Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Mit Erschütterung haben wir die Nachricht von dem verheerenden Erdbeben aufgenommen, das am letzten Freitag und danach noch einmal den Osten der Türkei heimgesucht hat. Das ganze Ausmaß der Katastrophe zeichnet sich erst jetzt ab: Die Zahl der durch das Erdbeben Getöteten beträgt bislang etwa 500. Weitere Opfer werden noch aus den Trümmern geborgen. Rund 1 000 Menschen erlitten zum Teil schwerste Verletzungen.
Überaus groß scheint nach den vorliegenden Meldungen auch die Zahl derer zu sein, die ihr Hab und Gut verloren haben. Mehr als 100 000 Menschen sind nach Angaben der türkischen Behörden in Erzincan und den umliegenden Ortschaften obdachlos geworden.
Unser Mitgefühl gilt vor allem den Verletzten und den Angehörigen der Opfer. Der Deutsche Bundestag spricht dem türkischen Volk, dem Parlament und der Regierung der Türkei seine tief empfundene Anteilnahme aus.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, als Nachfolgerin für den Kollegen Dr. Gerhard Riege hat die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs am 11. März 1992 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Für den Kollegen Hubert Doppmeier hat der Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne am 12. März 1992 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich heiße die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, die dem Bundestag in der 11. Wahlperiode bereits einige Monate angehörte, und den neuen Kollegen KlausHeiner Lehne im Hause willkommen und hoffe auf gute Zusammenarbeit.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
1. Aktuelle Stunde
Stärkung des dualen Systems beruflicher Bildung auf dem Hintergrund eines drohenden Facharbeitermangels
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 9. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa
- Drucksache 12/2263 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 1990 zur Änderung des Abkommens vom 14. September 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Erleichterungen der Grenzabfertigung im Eisenbahn-, Straßen- und Schiffsverkehr - Drucksache 12/2264 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr
und Tourismus ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, Lisa Peters und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes und des Weingesetzes
- Drucksache 12/2282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
Ausschuß für Gesundheit
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({4})
Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 12/2254 Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Helmrich
6. Aktuelle Stunde
Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes
7. Vereinbarte Debatte zu Giftmüllexporten aus der EG in ,,Nicht-OECD-Staaten" vor dem Hintergrund des Umweltministerrats am 23. März 1992
8. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 53 zu Petitionen
- Drucksache 12/2294 6958
Vizepräsident Helmuth Becker
9. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 54 zu Petitionen
- Drucksache 12/2295 10. Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski, Horst Eylmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef Kleinert ({7}), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung der Juristenausbildung
- Drucksache 12/2280 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({8})
Innenausschuß
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung erforderlich ist.
Der Tagesordnungspunkt 10 - Bericht zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland - soll ohne Aussprache behandelt werden. Er soll daher zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat fristgemäß eine Erweiterung der Tagesordnung beantragt. Dieser Antrag wird nach dem Tagesordnungspunkt 3 aufgerufen.
Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens
- Drucksache 12/2253 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Paziorek
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Mir liegen dazu drei persönliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor. Das ist zulässig. Ich bitte das Haus, damit einverstanden zu sein, daß wir so verfahren. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Nun kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung bezüglich der Aufhebung der Immunität.
({10})
- Das war ein Mißverständnis. Wir sollen diese Erklärungen also nicht zu Protokoll nehmen, sondern Sie wollen gemäß § 31 der Geschäftsordnung sprechen. Ich bitte Sie, dabei zu beachten: Beweiswürdigungen sind nicht zulässig.
Wer von Ihnen wünscht das Wort? - Herr Dr. Gysi, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde hinsichtlich des
Antrages auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Hans Modrow mit Nein stimmen.
Generell lehne ich als Rechtsanwalt im Strafrecht eine Privilegierung von Personen ab. Einer der wichtigsten demokratischen Grundsätze in der Rechtspflege ist die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz, unabhängig davon, daß es sicher noch keinen Staat gibt, in dem diese Gleichheit voll verwirklicht ist.
Wenn ich in diesem Falle mit Nein stimme, dann tue ich es deshalb, weil ich der Auffassung bin, daß es sich hier um eine politische Verfolgung von Hans Modrow handelt und der Bundestag die Aufgabe hätte, seine Mitglieder vor einer solchen Verfolgung zu schützen. Es ist offensichtlich, daß es nicht um die Herstellung von Gerechtigkeit und die Verfolgung einer wirklichen Straftat geht, sondern um die Zerstörung einer politischen Persönlichkeit aus der früheren DDR mit dem Ziel, den Menschen in den neuen Bundesländern die Möglichkeit zu nehmen, sich mit solchen Persönlichkeiten zu identifizieren.
({0})
Hans Modrow hat zu keinem Zeitpunkt bestritten, für die Entwicklung in der DDR und ihr System politische und moralische Mitverantwortung zu tragen.
Herr Dr. Gysi, wir bewegen uns hier haarscharf da, wo wir uns nicht bewegen können, wie ich vorhin gesagt habe. Sie können nur Ihr Abstimmungsverhalten erläutern, aber keine Würdigung vornehmen.
Genau das will ich erklären. Ich diskutiere überhaupt nicht zum Vorwurf der Wahlfälschung, sondern zum Herangehen.
({0})
Eines muß ich allerdings sagen, weil es mit der Aufhebung der Immunität zusammenhängt, Herr Präsident. Die Staatsanwaltschaft hat mitgeteilt, daß sich die Aufhebung im wesentlichen auf die Ergebnisse des Prozesses gegen Moke und Berghofer konzentriert. Wir wissen, dort ist Revision eingelegt, weil die Strafbarkeit überhaupt in Frage steht. Dann hätte der Bundestag die Aufgabe gehabt, zu sagen: Wir warten dieses Revisionsverfahren ab, bevor wir eines unserer Mitglieder auf diese Art und Weise für einen Strafprozeß zur Verfügung stellen. Genau das ist nicht geschehen.
Ich weise ferner darauf hin - das ist für mich eigentlich das Entscheidende -, daß es Politik und Justiz nicht um den wirklichen Sachverhalt geht, sondern um die Demontierung einer Persönlichkeit.
Das hängt u. a. damit zusammen, daß Hans Modrow im Unterschied zu anderen der Öffentlichkeit nicht gewichen ist, seine Mitverantwortung stets bekannt hat und sich dennoch in hohem Maße für die Interessen der Menschen in den neuen Bundesländern engagiert hat. Das gilt auch für die Zeit als MinisterDr. Gregor Gysi
präsident der DDR, als er die notwendigen Veränderungen in der DDR auf friedliche Art und Weise mit vollzog. Das gilt auch für die Zeit seit dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik.
Das politische Klima gegen Hans Modrow wurde von Politikerinnen und Politikern ebenso geschürt wie von bestimmten Journalistinnen und Journalisten.
Dieselben Politikerinnen und Politiker, dieselben Journalistinnen und Journalisten, die Hans Modrow -
Herr Dr. Gysi, ich muß Sie noch einmal darauf aufmerksam machen: Das, was Sie jetzt tun, entspricht nicht unserer Geschäftsordnung. Ich kann das nicht zulassen. Wenn Sie so weitermachen, muß ich Ihnen das Wort entziehen.
({0})
Ich muß Ihnen aber doch wenigstens erklären können, weshalb ich mit Nein stimme, und dann bin ich gleich fertig.
Ich möchte nur auf die Ungleichbehandlung durch Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten hinweisen. Er wurde uns nämlich als derjenige dargestellt, der für den Gorbatschow-Kurs in der DDR zur Verfügung stehe. Er wurde als Reformer gewürdigt. Er wurde auch noch als Ministerpräsident gewürdigt. Erst danach hat sich die Meinung geändert und wurde das Klima des Hasses gegen ihn geschürt; aber nicht, weil er sich verändert hat, sondern weil sich die Politik derjenigen geändert hat, die diese Atmosphäre wollen.
Ich füge als letztes hinzu: Ein Vergleich mit den anderen früheren Ostblockstaaten zeigt, daß Reformpolitiker aus den früheren Regierungsparteien auch weiterhin Ansehen in diesen Staaten genießen dürfen. Sie bekleiden zum Teil hohe Funktionen und werden auch von Politikerinnen und Politikern der Bundesrepublik gefeiert. Zum Teil erhalten Sie Auszeichnungen und Orden in der Bundesrepublik, dürfen bayerisches Bier trinken und anderes mehr.
({0})
Ein gleiches Schicksal wird Reformpolitikerinnen und Reformpolitikern aus der DDR nicht zugebilligt. Sie sollen kriminalisiert und als Persönlichkeit vernichtet werden. Das halte ich für unglaubwürdig und verlogen.
({1})
Ich glaube, daß das auch der Entwicklung der politischen Kultur in der Bundesrepublik schadet. Daran werde ich mich nicht beteiligen.
({2})
Meine Damen und Herren! Es liegen mir weitere Wortmeldungen vor. Ich kann nur sagen: Wenn noch jemand versucht, dies fortzusetzen, entziehe ich ihm sofort das Wort. Dies ist seit Beginn der Existenz des Bundestages nicht üblich gewesen, und ich werde es hier nicht zulassen.
Als nächste hat Frau Lederer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will mein Abstimmungsverhalten begründen.
Auch ich werde einer Aufhebung der Immunität von Hans Modrow nicht zustimmen. Ich schließe mich den juristischen Einwänden von Gregor Gysi an, insbesondere dem, was er zum Prinzip der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz gesagt hat.
({0})
Ich erkläre vorab - ich habe, ehrlich gesagt, keine Lust, schon am frühen Morgen hier herumbrüllen zu müssen -: Wahlfälschung ist unter demokratischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, schon gleich gar nicht unter sozialistischen.
({1})
Ich stimme nicht einem von vornherein als politischen Schauprozeß angelegten Verfahren zu, das einzig und allein dem Ziel dienen soll, Hans Modrow von der politischen Bühne zu verdrängen. Das ist hier insbesondere von West-Abgeordneten zur Genüge geäußert worden. Dieses Verfahren soll genau die Mentalität demonstrieren, die seit der Wiedervereinigung im Grunde genommen eine historisch-analytische Aufarbeitung behindert, blockiert und Menschen psychisch zerstört. Warum eigentlich fällt Ihnen nichts anderes als Strafjustiz ein, um eine politische Bewertung und Analyse von Vorgängen in einem anderen souveränen Staat vorzunehmen?
Frau Lederer, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Ich kann das nicht zulassen. Ich kann auch nicht zulassen, daß Sie hier Worte wie „Schauprozeß" verwenden. Dies ist nicht möglich.
({0})
Sie können sich ja dann überlegen, welche Maßnahmen nötig sind -
Hier geht es ausschließlich darum, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben. Die Strafverfolgungsbehörden haben dieses Verlangen dem Bundestag vorgetragen. Wir stimmen nur darüber ab, ob wir dem zustimmen oder nicht.
Herr Präsident -
Der federführende Ausschuß hat die Aufhebung empfohlen. Das ist gründlich geprüft. Darum geht es hier.
Nach § 31 habe ich die Möglichkeit, mein Abstimmungsverhalten zu begründen. Genau das tue ich im Moment. - Ich fahre fort.
({0})
Wir können in keine Beweisführung eintreten. Das tun Sie andauernd.
Nein, überhaupt nicht. Ich kenne die Ermittlungsakten wahrscheinlich genauso wenig wie manch andere.
Seit 1984 hat er jede Weihnacht Kaffee mit Hans Modrow getrunken; das hat Björn Engholm im November 1989 die Presse wissen lassen. Er hat berichtet, daß er dabei Hans Modrow als einen nachdenklichen, leisen, bescheidenen Menschen - sympathisch, unkompliziert und unkonventionell - kennengelernt hat.
Frau Lederer, ich bitte Sie, nur noch einen Satz zu Ihrem Abstimmungsverhalten zu sagen. Sonst muß ich Ihnen das Wort entziehen. - Bitte.
Herr Eppelmann hielt die Zusammenarbeit mit Hans Modrow für wichtig. Herr Mischnick attestierte, daß Modrows Gesamtpolitik darauf ausgerichtet sei, daß sie um der Menschen willen betrieben wird. Genau das kann ich bestätigen.
Dieses instrumentelle Verhältnis gegenüber denjenigen, die, solange sie politische Relevanz haben, hier gefeiert werden, aber in dem Moment, wo sie besiegt sind, abgeurteilt werden, sagt mehr über die Grundlagen Ihrer Politik aus als alle Bekenntnisse zur Aufarbeitung und inneren Einheit zusammengenommen.
Die politische Kultur und das Niveau haben in diesem Land einen Nullpunkt erreicht, was im Ausland - leider nur da - zur Kenntnis genommen wird. Das hat in diesem Staat Tradition. Dahinter steckt im Grunde genommen das Anliegen, daß Sozialisten hier im Parlament nicht vertreten sein sollen. Den Gefallen werden wir Ihnen nicht tun; das können wir Ihnen garantieren.
Ein Gorbatschow und ein Horn werden hier geehrt - ({0})
Frau Lederer, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Es hat keinen Zweck. Ich kann Sie nicht weiterreden lassen.
Ich komme zum Schluß. Die Beispiele, die schon Herr Gysi genannt hat, machen das Ausmaß deutlich, das an Opportunismus und Wendehalsfähigkeit hierzulande gefordert wird. In dieser Logik liegt auch die widerwärtige Argumentation, nach der das, was im westdeutschen Staat an Aufarbeitung des deutschen Faschismus nicht gelungen sei, nun um so konsequenter im Kampf gegen die Führungen und Apparate eines anderen Staates durchexerziert werden müsse.
({0})
Daraus resultiert der Wille nach Abrechnung und nicht nach Aufarbeitung. Das exakt sind die prägenden politischen Bedingungen für diesen Strafprozeß. Genau bei diesem Spiel mache ich nicht mit.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will hier noch einmal sagen, worum es geht. Es geht weder um Verurteilungen noch sonst etwas. Hier haben Strafverfolgungsbehörden den Antrag gestellt, daß gegen ein Mitglied des Deutschen Bundestags ermittelt werden kann und daß dafür die Immunität aufgehoben wird. Sonst wäre das gar nicht möglich. Nur um diesen Sachverhalt geht es.
Deswegen bitte ich auch Frau Dr. Dagmar Enkelmann, sich dieser Tatsache bewußt zu sein, wenn sie hier noch etwas gemäß § 31 der Geschäftsordnung erklären will. - Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lehne die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Hans Modrow ab. Hans Modrow hat sich stets zu seiner politisch-moralischen Mitverantwortung für den gescheiterten Versuch einer sozialistischen Alternative auf deutschem Boden bekannt. Die Aufarbeitung dieser Verantwortung ist in erster Linie eine politische und keine juristische Aufgabe.
({0})
Diese Aufgabe in einen Strafprozeß zu verlagern kann nur darauf hinauslaufen, politische Überzeugungen und politisches Handeln abzuurteilen.
({1})
Ich möchte hier nur an folgende Tatsachen erinnern, selbst wenn Sie das heute nicht mehr wahrhaben wollen: Hans Modrow ist mit einer hohen Zahl von Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern in die Volkskammer der DDR und darauf folgend in den Bundestag gewählt worden, in Kenntnis der Tatsache, daß er -
Frau Dr. Enkelmann, ich kann auch das nicht zulassen. Es tut mir wirklich leid. Wir können hier in keine politische Debatte darüber eintreten.
({0})
Es geht schlicht und einfach um die Frage der Aufhebung der Immunität. Wir reden hier nicht darüber, ob Herr Modrow gefehlt hat oder nicht, wie gut oder wie schlecht er war. Deswegen bitte nur noch einen Satz zu Ihrem Abstimmungsverhalten.
Es ist schlimm, daß Sie diese Vergangenheit nicht wahrhaben wollen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nun hat der Kollege Singer das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein Satz: Der Deutsche Bundestag hat die Immunität des Steuerhinterziehers Graf Lambsdorff aufgehoben. Es besteht kein Anlaß, die Immunität des mutmaßlichen Wahlfälschers Modrow nicht aufzuheben.
({0})
Nun hat der Kollege Henn das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich die Absicht, diesem Antrag auf Aufhebung der Immunität zuzustimmen. Ich habe diese Absicht geändert, weil auch ich der Auffassung bin, daß es hier im wesentlichen um einen politischen Prozeß geht. Ich denke, daß man diesem politischen Prozeß nicht ausweichen sollte. Ich glaube, daß Hans Modrow diesen politischen Prozeß selber will.
Zustimmung hätte aber in der Tat auch bedeutet, wie mein geschätzter Vorredner es eben gesagt hat, daß Hans Modrow in eine Reihe mit Graf Lambsdorff oder Schwarz-Schilling gestellt wird. Das, meine ich, hat Hans Modrow nicht verdient.
({0})
Deswegen werde ich hier nicht mit Ja stimmen.
({1})
Ich denke, daß es hier um einen politischen Prozeß geht. Es ist symptomatisch -
Herr Kollege Henn, ich habe es doch allen Vorrednern schon gesagt: Nur zur Abstimmung! Bitte noch einen Satz.
Herr Präsident, ich will Ihre Geduld nicht strapazieren. Deswegen nur noch einen Satz. Ich weiß allerdings nicht, ob er mein Abstimmungsverhalten noch mehr begründet.
Ich bin sehr froh, daß ich, nachdem ich in diesem Lande ({0})
Herr Henn, ich bitte Sie wirklich, jetzt aufzuhören.
- von Globkes, Kiesingers und anderen regiert worden bin - -
Ich muß Ihnen das Wort entziehen, Herr Kollege Henn.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß der Kollege Singer hier von einem „mutmaßlichen Wahlfälscher" gesprochen hat, gehört natürlich genausowenig hierher.
Ich habe Ihnen noch mitzuteilen, daß Frau Dr. Ursula Fischer zu diesem Tagesordnungspunkt eine Rede zu Protokoll gegeben hat.")
Damit kommen wir nun zur Abstimmung über die Drucksache 12/2253. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses? - Die Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der PDS/ Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
({0})
- Entschuldigung. Enthaltungen? - Enthaltung des Kollegen Modrow in dieser Frage.
Wie bereits vorhin mitgeteilt, hat die Fraktion der SPD fristgemäß einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung eingereicht. Die Tagesordnung soll um die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zu Sofortmaßnahmen zur Arbeitsmarktpolitik auf Drucksache 12/2212 ergänzt werden.
Wird zu diesem Aufsetzungsantrag das Wort gewünscht? - Jawohl. Das Wort zur Geschäftsordnung gemäß § 32 hat der Kollege Ottmar Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem etwas stürmischen Auftakt geht es jetzt Gott sei Dank wieder etwas ruhiger zu.
Im Namen der SPD-Fraktion beantrage ich, daß der Antrag unserer Fraktion zu Sofortmaßnahmen der Arbeitsmarktpolitik auf die Tagesordnung des Bundestags in dieser Woche gesetzt wird.
Wir können uns nicht mit dem Angebot der Koalitionsfraktionen vor wenigen Minuten zufriedengeben, diesen Antrag ohne Aussprache im Parlament in den Ausschuß zu überweisen. Es muß Gründe geben, warum die Koalitionsfraktionen das Tageslicht einer parlamentarischen Debatte über die Arbeitsmarktsituation insbesondere vor dem Hintergrund Ostdeutschlands scheuen.
({0})
Die Gründe liegen auf der Hand. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, können in der Tat niemandem in Ostdeutschland, aber auch niemandem in Westdeutschland erklären, warum in einer Zeit dramatisch steigender Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland und immerhin deutlich steigender Arbeitslosigkeit in Westdeutschland gleichzeitig die bewährten Instrumente der Arbeitsmarktpolitik in Ost- wie in Westdeutschland deutlich zurückgefahren werden. Das ist nicht erklärbar.
Sie nehmen sehenden Auges in Kauf, daß die Massenarbeitslosigkeit weiterhin steigt. Sie nehmen sehenden Auges in Kauf, daß vor allem Menschen in
*) Anlage 2
Ostdeutschland in das kalte Wasser der Arbeitslosigkeit gestürzt werden, wiewohl wir bewährte Instrumente haben, ihnen zumindest vorübergehend eine Arbeits- und damit eine bessere Lebensperspektive zu geben.
Sie erweisen auch dem Parlamentarismus, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, einen Bärendienst, wenn Sie in einer Zeit, in der sich Millionen von Menschen Gedanken machen, wie es morgen mit ihnen angesichts ihrer Arbeitslosigkeit weitergeht, dem Parlament die Möglichkeit verweigern, über andere, bessere Wege der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu diskutieren. Das ist auch ein Angriff an die Funktionsfähigkeit dieses Parlaments.
({1})
Ihre Weigerung, diese Fragen zu einer angemessenen Zeit im Deutschen Bundestag zu diskutieren, hängt natürlich auch mit den massiven Widersprüchen innerhalb der Koalitionsfraktionen zusammen. Für die eine Seite dieser Koalitionsfraktionen sind die Arbeitsmarktinstrumente geradezu sozialistisches Teufelswerk. Einige andere haben zumindest begriffen, daß die nackte Alternative zu zumindest vorübergehender Arbeit die schlichte Massenarbeitslosigkeit ist.
Ich sage Ihnen, es ist geradezu grotesk, daß die Bundesregierung zur Finanzierung gesellschaftlich erzwungenen Nichtstuns mehr als doppelt soviel Geld ausgibt wie zur Finanzierung von Arbeitsförderung. Das ist um so grotesker, als gerade in Ostdeutschland die Arbeit buchstäblich auf der Straße liegt. Diese Regierung ist augenscheinlich nicht mehr handlungsfähig, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten.
({2})
Kollege Schreiner, würden Sie einmal begründen, warum Sie diesen Punkt auf der Tagesordnung haben wollen!
({0})
Ich versuche gerade, zu begründen, warum sich die Koalitionsfraktionen angesichts wachsender Sorgen und Nöte der Menschen vor allem in Ostdeutschland weigern, den SPD-Antrag hier eilig und angemessen zu behandeln.
({0})
- Das ist sehr wohl ein Geschäftsordnungsantrag, Herr Kollege.
Die zweite Schwierigkeit, der Sie aus dem Weg zu gehen versuchen, indem Sie eine Behandlung hier ablehnen, ist die Diskussion über eine sozial gerechte Finanzierung der Arbeitsmarktinstrumente. Vor dieser Diskussion scheuen Sie sich ebenfalls.
({1})
Wie wollen Sie denn einen Langzeitarbeitslosen in Westdeutschland zur notwendigen deutsch-deutschen Solidarität verpflichten, wenn Sie ihm erklären, daß der Preis seiner Solidarität seine Arbeitslosigkeit ist? Das ist das Ergebnis der Millionen Kürzungen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Westen.
Sie treffen die Schwächsten der Schwachen. Sie bitten die Schwächsten der Schwachen zur Kasse und fordern gleichzeitig die Senkung der Vermögenssteuer und die Senkung des Spitzensteuersatzes.
({2})
Sie schaufeln weitere Millionenbeträge in die Taschen der Reichen und verlangen von den Beziehern kleiner Einkommen Solidarität. Ich sage Ihnen: Dies kann nicht funktionieren.
({3})
Herr Kollege Schreiner, die Redezeit ist abgelaufen.
Ich will zum Schluß sagen:
({0})
Uns überrascht nicht, daß Sie eine falsche Politik machen.
Einen Schlußsatz, Herr Kollege Schreiner!
Ihre Feigheit aber, sich der parlamentarischen Auseinandersetzung zu stellen, zeigt, daß Sie mit Ihrem Latein am Ende sind.
({0})
Meine Damen und Herren, nach der Geschäftsordnung war das, was Kollege Schreiner vorgetragen hat, zulässig; wenn Sie § 29 nachlesen, dann wissen Sie das. Die Entgegnung von Herrn Kollegen Rüttgers ist genauso möglich. Bitte sehr.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, das, was wir bisher hier erlebt haben, ist kein guter Anfang der Debatte am heutigen Tage.
({0})
- Werter Herr Kollege, wer versucht, vielleicht sein großes Vorbild aus dem Saarland mit einem Plagiat zu kopieren, sollte versuchen, zumindest die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Lieber Herr Schreiner, wir sind das aus dem Saarland gewohnt, und das ist für uns keine neue Erfahrung.
({2})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie so herumschreien. Seien Sie doch nicht so nervös! Hören Sie doch zu und versuchen Sie doch einmal, sich selber klar darüber zu werden, was es eigentlich für dieses Parlament bedeuDr. Jürgen Rüttgers
tet, wenn wir hier jetzt in jeder Woche von der SPD eine Geschäftsordnungsdebatte serviert bekommen,
({3})
weil man das kleine Einmaleins der Geschäftsordnung nicht beherrscht und seine Anträge nicht rechtzeitig einbringen kann.
({4})
Anträge werden aus dem Hut gezogen. Sie müssen dann angeblich sofort auf die Tagesordnung. Wenn man sie dann einmal anschaut, dann stellt man fest: heiße Luft, wie seit Monaten und Jahren bekannt,
({5})
zuerst von Lafontaine vorgetragen, jetzt viel schlechter von Herrn Schreiner. Das hält den Realitäten nicht stand, denn die Behauptung, die auch hier wieder vorgetragen wurde, es finde keine Arbeitsmarktpolitik statt, ist ja nichts anderes als Demagogie und dient nur dazu, Verunsicherung bei den Bürgern in den fünf neuen Bundesländern herbeizuführen.
({6})
36 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern werden in diesem Jahr ausgegeben.
({7})
Für die berufliche Bildung sind 11 Milliarden DM vorgesehen; das sind 6 Milliarden DM mehr als im vorigen Jahr. Im Februar 1992 gab es einen Rückgang der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern um über 53 000, wobei die Arbeitslosenquote von 16,5 % auf 15,9 % gefallen ist.
({8})
Ich bitte, die Zahl der Zwischenrufe zu beschränken.
Sie müssen die Realitäten zur Kenntnis nehmen und vielleicht - ({0})
- Herr Präsident, muß ich mir das gefallen lassen?
({1})
Herr Präsident, muß man sich hier diese Verbalinjurien von Leuten gefallen lassen, die es nicht verdient haben, daß man ihnen überhaupt zuhört?
({2})
Die CDU/CSU-Fraktion wird der Aufnahme dieses Antrags in die Tagesordnung nicht zustimmen. Ich habe soeben angeboten, daß wir diesen Antrag im zuständigen Fachausschuß sofort in der nächsten Sitzungswoche behandeln können.
({3})
Das ist von der SPD-Fraktion abgelehnt worden, was beweist, daß es hier nicht um die Sache geht, sondern um eine politische Show. Deshalb unsere Ablehnung.
({4})
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Hübner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder beschäftigen wir uns in einer Geschäftsordnungsdebatte mit Forderungen der SPD, die von der Bundesregierung längst in modifizierter Form erfüllt werden.
({0})
Wenn Sie in Ihrem Antrag arbeitsfördernde Maßnahmen fordern, dann erwecken Sie, gewissermaßen zwischen den Zeilen, wider besseres Wissen den Anschein, als wäre bisher in dieser Richtung nichts getan worden. Und genau das ist falsch.
({1})
Herr Kollege Schreiner, auch Meldungen über ein angebliches Zurückhalten von Millionen für das Programm „Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose" entbehren - das ist definitiv - jeder Grundlage.
Eine generelle Festlegung auf ein Jahr, z. B. bei Neueintritten in Vollzeit-ABM, schadet angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel der Bundesanstalt von 12,7 Milliarden DM für die ABM-Förderung denjenigen Personen, die bei einer flexibleren Regelung zusätzlich von den ABM-Mitteln profitieren würden. Allerdings ist, weil Sie darüber in Ihrem Antrag sprechen, zu bemerken, daß weiterhin sogar die Möglichkeit besteht, bis zu 100 % des Arbeitsentgelts aus ABM-Zuschüssen bewilligt zu bekommen, wenn es sich bei den Teilnehmern um Langzeitarbeitslose, um Arbeitslose über 50 Jahre - Sie wissen das -, schwerbehinderte Arbeitslose, junge Arbeitslose unter 25 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung und um Frauen handelt. Auch die von Ihnen in diesem Zusammenhang geforderten speziellen Regelungen für Frauen existieren bereits,
({2})
auch im Prioritätenkatalog, der vorsieht, daß Maßnahmen, in deren Rahmen Frauen beschäftigt werden, bevorzugt gefördert werden sollen.
({3})
Es stellt sich demnach die Frage, was Sie mit Ihren ständigen Attacken und Versuchen erreichen wollen.
({4})
Nach meinem Dafürhalten geht es Ihnen nicht darum, einen stabilen ersten Arbeitsmarkt aufzubauen, sondern Ihnen geht es darum, staatswirtschaftlich-sozialistische Strukturen zu fixieren,
({5})
die auf lange Sicht zu einem noch größeren Einbruch führen würden, als wir ihn bisher erlebt haben.
({6})
Genau das ist kontraproduktiv und würde den Aufbau einer wirksamen Marktwirtschaft behindern und verhindern.
Lassen Sie endlich
({7})
von Ihren Versuchen ab, kurzfristige, scheinsoziale Lösungen zu etablieren, die im Ergebnis den Übergang zur Schaffung konkurrenzfähiger Betriebe verhindern.
Aus der Begründung Ihres Antrags kann ich lediglich eine Wahrheit herauslesen, die aber auch nur zum Teil stimmt. Richtig ist, daß die Arbeitsmarktpolitik der Bundesrepublik Deutschland vor einer schwierigen Bewährungsprobe steht. Aber doch nicht erst im Jahre 1992!
({8})
Das wissen wir schon seit der Wirtschafts-, Währungs-
und Sozialunion. Deshalb haben wir schon seit dieser Zeit konkrete Maßnahmen getroffen, um die Übergangssituation zu entschärfen und besonders den Menschen im Osten einen sozial verträglichen Übergang in die Marktwirtschaft zu ermöglichen.
({9})
Die Arbeitslosenzahlen sind sehr hoch - das ist korrekt -, aber wenn Sie formulieren, sie würden noch stark ansteigen, dann geht diese Behauptung einfach an der Realität vorbei.
({10})
Wenn wir den zweiten Arbeitsmarkt heute nach Ihren Rezepten so ausdehnen, wie Sie sich das in Ihren sozialistischen Träumen vorstellen
({11})
- siehe Antrag -, dann werden wir morgen eine mächtige Staats- und Planwirtschaft am Halse haben, die genauso kontraproduktiv wie die ist, die Ex-DDRler 40 Jahre lang ertragen mußten.
({12})
Damit verhindern Sie den mühsamen Anfang der neu gegründeten kleinen und mittleren Unternehmen.
Jammern Sie nicht über die angeblich verlorenen besonderen Bestimmungen zur Gewährung von Kurzarbeitergeld. In vielen Betrieben hat sich nach Auslaufen dieser Sonderregelungen nichts verändert, weil man nach § 63 Abs. 4 AFG die Regelungen für strukturschwache Betriebe weiter nutzen kann, und das tut man ausgiebig.
Jetzt entscheidet sich, ob sich die Lage in den neuen Bundesländern auf dem Arbeitsmarkt insofern stabilisiert, als Neues entsteht und alte, marode Strukturen nicht länger durch sinnlose Finanzspritzen aufrechterhalten bleiben.
Herr Kollege Hübner, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ein Satz noch, Herr Präsident, wenn Sie gestatten.
Bitte sehr.
({0})
Halten Sie uns und sich bitte nicht weiter mit sinnlosen Anträgen auf, die unserer Zeit und ihren Anforderungen meilenweit hinterherhinken.
Danke sehr.
({0})
Herr Kollege Rüttgers, wenn ein Zwischenruf von seiten der SPD gefallen ist, den wir überhört haben, dann lassen wir das Protokoll überprüfen. Wir haben den Zwischenruf nicht gehört. Ich komme darauf zurück.
({0})
Nunmehr hat die Kollegin Petra Bläss das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Rüttgers, ich möchte zunächst einmal eine kurze Anmerkung zu Ihren Ausführungen machen. Ich denke, in diesem Parlament sitzen nur Originale und keine Kopien. Es gehört für mich zur Kultur des politischen Streits,
({0})
sich gegenseitig in seiner Persönlichkeit zu achten.
Herr Kollege Hübner, es wäre schön, wenn wir Ihren optimistischen Ausblick auf die Situation am Arbeitsmarkt und die Perspektive für die neuen Länder teilen könnten. Allein, es sind mir auch zu viele Spezialisten, einschließlich der Treuhandchefin Birgit Breuel, die eine etwas andere Perspektive eröffnen. Ich denke, wir sollten das Thema „Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern" nicht länger zum parteipolitischen Spiel im Bundestag machen.
({1})
Im Namen der PDS/Linke Liste unterstütze ich den Antrag der SPD, eine Debatte über die Arbeitsmarktmaßnahmen in den neuen Bundesländern auf die Tagesordnung zu setzen. Ich denke, die Debatten in
den letzten Wochen im Bundestag - einerseits über die arbeitsmarktpolitischen Anträge der PDS/Linke Liste, andererseits im Rahmen der von der SPD beantragten Aktuellen Stunde - haben gezeigt, wie brennend das Problem ist und daß wir uns in diesem Hause gemeinsam darüber verständigen müssen, welche neuen Wege zu suchen sind. Wir können das nach meiner Meinung auch nicht in einem ewigen Gegeneinander tun, sondern das muß in einem Miteinander geschehen.
In diesem Sinne möchte ich an Sie appellieren, diesen Antrag heute noch zu behandeln.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist der SPD-Antrag abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 a bis c und die Zusatzpunkte 2 bis 4 auf.
4. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nachträgliche Umstellung von Kontoguthaben, über die Tilgung von Anteilrechten an der Altguthaben-Ablösungs-Anleihe, zur Änderung lastenausgleichsrechtlicher Bestimmungen und zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung der „Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung"
- Drucksache 12/2170 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes
- Drucksache 12/2154 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20. Dezember 1990 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr ({1})
- Drucksache 12/2149 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
ZP 2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 9. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa
- Drucksache 12/2263 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 1990 zur Anderung des Abkommens vom 14. September 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Erleichterungen der Grenzabfertigung im Eisenbahn-, Straßen-
und Schiffsverkehr
- Drucksache 12/2264 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({3})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
ZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, Lisa Peters und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes und des Weingesetzes
- Drucksache 12/2282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4})
Ausschuß für Gesundheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Nunmehr rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis g, 10 und den Zusatzpunkt 5 auf.
5. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzgesetzes
- Drucksache 12/1609 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Frauen und Jugend ({5})
- Drucksache 12/2115 - Berichterstattung:
Abgeordnete Claudia Nolte Erika Simm
({6})
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu
Vizepräsident Helmuth Becker
dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1990
- Einzelplan 20 -- Drucksachen 12/893 ({8}), 12/2127 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps Karl Deres
Ina Albowitz
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
- Drucksachen 12/311 Nr. 2.3, 12/2163 Berichterstattung:
Abgeordnete
Hansgeorg Hauser ({10}) Hermann Rind
Dr. Norbert Wieczorek
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Wirtschafts- und Währungsunion
- Drucksachen 11/8266, 12/2215 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerhard Schüßler
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 52 zu Petitionen
- Drucksache 12/2227 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({13}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 12/1857, 12/2258 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Schwanhold
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({14}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertfünfzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -- Drucksachen 12/1911, 12/2259 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung 10. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({15}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Bericht zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 12/825, 12/2199 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Heinz-Dieter Hackel
Angelika Barbe
ZP 5 Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({16})
Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 12/2254 Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Helmrich
Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 5 a:
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Mutterschutzgesetzes, Drucksache 12/1609.
Der Ausschuß für Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 12/2115, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 b:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofs über die Rechnung für das Haushaltsjahr 1990, Drucksachen 12/893 ({17}) und 12/2127.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen der Gruppe PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 c:
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu einem Richtlinienvorschlag der EG zu steuerrechtlichen Regelungen für Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten. Es handelt sich um die Drucksache 12/2163.
Vizepräsident Helmuth Becker
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Beschlußempfehlung ist einstimmig gefolgt worden.
Tagesordnungspunkt 5 d:
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zur Wirtschafts- und Währungsunion, Drucksache 12/2215.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen der Gruppe PDS/ Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE ist auch diese Beschlußempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 e:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/2227; das ist die Sammelübersicht 52.
Dazu gibt es eine Wortmeldung der Frau Kollegin Dr. Enkelmann. Bitte sehr.
({18})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatterin einer Petition zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz möchte ich gegen den Umgang des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit ihm zugeleiteten Petitionen protestieren.
In einer Eingabe vom 25. März 1991 wandten sich Kreisbauernverbände aus Rathenow, Brandenburg und Belzig - alles liegt im Land Brandenburg - gegen den damals vorliegenden Entwurf eines Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und formulierten ihre Forderungen. Das umgehend vom Petitionsausschuß an das Ministerium weitergeleitete Schreiben wurde dort erst am 22. Juli 1991 beantwortet, d. h. Wochen nachdem das Gesetz vom Bundestag bereits verabschiedet worden war.
Abgesehen davon, daß die Antwort des BML den Kern der Frage des Petenten, z. B. nach einer Sicherung des Vorerwerbsrechts für ostdeutsche Landwirte, nicht traf, hatte sich die Petition quasi von selbst erledigt. Hier bleibt die Frage offen, ob es sich um eine absichtliche Verzögerung der Beantwortung oder um Schlamperei im Ministerium handelte.
({0})
So jedenfalls sollte mit Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit ihren Problemen an die Regierung wenden, nicht umgegangen werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, es war beschlossen, daß zu diesem
Tagesordnungspunkt nicht gesprochen wird. Sie dürfen als Berichterstatterin natürlich das Wort ergreifen, aber dann nur zur Sache sprechen und Berichtigungen anbringen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beschlußfassung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 5f und 5 g: Beratung von zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Ausfuhr- und Einfuhrliste, Drucksachen 12/2258 und 12/2259. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist beiden Beschlußempfehlungen einstimmig gefolgt.
Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung: Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Stand und Perspektiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksachen 12/825 und 12/2199. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste ist dieser Beschlußempfehlung gefolgt.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung: Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 12/2254. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS/ Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung ebenfalls angenommen.
Nunmehr rufe ich Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Deutsche Verkehrspolitik im zusammenwachsenden Europa
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Klaus Daubertshäuser, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Generelle Sicherungspflicht für Kinder im Pkw
- Drucksache 12/1978 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({1}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({2}), Dirk Fischer ({3}), Manfred Heise, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Friedrich, Ekkehard Gries, Roland Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Vizepräsident Helmuth Becker
Verbesserung des Schutzes von Kindern als Mitfahrer in Kraftfahrzeugen
-- Drucksache 12/2252 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({4}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Daubertshäuser, Robert Antretter, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mehr Verkehrssicherheit durch Senkung der Promillegrenze und Einführung der elektronischen Atemalkohol-Analyse
-- Drucksache 12/985 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({5}) Ausschuß für Verkehr
Innenausschuß
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Einbau und Benutzung von Geschwindigkeitsbegrenzern für bestimmte Kraftfahrzeugklassen in der Gemeinschaft
- Drucksachen 12/1449 Nr. 2.8, 12/2123 Berichterstattung: Abgeordnete Elke Ferner
Für die Debatte sind vier Stunden vorgesehen.
Zunächst kommen wir zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur deutschen Verkehrspolitik im zusammenwachsenden Europa. Ich erteile dem Herrn Bundesverkehrsminister Günther Krause das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Zur Verkehrspolitik im wiedervereinigten Deutschland erklärt die Bundesregierung: Mobilität umweltgerecht zu sichern bedeutet für den Wirtschaftsstandort Deutschland, der im Kern Europas, aber zugleich auch an den Bruchstellen früherer Systemgrenzen gelegen ist, eine Problemstellung dreifacher Art.
Erstens. Auf Mobilität setzt Westeuropa beim EGBinnenmarkt 1993 und beim Europäischen Wirtschaftsraum mit der größten Freihandelszone der Welt, die rund 380 Millionen Menschen und 19 Länder umfaßt und schon heute etwa 40 % des Welthandels bestreitet. In den Kernländern der Freihandelszone häufen sich aber schon heute die Verkehrsengpässe.
Zweitens. Eine neue Dimension von Mobilität haben die deutsche Einheit und das freie Ost- und Südosteuropa quasi über Nacht in West-Ost- und Ost-West-Richtung bewirkt. In der Vergangenheit liefen die Verkehrsströme im wesentlichen in NordSüd-Richtung. Über 45 Jahre lang wurden die Infrastrukturmagistralen in Westeuropa entsprechend ausgebaut.
Vor allem die Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland ist, wie in den alten und neuen Staaten des ehemaligen Ostblocks, der heutigen und künftigen Mobilität in keiner Weise gewachsen. Von den neuen Bundesländern selbst gehen erhebliche Wachstumsimpulse im Verkehrsbereich jetzt schon aus. Ihre Transitfunktion zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Osteuropa können sie derzeit nicht erfüllen. Für unsere östlichen Nachbarn sind leistungsfähige Verkehrswege jedoch Lebensadern, um Lebensverhältnisse an Westeuropa schrittweise anzugleichen. Diese Adern entscheiden mit darüber, daß Arbeit und Wohlstand zu diesen Menschen kommen können und der Umkehrprozeß nicht in eine neue Abstimmung mit den Füßen führt.
Drittens. Die Ballungsräume und ihre Einzugsbereiche drohen an wachsenden Mobilitätsansprüchen zu ersticken, wenn es nicht gelingt, für diesen Mikrokosmos menschlicher Besiedlung und wirtschaftlicher Agglomeration neue verkehrspolitische Antworten zu finden.
Mobilität umweltgerecht zu sichern - mit dieser Aufgabe ist die Bundesregierung derzeit auf der Zielgeraden bei der Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans 1992 mit einem Planungszeitraum bis zum Jahre 2010. Im Sommer dieses Jahres soll dieses integrierte Gesamtinvestitionskonzept des Bundes für alle Bundesverkehrswege vorliegen.
({0})
Die Prognosen, die dieser Planung zugrunde gelegt werden, zeigen das Ausmaß der Herausforderung. Sie gehen davon aus, daß der Güterverkehr auf der Straße im Zeitraum von 1988 bis zum Jahr 2010 um 95 % zunimmt, auf der Schiene um 55 % und auf der Binnenwasserstraße um 84 %. Im Transitverkehr durch Deutschland wird sich der Güterverkehr verdoppeln. Beim Personenverkehr wird sogar eine Steigerung um mehr als 180 % erwartet. Innerhalb Deutschlands wird sich der Ost-West-Güterverkehr mehr als versiebenfachen, der Personenverkehr nahezu verachtfachen.
Der Pkw-Bestand beträgt derzeit mehr als 36 Millionen. Bis zum Jahre 2010 ist eine Steigerung auf über 45 Millionen prognostiziert. Ob diese prognostizierten Entwicklungen eintreten und wie die Verkehrspolitik diese Aufgaben gestaltet, das wird die Auseinandersetzung aktueller und zukünftiger Verkehrspolitik mit Sicherheit ausmachen.
Hinzu kommt eine wichtige Tatsache: Das Verkehrswachstum konzentrierte sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland auf zwei Verkehrsträger, und zwar auf den Straßenverkehr und auf den Luftverkehr. Der Anteil des Transportaufkommens auf den Wasserstraßen stagnierte, die Eisenbahn war und ist Verlierer des Wachstums mit einem derzeitigen Marktanteil, bezogen auf die Gesamtmenge, von nur noch 29 %. Diese Entwicklung wurde ja leider vor Jahrzehnten eingeleitet.
Das Gleichgewicht des Wachstums der Verkehrsträger ist in allen Industrieländern abhanden gekommen. Sicher ist aber, daß wir uns in Zukunft keine Stagnierer und Verlierer leisten können, wenn wir das
Verkehrswachstum umweltfreundlich bewältigen wollen.
Die zentrale Herausforderung für die Verkehrspolitik lautet: durch Sicherung der Mobilität zugleich die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu stärken und der heutigen wie künftigen Generation eine intakte Umwelt zu erhalten. Das Auto besitzt einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Niemand wird unseren Bürgern das Auto ausreden können.
({1})
Es ist zudem ein wesentlicher Faktor unserer exportorientierten Volkswirtschaft. Ein Großteil der Arbeitsplätze in Deutschland sind von ihm abhängig.
Industrie und Verbraucher sollten sich aber heute über eines im klaren sein: Die Zukunft des Autos wird von seiner Umweltverträglichkeit abhängen. Wer hier heute die technologischen Antworten findet, der hat morgen weltweit den Wettbewerbsvorsprung. Hinzu kommt untrennbar die Sicherheit des Straßenverkehrs. Es geht um den Schutz von Umwelt und Mensch gleichermaßen.
Angesichts der weltweiten Bedrohung der Erdatmosphäre hat die Umweltverträglichkeit des Verkehrs höchste Priorität. Die Bundesregierung stellt sich dieser globalen Herausforderung und wird durch investitions- und ordnungspolitische Maßnahmen wie Ausbau der Schiene, der Schiffahrt und Förderung des ÖPNV im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zur Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich beitragen, der mit einem Anteil von rund 20 % bekannterweise drittgrößter CO2-Emittent ist. Die Bundesregierung hat beschlossen, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen insgesamt, bezogen auf das Jahr 1987, um 25 bis 30 % zu reduzieren. Dazu wird der Verkehr seinen angemessenen Beitrag leisten.
({2})
Folgende Handlungsvorschläge gilt es in Europa bei Bund, Ländern und Gemeinden verstärkt zu verfolgen: erstens Bemessung der Kfz-Steuer nach Umweltkriterien, zweitens Ausbau der Schienen- und Straßeninfrastruktur, drittens Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, viertens Verkehrsflußsteuerung sowie fünftens Schulung und Information über umweltgerechtes Fahrverhalten.
Die Bundesregierung fordert eine europaweite Regelung zur Senkung der CO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen. Ziel ist ein durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch bei Neuwagen von 5 bis 61 auf 100 km im Jahr 2005. Weiterhin verfolgt die Bundesregierung in der Europäischen Gemeinschaft das Ziel der gerechten Anlastung der Wegekosten für alle Benutzer der Infrastruktur. Deutschland als das Transitland in Europa kann auf Dauer nur so seine Verkehrsfunktion im Kern Europas erfüllen.
Eine extreme Verteuerung, die das Autofahren zu einem nur noch einkommensstarken Schichten möglichen Luxus machen würde, lehnt die Bundesregierung jedoch ab. Eine automobile Zweiklassengesellschaft darf es nicht geben. Sie ist nicht unser Ziel.
({3})
Die Bundesregierung fordert und fördert die konsequente Nutzung aller technischen Reserven für Umwelt und Sicherheit am Fahrzeug selbst. Sie hat mit der europaweiten Durchsetzung des Katalysators die Vorreiterrolle für die Reduzierung der Umweltbelastung durch fahrzeugtechnische Maßnahmen eingenommen. Die Einführung der Abgassonderuntersuchung für Katalysator- und Dieselfahrzeuge im nächsten Jahr unterstreicht die konsequente Politik dieser Regierung und auch ihre Vorreiterrolle in der Europäischen Gemeinschaft.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 1991 verzeichneten die alten Bundesländer die geringste Zahl von Verkehrstoten seit 1953, dem Beginn der Unfallstatistik in der Bundesrepublik Deutschland ({5}). Dies wurde trotz Verzehnfachung der Fahrleistung in diesem Zeitraum erreicht. In vielen anderen Ländern ist ähnliches nicht gelungen. Für die Bundesregierung ist das aber kein Ruhekissen, sondern weiterer Ansporn, den erfolgreichen Weg ihrer Verkehrssicherheitspolitik fortzusetzen.
Verkehrssicherheit hängt im wesentlichen von drei Faktoren ab: erstens von verantwortungsbewußtem und rücksichtsvollem Verhalten im Straßenverkehr, zweitens von sicheren Fahrzeugen und drittens natürlich von sicheren Straßen. Die Bundesregierung wird bis 1995 550 Millionen DM in die Installation elektronischer Verkehrsbeeinflussungsanlagen investieren und damit den Verkehr auf den Autobahnen flüssiger und vor allem sicherer gestalten. Wie sehr durch solche intelligenten Lösungen Gefahrenschwerpunkte abgebaut werden können, zeigen erste Auswertungen. Die Unfallzahlen sind dort, wo es solche Lösungen bereits heute gibt, um bis zu einem Drittel zurückgegangen.
Die Bundesregierung anerkennt das Bemühen der Automobilindustrie, die passive Sicherheit der Kraftfahrzeuge ständig zu verbessern. Doch letztlich bestimmt das Verhalten jedes einzelnen Verkehrsteilnehmers, wie sicher unsere Straßen sind. Die Bundesregierung hat deshalb die Mittel für Verkehrssicherheitsarbeit in diesem Jahr auf 40 Millionen DM erhöht, der höchste je für Verkehrssicherheitsaufklärung bereitgestellte Geldbetrag.
Gemeinsam mit den Verbänden der Verkehrssicherheitsarbeit wird eine breitangelegte Aufklärungskampagne „Rücksicht kommt an" - ich denke, das ist auch ein Motto im Umgang untereinander im Deutschen Bundestag; vielleicht sollten wir diese Kampagne auch hier einmal starten - in den alten und den neuen Bundesländern durchgeführt, um das Verantwortungsbewußtsein aller Verkehrsteilnehmer weiter zu sensibilisieren.
Gerade in den neuen Bundesländern muß mit unverminderter Anstrengung die auch 1991 noch erschreckend hohe Zahl von Verkehrsunfallopfern weiter gesenkt werden. Zwischenzeitlich gibt es ermutigende Anzeichen, daß die umfassenden Maß6970
nahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur einerseits und zur Intensivierung der Verkehrssicherheitsarbeit andererseits erste Früchte tragen. Seit September 1991 sinkt auch in den neuen Bundesländern die Zahl der Unfallopfer. Wir werden unsere ganzen Anstrengungen darauf richten, daß die positive Entwicklung zum stabilen Trend wird.
Das zentrale Ziel der Verkehrspolitik in der Bundesrepublik, die Mobilität von Menschen und Gütern umweltgerecht zu sichern, läßt sich nicht mit einfachen Patentrezepten erreichen. Einerseits darf Mobilität nicht mit ausschließlicher Automobilität verwechselt werden, andererseits führen jene Vorschläge, die auf eine einseitige, radikale und dirigistische Reduzierung des Straßenverkehrs abzielen, volkswirtschaftlich, sozial- und umweltpolitisch ins Abseits.
({6})
Die Verkehrspolitik der Bundesregierung setzt statt dessen auf ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, d. h. erstens darauf, die umweltfreundlicheren Verkehrsmittel wie die Bahn, den öffentlichen Personennahverkehr, die Binnenschiffahrt, die Küsten- und Seeschiffahrt am zukünftigen Verkehrswachstum wesentlich stärker als in der Vergangenheit zu beteiligen;
({7})
zweitens darauf, die vorhandene Infrastruktur durch Verbund und Vernetzung der Verkehrsträger unter Einbeziehung moderner Informationstechnologien besser zu nutzen; drittens darauf, die Infrastruktur zügiger und umweltgerechter auszubauen. Die beiden ersten Maßnahmenbündel stehen in enger Wechselbeziehung.
Zum ersten Maßnahmenkomplex: Ziel der Bundesregierung ist es, die umweltfreundlicheren Verkehrsträger stärker am Verkehrswachstum zu beteiligen. Dazu ist es notwendig, daß die Verkehrsträger viel stärker als bisher in integrierten Verkehrssystemen zusammenarbeiten. Bahn, Schiff und Lkw müssen ihre arteigenen Stärken in Transportketten einbringen. Die Bundesregierung wird deshalb die Verbundfähigkeit zu einem wesentlichen Kriterium bei der Weiterentwicklung des Verkehrsrechts, der technischen Normen sowie der Infrastrukturinvestitionen machen.
Der Ausgestaltung der Schnittstellen sowie der verkehrsträgerübergreifenden Anwendung der modernen Informationstechnologie kommt ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Schnittstellen im Güterverkehr sind die Umschlaganlagen des kombinierten Verkehrs und der Güterverkehrszentren. Gerade durch die Bündelungs- und Verteilfunktion der Güterströme und eines Güterverkehrszentrums erhält der kombinierte Verkehr eine noch bessere Ausgangsbasis. Die Logistik der Unternehmen ist gefordert, die sich hier bietenden Chancen unter Einsatz modernster Technik der Telekommunikation noch stärker als bisher zu nutzen.
Die Entwicklung des kombinierten Verkehrs Schiene/Straße in den alten Bundesländern beweist, daß wir auf dem richtigen Weg sind. In dem ZehnJahres-Zeitraum zwischen 1980 und 1990 konnte der kombinierte Verkehr sein Aufkommen um rund 130 % erhöhen. Im Jahre 1991 hat der kombinierte Verkehr Schiene/Straße rund 27 Millionen t Güter bewältigt. Allein im Jahre 1991 ergab sich ein Verlagerungseffekt von über 2 Millionen Lkw-Fahrten auf langen Strecken mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die CO2-Bilanz. Die Bundesregierung rechnet mit einer Verdreifachung auf 90 Millionen bis 100 Millionen t im Jahre 2010.
In den neuen Bundesländern nutzen wir die Chance des Neubeginns, um moderne Strukturen des Güterverkehrs von Anfang an zu realisieren.
Das Binnenschiff muß stärker in die Transportkette des kombinierten Verkehrs eingebunden werden. Kapazitätsreserven und die Zuverlässigkeit des Transports sind die hierfür entscheidenden Kriterien.
Wichtiger Bestandteil eines integrierten Verkehrssystems in Europa ist zukünftig die Seeschiffahrt. Als umweltverträglicher und energiesparsamer Verkehrsträger entlastet sie wirkungsvoll die Landverkehre. Deutschland als stark exportorientiertes Land kann auf eine eigene Handelsflotte deshalb nicht verzichten.
({8})
- Sie sind nicht für eine eigene Handelsflotte, entnehme ich Ihrer Reaktion?
({9})
Die Bundesregierung wird sich auf EG-Ebene weiter für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte einsetzen.
Zum zweiten Maßnahmenbündel stellt die Bundesregierung fest: Sowohl die optimale Verknüpfung der Verkehrsträger als auch die intelligente Nutzung der Verkehrswege verlangen den Einsatz moderner Informationstechnologien. Die Bundesregierung unterstützt die Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger durch Aufbau verkehrsträgerübergreifender Informationssysteme.
({10})
- Wir holen unsere Power aus der Sachlichkeit, Herr Schäfer. Vielleicht ist das ein Ansporn für Sie.
({11})
Dies gilt auch für die technische Weiterentwicklung und den Einsatz der Magnetbahn Transrapid auf der Basis privater Finanzierung. In den neuen Ländern planen wir von Anfang an, die Verkehrsträger miteinander zu vernetzen. Natürlich denken wir bei der Vernetzung auch an den Transrapid.
({12})
Zur Entscheidung steht jetzt, welche Forschungsergebnisse in welcher Form angewendet werden können, welche konkreten Aufgaben dabei der Industrie einerseits und der öffentlichen Hand andererseits zukommen und wer die Kosten zu tragen hat. Entscheidungen über verkehrliche Informationssysteme werden in Abstimmung mit der Industrie getroffen und müssen mit den Entwicklungen im europäischen Raum in Einklang stehen.
({13})
Zum dritten Maßnahmenbündel gehört: Das schwächste Glied in der Transportkette entscheidet über den Gesamterfolg der Kooperation und Vernetzung. Die Aufgabe ist deshalb, alle Verkehrsträger in ihrer Leistungsfähigkeit auf den bestmöglichen Stand zu bringen - alle Verkehrsträger!
({14})
Dabei muß die Infrastruktur aller Verkehrsträger auch im Westen Deutschlands weiter ausgebaut werden. Der Bundesverkehrswegeplan 1992, den die Bundesregierung im Sommer vorlegt, wird darauf als integriertes Investitionsgesamtkonzept eine klare Antwort zu geben haben.
Bei den 17 Verkehrsprojekten Deutsche Einheit, die im Vorgriff auf den Bundesverkehrswegeplan 1992 rasch realisiert werden sollen, setzen wir die Priorität auf die umweltfreundlichen Verkehrsträger. Auf Projekte der Schienen- und Wasserstraßen entfallen zehn der 17 Vorhaben und rund 33 Milliarden DM an Investitionen, d. h. weit mehr als die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens von rund 56 Milliarden DM.
({15})
Der verstärkte Ausbau der Schieneninfrastruktur wird auch die Einbeziehung des Luftverkehrs in ein integriertes Verkehrskonzept fördern. Es ist Ziel der Bundesregierung, daß der Kurzstreckenverkehr der Luft zukünftig grundsätzlich zum Langstreckenverkehr der Schiene wird. Das entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, die Luftfahrtinfrastruktur, insbesondere unser Flughafensystem, den Anforderungen eines steigenden, vor allem internationalen Luftverkehrs schrittweise anzupassen. Für den Wirtschaftsstandort sind ausreichende weltweite Luftverkehrsverbindungen lebensnotwendig. Die Luftfahrt hat hier überragende Funktionen. Wir haben dafür zu sorgen, daß der Luftverkehr und seine Infrastruktur so umweltschonend wie nur möglich gestaltet werden.
Für die Menschen in den neuen Bundesländern ergibt sich ein besonderer Aspekt: Von den Investitionen in die Verkehrswege gehen bedeutende Konjunkturimpulse aus. Diese Investitionen bedeuteten 1991 Arbeitsplätze für 250 000 Menschen, die es in der ehemaligen DDR an dieser Stelle mit Sicherheit nicht gegeben hätte, weil es diese Investitionen dort ja nicht gegeben hat. 1992 werden es über 300 000 Arbeitsplätze sein. Hinzu kommt noch etwa die gleiche Anzahl von Arbeitsplätzen im Zulieferer- und Vorleistungsbereich.
Es bleibt schließlich die Herausforderung, unsere Ballungsräume, Städte und Gemeinden nicht an wachsenden Mobilitätsansprüchen ersticken zu lassen. Im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1992 haben wir das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz neu gestaltet. Schon in diesem Jahr werden die Fördermittel des Bundes für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden um 50 % aufgestockt.
({16})
In den Jahren 1993 bis 1995 werden jeweils 6 Milliarden DM statt 3 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Es gibt im Bundesverkehrshaushalt keinen einzigen Ansatz, der von 1991 auf 1993 mit 100 % Steigerung ausgestattet worden ist - außer dem Bereich ÖPNV. Das ist die Wahrheit. Im Steueränderungsgesetz war der ÖPNV ein wichtiger Anteil, und wir wissen ja, wie manche Landesregierungen sich verhalten haben.
({17})
Das neue Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz stärkt die föderalistischen Entscheidungsstrukturen im ÖPNV nachhaltig. Das Mitspracherecht des Bundes ist auf große Vorhaben über 100 Millionen DM beschränkt. Dafür stehen dem Bund nur noch 20 % der Fördermittel zur Verfügung. Jetzt liegt es in der Hand der Kommunen und natürlich auch der Länder, diese zusätzlichen Mittel auch vorrangig und angemessen für ÖPNV-Vorhaben zu verwenden.
Durch die Erweiterung des Förderkatalogs eröffnet das neue Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz die Möglichkeit, moderne Steuerungstechnologien für den ÖPNV sowie Verkehrsleitsysteme in den Städten in eigener Verantwortung zu fördern. Der Bund bezahlt; in Verantwortung der Kommunen und der Länder kann dann das Problem gelöst werden.
Die Gemeinden und regionalen Gebietskörperschaften haben es jetzt selbst in der Hand, zum Beispiel durch dynamische Parkleitsysteme, mit denen situationsabhängig schon an der Peripherie der Städte der Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel umgelenkt werden kann, die Innenstädte zu entlasten. Es wird in Zukunft immer wichtiger sein, daß Verkehrsleitzentralen nicht verkehrsträgerorientiert, sondern miteinander kombiniert für alle Verkehrsträger betrieben werden.
({18})
Die bis 1995 mögliche Förderung von Güterverkehrszentren stellt einen wichtigen Ansatz zur Lösung der Probleme dar, die der Güterverkehr in den Städten verursacht. Erste Untersuchungen und praktische Erfahrungen zeigen, daß bis zu 60 % des innerstädtischen Güterverkehrs vermieden werden könnten, wenn die Versorgung und Entsorgung auf der Basis neuer Methoden der City-Logistik erfolgen würden. Um die Dimension einmal deutlich zu machen: Von rund vier Milliarden Tonnen Gütern in Deutschland werden eine Milliarde Tonnen im Fernverkehr befördert und stehen im teils ideologisch geführten Streit, ob Schiene, Straße oder Wasserstraße. Bei drei Milliarden Tonnen im Nahverkehr gibt es diese Alternativen nicht, aber bisher nicht genutzte bedeutende Einsparpotentiale.
Deshalb ist es richtig, im Bereich des ÖPNV, im Bereich des GVFG die entsprechenden Erhöhungen der Investitionszuschüsse nun in den Ländern und Gemeinden richtig anzuwenden. Und deshalb ist auch die Politik richtig!
({19})
Ein weiterer entscheidender Reformschritt zur Sicherung umweltfreundlicher Mobilität in unseren Städten und Gemeinden ist die stärkere Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Der föderale Staatsaufbau in Deutschland, urn den uns viele Länder der Welt beneiden, ist dafür wie geschaffen. Die Aufgabe selbst, die Gestaltung des ÖPNV, gehört in die regionale Verantwortung. Darüber gibt es einen breiten politischen Konsens zwischen den Parteien.
Es geht jetzt darum, Planungs-, Entscheidungs- und Finanzierungsverantwortung für den ÖPNV in regionaler Kompetenz vor Ort zusammenzuführen. ÖPNV in regionalen Maßanzügen ist die Voraussetzung für attraktive Angebote ebenso wie für Wirtschaftlichkeit und Kostenminimierung.
({20})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hält zur Verwirklichung des integrierten Verkehrskonzepts die folgenden vier zentralen verkehrspolitischen Weichenstellungen noch in dieser Legislaturperiode für unabdingbar: erstens die Bahnreform, zweitens die Beschleunigung des Verkehrsplanungsrechts und damit die Beschleunigung der Verkehrsplanungen,
({21})
drittens die Weiterführung der Privatisierung, viertens die Harmonisierung der Marktbedingungen in Europa.
Zur Strukturreform der Bahn: Wir werden die verkehrspolitischen Herausforderungen nur meistern, wenn die Bahn ihren wichtigen Beitrag zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens der Zukunft leistet. Ohne Zweifel spielt eine leistungsfähige Schieneninfrastruktur in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Dies setzt insbesondere die durchgreifende Sanierung des Kernnetzes der Deutschen Reichsbahn voraus.
Die Status-quo-Entwicklung der beiden deutschen Staatsbahnen würde für den Bund bis zum Jahr 2000 zu einem kumulierten Finanzbedarf von rund 417 Milliarden DM führen, den die Regierungskommission ermittelt hat. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung führt kein Weg an einer durchgreifenden Strukturreform der Bahnen vorbei! Eine „unternehmerische Bahn" ist die einzige erkennbare Chance.
Im Kern geht es nun um die wachsende Leistungsfähigkeit der Bahn und ihr eigenverantwortliches Agieren am Markt. Eine „unternehmerische Bahn" entwickelt ein neues Kostenbewußtsein. Dazu gehört insbesondere die konsequente und umfassende Ausschöpfung aller betriebswirtschaftlichen und technologischen Rationalisierungspotentiale.
Die Bundesregierung hat am 5. Februar beschlossen, ihre Konzeption für die Bahnreform unter Berücksichtigung der Vorschläge der Regierungskommission Bundesbahn bis zur Sommerpause zu erarbeiten und dann vorzulegen. Wesentliche Eckpunkte dafür sind: erstens faire Wettbewerbsbedingungen für die Schiene im Markt, zweitens Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit, drittens Wahrung der berechtigten Belange der Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn, viertens Lösung des Schuldenproblems, fünftens Sicherung von Leistungen im Interesse des Gemeinwohls.
Die Bahnreform muß den durch die Bundesregierung zu deckenden Finanzbedarf der Bahn längerfristig deutlich zurückführen und darf ihn kurz- und mittelfristig nicht erhöhen. Die notwendigen gesetzgeberischen Weichenstellungen könnten dann 1993 in diesem Hohen Haus gemeinsam beschlossen werden.
Die Bundesregierung packt mit der Bahnreform eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ersten Ranges an. Wir wollen und brauchen dabei einen breiten politischen Konsens. Dazu lade ich alle hier in diesem Hause ein.
({22})
Zur Planungsbeschleunigung: Die umweltgerechte Gestaltung unserer Verkehrsinfrastruktur darf nicht an den Planungszeiten scheitern.
({23})
Die zweite verkehrspolitische Weichenstellung dieser Legislaturperiode ist deshalb die Planungsbeschleunigung.
({24})
Nach Schätzungen von Umweltexperten werden allein durch Staus auf unseren Straßen 25 % mehr Schadstoffe erzeugt.
({25})
Der Bau von Entlastungsstrecken, insbesondere Ortsumgehungen, ist aktiver Umweltschutz, der keine Verzögerung duldet.
({26})
Im übrigen wird die Bahnreform nur von Erfolg gekrönt sein, wenn die Kapazitätsengpässe auf der Schiene durch einen entsprechenden Netzausbau schnellstmöglich beseitigt und damit die Voraussetzungen für den umweltfreundlichen Verlagerungseffekt von der Straße auf die Schiene geschaffen werden.
({27})
Das gilt auch für die Binnenschiffahrt. Ziel ist es, den Anteil der Binnenschiffahrt an den Güterverkehrsleistungen von rund 3 % in den neuen Bundesländern auf ein Mehrfaches zu steigern. In Westdeutschland beträgt er rund 22 %, wobei der überragende Anteil der Transportleistungen auf dem Rhein erbracht wird. Mit jedem Jahr, in dem wir die Wasserstraßen nicht deutlich verbessern können, verschenken wir erhebliche Potentiale zur CO2-Einsparung. Der Ausbau des Mittelland-/Elbe-Havel-Kanals führt
beispielsweise - das ist nur eines der 17 Projekte Deutsche Einheit - zu einer Einsparung von rund 200 000 t CO2 jährlich. Ich bin gespannt, wie wir uns bei dem entsprechenden Investitionsgesetz verhalten: ob wir ihm gemeinsam zustimmen werden und damit einer umweltpolitisch wichtigen Zielsetzung entsprechen oder ob es Ablehnung findet. Ich hoffe, daß sich die Vernunft in Sachen Umwelt durchsetzt.
({28})
Die Bundesregierung hält es für unvertretbar, daß Planungszeiten beim Neubau von Verkehrswegen bis zu 20 Jahre dauern.
({29})
Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Verkehrswegeplanung in den neuen Bundesländern und in Berlin haben wir die Grundlage dafür geschaffen, daß der Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern zügig erfolgen kann. Dieses Gesetz bezieht auch die Fernverkehrswege zwischen alten und neuen Bundesländern in seinen Geltungsbereich ein.
Die Planungsbeschleunigung kann zwar den Planungsvorlauf um die Hälfte verkürzen; für die dringend notwendigen „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" , mit denen durch den Neu- und Ausbau der Hauptverkehrsachsen zwischen West und Ost die jahrzehntelange Teilung Deutschlands überwunden werden soll, wird dies jedoch nicht ausreichen. Die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" sind in verkehrlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von überragender gesamtstaatlicher Bedeutung. Der wirtschaftliche Aufschwung in den neuen Bundesländern erfordert leistungsfähige Verkehrswege, und zwar so schnell wie möglich.
({30})
Die Entscheidung über Bau- und Ausgestaltung von Teilabschnitten der „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" soll deshalb nicht der Verwaltung überlassen, sondern dem Parlament vorbehalten werden.
({31})
Dieses Verfahren, das in Großbritannien, dem Mutterland der Demokratie, bei Vorhaben von nationaler Bedeutung angewendet wird, sichert die schnellstmögliche Verwirklichung dieser Verkehrsprojekte.
({32})
Die Bundesregierung beabsichtigt daher, die unverzügliche Bauzulassung der jeweiligen Vorhaben bzw. einzelner Abschnitte durch Investitionsmaßnahmengesetze zu erreichen. Als Pilotprojekte sind hier die Südumfahrung Stendal im Zuge der Eisenbahnschnellverbindung Hannover-Berlin sowie der erste Abschnitt der Autobahn Halle-Magdeburg vorgesehen.
Die Bundesregierung ist sich mit den Ländern darin einig, daß eine Planungsbeschleunigung für das gesamte Bundesgebiet dringend erforderlich ist.
({33})
Noch für diese Legislaturperiode wollen wir deshalb ein verbessertes Planungsrecht für ganz Deutschland erreichen.
({34})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Privatisierung: Die Privatisierung im Verkehrsbereich ist die dritte verkehrspolitische Weichenstellung dieser Legislaturperiode. Neben der Organisationsprivatisierung der beiden deutschen Staatsbahnen und der Organisationsprivatisierung der Flugsicherung wird es notwendig sein, die Leistungsfähigkeit mit Mitteln der Privatisierung weiter auszubauen. Nachdem die Bundesregierung die Eingliederung der überörtlichen militärischen Flugsicherung in die zivile Flugsicherungsorganisation bis zum Jahre 1996 eingeleitet hat, sind die Voraussetzungen für eine breite Zustimmung bei der erforderlichen Grundgesetzänderung gegeben.
Die Bundesregierung hat beschlossen, die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und 49 % der Aktien an Private zu veräußern. Ziel der Neuordnung und Teilprivatisierung der GfN ist, das Nebenbetriebssystem wirtschaftlicher und attraktiver zu gestalten sowie den Staatseinfluß zu verringern.
({35})
Dies soll durch den Abbau staatlicher Reglementierung, mehr Privatinitiative und Wettbewerb sowie eine weitere Verbesserung der Angebotsqualität und des Preis -Leistungs-Verhältnisses auf Betreiberebene erreicht werden.
Die Neuordnung und Teilprivatisierung der GfN wird die Nebenbetriebe in den neuen Bundesländern einbeziehen und auch in Zukunft mittelständische Existenzgründungen ermöglichen. Die erforderliche Änderung des Bundesfernstraßengesetzes ist hier ein wichtiges Vorhaben für diese Legislaturperiode.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausgaben des Bundes für den Verkehrsbereich waren im Jahr 1991 um rund 36 % höher als 1990. Für 1992 ist eine weitere Steigerung von fast 13 % auf rund 40 Milliarden DM beschlossen. Im Finanzplanungszeitraum bis 1995 sind nochmals erhebliche Steigerungsraten vorgesehen. Zusätzlich zur Haushaltsfinanzierung beabsichtigt die Bundesregierung, die Privatfinanzierung beim Ausbau der Infrastruktur an Hand von Pilotprojekten zu prüfen. Mit dem Beschluß des Kabinetts vom 29. Januar 1992 zur privaten Finanzierung von Verkehrsinvestitionen ist eine wichtige Grundsatzentscheidung zur Realisierung neuer Formen der Infrastrukturfinanzierung getroffen worden.
({36})
Im übrigen bin ich recht dankbar, daß die Landesregierung des Saarlandes beschlossen hat, die A 8 in diesem Zusammenhang auch über Privatfinanzierung realisieren zu wollen.
({37}) Dafür bin ich im besonderen dankbar.
Durch die frühzeitige Bereitstellung zusätzlicher privater Investitionsmittel können sich volkswirt6974
schaftliche Vorteile ergeben. Wir können Zeit einkaufen. Weitergehende Spielräume für private Investitionsfinanzierung im Verkehrsbereich werden gesehen, wenn im Rahmen der EG-Harmonisierung der Verkehrsabgaben zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Der Bundeshaushalt wird allerdings auch zukünftig die Basis für die Finanzierung des Infrastrukturausbaus in Deutschland bleiben müssen.
Nun zur Harmonisierung: Die vierte verkehrspolitische Weichenstellung der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode ist die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in Europa. Alle Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Schiene und Wasserstraßen werden scheitern, wenn dem Straßengüterverkehr nicht einmal die von ihm verursachten Wegekosten in Europa auferlegt werden.
({38})
Es geht in Europa darum, zur Harmonisierung der Mineralölsteuer mittel- bis langfristig eine weitere Anhebung der Mindestwerte zu erreichen, für die Kraftfahrzeugsteuer sowie für die Straßenbenutzungsgebühren eine europäische Regelung auf der Grundlage des Territorialitätsprinzips zu finden; das heißt, es wird dort bezahlt, wo gefahren wird.
({39})
Die Bundesregierung hält eine europäische Regelung des Wegekostenproblems für dringend notwendig: für eine umweltgerechte Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsträgern, für eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern, für eine Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Güterkraftverkehrsunternehmen in den EG-Mitgliedstaaten und für eine gerechte Anlastung der Wegekosten bei der Nutzung der Infrastruktur.
({40})
Mit unserem Gesetz über die Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastkraftwagen vom 30. April 1990 - dies als Erinnerung daran, was die Bundesregierung schon getan hat; Sie haben ja danach gefragt, was wir tun - verfolgen wir das Ziel einer gerechten Anlastung der Wegekosten. Wir wollen mit dem Gesetz eine europäische Lösung vorantreiben. Jetzt muß der Europäische Gerichtshof bald sein Urteil sprechen.
Notwendig für die Marktchancen unserer Unternehmen sind faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Markt. Sie setzen ein harmonisiertes System verkehrsspezifischer Abgaben, gleich hohe Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards, einheitliche Kontrollen sowie die Beseitigung unzulässiger Beihilfen voraus. Ohne eine Harmonisierung der Fiskalbelastungen und eine Anlastung der Wegekosten nach dem Verursacherprinzip wird das verkehrspolitische Ziel, ein effizientes, umweltverträgliches Verkehrssystem zu schaffen, nicht zu erreichen sein.
({41})
Die Harmonisierung und die Anlastung der Wegekosten gehören deshalb zu den Grundsäulen der Verkehrspolitik der Bundesregierung.
Vor dem Hintergrund gestiegener Anforderungen an die Qualität der Verkehrswege wird dies tendenziell zu einer Verteuerung des Straßenverkehrs führen. Die Kostenbelastung muß letztlich ein Niveau erreichen, das den tatsächlichen Kosten der Infrastruktur entspricht und deren Knappheit zum Ausdruck bringt. Harmonisierung ist auch Voraussetzung für die Realisierung des Umweltschutzes, denn Umweltschutz ist nicht zum Nulltarif erhältlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die größte Herausforderung, der wir heute, morgen und in Zukunft gegenüberstehen, ist die Bewahrung der uns anvertrauten Schöpfung. Wir müssen mit der Natur sorgsam umgehen. Die Verkehrspolitik der Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung. Mit der kritisch-konstruktiven Unterstützung durch dieses Hohe Haus und mit dem verantwortungsbewußten Beitrag aller Bürger werden wir den Anforderungen gerecht werden.
({42})
Bei allen schwierigen Problemen, die es zu lösen gilt, haben wir die Gewißheit: Ein leistungsstarkes Verkehrswesen ist Indikator für eine erfolgreiche Volkswirtschaft und für den Wohlstand der Menschen in diesem Land.
Vielen Dank.
({43})
Meine Damen und Herren, bevor wir mit der Aussprache beginnen, möchte ich das Haus noch einmal darauf aufmerksam machen, daß wir nunmehr zur Beratung der vier Vorlagen zur Verkehrspolitik kommen. Die Titel dieser Vorlagen mögen Sie der Tagesordnung entnehmen.
Außerdem möchte ich bekanntgeben, daß zur Regierungserklärung je ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vorliegt. Nachdem ich das Haus darüber informiert habe, kann ich dem Abgeordneten Daubertshäuser das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Verkehrsministers war sehr reziplikativ.
({0})
- Kollege Dr. Jobst, möchten Sie wissen, was das heißt? Das heißt gar nichts, aber es spricht sich so schön, eben so, wie die Regierungserklärung des Ministers war, die er uns gerade zugemutet hat.
({1})
Meine Damen und Herren, auf den Fernstraßen und in der Luft geht fast nichts mehr. Die Innenstädte ersticken im Verkehr. Die Umweltbelastungen durch
den Autoverkehr entwickeln sich dramatisch. Die Bundesregierung hat nun eine Regierungserklärung Verkehr angekündigt. Sie weckte damit natürlich Hoffnungen. Aber diese Regierungserklärung hat allenfalls klargemacht, daß Ihnen nichts, aber auch gar nichts klar ist, Herr Verkehrsminister.
({2})
Was wir hören mußten, war gemessen an der Problemlage, allenfalls die Karikatur einer Regierungserklärung.
Herr Minister, wenn diese Veranstaltung heute Ihr ramponiertes Ansehen aufpolieren sollte, dann haben Sie diese Chance nicht genutzt. Dabei gibt es doch im Bundesverkehrsministerium einen hervorragenden Sachverstand. Sie sollten diesen im Ministerium vorhandenen Sachverstand endlich nutzen, statt Ihre Mitarbeiter durch peinliche Affären und Schlagzeilen zu demotivieren.
({3})
Was Sie heute hier geboten haben, war ein klassischer Flop. Dabei gab es vor kurzem eigentlich einen Hoffnungsschimmer.
({4})
Sie selbst, Herr Minister, haben auf Schloß Krickenberg
({5})
ja mit formuliert, es sei in der Verkehrspolitik eine grundsätzliche Trendwende erforderlich. Wir hatten gehofft, die heutige Regierungserklärung werde die Eckdaten einer solchen neuen, integrierten Verkehrspolitik aufzeigen.
({6})
Aber Fehlanzeige, von Trendwende wahrhaftig keine Spur!
Was sich heute wie ein roter Faden durch Ihre Ausführungen zog, war wieder nur das starre Beharren auf längst gescheiterten Rezepten, zwar gepaart mit einer verzweifelten Hoffnung, die immer weiter steigenden Zuwachsprognosen irgendwann einmal einholen zu können.
Herr Minister, eine Verkehrspolitik, die wirklich gestalten will, darf doch nicht Prognosen hinterherhecheln. Sie muß Wege finden, die den Eintritt solcher Horrorvisionen verhindern. Eine Trendwende ist deshalb unaufschiebbar.
({7})
Wer wie Sie, Herr Minister, ein weiteres ständiges Verkehrswachstum als gottgegeben hinnimmt, produziert doch mit seiner Politik den Erstickungstod des Verkehrs. Wer heute auf ungezügelte Mobilität setzt, produziert den Stillstand. Ich kann Ihnen nur sagen: Verlassen Sie diesen verhängnisvollen Irrweg, und
reduzieren Sie endlich das krebsgeschwürartige Verkehrswachstum!
({8})
Deshalb brauchen wir im Verkehrsbereich einen Wandel von der Quantität zur Qualität. So wie in der Energiepolitik eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch möglich war, genauso notwendig und machbar ist die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum.
({9})
Das, Herr Minister, wäre eine Trendwende. Wir Sozialdemokraten fordern seit Jahren die Erarbeitung eines integrierten Gesamtverkehrskonzepts, das die Systemvorteile der verschiedenen Verkehrsträger ökonomisch und ökologisch sinnvoll nutzt und miteinander verknüpft.
({10})
Dabei müssen natürliche die Ziele Verkehrseinsparung, Verlagerung auf die jeweils umweltfreundlichsten Verkehrsträger sowie Optimierung der Verkehrsströme im Vordergrund stehen; denn heute ist auf jeden Fall sicher: Künftig wird sich jeder gesparte Kilometer rechnen. Ein Weniger an Kilometern bedeutet für eine wachsende Zahl von Menschen ein Mehr an Lebensqualität.
({11})
Wo, Herr Minister, ist Ihre Strategie zur Verminderung des Verkehrs? Wir wollen ein integriertes Gesamtverkehrskonzept, das dann auf wirklich tragfähigen Säulen steht, nicht auf diesen wackeligen Hölzchen, die Sie uns gerade präsentiert haben.
({12})
Es gibt drei Steuerungsinstrumente, die das Rückgrat einer neuen, integrierten Verkehrspolitik bilden müssen. Das erste sind die ökonomischen Instrumente. Solange wir nicht zu einer kostengerechteren Anlastung nach dem Verursacherprinzip für jeden einzelnen Verkehrsträger kommen, wird sich an den jetzigen Wettbewerbsverzerrungen zugunsten des Straßenverkehrs nichts ändern.
({13})
Deshalb muß endlich damit begonnen werden, dem Verkehr auch seine externen Folgekosten anzulasten. Dies gebieten schon die Gesetze der Marktwirtschaft, die Sie, Herr Minister, offensichtlich im Verkehrsbereich nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ich jedenfalls habe eben dieses Stichwort bei Ihnen nicht gehört. Dabei wäre dies eine wirkliche Trendwende, Herr Minister.
Mit der gerechten Anlastung der Wegekosten allein, die Sie offensichtlich so für ausreichend halten, ist es nun wahrhaftig nicht getan. Die Umweltschäden und die Unfallfolgekosten, die der Verkehr verursacht, werden ihm heute so nicht angelastet.
({14})
- Herr Kollege Gibtner fragt nach der Höhe. Das müßten Sie eigentlich wissen; Sie waren ja sogar schon einmal Verkehrsminister. Sie fragen jetzt danach - das tut mir wahnsinnig leid, Herr Gibtner.
({15})
Ich sage Ihnen nur: Warum sollen eigentlich die Menschen, die nicht Auto fahren können oder wollen, mit ihren Steuergroschen den Individualverkehr mitsubventionieren?
({16})
Herr Minister, Sie haben die Zweiklassengesellschaft angesprochen. Damit zementieren Sie eine Zweiklassengesellschaft. Das hat doch mit Gerechtigkeit nichts zu tun; denn dort, wo soziale Härten auftreten - z. B. bei Fernpendlern ohne Verkehrsmittelalternative -, muß dies über die Sozialpolitik abgefedert werden, nicht durch unterlassene Umweltpolitik.
({17})
Der zweite Bereich umfaßt die Infrastrukturinvestitionen. Eine Trendwende in der Verkehrspolitik kann nur gelingen, wenn die Investitionsmittel in Zukunft massiv zugunsten umweltfreundlicher Verkehrsträger wie Bahn, Öffentlicher Personennahverkehr und Binnenschiffahrt sowie zur Vernetzung der Verkehrsträger eingesetzt werden.
Meine Damen und Herren, jahrzehntelange Bevorzugung der Straße und Benachteiligung der Schiene haben die Straße konkurrenzlos, die Schiene dagegen chancenlos gemacht.
({18})
- Natürlich, ich sage das doch nicht mit parteipolitischer Schuldzuweisung, Herr Kollege Fischer. Nur, wir müssen das feststellen.
Durch das, was über die letzten Jahre hinweg geschehen ist, ist doch der Spruch von der freien Wahl des Verkehrsmittels immer stärker zur Farce geworden; denn durch die Infrastrukturpolitik wird die Wahl des potentiellen Nutzers automatisch vorbestimmt. Das wird jetzt noch durch die Deregulierung verstärkt. Wenn jetzt nicht eindeutig umgesteuert wird, dann ist die Schieflage für Jahrzehnte nicht mehr zu korrigieren.
Im Rahmen eines integrierten Gesamtverkehrskonzepts ist deshalb zügig ein verkehrszweigübergreifender Gesamtausbauplan zu entwickeln. Das heißt, die bisher für die Infrastruktur der einzelnen Verkehrsträger getrennt durchgeführte Planung muß endlich, Herr Kollege Jobst, eine integrierte Planung werden. Das wäre dann in der Tat, Herr Minister, eine Trendwende.
Nur, was haben wir heute dazu von Ihnen gehört? Eine abgestimmte Gesamtstrategie? - Davon habe ich nichts gehört. Konkrete Umsetzungsschritte? Was haben wir dazu gehört? - Nichts.
({19})
- Herr Pfeffermann, statt dessen hörten wir die frohe Botschaft, daß die Bundesregierung mit dem Verkehrswegeplan auf der Zielgeraden sei. Nur sage ich Ihnen: Auf der Zielgeraden verhungert sie allerdings schon seit einem Jahr, weil ihr offensichtlich die Kraft fehlt, das Zielband zu zerreißen.
Ich sage Ihnen aber: Viel wichtiger als die Zeitpläne sind die Inhalte. Dort, Herr Minister, klaffen Reden und reales Handeln meilenweit auseinander. Das ist das, was wir eben feststellen mußten.
({20})
Sie haben hier eben versprochen, Sie würden die Umweltbelastungen durch den Straßenverkehr verringern, politisch und praktisch singen Sie aber im gleichen Atemzug das hohe Lied des Individualverkehrs, und deshalb - Ihre Konsequenz zur Umsetzung des Regierungsbeschlusses, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um 25 % bis 30 % zu reduzieren - solle verstärkt der Ausbau der Straßeninfrastruktur vorangetrieben werden. Statt sofort umsetzbare und völlig kostenlose Reduzierungsmöglichkeiten wie z. B. das Tempolimit zu nutzen,
({21})
wollen Sie Emissionsminderung durch mehr Straßenbau betreiben. Das ist doch wohl ein Treppenwitz. Herr Minister, haben Sie eigentlich immer noch nicht begriffen: Wer Straßen sät, wird CO2 ernten.
({22})
- Herr Glos, Sie sind natürlich nur in der Rolle des Weihrauchschwenkers. Sie sollten sich mal ein bißchen mit der Sachpolitik befassen.
({23})
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche.
Es ist für Sie natürlich höchst erfreulich, wenn das Plenum so engagiert Ihre Ausführungen entgegennimmt.
({0})
Ich wäre aber dankbar, wenn Sie die Zwischenrufe auf ein erträgliches Maß reduzierten.
Aber es macht Spaß, Herr Vorsitzender.
Daran habe ich keinen Zweifel. Es muß aber für die Zuhörer verständlich bleiben und für die Stenographen aufgreifbar sein.
Vielen Dank, Herr Präsident, aber es macht dennoch Spaß, sie könnten durchaus noch dazwischenrufen; Herr Pfeffermann, wenn Sie sich ein bißchen zurückhalten.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. 17 Projekte im Zusammenhang mit der deutschen Einheit haben Sie eben angesprochen, neun davon Schienenprojekte. Sie sagen: Vorrang für die Schiene. Herr Minister, das
ist eine Klippschulrechnung. Glauben Sie denn, wir wissen nicht, daß ein Großteil der Schienenprojekte reine Ausbauvorhaben sind, mit denen zum Teil erst in Jahren begonnen werden soll, während die Straßenbauprojekte mit allem Hochdruck vorangetrieben werden? Glauben Sie, wir haben den Verkehrshaushalt 1992 nicht gelesen, der satte 8,1 Milliarden DM für den Aus- und Neubau der Bundesfernstraßen, aber nur 3,85 Milliarden DM an Investitionsmitteln für den gesamten Schienenwegeaus- und -neubau bereitstellt.
Herr Minister, wo wir schon bei der Infrastruktur und Vernetzung der Verkehrsträger sind: Wo ist denn Ihr Standortkonzept für Güterverkehrszentren? Wo sind Ihre Vorschläge für Flughafenbahnhöfe in München, in Düsseldorf, in Köln-Bonn? Wir wollen hier endlich Taten sehen, bevor alles zusammenbricht, und keine Sprechblasen!
({0})
Meine Damen und Herren, zur Durchsetzung Ihrer unkoordinierten Baupläne kündigen Sie Investitionsmaßnahmegesetze an. Ich sage Ihnen, die werden alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Und ich sage Ihnen voraus: Wenn das Parlament für 1 000 Kilometer Bauprojekte zur Planfeststellungsbehörde umgemodelt werden soll, dann sind die Verzögerungen vorprogrammiert. Woher nehmen Sie, Herr Minister, eigentlich den Optimismus, daß das Parlament schneller zu einem Planfeststellungsbeschluß kommen kann als eingespielte Planungsbehörden? Glauben Sie denn im Ernst, wir stimmen Bergen von Planunterlagen blind zu, ohne vorher mit den betroffenen Bürgern, mit den Landesregierungen, mit den Landtagsfraktionen und -verwaltungen geredet zu haben? Glauben Sie wirklich, der von Ihnen geplante Mißbrauch des Parlaments als Aushebelungsinstrument von Umweltrecht und Bürgerbeteiligung fände unsere Zustimmung?
({1})
Herr Minister, ich kündige Ihnen heute schon den erbitterten Widerstand der SPD gegen diese Extremform von Beton-Stalinismus an.
({2})
Schließlich noch eine Anmerkung, weil Sie das auch eben brachten, in Sachen Privatisierung. Das war ja nun ein besonders zierliches Säulchen in Ihrem sogenannten Konzept. Auf Pump soll Zeit eingekauft werden. Das ist alles, was von den aufgeblasenen Ankündigungen übriggeblieben ist.
Herr Minister, werden Sie doch endlich einmal konkret: Was kostet uns das unter dem Strich? Welchen Handlungsspielraum werden künftige Parlamente und Regierungen überhaupt noch haben? Ich sage Ihnen, dies endet in der Zinsknechtschaft für unsere Kinder und Enkel.
({3})
Die Alternative sieht anders aus. Wir reden über die gewaltige Summe von 250 Milliarden DM, Herr Dr. Solms. Der Infrastrukturausbau muß auf die Förderung umweltfreundlicher Verkehrsträger konzentriert werden, und zur Finanzierung muß stärker als bisher der Verkehr selbst beitragen. Das, Herr Minister, wäre allerdings eine Trendwende.
Maßnahmen des Ordnungsrechtes sind meine dritte Position. Wesentlicher Bestandteil eines integrierten Gesamtverkehrskonzepts müssen schließlich ordnungspolitische Maßnahmen sein, weil die Lenkungsfunktion des Marktes und eine sinnvolle Infrastrukturpolitik hier ergänzt und gestärkt werden. Weil der Markt alleine gesellschaftspolitische Erfordernisse nicht berücksichtigt, muß der Staat die Rahmenbedingungen für ökologisch und sozial verträgliche Verhaltensweisen setzen. Als Beispiel möchte ich hier das Tempolimit und die 0,5-Promille-Grenze nennen - beides Maßnahmen, die sofort ohne große Mühe eingesetzt werden können, die den Bundeshaushalt nicht belasten und mittlerweile übrigens breite Zustimmung bei der Bevölkerung finden.
({4})
Das, Herr Minister, wäre eine wirkliche Trendwende und übrigens eine Trendwende, die seit vorgestern auch der Bundesgerichtshof einfordert. Statt dessen brüsten Sie sich damit -
Herr Abgeordneter Daubertshäuser, würden Sie bereit sein, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken in diesem Zusammenhang zu beantworten?
Für den Kollegen Hinsken immer, aber die Uhr läuft weiter, Herr Präsident.
Ich sorge dafür, daß sie gestoppt wird und Ihnen keine Redezeit genommen wird. Herr Abgeordneter Hinsken, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Daubertshäuser, wären Sie bereit, um glaubwürdig zu bleiben, auf den Fraktionsvorsitzenden im bayerischen Landtag, Herrn Hiersemann, einzuwirken, daß er in Zukunft auch etwas langsamer fährt? Den Kollegen Dr. Jobst, Paintner ({0}) und mir ist nämlich folgendes passiert. Wir sind mit 160 Stundenkilometern einst zu einem Termin gefahren, selbstverständlich auf der Autobahn, und wurden plötzlich von jemandem überholt mit 180 Sachen, und wer saß drin? Kein geringerer als der Fraktionsvorsitzende der bayerischen SPD.
Herr Abgeordneter Hinsken, ich habe keine Zweifel, daß Ihre Berichte von einem gewissen Interesse sind,
({0}) aber eine Zwischenfrage ist das eigentlich nicht.
({1})
Nichtsdestotrotz werden Sie antworten; davon gehe ich aus.
({2})
Herr Kollege Hinsken, ich will Ihnen eine Arbeitsteilung vorschlagen: Sie wirken auf den Ministerpräsidenten Streibl ein, daß er unsere Verkehrspolitik umsetzt, und ich wirke auf Herrn Hiersemann ein, daß er künftig 130 fährt.
({0})
Ich hatte, bevor die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hinsken kam, darauf hingewiesen, daß der Bundesgerichtshof diese Trendwende, die wir einfordern, Herr Minister, vorgestern mit seinem Urteil letztendlich eingeleitet hat. Was machen Sie? Sie haben eben dargelegt - wortwörtlich -, die Unfallstatistik sei ein eindrucksvoller Beleg der erfolgreichen Politik der Bundesregierung auf diesem Feld.
Meinen Sie damit auch die Verkehrsopferzahlen in den neuen Ländern? Ist es ein Erfolg der Bundesregierung, daß Deutschland bei den Kinderunfällen in Europa nach wie vor einen traurigen Spitzenplatz einnimmt?
({1})
Sind Sie wirklich stolz darauf, Herr Kollege Richter, daß jährlich die Zahl der Toten und Schwerverletzten auch auf den Autobahnen im Westen ansteigt?
Ich sage Ihnen, Herr Minister: Stoppen Sie endlich den Wahnsinn auf unseren Straßen. Hören Sie doch bitte auch auf, Hunderte von Millionen DM in elektronische Warnanlagen zu pumpen, die Sie eben intelligente Lösungen nannten. Ich nenne sie idiotische Lösungen, weil das Geld dringend woanders gebraucht wird und das gleiche Ziel sofort mit einem Tempolimit zum Nulltarif erreicht werden kann.
({2})
- Ich weiß, das Tempolimit, Herr Richter, paßt offensichtlich nicht in Ihre verbohrte Ideologie. Das ist der eigentliche Grund.
Alle Instrumente eines integrierten Gesamtkonzeptes, die ich eben nannte, müssen rasch umgesetzt werden. Schwerpunkt muß hier eine deutliche Stärkung der Bahn sein, um Verkehrszuwächse überhaupt erst einmal in nennenswertem Umfang auf die Bahn zu bringen. Im Mittelpunkt muß dabei der Abbau der jahrzehntelangen Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn und zugunsten der Straße stehen.
Die bedingt die rechtliche Gleichstellung der Schiene mit der Straße. Spätestens im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes 1992 muß durch ein Schienenwegeausbaugesetz ebenso wie durch das Fernstraßenausbaugesetz das Parlament gesetzlich verbindliche Vorgaben schaffen, eine Festschreibung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung des Staates für die Schieneninfrastruktur im Grundgesetz nach dem Beispiel der Staatsverantwortung für die Straßen und Wasserstraßen und eine umfassende Befreiung der Bahn von Altschulden durch ein tragfähiges Entschuldungskonzept. Das, Herr Minister, wäre in der Bahnpolitik eine Trendwende.
Ob darüber hinaus eine Organisationsprivatisierung der Bahn zusätzliche positive Wirkungen entfalten kann - was ich grundsätzlich nicht bestreite -, ist doch erst zu entscheiden, wenn die genannten Rahmenbedingungen zugunsten der Bahn verändert worden sind. Das heißt, eine Organisationsprivatisierung der Bahn kann nicht erster Schritt einer Bahnreform sein, da die Bahn unter den geltenden Wettbewerbsbedingungen am freien Markt sonst nicht existenzfähig ist.
({3})
Die Bahnkommission stellt fest: Die Situation ist dramatisch. Das ist also wahrhaftig Anlaß genug, um von Ihnen, Herr Minister, heute einen konkreten Zeit- und Maßnahmeplan zu erfahren. Was Sie aber nannten, waren windelweiche Stichworte: faire Wettbewerbsbedingungen, Lösen des Schuldenproblems, Wahrung der Mitarbeiterinteressen. Dafür hätten Sie heute wahrlich keine Regierungserklärung gebraucht.
({4})
Wir wollten vielmehr hören, was Sie konkret unter fairen Wettbewerbsbedingungen verstehen, wie Sie das Schuldenproblem und die Mitarbeiterproblematik konkret lösen wollen.
Selbst die Bahnkommission schreibt es dieser Regierung ins Stammbuch. Sie sagt: Wenn nicht sofort etwas geschieht, ist bereits 1995 das Eigenkapital der Bahn aufgezehrt. Das bringt ein zusätzliches Problem: Da der Bund formal für die Bahn nur bis zur Höhe der Aktiva einsteht, sind die Schulden der Bahn künftig de jure nicht mehr vollständig durch den Bund verbürgt.
Diese erschreckende Talfahrt der Bahn ist unmittelbare Folge der Bahnleitlinien dieser Bundesregierung aus dem Jahre 1983. Sie hat die Bahn dahin gebracht, wo sie heute ist, sonst nichts.
({5})
Ich nenne noch eine offene Frage, zu der Sie heute nichts gesagt haben: Was wird eigentlich mit dem Schienenpersonennahverkehr von Bundesbahn und Reichsbahn? Herr Minister, am 1. Juli, in gut drei Monaten, tritt die EG-Verordnung 1893 in Kraft, die grundsätzlich die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Bahn aufhebt. Was wird die Bundesregierung tun, um die Nahverkehrsdienste der Bahn sicherzustellen, auf die Millionen von Pendlern täglich angewiesen sind? Schon vor Wochen habe ich Sie schriftlich gefragt - bisher Schweigen im Walde!
Herr Minister, wie dünn Ihre Leistungsnachweise sind, wird auch daran deutlich, daß Sie die befristete Aufstockung der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz als Initiative der Bundesregierung verkaufen. Bis in den Vermittlungsausschuß mußten die Bundesländer beim SteueränderungsgeKlaus Daubertshäuser
setz 1991 gehen, um schließlich die Mittelaufstockung zu erkämpfen.
({6})
Wir begrüßen zwar das Ergebnis, das die Länder erreicht haben, aber das reicht doch nicht aus, um den dringend notwendigen Ausbau des ÖPNV dauerhaft sicherzustellen.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, durch ein ÖPNV-Gesetz endlich bundesweit Klarheit über die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den ÖPNV zu schaffen. Herr Minister, das wäre wirklich eine Trendwende.
Überfällig ist schließlich die EG-weite Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen. Hier kann nur noch das völlige Versagen der Bundesregierung festgestellt werden.
({7})
Die Leidtragenden sind die deutschen Transportunternehmen, denen oft nur noch die Wahl zwischen Aufgeben und Ausflaggen bleibt. Gleichzeitig fahren ausländische Lkw praktisch zum Nulltarif über unsere Straßen. Heute steht die Bundesregierung auf diesem Feld wortbrüchig und mit leeren Händen da. „Harmonisierung vor Liberalisierung" hieß einmal das Motto. Das Gegenteil ist heute der Fall, und Bonn schweigt in Brüssel. Aber so ist es, Herr Minister: Wenn man kein eigenes nationales Gesamtkonzept hat, ist man auch nicht in der Lage, EG-Initiativen zu entwickeln. Die Krise des Verkehrssystems ist das Resultat einer nicht wandlungsfähigen Politik. Stillstand im Denken und Handeln, den Minister Krause exemplarisch vorgeführt hat, erzeugt die Immobilität im Verkehr. Herr Minister, Ihre Politik ist zum eigentlichen Engpaß einer sinnvollen deutschen und europäischen Verkehrsentwicklung geworden.
Wir haben unseren Ansatz für eine neue Verkehrspolitik im vorliegenden Entschließungsantrag zusammengefaßt. Unsere Ziele - Verkehr sparen, Verlagerung, Optimierung -, unsere Schwerpunkte - Stärkung der Bahn und des öffentlichen Personennahverkehrs - und das Instrumentarium der Vernetzung der Verkehrsträger im Rahmen eines integrierten Gesamtverkehrskonzepts sind alle dort aufgeführt. Lassen Sie uns dieses Konzept gemeinsam realisieren! Das wäre eine wirkliche Trendwende.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte seitens der CDU/CSU-Fraktion dem Bundesminister für Verkehr ausdrücklich Lob und Anerkennung für dieses großartige, schlüssige und in sich stimmige Konzept zollen,
({0})
mit dem er die Verkehrsprobleme lösen wird. Wir
bedanken uns in diesem Zusammenhang auch für die
Begleitung und die Entscheidung des Bundesfinanzministers, die zu nachhaltigen Haushaltsverbesserungen geführt hat, die wir dringend brauchen.
({1})
Herr Kollege Daubertshäuser, die Rede, die Sie hier gehalten haben, habe ich in diesem Haus schon mindestens zehnmal gehört.
({2})
Sie besteht aus Schuldzuweisung; sie besteht aus Vernebelung eigener Mitverantwortung für vergangene Politik, und sie erweckt den Eindruck, als habe ausschließlich der Bund die Kompetenz für die Fragen der Verkehrspolitik.
Ich muß aus der Rede auch erkennen, daß es offenbar in der SPD heute politische Bedingungen gibt, unter denen auch ein normalerweise zu rationaler Auseinandersetzung und Entscheidung befähigter Politiker am verbalradikalistischen Beitrag nicht vorbeikommt.
({3})
Ich sehe, daß wir in der Verkehrspolitik eine Gesamtverantwortung auf allen Ebenen haben - der EG, des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Ist es denn nicht so, daß der belgische Sozialist Karel van Miert als EG-Kommissar die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen des Verkehrs, insbesondere die gerechte Wegekostenanlastung in Europa nicht zustande bringt?
({4})
Ist es denn nicht so, daß der Bund zwar seine Auf gaben - Bahnreform, Deregulierung der Marktordnung, Infrastrukturverbesserung, also Bundesverkehrswegeplan - kennt,
({5})
aber die SPD, Herr Kollege Daubertshäuser, hier und im Bundesrat noch unter Beweis stellen muß, daß für Sie Gemeinwohl Vorrang vor Parteitaktik hat.
({6})
Ist es denn nicht so, Kollege Daubertshäuser, daß die SPD in fast 10 der 16 Bundesländer Verantwortung für die erheblichen Kontrolldefizite bei der Umsetzung von Normen trägt, die den Ruf nach schärferen Verhaltensnormen für die Bürger unglaubwürdig macht und, würde man dem Ruf folgen, den Rechtsstaat immer mehr zum Popanz machen würde?
({7})
Ist es denn nicht so, Kollege Daubertshäuser, daß die SPD - ich beklage das ausdrücklich - in fast allen großen Städten den Oberbürgermeister stellt
Dirk Fischer ({8})
und keinen attraktiven öffentlichen Personenverkehr zustandebringt,
({9})
der für die Menschen in Ballungsräumen die überzeugende Alternative zum Auto darstellt, die wir brauchen und auf die dieses Land ökologisch, und was die Lebensbedingungen in den Städten anlangt, überhaupt nicht verzichten kann?
Ich meine, Herr Kollege Daubertshäuser, da ist eine derartige Horrido-Rede nicht angemessen.
({10})
Diese Rede war viel zu durchsichtig. Sie war viel zu wenig von Nachdenklichkeit geprägt. An der Stelle von Nachdenklichkeit stand hier ausschließlich Selbstgerechtigkeit. Diese Rede war mir zu trickreich, als daß sie einen verantwortungsbewußten Beitrag einer großen Volkspartei wie der SPD zur Lösung unserer Verkehrsprobleme hätte darstellen können.
({11})
Wir wissen, wie unsere Aufgaben in der Verkehrspolitik aussehen. Wir haben das im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen dargelegt. Erstens: Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in der EG. Zweitens: gerechte Wegekostenanlastung.
({12})
Drittens: Vernetzung der Verkehrssysteme. Viertens: Planungs- und Bauzeiten von Verkehrsprojekten bundesweit verkürzen. Fünftens: bessere Akzeptanz trotz weiter wachsenden Verkehrs, und zwar dadurch, daß wir die Umweltbelastung gezielt weiter abbauen. Sechstens: neben dem Bundeshaushalt auch andere Finanzierungsquellen für Verkehrsinfrastrukturvorhaben erschließen. Siebtens: Strukturreform der Eisenbahn, d. h. für uns Schaffung einer Eisenbahn, die ihren Marktanteil durch wettbewerbsgerechtes Verhalten erhöht und die die arteigenen Vorteile dieses technologischen Systems in das gesamte Verkehrssystem einbringt. Achtens: Alles ist unter der Anforderung höchstmöglicher Verkehrssicherheit zu leisten.
Der Fernverkehr in unserem Lande hat heute bereits mit zahlreichen Engpässen zu kämpfen. Das gilt für die Luft, die Straße, die Schiene gleichermaßen. In den Städten haben wir tagtäglich Staus. Engpässe innerorts und außerorts treffen den Personenverkehr ebenso wie den Güterverkehr. Der Güterverkehr und große Teile des werktäglichen Personenverkehrs sind unserem Wirtschaftsleben zuzurechnen. Sie halten den Wirtschaftskreislauf in Schwung, d. h. sie sind Faktoren von Arbeit und Einkommen unserer Menschen.
Alle bekannten Prognosen weisen weniger auf eine Zunahme des binnenländischen Verkehrs, sondern vielmehr auf eine erhebliche Verkehrssteigerung durch die internationalen Verflechtungen hin. Der Transitverkehr wird sich verdoppeln. Die Verkehre, die für In- und Export wichtig sind, verdoppeln sich nahezu ebenfalls. Deutschland ist auf Grund seiner zentralen Lage und auf Grund der jüngsten erfreulichen politischen Entwicklungen mehr denn je Drehscheibe Europas und Transitland Nummer eins in der Welt.
({13})
In dieser Situation kann Deutschland diese internationalen Verkehre weder abweisen noch verhindern. Ein Land, das einen Export in der Größenordnung von zirka 700 Milliarden DM und einen Exportüberschuß von über 400 Milliarden DM hat, könnte dies überhaupt nicht tun, ohne sich ganz tief ins eigene Fleisch zu schneiden.
({14})
Wir können uns nur fragen: Wie bewältigen wir die heutigen Verkehrsprobleme, die heutigen internationalen Verkehre und die Verdoppelung derselben in der Zukunft? Das heißt: Die Verkehrsinfrastruktur für alle Verkehrsträger muß ausgebaut werden, aber wir wissen, daß sie insgesamt nicht beliebig und/oder schnell vergrößert werden kann.
Die Opposition setzt zur Lösung dieser Probleme zu sehr auf Dirigismus, auf Restriktion
({15})
und zu wenig auf ökonomisch richtiges Verhalten,
({16})
sie setzt zu sehr auf Abschreckungsstrategien und Verbotsnormen und zu wenig auf Akzeptanz und partnerschaftliches Verhalten, sie setzt zu sehr auf Bevormundung und zu wenig auf die Mündigkeit unserer Bürger.
({17})
Herr Kollege Daubertshäuser, weder einzeln noch kumulativ schaffen Ihre vermeintlichen Patentrezepte eine Entspannung der heutigen Situation.
({18})
Wir brauchen eine intelligente Nutzung der gesamten Verkehrsinfrastruktur;
({19})
das heißt, unsere Lebens- und Konsumgewohnheiten stehen zur Disposition. Wir müssen auch im persönlichen Bereich anfangen, manche Frage der Fortbewegung zu überprüfen. Morgen- und Abendstaus lassen sich entzerren. Wir brauchen einen deutlich attraktiveren ÖPNV mit einem Sitzplatzangebot, das von der Qualität dem konkurrierenden privaten Pkw vergleichbar ist. Für die Innenstadtbereiche ist die WurDirk Fischer ({20})
zei des Übels nicht die Begünstigung des Individualverkehrs, sondern ein unattraktiver ÖPNV. Es gibt eine Fülle von Befragungen von Bürgern, die dies bestätigen. Der normale Verkehrsteilnehmer will den Komfort des eigenen Pkw auch im öffentlichen Personennahverkehr vorfinden. Daran muß sich der ÖPNV orientieren - mit kurzen Taktzeiten, mit einem hohen Sitzplatzangebot, mit guten Übergängen, besseren Informationen, Standardisierung bei den Fahrscheinen, mehr Sicherheit, Sauberkeit, aber auch einer Flüssigkeit des öffentlichen Personenverkehrs auf der Straße, zum Beispiel durch Vorrangschaltungen im Verkehr und durch Sonderspuren.
({21})
Mit einem attraktiven ÖPNV verringern wir ohne dirigistische Maßnahmen wie die Sperrung der Innenstädte oder Nahverkehrsabgaben als Zusatzsteuer den Individualverkehr in unseren Stadtkernen. Diese sollten - wie wir meinen - für die Verkehre aller Art erreichbar bleiben.
({22})
Das Parkplatzangebot kann aus den Kernbereichen in Randbereiche verlagert werden; städtische Verkehrsleitsysteme machen dies erst effizient.
Das Leben in der Stadt braucht den Wirtschaftsverkehr, meine Damen und Herren, und Güterverkehrszentren können den Verkehr reduzieren.
Beim Fernverkehr haben wir im Bereich des Urlaubs- und Freizeitverkehrs - dort haben wir die höchsten Steigerungsraten - durch die Staffelung der Ferientermine in den Bundesländern und, wie ich hinzufüge, in Zukunft auch in der Europäischen Gemeinschaft, noch Ressourcen frei.
Beim Güterverkehr ergeben sich natürlich auch Fragen. Wir müssen durch einen konsequenten Wettbewerb zu einer Verringerung der Leerfahrten beitragen. Wir brauchen eine neu strukturierte und technisch verbesserte Bahn, die eine Alternative ist.
Ich denke, daß neben der Bahn auch die Binnenschiffahrt und die Küstenschiffahrt in Europa als die wichtigsten und größten Verkehrsträger, die zwei Drittel aller grenzüberschreitenden Verkehre abwikkeln, eine Wiederbelebung und unsere politische Förderung und Unterstützung brauchen. Hier sind Ressourcen und Kapazitäten frei.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Transitverkehr kommt dem kombinierten Ladungsverkehr und seinem schnellen Ausbau die allergrößte Bedeutung zu. Wir sehen, daß hier erhebliche Verlagerungsmöglichkeiten vorhanden sind, die genutzt werden müssen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeitkapazitäten ausgeschöpft sind. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie so langsam zum Schluß kämen.
Herr Präsident, ich will nur noch den allgemein zugestandenen
Schlußsatz in Anspruch nehmen; ich bitte um Verständnis.
Wir müssen alles dies durch eine optimale computergestützte Integration nutzen. Ich denke, daß wir auch auf dem richtigen Weg sind.
Meine Fraktion setzt auf Eigenverantwortung und soziale Marktwirtschaft auch in der Verkehrspolitik, sie setzt auf den mündigen und verantwortungsbewußten Bürger als Verkehrsteilnehmer. Vorschriftengängelei - dies lehnen wir ab. Wir müssen für die Verkehrsnormen, die wir setzen, auch Akzeptanz und daher eine sinnvolle und verständliche Erklärung für die Bürger finden. Partnerschaft und Rücksichtnahme sind für uns unersetzliche Faktoren. Das funktioniert nur, wenn die Bürger auch mitmachen. Wir setzen bei allen verkehrsrelevanten Entscheidungen auf die Verantwortung und die Mitwirkung des einzelnen und seine Einsichtsfähigkeit. Nur so werden wir die Probleme lösen, nur mit dem Bürger und nicht gegen die Bürger.
({0})
Herr Abgeordneter, ich möchte Ihnen empfehlen, bei dem letzten Satz im Protokoll einige Punkte einzusetzen.
({0})
Nunmehr hat der Abgeordnete Dr. Feige das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fischer hat von Nachdenklichkeit gesprochen. Seine Rede hat mich tatsächlich nachdenklich gemacht. Sie hat mich sogar ein bißchen in meine Schülerzeit zurückgeführt. Ich fühlte mich an den Kunstgeschichte-Unterricht erinnert. Dort haben wir uns mit abstrakten Bildern auseinandersetzen müssen. Wir hatten sehr oft die Aufgabe, zu klären: Was wollte uns der Künstler eigentlich sagen?
({0}) Das war schon damals sehr schwer.
Etwas leichter ist es bei der Rede von Herrn Krause. Herr Krause hatte nämlich gar nicht die Absicht, etwas Neues zu sagen. Er wollte lediglich darauf hinweisen, daß es eine Kontinuität in der Regierung gibt. Es ist natürlich sehr einfach, das nachzuvollziehen. Es ist schon verblüffend, zu erleben, daß es immer dort, wo der Bundesverkehrsminister spricht, wo er auftaucht, wo er Politik macht, bald Arger und Streit gibt. So ist es auch heute.
({1})
Andererseits gebe ich zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland noch nie so intensiv und konträr über Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserverkehr diskutiert wurde wie in der kurzen Amtszeit von Dr. Krause. Doch was nutzt alles Diskutieren, was bringen alle neuen Erkenntnisse, wenn sich am Kurs der Bundesregierung in Sachen Verkehr nichts, aber auch gar nichts ändert und, wie ich gehört habe, seit 1983 nichts Neues passiert ist.
Mit der heutigen Regierungserklärung hat sich bestätigt, daß auch im europäischen Bereich kein Umdenken bei der Koalitionsmannschaft zu erkennen ist. Die permanente Zunahme des Personen- und besonders des Güterverkehrs wird als unumgänglich hingestellt. Der Verkehrsminister sieht seine einzige Aufgabe darin, diesen Strom, besonders auf den Straßen, durchgängiger und flüssiger zu machen.
Ich glaube, es ist schon ein sehr merkwürdiger Ehrgeiz, der im Bundesverkehrsminister drinsteckt. Irgendwie erinnert mich die ganze Strategie an den Versuch, ein Meer trockenzulegen, und zwar dadurch, daß man das Wasser aus dem Meer herauspumpt und in den nächsten Fluß leitet.
({2})
So wird man dieses Problem nicht angreifen können.
Natürlich bin ich nicht blind, wenn ich mir die Regierungspolitik ansehe. Natürlich wird der Güterverkehr im EG-Europa ab 1. Januar 1993 stark ansteigen. Das ist eine direkte Folge der Deregulierung des bisherigen EG-Binnenmarkts. Ein wachsender Austausch von Waren und Dienstleistungen führt unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen in der EG zu steigendem Verkehrsaufkommen. Die weitere Konsequenz aus der Destabilisierung der nationalen Speditionsmärkte ist eine verschärfte nationale und internationale Konkurrenz im Transportbereich. In weiterer Korrelation ergeben sich sinkende Frachtpreise. An den Grenzen entsteht kein weiterer Zeitverlust durch Kontrollen und ähnliches mehr. Der Straßengüterverkehr kann folglich die durch eine unökologische Raubbaupolitik der bisherigen Bundesregierung gewährte Übervorteilung gegenüber der Bahn voll auskosten.
Die Planer im Bundesverkehrsministerium errechneten einen dramatischen Zuwachs von ca. 95 % des Lkw-Verkehrs bis zum Jahre 2010, und das bei einem schon heute sehr hohen Ausgangsniveau. Gleichzeitig wird der Bahn ein Wachstum von lediglich 50 % im Gütersektor eingeräumt. Die Konsequenz: Die Schere zwischen Straßen- und Bahnverkehr öffnet sich weiter. Die Straße gewinnt weitere Anteile am steigenden Güterverkehrsaufkommen.
Aber bitte schön: Wenn Sie uns immer wieder einreden wollen, das sei so, das sei unumgänglich, das ist gottgewollt, dann muß ich Sie enttäuschen. Es ist nur Krause-gewollt, und das ist doch bedeutend weniger.
({3})
Wenn wir das einmal zusammennehmen, ist es ganz klar: Wenn man nichts dagegen tut, muß man natürlich mit solchen Zahlen rechnen. Aber ich glaube, es gibt eine reale Chance gegenzusteuern. Dann bricht dieses ganze Rechengebäude zusammen.
Die Aussichten für unsere Umwelt scheinen aber insgesamt katastrophal. Die Akzeptanz bei der Bevölkerung nimmt angesichts solcher gemachter Horrorszenarien zu. Aber genau das scheint gewollt. Hier liegt wahrscheinlich der entscheidende Schwindel dieses sogenannten Regierungskonzeptes. Seit Monaten wird insbesondere den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern eingeredet, daß die Bundesregierung genau den Bürgerwillen erfüllen wird, den sie den Bürgern vorher eingeredet hat. Schämen Sie sich eigentlich nicht, den Menschen solche Münchhausen-Geschichten zu erzählen? Ich habe den Eindruck, Herr Krause, Sie glauben manchmal selbst an die Möglichkeit, sich an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
({4})
Aber da hört mein Verständnis für Politrummel auf. Sie werden mit einer derartigen Blindheit überhaupt niemanden aus dem Sumpf ziehen, sondern Roß und Sie vielleicht als Reiter werden dort untergehen. Man sollte das Pferd schonen.
Nun noch ein paar Worte zu der „Zwei-KlassenAutogesellschaft". Herr Krause, überlegen Sie bitte einmal, was Sie da sagen. Sie akzeptieren, daß es bereits eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt. Und wenn denn nicht das Auto diesen Unterschied macht - die Unterschiede sind doch existent -, dann ist es eben ein anderes Konsumgut, das derjenige die Chance hat abzuschöpfen, der in einer besseren Klasse lebt. Ich habe einfach den Verdacht, daß das Auto zur Droge wird. In diesem Sinne sollten Sie sich an die Debatte erinnern, die wir hier vor ein paar Tagen gegen den Drogenmißbrauch gehabt haben.
({5})
- Nein.
({6})
Ich habe mir noch einmal den Bericht der Bundesregierung an die UNCED-Konferenz im Juni in Rio vorgenommen. Was steht da nicht alles Wünschenswertes drin! Das Vorhaben der Bundesregierung, bis zum Jahr 2010 den CO2-Ausstoß in der Bundesrepublik um 25 bis 30 % zu senken, ist sehr ehrenwert. Aber heute ist es ja fast schon die Opposition allein, die die Bundesregierung drängt, ja nicht davon abzuweichen. Trotzdem sollte die Regierung mit dem Selbstlob irgendwann einmal aufhören und etwas ganz Konkretes für die autobelastete Umwelt tun. Doch in Sachen Verkehr findet der Leser z. B. im UNCEDBericht außer ein paar, den Kraftstoffverbrauch senkenden Vorhaben praktisch nichts, was erkennen läßt, daß die Bundesregierung überhaupt etwas vom aktuellen Stand der Diskussion unter Verkehrsexperten mitgenommen hat. Sonst hätte der Bundesverkehrsminister schon von seinen eigenen Abgeordneten, die in der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre tätig sind, mitbekommen, daß es nur eine einzige Alternative zur Untätigkeit der Bundesrepublik gibt, die in einem wirklich revolutionierenden Umdenken zur Verkehrsvermeidung hin besteht.
Der Verkehrsminister sagte, niemand kann den Menschen in diesem Land das Auto ausreden. Ich glaube, das ist wie beim Lotto: Wenn Sie nicht spielen, haben Sie überhaupt keine Chance. Man sollte tatsächlich einmal den Versuch machen, mit Vernunftgründen darauf hinzuweisen, wo die Schranken und
die begrenzten Möglichkeiten für einen Autoverkehr liegen. Da fühle ich mich in angenehmer Gesellschaft, wenn ich höre, daß z. B. auch Herr di Meana, der EG-Kommissar, darauf hinweist, daß es dabei nicht darauf ankommt, nur Vorschriften und Verbote zu erlassen - da stehen wir in Übereinstimmung -, sondern daß die Betroffenen auch aus eigener Verantwortung heraus entscheiden können müssen. Dazu muß man ihnen aber auch alle Informationen geben und nicht in Hochglanzbroschüren zu den Maßnahmen deutsche Einheit lediglich irgendwelche Schönheiten, sogenannte Vorteile solcher Projekte darstellen, sondern deutlich auch auf alle Nachteile und auf ganz konkrete Zahlen hinweisen.
Dazu möchte ich Ihnen ein bißchen Erinnerungshilfe geben. Von der CO2-Emission im Verlaufe der Lebensdauer eines Autos werden ca. 25 % allein bei seiner Herstellung in die Atmosphäre geblasen. Heute sind es bereits etwa 50 % der Stickstoffoxide und Kohlenwasserstoffe, die allein durch den Kraftverkehr entstehen. Ein Pkw verbraucht fünf- bis neunmal mehr Fläche als ein adäquates öffentliches Verkehrsmittel. Schwere Lkws benötigen im Vergleich zu Güterzügen bei gleichem Transportpotential 15- bis 20mal mehr Platz.
Besonders intensive Landfresser sind Autobahnen. So entspricht z. B. ein einziges Autobahnkreuz in seiner Ausdehnung dem Areal einer kompletten Kleinstadt mit mehreren tausend Einwohnern. Auf der hoffentlich niemals versiegelten Fläche einer Küstenautobahn in Mecklenburg-Vorpommern könnten weit über 2 Millionen Bäume stehen. Und wenn ich an die Diskussionen in der Enquete-Kommission denke, wo es ja darauf ankommt, nicht nur die Regenwälder, sondern überhaupt Wälder auf dieser Erde zu schützen, damit sie lebenswert bleibt, ist das vielleicht ein Gedanke, über den Sie einmal ernsthaft nachdenken sollten.
({7})
Das Verhältnis von Energieverbrauch und CO2Belastung nimmt im Verhältnis von Auto zu Bahn die Relation 3 : 1, beim Lärm 6 : 1 und bei der Verschmutzung sogar 8 : 1 ein, wobei ich nicht weiß, welcher Lärm beim Transrapid im Verhältnis zu den anderen Fahrzeugen entsteht.
({8})
Ich glaube, daß auch in diesem Sinne für die CO2-Reduktion der Ansatz zur Geschwindigkeitsbegrenzung wirklich noch einmal neu überdacht werden sollte. Und wenn ich heute früh einen Vertreter des AvD gehört habe, der zur Geschwindigkeitsbegrenzung sagte: „Wehret den Anfängen! ", dann weiß ich genau, worauf das hinausläuft: Es geht darum, daß die Mauer, die in den Köpfen der Autofahrer besteht, überhaupt nicht angegriffen werden soll.
Die Ökologie Europas hat überhaupt nur dann eine Chance, wenn der Grad dieses Umdenkens und Neuhandelns so gravierend ist, wie z. B. der Umschwung der Lebensgewohnheiten für die ehemaligen DDR-Bürger mit der Vereinigung war. Ich glaube, ganauso gravierend von der Dimension muß das Umdenken sein, damit wir überhaupt eine Chance haben.
Meine erste Redezeit ist abgelaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber das ist jetzt nur ein technisches Problem.
({9})
Das Präsidium hat mir nicht genehmigt, die 20 Minuten Redezeit, die uns für diese Diskussion zur Verfügung stehen, im Zusammenhang zu nutzen. Sie haben offensichtlich Angst, daß dann, wenn ich einmal die Chance habe, 20 Minuten zu reden, ihr ganzes Gebäude zusammenbricht.
({10})
Freuen Sie sich bitte auf die nächsten zehn Minuten. Dann haben Sie eine vernünftige Chance, darüber zu reden. Es ist aber ein bißchen albern, glaube ich.
Schönen Dank.
({11})
Herr Kollege Dr. Feige, Sie haben allgemein über das Präsidium gesprochen. Sie wissen, daß Sie die Amtsführung des Präsidenten nicht kritisieren können. Aber ich muß zugeben, Sie haben es auch nicht getan.
({0})
Aber wir freuen uns auf Ihre zweite Rede.
Meine Damen und Herren, bei der Geschäftsordnungsdebatte heute morgen hat ausweislich des Protokolls der Kollege Ottmar Schreiner den Zwischenruf gemacht: „Das ist ein Hanswurst! " Ich erteile ihm dafür gemäß § 36 der Geschäftsordnung einen Ordnungsruf.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Roland Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Eine Binsenweisheit - wir alle wissen es -, aber doch kein Allgemeinplatz, denn allzuviele, auch Politiker, auch Bürger, wehren sich gegen die Konsequenzen aus dieser Einsicht. Wir Liberalen sagen deshalb klipp und klar: Die Politik des Weiter-so-wie-Bisher in den ersten vier Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland wäre der Ausstieg aus der Gestaltung der Zukunft, wäre die Abdankung konstruktiver Politik. Dies gilt in vollem Umfang auch für den Bereich des Verkehrswesens. Es wird Zeit, daß die Verkehrpolitik in Deutschland aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküßt wird. Die Frage ist nur: Wer ist der Prinz?
Worum geht es? Der EG-Binnenmarkt, der europäische Wirtschaftsraum, die deutsche Einheit und die Öffnung Osteuropas verändern fundamental die Rah6984
menbedingungen für unser Handeln. Verkehrspolitik der Zukunft wird sich deshalb zurechtfinden müssen zwischen vier Eckpfeilern: ökonomischen Wachstumsprozessen, Umweltverträglichkeit, individuellen Mobilitätserfordernissen und gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz. Deutsche Verkehrspolitik auf dem Weg nach Europa muß deshalb Schluß machen mit altem Denken. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Haus, auch in der Verkehrspolitik.
Nicht erst seit dem Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften im Osten wissen die Liberalen, daß es keinen besseren Mechanismus des Wirtschaftens gibt als den Markt.
({0})
Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Die kontrollierte Wettbewerbsordnung in Deutschland muß abgelöst werden durch marktwirtschaftliche Gestaltungsprozesse.
({1})
Deutsche Verkehrsunternehmen haben in diesem europäischen Haus ihre Chance, wenn sie diese Veränderungen nicht bekämpfen, sondern sie bewußt akzeptieren und mit Kreativität darauf reagieren.
({2})
Klaus-Friedrich Laaser vom Kieler Institut für Weltwirtschaft hat einmal festgestellt - ich zitiere:
Vielfach wird behauptet, daß der Wettbewerb gerade im Verkehrswesen nicht funktionsfähig sei, weil dieser Bereich Besonderheiten aufweise wie z. B. die mangelnde Lagerfähigkeit der Dienstleistungen, Zwang zum Vorhalten von Reservekapazität, unpaarige Verkehrsströme, hohe Fixkosten etc. Obwohl diese Behauptungen schon lange als wissenschaftlich überholt gelten müssen, weil man erkannt hat, daß die angeblichen Besonderheiten erst die Folge, nicht aber die Ursache der Regulierung sind, oder beim Blick über Branchengrenzen anderswo ebenso gelten, hat sich die Legende von den Besonderheiten des Verkehrs bis auf den heutigen Tag erhalten.
Wir Liberalen plädieren deshalb für die Abkehr von monopolistischen Strukturen, für die Abkehr von kontrollierten Marktordnungen, für die Abkehr von tradierten Unternehmensmodellen.
Die eigentlich gestalterische Aufgabe der Politik in den nächsten Jahren besteht deshalb darin, einen Markt zu schaffen, in dem jeder Verkehrsträger auf Grund gleicher Wettbewerbsbedingungen seine systemspezifischen Vorteile zur Geltung bringen kann. Das aber bedeutet maximale Kundenorientierung, das bedeutet optimalen Einsatz unter Umweltgesichtspunkten, das bedeutet rationale Verknüpfung der Verkehrsträger.
Daß der Verkehr auch in Zukunft wachsen wird, ist unstrittig. Verkehrsminister Krause hat in seiner Regierungserklärung die Zahlen genannt. Aber wir müssen uns gleichwohl mit der Frage auseinandersetzen, ob wirklich alle Verkehre unvermeidbar sind.
Damit das ganz klar ist: Die F.D.P. wird konsequent bei ihrer Haltung bleiben und dirigistische Eingriffe in den Verkehrsmarkt bekämpfen.
Angesichts steigender Mobilitätsnachfrage, Nachfrage nach Transportdienstleistungen und nicht beliebig erweiterbarer Kapazitäten wird jedoch der Marktmechanismus greifen. Und wenn die Notwendigkeit hinzu kommt, allen Verkehrsträgern die Kosten voll anzulasten, die sie verursachen, dann sage ich mit anderen Worten: Mobilität wird tendenziell teurer werden. Ich denke, die Politik ist gut beraten, wenn sie der Wirtschaft und den Bürgern diese Wahrheit deutlich sagt, damit sich alle darauf einstellen können und ihre Dispositionen danach richten können.
In Westeuropa wird ja in den letzten Jahren verstärkt - auch bei uns in der Bundesrepublik - über Verkehrsprobleme diskutiert. Das ist gut so. Ganz schlecht aber ist die zunehmende Ideologisierung dieser Diskussion.
({3})
Am meisten aber ärgert mich die Heuchelei, die sich vielerorts breitmacht.
({4})
Da werden Feindbilder gegen den motorisierten Individualverkehr aufgebaut, obwohl es in dünn besiedelten Regionen keine wirkliche Alternative zum Pkw gibt.
({5})
Da fordern Politiker der GRÜNEN an einem Tag die Verlagerung von Straßengüterverkehren auf die Schiene, um am nächsten Tag in der Schweiz gegen den Gotthard-Eisenbahntunnel anzukämpfen.
({6})
Da wird die Notwendigkeit des Aufbaues eines leistungsfähigen ÖPNV in ganz Deutschland in eine Frontstellung gegen die Notwendigkeit von Hochgeschwindigkeitsverkehren auf der Schiene gebracht, und da fordern viele Politiker den Ausbau gemeinwirtschaftlicher Transportdienstleistungen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wer diese Leistungen finanzieren soll.
({7})
Ich kann vieles von diesem törichten Gerede nicht mehr hören.
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Welche Aufgaben muß die deutsche Verkehrspolitik heute angehen? - Die Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern müssen strategisch angelegt werRoland Kohn
den. Die einzelnen Verkehre müssen auf ihre Umweltverträglichkeit hin optimiert werden.
({9})
Die Planungs- und Fertigstellungszeiten für Verkehrsinfrastrukturprojekte müssen angemessen verkürzt werden. Die Regionalisierung des Nahverkehrs muß umgesetzt werden, und die große Bahn-Strukturreform muß endlich verwirklicht werden.
Ganz entscheidend für die künftige Entwicklung des Verkehrs werden die Kooperation und die Verknüpfung der Verkehrsträger in geschlossenen Logistikkonzepten sein. Deshalb kommt es vor allem darauf an, daß die Schnittstellen strategisch festgelegt werden.
({10})
Bereits unter den heutigen Bedingungen rechnet sich betriebswirtschaftlich der kombinierte Verkehr Straße-Schiene ab 300 km, aber es gibt erhebliche Engpässe. Zum Beispiel die Umschlagterminals sind schon zu 96 % ausgelastet - zu 96 %! -, obwohl internationaler kombinierter Verkehr in Westeuropa lediglich 4 % derjenigen Güter umfaßt, die für diese Transportart in Frage kommen. Deshalb ist es richtig, daß zum erstenmal in einem Bundesverkehrswegeplan Güterverkehrszentren in die Planung einbezogen werden.
Zum Bau und zur Modernisierung solcher Terminals muß in erheblichem Umfang privates Kapital einbezogen werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zur Notwendigkeit sagen, privates Kapital für Verkehrsprojekte einzusetzen. Die Sicherstellung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur ist in Deutschland herkömmlich eine Aufgabe staatlicher Daseins- und Zukunftsvorsorge. Vor dem Hintergrund des riesigen Kapitalbedarfs im vereinten Deutschland sind die öffentlichen Hände jedoch hoffnungslos überfordert.
({11})
Die F.D.P. unterstützt deshalb die Bundesregierung dabei, an einigen Modellen auszuprobieren, ob die Idee, Zeit einzukaufen, wirklich funktioniert.
Herr Kollege Kohn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Willfried Penner?
Selbstverständlich.
Bitte sehr, Herr Kollege Penner.
Herr Kollege Kohn, würden Sie dem Plenum des Deutschen Bundestages einmal sagen, was die baden-württembergische CDU verbrochen hat, daß die baden-württembergische F.D.P. unter allen Umständen eine Koalition mit ihr anstrebt?
({0})
Herr Präsident, darf ich auf diese Frage eingehen, obwohl sie nicht Gegenstand - ({0})
Lieber Herr Penner, Sie haben bei einer Diskussion, die wir in diesem Parlament einmal über die Frage der Gentechnologie geführt haben, bereits Ihre Inkompetenz in jenem Bereich unter Beweis gestellt. Jetzt haben Sie das auch im Bereich der koalitionspolitischen Strategien der südwestdeutschen Liberalen unter Beweis gestellt. Ich finde, das ist kein besonders guter Ausweis für Sie.
({1})
Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß der Deutsche Industrie- und Handelstag im Mai 1990 ein Konzept „Sondervermögen Bundesverkehrswege" vorgelegt hat. Ich bedaure, daß in der Politik ein gründliches Bedenken und Abwägen dieses Vorschlags nicht erfolgt ist.
Zurück zur Schnittstellenproblematik. Hierbei geht es nicht nur um den Güterverkehr, sondern auch um den Personenverkehr. Ich denke hier vor allem an den Ausbau des Park-and-Ride-Systems oder an die Verknüpfung der Flughäfen mit der Schnellbahn. Solche und ähnliche Maßnahmen werden in Zukunft unsere ganze Innovationskraft in Anspruch nehmen, wenn wir verhindern wollen, daß unser Land auf dem Weg nach Europa buchstäblich im Verkehr erstickt.
Darüber hinaus müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir durch kreative Ideen zu einer besseren Nutzung der vorhandenen Kapazitäten kommen. Stichworte hierzu sind Verkehrsleitsysteme auf unseren Fernstraßen oder in unseren Städten und Ballungsräumen, aber auch die „intelligente Bahn" , mit deren Hilfe es möglich sein wird, auf dem bestehenden Streckennetz die Kapazität um bis zu 30 % zu steigern.
Hinzu kommen muß aber auch ein intelligenterer Umgang mit der Verkehrsinfrastruktur durch Verringerung unnötiger Belastungsspitzen. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Entzerrung von Ferienterminen, an die flexiblere Handhabung täglicher Arbeitszeiten, an die Deregulierung von Laden-schlußvorschriften, an günstigere Öffnungszeiten von Behörden oder Bildungseinrichtungen, aber auch an die Abschaffung der unsinnigen Konzentration der Wechseltage in den Hotels an Wochenenden.
Ganz entscheidend für die Akzeptanz des Verkehrs in Europa wird in Zukunft seine größtmögliche Umweltverträglichkeit sein. Die F.D.P. setzt sich deshalb engagiert für ehrgeizige ökologische Zielsetzungen ein. Dazu zählen die EG-weite Verschärfung der Abgas- und Lärmvorschriften - ({2})
- Liebe Frau Kollegin, vorhin hat Herr Kollege Daubertshäuser das schöne Wortspiel mit dem Begriff reziplikativ von Fritz Erler gebracht. Ihre Zwischenrufe sind irreziplikativ, d. h. sie sagen nichts und klingen noch nicht einmal schön.
({3})
Wir wollen die Halbierung des Benzinverbrauchs bis zum Jahre 2000, die Reduzierung der CO2Belastung um 25 % bis ins nächste Jahrzehnt, die Einführung einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer sowie die Förderung umweltfreundlicher alternativer Antriebsarten, vom Solarmobil bis hin zum People Mover. Aber auch beim Bau der Verkehrswege muß dem Schutz der Umwelt ein höherer Stellenwert zugemessen werden, als dies in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik der Fall war. Der Bundesverkehrswegeplan wird in diesem Zusammenhang die Nagelprobe sein.
Der Bau von Verkehrswegen ist in Deutschland eine langwierige Angelegenheit, zu langwierig, um den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere auch in den neuen Bundesländern, Rechnung zu tragen. Damit wir uns da ganz richtig verstehen: Es geht nicht um die Einschränkung von Bürgerrechten; es geht auch nicht um die Geringachtung von Erfordernissen der Umweltverträglichkeit. Es geht schlicht darum, daß es völlig unerträglich ist, wenn beispielsweise von der Planung von ein paar Kilometern Schnellbahnstrecke von Mannheim nach Stuttgart bis zur Inbetriebnahme 20 Jahre, zwei volle Jahrzehnte, vergehen. Das kann nicht sein.
({4})
Die F.D.P. unterstützt deshalb das Planungsbeschleunigungsgesetz, das in seiner räumlichen Wirkung zunächst auf die neuen Bundesländer beschränkt ist. Wenn es sich dort bewährt hat, sollten wir es auch auf die Länder der alten Bundesrepublik übertragen. Gerade die Notwendigkeit, die Verkehrsachsen der alten Bundesrepublik, die in Nord-SüdRichtung verliefen, zu ergänzen durch leistungsfähige Verkehrsachsen in Ost-West-Richtung als wesentlicher Bestandteil eines gesamteuropäischen Verkehrswegenetzes, erfordert rasches Handeln. Die 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit" - neun Bahnprojekte, sieben Straßenprojekte und ein Wasserstraßen-projekt mit einem Investitionsvolumen von 56 Milliarden DM - haben für uns Priorität.
Übrigens wird es darauf ankommen, die umweltfreundliche und verkehrssichere Wasserstraße gerade auch in den neuen Bundesländern zu stärken. Und dabei hoffen wir auf das Entstehen von marktwirtschaftlichen und mittelständischen Strukturen. Die Partikuliere können sich auch hier auf die F.D.P. verlassen.
In Zukunft, meine Damen und Herren, wird der Nahverkehr in regionale Verantwortung übergehen. Durch die Kompetenz und Definition der Angebotsstruktur im Nahbereich und damit einhergehende Finanzverantwortung wollen wir die Rolle der kommunalen Gebietskörperschaften stärken.
Um einer unbegründeten Sorge vieler Kommunalpolitiker auch hier in aller Entschiedenheit entgegenzutreten: Mit dem Konzept der Regionalisierung ging es dem Bund nicht darum, sich zu Lasten der Städte, Gemeinden oder Landkreise von Gemeinwohlaufgaben zu verabschieden. Der Bund hat mit der drastischen Aufstockung der Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz seine Bereitschaft unter Beweis gestellt, auch in Zukunft seine Verantwortung wahrzunehmen.
Auch die bisher über die Abdeckung des Defizits bei der Bundesbahn im Schienenpersonennahverkehr bereitgestellten Mittel werden in Zukunft zur Verfügung stehen. Generell aber wird vor dem Hintergrund neuer Kompetenzzuweisungen auf die einzelnen politischen Ebenen auch eine Neufestlegung der Finanzbeziehungen zwischen ihnen erfolgen müssen.
Vielfältige Beispiele aus einer ganzen Anzahl von Bundesländern zeigen, wie sehr das Konzept der Regionalisierung, das von Region zu Region ganz unterschiedlich ausgestaltet sein kann, zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV führt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich ausdrücklich auch die Rolle privater Verkehrsunternehmen betonen. Ich habe deshalb überhaupt kein Verständnis dafür, daß man zum Beispiel in meinem Bundesland Baden-Württemberg sich von seiten der CDU-geführten Landesregierung mit Händen und Füßen dagegen sträubt, die Privatisierung der Bahn-Bus-Gesellschaften mittelstandsfreundlich auszugestalten und dem privaten Gewerbe die Chance zu geben, sein Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen.
({5})
Daß es selbstverständlich dabei keine Rosinenpicke-rei geben darf, daß die sozialen Schutzinteressen der Beschäftigten gewährleistet sein müssen und daß es zu keinen privatwirtschaftlichen Monopolen kommen darf, ist klar.
Meine Damen und Herren, zentrale Aufgabe der Verkehrspolitik in dieser Legislaturperiode ist die große Bahnstrukturreform. Die F.D.P. arbeitet seit Jahren kontinuierlich und konsequent an der Modernisierung der Bahn. Oberstes Ziel unserer Politik ist es dabei, den Wandlungsprozeß der Bahn von einer staatlichen Verwaltung zu einem modernen Verkehrsdienstleistungsunternehmen zu unterstützen, zu beschleunigen und politisch abzusichern. Das durch die Deutsche Einheit erfreulicherweise möglich gewordene Zusammenwachsen von Deutscher Bundesbahn und Reichsbahn muß auf der Grundlage dieser Bahnstrukturreform erfolgen.
Wer über die Bahn spricht, muß zur Kenntnis nehmen, daß die Marktanteile der Bahn in den letzten Jahrzehnten rapide zurückgegangen sind, daß sich nicht bahnaffine Siedlungsstrukturen in Deutschland herausgebildet haben, daß sich die Struktur des Güteraufkommens zu Lasten klassischer Bahntransporte verändert hat und daß die Modernisierung der Angebotsstruktur der Bahn auf Grund jahrzehntelanger Vernachlässigung und falscher politischer Strukturen viel zu spät eingesetzt hat.
Die Neuordnung der Bahn muß nach unserer Meinung folgende Punkte umfassen, um den SchienenRoland Kohn
verkehr in Deutschland auf eine neue, zukunftsträchtige Grundlage zu stellen.
Diese Neuordnung darf nicht bei einer rein rechnerischen Trennung von Betrieb und Fahrweg stehenbleiben. Wir fordern die Gründung einer FahrwegAG, die den Bau, den Unterhalt sowie die Vermarktung des Fahrwegs sicherstellt. Da die Bereitstellung einer modernen Verkehrsinfrastruktur in unserem Gemeinwesen eine staatliche Aufgabe ist, soll diese Gesellschaft im Bundesbesitz bleiben.
Daneben ist eine Bahntransport-AG mit den Sparten Personen- und Güterverkehr zu gründen. Da der Transport von Menschen und Gütern keine staatliche Aufgabe ist, soll diese Gesellschaft nur vorläufig im Bundesbesitz bleiben. Insbesondere die politischen Durchgriffsmöglichkeiten auf diese Transportgesellschaft sind abzuschaffen.
Die Nutzung des Fahrwegs erfolgt in unserem Modell gegen Entgelt. Nutzer können sowohl die Bahntransport-AG als auch Dritte sein, z. B. andere europäische Eisenbahngesellschaften, nichtbundeseigene Eisenbahnen und Private. Das Entgelt wird nach Marktpreisen kalkuliert. Gemeinwirtschaftliche Leistungen müssen durch die bestellenden politischen Institutionen voll abgegolten werden.
Gegen die institutionelle Trennung von Fahrweg und Betrieb wird vielfach argumentiert und manchmal auch polemisiert. Ich zitiere deshalb den Präsidenten des Verkehrsforums Bahn, Hellmuth Buddenberg, mit einem Satz, der lautet:
Eine klare Verantwortungstrennung zwischen einerseits Bau und Betrieb der Schienennetze und andererseits dem Transport von Personen und Gütern auf diesen Schienennetzen ist ein entscheidender Punkt zur Gleichstellung der Verkehrsträger.
Wer es mit einer modernen Bahn ernst meint, muß deshalb dem F.D.P.-Konzept folgen.
Zur Neuordnung der Bahn gehört ferner, daß nach einer Wertberichtigung der Aktiva bei Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn die Verbindlichkeiten durch den Bund übernommen werden. Dies gilt auch für die besonderen personellen Lasten. Erst durch den künftigen Wettbewerb auf der Schiene werden sich marktfähige Produkte entwickeln, die den Schienenverkehr insgesamt attraktiver machen.
Für diese grundlegende Neuordnung ist die Änderung von Art. 87 Abs. 1 Grundgesetz unabdingbar. Nach Auffassung der liberalen Verkehrspolitiker darf diese Grundgesetzänderung im Gesamtpaket der allgemeinen Verfassungsdiskussion nicht untergehen, sondern muß vorgezogen werden.
({6})
Nur so können die Weichen für die große Bahnstrukturreform noch in dieser Wahlperiode gestellt werden.
Ich nutze diese Gelegenheit gern, um in diesem Zusammenhang die Kollegen von der SPD anzusprechen: Wem es ernst damit ist, den Schienenverkehr in Deutschland und Europa zu fördern, muß das hier vorgetragene Konzept unterstützen. Ich appelliere deshalb an die Sozialdemokratische Partei, sich ihrer Verantwortung nicht zu entziehen und die notwendigen verfassungsändernden Mehrheiten mit uns zu sichern.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Neuorientierung der deutschen Verkehrspolitik auf dem Weg nach Europa ist zwingend geboten. Wir brauchen eine europaweit dimensionierte Verkehrswegeplanung für die kontinentalen Magistralen; wir brauchen den raschen Aufbau leistungsfähiger Ost-West-Achsen; wir brauchen mehr Markt und mehr Wettbewerb im Verkehrssektor; wir brauchen die Zusammenarbeit aller Verkehrsträger; wir brauchen einen rationaleren Umgang mit unseren Mobilitätsansprüchen; wir brauchen mehr Verständnis für die Bewahrung von Natur und Umwelt, und wir brauchen schließlich mehr Rücksichtnahme auf den Mitmenschen auch in seiner Rolle als Verkehrsteilnehmer.
Umdenken, konzeptioneller Neuanfang, konsequente Politik sind gefragt, wenn wir die Veränderungen der letzten Jahre in Deutschland und Europa als Chance zu Gestaltung einer besseren Zukunft begreifen wollen. Lernen und handeln wir gemeinsam! Küssen wir miteinander das Dornröschen deutsche Verkehrspolitik wach!
({8})
Vielen Dank.
({9})
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um Dornröschen wachzuküssen, braucht man natürlich auch einen Prinzen. Das ist Herr Krause sicher nicht.
({0})
Deutsche Verkehrspolitik im geeinten Europa - das stellt in der Tat eine Herausforderung dar, zumal es sich um das Land handelt, das durch den EG-Binnenmarkt und durch die Öffnung der Märkte Osteuropas zum Transitland Nummer eins wird. Es stellt die Herausforderung dar, die Pfade der gescheiterten Verkehrspolitik von immer mehr Straßen, immer größeren Lkws und immer mehr Verkehr im Namen des wirtschaftlichen Aufschwungs endlich zu verlassen und Konzepte zu entwickeln, wie das Verkehrsaufkommen reduziert sowie ökologisch und sozial verträglich organisiert werden kann.
({1})
- Den will ich, aber ich will kein Verkehrschaos.
({2})
Die einzige Herausforderung für Herrn Krause scheint allerdings in der möglichst prompten Bedienung der Interessen der Straßenbaulobby zu liegen. Per Beschleunigungsgesetz werden „lästige" Mitsprache- und Einspruchsrechte beschnitten, und wo dies immer noch nicht reicht, wird fix mal ein Maßnahmegesetz aus der Schublade gezaubert. Mit demokratischem Planungsrecht hat dies nicht mehr viel zu tun.
Die Tatsache, daß sich unter den jetzt vorgelegten Projekten, die nach dem Beschleunigungsgesetz neu gebaut oder erweitert werden sollen, auch äußerst umstrittene Projekte, z. B. die A 44, befinden, macht schneller als erwartet deutlich, daß mit dem Beschleunigungsgesetz trotz gegenteiliger Beteuerungen von Anfang an ein Instrumentarium geschaffen werden sollte, das Opposition möglichst im Keim erstickt.
Der EG-Binnenmarkt und Verkehr - was heißt das in Zahlen? Herr Krause hat heute schon mit vielen Zahlen jongliert. Ich würde ein paar dazusetzen wollen. In den kommenden zehn bis 15 Jahren wird mit einem um 40 % höheren Verkehrsaufkommen in Europa gerechnet. Der Güterverkehr wird dabei einen Zuwachs von rund 100 % haben. Für den Verkehr zwischen West- und Osteuropa wird sogar eine Steigerung um 1 000 % prognostiziert. Um dies einmal plastisch zu machen: Würden die von der Prognos AG für das Jahr 2000 jährlich im Güterverkehr zwischen der Bundesrepublik und den 50 westlichen Nachbarländern vorausgesagten 464 Millionen Tonnen in einer einzigen Schlange von Lkws rollen, so würde diese Schlange mehr als fünfmal den Äquator umfassen.
({3})
- Aber ich denke, das wird für Sie dann etwas deutlicher, wenn man mit solchen Beispielen arbeitet.
Oder eine andere Rechnung! Ein weiteres Beispiel dafür, daß die Mobilitäts- und Verkehrskonzepte der Industrieländer in die Sackgasse bzw. in den ökologischen Kollaps führen: 18 % der Menschheit weltweit verfügen über 80 % der Pkw. Würde man die gesamte Menschheit auch nur mit dem Motorisierungsgrad der DDR beim Stand von 1985 ausstatten, dann wären 800 Millionen Pkw erforderlich und die Ölvorräte in 25 Jahren aufgebraucht.
({4})
- Gott sei Dank nicht.
Obwohl sich unser Verkehrssystem als ökologisch und sozial unverträglich herausgestellt hat, ist es trotz 10 000 Verkehrstoten in der Bundesrepublik pro Jahr, trotz Waldsterbens und Klimaveränderung immer noch so, daß der ansteigende, scheinbar objektive Verkehrsbedarf als die wichtigste Größe in der Verkehrspolitik betrachtet wird. Hier wäre ein anderer Ansatz dringend nötig, nämlich die Vorgabe von gesundheitlichen und ökologischen Belastungsgrenzen, an denen sich dann die Verkehrspolitik so zu orientieren hat, so daß die Verkehrsmengen und ihre
Auswirkungen diese Grenzen nicht überschreiten. Die Verkehrsmenge wäre dann keine objektive Prognosezahl, die sie ohnehin nicht ist, weil sie von der Politik vorgegeben wird - das hat Herr Krause hier sehr eindrucksvoll bestätigt -, sondern eine abgeleitete Größe. Die Verkehrspolitik müßte also in ihrer Gesamtheit auf ihre Umweltverträglichkeit hin überprüft werden, nicht nur einzelne Baumaßnahmen. Das wäre wirklich Umweltvernunft, Herr Krause.
Wie hätte also eine europäische Verkehrspolitik in diesem Sinne auszusehen?
Zunächst: Verkehr fällt nicht vom Himmel, sondern ist eine in großem Maße künstliche und erzwungene Größe. Die sich verfestigende internationale Arbeitsteilung läßt es z. B. als gängige Praxis erscheinen, daß der französische Thomson-Konzern auf Malta elektrische Widerstände herstellt, diese in Heidelberg weiterverarbeitet und anschließend zurück nach Malta schickt, von wo aus sie, in Präzisionspumpen eingebaut, den Weg zurück nach Deutschland nehmen. Für ein paar Prozentpunkte mehr Umsatz dieser Konzerne leiden Millionen Menschen unter Lärmbelästigung, Luftverschmutzung und Gefährdung durch den Verkehr.
Das schon fast Zynische an der Situation ist, daß die betroffene Bevölkerung zum großen Teil auch noch für die Transportkosten aufkommen muß.
Nach Berechnungen des Heidelberger Umwelt- und Prognoseinstituts deckt der Verkehr die von ihm verursachten ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Kosten gerademal um ein weniges mehr als 10 %; den Rest subventioniert der Staat. Im Güterverkehr werden sogar Teile der Wegekosten von der Allgemeinheit getragen.
Das oberste Prinzip einer anderen Verkehrspolitik muß also die Verkehrsvermeidung sein. Bei Einführung des Vollkostenprinzips würden sich die eben beschriebenen Transportaufwendungen ebenso wenig mehr lohnen wie Just-in-time-Produktion, die „moderne" Form von Lagerhaltung auf der Straße. Im Gegenteil steht aber zu befürchten, daß im Zuge der sogenannten Harmonisierung mit der Liberalisierung des Güterverkehrs eine weitere Verbilligung der Dienstleistung Transport einhergehen wird. In diesem Zusammenhang fordern wir, daß Tarife, Konzessionen und Verbote als Instrumente der Verkehrspolitik erhalten bleiben. Ein EG-Recht, das nationale Fortschritte im Verkehrsrecht, z. B. bei Grenzwerten, verhindert, lehnen wir entschieden ab.
Notwendig wäre eine stärker auf die Region ausgerichtete Wirtschaftspolitik, eine Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe. Begleitet durch regionale Transportkonzepte könnte dann eine effektive Arbeitsteilung im Güterverkehr erreicht werden. Im Fern- und Massenverkehr wären die Bahn und das Binnenschiff die Verkehrsträger. Der Lkw sollte nur noch für die Verteilung im Nahverkehr genutzt werden. Gewerbegebiete und Firmen müßten einen direkten Schienenanschluß erhalten. Das bringt allerdings nur dann wirklich etwas, wenn nicht jede Gemeinde ihren Gewerbepark hat, wie es sich momentan in den neuen Bundesländern entwickelt.
Stillgelegte Schienenstrecken müßten wieder in Betrieb genommen werden, damit die Bahn auch in der Fläche präsent sein kann. Ein Lückenschlußprogramm, wie es beispielsweise der Verkehrsclub der Bundesrepublik Deutschland für Bahnstrecken zwischen den alten und den neuen Bundesländern fordert, müßte mit Priorität verfolgt werden.
Wenn ich mir allerdings den Entwurf der Fernverkehrswegebestimmungsverordnung - ein furchtbares Wort! - ansehe, komme ich zu einem anderen Ergebnis. Dort stehen zwölf Projekte für Eisenbahnstrecken dem mehr als Dreifachen im Straßenbau gegenüber.
Auch durch eine andere, auf Dezentralisierung orientierte Raumplanungs- und Städtebaupolitik läßt sich Verkehr in erheblichem Maße einsparen. Untersuchungen haben ergeben, daß nicht die Anzahl der Zielbewegungen, die ein Mensch pro Jahr ausführt, sich erhöht hat, wohl aber ganz enorm die Distanzen, die im Alltagsleben zurückgelegt werden müssen. Notwendig ist eine Strukturpolitik, die Städte und Regionen der kurzen Wege schafft sowie die Voraussetzungen, daß sich die Menschen den Raum Straße wieder als sozialen Raum aneignen können. Dazu wären für die Städte und Gemeinden rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihre Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten so erweitern, daß sie jeweils angemessene ordnungspolitische, preispolitische und infrastrukturelle Maßnahmen ergreifen können.
Grundsätzlich - das gilt für alle Bereiche der Verkehrspolitik - sind eine Demokratisierung des Planungsrechts und eine Dezentralisierung der Kompetenz- und Entscheidungsebenen längst überfällig. Bei vielen Entscheidungen in der Städtebau- und Verkehrsplanung wird nur zu deutlich, daß der typische Planer - männlich, zwischen 30 und 50 Jahre alt und Autofahrer - nicht in dem Maße von den Auswirkungen seiner Maßnahmen betroffen ist wie der Großteil der Bevölkerung, nämlich Frauen, Kinder, alte und sozial schwache Menschen.
Immer mehr Städte beschließen, ihre Innenstädte für den Autoverkehr zu sperren; vor kurzem erst Straßburg. Wir begrüßen dies außerordentlich und erwarten vom Bund, daß er seinen schönen, aber leider bisher hohlen Worten vom „Vorrang für die Schiene und den ÖPNV" endlich Taten folgen läßt, Städten und Kommunen bei der Entwicklung von Nahverkehrskonzepten finanziell unter die Arme greift.
Ein Blick in den Etatposten „Verkehrsforschung" im Haushalt des Verkehrsministers spricht Bände: knapp 50 %, nämlich 37 Millionen DM, für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Straßenwesens, aber für Forschungsarbeiten im Bereich des ÖPNV oder zur Verbesserung der Situation von Fußgängerinnen und Fußgängern und Radfahrerinnen und Radfahrern keine müde Mark.
In diesem Zusammenhang muß ich kurz auf das Lieblingsspielzeug der Herren Forschungs- und Verkehrsminister zu sprechen kommen: den Transrapid. Obwohl er ökologisch unsinnig und landschaftsplanerisch katastrophal ist, bisher Unsummen an Förderungsmitteln verschlungen hat - ein Ende ist dabei noch nicht abzusehen -, obwohl er gegenüber einer modernisierten Rad-Schiene-Technik auf Strecken, wie sie in der Bundesrepublik derzeit befahren werden, kaum Zeitersparnis bringt, da ähnlich wie beim Flugzeug die langen Anfahrtswege zu den Haltepunkten in den Außenbezirken bleiben - was übrigens auch wieder Verkehr erzeugt -, und obwohl kein anderes europäisches Land, wohl aus der klugen Einsicht heraus, daß der Transrapid für europäische Verkehrsverhältnisse nicht geeignet ist, die Entwicklung dieser Schwebetechnik betreibt, - trotz alledem hält die Bundesregierung am Transrapid fest, und Thyssen darf sich freuen.
Herr Krause, diese Gelder wären in einem längst überfälligen Entschuldungsprogramm für die Bahn wirklich sinnvoller angelegt.
Als ein Beitrag zur Unterstützung des ÖPNV kann natürlich auch die Senkung der Promillegrenze gesehen werden. Wir hätten sie gern um weitere 0,5 Promillepunkte gesenkt, als in dem SPD-Antrag vorgesehen ist.
({5})
Angesichts der vielen Toten und Verletzten im Straßenverkehr kann uns die Sicherheit nicht weit genug gehen. Hinzu käme der psychologische Effekt, daß ein komplettes Alkoholverbot am Steuer die Überlegungen und die Versuchung, ob es denn noch ein Glas Wein oder noch ein kleines Bier sein darf, von vornherein erübrigen würde.
Zu diesem Antrag wird im Ausschuß noch gründlich zu beraten sein. Ich wünsche mir für die Beratung im Ausschuß auch die Heranziehung von Experten, z. B. der Ärztekammer.
Herr Minister Krause, Sie tragen die Verantwortung dafür, wie heute die Weichen für die Verkehrspolitik des nächsten Jahrtausends gestellt werden. Werden Sie dieser Verantwortung gerecht!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Dionys Jobst.
({0})
- Kritik an der Amtsführung des Präsidenten ist nicht gestattet, Herr Kollege Schäfer.
Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Bewertung der Regierungserklärung durch den Kollegen Daubertshäuser,
({0})
die sehr plakativ war und natürlich völlig danebengelegen hat, auch wenn sie noch so vollmundig war,
({1})
glaube ich, daß wir in der Verkehrspolitik doch einen ziemlich breiten Grundkonsens haben. Die SPD muß natürlich an unserer Politik Kritik üben. Das gehört zum politischen Ritual. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ohne ein leistungsfähiges Verkehrswesen und eine leistungsfähige Verkehrswirtschaft wären die Aufwärtsentwicklung in unserem Lande und wären vor allem neun Jahre Wachstum nicht möglich gewesen. Verkehr ist Voraussetzung für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft.
({2})
Wir sind heute im Verkehr an Grenzen angelangt und stehen deshalb vor großen Herausforderungen. Deutschland wird zur Drehscheibe Nummer eins in Europa. Die Mobilität in Deutschland und Europa muß deshalb umweltpolitisch gesichert werden, der Verkehr muß ökologisch verträglicher werden. Wir müssen die Staukosten reduzieren. Wir müssen aber auch den Verkehrszuwachs meistern. Deshalb stehen wir im Verkehr vor einer Weichenstellung, die mutige Entscheidungen erfordert.
Die Bundesregierung und die Koalition haben eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik eingeleitet. Der Bundesverkehrsminister hat heute eine klare Regierungserklärung abgegeben, für die wir ihm herzlich danken.
({3})
Das neue Bahnkonzept wird die Bahn leistungsfähiger und attraktiver machen. Das Eis für die Schiene ist gebrochen.
({4})
Wir haben ein anderes Bahnbewußtsein. Wir sind dabei, daß Europa wieder Bahnland wird. Ohne eine leistungsfähige Bahn gibt es auf Dauer in Deutschland und Europa weder ein Bedarfs- noch ein umweltgerechtes Verkehrssystem,
({5})
das den steigenden Anforderungen der Mobilität gerecht wird. Die Bahn ist für uns Hoffnungsträger im Verkehr.
({6})
Der gesamtdeutsche Wegeplan, der jetzt vorbereitet wird, wird dazu beitragen, daß im gesamten Deutschland eine optimale Verkehrsinfrastruktur geschaffen wird, in der alle vier Verkehrsträger ihre Aufgaben erfüllen können, wobei sie in vernünftiger Weise vernetzt werden.
Das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, um die Planungszeiten zu verkürzen. Der ICE konnte erst nach 20 Jahren in Betrieb genommen werden. Der 1. Rammschlag wurde bereits 1973 gemacht. Wir brauchen das Beschleunigungsgesetz auch in den alten Bundesländern, meine Damen und Herren.
({7})
Ein Kernproblem beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist die Finanzierung. Bei dem hohen Finanzbedarf, den wir haben, brauchen wir Privatkapital.
Der verkehrspolitische Nutzen muß früher eintreten. Es sind Zukunftsinvestitionen für die künftigen Generationen. Ich bin der Meinung, daß der ausländische Schwerverkehr umgehend zur Finanzierung der Wegekosten herangezogen wird. Wenn die EG weiter versagt, müssen wir zu nationalen Maßnahmen greifen.
({8})
Der Verkehr wird weiter wachsen. Nur mit modernen Schienenwegen und Straßen wächst Deutschland zusammen, und nur so können die östlichen Staaten den Anschluß an die EG finden.
Die Eisenbahn muß mehr Verkehr übernehmen und ihre Kapazität steigern. Wir müssen den Verkehr besser organisieren. Wir müssen den ÖPNV attraktiver machen. Der gegenwärtige Trend - weg vom ÖPNV, hin zum Individualverkehr - muß aufgehalten und umgedreht werden.
({9})
Der Durchgangsverkehr muß aus den Städten und Ortschaften herausgenommen werden.
Dennoch: Das Auto ist auch in der Zukunft unverzichtbar. Viele Menschen sind darauf angewiesen.
({10})
In der Fläche kann die Bahn die Aufgaben nicht erfüllen. Eine ideologisch festgefahrene Verkehrspolitik, die das Auto verteufelt, ist falsch. Dirigistische Eingriffe sind nicht hilfreich; dies hat Herr Schnell in der DVZ bereits mehrfach unterstrichen. Jeder siebte Arbeitsplatz hängt vom Auto ab. Das Auto muß umweltverträglicher gemacht werden; dies darf aber für den Bürger nicht unzumutbar werden, meine Damen und Herren.
Ein Kernstück der neuen Verkehrspolitik ist die Reform der Deutschen Bundesbahn. Die von der Bundesregierung eingesetzte Bahnkommission hat einen zukunftsweisenden Vorschlag vorgelegt. Wir haben Anlaß, den Mitgliedern dieser Regierungskommission unter Leitung von Herrn Dr. Saßmannshausen herzlich zu danken.
Ein neues Bundesbahnkonzept, weil die Eisenbahner versagt hätten, ist nicht erforderlich. Was die Leistung und den Einsatzwillen der Eisenbahner anbetrifft, so brauchen sie den Vergleich mit Arbeitnehmern in der Privatindustrie nicht zu scheuen.
({11})
Ihnen gebühren Dank und Anerkennung für ihre Leistung. Die Eisenbahner haben ein Anrecht darauf, daß sie wieder Zukunftsperspektiven erhalten und ihnen ihr Selbstwertgefühl zurückgegeben wird.
({12})
Die Bahnreform ist nicht nur im Interesse des Unternehmens, der Wirtschaft, sondern auch im Interesse der Eisenbahner notwendig. Es liegt an den gesetzlichen Zwängen, an den behördlichen Fesseln, daß andere Verkehrsträger der Bahn den Rang abgelaufen haben.
Die Finanzsituation der Bahn ist fatal.
({13})
Die Aussichten sind alarmierend: 1992 beläuft sich der Fehlbetrag auf 7,3 Milliarden DM, der Schuldenstand auf 46 Milliarden DM. Wenn nichts geschieht, dann wird allein die Deutsche Bundesbahn im Jahre 1996 11 Milliarden DM Defizit und einen Schuldenstand von 80 Milliarden DM haben. Die Bundesbahn muß bezahlbar bleiben. Deshalb ist Handlungsbedarf gegeben.
Die Bahn kann nicht gesundgeschrumpft werden. Sie hat bei der Kosteneinsparung große Erfolge erzielt. Die Personalreduzierung ist ein ganz großer Erfolg. Ohne die Reduzierung von 400 000 auf 230 000 Beschäftigte wäre die Bahn schon heute nicht mehr bezahlbar.
Herr Dr. Jobst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Albrecht Müller?
Ja.
Herr Kollege, wenn Sie das heute so deutlich sagen, dann muß man Sie fragen: Warum haben Sie zehn Jahre gebraucht? Warum haben Sie nicht schon 1983 die Bahn reformiert, um das zu erreichen, was Sie heute erwarten?
({0})
Wir mußten 1982 die Bahn vom Abgrund wegbringen, wohin sie die Politik der SPD gefahren hatte.
({0})
Die Bahn, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß bezahlbar bleiben. Deshalb ist Handlungsbedarf gegeben.
({1})
Wir haben die Deutsche Bundesbahn nicht im Stich gelassen wie die SPD unter ihrer Verantwortung. Niemals in der Geschichte der Bahn konnte sie so hohe finanzielle Mittel in die Zukunft investieren, wie es Mitte der 80er Jahre der Fall gewesen ist.
({2})
Seit 1949 wurden 16 Gutachten zur Verbesserung der Situation der Bahn vorgelegt. Es fehlte in all den Jahren der politische Mut zur Umsetzung. Es fehlte aber auch das Bahnbewußtsein.
Die Bahn benötigt Finanzmittel. Sie braucht neue, bessere Strecken. Sie muß an das Hochgeschwindigkeitsnetz in Europa angebunden werden. Ihre Wettbewerbsfähigkeit, ihre Stellung im Markt muß verbessert werden. Entscheidend sind Geschwindigkeit, Qualität und Pünktlichkeit. Ihr müssen natürlich auch die Wettbewerbsnachteile abgenommen werden.
Meine Damen und Herren, Ziel unserer Bahnreform ist nicht eine Schrumpfbahn. Die Deutsche Bahn AG bedeutet nicht das Aus für die Nebenstrecken. Die Bahn muß von den behördlichen Fesseln befreit werden. Sie braucht unternehmerische Handlungsfreiheit. Mit einer solchen unternehmerischen Ausgestaltung werden eindeutige Zuständigkeits- und Haftungsregelungen geschaffen.
Das Konzept der Regierungskommission ist revolutionär. Es ist ein in sich schlüssiges Konzept, mit dem eine leistungsstärkere Bahn geschaffen wird, die ihren Marktanteil durch wettbewerbsgerechtes Verhalten erhöht und die finanziellen Belastungen der öffentlichen Hände senkt.
Die Beibehaltung der heutigen Struktur des öffentlichen Betriebs der Bahn, der mit staatlichen Kontrollmechanismen gesteuert wird, würde den Effekt eines finanziellen Schnittes nach vier bis fünf Jahren aufgezehrt haben. Wir müssen weg von der heutigen Bahnhoheit und hin zu einem Wirtschaftsunternehmen.
Den Eisenbahnern dürfen bei einer Änderung der Personalstruktur keine Nachteile in ihrem Besitzstand und ihrem Fortkommen entstehen.
Bei der Finanzierung des Fahrweges muß eine klare Transparenz geschaffen werden zwischen den Aufgaben des Staates und denen des Unternehmens.
Die vorgeschlagene Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs schafft vernünftige Zuständigkeiten. Zur Entscheidungsverantwortung der Regionen muß aber auch die Finanzverantwortung kommen. Dies bedingt einen Finanzausgleich, damit den Regionen die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden.
({3})
- Das ist keine Kritik, das ist eine Feststellung. Wir sind auf dem besten Wege, das zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen auf die Zukunft der Bahn. Die Bahnreform, die wir jetzt angehen, ist ein Jahrhundertwerk. Sie verlangt deshalb das einvernehmliche Mitwirken aller Verantwortlichen. Die SPD ist aufgefordert, sich dieser Verantwortung nicht zu entziehen.
Die Untätigkeit würde bedeuten, daß wir eine Schrumpfbahn bekämen, die wir nicht wünschen. Stellen wir uns gemeinsam der Aufgabe, eine Bahn der Zukunft zu schaffen, dann leisten wir den wichtigen Beitrag, daß die Verkehrsverhältnisse verbessert und eine Verkehrskatastrophe, wie sie beschworen wird, verhindert wird.
({4})
Meine Damen und Herren, jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Harald B. Schäfer.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 80er Jahre waren ein Jahrzehnt globaler Umweltzerstörung. Das Waldsterben, die Zerstörung der Ozon6992
Harald B. Schäfer ({0})
schicht und auch die Gefährdungen für unser Klima sind dramatisch vorangeschritten. An all diesen Entwicklungen war das Auto maßgeblich beteiligt. 60 % der Stickoxidemissionen, rund die Hälfte der organischen Kohlenwasserstoffverbindungen und allein ein Viertel der jährlichen Kohlendioxidemissionen werden durch den Straßenverkehr emittiert. Dies ist die Luft, die wir alle einatmen. In vielen deutschen Innenstädten, in Ballungszentren ist die Luft inzwischen nach Angabe des Umweltministers gesundheitsschädlich.
Die traurige Wahrheit ist: Unser Verkehrssystem hat ökologisch und ökonomisch versagt. Eine Wende, eine Neuorientierung der Verkehrspolitik ist ökologisch und ökonomisch überfällig und dringend geboten.
({1})
Es muß doch, Herr Fischer, Herr Jobst, etwas faul sein mit unserer Mobilitätsgesellschaft, in der die Wohltat immer größerer Beweglichkeit buchstäblich zur Plage wird. Wir reisen heute so viel im Jahr wie früher im ganzen Leben nicht.
({2})
Jeder erkennt die Risiken der Mobilität, wie wir sie heute praktizieren: Umweltzerstörung, Unfälle, Streß, Bronchialerkrankungen. Niemand will sie, aber jeder erzeugt sie, auch ich, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Schäfer, ich würde Sie dennoch fragen: Wollen Sie denn nach dem, was Sie ausgeführt haben, unseren Bürgern zukünftig weniger Wohlstand und weniger Freizeit gewähren?
({0})
Das war eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jobst - für das Protokoll.
Jetzt hat zur Antwort das Wort natürlich der Herr Kollege Schäfer, bitte.
Ich will in zweifacher Weise antworten. Das erste ist: Die Frage, die Sie stellen, zeigt in einem erschreckenden Ausmaß, daß Sie das Problem überhaupt nicht begriffen haben.
({0})
Eine zweite Bemerkung. Ein Fortschreiben der gegenwärtigen Verkehrspolitik bringt den Bürgern weniger Wohlstand, bringt den Bürgern weniger Wohlfahrt und schränkt die Beweglichkeit des Bürgers, seine Mobilität ein, weil nämlich Wohlfahrt zur Plage geworden ist. Deshalb wollen wir mit unserer Verkehrspolitik mehr Lebensqualität, mehr Wohlfahrt, mehr Wohlstand bei geringerer Umweltbelastung und geringeren ökonomischen Kosten ermöglichen. Das ist die Aufgabe, die sich uns stellt; aber es stellen sich nicht derart abwegige Fragen.
({1})
Wollen Sie noch eine Frage stellen? Dann müssen Sie stehen bleiben.
Herr Kollege Schäfer, wollen Sie zukünftig nur mehr Radfahrer und Reiter in unserem Lande haben?
({0})
Herr Kollege Jobst, es gibt Fragen, die in ihrer Dümmlichkeit auf den Fragesteller zurückfragen.
Herr Abgeordneter Schäfer, es hat sich noch Herr Dr. Feige zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe.
Ich bin einverstanden damit, bitte schön.
Unsere Wahrnehmung - das zeigt Ihr Beitrag eben in Form von Zwischenfragen - ist zunehmend verzerrt. Manchen - das gilt vor allem für die rechte Seite des Hauses - erscheint die Verringerung von CO2-, von Kohlendioxidemissionen durch ein Tempolimit als zu gering. Tatsächlich aber erreichen wir durch ein Tempolimit an CO2-Einsparungen so viel, wie über 6 Millionen Menschen in El Salvador allein in einem Jahr an CO2 produzieren. Wenn ein deutscher Mittelklassewagen von Deutschland nach Italien hin- und zurückfährt, dann erzeugt er etwa soviel an CO2, wie ein Pakistani in einem ganzen Jahr für sich beanspruchen kann. - Bitte schön, Herr Feige.
Schönen Dank, daß Sie mir noch die Zeit gegeben haben, damit ich meine Frage nicht dümmlich formuliere. Würden Sie sich dafür einsetzen, Herr Schäfer, daß sich die schleswig-holsteinische Landesregierung endlich dazu bekennt, von der Küstenautobahn abzukommen?
({0})
Ich bin froh, daß wir in Schleswig-Holstein eine Landesregierung haben, die auch in ihrer Verkehrspolitik Ökonomie und Ökologie verbindet. Ich bin sicher, daß der Wähler auch deswegen diese Regierung am 5. April in ihrer Regierungsverantwortung bestätigen wird, Herr Feige.
({0})
Meine Damen und Herren, zum Thema zurück: Auch wenn es uns nicht paßt, Tatsache ist: In der Bundesrepublik - auch in den alten Bundesländern - sind wir in den letzten Jahren ökologisch nicht wirklich vorangekommen.
Harald B. Schäfer ({1})
In seinem jüngsten Strukturgutachten vom Jahre 1991 macht uns das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung - kein Öko-Institut - klar - ich zitiere -, daß „die deutsche Volkswirtschaft ({2}) jetzt noch in naher Zukunft durch einen umweltsparenden Strukturwandel gekennzeichnet ist. Von der Notwendigkeit eines ökologischen Strukturwandels" - so dieses anerkannte Wirtschaftsforschungsinstitut - „sind wir in der Bundesrepublik Deutschland weit entfernt." Wir sind ihm auch in den letzten Jahren nicht nähergekommen.
Schuld daran sind auch und vor allem das wachsende Verkehrsaufkommen und die damit verbundenen Emissionen. Das ist übrigens das Ergebnis der sattsam bekannten Arbeitsteilung innerhalb der Bundesregierung: Der Bundesumweltminister redet grün daher, während der Verkehrsminister dafür sorgt, daß die Straßenverkehrslawine weiter wächst.
In dieser Tradition steht auch alles das, was wir bisher vom Bundesverkehrswegeplan wissen. Die Straßenverkehrsplanung von Ihnen, Herr Krause, für die nächsten 18 Jahre richtet sich an der abenteuerlichen Prognose aus, der Straßengüterfernverkehr werde um rund 100 % wachsen und der Personenverkehr um 22 %. Man stelle sich das einmal bildlich vor: Doppelt so viele Lkw und knapp ein Viertel zusätzlicher Pkw werden von der Bundesregierung, werden vom Bundesverkehrsminister, werden vom Bundesumweltminister als geradezu schicksalhaft akzeptiert. Man muß das einmal in Schadstoffe, Lärm und Platzbedarf umrechnen. Da wird doch das Pferd buchstäblich vom Schwanz aufgezäumt.
Eine verantwortungsbewußte Verkehrsplanung muß konkrete Ziele setzen: Zielwerte für die anzustrebende Kraftstoffabsenkung bzw. CO2-Absenkung, Zielwerte für das noch hinnehmbare Straßenverkehrsaufkommen, Zielwerte für die noch hinnehmbaren ökologischen und gesundheitlichen Belastungen. Dann muß die Verkehrspolitik dafür sorgen, daß die Verkehrsmengen und die davon ausgehenden Belastungen diese Grenzen nicht überschreiten. Wer uns einreden will - wie die Redner der Koalition heute morgen -, die Verkehrsmengen auf den Straßen seien sozusagen eine geradezu schicksalhafte Größe, eine Verkehrsmenge, die naturgegeben auf unseren Straßen herumfährt, streut den Leuten Sand in die Augen und ist für eine ökologisch und ökonomisch verantwortliche Verkehrspolitik nicht tauglich.
({3})
Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen. Alle Schlüsse, die Sie heute in Reden gezogen haben, gehen von einem falschen Verständnis einer verantwortlichen und verantwortbaren Verkehrspolitik aus.
Meine Damen und Herren, die Verkehrsmenge ist eine unmittelbare Folge der verkehrspolitischen Entscheidungen sowie der umweltpolitischen und gesundheitspolitischen Vorgaben, und dafür trägt die Bundesregierung und niemand sonst die Verantwortung. Meine Damen und Herren, niemand wird Ihnen diese Verantwortung abnehmen.
({4})
Das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung, die klimaschädlichen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 % zu vermindern, begrüßen wir. Der dazu von der Bundesregierung vorgelegte Zwischenbericht zeigt freilich, wie folgenlos solche Bekenntnisse bisher geblieben sind und offenbar auch bleiben sollen. Dieser Zwischenbericht zur CO2-Minderung ist ein sehr widersprüchlicher Bericht. Er strotzt von widersprüchlichen Zahlenangaben und Wachstumsprognosen, die locker unverbunden nebeneinanderstehen.
Nach der Prognose des Bundesverkehrswegeplans steigt der Straßengüterverkehr um 100 %. Nach dem CO2-Bericht sollen die Fahrleistungen auf den Straßen nur um 6,4 % steigen. Trotzdem werden immer wieder - das haben Sie auch heute probiert -, o Wunder, die gewünschten Ergebnisse erzielt. Die CO2-Belastung wird herunter- und die Luft der Zukunft wird saubergerechnet, obwohl wir bei der Fortschreibung der Bundesverkehrspolitik der letzten Jahre bleiben.
Meine Damen und Herren, die Maßnahmen, welche die Bundesregierung zur Lösung der Umweltkrise im Straßenverkehr anbietet, sind untauglich. Der Vorschlag der emissionsbezogenen Kraftfahrzeugsteuer, die sogenannte Auspuffsteuer, ist nichts anderes als eine verkappte Steuererhöhung. Sie entfaltet überhaupt keine ökologische Lenkungswirkung und wird auch nicht einen einzigen Pkw-Käufer bei seiner Entscheidung beeinflussen. Der „Stern" - zum Nachlesen! - hat
({5})
unter der Überschrift „Töpfers Trugschluß" eindeutig belegt, daß die von Ihnen propagierte Auspuffsteuer nichts als eine verkappte Steuererhöhung ist, mit der man dem Bürger in die Tasche greifen will und die keine ökologische Lenkungswirkung entfaltet.
({6})
Die Parameter Lärm, Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen blockieren sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Richtig wäre hingegen, denjenigen, der viel fährt, mehr zu belasten, und jene Verkehrsteilnehmer, welche die Umwelt schonen, zu belohnen. Dazu sind Sie aber offenkundig nicht bereit und nicht in der Lage.
({7})
Herr Abgeordneter, sind Sie denn bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Nein, tut mir leid. Ich bin ohnehin zeitlich im Druck, wie ich sehe.
({0})
Meine Damen und Herren, auch das von Ihnen propagierte Elektroauto kann unter den heutigen Bedingungen keinen Beitrag zur Beendigung der Energieverschwendung oder zur CO2-Minderung leisten, es sei denn - und das müssen wir Ihnen auch sagen -, Sie wollten die Bundesrepublik mit Atomenergie nachgerade überziehen.
({1})
Das Elektroauto hat nur dann eine Zukunft, wenn es mit erneuerbaren Energien betrieben werden kann. Es hat auf absehbare Zeit eine Nischenfunktion, auch deswegen, weil dank Ihrer verfehlten Energiepolitik der Anteil nicht erneuerbarer Energieträger in den letzten Jahren gefallen und nicht gestiegen ist, wie es notwendig gewesen wäre.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß nur noch zwei Punkte nennen, die umweltpolitisch geboten wären.
({3})
Der eine Punkt: Wir brauchen endlich eine drastische Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs. Wir müssen den Kraftstoffverbrauch in den nächsten 15 Jahren halbieren. Töpfer kündigt die Reduzierung schon seit vier oder fünf Jahren an, aber in Wirklichkeit nimmt der Kraftstoffverbrauch wieder zu. Dabei wäre es so einfach, eine Flottenverbrauchsregelung durchzusetzen. Meine Damen und Herren, man muß nicht nur wollen, sondern das als notwendig Erkannte auch umsetzen können.
({4})
Über das Tempolimit mache ich keine weiteren Ausführungen mehr. Nur noch soviel: Ich nehme in diesem Hause von jedermann jede Wette an, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland das Tempolimit noch im Laufe dieser Legislaturperiode kommen wird.
({5})
Ich rufe Ihnen noch einmal zu: Kommen Sie wenigstens in diesem Punkt zur ökologischen Vernunft! - Nur noch ein Schlußsatz, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihre eigene Ankündigung wahrmachen würden und tatsächlich zu Ende kämen.
({0})
Daß der Bundesverkehrsminister ökologisch blind ist, meine Damen und Herren, ist ein Jammer.
({0})
- Ich sehe, Sie bedauern dies auch. - Daß der Bundesumweltminister immer dann, wenn es darauf ankommt, Umweltschutz auch im Konflikt durchzusetzen, wegtaucht,
({1})
führt letztlich dazu, daß der ökologisch Blinde in Ihrer Verkehrspolitik das Sagen hat. Das ist der Zustand, den wir zunehmend beklagen müssen.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Ekkehard Gries.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir leichter, dem lieben Kollegen Klaus Daubertshäuser zu seiner gestrigen silbernen Hochzeit als zu seiner Rede zu gratulieren.
({0})
Dafür enthielt sie viel zu heiße Luft; wir reden nachher noch einmal darüber. Es wird eigentlich nur dadurch überboten, daß Herr Schäfer nach ihm spricht, weil er der ökologische Seher ist, ohne uns zu sagen, was er sieht
({1})
und was er dann eigentlich tun will. Das ist das, was ich in bezug auf alle Redebeiträge von der Opposition beklagen muß:
({2})
Sie sind zwar Meister im Aufzeigen von Horrorszenen, aber Sie sagen nicht, wie wir uns davon lösen können.
({3})
Ich weiß ja, daß wir gemeinsam darum ringen. Warum sagen wir das nicht einmal in der Öffentlichkeit?
Ich bin heute in der glücklichen Lage, nicht die Grundsatzrede halten zu müssen. Das habe ich meinem Freund Roland Kohn überlassen. Ich brauchte deshalb auch keine lange Rede auszuarbeiten, sondern ich konnte mich flexibel auf ein paar Stichworte konzentrieren, zu denen ich noch etwas sagen will.
Ich nenne zum ersten die Frage der Liberalisierung und Harmonisierung auf dem Wege zum europäischen Binnenmarkt. Damit die Positionen hier klar sind: Der europäische Verkehrsmarkt wird nur funktionieren, wenn er über ein harmonisiertes System verkehrsspezifischer Abgaben verfügt, wenn er angeglichene Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards hat, wenn ein einheitliches Kontrollsystem eingeführt und realisiert wird und wenn auch die verkappten Beihilfen und Subventionen offengelegt,
angeglichen oder beseitigt werden. Nur dann wird das funktionieren.
Wir wollen diese neue Marktordnung; Herr Kohn hat es schon gesagt. Wir wollen einheitliche Standards. Wir wollen Wettbewerbsgleichheit und Chancengleichheit auf dem europäischen Markt. Das ist auch die Voraussetzung dafür, daß wir aus der Chance, die uns Eruopa bietet, etwas machen können.
Ich sage gleichzeitig aber auch: Das schließt auch Einschnitte ein, Kabotage z. B. Aber - ich erinnere an die gestrige Diskussion im Verkehrsausschuß; der Verkehrsminister weiß das - es muß, auch in den Verhandlungen innerhalb der Kommission und im Rat, deutlich werden, daß unsere Geduld erschöpft ist, wenn es immer nur darum geht, und zur Liberalisierung zu bitten, uns bei der Harmonisierung aber hintanstehen zu lassen.
({4})
Hier muß jetzt endlich einmal eine ganz eindeutige, massive politische Verknüpfung erfolgen. Ich finde, wir haben genug Vorleistungen erbracht. Jetzt können wir erwarten, daß unsere Partner auch einmal auf uns Rücksicht nehmen. Das dient Europa und nicht nur uns.
Ich komme nun zum Thema Flugsicherung. Warum soll man bei solch einer Gelegenheit nicht einmal darüber reden, was wir Gutes erreicht haben und was wir Gutes getan haben? Wir haben endlich - gut, im zweiten Anlauf; eine Legislaturperiode später - das Gesetz über die Neustrukturierung der Flugsicherung - Sie können auch sagen: Organisationsprivatisierung - vorgelegt. Ich danke der Opposition, daß sie dabei mitgewirkt hat, selbst in bezug auf die Grundgesetzänderung, die auf Wunsch des Bundespräsidenten notwendig wurde. Ich bin ganz sicher, daß der Rechtsausschuß das in Kürze auch vollziehen wird. Ich denke, daß wir damit einen wesentlichen Schritt getan haben, um die Flugsicherung in unserem Land - vor dem Hintergrund, daß es notwendig ist, ein europäische System zu finden - umzustrukturieren. Dieser Schritt sollte - das sage ich an den Minister gerichtet - so schnell wie möglich umgesetzt werden. Ich appelliere auch an die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Ausschüssen, nicht zu zögern, sondern dies möglichst zügig umzusetzen.
Ich unterstreiche eines - das alles ist ja nicht so populär, und ich nehme es stichwortartig auf -: Auf das, was der Minister hier gesagt hat, ist niemand eingegangen, nämlich auf die Notwendigkeit, auch unsere Flughafeninfrastrukturen auszubauen. Es nützt nichts, nur über Nachtflugverbote und Lärmeingrenzungen oder leisere Maschinen zu reden. Das ist alles nützlich und alles gut, aber wir wollen doch die Augen auch nicht vor den Notwendigkeiten des Ausbaus verschließen.
({5})
-Ja, dazu gehören auch die Bahnhöfe; wenn ich mich richtig erinnere, hast du sie schon genannt. Das ist natürlich richtig, und es ist ein unerträglicher Zustand, daß der modernste Flughafen in der Bundesrepublik, München II, eben keine ausreichende - und damit
überhaupt nicht optimale - Anbindung an ein überregionales Schienennetz hat.
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Das ist eigentlich unerträglich. Ich möchte jetzt nicht irgendwelche Schuldzuweisungen vornehmen, aber es gibt viele, die an dieser Stelle genannt werden müßten. So etwas darf eigentlich nicht passieren.
Wenn dieses Stichwort schon genannt wird, dann möchte ich gleich hinzufügen: Es darf auch nicht passieren, daß die ICE-Strecke Köln-Frankfurt als nationaler Teil eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes an dem Flughafen Köln-Bonn vorbeigeführt wird. Das kann wohl nicht wahr sein.
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Da müssen sich alle einmal anstrengen und dürfen nicht nur auf die paar hundert Millionen DM gucken, die das natürlich kostet. Das dürfen wir als Verkehrspolitiker jedenfalls nicht zulassen.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist hier genannt worden. Auch dieses Gesetz wird durch die Opposition wieder kritisiert oder minimiert. Ich habe festgestellt, daß die Maßnahmen nach diesem Gesetz draußen gar nicht bekannt sind, weil wir sie nämlich in dem Zweiten Steueränderungsgesetz versteckt haben. Hier ist ein unglaublicher Durchbruch erzielt worden, und zwar in zweierlei Hinsicht: Quantitativ sind die Mittel von 3 Milliarden DM pro Jahr auf 6 Milliarden DM verdoppelt worden, und ihre Bereitstellung ist um zwei Jahre verlängert worden, nämlich bis zum Jahre 1995.
({8})
Dieses Geld fließt in die Kommunen, fließt in die Länder und bleibt nicht etwa hier in der Bundeskasse.
Wir haben - was auf die Dauer sicherlich noch wesentlicher ist - zugleich eine inhaltliche Strukturreform vorgenommen; wir haben die Kompetenzen dorthin verlagert, wohin sie gehören, in die Länder und in die Kommunen. Das umfaßt 80 %. Die Länder und Kommunen sollen entscheiden, was wichtig ist; sie sollen entscheiden, was sie machen und wie sie es machen. Wir haben ihnen das Geld dafür gegeben. Nur wenige Projekte über 100 Millionen DM - Größenordnung 20 % - bleiben beim Bund, in der Zentrale.
Meine Damen und Herren, dies ist die richtige Politik. Wir haben den Katalog der Förderungsmaßnahmen erweitert, und das ist richtig. Jetzt bitten wir aber auch - und hier ist die Opposition gefordert, weil sie nämlich mehr Landesregierungen und Kommunen beherrscht als wir -,
({9})
davon auch den richtigen Gebrauch zu machen. Meine Erfahrung ist bisher, daß weder Ihre noch meine Parteifreunde und Kommunalpolitiker vor Ort dies überhaupt wissen. Klären Sie die einmal so auf, wie ich es mit meinen jetzt ebenfalls tun werde. Hier ist nämlich wirklich eine vernünftige und radikale Reform durchgeführt worden.
Zum Planungsrecht wollte ich auch noch etwas sagen. Ich bin froh darüber - das ist manchmal eine peinliche Diskussion -, daß wir das Beschleunigungsgesetz - zunächst einmal gültig in den neuen Ländern - über die Bühne gebracht haben. Ich bin beschämt darüber, daß z. B. das Land Brandenburg dabei nicht mitgezogen hat. Nun kann man sich aber nicht so dafür rächen, weil der Bedarf dort mit am größten ist. Es ist kein Zeichen von politischer Weitsicht und Klugheit, sich zu enthalten, aber zu kassieren.
({10})
Jetzt kommen die nächsten Maßnahmen, und da steigen Sie schon aus: nämlich die Investitionsmaßnahmengesetze. Wir kommen sonst nicht über die Runden.
Ich finde es auch nicht sehr glücklich, daß der Bundestag Planfeststellungsbehörde wird. Das ist nicht gut, wenn ich es mit dem alten Recht vergleiche. Das kann auch nur auf Ausnahmefälle begrenzt sein. Aber wie anders als auf diesem Wege wollen wir denn diese dringendsten Probleme der deutschen Einheit im Verkehrssektor lösen? Deshalb bin ich der Meinung, daß das geschehen muß. Die F.D.P. wird das auch mittragen.
({11})
Der dritte Punkt - ich möchte dies noch einmal unterstreichen -: Ich bin froh - man muß nicht alles billigen, was in großen Ministerkonferenzen ausgeheckt wird -, daß in der letzten Konferenz der Innenminister, der Raumordnungsminister und Verkehrsminister ein Konsens darüber erzielt worden ist, daß wir auch unser Planungsrecht in den alten Ländern überprüfen müssen. Planungszeiträume von 15 oder 20 Jahren sind einfach unerträglich. Ich habe selbst sehr konkrete Beispiele dafür, daß das nicht erfunden, sondern leider Realität ist.
Herr Abgeordneter Gries, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rudolf Bindig zuzulassen?
Ja, natürlich.
Herr Gries, sehen Sie nicht bei der Frage der Beschleunigungsgesetze und der Planungsgesetze bei Ihnen persönlich als Mitglied des Verkehrsausschusses und zugleich Mitglied des Aufsichtsrates der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und Bau-Gesellschaft mbH einen Interessenkonflikt?
Nein, den sehe ich überhaupt nicht. Ich sehe den Bundestag als das heilsame Organ an, das dieses Gesetz beschlossen hat, damit die DEGES die Straßen bauen kann.
({0})
- Die DEGES macht nicht die Planung. Die DEGES führt Planungen aus.
({1})
- Sie müßten wissen, was die DEGES ist. Das ist keine private Gesellschaft. Ich weiß nicht, was Sie vermuten. Die DEGES ist eine Gesellschaft, an der der Bund und die Länder beteiligt sind. Das ist doch keine private Kapitalgesellschaft. Wir haben sie für die Straßen gegründet, wie wir andere für die Eisenbahn gegründet haben: damit die Planung professional gemacht werden kann, weil die Kapazität der Planung in den Länder noch nicht groß genug ist. Sie haben wahrscheinlich eine falsche Vorstellung. Ich gebe Ihnen gerne Auskunft darüber. Aber es gibt wahrscheinlich andere, die das kompetenter tun können.
Wir müssen das Planungsrecht novellieren. Es muß schneller gehen, es muß zügiger gehen, es muß koordinierter gehen,
({2})
ohne daß dabei die Interessen der Betroffenen in irgendeiner Weise zu kurz kommen.
Zur Verkehrssicherheit. Natürlich sollte man dazu ein Wort sagen. Ich will das nicht auswalzen. Wir haben das Thema Tempolimit hier vor einigen Wochen abgehandelt. Mir fällt nichts Neues dazu ein. Ich habe auch kein neues Argument gehört. Ich will aber eines dazu sagen, weil jetzt schon der Mißbrauch mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs von vorgestern hinsichtlich der Wertung der Richtgeschwindigkeit 130 beginnt. Meine Damen und Herren, in einem Punkt begrüße ich dieses Urteil. Es widerlegt nämlich die Behauptung der Opposition und vieler anderer, die Richtgeschwindigkeit 130 sei damals nur eine Alibigeschichte gewesen; es sei niemals ernst gewesen und habe auch keine Bedeutung. Jetzt weiß jeder, daß sie im zivilrechtlichen Gefährdungshaftungsbereich Bedeutung hat. Das ist das Richtige dabei.
Etwas kritisiere ich jedoch, aber vorsichtig, weil ich die schriftliche Urteilsbegründung noch prüfen möchte. Ich kritisiere die jetzige Benutzung der Schlagworte aus dem Urteil, um daraus einen Einstieg in ein starres Tempolimit 130 zu machen.
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Das ist unzulässig.
Des weiteren werde ich sehr aufmerksam verfolgen, inwieweit die Haftpflichtversicherungen wie damals bei der Gurtanlegepflicht - die auch nicht bußgeldbewehrt war - den Einstieg zu ihrem eigenen Freikauf benutzen. Auch so war das Urteil nicht gemeint. Im übrigen frage ich mich - der Justizminister ist natürlich nicht da -, ob es besonders glücklich ist, wenn der Vorsitzende des IV. Senats des Bundesgerichtshofs, der Bundesrichter Salger, zugleich Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages ist und auf dessen letzter Tagung politische und nicht juristische Argumente vorbringt und Ziele anstrebt. Ich habe dabei kein gutes Gefühl. Das sage ich hier ganz zurückhaltend. Das beißt sich irgendwo. Wir sind aber bereit, das Urteil zu prüfen. Wir sind auch bereit, zu lernen. Wir wollen dabei nicht eifern. Wir wollen aber auch nicht missionieren.
Das gleiche gilt für die Frage der Toleranzgrenze im Alkoholbereich im Verkehr. Ich will das jetzt nicht
weiter ausführen, weil ich es bald nicht mehr hören kann. Wir werden es ja im Ausschuß behandeln. Dort kommen die Anträge hin. Ich will Ihnen aber soviel sagen: Wir reden nicht darüber, ob Alkohol, Nikotin, Koffein oder andere Drogen die Volksgesundheit besonders fördern. Wir reden darüber, wie die Wirkung im Verkehr ist, wie andere im Verkehr gefährdet werden und wie man dagegen angehen kann, wie man das reduzieren kann. Dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Ich kann nur empfehlen - sonst tue ich das nicht so gern von hier aus -, den „Spiegel" -Artikel dazu von dieser Woche zu lesen. Darin finden Sie alle Argumente dafür und dagegen sauber aufgelistet. Lesen Sie das. Dann reden wir darüber. Wir werden - das habe ich meiner Fraktion vorgeschlagen - im Ausschuß beantragen, eine sorgfältige Anhörung mit Für und Wider von Wissenschaftlern, von Verkehrspolitikern und von Medizinern durchführen, damit die Dinge aufgearbeitet werden, damit das Ganze in einer vorurteilsfreien Situation diskutiert werden kann und nicht mit ideologischen Positionen von der einen oder anderen Seite. Ich denke, daß wir, was das Hearing betrifft, schnell übereinstimmen werden.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. - ich glaube, das ist deutlich geworden - will eine Verkehrspolitik, die die Menschen, die Umwelt, aber natürlich auch die Wirtschaft einbezieht. Ich sage das hier ganz offen und werde hoffentlich nicht mißverstanden. Wir wollen Freiheitsräume und Freiheitsrechte erhalten und ausbauen, auch im Zusammenhang mit dem Verkehr. Dazu gehört es auch, die Mobilität zu fördern und sie nicht zu behindern, zu strangulieren und zu überreglementieren.
({4})
Wir bauen bei dieser Verkehrspolitik auf Verantwortung, auf Rücksichtnahme und auf das notwendige Maß an Solidarität, das Menschen untereinander brauchen.
Vielen Dank.
({5})
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Antretter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, wenn auch überfällig, daß sich der Bundestag in einer mehrstündigen Debatte mit der Verkehrspolitik auseinandersetzt. Schade ist, daß Sie, Herr Minister Krause, die Chance nicht genutzt haben, mit Ihrer Regierungserklärung zu dokumentieren, daß die politisch Verantwortlichen - worauf es vor allem ankommt - auch zum entschiedenen Umdenken in der Lage sind, wenn dies geboten ist. Denn die Krise unseres Verkehrssystems ist das Resultat Ihrer nicht wandlungsfähigen Politik; Ihr Stillstand im Denken und Handeln erzeugt Immobilität im Verkehr. Auch heute haben Sie nur die alten Antworten auf diese Herausforderung gegeben.
Warum ziehen Sie nicht endlich Konsequenzen aus der Studie „Umwelt und Binnenmarkt", die die EGKommission erstellt hat und deren Ergebnisse die Kommissare selbst so erschreckt hat, daß sie sie gleich wieder in den Schubladen der Brüsseler Bürokratie haben verschwinden lassen. Warum, das wird klar bei einem flüchtigen Blick auf dieses Papier: weil darin die Rede ist von der Gefahr eines weitreichenden Abfalltourismus; weil die Studie voraussagt, daß die Liberalisierung des Marktzutritts zwar neuen Anbietern Tür und Tor öffnet, die dabei erzielten positiven Effekte jedoch durch die negativen Umwelteffekte mehr als kompensiert werden; weil sie errechnet, daß der Binnenmarkt bis zum Jahr 2010 zu einem Anstieg der Emissionen um bis zu 14 % führen wird; weil sie prognostiziert, daß das Anwachsen des grenzüberschreitenden Lastwagenverkehrs und die damit einhergehende Zunahme der atmosphärischen Emissionen schwerwiegende Folgen für die Umwelt haben wird.
Warum, Herr Minister, legen Sie kein Konzept für Sofortmaßnahmen vor, um die schlimmsten zusätzlichen Belastungen zu vermeiden? Beziehen Sie dabei den Sachverstand der Betroffenen mit ein! Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Da gibt es einen erfolgreichen mittelständischen Unternehmer, einen Fuhrunternehmer aus Ulm, der Ihnen eine Studie geschickt hat, in der er Vorschläge unterbreitet, wie man das problematische Thema der Leerfahrten in den Griff bekommen, wie man 30 % dieser Leerfahrten einsparen könnte. Ich bitte Sie darum, schicken Sie ihm eine inhaltliche Antwort und keinen Kanzleitrost. Setzen Sie sich mit ihm auseinander.
Herr Minister, geben Sie nicht Ihre Postulate hier im Haus durch Ihr eigenes tatsächliches Handeln der Lächerlichkeit preis, etwa durch die ungebremste Deregulierung der Verkehrsmärkte. Sie nehmen dabei in Kauf, daß mittelständische deutsche Transportunternehmen immer mehr aus dem Markt gedrängt und damit die Eigentümer und die Arbeitnehmer um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Wohin z. B. immer mehr Deregulierung in der Luftfahrt führt, das sehen Sie am ruinösen Wettbewerb in den Vereinigten Staaten, dem auch gesunde Luftfahrtgesellschaften nicht mehr standhalten konnten. Widerstehen Sie den Forderungen nach immer neuen Regionalflughäfen, dann tragen Sie zur Sicherheit im beängstigend eng gewordenen Luftraum ebenso bei, wie Sie die Chancen der Bahn vergrößern, auf dem Feld erfolgreich zu sein, für die sie - die Bahn - die besten Voraussetzungen bietet.
Herr Minister, von mehreren Seiten wurde hier der ÖPNV angesprochen. Ich wundere mich, daß gerade von der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. ein Aspekt überhaupt nicht erörtert wurde: Bitte kümmern Sie sich um die Sicherheit auf den Bahnhöfen und in den S-Bahnen in unserem Land.
({0})
Wir haben neulich im Verkehrsausschuß miteinander die Frage erörtert, welche Zunahme bei den Straftaten in den Bahnhöfen und in den S-Bahnen zu beobachten ist. Sie belief sich allein im Jahr 1990 im Westen der Republik auf 47 %. Dabei waren einige Regionen, einige Verbünde wie etwa Stuttgart noch gar nicht mit enthalten. Es wäre übrigens interessant,
zu wissen, warum diese Zahlen fehlen. Ich bin sehr daran interessiert, wir alle sollten daran interessiert sein, eine geschlossene Übersicht zu haben. Da ist es dann nicht befriedigend, wenn wir hören, daß die Verwirklichung einer der wichtigen Voraussetzungen, um mehr Sicherheit zu schaffen, die durchgängigen Züge, zehn Jahre dauern soll. Ich bitte Sie, auch dafür einzutreten, daß dies schneller geschieht und daß auch Personal zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger in diesen Zügen eingesetzt wird.
({1})
Herr Professor Krause, sage ich jetzt, der Sie von den Gesetzen der Mathematik und auch von physikalischen Kenntnissen tangiert sind, versuchen Sie doch bitte einmal, die Gedanken Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Koalition von diesem Unsinn zu entsorgen, den interessierte Kreise verbreiten, daß es eine statistische Durchschnittsgeschwindigkeit von 120 km auf unseren Autobahnen bereits gebe und daß man deshalb kein Tempolimit brauche. Eine Durchschnittsgeschwindigkeit, die durch einen Mix von Raserei und Staus erzwungen wird, ist das Gegenteil eines sicheren, ökologisch weniger problematischen und homogenen Verkehrsflusses.
({2})
Herr Minister, ich finde es schlimm, daß Sie sich als Chefdramaturg an die Spitze dieser Tragöden stellen, die uns klarmachen wollen, Tempo 130 bringe letztlich mehr Gefahren als Sicherheit. Selbst wenn wir hier heute nicht - ich halte es übrigens für problematisch, wie hier mit der Kompetenz eines der höchsten Gerichte umgegangen wird - die Gerichte zitieren wollen, frage ich Sie: Nehmen Sie eigentlich auch die Versicherungswirtschaft nicht ernst? Wenn die in der heutigen Presse Tempo 130 fordert, dann dürfen Sie davon ausgehen: Das tun die nicht aus ökologischen Gründen, das tun die auch nicht, weil sie den Sozialdemokraten im Parlament eine Freude machen wollen, sondern das tun sie, weil sie rechnen, weil sie fragen: Wann zahlen wir am wenigsten Geld für Versicherungsfälle? Wann treten weniger Versicherungsfälle ein? Dann stellen sie fest: bei einem Tempolimit von 130. Dies scheint eine Größenordnung zu sein, bei der erheblich weniger passiert. Diesem Argument, dieser Einsicht sollten Sie sich doch anschließen können.
Fangen Sie wenigstens in der Verkehrspolitik an, wo die Rahmenbedingungen errechenbar sind, die einfachsten Gesetzmäßigkeiten zu kapieren. Ich räume ein: Meine Hoffnung ist da nicht allzu groß. Sie würden wahrscheinlich eher Adam Riese in den vorzeitigen Ruhestand schicken als einem Automobilhersteller zu widersprechen, wenn er sagt: zweimal zwei ist fünf.
({3})
Aber beginnen Sie mit kleinen Schritten, z. B. wenn es um den Landschaftsverbrauch geht!
({4})
Sehen Sie endlich ein, daß die Alternative zur Zweispurigkeit nicht immer vier Spuren sein müssen. Da, wo es Landesregierungen mit der Dreispurigkeit versucht haben, wurden gute Erfahrungen gemacht: abnehmende Staus und zurückgehende Unfallzahlen. Die bevorstehende Fortschreibung des Bedarfsplans ist eine gute Gelegenheit, auf dem Gebiet der Bundesfernstraßen die Wende einzuläuten.
Dazu gehört auch, Herr Krause, daß man Bürgermeister und Gemeinderäte, die von sich aus den Weg zu einem landschaftsschonenderen Straßenbau gehen wollen, ermutigt und nicht damit droht, sie würden ihre Straße viel später bekommen, wenn sie nicht so wollen, wie die Regierung will, weil man völlig neu planen müsse,
({5})
so wie das dieser Tage dem Oberbürgermeister von Emmendingen und seinem Gemeinderat angekündigt wurde, nachdem sie den ökologisch verantwortlichen und verkehrspolitisch vertretbaren Beschluß gefaßt hatten, eine Ortsumfahrung in diesem Falle zweispurig und nicht dreispurig auszuführen.
Sie dürfen doch nicht davon ausgehen, Herr Minister, daß Ihre drei Kinder, wenn die ihrererseits Kinder haben, sich damit begnügen, stolz darauf zu sein, daß ihr Großvater Minister war, daß er es zu etwas gebracht hat.
({6})
Die wollen wissen, was Sie und was wir alle getan oder versäumt haben, ihre Lebensgrundlage zu bewahren und nicht nur eine Existenzgrundlage zu hinterlassen. Was Sie und Ihre Kollegen von den Koalitionsfraktionen heute geboten haben, waren große Worte und milde Gaben auf allen Ebenen, zu Lande, zu Wasser und in der Luft und ganz besonders auf der Schiene. Aber, Sie haben Glück, nicht jeder hat zweimal am Tag die Chance. Ihre ist es, dem Antrag der SPDBundestagsfraktion zustimmen zu können. Tun Sie es, dann gehen Sie einen ersten Schritt in die richtige Richtung.
({7})
Vielen Dank.
({8})
Nunmehr spricht der Abgeordnete Dr. Hennig.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade nach dieser Rede des Kollegen Antretter ({0})
(Zurufe von der SPD: Hennig [SchleswigHolstein]!]
nehme ich gern Gelegenheit, ein paar Worte für den Norden zu sagen. Ich fange damit an, daß ich unserem Verkehrsminister Günther Krause ein herzliches Dankeschön für eine vorzügliche Regierungserklärung sage, die die Eckpunkte richtig gesetzt hat,
({1})
aber auch für eine Verkehrspolitik, mit der der Norden in Deutschland gut leben kann, die die Bedürfnisse des Nordens sehr schnell in Rechnung gestellt hat. Dafür danke zu sagen ist - so glaube ich - eine Selbstverständlichkeit zu Beginn.
Im übrigen freue ich mich, daß es möglich ist, Herr Kollege, daß hier auch ein Nichtmitglied des Verkehrsausschusses
({2})
in einer Fachdebatte, in einer umfassenden verkehrspolitischen Debatte ein paar Worte aus schleswigholsteinischer Sicht sagt. In der Tat, meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, daß der Kollege Hiller nachher ein Gleiches tun wird und dabei nicht in Parteidisziplin machen wird. Ich finde es gut, wenn in einer solchen Debatte nicht nur Fachleute sprechen können, weil dies ein Thema ist, das uns im Grunde alle betrifft.
({3})
Mit einem Blick auf die Bundesratsbank frage ich mich: Wo ist denn eigentlich die Wahrnehmung der berechtigten Interessen unserer Bundesländer?
({4})
Wir haben Herrn Engholm hier seit sechs Monaten nicht gesehen.
({5})
Wäre es nicht wichtig, diese Länderinteressen hier in eine solche Debatte einzubringen?
({6})
- Im übrigen, Herr Daubertshäuser, provozieren Sie mich nicht! Sonst entwickele ich den Ehrgeiz, eine Rede eines Nichtfachmannes zu halten, die doch ein klein wenig über dem liegt, was Sie und was Herr Kollege Schäfer hier geboten haben.
({7})
- Ich versuche es; bilanziert wird am Ende, meine Damen und Herren. So ist das überall.
Wir haben mit Fug und Recht vorhin die wichtige Aussage gehört, daß Deutschland inzwischen das Transitland Nummer 1 in Europa geworden ist,
({8})
daß der Güterverkehr durch unser Land sich bis zum Jahre 2010 verdoppeln wird, daß der Personentransitverkehr sogar um 180 % zunehmen wird. Bei dieser Entwicklung, meine Damen und Herren, ist doch ein hohes Interesse der jeweils Hauptbetroffenen ganz selbstverständlich. So ist es also z. B. ganz selbstverständlich, daß die Brückenfunktion des Nordens hier
in eine solche Transitdiskussion eingebracht wird. Ich finde, das ist parlamentarisch eine Selbstverständlichkeit. Dieses Verkehrswachstum auf der norddeutschen Drehscheibe muß marktgerecht und zugleich umweltgerecht bewältigt werden. Wenn dies nicht erkannt wird, dann ist auch die Attraktivität Norddeutschlands als Wirtschaftsstandort gefährdet. Dies ruft mich dann wiederum auf den Plan, und ich finde, es ist ganz sicher eine richtige Einmischung, die man dazu macht.
Dieser erste gesamtdeutsche Verkehrswegeplan, den wir jetzt entwickeln, muß diesen zusätzlichen Herausforderungen gerecht werden. Einer seiner Leitsätze muß heißen: Verkehr ist ein verkehrsträgerübergreifendes Gesamtsystem. Es kommt auf eine vernünftige Kombination der verschiedenen Verkehrsträger an. Diese Kombination, diese Kooperation gelingt uns doch nur dann, wenn alle Verkehrsträger ihre jeweiligen Vorteile einbringen können. Das gilt für die Schiene, das gilt für die Küstenschiffahrt. Aber eine Vernachlässigung der Straße darf es unter gar keinen Umständen in solch einem Flächenland geben, für das ich hier z. B. zu reden habe.
({9})
Deswegen kommen wir nicht umhin, die Verkehrsinfrastruktur insgesamt auszubauen. Dies gilt auch für das Straßennetz im Norden Deutschlands. Norddeutschland braucht als Standortfaktor einer guten Verkehrsanbindung zusätzliche Verbindungen nach Skandinavien, insbesondere nach Dänemark und nach Schweden, und es braucht zusätzliche Verbindungen nach Osten, insbesondere nach Mecklenburg-Vorpommern, nach Polen und ins Baltikum hinein. Nun ist einfach objektiv festzustellen, daß sich die Landesregierungen in Kiel, in Hannover und in Hamburg verweigern, wenn es um die ganz konkrete, konsequente Umsetzung dieser Wahrheit in politische Entscheidungen geht.
({10})
So konnte die Wirtschaftskraft Schleswig-Holsteins nur dadurch profitieren, daß die wichtige Elektrifizierung der Bahnstrecke von Hamburg nach Flensburg mit der Abzweigung nach Kiel durchgesetzt wurde, nachdem die SPD ihren Eiertanz im Hinblick auf die finanzielle Beteiligung des Landes an den Kosten der Finanzierung aufgeben mußte, weil eine Verweigerung der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr zu erklären war. Hier hätte die Landesregierung dem Land Schaden zugefügt, wenn nicht Politiker, die nicht der SPD angehören, sich entschlossen für diese Elektrifizierung eingesetzt hätten. Aufwendige Propagandaaktionen aus Kiel ändern an dieser Wahrheit nichts. Herr Engholm sollte weniger reden, er sollte in solchen verkehrspolitischen Grundsatzfragen handeln.
({11})
- So ist es, und ich freue mich über das große Echo, das dieses Plakat gefunden hat, lieber Kollege.
({12})
- Ich freue mich, daß auch der Kollege Koppelin da ist. Herzlich willkommen!
Auch der Lückenschluß nach Mecklenburg-Vorpommern mit der A 20 - man kann doch nicht über Solidarität mit den Menschen in Rostock und Greifswald reden, wenn wir jetzt nicht ganz schnell sicherstellen, daß man diese Gebiete in einer vergleichbaren Zeit erreichen kann ({13}) ist ein wichtiger Punkt.
Da spricht Herr Engholm von einer ökologischen Autobahn, die da gebaut werden sollte. Ich finde, das liegt nun haarscharf an einer Wählertäuschung.
({14})
Natürlich ist eine Autobahn ein gravierender Eingriff in eine Landschaft; ganz sicher. Aber Herr Kollege Feige, wenn diese nicht gebaut wird und wenn Sie Rostock nicht erreichen können, dann können Sie doch nicht hier herkommen und von Solidarität reden. Dies ist die erste Solidarität in der Praxis, die wir den Menschen dort schulden.
({15})
Wenn Herr Engholm nun eine Entscheidung zur A 20 bekanntgegeben hat - der Kabinettsbeschluß ist viereinhalb Seiten lang, Herr Kollege Hiller; vielleicht zitieren Sie ihn nachher -, die an viele zusätzliche Bedingungen geknüpft ist, die nur ein Tendenzbeschluß ist, die letztlich keine klare Entscheidung beinhaltet, sondern die sich um eine klare Entscheidung herumdrückt, für die er ausschließlich zuständig und verantwortlich ist, dann kann man doch nicht sagen, daß die Entscheidungen von dieser Landesregierung getroffen werden.
Das gleiche gilt für das Nadelöhr Hamburg, lieber Kollege Fischer. Auch hier blockiert die SPD in Kiel, jetzt gemeinsam mit den Parteifreunden in Hamburg.
({16})
- Auch in Hannover; das füge ich gerne hinzu.
Noch 1989 hatten Hamburg und Schleswig-Holstein mit den sozialdemokratischen Landesregierungen eindeutig der Anbindung von Fuhlsbüttel, der Umgehung von Fuhlsbüttel den Vorrang vor der vierten Tunnelröhre gegeben. Dies ist doch eine historische Wahrheit, die sich aus Protokollen klar ergibt.
Dann wurde nur die vierte Tunnelröhre vorgeschlagen. Herr Engholm forderte noch vor zwölf Monaten eine schnelle Fährverbindung über die Elbe zwischen Glücksstadt und Wischhaven. Das ist doch keine Verkehrspolitik für den Norden, meine Damen und Herren. Es ist mehr in der Nähe von Populismus, wenn man solch alberne Ideen hier vorträgt.
Dann wurde nur die vierte Elbtunnelröhre vorgeschlagen. Vor wenigen Tagen befürwortete der Kieler Wirtschafts- und Verkehrsminister eine feste Elbquerung, möglichst stadtnah an Hamburg heran. Was geschah? - Er wurde noch am selben Tage zurückgepfiffen;
({17})
es wurde dementiert, und es wurde prompt wieder eine andere Verkehrspolitik aus Kiel verkündet.
({18})
Eine westliche Elbquerung ist für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Norddeutschland entscheidend. Wenn wir jetzt den Fehler machen, für die nächsten 20 Jahre - so lange gilt ja dieser Verkehrswegeplan - festzuschreiben, daß wir noch wie vor allen Nord-Süd-Verkehr durch das Nadelöhr Hamburg hindurchpressen wollen, begehen wir eine verhängnisvolle Fehlentscheidung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({19})
Deswegen sage ich ganz klar: Wir sind für die vierte Tunnelröhre; wir waren es auch immer. Das ist ja auf Grund unserer Initiativen bereits vordringlicher Bedarf im Bundesverkehrswegeplan gewesen. Aber wir sagen: Zusätzlich brauchen wir eine Umgehung des Nadelöhrs in Hamburg. Wir brauchen die feste Querung westlich der Elbe. Sonst sind Just-in-timeLieferungen aus Schleswig-Holstein in den niedersächsischen Raum, in die Hauptabsatzgebiete hinein überhaupt nicht mehr darstellbar.
({20})
Ich komme damit zum Schluß: Ich glaube, daß es für die Landesregierung in Kiel ein Armutszeugnis ist, daß bei allen verkehrspolitisch bedeutenden Fragen für Schleswig-Holstein durch die Bundesregierung und durch den Bundesverkehrsminister gehandelt und entschieden werden muß und daß bis zum heutigen Tage diese Landesregierung seit 1988 nicht eine einzige Maßnahme im schleswig-holsteinischen Straßenbau geplant, genehmigt und fertiggestellt hat,
({21})
keine Ortsumgehungen, keine Radwege. Viel versprochen - wenig gehalten. Dies muß sich ändern. Es muß wieder gehandelt werden, meine Damen und Herren.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nicht in den schleswig-holsteinischen Wahlkampf einmischen, nur eine Anmerkung zur Sache. Jeder Tiroler ist inzwischen nachdenklicher und weitsichtiger als dieser Wahlkämpfer aus Schleswig-Holstein.
({0})
Albrecht Müller ({1})
Vor nunmehr 25 Jahren erschien in der „Süddeutschen Zeitung" ein Artikel von Süskind senior mit der Schlagzeile „Der Menschen mißachtetes Wohlbefinden". In diesem Beitrag riet Süskind dazu, die Belastung der Menschen durch Flugzeug und Auto denen anzulasten, die die Kosten verursachen. Er berief sich dabei auf den englischen Nationalökonomen Mishan und dessen Buch „Die Kosten des wirtschaftlichen Wachstums".
So alt ist diese Diskussion. Seit Jahrzehnten fordern Klassiker der marktwirtschaftlichen Theorie und nicht irgendwelche Dirigisten, die externen Kosten in die Kalkulation der Verkehrsträger hineinzurechnen. Seit Jahren wissen wir, was zu tun ist. Aber obwohl die Bedrohung von Umwelt und Gesundheit durch einen explodierenden Straßenverkehr inzwischen dramatisch geworden ist, geschieht nichts.
Der Verkehrsminister - das ergab auch die heutige Regierungserklärung - begreift nicht, daß es nicht mehr möglich ist, die vorhergesagten Zuwächse einfach zu bedienen. Er begreift nicht, daß es höchste Zeit ist, die Verkehrszuwächse einzufangen und unnötigen Verkehr zu vermeiden.
Obwohl wir im Verkehr ersticken, leistet sich Europa heute die absurdesten Transporte. Da muß man einige Beispiele nennen. Polnisches Schlachtvieh wird von Polen nach Sizilien transportiert - auf der Straße -, Bleche aus dem Ruhrgebiet zur Autoproduktion nach Spanien - auf der Straße -, größere Autoteile aus der Türkei mit dem LKW nach Mannheim. Krabben werden zum Puhlen nach Polen transportiert und wieder zurück. Schweine werden von Belgien nach Südtirol gebracht und landen als Südtiroler Speck per LKW wieder auf nordischen Frühstückstischen.
({2})
Die grenzüberschreitenden Leerfahrten machen 43,3 % des Werkverkehrs und 29,5 % des gewerblichen Verkehrs aus.
Demnächst werden jährlich Hunderttausende, ja Millionen Väter und Mütter Europas der massiven Medienpropaganda folgen und ihre Kinder zum Disneyland nach Frankreich karren, über Hunderte von Kilometern. Und sie glauben, ihren Kindern etwas Gutes zu tun, zerstören dabei jedoch Stück für Stück die Umwelt und das Klima, in dem diese Kinder leben wollen.
({3})
Ich mache nicht den Eltern, nicht den Spediteuren und auch nicht der Wirtschaft Vorwürfe. Schuld an einer ökologisch und ökonomisch in gleicher Weise verheerenden Entwicklung tragen die Regierungen in Europa und die EG in Brüssel. Sie haben sich bisher als unfähig erwiesen, die ökonomischen Rahmenbedingungen so zu setzen, daß sich unnötiger und sinnloser Verkehr nicht lohnt.
Das wichtigste und auch das ökonomisch sinnvollste Mittel, unnötigen und sinnlosen Verkehr zu vermeiden, ist die Anlastung der vollen Kosten des Verkehrs, und zwar einschließlich der Wegekosten und der externen Kosten. Das Vollkostenprinzip ist das A und O jeden sinnvollen Wirtschaftens. Das gilt auch für die
Verkehrspolitik. Das haben Sie noch nicht begriffen und nicht anerkannt, obwohl es in Teilen der Koalition - das wissen wir - Gott sei Dank Ansätze dazu gibt.
Heute sind die Rahmendaten für Transporte in Europa völlig falsch gesetzt. Sie kennen das Beispiel. Ein holländischer LKW fährt für knapp 9 % der Wegekosten durch die Bundesrepublik. Das hat nicht nur böse ökologische Folgen, sondern es ist auch ökonomisch absolut unsinnig. Weil der Verkehr in Europa heute hochsubventioniert ist, werden viel zu viele Güter hin- und hertransportiert. Auch deshalb erstikken wir im Verkehr. Auch das muß man ganz klar sehen: Hier werden Ressourcen vergeudet. Und wer Ressourcen vergeudet, der beschädigt auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Deshalb ist jeder Versuch, durch volle Anlastung der Kosten Verkehrsbewegungen zu sparen, ökologisch und zugleich ökonomisch sinnvoll.
An dieser Stelle kann ich mir eine Anmerkung zu den schönen Sprüchen des Verkehrsministers über die Mobilität nicht ersparen: Herr Krause kommt mir vor wie jener Unternehmer, der sagt: Ich komme zwar nicht auf meine Kosten, aber der Umsatz bringt's.
({4})
Herr Krause, Mobilität, die sich nicht rechnet, ist, volkswirtschaftlich gesehen, Vergeudung; das muß man einmal begreifen. Da müssen die Daten jetzt neu gesetzt werden.
In Ihrer Rede vor der Enquete-Kommission haben Sie in einem bewundernswerten Eiertanz um die Prognos-Empfehlungen für preispolitische Maßnahmen gesagt, solche Maßnahmen dürften „mittel- bis langfristig nicht außer acht bleiben". Das könnte man als Auflockerung betrachten, aber so ist die Lage nicht. Die Entscheidungen sind dringlich, wir haben nicht so viel Zeit. Europa ist mitten im wirtschaftlichen Umbruch. Da werden täglich Entscheidungen über Investitionen und Standorte, über Liefer- und Transportbeziehungen, über Fertigungstiefen und Transportkapazitäten gefällt. Dies alles geschieht heute unter ökonomisch falschen Rahmenbedingungen. Da kann man nicht warten. Unser Volk kann sich Ignoranz oder auch nur die Unlust hinsichtlich der notwendigen Kurskorrektur in der Verkehrspolitik wirklich nicht länger leisten.
({5})
Die SPD erbringt in dieser Debatte seit Jahren Vorleistungen. Wir haben den Spielraum der Regierung für eine zukunftsweisende Verkehrspolitik mit mutigen Analysen und Vorschlägen ständig erweitert, übrigens zusammen mit einer interessierten Fachwelt. Inzwischen ist die Bundesregierung von allen fachlich guten Geistern verlassen. Die „Wirtschaftswoche" kritisiert die Subventionen für das Transportwesen und mahnt, der Wahnsinn komme teuer zu stehen. Die Deutsche Bank schlägt Straßenbenutzungspreise als Mittel gegen den Verkehrsinfarkt vor. Das für Herrn Krause erstattete Prognos-Gutachten habe ich schon erwähnt. Und auch politische Freunde von Ihnen vertreten inzwischen das, was wir vorgedacht haben. Ein Institut, das von einem guten Freund des Bundes7002
Albrecht Müller ({6})
kanzlers geleitet wird, die „Forschungsgruppe Europa" der Universität Mainz, fordert flexible Straßenbenutzungsgebühren und die Anwendung des Vollkostenprinzips. Sogar Herr Töpfer nennt die Verkehrsvermeidung eine von drei Säulen einer umweltverträglichen Verkehrspolitik. Nun könnte ich ja mit Herbert Wehner sagen, Herr Töpfer ist eh nur die ökologische Badehose dieser Bundesregierung. - Wenn Sie nicht wollen, daß er das bleibt, dann müssen Sie sich endlich bewegen.
Ich fasse nun in vier Punkten noch einmal zusammen, was unsere Forderungen in diesem Teilkomplex sind: Erstens. Verkehrsvermeidung muß ein zentraler Bestandteil der Verkehrspolitik werden. Zweitens. Wir müssen Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum entkoppeln. Verkehrssparen muß wie Energiesparen ein volkswirtschaftlicher Gewinn und ein Vorteil für den einzelnen werden. Drittens. Das Vollkostenprinzip muß im Verkehrssektor Europas wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch gelten. Viertens. Die Kurskorrektur in der Verkehrspolitik ist dringlich. Der wirtschaftliche Umbruch in Europa duldet keinen Aufschub.
Wenn sich der Verkehrsminister wider alle Vernunft nicht bewegen sollte, dann muß die Gangart unserer Auseinandersetzung härter werden, dann werden wir deutlich sagen müssen: Ein Minister, der in dieser dramatischen Situation nichts Entscheidendes tut, aber in Sonntagsreden wie heute davon spricht, die Schöpfung bewahren zu wollen, betreibt Gotteslästerung.
({7})
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Haungs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Verkehrspolitik steht zweifellos vor großen Herausforderungen, wahrscheinlich den größten der letzten Jahrzehnte. Die Stichworte wurden in den bisherigen Beiträgen schon gegeben. Bahnreform, Verkehrsmarktordnung, überlastete Infrastruktur, Umweltschutz und Verkehrssicherheit sind die Themen, die uns heute und in den nächsten Jahren beschäftigen.
Nun waren einige analytische Ansatzpunkte der Kollegen der SPD durchaus hilfreich. Nur, die Rezepte, die Sie hier angeboten haben, führen nicht weiter.
Ich darf, Herr Kollege Antretter, auf ein Beispiel von Ihnen eingehen. Sie sagen sehr richtig: Wenn wir Verkehrszählungen machen und vom verkehrspolitischen Standpunkt der Meinung sind, es müsse eine vierspurige Bundesstraße oder Autobahn gebaut werden, können wir unter Berücksichtigung anderer Interessen im Gespräch im Wege des Kompromisses durchaus zu einer dreispurigen Ortsumfahrung kommen. Aber ist es sozialdemokratische Logik, wenn Sie dann, wenn wir den Kompromiß gefunden haben, von vier Spuren auf drei Spuren herunterzugehen, die dringend notwendig sind, um die Bürger zu entlasten, sagen: Nun, jetzt können wir ja schauen, ob es auch mit zwei Spuren geht? Damit tragen Sie zur Lösung der Verkehrsprobleme - Sie haben das Beispiel aus meinem Wahlkreis Emmendingen gebracht - überhaupt nichts bei. Sie vertrösten die Bürger auf Jahre und Jahrzehnte und kritisieren dann noch diejenigen, die sagen, daß dieses dringend notwendige Projekt von Sozialdemokraten verschoben und verzögert wird.
Das zweite waren die Ausführungen des Schattenverkehrsministers im Sonnenteam Baden-Württembergs, des Kollegen Schäfer.
({0})
- In dem umwölkten Sonnenteam. - Ich hoffe nur der Klarheit und der Wahrheit wegen, daß sehr viele unserer baden-württembergischen Mitbürger diese Rede gehört haben. All diejenigen, die morgens zur Arbeit mit dem Auto fahren, die tagsüber Autos bauen, die Automechaniker und Autoelektriker, die die Autos reparieren, die Zulieferer, um deren Arbeitsplätze Sie sich in Ihren Sonntagsreden doch viele Sorgen machen, all diejenigen, die in ihr wohlverdientes Wochenende fahren, all diejenigen, die ab und zu in den Urlaub fahren, alle diese sollen nur das hören, was der „Verkehrsminister", der es werden will, zu der Lösung ihrer Probleme sagt. Ich bin fest überzeugt, wir brauchen dann ab heute keine Wahlveranstaltungen mehr in Baden-Württemberg zu machen.
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Die Vollendung des Binnenmarkts schafft - wenn ich nun zu meinen europapolitischen Ausführungen kommen darf - einen großen Wirtschaftsraum mit wachsenden Verkehrsströmen. Dieser Markt braucht leistungsfähige Infrastrukturen, um dem Mobilitätsbedürfnis seiner Bürger Rechnung zu tragen und die wachsenden Warenströme zu bewältigen. Er braucht aber auch eine europäische Verkehrsmarktordnung, die für einen fairen Wettbewerb sorgt, die Verkehrssicherheit fördert und dem Umweltschutz gerecht wird.
Die europäische Verkehrspolitik muß, wenn sie erfolgreich sein will, mehr als bisher marktwirtschaftlich geprägt sein. Es hat deshalb keinen Sinn, Kollege Antretter, gegen fortschreitende Deregulierung zu polemisieren, weil es nur eine marktwirtschaftliche Zukunft für die Bahn und für die anderen Verkehrsträger gibt.
Der größte Wandel beginnt bei der Eisenbahn. Meine Vorredner haben darauf hingewiesen. Der Abschied von der Staatsbahn fällt vielen schwer, den einen mehr, den anderen weniger. Aber ohne unternehmerische Perspektive - darauf weisen alle hin, die es mit der Bahn gut meinen - gibt es keine Zukunft. Man muß nicht pessimistisch sein; denn vom System her ist die Bahn in ganz besonderem Maße europageeignet. Ihre Stärke sind die gebündelten Verkehre über größere Distanzen. Sie kann aber wirtschaftlich nur dann erfolgreich sein, wenn sie wie ein großes Unternehmen als Aktiengesellschaft organisiert ist und im leistungsfähigen Dienstleistungsbetrieb den Kunden optimal bedient. Deshalb muß dies am Anfang stehen. Es wäre die falsche Politik, auf die von der SPD hingewiesen wird, wenn die Änderung der Organisation ein kleiner Bestandteil wäre. Nein,
die Änderung der Organisation ist Voraussetzung, weil sich sonst überhaupt nichts ändern würde. Von der Bundesbahn und Reichsbahn zur europaweit agierenden Deutschen Eisenbahn AG, zu dieser Strukturreform, nicht nur der deutschen, sondern aller europäischen Nationalbahnen, gibt es keine Alternativen.
Die Wirtschaft unseres Landes braucht gute, sichere, schnelle und leistungsfähige Verkehrsverbindungen in die Regionen Europas. Dies gilt für die Bundesrepublik, dies gilt insbesondere für mein Bundesland Baden-Württemberg. Für die Industrie, meine Damen und Herren, ist Europa schon heute der „Heimatmarkt" . Für die Verkehrswirtschaft, insbesondere für das Straßengüterverkehrsgewerbe, wird der Weg nach Europa und der Abschied von staatlich verordneten Preisen und regulierten Mengen das Ende einer Epoche sein. Die straffe Verkehrsmarktregulierung, die seit den 30er Jahren in Deutschland praktiziert wurde, widerspricht sowohl der Dienstleistungsfreiheit als auch den Grundideen der Marktwirtschaft, letztendlich aller ökonomischen Vernunft.
Da sich die Grundidee, die Eisenbahn vor dem Straßengüterverkehr zu schützen, nicht umsetzen ließ, sondern eher ins Gegenteil verkehrt wurde, sollte dem deutschen Ordnungsrahmen niemand nachtrauern. Er war aus guten Gründen in Europa nicht mehrheitsfähig und hätte überdies zu einem untragbaren bürokratischen Aufwand bei Preis- und Mengenüberwachung geführt.
Deregulierung im Straßenverkehr heißt freie Preisbildung, Aufstockung der Kontingente mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung, Intensivierung des Wettbewerbs mit Konkurrenten, die eine weitaus geringere fiskalische Belastung aufweisen.
Aber Deregulierung ist kein Selbstzweck. Die Märkte werden geöffnet, die Zugangsschranken werden abgebaut, nicht, weil uns die Europäische Kommission oder der Europäische Gerichtshof dazu zwingen, sondern weil wir wissen, daß der stärkere Wettbewerb die Unternehmen, auch das Unternehmen Bahn, unter Druck setzt, den Strukturwandel zu bewältigen.
Wir haben heute in Europa künstliche Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche fiskalische Belastungen; Vorredner haben darauf hingewiesen. Weder der Kommission noch dem Ministerrat ist es bis heute gelungen, die spezifischen steuerlichen Belastungen des Güterverkehrs so zu harmonisieren, daß die Standortnachteile des deutschen Gewerbes ausgeglichen werden.
Die Harmonisierungsbilanz im technischen und im sozialen Bereich sieht nicht schlecht aus. Mit der Harmonisierung der fiskalischen Belastung der Nutzfahrzeuge tut sich die EG schwer, nachdem es bis heute nur zu einer Angleichung mit Bandbreiten bei der Mineralölsteuer gekommen ist.
Für die Bundesrepublik Deutschland wird es keine Lösung ohne Straßenbenutzungsgebühr für schwere Nutzfahrzeuge geben. Dies entspricht dem marktwirtschaftlichen Prinzip - hierüber besteht Gemeinsamkeit - und dem Prinzip, daß der Nutzer direkt bezahlt.
Es wird auch von der Kommission als Territorialitätsprinzip vorgeschlagen und - dies sollten wir nicht vergessen - streckenbezogen bei den meisten unserer Nachbarn seit Jahren praktiziert.
({2})
Man wird sich auch schwer vorstellen können, daß in Zukunft die Betreiber auf der Schiene Benutzungsgebühren bezahlen, während die deutschen Autobahnen für den Schwergüterverkehr gebührenfrei bleiben. Die Regeln des Marktes müssen in allen Bereichen des Verkehrs gelten. Bei der Nutzung der staatlichen Infrastruktur, bei der Belastung der Umwelt durch den Verkehr, bei der Knappheit und Umweltverträglichkeit der Energie müssen Preise ihre Marktfunktionen erfüllen und damit die vorhandenen Knappheiten anzeigen. Deshalb sollte die Kraftfahrzeugsteuer in diesem Zusammenhang europaweit zu einer Emissionssteuer ausgestaltet werden. Die Vorbehalte, die meine Vorredner von der SPD hierzu geäußert haben, sind mir unverständlich.
Wenn der Umweltschutz ein selbstverständliches Element der Verkehrspolitik sein soll, ist es logisch, leise und saubere Fahrzeuge steuerlich zu begünstigen.
({3})
Dies erhöht die Akzeptanz der auch in Zukunft wichtigsten Lastenträger des Verkehrs, der Brummis, die auch durch die denkbar erfolgreichste Bahnpolitik nicht ersetzt werden können. Die Besitzer umweltfreundlicher Fahrzeuge würden belohnt, und die Industrie erhielte vom Markt den notwendigen Druck, geräuscharme und schadstoffarme Fahrzeuge schneller als bisher anzubieten.
Die Vorschläge der Kommission zur europäischen Eisenbahn- und Luftfahrtpolitik stimmen in allen wesentlichen Punkten mit unseren verkehrspolitischen Vorstellungen überein. Beim Straßengüterverkehr hingegen fehlen einige Monate vor Beginn eines freien Verkehrsmarkts die entscheidenden Voraussetzungen für einen fairen Leistungswettbewerb, dem sich das mittelständisch geprägte deutsche Verkehrsgewerbe mit Aussicht auf Erfolg stellen kann.
Daß Deutschland ein teurer Standort ist, kann und muß das Gewerbe durch eine hohe Produktivität verkraften. Zusätzliche hohe und nicht harmonisierte verkehrsspezifische Steuern muß der Wettbewerber aus anderen Staaten nicht bezahlen. Unsere Unternehmen haben aber zusätzlich zur hohen nationalen Kraftfahrzeugsteuer ausländische Straßennutzungsgebühren in ihrer Kostenrechnung.
Deshalb heißt hier die politische Logik: Bevor wir den deutschen Verkehrsmarkt vollständig öffnen, bevor wir die Kabotage einführen, die zur Logik eines gemeinsamen Marktes letztlich gehört, bevor der große Binnenmarkt Wirklichkeit werden wird und werden kann, muß die Bundesregierung in Brüssel dieses Thema energisch behandeln. Sie muß dann auch - ganz gleich, wo - handeln.
({4})
Unsere Zustimmung zu diesen Entscheidungen hat sie mit Sicherheit.
({5})
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Mattischeck das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe heute dreierlei gelernt: erstens, daß auch geringe Erwartungen an eine Regierungserklärung noch unterboten werden können, zweitens, daß die CDU/CSU die Probleme der Bahn mit einer Grundgesetzänderung lösen will, drittens, daß die F.D.P. die Verkehrsprobleme durch das Küssen eines Frosches lösen wird.
({0})
Monatlich werden in Deutschland durchschnittlich 300 000 fabrikneue Kraftfahrzeuge zugelassen. Fast 90 % davon sind Personenkraftwagen. Monatlich mehr und mehr Autos verpesten die Luft, verstopfen die Straßen und führen zu kilometerlangen Staus mit Streß und Zeitverlust für den einzelnen Verkehrsteilnehmer und zu unzumutbaren Lärm- und Abgasbelästigungen für die Anwohner und Anwohnerinnen.
Da der überwiegende Teil des Personen- und Güterverkehrs im Nahbereich stattfindet, treten die Verkehrsprobleme konzentriert in Städten und Ballungsräumen auf. Hier gibt es die höchsten Lärm-, Abgas- und Unfallkonzentrationen. Das Fahrzeug wird zunehmend zum Stehzeug. Parkende Fahrzeuge grenzen den Bewegungsspielraum von Menschen, insbesondere von älteren Menschen und von Kindern, stark ein.
Die Stadt ist Lebensraum für Menschen, zumindest sollte sie es sein, und nicht optimal zu nutzende Verkehrsfläche für den motorisierten Individualverkehr. Wer es sich leisten kann, zieht hinaus ins Grüne und erzeugt dadurch zusätzlichen Verkehr, meist auch durch den Kauf eines weiteren, für die Mobilität zusätzlich notwendigen Autos.
Die Stadtentwicklungspolitik und die regionale Strukturpolitik haben in den vergangenen Jahrzehnten fast ausschließlich auf das Auto gesetzt. Die autogerechte Stadt war angesagt. Kritische Stimmen gegen solche Entwicklungen wurden in der Regel als fortschrittsfeindlich abgetan. Das hat sich weitgehend geändert, nicht aber bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch nicht bei Ihnen, Herr Krause; denn Sie setzen bis heute weiterhin auf unbegrenzten Individualverkehr, auf Geschwindigkeit, und Sie wollen die Probleme mit Leitsystemen und anderer teurer Technik lösen.
Das allgemeine Tempolimit, insbesondere Tempo 30 in den Städten, unsere Forderung, die wir jüngst wieder gestellt haben, lehnen Sie mit völlig fadenscheinigen Argumenten ab. Umweltfreundliches Verhalten von Verkehrsteilnehmern wird bestraft.
({1})
- Ja, ich habe Vorstellungen. Sie haben leider keine Vorstellungen, die uns weiterbringen. Wir haben reichlich davon.
({2})
Zum Beispiel werden von Arbeitgebern kostenlose Parkplätze zur Verfügung gestellt. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die dann eine kostenlose oder minderbezahlte Monatskarte bekommen, müssen diese als zusätzliches Einkommen versteuern.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich zu beantworten?
Ja.
Frau Kollegin Mattischeck, sind Sie bereit, zu akzeptieren, daß alle Fachleute, die sich mit der Einrichtung von innerstädtischen 30km-Zonen befaßt haben, klar aussagen, daß eine 30-km-Zone nur dann Sinn hat, wenn sie zurückgebaut ist?
({0})
- Lieber Kollege Schreiner, ich lege keinen Wert darauf, in der Hit-Liste der Zwischenrufer an erster Stelle zu stehen, wie Sie es zu tun scheinen.
({1})
- Es sollte sich einer, der andere Leute als Hanswurst bezeichnet, lieber vornehmen, dieses nicht mehr zu machen, bevor er andere kritisiert.
({2})
Herr Abgeordneter Schreiner, ich bitte Sie! Herr Abgeordneter Friedrich, bitte bringen Sie Ihre Frage zu Ende.
Ich führe sie zu Ende, Herr Präsident.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß alle Fachleute sagen: 30-km-Zonen haben nur dann Sinn, wenn sie zurückgebaut sind, wenn sie überschaubar sind? Genau das wollen Sie mit Ihrem Antrag nicht. Sie haben gesagt: Keine bauliche Veränderung, sondern nur Aufstellung von Schildern. Dabei - das ist sicher auch Ihnen bekannt - sinkt die Durchschnittsgeschwindigkeit aber nur von 48 auf 47 km/h.
Ich gehe davon aus, daß die Beantwortung nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Ich bin gern bereit, diese Frage zu beantworten.
Ich kenne auch Fachleute, die das Gegenteil von dem sagen, was Sie sagen. Meine CSU-Kollegen in unserem Stadtrat und Kollegen in vielen anderen Stadträten fordern Tempo-30-Zonen. Ich weiß nicht, wie sie auf diese Frage antworten würden.
({0})
Die frühere Meinung ist nicht mehr durchgängig vorhanden. Auch Ihre eigenen Kollegen fordern dies, und zwar dann, wenn sie in der Kommune Verantwortung tragen und dafür vor dem Bürger geradestehen müssen.
({1})
Die SPD sagt, daß nur ein attraktives und leistungsfähiges Nahverkehrssystem die Bürgerinnen und Bürger bewegen kann, vom Auto auf die umweltfreundlichen Busse und Bahnen umzusteigen. Das wäre dann die umweltgerechte Sicherung der Mobilität, über die Sie, Herr Minister Krause, vorhin gesprochen haben. Öffentliche Personennahverkehrssysteme müssen vor Ort funktionieren und müssen dort organisiert und politisch wie finanziell mitverantwortet werden. Soweit sind wir einig.
Es geht dabei um die Entwicklung und das Betreiben funktionsfähiger und finanzierbarer Systeme wie Verkehrsverbände und Verkehrstarifgemeinschaften unter Einbeziehung der Bahn und natürlich auch von Taxen und ähnlichem.
Es gibt sehr viele gute Beispiele dafür, daß das funktionieren kann. Gerade in großen Städten und Ballungsräumen gibt es einen relativ gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr. Sie wissen aber genauso gut wie ich - jeder ist in einer Kommune zu Hause -, daß die Kommunen, gerade die großen Städte, längst an der finanziellen Leistungsfähigkeitsgrenze zur Förderung dieses öffentlichen Personennahverkehrs angelangt sind.
({2})
Der dem Verkehrsausschuß kürzlich turnusgemäß vorgelegte Bericht über die Kostenunterdeckung beim öffentlichen Personennahverkehr hat sehr deutlich gemacht, wo die wirklichen Defizite liegen, und zwar nicht nur die finanziellen.
Natürlich haben auch wir begrüßt, daß im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1992 über 10 Milliarden DM mehr an Bundesmitteln für Investitionen kommunaler Verkehrsfinanzierung zur Verfügung stehen. Allerdings wurde uns nicht ausgerechnet - das sollten wir noch tun -, wie viele Mittel schon seit 1984 durch die damals von Ihnen beschlossene Plafondierung dieser GVFG-Mittel weggefallen sind. Sie wissen genau, daß die begrenzte Zurverfügungstellung keine dauerhafte Lösung ist.
Sie, Herr Minister, müßten eigentlich wissen, daß selbst diese erhöhten Mittel den Bedarf an Ersatz- und Zukunftsinvestitionen nicht decken. Damit geben Sie den Ländern und Kommunen nicht die nötige Sicherheit, die Entwicklung des Öffentlichen Personennahverkehrs langfristig und vor allem in die Zukunft gerichtet zu planen.
Es ist eine Tatsache, daß sich die Bundesregierung entgegen ihren Versprechungen auf breiter Front aus ihrer Verantwortung für den ÖPNV zurückzieht. Ein Beispiel dafür ist der Verkauf der Regionalbuslinien. Sie wollen Ihre ÖPNV-Aufgaben den Ländern und
Kommunen anlasten, ohne sie finanziell abzusichern.
({3})
Bei der geplanten Regionalisierung des Bundesbahnnahverkehrs wird es dann zum Schwur kommen, wie ernst es die Bundesregierung mit dem Nahverkehr meint.
Die Zuständigkeiten beim ÖPNV sind heute in der Bundesrepublik weitgehend unklar; die Finanzierung ist auf Dauer nicht gesichert und unzureichend. Schuldzuweisungen sind deshalb an der Tagesordnung. Der Nahverkehr darf nicht länger Opfer von Kompetenzgerangel bleiben. Der ÖPNV ist staatliche Pflichtaufgabe; der Bund trägt die Verantwortung.
Die SPD-Fraktion fordert, daß der ÖPNV endlich als eine kommunale Pflichtaufgabe bundeseinheitlich, über ein Bundesgesetz, geregelt wird, und zwar in Abstimmung mit den Bundesländern. In diesem Gesetz muß neben der Zuständigkeit für die Organisation des ÖPNV vor Ort vor allem eine gesicherte, den gesteigerten Lebenshaltungskosten angepaßte und den Erfordernissen einer umweltgerechten Verkehrspolitik entsprechende Finanzierung auf Dauer festgeschrieben werden.
Herr Minister, ich hätte heute z. B. gern von Ihnen gehört, wie Sie so etwas anpacken wollen. Wir fordern Sie auf, in diesem Sinne zu handeln. Es gibt sehr viel zu tun. Fangen Sie endlich damit an!
({4})
Wir helfen Ihnen gern auf die Sprünge. Danke schön.
({5})
Nun spricht der Abgeordnete Oswald.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier Feststellungen gleich zu Beginn, die sich auch in dieser Debatte gezeigt haben:
Erstens. Die Mobilität unserer Bevölkerung wird sich weiter erhöhen.
Zweitens. Der Austausch von Gütern wird sich weiter verstärken. - Beide Punkte sind die Grundlagen auch für die Verkehrspolitik, die notwendig ist.
Drittens. Die Verkehrspolitik ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Damit liegt auch die Verantwortung für die Fragen der Verkehrspolitik gemeinsam auf allen Ebenen. Daneben ist es eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung: Jeder einzelne kann den Verkehr durch sein ganz persönliches Verhalten beeinflussen und verändern.
({0})
Viertens. Verkehrsprobleme lassen sich nicht mit Hilfe von Ideologien, auch nicht mit einfachen Patentrezepten lösen. Man muß vielmehr mit Augenmaß und
mit Blick in die Zukunft an die Themen herangehen. Darum ist Sachlichkeit gefragt.
({1})
Wir benötigen eine leistungsfähige Infrastruktur.
({2})
Sie ist Teil unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsform. Natürlich ist die Verkehrsinfrastruktur nicht beliebig vermehrbar und erweiterbar. Nicht überall, wo es mehr Verkehr gibt, werden zusätzliche Verkehrswege realisierbar sein. Bauen ist ganz sicherlich nicht immer die einzige Antwort auf immer wachsende Verkehrsströme.
({3})
Für uns gilt ein Gesamtkonzept, das Bundesverkehrsminister Professor Krause heute in seiner Regierungserklärung vorgetragen hat. Wir brauchen, erstens, die Vermeidung unnützen und zusätzlichen Verkehrs.
({4})
- Sie müssen, glaube ich, um ihn richtig einzuschätzen, wirklich einmal genau auch hinhören, was er in seiner Regierungserklärung gesagt hat,
({5})
und nicht die Manuskripte entsprechend vorher schreiben. Sie wollen eine Zwischenfrage stellen?
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Kollege, da Sie das behaupten, möchte ich einfach gern wissen, wo und wie das formuliert ist, wo ein Ansatz zur Vermeidung ist.
Wenn der Verkehrsminister sagt, wir brauchen ein integriertes Gesamtverkehrssystem, und er dann auch einen Gesamtverkehrsplan vorlegen wird und wir insgesamt über diesen Verkehrswegeplan debattieren, dann wird natürlich auch die Frage der Vermeidung und Verlagerung von Verkehren eine Rolle spielen. Davon gehen wir insgesamt aus.
({0})
Herr Abgeordneter, ich bedanke mich, daß Sie dem Abgeordneten Müller die Antwort gegeben haben. Er hat keine erwartet, sonst wäre er sicher stehen geblieben, wie das im Haus so üblich ist.
({0})
Wir brauchen, erstens - ich wiederhole -, die Vermeidung unnützen und zusätzlichen Verkehrs. Das Ziel, beispielsweise Verkehre gar nicht erst entstehen zu lassen, muß auch durch eine entsprechende Raumordnungs- und Siedlungspolitik unterstützt werden.
({0})
Es ist notwendig, Arbeitsstätten und Wohnungen wieder näher zusammenzubringen. Die Siedlungstätigkeit muß noch stärker an den Erfordernissen einer öffentlichen Verkehrsbedienung ausgerichtet werden. Auch der Ersatz von Verkehr durch Telekommunikation muß gefördert werden.
({1})
Da die Parkplatzsuche in den einzelnen Innenstädten bis zu 70 % ausmacht, bestehen durch die Installation entsprechender Leitsysteme noch viele Möglichkeiten, Verkehre zu vermeiden.
({2})
Eine bessere Logistik wird die Anzahl von Leerfahrten ohne Zweifel verringern helfen. Auch müssen wir leistungsfähige Schnittstellen zwischen dem Fern- und dem Regionalverkehr sowie Güterverteilzentren zur Bündelung von Lieferungen in die Innenstädte schaffen. Auch dazu werden wir im gesamtdeutschen Verkehrswegeplan etwas sagen.
Zweitens. Wir müssen die vorhandenen Kapazitäten besser ausnützen. Verkehrsleitsysteme und Entflechtung von Bedarfsspitzen sollen nur als Stichwort genannt werden.
Drittens. Wir müssen Verkehre verlagern, beispielsweise vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Personennahverkehr.
Viertens. Ganz sicher brauchen wir eine Veränderung der Verkehrsmittel selbst hin zum umweltfreundlichen und sicheren Fahrzeug.
Fünftens. Aber wir brauchen auch den Aus- und Neubau von Verkehrswegen, um ein leistungsfähiges Verkehrsnetz zu haben.
({3})
Wenn wir gemeinsam wollen, daß Verkehre von der Straße auf die Schiene verlagert werden, dann bedeutet dies auch zusätzliche Gleise. Dann müssen wir aber auch alle gesellschaftlichen Kräfte auffordern, mitzuwirken, damit wir in der Lage sind, in Deutschland solche Gleise zu bauen. Da sind alle aufgefordert, hier mitzuwirken.
({4})
Die Aufstellung des ersten deutschen Verkehrswegeplans muß dazu benutzt werden, die Grundlagen eines in die Zukunft gerichteten Verkehrssystems
({5})
zu schaffen, ein integriertes Gesamtkonzept. Es darf nicht das Nebeneinander der Verkehrsträger festschreiben, sondern es muß miteinander verzahnt sein.
Dieser Verkehrswegeplan entscheidet auch über den Standort Deutschland. Dessen müssen wir uns sehr bewußt sein.
({6})
Und wenn der Standort Deutschland vorne bleiben will, und das wollen wir, brauchen wir mehr Schienen, mehr Umladeterminals für den kombinierten Verkehr, bessere Logistik und in einem bestimmten Umfang auch den Ausbau von Straßen. Wir brauchen eine bessere Verknüpfung der Verkehrsträger, damit jeder seine ihm zukommende Rolle spielen und seine Leistungsvorteile ausnutzen kann.
Die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes hängt ganz entscheidend auch vom Ausbau und vom Umbau der Verkehrsinfrastruktur ab. Hier tun wir doch schon einiges. Aus unserem Verkehrshaushalt 1992 von rund 40 Milliarden DM gehen 51 % zur Schiene und den Bahnen. Auch das muß man zur Kenntnis nehmen.
Wir müssen eine ganz ehrliche Diskussion führen. Wir werden auch weiterhin in Deutschland einen Ausbau unserer Straßen brauchen.
Schwerpunkte dabei sind: Erstens. Wir müssen die noch vorhandenen Lücken im Autobahnnetz schließen und die höchstbelasteten bestehenden Strecken sechsspurig ausbauen.
Zweitens. Wir müssen den Bau von Ortsumgehungen im Interesse der lärmgeplagten Anwohner stark belasteter Ortsdurchfahrten fortsetzen. Ortsumgehungen baut man nicht, um neuen Verkehr zu ernten, sondern zur Anwohnerentlastung - das ist Menschenschutz ({7})
und um durch überlastete Verkehrsachsen zerschnittene Orte als Ganzes wieder entstehen zu lassen. Das ist unser Auftrag.
Drittens. Auch um die Einrichtung neuer Schnittstellen werden wir nicht herumkommen, wenn wir unser Verkehrssystem funktionsfähig erhalten wollen.
Viertens. Wir müssen auch die Unfallschwerpunkte mit Nachdruck beseitigen. Im übrigen spielt auch der weitere Ausbau des Straßennetzes für die Verkehrssicherheit eine wichtige Rolle. Durch die Komplettierung des Autobahnnetzes, die Errichtung weiterer Ortsumgehungen, die gezielte Behebung von Unfallschwerpunkten und die Fortführung des Baus von Fahrradwegen wird der Verkehr sicherer werden; und das wollen wir schließlich alle.
Die Zielvorgaben, die der Bundesverkehrsminister zum Verkehrswegeplan vorgelegt hat, werden von unserer Fraktion unterstützt:
Erstens. Die Verkehrsprojekte zur deutschen Einheit sind ein sehr wichtiger und entscheidender Teil dieses Plans. Dazu gehören die notwendigen Verknüpfungen und Anbindungen an das vorhandene Netz.
Zweitens. Der normale Ersatzbedarf muß gewährleistet sein, damit die vorhandenen Verkehrswege in tauglichem Zustand erhalten werden können.
Drittens. Die Realisierung des Nachholbedarfs in den neuen Ländern - Kollege Gibtner wird dazu noch Ausführungen machen - muß gewährleistet sein.
Viertens. Wichtig ist die Beibehaltung der politischen Entscheidungen des Verkehrswegeplans 1985. Was dort vordringlich war, muß in den neuen Plan mit übernommen werden. Weiter werden natürlich wegen der veränderten verkehrspolitischen Lage mit der drastischen Erhöhung der Verkehrsleistungen besonders im Ost-West-Verkehr auch Teile der bisher als „Planungen" eingestuften Maßnahmen aufgestuft werden müssen.
So, wie wir uns um die Ost-West-Verkehre bemühen, müssen wir uns in gleicher Weise - ich sage das vor allem für die südlichen Länder unserer Republik - des Alpentransits annehmen. Das ist eine ganz entscheidende Aufgabe angesichts der immer größer werdenden Verkehre.
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Der Bau neuer Verkehrswege dient auch der Verringerung der Verkehrsbelastung für Bürger und Umwelt. Wir wollen ein leistungsfähiges Verkehrsnetz. Weil wir dies wollen, nehmen wir auch nicht hin, daß die Genehmigungsverfahren für den Neu- und Ausbau von Schienenwegen, Straßen und Wasserwegen selten weniger als einen Zeitraum von 20 Jahren erfordern. Hier muß etwas geschehen. Dazu sind alle in diesem Hause aufgerufen.
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Wir wollen ein abgestimmtes Verkehrskonzept. Wir wollen ökonomische regionale Besonderheiten, Verkehrssicherheit und ökologische Belange zu einem sachgerechten Ausgleich bringen. Dazu gehört die Feststellung, daß das Auto, auch wenn es sich in vielfältiger Weise verändern wird, für einen Großteil unserer Menschen ein unverzichtbares Transportmittel bleibt.
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Wir dürfen auch eine Verteufelung des Lkws nicht zulassen,
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der in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft durch seine flexiblen Formen der Verteilung den hohen Lebensstandard unserer Bevölkerung mit sichert.
Zum Abschluß, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Die Verkehrs- und Umweltprobleme unserer Zeit sind nicht durch Technikfeindlichkeit, durch Blockade oder Verweigerungshaltung zu lösen, sondern nur durch ein in die Zukunft gerichtetes Verkehrssystem. Dazu hat unser Verkehrsminister heute in seiner Regierungserklärung die Weichen gestellt.
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Das Wort hat nun der Abgeordnete Scheffler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Abgeordneter aus dem Ostteil Berlins, einem Ballungsraum, wie Sie ihn, Herr Minister, in Ihrer Regierungserklärung richtig beschrieben haben, der schon heute an den wachsenden Mobilitätsansprüchen sowie an den Folgen einer verkehrten Verkehrspolitik erstickt, reizt es mich, einiges auf die Äußerungen in Ihrer Regierungserklärung über das ungebundene, bequeme und mit dem Auto so leichte tägliche Leben zu erwidern.
Ich würde auch dazu gern etwas sagen, daß Sie uns immer wieder vorgaukeln, daß Wirtschaftswachstum unvermeidbar mit einem Wachsen des Verkehrs verknüpft ist. Mit dieser Verknüpfung sind bei Ihnen schmerzliche Eingriffe in die Natur verbunden, ohne die nach ihrer eigenen Aussage nichts mehr geht. Ich sage Ihnen: Entkoppeln Sie diesen verhängnisvollen Zusammenhang!
Es drängt mich, den Finger noch tiefer in die von Ihnen aufgerissenen Wunden zu legen.
Aber ich wende mich in meiner restlichen Redezeit den Problemen der Verkehrssicherheit zu. „Rücksicht kommt an" - so lautet Ihre mit Millionen geführte Werbekampagne für Verkehrssicherheitsaktivitäten. Wie wir kritisieren Sie vor allem das Verhalten der stark motorisierten und schnelleren Verkehrsteilnehmer und nicht verantwortungsbewußtes, sondern rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr. An dieser Stelle füge ich, weil Sie es nicht erwähnt haben, hinzu: Neben der nicht angepaßten Geschwindigkeit ist der Alkohol im Straßenverkehr die Hauptunfallursache. Sie sprachen heute davon, daß Ihre Verkehrssicherheitsarbeit erste Früchte trägt und in den neuen Bundesländern die Zahl der Unfallopfer sinkt. Dazu möchte ich Ihnen folgende Zahlen nicht vorenthalten, die für sich sprechen.
Die Zahl der Personenschäden schnellte 1991 um 20 % nach oben, die der Verletzten um 33 % auf 83 580 und die der Verkehrstoten auf 3 733. Herr Minister, das sind leider 19 % mehr als 1990. Das sind die Fakten, die Ihnen, Herr Kollege Gries, einfallen sollten. Nicht von mir erfunden ist die Tatsache, daß in den neuen Bundesländern im Straßenverkehr fast doppelt so viele Menschen starben wie in den alten, bezogen auf jeweils eine Million Einwohner.
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Das macht mich sehr betroffen. Auch hier besteht ein Unterschied zu Ihnen, Herr Minister, und zu den Regierungsparteien. Statt daß Sie komplexe Folgerungen aus der Trauer um jedes einzelne Verkehrsopfer ziehen, hören wir auch heute wieder: Neue Straßen braucht das Land.
Natürlich sind sofortige, vom Bund finanzierte Sicherheitsmaßnahmen wie das Aufstellen von Schutzplanken an Bundesautobahnen oder schnellstmöglicher Ausbau der maroden Verkehrsinfrastruktur von Rügen bis Zittau konkrete Schritte in die richtige Richtung; die unterstützen auch wir von der SPD.
Aber warum, Herr Minister, brechen Sie da ab, wo mit sofortigen ordnungspolitischen Entscheidungen, die zum Nulltarif zu erreichen sind, der Wahnsinn zwar nicht beendet, aber doch sehr eingeschränkt werden kann? Ich meine das seit langem von der SPD geforderte Tempolimit und die Herabsetzung der Promillegrenze.
Dabei sahen wir uns schon durch Ihre Antrittsrede vor dem Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestags in unseren diesbezüglichen Bemühungen bestätigt. Sie führten damals aus - ich zitiere -: „Es gilt, in dieser Legislaturperiode in allen Verkehrsbereichen sicherheitsrelevante Vorschriften zu verbessern. " Sie sagten „verbessern", nicht: beibehalten. Ihre Ausführungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bezogen auch die Promillegrenze ein. Schon damals machten Sie kein Hehl daraus, daß das moralische Gebot für jeden Autofahrer 0,0 bedeuten muß. Eine gesetzliche Regelung stellten Sie sich persönlich bei 0,5 Promille vor.
Wenn Sie und die Parteien der Regierungskoalition dem Antrag der SPD nach mehr Verkehrssicherheit durch Senkung der Promillegrenze und Einführung der elektronischen Atemalkoholanalyse damals nicht folgen wollten, so verschließen Sie sich heute wenigstens nicht Ihrem eigenen Votum und den Voten des Bundesrats, unzähliger Verkehrsexperten sowie einiger Mitglieder der CSU und Ihrer eigenen Partei, allen voran des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, Herrn Dionys Jobst!
Da sich das Kabinett bei ihm genehmen Situationen gerne auf Abstimmungsergebnisse in Straßburg und Brüssel beruft, zuletzt bei der Mehrwertsteuer, darf ich Sie an dieser Stelle daran erinnern, daß die EG-Kommission schon 1990 den Grenzwert von 0,5 Promille für ganz Europa vorgeschlagen hat. Die Verabschiedung einer entsprechenden EG-Richtlinie scheiterte bisher nur am Widerstand der Bundesregierung. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, ich werfe Ihnen vor, daß Ihnen die Belastung der sozial Schwachen bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer den bei der Promillegrenze gezeigten Widerstand leider nicht wert war.
Herr Minister, falls Sie nun noch mehr Rückenwind benötigen, um die Meinungsbildung im Kabinett abzuwarten oder auszusitzen, rate ich Ihnen, die Umfrage des ADAC unter seinen Mitgliedern zu beherzigen, bei der sich 57 % für 0,5 Promille bzw. für geringere Promillegrenzen aussprachen. Dabei votierten in den neuen Bundesländern gar nur 14 % der Befragten für die Einführung einer 0,8-PromilleHöchstgrenze.
Deshalb: Isolieren Sie sich nicht länger europaweit. Stimmen Sie dem Votum des Bundesrates und unserem Antrag auf Einführung einer 0,5-PromilleGrenze zu. Lassen Sie es nicht darauf ankommen, daß die nach dem Einigungsvertrag auslaufende Übergangsregelung per 31. Dezember 1992 zu einer bundesweiten 0,8-Promille-Grenze führt. Sie, Herr Minister, müßten sich, wenn Sie den Text in Ihrer Verkehrssicherheitskampagne ernst nehmen, selbst Lügen strafen. Gleiches gilt für die Problematik Ihrer eigenen These „Wer rast, fliegt raus".
So wie ich im Zusammenhang mit den Verkehrsopfern eingangs meiner Rede das Tempolimit ansprach, beinhaltet ein zweiter Antrag meiner Fraktion die Problematik mehr Umweltschutz, Verkehrssicherheit und Lebensqualität durch Geschwindigkeitsbegrenzung. Nicht erst seit heute fordern wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung sowohl auf Autobahnen als auch auf Straßen innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften. Dieser Antrag müßte doch den Positionen Ihrer eigenen Kampagne, nicht zu rasen, Herr Minister, entsprechen.
Ihre Position war für uns jedoch kein Maßstab. Wir orientieren uns vielmehr an den dramatischen Zahlen der Verkehrsopfer und an den materiellen Folgeschäden. Hierin werden wir durch längst bewiesene und vorliegende wissenschaftliche Ergebnisse und internationale Erfahrungen eindrucksvoll bestätigt.
Wie reagieren die ADAC-Mitglieder auf die Frage nach dem Tempolimit? Zu der von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, bisher rundweg als „nicht diskussionswürdig" bezeichneten Begrenzung auf 30 km/h in Wohngebieten bekennen sich 92 % aller Befragten. Als weiteres Positivum ist zu nennen: Persönliche Einschränkungen zugunsten der Umwelt erfahren bei der überwiegenden Zahl der Autofahrer Gott sei Dank eine höhere Akzeptanz als bei Ihnen, die Sie noch die Regierungsverantwortung tragen.
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Im Hinblick auf das vereinte Europa sollten Sie sich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, stärker an den Signalen aus den EG-Zentralen orientieren. EG-Kommissar Karel van Miert hat mehr als einmal unmißverständlich dargelegt, daß es zukünftig EG-weit zu Geschwindigkeitsbegrenzungen kommen wird. Die Bundesrepublik ist weltweit das einzige Land ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Die Regierung Kohl stellt sich auch hier ins politische Abseits.
Wenn die Gewerkschaft der Polizei jetzt ein Tempolimit von 120 km/h fordert und davon spricht, daß die Zeiten unbegrenzter Automobilität und unbegrenzter Raserei vorbei sind, so sollte das auch Ihnen, Herr Verkehrsminister, zu denken geben.
Erkennen Sie trotz alledem noch keinen Handlungsbedarf, so dürfte die erhaltene Ohrfeige für Ihre Verkehrspolitik hinsichtlich des Urteils zur Mithaftung von Autobahnrasern bis in unsere heutige Debattenrunde schallen. Der Bundesgerichtshof gibt Ihnen, der Regierung, unmißverständlich zu verstehen, daß Geschwindigkeiten über 130 km/h nicht mehr zu vertreten sind. Damit wird auch Ihr ständiges Gerede - insbesondere der Herren von der F.D.P. - von den „sichersten Autobahnen der Welt" ad absurdum geführt.
Sollten Sie den Argumenten der SPD-Fraktion und weiterer Sachverständiger dennoch nicht folgen, müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, daß bewußt Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Konkrete Möglichkeiten zur Verbesserung der Umweltsituation würden verschenkt. Die Bundesrepublik würde EG-und weltweit verkehrspolitisch isoliert. Stimmen Sie deshalb im gemeinsamen Interesse den von der SPD eingebrachten Anträgen zu, und bestätigen Sie damit das Votum des Bundesrates.
Gestatten Sie mir abschließend eine Bemerkung speziell als Berliner Abgeordneter, Herr Verkehrsminister. Mit Ihren Eiertänzen zur Standortproblematik eines Berlin-Brandenburger Großflughafens, mit Ihren Ausführungen und Entscheidungen zur Befahrbarkeit der See- und Bundeswasserstraßen in und um Berlin sowie mit Ihrem Ideenreichtum zum Standort Friedrichstraße als Zentralbahnhof erweisen Sie Berlin einen Bärendienst. Sie schaden damit unserer Stadt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, sowie des Abg.
Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/GRÜNE]
und der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS/Linke
Liste]
Nunmehr spricht der Abgeordnete Gibtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben gerade wieder eine alltägliche, aber doch lehrreiche Trickdarstellung der Opposition. Sie erweckt mit populistischen Formulierungen den Anschein, als hätte sie im Gegensatz zur Bundesregierung und zur Regierungskoalition den verkehrspolitischen Stein der Weisen gefunden. Aber der Schein trügt. Noch hat niemand in Deutschland - auch nicht in Europa, auch nicht in anderen Ländern der Welt - ein fertiges Konzept mit den nämlich teilweise gegenläufigen Zielen: Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Mobilität auf der einen Seite, Schutz der Umwelt und des sozialen Umfeldes der Menschen andererseits mit marktwirtschaftlichen Regularien und sozialverträglich in Einklang zu bringen.
Wissenschaftlich klingende Begriffe wie road pricing oder Internalisierung externer Effekte helfen noch nicht, das Problem zu lösen. Sie beschreiben lediglich Aufgabenstellungen, keinesfalls bereits die Lösung des Gordischen Knotens. Was ergibt denn die volkswirtschaftliche Kalkulation? Wie teuer ist die Beförderungsleistung in Personenkilometer oder Tonnenkilometer pro Verkehrsträger auf der Basis der realen Aufwendungen? Noch weiß es niemand wirklich, Herr Müller.
Wie die Vertreter von Bündnis 90/GRÜNE und auch ein Teil der SPD Verkehrsprobleme lösen wollen, ist absolut weltfremd: Verkehrsverhinderung - da ist natürlich insbesondere der Straßenverkehr gemeint -,
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Verlagerung des Fernverkehrs auf die gute alte Eisenbahn und in der Fläche allenfalls Tolerierung von Fußgängern und Radfahrern. Das sind nostalgische Utopien von Menschen, die nicht Ende des 20. Jahrhunderts, sondern am liebsten im vorigen Jahrhundert leben möchten.
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Frau Mattischeck, Ihre Attacke gegen die Regionalisterung des ÖPNV, die Sie gestartet haben, ist mir absolut unverständlich.
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Erstens wenden Sie sich damit gegen ein wirksames Mittel zur Verbesserung des Angebots öffentlichen Nahverkehrs und zur Vermeidung des Individualverkehrs in Ballungszentren, und zweitens wenden Sie sich gegen den Antrag Ihrer eigenen Fraktion, den Sie offensichtlich nicht gelesen haben;
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denn dort ist im dritten Abschnitt die Regionalisierung des ÖPNV als Forderung formuliert.
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Wollen Sie, meine Damen und Herren, ernsthaft Administration in der Verkehrspolitik? Wollen Sie eine Strangulierung der Wirtschaft? Wollen Sie schlechte Straßen und staatlich festgelegte Phantasiepreise? Das hatten wir alles in der DDR. Da gab es natürlich auch eine andere Aufteilung des Transportaufkommens auf die Verkehrsträger, den sogenannten Modalsplit. Aber wissen Sie noch, was die Menschen mit diesem System des wirtschaftlichen und politischen Dirigismus gemacht haben? Erst sind Hunderttausende davongelaufen, die Daheimgebliebenen haben das System abgewählt, und dann haben sich die Menschen von ihren geringen Ersparnissen Autos gekauft.
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Wenn die Opposition der Regierung angesichts der noch weitgehend fehlenden Entscheidungsgrundlagen Handlungsunfähigkeit vorwirft, dann ist das schlicht und einfach Demagogie.
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Noch vorhandene Defizite in der Verkehrspolitik, die ich auch sehe, liebe Frau Kollegin, ausgerechnet dem jetzigen Verkehrsminister in die Schuhe zu schieben, der gerade eineinviertel Jahr im Amt ist und endlich Bewegung in die Verkehrspolitik gebracht hat, ist allerdings eine Beleidigung. Viel lieber sähe ich es, wenn Sie ihn mit dem Kosenamen „Beschleunigungsminister" versehen; denn das ist das größte Kompliment für ihn.
Während die Opposition die endlose Diskussion um die Lösung verkehrspolitischer Grundsätze fortsetzen möchte, handelt diese Regierung und dieser Minister. Er verwirklicht den Auftrag des Grundgesetzes, die Lebensverhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern so schnell wie möglich an das Niveau der westlichen Länder anzugleichen. Das geschieht zunächst beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur; denn eines ist sicher: Zurückdrängen läßt sich das Ausmaß des Verkehrs gegenüber dem jetzigen Niveau keinesfalls. Das ist keine Erfindung des Bundesverkehrsministeriums, Herr Dr. Feige. Wir wissen doch alle, daß seriöse Experten mit einer unaufhaltsamen Zunahme des Verkehrs rechnen. Wenn man diesen Verkehr umweltverträglich und mit zumutbaren Belastungen für die Menschen abwickeln will, braucht man Schienen, Straßen und Wasserwege.
Die Bundesregierung hat sich deshalb das Gesetz des Handelns zu eigen gemacht.
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Es wurde der bisher umfassendste Verkehrshaushalt im Jahre 1992 durchgesetzt. Zusammen mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost fließen in diesem Jahr 16,6 Milliarden DM in die neuen Bundesländer, um Verkehrswege zu reparieren, auszubauen und, wo nötig, auch neu anzulegen.
Die Deutsche Reichsbahn, Herr Daubertshäuser, die rund 10 Milliarden DM investieren kann, wurde damit zur größten Gleisbaustelle der Welt.
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- Rund 10 Milliarden DM im Jahre 1992. - Rund 2 Milliarden DM werden zur Erneuerung des Fahrzeugparks eingesetzt. Über 4 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt fließen 1992 in den Fernstraßenbau in Ostdeutschland. Damit ergibt sich allerdings ein ganz anderes Bild, Herr Daubertshäuser, was die Zuweisung der Mittel an die Verkehrsträger und damit die Bevorzugung der Schiene betrifft, als Sie es dargestellt haben.
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- Natürlich den Haushalt, Herr Daubertshäuser. Aber die Verkehrswege im Osten Deutschlands und die Existenz der Deutschen Reichsbahn scheinen den verkehrspolitischen Sprecher der Opposition nicht besonders zu interessieren.
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Im Vorgriff auf den ersten gesamtdeutschen Verkehrswegeplan werden die 1990 vereinbarten Lükkenschlußmaßnahmen fortgesetzt und die 17 Verkehrsprojekte Deutsche Einheit vorangetrieben. Zuletzt wurden noch 73 Ortsumfahrungen im Verlauf von Bundesfernstraßen vorab beschlossen. Rund 1,2 Milliarden DM aus den Mitteln des GVFG werden für die neuen Länder eingesetzt, u. a. für kommunalen Straßenbau, regionale Schienenprojekte und ÖPNVFahrzeuge.
Was den Abfluß dieser gewaltigen Summen betrifft, kann den Bauabteilungen der Deutschen Reichsbahn, den Straßenbauämtern, den kommunalen Verwaltungen und den neu geschaffenen Planungsgesellschaften für ihre fleißige und hochqualifizierte Arbeit nur herzlich gedankt werden.
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Allerdings muß man fast von Glück reden, daß ein so gewaltiger Bedarf an Reparatur der Verkehrswege besteht, wofür keine umfangreichen Planungen erforderlich sind. Der Fortschritt neuer Planungen würde
nicht ausreichen, um die gewaltigen Bauleistungen in der jetzigen Phase abzusichern. Deshalb ist das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz eine so großartige gesetzgeberische Leistung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung für die neuen Länder.
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Wir sollten nun alle gemeinsam dafür sorgen, daß die Möglichkeiten dieses Gesetzes überall ausgeschöpft werden, und zwar nicht gegen die Interessen der Betroffenen und die Erfordernisse der Umwelt, wie böswillige Kritiker aus Ihren Reihen uns permanent vorwerfen.
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Wir haben kein Interesse daran, daß in einigen Jahren der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wieder in den alten Trott verfällt, weil der Geltungszeitraum des Beschleunigungsgesetzes abgelaufen sein wird. Wir haben auch kein Interesse an einem Ungleichgewicht der Planungsmodalitäten gegenüber den alten Bundesländern. Deshalb muß so schnell wie möglich das gesamtdeutsche Planungsrecht vereinfacht werden, um überall akzeptable Planungszeiten zu gewährleisten.
Ferner muß dafür gesorgt werden, daß die große Lücke zwischen dem unausweichlichen Ausbaubedarf der Verkehrsinfrastruktur und der mittelfristigen Finanzplanung baldmöglichst geschlossen wird. Die Inanspruchnahme privaten Kapitals muß deshalb offensiver vorbereitet werden. Warum hat das Bundeskabinett eigentlich nur zwei Pilotprojekte in den alten Bundesländern beschlossen? In den neuen Ländern gibt es ebensolchen Nachholbedarf. Ich schlage deshalb vor, den im Verlauf der A 13 Dresden-Prag voraussichtlich erforderlichen Tunnel unter dem Elbsandsteingebirge ebenfalls privat zu finanzieren. Hier haben wir es nur mit grenzüberschreitendem Verkehr zu tun und könnten aus unserer Sicht ohne weiteres Maut erheben und auf diese Weise einen Schattenhaushalt vermeiden.
Meine Damen und Herren, utopische Vorstellungen von Verkehrsvermeidung und fruchtlose Diskussionen um langfristige verkehrspolitische Zielsetzungen tragen zur Problembewältigung in den neuen Ländern nichts bei. Nur Ergebnisse zählen. Deshalb können wir am Beispiel der Verkehrsinvestitionen vor Ort sehen: Gute Verkehrspolitik ist gute Wirtschaftspolitik. Denn ohne vernünftige Straßen-, Wasser- und Schienenwege ist wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich. Gute Verkehrspolitik ist auch gute Umweltpolitik. Denn ohne vernünftige Straßen-, Wasser- und Schienenwege sind umweltschädliche Staus, Zerstörungen schöner Nebenstrecken und die Belastung von Anwohnern mit Lärm und Gestank unvermeidlich.
Gute Verkehrspolitik ist auch gute Sozialpolitik. Denn durch einen vernünftigen Ausbau von Straßen-, Wasser- und Schienenwegen werden im Verkehrswegebau nicht nur Arbeitsplätze gesichert - allein 1992 werden es 316 000 sein, wie wir gehört haben -, sondern auch die Voraussetzungen für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung und sichere Arbeitsplätze in anderen Branchen geschaffen.
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Diese Politik der Problembewältigung, wie sie die Bundesregierung betreibt, verdient weiterhin unsere Unterstützung.
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Nun erteile ich dem Abgeordneten Hiller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß Deutschland zu einer Drehscheibe des Verkehrs in Europa werden wird. Das liegt zum einen daran, daß der EG-Binnenmarkt verwirklicht wird. Es liegt aber auch daran, daß neue Staaten nicht mehr jenseits einer Grenze liegen, wie das 40 Jahre im Bereich der Ostsee der Fall gewesen ist.
Mir als Lübecker sei zugestanden, daß ich mein besonderes Augenmerk auf den Ostseeraum und dessen Verkehrsfragen richte.
Lassen Sie mich gleich eine Vorbemerkung machen. Herr Hennig ist ja nun seit einiger Zeit in Schleswig-Holstein, aber dieses wesentliche schleswig-holsteinische Verkehrsproblem hat er überhaupt nicht erkannt: Um die Ostsee herum entsteht ein neuer Wirtschaftsraum, zu dem die baltischen Staaten ebenso wie Rußland gehören. Seit vielen Jahrhunderten war dies der Wirtschaftsraum der Hanse, und er hat viele Völker und Städte verbunden.
Der Warenaustausch ist die Voraussetzung für eine friedliche und gedeihliche Entwicklung unseres Kontinentes auch im Osten. Deshalb gilt es jetzt, die Idee des Mare Balticum mit Leben zu erfüllen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, endlich konkrete Schritte zu unternehmen, damit ein Gesamtkonzept des Verkehrs für den Ostseeraum zur Verfügung steht.
Leider hat der Bundesverkehrsminister - obwohl aus dem Ostseeland Mecklenburg-Vorpommern stammend - bisher diese Entwicklung verschlafen. Jüngst demonstrierte der Minister sein Interesse an der Zukunft des Ostseeraumes durch sein Fehlen beim Treffen der Verkehrsminister der Ostsee-Region. Deutschland war damit als einziges Land weder auf Minister- noch Vizeministerebene vertreten.
Woran lag das? Herr Krause mußte den von ihm mit angezettelten Streit in der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern schlichten.
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Seine Pflichten als Bundesverkehrsminister sind dadurch vernachlässigt worden.
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Reinhold Hiller ({2})
Ich meine, daß diese verfassungsmäßige Aufgabe Vorrang haben sollte vor einem Streit der Blockparteien in Mecklenburg-Vorpommern.
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In den letzten zehn Jahren ist die Ostsee zu einem der bedeutendsten Verkehrsmärkte der Welt geworden. In den Ostseehäfen sind 1989 8 % des gesamten Weltseehandels umgeschlagen worden. Damit wird weltweit jede zwölfte Tonne Ladung im Ostseeraum befördert. Das sind 60 Millionen t und 20 Millionen Fahrgäste, die über die deutschen Ostseehäfen von Flensburg bis Mukran abgefertigt wurden. Diese Zahlen demonstrieren die wirtschaftliche Bedeutung und die Notwendigkeit eines Konzeptes der Bundesregierung für den Ostseebereich.
Der bedarfsgerechte Ausbau der Häfen und Wasserstraßen ist nötig, um die propagierte Brückenfunktion sicherzustellen. Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schiffahrt und Häfen zu sichern, sind der Bau, die Sicherstellung des Betriebes und die Entwicklung von Häfen und Wasserstraßen sowie die optimale Verbindung der Häfen mit der Schiene als öffentliche Aufgaben anzusehen.
Es nützt nichts, wenn immer mehr Verkehr in die Häfen kommt und dieser Verkehr ausschließlich auf die Straße geleitet wird. Wir müssen dafür sorgen, daß diese Güter gar nicht erst auf die Straße gelangen,
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sondern mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln - das ist die Eisenbahn, das ist die Schiene - weiter nach Mittel- und Westeuropa transportiert werden. Die Bundesbahn muß aber hierzu - dazu haben Sie, Herr Hennig, leider nichts Konkretes gesagt -, auch in die Lage versetzt werden.
Wir brauchen nicht nur die Elektrifizierung in Schleswig-Holstein. Ich bin der schleswig-holsteinischen Landesregierung sehr dankbar, daß sie als erste Landesregierung aus einem Landeshaushalt für die Schiene Geld zur Verfügung gestellt hat.
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Herr Hennig, was Sie gesagt haben, entspricht nicht der Wahrheit. Was ich sage, sind die Fakten, und darauf kann die Regierung Engholm in Schleswig-Holstein stolz sein.
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- Ich habe so wenig Zeit, ich möchte keine Fragen zulassen.
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Das ist Ihr gutes Recht. Allerdings habe ich das zeitmäßig bei den anderen nicht angerechnet und würde es bei Ihnen auch nicht tun.
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Herr Hennig, ich bitte Sie, daß Sie, wenn Sie Oppositionsführer in Kiel werden, genauso mitarbeiten wie die jetzige Opposition dort, damit wir auch die Elektrifizierung der Strecke nach Puttgarden bekommen. Der Bundesverkehrsminister kann sich ja überlegen, ob er dann diese Forderung, die Sie hier noch nicht einmal vertreten haben, auch in die Praxis umsetzen kann.
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Die Vokabeln, die der Bundesverkehrsminister heute zum Thema Verknüpfung von Seeschiffahrt und Eisenbahn benutzt hat, sind sehr schemenhaft und unbestimmt. Ich fordere den Bundesverkehrsminister auf, im Ostseeraum für Klarheit zu sorgen, damit die notwendigen Investitionen von der Hafenwirtschaft vorgenommen werden können; denn eines sollten wir alle wissen: Bevor großartige Straßenverbindungen gebaut werden, werden Jahrzehnte vergehen.
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Schiffe können sofort auf den Werften in Deutschland, z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, gebaut werden, damit die baltischen Staaten und Finnland als künftiges EG-Land direkt an Deutschland angebunden werden können. Hier ist Handlungsbedarf. Folgt man ihm, können sofort Arbeitsplätze gesichert werden.
Aus ökologischen und verkehrspolitischen Gründen sind wir für die Fehmarn-Belt-Querung als Eisenbahntunnel. Auch hier setzen wir auf die Schiene; denn diese scheint mir im Zusammenhang mit der Ostsee eine Zukunftsperspektive zu sein.
Wenn Herr Hennig beklagt, daß die schleswigholsteinische Landesregierung den Straßenbau vernachlässigt habe, kann ich Ihnen sagen, daß das von vielen anders gesehen wird. Die Schleswig-Holsteiner unterstützen die Priorität der Schiene und der Schiffahrt vor dem Straßenbau.
Bundesverkehrsminister Krause weiß selber, wie schwierig notwendige Straßenprojekte wie die Ostseeautobahn zu vermitteln sind. Sie haben das vor Ort selber erlebt; wir erleben es fast tagtäglich in der Region. Wir setzen uns mit den Bürgerinitiativen, Umweltverbänden usw. auseinander.
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Aber die stellen so viele Fragen, weil es kein konkretes Konzept aus Bonn gibt.
Herr Hennig, einen Schlußsatz: Ihnen als Neu-Schleswig-Holsteiner kann ich nur empfehlen, daß auch Sie sich der Mühe unterziehen, mit diesen Gruppierungen in einen Dialog zu treten; denn in der Region Lübeck habe ich Sie zu diesem Thema bisher leider vermissen müssen.
Vielen Dank.
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Nunmehr spricht der Abgeordnete Kampeter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für die Umweltpolitik ist ein leistungsfähiges Verkehrssystem in einer arbeitsteiligen Wirtschaft unverzichtbar. Ein Verkehrssystem der Zukunft muß nicht nur wirtschaftlich leistungsfähig, sondern auch ökologisch verträglich sein. Lassen Sie mich daher einige Stichworte bezüglich der Schnittstelle von Umwelt und Verkehr in diese Debatte einbringen.
Erstens. Wir müssen die Ursachen von Mobilität stärker zum Gegenstand politischer Entscheidungen machen. Politik darf sich nicht auf die Bewältigung von Verkehrsproblemen im engeren Sinne beschränken, sondern muß beispielsweise Wohnen und Arbeiten räumlich enger zusammenführen. Bei der zukünftigen Siedlungsstrukturentwicklung muß daher der Aspekt der Verkehrsvermeidung stärker als bisher in die räumliche Planung integriert werden. Wenn ich darüber hinaus beispielweise an Konzepte des Güterverkehrs wie „just in time" denke, müssen diese auch einmal unter ökologischen Gesichtspunkten kritisch untersucht werden.
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Eine zweite Anmerkung: Bei der Verkehrsmittelwahl ist es von entscheidender Bedeutung, ob alle Kosten für die Volkswirtschaft, die im Zusammenhang mit der Wahl eines bestimmten Verkehrsmittels entstehen, auch dem Verursacher angelastet werden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung betonte kürzlich, daß es eine besonders drängende Aufgabe in den nächsten Jahren sei, die volkswirtschaftlichen Kosten des Verkehrs, und zwar sowohl die Umweltkosten als auch die Infrastruktur- und Verdichtungskosten, den jeweiligen Verkehrsteilnehmern anzulasten.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die jetzt beginnende Diskussion über die verschiedenen Verfahren der Kostenanlastung, wie sie z. B. bei der Umwelt- und Verkehrsministerkonferenz vor einigen Wochen in Nettetal begonnen wurde. Nur so wird die Schiene, die wir oftmals als ökologischen Hoffnungsträger bezeichnen, auch zum Hoffnungserfüller werden können.
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- Bitte sehr.
Sie sind bereit. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Müller.
Ich höre sehr gerne Ihre Anmerkung, daß Sie auch die externen Kosten der Umweltbelastung einrechnen wollen. Aber ist Ihnen entgangen, daß gerade Sprecher Ihrer Fraktion und auch der Minister diese ausdrücklich nicht einbezogen haben? Ich freue mich über diesen Fortschritt bei Ihnen. Aber haben Sie das wahrgenommen?
Wenn Sie mir die entsprechende Äußerung des Bundesverkehrsministers oder anderer Teilnehmer aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion an der Debatte liefern könnten, mit der das expressis verbis abgelehnt wurde, wäre ich ja gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Nein, im Gegenteil: Zum Beispiel hat doch der Kollege Haungs die Frage der Anlastung der externen Kosten zum Gegenstand seines Debattenbeitrages gemacht.
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Ich wollte eigentlich diese Debatte der Verkehrspolitiker, die in Nettetal begonnen wurde, aus der Sicht der Umweltpolitik ausdrücklich unterstützen, weil wir der Meinung sind, daß nur ökologisch gerechte Preise unter Einschluß der externen Effekte die tatsächlichen Knappheiten widerspiegeln. Das ist eine Erkenntnis, Herr Müller, die von den Koalitionsfraktionen breit geteilt wird.
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Ich habe in dieser verkehrspolitischen Generaldebatte keine anderslautende Äußerung zur Kenntnis genommen.
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Lassen Sie mich eine dritte Anmerkung machen. Wir müssen von der voreiligen Verteufelung des Automobils wegkommen. Viele Debattenbeiträge der Opposition gingen in diese Richtung. Vielmehr muß es darum gehen, das Auto selbst umweltverträglicher zu gestalten. Weniger Lärm, weniger Abgase, schadstoffarmes Benzin und eine Flottenverbrauchsregelung sind hierfür die wichtigen Stichworte. Dies ist ein vergleichsweise wichtiger Beitrag, weil hier bei der Schadstoffminderung relativ rasch Ergebnisse zu erreichen sind. Wir werden uns bezüglich des Nullemissionsfahrzeuges - wie manche das Elektrofahrzeug heute schon hoffnungsvoll nennen - im Zusammenhang mit der Diskussion über die Große Anfrage, die wir in den nächsten Wochen im Plenum ebenfalls führen werden, noch einmal darüber unterhalten, ob das beispielsweise eine Perspektive für die Innenstadtverkehre ist.
Der vierte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Innenstadtumweltprobleme, die durch den Verkehr hervorgerufen werden. Wenn Bürger in Großstädten bereit sind, den Verkehr zeitweilig durch Protestaktionen lahmzulegen, zeigt dies jedem verantwortlichen Politiker, daß der Bürger nicht bereit ist, dort mehr Lärm und mehr Abgase zu dulden. Dabei kommt den Kommunen in dieser Frage eine zentrale Rolle zu. Es muß daher an dem Vorhaben festgehalten werden, über eine Verordnung nach dem BundesImmissionsschutzgesetz den Kommunen Immissionswerte für innerstädtische Straßen vorzugeben, nach denen die zuständigen Straßenverkehrsbehörden im Falle ihrer Überschreitung Maßnahmen einleiten können, die zur Einhaltung der Immissionswerte führen.
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, daß der Lebensraum Stadt nach der Auffassung einer immer größeren Anzahl von Bürgern lebenswerter für Menschen und
weniger funktionell für Kraftfahrzeuge auszugestalten ist.
Eine fünfte Anmerkung. Die Umweltpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen in diesem Zusammenhang die Initiativen zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Bundesverkehrsminister hat in seiner Regierungserklärung ausdrücklich von der Regionalisierung gesprochen, und er hat auf der Verkehrsministerkonferenz in Nettetal zugesagt, den Ländern entsprechende Mittel zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen. Kommunen und Länder stehen jetzt, ausgestattet mit ausreichenden finanziellen Mitteln, endlich in der Verantwortung, dafür zu sorgen, daß leistungsfähige ÖPNVSysteme tatsächlich Alternativen zum Individualverkehr darstellen.
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Wir sollten in diesem Zusammenhang bezüglich der Ballungsräume auch vorurteilsfrei prüfen, ob Maßnahmen wie beispielsweise der obligatorische Erwerb einer ÖPNV-Karte zum Befahren von Innenstädten in Problembereichen oder bei Immissionsschwerpunkten sinnvolle Alternativen, Politikmöglichkeiten für unsere Innenstädte sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich daher abschließend feststellen: Bei den Verkehrssystemen der Zukunft müssen Mobilitätserfordernisse und Umweltnotwendigkeiten miteinander in Einklang gebracht werden. Ein ökologisch und ökonomisch rationales Verkehrssystem ist das Verkehrssystem der Zukunft. Umweltpolitik und Verkehrspolitik arbeiten hierbei Hand in Hand.
Herzlichen Dank.
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Nunmehr wird der Abgeordnete Dr. Feige sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich meine durch wenige Wahlkampfspots unterbrochene Rede fortsetzen kann, vielleicht zwei Anmerkungen zur Diskussion: Es gab vorhin einen Beitrag von Herrn Kohn von der F.D.P. - ganz rechts außen -, der sich mit der grünen Politik und in diesem Zusammenhang mit dem Begriff „Heuchelei" auseinandergesetzt hat. Er sollte sich einmal über das, was Herr Sohns insgesamt zur Qualität der Debatten und zur Kultur in diesem Hause gesagt hat - vielleicht können Sie es ihm mitteilen -, ein paar Gedanken machen. Ansonsten sollte er angesichts der Hochrechnungen, die es hinsichtlich des Wahlausgangs in Baden-Württemberg gibt, besser den Hintern zusammenkneifen und die zittrigen Knie durchdrücken, denn ich glaube, daß er da etwas bescheidener auftreten sollte.
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Zu Herrn Kampeter: Ganz ausgezeichneter Anfang, wenn da nicht dieses Elektroauto mit null Emissionen wäre. Allein die Verlagerung der Emissionen bringt ja, rein global gesehen, nichts, absolut nichts.
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Wenn ich das, was Herr Krause an Gesprächsbereitschaft angeboten hat, um aufeinander zuzugehen, bedenke, kann ich sagen: So einer wie Herr Kampeter wäre ein Gesprächspartner, aber ich muß leider annehmen, daß er wahrscheinlich nicht das Mandat der CDU bekommt.
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- Machen Sie es; Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.
Zurück zur Europa-Verkehrspolitik der Koalitionsparteien: Da wird nun bei der Begründung des StraBen- und Schienenwegebaus von West- nach Osteuropa suggeriert, daß der wirtschaftliche Aufschwung im Osten nur dann eine Chance habe - das haben mehrere Abgeordnete gesagt -, wenn der demokratisierte Osten von Warschau bis Moskau eine On-line-Verbindung ins Ruhrgebiet bekomme.
Für die strukturelle Entwicklung innerhalb der europäischen Länder wird marktwirtschaftsgläubig fatalerweise wieder das westliche, vom motorisierten Individualverkehr dominierte und geprägte Verkehrssystem als Grundmodell herangezogen. Es ist wie in den neuen Bundesländern: Anstatt die Chance zu nutzen, die Verkehrswende anzubahnen und mit einem wirtschaftlich effizienten und umweltverträglichen Verkehrssystem vor allem die örtlichen Potentiale zur Regionalentwicklung zu erschließen, wird ein drastisches Anwachsen des West-Ost-Verkehrs planerisch vorausgesetzt.
Doch wie in den neuen Ländern heute schon nachzuvollziehen ist, wird der Straßenneubau keinen regionalen Aufschwung mit sich bringen, sondern lediglich Warenströme aus dem Westen bevorteilen und das Abwandern von für den Neuaufbau im Osten notwendigen Experten begünstigen. Dann, so sage ich Ihnen voraus, werden die osteuropäischen Länder, wird die internationale Arbeitsteilung West-Ost nach diesen Transitvorstellungen zunehmend den Charakter der Arbeitsteilung Nord-Süd annehmen. Genau das wird dann nämlich eintreten!
Straßenbau erzeugt nicht nur Entlastung von Innenstädten, sondern auch immer wieder neuen Straßenverkehr. Ich prophezeie Ihnen, daß bei der geplanten Küstenautobahn in Mecklenburg-Vorpommern, so sie nicht doch durch besseres Wissen oder gute Erkenntnisprozesse verhindert werden kann, nicht einer der Vorzüge, die Sie, als geistige Väter für diese Gegend vorhergesagt haben, jemals eintreten wird.
Ich verwahre mich auch wirklich gegen die Vorstellung und Unterstellung, daß wir mit unserem Handeln gegen den Autobahnbau und dem, was wir ihm an Verkehrskonzepten entgegenzustellen haben, die Lebensqualität der Menschen in den neuen Ländern beschneiden oder den Aufschwung unterbinden wollten. Ich selbst lebe dort; meine Familie lebt dort; viele
meiner Freunde leben dort, und wir wollen den Aufschwung; aber ich glaube, daß wir von Lebensqualität sehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Dabei gäbe es gerade in den neuen Bundesländern eine wirkliche Chance zu einer schienenorientierten Verkehrsinfrastruktur mit Vorteilen für die östlichen Regionen bis ins nächste Jahrtausend.
Im Verkehrshaushalt 1992 sind - das ist bereits gesagt worden - 8,1 Milliarden DM für den Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen vorgesehen. Die Mittel für die Länder, Kreise und Kommunen, die diese für die Regionalstraßen ausgeben, sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Der Streckenausbau bei Bundes- und Reichsbahn umfaßt jedoch nur Mittel in Höhe von 3,85 Milliarden DM.
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Ich weiß nicht, wo Herr Krause immer die Zahlen hernimmt. Herr Krause, Sie berufen sich immer wieder auf diese 17 „Maßnahmen Deutsche Einheit". Da ist das rechnerisch natürlich okay. Aber dann fangen Sie doch an und nehmen die im Entwurf der Verkehrswegebestimmungs-Verordnung tatsächlich dargelegten Zahlen.
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Danach klappt das nicht. Das ist eine Milchmädchenrechnung.
Herr Gibtner, Sie haben wesentlich detailliertere Zahlen angegeben. Das ist in dieser Form genauso verwirrend. Hier gibt es nur eine Analyse, die konkret heißt: Was kommt hinten heraus? Fahren mehr Leute mit dem Auto? Wie ist die CO2-Emission?
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Und wie sieht es mit einer ökologischen Entwicklung aus? Genau da werden Sie mit jeder Rechnung, die Sie in dieser Hinsicht bekommen, Schiffbruch erleiden.
Natürlich wollen wir nicht, daß der Bundesverkehrsminister bei so vielen offensichtlichen Fakten ganz hilflos dasteht. Die GRÜNEN haben noch niemanden konzeptionslos gelassen; das gebe ich zu. Wir bieten Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, entsprechend Ihrem Gesprächsangebot unsere zukunftsgerichteten Projekte an.
Aber ich muß Ihnen eines sagen: Wenn dieses Gesprächsangebot, das Sie gemacht haben, wirklich nur den Charakter hat, daß wir einfach zusammenkommen, oder, wie es bei der Atomkonsens-Diskussion auch zu erkennen ist, so geartet ist, daß man einfach abnicken soll, was christdemokratisch-liberale Politik ist, und damit ist es gut, dann ist das kein ernstzunehmendes Gesprächsangebot, dann, glaube ich, ist der Ansatz völlig verfehlt.
Es ist auch nicht richtig, den GRÜNEN zu unterstellen, daß sie die Autos verteufeln. Bitte, was tun Sie denn? Sie verteufeln sogar Menschen, und zwar in dem Moment, in dem Sie ihnen vorwerfen, daß sie einfach eine andere Meinung oder etwas ähnliches in diese Entwicklung mit einzubringen haben. Ich kann das in dieser Form einfach nicht akzeptieren.
Aber was ich an dieser ganzen Entwicklung, an dieser Denkweise mißbillige, ist die grundsätzlich dahinterstehende Auffassung: Wachstum, Wachstum über alles. Und das ist das, aus dem wir herauskommen müssen!
Wenn ich alles, was Sie über Ökologie gesagt haben, verstehen soll, dann geht das nur, indem wir einfach auch das Wort Verzicht benutzen. Das ist unpopulär, das ist vor Wahlen natürlich noch unpopulärer.
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Aber es gibt nur eine einzige Chance, da hinzukommen.
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- Das machen nur sehr wenige GRÜNE, und mit denen werden wir uns genau auseinandersetzen. Aber die Quote innerhalb Ihrer Partei scheint da doch wesentlich höher zu sein!
Wir vom Bündnis 90/DIE GRÜNEN setzen natürlich auf Verkehrsvermeidung. Wir bieten eine Entwicklung hin zu dezentralisierten integrierten Lebensräumen, in denen Arbeitsplätze, Wohnungen und Freizeitbereiche wieder zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Lieber Steffen Kampeter, fast genauso hast du es gesagt. Ich glaube, daß möglicherweise heute abend in der Diskussion bei euch da noch deine Meinung korrigiert wird. Aber ansonsten sind wir, glaube ich, in der Hinsicht auf einem gemeinsamen Weg.
Zwischen diesen integrierten Lebensräumen können Verkehrsträger wie Bahn, Bus und Straßenbahn den entscheidenden Mobilitätsbedarf befriedigen.
Es gibt weitere Möglichkeiten und Anregungen. Wir werden nicht umhin können, die Mineralölsteuer stufenweise zu erhöhen. Ich weiß, daß das vielleicht auch nicht aktuell ist. Aber in der gemeinsamen Diskussion, auch in der Enquete-Kommission, sind bereits Preise von drei bis vier Mark pro Liter genannt worden. Ich weiß, daß da wieder die EG davor ist.
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Es freut mich immer, daß Sie die noch haben.
Aber ich glaube, daß zum Beispiel diese Entwicklung Ihnen absolut diese Steuererhöhung erspart hätte, die Sie jetzt in dieser Form in der Bundesregierung durchgesetzt haben. Auf diese Art und Weise hätten Sie sich da einiges ersparen können, auch an Diskussionen.
Denn genau diese Steuern brauchen wir heute, um die Umweltschäden zu kompensieren. Es wird nicht verursacherorientiert gearbeitet, und genau darauf kommt es an. Nur durch eine derart direkte Besteuerung kann erreicht werden, daß auch die die Umweltbelastung bezahlen, die sie verursacht haben.
In diesem Sinne bedarf es auch einer schrittweise steigenden Schwerverkehrsabgabe. Denn wodurch gehen die gerade auf Kosten der Steuerzahler frisch sanierten Bundesstraßen im Osten - und die sind tatsächlich saniert worden - bereits jetzt in erheblichem Maße wieder kaputt? Vor allem durch die zusätzliche Belastung durch diesen Schwerverkehr.
Aber ich möchte abschließend noch einmal zu dem ganz konkreten, vielleicht als Alternative angebotenen Projekt kommen, zur A 20 für Mecklenburg-Vorpommern, der Küstenautobahn. Alles, was dort an Argumenten eingebracht wurde, an Faktoren, wie z. B. Zeit, um den Aufschwung zu verkürzen, kann überhaupt nicht wirksam werden, weil selbst bei einem gekürzten Planungsverfahren zu einem Zeitpunkt, wo diese Autobahn eine Funktion, etwa eine Anbindung des Lübecker Raumes an Rostock, bringen muß, nach Ihren eigenen Aussagen die Angleichung des wirtschaftlichen Aufschwungs erfolgt sein muß. Ich glaube, daß es da durchaus eine Menge von Möglichkeiten gibt, mit alternativen Projekten, auch mit einem Ausbau von Bundesstraßen und - das ist vielleicht auch bei vielen Grünen bisher noch nicht berücksichtigt worden - von Umgehungsstraßen, diese Probleme zwischenzeitlich in den Griff zu bekommen. Ich denke, daß es nur eine Chance gibt, einen Ausstieg in dieser Hinsicht zu einer Verkehrswende durchzubringen.
Wenn ich noch zu Dr. Hennig sagen darf: Ich kann da vieles verstehen. Aber bitte, Sie suchen sich auch Ihre Argumente immer heraus, wie sie Ihnen gerade passen. Ich denke beispielsweise daran, daß Herr Conrad, als er noch Generalsekretär der CDU in Schleswig-Holstein war,
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ganz aktiv darauf eingewirkt hat, daß kein Autobahnneubau stattfindet, weil das unökologisch ist. Das können Sie ganz wunderbar nachlesen, das hat er auch niemals dementiert. Dazu kann ich Ihnen nur einfach sagen: Das ist auch nicht glaubwürdige Politik, wenn Sie heute wieder das ad absurdum führen, was Sie dort einmal an ökologischen Ansätzen hatten.
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Ich glaube, daß dieses Gesprächsangebot, das Dr. Krause gemacht hat, nötig ist, weil man einen nationalen Konsens braucht. Wir haben keine andere Chance, als da aufeinander zuzugehen. Aber bitte: nicht als Kasperletheater oder so, daß ich mir nachher wie in einem Karnevalsverein vorkomme. So etwas ist nicht machbar!
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zwar abgelaufen. Aber wenn Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gibtner noch beantworten wollen, Herr Dr. Feige, bin ich damit einverstanden.
Sie rechnen mir das nicht an?
Da ist nichts mehr zu verrechnen.
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Bitte sehr.
Herr Dr. Feige, könnten Sie den Unterschied zwischen Straßenbau und Straßenbau aus ökologischer Sicht bitte noch einmal klarer machen? Sie sind also gegen den Bau der Küstenautobahn, aber für die Nutzung und damit auch den Ausbau von Bundesfernstraßen und Ortsumgehungen in Mecklenburg-Vorpommern. Dachten Sie da etwa besonders an die herrlichen baumbestandenen Alleen?
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Das ist sicherlich ein etwas größeres, komplizierteres Thema, das ich nur in einem längeren Beitrag ausführen könnte. Aber vielleicht läßt sich das in der weiteren Arbeit im Verkehrsausschuß durchaus vertiefen.
Nur so viel vorneweg: Wir haben natürlich auch bei uns Alternativen diskutiert und in die Überlegungen eingebracht. Ich denke, daß es angesichts des vorhandenen sehr dichten Schienennetzes und des vorhandenen dichten Bundesstraßennetzes durchaus noch Chancen und Reserven gibt, die in einer Übergangsphase notwendige, sehr enge Vernetzung - das wird angesichts der weiteren Entwicklung des Güterverkehrs und des individuellen Personennahverkehrs für eine bestimmte Zeit eine der Herausforderungen sein - und die Weiterentwicklung des Bundesstraßennetzes vorzunehmen und damit eine Verdreifachung der Durchlaßfähigkeit in den neuen Bundesländern zu ermöglichen, aber - um unseren ökologischen Ansatz hineinzubringen - nur kombiniert mit einer parallel laufenden, ganz konsequenten Strategie der Verkehrsvermeidung. Wir werden in einer bestimmten Übergangsphase eine weitere Aufwärtsentwicklung haben. Aber ich glaube, sie wird nicht so steil sein müssen, wie alle Zahlen, die seitens des Bundesverkehrsministeriums vorgelegt wurden und vorgelegt werden, es ausweisen, wenn wir es schaffen, diese beiden Bewegungen parallel abzustimmen.
Ich lasse noch eine Nachfrage zu, bitte aber den Fragesteller und auch Sie, Herr Dr. Feige, kurz zu fragen bzw. kurz zu antworten. Wir haben nämlich unsere Zeit bereits deutlich überschritten. Bitte schön.
Wir können uns beide kurz fassen. - Was wäre angesichts der Planungszeiten für den weiteren Ausbau von Straßen nach Ablauf der Übergangsfrist? Haben Sie auch dafür Konzepte?
Ich glaube, daß nach dieser Übergangsfrist - ich kann nicht beurteilen, wie lange sie dauern wird - teilweise sogar ein Rückbau von Straßen notwendig sein wird, so daß es zu einer Renaturierung versiegelter Flächen kommen wird. Durch eine Weiterentwicklung der technischen und technologischen Forschung insbesondere im Bereich des Schienenverkehrs wird
somit ein akzeptables Verhältnis zwischen noch notwendiger Mobilität und ökologischen Belangen und Bedürfnissen der Menschen möglich sein.
({0})
Danke schön.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Friedrich das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das gute Recht der Opposition, etwas, was in einer Regierungserklärung gesagt worden ist, nicht gehört zu haben oder anders zu interpretieren als die Koalition. Sie muß sich dann allerdings auch gefallen lassen, daß sie an diesen ihren Aussagen konsequenterweise gemessen wird.
Ich will das an zwei Beispielen etwas näher erläutern: Das eine ist die Aussage, wir würden den Verkehrsträger Schiene nicht genug fördern bzw. der Bahn nicht genug Chancen einräumen.
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Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Nur, wenn man die Schiene wirklich stärken will, muß man konsequenterweise auch darüber nachdenken:
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Was bedeutet das für den Energieverbrauch? Was bedeutet das für neue Strecken, gerade für solche im Güterbereich? Welche Konsequenzen hat das im Endeffekt?
Lassen Sie es mich am Beispiel der Bahn erklären: Die Deutsche Bundesbahn verbraucht auf ihren elektrifizierten Strecken derzeit ungefähr 8 000 Millionen Kilowattstunden Strom, Endenergie. Für 1 kWh Strom aus der Oberleitung brauche ich die dreifache Menge an Primärenergie. Wenn sie 10 % des Straßengüterverkehrs auf die Schiene verlagern wollen, bedeutet das dort eine Ausweitung der Transportkapazitäten um 100 %. Wenn wir diese Ausweitung im elektrifizierten Bereich durchführen, dann muß man konsequenterweise doch wenigstens auch einmal darüber nachdenken: Was heißt das hinsichtlich der Energieversorgung?
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- Nein, ich habe damit nichts zur Kernenergie gesagt. Ich habe nur gesagt, man müsse über diesen Bereich wenigstens nachdenken dürfen oder sich zumindest, wenn man verantwortlich handelt, Fragen dazu stellen.
Das zweite wird sein: Auf welchen Strecken soll denn mehr Verkehr laufen? Es ist, glaube ich, insgesamt auch im Verkehrsausschuß allgemeine Kenntnis, daß auf den Hauptabfuhrstrecken Kapazitätsengpässe bestehen, und zwar auch deshalb, weil der Personenverkehr Vorrang vor dem Güterverkehr hat. Ich kann den Güterverkehr nicht laufend in die Nacht verlagern; denn in der Zwischenzeit beschweren sich alle, die an Schienentrassen wohnen, daß sie nachts nicht mehr schlafen können, weil der Schienenverkehr selbstverständlich auch Lärm verursacht.
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- Ich kann Güterzüge nicht nur nachts fahren lassen, liebe Kollegin Ferner; also muß ich auch darüber nachdenken, für den Güterverkehr unter Umständen eigene Schienenwege zu bauen, auf denen eben nur Güterzüge fahren, zumindest da, wo es eng ist. Denn ich gehe davon aus, daß nicht allein durch Einsatz von Technik alle Problem- und Engstellen beseitigt werden können. Auch darüber muß man weiterhin nachdenken.
Ein weiteres ist die konsequente Umsetzung der Regionalisierungspolitik der Bahn und im Zusammenhang damit der Umbau des ÖPNV. Da haben wir ja gemeinsam das GVFG in Richtung auf eine Kompetenzverlagerung nach unten, auf die Landkreise und Kommunen insgesamt, selbstverständlich auch mit Kompetenz für die Finanzmittel, geändert. Nur, was ich jetzt bei der Umsetzung des geänderten GVFG, also beim konsequenten Umsetzen der Regionalisierungspolitik, sehe, ist die Überlegung: Wie kann gemeinsam Beschlossenes wegen angeblich unklarer Finanzierung verhindert werden? - Das GVFG ist aufgestockt. Es ist die einmütige Aussage aller Verkehrspolitiker, daß nach 1995 nicht ein absoluter Bruch kommen darf. Ich kann nicht von 6 Milliarden auf null zurückfahren. Es ist auch ganz klar ausgesagt, daß der Ausgleich nach § 45a des Personenbeförderungsgesetzes weiterhin gewährt wird. Nur muß jetzt auch vor Ort von den Verantwortlichen die Chance genutzt werden, sich Gedanken darüber zu machen, wie denn ein ÖPNV umgesetzt werden kann, und zwar in der Fläche mit anderen Kriterien als in den Ballungszentren; da gibt es ja andere Probleme.
Es gibt genug Beispiele in der Fläche dafür, daß ein ÖPNV, über den vor Ort entschieden wird und der durchdacht ist, der Bus, der Bahn und Taxen und flexible Linienbedienungen bringt, fast kostendekkend betrieben werden kann. Deckungsgrade im ÖPNV von 93 oder 96 % wie im Nahverkehrsmodell Hohenlohe oder von 87 oder 88 % im Nahverkehrsmodell Wunsiedel belegen doch, daß auch in der Fläche die Möglichkeit besteht, Individualverkehr zu vermeiden, wenn ein funktionierender ÖPNV da ist.
Aber selbst daraus darf man, glaube ich, nicht die Konsequenz ziehen, daß mit einem funktionierenden ÖPNV aller Individualverkehr vermieden werden kann. Selbst in Hohenlohe mit einer sehr hohen Funktionalität des ÖPNV beträgt der Anteil des Verkehrs, der durch den ÖPNV abgewickelt wird, knapp 13 % des Gesamtverkehrs. Das sind die Zahlen, die man sich vor Augen halten sollte, wenn man hier Forderungen aufstellt. Es nützt wirklich nichts, in der Verkehrspolitik nur plakativ zu fordern, sondern man muß das, was man will, auch konsequent umsetzen, und zwar bis in alle Bereiche hinein, insbesondere was den ÖPNV angeht, auch mit der Stärkung - ich sage es noch einmal - der Kompetenz vor Ort. Es nützt nichts, wenn jetzt mit allen möglichen Mitteln versucht wird, die Entscheidungen zu verhindern. Ich denke gerade an den Eiertanz um die Regionalisie7018
rung der Bahnbuslinie in Augsburg. Alles ist geklärt gewesen, und jetzt kommt Ingolstadt her und will das verhindern. Ich glaube, es ist nicht gelungen. Wenn sich alle bis auf eine Kommune einig sind, kann es doch nicht sein, daß diese eine Kommune die Regionalisierung einer Linie verhindert.
Zur Zukunft der Bahn in der Fläche vielleicht auch noch so viel: Die Bahn der Vergangenheit, als fast alle Orte mit einem Bahnhof und mit Schienen gesegnet waren, wird in dieser Form nicht mehr darstellbar sein. Der Bus ist in der Fläche, auch was die Umweltbelastung angeht, eine echte Alternative zur Schiene. Er hat den Vorteil, daß er wesentlich wendiger ist, daß also bei Neuansiedlung von Betrieben oder bei Verlagerung der Kompetenzen oder bei Änderung der Schulwege eine Anpassung schneller möglich ist als bei der Schiene. Wenn man eine wirklich konsequente Verkehrspolitik betreiben will, muß man sich ehrlicherweise einig darüber sein, daß in der Fläche die Bahn nicht das Allheilmittel und das alleinseligmachende Verkehrsmittel ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe PDS/Linke Liste befürwortet den Antrag auf Einführung einer generellen Anschnallpflicht auch für Kinder unter zwölf Jahren. Wir sind der Meinung, daß es genug Belege gibt, so daß die Bundesregierung nicht mehr lange überprüfen muß, ob eine solche Anschnallpflicht sinnvoll ist oder nicht. Die erforderliche Nachrüstung auch älterer Fahrzeuge muß dabei natürlich gewährleistet sein. Hierbei ist sicher zu beachten, daß dies preiswert geschieht, denn es fahren beispielsweise in der ehemaligen DDR noch sehr viele alte Trabbis durchs Land, die sicher nicht nur aus nostalgischen Gründen benutzt werden, sondern vor allem deshalb, weil sich viele Arbeitslose kein umweltfreundlicheres, moderneres und sicheres Auto leisten können. Viele Menschen mit Kindern haben oft leider keine andere Wahl, als auch mit solchen Autos zu fahren.
Ich möchte mich des weiteren auf einen Aspekt konzentrieren, auf den beispielsweise auch Herr Oswald hingewiesen hat. Ich bin schier überwältigt von der „Ehrlichkeit" der Appelle, daß sich jeder Bürger selbst entscheiden soll, welches Verkehrsmittel er benutzt. Ich wohne in Leipzig. Ich müßte schon fast lebensmüde sein, wollte ich mich heute für das Fahrrad entscheiden, statt mit der Straßenbahn oder mit dem Auto zu fahren. Aus eigener Erfahrung als Mutter zweier sehr lebhafter Jungen kann ich Ihnen auch sagen, daß es wesentlich bequemer ist, bei längeren Reisen den Zug an Stelle des Autos zu benutzen.
Herr Oswald hat vorgeschlagen, man solle sich entscheiden. Ich möchte einmal schlicht fragen, wie sich eine Frau entscheiden kann, die nicht soviel Geld verdient wie wir im Bundestag, wenn sie z. B. für die einfache Fahrt zwischen Marburg und Bonn im IC 74 DM, für die Hin- und Rückfahrkarte also 148 DM bezahlen soll. Für zwei Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren muß sie noch einmal dieselbe Summe bezahlen. Das sind dann insgesamt fast 300 DM. Bewältigt sie dieselbe Strecke mit dem eigenen Pkw, hat sie Benzinkosten in Höhe von etwa 40 DM. Gelingt es ihr, als Mitfahrerin mitgenommen zu werden, kann sie sogar noch unter diesem Betrag bleiben.
Eine Bahnfahrt kostet ein Vielfaches im Verhältnis zur Benutzung des eigenen Pkw. In Sachsen sind 62 % der Arbeitslosen Frauen. Nur ein Drittel dieser arbeitslosen Frauen wird wieder eingestellt. Insofern ist die Entscheidung, ob man das Benzingeld bezahlt oder sich eine Fahrkarte leistet, sehr schnell zu treffen.
Herr Minister Krause hat vorhin angesprochen, daß man sicher niemandem das Auto ausreden kann. Meine politische Position ist, hier einen Pluralismus anzustreben. Es sollten Bedingungen geschaffen werden, die es jedem Bürger tatsächlich ermöglichen, relativ frei von ökonomischen Zwängen selbst zu entscheiden, welches Verkehrsmittel er benutzen will: Auto, Fahrrad, Straßenbahn oder Bahn.
Die von ihm gezeichnete düstere Vision einer Zweiklassengesellschaft - Bürger mit und Bürger ohne Auto - kann ich nicht teilen. Mir kommen dabei - wie überhaupt bei der Beobachtung dieser Debatte - doch sehr patriarchalische Züge zum Vorschein. Wenn diese Debatte hier beendet sein wird, haben wahrscheinlich nur vier Frauen gesprochen. Ich denke, es gelingt den Herren hier im Bundestag nicht, sich von der Einschätzung des Autos als eines Statussymbols zu lösen. Ich würde mich freuen, wenn diese Herren mit derselben Einsatzfreude und Begeisterung für Kindergärten, für Krippen, für Spielplätze und für eine gesunde Umwelt für unsere Kinder kämpfen würden.
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Die Vision von Herrn Krause kann ich nicht teilen. Ich denke, er sollte sich davon lösen und der Realität ins Auge sehen, daß inzwischen schon eine Zweiklassengesellschaft in der Form entstanden ist, daß es auch die Gruppe derer gibt, die sich eine Bahnfahrt leisten können oder müssen, weil sie - wie ich - keinen Führerschein haben und nicht einfach auf andere Verkehrsmittel zurückgreifen können, wenn - wie derzeit in Mecklenburg-Vorpommern - der örtliche Personennahverkehr zusammenbricht. In diesem sehr weitläufigen Gebiet können das Land und die Kommunen nicht mehr gewährleisten, daß der Busverkehr aufrechterhalten wird. Dann hat der betreffende Bürger tatsächlich nur noch die Entscheidung, Auto zu fahren oder zu Hause zu bleiben.
Diese Dinge sollten Grundlage einer Überlegung sein, von solchen allgemeinen Appellen einmal abzusehen und auf die Realitäten zurückzukommen. Nur dies kann tatsächlich etwas nutzen.
Die PDS/Linke Liste sieht die generelle Anschnallpflicht für Kinder unter zwölf Jahren als eine notwendige Maßnahme an, aber es ist natürlich nur eine Klitterung an dem bestehenden System und wird die gesamten Probleme des Verkehrs nicht verändern. Gerade im Namen unserer Kinder fordern wir einen
völlig neuen Denkansatz. Beginnen Sie doch einmal damit, die Fragen der Mobilität in unserer Gesellschaft endlich nicht mehr vom Auto aus zu denken. Denken Sie vom Menschen aus, von Berufstätigen, Kindern, Menschen mit Behinderung, älteren Bürgerinnen und Bürgern! Entscheidend für die Planung z. B. einer Straße durch ein Wohngebiet sollte nicht mehr die möglichst hohe Durchlässigkeit des Verkehrsstroms sein, sondern sollte sein, wie diese Straße sich in die sozialen Strukturen dieser Stadt ein- und ihnen unterordnet.
Ich finde es schon erschütternd, wenn in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt mehr Fläche für das Auto zubetoniert wurde, als überhaupt als Wohnfläche von Menschen in Anspruch genommen wird.
Ich danke Ihnen.
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Nunmehr spricht der Abgeordnete Grotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Satz zu meiner Vorrednerin: Ich glaube, wir müssen uns alle gleichermaßen, ob Männlein oder Weiblein, den Herausforderungen der Verkehrspolitik stellen. Wir wissen ja gemeinsam, daß die Organisation und Akzeptanz des Verkehrs zu einer Frage seiner Umweltverträglichkeit, Sicherheit und Effizienz geworden ist.
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Die heutige Debatte hat dies deutlich unterstrichen.
Freilich gibt es Kapazitätsengpässe. Diese sind aber nicht, wie von der SPD auch heute wieder behauptet, Ergebnis einer verfehlten Verkehrspolitik. Vielmehr sind es Konsequenzen unserer erfolgreichen Wohlstandspolitik. Mobilität ist auch ein Stück Lebensqualität.
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Gerade dies verstehen die Ostdeutschen. Klar: Wo es keine Autos gab, gab es keine Verkehrsprobleme, brauchte man keine Straßen.
Die SPD bietet uns heute wieder ähnliches an. Straßen sollen nicht gebaut und die Autofahrer mit Verboten vergrault werden. Das ist Verkehrspolitik gegen die Bürger.
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Wir machen Politik mit dem Bürger und für den Bürger.
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Das gilt auch und vor allem für Ostdeutschland. Es bringt nichts, das Auto einseitig zu verteufeln.
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Wir müssen weg vom Entweder-Oder in der Verkehrspolitik. Verkehrspolitik der Zukunft heißt: Verkehr verlagern, Verkehr vermeiden und - ganz besonders - Verkehr vernetzen.
Wir, die CDU/CSU, unterstützen deshalb den verkehrspolitischen Ansatz der Bundesregierung, der einen verstärkten Ausbau der Verkehrsmittel vorsieht. Wir wollen eine ganzheitliche Verkehrspolitik. Verkehr muß fließen. Aber wir müssen weg vom einseitigen Verkehrswachstum. Straße, Schiene, Schiffahrt und Luftverkehr müssen im Verkehrs- und Umweltverbund zusammenarbeiten.
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Nicht eine drastische Beschneidung unserer Mobilität ist gefordert; dies wäre auch bei dem hohen Grad unserer wirtschaftlichen und sozialen Verflechtung gar nicht möglich. Gefordert ist vielmehr eine vernünftige Verteilung des Verkehrs auf mehrere tragkräftige Schultern.
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Die Vorteile eines jeden Verkehrsmittels müssen genutzt, die Nachteile müssen kompensiert werden.
Unser heutiger Entschließungsantrag, der Ihnen vorliegt, sieht daher folgendes vor:
Erstens. Alle Maßnahmen - Weiterentwicklung des Verkehrsrechts, technische Normen, öffentliche Verkehrsinvestitionen - sind daraufhin zu überprüfen, ob sie die Vernetzung fördern oder behindern.
Zweitens. Wir müssen die Schnittstellen von Individualverkehr und öffentlichem Verkehr optimieren. Auch aus diesem Grund waren die Novellierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes und die Erhöhung der entsprechenden Mittel so wichtig.
Drittens: kombinierter Verkehr. Die Bundesbahn hat hier die stärksten Wachstumsraten. In diesem Bereich gilt es, weiteres Potential zu erschließen; das heißt, wir müssen Güterverteilzentren bauen, um den kombinierten Verkehr auszuweiten. In diese Schnittstellen von Personen- und Güterverkehr sollte dann mehr privates Kapital fließen.
Viertens. Wir wollen die Vernetzung der Verkehre in enger Abhängigkeit mit einem kooperativen Verkehrsmanagement vorantreiben, also Aufbau von Informations- und Telematiksystemen.
Meine Damen und Herren, wir werden die Doppelaufgabe der umweltgerechten Verkehrsabwicklung bei gleichzeitigem Erhalt und weiterer Verbesserung unserer Mobilität nur bewältigen, wenn wir mit der begonnenen Vernetzung unseres Verkehrssystems fortfahren. Bund, Länder und Kommunen stehen hier in einer gemeinsamen Verantwortung.
Ich danke Ihnen.
({7})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt der Frau Kollegin Dr. Margrit Wetzel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute u. a. den Antrag über die generelle Sicherungspflicht für Kinder im Pkw zu beraten. Von der Regierung und von den
Regierungsfraktionsmitgliedern haben wir dazu leider nichts gehört.
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Obgleich es seit langer Zeit einen Handlungsbedarf gibt, hat der Minister seine Verordnungskompetenz nicht wahrgenommen. Das war Grund und Anlaß für die SPD, einen entsprechenden Antrag zu formulieren.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Herrn Börnsen von der CDU bedanken, daß er in Ihren Reihen dafür gesorgt hat, daß wir inzwischen zu einem breiten politischen Konsens darüber gekommen sind, daß wir eine politische Verantwortung für die Sicherung der Kinder in Pkw haben.
Ich möchte mich auch bei Ihnen, Herr Minister, dafür bedanken, daß Sie sich zum Multiplikator unserer Initiative gemacht haben. Sie haben uns eine Menge PR-Arbeit für die Akzeptanz bei den Bürgern und den Bürgerinnen abgenommen. Es war uns ein Vergnügen, Sie zum Jagen zu tragen, meine Herren.
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Aber kommen wir noch einmal zurück zum Eingemachten; ich denke, das ist ganz wichtig. Herr Gibtner, Sie haben die Konzeptionslosigkeit der Regierung bereits beklagt.
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Ich kann mich dem aus voller Überzeugung anschließen.
Ich darf hinzufügen, daß ich etliche Zweifel an der ökologischen Kompetenz der Regierung habe, daß ich zudem sehe, daß Sie falsche ökonomische Wege einschlagen und daß Sie politisch äußerst dubios handeln.
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- Das stimmt nicht, Herr Glos. Ich sehe allenfalls, daß Sie sich aufführen, als seien Sie vom Hummer in den Allerwertesten gezwickt worden. Das aber nur am Rande.
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Dieses politisch dubiose Handeln beginnt bereits bei der Selbstverpflichtung der Regierung zur CO2Reduzierung. Herr Minister, Sie können nicht auf der einen Seite sagen, Umweltverträglichkeit habe höchste Priorität - ich zitiere aus Ihrer Rede -, zum anderen aber Marginalien in dieser Richtung als große Tat verkaufen. Ernsthafte Handlungsvorschläge, die Ihnen vernünftige Gutachter, ernstzunehmende Wissenschaftler, vorgelegt haben, bezeichnen sie als Argumentationshilfe und verweisen sie im Grunde in wissenschaftliche Festvorträge.
Sie wollen gute Handlungsansätze mittel- bis langfristig prüfen. Zugleich sagen Sie, Sie wollen die Bürger nicht über die Maßen belasten. Sie beklagen, daß Umweltbelastung in die Preise eingehen muß, daß Preise eine ökologische Lenkungsfunktion haben sollen, begreifen aber nicht, daß das Vermeiden von Umweltbelastungen und das Verlagern auf umweltfreundliche Verkehre erheblich dazu beitragen, gesellschaftliche Kosten zu sparen. Dieses Kosteneinsparen ist wichtiger, als möglicherweise zu spät zu sanieren.
({5})
Daß etwas zu spät ist, ist auch meine Sorge in bezug auf dieses Jahrhundertwerk, wie es genannt worden war, Bahnstrukturreform. Wir wissen alle, wie unglaublich wichtig das ist. Wir wissen es aber nicht erst seit gestern. Wir haben lange Zeit auf die Vorschläge der Regierungskommission Bahn warten müssen.
({6})
Die Regierung redet jetzt von unternehmerischem Handeln, von unternehmerischer Bahn und von Organisationsprivatisierung. Herr Minister Krause hat uns gerade angekündigt, die Handlungsfähigkeit für die Bahn im Rahmen der gesetzgeberischen Möglichkeiten bzw. der organisatorischen Möglichkeiten prognostiziere er für 1993. Ich sage Ihnen: 1993 hat der ausländische Lkw den Markt fest in der Hand, wenn Sie nicht heute handeln.
({7})
Statt kalter Regionalisierung - und ich betone „kalte Regionalisierung", und die interessierte Fachöffentlichkeit weiß, was das heißt - geht es darum, das Transportaufkommen der Bahn zu sichern. Das schaffen Sie nur, wenn Sie sich nicht nur auf das Kernnetz beziehen, sondern wenn Sie das gesamte Schienennetz der Deutschen Reichsbahn sofort sanieren. Das schaffen Sie nur, wenn Sie Investitionsschwerpunkte setzen bei den Hauptmagistralen für den Güterverkehr. Ich freue mich, daß Sie mir zustimmen. Wo bleibt aber dann Ihr Standortkonzept für die Schnittstellen im kombinierten Ladungsverkehr? Wo bleibt es? Wir haben es nicht gesehen.
Genausowenig haben Sie uns heute vorgestellt oder auch nur einigermaßen überzeugend erläutert, wie Sie sich die Umsetzung der EG-Richtlinie 1893 vorstellen. Wo ist denn da Ihr Konzept? Wo bleiben vernünftige Aussagen, wie es gemacht werden soll? Nichts, gar nichts. Das sind in bezug auf die Daseinsvorsorge und auf die Bahnpolitik nicht nur ökologische und ökonomische Fehler, sondern auch politische, und das ist verkehrt, Minister Krause.
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- Danke, daß Sie mir meine eigenen Ratschläge geben. Ich werde Sie beherzigen.
Zu spät kommt auch der Bundesverkehrswegeplan. Er war für den Sommer 1991 angekündigt, und wir verschieben ihn jetzt ins Wintersemester 1992/93. Wir erkennen heute schon, daß der Schwerpunkt im Straßenbau liegt. Wir vermissen z. B. ein nationales Flughafenkonzept. Wir vermissen konkrete Aussagen dazu, wie Sie die Flughäfen anbinden wollen. Wollen Sie es über die europäische Hochgeschwindigkeits-politik der Bahn, oder wollen Sie den Transrapid als fünften europäischen Verkehrsträger einführen? Sie haben nichts Klares dazu gesagt; wir aber erwarten in einer Regierungserklärung klare Aussagen.
Statt dessen haben wir dubioses Handeln beim Steueränderungsgesetz. Eine einzige Bemerkung dazu. Sie sollten der deutschen Seeschiffahrt wachsende Transportaufkommen sichern, Transportanteile sichern, statt daß Sie Sterbehilfe geben über die Verdoppelung der Gewerbeertragssteuer. Auch dazu ist heute kein Wort verloren worden.
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Sie haben keinerlei Skrupel gehabt beim Abbau demokratischer Rechte. Sie haben keine Skrupel gehabt beim Abbau des vorsorgenden Umweltschutzes im Zusammenhang mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz. Aber Sie prüfen seit zwei Jahren, Herr Minister, ob die Investitionsmaßnahmegesetze denn nun der verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten, ob sie dem Abwägungsgebot gerecht werden. Ich weiß nicht, was Sie nach zwei Jahren dazu verlockt, das immer noch anzukündigen, in Wirklichkeit die Projekte ins Planungsrecht über die Rechtsverordnung jetzt rüberzuschieben und immer noch zu suggerieren, daß Sie glauben, wir Parlamentarier könnten schneller, konkreter und besser arbeiten als eingespielte sachkompetente Planungsbehörden. D as darf nicht wahr sein!
Eine einzige Bemerkung, weil meine Zeit mir wegläuft, zum Binnenmarkt. Deutschland ist Transitland Nummer eins. Aber ich habe am Montag zufällig in einem Restaurant Vertreter des saarländischen Güterkraftverkehrsgewerbes getroffen. Diese Praktiker haben mir genau das bestätigt, was wir sagen. Sie haben kein Vertrauen mehr darin, daß Sie in bezug auf die EG auch tatsächlich derjenige sind oder die Bundesregierung diejenige ist, die dort auch politisch durchsetzt, was wichtig ist, damit das Güterkraftverkehrsgewerbe nicht unter den extremen Wettbewerbsvorteilen des Auslandes leidet. Die fragen Sie ganz konkret: Was tun Sie gegen das Ausflaggen der Betriebe, was tun Sie für die Steuerharmonisierung? Wo bleiben die EG-verträglichen Abgabenlösungen als Vorschlag der Regierung? Nichts, nichts haben Sie dazu gesagt, überhaupt nichts.
Das heißt, an die Stelle konkreter, realisierbarer Politik tritt der Traum von Großprojekten. Herr Minister, ich kann Ihnen eines sagen: Dieser Traum hat ganz oft in der Vergangenheit in den alten Bundesländern dazu geführt, daß kleine, schnell realisierbare Maßnahmen nicht realisiert wurden. Ihr Traum von der privaten Vorfinanzierung kann unglaublich schnell zu einer Milchmännchenrechnung - ich betone „Milchmännchen" - werden oder zu einem Alptraum. Zu einem Alptraum deshalb, weil wir uns fragen müssen, wer denn letztendlich die Zeche bezahlt. Keine Assoziation bei dem Wort „Zeche", Herr Minister! Die Zeche wird in jedem Fall gezahlt von den uns Nachfolgenden, von den nächsten Generationen, einmal indirekt, weil nämlich die Fehler, die wir hier in der Verkehrspolitik gemacht haben, zementiert werden, und das so schnell wie möglich, und zum anderen direkt, weil Sie den uns nachfolgenden Politikergenerationen die Handlungs- und Entscheidungsspielräume nehmen durch die Verpflichtungsermächtigung für die nächsten 20, 30 Jahre.
So - und damit schlage ich den Bogen zu meinem Beginn, Herr Minister Krause - stellen wir uns die Sicherungspflicht für unsere Kinder nicht vor, weil wir nämlich nicht nur eine politische, sondern auch eine ethische Verantwortung für die Bewahrung der Lebens-, aber auch der Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen unserer Kinder haben.
Ich bedanke mich.
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Meine Damen und Herren, nun müssen wir den Herrn Bundesverkehrsminister dazu hören; er hat nun das Wort. - Herr Dr. Krause, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir wurde es schon richtig warm ums Herz, als Sie davon sprachen, daß ich auf zarten Händen getragen würde. Aber dann wurde es doch so, wie es immer wird.
Ich meine, daß ich auf wenige Sachverhalte eingehen sollte, weil sie bewußt falsch dargestellt werden. Wir haben in Europa die höchste Kfz-Steuer für Lkws und die höchste Belastung pro gefahrenem Kilometer. Ich stehe dazu, weil ich zur Verkehrswegekostenrechnung stehe, Sie aber wahrscheinlich nicht; denn sonst würden Sie das nicht kritisieren.
Deshalb ist es wichtig, daß wir in dem ersten Schritt, den wir gemeinsam realisieren müssen, dafür sorgen, daß die europäischen Mitgliedsländer eine gleich hohe Verkehrswegekostenanlastung einführen, wie wir sie in Deutschland bereits realisiert haben.
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Ich sehe nicht ein, daß der deutsche Steuerzahler die Verkehrsinfrastruktur bezahlt und Europa sie umsonst benutzt. Deshalb müssen wir in dem ersten Schritt dafür Sorge tragen, daß diese Verkehrswegekostenanlastung realisiert wird.
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Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß zur Zeit beim Europäischen Gerichtshof über ein Gesetz aus dem Jahre 1990 aus diesem Hohen Hause verhandelt wird. Wir werden im Urteil beim Europäischen Gerichtshof zu erwarten haben, daß wir denWeg zur Gebührener7022
hebung für den Lkw von der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt bekommen.
Allerdings würde ich - ich gucke jetzt einmal nach links hier im Haus - durchaus einen Konsens in der Zusammenarbeit sehen können, wenn Sie sich bei Ihren politischen Freunden, die in anderen europäischen Regierungen zur Zeit die Verantwortung haben, dafür einsetzten, daß sie in ihren Ländern die Kfz-Steuern entsprechend erhöhen. Dann würden wir wesentlich einfacher diskutieren können.
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Die Diskussion, wann wir dem deutschen Steuerzahler wieder in die Tasche greifen, sollte erst im zweiten Akt der Veranstaltung laufen; denn der erste Akt muß die europäische Harmonisierung sein. Das ist unsere Politik.
Sie haben heute soviel über Mineralölsteuererhöhung gesprochen. Als wir die Mineralölsteuer erhöht haben, waren Sie gar nicht dafür. Was soll das eigentlich?
({3})
Vom Kollegen Müller ist erklärt worden, ich hätte in meiner Regierungserklärung angeblich keine Beispiele gebracht, an welchen Stellen wir Verkehre vermeiden können. Ich habe sogar das Wort benutzt, aber Sie haben wahrscheinlich nicht zugehört; ich kann Ihnen das auch zuschicken. Ich habe darauf hingewiesen, daß es notwendig wird, im Güterverkehr Güterverkehrszentren einzurichten, die sich vor allem dem Nahverkehr widmen; denn ein Trugschluß in der Öffentlichkeit besteht nach wie vor darin, daß ausschließlich die Fernverkehre die Belastung darstellten.
Ich wiederhole deshalb zum besseren Verständnis das, was ich vorhin schon einmal sagte: 1 Milliarde Tonnen Fernverkehre stehen 3 Milliarden Tonnen Nahverkehre gegenüber.
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Deshalb haben wir jetzt die Förderung der Güterverkehrszentren über die Novellierung des GVFG organisiert, und wir können bis zu 60 % innerstädtischer Güterverkehre vermeiden. Dann sprechen Sie davon, daß wir keine entsprechenden Konzepte vorgeschlagen haben. Ich meine, so einfach kann man es sich in der politischen Argumentation nicht machen.
Ich möchte auf einen dritten Sachverhalt zu sprechen kommen. Wir werden mit dem Fahrplanwechsel die erste original ostdeutsche IC-Verbindung mit 160 km Geschwindigkeit zwischen Berlin und Dresden eröffnen können.
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Dank der ausgezeichneten Arbeit beider Vorstände, die heute hier im Parlament anwesend sind - ich bedanke mich recht herzlich bei den Vorständen der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Bundesbahn, daß sie die Politik der Regierung in dieser Frage mit unterstützen ({6})
haben wir nicht etwa als erstes die sogenannte Rollbahn, die Autobahn zwischen Berlin und Dresden ausgebaut, sondern uns ist es gelungen, durch den hervorragenden Einsatz vor allen Dingen der Eisenbahner zuerst die Strecke Berlin-Dresden auf knapp 160 km/h auszubauen.
Ich möchte Ihnen dazu reale Zahlen nennen: Wir haben in Ostdeutschland 4,5 Milliarden DM für die Infrastruktur der Schiene investiert und nur 2,3 Milliarden DM für den Bundesfernstraßenbau.
Da wir dort schon im letzten Jahr den verkehrspolitischen Neuanfang gestaltet haben, bin ich froh, daß wir in dieser Verkehrsdebatte doch einen weitgehenden Konsens gefunden haben. Ich freue mich, daß wir vor allem in den Fragen der Bahnreform die Gemeinsamkeit der Arbeit finden werden. Deshalb freue ich mich auch, daß wir bei der anstehenden Grundgesetzänderung keine Sorge tragen müssen, daß die Bahnreform von der Opposition abgelehnt wird.
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende dieser Debatte. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/1978, 12/2252 und 12/985 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 12/2281 und 12/2293 sollen zur Federführung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Ausschuß für Umwelt, Reaktorsicherheit und Naturschutz überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, daß das nicht der Fall ist. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu einem Richtlinienvorschlag der EG über Einbau und Benutzung von Geschwindigkeitsbegrenzern, Drucksache 12/2123. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE sowie der Gruppe PDS/ Linke Liste.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunkts.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 12/2255 Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf, und zwar dazu die Frage 62 des Abgeordneten Reinhold Hiller:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten, die für die Beseitigung der Altlasten auf Bundeswehr- und NATO-Liegenschaften in Schleswig-Holstein entstehen?
Vizepräsident Helmuth Becker
Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Willy Wimmer zur Verfügung. Bitte sehr.
Herr Kollege Hiller, die Erfassung, wie ich bereits gestern mehrfach sagen konnte, der Altlastenverdachtsflächen auf Bundeswehr- und NATO-Liegenschaften sowie die Erstbewertung des Altlastenverdachts in den westlichen Bundesländern sind beendet bzw. weitestgehend durchgeführt. Bevor die Gefährdungsabschätzung der Verdachtsflächen nicht durchgeführt worden ist, sind zuverlässige Aussagen über Art und Umfang der tatsächlichen Kontaminationen und somit zuverlässige Kostenangaben über ggf. notwendige Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen nicht möglich. Die Bundeswehr hat im Februar 1992 die Finanzbauverwaltung mit der Gefährdungsabschätzung der Altlastenverdachtsflächen auf Bundeswehr- und NATOLiegenschaften in den westlichen Bundesländern beauftragt, wie ich bereits hier mehrfach zum Ausdruck bringen konnte.
Zusatzfrage des Kollegen Hiller, bitte.
Herr Staatssekretär, rechnen Sie damit, diese Kosten ermitteln zu können?
Nach Abschluß der entsprechenden Untersuchungen. Ich habe gestern bereits darauf verwiesen, daß ich Ihnen gerne die zeitliche Perspektive zukommen lasse, die der Kollegin, die gestern danach gefragt hat, zugesagt wurde.
Herr Kollege Jungmann zu einer Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, das Bundesministerium der Verteidigung hat ja eine Liste der Altlastenfälle zusammengestellt. Können Sie ausschließen, daß noch andere Altlastenfälle auftreten können, oder ist das eine abschließende Liste?
Herr Kollege, aus guten Gründen schließen wir nie etwas aus. Wir haben uns natürlich sachlich darauf vorbereitet und darauf abgestellt, was zu untersuchen ist, aber wenn es Tatbestände gibt, die Veranlassung zu weiterem Nachdenken geben, dann sind wir die letzten, die sich nicht darauf einstellen würden.
Ich rufe jetzt Frage 63 der Frau Kollegin Siegrun Klemmer auf:
Welcher Anteil ({0}) der etwa 300 Mio. t Munition aus ehemaligen NVABeständen muß vernichtet werden, und welche umweltverträglichkeitsgeprüften Einrichtungen stehen auf dem Boden der fünf neuen Länder dafür zur Verfügung?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Verehrte Frau Kollegin, es müssen noch etwa 115 000 t von ursprünglich 300 000 t - und nicht, wie fälschlicherweise gefragt wurde, von 300 Millionen t - Munition aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee entsorgt werden.
Als Entsorgungsbetriebe stehen in den neuen Bundesländern derzeit zur Verfügung: erstens die Mechanischen Werkstätten in Königswartha, zweitens die Spreewerke in Lübben, drittens das Feuerwerk Sachsen in Freiberg, viertens die Pyrotechnik Silberhütte in Silberhütte, fünftens die EBV in Vogelgesang und sechstens die INPAR in Pinnow.
Alle genannten Betriebe haben innerhalb des im Einigungsvertrag festgelegten Zeitraumes - bis Ende 1994 - über eine sogenannte Altanlagenanzeige die Möglichkeit, nach den bis zur Wiedervereinigung praktizierten Verfahren Munition zu entsorgen, d. h. unter anderem eine offene Verbrennung von Treibladungspulver durchzuführen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Klemmer, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, obwohl Sie ja sicher wissen, daß bei einer solchen Verbrennung eine Menge Gift in die Luft abgelassen wird, u. a. Stickoxide, Dioxine, sogar Quecksilber, frage ich Sie: Gehen Sie davon aus, daß Sie weitere offene Verbrennungsöfen installieren müssen?
Frau Kollegin, wir gehen davon aus, daß die von mir hier genannten sechs Unternehmen von der Möglichkeit nach dem Einigungsvertrag Gebrauch machen. Wir beabsichtigen derzeit nicht, weitere Anlagen zu installieren, die nach diesem Kriterium tätig werden können.
Noch eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Klemmer, bitte.
Können Sie irgend etwas über das Personal aussagen, das in diesen Anlagen beschäftigt ist? Ist das Personal nach der Einigung irgendeiner Fort- und Weiterbildung unterzogen worden, und sind die Menschen, die dort arbeiten, über die Gefährdungen, die dort für Mensch und Umwelt bestehen, aufgeklärt worden?
Wenn das Gegenstand der gesetzlichen Bestimmungen ist, können Sie davon ausgehen, daß im Rahmen dieser gesetzlichen Bestimmungen auch eine Unterrichtung der Mitarbeiter erfolgt ist.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jungmann, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Parlament mitteilen, wieviel t Munition auf die von Ihnen beschriebene Art bisher beseitigt worden sind und wieviel Munition bis zum Auslaufen der bis zum Jahre 1994 gegebenen Möglichkeit, diese Munition zu vernichten, auf diese Weise noch beseitigt werden soll, und wann gedenkt die Bundeswehr, umweltfreundliche Verfahren zur Beseitigung von Munition auszuschreiben, das den Kriterien der Gesetzgebung in der alten Bundesrepublik für die Vernichtung von Munition entspricht?
Bezüglich der zuletzt genannten Problematik kann ich Ihnen - auch unter Angabe des Standortes - sagen, wie der Stand der Dinge ist. Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich Ihnen die Antwort schriftlich zukommen, damit es keinen Irrtum bezüglich der Standorte gibt.
Sie haben ja zwei Fragen gestellt, wenn ich mir die Frage erlauben darf.
({0})
Zu der von Ihnen erfragten Überlegung bezüglich der tatsächlichen Entsorgung, zu dem eigentlichen Umfang dessen, was wir vorgefunden haben, und zu dem Restbestand kann ich Ihnen sagen, daß von den ursprünglichen 300 000 t entsprechende Abgaben an andere Staaten erfolgt sind, d. h. wir haben Munition an Dritte weitergegeben. Jetzt sind noch 223 000 t vorhanden. Von diesen 223 000 t Munition sind 108 000 t vertraglich für eine Abgabe an andere Staaten gebunden.
Diese anderen Staaten, um das auch gleich zu sagen, sind die Türkei, Griechenland und ein Staat, dem wir zugesichert haben, keine Angaben über die Einzelheiten zu machen. Der Staat ist Ihnen bekannt, Herr Kollege.
({1})
Ich rufe Frage 64 der Frau Kollegin Siegrun Klemmer auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht - vorausgesetzt, der Bund übernimmt die finanziellen Anforderungen, die sich bei der Erkundung und Beseitigung von Rüstungsaltlasten ergeben -, daß die Verbrennung chemischen Rüstungsmülls wie auch großer Mengen Pulvers ohne jede Filtertechnik und unter Umgehung üblicher Genehmigungsverfahren unter ökologischen Gesichtspunkten unverantwortlich ist, daß daher dieselbe nicht mehr unter Eigenregie des Militärs erfolgen darf, sondern einer noch einzurichtenden bundeseigenen, öffentlich-rechtlichen Gesellschaft unter Beteiligung der Länder zu überantworten ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Die Entsorgung von Munition erfolgt nicht in Eigenregie der Streitkräfte. Sie liegt vielmehr vollständig bei der Industrie, die selbstverständlich auch die geltenden Gesetze beachten muß. Dies sage ich im Nachgang zu der Zusatzfrage, die eben gestellt wurde.
Die beauftragten Firmen arbeiten im Rahmen der Betriebsgenehmigung, die durch die zuständigen Behörden erteilt wird.
Es ist nicht daran gedacht, die Verantwortung für die Entsorgung einer bundeseigenen öffentlichrechtlichen Gesellschaft zu überantworten. Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Vergabe der restlichen Munitionsbestände im Wettbewerb eingeleitet.
Chemischer Rüstungsmüll ist weder vorhanden noch fällt er im Rahmen der Munitionsentsorgung an.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Klemmer. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für besser, den Zeitraum, der im Einigungsvertrag für diesen Vorgang vorgesehen ist, nicht auszuschöpfen und schon vorher die Vernichtung nach Umweltkriterien - nach gründlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen - vorzunehmen?
Frau Kollegin, der Hinweis darauf, daß wir es hier derzeit mit Ausschreibungssachverhalten zu tun haben, bei denen derartige Dinge eben nach den für die ganze Bundesrepublik gültigen Kriterien entsorgt werden müssen, macht vielleicht deutlich, daß wir in dieser Frage gar nicht auseinanderliegen. Wir bemühen uns natürlich auch darum, dieses Material nach anderen Kriterien zu entsorgen, und ich habe eben bereits zugesagt, daß ich Ihnen gern umfassende Informationen darüber zukommen lassen werde, auf welche Standorte sich dies bezieht. Sie bekommen diese Informationen auch von mir.
Eine weitere kurze Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Klemmer.
Können Sie vielleicht doch schon heute ganz kurz einen Überblick über den erwarteten Zeitraum geben?
Das kann ich Ihnen so aus der Hand nicht sagen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin deutlich gemacht, daß ein Teil der Munition durch Abgabe an andere Staaten sozusagen aus der Bundesrepublik Deutschland weggebracht wird. Können Sie denn ausschließen, daß die aus der Bundesrepublik Deutschland exportierte Munition auf Umwegen in Teilen der GUS-Staaten auftaucht?
Herr Präsident, mit der ursprünglichen Frage hat das nichts zu tun.
Richtig, eigentlich hat es nichts damit zu tun.
Aber ich will aus gutem Grund die Frage dennoch beantworten, wenn Sie mir das gestatten.
Bitte sehr.
Wir haben mit diesen Staaten so exakte und genaue vertragliche Vereinbarungen abgeschlossen, daß nach menschlichem Ermessen allein von der Dimension Ihrer Frage her nichts zu befürchten ist, nach vertraglichem Interesse ohnehin nicht.
Im übrigen handelt es sich um Staaten, mit denen wir seit Jahrzehnten freundschaftlichste Beziehungen haben.
Ich rufe nunmehr die Frage 65 des Abgeordneten Stephan Hilsberg auf:
Vizepräsident Helmuth Becker
Welche Maßnahmen bzw. welches Äquivalent sieht die Bundesregierung für die Spreewerk Lübben GmbH für den Fall vor, daß entgegen eines mit dem Bundesministerium der Verteidigung bzw. dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung getroffenen Übereinkommens, wonach dieser Betrieb 1992 ca. 300 Mio. Schuß Munition aus den Beständen der NVA aufbereiten sollte, durch eine Sperrung der Munitionsanlieferung seitens des Bundesministeriums der Verteidigung zum 31. März 1992 die Arbeitsgrundlage erheblich gefährdet wird, was sich bereits jetzt in Form von Kurzarbeit deutlich abzeichnet und in absehbarer Zeit wahrscheinlich die Liquidation des Betriebes zur Folge haben dürfte?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Das Spreewerk Lübben delaboriert und entsorgt Schützenwaffenmunition. Die Bestände dieser Munitionsart sind so geschrumpft, daß eine weitere Auslastung des Betriebes nicht mehr gewährleistet ist. Die Delaborierungseinrichtungen des Werkes sind aber speziell auf diese Munitionsart ausgerichtet. Ein Übergang auf andere Munitionsarten müßte durch das Werk erst vorbereitet werden. Deshalb kann kurzfristig durch das Bundesministerium der Verteidigung auch keine andere Lösung des Problems angeboten werden.
Seitens des Bundesministeriums der Verteidigung oder des nachgeordneten Bereichs wurden keinerlei Sperrungen von Munitionslieferungen vorgenommen.
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Stephan Hilsberg auf:
Wieviel Schuß Munition sind von der Menge, die mit der Vereinigung aus den Beständen der NVA, des MinI und des MIS übernommen wurden, jetzt noch vorhanden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hilsberg, wegen der Vielfalt der Munitionstypen und der Unübersichtlichkeit werden die Munitionsbestände nicht in Stückzahlen, sondern in BruttoTonnen angegeben. Mit Brutto-Tonnen wird das Gewicht der Munition inklusive der Verpackung bezeichnet.
Von den ursprünglich ca. 300 000 Brutto-Tonnen übernommener Munition sind jetzt noch - wie ich eben sagte - 223 000 Tonnen vorhanden. Darin sind ca. 11 000 Tonnen Munition anderer Ressorts enthalten.
Ich darf ergänzend erwähnen: Es gibt auch Munitionsbestände des Ministeriums des Innern, der Grenztruppen und anderer Kampfgruppen und sonstiger Einrichtungen, von denen wir einiges übernommen haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hilsberg.
Ich beziehe mich im Grunde noch einmal auf die Frage von vorhin, wenn ich das tun darf.
Können Sie nicht bestätigen, daß Sie ein Übereinkommen mit dem Betrieb getroffen haben, nach dem dieser Betrieb mehr Munition entsorgen konnte, als ihm jetzt zur Verfügung steht?
Die Vereinbarungen, die mit diesem Unternehmen bestanden, habe ich Ihnen wiedergegeben.
Ich rufe dann die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Holger Bartsch auf:
Entspricht es der Wahrheit, daß zwischen der Spreewerk Lübben GmbH und dem Bundesministerium der Verteidigung bzw. dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung ein Übereinkommen existiert, gemäß welchem der ehemalige Munitionsbetrieb mit der Delaborierung von ca. 300 Millionen Schuß Munition aus den Beständen der NVA für das Jahr 1992 betraut wurde bzw. worauf beruht eine diesbezügliche Auffassung in oben genanntem Betrieb?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Bartsch, im Rahmen der Munitionsentsorgung haben sechs Unternehmen in den neuen Bundesländern seit Anfang 1991 Verträge zur Delaborierung und Entsorgung von Munition der ehemaligen Nationalen Volksarmee. Eine dieser Firmen ist das vorgenannte Spreewerk Lübben. Die Verträge wurden von der bundeseigenen Verwertungsgesellschaft Vebeg/ Treuag geschlossen. Übereinkommen zwischen dem Bundesminister der Verteidigung bzw. dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung und dem Spreewerk Lübben existieren nicht. Die Firma delaboriert und entsorgt Schützenwaffenmunition. 1991 wurden dort ca. 208 Millionen und 1992 bislang 83 Millionen Schuß delaboriert und entsorgt.
Zusatzfrage des Kollegen Bartsch, bitte.
Können Sie, egal, wer der Vertragspartner ist, eine Aussage darüber machen, welche Verbindlichkeit und Planungssicherheit dieser Betrieb für welchen Zeitrahmen aus dem Vertrag ableiten konnte?
In meiner vorherigen Antwort habe ich deutlich gemacht, daß die Planungssicherheit nur im Rahmen der Aufgabenerfüllung gegeben ist und diese sich offensichtlich ihrem Ende nähert. Darüber hinaus kann ich zu diesem Komplex keine weiteren Aussagen machen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Bartsch.
Gehe ich recht in der Annahme, daß es gegenüber diesem Betrieb für 1992 keine Mengenzusagen gegeben hat?
Vereinbarungen mit dem Spreewerk Lübben sind nur im Rahmen der von mir dargestellten Überlegungen gegeben gewesen.
Zusatzfrage des Kollegen Hilsberg, bitte sehr.
Heißt das, daß Sie in Ihrer Übereinkunft mit dem Betrieb keinerlei Aussagen zur Quantität der zu entsorgenden Munition gemacht haben?
Da das - wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf - eine unspezifizierte Frage ist, biete ich gerne an, daß wir über Einzelheiten ein Gespräch führen, damit es nicht zur Verunsicherung bezüglich Sachverhalten kommt.
({0})
Wir haben jetzt die Frage 68 des Kollegen Holger Bartsch:
Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß nach Informationen aus dem Spreewerk Lübben GmbH die Lieferungen von Munition durch eine entsprechende Weisung des Bundesministeriums der Verteidigung an das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung demnächst gestoppt wird, weil für die genannte Munition eine andere Verwendung vorgesehen sein soll?
Das Spreewerk Lübben delaboriert und entsorgt Schützenwaffenmunition. Die Bestände dieser Munitionsart sind so geschrumpft - ich sagte es eben bereits -, daß eine weitere Auslastung des Betriebes nicht mehr gewährleistet ist. Seitens des Bundesministeriums der Verteidigung oder des nachgeordneten Bereiches wurden keinerlei Sperrungen von Munitionslieferungen vorgenommen.
Ich darf der guten Ordnung halber, Herr Präsident, wegen des vorhin gemachten Zwischenrufes sagen, daß sich mein Gesprächsangebot nur auf den hier fragenden Kollegen bezieht.
Kollege Bartsch, Zusatzfrage, bitte sehr.
Sie haben gesagt, es hat keinerlei vertragliche Vereinbarung gegeben. Wie erklären Sie sich dann, daß die Leitung dieses Unternehmens für die gesamte Unternehmensstrategie - man muß in diesem Fall schon sagen: Überlebensstrategie - ganz fest von einer bestimmten Menge für das Jahr 1992 ausgegangen ist und gegenüber der Treuhand dargestellt hat, daß es erst ab 1993 in ein vollkommen neues Feld einsteigen kann?
Herr Kollege, ich kann mir nur etwas erklären, was in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung fällt. Derartige Sachverhalte fallen nicht in unseren Zuständigkeitsbereich.
Zusatzfrage des Kollegen Jungmann, bitte.
Herr Staatssekretär, kann es so sein, daß in der Vergangenheit mehr Munition an befreundete Staaten abgegeben worden ist, als zur Vernichtung vorgesehen war, und daß dadurch die Auslastung des Betriebes nicht mehr gegeben ist?
Ich habe gewisse Schwierigkeiten - das werden Sie verstehen -, auf hypothetische Fragen hypothetisch zu antworten.
({0})
Ich rufe die Frage 69 der Kollegin Ulrike Mehl auf:
Wann wird das aufzulösende Ahlhorner Hubschraubertransportgeschwader 64 ({0}) nach Hohn verlegt, und welche Anzahl aus den verschiedenen fliegenden Systemen wird dort stationiert?
Frau Kollegin Mehl, gemäß der Ressortentscheidung vom 5. August 1991 über die künftige Stationierung der Bundeswehr wird das Hubschraubertransportgeschwader 64 in Ahlhorn in Schritten bis Ende 1994 aufgelöst. Die Hubschrauber des Geschwaders werden auf die bestehenden Lufttransportgeschwader Transall sowie die Flugbereitschaft des BMVg aufgeteilt. Das bedeutet, daß am Standort Hohn, beginnend voraussichtlich noch in 1992, eine Staffel mit insgesamt 24 Hubschraubern vom Typ Bell UH 1 D stationiert wird. Von diesen Hubschraubern werden ständig vier außerhalb des Flugplatzes Hohn für SAR und zivile Notrettungsaufgaben auf den Standorten Faßberg, Ahlhorn, Hamburg und Laage im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bereitgehalten werden.
Zusatzfrage der Frau Kollegin Mehl, bitte.
Wann wurde das entschieden, und wer exakt hat es entschieden?
Ich habe eben erklärt, daß das am 5. August 1991 vorgetragen worden ist. Entscheidungen dieser Art werden durch den Bundesminister der Verteidigung gefällt.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Mehl, bitte.
Ist diese Stationierung zeitlich begrenzt, oder ist sie auf Dauer angelegt?
Das ist die endgültige Entscheidung über die Stationierung.
Eine weitere Zusatzfrage? - Ich darf zunächst mal sagen, daß wir manchmal ein bißchen raten müssen, wer Zusatzfragen stellen will. Für schnelles und rasches Handzeichen wäre ich deshalb sehr dankbar. - Frau Kollegin Klemmer, bitte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie Kenntnisse oder gibt es Untersuchungen über Auswirkungen und Einflüsse von Hubschrauberlärm auf Mensch und Umwelt, und wenn Sie solche Erkenntnisse haben, teilen Sie uns doch bitte mit, wo Sie sie herhaben?
Wir haben, Frau Kollegin, unabhängig von dem Zusammenhang mit dieser Frage über alle möglichen Auswirkungen alle
möglichen Erkenntnisse, und diese beziehen sich auf alle möglichen, auch wissenschaftlich gesicherten Quellen.
({0})
Ich darf noch einmal auf zwei Regeln aufmerksam machen: Die Fragen, die gestellt werden, müssen kurz sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen. So können Sie das in der Geschäftsordnung nachlesen.
({0})
Das zweite: Die Fragen müssen in einem Zusammenhang mit der Ursprungsfrage stehen. Das tun sie hier nicht in jedem Fall; da sind wir, glaube ich, einer Meinung.
Nun Frau Klemmer.
Herr Präsident, darf ich mir die Anmerkung zu Ihrem Vorhalt von eben erlauben, daß es eine Antwort sein muß.
Nein, dürfen Sie nicht, weil Sie einen amtierenden Präsidenten nicht kritisieren können.
({0})
Zusatzfrage der Frau Kollegin Müller.
Damit kommen wir wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. Herr Staatssekretär, ich habe an Sie die Frage: Liegt für den Flugplatz Hohn eine sogenannte Bezeichnung nach § 1 des Landbeschaffungsgesetzes vor?
Diese Frage würde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten.
Nun der Kollege Jungmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß aus der Bevölkerung Bedenken gegen die Stationierung der Hubschrauber in Hohn geäußert worden sind auf Grund der zu erwartenden Lärmbelästigungen, und liegt dem BMVg ein Gutachten vor über Lärmbelästigungen durch Hubschrauber, und wären Sie bereit, dies dem Parlament gegenüber zu veröffentlichen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir im Rahmen der parlamentarischen Möglichkeiten über Erkenntnisse unseres Hauses jedem Kollegen Aufschluß geben. Wenn in diesem Falle das, was Sie hier frageweise unterstellen, zutreffen sollte, wird Ihnen das zugänglich gemacht.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Otto.
Ich möchte gerne wissen, welche Mindestflughöhe für Hubschrauber vorgeschrieben ist und in welcher Höhe diese gewöhnlich fliegen?
Frau Kollegin, diese Frage steht nun wirklich erkennbar nicht im Zusammenhang mit der hier zugrundegelegten Frage, aber über die Flugbetriebsvorschriften der Bundesluftwaffe gebe ich Ihnen gerne Auskunft, auch über die Heeresfliegerkräfte werden Sie die Unterlagen von mir zugestellt bekommen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich auf, die Frage 70 der Frau Ulrike Mehl:
Welche Umbaumaßnahmen auf dem Fliegerhorst Hohn sind für den Fall der zusätzlichen Hubschrauberstationierung, z. B. zum Unterstellen und zur Wartung der Maschinen oder auch zur Unterbringung der Soldaten, erforderlich und beabsichtigt?
Derzeit sind im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verlegung der Hubschrauber keine Umbaumaßnahmen auf dem Flugplatz Hohn vorgesehen. Das zusätzliche Personal kann ohne weiteres untergebracht werden, da die derzeit in Hohn stationierte Radarführungsabteilung 13 wegverlegt und dadurch ausreichende Räumlichkeiten freigemacht werden. Dem Bundesministerium der Verteidigung ist vor kurzem eine militärische Bedarfsforderung für den Neubau von zwei Hallen für Abstell- bzw. Wartungs- und Instandsetzungszwecke vorgelegt worden, über die nach Durchführung eines Raumabgleiches vor Ort noch zu entscheiden sein wird.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Mehl, bitte.
Sie haben also noch keine genauere Auskunft darüber, daß das, was Sie eben zum Schluß sagten, stattfindet, wo auf diesem Flughafen es stattfindet und was es kostet?
Die entsprechenden Planungen werden jetzt durchgeführt - das habe ich gerade zum Ausdruck gebracht -, und wenn wir die normalen verwaltungsmäßigen Überlegungen dazu abgeschlossen haben, werden wir Kenntnis über die Dimensionen dessen haben, was Sie gerade nachfrageweise von mir wissen wollten.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Blunck, bitte.
Herr Staatssekretär, liegt für den Flugplatz Hohn aus der Vergangenheit ein Planfeststellungsbeschluß gemäß Luftverkehrsgesetz vor, und wenn ja, von wann?
Da auch diese Frage erkennbar nicht im Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage steht,
({0})
werden Sie verstehen, wenn ich Ihnen das Angebot einer schriftlichen Beantwortung mache. - Man muß die Antwort immer ganz hören.
({1})
Frau Kollegin Mehl, keine weiteren Fragen?
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen, soweit Sie sie vornehmen konnten, und für das Angebot, manches noch schriftlich und mündlich nachzuholen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Die Fragen 10 des Abgeordneten Klaus Harries, 11 und 12 des Abgeordneten Helmut Lamp sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 13 unseres Kollegen Dr. Martin Mayer ({0}) auf:
Welche unmittelbaren und mittelbaren Hilfen gewährt die Bundesregierung in diesem Jahr und den kommenden Jahren den ost- und mittelosteuropäischen Staaten zur Behebung von Umweltgefahren und Umweltbelastungen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Mayer, die gravierenden Umweltprobleme in Mittel- und Osteuropa haben ihre Ursache in erster Linie in einer einseitig auf Erfüllung von Produktionsnormen gerichteten staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik. Ein ganz erheblicher Teil der Umweltbelastungen steht im Zusammenhang mit dem Betrieb von Anlagen, die nicht dem Stand der Technik entsprechen. Folgerichtig sind, auch zur Verbesserung der Umweltsituation, die Absicherung und Förderung des wirtschaftlichen Strukturwandels in Mittel- und Osteuropa in den Mittelpunkt unserer Bemühungen zu stellen. Daneben stellt sich im Bereich des Umweltschutzes die Aufgabe, den wirtschaftlichen Wiederaufbau in den Ländern Mittel- und Osteuropas ökologisch abzusichern.
Im Rahmen bestehender bilateraler Umweltabkommen mit der CSFR, Ungarn, Bulgarien und Polen leistet die Bundesregierung durch einen intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Umweltgesetzgebung sowie im wissenschaftlich technischen Bereich unmittelbar technische Hilfe. Die Zusammenarbeit, die im Rahmen eines entsprechenden deutsch-sowjetischen Abkommens vereinbart war, wird nunmehr mit der Russischen Föderation fortgesetzt. In der vergangenen Woche befand sich der russische Umweltminister DanilowDaniljan zu Gesprächen mit Bundesminister Töpfer über die Fortsetzung der Zusammenarbeit in Bonn. Dabei wurde eine Zusammenarbeit in einer Reihe von konkreten Projekten vereinbart.
Weitere Abkommen sind vorgesehen mit Rumänien, Estland, Lettland, Litauen, Weißrußland, der Ukraine und Albanien.
Im Vordergrund der in diesem und in den nächsten Jahren geplanten Maßnahmen steht die Unterstützung bei der Schaffung einer effizienten Umweltgesetzgebung und dem Aufbau moderner Umweltverwaltungen.
Für unmittelbare Umweltinvestitionen zur Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen stehen im Bundeshaushalt dieses Jahr Mittel in Höhe von 40 Millionen Deutsche Mark und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von weiteren 40 Millionen D-Mark zur Verfügung. Diese Mittel sind für Demonstrationsprojekte mit Anstoßcharakter gedacht, die aufzeigen sollen, wie durch Anlagen nach dem neuesten Stand der Technik grenzüberschreitende Umweltbelastungen vermindert werden können. Geplant sind Projekte im Bereich der Luftreinhaltung und im Gewässerschutz, vorwiegend in Polen und der Tschechoslowakei.
Zusatzfrage des Kollegen Mayer, bitte.
Herr Staatssekretär, sind diese Mittel in den 300 Millionen DM enthalten, die Ergebnis der Gesamtbestandsaufnahme waren, die vom Kabinett nach Zeitungsberichten vorgenommen worden ist?
Diese Mittel sind nach meiner Kenntnis nicht in den 300 Millionen DM enthalten. Wenn es anders sein sollte, werde ich das schriftlich richtigstellen.
Eine weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Klemmer, bitte.
Herr Staatssekretär, können sie etwas darüber sagen, ob Maßnahmen, die einem besseren Sicherheitsstandard und dem Nachrüsten von Kernkraftwerken dienen, auch in diesem Bereich anzusiedeln sind, und können Sie etwas über die Höhe der. dort geleisteten Hilfen sagen?
Frau Kollegin, bei solchen Fördermaßnahmen sind immer zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Erstens muß die Umweltqualität, also auch im Hinblick auf Radioaktivität, in der Bundesrepublik Deutschland verbessert und Sicherheit bei grenzüberschreitenden Auswirkungen gewährleistet werden.
Zweitens muß der Stand der Technik realisiert werden. In dieser Hinsicht stehen natürlich auch Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsstandards bei diesen Kernkraftwerken mit im Blickfeld unserer besorgten Überlegungen. Weil dies eine sehr schwierige, ins einzelne gehende Frage ist, bin ich im Augenblick aber nicht in der Lage, Ihnen aus dem Stand Einzelheiten zu sagen. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich Ihnen Schriftliches nachliefern möchte.
Frau Kollegin Blunck hat noch eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Antwort, die Sie auf diese Frage gegeben haben, schließen, daß es bei uns im Westen, in den
westeuropäischen Staaten keinerlei Umweltgefahren und Umweltbelastungen gibt, weil die ja - wie Sie ausführten - nur auf Grund von Mißwirtschaft entstehen?
({0})
Frau Kollegin Blunck, ich bin nach den Maßnahmen gefragt worden, die wir beim Aufbau
({0})
in den ost- und mitteleuropäischen Staaten fördern und unterstützen, wo die Probleme im Bereich der Umwelt ganz besonders vordringlich der Sanierung harren und wofür ganz besondere Aufbauleistungen zu erbringen sind. Ich bitte Sie, meine Antwort in diesem Zusammenhang zu verstehen.
Noch eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mayer. Bitte.
Sind bei diesen Mitteln für den Umweltschutz besondere Schwerpunkte zu erkennen? Hat hierbei auch die Umweltforschung einen besonderen Platz?
Kollege Mayer, zum Beispiel im Rahmen der deutsch-russischen Umweltzusammenarbeit, von der ich bereits sprach, gibt es eine ganze Reihe von Projekten mit Studien etwa über die Verminderung von CO2, zur Umweltsicherung in bestimmten Regionen, über das ÖkoMonitoring etc. Also auch im Hinblick auf die Erforschung der tatsächlichen Belastungssituationen wird einiges getan und gefördert.
Ich rufe nun die Frage 14 des Abgeordneten Bernd Reuter auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch eine Pressemitteilung des Bundesgesundheitsamtes der Eindruck erweckt worden ist, daß der Umgang mit Bio- und Komposttonnen ein besonderes gesundheitliches Risiko darstellt, obgleich die dieser Behauptung zugrundeliegenden Untersuchungen völlig unzureichend waren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Reuter, das Bundesgesundheitsamt hat in einer Presseerklärung vom 13. November 1991 auf mögliche Gefahren für abwehrgeschwächte Menschen hingewiesen. Für diese Personen sei eine Infektion durch Pilzsporen beim Umgang mit der Bioabfalltonne und gegebenenfalls auch mit den daraus hergestellten Komposten denkbar.
In derselben Presseerklärung bezeichnet das Bundesgesundheitsamt die Kompostierung von Bioabfall als grundsätzlich sinnvoll und hebt hervor, daß Gefahren durch diese Pilze für gesunde Menschen nicht bestehen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reuter!
Herr Staatssekretär, mir liegt eine Presseerklärung des BGA mit der Überschrift „Gefahr durch Biotonne" vor. Ich hätte von der Bundesregierung gern gewußt, ob die Pilzsporen, die beim normalen Hausmüll entstehen, wenn der Kompost dabei liegt, weniger gefährlich sind als die Pilzsporen, die allein entstehen, wenn der Kompost heraussortiert wurde.
Pilzsporen sind in unterschiedlicher Konzentration überall dort präsent, wo organisches Material zerfällt, z. B. auch im Wald, in der Blumenerde, in Komposten usw.
({0})
Im Bereich der Kompostierung besteht noch ein Untersuchungsbedarf, dem man nachgeht.
Wenn gewisse Gesundheitsgefahren bestehen, hat die betroffene Bevölkerung ein Recht darauf, darüber aufgeklärt zu werden. Das Bundesgesundheitsamt hat dies differenziert getan und Risikogruppen mit einem geschwächten Immunsystem ausdrücklich genannt.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Reuter, bitte.
Wie bewertet die Bundesregierung eigentlich den Sachverhalt, daß z. B. das Bundesgesundheitsamt eine solche Erklärung herausgibt, obwohl Professor Staib den Inhalt der Bio-Tonne überhaupt nicht untersucht hat?
({0})
Auch mir liegt diese Pressemitteilung vor. Dort wird gesagt, daß eine Untersuchung des Bundesgesundheitsamtes ergeben hat: In einem Gramm Bioabfall Komposterde fanden sich ca. 50 000 infektionstüchtige Einheiten des Pilzes Aspergillus fumigatus. Die Probe stammte aus der Kompostieranlage einer deutschen Großstadt.
Das Bundesgesundheitsamt beabsichtigt, ein Fachgespräch mit Experten für Abfallentsorgung und Hygiene durchzuführen, um diese Fragen noch besser abzuklären.
Weitere Zusatzfrage der Frau Kollegin Antje-Marie Steen, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß gerade dieser Fachbereich im BGA personell - das sage ich mal ganz vorsichtig - so eng besetzt ist, daß dort eine qualifizierte Arbeit zur Zeit gar nicht möglich ist?
Das kann ich nicht bestätigen.
Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Bernd Reuter auf:
Wird die Bundesregierung eine technische Anleitung für den Gebrauch der Abfallsysteme in der Bundesrepublik Deutschland herausbringen?
Herr Kollege Reuter, nach Anhörung der beteiligten Kreise erläßt die Bundesregierung gem. § 4 Abs. 5 des Abfallgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine
Verwaltungsvorschriften für die Entsorgung von Abfällen nach dem Stand der Technik.
Nach Fertigstellung der Technischen Anleitung zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen vom 12. März 1991, der sogenannten TA Sonderabfall, hat der Bundesumweltminister den Entwurf für eine Technische Anleitung zur Vermeidung, Verwertung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen erarbeitet. Dieser Entwurf befindet sich derzeit in den Abstimmungsgesprächen und soll im Sommer dem Bundeskabinett zugeleitet werden. Darin sind auch Anforderungen an die getrennte Erfassung, insbesondere von Bioabfällen, vorgesehen.
Zusatzfrage des Kollegen Reuter, bitte.
Wie stellt denn die Bundesregierung sicher, Herr Staatssekretär, daß nicht halbe, gar keine oder irreführende Ergebnisse wie in diesem Beispiel des Bundesgesundheitsamtes Eingang in Ihre Technische Anleitung finden?
Herr Kollege Reuter, ich hoffe, daß Sie den Unterschied zwischen einer Pressemitteilung und einer Verwaltungsvorschrift sehen und kennen.
Herr Kollege Reuter, eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Da mir in der ersten Phase, wenn Sie sich in der Regierung etwas ausdenken, nur solche Presseerklärungen vorliegen, bitte ich zunächst um Nachsicht dafür, Herr Kollege, daß sich meine Frage aus dieser Presseerklärung herauskristallisiert hat. Aber ich hätte gerne gewußt, ob die Bundesregierung im Zusammenhang mit der von mir angesprochenen Frage weiß, daß es einen Unterschied zwischen der Kompost-Tonne, einschließlich des Abfalles, den man dort hineintut, und einer Kompost-Anlage gibt, weil Sie vorhin erwähnt haben, die Probe sei aus einer Kompost-Anlage gekommen.
Es ist richtig, daß es hier einen Unterschied gibt, den auch die Bundesregierung sieht.
({0})
Nun kommen die Materialien aus den Biotonnen in diese Kompostanlagen. An beiden Standorten kommt es zu Konzentrationen von Pilzsporen.
({1})
War das eine weitere Zusatzfrage? - Dann Frau Kollegin CaspersMerk zu einer Zusatzf rage.
Herr Dr. Laufs, da die TA-Siedlungsabfall angesprochen war: Ist es zutreffend, daß Sie sich hier für einen Glühverlust von 5 % ausgesprochen haben, was zum Beispiel mechanische Rotteverfahren, die von vielen Kommunen im
Moment erprobt werden, gar nicht mehr zulassen würden?
Frau Kollegin, bestimmte Verfahren zur Abfallbehandlung werden durch die TA-Siedlungsabfall nicht zwingend vorgegeben, sondern nur die Rahmenbedingungen. Es werden die Kriterien für die Ablagerungen auf Deponien festgelegt. Dabei müssen Ablagerungsvoraussetzungen eingehalten werden, die bestimmt werden. Im Augenblick ist es in der Tat so, daß wir nicht sehen, wie wir um thermische Verfahren herumkommen.
Wir kommen jetzt zur Frage 16 der Frau Kollegin Monika Ganseforth:
Wann ist mit dem Bericht über die eingeleiteten Maßnahmen zur Reduzierung der FCKW im internationalen, EG- und nationalen Bereich über die Bilanzierung der Reduktionsquoten in der Bundesrepublik Deutschland und über die Chlorbilanz der Atmosphäre zu rechnen ({0}), und aus welchem Grund wurde 1991 kein Bericht vorgelegt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Ganseforth, die Bundesregierung hat mit Datum vom 22. Oktober 1990 einen umfassenden Bericht über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht vorgelegt. Er ist als Bundestags-Drucksache 11/8166 veröffentlicht. Dieser Bericht ist im Laufe des Jahres 1991 in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages behandelt worden, am 17. April 1991 zum Beispiel im Umweltausschuß.
Im Jahre 1991 sind die im Bericht angekündigten Maßnahmen in Kraft getreten: national die Verordnung zum Verbot von bestimmten die Ozonschicht abbauenden Halogenkohlenwasserstoffen vom 6. Mai 1991, in der Europäischen Gemeinschaft die EG-FCKW-Verordnung zur Umsetzung des Montrealer Protokolls in der verschärften Fassung der Londoner Beschlüsse vom 29. Januar 1990. Das Ratifikationsgesetz zum geänderten Montrealer Protokoll ist am 21. Dezember 1991 verkündet worden. Somit ist im Jahre 1991 der Vollzug der im genannten Bericht behandelten Themen erfolgt.
Die im Beschluß des Deutschen Bundestags vom 9. März 1989, Bundestags-Drucksache 11/4133, in der Nummer 8.8 geforderte Chlorbilanz ist inzwischen als sogenanntes Handbuch Chlorchemie I erstellt worden. In diesem Handbuch wird erstmals der gesamte Chlorstofffluß für die Bundesrepublik Deutschland erfaßt. Ferner wird eine systematische Übersicht über Herkunft und Verbleib von Chlor und seinen Verbindungen gegeben. Die Zuleitung dieser Bilanz an den Deutschen Bundestag geschieht in Kürze.
Frau Kollegin Ganseforth zu einer Zusatzfrage.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wir haben am 9. März 1989 die Bundesregierung aufgefordert, einen jährlichen Bericht vorzulegen. Sie haben jetzt über den Bericht 1990 gesprochen. Ich habe gefragt, wann der Bericht für 1992, also für dieses Jahr, vorgelegt wird, und warum im letzten Jahr kein Bericht vorgelegt worden ist. Wir haben beschlossen, daß eine internationale
Chlorbilanz vorgelegt wird. Die nationale ist uns allerdings auch im Bericht 1990 schon angekündigt worden.
Meine erste Zusatzfrage - so umfänglich war der Bericht doch gar nicht, er hatte lauter Anlagen; es waren, glaube ich, sechs oder sieben Seiten -: Wann ist mit dem Bericht 1992 zu rechnen, und warum haben wir keinen Bericht 1991 erhalten?
Frau Kollegin Ganseforth, ich habe Ihnen deutlich gemacht, daß der Bundestag bei den Beratungen fortlaufend über den Stand der Überlegungen informiert worden ist.
Im Augenblick ist die Situation durch die Bemühungen des EG-Umweltrates und die Vorbereitung der 4. Vertragsstaatenkonferenz zum Montrealer Protokoll im November dieses Jahres in Kopenhagen gekennzeichnet. Der EG-Umweltrat wird am 23. März in Brüssel zusammenkommen und dort Beschlüsse zur Position der EG im Rahmen der UNEP-Verhandlungen und auch im Hinblick auf die schnellere Umsetzung des Montrealer Protokolls fassen. Ausgangspunkt hierfür sind die Ergebnisse der Umweltministerbesprechung in Estoril in Portugal.
Zur Vorbereitung der 4. Vertragsstaatenkonferenz arbeitet eine „open-ended working group " in Genf. Sie wird die Positionen noch vor Ostern beschreiben, so daß die Bundesregierung es als sinnvoll ansieht, einen Bericht erst nach Ostern zu geben, weil dann verläßliche Zwischenergebnisse vorliegen. Die Bundesregierung wird diesen Bericht dann unverzüglich geben.
Herr Staatssekretär, es war noch die Frage, warum 1991 kein Bericht vorgelegt worden ist. Können Sie das noch darstellen?
Wir haben festzustellen, daß keiner vorgelegt worden ist und daß der nächste demnächst kommt. Das ist aus dem Gang der Bemühungen und der Überlegungen zu verstehen. Sie haben ja erlebt, wie sehr die Politik hier im Fluß ist.
Noch eine Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.
Könnte es vielleicht sein, daß der Bericht deswegen nicht vorgelegt worden ist, weil sich die Bundesregierung auf dem Gebiet dann nicht weiter als Musterknabe bezeichnen kann, weil vielleicht die Informationen stimmen, daß sich unsere Reduktionszahlen von den EG-weiten und den weltweiten Zahlen überhaupt nicht unterscheiden, daß also die tatsächlichen Emissionsreduktionen, wie man hört, nach wie vor 10 % betragen? Könnte es sein, daß solche Ergebnisse dazu geführt haben, daß sie gar nicht veröffentlicht werden?
Frau Kollegin Ganseforth, ich glaube, daß wir der Sache keinen Dienst erweisen, wenn wir die außerordentlichen Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet hier in Frage stellen. Die Bundesregierung hat in der EG und auch weltweit Schrittmacherdienste geleistet, was Sie daran ermessen können, daß die Europäische Gemeinschaft nunmehr dabei ist, unsere Rechtsposition, was den Ausstieg, was die Reduktion angeht, zu übernehmen; das gilt auch für die Vereinigten Staaten.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Blunck.
Herr Staatssekretär, sind die Zahlen da? Wann genau werden sie vorgelegt? Oder werden sie erst Pfingsten vorgelegt, weil die Zahlen eben doch noch so unklar sind und Sie erst die Erleuchtung abwarten?
Ich glaube, daß ich zur Vorlage des Berichts ausführlich Stellung genommen habe.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Bernd Reuter. Bitte.
Herr Kollege Dr. Laufs, Sie sind doch wie wir Parlamentarier. Nun meine Frage an Sie in Ihrer neuen Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär: Halten Sie es eigentlich für in Ordnung, daß die Bundesregierung einen Beschluß dieses Plenums, nämlich jährlich einen Bericht vorzulegen, so mißachtet, und was tun Sie als Schaltstelle zwischen Parlament und Regierung dafür, daß den Beschlüssen des Bundestages Rechnung getragen wird?
({0})
Herr Kollege Reuter, da wir uns aus vielen Sitzungen der Ausschüsse seit langem kennen,
({0})
wissen Sie, daß die Bundesregierung in der Pflicht ist, dem Bundestag regelmäßig eine große Zahl von Berichten zu erstatten. Wir wissen aus gemeinsamer Erfahrung, daß es dabei immer wieder zu gewissen Verzögerungen gekommen ist. Ich habe Ihnen die Sachgründe für diese Verzögerung dargelegt. Ich bitte um Verständnis, daß die Bundesregierung bzw. der Bundesumweltminister hier etwas säumig ist, weil die Sachlage das fast so erzwingt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Die übrigen Fragen, die aus Ihrem Geschäftsbereich noch gestellt worden sind, sollen sämtlich schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die Frage 17 des Abgeordneten Werner Schulz ({0}), um die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Gerd Poppe und um die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Dr. KlausDieter Feige. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Fragestunde noch etwa zwölf Minuten. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatsministerin Ursula Seiler-Albring zur Verfügung.
Vizepräsident Helmuth Becker
Ich rufe zunächst die Frage 22 des Abgeordneten Uwe Lambinus auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verwicklung deutscher Staatsangehöriger in die Bürgerkriegsauseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien?
Herr Kollege Lambinus, der Bundesregierung liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß einzelne deutsche Staatsangehörige im vergangenen Jahr in Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien verwickelt waren. In einem Fall ist ihr bekannt, daß ein deutscher Staatsangehöriger in einem serbischen Gefängnis einsitzt. In zwei Fällen wissen wir, daß sich deutsche Staatsangehörige als Angehörige der kroatischen Nationalgarde derzeit in Kroatien aufhalten. Es sind im übrigen drei Fälle bekannt, in denen deutsche Staatsangehörige Ende des letzten Jahres Kroatien verlassen haben, nachdem sie dort nach eigenen Angaben der kroatischen Nationalgarde angehört hatten.
Verschiedentlich von offizieller Seite in Belgrad oder den serbischen Medien behauptete Verwicklungen einer größeren Anzahl von Deutschen haben sich bisher immer als haltlos erwiesen.
Zusatzfrage des Kollegen Lambinus, bitte.
Darf ich Sie fragen, ob die Auskunft, die Sie mir jetzt gegeben haben, mit dem Bericht des Bundeskriminalamts an den Bundesinnenminister übereinstimmt?
Herr Kollege Lambinus, den Bericht kenne ich nicht; aber ich gehe davon aus. Falls das Gegenteil der Fall sein sollte, würde ich Sie davon unterrichten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Lambinus.
Darf ich Sie zusätzlich fragen, ob das Auswärtige Amt von sich aus Ermittlungen darüber anstellt, ob die in den Medien immer wieder behauptete Beteiligung Deutscher an den Kriegshandlungen tatsächlich vorhanden ist? Wenn ja: In welcher Form ist hier das Auswärtige Amt tätig geworden?
Herr Kollege Lambinus, wir sind in dieser Frage in einem ständigen Kontakt mit unseren Vertretungen in den Republiken. Deshalb wissen wir z. B. auch, daß eine der von mir erwähnten Personen gegenwärtig inhaftiert ist. Wir haben versucht, ihr konsularischen Schutz zu gewährleisten. Das ist bis jetzt nicht möglich gewesen. Daraus können Sie entnehmen, daß wir uns als Auswärtiges Amt selbstverständlich für den Verbleib bzw. die Betätigung dieser Leute, die wir für außerordentlich schädlich halten, interessieren und dem nachgehen.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Rudolf Bindig, bitte.
Frau Staatsminister, ist Ihnen etwas über den politischen Hintergrund der deutschen Staatsbürger bekannt, die dort an den Kampfhandlungen beteiligt gewesen sind? Gibt es Wechselbeziehungen zu deutschen radikalen Parteien der Rechten?
Dies kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege Bindig. Mir sind darüber keine Anhaltspunkte bekannt. Ich weiß nur, daß einige der hier in Rede stehenden Personen z. B. noch Angehörige der Bundeswehr waren.
Die Frage 23 des Abgeordneten Hartmut Koschyk soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit kommen wir zur Frage 24 des Kollegen Horst Sielaff, den ich aber nicht sehe. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Dasselbe gilt für die Frage 25 des Kollegen Horst Sielaff.
Wir kommen zu den Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Wilfried Böhm ({0}). Sie sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch die Fragen 28 und 29 des Kollegen Freimut Duve sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit, Frau Staatsminister, sind wir mit den Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich zu Ende gekommen. Wir bedanken uns, daß Sie hier waren.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. In diesem Geschäftsbereich gibt es vier Fragen. Alle vier Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich um die Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Manfred Kolbe und um die Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Franz Müntefering. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. In diesem Geschäftsbereich gibt es drei Fragen. Die Fragen 39 und 40 der Frau Kollegin Dr. Cornelia von Teichman und die Frage 41 des Kollegen Simon Wittmann ({1}) sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit ist auch dieser Geschäftsbereich erledigt.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 71 der Frau Abgeordneten Uta Titze auf:
Welche Zahlenangaben aus den Jahren 1986 bis 1990 über die nach dem Bundes-Seuchengesetz gemeldeten Fälle an infektiöser Gastroentritis ({2}) insgesamt und unterteilt nach Salmonellosen und übrigen Formen sind der Bundesregierung bekannt?
Frau KolleParl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
gin Titze, nach dem Bundesseuchengesetz wurde den Gesundheitsbehörden folgende Anzahl von Erkrankungen an Enteritis infectiosa gemeldet: 1986 52 779, 1987 62 274, 1988 72 279, 1989 90 747 und 1990 121 889.
Davon wurden als Salmonellosen gemeldet: 1986 33 271, 1987 39 342, 1988 49 564, 1989 63 588 und 1990 91 237.
Übrige Formen der Enteritis infectiosa traten wie folgt auf: 1986 19 508, 1987 22 932, 1988 22 715, 1989 27 159 und 1990 30 652.
Zusatzfrage der Frau Kollegin Titze.
Ich bedanke mich für die ausführliche und in meinen Augen gute Antwort.
Ich habe eine Zusatzfrage. Wenn, wie Sie ausgeführt haben, die Tendenz nach oben zeigt, stellt sich für mich automatisch die Frage: Was kann die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Tatsache, daß mit einer EG-Zoonosenrichtlinie, die den Salmonellenbefall zunächst in Zuchttierbeständen regeln soll, bis etwa 1994 zu rechnen ist, tun, damit bis zu diesem Zeitpunkt ein umfassender Schutz der Bevölkerung vor Salmonellenerkrankungen gewährleistet ist?
Sie wissen, daß die Länder im Rahmen der allgemeinen Aufsichtsmaßnahmen gezwungen sind, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Außerdem hat das Bundesgesundheitsamt eine Menge von Maßnahmen eingeleitet. Es beschäftigt sich mit den Infektionsketten, es beschäftigt sich mit Forschungsaufgaben, und zwar sowohl im Robert-von-Ostertag-Institut als auch in einem neuen Institut in Wernigerode.
Frau Kollegin Titze, eine weitere Zusatzfrage, bitte.
In einer BGA-Presseveröffentlichung vom 5. März 1992 schreibt das Haus:
Hauptursache für den rapiden Anstieg in den letzten Jahren ist einmal die unsachgerechte Behandlung von Lebensmitteln ({0})
- das heißt: Verbraucher, du bist selber schuld - und zweitens
- das ist interessant, und darauf beziehe ich meine Frage die mit Salmonella-Bakterien belasteten Nutztierbestände, die das Infektionsgeschehen bei Konsumenten immer wieder in Gang halten.
Gemeint sind die vielen Legebatterien.
Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine EG-Zoonosenrichtlinie auch für Wirtschaftsgeflügel existiert - in meiner ersten Frage ist ja die Rede von der Richtlinie für Zuchttierbestände -, stellt sich die Frage, ob Sie nicht veranlassen sollten oder müßten, daß Hühnereier, die aus salmonellainfizierten Legehennenbeständen stammen, nach der Enteneiverordnung zu behandeln sind.
Für Unwissende unter Ihnen etwas zum Lachen - Sie, Frau Staatssekretärin sind zu jung, um das zu wissen -: Die 1927 entstandene und bis heute gültige Verordnung besagt, in einem Satz zusammengefaßt: Achtung, Entenei, 10 Minuten kochen; Begründung: Salmonellabefall.
Frau Kollegin Titze, Sie wissen, daß die Landesveterinärbehörden hier ihrer Aufsichts- und Kontrollpflicht nachkommen müssen. Sie müssen darauf achten, daß die Tierbestände auf Salmonellen untersucht werden.
({0})
Es gibt keine weitere Frage.
Ich habe nur eine Bitte. Es gibt hier im Saal offenbar noch andere Veranstaltungen. Ich bitte freundlich darum, nicht zu behindern, daß es Blickkontakt und alles, was dazugehört, zwischen der Fragestellerin und der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin gibt, und ich bitte um Ruhe.
Nun kommen wir zur Frage 72 der Abgeordneten Frau Uta Titze:
Mit welcher Tendenz wird von der Bundesregierung - unterschieden nach alten und neuen Bundesländern - im Jahre 1991 gerechnet?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Titze, die bisher vorliegenden Daten für das Jahr 1991 weisen auf eine weiterhin zunehmende Zahl an Salmonellosen hin. Die Zunahme liegt für die ersten drei Quartale im Bereich von 20 bis 30 %. In den neuen Bundesländern ist dieselbe Tendenz zu verzeichen. Bei den Salmonellosen ist hier ebenfalls ein Anstieg festzustellen, während die „übrigen Formen" zurückgingen. Die Häufigkeit der Enteritis infectiosa ist hier insgesamt jedoch etwas geringer.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Titze. Aber bitte kurz und knapp!
Das weiß ich.
Erste Frage. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Erkenntnisse - das entstammt Ihrer zitierten Mitteilung - der Projektgruppe des BGA „Salmonellenbekämpfung in den Nutztierbeständen" nicht nur wissenschaftlich zu nutzen, sondern auch zur Grundlage einer Gesetzesinitiative zu machen? Das ist angesichts Ihrer Ausführungen eigentlich selbstverständlich.
Ich möchte auf die Aufgaben des Bundesgesundheitsamtes kurz eingehen. Das Bundesgesundheitsamt ist bei der Ausarbeitung von Strategien zur Bekämpfung der Enteritis infectiosa beteiligt. So wurden Empfehlungen für Bekämpfung und Verhaltensweisen beim Auftreten von Salmonellosen beim Menschen erarbeitet. Die ursächliche Bekämpfung erfolgt heute über die Aktivitäten zur Eindämmung von Enteritiserregern bei Nutztieren und in Produkten aus ihnen. Das hatte ich bereits erwähnt.
Zur Vermeidung der lebensmittelbedingten Infektionserreger hat die EG-Kommission dem Rat kürzlich, wie bereits berichtet, einen Verordnungsvorschlag vorgelegt. Danach soll auf allen Stufen der Lebensmittelerzeugung - vom Futtermittel über das lebende Tier bis zum fertigen Lebensmittel - soweit wie möglich u. a. eine Infektion mit Salmonellen verhindert werden. Die Bundesregierung unterstützt diesen Vorschlag und ist an der fachlichen Beratung aktiv beteiligt.
Bitte, noch eine Zusatzfrage der Kollegin Uta Titze.
Die Zusatzfrage ergibt sich aus dem zuletzt Gesagten. Frau Staatssekretärin, wem obliegt dann die Aufgabe, den umfassenden Schutz der Bevölkerung vor einer Infektion mit den Erregern der Enteritis infectiosa herzustellen? Das war ja jetzt alles sehr allgemein.
Frau Kollegin Titze, sowohl die zuständigen Landesbehörden als auch die Bundesbehörden sind sehr bemüht, hier eine Aufklärung der Bevölkerung durchzuführen. Ich kann Ihnen einen ganzen Stapel von Aufklärungsmaterial zeigen. Wenn Sie möchten, können Sie sich nachher dies alles bei mir abholen. Es steht auch der Bevölkerung zur Verfügung.
Eine weitere Zusatzfrage unseres Kollegen Dr. Paul Hoffacker, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich möchte gern wissen, ob diese Salmonellenverordnung auch für Männerklöster in Rheinland-Pfalz gilt
({0})
und was die Staatsregierung zur Aufklärung unternommen hat.
({1})
Herr Kollege Hoffacker, dieses Kloster hat eine eigene Hausküche, und die Zubereitung erfolgt dort. Wenn Sie sich in dieses Kloster begeben, sind Sie natürlich genauso gefährdet wie am eigenen Herd.
Danke schön.
Ich lasse noch die Frage 77 der Frau Kollegin Antje-Marie Steen zu:
Welche Aufgabe besitzt das Bundesgesundheitsamt bei der Erkennung, Verhütung und Bekämpfung der Enteritis infectiosa, und welche Aufgaben kommen hierbei den verschiedenen Instituten zu?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Steen, das Bundesgesundheitsamt hat die Aufgabe, die gemeldeten Erkrankungs- und Todesfälle epidemiologisch auszuwerten, die Situation zu beurteilen und - womit ich gleich eine Antwort auf die Frage des Kollegen Schmidbauer gebe - den öffentlichen Gesundheitsdienst zu unterstützen. Weiterhin wird das Bundesgesundheitsamt durch Verbraucheraufklärung zur Verhütung der Enteritis infectiosa und durch Veröffentlichung von Empfehlungen für den Umgang mit Futtermitteln, Nutztieren und Lebensmitteln aktiv. So hat das Bundesgesundheitsamt Empfehlungen für Grenzwerte von potentiellen Krankheitserregern in Lebens- und Futtermitteln ausgesprochen oder im Rahmen von gesetzgeberischen Vorgängen mitberaten.
Dem Robert-von-Ostertag-Institut des Bundesgesundheitsamts kommen bei der Erkennung, Verhütung und Bekämpfung der Enteritis infectiosa in erster Linie Forschungsaufgaben auf den Gebieten des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sowie der Prävention und Intervention im veterinärmedizinischen Bereich zu. Die Forschung bezieht sich auf die Verhütung von Infektketten. So soll die Möglichkeit der Schaffung infektionserregerfreier Tierbestände weiter erforscht werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Steen.
Frau Staatssekretärin, angesichts all der Kriterien, die Sie eben vorgelesen haben und die das BGA zu erfüllen hat, frage ich Sie: Beabsichtigt die Bundesregierung, daraus nicht nur wissenschaftlichen Nutzen zu ziehen, sondern dies vielleicht auch zur Grundlage einer Gesetzesinitiative zu machen?
Wir werden natürlich erst einmal die Ergebnisse der Forschungsuntersuchungen abwarten müssen, bevor wir hier eventuell gesetzlich eingreifen können. Zunächst möchte ich auf die Verantwortung der Landesbehörden, aber auch der Verbraucher hinweisen.
Frau Kollegin Dr. Bergmann-Pohl, vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen. Wir haben die Fragestunde schon um drei Minuten überzogen.
Ich muß noch darauf aufmerksam machen, daß die Fragen 73 und 74 des Kollegen Dr. Martin Pfaff, die Fragen 75 und 76 des Kollegen Horst Schmidbauer ({0}) sowie die Frage 78 des Kollegen WolfMichael Catenhusen schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die übrigen Fragen aus diesem Geschäftsbereich werden gleichfalls nach der Geschäftsordnung behandelt und schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen aus dem Bereich des Bundesministers für Verkehr. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes
Vizepräsident Helmuth Becker
Die Aktuelle Stunde wurde von der SPD beantragt. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die derzeitige Lage in unserem Gesundheitswesen ehrlich bewertet, wird nicht an der Feststellung vorbeikommen: Unser Gesundheitssystem ist in Unordnung, das Gesundheitswesen befindet sich abermals in einer schweren Krise.
({0})
Er wird eine zweite Feststellung treffen müssen: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind nicht in der Lage, dieser Krise Herr zu werden.
({1})
Im Gegenteil: Sie haben die derzeitige Lage im Gesundheitswesen, vor allem in der Gesetzlichen Krankenversicherung, durch eine falsche Gesundheitspolitik herbeigeführt. Wir erleben die vierte große Kostenwelle in der Krankenversicherung seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre.
({2})
Alle bisherigen Versuche, dieser Entwicklung durch Kostendämpfungsprogramme entgegenzuwirken, sind gescheitert. Ob Kostendämpfungsgesetz, Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz oder Gesundheits-Reformgesetz, keines führte zum Erfolg.
({3})
Auch jetzt noch verweigert sich die Koalition dieser Erkenntnis. Wir brauchen keine Kostendämpfung, meine Damen und Herren, wir brauchen eine Reform der Strukturen unseres Gesundheitswesens. Wir müssen endlich die Ursachen beseitigen, die uns die periodischen Kostenschübe bescheren, statt weiter an den Symptomen herumzukurieren.
({4})
Nach drei Jahren ist das Urteil erlaubt: Die Bilanz des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes ist niederschmetternd. 14 Milliarden DM sollten jährlich gespart werden; gerade 6 Milliarden DM sind es geworden.
({5})
Aber selbst das ist nur die halbe Wahrheit. Zugleich wurden nämlich die kranken Menschen mit Selbstbeteiligungen und Leistungskürzungen in Höhe von 6 Milliarden DM belastet. Es wurde also in Wirklichkeit überhaupt nicht gespart, es wurde umverteilt: von gesund auf krank, von Arbeitgeber auf Arbeitnehmer.
Die ganze Operation „Gesundheitsreform" war ein sozial schädliches Nullsummenspiel, und am Ende dieses Jahres werden die Beitragssätze mindestens wieder da gelandet sein, wo sie zur Jahreswende 1988/89 waren, im Durchschnitt bei 12,8 %.
({6})
Ist Ihnen von der Koalition eigentlich bewußt, was diese Beitragswelle im Einzelfall bedeutet?
({7})
In Kiel bedeutet es 16,5 %, in Dortmund und Köln je 15,6 %.
({8})
Das sind Beitragsbelastungen, die es in der Geschichte der Krankenversicherung noch nie gegeben hat.
({9})
- Herr Hoffacker, ich würde Ihnen empfehlen, bei diesem Thema etwas mehr Ernst in dieses Plenum zu tragen und nicht auch noch das lächerlich zu machen, was Sie bei den Mitgliedern der Krankenversicherung angerichtet haben.
({10})
Wie ist es mit dem Thema Lohnzusatzkosten, meine Damen und Herren? Die F.D.P. und Teile der CDU/ CSU polemisieren aus diesem Grund gegen die dringend nötige Pflegesozialversicherung. Gleichzeitig verursachen sie aber durch ihre Gesundheitspolitik dramatisch steigende Beitragssätze in der Krankenversicherung. Die Wahrheit ist: Nicht die Pflegesozialversicherung, sondern die Gesundheitspolitik dieser Regierung sorgt für ständig steigende Beitragsbelastungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, meine Damen und Herren.
({11})
Wenn die erstmals in diesem Jahr vollzogene Nettoanpassung der Renten, gemessen an den Belastungen, für viele unbefriedigend ist, dann liegt hierin eine der Ursachen. Nicht die Rentenformel ist falsch oder ungerecht, sondern die Politik der Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, die Politik der unsozialen Abgabenbelastung für die kleinen Leute und die Steuergeschenke für das große Geld.
({12})
Das hat mit einer Politik des sozialen Ausgleichs nichts zu tun. Nein, Ihre Politik gefährdet den sozialen Frieden.
({13})
Aus gegebenem Anlaß rufe ich erneut in Erinnerung, ob Sie es glauben oder nicht: Dieses Land, meine Damen und Herren, hat wirklich eine Gesundheitsministerin. Sie heißt Hasselfeldt. Wenn diese Ministerin angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Lage im Gesundheitswesen in den zurückliegenden Wochen mit nur einer Äußerung zu vernehmen war, nämlich, wenn die Bürger neben karnevalistischen auch anderen Vergnügungen nachgingen, dann mögen sie doch bitte Kondome benutzen, dann zeigt dies, daß die Bundesregierung die Probleme entweder nicht ernst nimmt oder sie wegdrücken will. Beides stimmt. Vor allem will sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, das Thema durch Schweigen zu übergehen, um den Wahltag am 5. April zu erreichen. Die Menschen sollen erneut getäuscht werden.
Ich fordere deshalb das Gesundheitsministerium auf, von dieser Stelle aus klarzustellen, was es eigentlich vorhat. Wir wollen die Wahrheit wissen. Frau
Hasselfeldt, äußern Sie sich bitte, und schweigen Sie sich nicht bis zum 5. April durch.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Jagoda.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nicht überrascht über diese Rede, weil das die Platte der Opposition ist, die heute nicht zum erstenmal gespielt worden ist.
({0})
Wir werden gleich über die Wahrheit reden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das GesundheitsReformgesetz war notwendig und erfolgreich.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist ja hochinteressant, daß eine Partei, die in 13 Jahren eine Beitragssatzsteigerung von 8 auf 12 % hinnehmen mußte, schon jetzt die Aktuelle Stunde fordert, weil Beitragssätze von 12,2 im Durchschnitt auf 12,4 % hochgegangen sind.
({2})
Meine Damen und Herren, was ist denn passiert? Wir haben in den letzten Jahren durch unsere Reform
- das ist die Ehrlichkeit und die ganze Wahrheit; Herr Dreßler hat das hier nur nicht gesagt - im Jahre 1989 und im Jahre 1990 einen Überschuß von insgesamt 16 Milliarden DM erwirtschaftet. Wir leugnen nicht, daß im Jahre 1991 ein Defizit von 5,5 Milliarden DM entstanden ist, aber immerhin noch ein Überschuß
- Sie reden in der Aktuellen Stunde von drei Jahren - von 10,3 Milliarden DM. Das ist eine Menge Zeug, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
- Dazu kommen wir doch gleich, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Beitragssatzstabilität steht als ein wesentliches Element, als ein politisches Ziel in diesem Gesetz. Ich bedaure sehr, daß dies von allen, auch von der Opposition, als etwas Schlimmes so beharkt wird. Dabei frage ich Sie einmal: Was ist denn eigentlich Schlimmes daran, daß wir versuchen, diese hohe Leistung für die Patienten zu möglichst günstigen Tarifen herzustellen? Das ist doch etwas sehr Positives.
Zur Gesundheitsreform, die von Ihnen, Herr Kollege Dreßler, so verteufelt wird, wo Sie vom Abkassiermodell sprechen, empfehle ich Ihnen, das „Handelsblatt" vom 5. März zu lesen. Nicht von der Regierung bestellte,
({4})
sondern internationale Statistiken zeigen, daß die Bundesrepublik Deutschland beim Verhältnis von Selbstbeteiligung zum durchschnittlichen Einkommen mit 1,24 % an 13. Stelle liegt. Nur Luxemburg
und die Niederlande liegen unwesentlich vor uns; das sind Prozentwerte hinter dem Komma. Von daher können Sie sich doch nicht hinstellen und von einem Abkassiermodell sprechen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß es in den letzten drei Jahren auch Leistungssteigerungen gegeben hat: Die Leistung für Schwerstpflegebedürftige hat es vorher nicht gegeben. Wir haben festzustellen, daß es in diesem Bereich in den letzten Jahren auch neue Techniken gegeben hat. Es ist doch ein Glück, daß wir in allen Bundesländern die Notfallrettung ausbauen konnten. Das führt logischerweise zu Mehrkosten; das kann ich doch nicht beklagen.
Von daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, - -({5})
- Was heißt denn: sind die Beitragserhöhungen gerechtfertigt? Herr Kollege Dreßler, hätten Sie in den 13 Jahren, wo Sie die Verantwortung hatten, die Kraft aufgebracht, die diese Koalition aufgebracht hat,
({6})
und hätten Sie damals die Beiträge bei einer Steigerung um 50 % nicht davonlaufen lassen, dann wären Sie heute mit Ihrer Kritik glaubwürdiger.
({7})
Wir haben, wenn wir das letzte Jahrzehnt überschauen, keine solchen Beitragssatzsteigerungen gehabt, trotz Leistungsausweitungen, trotz medizinischen Fortschritts im Bereich der Technik, im Bereich der Diagnostik und im Bereich der Therapie. Vielmehr wurden die Beiträge gesenkt, und wir haben heute niedrigere Durchschnittsbeiträge als 1988.
Im letzten Jahr standen 29 Milliarden DM mehr zur Verfügung als vor drei Jahren. Das ist eine Riesensumme, die für die Patienten zur Verfügung gestellt werden konnte.
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, weil Sie dieses Gesetz und diese Gesundheitspolitik so in den Schmutz ziehen, meine Damen und Herren: Es kommen von Amerika bis Rußland Delegationen, die sich dieses System in der Bundesrepublik Deutschland angucken, weil sie es kopieren wollen. So schlecht, wie Sie es machen, kann es nicht sein. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn die Bundesregierung in der Zukunft den ausländischen Delegationen die Chance gibt, sich auch einmal mit der Opposition zu unterhalten. Vielleicht können die ausländischen Delegationen die Opposition von dem großartigen System, das wir haben, eher überzeugen als wir.
({8})
Meine Damen und Herren, ich will auf folgendes aufmerksam machen. Der Kollege Dreßler hat in seinem Beitrag gefordert, daß Frau Hasselfeldt Stellung nehmen soll. Am heutigen Tag geht das nicht, weil sie sich wegen Erkrankung bei der Präsidentin entschuldigt hat. Ich will das
Vizepräsident Helmuth Becker
nur der Ordnung halber hier zwischendurch mitteilen.
({0})
Nun hat das Wort unsere Frau Kollegin Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich müßte man der SPD wieder einmal für die Hartnäckigkeit danken, die Gesundheitspolitik der Koalition zum permanenten Thema oder Dauerbrenner unserer Diskussion zu machen, obwohl die Versuche, den Finger oder auch ganze Hände auf offene Wunden zu drükken, bisher leider nichts an Positivem und spürbaren Verbesserungen für den so oft zitierten Bürger gebracht haben. Oder doch? - Mehrausgaben auf allen Seiten!
Worum geht es eigentlich hier und heute? Ich möchte nicht auf den vorgegebenen Zeitraum der letzten Jahre eingehen, sondern zum Selbstverständnis der Kollegen feststellen: Das Krankenkassensystem war auf die Verhältnisse zu Beginn des Jahrhunderts zugeschnitten und hat sich, wie auch anderes in diesem real marktwirtschaftlichen System, überholt. Der dringende Reformbedarf wird ja wohl von keiner Partei bezweifelt - oder?
Die Gliederung der gesetzlichen Krankenversicherung in sieben Krankenkassenarten oder rund 1 180 Krankenkassen ist durch den gesellschaftlichen Wandel ins Wanken gekommen. Das Solidarprinzip als tragendes Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung wurde von innen längst ausgehöhlt; das wissen alle.
({0})
Betriebs- und Innungskassen gewinnen Versicherte mit hohen Grundlöhnen und geringeren versicherten Risiken. Niedrige Beitragssätze sind also die Folge. Arbeitgeber befürworten natürlich die Betriebskrankenkassen wegen der geringen Lohnnebenkosten. Für mich ist das eine kollektive Entsolidarisierung, die zusätzlich noch durch die Abwanderung zu Ersatzkassen verschärft wird. Ganz toll „solidarisch" wird es dann, wenn man sich auf Grund eines genügend hohen Einkommens um den Gemeintopf herumdrückt und sich privat versichert. Entsolidarisierung oder Zersplitterung durch Zugangsbedingungen für Sonderklassen sollen als letztes erwähnt werden.
Wir stellen also fest: Die Kassenorganisation führt zu massiven rechtlichen, sozialen und materiellen Ungleichbehandlungen der Versicherten, übrigens ohne nachprüfbare Begründungen. Das Gliederungsprinzip selbst liefert für die Ungleichbehandlung ebenfalls keine Begründung. Fakt ist: Kassen, die Versicherte mit überdurchschnittlichem Einkommen und unterschiedlichen Gesundheitsrisiken einsammeln, sind eben besser dran als die einseitig benachteiligten AOKs. Massive Beitragssatzunterschiede zwischen 8 % und 16 % bei gleichen Leistungen auf Grund dieses Systems sind das Ergebnis.
Wo wird nun nach Lösungen gesucht, z. B. in Form der Einschränkung bzw. Erweiterung der Kassenwahlmöglichkeiten für Arbeitnehmer, der Aufhebung gesetzlicher oder satzungsmäßiger Mitgliederbeschränkung, des Risikostrukturausgleichs, ob nun übergangsweise, dauerhaft, kassenartübergreifend oder kassenartintern, wobei natürlich die Rentner wieder einmal ein besonderes Problem bleiben?
Was ich persönlich faszinierend finde, weil die Diskussion ausgerechnet von der F.D.P. gefördert wird, ist der Vorschlag, geringere Kosten durch weniger Ärzte zu erreichen. Wir befürworten natürlich das einjährige Praktikum vor dem Medizinstudium, aber eine Beschneidung der Kassenzulassung oder „Zwangsemeritierung" von Ärzten ab dem 65. Lebensjahr halten wir nicht gerade für die Berufsfreiheit, für welche die F.D.P. eintritt und wie sie im Grundgesetz verankert ist.
({1})
- Das stand gestern in der „Welt"; lesen Sie es selbst nach, Herr Thomae. Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren, Frau Hasselfeldt, das Struktur- und Finanzproblem mit einem oder mehreren Reförmchen dieser Art zu lösen? Nein! Entweder werden die Beitragssätze steigen, oder der Patient zahlt über Umwegen aus der eigenen Tasche. Das ist für mich eine indirekte Beitragserhöhung, die nur verschleiert ist.
Gleichbehandlungschancen aller Versicherten ohne Übertherapierung bei steigender Arztdichte und die Beteiligung aller Kassen, auch der privaten Krankenversicherung, an den Solidarlasten sind für uns die gesundheitspolitischen Zielstellungen.
({2})
Vielleicht bietet die Vereinigung Deutschlands späte Chancen für Einsichten.
({3})
Aber bis dahin favorisieren wir den kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleich, und zwar bezugnehmend auf die Untersuchungsergebnisse von Professor Pfaff und Herrn Wossener, die ähnlich wie wir den Gedanken der Solidargemeinschaft der Versicherten ernstgenommen wissen wollen.
({4})
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß sich alle Parteien Sorgen um die Beitragsentwicklung machen. Wir hatten in der Tat drei Jahre, in denen wir die Beitragssätze im Griff hatten, aber jetzt steigen die Beiträge an, und wir müssen uns überlegen, was
wieder zu tun ist. Wir sollten also die zukünftige Entwicklung ins Auge fassen.
Wir wissen alle, daß das Krankenhaus ein großer Block ist. Wir müssen in der Tat den Mut haben, im Krankenhaus eine Reform anzustreben und deutliche Akzente zu setzen. Hier ist das Selbstkostendeckungsprinzip ein großes Problem. Ich bin eigentlich sehr froh darüber, daß Sie, Herr Dreßler, ebenfalls gesagt haben, daß wir in diesem Bereich den Mut haben müssen, mehr Wettbewerb zuzulassen und hier aktiv zu werden. Darin kann ich Sie nur unterstützen. Sie werden uns mit als Verfechter haben, wenn es darum geht, im Krankenhausbereich neue Wege zu eröffnen, die Sonderentgelte zu formulieren, die Fallpauschalen festzulegen und neue Versorgungsformen, aber auch verbesserte, vernünftige Lösungen für das Pflegepersonal zu finden.
Meine Damen und Herren, gerade im Zusammenhang mit dem Krankenhaus möchte ich aber auch betonen, daß wir in den fünf neuen Bundesländern noch Probleme haben. Ich meine, daß wir hier in der Tat überlegen müßten, ob wir neue Formen suchen, vor allen Dingen im privaten Bereich, damit sich Investitionen lohnen. Die neuen Bundesländer werden mit eigenem Kapital nicht die Kraft haben, hier wirklich schnell Veränderungen herbeizuführen. Wenn die Krankenkassensysteme in Ost und West einmal fallen, werden wir in die Altländer einen großen Zustrom von Patienten bekommen, den wir kaum auffangen können. Daher plädiere ich dafür: Haben wir den Mut, ein Programm zu entwickeln oder steuerliche Vergünstigungen zu ermöglichen, damit sich Investitionen im privaten Bereich lohnen.
Ein zweiter Punkt ist die Ärzteproblematik. Sie alle wissen, wir hatten in den letzten 10 bis 11 Jahren eine nennenswerte Steigerung von rund 75 000 auf 194 000 Ärzte zu verzeichnen. Gegenwärtig kommen 12 000 Ärzte hinzu. Auch hier ist die Frage: Wo fangen wir an? Die für mich sympathischste Lösung und die nach Meinung der F.D.P. sympathischste Lösung besteht darin, am Beginn des Studiums gewisse Eingangsvoraussetzungen zu verschärfen. Dazu gehört auch die Überlegung unsererseits, ob ein Medizinstudent vor Aufnahme des Studiums ein Praktikum in einem Krankenhaus absolvieren sollte, um überhaupt festzustellen, ob er für das Medizinstudium und später für den Beruf wirklich geeignet ist. Wir werden abwarten. Die Ministerin hat ein Gutachten zur Dienstleistungsfreiheit und zum Zulassungsrecht angefordert. Wir werden das Ergebnis dieses Gutachtens abwarten, und wir werden die Argumente sehr intensiv sammeln und abwägen.
({0})
- Über die Altersgrenze werden Sie mit der F.D.P. ebenfalls diskutieren können. Herr Kirschner, ich kann Ihnen sagen: Auch hier sind wir zur Diskussion bereit.
Meine Damen und Herren, ich nenne einen letzten Punkt. Wir wollen weg von der Planwirtschaft, denn nach unserer Auffassung gibt es im Gesundheitssektor einen großen Bereich der Planwirtschaft. Wir wollen mit wenigen Anreizsystemen etwas Leben in den Gesundheitsbereich bringen. Wir möchten die Chipkarte einführen, damit wir eine Beitragsrückgewähr, Bonusregelungen, Kostenerstattung und auch Selbstbeteiligungsregeln besser ermöglichen können. Sie kennen die Ergebnisse der Vergangenheit. Bisher mußte man alles per Hand ausrechnen, urn dies zu ermöglichen.
Es wird immer wieder der Vorwurf erhoben, die Selbstbeteiligung sei nicht sozial verträglich. Natürlich gehört dazu eine vernünftige Härtefallregelung und auch eine Überforderungsregel, denn wenn dies nicht gegeben ist, können wir dem Bürger dieses System nicht verständlich machen.
Ich komme zum Stichwort „Regionalisierung" . Meine Damen und Herren, bei diesem Stichwort bitte ich Sie, wirklich genau abzuwägen, denn wir würden, wenn wir Ernst damit machen, Länder in dieser neuen Bundesrepublik sehr stark benachteiligen, was ich nicht verantworten kann. Darum bin ich gegen die Regionalisierung. Ich bitte Sie wirklich, Frau Fischer, die Argumente, die Sie soeben auf den Tisch gelegt haben, noch einmal sorgfältig abzuwägen, denn ich kann vor einer Regionalisierung nur warnen.
Meine Damen und Herren, wir von seiten der Koalition werden diese Probleme ruhig, abgewogen lösen. Ich bin sicher, wir werden Ihnen auch zu anderen Bereichen - auch zu den Großgeräten - in Ruhe ein Konzept auf den Tisch legen. Es hat aber keinen Zweck, Schnellschüsse zu machen. Die Koalition wird handeln; ich hoffe, recht bald.
({1})
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile jetzt der Parlamentarischen Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit, Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl, das Wort. Bitte sehr.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei aller Kritik, die sich die Gesundheitsreform gefallen lassen muß, läßt sich eine Tatsache weder wegdiskutieren noch weg-polemisieren: Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz, Herr Dreßler, der in den Jahren von 1985 bis 1988 Jahr für Jahr um 0,4 Prozentpunkte gestiegen war, sank von 1989 bis Anfang 1991 von 12,9 auf 12,2 %.
({0})
Neben diesen spürbaren Beitragssenkungen für Arbeitnehmer und Betriebe konnten wir in diesem Zeitraum auch den nötigen finanziellen Spielraum für neue Leistungen der Krankenkassen - etwa im Bereich der Gesundheitsvorsorge und der ambulanten Hilfe für Schwerpflegebedürftige - schaffen. Herr Jagoda ist schon darauf eingegangen. Wer diese
Tatsachen nicht als Erfolg anerkennt, handelt unredlich,
({1})
noch dazu, wenn er in der Zeit eigener Regierungsverantwortung selbst keine umfassende Reform vorzuweisen hat.
({2})
Meine Damen und Herren, trotz dieses Ergebnisses der Arbeit von Norbert Blüm wissen wir alle: Seit Mitte 1990 steigen die Ausgaben der Krankenkassen wieder stärker als die Einnahmen. Die Stabilität der Beitragssätze ist damit erneut gefährdet. Ein Teil der Kassen hat Anfang 1992 die Beitragssätze angehoben. Dennoch sollten wir eines nicht vergessen: Hätte sich der Trend der Beitragssatzerhöhungen im Vorfeld der Gesundheitsreform auch in den Jahren 1989 bis 1991 fortgesetzt, müßten wir heute nicht von Steigerungen von 12,20 auf 12,46 % reden, sondern vermutlich über Steigerungen von 14 % auf 14,5 % diskutieren.
({3})
Bei der Frage nach den Ursachen für die gegenwärtige Entwicklung können wir im Sondergutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion nachlesen, daß die jüngsten Ausgabensteigerungen nicht allein auf medizinische und demographische Faktoren zurückzuführen sind. Nein, meine Damen und Herren, dies ist mir als Erklärung und Rechtfertigung zu einfach.
Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen, den Leistungserbringern und ihren Verbänden eine Fülle von Aufgaben anvertraut und dabei auf ihren Sachverstand, ihr Umsetzungsvermögen und ihre Verantwortungsbereitschaft gesetzt. Er hat dies getan, weil in unserem freiheitlichen Gesundheitswesen das Prinzip der Selbstverwaltung einen besonderen Stellenwert hat.
Der Gesetzgeber ist sich bewußt, daß dies angesichts vielfältiger Interessengegensätze häufig eine schwierige Aufgabe ist.
({4})
Die Gesundheitsreform kann ihre Wirkung erst dann voll entfalten, wenn ihre Regelungen von der Selbstverwaltung umgesetzt worden sind.
({5})
- Ich bin ja noch nicht am Ende, Herr Kirschner.
({6})
Die bislang beschlossenen Festbeträge für Arznei- und Hilfsmittel z. B. haben das bewiesen.
Ein Hauptaugenmerk muß auch auf die Begrenzung einer medizinisch nicht begründbaren Mengenentwicklung gelegt werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Verbesserung der Transparenz von
Kosten und Leistungen auch durch die Einführung der Krankenversichertenkarte.
({7})
- Herr Kirschner, Sie müssen einmal zuhören, was ich hier sage, statt so unqualifizierte Einwürfe zu machen; dann würden Sie das besser verstehen.
({8})
Ich hoffe, daß die zur Zeit laufende Diskussion über den einzuschlagenden technischen Weg nicht dazu führt, daß sich die Einführung dieses Schlüsselinstruments weiter verzögert. Darum gilt es, alle im Gesundheits-Reformgesetz verankerten und bisher noch nicht umgesetzten Einsparungspotentiale zu nutzen.
({9})
Es ist doch geradezu paradox, auf der einen Seite den Zusammenbruch des zentralistischen Gesundheitswesens der ehemaligen DDR zu bejubeln und gleichzeitig die Verantwortung für die - wie Sie meinen, wenig erfolgreiche - Gesundheitspolitik allein der Bundesregierung zuzuschustern mit der indirekten Aufforderung, dirigistisch im Wege von Ersatzvornahmen tätig zu werden.
({10})
Oder dient Ihre Polemik allein der Verunsicherung der Menschen in unserem Land? Das muß ich Sie an dieser Stelle wirklich fragen.
({11})
Ich denke, es ist vielmehr die Mitwirkung aller am Gesundheitswesen Beteiligten gefordert. Im Interesse der Sache müssen alle über den Schatten von Gruppeninteressen springen und an einem Strang ziehen.
So wäre ich den Damen und Herren von der Opposition mit Blick auf den stationären Bereich außerordentlich dankbar, wenn sie sich mit den SPD-geführten Landesregierungen in Verbindung setzen würden und fragten, was diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Umsetzung der Gesundheitsreform getan oder unterlassen haben.
({12})
Was haben diese Regierungen zur Verbesserung einer nahtlosen ambulanten und stationären Behandlung im Rahmen der dreiseitigen Verträge getan? Oder: Wo bleiben die seit dem 1. Januar 1991 ausstehenden Rechtsverordnungen der Landesregierungen? Oder: Weshalb entscheiden diese nicht über vorliegende Anträge auf Kündigung unwirtschaftlicher Krankenhäuser, Herr Dreßler?
Unabhängig hiervon werden die Länder ihren Handlungswillen bei der Weiterentwicklung des Krankenhausfinanzierungsrechts unter Beweis stellen können. Allein in diesem Bereich fällt ein Drittel der Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung an.
({13})
Part. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Meine Damen und Herren, auch wir werden verantwortungsvoll dort handeln, wo es notwendig ist. Zum einen werden wir die Instrumente des Gesundheits-Reformgesetzes fortentwickeln. Sicherlich werden wir auch neue Instrumente zur Steuerung der Mengenentwicklung prüfen müssen. Wir werden z. B. auch darüber nachdenken müssen, ob und wie der wachsenden Zahl der Leistungserbringer - insbesondere der Kassenärzte - entgegengewirkt werden kann. Diese Frage ist hier schon zur Sprache gekommen.
({14})
- Wir machen das eben ordentlich und überlegen vorher; wir machen nicht wie Sie Schnellschüsse.
({15})
Wohin sie mit Ihrer Schnellschußpolitik gekommen sind, haben Sie 1982 gemerkt.
({16})
Auch der vom Sachverständigenrat angedeutete Vorschlag einer Bonusregelung erscheint diskussionswürdig. Die sogenannte Zauberformel, die Selbstbeteiligung der Versicherten
({17})
in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung einzuführen oder das Leistungspaket der Krankenkassen generell zu beschneiden, sind keine Lösung für eine Begrenzung des Kostenanstiegs, sondern lediglich eine Kostenverlagerung. Pauschale Vorschläge dieser Art finden daher nicht unsere Zustimmung. Für uns gilt als oberster Grundsatz die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen.
({18})
Meine Damen und Herren, auch für die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre wird die Ausgabenbegrenzung der gesetzlichen Krankenversicherung bei Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen medizinischen Versorgung eine zentrale Aufgabe bleiben. Leider gibt es hierfür keine Patentrezepte. Wir brauchen weiterhin ein differenziertes, breit gefächertes Instrumentarium, wie es im GesundheitsReformgesetz angelegt ist. Hindernisse bei der Umsetzung dieses Instrumentariums müssen überwunden werden. Die Selbstverwaltung befindet sich hier nach wie vor in einer besonderen Bewährungsprobe.
Lassen Sie mich von dieser Stelle aus nochmals an alle Beteiligten eindringlich appellieren,
({19})
im Interesse der Sache gemeinsam konstruktiv zu handeln.
({20})
Jetzt hat unser Kollege Klaus Kirschner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, nach ihrem
Beitrag glaubt doch kein Mensch mehr daran, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nicht längst Pläne für eine Neuauflage des GRG II in der Schublade liegen haben. An allen Ecken und Enden mehren sich die Zeichen, daß Sie neue Belastungen für Versicherte und Patienten aushecken. Sie wollen sich über die Wahltermine in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein retten. Ich nenne das einen neuen Wählerbetrug.
({0})
Drei Jahre nach Inkrafttreten Ihres sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes stellt sich die Situation der gesetzlichen Krankenversicherung genauso dar wie vor dessen Inkrafttreten: Die Ausgaben laufen Ihnen davon. Daran führt kein Weg vorbei.
({1})
Dabei sollte Ihr Gesetz die Voraussetzungen „dafür schaffen, die seit Jahren ansteigenden Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung zu senken und dauerhaft zu stabilisieren" . Das ist ein Kernsatz in Ihrer damaligen Begründung.
Wie sehen die Fakten aus? 1991 sind die Ausgaben um 12,6 % gestiegen. Dem steht ein Einnahmeplus von 4,3 % gegenüber. 301 Krankenkassen mußten deshalb zum Jahresbeginn ihren Beitragssatz anheben. Weitere Kassen, speziell die großen Ersatzkassen, werden im Herbst folgen.
({2})
- 41 haben dieses Jahr gesenkt.
Dabei zahlen die Versicherten nicht nur wieder höhere Beiträge, sondern - und das verschweigen Sie, Frau Staatssekretärin - Ihr Gesetz belastet die Patienten auch zusätzlich mit einer höheren Selbstbeteiligung in der Größenordnung von 6 bis 7 Milliarden DM jährlich.
({3})
Lassen Sie mich auch das sagen: Zusätzlich schmälert die Beitragssatzsteigerung die vorgesehene Rentenanhebung, da sie an die Nettoeinkommen gekoppelt ist. Auch das ist ein Grund, warum wir in diesem Bereich die Diskussion haben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, was Ihre Zuzahlungsideologie betrifft, so ist der Zahnersatz geradezu ein Lehrbeispiel dafür, daß es Ihnen bei Ihrem Gesetz in Wirklichkeit nicht um Ausgabensteuerung, sondern um Umverteilung zum Geldbeutel des einzelnen zur Schonung der Leistungsanbieter geht. Denn gerade beim Zahnersatz, wo die Selbstbeteiligung auf 40 % verdoppelt wurde und die bewährte Sachleistung durch Kostenerstattung ersetzt wurde - beides Maßnahmen, die angeblich zur Mengensteuerung beitragen sollten -, ist die Ausgabenexplosion mit 16 % besonders drastisch. Selbst Bundesarbeitsminister Blüm - sein Ministerialdirektor sitzt hier - bezeichnet die Zuzahlungen beim
Zahnersatz als Flop. Ich kann Blüm daher nur recht geben.
({4})
Jetzt erwarte ich, daß Sie daraus die Konsequenzen ziehen.
Die Ursachen der Kostenexplosion sind Sie nicht angegangen. Frau Staatssekretärin, ich würde Ihnen empfehlen, den Gesetzentwurf nachzulesen. In der Begründung steht wunderbar drin: steigende Arztzahlen mit dem ungebrochenen Trend zum besonders teuren Facharzt.
Was haben Sie bisher getan? Fehlbelegungen in den Krankenhäusern sind auch darauf zurückzuführen - lassen Sie mich dies auch sagen -, daß Sie sich immer noch nicht auf ein Pflegeversicherungsgesetz haben einigen können. Der Kampf um Patienten, präzise gesagt, um Honorare zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung trägt zu unnötigen Kosten bei. Sie haben bis heute kein Konzept für den Einsatz und die Vergütung der sündhaft teuren Medizintechnik.
({5})
Denken Sie bitte einmal an das Urteil des Bundessozialgerichts. Sie hätten diese Dinge doch längst korrigieren können. Es gab doch auch die entsprechenden Vorschläge der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie haben aber nichts gemacht.
({6})
Frau Staatssekretärin, ich frage Sie an dieser Stelle: Wie halten Sie es denn als Vertreterin der Bundesregierung mit dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität und der Umsetzung der Teile Ihres Gesetzes, die die Leistungserbringerseite in die Pflicht nehmen? Die Arzneimittelfestbeträge gibt es noch nicht einmal zur Hälfte des versprochenen Anteils von 80 bis 90 %.
({7})
Was ist mit der Einführung der maschinenlesbaren Krankenversichertenkarte? Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat diese Einführung zum 1. Januar 1992 trotz klarer gesetzlicher Verpflichtung abgelehnt.
({8})
Jetzt wird ein neuer Feldversuch mit einer Chipkarte gestartet, in der Hoffnung, man wird das Wahljahr 1994 erreichen. Das ist doch der wirkliche Punkt.
({9})
Die Bundesregierung schaut diesem Treiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Krankenkassen tatenlos zu. Die Chipkarte kostet das Vierfache der Magnetstreifenkarte, rund 270 Millionen DM
mehr, ohne daß ein Zusatznutzen erkennbar ist. Dabei muß diese Karte alle zwei bis drei Jahre erneuert werden. Das wird ein sehr teurer Spaß, den die Versicherten zu zahlen haben.
({10})
Ich wette, meine Damen und Herren, Transparenz wird nach den Landtagswahlen nur bei den Versicherten eintreten. Sie werden dann mit Leistungsabbau und höherer Selbstbeteiligung von Ihnen neuerlich zur Kasse gebeten werden. Sie tun nichts, um die Leistungserbringerseite in irgendeiner Form darauf zu verpflichten, daß die Bestimmungen im Gesetz eingehalten werden, die auch die Leistungserbringerseite zu bestimmten Leistungen verpflichtet.
({11})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Wolfgang Lohmann ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man mag vielleicht dafür Verständnis haben, daß unter dem Mantel der Aktuellen Stunde eine Wahlkampfstunde abgehalten wird. Daß Sie dabei aber von vornherein von Betrug sprechen, Herr Kirschner, das scheint mir doch nicht angemessen zu sein für eine Unterhaltung, die Sie in dem Zusammenhang immer wieder anmahnen.
({0})
Eine solche „Wahlkampfstunde" - so sage ich einmal - kann natürlich an dem großen Bereich des Krankenhauses nicht vorbeigehen.
({1})
In der Tat - Sie haben das angesprochen, Herr Dreßler -, ein Drittel der gesamten Kosten entfallen auf den Krankenhausbereich. Im vergangenen Jahr betrug die Steigerung rund 9,9 % und liegt damit jedenfalls weit über dem, was wir unter dem Gesichtspunkt der Beitragssatzstabilität für verantwortbar gehalten haben. Aber man muß auch sehen - und deswegen hat Herr Dreßler sich im Gegensatz zu seiner sonstigen Art in dieser Frage des Krankenhausbereichs offensichtlich ein wenig zurückgehalten -,
({2})
daß ein Teil dieser Kostensteigerungen unvermeidlich war. Ich erinnere nur an die tariflichen Änderungen, die zusammenhingen mit der Diskussion um den Pflegenotstand, auch Anderungen im Sonn- und Feiertagsdienst; ich erinnere an die besseren Stellenausstattungen, auch an die zunehmende Zahl von älteren Patienten, die zum Teil mit Mehrfacherkrankungen zu behandeln sind. Ich spreche von der Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten.
Wolfgang Lohmann ({3})
All das sind Änderungen, die viele von uns gewollt haben. Sie sind möglicherweise bei den Demonstrationen sogar mitgelaufen, und dies dürfen wir heute nicht beklagen.
Trotzdem muß dieser Bereich jetzt angepackt werden. Wir haben im Zusammenhang mit dem Gesundheits-Reformgesetz immer gesagt, das Krankenhaus gehört in die zweite, nämlich die nächste Stufe.
({4})
Das ist die Stufe, die wir jetzt mit anpacken werden.
({5})
Ich denke, wir sind uns darin einig, daß das Krankenhaus ein Wirtschaftsunternehmen ist. Sie haben ja Andeutungen in dieser Richtung gemacht, Herr Dreßler, obwohl ich, wenn Sie von Markt sprechen, nicht sicher bin, ob wir von dem gleichen sprechen. Denn wenn ich überlege, daß Sie normalerweise immer mit Begriffen wie Abkassieren, Umverteilung von unten nach oben, Steuergeschenken und ähnlichem arbeiten, habe ich sehr große Bedenken, ob wir das gleiche Verständnis von den Mechanismen des Marktes haben.
({6})
Aber lassen wir es dahingestellt sein. Sie haben von Markt gesprochen. Dann sind offensichtlich auch Sie der Überzeugung: Beim Krankenhaus handelt es sich urn ein Wirtschaftsunternehmen. Wenn das der Fall ist, müssen wir uns über die Finanzierung und auch über die Vergütungsformen Gedanken machen.
Die Finanzierung ist nun bekanntlich, soweit es um Investitionen geht - und auch um die Pauschalförderung -, Sache der Länder. Das wird sehr unterschiedlich gehandhabt - leider. Eine Ihrer Lieblingsregierungen, die in Nordrhein-Westfalen,
({7})
liegt, was diese Investitionen anlangt, weit zurück. Nordrhein-Westfalen beispielsweise gibt 70 DM pro Kopf der Bevölkerung für Investitionen aus, Sachsen 170 DM, Bayern 116 DM.
({8})
In den alten Bundesländern liegt Bayern an der Spitze, hat insofern seine Schularbeiten gemacht. Absolut sind es etwa 1,3 Milliarden DM. Das sind die Zahlen für diese so unterschiedlich strukturierten und auch so unterschiedlich großen Länder. Da sind also noch einige Schularbeiten zu machen.
Wir sind der Meinung, daß wir auf zwei Sektoren einsteigen müssen, einmal in diesem Bereich der Investitionen. Das alte Kostendeckungsprinzip in dem Sinne: mache Versorgungsverträge, stelle die Kosten dar, weise sie nach, und lasse sie auch umfänglich erstatten, kann auf die Dauer nicht weitergeführt werden.
({9})
Deswegen muß der Einstieg versucht werden in einer Abkehr von der dualen Finanzierung in Richtung einer monistischen Finanzierung
({10})
und in eine Weiterentwicklung der Vergütungsformen im Sinne von mehr Markt, mehr Wettbewerb, d. h. nicht mehr bezogen auf die tagesgleichen Pflegesätze, sondern bezogen auf das, was das Krankenhaus an Leistungen bietet, die einen Preis wert sind. Dieser Preis muß ein Preis der Regionen sein. Er muß Wettbewerb auslösen.
Wir werden das in aller Ruhe, aber ohne Verzug, diskutieren. Wir hoffen auf Ihre konstruktiven Beiträge. Wir brauchen dazu keine Druckkulisse wie eine Aktuelle Stunde.
Schönen Dank.
({11})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Kollegin Antje-Marie Steen das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte Ihnen in dieser Debatte ein paar Zahlen, die die Situation in meinem Land Schleswig-Holstein belegen, darstellen dürfen. Sie haben hier ja Klage darüber geführt, daß es wachsende Defizite bei den Krankenkassen gebe. Vielleicht darf ich Ihnen, wie gesagt, an Hand einiger Fakten aus Schleswig-Holstein die Wirkungen Ihres verpfuschten Gesetzes einmal vorführen:
Die Explosion der Leistungsausgaben z. B. der AOKs betrug von 1985 bis 1991 34,7 %. Dabei ist zu beachten, daß sich die Grundlohnsumme im Land Schleswig-Holstein nur um 5 % erhöhte, die Leistungsausgaben aber um 10 %.
({0})
Durch Ihr Unterlassen einer Organisationsreform war die AOK Kiel gezwungen, eine Erhöhung des Beitragssatzes auf 16,5 % vorzunehmen,
({1})
notgedrungen bundesweiter Spitzenreiter. Von 16 Allgemeinen Ortskrankenkassen waren zehn zur Beitragsanhebung genötigt, durchschnittlich um 1,4 Prozentpunkte - und das in überwiegend strukturschwachen Regionen. Die anderen werden spätestens zum Jahresende folgen müssen.
({2})
Leidtragende dieser prekären Situation der AOKs in Schleswig-Holstein sind außer den Versicherten auch die mittelständischen und kleinen Unternehmen, da Krankenkassenbeiträge bekanntermaßen auch Lohnnebenkosten darstellen.
({3})
Diese Unternehmen sind auf die AOKs angewiesen,
da sie auf Grund ihrer Betriebsstruktur keine eigenen
Betriebskrankenkassen gründen können. Der günAntje-Marie Steen
stigste Beitragssatz einer Betriebskrankenkasse bei mir in Schleswig-Holstein liegt bei 9,6 %.
({4})
Im Vergleich dazu sage ich nur: 16,5 % bei der AOK in Kiel.
Ich rechne Ihnen einmal vor, was das bei einem Lohn von 4 000 DM im Monat bedeutet: 384 DM Beitrag bei dieser günstigen BKK, aber 660 DM bei der AOK, ein Unterschied von 276 DM.
({5})
Auf das Jahr gerechnet sind dies bei 13 Gehältern für den Arbeitgeber sowie für den Beitragszahler je 1 794 DM Mehrbelastung gegenüber der günstigsten Betriebskrankenkasse. Da frage ich Sie: Wo liegt die soziale und gerechte Verteilung?
({6})
Neben der Ungleichbehandlung von Arbeitern, die keine Freiheit bei der Wahl der günstigsten Krankenkasse haben, bedeutet das auch für die oben beschriebenen Betriebe, auf Gedeih und Verderb jede Beitragserhöhung mitmachen zu müssen.
({7})
Ist das das gewollte Ergebnis Ihres Gesetzes, daß neben der unvertretbaren Mehrbelastung der Beitragszahler auch noch ein Standortnachteil für Betriebsansiedlungen eintritt?
({8})
Wann endlich wollen Sie Steuerungselemente einer Organisations- und Strukturreform in Angriff nehmen, damit das Rosinenpicken der Krankenkassen aufhört, die die besseren Risiken bei sich versichern?
({9})
Wann wird es einen Risikostrukturausgleich geben, ehe sich auf breiter Ebene die Solidargemeinschaft auflöst?
Sie halten immer noch am Grundsatz des Selbstkostendeckungsprinzips im Krankenhausbereich fest
({10})
und gaukeln damit den Beitragszahlern Beitragsstabilität vor. In Schleswig-Holstein gab es hier Ausgabenzuwächse von 9,6 %.
({11})
Jetzt endlich sind Steuerungsanreize nötig, die wirtschaftliches Verhalten belohnen und die die Eigenverantwortlichkeit der Krankenhäuser stärken.
({12})
Die Schelte der Parlamentarischen Staatssekretärin gegenüber der Selbstverwaltung soll vom Nichtstun dieser Regierung ablenken.
({13})
Brechen Sie die Blockadepolitik bestimmter Gruppen der Leistungsanbieter endlich auf, um eine Reform in Gang zu setzen! Kehren Sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit in der Beitragsbelastung der Versicherten zurück, und unterlassen Sie die Versuche, über Leistungsausgrenzung und weitere Zuzahlungen Ihr gescheitertes Gesundheits-Reformgesetz zu retten!
({14})
Die Versicherten der AOK in Schleswig-Holstein haben das bis jetzt mit jährlich 61,6 Millionen DM bitter bezahlt.
Weitere Selbstbeteiligungsmodelle, wie sie auch Ihr Koalitionspartner, die F.D.P., fordert, werden keine Kostensteuerungsfunktion haben, sondern zu weiteren unsozialen Verzerrungen führen.
Zur Äußerung von Ihnen, Frau Dr. Bergmann-Pohl, ohne das Gesundheits-Reformgesetz würden die Krankenkassenbeiträge bei etwa 14,5 % liegen,
({15})
kann ich nur sagen: Die Wirklichkeit hat das in Kiel längst überholt. Aber das scheint diese Bundesregierung wieder einmal verschlafen zu haben.
({16})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Zöller das Wort.
Herr Präsident! Meine werten Kollegen und Kolleginnen! Der Anstieg der Leistungsausgaben im letzten Jahr hat die Kritiker der Gesundheitsreform wieder auf den Plan gerufen. Sie stellen kurzerhand fest: Die Gesundheitsreform ist gescheitert.
({0})
Das bloße Wiederholen dieser Parole hilft uns allerdings keinen Schritt weiter.
({1})
Im Gegenteil! Mit solchen Äußerungen, werte Kolleginnen und Kollegen, tragen Sie bewußt oder unbewußt dazu bei, daß bei den Vertragspartnern wie Krankenkassen und Ärzten der falsche Eindruck erweckt werden könnte, als meinten wir es mit der Gesundheitsreform, mit der Beitragsstabilität gar nicht so ernst.
({2})
Im GRG ist ausdrücklich der Grundsatz der Beitragssatzstabilität normiert worden,
({3})
den die Krankenkassen und die Leistungserbringer in ihren Vergütungsvereinbarungen zu beachten haben.
({4})
Dieser Grundsatz darf nicht als unverbindliches Programm verstanden werden. Es ist ein rechtlich ganz konkret verpflichtender Grundsatz. Er verlangt, alle vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen.
({5})
Der gern erhobene Einwand, der Grundsatz der Beitragssatzstabilität sei im Gesundheitswesen nicht realisierbar, der medizinische Fortschritt und die infolge der demographischen Entwicklung steigende Morbidität könnten mit stabilen Beitragssätzen nicht finanziert werden, geht am Wesenskern des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität vorbei.
({6})
Der verpflichtende Auftrag dieses Grundsatzes besteht darin, alles zu unternehmen, um eine so effektive und effiziente medizinische Versorgung wie nur irgend möglich zu gewährleisten.
Eine andere Frage ist es, ob mittel- und langfristig nach konsequenter Ausschöpfung der vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven die Beitragssätze gleichwohl stabil gehalten werden können. Unter dieser Prämisse notwendig werdenden Beitragssatzanhebungen stünde dann der Grundsatz der Beitragssatzstabilität selbstverständlich nicht entgegen. So weit sind wir aber beim derzeitigen Stand der Umsetzung des Gesundheitsreformgesetzes noch nicht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Punkt der Kostenentwicklung ansprechen: Die steigende Zahl der Leistungserbringer, insbesondere der Kassenärzte, trägt erheblich zur Kostenexpansion bei. Dabei gibt vor allem der im Verhältnis zu den Allgemeinärzten hohe Anteil der Gebietärzte von fast 60 % zu denken. Die Folge ist eine medizinisch nicht plausible Steigerung der Leistungsmengen. Wir müssen uns deshalb mit dem Überangebot an Ärzten ernsthaft auseinandersetzen. Ich will hier nicht voreilig und unbedacht der gesetzlichen Einführung absoluter Zulassungssperren das Wort reden. Dafür ist dieses Thema viel zu schwierig, nicht zuletzt auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht.
({7})
Um z. B. steigenden Ärztezahlen und Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitserfordernissen bestmöglich gerecht zu werden, soll eine Pflichtweiterbildung zum Allgemeinarzt als Voraussetzung für die primärärztliche Kassenzulassung eingeführt werden.
({8})
Mit dem Ziel, eine gerechtfertigte Ausweitung der von
den Kassenärzten veranlaßten Leistungen auf das
medizinisch notwendige Maß zurückzuführen und
dann auf dieser Basis auch im Griff zu behalten, sollten Bonus-Malus-Regelungen überlegt werden.
({9})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitsreform kann jedoch letztendlich nur dann zum Erfolg führen, wenn jeder Partner seinen Beitrag hierzu leistet. Dazu möchte ich Sie recht herzlich einladen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Bruno Menzel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Antrag unserer Kolleginnen und Kollegen von der SPD beschäftigen wir uns heute erneut mit der Gesundheitspolitik; ich halte das auch für gut. Ich schließe daraus, daß wir alle in diesem Haus gemeinsam die Sorge tragen, wie wir in Zukunft unser Gesundheitswesen stabil finanzieren können.
Wenn dem so ist, dann verstehe ich aber nicht ganz den Gang dieser Diskussion. Wenn Sie uns unterstellen, wir würden nur abkassieren, wir würden umverteilen, wir hätten Rezepte in der Schublade liegen, die wir nicht herausholen wollen, weil Wahlen vor der Türe stehen, so kann ich diese Argumentation nicht ganz nachvollziehen.
({0})
Wir sind uns mit Ihnen darin einig, daß das Gesundheits-Reformgesetz, so wie es jetzt zum Tragen gekommen ist und so wie es angewandt worden ist, nicht das erfüllt hat, was wir uns alle davon gewünscht hätten. Darüber sind wir uns offensichtlich einig.
({1})
Wir sind gemeinsam bemüht, die Dinge fortzuentwickeln. Sie werden aus vielen Beiträgen, die sowohl von der CDU/CSU als auch von der F.D.P. gekommen sind, gesehen haben, daß wir uns ernsthaft Gedanken in alle Richtungen machen, wie wir in der Zukunft unser Gesundheitssystem, eines der besten in der Welt, weiter stabil finanzieren können.
({2})
Niemand von Ihnen hat gesagt, daß viele Faktoren hier eingewirkt haben, daß sich inzwischen die Medizintechnik weiterentwickelt hat, daß die Möglichkeiten therapeutischer Behandlungen deutlich zugenommen haben, daß die Stabilität der medizinischen Versorgung in diesen Jahren in hohem Maße verbessert worden ist. Niemand hat gesagt, daß wir in den vergangenen drei Jahren durch die Mittel des Gesundheits-Reformgesetzes Beitragssätze nicht nur haben stabil halten, sondern sogar haben senken können.
({3}) Das sind doch Erfolge gewesen.
Aber wir sind uns doch auch alle in diesem Hause einig, daß es fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, auf Jahrzehnte hinaus Mittel und Wege zu finden, um
dieses Gesundheitswesen in dem Maße, wie wir es heute haben, stabil zu halten. Daran muß man ständig arbeiten; man muß es ständig weiterentwickeln.
({4})
Das ist im Interesse unserer Menschen unsere gemeinsame Aufgabe in diesem Hause. Dazu sind wir verpflichtet.
({5})
Sie dürfen sicher sein, meine Damen und Herren von der SPD: Sie werden bei uns immer und jederzeit auf absolut offene Ohren und Verständnis stoßen, wenn wir vernünftige gemeinsame Vorschläge finden wollen. Wir sind zum Teil gar nicht so weit voneinander entfernt. Wenn ich zum Beispiel an das Krankenhaus denke,
({6})
sind Veröffentlichungen auch von Ihnen gekommen, die mehr Marktwirtschaft fordern, die voraussetzen, daß das Krankenhaus in Zukunft nicht in der Weise finanziert werden kann, wie es heute mit dem Selbstkostendeckungsprinzip geschieht. Da sind wir uns absolut einig.
Es gibt doch Punkte, wo wir anknüpfen können. Wir sind doch gar nicht so weit davon entfernt. Aber es muß das ernsthafte Bemühen zu erkennen sein, daß wir hier nicht nur gegenseitig Reden halten, wohlwissend, daß darin kein entsprechender vernünftiger Vorschlag steckt, sondern um lediglich zu beweisen, der andere ist schlecht. Das bringt uns nicht weiter. Ich denke, dafür ist dieses Gebiet, nämlich die Sicherung der Gesundheit unserer Menschen in diesem Lande, viel zu ernst.
Dazu erhoffe ich mir konstruktive Beiträge von allen Seiten dieses Hauses. Wenn diese Aktuelle Stunde dazu beiträgt, daß das in Zukunft so sein wird, dann war es trotz allem, wenn auch wiederholt, eine sinnvolle Aktuelle Stunde.
Ich bedanke mich herzlich.
({7})
Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Editha Limbach das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Dreßler ist im Moment wohl nicht da. Aber vielleicht hören Sie mir trotzdem noch zu. Der Kollege Dreßler ist immer besonders stark in starken Worten. Was er vorhin alles so gesagt hat, das hat in mir ein anderes starkes Wort, das zwar nicht von uns stammt, aber hier wahrscheinlich hineinpassen würde, geweckt, nämlich das Wort von der „sozialen Kälte".
Denn das, was hier abläuft, wenn Sie hier Menschen, die in einer besonders schwierigen Situation sind, weil sie krank sind, Angst machen, indem Sie von Krise und unbeherrschbar und dem bösen Willen der Regierung, die das alles nicht nur schluren läßt, sondern sozusagen fast noch mit Absicht herbeiführt, reden, dann machen Sie ganz eindeutig klar, daß es Ihnen in dieser Diskussion - anders als der Kollege Menzel gehofft hat - gar nicht um die Sache geht, sondern um das, was der Kollege Lohmann zu Recht Wahlkampftheater genannt hat.
({0})
Das war sehr deutlich. Sie haben sogar durch Hinweis auf Daten das ganz deutlich gemacht. Der Kollege Kirschner hat es auch ausgesprochen. Er hat zwar gemeint, uns ginge es so. Nein, Ihnen geht es so.
Ich finde es deshalb so schade, weil das Thema an sich - wie sichern wir zu vertretbaren finanziellen Bedingungen ein vernünftiges Gesundheitswesen in unserem Land, das ja für die Bürgerinnen und Bürger da ist ? - eigentlich mehr Ernsthaftigkeit verdient hätte.
Ich habe ja großes Verständnis dafür, daß Sie sich ärgern, daß damals Ihre Ideen nicht mehrheitsfähig waren, sondern unsere. Nur, wenn ich mich im Lande umsehe - der Kollege Jagoda hat darauf hingewiesen -, stelle ich fest: So schrecklich überlegen sind die Länder, die das alles planen und steuern und in einer Weise machen, wie Sie es wollen, in ihrem Gesundheitswesen bei weitem nicht.
({1})
- Ach, Herr Kollege Dreßler, das ist ja genau das, was ich meine. Wenn hier oben jemand steht und etwas sagt, was Sie nicht gut finden, dann ist das Stuß oder noch schlimmere Worte.
({2})
Ihre Vorschläge waren damals nicht tauglich und sind es heute wahrscheinlich auch nicht.
({3})
Natürlich halten wir weitere Reformschritte im Gesundheitswesen und in der gesetzlichen Krankenversicherung über den Rahmen des GesundheitsReformgesetzes hinaus für erforderlich, auch in der Organisationsstruktur der gesetzlichen Krankenkassen, die stationäre Versorgung, Überkapazitäten, Mengenproblem usw. Das haben wir übrigens schon bei der Diskussion und Verabschiedung des Gesetzes gesagt.
({4})
Ich selbst habe mich gerade wörtlich aus 1989 zitiert. Damals haben wir gesagt: Wer meint, dieses könne im Handumdrehen und in einem Riesensatz erfolgen, und wer das noch der Bevölkerung vorgibt, der täuscht die Bevölkerung. Das geht so schnell nicht.
({5})
Wir setzen unsere Arbeit zielstrebig und kontinuierlich fort, aber auch solide. Und dazu muß man gelegentlich auch mal nachdenken und nicht nur Schnellschüsse machen.
({6})
Weil es beim SGB V in erster Linie um Menschen geht, will ich Ihnen noch einiges sagen, was da doch
sehr zum Vorteil der Versicherten und auch zum Vorteil der Patientinnen und Patienten ist. Ein ganz wichtiger Punkt sind die von Ihnen immer so kritisch bewerteten Festbeträge. In der Tat haben wir noch nicht alle Schritte auf diesem Wege getan.
({7})
Von uns hat aber niemand je versprochen: 90 % aller Arzneimittel, die überhaupt auf dem Markt sind. Wir haben vielmehr von den festbetragsfähigen Medikamenten gesprochen, und da sind wir auf einem Weg, der weitergegangen werden muß.
Da muß man auch einmal sagen, daß die Beteiligten - das sind ja nun ausnahmsweise nicht die Politiker - ihre Aufgaben machen müssen. Ich wehre mich dagegen, daß für jedes und alles, was in diesem Lande möglicherweise zu kritisieren ist, immer die Regierung oder die Koalition verantwortlich ist. Es gibt auch andere Verantwortliche. Wir vertrauen darauf, daß diese Verantwortlichen ihre Verantwortung noch wahrnehmen werden.
({8})
500 Millionen DM, die da bereits eingespart werden konnten, und zwar zugunsten derer, die die Medikamente finanzieren, und auch zugunsten der Patienten, die sie bekommen, sind eine gewaltige Summe. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel: Da gibt es im Bereich der Betablocker ein Medikament, das in der Großpakkung 137,50 DM kostete. Seit dem 1. Januar dieses Jahres kostet es 92,67 DM. Wer einen Taschenrechner zur Hand hat, kann schnell ausrechnen, daß das 32,6 % weniger ist. Das ist ein sehr beachtlicher Betrag. Ich habe es extra einmal an einem Beispiel deutlich gemacht. Denn wer kann sich schon 500 Millionen DM, eine halbe Milliarde DM, vorstellen? Aber den Unterschied zwischen 137,50 DM und 92,67 DM bei einem einzigen Medikament, das wird selbst Herr Dreßler verstehen.
Ich muß auch noch einmal auf die vielen Vorsorgeleistungen hinweisen, die wir eingeführt haben - natürlich sind das teilweise Kassenleistungen, die die Kassen in der Satzung regeln müssen, z. B. auch die Kasse, in der Sie besonders verantwortlich sind, Herr Kollege Kirschner.
({9})
Vielleicht haben Sie das schon umgesetzt -: Maßnahmen der Krankenkassen zur Erprobung neuer Wege zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit; Ausweitung der Vorsorgeuntersuchung für Kinder vom vierten bis sechsten Lebensjahr; Krankenkassenleistung zur besseren Verhütung von Zahnkrankheiten; Zusammenarbeit der Krankenkassen mit allen für Präventionsaufgaben zuständigen Stellen usw. Sie müssen das Gesetz, Herr Dreßler, einmal lesen. Dann kommen Sie vielleicht dahinter, was da alles Gutes drinsteht und zum Teil auch schon läuft.
({10})
- Wenn Sie es schon dreimal gelesen und noch immer nicht begriffen haben, so bin ich dafür nicht verantwortlich, Herr Dreßler.
({11})
Alles in allem: Drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes läßt sich feststellen: Die Umsetzung ist im Gange. Vieles wurde schon erreicht, manches muß noch erreicht werden, manches steht noch als Herausforderung vor uns, insbesondere die weiteren Schritte.
({12})
Frau Kollegin Limbach, ich muß Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Ich bin sofort fertig, es ist der letzte Satz.
Bitte sehr.
Gesundheitsreform ist - das wissen Sie genausogut wie wir - immer ein dauernder Prozeß. Wer vorgibt, das gehe alles mit einem Schritt und in einem Satz, der täuscht. Das ist, wie gesagt, ein dauernder Prozeß. Dem stellen wir uns, und zwar auch in Zukunft, erfolgreich.
({0})
Meine Damen und Herren, nunmehr hat unser Kollege Horst Peter ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Grund für unseren Antrag auf eine Aktuellen Stunde war: Wir wollten erfahren, wann, wir wollten erfahren, wie, und wir wollten erfahren, mit welchen Inhalten das bestgehütete Geheimnis dieser Bundesregierung, nämlich wie sie aus der Misere im Bereich des Gesundheitswesens herauskommt, vielleicht an die Öffentlichkeit kommt.
({0})
Weil wir da neugierig waren, habe ich mir sehr genau notiert, was die einzelnen Redner der Regierungsparteien gesagt haben.
({1})
Beim Kollegen Jagoda habe ich mir gar nichts aufgeschrieben; da war nichts drin.
({2})
Beim Kollegen Thomae habe ich mir aufgeschrieben: Wir werden abwarten, und wir dürfen keine Schnellschüsse machen.
({3})
Horst Peter ({4})
Vom Kollegen Zöller habe ich gelernt, daß er es mit der Beitragsstabilität ernst meint
({5})
und daß jeder Partner einen Beitrag dazu leisten soll.
Vom Kollegen Menzel habe ich gelernt, daß das Gesundheitswesen eine ständige Aufgabe ist und daß wir aufgefordert sind, uns an der Diskussion zu beteiligen. Da müssen wir aber von Ihnen bitte Vorschläge erfahren, wie denn die Akzente dieser Diskussion zu setzen sind.
({6})
Im übrigen bedauere ich, daß der Kollege Menzel in der F.D.P. nicht mehr zu sagen hat. Wir müssen uns ja immer mit Herrn Möllemann und Herrn Thomae abquälen. Das ist das Bedauerliche, Herr Kollege.
({7})
Von der Kollegin Limbach habe ich viele kluge Worte über das gehört, was alles im Gesetz steht. Das wußten wir bereits selbst.
({8})
Und dann habe ich gehört, Frau Kollegin Limbach, daß derjenige, der von Ihren Grausamkeiten redet, soziale Kälte ausstrahlt.
({9})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wer Grausamkeiten begeht, der strahlt soziale Kälte aus.
({10})
Dann kam für die Bundesregierung die Frau Kollegin Bergmann-Pohl. Sie hat die Erfolge des Gesundheits-Reformgesetzes gepriesen
({11})
und hat gesagt: „Am Anfang zumindest" . Aber, Frau Staatssekretärin, das war bei allen Kostendämpfungsgesetzen so, auch bei dem von der sozialliberalen Koalition zu verantwortenden; die F.D.P. war immer dabei. Am Anfang bringt ein Kostendämpfungsgesetz Erfolge; aber wenn die Strukturprobleme nicht angegriffen werden, dann kommt die Misere todsicher wieder neu. Das lernen Sie jetzt auch mal wieder.
({12})
Wir müssen sagen, diese Regierung hat vier Jahre Zeit vertan; denn diese Regierung hat ja vor vier Jahren die Möglichkeiten gehabt, mit unseren Beschlüssen, mit unseren Vorschlägen an die Strukturreform heranzugehen. Statt dessen haben Sie eine Neuauflage eines Kostendämpfungsgesetzes gemacht,
({13})
und all das, was dadurch an Belastungen für die Rentnerinnen und Rentner, für die chronisch Kranken, für die Behinderten und die häufig Kranken herausgekommen ist, haben Sie auch allein zu verantworten.
({14})
Sie haben nämlich damals das, was wir angeboten haben, gemeinsam darüber zu diskutieren, abgelehnt, weil Sie meinten, mit der F.D.P. - ({15})
- Der Schwierigkeiten sind schon genug, Herr Kollege Jagoda. - Und nun ruft der Kollege Thomae, das Patentkonzept liegt bei der Bundesregierung im Tresor. Ich habe in der Tat auch diesen Eindruck; denn diese Koalitionskommission, die Sie eingesetzt haben, ist ja nun wirklich ein Geheimgremium.
({16})
Das Konklave zur Papstwahl ist dagegen ein öffentliches Forum, habe ich den Eindruck.
({17})
Diese Koalitionskommission, Frau Babel, ist offensichtlich so geheim, daß informierte Leute, die es gibt, behaupten, der Bundeskanzler habe der Bundesgesundheitsministerin sogar Redeverbot auferlegt, damit niemand was erfährt.
({18})
Und das Parlament - und das ist das Problem - wird in die Rolle, um einen Vergleich aus der Bibel zu nehmen, des Volkes Israel versetzt, das 40 Tage harren mußte, bis Moses die Gesetzestafeln vom Berg Sinai zurückbrachte,
({19})
oder in die Rolle von indianischen Urvölkern versetzt, die nach heiligen Rauchzeichen vom Gipfel des Popocatepetl ausschauen. Es ist allerdings nicht etwas so Dauerhaftes zu erwarten, wie es damals Moses mitgebracht hat.
Nun der letzte Satz, meine Damen und Herren. Wenn das so ist, dann kann das nur heißen: Nach der Steuerlüge 1990 bereitet diese Regierung die Soziallüge 1992 vor.
({20})
Um das offenzulegen, haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
({21})
Meine Damen und Herren, bevor ich dem letzten Redner in der Aktuellen Stunde, nämlich dem Kollegen Dr. Paul Hoffacker, das Wort erteile, will ich noch auf folgendes aufmerksam machen. Herr Kollege Dreßler hat in einem Zusammenhang das Wort „Stuß" gebraucht. So, wie
Vizepräsident Helmuth Becker
er es gebraucht hat, muß ich sagen, war es unparlamentarisch.
({0}) Nun hat das Wort der Kollege Hoffacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag von Herrn Peter erinnert mich an den Abschluß eines Lehrversuchs eines Referendars mit der Fragestellung: Was raten wir dem Probanden?
({0})
Wir raten dem Probanden: Lesen, zuhören, nachdenken und dann sprechen.
({1})
Das ist vielleicht etwas, was auf diesen Beitrag sehr gut paßt.
({2})
- Sie sind sehr neugierig.
In der Sache möchte ich folgendes sagen. Wenn diese Aktuelle Stunde von der Fraktion der SPD ernst gemeint gewesen wäre, dann hätte sie seit langem einen Antrag, einen Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform vorgelegt, den wir jetzt hätten diskutieren können, nicht etwa in Form einer Aktuellen Stunde, sondern - ({3})
Herr Präsident, wird mir dieses laute Geschrei auf die Redezeit angerechnet?
Nein, das wird es nicht. Ich sage nur: Wir waren während der ganzen Debatte nicht sehr sparsam mit Zwischenrufen. Aber wenn Sie in Ihrer Rede behindert werden, kann ich das keinesfalls auf Ihre Redezeit anrechnen.
({0})
Bitte sehr, fahren Sie fort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Wenn es ernst gemeint gewesen wäre, hätten wir hier über Anträge und Gesetzentwürfe der Opposition sprechen können, allerdings nicht in einer Aktuellen Stunde, weil die Eilbedürftigkeit nicht zu erkennen ist, wie die Beiträge der Opposition gezeigt haben.
({0})
Seit 1987 haben wir von der SPD nichts mehr gehört.
({1})
Was die letzte Stunde betrifft, Herr Kirschner, darf ich Sie auf folgendes hinweisen. Sie haben in Ihrer
Fraktion nicht einmal einen Antrag zum Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Beiträge in der Krankenversicherung hinbekommen.
({2})
Ich sage das nur, damit das klar ist. Das alles muß einmal gesagt werden, damit deutlich wird, was für ein Schauspiel hier von der Opposition inszeniert wird.
({3})
Meine Damen und Herren, ihre desolate Situation muß die SPD selber vertreten.
({4})
- Herr Kollege Dreßler, wenn Sie ihren Kehlkopf schonen würden, wäre das für die Gesundheit und möglicherweise für einen Arzt sehr viel wichtiger und der Kostenentwicklung ebenfalls zuträglich.
Dieser besondere Charme kann einem doch auf die Nerven gehen;
({5})
denn das, was wir tun, ist bereits in den vielen Beiträgen der Kollegen zum Ausdruck gekommen. Ich darf einiges davon wiederholen.
({6})
Ich fange mit der Chipkarte an. Herr Kollege Kirschner, Sie hinken hinter der Zeit her, sonst wüßten Sie, daß es zwischen den Krankenkassen und den Ärzten bereits einen Vertrag gibt, und zwar mit Zeitangabe, wann die Feldversuche beginnen, wann die flächendeckende Einführung erfolgt und wann die Transparenz hergestellt sein wird.
Was das ärztliche Studium betrifft, so meinen wir nicht, daß eine Lösung angestrebt werden sollte, die denjenigen von der Arbeit abhält, der vielleicht mit 29 oder 30 Jahren sein Studium abgeschlossen hat.
Wir kennen das von Ihnen behandelte Problem, Frau Steen. Ich verstehe nicht, daß Sie über die Betriebskrankenkassen lamentieren. Das ist eine Einrichtung, die über 100 Jahre alt ist. Wir wollen weder in Schleswig-Holstein noch sonstwo in der Bundesrepublik die Einheitskasse.
({7})
- Damit es deutlich wird, betone ich: Wir wollen das gegliederte System.
({8})
An Frau Steen aus Schleswig-Holstein gerichtet: Nach §§ 141 ff. SGB V ist die Möglichkeit eines landesinternen Kassenausgleichs für die AOK gegeben.
({9})
Sie braucht nicht auf das Vermögen derjenigen zurückzugreifen, die wirtschaftlich gut gearbeitet haben.
({10})
({11})
Das Thema dieser Aktuellen Stunde war weder eilbedürftig noch angebracht. Die Aktuelle Stunde war überflüssig. Unsere Gesundheitspolitik ist nicht von der Hektik einer Opposition beseelt, sondern wir haben einen langen Atem.
({12})
- Unerträglich, Herr Kollege Dreßler, ist für mich diese unanständige Art, wie Sie hier Frau Hasselfeldt angegriffen haben.
({13})
Das möchte ich ganz deutlich sagen. Ihre Vorschläge sind rückschrittlich, widersprüchlich, überflüssig.
Schönen Dank.
({14})
Damit, meine Damen und Herren, ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Vereinbarte Debatte zu Giftmüllexporten aus der EG in ,,Nicht-OECD-Staaten" vor dem Hintergrund des Umweltministerrats am 23. März 1992
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Debatte nach den Regeln einer Aktuellen Stunde geführt werden.
Da ich annehme, daß das Haus mit diesem Verfahrensvorschlag einverstanden ist - das ist offensichtlich der Fall -, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Feige das Wort.
({0})
- Bevor Sie anfangen, Herr Dr. Feige, möchte ich Ihnen die notwendige Ruhe im Hause verschaffen. - Sie haben das Wort, Herr Dr. Feige.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Save Planet Earth from Economists " - schützt die Erde vor Ökonomen -, mit dieser Überschrift kommentierte die sicher nicht grün-nahe „Financial Times" am 10. Februar dieses Jahres ein vertrauliches Papier des Weltbankvizepräsidenten Lawrence Summers. In unverblümter Manier forderte Summers, daß Projektförderung mit Weltbankgeldern in Zukunft an die Bereitschaft von Staaten der sogenannten Dritten Welt gebunden werden müßte, Giftmüll und stark verschmutzende Industrien aus den reichen Industriestaaten zu dulden. Klare Worte, auch wenn die Weltbank diese Position inzwischen als persönliche Meinung von Summers bezeichnet und dieser selber von einem Mißverständnis spricht.
Angesichts der Auseinandersetzung um die Abfallverbringungsverordnung der EG muß allerdings davon ausgegangen werden, daß die Haltung des Weltbankvizepräsidenten vom Grundsatz her auch von der EG-Kommission geteilt wird. Während der Umweltausschuß des Europaparlaments darauf besteht, daß Abfallexporte - um diese geht es vor allem - aus EG-Staaten in Nicht-OECD-Staaten zu unterbinden sind, vertritt die EG-Kommission die Auffassung, daß zumindest zur Wiederverwertung deklarierte Abfälle weltweit ohne Beschränkung gehandelt werden dürfen. Hier bahnt sich der eigentliche Skandal an.
Zum einen ignoriert die EG-Kommission ihre eigene Unterschrift unter das Finanz- und Handelsabkommen von Lomé IV, das seit Juni 1991 in Kraft ist. Danach werden Importe von Abfällen aller Art, inklusive Hausmüll, in die derzeit beteiligten 69 Staaten in Afrika, der Karibik und im Pazifik ausnahmslos verboten. Zum anderen leistet sie mit dieser Haltung kriminellen Machenschaften Vorschub. Skrupellose Giftmüllhändler verschieben seit Jahren Abfälle aus der Bundesrepublik vor allem in die Staaten der sogenannten Dritten Welt, neuerdings mehr und mehr auch in osteuropäische Länder.
Das Strickmuster ist immmer dasselbe: Man nehme Autoshredder und Altreifen, suche einen willigen Empfänger, bezeichne das Ganze als Einsatzmaterial für den Straßenbau, z. B. in Rumänien, und flugs verlassen solche teils hochgiftigen Abfallstoffe ohne weitere abfallrechtliche Genehmigung die Bundesrepublik. Man nehme Kunststoffshredder, erkläre das zum Brennstoff für Ägypten, und schon wiederholt sich das unfaire und ungute Spiel.
Der jüngste Fall: Hunderte von Giftmiillfässern in einem Lagerhaus in der Nähe von Kassel, die nach Recherchen von Greenpeace von der einschlägig bekannten Firma T.R.I. nach Rumänien verschoben werden sollten. Hier scheint das hessische Umweltministerium allerdings schnell eingeschritten zu sein.
Anderes geschieht nach jüngsten Informationen im Saarland. Trotz öffentlicher Berichte über die kriminellen Machenschaften der Firma T.R.I. hat es die dortige Landesregierung offenbar zugelassen, daß bereits Transporte von Giftmüll nach Rumänien abgehen konnten.
({0})
Die letzte Mitteilung ist, daß das so war.
Die Bundesregierung vollführt in dieser Frage bislang einen Eiertanz. Sie stellt sich auf den Standpunkt, Empfängerländer müßten selber beurteilen, ob von der Behandlung importierter Abfälle Gefahren für die dortige Umwelt drohen. Das ist angesichts der personellen und materiellen Ausstattung vieler Staaten gerade der sogenannten Dritten Welt mehr als absurd.
Es ist an der Zeit, daß die Bundesregierung und namentlich der designierte Verteidigungsminister Töpfer
({1})
von ihrer zweideutigen Haltung abrücken. Wir fordern sie auf, am kommenden Montag dafür einzutreten, daß Abfallexporte aus der EG in Nicht-OECDStaaten, auch wenn sie unter der Flagge „ Wirtschaftsgut" segeln, ausnahmslos zu unterbleiben haben.
Es kann nicht hingenommen werden, daß die reichen Industriestaaten unter dem Druck der Umweltbewegung immer schärfere Gesetze verabschieden, daß es der Industrie aber leichtgemacht wird, ihren Müll zur Hintertür hinauszukehren. Es muß auch angesichts der globalen Umweltbedrohung damit Schluß gemacht werden, daß die Industriestaaten auf Kosten der Staaten der Dritten Welt wirtschaften.
Gerade im Jahr der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung ist konsequentes Handeln im eigenen Land gefragt, nicht zuletzt, um deutscher Umweltpolitik international Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Es geht mir wirklich nicht darum, zu meckern, sondern ganz eindeutig darum, daß wir auch innerhalb unseres Landes ein klare Definition dafür finden, was Giftmüll ist und was wiederverwertbares, recyclingfähiges Material ist. Wenn wir das Graufeld dazwischen nicht deutlich und sauber abgrenzen, werden wir permanent in solche Skandale verwickelt sein. Und das haben wir einfach nicht nötig.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile dem Abgeordneten Kampeter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abfallwirtschaft steht oben auf der Tagesordung der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland.
Da hier heute die Verbringung von Abfällen in Nicht-OECD-Staaten beklagt wird, stelle ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eindeutig fest: Unsere Position ist klar. Wir wollen überhaupt keinen Abfall in die Dritte Welt exportieren und setzen uns für entsprechende internationale Regelungen ein. Die Entsorgung unseres Abfalls ist vorwiegend im eigenen Land zu lösen. Unsere Kooperationspartner finden wir ausschließlich innerhalb der EG und der OECD.
Diese Position vertreten die Christdemokraten nicht nur national. Bei der Diskussion der Abfallverbringungsrichtlinie hat sich ein deutscher Christdemokrat vor wenigen Tagen im Europäischen Parlament für die strikteste aller denkbaren Regelungen, nämlich die Entsorgungsautarkie der Europäischen Gemeinschaft, eingesetzt und dabei im Europäischen Parlament eine breite Mehrheit erhalten.
Wir vertreten diese Position nicht erst seit heute, sondern haben das Thema Abfallexporte stets kritisch beurteilt. Das geht z. B. aus der Antwort auf eine Große Anfrage zu diesem Thema aus der vergangenen Wahlperiode hervor.
Wenn wir heute Einzelfälle von Abfallexporten diskutieren, dann muß man dabei beachten, daß es sich nach deutschem Recht offensichtlich um illegale Tätigkeiten handelt, die von den Strafverfolgungsbehörden geahndet werden müssen.
Mir stellen sich in diesem Zusammenhang zwei zentrale Fragen: Erstens. Warum werden die Beschlüsse der Länderarbeitsgemeinschaft für Abfall von 1988, die ein faktisches Verbot von Müllexport vorsehen, von den ausführenden Ländern in der Praxis nicht entschlossen genug umgesetzt und kontrolliert? Zweitens. Warum haben die Bundesländer die Abfall- und Reststoffüberwachungsverordnung im Jahre 1989 im Bundesrat weitgehend entschärft? Sie sah doch weitere Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten des Vollzugs gegen Abfallexporte in Länder der Dritten Welt vor.
Der Kollege Feige hat, wie ich fand, sehr sachlich dargestellt, daß es sich offensichtlich um ein Problem handelt, das wir vorwiegend in sozialdemokratisch geführten Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Rheinland-Pfalz finden.
({0})
Ich denke, in dieser Debatte wird an anderer Stelle der Kollege Wittmann ausführen, daß andere Länder, in diesem Fall das christsozial regierte Bayern, die Frage der Abfallexporte sehr, sehr restriktiv und, wie ich meine, vorbildlich handhaben.
Die in dem neuen Entwurf der Abfallverbringungsrichtlinie vorgesehene Möglichkeit, bi- und multilaterale Verträge über Abfallimporte und -exporte auch außerhalb der OECD-Länder abzuschließen, ist an die strikte Kontrolle der abfallwirtschaftlichen Standards der Europäischen Gemeinschaft gekoppelt. Es öffnet nicht, wie Herr Feige hier darstellt, das Tor für einen möglichst breiten Export außerhalb der OECD. Ich halte die Regelung für sachgerecht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß wir bei dem Grundsatz bleiben: „Keine Abfallexporte in Entwicklungsländer, die keine Entsorgungskapazität vorhalten! "
Völlig vergessen wird - auch auf diesen Zusammenhang möchte ich hier noch einmal hinweisen -, daß bei Importen entsprechende Vereinbarungen erforderlich sind, um bewährte Sekundärrohstoffversorgung auch aus Nichtmitgliedstaaten des Baseler Übereinkommens weiterhin zu ermöglichen. Ich möchte hier etwa Vanadium nennen, das hauptsächlich über Hüttenrückstände aus China, Südafrika und den Staaten der ehemaligen UdSSR in die Bundesrepublik kommt. Wir sind auf diese Rohstoffimporte angewiesen und werden uns natürlich auch nicht über europäische Regelungen die Rohstoffhähne verschließen.
Dies ändert aber nichts an dem von uns vertretenen Grundsatz, zu Abfallexporten in Entwicklungsländer nein zu sagen. Dies ändert nichts an der entschlossenen Politik des Bundesumweltministers, schärfste Entsorgungsvorschriften für alle Arten von Abfall durchzusetzen. Dies ändert nichts daran, daß wir entschlossen an der Umsetzung der Baseler Konvention in nationales Recht, auch im Hinblick auf die Beratung des Erdgipfels in Rio, festhalten.
Mit Genugtuung stelle ich fest, daß diese Meinung auch von der Umweltorganisation Greenpeace geteilt wird, die in einem Schreiben an einige Bundestagsabgeordnete aus dem Umweltausschuß feststellt, daß die Position des Bundesumweltministeriums erfreulich kritisch gegen Müllexporte gerichtet ist.
({1})
Das ist aus unerwarteter Ecke eine erfreuliche Darstellung der Position des Bundesumweltministers. Aber ich kann mich in dieser Sache Greenpeace voll anschließen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Caspers-Merk.
Herr Kollege Kampeter, Sie waren so wild darauf, auch Beispiele aus anderen Bundesländern zu hören. Ich möchte mich in meinem Beitrag sehr auf das Beispiel aus BadenWürttemberg beziehen, das in der Greenpeace-Dokumentation eine Rolle gespielt hat.
Bei mir zu Hause, in meinem Wahlkreis, im schönen südbadischen Schopfheim, hat sich ein Unternehmen namens Taurus niedergelassen, das nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma ist. Sie nennt sich Abfallentsorgungsunternehmen, obwohl sie vor Ort keinerlei Aktivitäten unternimmt.
Heute weiß man, daß in der Gewerbekartei ausschließlich Personen eingetragen sind, die ihren Wohnsitz in Manila haben, und daß die Firma bundesweit operiert. Diese Firma kauft von einer anderen Firma in einem anderen Bundesland angeblich harmlose Plastikabfälle und verkauft sie als Wirtschaftsgut in drei Schiffsladungen mit insgesamt 2 500 t nach Ägypten. Die Ladung besteht aber tatsächlich aus geschredderten Hüllen von Autobatterien, die mit allen möglichen Chemikalien, vor allem Arsen und Blei, verunreinigt sind.
Der Transport erfolgt so, daß der Firmensitz in Baden-Württemberg nicht einmal annähernd berührt wird. Entsorgungsnachweise liegen nach heutiger Erkenntnis nicht vor. Das so entstandene Wirtschaftsgut soll dann in einem ägyptischen Zementwerk mit schlechten Umweltschutzeinrichtungen verbrannt werden.
Diese Vorgänge werden derzeit von zwei Staatsanwaltschaften untersucht.
Der internationale Müllhandel ist offensichtlich ein sehr gutes Geschäft geworden. Da lassen sich mit unserem Versagen, die Müllprobleme vor Ort zu lösen, satte Profite machen. Das, was sich in diesem Entsorgungsbereich auch an Halbseidenem und Illegalem abspielt, ist seit Jahren bekannt. Es geht immer wieder um die Frage, ob Abfall tatsächlich Abfall ist oder als Wirtschaftsgut deklariert werden kann. Wenn auch nur eine Mark für den Abfall erlöst wird und der Empfänger eine Verwertungsabsicht bekundet, schlüpft man nämlich leicht durch sämtliche Maschen des Gesetzes. So sieht bei mir vor Ort die Wirklichkeit aus.
Welches ist der Anspruch der Bundesregierung? Zu Beginn dieser Wahlperiode legte die Bundesregierung fest, daß mit einer Novelle des Abfallgesetzes eine eindeutige Abgrenzung zwischen Reststoff, Abfall und Wirtschaftsgut erreicht werden soll.
Grundsätzlich hat der Bundesumweltminister gefordert, daß folgende drei Maßnahmen Abfallexporte verhindern sollen: Erstens: Ratifizierung der Baseler Konvention - bislang nicht erfolgt -; zweitens: Novellierung der Reststoffbestimmungsverordnung mit dem Ziel, den Export von Reststoffen abfallrechtlich zu überwachen - diese Novellierung ist noch nicht erfolgt -; drittens: aktive Mitgestaltung bei weiteren multi- und bilateralen Vereinbarungen - ebenfalls noch nicht erfolgt -.
Es ist also bis heute in diesen drei Punkten nichts geschehen. Wir können festhalten: Viel versprochen, wenig eingehalten.
({0})
Daß die Situation beim Abfall schwierig ist, braucht man uns nicht zu sagen. Es ist mittlerweile die Achillesferse unserer Industriegesellschaft geworden. Wir wissen auch, daß es hier Vollzugsdefizite der Länder gibt. Aber es gibt eben auch einen dringenden Handlungsbedarf von seiten der Regierung.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Firma Taurus zu sprechen kommen, denn dieser Fall beleuchtet die Probleme.
({1})
Herr Abgeordneter, Sie haben offensichtlich vergessen, daß Sie das Wort zur Zeit nicht haben.
({0})
Ihre fünf Minuten haben gereicht, Herr Kampeter.
Ich wollte zum Thema Taurus zurückkommen. Denn hier handelt es sich um ein besonderes Wirtschaftsgut. Es ging nämlich um Autobatterien. 40 Millionen Autos fahren auf unseren bundesdeutschen Straßen. Wenn man von einer durchschnittlichen Lebensdauer der Autobatterie ausgeht, fallen jährlich 12 bis 13 Millionen Autobatterien an, die irgendwie entsorgt werden müssen.
Nach meinen Vorstellungen und den Vorstellungen der SPD muß hier ganz konsequent das Verursacherprinzip angewendet werden. Schon bei der Produktion muß klar sein, was nach dem Gebrauch mit der Batterie wird.
Nun hat Minister Töpfer ja den Entwurf einer Verordnung über die umweltverträgliche Entsorgung von Kraftfahrzeugen angekündigt. Das schließt Autobatterien wohl ein. Wann aber wird die kommen? Da bin ich auf die Antwort des Kollegen Laufs gespannt. Und wann wird sie denn greifen? Angesichts von Bergen von Abfällen kommen heute sogar diese
ordnungsrechtlichen Eingriffe sehr spät, oft sogar zu spät.
Das Sondergutachten „Abfallwirtschaft" der Sachverständigen für Umweltfragen hat unmißverständlich dargelegt, daß Müllexport in Entwicklungsländer weder moralisch noch politisch zu rechtfertigen ist. Aber auch Diskussionen darüber, ob ein Export in OECD-Länder gerade noch zulässig sein kann, führen uns nicht weiter.
Wir fordern deshalb ein generelles Exportverbot in diesem Müllbereich.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Birgit Homburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Stand von 1988 fielen in der Bundesrepublik Deutschland ca. 10 Millionen t Sonderabfälle im Jahr an. Die Verbringung dieser Abfälle aus dem Geltungsbereich des Abfallgesetzes ist im j 13 des Bundesabfallgesetzes dergestalt geregelt, daß neben anderen Erfordernissen vom Antragsteller amtliche Erklärungen erbracht werden müssen, daß die Abfälle im Empfängerstaat ordnungsgemäß entsorgt werden können und in den vom Transport berührten weiteren Staaten keine Bedenken gegen die Durchfuhr der Abfälle bestehen.
Alle in der letzten Zeit erwähnten und uns bekannten Vorgänge der Versendung von Abfall nach Rumänien und in die GUS-Staaten sowie in der vorigen Woche der Verschiffung von Sonderabfall nach Ägypten sind illegal, da es sich in allen uns bekannten Fällen um Abfälle gehandelt hat, die schon heute nach dem oben genannten Verfahren genehmigungspflichtig sind.
({0})
Die Verbringung dieses Abfalls ins Ausland erfolgte durch rechtswidrige Umdeklarierung zu nicht genehmigungspflichtigem Wirtschaftsgut, ist illegal und muß mit den Mitteln des Rechtsstaats verfolgt werden.
Betriebe, die auf diese Weise Müll verschieben und sich nicht an die gesetzlichen Bestimmungen halten, schaden der gesamten Wirtschaft der Bundesrepublik. Hierzu erwarte ich eine klare Äußerung der Wirtschaftsverbände.
({1})
Über diese illegalen Müllexporte hinaus lehnt die F.D.P. Müllexporte, gleich welcher Art, grundsätzlich ab. Ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik mit einer hervorragenden Versorgungsinfrastruktur muß in der Lage sein, auch die entsprechende Entsorgungsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen.
({2})
Es ist schon aus moralischen Gründen nicht vertretbar, daß die Länder der Dritten Welt zur Müllhalde der Industrieländer werden.
Daher gilt für den Sondermüll wie für alle anderen Bereiche der Abfallwirtschaft, daß Vermeidung Vorrang hat vor Verwertung, Verwertung Vorrang hat vor Entsorgung. Um weitere Vermeidungsanreize gerade im Sondermüllbereich zu geben, hat die Koalition die Einführung einer Deponieabgabe auf Sonderabfälle beschlossen.
An dieser Stelle bitte ich den Umweltminister,
({3})
in seinen Bemühungen nicht nachzulassen, einen in der Bundesregierung abgestimmten und verfassungsmäßig unbedenklichen Entwurf eines Abfallabgabengesetzes schnellstmöglich vorzulegen.
Trotz aller Bemühungen zur Reduzierung des Müllaufkommens wird es aber einen verbleibenden Restmüll geben. Die Lücke zwischen entsorgungstechnisch Notwendigem und heute in der Bundesrepublik Vorhandenem wird im wesentlichen durch mangelnde politische Durchsetzbarkeit neuer Abfallentsorgungsanlagen in den Gemeinden verursacht.
Daher fordere ich alle politisch Verantwortlichen dazu auf,
({4})
sich auch vor Ort für die notwendige Schaffung von Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen einzusetzen. Es ist schlicht und ergreifend unredlich, sich einerseits gegen Müllexporte auszusprechen und andererseits die Schaffung nötiger Entsorgungseinrichtungen in unserem Land zu verhindern.
({5})
Grenzüberschreitende Abfalltransporte sind für die F.D.P. nur in Ausnahmefällen und unter der Voraussetzung akzeptabel, daß am Zielort Entsorgungsstandards gelten, die den inländischen Anforderungen genügen. Es ist aus unserer Sicht darüber nachzudenken, wie im § 13 des Abfallgesetzes der Primat der Inlandsentsorgung stärker als bisher hervorgehoben werden kann.
Insofern begrüßt die F.D.P. die Konvention von Basel, die ja von der Bundesrepublik gezeichnet wurde und die vorsieht, daß Müllexporte nur noch in Länder möglich sind, mit denen spezielle bilaterale oder multilaterale Abkommen bestehen. Dies kommt faktisch einem Exportverbot gleich.
Den Versuch der EG-Kommission, wiederverwertbare Abfälle als Reststoffe nicht der Konvention von Basel zu unterwerfen, lehnen wir ab.
Sollte der am 23. März stattfindende Umweltministerrat nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen, dann sollte die Bundesrepublik aus Sicht der F.D.P. die Konvention von Basel ohne weitere Abstimmung mit den anderen EG-Staaten ratifizieren.
({6})
Ich halte dies auch im Zusammenhang mit der UNCED-Konferenz in Rio für wichtig.
({7})
Für diesen Fall fordere ich die Bundesregierung auf, dem Bundestag schnellstmöglich ein Ratifizierungsgesetz vorzulegen.
({8})
- Der Herr Staatssekretär Laufs ist da. Ich denke, es ist da in guten Ohren. Er wird das sicher mitnehmen und dem Herrn Minister mitteilen.
({9})
Darüber hinaus verdeutlicht die Diskussion über Sondermüllexporte ein weiteres Problem, das endlich gelöst werden muß. Wir brauchen nämlich eine eindeutige Klärung und Abgrenzung der Begriffe Reststoff, Abfall und Wirtschaftsgut.
({10})
Dieses Vorhaben haben die Koalitionsfraktionen in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt.
({11})
Es fällt in den Bereich der Novellierung des Abfallgesetzes und verdeutlicht - da hat der Herr Kollege hier vorne recht ({12})
die Dringlichkeit, daß der Umweltminister auch hierzu baldmöglichst einen Vorschlag vorlegen muß. Die F.D.P. erwartet also eine Klärung der offenen Fragen im internationalen Kontext sowie der offenen Fragen im Vollzug der Gesetze durch einen Bericht der Bundesregierung.
Danke.
({13})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Dagmar Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste im Bundestag fordert ein grundsätzliches Verbot von Sondermüllexporten. Wenigstens in dieser Forderung scheinen wir uns heute hier im Plenum einig zu sein.
Wir sind der Ansicht, der Trikont, die sogenannte Dritte Welt, eigentlich der Hinterhof der reichen kapitalistischen Industriestaaten, darf nicht zum Müllabladeplatz der chemischen Industrie, von Bayer, Hoechst und BASF, werden.
Dies gilt ebenso für die Länder Ost- und Südosteuropas, die zunehmend von der giftigen Hinterlassenschaft der herrschenden Produktions- und Konsumtionsweise überschwemmt werden.
Auch die beliebte Umdeklarierung von Abfall zu Wirtschaftsgut, von der hier schon mehrmals die Rede war, um ihn doch noch über die Grenzen abzuschieben, muß verhindert werden.
Wir fordern statt dessen ein grundsätzliches Umsteuern in der Chemiepolitik: Wir fordern die Einführung von Stoffbilanzen und „ Nichtvermeidbarkeitsnachweisen " für Abfall. Es müssen endlich konkrete Schritte zur Abfallvermeidung getan werden, denn trotz Gefahrstoffverordnung und anderer staatlicher Maßnahmen ist die chemische Industrie immer noch eine der gefährlichsten Risikoindustrien. Die Industrie hat uns in der Vergangenheit chemische Zeitbomben in den Boden gesetzt; heute soll der Müll exportiert oder verbrannt werden.
Nach wie vor spielt die Produktion nicht naturverträglicher halogenierter Kohlenwasserstoffe eine große Rolle und werden Jahr für Jahr Hunderte neuer Stoffe in Umlauf gebracht, deren Wirkung kaum erforscht ist. Mit dem Einstieg in harte Gen- und Biotechnologien beschreitet die chemische Industrie einen Weg, der zu noch schlimmeren Risiken und Problemen führt, da die Wirkung gentechnisch manipulierter Organismen auf andere Ökosysteme unkalkulierbar ist.
Auch das sofortige Verbot bestimmter abfallrelevanter und umweltschädlicher Produkte und Produktionsverfahren, wie großer Teile der Chlorchemie und von FCKW, ist ein Teil der Abfallvermeidung. Auch davon war hier mehrmals die Rede. Wir dürfen allerdings nicht so lange warten, sondern müssen wirklich schnell aussteigen. Das haben wir aber schon in einer anderen Aktuellen Stunde besprochen.
Eine an ökologischen Kriterien orientierte Chemiepolitik muß den Abbau besonders problematischer Produktionslinien wie PVC, FCKW, Phosgen, halogenierte Kohlenwasserstoffe, Gentechnologie usw. zum Ziel haben. Erforderlich ist der Umbau der übrigen chemischen Produktion in Richtung Natur-, Gesundheits- und Sozialverträglichkeit sowie der Aufbau einer „sanften" Chemie.
Eine notwendige Entgiftungspolitik muß auf eine drastische Reduzierung der Produktion derjenigen Stoffe zielen, die in natürlichen Stoffwechselprozessen nicht vorkommen und daher natürlich nicht abgebaut werden können. Hierzu gehören auch die Produktionsverfahren der elektronischen Industrie, die zu den in hohem Maße umweltbelastenden Industrien gehört, wie die Erfahrung von Silicon Valley in den USA belegt. „Sanfte" Chemie fördert hingegen Produktionsverfahren, die zu Stoffen führen, die von Mensch und Natur ohne Schaden abgebaut und in ökologische Kreisläufe integriert werden können.
Wir wissen, daß die nötigen Konzepte für den Umstieg auf „sanfte" Chemie erst in einigen wenigen Bereichen entwickelt sind. Ich erinnere nur an Naturfarben, Nahrungsmittel, Medikamente, Kosmetika, Kleidung und anderes. Die nötige Chemiewende muß daher in einem ersten Schritt durch politische Vorgaben - Gebote, Verbote, Steuern und Abgaben - einen Ausstieg aus besonders gefährlicher Produktion fördern, während gleichzeitig Mittel und Institutionen geschaffen werden, die eine Neukonzeption der Chemiepolitik, eine durchgreifende Technologiebewer7054
tung, Produktionslinienanalysen und eine ausreichende ökologische Produktkontrolle ermöglichen.
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- Gut, das werden wir machen; aber Sie wissen, wie stark unsere Gruppe ist, Herr Kollege Feige.
Konkret fordern wir eine Ergänzung des Gefahrenabwehrprinzips im Chemikaliengesetz durch ein Umweltvorsorgeprinzip, das ein Verbot umweltgefährdender Stoffe erleichtert, möglichst bevor sie auf den Markt gelangen und letztlich zu giftigem Haus-bzw. Sondermüll werden und in Afrika oder in Osteuropa landen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Laufs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Fragen der grenzüberschreitenden Abfallbeseitigung schon frühzeitig große Aufmerksamkeit gewidmet. Ich erinnere daran, daß der Deutsche Bundestag bereits mit der dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vom 31. Januar 1985 die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen durchgeführt hat. Seither darf es aus der Bundesrepublik Deutschland keine ungenehmigten Abfallexporte mehr geben.
({0})
Mit demselben Gesetzgebungsvorhaben wurde darüber hinaus festgelegt, daß für Deutschland der Grundsatz der Entsorgung im Inland gilt. Abfallexporte aus der Bundesrepublik Deutschland dürfen nach dem eindeutigen Gesetzesbefehl nur dann stattfinden, wenn eine Entsorgung in der Bundesrepublik Deutschland selbst nicht möglich oder nicht sinnvoll ist oder wenn Abfallentsorgungspläne der Länder die Entsorgung von Abfällen außerhalb Deutschlands erlauben. Besondere Regelungen gelten entsprechend den europarechtlichen Vorgaben für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften.
Die Zielsetzung einer möglichst vollständigen Inlandsentsorgung ist in der Praxis bei weitem noch nicht erreicht. Aus der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahre 1990 - dies sind die letzten Zahlen, die mir vorliegen - insgesamt etwa 1,1 Millionen t Abfälle in das Ausland verbracht. Die Hälfte hiervon waren Siedlungsabfälle und gingen überwiegend in das benachbarte Frankreich. Auch Sonderabfälle wurden ausweislich dieser Statistik ausschließlich in Staaten der Europäischen Gemeinschaften oder der EFTA verbracht.
Abfallexporte in Nicht-OECD-Staaten haben ausweislich der von seiten der Länder übermittelten statistischen Daten nicht stattgefunden. Der Bundesregierung ist gleichwohl bekanntgeworden, daß es wiederholt Versuche gab, illegale Abfalltransporte durchzuführen. Allerdings haben sich in der Vergangenheit die Planungen derartiger Transporte regelmäßig zerschlagen, sobald sie bekanntgeworden sind.
Der Vollzug des Abfallrechts und die Verfolgung der Verantwortlichen wegen gegebenenfalls tatsächlich durchgeführter illegaler Transporte ist Aufgabe der zuständigen Behörden der Bundesländer. So haben auch in dem von Frau Kollegin Caspers-Merk hier vorgetragenen Fall aus Baden-Württemberg die zuständigen Landesbehörden und die zuständige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingeleitet. Das Schiff mit den vermutlich besonders überwachungsbedürftigen Abfällen liegt in internationalen Gewässern vor Ägypten und wartet auf weitere Order. Der dänische Reeder kooperiert mit den Behörden.
Die Bundesregierung sieht ihre Aufgabe in der weiteren Verbesserung des nationalen und internationalen Abfallrechts. Im März 1989 wurde das Baseler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen beschlossen.
({1})
Anlaß für das Übereinkommen waren dramatische Informationen über Abfalltransporte aus Industriestaaten in Staaten der Dritten Welt. Der Abschluß der Konvention belegt eindringlich, welchen Stellenwert die grenzüberschreitende Abfallentsorgung international inzwischen einnimmt.
Die Bundesregierung begrüßt dies uneingeschränkt. Sie gehörte zu den Staaten, die in den Verhandlungen zur Baseler Konvention nachhaltig für Abfallimportverbote in Staaten, die nicht über die erforderliche Infrastruktur verfügen, eingetreten ist. Wie Sie wissen, wurden derartige Importverbote und damit auch korrespondierende Exportverbote für Industriestaaten von der Mehrheit der vertretenen Staaten abgelehnt.
Die Bundesrepublik Deutschland hat das Baseler Übereinkommen bisher noch nicht ratifiziert. Der Grund hierfür, Frau Kollegin Caspers-Merk, liegt darin, daß die Europäische Gemeinschaft über eine Teilkompetenz für den Regelungsbereich grenzüberschreitender Abfallentsorgung verfügt und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen Verordnungsentwurf vorgelegt hat, der zur Zeit im Umweltministerrat beraten wird.
Die Bundesrepublik hat sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als einer der ersten Staaten mit Nachdruck dafür eingesetzt, erstens alle Abfallverbringungen in den Regelungsbereich einzubeziehen, ihn also nicht auf gefährliche Abfälle oder Giftmüll zu beschränken. Sie hat zweitens nachhaltig darauf hingewirkt, die Zulässigkeit von Abfallexporten aus der Europäischen Gemeinschaft weitgehend einzuschränken.
Nach Auffassung der Bundesregierung sollten Abfallexporte mit dem Ziel der Beseitigung auf den EG-Raum sowie auf die Staaten der Europäischen Freihandelszone - EFTA - beschränkt werden. AbParl. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
fallexporte mit dem Ziel der Verwertung sollen nach Auffassung der Bundesregierung auf den Bereich der OECD-Staaten beschränkt werden. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund eine Vereinbarung der OECD-Staaten über die Überwachung von grenzüberschreitenden Abfalltransporten zur Verwertung angeregt. Dieses Abkommen wird in Kürze vom Rat der OECD beschlossen werden.
Die im Bereich des internationalen Umweltrechts vorgesehenen Regelungen müssen durch nationale Rechtsvorschriften flankiert und umgesetzt werden. Die Bundesregierung strebt insoweit strikte Verbote von Abfallexporten in Länder, die den genannten Staatengruppen nicht angehören, an. Um Umgehungen der Exportverbote für Abfälle durch Umwidmung der Stoffe als Wirtschaftsgut vorzubeugen, sollen die Verbotsregelungen auf Reststoffe ausgedehnt werden. Die Strafvorschriften für illegale Vorgänge sollen erweitert und verschärft werden.
Die im Baseler Übereinkommen vorgesehene subsidiäre Staatshaftung für illegale Verbringungen wird umgesetzt. Sie wird dazu führen, daß sich die insoweit verantwortlichen Länder mehr als bisher um die Verhinderung illegaler Abfalltransporte bemühen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Abschluß die Bemerkung, daß die von der Bundesregierung beabsichtigten drastischen Beschränkungen der grenzüberschreitenden Abfallentsorgung nur dann greifen werden, wenn sie von den für den Vollzug zuständigen Ländern mit Nachdruck umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang ist auch noch einmal der dringende Appell an die Länder angezeigt, für eine ausreichende Infrastruktur für die Entsorgung von Abfällen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu sorgen, damit Abfallexporte insgesamt entbehrlich werden können.
Im übrigen danke ich allen Seiten dieses Hauses, die ihre Bereitschaft betont haben, die Bundesregierung bei dem Gesetzgebungsvorhaben zur Novellierung des Abfallgesetzes zu unterstützen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Bundesrepublik stieg das Sonderabfallaufkommen in Höhe von 2,8 Millionen t im Jahre 1984 auf 10 Millionen t im Jahre 1991.
({0})
Seine Entsorgung wird daher für die Wirtschaft und die Kommunen immer mehr zu einem Problem von herausragender Bedeutung.
Deponieraum für Sonderabfall wird zunehmend knapper, und seine Verwahrung vor der Haustür der Kommunen auf Sonderabfalldeponien stößt auf mangelnde Akzeptanz bei der Bevölkerung. Die Kapazitäten thermischer Verwertung sind hierzulande nach wie vor unzureichend. Sie zu erweitern halte ich für unverzichtbar, zumal das technische Know-how und seine Umsetzung in umweltfreundliche Verfahren bereits einen hohen, weltweit anerkannten Stand erreicht haben.
Wollen wir den Export von Sonderabfall auf Dauer verringern, werden wir an einer stärkeren Einbeziehung thermischer Entsorgungstechnik im Rahmen eines integrierten Abfallentsorgungskonzeptes nicht vorbeikommen.
({1})
Solange aber die Widerstände dagegen und die Verweigerungshaltung nicht aufgegeben werden, bleibt als Notnagel der Entsorgungswirtschaft - das kann nach meinem Dafürhalten sowohl vom Umfang als auch vom zeitlichen Rahmen her nur als Zwischenlösung gelten - der Sonderabfallexport in speziell genehmigten Fällen. Diesen hält die Bundesregierung allerdings nur dann für zulässig, wenn die Länder, die nicht der OECD angehören, ausgespart werden, wenn der Transport gefahrlos ist und wenn in den Importländern eine umweltgerechte Entsorgungs- und Verwertungsinfrastruktur vorhanden ist. Sollte es auf EG-Ebene nicht zu einer für die Bundesrepublik annehmbaren Lösung kommen, behält sie sich eigene Lösungen vor.
Die Kontrollpraxis beim Abfallexport ist gegenwärtig - da sind wir uns sicherlich einig - als unzureichend zu betrachten; denn nach wie vor kommt es zu illegalen Exporten von Sonderabfällen, die getarnt als Düngemittel, Ersatzbrennstoffe oder Wirtschaftsgüter in das Ausland verbracht werden. Eine solche Umwidmung von Abfällen ist kriminell und bedarf künftig wesentlich effizienterer Kontrollen.
({2})
Angesichts des bevorstehenden Binnenmarktes kann hier jedoch nur ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb der EG zu Fortschritten führen, wobei eine lückenlose Kontrolle schier unmöglich erscheint.
Dem zunehmenden Trend, Abfallexporte mehr und mehr in Länder der Dritten Welt und nach Osteuropa zu verlagern, ist schon allein aus moralischen Gründen energisch entgegenzuwirken.
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Geld gegen Abfall darf letztlich nicht das Motto sein, unter dem wir uns der Verantwortung zur Lösung unseres Abfallproblems auf Kosten von Drittländern entziehen. Vielmehr muß es für ein hochentwickeltes und im Umweltbereich führendes Industrieland, wie es die Bundesrepublik nun einmal darstellt, zwingend sein, das Verursacherprinzip zur wichtigsten Maxime umweltpolitischen Handelns zu machen und damit den Abfall zunehmend im eigenen Land zu entsorgen und zu verwerten. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen und technischen Möglichkeiten dafür sind zweifelsohne in ausreichendem Maße vorhanden. Sie sind jedoch bei weitem noch nicht ausgereizt.
Wollen wir unseren nachkommenden Generationen keine Abfallzeitbombe hinterlassen, müssen wir bereits heute neue Wege in der Abfallwirtschaft beschreiten. Die Bundesregierung hat mit der Verpackungsverordnung und dem Entwurf des Abfallabgabengesetzes neue Schritte in eine zukunftweisende Richtung getan. Sie will einen Umdenkungsprozeß in Gang setzen, indem sie marktwirtschaftliche Anreize
zur Vermeidung und zur Verwertung von Abfall für Produzenten und Verbraucher schafft und deren Eigenverantwortlichkeit stärkt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, unser Abfallproblem im eigenen Land und jetzt zu lösen, damit es nicht Drittstaaten oder unseren Nachkommen aufgebürdet wird.
Es wäre zu wünschen, daß sich die Opposition hierbei zu einem Konsens bereit fände, der die Möglichkeit eröffnet, ausreichende, am höchsten Stand der Technik orientierte und damit umweltfreundliche Entsorgungseinrichtungen, auch thermische, zu schaffen. Das ist allemal besser, als einen riesigen und ständig wachsenden Müllberg vor uns herzuschieben und eine Null-Lösung einzuläuten. Damit entfiele letztlich auch der Druck, Sonderabfälle zu exportieren. Die momentane Notsituation im Abfallbereich könnte dann auch nicht von Abfallexporteuren und Umweltkriminellen ausgenutzt werden.
Ich danke Ihnen.
({4})
Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Liesel Hartenstein das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Müllschiebereien haben Hochkonjunktur. Das hat sich offensichtlich nur bei der Bundesregierung noch nicht ganz herumgesprochen.
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- Nicht deutlich genug. Es ist vor allen Dingen nicht deutlich genug gesagt worden, daß wir an diesen Zuständen nicht unschuldig sind.
Da hilft auch kein Seitenhieb auf die Länder, Herr Staatssekretär Laufs; denn das geht am Problem vorbei. Hätten Sie rechtzeitig eine konsequente Politik der Abfallvermeidung betrieben, wäre heute die Akzeptanz für Anlagen zur Beseitigung des Restmülls in der Öffentlichkeit sicher größer, als sie ist.
({1})
Aber genau das haben Sie versäumt, und dafür tragen Sie die politische Verantwortung.
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Es ist eines der dunkelsten Kapitel der reichen Industrieländer, daß sie sich nicht schämen, den armen Völkern des Südens ihren Abfall vor die Haustür zu kippen. Mit der Not und dem Devisenhunger dieser armen Länder werden Millionengeschäfte gemacht.
Neuerdings blüht der Mülltourismus übrigens auch nach Osteuropa. Ein Kollege hat es schon angesprochen. Es wird spekuliert, daß man es dort mit den Entsorgungsvorschriften nicht so genau nehmen werde. Die Spekulanten haben leider recht.
Hier möchte ich hinzufügen: Das gleiche gilt leider auch für die neuen Bundesländer. Von West nach Ost fließt ein enormer Giftmüllstrom von schätzungsweise 500 000 bis 1 Millionen t jährlich. Nicht wenige westliche und West-Berliner Firmen nützen nämlich die Unerfahrenheit und die zum Teil noch nicht voll funktionsfähigen Verwaltungen ostdeutscher Gemeinden aus, um auf Hausmülldeponien ein buntes Gemisch an Gewerbe-, Industrie- und Sondermüll abzukippen - für billiges Geld, versteht sich. Auch diese Mißstände müssen abgestellt werden.
({3})
Unsere Hauptforderung ist aber: ein striktes Verbot von Müllexporten in Nicht-OECD-Staaten, d. h. in Länder der Dritten Welt und in die Länder OstEuropas. Damit unterstützen wir vollinhaltlich den Beschluß des Europäischen Parlaments. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dem anzuschließen.
({4})
Der Sachverständigenrat hat in einem Sondergutachten klipp und klar die Ursachen für die Abfallexporte genannt: geringere Anforderungen an die Beseitigungstechnik, geringere Kosten, fehlende Beseitigungsanlagen im eigenen Land. Er hat als Schlußfolgerung daraus kategorisch ein Abfallexportverbot verlangt und die heutige Praxis im übrigen als unmoralisch bezeichnet. Recht haben die Sachverständigen.
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Ich füge aber hinzu: Es gibt weitere Ursachen, und die gehen zu Lasten unserer eigenen Regierung. Man hat es nämlich erstens seit Jahren versäumt, wirksame Vermeidungsstrategien, insbesondere im Sondermüllbereich, durchzusetzen. Zweitens ist nichts geschehen, um das betriebsinterne Recycling zu fördern. Drittens ist nichts geschehen, um abfallarme Produktionsverfahren zu fördern, z. B. durch steuerliche Vergünstigungen. Viertens wird die längst fällige Abfallabgabe immer noch nicht erhoben, d. h. sie ist lange angekündigt, aber es geschieht nichts.
All diese Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen vor der Koalition, hat die SPD-Fraktion bereits 1984 in ihrem Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft dargelegt. Sie haben dies alles aber vom Tisch gewischt. Wir haben unsere Vorschläge seither in zahlreichen Anträgen wiederholt, leider vergeblich. Trotzdem bleiben sie richtig und aktuell.
Ich frage: Wo bleibt das Abfallabgabengesetz, Herr Staatssekretär? Wenn es ein marktwirtschaftliches Instrument gibt, das Umweltverschmutzung bestraft, dann ist es eine kräftige Abgabe, vor allem auf schadstoffhaltige Abfälle. Die Länder Hessen und Baden-Württemberg haben Ihnen ja vorgemacht, daß es geht, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu beschädigen. Es ist Eile geboten, und zwar nicht allein wegen der fehlenden Beseitigungskapazitäten, sondern wegen des heraufziehenden Binnenmarktes.
Ab 1. Januar nächsten Jahres werden die Abfälle freiweg über die europäischen Grenzen kutschiert werden können. Hier wird uns ein weiteres Versäumnis bitter aufstoßen, nämlich die schon angesprochene fehlende klare Abgrenzung zwischen Reststoff, Abfall
und Wirtschaftsgut. Wenn Abfälle zu Waren deklariert werden und Entsorgung als Dienstleistung betrachtet wird, dann müssen für diese Transporte die Grenzen uneingeschränkt geöffnet werden. Das wäre ein gewaltiger Rückschritt.
Deshalb brauchen wir jetzt ein neues Abfallgesetz und nicht erst 1994 oder am Sankt-Nimmerleins-Tag. Ich weiß, es steht in den Koalitionsvereinbarungen. Ich frage Sie nur: Wann kommt es denn?
({6})
Zwei Bitten zum Schluß: Wenn es am 23. März 1992 in Brüssel um die Frage geht, ob der EG-Ministerrat dem Europäischen Parlament folgt oder der Kommission, dann sollte die Bundesregierung die Entscheidung des Europäischen Parlaments voll unterstützen. Meine zweite Bitte: Die Baseler Konvention muß schleunigst ratifiziert werden; aber gleichzeitig ist es Ihre Aufgabe, die übergroßen Schlupflöcher zu stopfen, die auch noch in dieser Konvention enthalten sind. Denn auch der legale Export von Giftmüll ist eben immer noch ein Giftmüllexport.
Liebe Frau Dr. Hartenstein, ich bin gezwungen, mich an die Regeln der Aktuellen Stunde zu halten, d. h. meiner Großzügigkeit sind enge Grenzen gesetzt. Die haben Sie schon lange überschritten.
Lassen Sie mich mit einem freundlichen Wort enden! Wir unterstützen den Herrn Umweltminister
({0})
in seiner immer wieder verkündeten Absicht, ein Verbot von Müllexporten durchzuführen.
({1})
Aber handeln muß er selber. Handeln muß die Regierung. Sie hat die Verantwortung.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Burkhard Zurheide.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist Konsens - das ist heute nachmittag ja auch mehrfach gesagt worden -, daß die Entsorgung des produzierten Abfalls selbstverständlich Aufgabe des Landes ist, in dem dieser Abfall produziert wird. Nur, die Beschwörung dieser Formel von allen Seiten reicht natürlich nicht aus. Notwendig ist selbstverständlich auch, daß Anlagen und Einrichtungen geschaffen werden, in denen der bei uns entstehende Abfall entsorgt werden kann, um nochmals dieses etwas euphemistische Wort zu benutzen. Und ich vermisse mitunter die Vertreter der Opposition, wenn es in den Gemeinden und den Kreisen darum geht, solche Anlagen zu errichten.
Dann wird nämlich gesagt: Aber bitte, überall, nur nicht bei mir. Dies ist nicht in Ordnung.
({0})
- Das ist mir bei der Opposition leider sehr häufig
aufgefallen. Hier wird nämlich etwas gesagt und dann
in den Gemeinden nicht konsequent durchgehalten.
Ein zweiter Punkt, der für uns auch völlig klar ist: Das Baseler Übereinkommen muß ratifiziert werden. Daß es bisher nicht ratifiziert worden ist - das hat Herr Staatssekretär Laufs eben gesagt -, liegt ja vielleicht nicht an der Bundesregierung und der Koalition, sondern an den europäischen Implikationen. Ich denke, wir müssen in der Tat dahin kommen, dieses Abkommen möglichst bald zu ratifizieren, und zwar auf gesamter europäischer Ebene.
Das Ziel muß sein, die grenzüberschreitenden Abfalltransporte nur im Ausnahmefall zuzulassen; vor allen Dingen nur dann zuzulassen - das ist das Wichtigste -, wenn das Entsorgungssystem und die Entsorgungsstandards in dem Land, in das exportiert wird, mindestens unseren inländischen Anforderungen entsprechen.
({1})
Wenn wir das zur Maxime unseres Tuns machen, dann ist auch ein Großteil des Problems erledigt.
Was wir selbstverständlich nicht akzeptieren können, sind die Vorschläge der EG-Kommission. Die Idee, wiederverwertbare Abfälle exportieren zu dürfen, ohne daß besondere Genehmigungsverfahren notwendig sind, kann nicht akzeptiert werden. Wir unterstützen auch die Bundesregierung darin, hier hart zu bleiben und diese deutsche Position in der EG durchzusetzen.
Ich denke, es ist in dieser Debatte auch sehr wichtig, zu versuchen, die Begriffe, die teilweise gesetzliche Begriffe sind, auseinanderzuhalten: Das Problem, um das es in der letzten Woche ging - der Export dieser Stoffe nach Ägypten -, hat auch damit zu tun, daß wir mit unterschiedlichen Begriffen bzw. mit unterschiedlichen Inhalten umgehen. Was dorthin exportiert werden sollte, wurde als Wirtschaftsgut deklariert, war aber kein Wirtschaftsgut; selbstverständlich nicht. Das ist im Grunde auch keine Rechtsansicht, sondern nach Maßgabe der entsprechenden Verordnung ziemlich eindeutig.
Das bedeutet aber, daß das, was getan worden ist, illegal gewesen ist. Das sollten wir vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen. Dies ist ja nicht in der Weise geschehen - wie Sie, Frau Kollegin Hartenstein, eben in einem allgemeineren Zusammenhang angedeutet haben -, daß wir - die Koalition, die Bundesregierung, Deutschland, wer auch immer - diesen Sondermüll, diesen Giftmüll den Ländern der Dritten Welt vor die Haustüre gekippt haben. Dies ist nicht zulässig. Was getan worden ist, war illegal.
Was wir in der Bundesrepublik tun, ist restriktiv. Daß diese Bestimmungen gelegentlich umgangen
werden, ist völlig klar. Unser Bestreben kann doch nur sein, strengere Regeln aufzustellen.
Mir scheint in dem Zusammenhang noch eines wichtig zu sein: Es ist auch so gewesen, daß es hier bei einem Versuch geblieben ist. Ägypten hat diesen Müll nicht etwa aufgenommen. Als die ägyptischen Behörden davon gehört hatten, daß solche Ladung in Alexandria gelöscht werden sollte, haben sie vielmehr dafür gesorgt, daß der Frachter, auf dem dieses Zeug ist, Alexandria wieder verlassen mußte. Die Frage ist: Wo befindet sich dieses Schiff eigentlich heute? Das ist noch nicht bekanntgeworden.
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen, weil das auch in Ihrem Antrag auf eine Aktuelle Stunde anklang: Die Äußerungen, die der stellvertretende Weltbankpräsident Summers getan hat, sind abstrus, absolut indiskutabel und geradezu zynisch. Dies ist überhaupt keine Frage.
({2})
Natürlich kann nicht ernsthaft verlangt werden - das tut auch niemand, der ernst genommen werden will -, daß in der Dritten Welt sogenannte schmutzige Industrien angesiedelt werden. Darum ging es Summers in erster Linie: nicht sosehr um Giftmüll, sondern um die Ansiedlung schmutziger Industrien.
({3})
- Natürlich. Wir sind da, glaube ich, gar nicht auseinander.
Man kann Herrn Summers nicht oft genug sagen, daß dies natürlich eine völlig inakzeptable Position ist, die offensichtlich auch nur für den Binnenverkehr in der Weltbank bestimmt gewesen ist. Trotzdem sollte man, meine ich, auf allen möglichen Wegen dem Vizepräsidenten Summers deutlich machen, daß es so nicht geht.
Meine Damen und Herren, die Entwicklungsländer selber sind in überhaupt keiner Art und Weise vorbereitet auf die Aufnahme von Giftmüll. Sie müssen dies auch nicht, und sie sollen dies auch nicht. Wir dürfen ihnen dies auch nicht zumuten, aus moralischen Gründen nicht, aus politischen Gründen nicht. Dies tut auch niemand. Wenn so etwas getan worden ist, war es illegal. Ich vertraue auf die Länder in der Dritten Welt selber. Sie werden erkennen, daß es nur ein vermeintlicher Vorteil ist, diesen Müll zu akzeptieren. Sie werden sehen, daß es sich im Ergebnis für sie als Nachteil herausstellen wird.
Ich halte es für wichtig, internationale Abmachungen über Müllexporte zu treffen, an denen die Entwicklungsländer beteiligt werden. Die Entwicklungsländer sind nicht unsere Müllhalde. Die Bundesregierung und die Koalition sind auch überhaupt nicht dieser Auffassung. Sie werden sich auch dafür einsetzen, daß sie von Industrieländern nicht als Müllhalde benutzt werden.
Vielen Dank.
({4})
Nunmehr wird der Abgeordnete Simon Wittmann ({0}) sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich etwas zu Bayern sagen, aber gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen.
Frau Caspers-Merk, ich muß schon sagen, der Fall, den Sie dargestellt haben, ist ein Fall des SPDregierten Bundeslandes Rheinland-Pfalz, das dafür die Verantwortung hat.
({0})
Für den Fall, den gestern das ZDF gebracht hat, ist letztlich das Saarland zuständig.
Das, was ich damit sagen will, ist, daß hier die Bundesländer natürlich ihre Hausaufgaben machen müßten. In einem Großteil der alten Bundesländer tragen ja Sie politische Verantwortung.
Wenn Sie hier die Position der Bundesregierung so gut vertreten haben, Frau Hartenstein, dann sollten Sie die Rede vielleicht auch vor den SPD-Landtagsfraktionen in den Ländern halten, in denen die SPD regiert.
({1})
- Moment! Ich will ja auch zu Bayern etwas sagen. Dann werde ich etwas darlegen, wie die Frage der Sonderabfälle in Bayern geregelt wird. Hier tun Sie so, als wäre der Export von Sonderabfällen, von Giftmüll in die Welt gang und gäbe, als wäre er erlaubt, als würde die Bundesregierung das befördern.
({2})
Gerade das Gegenteil ist der Fall. Das ist ja schon oft genug dargestellt worden.
Zu der PDS als Nachfolgeorganisation der SED muß gesagt werden: Es ist eine späte Erkenntnis, daß Sie jetzt an die sanfte Chemie denken. Die Umweltfolgen, die wir in den neuen Bundesländern auf Grund Ihrer Politik zu tragen haben, sind allen sehr deutlich.
({3})
Nach der Überzeugung der CSU darf es aber vor allem im Rahmen der Verhandlungen keine EG-Regelungen über die innerstaatliche Verbringung von Sonderabfällen geben. Damit könnte nämlich nach unserer Überzeugung über die EG die gute Entsorgungspolitik im Zusammenhang mit den Sonderabfällen, wie sie in Bayern stattfindet, gefährdet werden und die befruchtende Konkurrenz der Bundesländer - auch wenn einige SPD-regierte Bundesländer nichts tun - um eine gute Sonderabfallentsorgung beseitigt werden.
Zur Verdeutlichung möchte ich kurz auf die Sonderabfallentsorgung in Bayern eingehen. Der FreiSimon Wittmann ({4})
staat Bayern hat im Jahre 1970 weltweit die erste Organisation der landesweiten Sondermüllentsorgung - die Gesellschaft für Sondermüllentsorgung -, geschaffen, in der Staat, Kommunen und Industrie in privatwirtschaftlicher Form zusammenarbeiten. Bayern kam auch im Jahre 1976 als erstes Bundesland der Pflicht nach § 6 des Abfallgesetzes zur Aufstellung von Abfallentsorgungsplänen mit dem Teilplan Sondermüll nach.
Bislang hat in ganz Deutschland nur Bayern die gesamte Palette der klassischen Entsorgungstechniken: drei Sonderabfallverbrennungsanlagen, drei chemisch-physikalische Behandlungsanlagen, zwei Sonderabfalldeponien und zehn Sonderabfallsammelstellen.
Diese Politik hat dafür gesorgt, daß Bayern in der Bundesrepublik das einzige Bundesland ist, das beim Sondermüll autark ist, auch wenn es natürlich in manchen Bereichen Probleme gibt und wenn es auch langfristig schwierig sein wird, diese Autarkie aufrechtzuerhalten. Im Vergleich dazu exportierte Hamburg im Jahre 1988 als Spitzenreiter unter den Bundesländern exakt 298 290 t an Sonderabfällen.
Dieses Beispiel zeigt aus der Sicht der CSU, daß es dringend notwendig ist, die innerstaatliche Verbringung völlig aus dem Anwendungsbereich der Verordnung herauszunehmen. Die EG könnte sonst auch hier auf die Gestaltung Einfluß nehmen. Ich glaube, daß dies zur Folge hätte, daß die mangelnde Vorsorge in anderen Bundesländern auf dem Rücken des Musterlandes Bayern ausgetragen würde.
({5})
Bayern zeigt übrigens auch ein Stück Solidarität mit den anderen Bundesländern. Der Freistaat Bayern - Herr Feige, passen Sie gut auf ({6})
hat gegen den heftigen Protest der bayerischen GRÜNEN seine Bereitschaft erklärt, Thüringen und Sachsen freie Kapazitäten für die Sondermüllbeseitigung anzubieten - wenigstens übergangsweise -, und hilft zur Zeit beim Aufbau der thüringischen Sonderabfallentsorgung.
({7})
Für uns gibt es im Grundsatz drei Prinzipien: Das erste ist die ortsnahe Entsorgung möglichst auf Bundesländerebene, so wie sie in Bayern praktiziert wird, weil wir das Verfahren letztlich nur so kontrollieren können.
({8})
Ein Zweites: Die Technik bietet genügend Möglichkeiten, daß wir auch bei verwertbaren Abfällen auf Dauer nicht aus dem EG-Raum hinauszugehen brauchen und daß die EG auch nicht mehr auf hoher See verbrennen muß. Bayern hat übrigens seit 1988 darauf verzichtet.
Ein Drittes: Die einzelnen Länder müssen verpflichtet werden, im eigenen Bereich rechtzeitig Vorsorge zu treffen, um die Entsorgungssicherheit auf Dauer zu gewährleisten.
Die Bundesregierung hat sicherlich eine schwierige Verhandlung vor sich. Ich bin davon überzeugt, daß Bundesminister Töpfer in bewährter Form das herausholen wird, was unsere Politik in den vergangenen Jahren bereits war.
Ich bedanke mich.
({9})
Nun erteile ich der Abgeordneten Jutta Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Müllexport ist die Fortsetzung der kolonialistischen Ausbeutung. Waren es früher die Importe von Gewürzen und Gold, die unseren Wohlstand begründeten, so ist es heute der Export giftiger Abfälle, der uns den Massenkonsum ermöglicht.
Verlierer sind die Länder der Dritten Welt und zunehmend auch die Staaten des ehemaligen Ostblocks. Was die reichen Industrienationen mit dem Verkauf ihrer Umweltprobleme betreiben,
({0})
ist eine schäbige und moralisch verwerfliche Ausbeutung der armen und technologisch unterentwickelten Staaten.
({1})
Müllexport ist in den meisten Fällen ein Verbrechen, bei dem die zunehmende Verelendung der Länder ausgenutzt wird.
Aber ohne diesen Müllexport wäre bei uns schon lange der Müllnotstand ausgerufen worden. Die Organisation Greenpeace schätzt, daß von den etwa 200 Millionen Tonnen hochgiftiger Abfälle, die seit 1986 in den westlichen Industrieländern anfielen, etwa 10 Millionen Tonnen illegal oder legal als Recyclingprodukt, Wertstoff oder Reststoff über die Grenzen gingen. Deutschland war dabei einer der Hauptexporteure. Das wahre Ausmaß dieser Abfallströme ist uns eigentlich gar nicht bekannt.
Bekannt sind aber die verheerenden Schäden, die westliche Giftexporte anrichten. Ich will nur einmal zwei Beispiele aus der Dritten Welt nennen: Da wurden im Libanon durch ein EG-Land 16 000 Fässer mit Sondermüll illegal deponiert. Die Bevölkerung entleerte einige der Fässer und benutzte sie zum Aufbewahren von Getreide. Die Folgen: Verätzungen, Geschwüre und lebensbedrohliche Erkrankungen des Immunsystems.
In Bangkok brannten im März 1991 hochgiftige, als Rohstoff deklarierte und unsicher gelagerte Chemieabfälle und verursachten giftige Dämpfe. Die Folgen: fünf Tote und 30 000 Verletzte.
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Teuflisch wird es, wenn die Giftmüllhändler doppelten Gewinn machen. Hier kassieren sie Geld für die Müllentsorgung,
Jutta Müller ({2})
dort verkaufen sie z. B. giftige Schlacken und Aschen als harmloses Straßenbaumaterial.
Es ist eine beschämende Erkenntnis, wenn Menschen am anderen Ende der Welt für unser Gewinnstreben und unseren Wohlstand ihre Gesundheit einsetzen oder sogar mit ihrem Leben büßen müssen.
({3})
Während Herr Töpfer von der Globalisierung des Umweltschutzes redet, geht hochgiftiger Müll made in Germany rund um die ganze Welt. Dies muß sich ändern.
({4})
Im Kern der Sache geht es darum, daß wir uns endlich auch einmal Gedanken darüber machen, wie wir den Müll vermeiden und somit Entsorgungsprobleme verringern.
({5})
Wir müssen Müll vermeiden, wenn wir keine Müllexporte mehr haben wollen. Denn der Export nach Sibirien, in die Türkei oder in die Dominikanische Republik wird wegen der Wohlstandsunterschiede auch in den kommenden Jahren billiger als kostspielige Behandlungsmethoden in der Bundesrepublik sein.
({6})
Wir müssen Müll aber auch vermeiden, weil uns unsere Abfallsünden immer wieder einholen. Wir sehen das ja an den Altdeponien in der ehemaligen DDR. Da haben wir jahrelang unseren Dreck hingefahren, und jetzt sind das teure Altlasten. Wir hätten das besser anders entsorgt; das wäre billiger gewesen.
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Ziel muß es sein, daß wir mit unserem Müll selber fertig werden. Dazu gehört auch, daß man natürlich nicht sagen kann: wir wollen keine Deponien und keine Verbrennungsanlagen, sondern kippen unsere Abfälle den anderen Leuten vor die Füße.
({8})
Wir sollten nach dem Prinzip arbeiten, daß Abfälle so weit wie möglich in der Nähe oder am Entstehungsort beseitigt werden.
({9})
Hier muß die produzierende Industrie natürlich in die Verantwortung genommen werden. Müllexporte sollen, wenn überhaupt, nur in OECD-Staaten mit hohem Umweltschutzniveau gehen.
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Wenn es dafür auf der EG-Ratstagung Ende März keine Mehrheit gibt, müssen wir notfalls im Alleingang unsere Müllprobleme lösen.
Wichtige Voraussetzung für eine Müllvermeidung ist aber auch die präzise Erfassung des Giftmülls und eine Registrierung der Firmen und Unternehmen, bei denen Giftmüllabfälle anfallen. Hier darf es dann auch keine datenrechtlichen Vertuschungsmöglichkeiten geben.
({11})
Dann wurde hier schon öfter angesprochen, daß es notwendig ist, eine klare und objektive Definition der Begriffe Abfall, Wertstoff, Reststoff und Recyclingprodukt zu erreichen. Herr Kollege Feige, da möchte ich etwas zum Thema „Saarland" sagen. Daß wir jetzt diese Fässer auf dem Hals haben, liegt genau an diesem Definitionsproblem. Wir können zur Zeit dem Besitzer nicht beweisen, daß es sich um Abfall handelt, denn wir haben keine objektive Begriffsbestimmung. Der Begriff wird heutzutage nach dem Willen des Besitzers bestimmt. Wenn der behauptet, daß er das Zeug noch brauchen kann, bekommen wir es nicht weg.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Dr. Kahl. Sie haben die Müllexporte des Saarlandes nach Frankreich angesprochen.
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- Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Exporte nicht mehr stattfinden. Also, bevor Sie hier unsinnige Zwischenrufe machen, sollten Sie sich informieren.
({13})
Die Einhaltung des Müllexportverbotes muß an den Grenzen streng kontrolliert werden. Ich hoffe, daß das beim Müll in Zukunft vielleicht besser funktioniert, als es bei den Waffen funktioniert.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile dem Abgeordneten Professor Dr. Lieberoth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sondermüll kann heute eigentlich nur noch illegal z. B. in Entwicklungsländer oder in die ehemaligen Ostblock-Länder transportiert werden, was in jedem Falle zu verurteilen ist.
Meine Vorredner haben sich bereits eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Da ich das im voraus wußte, möchte ich mich dem viel größeren Problem widmen: Wie steht es mit dem Giftmüll im Inland, speziell in den neuen Bundesländern? Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels aus meinem Wahlkreis verdeutlichen.
Ein altes Protokoll über eine angeblich nur Hausmüll enthaltende Deponie brachte folgendes zutage: Neben dem Stadtmüll wurden beispielsweise 1966 Industrieabfälle einer chemischen Fabrik, kupferhaltige Abwässer, Benzinabscheiderschlamm der NVA, 1970 Beize, Bohrflüssigkeitsrückstände, TreibstoffDr. Immo Lieberoth
reste, zehntausend Liter Öl in Behältern, fein säuberlich mit Müll abgedeckt, Grundwasserschadstoffe, Klärschlämme aus der Galvanik usw. usf. zusätzlich abgelagert.
Das ist das Erbe jener Zeit, in der der Schutz vor Giftmüll kein Thema war. Heute sind vielseitige Bemühungen der Kreisverwaltung im Gange, die Gefährdung abzuschätzen, Sicherungsmaßnahmen einzuleiten und eine Sanierungskonzeption zu erarbeiten. Eine Sickerwasser-Schadstoff-Fahne bewegt sich bereits in Richtung des Grundwassers.- Um die Verhinderung ihres Eintritts bemüht man sich jetzt intensiv.
Warum bringe ich dieses Beispiel? Weil es kein Einzelfall ist. Das Vorhandensein derartiger MixDeponien ist ein allgemeines Problem in allen neuen Bundesländern. Giftmüll, Altlastenflächen und StasiVergangenheit, das sind die schlimmsten Erblasten aus DDR-Zeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Land Brandenburg besitzt eine Sondermülldeponie im Norden des Landes. Dorthin kommt heute ein Teil der Giftstoffe. Die Sanierung wird zur Zeit geprüft; über Stillegung oder Weiterbetrieb wird diskutiert.
Im Süden von Brandenburg ist noch kein Standort vorhanden. In Schwedt an der Oder gibt es im Petrolchemischen Werk eine betriebseigene Verbrennungsanlage für Sonderabfälle, die mit einer Teilkapazität auch dem Land zur Verfügung steht und nachgerüstet werden soll. Auch auf Bundesebene sind Projekte dieser Art in Vorbereitung. Natürlich ist die Verbrennung keine Ideallösung.
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Weitere Sanierungsmöglichkeiten müssen gesucht werden.
Ein geringer Teil des Sondermülls des Landes Brandenburg wird auch in westliche Bundesländer transportiert. Polen hat die Einfuhr von Giftmüll bekanntlich verboten. Es ist mir nur ein Fall eines illegalen Exportversuches nach Polen bekannt. Der Transport kam nach Frankfurt/Oder zurück. Der Absender war nicht mehr zu identifizieren.
Die bereits berühmt gewordene, in Schöneiche, Kreis Zossen, gelegene große Sondermüllverbrennungsanlage, die allein für Berlin zuständig ist,
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läuft seit Jahren im Probebetrieb. Grund: Die Rauchgasreinigung muß nachgerüstet werden. Die vier Gemeinden im Umfeld der Verbrennungsanlage und der beiden großen Mülldeponien von Schöneiche erhalten eine neue Trinkwasserzuleitung und eine Abwasserabführung. Beides ist fast fertiggestellt.
Zur Zeit berät ein Gremium interessierter Gruppen unter Einschluß von Sachverständigen der Humboldt-Universität über alle mit den Anlagen in Schöneiche zusammenhängenden Probleme. Die Deponien selbst aber sind für den Kreis immer noch exterritoriales Gebiet, so daß zur Zeit wenig Einflußmöglichkeiten von dieser Seite bestehen.
Im Land Brandenburg wird jetzt eine Sonderabfallgesellschaft ins Leben gerufen, die nach Verabschiedung eines Landesabfallvorschaltgesetzes alle künftigen Probleme des Landes auf diesem Gebiet in Trägerschaft bearbeiten und nach Möglichkeit auch lösen soll.
In allen neuen Bundesländern ist die Einrichtung sogenannter Abfallwirtschaftszentren mit thermischer Behandlung geplant. Ich glaube, die neuen Bundesländer sind insgesamt auf dem richtigen Weg - vorausgesetzt, sie setzen die begonnenen Maßnahmen kontinuierlich fort.
Die Bemühungen der Bundesregierung, speziell des BMU unter Minister Töpfer, schufen und schaffen wichtige Voraussetzungen dafür, daß die Länder und Kommunen die Sondermüllfrage landesintern angehen können. Ich weise z. B. nur auf die TA Sondermüll hin.
Eines muß ich aber noch herausstellen: Es interessieren nicht nur Sanierung und Standort von Giftmülldeponien, sondern es geht ebenso auch um die Sanierung von schadstoffverseuchten Bodenkompartimenten im Altlastenbereich militärischer und industrieller Objekte, also um die sogenannten Altstandorte. Das ist ein viel größeres Problem. Forschung und Industrie sind hier gleichermaßen gefordert. Die neuen Bundesländer können durch Entwicklung neuer Sanierungsmethoden eine Vorreiterrolle spielen. Damit würden wir uns selbst auch in der Form helfen, daß neue Arbeitsplätze entstehen.
Die Frage des illegalen Giftmüllexports sollte eines Tages in die Devise des Exports von Sanierungstechnologien, insbesondere in die Entwicklungsländer, umgemünzt werden. Ich war kürzlich in Indien und habe gesehen, daß unsere Probleme auf diesem Gebiet, verglichen mit denen Indiens, ein Kinderspiel sind.
Herr Professor Lieberoth, im Rahmen dieser Debatte gelten die Regeln der Aktuellen Stunde. Ich bitte Sie, das zu beachten.
Hier hat auch die Bundesrepublik Deutschland eine Verpflichtung, zu helfen. Mein letzter Satz, Herr Präsident: Es gibt so viele Möglichkeiten eines legalen, umweltfreundlichen Exports von Sanierungstechnologien. Lassen Sie uns in dieser Hinsicht optimistisch sein!
Ich danke Ihnen.
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Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Bock das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erwartet seit über zehn Jahren von ihrer Bundesregierung, daß sie das Problem der Giftmüllproduktion - und sekundär dann auch das der Verbringung des Restmülls - in den Griff kriegt. Die ganze Debatte hat heute gezeigt, daß
die Bundesregierung auf diesem Gebiet total versagt hat. Denn wir haben heute mehrfach gehört: Die Menge des Giftmülls hat ständig zugenommen. Das Ziel vor zehn Jahren war es, ihn zu vermindern.
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Die Debattenbeiträge zur Lösung des Problems sind deswegen heute teilweise vom Schwanze her auf gezäumt worden. Es ist immer wieder gesagt worden, die Menge des Giftmülls habe ständig zugenommen. Ich will noch einmal sagen: Wir alle haben vor über zehn Jahren doch gewußt, daß der Anfall des Mülls durch nachsorgenden Umweltschutz größer wird, qualitativ und quantitativ. Denn je mehr nachsorgenden Umweltschutz wir im Rahmen einer Produktion betreiben, bei der toxische Stoffe anfallen, also z. B. durch Einbau von Filtern in Schornsteine und in Abwasserrohre, desto größer wird letztendlich der zurückbleibende Abfall. Das heißt: Wir haben immer mehr und immer toxischere Abfälle produziert.
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Die Lösung dieses Problems müssen wir in den Griff bekommen.
1984 - meine Kollegin Hartenstein hat es vorhin schon gesagt - hat die SPD Konzepte vorgelegt, die hier fast belächelt worden sind. Umweltschutzgruppen waren noch ein paar Jahre früher aktiv. Sie sind damals noch als Chaoten beschimpft worden. Also, hier müssen wir ein bißchen Geschichtsforschung betreiben und dürfen nicht so tun, als ob plötzlich Länder schuldig seien, die keine Entsorgungskapazitäten zur Verfügung stellen.
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- Ich komme noch darauf zurück.
Ich habe die letzte Hoffnung - das sage ich hier sehr deutlich -, daß wir über die eingesetzte ChemieEnquete - ich verkürze es einmal so - wirklich einen Schritt weiterkommen. Wenn vorhin von Ihnen, Herr Staatssekretär, eingefordert worden ist, daß wir als Opposition kooperativ mitarbeiten sollen, sage ich Ihnen: In diesem Punkt arbeiten wir kooperativ mit, nicht aber, wenn wir feststellen, daß nicht gehandelt wird und daß immer mehr Müll produziert wird. Dann, sage ich, müssen wir tatsächlich die Leute vor Ort unterstützen, die sagen: Wir sind erst dann bereit, Entsorgungskapazitäten zuzulassen, wenn auch Müllvermeidung stattfindet.
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Ich möchte aber in der kurzen Zeit sagen, was die Bevölkerung noch erwartet. Die Bevölkerung erwartet von ihrer Bundesregierung, daß nicht wissentlich Schaden den Menschen in anderen Staaten über legale - ich betone: legale - und illegale Müllexporte zugefügt wird.
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Wir schämen uns, wenn wir ins Ausland kommen und uns solche Vorhaltungen gemacht werden.
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- Es passiert täglich.
({6}) - Nein, es passiert auch legal.
Das Problem ist angesprochen worden: Wenn Reststoffdeklarierung möglich ist und die Deklarationsmöglichkeit bei dem Hersteller liegt, dann ist das zur Zeit legal. Wenn bei einer Neuregelung nicht einbezogen wird, daß heute legal Stoffe zum Recycling oder zur Wiederverwertung exportiert werden dürfen, wird dieses Material im Grunde genommen auch zum Schaden der Bevölkerung der Empfängerländer wiederverwertet oder deponiert. Ich glaube, Frau Hartenstein hat die gesetzlichen Regelungen hier aufgezeigt.
Ich will aber noch zu dem Punkt der organisierten Kriminalität der Giftmüllmafia reden. Ich bezeichne das hier ausdrücklich so drastisch, weil es nicht meine Worte sind. Wir haben vor 14 Tagen Wasserschutzpolizisten und auch andere Vertreter von Behörden, die in den norddeutschen Häfen für die Kontrolle von Exporten zuständig sind, zusammengerufen und haben uns etwas näher informieren lassen. Diese drastischen Ausdrücke stammen von Vertretern der Polizei und der anderen Behörden.
Wenn hier gefordert wird, daß diese illegalen Giftmülltransporte besser kontrolliert werden, dann möchte ich Ihnen einfach sagen: Es ist nicht möglich. Wir haben im Hamburger Hafen in den letzten zwei Jahren wohl erst die Spitze des Eisberges herausgefunden. Die Wasserschutzpolizei selbst war dazu nicht mehr in der Lage und hat dann eine Sonderkommission mit fünf Abfallexperten eingesetzt. Dadurch wurde in den letzten Monaten immer deutlicher, daß die derzeitige Gesetzeslage kriminelle Geschäftemacher fast ermutigt, Lücken zu nutzen. Es wird aber schon jetzt gesagt: Wir können gar nicht so lange das Personal verdoppeln, um wirklich kontrollieren zu können. Wenn wir uns die Häfen ansehen, sind die Container verschlossen; sie sind plombiert. Auch dort kann die Wasserschutzpolizei nicht in jeden Container gucken. Da gibt es selbstverständlich falsche Deklarationen. Nur, Sie sagen: Die Länder haben Vollzugsdefizite; Sie haben hier mehrere Länder angesprochen und haben Bayern gelobt. Ich gehe davon aus, daß bei mehr Personal und gründlicherer Kontrolle vielleicht noch mehr aufgedeckt werden würde als in Hamburg.
Frau Abgeordnete, Sie beherrschen erfreulicherweise die freie Rede und bedienen sich derselben.
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Das erleichtert es Ihnen, da Sie nicht an ein Manuskript gebunden sind, aber auch die Zeit einzuhalten. Diese nun wiederum haben Sie deutlich überschritten. Deswegen bitte ich Sie, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich glaube, wir sollten in der Enquete-Kommission dringend gemeinsam daran arbeiten, wirklich Konzepte zur Reduzierung des Giftmülls zu erarbeiten.
Die Bundesregierung darf nicht nur sagen: Es muß besser kontrolliert werden. Ich fordere auch drastische Strafen bei Rechtsverstößen, d. h. bei illegaler Abfallentsorgung. Auch hier muß etwas geändert werden!
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Wir müssen sogar so weit gehen, daß wir, wenn wirklich einmal jemand erwischt worden ist, nicht nur „Du, du, du!" sagen, sondern außer drastischen Strafen auch ein gesetzliches Gewerbeverbot o. ä. aussprechen.
Ich danke Ihnen.
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Nun erteile ich dem Abgeordneten Klinkert das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der heutigen Debatte hat, glaube ich, eindeutig gezeigt, daß sich alle Parteien darüber einig sind, daß ein Müllexport, besonders ein Sondermüllexport, in Länder der Dritten Welt und Osteuropas nicht zuzulassen ist.
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Die Notwendigkeit der Verschärfung der Gesetze, deren Lücken heute noch den illegalen Müllexport begünstigen, ist, so denke ich, auch eine gemeinsame Meinung aller im Bundestag vertretenen Parteien. Die Novelle zum Abfallgesetz, Frau Hartenstein, wird hier Abhilfe schaffen.
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Sie wird in dieser Legislaturperiode kommen.
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Ich glaube, daß es im Moment immer noch zu billig ist, in der Bundesrepublik Deutschland erzeugten Sonderabfall zu deponieren.
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Wir wollen durch das Abfallabgabengesetz Anreize schaffen, daß es sich lohnt, in die Müllvermeidung zu investieren. Die beste Lösung ist natürlich, Müll und Abfälle, besonders Sondermüll, erst gar nicht entstehen zu lassen. Trotzdem wird eine vollständige Vermeidung von Sonderabfällen nie gelingen. Deshalb müssen in jedem Land zunächst einmal Möglichkeiten der Verwertung und der Entsorgung geschaffen werden.
Die Kollegin Homburger hat darauf hingewiesen, daß es widersinnig, ja, geradezu schizophren ist, sich mit einer konsequenten Verweigerungshaltung jeglicher Inlandsentsorgung entgegenzustellen, gleichzeitig aber die berechtigte Anklage in der Richtung zu führen, daß die Menschen in der Dritten Welt durch den illegalen Müllexport gefährdet werden.
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Frau Bock, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland seit über zehn Jahren eine Wende in der Abfallpolitik verlangt haben. Sie haben aber ganz vergessen, gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht erst seit zehn Jahren existiert, sondern daß diese Wende durchaus auch vorher hätte eingeleitet werden können. Sie haben früher relativ wenig getan, um dies alles in die Wege zu leiten. Vor zehn Jahren hat eben auch eine Wende in der Umweltpolitik hin zum Positiven begonnen. Die Diskussionen sind deutlicher und faßbarer geworden, und sie haben zu dem Gesetzeswerk geführt, das wir heute haben und weiter vervollständigen werden.
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Oftmals, meine Damen und Herren, treiben finanzielle Not und Unwissenheit die Länder der Dritten Welt dazu, verhängnisvolle Angebote an die Industrie der westlichen Welt zur Müllentsorgung zu machen. Die Annahme solcher Angebote muß europaweit und weltweit gesetzlich verhindert werden.
Es ist illusorisch anzunehmen, daß selbst dann, wenn es gelänge, ab sofort keinen Sondermüll mehr zu erzeugen, das Problem des Sondermülls in Deutschland vom Tisch wäre. Mein Kollege Professor Lieberoth hat darauf hingewiesen, daß in den neuen Bundesländern eine Sondermüll-Zeitbombe tickt. Mehr als 10 000 Deponien wären aus heutiger Sicht wilde Deponien.
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Militärische Altlasten, vor allen Dingen der Sowjetunion, aber auch der NVA, sind aufzuarbeiten. Teerseen der Industrie und Wismuthalden sind nur einige Beispiele dafür, daß uns das Problem des Sondermülls bezüglich der Entsorgung noch mehrere Jahre beschäftigen wird. Deswegen brauchen wir entsprechende Entsorgungseinrichtungen. Ich möchte hinzufügen, daß auch in den alten Bundesländern bei Müllhalden immer wieder Überraschungen auftreten.
Im Wissen darum, daß die Deponien von heute, auch die modernsten Deponien, die Altlasten von morgen sind, muß die Deponierung von Abfällen, auch von Sonderabfällen, die Ausnahme bei der Behandlung von Abfällen werden. Die Deponierung muß an letzter Stelle der logischen Kette „ Vermeiden - Wiederverwerten - stoffliche Verwertung - thermische Verwertung" stehen. Erst dann kann eine Deponierung in Frage kommen.
Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der 12. Legislaturperiode dieses Ziel zu verwirklichen. Das Abfallabgabengesetz, die Novelle zum Abfallgesetz, ein Bodenschutzgesetz sowie die Verordnungen über Verpackungen, Elektronikschrott
und die Verwertung von Altautos oder Druckereierzeugnissen sind die entsprechenden Schritte dazu.
Vielen Dank.
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Herr Abgeordneter, wenn Sie präpariert sind, können Sie am Rednerpult bleiben. Ich erteile Ihnen ja gleich das Wort zum nächsten Tagesordnungspunkt.
Die Debatte über Zusatzpunkt 7 ist beendet. Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Dr. Rolf Olderog, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Dr. Olaf Feldmann, Dr. Jürgen Schmieder und der Fraktion der F.D.P.
Maßnahmen zur Sanierung der Ostsee - Drucksache 12/2251 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von eineinhalb Stunden vor. Wenn das Haus damit einverstanden ist, darf ich dies als beschlossen feststellen und erteile dem Abgeordneten Klinkert das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ostsee ist ein krankes Meer und in ihrer gesamten Lebenswelt gefährdet. Schon die natürlichen Gegebenheiten der Ostsee erfordern einen besonders schonenden Umgang mit ihr. Auf Grund seiner natürlichen Gegebenheiten befindet sich dieses Binnenmeer seit seiner Entstehung vor zwölf Jahrtausenden in einem labilen Zustand.
Meerengen und eine Folge von Schwellen und Becken auf dem flachen Meeresgrund behindern den Einstrom salzreichen Wassers aus dem Atlantik. Das Phänomen einer dichten Sprungschicht zwischen salzärmerem Oberflächenwasser und salzreicherem Tiefenwasser unterbindet den vertikalen Energie- und Stoffaustausch. In der Folge kommt es zu stagnierendem Tiefenwasser, das an Sauerstoff verarmt, und zur Bildung von Schwefelwasserstoff. Sauerstoffarme und gänzlich anaerobe Zonen am Boden nehmen heute bereits 100 000 km2, d. h. etwa ein Viertel der Gesamtfläche der Ostsee, ein. Abhilfe für einen wenn auch nur begrenzten Zeitraum schaffen die unregelmäßig erfolgenden natürlichen großen Salzwassereinbrüche. Der letzte dieser Salzwassereinbrüche liegt allerdings 16 Jahre zurück.
Die anthropogenen Belastungen wirken sich daher auf dieses labile Ökosystem besonders gravierend aus, und es bedarf größtmöglicher Anstrengungen, sie so weit wie möglich zu verringern.
Im Einzugsgebiet der Ostsee, das mit 1,7 Millionen km2 etwa viermal so groß ist wie ihre Oberfläche, leben 72 Millionen Menschen. Ihre teilweise stark umweltrelevanten Industrien und eine intensive
Landwirtschaft tragen wesentlich zur Verunreinigung des marinen Lebensraumes bei. Dadurch wird der natürliche Prozeß der Eutrophierung verstärkt, und zusätzlich erhöhen Problem- und Fremdstoffe die Gefährdung des von sich aus labilen Ökosystems der Ostsee.
Die für die fortschreitende Eutrophierung verantwortlichen Nährstoffeinträge stammen hauptsächlich aus kommunalen, industriellen und landwirtschaftlichen Quellen. Sie werden direkt durch Abwässer eingeleitet, aber auch über die Flüsse und den atmosphärischen Eintrag nitroser Gase.
Die Abwasserreinigung war und ist im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, in Polen, aber auch in den neuen Bundesländern immer noch unzureichend. Aber auch einzelne Zellstoffabriken in den skandinavischen Ländern gefährden das Wasser der Ostsee erheblich. So gelangen im Mittel jährlich 60 000 bis 70 000 t Phosphor und ca. 1 Million t Stickstoff in die Ostsee, und zwar je zur Hälfte aus Zuflüssen und über die Atmosphäre.
Neben den Nährstoffen gelangen aber auch zahlreiche Schadstoffe ins Meer, die schon in geringer Konzentration Meeresorganismen schädigen können, beispielsweise 200 000 t Chlorkohlenstoffverbindungen aus Papier- und Zellstoffwerken Finnlands und Schwedens. Diese Substanzen reichern sich in den Meeresorganismen an und sind nur schwer abbaubar.
Es geht weiterhin um 15 000 t Schwermetalle vor allem aus der Industrie Polens und der ehemaligen Sowjetunion. Obwohl die Konzentration der Schwermetalle in der zentralen Ostsee im Vergleich zum Atlantik kaum erhöht erscheint, gibt es regional, vor allem in den Mündungsgebieten der Flüsse, deutlich erhöhte Konzentrationen. Am stärksten sind die anthropogenen Belastungen am Ort der Einträge, in den Mündungsgebieten der Flüsse sowie in den Bodden und Haffs.
Die Zusammenarbeit der Ostseeanrainerstaaten in der Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee hat bisher den richtigen Weg gewiesen. So sind bezüglich der in der Ostsee gemessenen Konzentrationen von PCB und der Bleibelastungen positive Veränderungen festzustellen. Insgesamt jedoch ist die dringend notwendige Trendwende noch nicht erreicht worden. Das Problem liegt dabei in den unterschiedlichen technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Ostseeanrainerstaaten und in der jeweils verschiedenen nationalen Prioritätensetzung im Hinblick auf den Umweltschutz im allgemeinen und auf den Schutz der Ostsee im besonderen.
1988 faßten die Anrainerstaaten auf Drängen der Bundesrepublik Deutschland ihren bisher weitreichendsten Beschluß: Der Schad- und Nährstoffeintrag soll bis 1995 um 50 % reduziert werden. Zentraler Punkt dieses Antrages ist die Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit. Deshalb fordern wir mit dem Ihnen vorliegenden Antrag den frühestmöglichen Beitritt neuer unabhängiger Staaten an der Ostsee zur Helsinki-Konvention.
Bei der notwendigen Revision der Helsinki-Konvention sind folgende Ziele zu verfolgen: AusdehUlrich Klinkert
nung des Konventionsgebietes auf die Küstenregionen, also die Fjorde, Buchten und Bodden, und Verpflichtung zu Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltbelastung im gesamten Einzugsgebiet der Ostsee, also auch im Hinterland. Wir fordern die Verankerung des Vorsorgeprinzips und die Verpflichtung zur Anwendung des Standes der Technik. Wir bestehen auf mehr Transparenz durch Austausch von Informationen zwischen den Regierungen und den Behörden, z. B. hinsichtlich der Gewässergüte, der Emissionen und der Einleitungserlaubnisse.
Vor jedem Bau großer Anlagen, die auf die Ostsee Auswirkungen hätten, sind Umweltverträglichkeitsprüfungen mit Beteiligungsrechten der betroffenen Anrainerstaaten durchzuführen. Wir fordern des weiteren ein Anhörungsrecht für die von der HelsinkiKommission als Beobachter zugelassenen Umweltverbände und regierungsunabhängigen Organisationen. Die Einbeziehung der Ziele des Naturschutzes, insbesondere zum Schutz natürlicher Überflutungsräume sowie zum Erhalt der Artenvielfalt, sollten ebenfalls Berücksichtigung finden.
Die Bundesrepublik hat zur Erfüllung dieser Ziele bereits nationale Maßnahmen in die Wege geleitet. Insbesondere der Verwirklichung des 1988 festgelegten Zehn-Punkte-Programms zum Schutz der Ostsee sowie der auf Emissionsreduzierung ausgerichteten Umweltgesetzgebung ist es zu verdanken, daß im Ostsee-Einzugsgebiet Schleswig-Holsteins bereits eine deutliche Senkung der Belastung erreicht wurde.
({0})
Das von der Bundesregierung entwickelte deutsche Ostseesanierungsprogramm enthält die notwendigen Maßnahmen, um insbesondere auch in den neuen Bundesländern eine drastische Reduzierung der Einträge von Nähr- und Schadstoffen zu erreichen, beispielsweise durch den Bau von 27 Kläranlagen, u. a. in Rostock, Schwerin, Stralsund, Wismar, Frankfurt und Görlitz.
Mit dem Ihnen vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, über die bisher geleisteten Maßnahmen hinaus noch größere Anstrengungen zum Schutz der Ostsee zu unternehmen. Dazu gehören der baldige Erlaß einer Düngemittelanwendungsverordnung
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zur Reduzierung der für die Eutrophierung der Ostsee mitverantwortlichen Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, Maßnahmen zur Verminderung des Eintrags von Pflanzenschutzmitteln in Oberflächengewässer, z. B. durch das Gewässerrandstreifenprogramm, sowie ein verstärkter Einsatz moderner Pflanzenschutztechnik.
({2})
Für den Vollzug der Maßnahmen im Gewässerschutz sind in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer zuständig. Deshalb der Appell an die
Bundesländer, die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs aus dem Ostseesanierungsprogramm, vor allen Dingen im Hinblick auf die kommunalen Abwässer, mit Nachdruck zu betreiben.
({3})
Auf nationaler wie internationaler Ebene sind weiter folgende Maßnahmen der Bundesregierung zu unterstützen bzw. umzusetzen: ein zügiger Abschluß der Verhandlungen zur Bildung einer internationalen Oderschutzkommission, damit diese möglichst noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen kann; Verringerung der Gefahren, die in den östlichen Ostseeanrainerstaaten von Kernkraftwerken oder Atomwaffen sowie von der Lagerung und Versenkung von radioaktiven Abfällen ausgehen.
Dazu ist die Einführung und Einhaltung strengster Sicherheitsmaßnahmen, wie z. B. die Untersuchung der nuklearen Anlagen und Abfälle in den einstigen militärischen Zonen und Stützpunkten der ehemaligen Sowjetunion entlang der Ostseeküste, notwendig. Dies bedarf der Beteiligung anerkannter internationaler Organisationen.
Nach der Überwindung der ideologischen Teilung Europas ist die Ostseesanierung für uns nicht nur eine Chance und eine Herausforderung, sondern sie ist eine Pflicht in Verantwortung gegenüber kommenden Generationen.
Danke.
({4})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der von den Koalitionsparteien eingebrachte Antrag zum Ostseeschutz bestätigt: Es besteht nach wie vor ein erheblicher Handlungsbedarf bei den Regierungen der Ostseeanrainerstaaten inklusive der Bundesrepublik beim Schutz der Ostsee. Das wird von uns allen nicht bestritten. Wir alle wissen, daß Nord- und Ostsee zu den am stärksten verschmutzten Randmeeren der Welt gehören. Insbesondere die Ostsee, eines der größten Brackwassermeere - Herr Klinkert hat das auch schon gesagt -, ist schon auf Grund ihrer Lage ein äußerst labiles Ökosystem. Wir haben deshalb dieses anfällige Ökosystem mit äußerster Sorgfalt zu behandeln. Das Gegenteil tun wir.
In dem Zeitraum 1965 bis 1990 hat sich die Menge des Nährstoffeintrags in die Ostsee verdoppelt. Von den exemplarisch zu nennenden Schmutzfrachten wurden vor allem aus der skandinavischen Papierindustrie etwa 200 000 Tonnen chlorierter Verbindungen in die Ostsee geleitet. Zusammen mit den Ablagerungen aus anderen Staaten war es fast eine Viertelmillion Tonnen. Hält man sich ferner vor Augen, daß mit den versenkten Giftgasgranaten vor Bornholm und den vermuteten atomaren Abfällen vor der russischen Küste wahre Zeitbomben auf dem Ostseegrund ticken, so zeigt dies einen jahrzehntelangen Mißbrauch der Ostsee als Müllkippe und Klärgrube.
Damit muß jetzt Schluß sein. Darüber sind wir uns hier einig.
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Diese Einleitungen und Ablagerungen sind deshalb für die Ostsee gefährlicher - ich will das jetzt nicht wiederholen, Herr Klinkert hat das gesagt -, weil die Ostsee ein austauscharmes Meer ist und der Einstrom von Nordseewasser faktisch überhaupt nicht mehr stattfindet.
In diesem Zusammenhang will ich aber anmerken: Es muß unbedingt sichergestellt sein, daß die geplante Belt-Brücke diesen Austausch nicht zusätzlich verhindert.
({1})
Darüber muß internationale Einigkeit herrschen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag der Koalitionsparteien fügt den bekannten Handlungsstrategien der Helsinki-Kommission keinen neuen Aspekt hinzu. Er ist in weiten Teilen eine Paraphrase der Lübecker Konferenz von Oktober 1991, die die SPD voll mitgetragen hat. Ich sehe sogar, daß da Antragsformulierungen, die ich selber eingebracht habe, zu finden sind. Deswegen kann ich das nur begrüßen.
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-Das ist gut. Sowohl in der Analyse als auch hinsichtlich des leider sehr abstrakt gehaltenen Maßnahmekatalogs gibt es außer den überflüssigen Elogen auf die Bundesregierung keinen inhaltlichen Streit.
Der Antrag schadet nichts, er nützt der Ostsee aber auch nichts. Es wurde den zahlreichen Anträgen und den zahlreichen Resolutionen ein weiteres Papier hinzugefügt. Der Ostsee nützen keine Papiere mehr und keine Ankündigungen, sondern Taten. Daran müssen wir heute gemessen werden. Diese konkreten Taten brauchen wir besonders bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Nährstoffzufuhr. Genauso wie bei der Nordsee ist nämlich die fortdauernde Eutrophierung der Ostsee das größte Problem, wobei ich die Schadstoffzuführung nicht geringachte.
Natürlich ist es wichtig, daß der Großteil der Nährstofffrachten nicht aus Deutschland stammt. Gleichwohl ist unser Anteil daran keine vernachlässigbare Größe. Deshalb sind die von der Bundesregierung im nationalen Ostseesanierungsprogramm vorgestellten Sanierungen der Kläranlagen fortzusetzen. Diese Sanierung muß auch nach dem Auslaufen der Gemeinschaftsaufgabe Aufschwung Ost beibehalten werden. Es müssen dafür Finanzmittel in die Haushalte eingestellt werden.
({3})
Wenn schon die Strukturmittel im Westen, die gerade primär auch für den Umweltschutz gelten sollten, rigoros gestrichen worden sind
({4})
- die keine Erfindung der Bundesregierung, sondern von Herrn Albrecht waren , so sind zumindest für die Finanzierung der kommunalen Kläranlagen und Abwasserkanalsysteme in den neuen Ländern weiter ausreichende Bundesmittel vorzuhalten. Das kann nicht Aufgabe der Länder allein sein. Der Bund muß sich hier engagieren.
Es wird von den Naturschutzverbänden auch zu Recht kritisiert, daß in dem Ostseesanierungsprogramm der Bundesregierung keine Angaben über industrielle Abwasserquellen gemacht werden, beispielsweise wird ein so großer Betrieb wie die Neptun-Werft in Rostock überhaupt nicht genannt. Für den nächsten angeforderten Bericht sind derartige Quellen und auch die Maßgaben zur weiteren Behandlung aufzulisten und die Maßgaben der Beseitigung darzustellen.
Meine Damen und Herren, es ist, glaube ich, zwischen uns auch unstreitig, daß vor allem im Bereich der Landwirtschaft noch erhebliche Defizite bestehen. Der Nährstoffeintrag durch diffundierende Düngemittel ist als primär landwirtschaftliches Problem immer noch nicht gelöst. Fast ein Viertel des Nährstoffeintrags über den Wasserpfad kommt erfahrungsgemäß aus der Landwirtschaft. Es ist eine Schande, daß immer noch der Erlaß einer Düngemittelanwendungsverordnung angemahnt werden muß, was auch der Antrag der Koalitionsparteien tut. Dies hätte schon längst geschehen sein müssen.
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Die Bundesregierung hat es seit Jahren in der Hand, hier zu handeln. Es muß doch für die Bundesregierung, Herr Klinkert, mehr als peinlich sein, dieses Versagen sogar von der eigenen Regierungspartei durch diesen Antrag vorgehalten zu bekommen.
Längst hätte auch schon eine Verordnung erlassen werden können, daß Gewässerrandstreifen konkret je nach Bodenbeschaffenheit und Gefälle von Düngung und Pflanzenschutzmitteleintrag freizuhalten sind.
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Die von der Bundesregierung 1988 in ihrem Zehnpunkteprogramm zum Nord- und Ostseeschutz abgegebene Erklärung ist an dieser Stelle noch nicht umgesetzt. Die Bundesregierung verläßt sich schon in dieser Erklärung vorsorglich auf die Handlungsmöglichkeiten der Länder über das Wasserhaushaltsgesetz, um den Ländern die Schuld geben zu können, wenn hier nichts geschieht. Ich halte dies für ein vorsorgliches Schwarzer-Peter-Spiel. Aber auch ein solches Schwarzer-Peter-Spiel nützt der Ostsee nichts.
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Auch hier muß die Bundesregierung selber handeln.
Hatte ich vorhin bereits darauf hingewiesen, daß der Nährstoffeintrag der Bundesrepublik auf dem Wasserpfad in die Ostsee im Vergleich zu den übrigen Ostseeanrainerstaaten gering ist, so ist der atmosphärische Eintrag aus Quellen der Bundesrepublik in die Zentralostsee am größten.
Von allen Nährstofffrachten in die zentrale Ostsee werden 59 % über den Wasserpfad und 41 % - man
beachte: 41 %! - über den Luftpfad eingetragen. Innerhalb dieses hohen atmosphärischen Eintrages nimmt die Bundesrepublik mit etwa 40 % den Spitzenplatz ein. Dies zeigt deutlich, daß unsere Anstrengungen auf dem Gebiet der Emissionsbegrenzungen weitergehen müssen. Es ist z. B. der Bundesregierung bisher nicht gelungen, die NOx-Emissionen aus dem Verkehr nennenswert zu reduzieren. Es sind auch keine Konzepte erkennbar, wie an dieser auch für die Belastung der Meere wichtigen Emissionsquelle drastische Reduzierungen etwa durch Verkehrsvermeidung greifen sollen.
Fast völlig unbeachtet bleibt auch der Beitrag der Landwirtschaft zum atmosphärischen Stickstoffeintrag. Immerhin gehen einige Experten davon aus, daß über 55 % der atmosphärischen Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft stammen und hier vor allem aus der Massentierhaltung. Hier Rückhaltesysteme verpflichtend vorzuschreiben oder, besser noch, die Massentierhaltung zurückzudrängen ist mehr als geboten und nützt auch der Ostsee und der Nordsee.
Meine Damen und Herren, bei aller Verursachung aus Deutschland bleibt festzuhalten: Der Hauptverursacher der Nährstoffeinträge in die zentrale Ostsee sind die östlichen Anrainerstaaten und von diesen insbesondere Polen. Aus Polen gelangen 15 % - das sind 109 000 t Nitrat nach einer Schätzung, die der BUND vorgelegt hat - und 52 % - das sind 19 100 t Phosphor - pro Jahr in die Ostsee.
Bei diesen Zahlen ist offensichtlich, daß Maßnahmen zum Schutz der Ostsee sehr wirkungsvoll und möglicherweise wirkungsvoller als bei uns in Polen angesetzt werden können und müssen. Wir müssen deshalb auch bei den bereits angelaufenen wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen das Ziel der Gewässer- und Meeresreinhaltung mit im Auge haben. Dies muß auch den investierenden Industrien klar sein. Es darf nicht angehen, daß bewußtes Umweltdumping zu Standortvorteilen führen soll.
Der Vorschlag der Koalitionsparteien, eine Oderschutzkommission nach dem Vorbild der Elbekommission zu bilden, findet natürlich auch unter diesem Kontext unsere ungeteilte Zustimmung. Wir wissen, daß Polen nicht bei der Odersanierung stehenbleiben darf. Die Weichsel ist im Unterlauf genauso wie die Oder nur noch ein Schmutzwasserkanal. Angesichts der großen ökonomischen Probleme Polens können wir allerdings nachempfinden, daß ihnen das ökonomische Hemd näher ist als der ökologische Rock.
Diesen Teufelskreis von wirtschaftlicher Armut und ökologischer Zerstörung zu durchbrechen, muß das Hauptziel aller Anstrengungen von Wirtschaftshilfe im ehemaligen Ostblock sein. Polen steht hier nur exemplarisch. Gleiches gilt für die Ostsee-Einzugsgebiete Rußlands und der Baltischen Staaten.
Es war deshalb richtig, auf der Ostseeschutzkonferenz die internationale Verantwortung der Anrainerstaaten zu betonen. Das heißt im Klartext auch: Ökonomisch starke Staaten müssen um der Ostsee willen bereit sein, Beiträge zur Verbesserung der ökologischen Situation in armen Staaten zu leisten.
Zugleich muß auch auf nationaler Ebene weitergemacht werden.
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- Wir sind uns an dieser Stelle sehr einig; wir haben das nachhaltig unterstützt, Frau Blunck.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt betrachten. Der Koalitionsantrag fordert eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor jedwedem Bau größerer Anlagen, die auf die Ostsee erhebliche Auswirkungen haben. An dieser selbstverständlichen Forderung sollte man einige anstehende Industrialisierungsprojekte messen.
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Ich folge ausdrücklich nicht der pauschalen Forderung des BUND an das Ostseesanierungsprogramm der Bundesregierung, keine weitere Küstenindustrialisierung zuzulassen.
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- Warten Sie ab, Herr Klinkert. Gleichwohl muß man
aber fragen, ob z. B. das Projekt der Meyer-Werft
- ich weiß nicht, ob es noch ernsthaft betrieben wird
- an dem relativ unbelasteten Standort Rügen mit dem Ostseeschutz, der auch Küsten- und Naturschutz ist, in Einklang zu bringen ist.
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Positive arbeitsmarktpolitische Effekte können in dieser konkreten Frage kein Argument sein, denn diese Effekte gäbe es auch in Rostock oder in Stralsund.
Ich halte es deshalb für unabdingbar notwendig, daß bei der Mittelvergabe die ökologische Prüfung nicht vollkommen hinten ansteht. Es kann nicht angehen, daß nur wegen höherer Subventionszusagen ein Standort in einem unbelasteten Gebiet wegen höherer Förderungpräferenz eher möglich ist als an einem ehemaligen Industriestandort,
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wie das im Falle von Rügen im Vergleich zu Stralsund der Fall ist. Wenn wir recht haben, sollten wir auch Konsequenzen ziehen.
Auch die Diskussion um die Rohölpipeline nach Schwedt und Leuna von Rostock aus kann nicht losgelöst von den potentiellen Gefahren für die Ostsee durch Großtanker geführt werden. Der Schiffahrtsraum Ostsee ist sowohl von der schiffahrtstechnischen als auch von der biologischen und morphologischen Seite wesentlich kritischer zu bewerten. Die Führung einer Pipeline von Rostock ins Landesinnere wäre angesichts eines vorhandenen Tiefwasserhafens Wilhelmshaven bei dem hohen Risiko der Öltankerflotte nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch wenig vernünftig.
({13})
Herr Klinkert, ich will um Gottes willen nicht einer Entindustrialisierung des mecklenburgischen Küstenraums das Wort reden. Ich weise aber mit Nachdruck darauf hin: Wer jetzt auf ökologisch vertretbare Pro7068
jekte achtet, wird langfristig ökonomisch davon profitieren.
({14})
Der Aussage des Einleitungsteils des uns vorliegenden Koalitionsantrages, daß nur durch konsequentes gemeinsames Handeln im gesamten Einzugsgebiet der Ostsee eine drastische Reduzierung der gegenwärtigen Nährstoff- und Schadstoffbelastung erreicht werden kann, kann wegen ihrer allgemeinen Formulierung vorbehaltlos zugestimmt werden. Ich tue das gern.
Erlauben Sie mir allerdings, daß ich ebenso deutlich meine Zweifel zum Ausdruck bringe, ob die angekündigte 50prozentige Schadstoff- und Nährstoffreduzierung bis 1995 erreicht wird. Diese vor vier Jahren proklamierte Zielsetzung müßte doch jetzt, nachdem wir nur noch drei Jahre vor uns haben, zumindest schon in Umrissen erkennbar sein. Es hat sich - Herr Klinkert hat die Daten schon genau aufgelistet - ja gar nichts verändert. Wenn sich in vier Jahren überhaupt nichts verändert hat, wie sollen wir dann in den nächsten drei Jahren eine 50prozentige Reduzierung schaffen? Das kann ich nicht sehen.
({15})
Wir lassen uns gerne überraschen, Herr Harries.
Gleichwohl müssen wir bei aller Skepsis mit den Anstrengungen zum Ostseeschutz weitermachen. Wer aufhört zu rudern, wird zurückgetrieben. Wir aber wollen weiterkommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Josef Grünbeck das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal eine ernste Feststellung zu diesem ernsten Thema machen. Die größten Verschmutzungen in der Ostsee stammen aus den östlichen Ländern. Ich bedauere, daß jene, die in ihrer politischen Vergangenheit einen wesentlichen Anteil dazu beigetragen haben, heute nicht einmal anwesend sind. Die PDS ist hier nicht vertreten. Das finde ich schlimm.
({0})
- Verehrte Frau Kollegin, dann werde ich noch eine humorvolle Bemerkung machen. Die politische Kultur bekommt Schlagseite. Heute ist Josefstag; da wäre ich normalerweise beim Salvatoranstich in München. Ich habe aber meine Eintrittskarte verfallen lassen, denn Bayern will und braucht eine saubere Ostsee.
Herr Abgeordneter, das könnte ja Veranlassung sein, Ihre
Kolleginnen und Kollegen zu einem Umtrunk einzuladen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kalb? - Selbstverständlich.
Herr Kollege Grünbeck, wären Sie sehr böse, wenn es der Herr Präsident zulassen würde, daß wir Ihnen zum Namenstag gratulieren?
Wir wollen jetzt noch zur Sache kommen.
({0})
Lieber Herr Kollege Schütz, ich stimme zwar einigen Aussagen von Ihnen zu, aber eines kann natürlich nicht stimmen: Sie werfen der Koalition vor, daß sie bei dem Antrag, den sie heute einbringt, von Ihnen abgeschrieben hat, aber anschließend haben Sie gesagt, der Antrag sei schlecht.
({1})
Entweder müssen Sie das eine oder das andere streichen. Aber lassen Sie mich nun zur Sache kommen.
Die Ostsee ist eines der größten Brackwassergebiete der Welt. Die Bedeutung der Ostsee ist ungeheuer, und zwar nicht nur für die Erholungslandschaft, sondern auch für die Fischzucht, für die Werften und für den Verkehr. Luft, Wasser und Abwässer machen an keiner Grenze halt. Deshalb bin ich eigentlich dankbar - auch meinem Vorredner -, daß Sie in dieser sachlichen Art über die Gefährdung dieser europäischen Naturlandschaft mit uns diskutieren.
Natürlich kennen wir inzwischen die Ursachen. Sie sprachen die Landwirtschaft an; darauf komme ich noch zurück. Das ist auch richtig. Aber wir haben natürlich eine ganze Reihe von Problemen zu bewältigen, die nicht nur die Landwirtschaft betreffen. Es ist richtig, daß die letzte Bestandsaufnahme auf der Konferenz im Oktober in Lübeck stattgefunden hat. Welche Konsequenzen können wir daraus ziehen?
Es gibt Anrainerstaaten, die Einträge ganz unterschiedlicher Qualität verursachen. Das sind die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und die östlichen Anrainerstaaten, die ehemalige UdSSR und Polen. Da gibt es gewaltige Unterschiede in der Masse, aber auch in der Schadstoffstruktur. Man muß die Gefährdung deshalb auch differenzieren.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie darauf hingewiesen haben, was allein die Weichsel oder die Oder an Schadstoffen eintragen. Ich war vor kurzem in Danzig. Wer heute einmal das Wasser in der Danziger Bucht analysiert, wer überprüft, was dort an Schlamm und Abwasser eingetragen wird, den schaudert es. Die Situation in Stettin ist ja auch nicht viel besser. Hinzu kommen nunmehr die Schadstoffeinträge aus der ehemaligen UdSSR. In bezug auf die Staaten der ehemligen UdSSR suchen wir im Augenblick noch nach Verhandlungspartnern, weil die Kompetenz der
einzelnen Staaten in dieser Frage noch nicht geregelt ist.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, gemeinsames Handeln ist vonnöten. Es hat überhaupt keinen Sinn, nationale Alleingänge zu unternehmen; es hat schon Sinn, eine Vorreiterrolle zu spielen, aber das macht natürlich nur Sinn, wenn dieses Naturschutzgebiet, wenn dieser Lebensraum europäischer Struktur mit seinem ungeheuren Potential für die nächste Generation erhalten werden soll. Es gibt Leute, die sagen: Wir sollten bei uns eine Pause einlegen, damit wir die gesamten Finanzmittel jetzt auf die neuen Bundesländer und auf deren östliche Anrainerstaaten konzentrieren können. Ich möchte davor warnen. Wir müssen beides tun: Wir müssen die bei uns begonnenen Maßnahmen fortsetzen und gleichzeitig natürlich auch die Verantwortung in den östlichen Anrainerstaaten mobilisieren.
Die Bundesregierung hat nach meiner Auffassung richtig gehandelt. Das Programm zur Sanierung der Ostsee ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Welche Probleme dabei Vorrang haben, ist allerdings die Frage. Die Forderung muß also lauten - es wurde hier schon erwähnt -, daß die Ost-Staaten baldmöglichst der Helsinki-Konvention beitreten mögen. Dadurch entsteht eine große vertragliche Bindungswirkung, die wir nicht unterschätzen sollten.
Nun sagen Sie, es werde bis 1995 nicht möglich sein, die Schadstofflast um 50 % zu reduzieren. Ich teile Ihre Skepsis; nur, ich muß, wenn ich überhaupt vorankommen will, natürlich Ziele ansteuern, und das ist ein richtiges Ziel. Es ist fraglich, ob wir es in dieser Zeit erreichen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich wäre auch froh, wenn wir gerade in bezug auf die östlichen Staaten 30 % erreichen würden. Das wäre in Anbetracht der ganzen Situation in Polen und in der Sowjetunion schon ein großes Problem.
Die Anwendung sollte am jeweiligen Stand der Technik orientiert sein, und zwar überall, und wir dürfen nirgendwo Kompromisse machen. Wir müssen das Vorsorgeprinzip in dieser Frage wie sonst nirgendwo in den Mittelpunkt stellen. Das ist jedoch in unserem Antrag enthalten. Wir müssen natürlich die Überwachung verbessern. Wir müssen ferner die Kontrolle sowie Forschung und Entwicklung verbessern. Wir müssen die richtigen Prioritäten setzen, und zwar von der Sicherung der Öltanktransporter bis hin zur Altlastenentsorgung.
Was die Verringerung der Gefahren betrifft, die durch die Entsorgung der Kernkraftwerke oder auch durch die Versenkung von Schadstoffen und durch die Lagerung radioaktiver Abfälle entstehen, so kann man sicher diskutieren. Natürlich ist es richtig, darauf aufmerksam zu machen, aber ich möchte davor warnen, in irgendeiner Weise Panikmache zu betreiben. Wir müssen hier die strengsten Sicherheitsmaßnahmen und die wirksamsten Kontrollen einführen, und zwar nicht nur in bezug auf die Stoffe, die jetzt eingetragen werden, sondern vor allen Dingen auch hinsichtlich der Stoffe, die schon auf dem Meeresboden liegen. Die schwierigste Aufgabe sehe ich in der Finanzierung aller unserer gemeinsamen guten Absichten. Über diese guten Absichten gibt es keinen
Zweifel. Das erfordert allein schon, insbesondere auch die Prioritäten zu setzen.
Aber eines muß ich Ihnen noch zum Programm „Aufschwung Ost" sagen. Ich mache noch einmal - wie schon im Ausschuß - darauf aufmerksam, daß wir eine ungeheure Summe im ERP-Programm haben. Dieses ERP-Programm sollte man eigentlich noch in eine Richtung ausweiten, nämlich in der Richtung, daß wir die direkten Zuschüsse eher absenken und die Zinssubventionen für die Träger der Maßnahmen erhöhen. Das würde die Breite des ganzen Programms wesentlich ausdehnen und würde vor allen Dingen auch den Kommunen, die ja für die Abfallentsorgung zuständig sind, letztlich die Entscheidung erleichtern, wenn sie die Zinsfolgelasten und auch die Tilgungslasten nicht in voller Höhe zu tragen haben, weil die Rückzahlungsmodalitäten zeitlich natürlich relativ weit gestreckt sind.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin dem Außenminister außerordentlich dankbar, daß er in seinen Bemühungen, auch die EFTA-Staaten in dieses Programm einzubeziehen, nicht müde wird. Wir haben ja die Hoffnung, daß Schweden und auch Finnland diesem Programm beitreten. Deshalb wäre der Beitritt der EFTA-Staaten insgesamt zu diesen Sanierungsmaßnahmen ganz, ganz wichtig.
({2})
Ich denke, daß wir bis 1993 den Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen und die Erfolge - und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auf internationaler Ebene - erhalten werden.
Meine Damen und Herren, die Ostsee ist ein europäischer Lebensraum. Diesen Lebensraum kann man nicht gefährden und sich darauf beschränken, der nächsten Generation eine Reparaturwerkstatt zu überlassen, sondern man muß alle geeigneten Maßnahmen ernsthaft in Angriff nehmen, damit dieser europäische Lebensraum auch für die nächsten Generationen erhalten bleibt. Das muß uns allen über Parteigrenzen hinweg eine ernsthafte Verpflichtung sein. Vielen Dank!
({3})
Ich erteile der Frau Abgeordneten Dr. Höll das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachweislich ist der Anteil der zivilen Umweltverschmutzung in der Ostsee am größten. Ein kleiner, nicht zu unterschätzender Teil der Umweltzerstörungen in der Ostsee ist jedoch militärischen Ursprungs.
({0})
Zu unterscheiden ist zwischen den Folgen vergangener Kriege und den Folgen andauernder Aktivitäten in Friedenszeiten. Bis heute werden Menschen von Sprengstoffen und Minen des Zweiten Weltkriegs getötet. Noch heute schädigen die Langzeitfolgen das Leben im Meer und tragen zur ökologischen Instabilität bei.
Auch der Ost-West-Konflikt zeitigte negative Auswirkungen. Am schlimmsten wirkten hier die nu7070
klearen Einleitungen in die Ostsee und die Folgen der Atom-U-Boote der UdSSR in der Ostsee. Die Marine-Aktivitäten der Ostsee-Anrainerstaaten sind zwar infolge der Beendigung des Ost-West-Konfliktes zurückgegangen; trotzdem schädigen sie zusammen mit den dazugehörigen Land- und Luftstreitkräften die Umwelt durch ihren „normalen" Routinedienst und bei Manövern. Unterwasserexplosionen töteten und töten auch weiterhin große Mengen an Fischen und anderen Meereslebewesen.
Die Bundesrepublik ist hier aufgefordert, jegliche Tätigkeit ihres Militärs einzustellen, um die sowieso schon stark belastete Umwelt im Ostseeraum zu entlasten. Alles andere ist pure Gedankenlosigkeit und Dummheit. Die Initiative von Rostocker Bürgern für eine militärfreie Ostsee ist aufzugreifen und in die Tat umzusetzen, denn Abrüstung in einem so empfindlichen und gefährdeten Raum wie der OstseeRegion ist nicht nur eine friedens-, sondern auch eine umweltpolitische Maßnahme.
({1})
Um die Probleme der Region zu lösen, ist ein Konzept umfassender regionaler Friedenspolitik notwendig, daß sich in diesem Antrag nicht befindet.
Ein weiterer Grund spricht neben der Dringlichkeit für eine gründliche Lösungsstrategie. Die Ostsee könnte nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes als Modellfall für Konflikt- und Problemlösungsmechanismen dienen. Da hier auf Grund der neutralen Positionen in der Vergangenheit - und jetzt nach dem Zerfall der UdSSR - momentan keine Konfliktparteien mehr vorhanden sind, könnte ohne Druck und ohne machtpolitische sogenannte „große Politik" das Problem der Umweltverschmutzung angepackt werden.
Es gibt bereits Konsultationsgremien, an die sofort angeknüpft werden könnte, wenn das Interesse daran bestünde, z. B. die Konvention über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes. Wen wundert es angesichts der Pläne der Bundesregierung, den Handlungsspielraum der Bundeswehr zu erweitern, daß da nichts Wesentliches geschieht? In dem Antrag wird zwar mit schönen Worten von Zusammenarbeit gesprochen, die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Mit umweltfreundlicher Politik ist ja kein Mannesruhm zu gewinnen.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf eine weitere Belastung der Ostsee richten, auf die Atomkraftwerke der Anrainerstaaten: auf die vier RBMKReaktoren von 1 000 Megawatt in Leningrad, auf die zwei RBMK-Reaktoren von 1 500 Megawatt in Ignalian in Litauen, auf zwei WWER-440- und zwei ABBSiedewasserreaktoren mit 735 Megawatt in Finnland und die zwölf Siede- und Druckwasserreaktoren in Schweden. Diese Anlagen liegen außer der Anlage Ignalian praktisch direkt an der Küste, werden teilweise, wie wir das von den Greifswalder Reaktoren her kennen, mit Seewasser oder mit Flußwasser direkt gekühlt und geben damit erhebliche Mengen an radioaktiven Abwässern an die Ostsee ab, die, wie wir wissen, ein Meer mit realtiv geringem Wasseraustausch mit anderen Weltmeeren ist. Über die Reaktoren sowjetischer Bauart liegen bezüglich der Radioaktivitätsfreisetzungen keine gesicherten Ergebnisse vor.
Sehen wir uns also die Anlagen des westlichen High-Tech-Landes Schweden an! Nach Angaben der „Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber" entließen allein die vier Reaktoren Ringhals 1 bis 4 im Jahre 1989 186,76 Gigabecquerel an radioaktiven Spalt- und Aktivierungsprodukten ohne Tritium in die Ostsee, und zwar im Normalbetrieb.
({2})
Jeder der Reaktorblöcke lag dabei weit über dem Genehmigungswert von Biblis A. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich auszumalen, was passiert, wenn ein Störfall eintritt, insbesondere bei den Anlagen in Leningrad, die baugleich mit den Tschernobylreaktoren sind.
Ich denke, wir sollten alle Kraft darauf verwenden, die Ostsee atomfrei zu machen, frei von Atomwaffen und frei von Atomreaktoren. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Ostsee. Sicher erfordert das große Anstrengungen. Denn die Atomlobby wähnt sich gegenwärtig wieder im Aufwind, natürlich mit Unterstützung der Bundesregierung. Auf ihre Hilfe können umweltbewußte Menschen dabei nicht zählen. Meine Damen und Herren, das wissen wir auch.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Rolf Olderog das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in sechs Bemerkungen zum Schutz der Ostsee Stellung nehmen.
Vor kurzem, im Februar dieses Jahres, hat die unabhängige Stiftung Warentest den deutschen Ostseebädern eine hervorragende Badewasserqualität bescheinigt. Kein Urlauber brauche etwa eine Infektion beim Baden zu befürchten. Das Baden in der Ostsee fördert die Gesundheit. Das begrüße ich als Tourismuspolitiker und als ostholsteinischer Bundestagsabgeordneter sehr. Aber leider ganz anders, nämlich in weiten Teilen sogar erbärmlich, steht es um die Ökologie der Ostsee.
Ökologisch vollzieht sich in der Tat - es ist angesprochen worden - für die Ostsee als Lebensraum für Pflanzen und Tiere ein sich immer stärker ausweitender Prozeß biologischen Sterbens, eines biologischen Erstickungstodes. All die wohlklingenden internationalen Vereinbarungen von Helsinki 1974 bis Ronneby 1990 haben die Hauptursache, die massive Überdüngung der Ostsee durch Zufuhr gewaltiger Mengen von Stickstoff und Phosphor, nicht reduzieren können. Wenn es nicht gelingt, diesen Prozeß umzukehren, bedeutet das ein dramatisches Versagen der europäischen Umweltpolitik.
({0})
Zur Qualität des Ostseeschutzes nach Lübeck. Vom 18. bis 20. Oktober vorigen Jahres fand in Lübeck die erste Internationale Parlamentarische OstseeschutzKonferenz statt, mit Parlamentsdelegationen aus
sämtlichen Ostsee-Anrainerstaaten, auch aus den neuen selbständigen Republiken des früheren Ostblocks, sowie auch mit Vertretern des Europarats und des Europäischen Parlaments. Mit der in Lübeck einstimmig verabschiedeten Resolution haben wir entscheidende Schritte getan, den Ostseeschutz auf eine neue, höhere Qualitätsstufe zu stellen.
Erstens. Wir haben das Handlungsfeld der Schutzmaßnahmen für die Ostsee ausgedehnt auf Küstengewässer, Buchten, Bodden und Fjorde sowie auf das gesamte Einzugsgebiet der Ostsee, also jenes Festlandraumes, aus dem der Ostsee über Flüsse und kleine Fließgewässer Wasser zugeführt wird.
Zweitens. Wir haben beschlossen, Schluß zu machen mit der Unverbindlichkeit der internationalen Vereinbarungen und zumindest die grundlegenden Forderungen international verbindlich festzulegen. Bisher waren alle Vereinbarungen lediglich Empfehlungen, und entsprechend groß war das Vollzugsdefizit, ganz besonders im Osten.
Drittens. Wir haben die Schutzmaßnahmen weiter verbessert und verschärft.
Viertens. Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, die Öffentlichkeit für den Ostseeschutz zu mobilisieren und zu sensibilisieren und deshalb insbesondere in allen nationalen Parlamenten unseren Lübecker Antrag einzubringen und darüber eine öffentliche Debatte zu führen. Ich bedauere nur, daß das heute erst zu so später Stunde geschieht.
Bei uns im Bundestag hat es eine ausschließliche Debatte zum Thema Ostsee bisher noch nicht gegeben. Aber vor allem im früheren Ostblock war dieses Thema tabu. Ostseeverschmutzung fand offiziell nicht statt. Ich freue mich, daß wir heute das in Lübeck auch von mir als Initiator gegebene Wort in vollem Umfang einlösen, und ich bedanke mich für die Unterstützung bei den Umweltpolitikern der Koalition. Ich hoffe auf einen einstimmig verabschiedeten Antrag. In Lübeck haben ja die Vertreter aller Fraktionen sachlich und konstruktiv zusammengewirkt, und die Ausführungen von Herrn Schütz geben mir Anlaß zur Hoffnung.
Meine Damen und Herren, nun einige Worte zur Situation und zu den Schutzmaßnahmen für die westliche Ostsee. Die Ostsee ist auch in ihrem westlichen Teil, insbesondere vor der Küste Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns, in Atemnot geraten. So zeigen Messungen z. B. in der Kieler Bucht wie auch ein sich dort in den letzten Jahren häufendes Fischsterben, daß die Sauerstoffversorgung laufend schlechter geworden ist. Das Bodenökosystem hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert. Das gilt vor allem für die Abnahme der Bestände an Großalgen und den Besatz des Bodens mit Muscheln, Schnecken und Grundfischen sowie den Wechsel von Grünalgen zu Rotalgen und den Rückgang an großem Seegras. Ein trauriges Sterben, das sich dort vollzieht! Es häufen sich ungewöhnliche Algenblüten, auch giftige. Die tiefen Bereiche der westlichen Ostsee sind in den 80er Jahren im Sommer stets sauerstoffarm oder gar sauerstofffrei gewesen.
Meine Damen und Herren, für die Verschmutzung der westlichen Ostsee, etwa bis zur Darß-Schwelle vor
Rügen, sind vor allem deren Anlieger, also Deutschland, Dänemark und Schweden, verantwortlich. Hier besteht aber durchaus auch die Chance, schneller als für das Tiefenbecken der zentralen Ostsee, in wenigen Jahren wesentliche Verschmutzungsquellen zu sanieren und deren Nährstoff- und Gifteinträge drastisch zu reduzieren.
In Schleswig-Holstein müssen wir konsequent die Nachrüstung der Klärwerke zur Aussonderung von Stickstoff und Phosphor sowie zur Filtration von giftigen Stoffen ausbauen. Ich verweise auf das 10Punkte-Programm von Bundesumweltminister Töpfer. Der Bund hat mit Strukturhilfemitteln in Höhe von bisher jährlich 252 Millionen DM für Schleswig-Holstein gerade dessen Einsatz für den Umweltschutz gefordert. Der Bund leistet für den Ostseeschutz, obwohl eigentlich nicht zuständig, mehr als das Land Schleswig-Holstein. Auch hat der Bund ein Uferrandstreifen-Programm aufgelegt, das von Schleswig-Holstein genutzt werden kann.
Meine Damen und Herren, vorrangig aber ist die Unterstützung des Bundes für Mecklenburg-Vorpommern, für Brandenburg und Sachsen, also auch für den Einzugsbereich der Ostsee. Aus dem Programm „Aufschwung Ost" für den Klärwerkbau sowie für Kanalisation stehen etwa 50 Millionen DM zur Verfügung. Allein Bundesminister Klaus Töpfer hat aus seinem Haushalt für Klärwerke und Kanalisationsarbeiten bei 52 Projekten von 1990 bis 1992 95 244 000 DM zur Verfügung gestellt. Weitere Mittel fließen aus den Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung Agrarstruktur und Küstenschutz" sowie „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Ich denke, das sind große Leistungen der Bundesregierung, und ich möchte insbesondere Herrn Töpfer dafür danken.
Meine Damen und Herren, Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft: ein schwieriges Problem, denn die Landwirtschaft steht sowohl bei der Schadstofffracht der Fließgewässer wie auch bei den Einträgen über die Luft - Herr Schütz hat das angesprochen - mit in der Verantwortung. Wir plädieren nachdrücklich für Uferrandstreifen-Programme, für den Erlaß einer Düngemittelanwendungsverordnung und für den Einsatz moderner Pflanzenschutztechniken.
Vor allem ist es dringend notwendig, die von der EG finanzierte Flächenstillegung stärker auf die Notwendigkeiten des Umweltschutzes auszurichten. Flächenstillegung also vor allem dort, wo ökologisch der größte Effekt erzielt wird, z. B. im Randbereich von Fließgewässern.
Agrarpolitik und Umweltschutz, meine Damen und Herren, laufen auf der europäischen Ebene völlig unkoordiniert nebeneinander. Das kann auf die Dauer so nicht weiter hingenommen werden.
({1})
Meine Damen und Herren, zu den begrenzten Möglichkeiten der neuen osteuropäischen Republiken: Das entscheidende Vollzugsdefizit liegt ja in den früheren Ostblockstaaten. Mit der politischen Wende haben wir die Chance, daß dort der Ostseeschutz einen neuen, höheren Stellenwert erhält. Ich sage Ihnen nach dem, was ich dort über die bisherigen
Reaktionen der Menschen schon erfahren habe: Die Öffentlichkeit wird, wenn darüber diskutiert wird, Druck machen. Aber ich glaube, man muß realistisch sehen, daß es für die Nachfolgerepubliken fast unmöglich sein wird, das finanziell zu leisten, was geleistet werden muß. Ohne tatkräftige Hilfe des Westens wird nichts Durchgreifendes geschehen.
Die Bundesrepublik Deutschland - auch das muß man sagen - hat ihren finanziellen Spielraum ausgeschöpft. Jetzt müssen auch einmal andere westliche Staaten ran. Aber vor allem wenden wir uns an die internationalen Finanzinstitutionen, an die Weltbank, an die Europäische Investitionsbank, an die Nordische Investitionsbank, an die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Die Forderungen bestehen seit langem. Die Banken haben Prüfungen zugesagt. Ich frage die Bundesregierung: Was ist bei diesen Prüfungen herausgekommen? Wie könnte eine solche Hilfe dieser Bankinstitute aussehen?
Ich möchte auch die Europäische Gemeinschaft mit in die Verantwortung nehmen. Die EG will Mitglied der Helsinki-Konvention werden. Die EG hat sich für den Schutz des Mittelmeeres engagiert. Jetzt muß auch der Norden einmal an die Reihe kommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zur Verbindlichkeit dessen sagen, was wir beabsichtigen. Man muß sehen, daß das alles von den Nachfolgerepubliken der früheren Ostblockstaaten gar nicht zu leisten ist. Aber eines ist wichtig: Da darf es keinen Rabatt geben. Alles, was dort an wirtschaftlichen Investitionen stattfindet, muß nach dem neuesten Stand der Technik geschehen. Alles, was nicht mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist, z. B. der Austausch von Daten, muß für unsere Partnerländer rund um die Ostsee verbindlich sein. Nach der Konferenz von Lübeck habe ich das Gefühl, daß wir auf den guten Willen unserer osteuropäischen Partnerländer und -regierungen vertrauen können.
Das rote Licht mahnt mich. Deswegen jetzt eine Bemerkung zum Schluß.
Ich denke, meine Damen und Herren, dieser Antrag ist eine Chance. Nutzen wir sie zu gut durchdachten und energisch vorgetragenen Initiativen! Geben wir in Deutschland nach der Lübecker Konferenz ein gutes Beispiel, damit vom Deutschen Bundestag ein Signal ausgeht an alle Parlamente und Parlamentarier, die in Lübeck der Ostsee Hilfe versprochen haben!
Herzlichen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Kollegin Ulrike Mehl das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bis an hochrangiger Stelle über ein ernstes Naturschutzproblem gesprochen wird, hat schon immer lange gedauert. Heute dauert es angesichts der vielen Probleme, die wir haben, noch länger. Man hat manchmal den Eindruck, daß erst größere Katastrophen geschehen müssen, um wirklich ernst zu nehmende, wirksame
Maßnahmen folgen zu lassen. Aber selbst das stimmt wohl nicht; sonst hätte es nämlich eine grundlegende Wende durch die regierungstragenden Parteien in der Kernenergiepolitik geben müssen. Statt dessen reden Sie davon, daß die Probleme in und um Tschernobyl rein psychologischer Natur seien und wir den Menschen einredeten, daß sie von den Strahlungen stürben.
({0})
Das kann ja wohl nur jemand sagen, der auf dem Mond lebt, jedenfalls nicht hier.
Über die Ostsee wird nun seit 18 Jahren, nämlich seit der ersten Helsinki-Konferenz von 1974, gesprochen. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie lang ein Weg vom Reden zum Handeln sein kann. Das, was an Entlastungsmaßnahmen heute erreicht worden ist, hätte eigentlich schon vor zehn Jahren erreicht werden müssen. Ich räume ein, daß die politische Situation im Osten früher wenig Spielraum zuließ, aber es ist natürlich zu fragen, was hier geschehen ist.
Ich war über den Inhalt Ihres Antrages einigermaßen erstaunt. Sie sind auf dem richtigen Weg, meine Herren und Damen Kollegen und Kolleginnen.
({1})
Bedeutende Teile dieses Antrages, der in Lübeck entstanden ist, entstammen ja auch der Feder von SPD-Politikerinnen und -politikern.
({2})
Ich habe allerdings erheblichen Zweifel, daß den Antragstellern in allen Teilen klar ist, was sie eigentlich beantragt haben. Sie fordern z. B. das Vorsorgeprinzip. Das ist hervorragend und richtig. Sie hätten aber auch vielfältige Gelegenheiten gehabt, dieses Prinzip in der Natur- und Umweltschutzpolitik Ihrer Bundesregierung anzuwenden ({3})
z. B. in chemiepolitischen Fragen oder in der Landwirtschaft. Es ließen sich viele Punkte nennen.
Warum tun Sie das eigentlich nicht, sondern fordern dies nur? Die Forderung ist doch an Ihre Parteien in der Bundesregierung gerichtet. Was hält Sie denn davon ab, dies umzusetzen?
Frau Kollegin Mehl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Grünbeck?
Ja.
Bitte sehr, Herr Kollege Grünbeck.
Verehrte Frau Kollegin, wenn Sie so massive Vorwürfe an die Regierung richten: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Sachverständigenrat für Umweltfragen das eigentliche Problem im defizitären Vollzug durch die Länder sieht und daß die Regierungen in den Ländern im Augenblick mehrheitlich von der SPD gestellt werden?
({0})
Sie werden doch wohl zugeben, daß die Probleme der Ostsee nicht aus den letzten vier Jahren stammen, sondern daß sie älterer Natur sind, und daß die Probleme der Ostsee 1974 unter einer SPD-Bundesregierung aufgegriffen worden sind.
({0})
- Richtig.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Blunck?
Ja.
Bitte, Kollegin Blunck.
Frau Kollegin Mehl, würden Sie mir darin zustimmen, daß ein Gericht in Bayern, das entscheiden sollte, ob die einwegfreien Regale, die die Stadt München durchsetzen wollte, gesetzeskonform seien, festgestellt hat,
({0})
daß es hier an einem ordentlichen Gesetz durch den Bund fehle und daß der Bund, bitte schön, in die Hufe kommen sollte, damit dieses Gesetz die Kommunen wirklich in die Lage versetzen würde, nicht im Müll zu ersticken? Können Sie mir das bestätigen?
Frau Kollegin, wenn Sie das sagen, glaube ich Ihnen das aufs Wort.
({0})
Sie sind eine absolut glaubwürdige Kollegin.
Frau Kollegin Mehl, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Immer zu!
Frau Kollegin, stimmen Sie mir darin zu, daß wir jetzt eine Debatte über die Ostsee haben?
Wenn man mich läßt, werde ich meine Ausführungen auch in der Richtung fortführen. - Danke.
({0})
Sie fordern weiterhin Verbraucheraufklärung und kürzen gleichzeitig die Fördermittel für entsprechende Einrichtungen. Sie fordern Stoffverbote und schaffen es nicht, für die ganze Welt hochgefährliche Stoffe kurzfristig aus dem Verkehr zu ziehen. - Ich denke an die FCKW. Sie fordern eine Düngemittelanwendungsverordnung und legen einen windelweichen Entwurf vor, der an Schwammigkeit und Ungenauigkeiten nichts zu wünschen übrig läßt. Sie fordern in Ihrem Antrag das, was Sie in diesen und anderen Fällen nicht annähernd erfüllen.
Es liegt doch in Ihrer Hand, die die Ostsee entlastenden Maßnahmen zu ergreifen. Stellen Sie also nicht Anträge, die Sie gar nicht erfüllen wollen!
Wenn es anders wäre, hätten Sie z. B. im Umweltausschuß dem SPD-Antrag zur inhaltlichen Aufklärung der nebelreichen Düngemittelanwendungsverordnung zustimmen müssen;
({1})
dann hätten Sie auch nicht die SPD-Anträge zum Haushalt 1992 ablehnen dürfen, die eine Mittelerhöhung für die Sanierung grenzüberschreitender, in die Ostsee mündender Flüsse zum Inhalt hatten; Sie hätten auch nicht die weitere Anwendung des MARPOL-Abkommens bezüglich der kostenlosen Schiffsentsorgung ablehnen dürfen. - Das haben Sie aber getan. Das belegt, daß dieser Antrag hier verdammt nach Wahlkampf riecht.
({2})
Angesichts dessen, was Sie fordern, und dessen, was die Bundesregierung tut, sehen Sie im Ergebnis nicht gut aus.
Ich will noch ein paar Beispiele nennen: Wir hatten jüngst Fragen in der Fragestunde, die sich mit den zigtausend Tonnen Giftgasmunition am Grunde der Ostsee befaßten. Allein bei Bornholm sollen über 35 000 Tonnen Chemiewaffen im Meer liegen. Der Parlamentarische Staatssekretär Hennig ({3}) hat dies als große Gefahr für alle Ostseeanrainer erkannt. Angeblich hat er auch mit der baltischen Flotte eine gemeinsame Suchaktion vereinbart, was in der Fragestunde dann allerdings nicht bestätigt wurde. Die Antwort ließ auch in keiner Weise erkennen, was die Bundesregierung bei diesem Problem eigentlich zu tun gedenkt, obwohl es seit vielen Jahren bekannt ist.
Vielmehr verwies Herr Wimmer auf einen Brief aus dem Jahre 1990, dem zu entnehmen ist, daß das Gift vermutlich nur nach und nach freigesetzt werde und dann ungefährlich sei. Worauf diese Erkenntnis beruht, daß sich das Gift nur peu à peu ins Meer ergießen werde und daß dies dann ungefährlich sei, und wer oder was der Maßstab dafür ist, ist mir ein Geheimnis geblieben.
Mit einigen Mühen habe ich herausgefunden, daß es Gutachten hierüber von Anfang der 70er Jahre gibt, die eben genau dies besagen. Das weiß Herr Hennig offensichtlich nicht, oder er verschweigt es wissentlich oder unwissentlich, weiß der Himmel.
({4})
Die Frage ist natürlich auch, ob solche Gutachten einer ernsten Prüfung standhalten würden. Das ist vielleicht auch einer der Gründe.
Herr Hennig hätte dagegen fordern müssen, daß umgehend Untersuchungen nach neuestem wissenschaftlichen Stand eingeleitet werden. Immerhin sind ja die vorhandenen geheimnisvollen Gutachten schon 20 Jahre alt. Dabei müssen die Dimension der Gefährdung sowohl für die Menschen als auch für die Ökologie eingeschätzt, Katastrophenschutzmaßnah7074
men gegebenenfalls erarbeitet und Lösungen des eigentlichen Problems vorgeschlagen werden.
Die Bundesregierung hat - darin sind wir uns sicherlich einig - auch keine Probleme damit, daß auf der herrlichen Insel Rügen in direkter Nähe eines Nationalparks an der Küste unter vorraussichtlicher Genehmigung eigener Zuschüsse eine neue Werft gebaut werden soll,
({5})
obwohl sie in ihrem Antrag die Wichtigkeit naturnaher Erhaltung der Küstenregion betont.
({6})
Mal abgesehen davon, daß es viel vernünftiger wäre, den bestehenden Werften - ({7})
- Es wäre ganz schön, wenn ich vielleicht auch noch etwas sagen dürfte. - Danke.
Mal abgesehen davon, daß es viel vernünftiger wäre, den bestehenden Werften zum weitgehenden Überleben zu verhelfen,
({8})
finde ich es äußerst bemerkenswert, daß Sie nicht vorhaben, an die Vergabe der Mittel irgendwelche umweltbedingten Auflagen zu knüpfen; das habe ich nämlich nachgefragt.
Sie fordern außerdem in Ihrem Antrag eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor jedwedem und für jedweden Bau großer Anlagen, die auf die Ostsee erhebliche Auswirkungen haben. Das alles, was ich eben erklärt habe, paßt ja wohl nicht zusammen. So sieht nämlich die Realität aus; das ist die wahre Natur- und Umweltschutzpolitik dieser Bundesregierung.
({9})
Frau Kollegin, gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Olderog?
Bitte.
Bitte sehr.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß sich der fremdenverkehrspolitische Sprecher Ihrer Fraktion, Carl Ewen, und der Kollege Tietjen mit großem Nachdruck für den Bau der Werft auf Rügen ausgesprochen haben?
Das ist mir bekannt.
({0})
Herr Ewen gibt vielleicht nicht alleine die Meinung der Fraktion wieder.
({1})
Meine Damen und Herren, nun lassen wir wieder der Frau Kollegin Ulrike Mehl das Wort. - Bitte sehr!
Die ökologische Sensibilität der Ostsee ist eine besondere, wie wir wissen. Sie hat nicht nur einen äußerst geringen Wasseraustausch mit dem vergleichsweise sauerstoffreichen Wasser der Nordsee - der Gesamtaustausch dauert 40 bis 60 Jahre -, sondern weist zum einen relativ streng in Schichten getrennte unterschiedliche Salzgehalte auf und hat zum anderen unterschiedliche regionale, wie ich das nennen möchte, Salzgehalte. Die Wasserschichten vermischen sich so gut wie nicht, was der bestimmende Faktor der Ostsee und damit ihr besonderer ökologischer Fingerabdruck ist.
Die Tatsache, daß Sie in Ihrem Antrag eine Gesamtbetrachtung des Öko-Systems Ostsee fordern, d. h. das gesamte Einzugsgebiet umfassen wollen, ist richtig. Nur: Wer muß denn am Ende die Zeche zumindest mitbezahlen? Hier sind doch die Kommunen von Ihnen zum Teil alleingelassen worden. Die in Ihrem Antrag genannten Mittel zur Verbesserung regionaler Wirtschaftsstrukturen laufen ja bekanntermaßen aus.
({0})
Wenn eine 1 500-Seelen-Gemeinde im Sommer auf 20 000 Einwohner anwächst, bringt das nicht nur höhere Einkünfte. Eine Kläranlage, die dann für eine mittlere Stadt gebaut werden müßte, würde die Gemeinde einen Haufen Geld kosten.
({1})
Dann sollen die Länder und Kommunen noch dringend erforderliche Naturschutzmaßnahmen bezahlen, während sich der Bund vornehm zurückhält.
({2})
Angesichts dieser Situation wird es schwer, so wichtige Aufgaben - Küstenschutz ist nämlich so etwas - in der notwendigen Geschwindigkeit umzusetzen. Das betrifft nämlich auch den Küstenschutz, und zwar den im Sinne des Naturschutzes und nicht den im Sinne des Deichbaues.
Daß der Bund für Naturschutz nicht in die Pflicht zu nehmen ist, halte ich für einen folgenschweren Fehler. Schon in Schleswig-Holstein fällt es ungeheuer schwer, diese Probleme zu lösen, geschweige denn in Mecklenburg-Vorpommern.
Die Probleme der Ostsee liegen in erster Linie in der Nährstoffzufuhr. Dieses ist genau das, was in den
bisherigen Sitzungen und Konferenzen nicht gelöst worden ist.
Ich will Ihnen mal sagen, was man leisten kann, wenn man etwas leisten will. Der schleswig-holsteinische Umweltminister Heidemann hat in nur vier Jahren ein Sofortprogramm zur Phosphateliminierung sowie ein Dringlichkeitsprogramm zur Stickstoffeliminierung erlassen, eines zum Thema zentrale Ortsentwässerung, die Verbesserung der Abwasserbeseitigung in Mecklenburg-Vorpommern gefördert, die Programme „Förderung der biologischen Funktion der Tiefgewässer" usw., auch umweltverträgliche Güllewirtschaft.
({3})
Ich kann Ihnen noch einiges nennen, ich will es gar nicht tun. Es läßt sich sehr viel aufreihen.
({4})
- Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen, ich hatte nun schon einige. Danke schön.
Statt ganz still und klein in der Ecke zu sitzen, präsentiert uns die CDU - sie ist ja wohl federführend - einen Antrag, der eigentlich nur als eine Aufreihung der eigenen Defizite zu betrachten ist.
({5})
Gestatten Sie mir, daß ich meinen Schlußsatz sage.
Das ist schon ein bißchen mehr als ein Zwischenruf.
Ich habe das Recht, Zwischenfragen abzulehnen.
Daß wir, die SPD, die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung in Sachen Ostsee begrüßen sollen, obwohl Sie auf Seite 1 Ihres Antrages selbst feststellen, daß Wesentliches nicht erreicht wurde, werden Sie wohl nicht im Ernst erwarten. Würden Sie sich dagegen auf die von der SPD formulierten Abschnitte beschränken, wäre der Antrag selbstverständlich außerordentlich zu begrüßen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Paul Laufs das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag aus den Fraktionen der CDU und der F.D.P. zu Maßnahmen zur Sanierung der Ostsee wird vom
Bundesminister für Umwelt außerordentlich begrüßt und in allen wesentlichen Punkten unterstützt.
Über die besondere ökologische Situation der Ostsee sind sich alle Fachleute einig. Die Ostsee ist eines der empfindlichsten und gefährdetsten Meere der Welt. Es ist richtig, Frau Kollegin Mehl, daß auch militärische Altlasten vorhanden sind. Ich muß Ihre Ausführungen aber zurechtrücken.
Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie erstellt derzeit eine umfassende Bestandsaufnahme über Versenkungsorte, Mengen und Arten von Giftgas- und anderer Munition in der Ostsee. Es liegen jetzt auch Unterlagen über die Versenkung von chemischen Kampfstoffen durch die Behörden der DDR in der Ostsee vor. Die Unterlagen werden zur Zeit auf ihre Echtheit überprüft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jungmann.
Ja, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen der Brief des Bundesministers für Verkehr, damals noch Herr Zimmermann, vom Oktober 1990 an den damaligen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, den ehemaligen Kollegen Ronneburger, bekannt, in dem der Verkehrsminister mitteilt, daß von den versenkten Giftgasgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg keine Gefahr ausgehe, weil, wenn sich die Granaten durch Korrosion auflösten und Lost mit dem Salzwasser zusammenkomme, eine nichtgiftige Substanz entstehe? Das ist die Auskunft der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag gewesen.
Herr Kollege, ich kann dies hier im wesentlichen wiederholen. Es gibt bisher keine Hinweise darauf, daß durch diese chemischen Kampfstoffe, solange sie sich unter Wasser befinden, auch bei Korrosion der Behältnisse, ihrer Umhüllungen, Gefährdungen für die Meeresbiologie und die Seeschiffahrt zu befürchten sind.
Es gibt im übrigen bis heute auch kein Bergungsverfahren für diese militärischen Giftgasstoffe, das nicht erhebliche Gefährdungen mit sich brächte. Das ist der gegenwärtige Stand der Erkenntnisse. Dennoch wird die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe einsetzen, die die jetzt bekanntgewordenen Informationen auswertet und Vorschläge für weitere Maßnahmen erarbeiten soll. Dies muß zur Richtigstellung dessen, was Kollegin Mehl gesagt hat, hier vorgebracht werden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Jungmann?
Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade ausgeführt, daß von den Stoffen keine Gefahren ausgehen, solange sie unter Wasser bleiben. Ist der Bundesregierung denn nicht bekannt, daß es schon erhebliche Verbrennungen von
Horst Jungmann ({0})
Fischern gegeben hat, die mit Grundschleppnetzen gefischt und dadurch den Grund aufgewühlt haben, und daß zum Teil auch durch den aufgewühlten Grund und die damit freigemachten Gifte Giftbrocken an Strände angeschwemmt worden sind und damit Badegäste gefährdet worden sind? Ihre Bestandsaufnahme ist reichlich spät.
Herr Kollege, ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es keine Hinweise auf Gefährdungen gibt, solange diese Stoffe unter Wasser sind.
({0})
Die Versenkungsorte sind in den Seekarten eingetragen. Es ist bekannt, daß dies gefährliche Gebiete sind, die von der Fischerei gemieden werden sollten.
Gestatten Sie noch weitere Zusatzfragen, zunächst von der Kollegin Mehl?
Herr Präsident, diese Fragen haben den Bundestag in der Fragestunde schon wiederholt beschäftigt.
({0})
Ich glaube, daß wir uns nun den eigentlichen Fragen der Ostsee zuwenden sollten.
({1})
Keine weiteren Zusatzfragen.
({2})
- Auch ich, Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, es muß uns bewußt sein, daß der 1988 auf der Konferenz der Umweltminister zum Schutz der Ostsee gefaßte Beschluß, eine 50 %ige Reduzierung der Schadstofffrachten bis 1995 zu erzielen, ein überaus ehrgeiziges und weitreichendes Programm darstellt, das nicht nur nationaler, sondern vor allem gemeinsamer internationaler Anstrengungen bedarf, um Wirklichkeit zu werden. Dies wurde auf der Konferenz der Regierungschefs der Ostsee-Anrainerstaaten 1990 Ronneby mit aller Deutlichkeit erkannt. Sie hatten sich dazu verpflichtet, bis Ende Januar 1991 ihre nationalen Ostseesanierungsprogramme auf den Tisch zu legen. Die nationalen Programme sollten zu einem gemeinsamen internationalen Aktionsprogramm verschmolzen werden. Die Schlüsselprojekte, d. h. die prioritären Maßnahmen sollten bereits 1993 in Angriff genommen werden. Das internationale Ostseeaktionsprogramm sollte unter enger Beteiligung der internationalen Finanzinstitute erfolgen, um konkrete Aussagen über die Kosten und Finanzierungshilfen zu ermöglichen.
Die Bundesregierung hat das deutsche Ostseesanierungsprogramm, an dem die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein beteiligt sind, auf der Sitzung der Helsinki-Kommission im Februar letzten Jahres vorgestellt. Infolge der umfangreichen Umweltgesetzgebung des Bundes und insbesondere in Verwirklichung des Zehn-Punkte-Programms zum Schutz von Nord-und Ostsee haben wir im Einzugsgebiet von Schleswig-Holstein, besonders im kommunalen Bereich, bereits eine deutliche Senkung der Belastungen erreicht. Die Finanzmittel des Bundes nach dem Strukturhilfegesetz haben dazu wirksam beigetragen.
({3})
Ich danke dem Kollegen Dr. Olderog für seine Würdigung der Leistungen der Bundesregierung. Ich empfehle sie allseitiger Lektüre.
Die neuen Bundesländer im Bereich des OstseeEinzugsgebiets waren von dieser Entwicklung jedoch ausgeschlosssen, so daß hier ein großer Nachholbedarf besteht. Wenn der Kollege Schütz den hohen Anteil Deutschlands am atmosphärischen Schadstoff-eintrag in die Ostsee beklagt, so muß man hinzufügen, daß dies erst seit der Wiedervereinigung gilt.
So ist dies auch beim Eintrag durch Oberflächengewässer. Schleswig-Holstein ist inzwischen zu 85 % an biologische Kläranlagen angeschlossen, während dies in Mecklenburg-Vorpommern erst zu 19 % der Fall ist. Brandenburg liegt dagegen bei nur 13 % und Sachsen erst bei 5 %
Ein wesentlicher Kern des Ostseesanierungsprogramms der Bundesregierung ist daher der vorrangige Bau von Kläranlagenprojekten in den neuen Bundesländern. Ich muß aber betonen, daß die Finanznot der Gemeinden in den neuen Ländern unsere große Sorge ist. Die Nachrüstung vorhandener Kläranlagen und der Neubau sowie die Reparatur des Kanalnetzes sind außerordentlich kapitalintensive Operationen. Wir suchen nach unterschiedlichen Methoden, um die erforderlichen Investitionen auszulösen. Auch wenn die Bundesregierung umfangreiche Finanzierungshilfen leistet - z. B. durch das Programm Aufschwung-Ost -, so kann dies allein doch nicht ausreichen. Daher ist selbstverständlich auch privates Kapital sehr willkommen. Private Betreibermodelle werden derzeit geprüft.
Es ist übrigens verblüffend, zu beobachten, mit welcher Leichtigkeit sich die Opposition immer wieder über die verfassungsmäßige Aufgabenverteilung hinwegsetzt
({4})
und die Bundesregierung in eine Pflicht nimmt, die ihr laut Grundgesetz gar nicht zukommt. Trotzdem engagiert sich die Bundesregierung außerordentlich,
({5})
was aber nicht zur Umkehrung der Verfassungsordnung führen kann.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie nun eine Zusatzfrage des Kollegen Schütz?
Dr. Paul Laufs, Parl Staatssekretär: Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie weisen gerade auf die verfassungsmäßige Verteilung der Kompetenzen hin. Wir haben ja vor allem die Düngemittelanwendungsverordnung angegriffen, die hier gefordert wird. Warum ist die denn noch nicht fertig? Da besteht eine verfassungsmäßige Kompetenz der Bundesregierung. Sie hätten es schon lange in der Hand gehabt, das durchzusetzen.
Herr Kollege Schütz, das ist natürlich nicht nur eine Frage der Bundespolitik, sondern hier sind genauso die Länder gefordert.
({0})
Sie wissen, daß nach Art. 75 des Grundgesetzes die Fragen des Bodens, des Naturschutzes, der Gewässer, des Wasserhaushalts in der ersten Kompetenz der Bundesländer liegen. Sie sollten die Dinge hier nicht so ohne weiteres hin- und herverschieben.
({1})
- Ja, da gibt es eine Rahmenkompetenz. Sie wissen ganz genau, warum das in der letzten Wahlperiode liegengeblieben ist: weil nämlich die Bundesländer nicht mittragen wollten, was wir vorgeschlagen haben.
({2})
Meine Damen und Herren, das gemeinsame internationale Aktionsprogramm zum Schutz der Ostsee, das im Rahmen der Helsinki-Kommission erarbeitet wird, steht kurz vor seiner Verabschiedung. Gerade in dieser Woche laufen die letzten Vorbereitungen in Helsinki. Am 9. April 1992 wird der Bundesumweltminister die Bundesrepublik Deutschland auf der Konferenz der Vertragsstaaten der Helsinki-Kommission vertreten, um eine völlig überarbeitete Helsinki-Konvention zu zeichnen. Die aus dem Jahre 1974 stammende Konvention wurde in den letzten zwei Jahren grundlegend überarbeitet, um den heutigen Anforderungen an den Umweltschutz gerecht zu werden. Sie bildet in ihrer neuen Form zugleich den Rahmen für die Umsetzung des internationalen Ostseeaktionsprogramms, das zur gleichen Zeit in seinen Grundzügen verabschiedet werden soll.
Die Bundesregierung hat sich bei den Verhandlungen mit großer Kraft dafür eingesetzt, daß die Elemente, die auch in dem hier vorliegenden Antrag niedergelegt sind, Eingang in die Konvention finden. Dazu gehören u. a. die Ausdehnung des Konventionsgebietes auf die inneren Gewässer, die Verpflichtung zur Reduzierung von Gewässerbelastungen im gesamten Einzugsgebiet der Anrainerstaaten, die Verankerung des Vorsorgeprinzips, die Verpflichtung zur Anwendung der besten Umweltpraxis und des Standes der Technik, zur Reduzierung der Einträge gefährlicher Stoffe, wirksame Maßnahmen bezüglich der Reduzierung von Schadstoffeinträgen aus diffusen Quellen, insbesondere aus der Landwirtschaft, nicht zuletzt die Erhöhung der Transparenz durch Austausch von Informationen, Notifikationsverfahren und verbesserte Methoden der Schadstoffmessung auch in den nationalen Hoheitsgewässern. Auch die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde als neuer Artikel hinzugenommen. Der Naturschutz wurde als neues Ziel aufgenommen.
Die Bundesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß im Zuge der Konventionsänderung der Beitritt der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht wird. Auch an den Verhandlungen für eine internationale Konvention zum Schutz der Oder war die EG von Anbeginn beteiligt. Die Verhandlungen sind im wesentlichen abgeschlossen. Es ist zu erwarten, daß die Oder-Konvention bereits Mitte dieses Jahres gezeichnet wird.
Angesichts der drastischen Veränderungen in Osteuropa und der damit einhergehenden Probleme bei der Erhebung der erforderlichen Daten wird das internationale Ostseeaktionsprogramm nun in seinen politischen Grundzügen verabschiedet werden können. Allein die bisherigen Vorstudien haben ca. 8 Millionen DM Kosten verursacht. Detaillierte weitere Machbarkeitsstudien werden erforderlich sein, um klare Aussagen über den tatsächlichen Durchführungsbedarf und die Kosten zu bekommen.
Dennoch wird das Programm mit seinen heutigen Aussagen einen Überblick geben über den allgemein zu erwartenden Sanierungsbedarf einschließlich der immensen Kosten, die in den nächsten Jahrzehnten auf alle Beteiligten zukommen. Einschätzungen der internationalen Banken machen deutlich, daß eine Umsetzung des Programms bereits 1993 - wie von der Ronneby-Konferenz gefordert - nur dann möglich sein wird, wenn die Finanzierung sichergestellt ist. Die Situation in den ehemaligen Ostblockstaaten macht eine Eigenfinanzierung zum jetzigen Zeitpunkt illusorisch und stellt auch die Bereitschaft der internationalen Finanzinstitutionen zu langfristigen Kreditprogrammen in Frage.
Die Bundesregierung wird sich an dem internationalen Ostseeaktionsprogramm durch etwa sechs Schlüsselprojekte zum Bau bzw. zur Modernisierung von Kläranlagen beteiligen, die hauptsächlich in Mecklenburg-Vorpommern liegen. Derzeit wird im Auftrag der Bundesregierung eine Vorstudie durchgeführt, um den zu erwartenden Bedarf zu ermitteln. Nach vorläufigen Schätzungen werden allein diese Projekte insgesamt mehr als 600 Millionen DM kosten.
Meine Damen und Herren, das Ziel, das wir uns als Partner dieses überaus ehrgeizigen internationalen Programms zur Sanierung der Ostsee gesteckt haben, ist nur langfristig erreichbar. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß unsere östlichen Nachbarn selbst bei gutem Willen zumindest kurzfristig nicht in der Lage sein werden, die anspruchsvollen Ziele der neuen Helsinki-Konventionen und des Ostseeaktionsprogramms in die Tat umzusetzen. Eine stufenweise Verwirklichung wird der einzige Weg sein, um dieses Ziel in den nächsten Jahrzehnten zu erreichen.
Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland mit vereinten Anstrengungen von Bund, Ländern und
Gemeinden ihr möglichstes tun wird, um auf ihrem Gebiet das Aktionsprogramm in die Tat umzusetzen, werden die östlichen Anrainerstaaten auf uns blicken mit der Hoffnung, in ihren Programmen von uns unterstützt zu werden. Die Ronneby-Konferenz hat einen Maßstab gesetzt, der ökologisch zwingend erforderlich ist. Die Realisierung wirft aber finanzielle Fragen auf, denen wir uns alle stellen müssen.
Vor diesem Hintergrund weist der vorliegende Antrag den richtigen Weg, indem er zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Ostsee aufzeigt, ohne dabei die Frage ihrer Finanzierbarkeit aus den Augen zu verlieren. Die Bundesregierung unterstützt diesen Antrag daher nachdrücklich und befürwortet seine Annahme.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Kollegin Frau Lieselott Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Op platt seggt wi: Wat hett he doch för'n dumm' Tüch vertellt! Un dor, wo dat en beeten konkret wär, dor wär'n dat rote Federn an de swatte Hut!
({0})
Nord- und Ostsee funken SOS: Rettet unsere Meere, und rettet uns vor Vergiftung und schleichendem Tod! Seit mehr als zehn Jahren wissen wir um die eingetretenen Schädigungen in der Nordsee und der Ostsee, im Wattenmeer, in dem einzigartigen Lebensraum für unzählige Lebewesen. Aber wir ignorieren sie! Wir tun so, als wäre die Reinigungskraft unserer Meere unendlich, und kippen unsere giftigsten Abfälle verantwortungslos ins Meer. Wir nutzen die See als billige Deponie für radioaktive Abfälle, für giftige und nährstoffreiche Abwässer. Ich finde, das ist im Hinblick auf zukünftige Generationen ein kriminelles Verhalten. Wir kehren uns einen Dreck darum, wie die Meere mit diesen Frachten fertigwerden.
Ich bin verzweifelt, ratlos und fassungslos, daß wir die auftretende Immunschwäche bei Menschen und Tieren, daß wir das Aussterben vieler Arten nicht als Menetekel begreifen und unseren leichtfertigen, rücksichtslosen und verantwortungslosen Umgang mit der Natur, mit unseren Meeren nicht endlich abstellen.
({1})
Wir brauchen keine unverbindlichen und keiner Prüfung standhaltenden prozentualen Reduzierungen von Schadstoffen. Wir brauchen Qualitätsziele für unsere Meere. Mir kommt die Diskussion um eine prozentuale Reduzierung immer so vor, als ob ich einen Säufer mit Leberschaden vor mir habe, der zehn Flaschen Fusel pro Tag trinkt und, wenn er seinen Konsum auf fünf Flaschen verringert, meint, er habe damit seine Gesundheit um 50 % verbessert.
({2})
Wir brauchen also Qualitätsziele, und diese müssen verbindlich und für alle nachprüfbar sein. Wir brauchen einen Stopp der Einleitung hochgiftiger, langlebiger bioakkumulierender Substanzen. Das heißt ganz konkret: Wir brauchen ein Verbot bestimmter Pestizide. Sowohl die Herstellung als auch das Inverkehrbringen müssen verboten werden. Wir brauchen Produktionsumstellung. Wir brauchen bei der Produktion geschlossene Kreisläufe, bei denen kein Müll anfällt. Wir brauchen keine roßtäuscherische Schadstoffverwaltung, wie sie z. B. das DSD und der Herr Minister Töpfer ausgeheckt haben.
({3})
Wir brauchen eine konsequente Vermeidungsstrategie.
({4})
Der Nährstoffeintrag über diffuse Quellen muß verstopft werden. Das bedeutet, wir müssen unsere Verkehrspolitik und unsere Landwirtschaftspolitik entscheidend verändern. Das bedeutet Einschnitte und politische Umkehr.
Wer heute morgen die Debatte verfolgt hat, hat gemerkt, daß bei Ihnen davon überhaupt nichts vorhanden ist. Das ist verantwortungslos.
({5})
Frau Kollegin Blunck, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Ich mache es schonenderweise nicht in der Form einer Intervention.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß dieses von Ihnen gerade so abqualifizierte System DSD mit Zustimmung der rot-grünen Koalition jetzt als Rahmenbedingungen in Hessen eingeführt wird?
({0})
Sie wissen auch, Herr Lippold, daß die rot-grüne Koalition in Hessen versucht hat, dem DSD, das von Ihnen bevorzugt worden ist und keinerlei Vermeidung zum Inhalt hat, mindestens etwas die Giftzähne zu ziehen. Wenn Sie dies hier verschweigen, ist das unlauter.
({0})
Herr Lippold, ich bin mit meiner Antwort noch nicht zu Ende.
({1})
Ich finde es eigenartig. Sie haben eine Frage gestellt, und ich möchte sie Ihnen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten.
Sie wissen ganz genau, daß die rot-grüne Koalition sehr viel froher wäre, wenn die Verpackungsverordnung von Herrn Töpfer nicht gleichzeitig einen Kniefall vor der verpackungherstellenden Industrie, vor Aldi mit seinen Einwegverpackungen, vor all diesen Leuten, die nicht den Mehrweg, sondern den schädliLieselott Blunck
chen Einweg nehmen, zum Inhalt hätte. Und jetzt bin ich fertig.
({2})
Da können Sie sich ein Beispiel an der konsequenten Umweltpolitik des sehr engagierten und erfolgreichen Ministers in Schleswig-Holstein, des Herrn Ministers Heydemann nehmen!
({3})
Zu Recht erwähnen Sie ja auch in Ihrem Antrag die Erfolge von Schleswig-Holstein. Auch wenn Sie es ständig erzählen, wird es nicht wahrer: Herr Töpfer hat kein Geld für den Schutz der Ostsee in die Hand genommen.
({4})
500 Millionen DM pro Jahr fünf Jahre lang haben wir zum Schutz der Nord- und Ostsee beantragt, und Sie haben das immer wieder abgelehnt. Wo waren Sie da?
({5})
Frau Kollegin Blunck, nachdem Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lippold zugelassen haben, gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aber gern.
Frau Kollegin Blunck, nachdem ich schon darauf gewartet habe, daß Sie Professor Heydemann, den Umweltminister aus Schleswig-Holstein, ansprechen, frage ich: Teilen Sie meine Auffassung, daß Professor Heydemann ein so guter Professor ist, daß man ihn nach der Landtagswahl seinen Studenten nicht vorenthalten sollte?
Ich teile diese Ansicht nicht. Aber ich denke, es ist gut, daß Herr Heydemann auch nach dieser Landtagswahl Umweltminister bleibt; denn er hat wirklich ungeheuer viel für das Land Schleswig-Holstein und für den Umweltschutz gebracht ({0})
im Gegensatz zu der Landesregierung, die vor vier Jahren am 8. April abgewählt worden ist, die im Umweltschutz nichts, aber auch gar nichts gebracht hat.
({1})
Gestatten Sie noch eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin?
Aber gerne.
Frau Kollegin, wie erklären Sie sich, daß man in Schleswig-Holstein sagt, das Amt von Professor Heydemann sei ein Bermuda-Dreieck? Können Sie mir weiter erklären, wie er in der
Lage war, ein Landesnaturschutzgesetz vorzulegen, das selbst Fachleute für verfassungswidrig halten?
({0})
Lieber Herr Kollege, ich kenne solche Leute nicht. In meiner Gegenwart hat so etwas auch niemand gesagt.
({0})
Dort, wo ich mit den Menschen auf der Straße, in den Betrieben, auf Versammlungen zusammenkomme, wird Herr Heydemann sehr gelobt.
({1})
Wir sitzen alle in einem Boot. Das Boot ist im Begriff zu kentern. Dagegen müssen wir etwas tun. Ich denke, unser Tun wird durch unser Wissen erleichtert, daß Umweltschutz kein Schutzraum ist, der von spinnerten Sonderlingen errichtet wird
({2})
und die Wirtschaft nur behindert. Umweltschutz bedeutet immer neue Technologie, Innovation und damit Chancen für uns alle.
Vielen Dank.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Dr. Ottfried Hennig hat seine Rede zu Protokoll gegeben. Dies ist eine Abweichung von der Geschäftsordnung. Ich bitte um Einverständnis, daß wir so verfahren. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.* )
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen noch zu weiteren Tagesordnungspunkten, bei denen dieselbe Frage eine Rolle spielt. Ich bitte deswegen, bei allen Wünschen, das eine oder andere hier zum Ausdruck zu bringen, immer daran zu denken, daß wir immer wieder die Abweichung von der Geschäftsordnung beschließen müssen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/2251 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionelll ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Gruppe
*) Anlage 3
Vizepräsident Helmuth Becker
Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum Kongreß der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung 1992 auf Drucksache 12/2298 zu erweitern. Der Antrag soll jetzt mit Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 sowie den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt auf:
8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter Schanz, Brigitte Adler, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
VN-Konferenz Umwelt und Entwicklung 1992
- Drucksache 12/1652 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
ZP Beratung des Antrags des Abgeordneten Konrad Weiß ({2}) und der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE
Kongreß der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung 1992
- Drucksache 12/2298 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Dieter Schanz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres wird in Rio de Janeiro die wohl größte Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Umwelt und Entwicklung veranstaltet. Dem Rat der Weisen dieses Hohen Hauses hat es gefallen, die Debatte von 16.50 Uhr auf nahezu 20 Uhr zu verlegen. Das Interesse ist entsprechend. Ich behaupte einmal, daß die Menschheit an diese Konferenz mehr Erwartungen stellt, als das hier im Raum demonstriert wird.
Je näher der Konferenztermin rückt, desto geringer werden allerdings die Erwartungen. Noch immer konditionieren die Asean-Staaten ihre Teilnahme an dieser Konferenz davon, ob die Industrienationen bereit sein werden, ihre Verantwortung für die Altlasten der Umweltzerstörung anzuerkennen und erhebliche Mittel für Reparaturleistungen aufzubringen.
Letztendlich wird sich zeigen, ob die wohlklingenden Worte und Absichten der Bundesregierung mehr sind als Wortgeklingel. Es wird sich zeigen, ob die Bundesrepublik an der Spitze eines Geleitzuges von EG und EFTA segelt, ob sie bereit ist, unabhängig vom größten Bremser, den Vereinigten Staaten, die Konvention zu Klima, Artenschutz und Tropenwalderhaltung zu unterzeichnen und wirklich die Ursachen der Armut als Haupthinderungsgrund für Entwicklung und Ursache der Umweltzerstörung zu bekämpfen.
Dies zu hinterfragen und zu fordern ist vornehmste Aufgabe des Parlaments. Deshalb der Antrag meiner Fraktion.
Hautnah erleben wir in der Bundesrepublik und in den reichen Industrieländern, daß Menschen aus Not und Armut auf Grund von Umweltzerstörung zu uns flüchten, da sie in ihren Ländern keine Basis zur Existenzsicherung mehr haben. Um eine Lösung der Problematik herbeizuführen, muß man sich zunächst der Ursachen und deren Verquickung bewußt werden.
Als Entwicklungspolitiker befasse ich mich schon seit Jahren mit diesen Aspekten und werde nicht müde werden, auf den Zusammenhang zwischen der materiellen Reichtumsverteilung dieser Erde, national und international, und der Entwicklung, auf die Verquickung von Umweltschutz und Entwicklung, von Umweltzerstörung und Armut, von Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung usf. hinzuweisen.
Die Komplexität der Problematik ist weitestgehend bekannt. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre hat hier hervorragende Erkenntnisse geliefert, auf deren Basis eine Reihe von Anträgen der SPD formuliert wurden, die sich speziell zum Thema Tropenwald und Ozonschicht und zum Klimaschutz äußerten.
Doch eine Verkürzung der Thematik Umweltentwicklung auf den Aspekt der Tropenwalderhaltung, der von der Bundesregierung medienwirksam in einer Art Alibifunktion zur Überdeckung der übrigen Umweltsünden der Industrienation Bundesrepublik eingesetzt wird, darf nicht erfolgen. Tropenwaldschutz muß neben Ressourcenschutz als ein wichtiger Punkt angesehen werden. Er muß aber im Zusammenhang mit armutsbedingter Umweltzerstörung, Verschuldungskrise und Weltwirtschaft gesehen werden.
Nur eine Bündelung der Maßnahmen kann zur Lösung des Problems der weltweiten Umweltzerstörung beitragen. Das isolierte Herumdoktern an Einzelproblemen wird nicht genügen.
In dem von meiner Fraktion eingebrachten, der Debatte hier zugrunde liegenden Antrag zur UNCED-Konferenz auf Drucksache 12/1652 berücksichtigt dies und schildert außerdem ausführlich die entwicklungspolitischen Aspekte der Problematik, zeigt den Zusammenhang von Armut und Umweltzerstörung, von Umwelt und Entwicklung auf. Die SPD hält diesen Antrag deshalb für besonders wichtig, da immer wieder die Aspekte der Entwicklungspolitik zuwenig oder gar nicht berücksichtigt werden. Selbst in dem umfangreichen Bericht des nationalen Vorbereitungskomitees für diese Konferenz finden wir nur wenige Seiten zur Entwicklungspolitik.
Der Antrag der SPD will diese Lücke füllen, indem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein Politikkonzept zu entwerfen und in Rio vorzulegen, das folgenden Ansprüchen gerecht wird:
Erstens. Das Konzept soll festlegen, welchen Beitrag die Industrieländer zur Bewältigung der Problematik, d. h. zur Eingrenzung des eigenen Umweltverbrauchs, leisten werden. Dabei soll sich die Bundesregierung in Rio dafür einsetzen, daß es zu einer
konkreten Verpflichtung der Industrieländer zur Umsetzung der bereits international getroffenen Vereinbarungen kommt.
Die Bundesregierung soll in Rio ein Konzept zum ökologischen Strukturwandel vertreten, das Gesichtspunkte enthält wie „debt for nature swaps", Einführung von sozialen und ökologischen Standards bei GATT, IWF und Weltbank, Weltverschmutzung und Arbeitsproduktivität bis hin zu einem Konzept der Ressourcenproduktivität - ich meine Energie- und Rohstoffeinsparung -, um nur einige zu nennen.
Ferner soll die Bundesregierung als Vertreter eines Industrielandes eine Vorbildrolle beim Einsatz moderner Umwelttechnologie einnehmen und international verbindliche Regelungen initiieren.
({0})
Außerdem soll die Bundesregierung in Rio versuchen - diesen Punkt halte ich für besonders wichtig -, alle Industriestaaten zu veranlassen, eine Art ökologischen Lastenausgleich finanziell und technologisch an die Entwicklungsländer zu leisten, da die Industrienationen die größten Umweltverbraucher sind und die Entwicklungsländer am stärksten unter den Folgen leiden. - Soweit die zentralen Punkte des Antrages, der ferner speziell Aspekte der Armutbekämpfung aufführt, die auf den Erkenntnissen des gemeinsamen Antrags von SPD, CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 11/6137 basieren.
Durch die Konferenz in Rio wird dem Thema Umwelt und Entwicklung endlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Selbst wenn bei der Konferenz die hochgesteckten Ziele nicht erreicht werden sollten, bleibt die Konferenz ein Erfolg, und zwar in dem Sinne, daß Probleme klar aufgezeigt werden und daß genau zu erkennen sein wird, wer beispielsweise für das Scheitern der Formulierung einer gemeinsamen Erdcharta und das Scheitern der Realisierung einer gemeinsamen Politikstrategie der Teilnehmerstaaten verantwortlich ist.
Hier werden dann im umgekehrten - negativen - Sinne die Verantwortlichen klar Farbe bekennen müssen: Entweder sind sie bereit, eine umweltgerechte Politik zu verfolgen und dementsprechend auch die erforderlichen Leistungen zu erbringen, oder sie werden eindeutig als Blockierer einer solchen lebenswichtigen Politikorientierung erkennbar sein. Sie werden sich nach der Konferenz nicht mehr hinter noch so wohlklingenden Lippenbekenntnissen und wirksamen Kampagnen verstecken können. Hiermit meine ich sowohl die Industrieländer als auch die Entwicklungsländer. Jeder Staat hat im Rahmen seiner spezifischen und ihm eigenen Fähigkeiten die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten.
Ich fasse zum Schluß zusammen: Die fortschreitende weltweite Zerstörung der Umwelt hat ein Ausmaß angenommen, das ein Überleben der Menschen - und nicht nur der Menschen - auf diesem Planeten in Frage stellt. Umweltschutz ist kein Luxus, sondern ein Imperativ des Überlebens.
({1})
Eine koordinierte effiziente Umwelt- und Entwicklungspolitik liegt damit durchaus auch in unserem ureigensten Interesse.
({2})
Zur Lösung der Probleme bedarf es eines gebündelten Strategiekonzeptes, das der engen Verflechtung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung, von materieller Reichtumsverteilung und sozialer Ungleichheit, von Unterentwicklung und Bevölkerungswachstum, von Schuldenproblematik und Weltwirtschaftsordnung gerecht wird.
Tiefgreifende Reformen sind im Norden wie im Süden erforderlich. Bei der UNO-Umweltkonferenz in drei Monaten bietet sich die Gelegenheit, die Weltgemeinschaft auf den Weg der notwendigen, längst überfälligen Reformen zu bringen.
({3})
Es gilt im eigenen Lande damit anzufangen. Deshalb möchte ich Sie bitten, für den von der SPD eingebrachten Antrag zu stimmen.
Zum Antrag des Bündnisses 90/GRÜNE vermag ich heute nichts zu sagen. Ich empfinde es als Zumutung, ihn gestern einzubringen und jetzt in der vorgelegten Form zur Beratung zu stellen. Wir haben Gelegenheit, dies im Ausschuß zu tun. Insofern bitte ich um Verständnis, wenn ich mich dazu heute nicht äußere.
Herzlichen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß das Motto für die Umweltkonferenz in Rio sein muß: Handeln jetzt. Das muß auch unser Motto sein. Die globalen Probleme, die in der Diskussion sind, stellen uns vor Herausforderungen in der Vergangenheit nie gekannter Art. Aber ich glaube, daß wir sie bewältigen können: Treibhauseffekt, Klimakatastrophe, die Zerstörung der Ozonschicht, die Zerstörung der tropischen Regenwälder.
Die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages hat Vorstellungen entwickelt, wie wir diesen Herausforderungen begegnen können. Das Haus hat diese Vorstellungen einstimmig gebilligt. Ich glaube, dies ist ein Punkt, den man ausdrücklich würdigen sollte.
Ich sage auch hier und heute, daß es Sinn machen würde, wenn auch die nächste Empfehlung, die wir in der Enquete-Kommission jetzt mit Blickrichtung Rio anstreben, genau diese Einstimmigkeit findet, weil sie unser Durchsetzungsvermögen international stärkt, weil sie nicht nur das Verhalten im politischen Bereich mit beeinflußt, sondern natürlich auch das Verhalten der gesellschaftlichen Gruppen weltweit, auf deren Konsens, auf deren Unterstützung wir angewiesen
Dr. Klaus W. Lippold ({0})
sind, wenn wir im politischen Bereich der anderen Länder überhaupt etwas bewegen wollen.
({1})
Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, hier noch einmal zu betonen, daß die Bundesregierung seinerzeit dankenswerterweise nicht zugewartet hat, um die Empfehlungen der Enquete-Kommission nach langwierigen bürokratischen Entscheidungsprozessen zu übernehmen, sondern daß wir den seltenen Fall haben, daß die Bundesregierung in Anbetracht der Globalität der Problematik fast begleitend zunächst die Empfehlungen zum Ausstieg aus der FCKW-Produktion übernommen und damit weltweit eine Vorreiterrolle begründet hat, in der ihr bis heute noch kein einziger Staat gefolgt ist. Wir erleben ja, wie jetzt Staaten wie die USA nach Vorlage der Erkenntnisse über das Ozonloch über der nördlichen Hemisphäre mit lechzender Zunge das mühsam nachvollziehen, was wir vor Jahren eingeleitet haben, und deshalb unter einen Druck kommen, unter den wir uns nicht gesetzt haben, weil die Bundesregierung dankenswerterweise sofort gehandelt hat.
({2})
Nicht nur in diesem Punkt, sondern auch dann, als wir die Tropenwaldproblematik diskutiert haben, hat die Bundesregierung nicht gewartet, bis die anderen etwas tun, sondern sie hat, basierend auf unseren Empfehlungen, ein Sofortprogramm inszeniert. Das Crash-Programm haben wir in das Empfehlungsprogramm der Kommission gemeinschaftlich hineinformuliert, weil wir mittel- und langfristige Programme nicht für zureichend hielten.
Die Bundesregierung gehört zu den ganz wenigen Industrieländern - von anderen will ich gar nicht sprechen -, die sich sofort nach Vorlage des Berichts bereit erklärt haben, das treibhauswirksame Spurengas CO2 bis zum Jahre 2005 um 25 % zu reduzieren. Sie hat die Reduktionsverpflichtung übernommen und deutlich gemacht, daß sie nach wie vor zu dieser Verpflichtung steht. Nur die Niederlande, Dänemark und Neuseeland sind in ähnlicher Weise Verpflichtungen eingegangen. Ich sage das einmal so, um deutlich zu machen, daß wir uns von seiten der Enquete-Kommission über den Bundestag in dieser Form an die Spitze der Bewegung gesetzt haben, so wie es notwendig war.
Das war auch richtig, denn die neueren Erkenntnisse der Enquete-Kommission belegen, daß das, was wir früher nur vermutet haben, jetzt immer deutlicher belegbar ist. Die Argumente sind mehr als ausreichend, um zu handeln. Heute wird deutlich, daß wir zur Begründung des Handelns nicht mehr forschen müssen. Wir haben sicher noch Aufklärungsbedarf in dem einen oder anderen Punkt, aber um handeln zu können, haben wir ausreichende Ergebnisse.
Jetzt geht es darum, diese Position - ich sage es einmal so, Herr Schanz mit dem Ziel zu vertreten, etwas zu erreichen, und nicht in der Haltung, wie ich das Ihren Bemerkungen vorhin entnahm, quasi jetzt schon festzustellen, daß wir scheitern und jetzt schon nach dem Schuldigen suchen. Es geht nicht darum zu konditionieren, um hinterher Schuldige suchen zu können, sondern es geht jetzt darum, Wege für den Einstieg in die Problemlösung zu finden.
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Nicht Schuldige werden gesucht, sondern Problemlösungen; Schuldige helfen uns nicht weiter. Herr Schanz, das ist der Ansatzpunkt.
Deshalb bemühen wir uns in der Enquete-Kommission, nicht zu splitten, nicht zu teilen, sondern zusammenzukommen, um unsere gesamte Stoßkraft zu nutzen.
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- Ja, genau. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Die Bundesrepublik ist zwar ein großer und einflußreicher Staat, aber es geht um eine Konferenz von 162 Nationen, die zum Teil wesentlich größer sind als wir, die zum Teil wesentlich einflußreicher sind als wir und von denen, wie ich Ihnen gesagt habe, gerade drei bereit sind, sich in gleicher Form wie wir zu verpflichten.
Wir werden also zwingend den Versuch machen müssen - dazu werden wir Wege aufzeigen -, die ins Boot zu bekommen, die überhaupt nicht handeln wollen, und die ins Boot zu bekommen, die zu handeln wünschen, aber nur an das Handeln der Industrieländer denken. Herr Schanz, ich sage nämlich auch, daß wir das Problem in Zukunft nicht lösen werden, wenn wir nur auf die Staaten des Nordens zeigen. Das mag zwar jetzt von der Altlast und der derzeitigen Emissionsseite her stimmen, auch noch für die folgenden Jahre, aber dann wird sich die Schere öffnen. Dann werden die Emissionen auf Grund der Bevölkerungsexplosion in den Ländern der Dritten Welt und des dort zunehmenden Pro -Kopf-Verbrauchs steigen. Deshalb müssen wir, wenngleich mit einer differenzierten Verantwortung, beide ins Boot bekommen. Das ist der Punkt. Nur wenn wir sie zusammenspannen, wenn alle an einem Strang ziehen, werden wir die Probleme lösen. Diesen Weg wollen wir finden. Ich meine, wir müssen versuchen, diesen Weg zu beschreiten, um weiterzukommen.
Ich verkenne nicht, daß es das Problem der Armut gibt, das zu Eingriffen zwingt. Aber es existiert auch die Problematik der Bevölkerungsexplosion - lassen Sie mich das noch einmal ganz deutlich sagen -, die wir ansprechen müssen. Wir werden natürlich aber auch eines tun müssen: Wir müssen für den Bereich der nördlichen Industrieländer noch einmal nachhaltig darauf hinweisen, daß nicht nur an die Folgen zu denken ist, wenn Maßnahmen, die wir einleiten, etwas kosten, sondern daß wir auch an die Folgen denken müssen, die eintreten, wenn wir diese Maßnahmen unterlassen, denn hinterher müssen wir Anpassungsmaßnahmen treffen, die ganz andere Dimensionen erreichen. Ich glaube, wenn wir andere in dieser Situation auf diesen Gesichtspunkt hin ansprechen, stoßen wir auf größeres Verständnis, als das früher der Fall gewesen ist.
Herr Kollege Dr. Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Hauchler?
Warum sollte ich das nicht tun?
Bitte sehr, Kollege Hauchler.
Herr Kollege, Sie sprachen soeben davon, daß es wichtig sei, daß die Entwicklungsländer in Zukunft einen ökologischen Pfad einschlügen. Ich frage Sie: Sind Sie mit mir der Ansicht, daß dies nur möglich sein wird, wenn die Industrieländer vorher bewiesen haben, daß es wirklich einen ökologischen Entwicklungspfad gibt, d. h. daß wir zuerst in der Pflicht sind, daß wir Vorbild sein müssen und daß wir die Wege beschreiben müssen, auf denen eine ökologische und wirtschaftliche Entwicklung wirklich möglich ist?
Herr Kollege, ich habe gerade gesagt, daß wir eine Vorreiterrolle übernommen haben, daß wir zu dieser Vorreiterrolle stehen und daß wir deshalb genau das tun, was Sie wünschen. Das werden wir auch weiterhin tun.
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Ich sage aber noch einmal, daß es wichtig ist, daß wir uns in diesem Hause darauf verständigen, daß wir in dieser Überzeugungsarbeit gemeinschaftlich auf andere einwirken, daß wir nicht gegeneinander agieren und daß wir anderen keinen Anhaltspunkt dafür geben zu sagen: Die sollen sich ruhig streiten; wir lassen die Dinge eh laufen und fahren in dem bisherigen Trott fort. - Sie müssen vielmehr den Eindruck gewinnen, daß wir an einem Strang ziehen, um die Probleme zu lösen. Deshalb erneuere ich nochmals meinen Appell, eine fraktionsübergreifende Vorgehensweise, eine fraktionsübergreifende Strategie zu wählen. Das halte ich in dieser Frage für bitter notwendig, um zu einer Problemlösung zu kommen.
Ich möchte auch noch einmal sagen, daß wir uns gemeinschaftlich nachhaltig darum bemühen sollten, in den anderen Ländern für diese Vorstellungen zu werben. Dies ist nicht nur eine Aufgabe der Politik. Ich habe neulich vor Vertretern aller gesellschaftlich relevanten Gruppen, die wir geladen haben, darauf hingewiesen, daß auch die gesellschaftlich relevanten Gruppen die Aufgabe haben, im internationalen Bereich darauf hinzuweisen, daß jeder seinen Beitrag leisten muß. Die Kirchen sind in internationalen Institutionen, die Gewerkschaften sind in internationalen Institutionen, die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände sind in internationalen Institutionen; das gilt auch für die Naturschutzverbände. Die verschiedenen Initiativbereiche sind in einem engmaschigen Netz miteinander verbunden. Unser Appell an sie ist, an diesem Werk mitzuwirken, damit wir in Rio den Einstieg in die Problemlösung finden. Kein kleinliches Parteienhickhack, sondern die Suche nach einer gemeinschaftlichen Lösung, die die zukünftigen Generationen von uns erwarten dürfen, ist vonnöten.
({1})
Ich erteile jetzt unserer Kollegin Frau Dr. Ursula Fischer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine Frage, die in den letzten Wochen und Monaten zunehmend konträr diskutiert wurde, beschäftigt sich mit den realen Möglichkeiten der bevorstehenden UN-Konferenz und damit mit den an sie zu stellenden Erwartungen. Selbstverständlich ist es notwendig, die Themen Umwelt und Entwicklung im internationalen Rahmen im Zusammenhang zu behandeln. Ebenso richtig ist, daß auf beiden Gebieten dringender Handlungsbedarf besteht. Die Globalität der anstehenden Probleme, die es im Interesse des Überlebens der Menschheit zu lösen gilt, erfordert ebenso global wirksame Lösungsansätze. Die Frage ist nur, wo letztendlich die relevanten Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Beschlüsse einer internationalen Konferenz - auf welcher Ebene auch immer - bleiben so lange unverbindlich, solange sie von den einzelnen Regierungen nicht in nationale Politik umgesetzt werden. Wer also von Rio '92 die Bewältigung der Probleme erwartet, die schon seit Jahren von der nationalen Politik der einzelnen Länder hätten bewältigt oder zumindest in Angriff genommen werden sollen, muß zwangsläufig enttäuscht werden. Inzwischen gehen halbwegs realistische Beobachter davon aus, daß die UNCED den bereits auf der ersten UN-Umweltkonferenz in Stockholm 1972 gefundenen weltweiten politischen Minimalkonsens „Armutsbekämpfung im Süden - Grenzwerte im Norden" aufgreifen und in ihren Hauptdokumenten, der „Agenda 21" und der „Erdcharta", bekräftigen wird.
Dieser Entwicklung begegnet die Bundesregierung ambivalent. Die Vorbereitung auf den Umwelt- und Entwicklungsgipfel illustriert dies in beeindruckender Weise. Der nach monatelangem Tauziehen erstellte Bericht der Bundesregierung an die UNCED läßt kaum ein Thema aus, hinsichtlich seiner Verbindlichkeit dafür aber alle Wünsche offen.
Besonders spärlich sind die Aussagen über notwendige Veränderungen im Norden ausgefallen, wo 20 % der Weltbevölkerung 80 % der weltweit eingesetzten Ressourcen verbrauchen und auch der überwältigende Anteil der globalen Umweltprobleme erzeugt wird.
Ähnlich wie in der Diskussion um Unterentwicklung wird tunlichst vermieden, Ursachen zu benennen und das Verursacherprinzip auch international entsprechend anzuwenden.
Alle konkreten Forderungen und Maßnahmen, die z. B. im Perspektiventwurf des Nationalen Komitees zur Vorbereitung der UNCED enthalten sind, wurden inzwischen nach Bearbeitung durch Ministerien, Interessenvertretungen und im Kabinett so weit zu Allgemeinplätzen und Abstrakta verschliffen, daß sie nur noch einen unverbindlichen, zahnlosen Kompromiß darstellen. Bedauerlich ist, daß sich auch engagierte Vertreter der Umweltbewegung vor diesen Karren haben spannen lassen und so ein Papier legitimieren, das den Erwartungen an eine „Weichenstellung hin zur dauerhaften Erhaltung der Lebensgrundlagen unseres Planeten heute und für künftige Generationen" nicht gerecht wird. Statt dessen bietet die Bundesregierung technokratische Konzepte zur Reparatur der Umwelt, die in den Ländern des Nor7084
dens bestenfalls einen kurzfristigen Aufschub des ökologischen Zusammenbruchs bewirken können.
Breiten Raum dagegen nehmen die Vorstellungen und Hinweise zu „erforderlichen Anpassungen in der Politik der Entwicklungsländer" ein, denn - so der Wortlaut des Perspektivpapiers -: „Die Verantwortung für eine dauerhafte ökologisch tragfähige Entwicklung liegt zunächst bei jedem einzelnen Staat."
Das ist zweifellos richtig. Zu fragen wäre allerdings, wie z. B. Deutschland seiner diesbezüglichen „besonderen Verantwortung " gerecht werden will. Das deutsche Kohlendioxidminderungsprogramm greift hier sicherlich zu kurz, ist aber ein bezeichnendes Beispiel für den Versuch - ein Zitat von Herrn Möllemann -, „das ökologisch Notwendige ökonomisch effizient zu gestalten" oder - schärfer formuliert - ökologische Veränderungen nur insoweit anzupeilen, als das ohne Beeinträchtigung der Interessen der bundesdeutschen Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftslobby machbar ist.
({0})
Schon allein diese Abhängigkeiten schränken den Handlungsspielraum der Bundesregierung erheblich ein. Erschwerend kommt allerdings hinzu, daß die deutsche Position entscheidend davon abhängt, inwieweit man sich gegen eventuelle Wettbewerbsnachteile im Rahmen der EG absichern kann.
Frau Dr. Fischer, gestatten Sie bitte, daß ich Sie für einen Augenblick unterbreche.
Die Koalitionsfraktionen sind nicht damit einverstanden, daß Sie die gesamte Ihnen zustehende Redezeit jetzt in Anspruch nehmen. Sie haben zehn Minuten Redezeit, fünf Minuten für die erste Runde und fünf Minuten für die zweite Runde.
Ich kann nicht anders verfahren. Ich mache Sie jetzt nur darauf aufmerksam. Sie haben jetzt noch eine Minute Redezeit.
({0})
- Darüber hat, sehr geehrte Frau Dr. Fischer, nicht der Ältestenrat zu befinden, sondern das Plenum hier. Wenn die Mehrheitsfraktion damit nicht einverstanden ist, können wir das so nicht machen.
Wir können darüber abstimmen - natürlich!
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- Bitte, Herr Abgeordneter Schwalbe.
Herr Präsident, wir hatten vereinbart, daß die Reden im Wechsel zwischen Opposition und Koalition gehalten werden.
Die Koalition ist nicht damit einverstanden, daß zwei Oppositionsredner hintereinander zu Wort kommen. Deshalb hatten wir entschieden, daß einer in der ersten Runde und einer in der zweiten Runde spricht. Wenn sich PDS und Bündnis 90 nicht darauf einigen, wer in der ersten oder in der zweiten Runde spricht, dann kann es nur diese Konsequenz geben.
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Frau Kollegin Weyel.
Herr Präsident! Sie haben auf Wunsch der Koalitionsfraktionen eine Entscheidung getroffen, die man natürlich akzeptieren muß. Aber im Sinne einer vernünftigen inhaltlichen Debatte hätte man die Entscheidung auch so treffen können, daß Frau Fischer ihre Ausführungen in zehn Minuten machen kann. Denn eine Redezeit unter zehn Minuten ist immer ein Problem. Anschließend könnte ein Redner der Koalition sprechen, daraufhin ein Redner der zweiten Gruppe, dann wieder ein Redner aus der Koalition und zum Schluß unser zweiter Redner. Ich halte das für eine vernünftige Sache. Ich finde das im Interesse einer sachlichen Debatte wirklich sinnvoll. Wenn die F.D.P. und vielleicht auch Herr Schwalbe zustimmen, könnten wir beiden Vertretern die Gelegenheit geben, zehn Minuten im Zusammenhang vorzutragen.
Ich habe allerdings auf der anderen Seite die Bitte, daß die beiden Redner nach ihrer Rede nicht den Saal verlassen, sondern die Gelegenheit nehmen, Gegenargumente von den Rednern der anderen Fraktionen zu hören.
Herr Kollege Schwalbe.
Herr Präsident! Wir haben uns soeben abgesprochen. Es liegt nicht in unserem Sinne, daß jemand seine Rede unterbrechen muß und sie nur in zwei Teilen halten kann. Frau Weyel hat es eben gesagt: Es ist im Sinne der Debatte, wenn wir beiden die volle Redezeit geben. Wir wollen heute so verfahren. Frau Weyel hat auch die Bitte geäußert, daß die Redner dann auch die gesamte Zeit die Debatte verfolgen.
Nachdem die Frage so geklärt ist: Frau Dr. Fischer, es tut mir leid, daß ich Sie an dieser Stelle unterbrechen mußte. Aber der Klarheit halber mußte ich es tun. Sie haben nun wieder das Wort. Setzen Sie bitte Ihre Rede fort.
Mir tut es auch leid, daß ich so unterbrochen worden bin. Ich halte es auch nicht für zulässig.
Ich lese die beiden letzten Sätze noch einmal vor: Schon allein diese Abhängigkeiten - ich glaube, sie sind Ihnen noch alle im Gedächtnis - schränken den Handlungsspielraum der Bundesregierung erheblich ein. Erschwerend kommt allerdings hinzu, daß die deutsche Position entscheidend davon abhängt, inwieweit man sich gegen eventuelle Wettbewerbsnachteile im Rahmen der EG absichern kann. Was
nach soviel Rücksichtnahme an Konzepten übrigbleibt, entspricht weder den an die UNCED gestellten Erwartungen noch den von der Bundesregierung selbst postulierten Anforderungen. In der Pflicht bleiben dagegen die Länder des Südens.
Auf dieses Ansinnen gibt der Vorsitzende der Gruppe der 77 eine treffende Antwort, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
Es ist nicht zu erwarten, daß diejenigen, die auf Grund der derzeitigen perversen Wirtschaftsordnung 200 Dollar pro Kopf auf dem großen, demokratischen, freien Markt verdienen, Opfer bringen, damit diejenigen, die auf Grund massiver technischer Vorteile und eines ausbeuterischen internationalen Wirtschaftsregimes 10 000 Dollar pro Kopf verdienen, sauberere Luft atmen oder den quälenden Unannehmlichkeiten entkommen, die die Klimakatastrophe mit sich bringen kann.
Die globale Partnerschaft, die so dringend gebraucht wird, um den ökologischen Niedergang umzukehren, kann nicht funktionieren, wenn wir in den Entwicklungsländern fortgesetzt ignoriert, bei jeder Gelegenheit belehrt oder uns von oben herab zusätzlich zu den bestehenden neue Konditionen auferlegt werden, die, wie wir alle wissen, unsere Bedingungen verschlechtern werden.
Der Bericht der Bundesregierung läßt praktisch außer acht, daß die Themen Umwelt und Entwicklung nicht zu trennen sind und daß von Entwicklung im Süden nicht die Rede sein kann, solange sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ändern. Umweltvereinbarungen in Rio de Janeiro bleiben deshalb wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig und verbindlich über Schuldenstreichung, Abschaffung von Handels- und Agrarprotektionismus im Norden und Demokratisierung internationaler Finanzorganisationen gesprochen wird.
Hier ist der Norden gefragt und vermutlich überfordert, wenn seine Regierungen nicht über die bisher signalisierten Positionen hinauszugehen bereit sind. Benötigt wird eine Weltwirtschaftsordnung mit vollständig veränderten Produktions- und Konsumtions-strukturen, die auf einem nicht ausbeuterischen Verhältnis zwischen Mensch und Natur beruhen.
Obwohl wir uns der Probleme bewußt sind, die bei der Umsetzung auftreten, und auch inhaltlich in einigen Positionen andere Vorstellungen vertreten, unterstützen wir den vorliegenden Antrag der Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/GRÜNE und freuen uns insgesamt auf die Diskussion in den Ausschüssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Frau Dr. Fischer, Sie haben Ihre zehn Minuten noch gar nicht einmal in Anspruch genommen. Das will ich nur bemerken.
Nun hat das Wort unser Kollege Martin Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tatsächlich besteht - das kam zum Ausdruck - durchaus Anlaß, im Blick auf die bevorstehende UNCED-Konferenz skeptisch zu sein und sich einzugestehen, daß hochgespannte Erwartungen nicht erfüllt werden und daß insbesondere im Bereich der Klimakonventionen darauf will ich mich konzentrieren - keine völkerrechtlich verbindlichen, kontrollierbaren Abmachungen zu erwarten sind. Dies muß aber unser Ziel sein, und insbesondere das Ziel der Industrieländer. Denn es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß gerade die Erwartungen an die Industrieländer sehr hoch sind - und mit Recht sehr hoch sind -, weil die Industrieländer, jedenfalls in der bisherigen Wirtschaftsgeschichte, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, mit Abstand am meisten dazu beigetragen haben, daß sich die Erdatmosphäre zu verändern droht. Deshalb, meine ich, müßte der Bundestag sich im Blick auf eine solche Konferenz auch die Frage stellen: Was kann denn von seiten der Industrieländer und von seiten der Bundesrepublik konkret getan werden?
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Das ist nicht einfach, meine Damen und Herren. Leider bewegen wir uns auch heute bei den vorliegenden Anträgen sehr in an sich richtigen, aber doch allgemeinen Äußerungen, die noch ausfüllungsbedürftig sind.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, darauf aufmerksam zu machen, daß eine außerordentlich wichtige Kommissionsentscheidung gefallen ist. Es liegt nämlich ein Vorschlag der EG-Kommission vor, eine CO2-Energie-Steuer in Europa einzuführen und auf diesem Weg der Lenkung über den Preis durch eine allmähliche Verteuerung der Energie die rationelle Energieverwendung, die Energieeinsparung und mittelbar auch die Entwicklung erneuerbarer Energien zu fördern. Ich meine, daß das ein wirklicher Vorschlag der Industrieländer für die bevorstehende UNCED-Konferenz sein könnte und daß alle Kraft
und die Bundesregierung sollte dazu beitragen - darauf verwendet werden sollte, daß die Europäische Gemeinschaft mit diesem Vorschlag als Beitrag der Industrieländer bei dieser UNCED-Konferenz auftritt. Die Europäische Kommission hat diesen Vorschlag untermauert, indem sie darauf hingewiesen hat, daß eine solche Steuer unter keinen Umständen die Steuerlast erhöhen dürfe. Das heißt, sie müßte an anderer Stelle zurückgegeben werden, weil sonst die Gefahr bestünde, daß Arbeitsplätze verlorengehen.
Herr Kollege Grüner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schanz?
Ja, bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege.
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Kollege Grüner, daß die Bundesrepublik mit den anderen EG-Staaten diesen Weg gehen will, und sind Sie bereit, diesen Weg gegebenenfalls auch ohne Beteiligung der Vereinigten Staaten zu gehen?
Herr Kollege, es ist so, daß die Bundesregierung diesen Vorschlag der EG-Kommission begrüßt hat. Ich habe keinen Zweifel, daß sie ihn auch in der Europäischen Gemeinschaft unterstützen wird. Es kommt aber meiner Ansicht nach darauf an - das sage ich nun als Parlamentarier -, das in aller Deutlichkeit, in aller Nachdrücklichkeit und mit dem politischen Gewicht in der Europäischen Gemeinschaft durchzusetzen; denn es gibt ja viele Länder das hat die Beratung im Ministerrat gezeigt -, die verständlicherweise Fragen und Skepsis gegenüber einem solchen revolutionären, in der Umweltpolitik noch nie vorgeschlagenen Schritt haben. Es ist das erste Mal, daß in der Umweltpolitik der Preis als Lenkungsinstrument vorgeschlagen wird, und zwar der Preis über eine Steuer, die nicht der Einnahmeerzielung dient. Insofern bin ich also zuversichtlich.
({0})
Ich bin nicht der Meinung, daß „ Fortschritt '90 " hier wegweisend war; denn „Fortschritt '90" hat z. B. die Kohle von der Besteuerung ausgenommen, also ausgerechnet den Teil der Energiegrundlage, der den höchsten CO2-Gehalt hat, und damit deutlich gemacht, wie schwer es selbst für eine so große Fraktion und Partei wie die SPD ist, einen solchen Weg zu gehen, weil die Interessenlage im eigenen Lande eine konsequente Steuerlösung bisher unmöglich gemacht hat. Aber es ist nicht zu spät. Und die Kommission öffnet uns den Weg, den wir hier im Bundestag auch gemeinsam gehen sollten.
Ich halte es für außerordentlich wichtig, auch darauf hinzuweisen, daß der Weg über eine solche Steuer die einzige international kontrollierbare Möglichkeit ist, etwas für die rationelle Energieverwendung zu tun, und daß dieser Weg auch in der Kontrolle nicht kostenaufwendig ist wie alle anderen bisher praktizierten Verfahren zur Emissionsminderung und ihrer Kontrolle.
Als Finanzpolitiker füge ich hinzu, daß dieser Weg auch deshalb richtig ist, weil wir ja sonst für unser eigenes CO2-Reduktionsprogramm an allen Ecken und Enden auf die Forderung stoßen stoßen müssen , doch diese CO2-Minderung steuerlich zu fördern, mit Subventionen zu versehen, was unser Staatshaushalt gerade in der jetzigen Situation nicht mehr leisten kann, während der Weg über die allmähliche Verteuerung der Energie bei Rückgabe an anderer Stelle eine ungeheure Initiative zur Energieeinsparung auslösen wird und auch von daher für unsere nationalen Interessen durchaus als richtungsweisend angesehen werden kann.
Ich möchte die Bundesregierung an dieser Stelle bitten, falls es in der Europäischen Gemeinschaft nicht zu einem solchen gemeinsamen Vorschlag an die Adresse der Industrieländer kommt, also zu einer entsprechenden Aufforderung an die USA, an Japan, aber mit der Bereitschaft, diesen Weg in der Europäischen Gemeinschaft auch alleine zu gehen - und so war der Kommissionsvorschlag zu verstehen -, im Blick auf die bevorstehende UNCED-Konferenz auch bereit zu sein, als Regierung eines großen Industrielandes zu erklären: Wir, die Bundesrepublik, sind bereit, eine solche Steuer einzuführen, zu akzeptieren, und wir fordern die anderen Industriestaaten auf, daran mitzuwirken.
({1})
Das gilt also für den Fall, daß es nicht gelingen sollte, in der Europäischen Gemeinschaft bis zur UNCEDKonferenz einen solchen Schritt zu tun.
Ich meine, daß wir einen weiteren Diskussionspunkt haben, der immer wieder mit Recht angesprochen wird, die Notwendigkeit des Technologietransfers, der Kooperation mit den Entwicklungsländern vor dem Hintergrund unserer Umweltprobleme und vor dem Hintergrund der Klimaprobleme. Wir haben dieses Thema in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages an einem Beispiel erörtert. Ich freue mich darüber, daß wir in der Enquete-Kommission gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen sind, daß eine solche Kooperation im technologischen Bereich durchaus darin bestehen könnte, daß sich Industrieländer bereit erklären, ein Sonnenkraftwerk im Sonnengürtel dieser Erde für ein Entwicklungsland zu finanzieren, in seinem solaren Teil zu finanzieren, und damit auf der einen Seite Technologietransfer in Kooperation an einem konkreten, symbolhaften Beispiel deutlich zu machen und auf der anderen Seiten sicherzustellen, daß ein technologischer Beitrag dazu geleistet wird, daß Entwicklungsländer, die die günstige Lage der Sonne ausnutzen können, eine Möglichkeit, eine Perspektive erhalten, wie sie ihren Energiebedarf decken können, ohne erhebliche zusätzliche CO2-Emissionen auszulösen.
Ich meine, daß, wenn die Bundesregierung einen solchen Vorschlag aufgriffe, sich bereit erklärte, da mitzuwirken und an die anderen Industrieländer zu appellieren, ein solcher Vorschlag, wenn er verwirklicht würde, so klein er im ersten Schritt angesichts der Größe des Problems wäre, ein symbolhaftes Zeichen dafür sein könnte, wie wir auf die Entwicklungsländer zugehen wollen, wie wir unsere Verantwortung als Industrieländer mit dem technischen Know-how, das uns zur Verfügung steht, wahrnehmen wollen, um an den Problemen gemeinsam zu arbeiten, die uns ja auch alle gemeinsam betreffen.
Ich glaube, daß es im Blick auf die bevorstehende UNCED-Konferenz wichtig wäre, an solchen konkreten Vorschlägen für die Weltöffentlichkeit, aber insbesondere hinsichtlich der Erwartungen in unserer eigenen Bevölkerung, verständlich und deutlich zu machen, worum es gehen kann und daß es für das Parlament wichtig wäre, aus dem Stadium der Diskussion in allgemeinen Willenserklärungen herauszukommen und an konkreten politischen Vorgaben klar zu machen, wohin vor einer großen gemeinsamen Verantwortung unser gemeinsamer Weg in eine gemeinsame Zukunft führen muß.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni treffen sich in Rio de Janeiro die Staats- und Regierungschefs von etwa 160 Nationen zur UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, um Maßnahmen gegen die drohende Umweltkatastrophe zu beraten. Die Ergebnisse der Vorbereitungstreffen machen eher skeptisch.
Mit unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, wollen wir der Bundesregierung Anregungen und Aufträge für die Konferenz in Rio geben.
Das ursprünglich geplante Ziel, eine Konvention der Wälder zu verabschieden, ist bereits auf die bloße Absicht reduziert worden, in zwei Jahren eine Waldkonferenz abzuhalten. Die Hoffnung, daß es schon bald zu einem globalen Konsens über den Erhalt der Wälder kommen könnte, muß wohl begraben werden.
Angesichts der voranschreitenden Abholzung des Tropenwaldes, der systematischen Vernichtung unseres Lebensspeichers, wären die Analyse und eine effektive Kontrolle sowie ein bindendes Normensystem für ein globales Waldmanagement bitter nötig.
Eine gute und tragfähige Konvention bedarf einer sorgfältigeren Vorbereitung und einer besseren Informationsgrundlage, vor allem aber der wirklichen Bereitschaft der Länder, sich auf globale Regulierungen einzulassen.
Die Konferenz in Rio darf nicht wieder nur ein kurzes Aufflackern umweltpolitischer und entwicklungspolitischer Themen sein, sondern sie muß am Anfang eines stetigen Prozesses stehen, der es mit der Umstrukturierung der Industriegesellschaft und einem gerechten Weltwirtschaftssystem ernst meint.
Die Konferenz böte die Chance, eine sozial gerechtere und umweltverträgliche Entwicklung einzuleiten. Sie sollte nicht vertan werden. Voraussetzung dafür ist, daß die überlebten Nord-Süd- und OstWest-Denkmuster endlich aufgebrochen werden. Noch scheint die Erde weithin in drei Regionen aufgeteilt zu sein: die reichen Wohlstandsgesellschaften des Nordens, die maroden und wirtschaftlich dahinsiechenden Staaten des Ostens und das Armenhaus Süden, das seiner Verelendung überlassen wird und dem nicht wirklich geholfen wird.
So notwendig die Unterstützung der östlichen Reformstaaten ist, es darf dies nicht auf Kosten der Länder des Südens geschehen.
Um möglichen Flüchtlingsströmen entgegenzuwirken, wird noch immer einseitig auf wirtschaftliches Wachstum gesetzt. Die Umweltproblematik tritt fast völlig in den Hintergrund. Natürlich ist es zu verstehen, daß diese Länder in ihrer Not auf wirtschaftliche Entwicklung drängen. Sie haben ja keine andere Wahl, als ihre Ressourcen - ihre Bodenschätze, ihre Wälder, ihre Natur - an westliche Investoren zu verschleudern. Aber das ist keine Lösung, die für die Zukunft tragfähig ist.
Die Industrieländer, die ihre Entwicklungszusammenarbeit so gestalten, haben weder aus ihrer eigenen Geschichte noch aus ihren Fehlern gelernt.
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Wir werden nicht müde, auf die Gefahren einer weiteren Verschmutzung der Umwelt hinzuweisen und Strategien und Konzepte gegen die vielfältigen Gefährdungen des Lebens und aller Schöpfung zu entwerfen. Doch unserer Verantwortung zum schnellen und entschiedenen Handeln werden wir damit nicht gerecht.
Bei einem Bevölkerungsanteil von nur 20 % vergeuden wir im industrialisierten Norden mehr als 80 % der weltweit genutzten Rohstoffe. Wir verursachen über dreiviertel der CO2-Emissionen; auch FCKW werden zu 80 % in den Industriestaaten verwendet.
Der Treibhauseffekt wird weltweit Klimaveränderungen mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Landwirtschaft, für die Küstenregionen und für die Artenvielfalt zur Folge haben. Besonders betroffen von der Klimakatastrophe werden die Länder der Dritten Welt sein.
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist der Auffassung, daß umweltfreundliche Technologien großzügig und konsequent von Norden nach Süden transferiert werden sollten, anstatt Instrumente zur indirekten Exportförderung zu schaffen, die oftmals neue Umweltbelastungen zur Folge haben.
Die an sich begrüßenswerte CO2-Klimasteuer verliert ihren Wert, wenn, wie von der Industrie gefordert, weltweite Kompensationsmöglichkeiten geboten werden. Zu Recht fordern die Entwicklungsländer vorrangig eine Reduzierung der Schadstoffemissionen im Norden. Investitionen in Umwelttechnologie und -produktion in Entwicklungsländern sollten hingegen steuerlich begünstigt werden.
Auch die Aufstockung der finanziellen Mittel ist längst überfällig. Noch immer löst Deutschland - nicht anders als die meisten EG-Staaten - das Versprechen nicht ein, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN unterstützt nachdrücklich die Forderung der Gruppe der 77, diese Leistungen auf mindestens 1 % des Bruttosozialprodukts zu erhöhen. Selbst dies aber bliebe ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht endlich die wirklichen Ursachen der Verelendung bekämpft werden. Ohne weitreichenden und unkonditionierten Schuldenerlaß, ohne die grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Strukturen der Förderung wird es keine Entwicklung geben. Vielmehr ist zu befürchten, daß sich die Situation vielerorts drastisch verschlimmert.
Das Konzept, Schulden mit Umweltschutzmaßnahmen zu verrechnen, ist weder ein Instrument zur Lösung der Schuldenkrise, noch fördert es einen dauerhaften Schutz der Umwelt. Sinnvoller ist es, den Ländern der Dritten Welt durch Schuldenerlaß und durch die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel für den Umweltschutz eine selbständige Entwicklung zu ermöglichen.
Gleichzeitig müssen die ungerechten Machtkonstellationen auf dem Weltmarkt aufgebrochen werden. Das herrschende Weltwirtschaftssystem ist in seiner Ausgestaltung weder sozial noch ökologisch orientiert. Gefordert ist eine solidarische Weltmarkt7088
Konrad Weiß ({1})
wirtschaft, eine solidarische Marktwirtschaft, die Arbeitskraft überall auf der Welt gleich entlohnt, die auf marktfeindlichen Dirigismus und Subventionen, wie sie heute im Norden üblich sind, verzichtet und die einen wettbewerbspolitischen Rahmen schafft, in dem sich mittelständische Unternehmen gegenüber transnationalen Konzernen behaupten können.
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN fordert verbindliche Verhaltenscodices für transnationale Unternehmen sowie soziale und ökologische Mindeststandards, die den Mißbrauch der armen Länder als Billiglohnländer und Giftmülldeponien ächten und verhindern.
Den Vorschlag von Bundesumweltminister Töpfer, die finanziellen Schulden der Entwicklungsländer gegen die moralische Schuld der Industrieländer zu verrechnen, betrachten wir als richtungweisend. Wir erwarten von der Bundesregierung, diese Konzeption konsequent zu verwirklichen.
500 Jahre Kolonialismus, die Zerstörung der gewachsenen sozialen Strukturen, die Zerstörung und Schädigung der Umwelt, die Ausrottung von Arten und die wirtschaftliche und kulturelle Entmündigung können jedoch nicht durch Almosen beglichen werden, sondern nur durch Verzicht auf Wohlstand und durch wirtschaftliche Gleichstellung jener, denen wir alles genommen haben. Es wäre daher kein großzügiger Akt, sondern einfach gerecht, wenn wir die Entwicklungsländer für die Bereitstellung ökologischer Dienstleistungen bezahlten, z. B. für die Erhaltung des Bioreservats Tropenwald, oder wenn wir ihnen einen Ausgleich für Einnahmen böten, die ihnen durch Verzicht auf unmittelbare wirtschaftliche Nutzung des Tropenwaldes entgehen.
({2})
Der desolate Zustand der Natur im Norden zeigt deutlich, daß wir ernsthaft an die Grenzen der Industrialisierung gestoßen sind, daß unsere Philosophie von Wachstum und Wohlstand überlebt ist, daß es revolutionärer Veränderungen bedarf, die menschliches Leben im Einklang mit der Schöpfung möglich machen.
Das ist, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, alles andere als die romantische Rückkehr zur Natur. Es ist die harmonische Synthese aus den Jahrtausenden der Kulturgeschichte und den Jahrmillionen der Naturerfahrung. Völker der sogenannten Dritten Welt lebten lange in dieser Harmonie und haben noch immer viel davon bewahrt. An ihren Erfahrungen sollte sich eine künftige Erd-Charta orientieren.
Ich bedanke mich.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Paul Laufs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sind die zentralen Konferenzziele für UNCED aus der Sicht des Bundesumweltministers?
Nach gegenwärtigem Stand der Verhandlungen geht es im besonderen um Zeichnung der Klimakonvention, Zeichnung der Konvention über die biologische Vielfalt, Einigung über Grundsätze für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Wälder, Einigung auf Umwelt- und entwicklungspolitische Grundprinzipien, also die sogenannte Earth-Charta, Einigung auf Finanzmechanismen, Einigung auf eine „Agenda 21" und um Institutionen.
Die Bundesregierung sieht in der Eindämmung des zusätzlichen Treibhauseffektes eine der drängend-sten nationalen und internationalen Aufgaben. Dazu hat die Enquete-Kommission „ Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" außerordentlich wichtige Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen erarbeitet. Das möchte ich hier mit Dankbarkeit feststellen.
Parallel zum nationalen CO2-Minderungsprogramm unternimmt die Bundesregierung intensive Anstrengungen für eine international abgestimmte Klimakonvention. In den seit Februar 1991 laufenden Verhandlungen des internationalen Verhandlungsausschusses für eine Klimakonvention drängt die Bundesregierung darauf, daß bereits während der Konferenz 1992 zumindest eine effektive Rahmenkonvention zum Klimaschutz gezeichnet wird. Dies soll ein verbindliches Übereinkommen werden, das über bloße Absichtserklärungen hinausreicht.
Als generelles Ziel der Konvention sehen wir die Festschreibung einer Stabilisierung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das gefährliche Klimaänderungen ausschließt. Hierzu sind erforderlich:
Erstens Verpflichtung aller Staaten, Industrieländer wie Entwicklungsländer, zur Erstellung von Inventaren über nationale Treibhausgasemissionen sowie nationale Strategien und Programme zur Minderung von Treibhausgasemissionen und die Berichterstattung hierüber.
Zweitens eine besondere Verpflichtung der Industrieländer zur Stabilisierung ihrer CO2-Emissionen als erster Schritt und Reduktion sowie Einbeziehung weiterer Treibhausgase in den Jahren 2005 und später.
Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind in allen Staaten begrenzt, auch im Norden. Warum, Herr Kollege Weiß soll Kapital zur globalen Minderung von CO2-Emissionen nicht dort eingesetzt werden können, wo der Effekt ein Vielfaches dessen beträgt, was in weit entwickelten Industriestaaten möglich ist?
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Der Aufwand, den Wirkungsgrad von Kraftwerken von 40 auf 45 % zu erhöhen, ist unverhältnismäßig größer, als wenn man von 20 auf 40 % hochfährt, und der Effekt für die Umwelt ist dabei ein Vielfaches. Solche Kompensationsmodelle sollte man in die Betrachtungen durchaus mit einbeziehen.
Neben der Zeichnung der Weltklimakonvention soll eine Konvention zum Schutz der biologischen
Vielfalt auf der UN-Konferenz gezeichnet werden. Hierbei geht es um einen möglichst umfassenden Schutz der Arten in ihren natürlichen Lebensräumen. Dabei ist die Bundesregierung bemüht, das Thema Biotechnologie so weit wie möglich auszuklammern. Sollte dies im Verlauf der Verhandlungsrunden nicht gelingen, setzen wir uns für strenge Sicherheitsbestimmungen im Rahmen der Konvention ein.
Die Bundesregierung strebt darüber hinaus an, eine globale Übereinkunft zur Bewirtschaftung, Erhaltung und Entwicklung der Wälder aller Klimazonen zu verabschieden. Dieser „global consensus" muß möglichst umfassend konkrete Elemente und Prinzipien wie auch die Festlegung enthalten, daß unmittelbar im Anschluß an die Konferenz internationale Regierungsverhandlungen mit dem Ziel aufgenommen werden, innerhalb von zwei Jahren eine völkerrechtlich verbindliche Waldkonvention auszuhandeln.
Zusammen mit den genannten Konventionen und Übereinkünften wird das von der Konferenz zu verabschiedende Aktionsprogramm „Agenda 21" die prioritären Ziele und Aufgaben sowie Strategie- und Maßnahmenkonzepte für die nächsten Jahre festlegen.
Im Vordergrund müssen stehen: die Bekämpfung der Armut und die Eindämmung des Bevölkerungswachstums, die Verbesserung der Bildung und Ausbildung, die Internalisierung externer Kosten sowie ein möglichst umfassender Einsatz ökonomischer Instrumente, um die Integration der Umwelterf order-nisse in die übrigen Politikbereiche zu fördern.
Im einzelnen fordert die Bundesregierung u. a. zum Thema Chemikalien und gefährliche Stoffe: Risikoabschätzung und Risikominimierung, weltweit einheitliche Einstufungs- und Kennzeichnungssysteme, systematische Erfassung von Altstoffen, internationalen Austausch von Stoffinformationen.
Zum Thema Biotechnologie: Risikoabschätzung und Einhaltung von Sicherheitsstandards als integralen Bestandteil der Nutzung von Biotechnologie. Entwicklung international verbindlicher Sicherheitsrichtlinien.
Zum Thema Abfall: Abfallvermeidung, soweit als möglich bereits durch Maßnahmen in der Produktion, primär stoffliche Verwertung von Abfällen - also Recycling -, Beseitigung der gleichwohl anfallenden Abfälle auf hohem technischen Niveau, weltweite Ratifizierung der Baseler Konvention.
Zum Thema Meeresschutz: Reduktion der Einträge, soweit als möglich bereits an der Quelle, Bekämpfung des illegalen Einbringens von Abfällen, Fortentwicklung bestehender regionaler und internationaler Abkommen.
UNCED soll auch eine Erklärung zu Rechten und Pflichten der Staaten in den Bereichen Umwelt und Entwicklung verabschieden. Diese sogenannte ErdCharta wird Prinzipien wie den Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung für die globale Umwelt und die Pflicht von Staaten enthalten, bei möglichen grenzüberschreitenden Auswirkungen von Projekten die betroffenen Staaten zu informieren und in Notfallsituationen sofort zu warnen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Charta auch Prinzipien zum Verhältnis zwischen Staat und Bürger enthalten muß, wie insbesondere das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip und die Verpflichtung zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Genehmigung umweltbedeutsamer Vorhaben. Hier gibt es schon gute Vorarbeiten im Rahmen der ECE und erste Umsetzungen, z. B. in den gestern unterzeichneten Konventionen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen sowie über grenzüberschreitende Auswirkungen von Industrieunfällen.
Zu den Aufgaben von UNCED gehört schließlich die Entwicklung von Vorschlägen, auf welche Weise die Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Umweltpolitik gestärkt werden kann und welche institutionellen Anpassungen im UN-System hierfür erforderlich sind.
({1})
Ziel der Bundesregierung ist es, die betroffenen UN-Organisationen, also insbesondere das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, zu stärken und die Koordinierung im UN-System für den Bereich Umwelt und Entwicklung zu verbessern. Um es ganz klar zu machen: Es kann nicht darum gehen, wie der Antrag der SPD-Fraktion es fordert, einen UN-Umweltrat aus einer Weiterentwicklung des UNEP zu schaffen. Wir brauchen nicht noch weitere Institutionen. Wir haben schon weiß Gott genug.
({2})
Die Bundesregierung fordert im übrigen eine Verstärkung der Anstrengungen zur Ächtung von Umweltverbrechen. Die Umwelt darf weder als Waffe noch als Geisel mißbraucht werden. Vorsätzlich verübte, schwerwiegende Beeinträchtigungen der Umwelt, die die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft schädigen könnten, müssen, soweit sie nicht nach internationalem Recht im Einzelfall gerechtfertigt sind, mit allen zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln verhindert werden. Dies gilt für Kriegs- wie für Friedenszeiten gleichermaßen.
Meine Damen und Herren, wir treten dafür ein, daß eine modifizierte globale Umwelteinrichtung - auf englisch: global environment facility, GEF -, die von Weltbank, UNEP und UNDP gemeinsam getragen wird, zur zentralen Instanz des Finanzierungsmechanismus wird. In den nächsten Wochen muß über eine Aufstockung des Mittelvolumens intensiv diskutiert werden. Dabei sind wir, aber in gleicher Weise auch alle anderen Industriestaaten gefordert.
Vielen Dank.
({3})
Frau Kollegin Monika Ganseforth, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Laufs, Sie haben soeben sehr einleuchtend das Kompensationsmodell geschildert. Das heißt, was wir in Dritte-Welt-Länder
investieren, bringt viel mehr als das, was wir bei uns machen. Das klingt sehr einleuchtend. Aber es nährt genau den Verdacht, der immer wieder da ist: Dann brauchen wir bei uns nichts zu machen. Das ist nämlich die Kehrseite der Medaille. Es hilft nur, wenn wir bei uns gravierende Einschnitte machen und außerdem woanders, nicht als Kompensation, sondern additiv. Dann gibt es einen Sinn.
({0})
Der Verdacht nicht nur der Opposition, sondern vor allen Dingen der Entwicklungsländer, der DritteWelt-Länder, daß bei ihnen wieder etwas gemacht werden soll, weil es uns interessiert und uns entlastet, ist nicht von der Hand zu weisen. Wie uneigennützig war die Hilfe, die Industrieländer zur Armutsbekämpfung, zur Selbsthilfe, zur Entwicklung gegeben haben? Wollten sie wirklich, daß die Dritte-WeltLänder stark, unabhängig und eine Konkurrenz werden? Ging es nicht vorwiegend um die Sicherung oder die Ausdehnung von Einflußbereichen oder von außenpolitischen oder wirtschaftspolitischen Interessen? Ist das vielleicht die Erklärung dafür, daß die Kluft zwischen den entwickelten Ländern und den Ländern der Dritten Welt im Laufe der Zeit nicht kleiner, sondern tiefer geworden ist?
Jetzt, wo auf einmal die Menschen zu uns kommen, wo die Armut zurückschlägt, wo wir mit Umwelt- und Armutsflüchtlingen bis in unsere Kommunen hinein behelligt werden, da interessieren wir uns für die Entwicklung. Wo die Zerstörung der Tropenwälder und des Klimas, der Artenschwund, die Bevölkerungsexplosion auch uns tangieren und unseren Wohlstand in Frage stellen, da machen wir eine Konferenz und reden über Umwelt und Entwicklung. Kann man es den Dritte-Welt-Ländern unter diesen Umständen verübeln, wenn sie ihre Verhandlungsmacht im Vorfeld der Konferenz nutzen, um ihre Probleme vorzubringen, die da heißen: Rohstoffpreise, Schuldenproblematik, Bekämpfung der Armut und nicht so sehr Klima und Wälder? Haben sie unrecht, wenn sie den Industrieländern vorwerfen, daß sie nicht bereit sind, die notwendigen Einschnitte und strukturellen Änderungen bei sich einzuleiten, ihnen aber eine nachholende Entwicklung verwehren? Das ist das Problem der Kompensationslösung. Wo sind unsere glaubwürdigen Vorleistungen, die zum Erfolg der UN-Konferenz führen? Ich habe heute morgen teilweise auch die Verkehrsdebatte gehört und hoffe, daß niemand in den Entwicklungsländern hört, was von der rechten Seite, von der Regierungsseite zu dem Thema Verkehr gesagt worden ist.
({1})
- Herr Harries, wir waren mit der Klima-EnqueteKommission in Malaysia und haben da über die Tropenwälder gesprochen. Wir kriegten die Zeitungsartikel mit den Überschriften, mit Zitaten gezeigt, was deutsche Autofahrer gesagt haben, warum sie keine Geschwindigkeitsbegrenzung haben wollen und wie schön sie das finden: Freie Fahrt für freie Bürger!
({2})
Glauben Sie nicht, daß dies das Geschäft erleichtert, das in Umwelt und Entwicklung vor uns liegt! Denn wir sitzen alle in einem Boot; es ist unser Interesse.
Wir müssen auch gemeinsam etwas machen, Herr Lippold; da haben Sie recht. Aber der Stil, der Ton, in dem Sie hier wieder den Musterknaben Bundesregierung in den Vordergrund gestellt haben, ist weder hilfreich für uns, für gemeinsames Handeln, noch hilft er in diesem Zusammenhang bei dem, was wir in Rio brauchen, wo Umwelt und Entwicklung auch bedeuten: Wir müssen Vorleistungen erbringen. Denn wir haben in der Vergangenheit mehr zur Verschmutzung unseres Planeten beigetragen als andere. Wir müssen daher kleine Brötchen backen und können hier nicht so groß aufschneiden.
Die treibhauswirksamen Spurengase müssen reduziert werden. Das geht im nationalen, aber auch im internationalen Maßstab, und dazu brauchen wir Vereinbarungen. Seit 1987 wird über eine Klimakonvention gesprochen. Ursprünglich wollte man eine Atmosphärenkonvention, die weiter ging. Jetzt hat man sich auf eine Klimakonvention zurückgezogen; aber es sieht so aus, als wäre die sehr schwer durchzusetzen.
Damit die Konferenz nicht zum folgenlosen Spektakel wird, ist es nötig, wenigstens den Einstieg in globale Verhandlungen verbindlich zu schaffen. Aber Ziel aller Maßnahmen muß es sein, einerseits unseren Planeten zu schützen und bewohnbar zu halten und andererseits gleiches Lebensrecht für alle und das heißt auch gleiches Emissionsrecht für alle - zu schaffen. Das betrifft also Umwelt und Entwicklung. Das leuchtet ein. Aber das heißt z. B. konkret folgendes: 1989 betrug der CO2-Ausstoß pro Kopf für einen indischen Menschen 0,7 Tonnen, für einen deutschen Menschen 13 Tonnen, für einen amerikanischen Menschen 22 Tonnen. Bei uns war also der CO2Ausstoß fast 20mal so groß, in den USA mehr als 30mal so groß. Wer muß die Vorleistungen erbringen? Wer muß Einschnitte machen? Das geht nicht in Kompensation, sondern das geht nur damit, daß wir selber drastisch reduzieren. Die Enquete-Kommission hat Beschlüsse in dieser Richtung gefaßt. Wir haben gesagt: Der CO2-Verbrauch in den Industrieländern soll bis zum Jahr 2005 gegenüber 1987 um 30 % reduziert werden. Den Entwicklungsländern haben wir eine reduzierte Zunahme um 50 % bis zum Jahr 2005 zugestanden.
Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die von der EG vorgeschlagene CO2-Energieabgabe genügt nicht, Herr Grüner, so wichtig sie ist. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein ganz winziger Schritt, wenn es darum geht, das durchzusetzen, was wir brauchen.
Außerdem wird - das wissen Sie auch - diese CO2-Komponente dazu führen, daß in Europa die Atomenergie erheblich bevorzugt wird,
({3})
weil sie kein CO2 erzeugt. Damit werden Frankreich
und Belgien ihre Energie wesentlich billiger auf den
Markt bringen können. Das wird in Folge der Konkurrenzsituation zu Verschiebungen führen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja; gern.
Frau Kollegin, darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß die CO2-/Energie-Steuer, die die Kommission vorgeschlagen hat, durchaus auch auf den Energieinhalt der Kernenergie abstellt - Monika Ganseforth ({0}): 50 %!
-und damit nicht eine reine CO2-Steuer ist, so daß sie von ihrem Ansatz her durchaus auch dem entspricht, was im Programm einer Partei für die letzte Bundestagswahl zu diesem Thema gefordert worden ist?
Ich habe ja auch gesagt, daß es ein Schritt in die richtige Richtung ist: 50 CO2, 50 % Energie. Es wird den Energiemix in die falsche Richtung verschieben, nämlich in Richtung Kernenergie.
({0})
Sie wissen, daß die großen energieintensiven Wirtschaftszweige herausgenommen werden sollen.
Trotzdem begrüße ich diesen Schritt. Aber er reicht bei weitem nicht aus.
Die Klimakonvention muß als einen wichtigen Punkt, der für die Länder der Dritten Welt eine große Rolle spielt, einen Fonds umfassen, aus dem die Mittel für den Technologietransfer fließen. Herr Grüner hat das Beispiel des Solarkraftwerks angesprochen. Wichtig ist, daß über diesen Fonds nicht allein die Industrieländer bestimmen, sondern, wie es beispielsweise bei dem Fonds nach dem Montrealer Protokoll bereits der Fall ist, die Entwicklungsländer und die Industrieländer paritätisch. Sonst funktioniert das nicht; und das kann man verstehen.
Die USA sind inzwischen zum großen Bremser geworden, obwohl sie am Anfang die Klimakonvention vorangetrieben haben. Wir sollten ernsthaft überlegen, ob wir eine Konvention ohne die USA anstreben sollten. Wichtiger ist, daß China, Indien und vergleichbare Länder dabei sind. Wir können nicht darauf warten, bis man auch in den USA soweit ist. Ich denke, in den USA wird man im nachhinein merken, daß das der richtige und notwendige Weg ist. Jedenfalls sollten die Kompromisse nicht zu groß sein.
Obwohl die Verschmutzung der Atmosphäre dramatisch ist und gravierende Schritte unternommen werden müssen, besteht jetzt vielleicht die Chance, die Entwicklungspolitik, die Nord-Süd-Politik, endlich auf eine neue und richtige Basis zu stellen. Vielleicht besteht die Chance, bei uns mit dem notwendigen Umbau unserer Art der Produktion und des Konsums zu beginnen. Wenn das gelingt, hat die Konferenz über Umwelt und Entwicklung uns vorangebracht und war eine wichtige Chance.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Peter Paziorek.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So sehr es richtig ist, Frau Ganseforth, daß die vier Anhörungen der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestags in den letzten Wochen deutlich gemacht haben, daß die globalen Umweltprobleme wie Treibhauseffekt, Verdünnung der Ozonschicht, Verluste im Bereich der Tropenwälder in den letzten Jahren bedrohlich zugenommen haben, hat, glaube ich, gerade die Anhörung der EnqueteKommission Ende Januar zur internationalen Vorgehensweise gezeigt, daß Deutschland in diesen Fragen wirklich eine Vorreiterrolle wahrnimmt und daß wir international alles tun, daß die UNO-Konferenz im Juni in Rio zu einem Erfolg wird.
Ich glaube, Klaus Lippold hat zu Recht darauf hingewiesen, daß wir diese Vorreiterrolle wahrnehmen. Es wäre bedeutend besser, wenn wir in diesem Hause die Bundesregierung bei diesem Kurs gemeinsam unterstützten, damit deutlich wird, daß der Deutsche Bundestag geschlossen hinter dieser Konzeption steht. Das wäre ein richtiger Ansatz.
({0})
Herr Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth?
Ja.
Sie haben recht: Wir sind nicht gerade das Schlußlicht. Aber ist Ihnen bekannt, daß wir beim Pro-Kopf-Energieverbrauch, bei der FCKW-Produktion, dem FCKW-Verbrauch, der Chemieproduktion und vielen anderen Belastungs- und Verschmutzungsfaktoren an vorderster Stelle stehen bzw. an der Spitzenposition sind und es uns deswegen gut ansteht, bei dem Ausstieg und der Reduzierung nicht das Schlußlicht zu sein?
Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu. Da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen uns, Frau Ganseforth.
Ich glaube, Frau Ganseforth, es ist eine Aufgabe der nationalen und internationalen Politik, sich diesen Problemen zu stellen und wirksame Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu ergreifen.
Auf der diesjährigen Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio, 20 Jahre nach der ersten UNO-Konferenz in Stockholm, hat die internationale Völkergemeinschaft die große Chance, für den gesamten Bereich der globalen Umweltpolitik den dringend notwendigen Kurswechsel einzuleiten. Auch wenn in Rio sicher vieles nicht im Detail geregelt werden kann, so ist schon viel gewonnen, wenn für alle Staaten
dieser Welt Umwelt- und Ressourcenschutz zu einem herausragenden Ziel der internationalen Politik erhoben werden.
Deshalb, Herr Weiß, ist es schon ein Erfolg, wenn in Rio der Einstieg in einen neuen internationalen umweltpolitischen Prozeß gelingt. Auch das sollten wir gemeinsam unterstreichen. Dabei sollte uns auch klar sein, daß globale Umweltprobleme nur gelöst werden können, wenn wir Umwelt und Entwicklung als eine strategische Einheit ansehen. Nur so kann der Teufelskreis von Armut, Entwicklungsrückstand, Bevölkerungswachstum und zunehmender Umweltbelastung durchbrochen werden.
Dies bedeutet auch, daß wir Umweltpolitik vom gedanklichen Ansatz her im Sinne einer Umweltaußenpolitik erweitern müssen. Wir dürfen bei einer solchen Umweltaußenpolitik aber nicht nur die umweltpolitischen Instrumente aufzeigen, sondern wir müssen auch auf Gesichtspunkte hinweisen, die zu den Rahmenbedingungen für eine solche umweltund entwicklungspolitische Gesamtstrategie gehören sollten.
So wird es notwendig sein, weltweit durch die Weiterentwicklung z. B. regionaler und lokaler Institutionen und Verwaltungseinrichtungen den Demokratisierungsprozeß besonders zu unterstützen. Immer dort, wo es gelingt, die aktive Beteiligung der Bevölkerung am politischen Entscheidungsprozeß zu sichern, werden wir über kurz oder lang Umweltschutzbelange mehr und mehr in der Diskussion feststellen können.
Wer ein ökologisch verantwortbares und entwicklungspolitisch gewolltes Wachstum will, muß auch die Vorteile einer sozial wie ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft für den Umweltschutz anerkennen. Ich halte es für notwendig, immer wieder darauf hinzuweisen, daß zu den wesentlichen Rahmenbedingungen einer Politik der Umwelterhaltung die Beachtung der Menschenrechte genauso gehört wie die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß sowie der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen.
({0})
Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde offenkundig, wie wenig diktatorische und planwirtschaftliche Systeme zu einer konsequenten Umweltschutzpolitik beitragen können. Wenn diese Rahmenbedingungen weltweit eine Chance erhalten, dann ergeben sich auch neue Chancen für eine neue Energie- und Klimaschutzpolitik.
Wenn die Weltbevölkerung weiterhin dramatisch zunimmt und der Hunger in den Entwicklungsländern so schnell wie möglich beseitigt werden soll, dann wird auch nach der bisherigen Struktur- und Energiepolitik der Energiebedarf weltweit enorm zunehmen. Dies wird schwerwiegende Konsequenzen für Klima und Umwelt haben, wenn wir nicht in Rio die energiepolitische Weichenstellung auf eine ökologisch verträgliche Energieversorgung vornehmen.
Deshalb müßten wir die Bundesregierung in ihrer Politik unterstützen, auch darüber nachzudenken und Modelle auf den Tisch zu bringen, die Selbstverpflichtung auch im internationalen Bereich zur Anerkennung zu führen und darüber hinaus Kompensationsmodelle im internationalen Maßstab und nicht nur im nationalen Maßstab zu ermöglichen.
Diese Kompensationspolitik setzt voraus, daß wir natürlich auch im nationalen Bereich alles tun, um unsere eigenen CO2-Einsparungspotentiale soweit wie möglich auszunutzen. Darüber hinaus müssen wir anerkennen, daß CO2-Minderung auch global angegangen werden muß. Aus diesem Grunde ergibt sich die Notwendigkeit, darüber nachzudenken, was sowohl bei uns als auch in den Entwicklungsländern und in den Schwellenländern getan werden kann.
Ist nicht vielleicht, Herr Weiß, auch dieses Modell der Kompensation ein erstes Grundmodell für eine Einrichtung, die wir allgemein als Technologietransfer bezeichnen? Dabei wissen wir in vielen Detailpunkten noch gar nicht, wie dieser Technologietransfer tatsächlich international abgesichert werden soll. Warum ist nicht die Kompensation in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit, so etwas wie einen Technologietransfer z. B. aus Deutschland in die Länder der Dritten Welt zu organisieren? Diese Chance, Herr Weiß, sollte man sehen, nicht das Negative, wie Sie das vorhin dargestellt haben.
Eines ist ganz wichtig: Die Industrieländer müssen in Rio gemeinsam auftreten und eine gemeinsame Konzeption entwickeln. Das ist eine besondere Aufforderung an die EG. Die EG muß ihre Verantwortung für eine solche Strategie erkennen und sich gemeinsam für eine internationale Klimaschutzpolitik einsetzen. Ich glaube, wenn die Industrieländer gemeinsam auftreten, werden die Chancen für solch einen Einstiegsprozeß bedeutend größer werden. Sicher werden wir jetzt, im Vorfeld von Rio, noch eine Menge tun müssen, um die mit uns befreundeten Industrieländer von einer solchen Konzeption zu überzeugen. Das wird noch eine gewaltige Aufgabe sein.
Aus diesem Grund halte ich es für notwendig, daß wir unsere Bundesregierung bei ihrem Kurs, Rio zu einem Erfolg zu machen, geschlossen unterstützen.
({1})
Nur so wird es auch tatsächlich gelingen, Rio im Juni dieses Jahres zu einem Anfang einer neuen Umweltpolitik zu machen. Das ist auch der Wunsch der Fraktion der CDU/CSU und der Regierungskoalition insgesamt. Lassen Sie uns dafür gemeinsam kämpfen!
({2})
Herr Abgeordneter Burkhard Zurheide, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erwartungen an die Konferenz über Umwelt und Entwicklung sind hoch. Sie soll den Höhepunkt vieler nationaler Umweltverhandlungen bilden. Ein Meilenstein soll sie sein. Dies waren die formulierten Erwartungen des Londoner Weltwirtschaftsgipfels im vergangenen Jahr.
Die Einsetzungsresolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen im März 1990 machte den
gesamten Bereich des Umweltschutzes zum Gegenstand dieser Konferenz. Damit zusammenhängende Fragen der Entwicklungspolitik sollen dabei ebenso erörtert werden wie die Wechselwirkung von Armut, Unterentwicklung, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung sowie Fragen der Interdependenz von Umwelt- und Wirtschaftspolitik fürwahr eine große, manche meinen: zu große Aufgabe.
Warnungen, die Erwartungen an die Ergebnisse dieser Konferenz nicht zu hoch zu schrauben, sind daher nicht unberechtigt. Die Sachverhalte, um die sich diese Konferenz kümmern soll, sind so komplex, daß einfache Lösungen nicht möglich sein werden. Exakt hier liegt die größte Gefahr für den Erfolg dieser Konferenz. In manchen Industrieländern und in manchen Entwicklungsländern gibt es bereits Strömungen, diese Konferenz wieder im Stile des alten Denkens zu führen: hier der Ankläger, dort der Angeklagte. Die Rollen werden aber wechselseitig wie auch einseitig zugewiesen. Außer unfruchtbarer Konfrontation bewirken sie nichts.
Es ist darüber hinaus ebenso schlicht wie zu kurz gegriffen, wenn die eine Seite wie einige vorschlagen - sich sozusagen ein Büßerhemd überzieht und so tut, als könne damit der Sache gedient werden, wo es in Wirklichkeit nur darum geht, das eigene Gewissen zu beruhigen.
({0})
Es ist letztlich unverantwortlich, die Augen davor zu verschließen, daß Umweltzerstörung ein Problem der gesamten Menschheit ist, für das diese, nämlich die gesamte Menschheit, verantwortlich ist, und das auch nur gemeinsam, und zwar in einem partnerschaftlichen Miteinander, gelöst werden kann.
({1})
Natürlich sind die Industrieländer des Nordens an der fortschreitenden Umweltzerstörung nicht schuldlos. Dies bestreitet niemand, und dies hat niemand bestritten. Aber es ist bestenfalls eine Illusion, zu glauben, die globalen Umweltprobleme könnten gelöst werden, wenn die Länder des Nordens allein bei sich die dringend notwendigen Veränderungen in die Wege leiteten.
({2})
Wer so redet, behandelt die Entwicklungsländer in Wirklichkeit schon wieder als Objekt des Handelns der Industrienationen.
({3})
Es grenzt meiner Meinung nach an Hochmut, den Tropenwaldländern den Export ihres Holzes, des häufig einzigen Rohstoffes, dadurch unmöglich machen zu wollen, daß man den Holzimport verbietet. Statt den Entwicklungsländern dabei zu helfen, mit ihren Ressourcen ökologisch verantwortlich und ökonomisch vernünftig umzugehen, läßt man sie Vorwürfe hören, als holzten sie die Wälder zum Vergnügen oder zu dem Zweck ab, zu ärgern.
Ich halte es daher für wichtig, in Rio Grundsätze zur Erhaltung umweltverträglicher Bewirtschaftung und Entwicklung der Wälder aller Klimazonen zu beraten und möglichst auch zu verabschieden.
Zu den größten Besonderheiten - auch dies will ich bei dieser Gelegenheit nochmals anfügen - bei den Vorbereitungen der Konferenz gehört die lange Debatte, ob die Überbevölkerung ein Gegenstand der UNCED-Konferenz sein soll. Der so offenkundige Zusammenhang zwischen Umwelt und Entwicklung auf der einen und Überbevölkerung auf der anderen Seite soll und muß in Rio zur Sprache kommen. Dagegen hat sich eine seltsame Allianz gewehrt. Sie hat sich zusammengesetzt aus denjenigen, die schon immer gegen den sogenannten Verhütungsimperialismus zu Felde gezogen waren, und denjenigen, die glauben, mit der Behandlung dieses Themas wollten die westlichen Industrienationen lediglich von ihrer vermeintlichen Alleinschuld an der globalen Umweltverschmutzung ablenken.
Nein, die UNCED-Konferenz kann in der Tat ein Meilenstein sein, nämlich auf dem Weg zu einem wirklich partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Die Länder der Dritten Welt haben lange genug darunter gelitten, daß man sich ihren Problemen häufig, viel zu häufig, ideologisch inspiriert gewidmet hat. Dieses Denken muß und wird überwunden werden.
Die vor kurzem zu Ende gegangene UNCTADKonferenz in Cartagena war ein enorm ermutigendes Zeichen. Verlauf und Ergebnisse dieser Konferenz berechtigen zu der Hoffnung, daß sich auch die UNCED-Konferenz nicht in gegenseitigen Anklagen erschöpfen wird.
In Cartagena wurde der unselige Konfrontationsmechanismus im Nord-Süd-Dialog, der in diesem Gremium der UNCTAD-Konferenz lange vorgeherrscht hat, endlich überwunden. Die UNCTADKonferenz hat sich in ihrer Gesamtheit darauf verständigen können, anzuerkennen, daß alle Weltwirtschaftspartner für ihre nationale Entwicklung zunächst und vor allem selber verantwortlich sind und nach Maßgabe ihres eigenen Leistungsvermögens im Rahmen der weltwirtschaftlichen Abhängigkeit einen Beitrag erbringen sollen.
Die Konferenz hat in beeindruckender und nicht erwarteter Weise damit endgültig von ihrer alten Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung Abschied genommen, die ja nie etwas anderes war als die Forderung nach Dirigismus und Interventionismus im Welthandel. Cartagena hat die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Regelungsmechanismen anerkannt, ohne dabei die falsche Forderung aufzustellen, die in den Industrieländern erfolgreich erprobten Systeme brauchten den Entwicklungsländern einfach nur übergestülpt zu werden. So einfach ist es nämlich nicht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Vertretern der Bundesregierung, die an dieser UNCTAD-Konferenz teilgenommen haben, für ihren Einsatz danken. Nicht zuletzt sie sind es gewesen, die durch Beharrlichkeit und Ausdauer den nicht erwarteten derartigen Erfolg dieser Konferenz ermöglicht haben.
Wenn der Geist der UNCTAD-Konferenz auch für Rio ausreichen sollte, wenn auch dort die Grundsätze pragmatischer Kooperation zum Nutzen aller Beteiligten eingehalten werden können, worum sich die Bundesregierung in ganz besonderer Weise bei der Vorbereitung der Konferenz bemüht hat, dann werden auch viele Ziele, die wir für die Konferenz definiert und formuliert haben, erreicht werden.
Fatal wäre es in der Tat, wenn die UNCED-Konferenz die überwundene Tradition der Konfrontation und der ideologischen Auseinandersetzung aus der UNCTAD-Konferenz einfach nur fortsetzen würde. Wenn wir das alte Denken im Nord-Süd-Dialog überwinden wollen, dann müssen wir es in der Tat jetzt tun.
({4})
Die F.D.P.-Fraktion unterstützt daher aus voller Überzeugung die Bundesregierung darin, einen vernünftigen und praktikablen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten anzustreben. Es darf im Dialog mit den Entwicklungsländern und den Industrieländern keine Tabus geben. Keiner der Beteiligten darf sich scheuen, unbequeme Wahrheiten anzuhören.
Wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, dann wird die UNCED-Konferenz auch ein Erfolg im Interesse unserer gemeinsamen Umwelt, die sich nicht mehr in eine nördliche und eine südliche Umwelt trennen läßt, die sich in Wirklichkeit aber auch zuvor zu keiner Zeit in solche Hälften hat zerteilen lassen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Hans-Peter Repnik.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auf einige, wie ich glaube, wesentliche Anmerkungen zur UNCED aus der Sicht des BMZ beschränken.
Erstens. Das vom Bundeskanzler eingesetzte nationale Komitee zur Vorbereitung von UNCED hat das Perspektivkapitel, das heute schon eine Rolle gespielt hat, zur weltweiten umweltverträglichen Entwicklung vorgelegt. Im Gegensatz zu den Äußerungen der Kollegin Fischer von vorher meine ich sehr wohl, daß es sich hierbei um einen ganz gewaltigen Fortschritt handelt, um einen Fortschritt sowohl im Verfahren als auch um einen Fortschritt in der Sache.
({0})
- Eines der Mitglieder dieses Komitees meldet sich soeben zu Wort.
Sind Sie bereit, ihn anzuhören, Herr Parlamentarischer Staatssekretär?
Ich bin bereit, ihn anzuhören.
Ich stelle nur eine ganz kurze Frage. Ich wollte nur fragen, ob die Bundesregierung sich dieses Perspektivkapitel in Beschlußform zu eigen gemacht hat.
({0})
Sehr verehrter Herr Kollege Schäfer, wir - sowohl der Umweltminister als Vorsitzender als auch ich als sein Stellvertreter in diesem Komitee haben beschlossen, dieses Kapitel der Bundesregierung und dem Kabinett zuzuleiten und darüber eine Beschlußfassung herbeizuführen. Dies ist unsere Absicht.
({0})
Wir wollen mit dieser Rückendeckung nach Rio fahren.
({1})
- Wenn wir hierfür die Rückendeckung des Parlaments bekommen, ist es um so besser.
Ich wollte auf folgendes hinweisen, weil es sich hier, glaube ich, um eine ganz besondere Situation handelt: Es ist ein Komitee, in dem sich die Politik, die Wissenschaft, die Naturschutzverbände und die Umweltschützer, die Kirchen und die Gewerkschaften, die Arbeitgeber und die Bauern zusammengefunden haben. Daß bei der großen Spannbreite gesellschaftlicher Gruppen, die hier versammelt sind, natürlich ein Kompromiß gefunden werden muß, versteht sich von selbst. Aber ich glaube, es macht gerade den Wert dieses Perspektivkapitels aus, daß sich diese gesamte gesellschaftliche Spannbreite dahinter wiederfindet. Dies ist ein ganz gewaltiger Fortschritt.
Eine wesentliche Botschaft dieses Papiers ist folgende: Wir selbst hier in Europa und hier in Deutschland müssen das wurde hier in mehreren Wortbeiträgen eingeklagt - uns entschiedener auf ressourcensparendes Konsumverhalten, auf umweltschonenden Lebensstil und auch auf eine Änderung unseres Wertesystems hin orientieren. Davon kommen wir nicht herunter.
({2})
Daran halten wir fest, Herr Kollege Schäfer.
Wenn wir Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität ernst nehmen und uns nicht auf Dauer dem Vorwurf „one world, two life-styles" aussetzen wollen, werden wir zu einschneidenden Maßnahmen greifen müssen. Wir müssen auch im Bereich Nord-Süd lernen, zu teilen.
({3})
Wie schwer das ist, zeigt sich im Zusammenhang mit dem Aufbau im Osten Deutschlands. Auch dort sind wir noch am Lernen.
Für die Bereiche Energie, Landwirtschaft und Welthandel finden sich im Perspektivkapitel ganz konkrete Aussagen, die Sie, Frau Kollegin Fischer, eingeklagt haben. Ich rate Ihnen, dort einmal hineinzuschauen. Da finden Sie Aussagen, welche Konsequenzen im einzelnen zu ziehen sind.
({4})
Zur Energie, zur Landwirtschaft und zum Welthandel immerhin. Sie waren selber an den Beratungen beteiligt. Wie schwierig es war, sich darauf festzulegen, haben Sie miterlebt.
Der zweite Punkt: Wir reden nicht nur vom Schutz der Wälder, sondern wir handeln auch ganz konkret. Auch dies wurde eingefordert.
({5})
Als Beispiel für eine international koordinierte Maßnahme ist das vom Bundeskanzler in Houston initiierte Pilotprogramm zur Erhaltung der brasilianischen Regenwälder hervorzuheben. Ich bin dem Kollegen Lippold dankbar, daß er dies herausgearbeitet hat; denn wir als Politiker - da möchte ich an Sie alle appellieren leben ja ein Stück weit vom Erfolg. Wo kommen wir denn hin, wenn wir immer nur bejammern, was uns nicht gelungen ist?
({6})
Gelegentlich lohnt es sich auch, daß wir die Erfolge herausarbeiten, weil uns dies ermutigt und ermuntert, auf diesen Wegen weiterzugehen.
Ich möchte den Dank an das Parlament zurückgeben. Vieles gerade im Zusammenhang mit dem Pilotprogramm wäre nicht möglich gewesen, wenn es nicht die Vorarbeit der Enquete-Kommission, die vom Deutschen Bundestag eingesetzt war, gegeben hätte. Wir haben daraus außerordentliche Früchte gezogen.
In diesem Zusammenhang lasse ich mich auch gern von der Kollegin Ganseforth, die leider schon gehen mußte
({7})
- ich beklage das nicht; aber ich hätte es ihr gern gesagt -, als Musterschüler hier apostrophieren. Ich glaube, wir haben hier weltweit etwas auf Kiel gelegt, das sich sehen lassen kann und für das wir auch international entsprechendes Lob erfahren.
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Wenn auch das Parlament und die Opposition in dieses Lob einstimmen, dann ermutigt uns das noch mehr, auf diesem Gebiet fortzuschreiten.
({9})
- Ja, wenn Sie uns nicht loben, dann müssen wir uns selber loben. Das wollte ich damit getan haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne einen zweiten Erfolgsbericht gern vortragen; ich glaube, das interessiert auch Sie: Im Dezember, kurz vor Jahresende 1991, einigten sich die Vertreter der Regierungen der Geberländer, Brasiliens, der Weltbank und der EG-Kommission in Genf auf die konkreten Inhalte einer ersten dreijährigen Phase, für die eine externe Finanzierung in einer Größenordnung von immerhin 400 Millionen DM bereitgestellt wurde. Unser deutscher Beitrag beträgt 265 Millionen DM. Dieses Programm beeinflußt nicht nur die Rahmenbedingungen, die dem Waldzerstörungsprozeß zugrunde liegen, sondern - das ist ganz wichtig - bezieht auch die im Amazonasgebiet lebende Bevölkerung ein. Darüber hinaus setzt die Partizipation der lokalen Träger und nichtstaatlicher Organisationen bei der Durchführung neue Akzente.
Der Kollege Paziorek hat vorhin auf die Koordinierung aufmerksam gemacht; er hat sie eingeklagt. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir, das BMZ, beauftragt wurden, diese Koordinierung sowohl im Rahmen der Vorbereitungen zu UNCED als auch zum Weltwirtschaftsgipfel der G -7-Staaten durchzuführen. Herr Präsident, es ist vielleicht nicht ganz üblich, aber ich möchte dennoch die Gelegenheit wahrnehmen, einem Beamten zu danken. Unsere Mitarbeiter sind unglaublich intensiv in New York und wo auch immer derzeit mit den Vorbereitungen befaßt. Der Mann, der das koordiniert und auch in Genf die Hauptarbeit geleistet hat, sitzt jetzt zufällig auf der Regierungsbank. Ich glaube, es tut gut, wenn auch einmal ein Mitarbeiter einen Dank erfährt.
({10})
Zur Weiterentwicklung der Umweltfazilität hat Kollege Laufs schon einiges ausgeführt. Ich will nur noch auf einen Punkt hinweisen. Unsere Strategie ist darauf gerichtet, die globale Umweltfazilität so zu gestalten, daß sie auch von den Entwicklungsländern als Instrument zur Finanzierung konventionsspezifischer globaler Umweltschutzmaßnahmen akzeptiert werden kann. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
({11})
Um die globale Umweltfazilität zum zentralen Finanzierungsinstrument zu machen, müssen wir nach Auslaufen der Pilotphase die Mittel nach unserer Einschätzung ab 1993 verdreifachen. Hier haben wir noch einiges einzubringen. Wir wollen uns darum bemühen.
Kollege Laufs hat auch zur Agenda 21 einiges gesagt. Ich möchte folgendes ergänzen: Vor allem für die Entwicklungsländer sind die hier zu erzielenden Ergebnisse für den Erfolg von UNCED wesentlich. Die in der Agenda identifizierten Finanzierungsnotwendigkeiten werden wir, wie wir hoffen, mit den bestehenden Instrumenten abdecken können. Allerdings - auch das bringe ich hier ein - ist der finanzielle Ausbau dieser Instrumente zur Lösung nationaler und regionaler Umweltprobleme unumgänglich. Wir brauchen dafür mehr bilaterale und mehr multilaterale Mittel. Wir bemühen uns darum. Ich sage hier frank und frei: Diese Mittel sind in der mittelfristigen
Finanzplanung noch nicht vorgesehen. Wir müssen uns darum bemühen, sie hier einzubringen.
({12})
Die Bereitschaft der Entwicklungsländer zu verbindlichen Verpflichtungen bei den Konventionen ist von Zugeständnissen der Industrieländer bei der Finanzierung der Agenda 21 abhängig. Das wissen wir. Deshalb bemühen wir uns in besonderem Maß. Ohne entsprechend klare Signale der Industrieländer, zusätzliche Leistungen zur Erhaltung unserer gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen bereitzustellen, wird UNCED ein Fehlschlag werden.
({13})
Verzeihung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär: Nach der Verfassung, die das Rederecht der Regierung regelt, können Sie theoretisch unbegrenzt weiterreden; aber nach der interparlamentarischen Vereinbarung über den Ablauf dieser Debatte ist Ihre Redezeit beendet.
({0})
Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, mein verfassungsgemäßes Recht zwar nicht sehr exzessiv auszulegen, aber doch noch etwas auszudehnen, würde ich noch gern einige Anmerkungen machen. Ich räume ein, daß ich mich dazu habe verführen lassen, auf eine Reihe von Bemerkungen einzugehen, was meinen Beitrag etwas verlängert hat.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch ein paar Hinweise. Sowohl Umwelt- als auch Entwicklungspartnerschaft verlangen Entgegenkommen.
({0})
Wir tun unseren Partnern im Süden, übrigens auch im Osten, keinen Gefallen, wenn wir sie aus ihrer Verantwortung entlassen. Wir müssen sie einbeziehen. Dann werden wir Erfolg haben.
({1})
Erfolg oder Scheitern von UNCED entscheidet über Kooperation oder Konfrontation zwischen Nord und Süd in der, so glaube ich, für die Menschheit doch überlebenswichtigen Frage der Bewahrung der Schöpfung. Deshalb ist Gemeinsamkeit darüber hinaus auch eine entscheidende Voraussetzung für die Sicherung des Weltfriedens.
Diese Konferenz - darauf möchte ich zum Schluß hinweisen - findet nach allseitiger Einschätzung fünf Minuten vor zwölf statt. Die Erkenntnisse und die Konzepte liegen vor. Jetzt, nicht morgen oder übermorgen, müssen wir handeln. Wir sind dazu entschlossen. Sonst bleibt uns nur übrig, auf immer schneller aufeinanderfolgende Katastrophen zu reagieren. Deshalb, meine ich, gilt auch und gerade im Hinblick auf diese Konferenz in Rio, was ein Zeitgenosse formuliert hat, der, wie wir alle hoffen, gerade noch rechtzeitig kam: Wer zu spät kommt, den bestraft auch hier das Leben.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ingomar Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1492 entdeckte Europa Amerika. 500 Jahre später in diesem Jahr - versammelt sich nun die Welt in Amerika, in Rio, um über die ökologischen Folgen der europäischen Expansion nachzudenken. Auf der Tagesordnung der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung steht, ob sich Nord und Süd, West und Ost auf eine globale Strategie gemeinsamen Überlebens verständigen oder aber weiter im Wettlauf um immer knappere Ressourcen gemeinsam die natürlichen Lebensgrundlagen ihrer Kinder und Kindeskinder zerstören.
Die UNCED-Konferenz betont mit Recht den ursächlichen Zusammenhang zwischen Umwelt und Entwicklung. Dies macht denn auch den eigentlichen Kern des Problems aus; denn wo die Umwelt künftig nur noch durch eine andere wirtschaftliche Entwicklung, als wir sie noch bis heute betreiben, bewahrt werden kann, werden Besitzstände berührt, alte Axiome und Paradigmen brüchig, Lebens- und Produktionsgewohnheiten in Zweifel gezogen. Dies muß dazu herausfordern, das herkömmliche, einseitig auf materielles Wachstum fixierte Modell zur Lösung persönlicher und sozialer Probleme zu hinterfragen.
Weder die Entwicklungsländer noch die Industrieländer scheinen allerdings bereits reif zu sein, schon bald einen wirklich umweltverträglichen Weg wirtschaftlicher Entwicklung einzuschlagen. Die UNCED-Konferenz kann aber dennoch von Nutzen sein, wenn es in Rio wenigstens gelingt, die eigentlichen Ursachen umweltzerstörender Entwicklungen weltweit ins Bewußtsein zu rücken. Dabei geht es im Süden und im Osten mehr um armutsbedingte, im Westen mehr um wohlstandsbedingte Fehlentwicklungen.
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Die rasch fortschreitende Umweltzerstörung in vielen Entwicklungsländern ist in zweierlei Hinsicht in der Armut begründet. Zum einen ist es die absolute Armut, also Hunger und Elend, die Hunderte Millionen Menschen dazu zwingt, wertvolle Wälder zu roden, Böden zu überweiden und Wasser zu verschmutzen. Zum anderen ist es die Entwicklungslücke zwischen Nord sowie Süd und Ost, also eine relative Armut, die die Entwicklungsländer veranlaßt, die herkömmlichen Wachstumsstrategien der Industrieländer zu imitieren. Diese Strategien sind kurzfristig rentabler, weil sie den Faktor Umwelt aus der Kostenrechnung ausklammern. Aber sie sind langfristig umweltzerstörend.
Wenn sich der Norden immer noch nicht das an sich mögliche saubere Wachstum glaubt leisten zu können
und weiter massenhaft CO2 und FCKW emittiert, wie sollen dann relativ arme Länder heute schon umsteuern? Das geht doch so nicht.
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Die Armut vieler Länder des Südens und des Ostens ist ein Ärgernis für sich. Sie fordert unsere menschliche Solidarität heraus. Hunger und Elend und ein sich immer neu reproduzierender Entwicklungsrückstand im Süden sind jedoch auch gegen Interessen des Nordens, da die Folgen der Armut mehr und mehr auf den Norden übergreifen werden. Neben wachsenden Fluchtbewegungen sind es die Vernichtung nicht regenerierbarer Weltressourcen und die Bedrohung unseres Klimas, die den Norden veranlassen sollten, sich mitverantwortlich zu fühlen für die Probleme des Südens, und zwar stärker als bisher.
Wenn wir Europäer bewiesen haben, daß wir seit 1492 zur internationalen Solidarität wirklich schlecht taugen, so sollten wir heute wenigstens genug Verstand haben, im eigenen Interesse von der Ausbeutung des Südens zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit überzugehen, mit der wenigstens die armutsbedingte Zerstörung der globalen Ressourcen gestoppt werden kann.
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Wenn dies alles nicht zu spät kommen soll - denn in nur einer Generation wird sich die Weltbevölkerung verdoppelt haben -, brauchen wir eine neue Dimension und Qualität der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Weltregionen. Mindestens drei radikale Maßnahmen sind unverzichtbar.
Erstens. Die Bevölkerungsexplosion muß gestoppt werden.
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Dazu sind neben den eher nur langfristig wirkenden Familienplanungsprogrammen kurzfristige Hilfen zur direkten Beseitigung der Armut nötig. Ohne ein Minimum an Sicherung vor Krankheit und Armut bleiben Kinder die einzige Risikoversicherung armer Eltern im Süden. Ohne massive Transfers aus dem Norden, vor allem für Gesundheit, Grundbildung und Ausbildung, ist dies aber rechtzeitig nicht zu leisten.
Zweitens. Die Entwicklungsländer, in denen 80 der Weltbevölkerung leben, müssen sofort auf ein sauberes Wachstum umsteigen können. Dies kann aber nur geschehen, wenn der Norden die zunächst höheren Kosten einer ökologisch verträglichen Produktion mit übernimmt und Kompensation leistet für den Verzicht aus Gewinnen, die - wie etwa beim Regenwald - heute durch Raubbau an der Natur immer noch möglich sind. Das bedeutet viel höhere, allerdings besser kontrollierte Transfers von Kapital und Technologie. Darum kommen wir nicht herum,
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auch wenn wir Eigenleistungen der Entwicklungsländer mit einfordern müssen. Die bisher in Frage stehenden Mittel sind lächerlich gering im Verhältnis zu der Aufgabe, die sich stellt.
Drittens. Die Altlast der externen Überschuldung der Dritten Welt - und auch der Zweiten Welt - muß endlich beseitigt werden.
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Indem sie einen Großteil der Erlöse aus Exporten für Zinszahlungen auf Altkredite, denen keinerlei produktive Basis mehr entspricht, abziehen, blockieren die Altschulden existentiell wichtige Investitionen in die eigene Fähigkeit dieser Länder, die absolute Armut zu bekämpfen, moderne Technologie zu importieren und gar den Umstieg zu einer ökologisch verantwortlichen Infrastruktur und Produktion zu leisten.
Meine Damen und Herren, Zugeständnisse der Entwicklungsländer zu globalen Konventionen zum Schutz der Umwelt sind wirklich nur zu erwarten, wenn die Industrieländer den Entwicklungsländern konkrete Zusagen auf den eben genannten Gebieten machen. Eine ökologische Orientierung der Entwicklungsländer setzt allerdings nicht nur Eigenleistungen der Entwicklungsländer und Transfers in den Süden voraus, sondern auch Verhaltensänderungen im Norden selbst, also eine Korrektur der wohlstandsbedingten Ursachen der Umweltzerstörung, und dies in zweifacher Hinsicht.
Erstens. Die Industrieländer haben eine Art von Infrastruktur, Produktion und Konsumtion entwickelt, die eine exponentielle Beanspruchung von Ressourcen verursacht und einen exzessiven Verbrauch von Energie bewirkt. Die Industrieländer haben in weniger als 100 Jahren mehr Energie verbraucht als in der ganzen Geschichte der Menschheit zuvor. Das ist ein Warnsignal. Wenn der Norden dies nicht wirklich korrigiert, wird es keine echten Zugeständnisse des Südens geben.
Eine drastische Senkung des sogenannten spezifischen Ressourceneinsatzes setzt aber voraus, daß in Zukunft die Ressourcenproduktivität Vorrang vor der Arbeitsproduktivität hat, die im marktwirtschaftlichen System bisher die entscheidende Größe der wirtschaftlichen Entwicklung war. Entscheidend ist dabei ein Durchbruch zu radikaler Energieeinsparung. Die Nagelprobe hier wiederum ist das Verkehrssystem, das total umgebaut werden müßte. Statt dessen explodiert es auch in Deutschland.
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Zweitens. Die Industrieländer haben bisher den weit überwiegenden Teil der globalen Ressourcen beansprucht. Dieser Vorrang des Nordens kann nicht durchgehalten werden, wenn vom Süden eine ökologische Orientierung erwartet wird. Das heißt, der Norden muß Wachstumsspielräume an den Süden abgeben. Dies kann aber nur in die Praxis umgesetzt werden, wenn zwei ökonomische Probleme in Zukunft in völlig neuer Weise gelöst werden.
Wenn der Süden stärker wachsen soll - und dann hoffentlich ökologischer als der Norden -, dann muß das Wachstum im Süden in Zukunft zum größten Teil selbst induziert werden, während die Lokomotive des
Nordens Dampf ablassen muß, wenn die Weltressourcen nicht noch schneller als bisher aufgezehrt werden sollen. Auch muß der Norden seine Ansprüche an materielles Wachstum grundlegend reduzieren und seine inneren sozialen Spannungen in Zukunft vorwiegend anders lösen als durch immer mehr materielles Wachstum. Die Frage der Verteilung und des Teilens ist damit aber weltweit wieder ganz oben auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt.
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Herr Kollege Hauchler, der Kollege Lippold möchte Ihnen gerne eine Frage stellen.
Gerne, Herr Kollege.
Herr Kollege Hauchler, im nationalen Komitee wurde die Frage der Reduktion gestellt. Es wurde darauf hingewiesen, daß das sehr schwierig durchzusetzen sei, weil sich alle gesellschaftlichen Institutionen . . .
Eine Frage, Herr Kollege.
... auch in der Bundesrepublik darauf geeinigt hätten, daß das soziale Niveau, also auch unser materieller Verbrauch, durch die EG-Entwicklung natürlich nicht abgesenkt werden darf.
Herr Kollege, Sie wollten eine Frage stellen und keinen Debattenbeitrag leisten.
Teilen Sie diese Einstellung, und wie wollen Sie vor diesem Hintergrund gerade der im Rahmen der Ihnen nahestehenden gesellschaftlichen Gruppierungen zu dem Verzicht kommen, den Sie angesprochen haben?
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Ich habe ihn schon verstanden.
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Zwischen den Zeilen war die Frage schon deutlich geworden.
Herr Schäfer, Sie waren zu schnell.
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Ich habe nicht davon gesprochen, daß in der Bundesrepublik das Sozialprodukt gesenkt werden soll. Ich habe von Wachstumsspielräumen gesprochen. Die Welt hat eine bestimmte Menge an Ressourcen. Es geht darum, diese Ressourcen sinnvoll zu verteilen. Die Aufgabe ist, erstens die Ressourcenproduktivität zu verstärken, d. h. mit den vorhandenen Ressourcen bessere Ergebnisse zu erzielen, zweitens aber nur in dem Maße materiell zu wachsen, wie es überhaupt globale Ressourcen gibt. Das ist ganz einfach. Wenn es aber so ist, geht es tatsächlich darum, zu überlegen, in welche Verwendungen die Ressourcenspielräume geführt werden sollen. Das ist auch ein Problem der Umverteilung.
Es ist furchtbar schwer für den Präsidenten, in eine indirekte Form zu kleiden, daß Sie mit dieser Art der Intervention die Redezeit des Redners gewaltig verlängern. Aber Herr Kollege Hauchler, hier ist die nächste Zwischenfrage. Sind Sie bereit, eine Frage des Kollegen Professor Pinger zu beantworten?
Selbstverständlich.
Weil auch ich es noch nicht verstanden habe: Würden Sie kurz erläutern, wie Sie ein künftiges Wachstum limitieren wollen? Wollen Sie den einzelnen Unternehmen Spielräume setzen? Wie wollen Sie eine globale Minderung herbeiführen? Ich frage das deshalb, weil Sie es auch literarisch ausgeführt haben. Mir ist es völlig unklar. Vielleicht können Sie zwei Sätze dazu sagen.
Ich bin als Politiker nicht bereit, die Welt einfach deshalb in die Katastrophe treiben zu lassen, weil Unternehmen bestimmte Entscheidungen treffen.
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Die Politik ist dazu da, Rahmenbedingungen des Möglichen zu setzen. Wenn die Welt begrenzte Ressourcen hat, hat die Politik die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diese begrenzten Ressourcen in sinnvolle Verwendungen hineinzusteuern. Sonst würden Sie die These akzeptieren, daß man an der Expansion des Wachstums nichts ändern kann und daß das Ende der Ressourcen gewiß ist.
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Das muß in einem gesellschaftlichen Diskurs erfolgen. Selbstverständlich ist es so, daß es vorrangige Interessen gibt. Beispielsweise kann der Staat durchaus Rahmenbedingungen für die Verkehrsentwicklung setzen und damit Einfluß auf das Wachstum nehmen.
Herr Präsident, darf ich in meinen Ausführungen fortfahren? Ich komme auch bald zum Schluß.
Es ist Ihre Sache, wie Sie die letzte Minute nutzen.
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Ich denke, der Zeiger der globalen Umweltzerstörung rückt wirklich immer weiter auf zwölf. Der Herr Staatssekretär hat das auch betont. Aber immer noch wird abgewiegelt, auch wenn die Bundesregierung jetzt im Umweltausschuß sagte, der zentrale Erfolg, den man sich von Rio erhoffe, seien Folgeverhandlungen. Wer so spricht,
hat schon kapituliert, der unterschreibt schon jetzt die Bankrotterklärung für Rio.
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Tatsache ist allerdings: Die bisher offenbar fast ergebnislosen Verhandlungen im Vorfeld von Rio, mit denen wertvolle Jahre vertan worden sind, haben bewiesen, daß die Industrieländer selbst nahezu unfähig zur Selbstkorrektur sind. Es ist keine einzige Vereinbarung in Sicht, um die existentiellen Probleme der Menschheit in Zukunft wirklich besser zu lösen.
Wir dürfen uns mit dieser Situation auch in diesem Parlament einfach nicht zufriedengeben. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb den Bundeskanzler auf, in letzter Minute eine Initiative zu ergreifen, damit es in Rio doch noch zu einem substantiellen Angebot der Industrieländer an die Entwicklungsländer kommt, das die Errichtung eines globalen Umweltfonds zumindest verbürgt und die Emission von CO2 und FCKW drastisch reduziert. Auf die USA darf Europa dabei nicht länger warten.
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Die USA müssen notfalls isoliert werden, . . .
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist schon ein gutes Stück überschritten.
... wenn es anders nicht zu durchgreifenden Fortschritten kommen kann. Wir müssen endlich handeln, im eigenen und im gemeinsamen Interesse für Nord und Süd.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Graf von Schönburg-Glauchau.
Herr Präsident! Liebe, geschätzte kleine Schar der Kolleginnen und Kollegen, die bei diesem interessanten Thema jetzt noch anwesend ist! Erlauben Sie mir und hören Sie dabei gut zu - ein paar nachdenkliche Sätze, wobei ich alle, die links und rechts und überall sitzen, jetzt schon um Verzeihung bitte, die ich kränken könnte, weil ich ein bißchen Wasser in den Wein ihrer Technologie-, Charta-, Strategie- und sonstigen Pläne gießen könnte.
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- Der Hans-Peter hört das schon.
Das Dumme ist nämlich, ich habe größte Bedenken, ob wir Europäer tatsächlich berufen sind, anderen Menschen kluge Ratschläge zu geben, wie man das mit der Umwelt und der Entwicklung am besten hinkriegt. Wir haben ja in der Vergangenheit die Entwicklung so fortgetrieben, bis wir da stehen, wo wir heute sind, mit all unseren Problemen, den Nebenwirkungen und Folgerungen dieser Entwicklung. Unser Umgang mit der Schöpfung, unser Umgang mit der Natur ist eigentlich nur als warnendes Beispiel zu nennen.
Natürlich haben wir uns in den letzten Jahren angestrengt umzudenken. Das Dumme ist nur, daß all diese Strategien und Pläne und Technologien usw. noch unbewiesen sind. Es ist noch nicht klar, ob das wirklich die richtigen Rezepte sind, ob das wirklich der Stein der Weisen ist, der eine Weiterentwicklung in Grenzen erlaubt und trotzdem die Schöpfung schont.
Da haben es andere Ecken der Welt natürlich einfacher. Herr Professor Hauchler, ich erinnere mich daran, wie ich etliche Male draußen im Busch mit Mohren und mit Indianern ernsthaft über solche Sachen disputiert habe und die mir gesagt haben, sie hätten dies ja gekonnt, sie hätten ja viele Jahrhunderte lang mit der Natur und mit der Schöpfung in Frieden gelebt.
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Natürlich, lieber Freund Schuster. Das Problem ist ja erst entstanden,
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als wir gekommen sind mit unserem Fortschrittswahn und mit unseren Verbesserungsideologien.
Ich kann denen natürlich schon sagen, die Welt trägt leicht 50 Millionen Jäger und Fischer. Das ist einfach. Es wird aber zu einem Problem, wenn die Zahl größer wird und sich nicht mehr alle vom Jagen, Fischen und Sammeln ernähren können. Und das Problem geht dort weiter, wo wir ehrlich sagen müssen: Von diesen vielen, viel zu vielen Menschen ist jeder einzelne unser Nächster, und wir müssen um sein Wohlergehen besorgt sein. Wir können nicht den menschenverachtenden Spuren jener folgen, für die die karierte Hupfdrossel turdula quadrata oder was immer wichtiger ist als das, was mit den Menschen geschieht. Da müssen wir immer aufpassen.
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- Ja, natürlich, aber das muß seine Ordnung haben. Das macht ja das Wohlbefinden aller unserer Nächsten, die Unterhaltung der Schöpfung zu einer so schwierigen Aufgabe, ich fürchte, vielleicht sogar zur Quadratur des Kreises.
Ich weiß nicht, ob das mit den Strategien funktioniert. Wenn es funktioniert, ist es wunderbar. Aber wenn es nicht funktioniert, bleibt uns nichts anderes übrig, als sehr demütig und bescheiden nach Näherungslösungen zu suchen.
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Ich glaube, für solche Näherungslösungen ist es furchtbar wichtig, daß wir nicht nur auf unsere eigene Phantasie und unsere eigene Technologie vertrauen, sondern daß wir auch einmal zuhören und zuschauen, wie es die anderen gemacht haben und machen.
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Ich würde deswegen auch bitten, daß wir auf solchen Konferenzen vielleicht die Klappe nicht zu weit aufmachen, aber die Ohren ganz weit.
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Wir haben, lieber Freund Schuster, ein Leitbild aus der eigenen Kulturtradition, das paßt. Wir haben das Bild vom guten Hirten. Der hat sich zum Herrn der Herde gemacht, der hat sie sich untertan gemacht. Aber er ist ein guter Herr und ein guter Hirte, weil er seine Herde liebt.
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- Ja, Schäfer. ({8})
Das bedeutet nicht, daß er deswegen Vegetarier geworden ist. Er gönnt sich natürlich immer wieder mit viel Freude einen Hammelbraten.
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Aber das Wichtige ist: Er benutzt seine Herde nicht, um ein reicher Mann zu werden, sondern er sieht seinen Lebensinhalt darin, für seine Familie und gleichzeitig für seine Herde das beste Wohlergehen zu suchen. Ich glaube, wenn wir das übertragen, haben wir ein Leitbild, das uns weiterhelfen kann.
Das wollte ich als Christlicher Demokrat allen denen, die nach Rio fahren und denen ich eine gute Reise wünsche, noch mitgeben.
Danke schön.
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Frau Kollegin Marion Caspers-Merk, Sie haben das Wort.
Herr Graf, nach Ihren mehr kulturkritischen Ausführungen ist es sehr schwierig, zu den einzelnen Themen der UNCEDKonferenz zurückzufinden.
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- Herr Lippold, ich möchte Ihnen meine hervorragende Rede nicht vorenthalten. Deswegen werde ich sie halten.
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- Es hätte gut sein können, daß es von Ihnen gekommen wäre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch zu so später Stunde muß man als Fazit der Debatte festhalten: Wir waren uns in der Einschätzung der Probleme weitgehend einig. Wir waren uns auch in den grundlegenden Forderungen einig. Aber das Gegenteil von gut muß eben nicht immer schlecht sein; es ist oft auch gut gemeint. Gut gemeint haben wir es heute alle in diesem Haus. Eine Debatte wie diese sollten wir aber auch einmal zum Anlaß nehmen, zu prüfen, ob unser Wollen am Ende auch Gutes bewirkt. Warum ich da meine Zweifel habe, möchte ich im einzelnen begründen.
Zieht man nämlich eine kritische Bilanz der letzten 20 Jahre seit der ersten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1972, so muß man feststellen, daß sich die globale Krise insgesamt noch verschärft hat. Unterentwicklung und Umweltzerstörung sind gravierend fortgeschritten. Hinzu kommen neue Probleme, die 1972 noch nicht so sichtbar waren. Zum Beispiel ist immer mehr von dem Prinzip der Gerechtigkeit abgewichen worden, die Schere zwischen Arm und Reich ist deutlich größer geworden. Wir haben global die Klimakatastrophe überhaupt erst als Thema entdeckt. Es ist so, daß wir hier die Hauptverantwortung für die Klimakatastrophe tragen. Vier Fünftel aller Schadstoffe der Welt werden von den Industrieländern emittiert.
Wir hatten heute schon eine Debatte dazu: Die Industrieländer wählen immer mehr den bequemen Weg, ihre Schadstoffe in der Dritten Welt zu entsorgen. Wir machen auch immer mehr Umweltdumping. Das heißt, die Industriebetriebe, die bei uns wegen unserer hohen Umweltstandards nicht mehr existieren können, wandern aus in die Dritte Welt und produzieren dort unter den geringeren Umweltstandards munter weiter.
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- Wenn wir uns in der Beschreibung einig sind, können wir ja auch einmal zu den Analysen kommen.
Wenn wir bei dem Thema Umwelt und Entwicklung sehen, daß die Hauptkonfliktlinie zwischen Nord und Süd verlaufen wird und daß der Dialog ins Stocken gekommen ist, müssen wir uns überlegen, wie wir diesen Dialog neu beleben können.
Wenn wir uns ansehen, wie die Einschätzung durch die Regierung, auch durch die beiden Staatssekretäre, war, dann gibt es ja wenig Anhaltspunkte, über UNCED optimistisch zu sein. Die gegensätzlichen Interessen treten immer deutlicher hervor, und über die Verteilung der globalen Lasten besteht grundsätzliche Uneinigkeit.
Die Industrieländer haben ihr Umweltkonto längst drastisch überzogen.
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Sie fordern globale Entlastungen. Den Entwicklungsländern liegt aber mehr an Umweltprojekten, die ihre konkrete Situation verbessern, wie z. B. an der Sicherung der Trinkwasserversorgung oder an Kanalisationsprogrammen.
Hauptbetroffene von den Umweltproblemen in der Dritten Welt - das ist ein Thema, das heute überhaupt noch nicht angesprochen wurde - sind die Frauen und die Kinder. In Tansania laufen Frauen acht Stunden lang, um an Trinkwasser zu kommen. In Indien müssen sie täglich mehr als 10 km wandern, um überhaupt ihr Brennholz zu sammeln. Das heißt, Frauen sind von dieser Situation besonders betroffen.
Es gab ja auch einen Vorbereitungsgipfel der Frauen in Miami. Und es gibt auch einen Brief des Deutschen Frauenrates an den Umweltminister, Herr Dr. Laufs. In diesem Brief wird gefordert, daß die Ziele
dieser Frauenkonferenz mit einfließen sollten. Soweit mir das bekannt ist, ist dieser Brief bis heute nicht beantwortet worden. Dies ist jedenfalls meine Information von Ende Februar. Ich möchte Sie von dieser Stelle aus gern bitten, diesem Wunsch des Deutschen Frauenrates zu entsprechen und sich mit diesen Themen einmal auseinanderzusetzen.
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Wir können also festhalten: Der Umweltschutz wird zum Zankapfel widerstreitender Interessen. Von den Industrieländern wird er gefordert, weil unsere Existenz daran hängt, von den Entwicklungsländern wird er als Hemmschuh einer eigenständigen Entwicklung beargwöhnt. Sie wollen sich ökologische Zugeständnisse nur noch durch finanzielle Zusagen abhandeln lassen.
Der Erdgipfel allein wird daran nichts ändern. Trotzdem verbinden wir mit UNCED die Hoffnung, daß diese Konferenz der Einstieg in weitere globale Gespräche und Verhandlungen sein wird, die so rasch wie möglich zu völkerrechtlich verbindlichen Abkommen führen müssen.
Das Herzstück der Konferenz sollten eigentlich diese verbindlichen Konventionen zu den einzelnen Themen werden. Hier ist in der Debatte eigentlich Fehlanzeige. Die Klimakonvention kann noch an den ungelösten Fragen der CO2-Reduktion scheitern. Die Konvention über Artenvielfalt enthält so viele Streitpunkte, daß ihre Verabschiedung fraglich ist. Die Waldkonvention soll überhaupt gar nicht erst verabschiedet werden. Dabei wären völkerrechtlich verbindliche Regelungen für den weltweiten Umgang mit Wald ein Gebot der Stunde. Es reicht eben nicht aus, wenn der Kanzler fernsehgerecht auf dem Amazonas die Zerstörung des Tropenwaldes bedauert; denn auch unsere Wälder bedürfen des Schutzes, weil bei uns das Waldsterben weitergeht.
An diesem Punkt stimmen Reden und Handeln der Bundesregierung nicht überein.
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Wer sich heute morgen gegen Tempolimit, gegen Ökosteuern auf Energieverbrauch und gegen Verkehrsvermeidungskonzepte stemmte, kann dort nicht glaubwürdig den Tropenwald schützen. Dem Weltklima ist jeder Baum gleich viel wert. Der Schutz unserer Wälder wäre auch ein Beitrag zum globalen Umweltschutz.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch einen kurzen Exkurs. Wir wissen über die Situation in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sehr wenig. Mich hat ein Bericht unseres ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Vogel über die ökologischen Auswirkungen in diesen Staaten, darüber, wie es dort konkret aussieht, sehr betroffen gemacht. Diese sogenannten borealen Wälder in den Staaten der GUS sind ernsthaft bedroht. Fest steht, daß natürlich auch diese Wälder geschützt werden müssen. Dann aber sollten wir in der UNCED-Konferenz nicht nur die Gelegenheit zu einem Dialog zwischen Nord und Süd nutzen, sondern auch zu einem Dialog zwischen Ost und West.
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Ich finde es sehr bedauerlich, daß bislang praktisch nur Rußland an diesen Vorbereitungstreffen - und wenn überhaupt, dann sehr spärlich - teilgenommen hat.
Meine Damen und Herren, an den Finanzen zeigt sich die Glaubwürdigkeit. Fest scheint zu stehen, daß eine globale Umweltstiftung - egal, wie immer man sie nennt - mit rund 20 Milliarden Dollar eingerichtet werden soll. Darüber hinaus schätzt Maurice Strong die Kosten für die Realisierung von Agenda 21, die Maßnahmen für die weltweite Entwicklung im 21. Jahrhundert formuliert, auf 120 Milliarden Dollar. Die Bundesregierung hat hier noch keine konkreten Zahlen genannt. Ich frage sie: Wie hoch wird der Anteil der Bundesrepublik sein? Welche Konsequenzen wird das für unseren Haushalt haben? Wie werden sich die anderen beteiligen? - Hier und heute wäre eine Chance gewesen, einmal deutlich zu machen, wie wir uns dies vorstellen.
Noch ein Aspekt dazu: Die Weltbank hat bisher der ökologischen Ausbeutung der Dritten Welt keinen Einhalt geboten. Mich hat sehr schockiert, was Lawrence D. Summers, Chefökonom der Weltbank, der ja heute auch schon zitiert wurde, zum Thema „Umweltschutz und Dritte Welt" geäußert hat. Er hält nämlich Umweltverschmutzung in den Ländern der Dritten Welt für durchaus akzeptabel. Die Bundesregierung muß - das ist meine Forderung - endlich ihren Einfluß geltend machen, um die Praxis dieser Institution im Sinne von ökologisch verträglichen Kreditvergaben und Finanzierungszusagen zu verändern.
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Wenn wir ein Fazit der Debatte ziehen, sind wir uns einig: Wir im Norden müssen anfangen. Vor allem der Norden muß seinen Beitrag zum globalen Umweltschutz leisten, Energie sparen, den Mülltourismus einstellen und die Herstellung ozonzerstörender Stoffe beenden. Das alles muß von uns, muß vom Norden ausgehen.
Die Bundesregierung agiert nach dem Motto: Global reden, lokal nichts tun. Das lassen wir nicht weiter zu.
Vielen Dank.
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Herr Kollege Klaus Harries, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Heute nachmittag las ich von einer Beurteilung des Nord-Süd-Konfliktes. Diese Beurteilung hat mich zunächst sehr erschreckt. Aber ich halte sie nach Prüfung und Nachdenken für verkehrt. Sie stammt von Peter Grubbe, einem seriösen, einem Teil von Ihnen sicher bekannten Journalisten und Schriftsteller, der sagt, daß nach Ende des Kalten Krieges und nach Auflösung der Sowjetunion die Entwicklungsländer im Süden diejenigen seien, die den Krieg zwischen Nord und Süd endgültig verlieren würden, weil nämlich der Wettbewerb, der bisher zwischen der Sowjetunion und den westlichen Industrieländern bestanden hat, hier und dort auch zu einem Wettbewerb gegenüber den Entwicklungslän7102
dern geführt habe. Damit sei es nun zu Ende. Die Länder des Westens seien nunmehr in der Lage, die Entwicklungshilfe nicht mehr zu zahlen; sie würden sie endgültig einstellen und deswegen werde der Süden den Konflikt Nord/Süd verlieren.
Diese Meinung ist, wie ich glaube, bedenkenswert. Ich halte sie aber für verkehrt. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß die Entwicklung im Norden und die Auflösung der Sowjetunion trotz aller Schwierigkeiten die Möglichkeit bieten, jetzt zu einer Abrüstung zu kommen, zukünftig immer mehr Gelder für bessere Zwecke freizubekommen und damit die Chance zu haben, auch die Probleme zu bewältigen, über die wir hier heute abend diskutieren.
Ich bin allerdings auch der Auffassung, daß die Ewartungen an Rio nicht zu hoch gesteckt werden dürfen:
({0})
Ich habe mit Interesse vermerkt, daß Redebeiträge von Ihrer Seite sehr realistisch und, wie ich meine, korrekt von einem Einstieg sprechen.
Herr Kollege Harries, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Thea Bock?
Ja, gerne.
Bei aller differenzierten Betrachtungsweise der ganzen Problematik möchte ich Sie fragen, ob Sie die Formulierung „Krieg" hier für angemessen halten.
Frau Kollegin, Sie haben nicht genau zugehört. Vielleicht habe ich mich auch nicht ganz klar ausgedrückt. Nicht ich habe von Krieg gesprochen, sondern der von mir zitierte Schriftsteller Peter Grubbe sprach von einem Krieg zwischen Nord und Süd, der aus den dargestellten Gründen zu Lasten der südlichen Länder verlorengehe. Ich halte das nicht für richtig. Aber es ist immerhin ein interessanter Aspekt.
Das, meine Damen und Herren, was die Kollegin Ganseforth hier über die Reaktion darauf gesagt hat, daß offenbar Rio nicht bereits im ersten Anlauf den gewünschten Erfolg haben kann, halte ich nun politisch für völlig verkehrt.
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Meine Damen und Herren, wir müssen zusehen, daß alle 192 Länder zu einem Ergebnis kommen und sich in einer Konvention finden, die zumindest den Einstieg mit konkreten zeitlichen Vorgaben eröffnet. Es dürfen keine 25 Jahre wieder abzuwarten sein wie zwischen Stockholm und Rio. Das muß alles sehr viel kurzfristiger mit einer konkreten Perspektive fixiert werden.
Politisch verkehrt wäre es aber, die USA draußen zu lassen und sich auf China und Indien zu beschränken; abgesehen davon, daß diese beiden Staaten mitnichten daran denken werden, nur zu einem kleinen
Abkommen mit einigen wenigen Staaten zu kommen.
Meine Damen und Herren, die Situation Nord-Süd ist hier völlig korrekt dargestellt worden. Die südlichen Länder werden ärmer. Die Not und der Hunger werden größer. Arbeitsplätze werden nicht neu geschaffen. Die Umweltprobleme sind global. Sie sind - auch das ist gesagt worden, und ich schließe mich dem ohne Einschränkung an - weitgehend von uns verursacht worden.
Zwei Aufgaben sind also zu bewältigen: Entwicklung und globale Beseitigung der Umweltprobleme. Das sieht nach einem Gegensatz aus. Es sieht so aus, als sei es nicht möglich, auf der einen Seite zu entwickeln, die Wirtschaft weltweit zum Wachstum zu bringen, und auf der anderen Seite Umweltprobleme in den Griff zu kriegen.
Ich halte das nicht für einen Widerspruch. Die Entwicklungsländer, die Länder des Südens, haben einen Anspruch darauf, sich zu entwickeln. Sie haben einen Anspruch darauf, einen angemessenen Wohlstand zu erarbeiten. Sie müssen also auch ein Ja zu wirtschaftlichem Wachstum sagen. Dabei müssen wir helfen.
Nur wirtschaftliches Wachstum in den südlichen Ländern, in den Ländern der Not, führt dazu, daß Hunger und Elend beseitigt werden und daß eine Grundlage auch zur Beseitigung der Umweltprobleme geschaffen wird. Auf der anderen Seite sprach ich von den jetzt bestehenden globalen Umweltproblemen. Da sind wir - völlig richtig - in erster Linie gefordert, das Nötige zu tun und einzuleiten. Auch das können wir nur mit dem Wirtschaftssystem, das wir haben, das wir praktizieren.
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Es ist gut festzustellen, daß sich in der Welt das System der Marktwirtschaft durchgesetzt hat.
Nun ist es für uns schon längst bewährte Praxis, daß wir nicht nur die Marktwirtschaft, sondern auch die soziale Flankierung zum Wohle unseres Volkes praktizieren.
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Und wir sind erfolgreich dabei, eine weitere Flankierung vorzunehmen, und nicht erst seit heute abend, sondern schon seit Jahren, teilweise gemeinsam, seit den letzten zehn Jahren verstärkt und erfolgreich: Das ist die Einbindung auch der ökologischen Komponente in der Marktwirtschaft. Das muß Richtschnur und Vorbild für die Welt werden.
Daran müssen wir allerdings mit mehr Geduld arbeiten. Das, was Sie hier immer sofort fordern - aus der Rollenverteilung der Opposition heraus werden Sie das wohl müssen, aber Sie sollten da einmal über Ihren Schatten springen -, geht per Knopfdruck nicht.
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Wir brauchen sehr viel Geduld, sehr viele Diskussionen und sehr viel Abarbeitung von Problemen.
Ich sage also, daß wirtschaftliche Entwicklung die Grundlage für die Verbesserung der Situation im Süden ist und gleichzeitig einen Weg zur Beseitigung der globalen Umweltprobleme schafft. Da halte ich es für bedeutungsvoll und richtig, daß wir bereit sind, mit einem ganz anspruchsvollen Ziel, nämlich der Beseitigung von CO2-Emissionen in Höhe von 25 bis 30 % bis zum Jahr 2010, ein Beispiel zu setzen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel.
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Wir werden es aber schaffen. Wir werden es gemeinsam schaffen müssen. Das wird auch zu Opfern führen, das ist keine Frage.
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Ich wehre mich aber dagegen, daß das mit einer totalen Änderung unseres Wertesystems verbunden ist. Ich glaube, das ist nicht erforderlich. Vor allen Dingen ist es nicht verbunden und kann nicht verbunden werden mit einem Ausstieg aus dieser ökologischsozialen Marktwirtschaft.
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Sie ist das einzige System, das und davon bin ich überzeugt - in der Lage ist, ohne Kartelle, Herr Hauchler, ohne irgendwelche Welt-Verteidigungssysteme die Probleme zu lösen.
Herr Kollege Harries, seit 40 Sekunden blinkt das rote Licht, und das zeigt, daß Sie schon 40 Sekunden über Ihrer Redezeit sind.
Ich wollte noch einen zündenden Schlußsatz sagen: Wir sind uns im wesentlichen einig.
Ich bedanke mich sehr.
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Meine Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Satz spreche, möchte ich eine Bitte äußern. Nach diesem so mein Eindruck - sehr solidarischen Verlauf der Debatte bitte ich Sie noch um drei Minuten Solidarität; dann können wir die Tagesordnung korrekt abwickeln. - Der nächste Satz heißt: Ich schließe die Aussprache.
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Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Der Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2298 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Auch dies ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Weiermann, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Betriebsbeauftragte für Umweltschutz - Drucksache 12/1085 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({1})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Dafür sind die Redebeiträge - die Debatte sollte eine halbe Stunde dauern - interfraktionell zu Protokoll gegeben worden. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. * )
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage auf Drucksache 12/1085 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 20. März 1992, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.