, daß sie diesen Halt erfahren. Ihre neugewonnene Freiheit soll Grundlage einer neuen, einer dauerhaften Stabilität auf unserem Kontinent werden. Dies, meine Damen und Herren, liegt in unserem ureigensten Interesse. Denn gerade für uns Deutsche gilt, daß wir eben nicht abgeschottet auf einer Insel leben, sondern im Herzen Europas und daß wir ganz unmittelbar und mehr als andere von dem berührt werden, was in unserer Nachbarschaft geschieht.
Politische Instabilität, wirtschaftliche Not, sozialer Unfrieden, ja, revolutionäre Entwicklungen bei unseren östlichen Nachbarn würden direkt auch auf die innere Situation Deutschlands zurückwirken. Indem wir den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas helfen, helfen wir uns selbst. Man kann diesen Satz nicht oft genug und nicht laut genug auch in der deutschen Öffentlichkeit sagen.
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Indem wir Brände löschen, verhüten wir, daß die Funken auf andere Teile Europas überspringen. Ich erinnere nur an die Konflikte im bisherigen Jugoslawien oder im Kaukasus. Indem wir Menschen in Not helfen, bieten wir ihnen Zukunftsperspektiven für sich und für ihre Kinder in der angestammten Heimat.
So verständlich es ist, daß Menschen, die in wirtschaftlicher Not sind, zu uns kommen wollen, so wahr ist auch, daß wir die Probleme vieler Länder der Welt nicht auf dem dichtbesiedelten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lösen können.
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Gerade deshalb unterstreiche ich auch unsere Pflicht
und unser ureigenstes Interesse, diesen Menschen in
ihrer eigenen Heimat zu helfen, damit sie dort ihre Zukunft finden.
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Angesichts der steigenden Zahl von Asylbewerbern in der jüngsten Zeit will ich hier noch einmal die Gelegenheit nutzen und an alle politisch Verantwortlichen, an alle demokratischen Parteien appellieren, daß wir möglichst rasch zu einer endgültigen, auch den europäischen Anforderungen genügenden Regelung in der Asylfrage kommen.
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Eine friedliche und stabile Entwicklung auf unserem ganzen Kontinent, das ist der Schlüssel für eine Zukunft in Frieden und Freiheit auch für Deutschland.
Meine Damen und Herren, bei unserer Politik der Stabilisierung verlassen wir uns auf bewährte Grundlagen. Die Werte der Freiheit und der Selbstbestimmung, für die die Völker Europas - und insbesondere auch unsere Landsleute in den neuen Bundesländern - im Jahre 1989 so mutig eingetreten sind, sind und bleiben unsere Richtschnur. Wir setzen auf die schöpferische Kraft der Menschen; denn sie sind der entscheidende Motor für jeden Fortschritt.
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- Ich weiß nicht, warum Sie bei diesem Satz Protest murmeln.
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Da ist es natürlich mit dem historischen Materialismus nicht mehr getan; das ist wohl wahr.
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Ich habe ja gar nichts dagegen, daß Sie diese Verehrung in Ihren Bücherschränken noch fortsetzen. Aber in der Wirklichkeit des europäischen Lebens spielt es keine Rolle mehr.
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Was jetzt gefragt ist, ist Solidarität. Es kann dabei nur darum gehen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Auch kann Deutschland diese Last nicht allein tragen. Wir haben - ich stelle das einfach fest; es besteht kein Grund, sich dessen zu berühmen - aus guten Gründen in der Vergangenheit, in den letzten Jahren schon mehr geleistet als viele andere, und jeder weiß: Wir sind an der Obergrenze unserer Möglichkeiten angelangt.
Ich begrüße aus diesem Grund ausdrücklich die jüngste Erklärung von Präsident Bush, und ich wünsche mir, daß alle unsere westlichen Partner und Freunde in diesem Sinne auch an der Vorbereitung der G-7-Konferenz in München im Sommer dieses Jahres mitwirken. Ich denke dabei nicht nur an die G 7, aber vor allem auch an diese. Alle die europäischen Partner in der G 7, die nordamerikanischen Partner und nicht zuletzt unsere japanischen Freunde - sollten nicht vergessen, daß jede InvestiBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
tion in die Nachfolgerepubliken der ehemaligen Sowjetunion, die zum Rechtsstaat, zur Demokratie, zu sozialer Sicherheit und wirtschaftlichem Aufschwung beiträgt, eine Investition in eine friedliche Zukunft unserer Welt bedeutet. Das ist unsere Politik!
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Wir in Deutschland können zu einer solchen stabilen Entwicklung auf unserem Kontinent um so besser einen Beitrag leisten, wenn wir dabei unsere eigenen Pflichten erfüllen und verläßliche Partner bleiben. Dabei ist nicht nur die Politik gefordert, sondern gefordert sind alle Verantwortlichen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in vielen anderen Bereichen. Solidität und Stabilität müssen auch innenpolitisch oberste Priorität haben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir wollen das vereinte Europa schaffen. Unser Land, in dem jeder dritte Arbeitnehmer für den Export arbeitet, verdankt einen ganz entscheidenden Teil seines Wohlstands der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft und einem freien Welthandel. Aber wir dürfen auch das will ich sagen - nicht zulassen, daß dieses sich jetzt einigende Europa ausschließlich auf seine wirtschaftliche Dimension verkürzt wird. Unser Ziel ist die politische Einigung Europas in diesem Jahrzehnt,
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denn damit ziehen wir zugleich die Lehren aus der leidvollen Geschichte dieses Jahrhunderts und dienen vor allem auch deutschen Interessen. Auf diesem Weg darf es kein Zurück mehr geben, denn nur gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in einem sich einigenden Europa werden auch die Deutschen Zukunft gewinnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß wir über den Antrag meiner Fraktion auf Entlassung des Bundesministers der Verteidigung nicht mehr debattieren und abstimmen müssen. Der vorgestern vollzogene Rücktritt von Gerhard Stoltenberg vom Amt des Bundesministers der Verteidigung macht diese Debatte überflüssig. Dieser Rücktritt war nötig und überfällig.
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Er erfolgte widerwillig und ohne erkennbare eigene Bereitschaft zur Übernahme politischer Verantwortung.
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Immerhin zeigt der Rücktritt, daß parlamentarischer und öffentlicher Druck auch gegenüber dieser Regierung Wirkung zeigen kann.
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Auch diese Regierung kann nicht jede Panne durch Aussitzen erledigen. Das immerhin stimmt hoffnungsfroh.
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Unsere parlamentarische Demokratie, meine Damen und Herren, lebt nicht nur von der formalen Einhaltung genau definierter Verfahrensregeln, sondern auch von ungeschriebenen Gesetzen, die ein wesentliches Element unserer politischen Kultur ausmachen. Stabilität und Legitimität gerade der repräsentativen Demokratie sind unmittelbar mit Vertrauens- und Glaubwürdigkeit von Parlament und Regierung verknüpft. Diese Einsicht gebietet es jeder aus Parlamentsmehrheiten hervorgegangenen Regierung, die legislative und kontrollierende Macht des Parlaments zu beachten.
Ein Minister, der in kurzer Zeit sowohl eine Hintergehung der Kontrollrechte des Bundestages als auch den offensichtlichen Verstoß seines Ministeriums gegen einen Parlamentsbeschluß politisch nicht verantworten will, schadet der parlamentarischen Demokratie nachhaltig.
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Er schadet ihr, weil er das Vertrauen der Menschen in diese parlamentarische Demokratie zerstört und die allgemeine Politikverdrossenheit fördert. Daß auch Politiker für Fehler geradestehen müssen, und zwar unabhängig von persönlichem Verschulden, das ist die Grundregel, die nicht ausgehebelt werden darf.
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Zur Bedeutung der politischen Verantwortung eines Ministers hat ein Mitglied dieses Hauses einmal folgendes ausgeführt:
Zu den obersten Gesetzen dieser Art
- damit meint er die ungeschriebenen Gesetze parlamentarisch-demokratischen Verfahrens zählt der Grundsatz, daß in der parlamentarischen Demokratie Männer ohne die herkömmlichen Laufbahnen unter Überspringung aller Zwischenstationen in das höchste Staatsamt, das Ministeramt, berufen werden, daß dafür aber von solchen Männern die schwere Last der Verantwortung für alle Vorgänge in ihren Ressorts übernommen wird, die Last der vollen Verantwortung auch ohne eigenes persönliches Verschulden . . .
... An die Stelle der unbedingten Achtung vor dieser verpflichtenden Regel tritt zusehends in der durch das konstruktive Mißtrauensvotum unangreifbaren Regierungsmaschinerie ein Standpunkt, welcher, in die Sprache der unteren Ränge der Ausführungsorgane übersetzt, heißt: Uns kann keener!
Diese Ausführungen, meine Damen und Herren, könnten als Kommentar der jüngsten Vorgänge im Verteidigungsministerium durchgehen. Sie stammen von dem F.D.P.-Abgeordneten Dr. Reinhold Maier aus der Bundestagsdebatte am 16. September 1954 zum Fall John.
({6})
Ihre Aktualität haben sie nicht eingebüßt.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat vor der Presse und auch eben hier in seiner Regierungserklärung die Rücktrittsentscheidung des Kollegen Stoltenberg eine honorige Entscheidung genannt.
({7})
Das könnte ich akzeptieren, Herr Bundeskanzler, wenn es nicht vorher den Versuch gegeben hätte, durch die Benennung eines Sündenbocks von eigener Verantwortung abzulenken.
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Das, Herr Kollege Stoltenberg, war nicht honorig - um es milde zu formulieren.
Im übrigen irritiert mich die Erklärung des Kollegen Stoltenberg, der Kanzler und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hätten auch eine andere Entscheidung, also das Verbleiben im Amt, unterstützt. Wenn das stimmt, dann zeigt das, daß Sie, Herr Bundeskanzler, die Gefahren Ihres Regierungshandelns für die Glaubwürdigkeit der Politik nicht begreifen oder aus kurzatmigen parteipolitischen Erwägungen beiseite schieben wollen.
({9})
Es ist ein mehr als beklemmender Eindruck, daß Sie Herrn Stoltenberg im Kabinett unverdrossen belassen hätten, wenn Ihrer Regierung und Partei nicht das Wasser bis zum Halse stünde.
({10})
Meine Damen und Herren, daß dies so ist, belegt die Erklärung des Kollegen Stoltenberg, er habe mit seiner Rücktrittsentscheidung Schaden nicht nur von dieser Regierung, sondern von der Union abwenden wollen.
({11})
Herr Kollege Stoltenberg, wenn das Ihre Vorstellung von politischer Verantwortung ist, dann liegen Sie schief.
({12})
Der Amtseid, den Sie geleistet haben, lautet jedenfalls anders. Es wäre daher richtig gewesen, klipp und klar die politische Verantwortung für offenkundige Fehler zu übernehmen. Das wäre aus meiner Sicht eine honorige Entscheidung gewesen.
({13})
Meine Damen und Herren, neuer Verteidigungsminister ist der Kollege Rühe.
({14})
- Ja, ich bin einverstanden.
Wir beide, Herr Kollege Rühe, kennen uns schon lange aus Hamburger Zeiten.
({15})
Wir saßen beide in der Hamburger Bürgerschaft, Sie damals in der Opposition, was mir besser gefallen hat.
({16})
Wir sind zudem, wie die meisten wissen, direkte Kontrahenten im Hamburger Wahlkreis 18. Dort haben wir wiederholt, wie ich finde, mit Anstand, die Klinge gekreuzt. Ich denke, wir werden es auch in Zukunft so halten.
Sie sind, Herr Kollege Rühe, nicht nur der neue Verteidigungsminister, sondern bedauerlicherweise auch noch eine Weile Generalsekretär der CDU, auch dies zweifellos ein Fulltime-Job. Wir halten diese Konstellation für fragwürdig. Sie wird Ihnen den Einstieg in das Amt erschweren.
({17})
Es ist, Herr Kollege Rühe, ohnehin kein leichtes Amt und Erbe, das Sie antreten. Im Interesse unseres Landes und seiner Streitkräfte wünschen wir Ihnen eine glücklichere Hand, als Ihr Vorgänger sie hatte.
Von Ihnen werden politische Führung und Perspektive erwartet, daneben auch mehr als nur ein Ohr für die menschlichen und sozialen Belange der Soldaten. Sie dürfen sich bei allen Ihren Entscheidungen der sachlich-kritischen Begleitung durch die SPD-Fraktion gewiß sein.
({18})
Vorrangig, Herr Kollege Rühe, muß es Ihnen darum gehen, die eklatanten, für jedermann sichtbaren Defizite auf der Hardthöhe abzuarbeiten. Ganz besonders gilt dies für den Bereich der politischen Führung. Dieses Ministerium ist zu groß. Eine Straffung der Organisation ist seit langem überfällig. Eine Abmagerungskur auf der Ebene der Staatssekretäre wäre sicher wirksam.
({19})
Es darf nicht der Eindruck entstehen, als nutzten der Beamtenapparat und die militärische Führung das politische Vakuum und verfolgten eigene Ziele.
({20})
Meine Damen und Herren, schon der Eindruck, es
könnte so sein, ist verheerend. Eine Überschrift, wie
„Die Hardthöhe, ein Saustall?" ist auch mit Fragezeichen unerträglich.
({21})
Die drei letzten Affären, in die das Verteidigungsministerium verwickelt war, U-Boot-Affäre, „Landmaschinen" -Affäre und Panzer-Affäre, hatten mit ungenehmigten Rüstungsexporten zu tun. Sie, Herr Kollege Rühe, sollten diesem Bereich deshalb Ihre besondere Aufmerksamkeit widmen, damit der militärisch-industrielle Komplex nicht die erklärte Politik unterlaufen kann. Sie sollten außerdem Ihren Einfluß im Bundessicherheitsrat gegen zu weitgehende Waffenexporte ausüben. Die Bundesrepublik Deutschland hat hier etwas gutzumachen.
({22})
Der Fall Türkei zeigt, wie problematisch solche Exporte selbst an Verbündete sein können und daß Auflagen kaum durchzusetzen sind.
({23})
Bei der Güterabwägung müssen Menschen- und Minderheitenrechte Vorrang vor Industrieinteressen haben.
({24})
Dies muß auch in der politischen Praxis unseres Landes erkennbar sein. NVA-Waffen und -Munition in großem Umfang ins Ausland zu verkaufen, ist eine Art der Entsorgung, die wir nicht gutheißen können.
({25})
Die NVA-Waffen gehören verschrottet und nicht verscherbelt zur Aufrüstung anderer Länder.
({26})
Meine Damen und Herren, bei allen Entscheidungen über die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr, ihrer Struktur und Ausrüstung erscheint es mir besonders wichtig, vorhandenes Konsenspotential auszuschöpfen und für die Streitkräfte im Umbruch breite gesellschaftliche Akzeptanz zu suchen. Mehr denn je wird sich ein Verteidigungsminister nach der Rechtfertigung seines 52,5 Milliarden DM-Etats fragen lassen müssen.
({27})
Angesichts der auch von der Regierungskoalition nicht bestrittenen Feststellung, daß die militärische Sicherheit Deutschlands heute weniger als früher gefährdet ist, und den gleichzeitig auf die Bevölkerung zukommenden weiteren Lasten für den Aufbau in den fünf neuen Ländern und die Hilfen für Osteuropa, über die der Kanzler gesprochen hat, ist der gegenwärtige Verteidigungsetat überdimensioniert
und das im Januar vorgelegte Rüstungsprogramm weit überzogen.
({28})
Der Verteidigungshaushalt ist auch für die SPD kein Steinbruch.
({29})
Aber bei der Mehrzahl der anstehenden oder in der Abwicklung befindlichen Rüstungsprogramme erkennen wir sowohl qualitativ wie quantitativ keinen Bezug mehr zu den verbleibenden sicherheitspolitischen Risiken. Erfreulicherweise ist diese Argumentation inzwischen auch bei einigen Kollegen anderer Fraktionen auf fruchtbaren Boden gefallen. Als größte Oppositionspartei sehen wir unseren Auftrag darin, Fehlinvestitionen zu verhindern.
({30})
Die Friedensdividende darf sich nicht nur auf den Abbau von Bedrohung beschränken, sondern muß auch neues Kapital für die Bekämpfung nichtmilitärischer Risiken freimachen.
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Bei einer solchen Zielsetzung kann der neue Verteidigungsminister immer mit der Zustimmung der SPD rechnen.
Meine Damen und Herren, angesichts neuartiger Gefährdungen der Menschheit und des Bedarfs an Hilfen brauchen wir ein erweitertes, eben internationales Verständnis von Sicherheit. Hungerkatastrophen, das Elend in den Ländern der Dritten Welt, die gewaltigen Probleme in den neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die ungeheure Verschuldung der Entwicklungsländer, Umweltkatastrophen, Flüchtlingsströme und der noch immer weitgehend unkontrollierte Waffenhandel beinhalten Risiken globalen Ausmaßes, gegen die militärische Potentiale nichts helfen.
({32})
Wir Sozialdemokraten haben seit vielen Jahren darauf hingewiesen, daß diese Sicherheitsprobleme vor allem mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln zu lösen sind.
Meine Damen und Herren, die umwälzenden Veränderungen in Osteuropa bieten uns die Chance, langfristig das Ziel einer stabilen gesamteuropäischen Friedensordnung zu erreichen. Auf dem Weg dorthin gilt es, die positiven Entwicklungen abzusichern, damit die Umgestaltungsprozesse in Osteuropa friedlich ablaufen und nicht in praktisch unsteuerbare Konflikte und militärische Auseinandersetzungen umschlagen. Nur der Ausbau der KSZE zu einem kollektiven Sicherheitssystem und die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa mit einer integrierten Außen- und Sicherheitspolitik können den drohenden Rückfall in nationalstaatliches Denken und traditio7182
nelle Gleichgewichtspolitiken mit der Folge neuer Aufrüstung verhindern.
({33})
In diesem Punkt sind wir, denke ich, mit der Bundesregierung durchaus einer Meinung. Die militärische Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland muß zukünftig im Rahmen dieses kollektiven gesamteuropäischen Sicherheitssystems gewährleistet werden. Schon deshalb bleiben die Bündnisse NATO und WEU auf absehbare Zeit unverzichtbar.
({34})
Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, daß uns die Art und Weise, wie die sogenannte Out-of-area-Diskussion geführt wird, nicht gefällt. Diese Diskussion ist nötig, sie muß aber behutsam geführt werden. Wir haben dazu ein Angebot gemacht. Aber leider ist die Bundesregierung auf dieses Angebot der SPD, einer Verfassungsänderung zuzustimmen, die den Blauhelmeeinsatz im Rahmen von Friedensmissionen der Vereinten Nationen ermöglicht, nicht eingegangen.
Mit einer Politik des Alles-oder-nichts hat sie bisher versucht, über öffentlichen Druck doch noch eine weitergehende Änderung des Grundgesetzes durchzusetzen.
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In dieser Frage hat der neue Verteidigungsminister kürzlich Flexibilität erkennen lassen: Man könne sich doch zunächst mit Blauhelmeeinsätzen der Vereinten Nationen zufrieden geben.
Wir sind bereit, darüber zu reden, aber, Herr Kollege Rühe, ohne verbindliche Festlegung auf den zweiten Schritt.
({36})
Wo im Innenverhältnis der Streitkräfte, Herr Kollege Rühe, künftig die Schwerpunkte liegen müssen, hat der jüngste Bericht des Wehrbeauftragten deutlich gemacht. Die Motivationskrise ist handfest. Das Konzept der Inneren Führung steht mit der Abrüstung vor einer neuen Herausforderung. Durch die Reduzierung der Streitkräfte werden Soldaten wieder zu Staatsbürgern in Zivil. Das darf keine Last sein, die Soldaten und ihre Familien dürfen nicht den Eindruck gewinnen, die von uns allen begrüßten Abrüstungserfolge gingen nur zu ihren Lasten.
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Es ist zugegebenermaßen eine große Herausforderung, vor die wir durch die deutsche Einheit gestellt sind, zwei Armeen zusammenzuführen, deren Personalbestand gleichzeitig zu reduzieren und die Struktur der Streitkräfte grundlegend zu ändern. Sie bietet aber auch die einmalige Chance, gleichzeitig eine den neuen Aufgaben angemessene und zukunftsweisende Personalstruktur, die Senkung der Personal-und Betriebskosten der Bundeswehr sowie ein neues
Rüstungskonzept zu verwirklichen. Diese Gelegenheit darf man nicht ungenutzt verstreichen lassen.
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Beim Personal bedarf es einer grundlegenden Reform, einer Reform an Haupt und Gliedern. Auch in dieser Hinsicht muß sich der neue Minister beweisen. Er darf sich mit dem Herumdoktern an Symptomen nicht zufriedengeben, sondern muß einen grundsätzlich neuen Ansatz finden, der die Streitkräfte einsatzbereit hält und zugleich weitere Abrüstungsschritte offenhält.
({39})
Viel Arbeit wartet auf Sie, Herr Kollege Rühe. Robust genug sind Sie - das weiß ich -, durchsetzungskräftig auch. Ein bißchen Glück werden Sie brauchen; ich wünsche es Ihnen.
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Meine Damen und Herren, eine glücklichere Hand möchte man auch dem in letzter Zeit etwas glücklosen Bundesaußenminister wünschen.
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Glücklich kann jedenfalls die Bundesrepublik Deutschland mit den „Erfolgen" seiner jüngsten außenpolitischen Bemühungen nicht sein. Die Zweifel an der Verläßlichkeit deutscher Politik wachsen.
Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der Koalition, wie Sie das sehen, aber auf mich wirkt es wie eine Ohrfeige, wenn der amerikanische Verteidigungsminister jüngst erklärt, er werde sich umgehend mit der deutschen Seite in Verbindung setzen, um zwischen den NATO-Partnern Türkei und Deutschland zu vermitteln. Soweit sind wir, daß der große Bündnisbruder USA uns helfen muß, auf den Weg außenpolitischer Tugend zurückzukehren! Blamabel, Herr Bundeskanzler, blamabel!
({42})
Deutschland und die Türkei haben eine lange Tradition freundschaftlicher Verbundenheit. Die Türkei ist ein wichtiges Land, dessen Bedeutung für die Region nach dem Zerfall der Sowjetunion zugenommen hat. Eine demokratische Türkei als Anziehungspunkt und Vorbild der zentralasiatischen Republiken der GUS wäre ein großer Gewinn für Stabilität und Frieden in Europa, im Nahen und im Mittleren Osten.
Für die Bundesrepublik ergibt sich daraus die Notwendigkeit, ihre Beziehungen zur Türkei auf eine verläßliche - ich betone: verläßliche - Grundlage zu stellen.
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Die Türkei ist NATO-Mitglied und hat sich damit vertraglich auf die demokratischen Werte des Bündnisses verpflichtet. Dies und die Tatsache, daß in unserem Land nahezu zwei Millionen Menschen mit türkischem Paß leben, darunter fast 300 000 Kurden - davon viele als Asylbewerber -, gibt uns jedes
Recht, die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei einzufordern.
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Es ist, meine Damen und Herren, völlig abwegig, die Deutschen eben deshalb zu Sympathisanten von Terroristen zu erklären. Mit der PKK sympathisieren wir nicht!
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Im Gegenteil, wir distanzieren uns von deren Zielen und terroristischen Methoden. Die PKK ist eine Terrororganisation,
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die zudem ihre Waffenkäufe auch mit Hilfe ihrer in Europa und in Deutschland tätigen Heroin-Mafia finanziert.
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Die PKK ist deshalb auch für uns eine Bedrohung.
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Wenn wir uns gegen deutsche Waffenlieferungen an die Türkei aussprechen und wir Sozialdemokraten tun das seit langem -,
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dann ist das ein politisches Signal, daß wir die andauernden Verletzungen von Menschenrechten im Krisengebiet an der türkisch-irakischen Grenze mißbilligen.
({50})
Daraus abzuleiten, wir, die Deutschen, mißbrauchten unsere wirtschaftliche Macht, um Großmachtinteressen zu verfolgen, ist so absurd, wie der Vergleich der Bundesrepublik Deutschland mit Hitler-Deutschland beleidigend ist.
({51})
Meine Damen und Herren, die in den letzten Wochen eingetretene dramatische Verschlechterung des deutsch-türkischen Verhältnisses hat ihren Ausgangspunkt in dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber der kurdischen Bevölkerung während der und nach den Feiern des kurdischen Neujahrsfestes. Diese Aktion des türkischen Militärs sowie die Bombardierung kurdischer Siedlungen im Norden des Irak empören uns zu Recht und können nicht ohne Auswirkungen auf unsere Beziehungen zur Türkei bleiben. Es wäre richtig und angemessen gewesen, darüber in den NATO-Gremien zu reden und der Türkei dort - mit Rückendeckung der anderen NATO-Partner unzweideutig klarzumachen, daß solche Aktionen mit den Grundsätzen des Bündnisses unvereinbar sind.
({52})
Dies und die Beachtung des Parlamentsbeschlusses zu den Waffenlieferungen an die Türkei hätten wir von einer verantwortlichen deutschen Bundesregierung erwartet.
({53})
Ganz anders Sie, Herr Außenminister: Unterhalb der Ebene öffentlicher Wahrnehmung drängt Ihr Ministerium - ob in Abstimmung mit dem Kanzleramt, ist nach Bekanntwerden des Bohl-Briefes noch offen - auf weitere Waffenlieferungen an die Türkei, während Sie zugleich mit großer Emotionalität und Heftigkeit an die Presse gehen und einen Stopp der Waffenlieferungen fordern. So etwas, meine Damen und Herren, nenne ich Populismus.
({54})
Das geht zu Lasten der deutsch-türkischen Beziehungen. Denn es muß in der Türkei auf Unverständnis stoßen, wenn ihr vom Auswärtigen Amt auf diplomatischem Wege Waffenlieferungen zugestanden werden und sie vom Außenminister wegen derselben Sache zugleich öffentlich attackiert wird.
Verschlimmert wird der Eindruck der Unkalkulierbarkeit deutscher Türkei-Politik durch die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Bewertung der Vorgänge in der Türkei und dem tatsächlichen Wissen um die komplizierte Lage der Regierung Demirel/Inönü durch den deutschen Außenminister.
({55})
Ihm ist bestens bekannt, daß die neue Regierung mit ihrem demokratischen Reformprogramm praktische Schritte begonnen hat, nicht nur die kulturelle Selbstbestimmung der Kurden, sondern auch die grundsätzliche Achtung der Menschenrechte zu verwirklichen. Besonders die SHP und ihr Vorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident Inönü haben mit ihrer praktizierten Verpflichtung gegenüber dem Recht der Kurden Mut bewiesen und eine große Verantwortung übernommen.
({56})
Die gesellschaftlichen Spielräume für das anspruchsvolle Demokratisierungsprogramm der Demirel-Regierung waren bei ihrem Amtsantritt äußerst eng. Sie müssen von ihr Schritt für Schritt erweitert werden. Erste Erfolge haben sich gezeigt. Die bürgerkriegsähnlichen Entwicklungen in der Südosttürkei haben aber deutlich gemacht, daß diese Regierungspolitik Gefahr läuft, zwischen dem blutigen Vorgehen des sich verselbständigenden Militärs und dem Terror der PKK aufgerieben zu werden.
({57})
Deutsche Außenpolitik muß ein Interesse daran haben, diesen Prozeß zu stoppen, statt ihn zu fördern.
({58})
Hinzufügen möchte ich folgendes. Es haben sich in den vergangenen Wochen und Tagen in der Türkei antideutsche und bei uns antitürkische Ressentiments offenbart; bei uns nicht zuletzt in Verbindung mit der
ohnehin emotionsbeladenen und beschämenden Asyldebatte. Einmal abgesehen davon, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Bundesregierung bis heute nicht einen einzigen Vorschlag zur Lösung des Asylproblems gemacht hat - darüber wird zu einem späteren Zeitpunkt zu reden sein
({59})
- Auch wenn Sie lachen, nicht einen einzigen Vorschlag hat diese Regierung gemacht.
({60})
Es wäre jedenfalls, Herr Bundeskanzler, Ihre unbedingte Pflicht gewesen, solchen Ressentiments entschlossen entgegenzuwirken.
({61})
So etwas darf man nicht einfach laufen lassen,
({62})
weil es sich schnell zu einem bösen Gebräu vermischt. Da bedarf es einer klaren Sprache und der Übernahme klarer Verantwortlichkeiten, die Sie eben auch in diesem Fall nicht übernehmen wollen.
({63})
Herr Bundeskanzler, wenn ich Ihre heutige Regierungserklärung bewerte, dann muß ich sagen: Sie entsprach unseren Erwartungen. Sie versuchen - ganz Staatsmann -, von den aktuellen Geschehnissen abzulenken, die unangenehm und nicht eben rühmlich sind. Aber es ist unübersehbar: Die Schwierigkeiten der Bundesregierung nehmen zu. Innenpolitisch haben Sie die wirtschaftliche Entwicklung, vor allem in den neuen Ländern, und die öffentlichen Finanzen nicht mehr im Griff.
({64})
Das Verteidigungsministerium ist aus der Kontrolle geraten. Außenpolitisch wächst das Unbehagen an dem Schlingerkurs des Außenministers, mehren sich besorgte Fragen über das „Wilhelminische" der deutschen Politik.
({65})
Die Probleme, Herr Bundeskanzler, werden größer und, wie mir scheint, die Ratlosigkeit dieser Regierung auch. Die Lautstärke wird auch größer.
({66})
Viel Zeit, Herr Bundeskanzler, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu suchen, bleibt Ihnen nicht. Wir werden Sie treiben.
({67})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie verstehen es sicher, daß ich mit einem kurzen persönlichen Wort beginne: Ich danke dem Bundeskanzler für die freundschaftliche Würdigung meiner Arbeit als Mitglied der Bundesregierung auch hier vor dem Hohen Haus und zugleich vielen über meine eigenen politischen Freunde hinaus, die mir in den letzten, nicht einfachen Tagen auch Verbundenheit und Solidarität bekundet haben.
Die Entscheidung für den Wechsel ist gefallen. Die Argumente sind weithin ausgetauscht.
Ich möchte, Herr Kollege Klose, nicht im einzelnen auf Ihre Vorhaltungen eingehen.
({0})
Nur eines will ich Ihnen sagen: Als Sie Ihre Maßstäbe für die konkrete Ministerverantwortlichkeit hier vortrugen, habe ich mich gefragt: Was haben Sie eigentlich in den letzten Wochen nach diesen unglaublichen Erschütterungen in Hamburg Ihrem Parteifreund Voscherau für Konsequenzen empfohlen?
({1})
- Also wissen Sie, es belastet mich nicht, wenn Sie in einer solchen Anfrage schon einen Anlaß sehen, in ganz ungewöhnlicher Gereiztheit zu reagieren.
({2})
Das ist alles für eine breite Öffentlichkeit von großem Interesse in diesen Tagen.
({3})
Zum zweiten, Herr Klose: Was empfehlen Sie eigentlich Ihrem Parteifreund, Herrn Rau, für Konsequenzen,
({4})
nachdem der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Urteil festgestellt hat,
({5})
daß der Finanzminister dieses Landes vor einer Wahl für Werbungszwecke ohne haushaltsmäßige Ermächtigung Millionen DM ausgegeben hat?
({6})
Es lohnt sich wirklich, in einem zeitlichen Abstand von diesen Tagen
({7})
einmal ernsthaft - ich bin dazu bereit - über die Konkretisierung von Ministerverantwortlichkeit zu reden.
Gerhard Stoltenberg
Jetzt richten wir den Blick nach vorn.
({8})
- Ja, das tun wir. Wir reden auf Grund einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Ich glaube, daß es richtig ist, auch hierzu für meine Fraktion Stellung zu nehmen.
({9})
Ich wünsche Volker Rühe auch hier im Deutschen Bundestag von Herzen Erfolg und Fortune. Ich weiß, daß ich in ihm einen hervorragenden Nachfolger habe.
({10})
Der historische Umbruch in Europa seit 1989 hat die politische Situation auf unserem Kontinent in mancher Hinsicht dauerhaft zum Besseren verändert. Die friedliche Verwirklichung der deutschen Einheit, das Verschwinden des Eisernen Vorhangs, der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme, vor allem das Ende der massiven militärischen Konfrontation im Herzen Deutschlands und Europas, das alles sind Fortschritte von historischem Ausmaß in einer kaum vorstellbar kurzen Zeit.
({11})
Wir haben die geschichtliche Chance zur rechten Zeit genutzt. Das bleibt das besondere Verdienst des Bundeskanzlers. Ich bin dankbar, daß ich in einem Teilbereich diese wichtige Aufgabe aktiv mitgestalten konnte.
({12})
Wer freilich in der Hochstimmung des ausgehenden Jahres 1990 meinte, wir gingen in eine neue Ara des konfliktfreien harmonischen Miteinanders in Europa, wir näherten uns also dem Ende der Geschichte, wie sogar postuliert wurde das hat ein sehr bedeutender amerikanischer Politikwissenschaftler gesagt , der mußte sein Urteil bald korrigieren.
Nationalistische Konflikte brechen in weiten Teilen Ost- und Südosteuropas aus. Sie verbinden sich in sehr gefährlicher Weise mit wirtschaftlichen und sozialen Spannungen zu einem hohen, auch sicherheitspolitischen Risiko.
Die ökonomische, soziale und ökologische Hinterlassenschaft des real existierenden Sozialismus ist noch ungleich belastender, als wir in der Vergangenheit annahmen, jener Zeit, in der ja auch die Verharmlosung und Verschönerung der bitteren Wirklichkeit in jenem Teil Europas von manchen, die sich als fortschrittlich verstanden, betrieben wurde.
({13})
Vor allem das Zerbrechen der ehemaligen Sowjetunion, das Scheitern der Bemühungen um einen neuen Unionsvertrag ihrer reformierten Republiken hat die Risiken jetzt erheblich verschärft.
Es ist eine neue historische Aufgabe der westlichen Staaten, den jungen Demokratien des Ostens und denen, die noch auf dem Weg zur Demokratie sind,
umfassend mit allen unseren Möglichkeiten zu helfen. Natürlich setzt das mittelfristig überzeugende und sachgerechte Konzeptionen für die politische und wirtschaftliche Gesundung voraus. Aber diese Feststellung darf nicht bloßes Abwarten bedeuten.
({14})
Es gibt mittel- und osteuropäische Länder, die auf dem schwierigen Weg mutig vorangegangen sind. Ich nenne beispielhaft vor allem Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen.
Bei allem, was wir als Deutsche jetzt vorrangig für die neuen Bundesländer tun, können wir Solidarität und vorausschauende Politik nicht an der deutschen Ostgrenze enden lassen.
({15})
Das wäre nicht nur ethisch verantwortungslos, es würde auch gegen unsere eigenen vitalen Interessen verstoßen. Denn eine schwere Dauerkrise in Ost- und Südosteuropa würde voll auf uns zurückschlagen, ökonomisch, sozial, sicherheitspolitisch und wahrscheinlich auch in großen Wanderungsbewegungen. Deshalb darf es keine neue scharfe Trennungslinie zwischen reichen Völkern einerseits und armen, verelendenden andererseits auf unserem Kontinent geben. Und wir dürfen eine solche Entwicklung, die droht, nicht resignierend als Dauerzustand hinnehmen.
({16})
Wir müssen dabei auch einigen unserer westlichen Partner sagen: Es genügt nicht, darüber Konferenzen abzuhalten. Sie müssen ihren Beitrag für abgestimmte Aktionen der Hilfe erheblich erhöhen. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die gestern verkündete Gemeinschaftsinitiative der G-7-Staaten sehr, die maßgeblich vom Bundeskanzler initiiert wurde.
Wichtig ist auch, daß sich der baldige Beitritt mehrerer Reformstaaten Osteuropas zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds bald vollzieht. Denn auch bei Ausschöpfung aller unserer Möglichkeiten gilt: Die verständlichen Wünsche nach Unterstützung sind noch viel größer als die reale Leistungsfähigkeit der Nationalstaaten des Westens und auch der Europäischen Gemeinschaft.
Die Golfkrise und der Golfkrieg haben uns eindringlich bewußt gemacht, daß auch in der Nachbarschaft Europas ein erhebliches Krisenpotential besteht, das auf Grund von Aggressionen zu militärischen Auseinandersetzungen mit überregionalen Wirkungen führen kann.
Wir haben, wie auch die anderen NATO-Partner, in dieser kritischen Zeit der verbündeten Türkei Solidarität bezeugt, auch durch die Entsendung von Verbänden unserer Luftwaffe. Jetzt ist die Türkei durch die sich bis zur breiten militärischen Gewaltanwendung verschärfte Auseinandersetzung im Gebiet der Kurden, aber zunehmend auch in großen Städten, in einer besonders gefährlichen Situation.
Ich sage für meine Fraktion dem Bundeskanzler unsere volle Unterstützung für seinen politischen Kurs
und die zugrunde liegenden Ziele und Analysen in dieser wichtigen Frage zu.
({17})
Am wichtigsten sind in dieser Zeit weitreichende politische Reformen, die der Identität der kurdischen Bevölkerung in der Türkei in vollem Umfang gerecht werden. Dies verbindet sich mit der entschiedenen Ablehnung der bürgerkriegsähnlichen Aktionen der PKK wie auch von militärischem Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte, wenn friedliche Bürger zu Opfern werden.
Meine Damen und Herren, die Europäische Gemeinschaft und das Atlantische Bündnis sind auch unter dem Vorzeichen der historischen Veränderungen in Osteuropa in einem dynamischen Wandel begriffen. Maastricht hat die Weichen für die politische Union gestellt, wenn auch noch nicht alle für uns wichtigen Punkte optimal gelöst sind.
Die Europäer müssen in der politischen Union größere Verantwortung für ihre Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der NATO übernehmen. Das Bündnis hat sein strategisches Konzept grundlegend reformiert und seine Streitkräftestruktur verändert. Dabei haben wir Deutschen mit wesentlichen konzeptionellen Beiträgen zu diesen Reformen mitgewirkt.
Der NATO-Kooperationsrat ist ein wichtiger institutioneller Rahmen für die jetzt breit angelegte Zusammenarbeit der Allianz mit den osteuropäischen Staaten. Wir erwarten vor allem von den Republiken der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten die schnelle Ratifizierung des ersten Wiener Abrüstungsabkommens, die soeben erneut, aber nicht zum erstenmal in Brüssel zugesagt wurde. Was an Abrüstung erreicht ist, muß jetzt realisiert werden und darf nicht blockiert werden durch die ungelösten inneren Probleme in der früheren Sowjetunion.
({18})
Wir erwarten die Bereitschaft, Personalobergrenzen für ihre Streitkräfte mit den anderen Staaten Europas und der NATO verbindlich zu vereinbaren, ohne weiter auf Ausnahmeregelungen für bestimmte Truppenteile zu bestehen. Natürlich erwarten wir die zentrale, wirksame und durch Verifikation nachprüfbare Kontrolle aller nuklearen Sprengkörper und deren Träger sowie der chemischen Waffen. Es darf nicht so sein, daß derartige Waffen außer Kontrolle geraten und durch Proliferation neue Risiken für andere Völker und Menschen verursachen.
({19})
In Helsinki wird es vorrangig um die Aufgabe gehen, diese Ziele zu erreichen und die Voraussetzung für die Einbeziehung aller europäischen Staaten in dieses System der Rüstungskontrolle zu schaffen. Weitere vertrauensbildende Maßnahmen sind geboten.
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr steht unter dem Vorzeichen der historischen Umbrüche in der umfassendsten und einschneidensten Reform
ihrer 37jährigen Geschichte. Fusion von Feldheer und Territorialheer, die Straffung und Konzentration der Kommandobehörden und Stäbe, die beschlossene Neustationierung auf Grund der künftigen Größenordnung von 370 000 Soldaten im vereinten Deutschland, die erhebliche Verringerung des Bereitschaftsstandes, die Kaderung vieler Verbände auf Grund längerer Vorwarnzeiten, die Reform und Konzentration der Wehrverwaltung, neue Ausbildungskonzepte, die veränderte Ausrüstungsplanung mit wesentlich weniger Mitteln und schließlich die Auflösung der NVA und der Aufbau der Bundeswehr Ost - mit diesen wenigen Stichworten ist eine enorme Herausforderung für Soldaten und zivile Mitarbeiter, aber natürlich auch für die militärische und politische Führung verbunden.
Meine Damen und Herren, ich frage mich seit einiger Zeit nicht, ob wir zuwenig reformieren, wie immer wieder klischeehaft behauptet wird, sondern ob die Soldaten und zivilen Mitarbeiter mit ihren Familien vor Ort dieses nie dagewesene Tempo der Veränderung wirklich nachvollziehen und positiv bewältigen können.
({20})
Jedenfalls bedürfen unsere Streitkräfte der vollen Solidarität und der nachhaltigen Unterstützung nicht nur der unmittelbar Verantwortlichen, sondern des ganzen Parlaments, auch der Landes- und Kommunalparlamente und -verwaltungen und unseres ganzen Volkes.
({21})
Manches ist noch zu tun. Ich erinnere beispielhaft an die Erarbeitung eines neuen Konzepts für unsere Reservisten und die endgültige Festlegung des Umfangs und der Standorte für Truppenübungsplätze. Zu den ganz wichtigen Entscheidungen der letzten Wochen gehört das Einvernehmen der Koalitionsfraktionen über eine grundlegend verbesserte Personalstruktur, vor allem für die Zeit- und Berufssoldaten, und über die Beibehaltung der Wehrpflicht.
({22})
Die Aufgaben der Vorgesetzten sind schwieriger und größer geworden. Bessere Aufstiegs- und Beförderungschancen sind deshalb geboten, wenn die Bundeswehr attraktiv und leistungsfähig sein soll. Nach dem starken Rückgang der Bewerberzahlen haben wir in den letzten Monaten erfreulicherweise erstmals wieder einen deutlichen Anstieg erlebt. Aber gerade hier, in der Hinwendung auf die konkreten Probleme der Menschen, bleibt noch einiges zu tun.
Diese eben genannte Entscheidung ist auch ein politisches Signal. Es wird nicht nur reduziert, gekürzt und eingeschränkt; es wird auch aufgebaut. So helfen diese Grundsatzentscheidungen der Bundeswehr auch psychologisch. Sie zeigen die Bereitschaft von Parlament und Regierung, ihren Dienst nachhaltig anzuerkennen, weil militärische Sicherheitsvorsorge auch in Zukunft unverzichtbar ist.
({23})
Auch das Bundesministerium der Verteidigung ist seit drei Jahren in nie dagewesener Weise gefordert. Dabei habe ich hervorragende Leistungen erlebt, aber natürlich auch einige Schwachstellen. Wenn jedoch - Herr Klose hat das schon erwähnt - heute ein bekanntes Massenblatt die Hardthöhe in einer Schlagzeile pauschal als „ Saustall" bezeichnet, dann ist das, ungeachtet des hinzugefügten Fragezeichens, genauso ehrverletzend wie das, was ich in den letzten Tagen in demselben Organ gelesen habe. Ich verurteile das entschieden.
({24})
Wir haben auch für das Ministerium Organisationsentscheidungen mit dem Ziel der Verkleinerung getroffen. Sicher wird Volker Rühe prüfen, inwieweit weitere Schritte notwendig sind.
Ich möchte heute den Soldaten, Beamten, Angestellten und Arbeitern des Ministeriums, der ganzen Bundeswehr und der Verwaltung für ihren insgesamt vorbildlichen Einsatz sehr herzlich danken.
({25})
Die Aufgaben der Neugestaltung sind auch deshalb nicht einfacher geworden, weil wir den von 1960 bis 1980 zwischen allen großen Parteien - lange Zeit konnten wir sagen: allen Parteien - im Bundestag bestehenden Konsens mittlerweile in einigen wichtigen Fragen der Sicherheitspolitik und der Bundeswehr verloren haben; das Buch von Hans Apel ist da übrigens eine sehr lehrreiche Studie, wie dies erfolgt ist. Ihn soweit wie möglich durch sachbezogenen Dialog und auch durch argumentative Auseinandersetzung wiederzugewinnen wäre eine große Leistung. Ich möchte, soweit es mir möglich ist, als Abgeordneter des Bundestages auch hierzu meinen Beitrag leisten.
({26})
Als nächster spricht Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich spreche für die F.D.P. und für die F.D.P.-Fraktion Ihnen, Herr Stoltenberg, den Respekt für Ihre Entscheidung aus. Für einen Mann, der sich über Jahrzehnte in zahlreichen Ämtern und Funktionen hohe Verdienste erworben hat und der - das wissen wir - Politik nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen gemacht hat, war das ein schwerer und schmerzhafter Entschluß. Um so mehr meine persönliche Hochachtung dafür, wie Sie kurz nach diesem Entschluß hier eben aufgetreten sind. Auch dazu braucht man Kraft.
({0})
Persönliches Fehlverhalten ist Herrn Stoltenberg nicht anzukreiden. Aber die politische Verantwortung wiegt schwer. So war der Entschluß zurückzutreten konsequent und richtig.
Herr Klose, zu Ihren Bemerkungen kann ich nur sagen: Im Fußball bekommt man für Nachtreten die rote Karte.
({1})
Meine Damen und Herren, das Amt des Verteidigungsministers ist gefahrengeneigt. Die Hardthöhe hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr Minister kommen und gehen sehen als jedes andere Ministerium. Wen wundert es, daß sich dann Teile eines solchen Apparates verselbständigen und daß leider auch Illoyalität und Kompetenzanmaßung wuchern!
Die F.D.P. wünscht Ihnen, Herr Rühe, für Ihre neue und sicherlich nicht einfache Aufgabe eine glückliche Hand.
({2})
Aber auf den neuen Verteidigungsminister kommen nicht nur Struktur- und Organisationsaufgaben zu. Ein guter Verteidigungsminister muß auch überzeugen können; er muß der Bundeswehr ihren Auftrag nahebringen; er muß ihr sagen, daß für einen Staat im Vollbesitz seiner Souveränitätsrechte eine nationale Sicherheitspolitik unverzichtbar ist. Sie ist deshalb unverzichtbar, weil die Welt so friedlich nicht ist, wie wir sie uns wünschen. Die Welt ist im Osten zwar freier geworden; sicherer ist sie deshalb jedoch nicht geworden. Es bestehen Risiken fort, und es sind neue entstanden. Nach der ruhigen Knechtschaft der vergangenen Jahrzehnte ist jetzt das Zeitalter der unruhigen Freiheit angebrochen. Die Verläßlichkeit der festen Koordinaten kommunistischer Herrschaft ist dahin. Aber die neue Freiheit hat noch viele alte Feinde. Von der berühmten Unumkehrbarkeit mag noch keiner so recht sprechen.
Nach wie vor liegt in der schwierigen Anpassungsphase Mittel- und Osteuropas ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential. Die Reformkräfte sitzen beileibe nicht überall unverrückbar fest im Sattel, ganz zu schweigen von anderen Konfliktherden, die die Welt plötzlich in Atem halten können, wie es der Golfkrieg getan hat.
Die F.D.P. glaubt, daß Deutschland gerade auch deshalb seiner größer gewordenen weltpolitischen Verantwortung gerecht werden muß. Wir befürworten daher den friedensichernden und friedenstiftenden Einsatz der Bundeswehr auch „out of area", wenn einer solchen Aktion ein Beschluß des Weltsicherheitsrates zugrunde liegt, wenn sich andere Staaten der Europäischen Gemeinschaft beteiligen und der Bundestag einem solchen Einsatz mit Kanzlermehrheit zugestimmt hat.
({3})
Meine Damen und Herren, wer - das sage ich an die Adresse der Sozialdemokraten, besonders an Ihre Adresse, Herr Klose, nach Ihren Ausführungen - noch immer nach einer Nische der Weltpolitik sucht, in die sich Deutschland vor dieser Entscheidung flüchten kann, der sollte sich bitte einmal draußen umhören. Wie erklären Sie unseren Verbündeten, daß
I sich Deutschland ziert und sie gefälligst für uns einzuspringen haben? Wie entkräften Sie das Argument, daß das souveräne Deutschland seine Rechte genießt, aber von seinen Pflichten nichts wissen will?
Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem im Hinblick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis wichtig. Da stimmt mich optimistisch, daß der neue Verteidigungsminister in der Vergangenheit die transatlantischen Beziehungen immer gepflegt hat und um ihren Wert weiß. Ich hoffe, er wird auch in Zukunft Wert auf diese Achse legen. Das europäische Haus, meine Damen und Herren, ist nur dann komplett, wenn es auch eine amerikanische Einliegerwohnung hat.
Unabhängig davon werfen mögliche „out of area"-Einsätze der Bundeswehr ein anderes Problem auf, das zu gegebener Zeit gelöst werden muß. In der F.D.P. wird über die Frage Wehrpflicht- oder Freiwilligen- bzw. Berufsarmee diskutiert. Sie wissen, ich bin ein überzeugter Anhänger der Wehrpflichtarmee. Sie setzt Wehrgerechtigkeit voraus. Und sie kann nur verlangt werden, wenn die Sicherheit des eigenen Landes zentraler Auftrag der Bundeswehr bleibt. Auf „out of area” -Einsätze kann man keine Wehrpflicht gründen.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der traditionell guten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland - die Freundschaft ist ja bei beiden Völkern und in beiden Völkern tief verwurzelt - bedauere ich die offenen Meinungsverschiedenheiten der vergangenen Tage. Aber, meine Damen und Herren, zu Kampfeinsätzen eines NATO-Partners gegen Minderheiten im eigenen Lande, noch dazu mit deutschen Waffen, dürfen und werden wir nicht schweigen. Die Verletzung der Menschenrechte wird von uns nicht stillschweigend hingenommen werden.
({4})
Wir verurteilen den Terror der PKK gegen türkische Bürger und türkische Einrichtungen. Terror ist kein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele; aber Bomben gegen kurdische Zivilisten sind es erst recht nicht.
({5})
Ich stelle mit Bedauern und Kritik fest, daß die Ausgabe des „ Spiegel" vom vergangenen Montag in der Türkei, was den Türkei-Bericht anlangt, nur zensiert ausgeliefert worden ist. Pressefreiheit muß bei einem NATO-Staat und bei jemandem, der sich um den Beitritt zur EG bemüht, in vollem Umfang gelten.
({6})
Die F.D.P. begrüßt die passenden Worte des Bundeskanzlers, mit denen er die unpassenden Bemerkungen des Herrn Özal - das ist eine milde Bezeichnung - zurückgewiesen hat. Wir überhören die gemäßigten Töne von Herrn Demirel nicht, der deutlich um Ausgleich und vernünftigen Umgang miteinander bemüht ist. Wir hoffen, daß die Türkei ihre Kurden-Politik umgehend und grundsätzlich ändert, daß sie den Weg zurück zu den Grundsätzen der KSZE und den Wertvorstellungen von NATO und Europäischer Gemeinschaft findet. Wir begrüßen die Absicht des Bundesaußenministers, die Türkei demnächst zu besuchen.
Meine Damen und Herren, die Darstellungen, die Herr Klose hier über die Aktivitäten des Außenministeriums gegeben hat, sind falsch und irreführend.
({7})
Das Auswärtige Amt hat auf Anfrage zutreffend festgestellt, daß ein Stopp der Waffenlieferungen das Verhältnis zur Türkei belasten würde. Das ist eine objektiv überhaupt nicht zu bestreitende Feststellung. Als sich dann nach Absendung dieses Briefes der Vertragsbruch der Türkei herausstellte, nämlich daß deutsche Waffen zu den Zwecken, die wir kritisieren, eingesetzt worden sind, hat der Bundesaußenminister mit vollem Recht und als einer der ersten den Stopp dieser Lieferungen verlangt. Ich weiß nicht, was Sie daran auszusetzen haben, Herr Klose.
({8})
Im übrigen finde ich Ihre Bemerkung „Wir wenden uns schon seit langem gegen Waffenlieferungen an die Türkei" geradezu köstlich. Wie lange ist das denn eigentlich her? Sie haben allen Entscheidungen auf diesem Gebiet Lieferung an NATO-Staaten - zugestimmt, immer; jedenfalls in all den Kabinetten, die von Sozialdemokraten geführt wurden und denen ich angehört habe, war das so, und nachher hat sich das auch nicht geändert.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Klose dem Bundesaußenminister eine glückliche Hand wünscht, dann will ich feststellen: Er hat in der Vergangenheit eine glücklichere Hand gehabt und wird auch in Zukunft eine glücklichere Hand haben, als Sie sie bisher als Fraktionsvorsitzender der SPD gehabt haben.
({9})
- Aber das, meine Damen und Herren, ist ja nach den Erklärungen des Geschäftsführers der SPD, des Herrn Blessing, auch ziemlich verständlich. Herr Blessing hat neulich erklärt: Die Stars der SPD haben ihre Rollen noch nicht richtig aufeinander abgestimmt. Meine Damen und Herren, wenn die zu dritt auf der Bühne stehen, Herr Klose den Hamlet gibt, Björn Engholm Sherlock Holmes mit Pfeife spielt und Oskar Lafontaine einen Hinterhof-Danilo aus der Lustigen Witwe singt, dann kann aus der Aufführung nichts werden.
({10})
- Ich weiß gar nicht, ob Sie das erheitert oder erbost; die Reaktionen sind unterschiedlich.
({11})
- Üben Sie doch die Rollen, und finden Sie mal einen Regisseur und nicht nur einen Souffleur! Dann wäre Ihnen schon geholfen.
({12})
Herr Klose hat festgestellt, die Bundesregierung habe keine Vorschläge zur Lösung der Probleme des Asylrechts gemacht. Wir wissen, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt. Wo waren Sie denn im Oktober?
({13})
Damals waren Sie zwar noch nicht Fraktionsvorsitzender, aber haben Sie denn nicht mitgemacht, als es hier darum ging, die Verfahrensbeschleunigung zu verabreden?
({14})
Haben wir denn hier nicht vor kurzem beschlossen, daß wir bis zum 1. Juli den zentralen Punkt zur Lösung dieser Frage mit Ihnen gemeinsam im Parlament verabschieden wollen?
({15})
- Herr Klose, Ihre Stichwortzettel stimmen einfach nicht; sie müssen sortiert werden.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland darf und wird sich nicht einigeln. Ich habe das auch dem polnischen Staatspräsidenten Lech Walesa gesagt, der mich wie sicher auch seine anderen Gesprächspartner - eindringlich um ein stärkeres wirtschaftliches Engagement Deutschlands in Polen gebeten hat. Aber ich habe in dem Gespräch auch gesagt: Hilfe ja, aber es muß Hilfe zur Selbsthilfe sein. Sie muß dazu beitragen, daß Polen sein wirtschaftliches Geschick zunehmend selbst in die Hand nimmt und daß es seine Reformen konsequent weiterverfolgt.
Von dem gleichen Grundgedanken ist das Angebot der G 7, den Republiken der früheren Sowjetunion 24 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, geprägt. Ich wiederhole, was ich an diesem Rednerpult vor Monaten gesagt habe: Ohne Reformen kein Geld, aber ohne Geld auch keine Reformen.
Die Deutschen sind nicht allein gefordert, nur weil wir als unmittelbare Nachbarn Polens und der CSFR näher und direkter mit den Sorgen Osteuropas konfrontiert sind. Sechs westeuropäische Länder haben bereits Anträge auf EG-Beitritt gestellt. Dazu kommen die Beitrittspläne der Länder Osteuropas. Was tut die EG? Sie ist stolz auf ihren guten Ruf und die hohe Attraktivität der Gemeinschaft als Zukunftsmodell für ganz Europa. Gleichzeitig hofft sie wohl, daß diese Zukunft noch möglichst lange auf sich warten läßt.
Deshalb plädiert die F.D.P. erneut dafür, den Ländern Osteuropas nicht erst irgendwann, sondern jetzt mit einer Zusage auf möglichst schnellen Beitritt eine Perspektive zu geben.
({17})
Denn sonst - Herr Stoltenberg hat zu Recht darauf hingewiesen - kommen eines Tages nicht mehr nur die freundlichen Unterhändler, die höflich um Aufnahme bitten; dann kommen die Menschen. Sie kommen zum Wohlstand, weil der Wohlstand nicht zu ihnen kommt.
Für Deutschland hat die europäische Integration eine ganz besondere Bedeutung. Die Größe und damit das politische Gewicht unseres Landes sind gewachsen. Daß das in Europa und in der Welt nicht nur einhellige Freude auslöst, wissen wir. Einerseits gibt es niemanden oder nur sehr wenige, die Deutschland die Freude der Vereinigung mißgönnen. Andererseits bleibt doch ein leises Unbehagen bei der verhaltenen Frage: Wohin, Deutschland? Vorsichtig tasten wir uns vor, balancieren wir unsere neue Rolle in der Welt aus.
Wie zwiespältig das Urteil über die Deutschen sein kann, macht der amerikanische Hinweis auf die „new German assertiveness" deutlich. Je nach Neigung kann das als gesundes Selbstbewußtsein oder auch als überhebliche Selbstsicherheit ausgelegt und übersetzt werden. Deshalb brauchen wir Deutschen Europa. Europa hilft den Deutschen, sich selbst zu definieren. Wir wollen nicht in Europa stark sein, wir wollen für Europa stark sein.
Demokratie und Marktwirtschaft sind die Kennzeichen der Europäischen Gemeinschaft. Im Vertrag von Maastricht wurde das Prinzip der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb als gemeinsames Ordnungskonzept schriftlich festgehalten. Aber Markt und Wettbewerb sind von einer Politik monetärer Stabilität abhängig. Währungs- und Wirtschaftsordnung bedingen sich.
Maastricht ist ein außerordentlich komplexes Vertragswerk. Aber was sich im Bewußtsein der Menschen hier in Deutschland festgehakt hat, sind zwei Botschaften: Die D-Mark wird abgeschafft, und die Deutsche Bundesbank wird aufgelöst. Das ist ursächlich darauf zurückzuführen, daß die Menschen über die Verträge von Maastricht zuwenig wissen. Inzwischen sind wir so weit, daß von den meisten Bürgern der Vertrag von Maastricht als Bedrohung und nicht als Gewinn für Europa verstanden wird. Deshalb gilt es, klarzustellen: Wenn die Beschlüsse von Maastricht als Stabilitätspakt umgesetzt werden, ist das ein großartiger Erfolg für die EG-Politik.
Trotzdem bleiben kritische Fragen, bis der Stabilitätspakt auch politisch ausgefüllt ist. Noch gehen die ordnungs- und stabilitätspolitischen Überlegungen und Vorstellungen der Unterzeichnerländer auseinander. Deshalb muß sichergestellt sein, daß Mitglied des Stabilitätspakts nur werden kann, wer sich durch eine anhaltende, glaubwürdige Stabilitätspolitik objektiv dafür qualifiziert hat. Das sagen wir auch an die eigene Adresse, nicht nur an andere.
({18})
Für niemanden, der Mitglied der Währungsunion werden will, darf diese Meßlatte niedriger gelegt werden. Außerdem darf das Zustandekommen der Wirtschafts- und Währungsunion nicht von Automatik bestimmt sein.
({19})
- Auf Ihren Zwischenruf, Herr Klose, das müsse kontrolliert werden, sage ich eindeutig: Ja; aber es muß nicht nur kontrolliert werden, sondern es müssen auch die Instrumente geschaffen werden und vorhanden sein, um die Ergebnisse solcher Prüfungen und Kontrollen um- und durchsetzen zu können.
({20})
Die F.D.P. ist gegen Nachverhandeln, wohl aber für Nachbessern auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion. Wir begrüßen die Ziele der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion uneingeschränkt, auch das Ziel der einheitlichen europäischen Währung. Aber wie so oft steckt auch dabei der Teufel im Detail. Das Ziel ist gut; der Weg läßt noch manche Fragen offen.
Meine Damen und Herren, eine kohärente, effiziente und auf weitere Integration gerichtete Europapolitik ist eine absolute Notwendigkeit für Deutschland. Eine starke und einige Europäische Gemeinschaft ist Voraussetzung für eine einige und starke Atlantische Allianz. Beide Organisationen werden ihre Aufgaben erweitern. Die NATO wird ihre Funktion über das Gebiet der militärischen Sicherheit hinaus ausdehnen müssen, und die EG wird Verteidigung in ihren Aufgabenkreis einschließen müssen. Eine NATO ohne zivile Aufgaben paßt nicht in die veränderte internationale Umwelt. Eine EG ohne Verteidigungsaufgaben wird nicht zu einer glaubwürdigen politischen Union werden.
Das vereinte Deutschland ist wichtiger Partner der Vereinigten Staaten. Aber wie mir scheint, ist dies nicht die Partnership in Leadership, zu der das damalige Westdeutschland 1989 von Präsident Bush in seiner Rede in Mainz eingeladen worden ist. Partnership in Leadership, dieses Konzept enthält die Vorstellung von zwei mächtigen Ländern, deren Führung gemeinsam die Richtung angibt, in die alle sich zu bewegen hätten. Ich glaube, daß ein solches Konzept weder dem amerikanischen noch dem deutschen Interesse entspricht. Amerikanisch-deutscher Bilateralismus wird zwangsläufig auf Kosten der Europäischen Gemeinschaft gehen, und damit schließlich auch auf Kosten der USA.
Ein vereinigtes Deutschland in einem geeinten Europa und dieses Europa als der natürliche Partner in Leadership der Vereinigten Staaten das ist die Vision, der wir folgen sollten.
Ich danke Ihnen.
({21})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ich befürchtet habe, ist leider eingetreten: Hier findet eine reine Wahlkampfdebatte statt. Ich kann nur sagen, daß ich das widerlich finde.
({0})
Der Anlaß dieser Sondersitzung ist nämlich völlig in den Hintergrund getreten. Es geht um die Menschenrechtsverletzungen und Massaker am kurdischen Volk. Es geht wieder einmal um bundesdeutsche Waffengeschenke in Milliardenhöhe und Polizeihilfe an die Türkei. Deutsche Waffen wurden eingesetzt bei den jüngsten Massakern in Kurdistan und auch im Irak. Und auch hierfür hat die Bundesregierung die Mitverantwortung. Das soll durch das Postengeschiebe verschleiert werden.
Die Darstellung der türkischen Regierung, aber auch die bundesdeutscher Politiker über die politische Situation vor den Newroz-Feiern in Kurdistan entsprach in keinem Punkt der Wahrheit.
({1})
- Vielleicht kann die Präsidentin mal für Ruhe sorgen, damit auch ich meinen Beitrag hier in Ruhe halten kann.
({2})
Ich bitte auch darum, daß mir das nicht von der Redezeit abgezogen wird. Es ist ja unerträglich, hier zu reden.
Frau Jelpke, ich bitte Sie, kurz zu unterbrechen, bis die Abgeordneten, die den Saal verlassen wollen, den Saal verlassen. Dann können wir weitermachen.
Ich konnte mir als Mitglied einer Delegation von medico-international selbst ein Bild von dem Terror der Sicherheitskräfte und des Militärs machen.
Daß die Kurden ihr traditionelles Neujahrsfest wieder feiern dürfen, wurde als großartige Liberalisierungsmaßnahme der türkischen Regierung angekündigt. Bundesdeutsche Politiker übernahmen diese Sprachregelung. Realität aber war und ist eine andere: Veranstaltungen, die allesamt, auch von PKK, friedlich geplant und angemeldet waren, wurden im Vorfeld verboten, erlaubt und wieder verboten. Kurden wurden in Vorbeugehaft genommen. Hochgerüstetes Militär und bewaffnete Sicherheitskräfte zogen auf, schossen schon beim Zeigen der kurdischen Fahnen auf die Feiernden und Demonstrierenden.
({0})
Ich möchte noch einmal um Ruhe im Saal bitten. Ich bitte Sie zuzuhören.
({0})
Allein in diesen Tagen gab es 200 Tote und Hunderte von Verletzten. Ich habe schwerverletzte Frauen, Kinder und Männer im Krankenhaus von Mardin besucht. Die Aggressivität der Militärs und Sicherheitskräfte habe ich selbst
erlebt: Schützenpanzer fuhren in friedliche Versammlungen hinein, auf Menschen wurde geschossen, und in brutalster und flächendeckendster Weise gab es Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.
Wir selbst erreichten nur mit Mühe und unter größten Schwierigkeiten die Städte Nusaybin, Cizre, Sirnak und Mardin. Verhaftungen und Verhöre, Schläge und Schikanen seitens der türkischen Sicherheitskräfte machten auch vor unserer Delegation nicht halt. Ich selber habe mit zwei kurdischen HEP-Abgeordneten eine mehrstündige Hausdurchsuchung erlebt. Wir wurden kurzerhand als Terroristen verdächtigt.
Daß es keine neuen Formen des demokratischen Umgangs auch mit türkischen Abgeordneten gibt, vor allen Dingen kurdischen, zeigt die Tatsache, daß zur Zeit gegen 22 HEP-Abgeordnete von der türkischen Justiz die Todesstrafe gefordert wird, weil sie für die Autonomie des kurdischen Volkes eingetreten sind.
Staatlicher Terror wird von der türkischen Regierung und dem Militär schon seit vielen Jahren gegen das kurdische Volk ausgeübt. Trotzdem wurden und werden Militär- und Polizeihilfe in gigantischem Ausmaße weiter gewährt. Die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei war immer zweitrangig. Für die Bundesregierung und auch für ihre Vorgängerinnen standen militärische, ökonomische und bündnispolitische Interessen immer im Vordergrund.
Unübersehbar waren dann auch die Ergebnisse dieser Politik bei dem Vernichtungsfeldzug gegen das kurdische Volk. Deutsche Waffen aus Ost und West wurden eingesetzt hei den Massakern, der Zerstörung von Häusern und Ortschaften sowie bei der gezielten Ermordnung von Oppositionellen. Das wurde im Fernsehen gezeigt. Auch wir haben Beweismaterial mitgebracht. Die Waffenlieferungen und die vielbeschworene vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung sind auf keinen Fall mit der angeblichen Liberalisierungspolitik Demirels zu rechtfertigen.
Das Versprechen, die Newroz-Feier nicht zu behindern, war pure Propaganda. Fast genauso ist es mit dem Versprechen, den Gebrauch der kurdischen Sprache ungehindert zuzulassen. Verschwiegen wird nach wie vor, daß die Kurden meistens Frauen - gar kein Türkisch können, sondern hauptsächlich Kurdisch können, daß die Kurden aber ihre Sprache nicht lehren dürfen.
Beschämend waren auch für mich die ersten offiziellen Stellungnahmen der Bundesregierung und einiger SPD-Politiker, in denen mit der türkischen Regierung um die richtige Methode der PKK-Bekämpfung gefeilscht worden ist, während in Kurdistan Menschen getötet und verletzt wurden. Tatsache ist, daß nach den Massakern die PKK-Guerilla vereinzelt bewaffneten Widerstand leistete.
Die Terrorismushysterie gegen die PKK wurde und wird durch bundesdeutsche Politiker fast wortgleich von der türkischen Regierung übernommen. Die breite Verankerung der PKK mag Ihnen oder der türkischen Regierung gefallen oder nicht. Statt hierzulande den Krieg gegen die PKK mit Worten zu
führen, sollten Sie sich für einen Dialog mit der PKK aussprechen und sich für eine politische Lösung auch gegenüber der türkischen Regierung einsetzen.
Alle Postenschieberei ist bloße Augenwischerei, solange die hier beschriebene Politik fortgesetzt wird. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Türkei in Sachen Militär- und Polizeihilfe muß endlich eingestellt werden. Statt dessen fordern wir gezielte finanzielle Wiederaufbauhilfen für zerstörte Stadtteile und Orte in Türkisch-Kurdistan, und endlich müssen auch hier im Bundestag das kurdische Volk und seine Rechte anerkannt werden.
({0})
Frau Präsidentin, zum Abschluß möchte ich Sie noch daran erinnern, daß wir um namentliche Abstimmung über unseren Entschließungsantrag betreffend Moratorium für deutsche Rüstungsexporte bitten. Vielleicht können Sie darüber abstimmen lassen.
Danke.
({1})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Ullmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Menschenrechte sind in Gefahr. Die Menschenwürde von kurdischen Frauen und Kindern wird durch Bombenangriffe verletzt und zerstört. Das ist leider nichts Neues in einem Jahrhundert, das einer seiner bedeutendsten Lyriker das Jahrhundert der Wölfe genannt hat. Es ist auch nichts Neues, daß es unter den mißhandelten Kurden welche gibt, die meinen, das ihnen widerfahrene Unrecht sei die Rechtfertigung für Terrorismus und Unmenschlichkeit mit umgekehrtem Vorzeichen.
Die Bundesregierung hat richtig gehandelt, wenn sie Waffenlieferungen an einen Staat unterband, der notorisch an Menschenrechtsverletzungen beteiligt war, und sie tat recht daran, auch wenn sie innerhalb der NATO mit diesem Staat verbündet ist. Es war darum nur angemessen, wenn diejenigen, die illegale Waffenlieferungen geduldet oder gefördert haben, ihre Verantwortung anerkannt und - wenn auch erst nach anfänglichem Zögern - ihre Ämter zur Verfügung gestellt haben.
Das alles ist nicht neu, sondern in gewissem Sinne sogar selbstverständlich. Neu ist, daß in der Weltöffentlichkeit an der Zuverlässigkeit deutscher Politik gezweifelt wird. Ich denke dabei nicht an die Begriffsfalschmünzerei dieser Regierung, die ständig von „Asylanten" spricht, wo es sich eindeutig um Flüchtlinge und Einwanderer handelt. Ich denke auch nicht an gewisse unqualifzierte Angriffe auf Bundesaußenminister Genscher in der türkischen Presse.
Nein, ich denke an Kommentare wie den in der „International Herald Tribune", in dem die deutschtürkischen Spannungen mit dem Waldheim-Besuch in München zusammengesehen werden und daraus die Folgerungen gezogen wird: Deutschland hat sich seit der Vereinigung gewaltig verändert. Natürlich meint
dieses namhafte Blatt nicht: im guten Sinne verändert.
Was ist hieran neu, und wie ist es dazu gekommen? Man kommt nicht vorbei an der Schlußfolgerung: Die Basis und die Prinzipien unserer Politik sind ins Zwielicht geraten. Das trifft leider schon für die Haltung gegenüber der Türkei zu. Noch im November werden vom Auswärtigen Amt Waffenlieferungen forciert, obwohl das Kurdenproblem schon damals die Weltöffentlichkeit beschäftigte. Auch wenn man von der im Herbst entstandenen türkischen Koalitionsregierung eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei erwarten durfte: Die Realität blieb bekanntermaßen bestimmt von jenem Antiterrorgesetz der Regierung, das mit demokratischen Normen schlechterdings unvereinbar ist.
Aber gerade in einer so komplizierten Verwicklung innen- und außenpolitischer Probleme bedarf es klarer Prinzipien und einer festen Basis, wenn politisches Handeln nicht in gefährliches Schlingern und den bedenklichen Ruf der Unzuverlässigkeit geraten soll.
Aber gerade daran hat es die Bundesregierung in zwei für den Charakter unserer Politik essentiellen Punkten in besorgniserregendem Umfang fehlen lassen. Ich spreche von der Begegnung Kohl-Waldheim und der Absage der für 1993 vorgesehenen UNO-Menschenrechtskonferenz in Berlin.
Wen ein privates Herrenkollegium in München als Gast einlädt, braucht den Deutschen Bundestag nicht zu beschäftigen. Völlig verändert aber ist die Situation, wenn der deutsche Bundeskanzler zur Begrüßung eines Gastes nach München eilt, der wegen seiner umstrittenen Vergangenheit bisher nur von islamischen Ländern und vom Vatikan empfangen und von den befreundeten USA ausdrücklich zur unerwünschten Person erklärt worden ist.
({0})
Hier gilt es eines klarzustellen: Kein deutscher Politiker wird je wieder die geschichtliche Tatsache außer Kraft setzen, daß die Menschenrechtspolitik dieses Landes an seinem Verhältnis zu den Juden und dem Judentum im Ganzen gemessen wird.
({1})
Ich kann nicht umhin, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß ein Präsident dieses Hohen Hauses, der außerhalb jeden Verdachts antijüdischer Gesinnung oder Handlungsweise stand, von der öffentlichen Empörung zum Rücktritt gezwungen wurde, weil er sich in einem Moment, in dem Klarheit und Eindeutigkeit oberstes Gebot waren, mißverständlich ausgedrückt hatte.
Der Bundeskanzler hat es im Gegensatz dazu an Eindeutigkeit nicht fehlen lassen. Er hat sich für seine Begegnung mit Waldheim ausdrücklich auf seine Kanzlerkompetenz berufen, und er hat, auf Kritiken von jüdischer Seite reagierend, den Jüdischen Weltkongreß kurzerhand der Komplizenschaft mit dem SED-Regime verdächtigt.
Das läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und ist zugleich eine Sprache, die aus dem Munde eines deutschen Bundeskanzlers nicht hingenommen werden kann.
({2})
Der Herr Bundeskanzler sei hiermit öffentlich aufgefordert, wenigstens durch eine nachträgliche Interpretation klarzustellen, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht der Meinung ist, sie sei nunmehr, nach der Vereinigung aller deutschen Länder, neuerdings in der Lage, ungestraft Juden gegenüber die Sprache der öffentlichen Diffamierung sprechen zu können.
({3})
Nicht besser, meine Damen und Herren, ist es um die Absage der UNO-Menschenrechtskonferenz bestellt. Die Welt traute ihren Ohren nicht, als sie von der Bundesregierung, der Regierung eines der reichsten Länder der Welt, zu hören bekam, die ganze Veranstaltung sei ihr etwas zu teuer. Es ist schlicht eine Schande.
({4})
Ich schäme mich, daß so etwas möglich war, und sehe aus dieser internationalen Blamage nur einen Ausweg. - Aber ich sage vorher noch: Der Herr Bundeskanzler hat ja vorhin über Materialismus philosophiert. Ich muß hier die Bemerkung einfügen: Was der Bundesregierung vorzuwerfen ist, ist doch nicht etwa zuwenig, sondern zuviel Materialismus. -({5})
Um die eingetretene internationale Blamage abzuwenden, gibt es nur eine einzige Möglichkeit: daß die Frage erneut aufgegriffen und so entschieden wird, wie es einem Land angemessen ist, dessen Volk sich in seiner Verfassung zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt.
Es steht dahin, ob die UNO dann noch in dieses Land wird kommen wollen. Aber jedenfalls könnte der Satz der „International Herald Tribune" dann in einem ganz anderen Sinne wahr werden: Deutschland hat sich seit der Vereinigung verändert. Es hat sich verändert, weil zu Gestapo- und Wannsee-Akten die Stasi-Akten hinzugekommen sind und die neue Topographie des Terrors unser Gewissen noch empfindlicher gemacht hat für unsere Verantwortung gegenüber den Juden als dem unauslöschlichen Paradigma aller Opfer politischer Unmenschlichkeit und den Vereinten Nationen als Kern einer auf der Basis der Menschenrechte lebenden Völkerdemokratie.
Ich danke Ihnen.
({6})
Als nächster hat der Abgeordnete Rudi Walther das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir leid, aber ich muß die Debatte auf ihren eigentlichen Ausgangspunkt zurückführen: auf den in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus einmaligen Vorgang, daß ein Bundesminister eine durch Parlamentsbeschluß zum Teil des Haushaltsgesetzes gewordene Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses inhaltlich unterlaufen hat. Er, Herr Kollege Stoltenberg, ist damit ohne daß ihm zunächst einmal persönlicher Vorsatz nachgewiesen werden kann, zum Gesetzesumgeher geworden.
Ehe ich zur Genese dieses einmaligen Vorgangs komme, will auch ich Ihnen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, meinen persönlichen Respekt vor Ihrer politischen Lebensleistung nicht versagen.
({0})
Wir - auch ich - hatten mit Ihnen manchen politischen Streit; wohl wahr. Wir haben Ihnen manche - aus unserer Sicht - politischen Fehler vorgehalten. Aber ich will auch feststellen, daß die gegenseitige persönliche Respektierung darunter nicht gelitten hat.
({1})
Ihr jetziger Rücktritt ist zwar viel zu spät erfolgt. Gleichwohl wünsche ich Ihnen für Ihr jetzt beginnendes Lebensalter mehr Glück als in Ihrem bisherigen politischen Amt;
({2})
vor allem aber wünsche ich Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, viel Gesundheit und daß Sie jetzt alles das tun können, woran die Politik Sie bisher gehindert hat.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Pannenregister dieser Regierung wird immer länger. Das Bundesministerium der Verteidigung hat an diesem Register den größten Anteil. Von Herrn Wörner über Herrn Scholz bis zur letzten Panne - eine Panne nach der anderen.
({4})
Dabei wurden fünf beamtete Staatssekretäre verschlissen von den Parlamentarischen will ich erst gar nicht reden -; die sind alle - das waren gute Leute - im Ruhestand und belasten jetzt Steuerzahlers Kasse.
({5})
Nein, meine Damen und Herren, eine solche Politik haben die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr nicht verdient.
({6})
Im übrigen ist das reihenweise Zurruhesetzen von Staatssekretären und hohen Beamten für den Steuerzahler viel zu teuer, auch angesichts der desolaten Situation der öffentlichen Haushalte in Deutschland.
({7})
Ich kann nicht erkennen, daß der Kollege Rühe noch hier ist; sonst würde auch ich ihm wünschen, daß er schnell aus den vielen Fehlern der Vorgänger lernt. Denn wenn er nicht ganz schnell lernt, sich im und gegen den Apparat durchzusetzen, wird auch er sehr schnell scheitern.
Zur Erinnerung nur drei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: erstens die geheimnisumwitterte Verschiffung von zum landwirtschaftlichen Gerät umdeklarierten Panzern nach Israel - entgegen der Weisung von Staatssekretär Pfahls.
({8})
- Sie gefallen Ihnen nicht, ich weiß das. Aber man muß es Ihnen trotzdem vorhalten. Insbesondere Herr Rühe muß wissen, worauf er achten muß.
Zweitens die Verscherbelung von überflüssigen NVA-Waffen hinter dem Rücken des Parlaments an andere Länder, insbesondere an die Türkei, die diese dann auch noch gegen die drangsalierte kurdische Bevölkerung einsetzte. Dabei ist noch die Frage zu klären, inwieweit der Einsatz dieser Waffen in Südostanatolien auch noch gegen die KSE-Akte von Paris verstößt und damit internationales Recht gebrochen wird.
({9})
Das letzte Beispiel, der Vorgang, der Anlaß der heutigen Debatte ist - hierzu die Chronologie -: Am 30. Oktober 1991 haben wir uns auf Antrag der SPD mit der beabsichtigten Sperre - Herr Kollege Dr. Hennig, Sie waren dabei - beschäftigt. Sie und Ihr Ministerium haben sich damals, wenn auch mehr formal als inhaltlich, noch gegen diese Empfehlung gewandt. Dann haben Sie am 7. November 1991, als sich herausstellte, daß es eine einstimmige Annahme der Empfehlung gab, zugesagt, daß Sie „diesen Beschluß nicht unterlaufen" würden.
Ich sage Ihnen: Sprache ist verräterisch. Eine solche Formulierung läßt zumindest eine innere Distanzierung von dem Inhalt dieses Beschlusses erkennen.
({10})
Seitdem hat es eine Menge Interventionen von türkischer Seite gegeben. Der türkische Botschafter war bei allen möglichen Abgeordneten. Der türkische Außenminister war beim Bundeskanzler. Friedrich Bohl, der Minister im Kanzleramt, hat mir einen Brief geschrieben, man möge doch einmal über die Aufhebung der Sperre nachdenken. Das läßt zumindest die
Rudi Walther ({11})
Frage zu, ob denn nicht auch das Bundeskanzleramt auf das Verteidigungsministerium eingewirkt hat;
({12})
denn die Zusage des Bundeskanzlers gegenüber dem türkischen Außenminister, sich für eine Aufhebung der Sperre einsetzen zu wollen - so wörtlich protokolliert , kann immerhin zu dem Verdacht führen, daß das Kanzleramt auch nicht ganz unschuldig an dem Vorgang ist.
({13})
Ich bin dem Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens ausdrücklich dankbar, daß er mit seiner Entsperrungsvorlage die Wahrheit ans Licht gebracht hat.
({14})
Denn er hat uns mitgeteilt, die Panzer seien nun geliefert und deshalb müsse entsperrt werden. Manfred, herzlichen Dank dafür, daß du der deutschen Öffentlichkeit reinen Wein eingeschenkt hast.
({15})
Nur, die Begründung, nun müsse entsperrt werden, war natürlich ein bißchen mager, wenn ich auch gern zugeben will, Kollege Carstens: Mir wäre vielleicht auch keine bessere eingefallen.
Ich will die Gelegenheit wahrnehmen, den Bundesminister der Finanzen, der ausdrücklich für die Einhaltung des Haushaltsrechts zuständig ist, aufzufordern, nicht jede Vorlage aus dem Verteidigungsministerium unbesehen an den Haushaltsausschuß weiterzuleiten, wie es in diesem Fall geschehen ist.
({16})
Bloßes Weiterleiten von Unterlagen darf nicht zur Regel werden; denn der Bundesfinanzminister hat eine besonders hohe Verantwortung für die Einhaltung des Haushaltsrechts.
({17})
Als dann der Vorgang öffentlich wurde, wollte es von der politischen Spitze keiner gewesen sein. Nicht Herr Hennig, nicht Herr Stoltenberg, keiner wollte es gewesen sein. Nun fällt es mir schwer, von einem Bauernopfer zu reden; denn Herr Ruppelt, über den ich jetzt reden will, war in Ihrem Ministerium ganz gewiß kein Bauer, sondern mindestens ein Turm. Jedenfalls blieb das Ganze an Wolfgang Ruppelt hängen. Man war richtig froh; man hatte den gefunden, der schuld war. Er hat es in seiner honorigen Art und Weise auch auf sich genommen, wofür ich ihm hohen Respekt zolle.
({18})
Nur, ich sage Ihnen: Dem Kollegen Rühe wird Herr Ruppelt noch bitter fehlen.
Nun dachte der Kollege Stoltenberg, mit diesem Trick sei er den ganzen Schlamassel los.
Nicht bessere Einsicht, sondern das verheerende Presseecho hat ihn dann am Tag, nachdem er das Bauernopfer gefunden hatte, zu dem längst überfälligen Rücktritt gebracht.
Deshalb sei auch hier noch einmal in das Stammbuch eines jeden politisch Verantwortlichen, gleich, welcher parteipolitischer Couleur, geschrieben: Politische Verantwortung reicht viel weiter als juristische. Die ausdrückliche Akzeptanz von politischer Verantwortung ist essentieller Bestandteil politischer Kultur,
- die ja leider immer mehr verkommt.
Ich sage Ihnen, Kollege Stoltenberg: Hätten Sie sich so verhalten wie einer Ihrer Vorgänger, nämlich Georg Leber, dann wäre Ihnen und uns viel erspart geblieben.
({19})
Wir wollten gestern im Haushaltsausschuß nicht nur, wie es dann einvernehmlich geschehen ist, das Ministerium um einen - hoffentlich objektiven - ausführlichen Bericht über die Verfahrensabläufe, die Informationsstränge und die darin steckenden Knoten bitten, sondern auch den parteipolitisch völlig unverdächtigen Bundesrechnungshof bitten, eine begleitende Prüfung durchzuführen. Aus welchem Grunde Sie das abgelehnt haben, bleibt Ihr Geheimnis.
({20})
- Nein, lieber Kollege Hans-Werner Müller. Bei der Erklärung, die ihr abgegeben habt, hat euch doch das schlechte Gewissen aus den Augen geguckt.
({21})
- Charly, halte dich da raus! Du warst nicht dabei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir geben Ihnen heute durch unseren Antrag, der nachher zur Abstimmung stehen wird, die Gelegenheit, diesen Fehler wiedergutzumachen, d. h. mit uns gemeinsam die Bitte an den Bundesrechnungshof zu übermitteln, daß er die begleitende Prüfung dieses Berichts vornimmt.
Falls Sie auch diesen Antrag ablehnen, müssen wir öffentlich fragen, welche Gründe Sie haben, diese Ablehnung durchzusetzen, und was nach Ihrer Vermutung möglicherweise noch herauskommt, wenn der Bundesrechnungshof prüft.
({22})
Volker Rühe möchte ich noch folgendes mit auf den Weg geben: Unter der Führung der Vorgänger ist der Primat der Politik in schleichender Weise immer mehr zurückgedrängt worden. Die Arroganz von Angehörigen des Verteidigungsministeriums insbesondere im Verteidigungsausschuß gegenüber Parlamentariern ist gewachsen. Ich sage, Kollege Rühe - wenn Sie zuhören könnten -: Sorgen Sie doch bitte dafür, daß der Primat der Politik auf der Hardthöhe wieder voll in seine Rechte eingesetzt wird!
({23})
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode
Rudi Walther ({24})
Treiben Sie Ihrem Generalinspekteur seine Ideen über weltweite Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr auf vielen Gebieten aus, die weit über das militärisch Notwendige und das verfassungsmäßig Zulässige hinausgehen.
({25})
Treten Sie dem Eindruck entgegen, es gebe auf der Hardthöhe Verantwortliche, die dem Gedanken, am deutschen Wesen müsse die Welt wieder einmal genesen, nähertreten wollen!
({26})
Auf den Kollegen Rühe wartet eine Herkulesaufgabe, auch deshalb, weil sein Vorgänger sie nicht schulterte. Es ist ganz selbstverständlich - ich sage es noch einmal -, daß auch die Opposition ihm bei dieser mit Schleudersitzen wahrlich gepflasterten Aufgabe viel Glück wünscht.
({27})
Zum Schluß: Unsere Freundschaft mit dem türkischen Volk darf unter diesem abenteuerlichen Vorgang nicht leiden. Wir bitten aber auch den türkischen Staatspräsidenten und die türkische Regierung, dafür zu sorgen, daß alle friedliebenden Kurden in der Türkei ein Leben in kultureller, sprachlicher, geistiger und demokratisch gesicherter Freiheit führen können. Dann besteht die Hoffnung, daß diese Affäre doch nur eine Episode bleibt.
Schönen Dank.
({28})
Es spricht Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
Herr Kollege Walther, Ihr Fraktionsvorsitzender hat einleitend in dieser Debatte schon gesagt, daß Ihr Beitrag überflüssig war, jedenfalls habe ich Sie, Herr Klose, so verstanden, auch wenn Sie sich selbst nicht daran gehalten haben.
({1})
- Ach, Sie mißverstehen Ihren Fraktionsvorsitzenden öfters; diesen Eindruck haben wir in den letzten Wochen gehabt.
({2})
Ihr Beitrag war aber vor allen Dingen auch deswegen überflüssig, weil gestern unter Ihrem Vorsitz der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, wenn ich richtig unterrichtet bin, doch einstimmig, also auch mit Ihren Stimmen, beschlossen hat, die entsprechenden Berichte des Bundesministeriums für Verteidigung bis Ende April anzufordern und dann darüber zu befinden. Was soll das also hier?
({3})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Bitte sehr.
Kollege Dr. Schäuble, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dies, was Sie hier zu Recht vorgetragen haben, nur ein Teil der Geschichte war und daß der zweite Teil, der Antrag, den Bundesrechnungshof um eine begleitende Prüfung zu bitten, von der Mehrheit abgelehnt wurde?
Herr Kollege Walther, wenn ich von den Kollegen meiner Fraktion richtig unterrichtet bin, war doch die Beschlußfassung im Haushaltsausschuß - unter Ihrem Vorsitz, deswegen müßten Sie es auch wissen - so - Rudi Walther ({0}) ({1}): Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Schäuble: Darf ich darauf aufmerksam machen, daß, weil ich mich an der Debatte beteiligt hatte, der Kollege Rose den Vorsitz geführt hat.
Gut, jedenfalls waren Sie aber anwesend.
({0})
Es spielt ja auch gar keine Rolle; die Beschlußfassung - ({1})
- Die Frage, wer den Vorsitz in diesem Augenblick im Haushaltsausschuß geführt hat, spielt wohl keine entscheidende Rolle.
({2})
Die Beschlußfassung im Haushaltsausschuß ist mit Ihren Stimmen gewesen, daß die entsprechenden Berichte bis zum 30. April angefordert werden sollen und daß danach im Haushaltsausschuß befunden wird, ob der Rechnungshof eingeschaltet werden soll oder nicht. So bin ich unterrichtet.
({3})
Nun, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, würde ich gern auch von dieser Stelle aus noch einmal ein Wort des Dankes an Gerhard Stoltenberg für seine
Leistungen insbesondere als Bundesminister der Verteidigung sagen.
({4})
Ich verbinde damit zugleich die guten Wünsche an Volker Rühe,
({5})
der sich wegen einer dringenden Verpflichtung ab 12 Uhr entschuldigen mußte. Ich bin darüber unterrichtet. Das ist in solchen Tagen, wo man ein solches Amt neu übernimmt, verehrte Kolleginnen und Kollegen auch von der SPD, gelegentlich so, daß man zwingende terminliche Verpflichtungen hat. Ich respektiere, daß Volker Rühe die Sitzung des Bundestages gegen 12 Uhr verlassen mußte,
({6})
und wünsche ihm dennoch in seinem wichtigen und schwierigen, schönen und verantwortungsvollen Amt für die CDU/CSU-Fraktion von Herzen alles Gute.
({7})
Es ist im übrigen gut, daß die Regierungserklärung des Bundeskanzlers dazu beigetragen hat, daß wir den Blick wieder etwas mehr auf das Wesentliche der deutschen Politik lenken,
({8})
in einer Zeit, in der große Veränderungen in Deutschland und Europa für uns mitten in Europa Aufgaben, Verantwortung und Chancen bedeuten, die wir wahrnehmen, die wir erkennen und denen wir gerecht werden müssen.
Der Besuch des polnischen Staatspräsidenten in diesen Tagen gehört wohl zum Wesentlichen der deutschen Politik. Ich glaube, daß für das, was wir jetzt in Europa zustande bringen wollen, die deutschpolnische Aussöhnung von einer ganz besonderen Bedeutung ist.
({9})
Ich denke, auch bei diesem Besuch ist sichtbar geworden, daß unsere Politik richtig ist: in Europa nicht mehr um Grenzen zu streiten und Grenzen verändern zu wollen, sondern Grenzen durchlässig zu machen, damit die Menschen diesseits und jenseits von Grenzen friedlich und freundschaftlich und in guter Nachbarschaft miteinander leben können. Dies ist auch der beste Weg, um Minderheitenprobleme in Europa und weit darüber hinaus zu lösen.
Deswegen sind wir auch in unserer Fürsorge für die Deutschen jenseits von Oder und Neiße auf diesem Weg in diesen Jahren gut vorangekommen.
Ich hoffe, daß dieses Beispiel auch in anderen Teilen Europas Schule macht. Ich wünsche mir so sehr, daß es auch für die so schwierig zu lösenden Anliegen des kurdischen Volkes ein Weg ist, um die Probleme zu lösen. Denn einen Weg der Gewalt gibt es weder für die einen noch für die anderen.
({10})
Ich denke, es ist gut, daß in dieser Debatte vom Bundeskanzler und von Gerhard Stoltenberg, auch
vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion und von Graf Lambsdorff, die Bedeutung unserer Beziehungen zur Türkei, die Wichtigkeit der Rolle der Türkei für unsere gemeinsame Entwicklung in Europa und darüber hinaus gewürdigt worden ist. Es ist gut und wichtig, daß wir uns unserer Verantwortung für diese Beziehungen auch im Rahmen unseres Atlantischen Bündnisses bewußt bleiben und entsprechend danach handeln.
Nur, Herr Kollege Klose, wenn Sie davon gesprochen haben ich suche gerade das, was ich mir während Ihrer Rede aufgeschrieben habe -, daß die Zweifel an der Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland als Bündnispartner wachsen würden,
({11})
dann müssen Sie noch einmal darüber nachdenken, ob solche Zweifel, wenn es sie denn gibt, nicht im wesentlichen dadurch geschürt werden, daß die große Oppositionspartei in diesem Bundestag diese Zweifel nährt.
({12})
An der Verläßlichkeit von CDU/CSU, dieser Bundesregierung, dieser Koalition von CDU/CSU und F.D.P. als Bündnispartner im Atlantischen Bündnis hat niemand im Ausland wie im Inland jemals zu zweifeln Anlaß gehabt.
({13})
Wenn wir uns über Zweifel an der Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland als Bündnispartner Sorgen machen, müssen wir über die Fragen notwendiger Rüstungskooperation im Atlantischen Bündnis in einer differenzierteren Weise nachdenken und reden, als Sie, Herr Klose, es heute getan haben.
({14})
Wenn Sie Rüstungskooperation ausschließlich mit Industrieinteressen gleichsetzen, dann werden Sie dem Anliegen einer verläßlichen Zusammenarbeit im Bündnis nicht gerecht.
({15})
Es geht nicht nur um Industrieinteressen, sondern darum, daß wir im Atlantischen Bündnis zur Rüstungskooperation auch in Zukunft fähig bleiben müssen.
Richtig ist natürlich auch - darüber besteht zum Glück kein Dissens; ich will es noch einmal unterstreichen -, daß die gelieferten Waffen nur im Rahmen der vertraglichen Zweckbindung eingesetzt werden dürfen. Darauf müssen wir auch gegenüber der Türkei bestehen; darüber besteht überhaupt kein Dissens.
Beides aber gehört zusammen. Ein einseitiger Stopp jeder Rüstungskooperation ist kein Weg, der uns als Bündnispartner zuverlässig macht und der den Notwendigkeiten europäischer wie atlantischer Zusammenarbeit gerecht wird.
Im übrigen liegt mir daran, daß wir auch in dieser Debatte noch einmal klarmachen, daß die Bundeswehr ebenso wie die Streitkräfte unserer Verbündeten auch in Zukunft für Frieden, Sicherheit und Freiheit unverzichtbar ist und daß die Soldaten der
Bundeswehr Friedensdienst für uns alle leisten, für den wir ihnen danken.
({16})
Letztlich, so scheint mir bei den Aufregungen dieser Tage, wird in vielem sichtbar, wie schwer es uns Deutschen noch immer fällt, den großartigen Veränderungen und Chancen der letzten Jahre durch die deutsche Einheit und nach dem Ende des Ost-WestKonflikts auch mit den ganz eigenen und neuen Verantwortungen gerecht zu werden.
({17})
Wir erleben in Fragen der Rüstungskooperation, der Zusammenarbeit im Atlantischen Bündnis, der europäischen Zusammenarbeit die Strategie Ihres Herrn Lafontaine, eine Verweigerungsstrategie nach dem Gipfel von Maastricht.
({18})
Das alles hat mit den Veränderungen in Deutschland und Europa zu tun,
({19})
und es hat mit den prioritären Verantwortlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland zu tun.
Wenn Sie in der Endphase der Landtagswahlkämpfe eine so unglaubliche Neid-, Angst- und Diffamierungskampagne führen, wie Sie es zur Zeit tun,
({20})
dann hat das mit den Verantwortlichkeiten in Deutschland zu tun.
({21})
Sie haben das Erbe von Lafontaine aus dem Jahr der deutschen Einheit, der die Einheit nicht wollte, jedenfalls nicht so schnell, noch immer nicht überwunden.
({22})
Noch immer wird den Deutschen in den neuen Bundesländern die Hoffnungslosigkeit und zugleich den Menschen in den alten Bundesländern die unmittelbar bevorstehende Verelendung eingeredet. Nichts davon entspricht der wirklichen Lage.
({23})
Wahr ist, daß wir eine einmalige geschichtliche Aufgabe in kurzer Zeit bewältigen müssen und daß wir uns deswegen auf die Durchsetzung der notwendigen Prioritäten zu konzentrieren haben. Wahr ist auch, daß dies für die nächsten Jahre unsere wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte in ungewöhnlichem Maße fordern wird, so daß eben nicht die Zeit für neue große Verteilungskämpfe ist.
Aber wahr ist auch, daß wir es schaffen können und daß die Diffamierungskampagnen hinsichtlich neuer Steuererhöhungen und großer Abgabenkürzungen,
die angeblich vorgesehen seien, alle nicht der Wahrheit entsprechen.
({24})
Wie kann man denn in Anzeigen im baden-württembergischen Wahlkampf vom Rentenbetrug sprechen, wenn man die Rentenreform noch vor einem Jahr im Konsens aller demokratischen Kräfte in diesem Hause verabschiedet hat!
({25})
Das ist ein derartiges Maß an Doppelzüngigkeit und Heuchelei. In Wahrheit schüren Sie damit Ängste, und Sie betreiben das Geschäft der Radikalen in diesem Lande.
({26})
Wer heute den Menschen unverantwortlich Ängste einredet, darf sich nicht wundern, wenn damit radikale Kräfte in diesem Lande gestärkt werden.
({27})
Lieber Herr Klose, ich finde, nach den schweren
Monaten, die Sie in ihrer Fraktion hatten, haben Sie
Sie wollten sich zwar im Bundestag an mir reiben, wie ich gelesen habe, haben das aber heute nicht so arg getan - noch ein bißchen Anspruch auf Schonung durch mich, weil Sie es so schwer mit Ihren Fraktionskollegen haben.
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?
Nein, ich möchte gerne ein paar Sätze - ({0})
Herr Kollege Klose, es geht aber nun wirklich nicht, zu sagen, die Regierung habe in der Asylpolitik nicht einen einzigen Vorschlag vorgelegt, und dann zu erwarten, daß wir Ihnen das auch noch abnehmen und nicht sagen, daß Sie offenbar die letzten zehn Jahre an der deutschen Politik nicht teilgenommen haben. Das geht ein bißchen weit.
({1})
Im übrigen ist die Wahrheit: Sie betreiben mit Ihrer Angstkampagne das Geschäft der Radikalen in diesem Lande.
({2})
Sie betreiben es auch, weil Sie seit Jahr und Tag die notwendige Zusammenarbeit in der Asylpolitik verweigern.
({3})
7198 Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode
Je schneller Sie diese Verweigerungs- und Blockadehaltung aufgeben, desto besser sind unsere Möglichkeiten,
({4})
das Anwachsen radikaler Kräfte von links oder von rechts in diesem Lande gemeinsam zu bekämpfen.
({5})
Wir sollten alle gemeinsam zweierlei zugleich tun: Wir sollten an unsere Mitbürger appellieren, daß sie auch verständliche Verärgerung über dieses oder jenes nicht zum Anlaß nehmen, radikalen Kräften in unserem Lande ihre Zustimmung zu geben,
({6})
weil damit die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verantwortung nicht gerecht werden kann.
Aber wir sollten auch in gemeinsamer Verantwortung die Probleme lösen, die unsere Bürger beschäftigen und beunruhigen. Beides gehört zusammen.
({7})
Wir sollten die Lage nicht schlechterreden, als sie ist.
({8})
Es gibt keinen Grund zu Weltuntergangsstimmung oder Defätismus. Wir haben alle Chancen, das großartige Geschenk der Geschichte, die deutsche Einheit, das Ende des Ost-West-Konfliktes, das Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, für eine Zukunft in Frieden, Freiheit, in wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Sicherheit zu nutzen. Es gibt keinen Grund, den Menschen Angst einzureden,
({9})
sondern es gibt allen Grund, verantwortlich zu handeln, gemeinsam Verantwortung wahrzunehmen, aber den Bürgern auch Zuversicht zu vermitteln.
Ich denke, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte hat uns Deutschen zum Ende dieses Jahrhunderts eine ungeheure Gnade erwiesen. Wir haben die Gunst der Geschichte auch genutzt - entschlossen, tatkräftig und mit viel Mut. Wir sollten uns jetzt alle miteinander auch durch Zuversicht und durch entschlossenes Handeln der Gunst der Geschichte würdig erweisen.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Schäuble, Ihre böse, Ihre infame Rede bedarf einer kurzen Erwiderung.
({0})
Sie verwechseln den Ort und den Anlaß, aus dem wir uns heute treffen. Sie kommen vielleicht in einer CDU-Parteiveranstaltung mit dem durch, was Sie hier sagen. Aber das hier ist der Deutsche Bundestag.
Es geht heute auch nicht darum, ein verdientes CDU-Mitglied zu verabschieden, sondern es geht um die Verantwortlichkeit eines auf unsere Verfassung vereidigten Bundesministers, und dazu habe ich von Ihnen nichts gehört.
({1})
Vor allen Dingen aber - das sage ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden der größten Fraktion im Deutschen Bundestag - geht es darum, daß der Deutsche Bundestag über alle Parteigrenzen hinweg heute feststellt, daß wir gedenken, unsere verfassungsgemäßen Pflichten und Rechte wahrzunehmen.
Sie hätten es so leicht gehabt, vier Feststellungen zu treffen, nämlich: Erstens. Wir lassen es nicht zu, daß die Regierung am Deutschen Bundestag vorbei handelt und ihn täuscht.
({2})
Zweitens. Wir lassen es nicht zu, daß ein Verteidigungsminister oder ein Staatssekretär illegal Waffen exportiert.
({3})
Drittens. Wir wollen nicht, daß mit deutschen Waffen immer mehr Flüchtlinge in unser Land gebombt werden, meine Damen und Herren.
({4})
Wir hoffen, daß Sie Ihre infame Asylkampagne bald abbrechen. Wenn der braune Sumpf am Sonntag in die Parlamente gespült wird, werden Sie ein gerütteltes Maß an Verantwortung dafür tragen.
({5})
Viertens. Meine Damen und Herren, der Rücktritt des Verteidigungsministers und seines Parlamentarischen Staatssekretärs ist ein erster Schritt. Jetzt muß volle Aufklärung auf den Tisch; jetzt müssen vor allen Dingen alle nötigen Konsequenzen gezogen werden. Dafür stellen wir heute unseren Antrag. Meine Damen und Herren, wenn Sie das Parlament ernst nehmen, werden Sie dem zustimmen müssen.
Dr. Herta Däubler-Gmelin Danke schön.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Gerster.
Frau Däubler-Gmelin, „Veritas facit pacem", „Die Wahrheit schafft Frieden".
({0})
- Ich finde es schon bemerkenswert, daß Sie mich gar nicht zu Wort kommen lassen, wenn ich hier die Wahrheit anspreche.
Die Behauptung, daß ein Minister oder ein Staatssekretär wissentlich-willentlich illegal Waffen geliefert habe, ist die reine Unwahrheit. Sie sollten das zurücknehmen.
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Ein zweiter Punkt, wenn wir gerade dabei sind: Frau Däubler-Gmelin, ich selbst war bei den Gesprächen im Bundeskanzleramt im Oktober letzten Jahres dabei, Sie ja auch. Sie wissen ganz genau Ihr Fraktionsvorsitzender Klose weiß es ebenfalls -, daß wir in diesen Gesprächen eine Bestandsaufnahme in bezug auf Maßnahmen gemacht haben, die im Asylbereich getroffen werden müssen. Da hörte der damalige Innenminister Schäuble von Ihnen den Vorwurf, er mache zwar zum Asylverfahrensrecht Vorschläge, er habe aber noch keinen Vorschlag z. B. zu einer Ergänzung des Art. 16 des Grundgesetzes gemacht.
Auf Ihre Forderung hin hat dann der Innenminister Schäuble einen Tag danach - am 11. Oktober - eine Grundgesetzergänzung in der ausformulierten Form vorgelegt, was wiederum zu Ihrem Vorwurf führte, er torpediere die Vereinbarung bei Kohl mit dieser Formulierung.
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Die Behauptung, es gebe keine Vorschläge zu einer grundlegenden Änderung des Asylverfahrensrechts und zur Änderung des Grundgesetzes - von Ihnen erhoben -, ist falsch. Sie sagen wissentlich die Unwahrheit.
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Dritte Feststellung. Wer so in den Saal ruft, darf sich nicht wundern, wenn auf einen groben Klotz ein grober Keil gesetzt wird.
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Frau Däubler-Gmelin, ich weise Ihre disqualifizierenden Äußerungen gegenüber unserem Fraktionsvorsitzenden zurück. Ich bin der Meinung, daß Sie zur Wahrheit zurückfinden und Ihre Beschimpfungen einstellen sollten.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gysi.
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Wissen Sie, Ihre ganze Unqualifiziertheit wurde schon deutlich, als hier eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages gesprochen hat, die als einzige von uns wirklich anwesend war, als die Massaker stattfanden; wenn Sie wirklich Interesse an den Menschen dort und an den Menschenrechten gehabt hätten, hätten Sie wenigstens bei dieser Gelegenheit einfach einmal zuhören können.
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Anlaß für die Sitzung ist bekanntlich die illegale Lieferung von 15 Panzern in die Türkei.
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Hier darf vielleicht auch einmal erwähnt werden, daß es der parlamentarischen Arbeit der PDS/Linke Liste zu verdanken ist, daß dies bekannt wurde, wenn auch andere versuchen, jetzt den Ruhm dafür einzustreichen.
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Ungerecht ist es allerdings, hinsichtlich dieser illegalen Lieferung die Verantwortung allein im Verteidigungsministerium zu sehen. Das Finanzministerium hat zumindest seine Kontrollpflicht nach dem Haushaltsgesetz verletzt. Das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt ergriffen Initiativen zu diesen Waffenlieferungen, gaben Versprechen an türkische Politiker; so auch der Bundeskanzler gegenüber dem türkischen Außenminister.
Gerade beim Finanzministerium wundere ich mich sehr, daß diesbezüglich relativ wenig geprüft wird; denn die führenden Vertreter dieses Ministeriums haben an den beiden entscheidenden Beratungen des Haushaltsausschusses teilgenommen, und es hätte ihnen deshalb auffallen müssen, als sie die Vorlage mit dem Entsperrvermerk zur Lieferung dieser Waffen bekamen, und sie haben eben nichts kontrolliert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß deutsche Beamte das einfach so umgehen, wenn sie dazu nicht eine höhere Weisung hatten, und die würde ich gerne einmal kennenlernen. Ich finde, das gehört auch zur Aufklärungspflicht.
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Aber ich frage auch, ob das alles wirklich mit Rücktritten geklärt werden soll. Sind die Probleme lösbar, indem Waigel, Genscher, Bohl, Kohl zurücktreten? Ich glaube, nicht. Ich glaube auch nicht, daß es in erster Linie um diese 15 Panzer geht; denn der Waffenexport aus der Bundesrepublik ist ja nur zum geringsten Teil illegal. 97 % der Exporte erfolgen legal.
Die kurdische Zivilbevölkerung wird auch mit deutschen Waffen gemordet, aber überwiegend eben mit legal gelieferten Waffen. Ich wundere mich, daß der Einfluß auf den Kanzler seitens der türkischen Regierung offensichtlich schon so groß ist, daß er sich aus diplomatischen Gründen nicht einmal mehr wagt, hier im Bundestag das Wort „Kurden" in den Mund zu nehmen und die Unterdrückung dieses Bevölkerungsteils bis hin zum Mord deutlich zu verurteilen. Die Formulierung „Konflikt" trifft das Geschehen dort nicht.
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Wir bekommen jetzt vorgeführt, was auch das Ergebnis von Waffenexporten in ein NATO-Partnerland sein kann. Dieses NATO-Partnerland ist in den letzten Monaten von der Bundesregierung erheblich hochgerüstet worden; seit 1980 im Umfange von 4 Milliarden DM.
Es ist wahr: Auch die früheren Regierungen haben sich ähnlich verhalten. Es ist auch wahr, daß es wenig hilft, in Verträge hineinzuschreiben, zu welchem Zweck Waffen verwendet werden dürfen, wenn sie erst einmal exportiert sind. Wer Waffen exportiert, muß sich damit abfinden, daß sie in dem Lande so angewandt werden, wie es die dort Verantwortlichen wünschen. Das ist eine Tatsache.
Deshalb waren und bleiben wir Gegner des Waffenexports überhaupt und sind nach wie vor dafür, das im Grundgesetz entsprechend zu verankern. Ich glaube auch, daß es der SPD schwerfallen wird, in Anbetracht der Ereignisse in der Türkei zu begründen, weshalb im Grundgesetz der Waffenexport nur außerhalb der NATO verboten werden soll. Er richtet eben auch bei einem NATO-Partner Türkei größten Schaden an und - wie Sie richtig gesagt haben - bringt zusätzlich Flüchtlinge auch in die Bundesrepublik Deutschland.
Es macht mir auch Sorgen, wie diese Debatte genutzt wird, um die Blauhelm-Diskussion fortzusetzen. Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD sagt, man kann mit der SPD darüber reden, aber der zweite Schritt darf nicht festgeschrieben sein, dann heißt das wohl, er darf offen bleiben. Das heißt dann wohl, er kann folgen. Ich glaube, daß diese Inkonsequenz in der Politik der Rolle, die Deutschland in der Welt zu spielen hätte, nicht gerecht wird.
Lassen Sie mich, da meine Redezeit abgekürzt worden ist, zum Schluß kommen. Wir stellen uns hier hin und erwarten - ich finde: zu Recht - von den neuen Staaten der GUS, daß sie Waffen nicht zu einem Geschäft nutzen. Nicht nur die Atomwaffen, sondern auch die anderen Waffen, die dort lagern, sollen nicht zum Zwecke des Verkaufs genutzt werden, um wirtschaftliche Probleme in diesen Ländern zu lösen. Aber es gibt dort riesige wirtschaftliche Probleme. Mit welcher Glaubwürdigkeit wollen wir das vortragen und einklagen, solange wir selbst mit Rüstung ein so riesiges Geschäft machen, wie es in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet?
Lassen Sie uns ein Moratorium beschließen! Lassen Sie uns Berichte von der Bundesregierung anfordern! Hören wir mit dem Waffenexport zumindest vorübergehend auf, bis wir wissen, was mit den Waffen in den
verschiedenen Ländern geschieht, in die sie geschickt werden! Lassen Sie uns einhalten und sowohl bei den wirtschaftlichen als auch bei den sogenannten militärischen Interessen zurückstecken! Unsere Sicherheit wird nicht dadurch erhöht, daß wir Waffen in die Welt hinaus exportieren, mit dem Ergebnis, daß sich die entsprechenden Konflikte letztlich auch zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland auswirken.
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Als letzter hat der Abgeordnete Lowack das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Hintergründe für diese Debatte sind in der Tat gespenstisch. Der Bundeskanzler stellt Widrigkeiten der Politik dar. Er legt die Regierungserklärung vor bzw. liest sie ab und verzieht sich dann und überläßt das Feld anderen.
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Dabei ist es genau der Bundeskanzler, dessen Schwäche, dessen Wankelmütigkeit und dessen Unklarheit in der Regierungspolitik die Probleme aufwerfen, über die wir heute diskutieren.
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Das wird jetzt auf die Umgebung abgewälzt, leider auf gutmütige und gutgläubige Opferlämmer, die ihren Kopf entweder hinhalten oder hinhalten müssen. Ich weiß nicht, warum der Kollege Stoltenberg vorhin in dieser Nibelungentreue zum Kanzler gestanden hat. Ich weiß, daß vieles im Hintergrund eine Rolle spielen kann und heute nicht Diskussionsstoff ist. Auch das wird sicher noch einmal aufgeklärt werden.
Aber das eigentliche Problem ist doch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Diese Bundesregierung ist eine Regierung ohne erkennbare Grundsätze,
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die den Menschen draußen zur Orientierung dienen könnten. Sie ist geballte Macht und sonst nichts. Ich werde nie vergessen, als der Bundeskanzler vor einem Jahr, am 17. Januar, in seinem Amt bestätigt werden sollte und zwei Stunden vorher im Auftrag des UNO-Sicherheitsrates unter der Leitung der Amerikaner der Gegenangriff zur Befreiung Kuwaits erfolgt war, wie er sich in einer Situation völliger Hilflosigkeit Theo Waigel und Graf Lambsdorff hergeholt hat mit dem Hinweis: Ich weiß nicht, was ich machen soll; es wird soviel Druck auf mich gemacht.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, heute ist immer noch die gleiche Situation. Wir haben immer noch keine politische Antwort darauf gefunden, wann die Bundeswehr einsetzbar ist. Der neue Verteidigungsminister Volker Rühe übernimmt Hypotheken aus dieser Zeit, für die er nichts kann auch ein Gerhard Stoltenberg konnte nichts dafür , mit denen er in der Zukunft aber zu tun hat.
Slowenien und Kroatien. Wir haben doch im letzten Jahr erlebt: Das ganze Jahr über keine konkrete Politik der Bundesregierung, politische Erklärungen, aber keine Feinarbeit, die notwendig gewesen wäre, um mit den Amerikanern, mit den Briten, mit den Franzosen, mit den Griechen und wem anders noch klarzukommen.
Die 73 Milliarden DM, auf die sich der Bundeskanzler heute beruft, die man in die alte Sowjetunion gesteckt hatte, waren doch in ein altes, marodes System gesteckt worden, das uns heute nicht mehr als Vorbild dienen kann. Das ist Geld, das uns heute fehlt, auf das wir dringend angewiesen wären.
Und wie war es mit den 8,6 Milliarden DM besondere Hilfeleistung an Honecker noch im Januar 1989, in einer Zeit, in der man wirklich absehen konnte oder mußte, daß es mit einem geteilten Deutschland nicht weitergehen würde?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo liegen denn die Konzeptionen der Bundesregierung in ihrer Türkei-Politik? Natürlich wird die Türkei im Jahre 2000 über 70 Millionen Menschen haben. Sie hat einen ungemein wichtigen Einfluß auf die gesamte Entwicklung im Nahen Osten und natürlich auch im südlichen Teil der alten Sowjetunion. Aber wo gibt es denn eine mittel-, langfristige Konzeption? Warum sagt der Bundeskanzler hier nicht, daß man zwischen den Kurden und der PKK durchaus unterscheiden muß, daß das eine eine Terrororganisation ist,
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die bei uns übrigens noch sehr stark am Rauschgiftgeschäft beteiligt ist? Warum bringt man diese Trennung nicht, und warum entwickelt man hier keine Konzeption?
Wo finden wir in anderen Bereichen eine Konzeption der Bundesregierung? China-Politik: Da klebt man an dem alten Blut-System in Peking und ist nicht in der Lage, eine moderne Politik zu artikulieren.
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Wo sind denn im Bereich der Sicherheitspolitik Leitlinien in unserem Interesse? Maastricht wird hier in der Diskussion noch eine große Rolle spielen. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, glauben nicht auch Sie, daß wir viel mehr ein Europa der lebendigen Ideen brauchten als das, was die Bundesregierung fördert, ein Europa undemokratischer Institutionen? Wir setzen doch die Mittel völlig falsch ein. Die Menschen begreifen Europa doch nicht mehr so, wie das hier vorgeführt wird.
Ich habe mich gewundert, Kollege Schäuble, daß sie vorhin die Sozialdemokraten angegriffen haben. Ohne die Sozialdemokraten hier und in der Volkskammer wäre Ihr Weg zur Deutschen Einheit mit dem Einigungsvertrag - ich habe ihn für überflüssig gehalten - niemals möglich gewesen. Auch das hätten Sie klarstellen müssen.
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Ich darf abschließen: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das Schwanken der Bundesregierung gefährdet in der Zwischenzeit unsere außenpolitische Position.
Ich darf vielleicht eines sagen
Ihre Redezeit ist beendet, Herr Lowack.
Frau Kollegin, ich darf zum Schluß kommen: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
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Vieles, was als Erfolg dieser Bundesregierung dargestellt wird, sind nicht Erfolge der Bundesregierung, sondern sind das Ergebnis des Fleißes und der Arbeit von Millionen Menschen draußen,
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die Deutschland eine Position in der Welt vermittelt haben, der diese Politik leider nicht gerecht wird. Und Sie werden die Antwort darauf erhalten.
Danke.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Die Fraktion der CDU/CSU hat nach § 88 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung die Verschiebung der Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag beantragt. Wir stimmen heute also nicht ab.
Damit erübrigt sich auch die geschäftsordnungsmäßige Behandlung des Verlangens der Gruppe PDS/ Linke Liste nach namentlicher Abstimmung.
Zur Geschäftsordnung, Herr Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß wir uns gegen diesen Antrag der CDU/CSU-Fraktion nicht wehren können, die Entscheidung über den Antrag auf die nächste Sitzungswoche zu verschieben.
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Ich stelle weiter fest, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, daß es absolut unsinnig ist, einen Antrag, mit dem der Deutsche Bundestag aufgefordet wird, einen Bericht des Bundesrechnungshofes bis zum 29. April zu verlangen, am 30. April zu debattieren. Das zeigt nur die Unsinnigkeit Ihrer Politik, und es zeigt, daß Sie sich scheuen, daß der Bundesrech7202
nungshof diesen skandalösen Vorgang aufklären soll.
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Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß es laut § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung möglich ist, Entschließungsanträge zu verschieben. Aber wir finden es skandalös, die Entschließungsanträge unserer Gruppe zu verschieben. Vergegenwärtigen Sie sich nur das Thema, den Inhalt dieser Entschließungsanträge! Am Montag hat Frau Jelpke im Auswärtigen Ausschuß über ihre Reise in die Türkei berichtet, über die Massaker an türkischen Kurden.
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Herr Außenminister Genscher signalisierte, daß ein Abschiebestopp für Asylanten notwendig sei.
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Zur Geschäftsordnung, Frau Höll.
Wir haben aber gestern aus der Presse die Begründung zu diesem Antrag erfahren, nämlich daß in Hessen verfügt wurde, einen Asylantrag abzulehnen und diesen Kurden abzuschieben, obwohl dem Gericht glaubhaft war, daß er dort als politisch Verfolgter in Lebensgefahr ist.
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Frau Höll, ich wiederhole: zur Geschäftsordnung.
Wir halten es auch für unverantwortlich, über diese Entschließungsanträge, insbesondere das Moratorium, heute nicht abzustimmen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierungen von 1964 bis 1988 in Höhe von 3,7 Milliarden DM Verteidigungshilfe an die Türkei leisteten.
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Frau Höll, entweder reden Sie jetzt zur Geschäftsordnung, oder ich muß Ihnen das Wort entziehen.
Es geht hier um den Genozid am kurdischen Volk, der mit Hilfe deutscher Waffen durchgeführt wird. Deshalb finden wir es absolut skandalös, . . .
Ich bitte Sie, das Pult zu verlassen. Das geht so nicht.
... wie hier im Parlament verhandelt wird.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Rüttgers.
Diese Auftritte machen, Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nur eines deutlich: daß hier in unverantwortlicher Art und Weise versucht wird, die Geschäftsordnung dazu zu mißbrauchen, noch einmal Positionen vorzutragen, die man in der Debatte nicht hinüberbekommen hat.
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Sie werden auch mißbraucht, verehrter Kollege Struck, um Sachverhalte zu verdrehen.
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und hier einen falschen Eindruck zu erwecken.
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- Sie können soviel brüllen wie Sie wollen, Sie werden es nicht erreichen - gerade Sie von der PDS, aber auch Sie von der SPD , daß hier vorne nicht mehr gesagt werden kann, was man sagen will.
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Gestern hat der Haushaltsausschuß getagt. Dort sind, teils einvernehmlich sogar, Aufträge an die Bundesregierung erteilt worden. Diese Aufträge sind terminiert für die nächste Sitzungswoche. Die Ergebnisse werden also in der nächsten Sitzungswoche vorliegen.
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Von daher gesehen ist es schlichtweg unlogisch, die Aufträge hier noch einmal zu wiederholen. Aber das eigentlich Schlimme bei diesen vier Anträgen - nämlich einer von der SPD und drei von den Kommunisten - ist:
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Es ist schlichtweg unverantwortlich, hier Anträge vorzulegen, die das Ergebnis der Prüfung überhaupt nicht abwarten, sondern jetzt bereits beschließen wollen, was man eigentlich erst prüfen will.
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Unser Weg ist: Erst prüfen, dann entscheiden. Deshalb haben wir den Antrag nach § 88 Abs. 2 gestellt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Hoyer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind der Ansicht, daß der Antrag der PDS auf namentliche Abstimmung gegenDr. Werner Hoyer
über den Kolleginnen und Kollegen, die heute nicht hier sind, unfair ist.
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Wir haben ausdrücklich interfraktionell - mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion - vereinbart, daß wir, um Kosten zu vermeiden, nicht darauf bestehen, daß Abgeordnete aus allen möglichen Teilen der Welt, wo sie auf höchst anstrengenden Dienstreisen und aus sonstigen Gründen unterwegs sind, zurück nach Bonn reisen, um an dieser Sitzung teilzunehmen. Bedanken Sie sich im Zweifel bei Ihrer eigenen Fraktionsführung!
Meine Damen und Herren, wir haben im Haushaltsausschuß gestern verlangt, daß dem Recht des Parlamentes, rückhaltlose Aufklärung über die Vorgänge zu bekommen, zum Durchbruch verholfen wird. Wir werden den Bericht im Haushaltsausschuß in der ersten Sitzungswoche nach Ostern bekommen. Wir haben uns ausdrücklich - auch im Haushaltsausschuß - vorbehalten, je nachdem, wie der Bericht ausfällt, gegebenenfalls den Rechnungshof in die weiteren Beratungen einzubeziehen. Von daher ist es der einzig logische Weg, zunächst den Bericht im Haushaltsausschuß in der nächsten Sitzungswoche abzuwarten
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und am folgenden Tag - das ist nämlich der nächste Sitzungstag - nach § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung die Möglichkeit wahrzunehmen, gegebenenfalls weiterführende Beschlüsse des Plenums zu fassen.
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Als letzter hat das Wort der Abgeordnete Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU-Fraktion! Ich halte es für einen peinlichen Vorgang, wenn mit den Mitteln der Geschäftsordnung ein Entschließungsantrag verdrängt werden soll, über den hier und heute im Deutschen Bundestag abgestimmt werden muß und sollte, wenn er überhaupt noch einen Sinn machen soll.
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Der Sinn dieses Entschließungsantrags der SPD ist doch, die Recherche im Verteidigungsministerium durch eine Überprüfung seitens des Bundesrechnungshofs zu begleiten
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und nicht erst nach der Aktenbereinigung in diesem Ministerium, die überaus ansteht, den Bundesrechnungshof mit der Prüfung zri beauftragen.
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Ich glaube, in diesem Zusammenhang macht der Antrag dann keinen Sinn mehr.
Das, was Sie hier tun, halte ich für undemokratisch. Zu der Stoltenberg-Affäre kommt diese undemokratische Praxis noch hinzu, die Sie hier heute üben.
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Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Bevor ich die Sitzung schließe, muß ich Sie jedoch noch um Zustimmung zu zwei Änderungen von Ausschußüberweisungen bitten.
Der Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Osterreich über Erleichterungen der Grenzabfertigung - Drucksache 12/2264 -, der dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zur federführenden Beratung überwiesen wurde, soll nunmehr dem Finanzausschuß zur federführenden Beratung und dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden.
Der Gesetzentwurf zur Verkürzung der Juristenausbildung - Drucksache 12/2280 - soll nachträglich dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur Mitberatung überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich auf Mittwoch, den 29. April 1992, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.