Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/13/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde Konzeption der Bundesregierung zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Werftindustrie und ihren Zulieferindustrien im Land Mecklenburg-Vorpommern Die Gruppe PDS/Linke Liste hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal steht eine Problematik auf der Tagesordnung, wie sie sich an vielen Standorten im Osten Deutschlands vollzogen hat und leider immer noch vollzieht. Standorte der Industrie, die wie im konkreten Fall der Werften immense regionale Bedeutung haben, werden auf dem Wege der Privatisierung zerstückelt, konzeptionslos an neue Eigentümer übereignet und wie immer: ohne die Probleme der Region wirklich ausreichend in Betracht zu ziehen. Nun ist gerade Mecklenburg-Vorpommern im hohen Maße vom Schiffbau abhängig. Landwirtschaft und Werften waren die wirtschaftlichen Säulen dieser Region. Beide leben auch im Westen nicht ohne Subventionen. Gerade deshalb ist es mehr als nur ein Gebot der Vernunft, solche Regionen mit Entwicklungskonzeptionen und staatlicher Hilfe zu begleiten. Doch genau das stößt auf härtesten Protest. Man wird nicht müde, die Planwirtschaft der Ex-DDR als abschreckendes Beispiel zu bemühen. ({0}) Ich kann Ihnen versichern: Auch wir und ich im besonderen wollen alles andere als die Planwirtschaft. Ich habe sie selbst erlebt, und ich kann sicher darüber reden. Jährliche Produktionssteigerungen ohne Produktionsmittel und ohne wesentlichen persönlichen Anreiz und Gleichmacherei statt Leistungsbewertung führten eben nicht zu effektiven Strukturen, die für den Weltmarkt gerüstet sind. Gerade deshalb müßte es aber politische Pflicht sein, diesen Übergang in die Marktwirtschaft in solchen Bahnen zu vollziehen, die bestmögliche Chancen für die Industrie und damit die Menschen im Osten bieten. Dazu zählen nach unserer Meinung auch staatlich gestützte und geförderte Holdings, an denen sich Bund und Länder neben der Treuhand beteiligen, und wenn es für eine Übergangszeit auf dem Weg in die endgültige Privatisierung und den harten Wettbewerb auf dem Weltmarkt ist. Im Falle der Werften gab es vom Vorstand der DMS sogar schon konkrete Vorstellungen, wie im Verbund aus eigener Kraft und mit entsprechender Beteiligung eine leistungsfähige maritime Industrie entstehen könnte, die sich auch selbständig am fernöstlich diktierten Markt der Schiffsindustrie bewegen wollte. Doch dazu fehlte der klare Sanierungsauftrag an die Treuhand. Solange Privatisierung sofort und ohne Konzept als die beste Form der Sanierung angesehen wird, wird sich daran auch wenig ändern. Es wird immer unverständlicher, wie man angesichts der dramatischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt stur an der bisherigen Wirtschaftspolitik hängt, die in meinen Augen einen solchen Titel nicht mehr verdient. An der Ostseeküste und im Binnenland Mecklenburg-Vorpommerns hatten einst rund 50 000 Menschen mit und um die Schiffstechnik ihre Arbeit. Die jetzt vorgestellte Lösung, die weder der CDU noch der F.D.P. weh tun soll, sieht noch ganze 14 500 Arbeitsplätze vor. Dabei ist es den Werftarbeitern zu verdanken, daß dieses Thema überhaupt ins Gespräch gekommen ist und nicht wie so vieles in unseren Ländern einfach verschwindet. Auch von der IG Metall waren klare Aussagen zu hören, nicht ohne Grund, wie ich meine. Das Wegbrechen der Schiffsindustrie bedeutet Deindustrialisierung einer ganzen Region. Abgewickelte, Vorruheständler sowie Langzeitarbeitslose stellen auch kein Potential für gewerkschaftliche Aktivitäten dar. Wie in anderen Regionen wandern die besten Fachkräfte aus. Ein Mittelstand ohne große Industrie hat sich noch nirgends selbständig entwickelt. Das Konzept der DMS AG sah auch die Entwicklung des Mittelstandes vor und sollte damit auch einen gewissen Ausgleich für den Arbeitsmarkt Mecklenburg-Vorpommerns bringen, der durch die Landwirtschaft ohnehin unter starken Druck geraten ist. Dr. Fritz Schumann ({1}) Da auch die EG-Kommission schon im November 1990 gegenüber dem damaligen deutschen Bundeswirtschaftsminister signalisiert hatte, daß für eine Lösung der Probleme der Werftindustrie Ostdeutschlands auch weitreichende Lösungen mit Unterstützung der EG denkbar seien, ist es um so unverständlicher, daß darauf nicht reagiert wurde. Es ist für viele Menschen nicht mehr hinnehmbar, wenn an ihren sozialen Problemen vorbei im kleinlichen Parteiengezänk und auch erst nach Beginn der Arbeitskampfmaßnahmen reagiert wird. Es wird ihnen schwer zu erklären sein, wenn sie erfahren, daß für eine außerordentliche Hilfe durch die EG ein Entwicklungskonzept verlangt wurde, das weder die Landesregierung noch die Bundesregierung vorlegen will. Nur mit einer Stimme Mehrheit wurde in Schwerin ein Antrag der SPD auf Verbundlösung abgelehnt und die Lösung der Treuhand favorisiert. Noch hat der Aufsichtsrat der Treuhand der vorgeschlagenen Lösung nicht zugestimmt, und auch die potentiellen Käufer prüfen erst einmal die Vorschläge. Wie lange wollen die verantwortlichen Politiker der Regierungskoalition einem solchen unwürdigen Spiel eigentlich noch zusehen? Wann werden endlich Entwicklungskonzepte für die fünf neuen Länder gemacht? Danke. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Rainer Haungs das Wort. - Jetzt habe ich wieder eine Promotion vorgenommen; Entschuldigung. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Rainer Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist ja sehr angenehm, wenn man schon am frühen Morgen zum Doktor ernannt wird. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wort „Marktwirtschaft" ging Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, zwar über die Lippen, aber ich habe den Eindruck, daß Sie über Strukturen und Formen der Marktwirtschaft, darüber, wie dies funktioniert und wie dies funktionieren kann, noch nicht so ganz genau Bescheid wissen. ({0}) Ja, wenn Sie mir die Chance geben, das in fünf Minuten vorzutragen, dann werden sicher auch die Kollegen der SPD-Fraktion davon profitieren. ({1}) Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß Mecklenburg-Vorpommern die höchste Arbeitslosenrate in der Bundesrepublik hat, aber - es wurden vorhin die Konzeptionen in der EG erwähnt - in der ganzen Europäischen Gemeinschaft gibt es in der Werftindustrie Probleme, und die Arbeitsplätze sind nicht nur an der Ostsee gefährdet. ({2}) Deshalb sage ich einleitend aus vollem Herzen, daß ich viel Verständnis für die Sorgen und für die Demonstrationen habe, und ich sehe die Demonstrationen auch nicht als störend an. ({3}) Demonstrationen können auch dazu beitragen, zu Lösungen zu führen. Ich sage das nur deshalb, weil ich dazu solch einen Unterton gehört habe. ({4}) Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Treuhand zur Zweiteilung der mecklenburgischen Werften enttäuschte - dafür habe ich Verständnis - viele Arbeitnehmer und die Gewerkschaften, und sie wird von der SPD, von Ihnen, kritisiert - zu Unrecht, wie ich meine, weil es ein Irrweg wäre, mit Beteiligung der Treuhand ein Staatsunternehmen entstehen zu lassen. ({5}) Sie lesen die Zeitung genauso wie ich. Zu Recht kritisiert die „FAZ" vom 12. März 1992 Ihr sozialdemokratisches Wirtschaftsverständnis, wenn sie schreibt: Nach wie vor ist dieser Partei das große, vom Staat betreute Wirtschaftskombinat die liebste Unternehmensform, weil sie die besten Einflußmöglichkeiten bietet. ({6}) Das heißt, die Chancen, sich seine Produkte vom Steuerzahler finanzieren zu lassen, sind größer, als der Druck, das Geld vom Kunden zu holen. Die Kernfrage, die sich heute für die Region stellt, ist die Suche nach einem schlüssigen Konzept - darüber werden wir uns wohl einig sein - für die Weiterentwicklung der Werftindustrie an der Ostsee, einem zugegebenermaßen schwierigen Standort. Wir brauchen Geld. Aber es ist sehr fantasielos, nur Geld zu fordern. Wir brauchen mehr als Geld, nämlich unternehmerische Visionen für Produkte und Arbeitsplätze, die in der Zukunft gefragt sind, weil Mecklenburg-Vorpommern zweifellos nicht nur von der Landwirtschaft, den Handwerkern und dem Fremdenverkehr leben kann. Der Staat allerdings hierin werden wir uns wohl unterscheiden - wäre hoffnungslos überfordert, wollte er industrielle Führung in Unternehmen ausüben. Wir haben ja genug negative Erfahrungen mit Geldverschwendungen in Millionen- und Milliardenhöhe in der Vergangenheit gesammelt. Die jetzige kleine Lösung kann ein Schritt in diese Richtung sein. Billig ist sie nicht, ({7}) weil der Staat für Altlasten, Altkredite und für Investitionen mehr als 3 Milliarden DM beisteuern muß. Es ist ja nicht die Rede davon, Herr Kollege, daß der Staat hier nicht hilft, Arbeitsplätzen eine Zukunft zu geben. 3 Milliarden DM sind auch bei unseren finanziellen Anspannungen, die wir Dank der „erfolgreichen" Wirtschaftspolitik der Kommunisten haben, ein ganz schöner Beitrag. In der Zukunft wird in den neuen Bundesländern und gerade in Mecklenburg-Vorpommern die regionale Strukturpolitik gefragt sein. Sie hat in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Beachtliches geleistet. Es darf allerdings keine falschverstandene Industriepolitik sein, die alte Strukturen konserviert. Wir können das Geld nur einmal ausgeben. Eine nur besitzstandswahrende Politik ist vielleicht Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, keineswegs aber zukunftsweisende Wirtschaftspolitik. ({8}) - Wenn ich mehr als fünf Minuten Redezeit hätte - ich habe ja nur noch eine Minute -, könnte ich Ihnen reihenweise Beispiele nennen. Es gibt glücklicherweise auch viele erfolgreiche Beispiele, wie in der Sozialen Marktwirtschaft der Strukturwandel bewältigt wurde. ({9}) Arme Agrarstaaten ohne nennenswerte Bodenschätze entwickeln sich zu zukunftsreichen Standorten. Aber ich sage Ihnen auch: Manche Branche, die Tausende Arbeiter und Angestellte beschäftigte, hat sich nach Jahren und Jahrzehnten des Aufstiegs auch schnell wieder im Abstieg und in der Neuorientierung gefunden. Die absolute Sicherheit des Arbeitsplatzes kann es in einer weltoffenen Wettbewerbswirtschaft nicht geben. Beispiele aus Baden-Württemberg - aus der Uhren-, Textilindustrie und der Unterhaltungselektronik - gibt es zuhauf. Als Wirtschaftspolitiker, liebe Kolleginnen und Kollegen, der sich mit Verkehrspolitik beschäftigt, sage ich Ihnen aber auch: Entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft der neuen Bundesländer, insbesondere von Mecklenburg-Vorpommern in seiner deutschen Randlage, ist der schnelle Ausbau der Infrastruktur, vor allem der Ausbau des Eisenbahn- und Straßennetzes. ({10}) Es ist mir unverständlich und gegen die Interessen der Menschen in den neuen Bundesländern gerichtet, wenn die Opposition die Beschleunigung des Verkehrswegebaus verhindern oder behindern will. ({11}) Hier wäre die richtige Möglichkeit gewesen, Verkehrsminister Krause zu unterstützen. ({12}) Es ist die Erfahrung aller Strukturpolitiker, daß sie ohne

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Haungs, Ihre Redezeit ist beendet.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Verkehrswege keine zukunftsreiche Arbeitsmarktpolitik machen können. Daß Sie sich dagegen wehren, zeigt, daß Sie aus der Vergangenheit nicht gelernt haben, ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich bitte Sie, in der Aktuellen Stunde besonders streng auf die beiden Lichter zu achten, vor allem an einem Freitagvormittag, sonst kommen wir wirklich ins Rutschen. Als nächster erteile ich der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga das Wort.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema dieser Aktuellen Stunde beschäftigt sich mit dem Schicksal der Werften in Mecklenburg-Vorpommern. Aber es geht um mehr. Hier geht es auf exemplarische Weise um die Sicherung von Industriestandorten im Osten Deutschlands und um die Rolle, die die Treuhand dabei spielt. Am Dienstag dieser Woche wurde die Entscheidung der Treuhand angekündigt, die Hanse-Schiff- und Maschinenbau-GmbH auseinanderzudividieren und in einer sogenannten kleinen Verbundlösung zu privatisieren. Dies wird von Treuhandvertretern, von der Bundesregierung und der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns als optimale Lösung angepriesen. Bei näherem Hinsehen ist diese Lösung Flickschusterei. Damit wird das industriepolitische Schwerpunktproblem Mecklenburg-Vorpommerns nicht gelöst. Im Gegenteil: Für viele Arbeitnehmer in Rostock, Stralsund, Boizenburg und anderswo ist die Zukunft unsicherer als zuvor geworden. ({0}) Die von der Treuhandanstalt angeführte Begründung, dies sei die Lösung, die ein Maximum an Arbeitsplätzen in der Region sichert, erscheint mir angesichts der absehbaren Folgen als reichlich schöngefärbt. ({1}) Nach allem, was bisher aus neutralen Gutachten bekannt geworden ist, wäre es das vom DMS-Vorstand im August 1991 vorgelegte, von den zuständigen Gremien der Treuhandanstalt gebilligte Sanierungskonzept gewesen, das im Rahmen der von der DMS nahegelegten großen Verbundlösung die meisten Arbeitsplätze sichert. Bei der jetzigen Strukturkrise in Mecklenburg-Vorpommern ist die Lösung, die bei gleichzeitiger Sanierung der Unternehmen die meisten Arbeitsplätze sichert, auch die wirtschaftlichste. Hier liegt seit Monaten ein von erfahrenen westlichen Managern erarbeitetes tragfähiges Sanierungskonzept vor. Die Treuhandanstalt hat jetzt erst dagegen entschieden. Es sieht so aus, als wäre sie nicht in erster Linie von industriepolitischen Gesichtspunkten ausgegangen. Hier wurde eine politische Grundsatzentscheidung getroffen. ({2}) In der Presseerklärung der Treuhandanstalt vom 10. März wird die Katze aus dem Sack gelassen; denn dort heißt es wörtlich, daß durch diese Lösung „das Vorhandensein einer Schiffbaukapazität mit hoher staatlicher Unterstützung vermieden wurde". Andererseits läßt sich die Treuhand den Verkauf der geteilten DMS-Unternehrnen auch einiges an staatlicher Unterstützung kosten. Schätzungen für die aufzubringenden Summen für Entschuldung, Investitionszusagen, Altlastensanierung und sonstige Zusagen, insbesondere an den norwegischen Kaufinteressenten Kvaerner, liegen beispielsweise zwischen drei und vier Milliarden DM, die aus öffentlichen Mitteln aufzubringen sind. Da muß doch die Frage erlaubt sein, ({3}) ob diese Beihilfen nicht sinnvoller für die im DMS-Konzept nahegelegte große Verbundlösung einzusetzen wären, um die Unternehmen nach erfolgter Sanierung zu privatisieren. Der wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Nutzen einer solchen Lösung muß in der augenblicklichen Situation schwerer wiegen als angenommene wettbewerbspolitische Nachteile. ({4}) Noch ist Zeit, die vernünftigere Lösung vorzuziehen. Noch hat die Treuhand nicht endgültig votiert. Hier aber steht die Treuhandpolitik insgesamt auf dem Prüfstand. Kann die Treuhand machen, was sie will? Wie wirkt die Bundesregierung auf ihre Entscheidung ein, und wem nutzt die jetzt getroffene Entscheidung? Nutzt sie den Arbeitnehmern und der Region, oder werden hier Interessenkonflikte auf dem Rücken von Arbeitnehmern und Region ausgetragen? ({5}) Schiffs- und Motorenbauer aus ganz Mecklenburg-Vorpommern haben in den vergangenen Wochen auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Sie haben die Würde und den Anspruch von Menschen repräsentiert, die es ganz einfach satt sind, zum Versuchskaninchen industriepolitischer Spielchen gemacht zu werden. ({6}) Man kann sich keinen schlimmeren Kontrast denken als die dazu parallel ablaufenden machtpolitischen Zerrereien um die Werftenlösung in der Schweriner Koalition, wobei auch die Bundesregierung kräftig mitgemischt hat. Das alles war nichts anderes als eine Abfolge von peinlichen Luftnummern, bei denen die Herren vor allem mit sich selbst beschäftigt waren. ({7}) Noch darf das letzte Wort nicht gesprochen sein. Ich fordere Bundesregierung, Treuhandanstalt und Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf, den Kernbereich des ostdeutschen Schiffbaus als Einheit zu erhalten und die unter dem Dach der DMS zusammengefaßten Unternehmen zu sanieren und erst dann zu privatisieren. Die Arbeitnehmer in Mecklenburg-Vorpommern müssen ihre faire Chance erhalten, die ihnen zusteht. Denn nichts anderes fordern sie. „Arbeit für Mecklenburg-Vorpommern - hier leben und hier arbeiten" war ihre Willensbekundung, und dies hat viel gemeinsam mit der Haltung entschlossener DDR-Bürger im Jahre 1989: Wir bleiben hier. Die Bundesregierung steht bei diesen Menschen im Wort, denn sie gab ihnen das Versprechen: Bleibt in eurer Heimat, bleibt dort, es lohnt sich, der Aufschwung wird kommen, keinem wird es schlechter gehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber: Wenn die Menschen in der Region bleiben sollen, dann brauchen sie eine klare verläßliche Perspektive. Statt dessen kommt jetzt ein Einbruch nach dem anderen, ein Wortbruch nach dem anderen,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist beendet.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- eine galoppierende Entwicklung der Arbeitslosigkeit.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Beendet!

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch am Montag dieser Woche - ich bin gleich fertig! - wurde der Bundeskanzler so zitiert, er wolle tun, was er könne, damit die Region nicht auf den Hund kommt. Wir werden sehr genau hinsehen, ob er sein Wort hält oder ob er es auch diesmal wieder brechen will. Danke schön. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, so geht es nicht. Wenn der Präsident sagt, die Redezeit sei beendet, haben Sie noch einen letzten Satz. Sie können dann nicht einfach so weiterreden, als hätte ich nichts gesagt. Wenn das jeder machte, brauchten wir keine Vereinbarungen mehr zu treffen, wie die Debatte aufgeteilt wird. Ich bitte Sie wirklich herzlich. Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Uwe Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Werften an der Ostseeküste ist eine Lösung gefunden worden, eine Lösung, von der die F.D.P. sagt - da gebe ich meiner Vorrednerin recht -, daß sie unter den gegebenen Umständen nicht die optimale Lösung ist. Denn das wäre das Einzelprivatisierungsmodell des Landwirtschaftsministers Conrad-Michael Lehment gewesen. ({0}) Leider war das nicht durchzusetzen, nicht zuletzt deswegen, weil vor allem durch den Auftritt des CDU-Landesvorsitzenden und Bundesverkehrsministers Günther Krause vor den streikenden Werftarbeitern der letzte Rest Sachlichkeit in der Werftendiskussion verlorengegangen ist. ({1}) Das gipfelte in der Aufforderung an Wirtschaftsminister Lehment, seinen Hut zu nehmen. Herr Krause, das muß man bemerken, hat sich dafür mittlerweile entschuldigt. Die F.D.P. nimmt das zur Kenntnis. Aber ich sage deutlich: So läßt die F.D.P. nicht mit sich umspringen. Ein solches Verhalten war unfair und stillos. Geblieben ist zerschlagenes Porzellan. Die sogenannte große Verbundlösung ist geplatzt wie ein Luftballon. Das ist kein Wunder, denn weder wollten die Unternehmen mitspielen ({2}) noch die EG, weder die Bundesregierung noch die Landesregierung oder die Treuhand. Hier muß Kritik angemeldet werden: Die Treuhand hat sich mit ihrer Entscheidung in meinen Augen viel zu viel Zeit gelassen. Das Verwerfliche ist, daß bei den Werftarbeitern unerfüllbare Erwartungen geweckt wurden. ({3}) Ich hoffe nur, daß das wahre Motiv von Herrn Krause nicht eine heimliche Sehnsucht nach Wiederherstellung der alten VVB Schiffbau gewesen ist. ({4}) - Dann müßten Sie sich einmal ein bißchen mit Ökonomie der ehemaligen DDR beschäftigen. Der Konsens, der nun mühsam erarbeitet worden ist und der viele Väter hat, ist keine große Verbundlösung. Es ist eine verbundene Lösung, mit der wieder Hoffnung nach Mecklenburg -Vorpommern gebracht worden ist, in eine Region, die wie kaum eine andere in Deutschland monostrukturiert ist. Die Werftarbeiter haben große Sorgen, und glauben Sie: Die F.D.P. nimmt diese Sorgen sehr ernst. ({5}) - Das dürfen Sie glauben. Aber, meine Damen und Herren, mit populistischem Gerede ist bisher noch nie ein Problem gelöst worden, mit düsteren Weltuntergangsszenarien, wie sie die Gewerkschaften in Mecklenburg-Vorpommern an die Wand malen, auch nicht. Die IG-Metall hat offensichtlich vor allem ihre Organisationsinteressen im Auge. Da verliert man schnell einmal den Blick für pragmatische Lösungen. ({6}) Das, was jetzt gefunden worden ist, ist eine pragmatische Lösung. Sie versetzt die Werften an der deutschen Ostseeküste in die Lage, sich zu spezialisieren und ihren Platz im großen internationalen Geschäft des Schiffbaus zu erobern, was ohnehin noch schwer genug sein wird. Sicherung einer größtmöglichen Zahl von Arbeitsplätzen ist damit gegeben, und sie verhindert den Marsch in die Staatsholding. Die Staatsholding ist nichts anderes als ein staatlich geschützter Überlebensraum für die alte DDR-Planwirtschaft, ein Faß ohne Boden in einer wettbewerbsfreien Zone. ({7}) Dazu sage ich Ihnen ein klares Nein der F.D.P. Meine Damen und Herren, der Kompromiß für die Werften an der Ostseeküste ist mühsam zustande gekommen. Aber er steht, und er wird von der F.D.P. getragen. Die Koalition in Schwerin hat die Turbulenzen überstanden und alle Versuche von außen, Unfrieden in ihre Reihen zu tragen, erfolgreich abgewehrt. Vernunft und Sachlichkeit haben sich am Ende gegen parteitaktische Winkelzüge durchgesetzt. Es muß jetzt darauf ankommen, die Diskussion wieder zu versachlichen und bei den Werftarbeitern das Verständnis zu wecken, daß die gefundene Lösung die langfristig beste ist. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, auf der Tribüne hat die Präsidentin der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums Luxemburg, Frau Erna Hennicot-Schoepges, Platz genommen. ({0}) Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie, Frau Präsidentin, sehr herzlich in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Besuch unterstreicht die guten und besonders engen Beziehungen, die zwischen unseren Ländern und Parlamenten bestehen. Als unmittelbare Nachbarn in Europa, durch gemeinsame Geschichte aufs engste miteinander verzahnt und in den letzten vier Jahrzehnten vor allem als langjährige Partner in der EG, fühlen sich unsere Völker ganz besonders miteinander verbunden. Wir freuen uns, daß Ihr Besuch es uns ermöglicht, die vertrauensvolle und ausgesprochen freundschaftliche Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Ich bin sicher, daß Sie bereits zahlreiche fruchtbare Gespräche führen konnten, und wünsche Ihnen, daß Sie, bevor Sie heute mittag die Rückreise antreten, noch weitere interessante und erfolgreiche Begegnungen haben werden. Ich erteile als nächstem dem Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie ich den Acht-Uhr-Nachrichten entnehmen konnte, ist der Ministerpräsident von MecklenburgVorpommern, Herr Gomolka, zurückgetreten. Im Herbst gibt es Neuwahlen in Mecklenburg-Vorpommern. So wollte ich meine Rede heute eigentlich beginnen; sie wäre die einzig angemessene Antwort auf die Situation, die hier in Mecklenburg-Vorpommern eingetreten ist. ({0}) Wenn Herr Ihde, den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses im Schweriner Landtag, die Prinzipien liberaler Wirtschaftspolitik darstellt, bedient er sich manchmal eines eindrucksvollen Vergleiches. Nach Ihdes Meinung stellt er sich sinngemäß eine liberale Regierung so vor: Man sitzt in einem prächtigen Sessel, um einen herum Töpfe mit Geld, vor einem ein roter Teppich, und dann wartet man da auf einen Investor. Dann kommt einer, guckt herein, findet einen Topf oder findet keinen, und dann wartet man wieder. Das ist liberale Wirtschaftspolitik, so Herr Ihde. Ich weiß nicht, wer in der F. D. P. sein Lehrer war; aber er hat ganze Arbeit geleistet. Ein Ergebnis dieser Abwartepolitik und des abgöttischen Glaubens an die selbstheilenden Kräfte des Marktes ist es, daß es zu so einer katastrophalen Lage der Arbeiter in der Werftindustrie im neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gekommen ist. Bereits seit fast zwei Jahren suchen die Arbeitnehmer dieses nahezu einzigen Industriezweiges des nordöstlichen Bundeslandes nach einer akzeptablen Lösung für den Fortbestand ihres eigenen Berufsstandes. Sie haben sich längst damit abgefunden, daß nicht mehr alle einen Arbeitsplatz im Schiffbau finden werden. Sie haben es mit ehrlichem Herzen versucht. Doch nichts hat sich getan. Die Landesregierung blieb stumm. Der Ministerpräsident selbst gar meinte noch im vergangenen Herbst, daß er sich aus der Vorstandsarbeit in Sachen Werftzukunft entlassen könne, denn es laufe ja alles - angesichts der heutigen Situation eine wahrlich respektable Fehleinschätzung. Manch einer in der Schweriner Landesregierung wirft nun den Arbeitnehmern an der Ostseeküste Ungeduld vor. Aber haben die Arbeiter nach 400 Tagen geduldigen Wartens auf eine ernsthafte Reaktion aus Schwerin, aus dem Treuhand-Berlin oder gar aus Bonn nicht ein Recht auf Ungeduld? Ich denke schon, und es stimmt mich dabei wohl, daß sich die Arbeiter des sonst so ruhigen Nordens einer Parole aus dem Herbst 1989 wieder erinnert haben, die heißt: Wir sind das Volk. Manch einer meinte ja, daß dieser Satz keinen mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Aber ich habe selbst bei meinen christdemokratischen Kollegen herausgehört, daß so ein Satz und so eine Aktion durchaus auch wieder eine Regierung in Bewegung bringen können. Aber warum erst jetzt? ({1}) Ich bezweifle nicht, daß die Sanierung der Werften in den neuen Ländern für jede Regierung ein echtes Problem gewesen wäre, aber ich glaube, daß gerade diese Regierung sehr fahrlässig und gleichgültig auf den Untergang eines Wirtschaftszweiges gewartet hat. Wenngleich ich den Auftritt von Dr. Krause vor den Wismarer Werftarbeitern für ein bißchen populistisch halte vielleicht wollte er auch nur seinen dortigen Ministerpräsidenten etwas ärgern -, ({2}) glaube ich aber, daß die Verbundlösung, Herr Krause, die Sie dort den Werftarbeitern direkt vom Mund ablesen konnten, genau die richtige Lösung ist, die die einzige Chance bietet, dort etwas in Gang zu setzen. ({3}) Diese Lösung war aber offensichtlich ohne die F. D. P. gemacht, und so begann vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit einer der politischen Streits, die seit Jahren die Glaubwürdigkeit der Politiker in der Bundesrepublik so negativ beeinträchtigen. Von mir aus sollen sich die Koalitionspartner in MecklenburgVorpommern untereinander verhauen, Schwarz-Gelb schlägt sich, Schwarz-Gelb verträgt sich! Doch dieser Streit wird leider, wie so oft, auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen, und davon haben die Menschen im Osten die Nase endgültig voll. Betriebsbesetzungen - bitte nicht, wie in manchen Zeitungen steht, Streiks -, bei denen weitergearbeitet wird, Unterschriftensammlungen für einen Rücktritt der Regierung und Machtkämpfe in den Reihen der Regierungsparteien sind der Sturm, den ideologisch verblendete Koalitionspolitiker selbst als Wind gesät haben. ({4}) Die von der Treuhand vorgestellte politisch begründete Lösung ist nicht akzeptabel. Sie muß zugunsten einer nicht nur auf den Erhalt der mageren Koalitionsregierung in Schwerin gerichteten wirklichen Gesamtlösung widerrufen werden. Wir fordern die Landesregierung auf, die Forderung der IG Metall nach einem Werftenverbund Vulkan/DMS-Werften zu erfüllen. Unter den schwierigen Bedingungen der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern ist für den verbleibenden Bestand an Werftarbeitern eine Beschäftigungsgarantie bis Ende 1995 minimal. Wenn Sie weiterhin nicht auf die Worte der Werftar, beiter in Mecklenburg-Vorpommern achten wollen, dann sage ich Ihnen voraus, daß Herr Dr. Krause der nächste Oppositionsführer im mecklenburg-vorpommerschen Landtag werden wird. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann. ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auslangslage der ostdeutschen Werftindustrie ist katastrophal. Das Erbe des zentral geleiteten staatlichen Werftunternehmens lastet schwer auf ihr. Im internationalen Vergleich sind die Anlagen völlig unrentabel. Bei der derzeitigen Beschaffenheit der einzelnen Betriebe hätte kein einziger Standort eine Überlebenschance. Vor diesem Hintergrund sind die Sorgen der betroffenen Werftarbeiter vollauf verständlich. Notwendig sind jetzt zwei Dinge: exzellentes Management für jeden einzelnen Standort und viel Geld. Das Management ist für die Mehrzahl der Standorte gefunden. Die Warnow-Werft, die Neptun-Werft, die Matthias-Thesen-Werft, die Peene-Werft und das Dieselmotorenwerk DMR werden voraussichtlich in Kürze von kompetenten Eigentümern übernommen. Leider können noch nicht alle Standorte in neue Obhut gegeben werden. Ich hoffe, daß dies bald der Fall sein wird. Auch das notwendige Geld wird die Treuhandanstalt mit Zustimmung der Bundesregierung bereitstellen. Es handelt sich um Beträge, wie sie bisher für Sanierungen kaum jemals aufgewendet wurden. Aber sie sind notwendig; denn Mecklenburg-Vorpommern soll nicht seine industrielle Basis verlieren. Jetzt müssen die neu eintretenden Unternehmen schnell ihre Verantwortung übernehmen und tätig werden können. Jeder Tag Verzögerung verschlechtert die Situation zusätzlich. Deshalb muß im Interesse der Standorte und der Werftarbeitsplätze der unfruchtbare Streit um denkbare andere Lösungen beendet werden. Wer glaubte, das Erbe des staatlich zentral geleiteten Verbundbetriebes DMS könne durch einen neuen zentral geleiteten, staatlich beeinflußten Verbund überwunden werden, hat aus der Vergangenheit nicht das Richtige gelernt. Zudem hatte der Versuch, einen Verbund von Staat und mehreren Unternehmen zu bilden, ohnehin keine Chance. Dynamische Unternehmer wollen gestalten und Verantwortung tragen, nicht aber in einem breit angelegten Verbund vieler ohne klare Entscheidungs- und Verantwortungsstruktur mitwirken. Deshalb war die eindeutige Absage der Unternehmer vorprogrammiert, die auch erfolgt ist. Ebenso war es unmöglich, für dieses Konzept die Zustimmung der Europäischen Gemeinschaft zu erlangen, wie diese auch klar mitgeteilt hat. Verbindliche Entscheidungen der Treuhandanstalt werden nun am 17. März getroffen. Es sprechen viele gute Gründe für diesen Kompromiß. Alle Standorte, für die Angebote abgegeben worden sind, werden privatisiert. Das Land gewinnt zwei große Unternehmen als Investor, davon ein besonderes erfolgreiches ausländisches Unternehmen, das im Schiffbau sogar Gewinne erwirtschaftet und viele andere Aktivitäten hat. Die Abhängigkeit des Landes von der zukünftigen Entwicklung der Investoren ist damit weitaus geringer, als wenn sich nur ein Unternehmen an allen drei Standorten engagieren würde. Die Gefahr, daß sich die Unternehmer durch die Umstrukturierung bei den Managementaufgaben überfordern, wird durch die Aufteilung ebenfalls gemindert. Die Übertragung der beiden Werften auf zwei Bewerber ist sowohl aus nationaler als auch aus EG-Sicht und auch wettbewerbspolitisch einer Gesamtveräußerung vorzuziehen. Die Vermeidung des Entstehens eines Großunternehmens in Verbindung mit der Internationalisierung wird deshalb bessere Voraussetzungen für die Genehmigung bei der EG-Kommission und die Behandlung im Ministerrat der EG schaffen. Die Option für neue Investitionen im Schiffbaubereich an einem anderen Standort in Mecklenburg-Vorpommern bleibt bei dieser Lösung offen, während sie bei einer Gesamtveräußerung entfallen wäre. Jetzt sind schnelle unternehmerische Entscheidungen für alle drei betroffenen Standorte möglich. Nur so kann die Unsicherheit für die Arbeitnehmer endlich beendet werden. Je dynamischer die Werften nach einer Privatisierung betrieben werden, um so größer ist auch die Chance, daß sich die Zulieferbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern und an anderen Standorten günstig weiterentwickeln. Eine Einheitslösung in Form einer Zusammenfassung von Zulieferfirmen und Werftunternehmen wäre der Versuch gewesen, die Entwicklung wieder auf den alten unbefriedigenden Stand zurückzudrehen. Wir dürfen nicht vergessen, daß eine Restrukturierung der ostdeutschen Werften nur in Abstimmung mit der EG möglich ist. Alle Hilfen für die Werften in den neuen Ländern bedürfen der Genehmigung der EG-Kommission und setzen zudem - das ist wirklich sehr wichtig und bitte ich Sie nicht zu unterschätzen - die Entscheidung des EG-Ministerrats für eine Ausnahmegenehmigung zugunsten des ostdeutschen Schiffbaus voraus. Es wird deshalb noch intensiver weiterer Verhandlungen bedürfen, bis alles unter Dach und Fach ist. Die Kommission hat bereits förmlich auf den Grundsatz hingewiesen, daß sie einen Zusammenhang zwischen Höhe und Intensität der beantragten Hilfen und dem Ausmaß der geplanten Kapazitätsreduzierung sieht. Sie wird höhere Kapazitätsreduzierungen verlangen. Ich stehe im Kontakt mit dem zuständigen Kommissar und werde, sobald die Konturen der neuen Konzeption verläßlich sind, auf beschleunigte Entscheidungen drängen. Die Umstrukturierung wird nicht ohne weitere Arbeitsplatzverluste abgehen. Zudem müssen wir vermeiden, daß an der ostdeutschen Küste eine Monostruktur entsteht. Es müssen dort also auch neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze außerhalb der Werftindustrie geschaffen werden. Deshalb setze ich mich für die Schaffung eines Küstenstandorteprogramms ein. Dazu sollte das Land ein Strukturprogramm entwickeln, mit dem die Kräfte gebündelt und stärker als bisher auf die am schwersten betroffenen Küstenstandorte konzentriert und miteinander verzahnt werden. ich strebe eine weitere Aufstockung der Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" 1992 an. Von den angestrebten 2 Milliarden DM Mehraufwand würden auf Mecklenburg-Vorpommern rund 240 Millionen DM entfallen. Es geht dabei insbesondere um Maßnahmen in folgenden Bereichen: Existenzgründungs- und Mittelstandsförderung, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Qualifizierung, Städtebauförderung, Förderung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur, Ausbau der kommunalen Infrastruktur mit Hilfe des Kommunalkreditprogramms, Beschleunigung der Planung, Genehmigung und Durchführung von Maßnahmen zur überregionalen Verkehrsanbindung. Ich habe zum Schluß eine Bitte an die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion. Es wird nicht leicht sein - ich sagte das gerade -, auch für dieses Konzept die Zustimmung der EG zu bekommen. Das hängt damit zusammen, daß wir weltweit und auch in Europa nicht gerade ein Unterangebot an Werften haben. Meine Bitte an Sie ist, eines nicht zu tun: Wir dürfen hier nicht, wie die Kollegin, die hier soeben gesprochen hat, es tat, zum Ausdruck bringen, man müsse eigentlich alles erhalten, wie es ist. ({0}) - Ja, das war die Botschaft. Die Botschaft war: Es reicht nicht, was ihr macht; es müßte mehr sein. - Meine Bitte ist, hier nicht den Eindruck zu erwecken, als sei man für eine größere Lösung. Zumindest diesen Eindruck haben Sie zu erwecken versucht. Sie haben den Eindruck erweckt, Sie seien für eine größere Lösung als die, die jetzt zustande kommt. ({1}) - Ich sage: Sie sind für eine größere Lösung. Das trifft doch zu; das ist doch so. Gleichzeitig erklärt der Ihrer Partei angehörende Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, daß schon diese Lösung problematisch sei, weil sie den Bestand von Werften in den alten Bundesländern gefährde. Dieses Spiel können wir nicht spielen. ({2}) Wir können hier nicht so tun, als wollten wir in Ostdeutschland mehr Kapazitäten erhalten, während wir vor Ort so tun, als bestehe eine Gefahr für die westdeutschen Kapazitäten. Meine Damen und Herren, das kann man nicht machen! Damit stößt man die Leute vor den Kopf. Glauben Sie nicht, daß sie so dumm sind, daß sie das nicht merkten. Vielen Dank. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hans Koschnick, Sie haben das Wort.

Hans Koschnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001185, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte drei Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Möllemann machen. Erstens. Warum beschwören Sie, daß die Werften in Mecklenburg-Vorpommern in einem miserablen Zustand sind? Fast alle Industriebetriebe in der DDR waren nicht marktfähig im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, im Rahmen des freien Marktes. Aber wir haben uns alle gemeinsam vorgenommen, aus den älteren Bereichen, so gut es geht, moderne Betriebe zu machen, damit die Menschen in der früheren DDR, die Menschen in den neuen Bundesländern ihre Lebenschance behalten und die Region nicht verlassen müssen. Das war unsere Botschaft, die wir übrigens gemeinsam getragen haben. ({0}) Zweite Bemerkung. Die Erklärung des Wirtschaftsministers des Landes Niedersachsen kenne ich auch. Sie bezog sich eigentlich nicht auf die Frage des Umfangs des Schiffbaus in Mecklenburg-Vorpommern. Seine große Sorge ist doch vielmehr, daß eine westdeutsche Werft, wenn sie hinübergeht und drüben produziert, soviel an öffentlichen Mitteln bekommt, daß sie viel konkurrenzfähiger sein wird als die niedersächsischen Werften. Sie müssen schon ein bißchen genauer hinhören und nachlesen. ({1}) Herr Möllemann, da Sie alles schnell machen, werden Sie das am Ende auch nicht voll begreifen. Drittens. Wissen Sie, was mich aufregt? I lier werden grolle Reden über Wettbewerbswirtschaft - da mache ich mit -, über Marktwirtschaft - da bin ich etwas vorsichtiger - gehalten. Ich höre viel von freier Marktwirtschaft, aber in bezug auf die zentrale Frage, was wir nach 1949 - insonderheit Sie von der CDU und der F.D.P. - im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft gemacht haben, hören wir bezüglich der neuen Bundesländer immer weniger. Nachdem die Gefahr des Kommunismus gebannt ist, greifen Sie zurück auf die alten Klamotten, statt auch in diesen Bereichen wirklich Soziale Marktwirtschaft zu betreiben. ({2}) Herr Möllemann, ich sage hier kein Wort über die ideale Form der Sicherungsmaßnahmen in den in Rede stehenden Bereichen, weil ich lieber hören würde, was mir die Vorstände, die Betriebsräte, der Aufsichtsrat und die Treuhand sagen. Sie alle hatten jedenfalls eine andere Lösung geplant, bevor der politische Druck eingesetzt hat. Es wird Koalitionsdruck in Mecklenburg-Vorpommern erzeugt, und es wird hier Koalitionsdruck erzeugt, um zu einer anderen Lösung zu kommen. ({3}) Sie haben uns immer wieder beschworen: Hört auf die Wirtschaft! Jetzt hören wir auf sie, und dann heißt es: Es sind ja nur IG-Metall-Organisationsinteressen. So billig und so einfach sollten Sie es sich nicht machen. ({4}) Letzte Bemerkung. Denjenigen, die gemeinsam mit uns sagen, es komme darauf an, die Infrastruktur in den neuen Ländern zu verbessern, sage ich: Das ist völlig okay. Das gilt für die Schiene, das gilt für die Straße. Aber den Leuten, die es nicht wissen sollten, sage ich: Es gibt auch eine küstenorientierte Verkehrsinfrastruktur, die über See geht. Wir diskutieren über einen Teil der Maßnahmen, die dieser Verkehrsinfrastruktur - den Seeverkehrswegen - eine anHans Koschnick dere Perspektive geben sollen. Auch das ist für Mecklenburg von zentralster Bedeutung. ({5}) Jetzt frage ich mich wirklich: Sind es parteipolitische Winkelzüge, wenn sich Leute Sorgen machen, wie man in Anerkenntnis dessen, daß Produktionsanlagen heruntergefahren werden müssen - daß wir die alten nicht festschreiben können, wissen wir doch; das haben wir in Norddeutschland weiß Gott schon vorher erlebt , für den Restbestand so viel Modernes und Zukunftsträchtiges erhalten kann, daß für Schiffbau und Zulieferung der Industriestandort Mecklenburg-Vorpommern erhalten werden kann. Macht daraus keine Oase, keinen landwirtschaftlichen Blütebetrieb à la 1918. Wir brauchen hier keine - Verzeihung, ich wollte „baltischen Grafen" sagen; das ist ein Irrtum - adligen Vorstellungen von 1930; ich erlebe nur in Mecklenburg die gleiche Schweinerei, die ich in Bremen bei der AG Weser erlebt habe. ({6}) Es war derselbe Mann - damals war er noch Minister -, der ohne Beziehungen zu den arbeitenden Menschen seine Positionen vertreten hat. Über die ökonomischen Fragen will ich gar nicht groß streiten. Es geht doch aber darum, zu begreifen, daß es für die Menschen um mehr geht als nur einen ökonomischen Faktor. Sie müssen eine Lebensperspektive haben. Sie müssen arbeiten können, um sie zu behalten. Dies ist die zentrale Frage. Es heißt nicht, Geld auszugeben und Augen zu, sondern es heißt, nachzudenken darüber: Was können wir in diesen Räumen machen? Das haben Sie doch getan, die CDU, die F.D.P. Großartige Wirtschaftspolitiker, die selbständige Unternehmerschaft, Fabrikanten und andere haben Vorschläge zur Organisation in Mecklenburg-Vorpommern gemacht. Die CDU-Landtagsfraktion hat sich einstimmig dem Modell des Unternehmens angeschlossen, war einstimmig dafür, den ursprünglichen Treuhandvorschlag zu realisieren. Die F.D.P. hat eine andere Position, zugegeben; das mag berechtigt sein. Aber wenn es am Ende heißt: Es ist ganz egal, was herauskommt, bloß die Koalition muß erhalten werden, wenn das das einzige Konzept zur Erhaltung der Arbeitsplätze von 10 000 Arbeitnehmern sein soll, sage ich: Das ist politisch zuwenig. Da kann ich mir eher vorstellen, ein Minister nimmt seinen Hut, als daß die Arbeitnehmer ihren Hut nehmen müssen. ({7}) Populistisches Gerede wird uns vorgehalten. Ja, was ist denn daran populistisch, wenn wir ein Konzept des Unternehmens mit übernehmen wollen? Was ist populistisch, wenn wir fragen: Können wir nicht noch etwas mehr machen, auch in Beachtung von Europa, Herr Möllemann? Ich akzeptiere, daß eine Bundesregierung auch diese Dinge mit beachten muß. Und ich höre mit großer Freude, Sie haben schon Kontakt in Brüssel geknüpft - nach zwei Jahren. ({8}) Hätten Sie nicht viel früher mit Ihrem Einfluß auf die Treuhand in Brüssel Dinge vorbereiten, klar werden lassen können, daß auch die Treuhand dann nicht die Vorschläge macht, um die es geht? Nein, viel Schwindel, viel Unehrlichkeit, lange Diskussionen. Mal sehen, was in Schwerin herauskommt. Mich interessiert diese Regierung in Schwerin nicht so sehr.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Koschnick - Hans Koschnick ({0}): Ich mache Schluß. Sie haben recht. Ich will nur noch sagen: Laßt uns doch endlich einmal gemeinsam nachdenken, was wir in den neuen Bundesländern ökonomisch machen können. Dann kommen wir ein Stück weiter. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Otto Graf Lambsdorff. Dr. Otto Graf Lambsdorff ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Drei Bemerkungen, zu Ihnen, Herr Koschnick: Wer behauptet, die Soziale Marktwirtschaft sei vergessen worden, der scheint zu übersehen, was wir an Transfers, und zwar an konsumtiven, aus sozialpolitischen Gründen in die frühere DDR Jahr für Jahr leiten. ({1}) Das einfach zu negieren ist ja wohl Unfug. Zweitens. Es sind keine parteipolitischen Winkelzüge, wenn sich Leute Sorgen machen. Es sind parteipolitische Winkelzüge, wenn andere Leute aus den Sorgen der Arbeitnehmer parteipolitisches Kapital zu schlagen versuchen. ({2}) - Krause und Koschnick, beide mit „K". Drittens: Koalitionen erhalten. Wenn es um das Erhalten der Koalition gegangen wäre, hätte die F.D.P. in Mecklenburg-Vorpommern gesagt: Wir machen das, was die CDU will, gegen unsere wirtschaftspolitische Überzeugung. Dann hätten wir die Koalition, aber ein schlechtes Konzept. So machen wir keine Wirtschaftspolitik. Meine Damen und Herren, ich zitiere kurz: In Wahrheit ist der aus fünf Werften und einer Reihe schiffbaufremder Firmen bestehende Verbund Bremer Vulkan ein Zuschußbetrieb par excellence. Mit abenteuerlichen Konstruktionen und schwindelerregenden Geschäften werden die Steuerzahler kräftig geschröpft und die Kleinaktionäre hinters Licht geführt. Dr. Otto Graf Lambsdorff So geht es über acht Seiten im ,,Manager-Magazin", Ausgabe Mai 1991, weiter. Wäre der Bremer Vulkan wirklich die Rettung für die Werften Mecklenburg-Vorpommerns gewesen? ({3}) Ich zitiere noch einmal, die Debatte der Volkskammer am 21. Juni 1990: Der Staatsvertrag schafft die notwendigen Rahmenbedingungen für den raschen Übergang von der sozialistischen Kommandowirtschaft hin zur Sozialen Marktwirtschaft auf allen Wirtschaftsfeldern. Hier vorrangig genannt: in der Großindustrie durch Entflechtung der Kombinate . . Der Abgeordnete Günther Krause von der Fraktion der CDU/DA wird wissen, wer da gesprochen hat. Er war es. Und nun die ganz große Verbundlösung. Wer das vertritt, wie SPD und IG Metall es immer noch tun Sie ja nicht, Herr Krause -, täuscht die Arbeitnehmer Mecklenburg-Vorpommerns und schadet ihren Interessen. Er schadet auch dem wirtschaftlichen Aufbau in der früheren DDR. Eine Staatsholding würde viele andere nach sich ziehen. Wollen Sie die Staatswirtschaft durch Staatswirtschaft ersetzen? Oder wollen wir Wettbewerb und Soziale Marktwirtschaft? ({4}) - Das Interesse Ihrer Fraktion zeigt sich an ihrer bemerkenswerten Anwesenheit, Herr Kollege Feige. Es stimmt, daß viele Arbeitsplätze verlorengehen. Überall in den fünf neuen Bundesländern zeigt sich die hoffnungslose Überbesetzung mit Arbeitsplätzen aus der früheren DDR. In der Landwirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns sind weit mehr Arbeitsplätze gefährdet als auf den Werften. ({5}) Jede Werftenlösung bedeutet Arbeitsplatzverluste. Es ist unrecht, Herr Koschnick, zu behaupten, bei der AG Weser sei man damals mitleidslos und herzlos aufgetreten. ({6}) Im Gegenteil: Ich bin hingegangen und habe ihnen gesagt, was Sache ist und was nicht zu vermeiden war: daß Schluß gemacht werden mußte, und so war es denn ja auch. Für eine große Verbundlösung gab es die Beteiligung von Kvaerner und MAN von Anfang an nicht, und das Einverständnis der EG wäre höchst unwahrscheinlich gewesen. Bund und Land sähen sich der Macht eines Riesenunternehmens gegenüber - mit allen ökonomischen und politischen Pressionsmöglichkeiten. ({7}) Die jetzt gefundene Antwort ist nur die zweitbeste Lösung; Herr Möllemann hat recht. Das Konzept von Minister Lehment war besser. Aber kein noch so gutes Konzept kann etwas daran ändern, daß keine einzige europäische oder deutsche Werft in Ost oder West gegenüber Koreanern oder Taiwanesen ohne staatliche Beihilfen wettbewerbsfähig ist. Das schaffen heute nicht einmal mehr die Japaner. Es ist gut, daß mit Kvaerner ein finanzstarkes norwegisches Unternehmen ins Land kommt. Welche Engstirnigkeit, wenn kommentiert wird, wir holten uns die ausländische Konkurrenz ins Land. ({8}) Wozu werben wir denn im Ausland für Investitionen in den fünf neuen Bundesländern?! Es wäre gut, wenn auch MAN gekommen wäre, ein leistungsstarkes, innovatives und investitionsbereites Unternehmen. Das braucht Mecklenburg-Vorpommern: mehr Unternehmen, mehr Investitionen, selbständige Unternehmen und nicht den Riesenverbund mit dem Bremer Vulkan. Natürlich bleibt noch viel zu tun; Herr Möllemann hat über die EG-Bedingungen gesprochen. Nur, Herr Koschnick, man kann zur EG erst gehen, wenn man ein Konzept hat. ({9}) Ich selber habe mit der EG gesprochen. Sie haben mir gesagt: Entwickelt seitens Mecklenburg-Vorpommerns ein Konzept, und dann sprecht mit uns, mit der EG. Es bleiben offene Fragen an anderen Standorten Mecklenburg-Vorpommerns. Die Ansiedlung neuer Industrien ist nötig, regionale Wirtschaftspolitik ist gefragt. Das Küstenstandorteprogramm, das Herr Möllemann erwähnt hat, zielt in die richtige Richtung. Aber das alles mindert nicht die Bedeutung der jetzigen Entscheidung der Regierung und des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern und die Entscheidung der Treuhandanstalt. Die „Neue Zeit" hat vorgestern geschrieben: „Eine unpopuläre, aber richtige Entscheidung."Und genauso ist es. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Arnulf Kriedner, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre sehr verwunderlich gewesen, wenn diese Debatte nicht zu Erregung geführt hätte, hat sie doch in Mecklenburg-Vorpommern das ganze Land erregt. Ich gestehe - ungeachtet der volkswirtschaftlich sicher richtigen Ausführungen, die meine Herren Vorredner hier vorgetragen haben -, daß eine vorübergehende große Verbundlösung für mich die richtigere Lösung gewesen wäre. ({0}) Genauso, Herr Kollege Feige, wie Wunschträume - Sie haben am Anfang Ihrer Rede einen solchen zitiert - selten Realität werden, so ist es auch hier. ({1}) - Herr Kollege Feige, ich glaube, Sie sollten sich bei dem, was Sie hier eingangs gesagt haben, nicht sicher fühlen. Wir haben gestern im Treuhandausschuß in Berlin - unter sehr kritischen Bemerkungen, was die Informationspolitik in diesem Zusammenhang gegenüber dem verantwortlichen Gremium des Parlaments betrifft - drei Stunden über diese Frage debattiert. Wir haben die Emotionen einmal außen vor gelassen und uns über die Möglichkeiten, über die Gesamtkonzeption, informieren lassen. Ich nutze hier übrigens auch die Gelegenheit, einem Eindruck, der in der Presse entstanden ist, zu widersprechen. Ich habe dort nicht gesagt, daß wir uns im Ausschuß einvernehmlich geeinigt hätten, sondern ich habe am Schluß der Debatte noch einmal meine persönliche Meinung zusammengefaßt; das ist falsch herübergekommen. Unter den gegebenen Bedingungen halte ich - und ich bleibe bei diesem Wort, auch wenn dem widersprochen wird - die kleine Verbundlösung für eine vertretbare Lösung. Denn wie sich gestern ganz deutlich herausgestellt hat, würden auch die anderen Lösungen keinen einzigen weiteren Arbeitsplatz erhalten. Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, möchte ich den Blick ganz gern ein bißchen nach vorn richten. Wir haben jetzt - dem wird der frühere Senatspräsident von Bremen nicht widersprechen - hervorragende Partner aus Bremen. Wir haben uns auch schlau darüber gemacht, daß der ausländische Partner, den wir für die Treuhandpolitik u. a. immer wünschen - das ist eine der Vorgaben für die Treuhand, nun endlich auch potente Ausländer, die etwas können, hereinzuholen -, ein zweiter sehr solventer Partner ist. In der internationalen Schiffbauwelt ist absolut unumstritten, daß Kvaerner eine Firma ist, mit der man sich sehen lassen kann. Ich meine, jetzt kann man doch den Blick nach vorn richten. Weiterhin interessieren mich ganz andere Fragestellungen, z. B. - das sage ich so deutlich -, ob die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern ihre Hausaufgaben gemacht hat. ({2}) Das mahne ich hier ganz deutlich an. Was ist denn eigentlich mit der Strukturpolitik da oben los? Ist denn überlegt worden, wie eine solche Lösung, die bei ca. 7 000 Arbeitsplätzen landen wird, flankiert wird? ({3}) - Ich weiß es, I lerr Feige. Ich kenne die Arbeitsplatzzahl, die dahintersteht, und ich weiß auch, was dort los ist. Ich bin selbst vorige Woche vor Ort gewesen und habe mir die Situation angesehen. Deshalb mahne ich das an. Es kann ja wohl nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung sein, hier zu handeln. Herr Minister Möllemann, Sie haben hier Ausführungen vorgetragen, die ich unterstreiche. Wir in der Bundesrepublik Deutschland sollten angesichts der Entwicklung in Europa bei den Fragen der Wirtschaftspolitik sehr sorgsam sein, um nicht falsche Beispiele zu geben. Ich habe den Eindruck, daß die SPD - ich muß sie da in Schutz nehmen - nicht eine Staatsholding, sondern eine Übergangslösung anderer Art will. Ich sage nur: Worauf es uns jetzt ankommen muß, ist, daß wir in solchen Regionen - es gibt auch noch andere; der Raum Bitterfeld wird uns noch einiges an Schwierigkeiten bescheren - vorausschauende Strukturpolitik von den Landesregierungen her betreiben - das betrifft übrigens auch ein politisch anders regiertes Land wie Brandenburg in einigen Ecken - und dann Flankierung vom Bund her geben. Das ist für mich ausschlaggebend. Ich muß Ihnen auch eines sagen: Die Treuhand wird oft unglaublich kritisiert. Ich nehme sie in diesem Punkt in Schutz. Ich glaube, sie hat dort ihren Job getan. Was ich der Treuhand in diesem Zusammenhang vorwerfe, ist, daß sie nicht transparent genug arbeitet und nicht die Grunddaten liefert, die die Öffentlichkeit braucht, um Entscheidungen zu verstehen. Das müssen wir als Parlament gemeinsam verbessern. Ich darf also sagen: Es gibt hier eine Lösung, die als Kompromiß gangbar ist. Wir sollten diesen Kompromiß annehmen und in der nötigen Weise volkswirtschaftlich flankieren. Vielen Dank. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Horst Jungmann

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, es lohnt sich, das nachzulesen, was Graf Lambsdorff von der F.D.P. hier gesagt hat. Denn durch diese Aussage wird deutlich, Graf Lambsdorff, daß Sie Ihren Parteifreunden Wirtschaftsminister Möllemann und dem Wirtschaftsminister Lehment in Mecklenburg-Vorpommern, attestiert haben, daß sie eben kein Konzept zur Lösung der Strukturprobleme und zur Eingliederung der Werften und der mittelständischen Industrie in Mecklenburg-Vorpommern haben, weil sie erst mit einem Konzept zur EG müssen. I Zerr Möllemann, Sie wissen spätestens seit 1990 das, was Sie hier am Zustand der Betriebe in den fünf neuen Bundesländern beklagt haben. Es ist überhaupt nicht neu. Was haben Sie denn seit dem Sommer 1990, seit der Horst Jungmann ({0}) Währungsunion, getan, um die Probleme in den Griff zu bekommen, ({1}) wenn Sie erst jetzt Kontakt zur EG aufnehmen und die Probleme Mecklenburg-Vorpommerns zu lösen versuchen. Die aktuelle Diskussion ist ja überhaupt nicht neu. Die Werftarbeiter haben sie in die Köpfe der Bundesregierung und in der Regierung in Mecklenburg-Vorpommern erst dadurch gebracht, daß sie tonnenschwere Anker vor die Staatskanzlei gebracht haben. ({2}) Herr Graf Lambsdorff, Sie reden hier davon, daß wir eine Staatsholding wollen. Der Kollege Kriedner hat aber schon deutlich gemacht, daß das nicht der Fall ist. Herr Dr. Krackow, der von Ihnen und von der Treuhand ({3}) - mit „von Ihnen" meine ich jetzt: von der Regierung ({4}) nach Mecklenburg-Vorpommern geholt worden ist, hat doch ein Konzept vorgelegt, das überhaupt nichts mit einer Staatsholding und überhaupt nichts mit der von Ihnen hier unterstellten großen Verbundlösung nur mit dem Konzern Vulkan zu tun hat. Das stimmt doch überhaupt nicht; es sind falsche Behauptungen, die Sie hier aufstellen. So betreiben Sie Ihre Politik. Ich kann nur hoffen, daß sich das am 17. März bei der Entscheidung des Aufsichtsrates noch zugunsten der Arbeitnehmer in Mecklenburg-Vorpommern wenden läßt ({5}) und daß endlich Vernunft einzieht. Verantwortlich für die Politik der Treuhand, Herr Kollege, ist ja die Bundesregierung und nicht der Deutsche Bundestag allein. Die Bundesregierung ist entscheidend und hier das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium. ({6}) Die Bundesregierung sollte endlich eine Werftenpolitik mit einem Konzept betreiben, das für die gesamten norddeutschen Küstenländer klarstellt, welche Kapazitäten die Bundesregierung für erforderlich hält, um die Werftenstrukturen in der ganzen Bundesrepublik von Emden bis Wolgast aufrechtzuerhalten. ({7}) Die Bundesregierung muß endlich aufwachen und erkennen, daß die Werftindustrie die Zukunftsindustrie in Norddeutschland ist. ({8}) Die Vorleistungen, die die Werftindustrie bisher erbracht hat, müssen durch ein gemeinsames Konzept honoriert werden. Hier ist staatliche Hilfe im Rahmen eines europäischen Konzepts notwendig. Das Ziel der maritimen Verbundwirtschaft muß konsequent weiterverfolgt werden. Sie müssen die norddeutschen Küstenländer dazu hören und nicht nur Herrn Lehment aus Mecklenburg-Vorpommern. Wenn Sie die Konzeption der norddeutschen Wirtschaftsminister aufnehmen und damit dem nationalen Schiffbau und der nationalen Meerestechnologie im europäischen Verbund eine Zukunft verschaffen, dann haben Sie auch den Arbeitnehmern in Mecklenburg-Vorpommern für die Zukunft geholfen. Schönen Dank. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Abgeordneten Gunnar Uldall das Wort.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussionen über die Werften in den vergangenen Wochen - das zeigten auch viele Beiträge heute morgen - waren durch eine Schieflage geprägt. Es wurde viel zuviel über die Gesellschafterstruktur gesprochen. Das ist zwar ein wichtiger Aspekt; aber es ist nicht der entscheidende, der alleinige Aspekt. Viel wichtiger für die Zukunft der Werften als die Frage, wer die Kapitalanteile hält, ist die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Werften. Nur dann, wenn die Schiffbaubetriebe an der mecklenburgisch-vorpommerschen Küste so wirtschaftlich arbeiten, daß sie die Konkurrenz im Ausland nicht zu fürchten brauchen, werden sie sich überhaupt behaupten können. ({0}) Nur dann, wenn die Werften in Ostdeutschland eine Toptechnologie beherrschen, werden sie langfristig ihren Marktanteil sichern können. Nur dann, wenn das Management und die Mitarbeiter auf den Werften an der Ostsee besser sind als Management und Mitarbeiter in anderen Werften, werden sie überhaupt eine Zukunft haben. ({1}) Wenn dies nicht erreicht wird, dann ist es völlig egal, wer im Handelsregister als Gesellschafter eingetragen ist; es ist dann gleichgültig, ob dort als Gesellschafter Vulkan, Kvaerner, die Treuhand, die Landesregierung oder sonst irgend jemand steht. ({2}) Keiner könnte bei einer langandauernden Verlustsituation der Unternehmen diese auf Dauer über Wasser halten. ({3}) Die Diskussion darf nicht darüber geführt werden, ob drei Kranke oder besser vier Kranke zusammengeführt werden sollten. Keiner von ihnen wird allein durch einen Zusammenschluß gesund. Vielmehr muß die ganze Konzentration darauf gerichtet sein, möglichst schnell die Wettbewerbsfähigkeit der Ostseewerften zu erreichen. Wer dies verschweigt oder so tut, als wenn allein mit einer Entscheidung über den Gesellschafterkreis alle Probleme gelöst seien, der streut den Beteiligten und insbesondere den Arbeitnehmern auf den Werften Sand in die Augen. Eine der Ostseewerften, und zwar die von der Arbeitnehmerzahl her größte Werft, stand außerhalb der Diskussionen der vergangenen Monate und stand auch heute morgen nicht im Mittelpunkt der Diskussion im Bundestag. Ich meine die Volkswerft in Stralsund. Die Tatsache, daß die Stralsunder Werft nicht für Schlagzeilen gesorgt hat, darf nicht zu der falschen Annahme führen, daß dieses Unternehmen problematische Zukunftsperspektiven haben könnte. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Volkswerft GmbH in Stralsund ist im Vergleich zu anderen Werften in einer relativ guten Situation. Das Unternehmen wurde seit Jahren zu einer Spezialwerft auf dem Sektor des Baus von Fischerei- und hochwertigen Sonderfahrzeugen ausgebaut. Sie befindet sich damit in einer besseren Situation als andere Werften. Sie hat einen Auftragsbestand von über 1 Milliarde DM. Für 1992 und 1993 ist diese Werft fast voll ausgelastet, für 1994 etwa zur Hälfte. ({4}) Fast der gesamte Auftragsbestand von 25 Schiffen, Herr Kollege, ist nach der Wende akquiriert worden. ({5}) Zur Zeit wird ein neues Investitionsprogramm erarbeitet, das die Umgestaltung der Werft vorsieht. Die Treuhandanstalt unterstützt die Werft; dafür bedanke ich mich. Die notwendigen Neubaukapazitäten des Unternehmens sollen auch in Zukunft durch die Treuhandanstalt gesichert werden. Wenn ich eingangs darauf hingewiesen habe, meine Damen und Herren, daß nicht die Gesellschafterstruktur für die Zukunft eines Unternehmens entscheidend ist, sondern daß es viel wichtiger ist, daß die Unternehmenskonzeption stimmt, dann kann ich für dieses Unternehmen nur sagen: Die Volkswerft Stralsund ist auf dem richtigen Weg nach vorn. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Diskussion über die Zukunft der Werften an der mecklenburgisch-vorpommerschen Küste muß jetzt zu einem Abschluß kommen. Das vorgelegte Konzept ist eine tragfähige Lösung. Der Blick muß nun nach vorn gerichtet werden, damit die eigentlichen Probleme angepackt werden können, nämlich die in Jahrzehnten gewonnenen Schiffbauerfahrung en in Wismar, Rostock und Stralsund optimal einzubringen, um die Ostseewerften international wettwerbsfähig zu machen. Vielen Dank. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Joachim Grünewald, der wegen einer zwingenden Verpflichtung gehen mußte, möchte seine Intervention zu Protokoll geben. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.*) Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Hinrich Kuessner das Wort.

Hinrich Kuessner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Politiker braucht man eine Vision. Das gilt ganz besonders in unseren Zeiten, da die Situation sehr schwierig ist. Man muß eine Vorstellung darüber haben, wohin man gehen will. Bei meiner Vision für Mecklenburg-Vorpommern spielen die Werften eine wichtige Rolle. Mit ihnen kann nach meiner Überzeugung die psychologische Trendwende für den Aufschwung Ost erreicht werden. Noch erleben die Menschen bei uns den Aufschwung Ost als Abstieg. Industriestandorte sind die Grundlage für einen Aufschwung, für eine Besserung. Nichts anderes kann das leisten. Beispielsweise mit dem Straßenbau, der hier erwähnt wurde, wird man das nicht erreichen können. Mit dem Straßenbau wird man auch nicht mehr die früher vorhandenen Arbeitsplätze schaffen können. Es gibt keinen Reichsarbeitsdienst mehr. Gestern hörten wir im Unterausschuß Treuhandanstalt, daß die Verhandlungen noch gar nicht beendet sind. Aus parteipolitischen Gründen haben von Bonn aus Leute in einer Phase in die Diskussion eingegriffen, in der die Verhandlungen noch nicht zu Ende geführt sind. Der Hauptärger liegt darin begründet, daß im Grunde nicht bis zum Schluß verhandelt wurde. Mit Kvaerner wird heute noch verhandelt. Es besteht noch keine Klarheit darüber, was mit der Neptun-Werft geschieht. Ich denke, dies geht überhaupt nicht. Mein Eindruck aus den gestrigen Diskussionen im Unterausschuß Treuhandanstalt ist, daß es um nichts anderes als um eine politische Lösung zur Rettung der Koalition ging. ({0}) Es ist ja nicht so, daß die Treuhandanstalt nicht saniert. Wir haben gestern über die Stahlindustrie diskutiert. Das Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt, Herr Dr. Krämer, hat Beispiele genannt. Die Treuhandanstalt hat in den Betrieb in Finow 40 Millionen DM investiert, und das hat sich gelohnt. *) Anlage 2 Nach Einschätzung von Dr. Krämer werden öffentliche Gelder gespart und mehr Arbeitsplätze erhalten. Die Treuhand macht das im übrigen in der Stahlindustrie auch in anderen Betrieben, und zwar in Größenordnungen, die 100 Millionen DM und mehr ausmachen. Die Philosophie der alten Bundesländer war: sanieren bis zur Privatisierungsreife. Das macht Sinn für die Menschen der Region und spart Steuergelder. ({1}) Zu meinem Erstaunen wird dieses Konzept auch im Land Bayern durchgeführt, wo die CSU regiert. Es gibt dort Unternehmen mit Staatsbeteiligung. Man gibt diese Beteiligung nicht einmal ab. Vielmehr erwirtschaftet man Gewinne. Ich lese zur Zeit mit Genuß die Biographie von Strauß. Ich muß sagen, ich lerne daraus gerade auf diesem Gebiet etwas. ({2}) Ich wünsche, daß auch die CDU in diesen Lernprozeß einsteigt. Das wäre sehr sinnvoll. Für die Privatisierung ist das Geld vorhanden. Drei Betriebe werden jetzt privatisiert: 3 Milliarden DM plus - das wird immer vergessen - das Geld, das für die Arbeitslosigkeit ausgegeben wird. Denn viele Menschen bleiben arbeitslos. Das Geld ist da. Dieses Geld zur Sanierung unter dem Dach der Treuhand einzusetzen wäre das Gebot der Stunde. Das würde vor allem Selbstbewußtsein bei den Menschen bei uns schaffen. Denn sie könnten dann zeigen, was sie können. Nur so und nicht mit falschen Konzepten wird die Wende geschafft. Aus der gestrigen Sitzung des Treuhand-Unterausschusses habe ich den Eindruck mitgenommen - ich habe das schon betont -: Die Erhaltung der Koalition stand im Vordergrund, und die Zeit für die Strukturpolitik wurde verschlafen. Für die Schaffung der Einheit Deutschlands hat Kanzler Kohl den richtigen politischen Instinkt gehabt. Für die Gestaltung der Einheit fehlt seiner Regierung dieser Instinkt. ({3}) Hohe Kosten für die öffentliche Hand, wenige Industriestandorte, hohe Arbeitslosigkeit, schwindendes Vertrauen in Worte von Politikern, der Aufschwung Ost bleibt im Erleben der Menschen ein Abstieg - das ist das Ergebnis des Werftenpokers. Der Demokratie hat dieses Schauspiel geschadet. Das darf nicht hingenommen werden. Die Vorentscheidung der Treuhand darf nicht ihre endgültige Entscheidung am 17. März 1992 bleiben. Der Bundesminister der Finanzen Waigel darf diese Entscheidung nicht bestätigen. Noch gibt es Zeit für die Vernunft. Noch kann das Blatt gewendet werden. Wir sollten es tun. Ich werde mich dafür einsetzen, daß wir in Mecklenburg-Vorpommern viele Maßnahmen durchführen. Wir werden der Öffentlichkeit zeigen, daß wir hier nicht mitmachen, weil das der Ruin unseres Landes sein wird. Wir wollen den Aufschwung, und wir wollen ihn mit Ihnen zusammen. Aber machen Sie es mit uns. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Günter Klein.

Günter Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich befürworte diese kleine Verbundlösung. Ich halte den Kompromiß für tragfähig und bin der Auffassung, daß er einmütig unterstützt werden sollte; denn in der Tat sind noch wichtige, für das Schicksal der Arbeitsplätze an der Ostsee erhebliche Ausnahmegenehmigungen in Brüssel zu erreichen. Ich bin der Auffassung, daß diesen beiden notleidenden Schiffbauunternehmen in Rostock, Warnemünde und Wismar zwei industrielle Partner zugeordnet werden, die in der Sanierung von Werften erfahren sind, die über eine beachtliche Diversifizierung verfügen und die beide - das gilt auch für den Bremer Vulkan - Gewinne machen. In diesem Zusammenhang, Graf Lambsdorff, halte ich es iür bedenklich, daß Sie durch das Verlesen eines nicht kommentierten negativen Zitats einen Verdacht gegen den Bremer Vulkan streuen, ({0}) obgleich doch gerade Sie diese kleine Verbundlösung, diesen Kompromiß erzielen wollten und erzielt haben. In der Tat ist der Bremer Vulkan von Anfang an für eine Privatisierung gewesen. Auch die große Verbundlösung - das ist in der Diskussion nicht hinreichend gewürdigt worden - wäre eine Privatisierungslösung gewesen: ({1}) keine Staatsholding und keine staatliche Beteiligung. Was sollte denn geschehen? Dieser Vorschlag ist im übrigen im Bereich der DMS in Rostock entwickelt und erst dann vom Vulkan übernommen worden. Was sollte denn geschehen? 49 % der Gesamtunternehmung sollten für einige Jahre bei der Treuhandanstalt geparkt bleiben. Es war durch Eckwerte sichergestellt, daß die Erwerber private Erwerber sein mußten, keine staatlichen. Das ist nun nicht übernommen worden. Ich halte die kleine Verbundlösung, die auch eine Privatisierungslösung ist, für tragfähig; denn sie hat in der Tat einen Vorteil. Eine gewisse Risikostreuung ist vorhanden. Wir haben ja an der norddeutschen Küste auch nicht den großen Verbund, sondern haben in Bremen einen Verbund und daneben auch noch beachtliche andere Werftunternehmen, die sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligen. Ich möchte noch auf eines hinweisen. Durch diese beiden Gruppierungen wird nun für jede Gruppe eine Ablieferungskapazität von jeweils 5 % erreicht, bezogen auf den Weltschiffbau. Damit schließen diese Gruppierungen an die kleinste japanische Werft an, die 1990 6 % abgeliefert hat. Ich rufe, um die WettbeGünter Klein ({2}) werbssituation klarzumachen, in Ihre Erinnerung, daß Japan 1990 65 % des Weltschiffbaus ablieferte, Korea 20 %. Nur noch 15 % verbleiben in Europa. Deswegen ist es gut, daß diese beiden Gruppen jetzt in eine Größenordnung hineinkommen, die eine wichtige Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit ist. Abschließend möchte ich noch auf einen für mich besonders wichtigen Punkt hinweisen. Es gehört zur Sicherung der Arbeitsplätze in Rostock und in Wismar nicht nur eine ordentliche Sanierung, nicht nur eine vernünftige gesellschaftsrechtliche Strukturreform, sondern wichtig sind auch Schiffbauaufträge gerade bei dieser internationalen Konkurrenzsituation, wo die Japaner praktisch den Weltmarkt beherrschen. Da ist es unredlich, zu verschweigen, daß sich wichtige Großaufträge abzeichnen, die auch und gerade geeignet sind, die Arbeitsplätze in Wismar und Rostock auf Jahre hinaus zu sichern. Ich erwähne als erstes, Herr Kollege Waltemathe, den Auftrag der chinesischen Staatsreederei Cosco, der sich abzeichnet: ({3}) acht Containerschiffe in einem Umfang von 800 Millionen DM, ({4}) wobei zwei Schiffe für 400 Millionen DM in Wismar gebaut werden sollen. Das ist eine Jahresproduktion, ein Jahr Arbeitsplätze in Wismar. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Irritiert mir den Redner nicht; er hat nur noch fünf Sekunden. ({0})

Günter Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber es wird hier das Problem der Menschenrechte zu lösen sein. Wir müssen davon ausgehen, daß ein solcher Auftrag nur akzeptiert werden kann, wenn sich ein Wandel in der chinesischen Menschenrechtspolitik abzeichnet. ({0}) Wir sollten deswegen den Besuch des chinesischen Außenministers insoweit sehr sorgfältig prüfen. Falls es nicht dazu kommen sollte, meine Damen und Herren -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Klein, Ihre Redezeit ist ein gutes Stück überschritten.

Günter Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf mich bedanken, Herr Präsident. Ich werde abschließend nur noch sagen, daß sich auch aus Taiwan im Militärschiffbau ein derart großer Auftrag abzeichnet, so daß die Arbeitsplätze in Wismar und Rostock ebenfalls auf Jahre hinaus gerettet werden können. Ich darf mich bedanken. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Verkehr Dr. Günther Krause. ({0}) - Entschuldigung, Herr Minister! Ich muß den Kollegen Waltemathe erst einmal aufklären: Wenn er als Bundesminister gemeldet ist, wird er als Bundesminister aufgerufen, gleichgültig, ob er im Saal sitzt oder auf der Regierungsbank. Dies, Herr Kollege Waltemathe, zu Ihrer Beruhigung.

Dr. Günther Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin als Abgeordneter gemeldet, Herr Präsident; ich widerspreche Ihnen da ungern, aber ich bin für meine Fraktion gemeldet.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung! Jetzt habe ich mich bei dem Kollegen Waltemathe zu entschuldigen. Dann haben Sie, Herr Abgeordneter Dr. Krause, das Wort.

Dr. Günther Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001203, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Graf Lambsdorff, ich habe den Einigungsvertrag vor mir liegen. Sie haben damals in den historischen Tagen dem Einigungsvertrag zugestimmt. In Art. 28 haben wir gemeinsam die Wirtschaftsförderung vereinbart. Ich zitiere: Die zuständigen Ressorts - des Bundes bereiten konkrete Maßnahmenprogramme zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums und des Strukturwandels in dem in Artikel 3 genannten Gebiet vor. Die Programme erstrekken sich auf folgende Bereiche:... Maßnahmen zur verstärkten Modernisierung und strukturellen Neuordnung der Wirtschaft auf der Grundlage von in Eigenverantwortung der Industrie erstellten Restrukturierungskonzepten ({0}). Nun will ich hier heute diese Möglichkeit nutzen und zuerst Herrn Dr. Krackow und Herrn van Hooven für die erfolgreiche Arbeit bei der DMS danken. ({1}) Denn was uns in dieser Region gelungen ist, muß man einfach einmal sagen: Innerhalb von anderthalb Jahren haben wir von 55 000 Beschäftigten geräuschlos auf 20 000 reduziert. Wer würdigt das in diesem Land überhaupt? Es wird so getan, als würde es im Osten nur Penner geben, die nichts geleistet haben. ({2}) Wir haben schon umstrukturiert. Wir haben entflochten. Wir sind auf dem Weg, wirtschaftlicher zu werden. Ich bitte darum, daß die Leistung der Menschen beim Umstrukturierungsprozeß in Rostock, Stralsund und an anderen Stellen schlicht und einfach gewürdigt werden. ({3}) Dr. Günther Krause ({4}) Man muß natürlich ein Stück Geschichte akzeptieren. Die Treuhandanstalt hat mit einer Verwaltungsratsentscheidung im Sommer 1991 eine wesentlich größere Lösung als das Verbundkonzept, eine Gesamtlösung zur Sanierung mehrheitlich bestätigt. Das ist der Maßstab, an dem uns die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern messen. Im übrigen war das auch die Geschäftsgrundlage der Landesregierung bis Mitte Januar 1992. Dann sind einige Ereignisse passiert, die ich nicht in der Form kommentiere, wie es der eine oder andere von Ihnen soeben gemacht hat. Ich bitte darum, daß die Geschäftsgrundlage, die der Koalitionsausschuß des Landes gefunden hat, zur Kenntnis genommen wird. Der Koalitionsausschuß hat beschlossen - hier bin ich meinem Kabinettskollegen Rainer Ortleb, der u. a. Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern ist -, daß CDU und F.D.P. gemeinsam eine Gesamtlösung anstreben, die über das diskutierte Verbundkonzept hinausgeht. Zum zweiten haben wir in der Koalition in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam verabredet, daß sich sämtliche Konzepte an den Zielen des Sanierungskonzepts der DMS messen lassen müssen. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Zum dritten haben wir gemeinsam entschieden, daß bei der Entscheidung zur Werftenfrage am 17. März 1992 die Treuhandanstalt auch Aussagen hinsichtlich der anderen Schiffbaustandorte im Rahmen dieser Gesamtlösung treffen möge. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir geht es vor allem darum, die Perspektiven des Strukturwandels zu diskutieren. Es kann doch nicht unser Anliegen sein, in Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich die Schiffbaustandorte zu formieren. Deshalb ist es überlegenswert, darüber zu diskutieren, ob man nicht einen dickeren Standort einfacher abspekken kann, als von vornherein zwei schlanke zu formieren, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt nicht mehr umstrukturieren kann. Das ist die eigentliche Krackowsche Idee: nicht die Werftenstandorte ins Jahr 2000 zu bringen, sondern die Industriestandorte - von denen es in Mecklenburg-Vorpommern ohnehin zuwenig gibt zu garantieren, um Industrieproduktion zu sichern und nicht zu entindustrialisieren. ({5}) Ich denke, es ist eine angenehme Aufgabe, in diesem Sinne und auf der Grundlage des Einigungsvertrages zu kämpfen. Graf Lambsdorff, ich meine, das, was ich in der Volkskammer damals zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gesagt habe, ist mit der Reduzierung von 55 000 auf 20 000 Arbeitskräfte geleistet. Wir haben im übrigen in Mecklenburg-Vorpommern bereits eine Neubauwerft geschlossen. Darüber wird überhaupt nicht diskutiert. Wir haben es aber schon geleistet. Wir können die weitere Umstrukturierung nur mit dem Volk machen, das wir in Mecklenburg-Vorpommern haben. Davon bin ich überzeugt. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Aktuelle Stunde ist beendet. ({0}) Gestern, wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag, ist der frühere Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, verstorben. Mit Heinz Kühn ist eine der großen Politikerpersönlichkeiten von uns gegangen, die nach der schwersten materiellen und moralischen Niederlage unserer Geschichte die Deutschen wieder an die Demokratie und unsere Nachbarn an ein demokratisches Deutschland glauben ließen. Mit 16 Jahren trat Heinz Kühn - Vater überzeugter Sozialist, Mutter konservative Katholikin - aus der katholischen Jugendbewegung Neues Deutschland aus und in die Sozialistische Arbeiterjugend ein. An seinem 18. Geburtstag wurde er SPD-Mitglied. 1933, nach nur zweijährigem Studium der Volkswirtschaft und der Staatswissenschaften an der Universität Köln, verließ er Deutschland. Er tauchte in Gent, in Prag, in Brüssel unter. Als Geheimkurier mit falschem Paß reiste er im Laufe der zwölfjährigen NS-Herrschaft aber mehrmals in sein Vaterland, das seine Mutter als Vergeltung für die politische Arbeit des Sohnes im Konzentratrionslager leiden ließ. Nach dem Krieg wurde Heinz Kühn zunächst außenpolitischer Ressortchef und dann Chefredakteur des Kölner SPD-Blattes „Rheinische Zeitung" . Er ging in die Landespolitik, und von der zweiten Legislaturperiode an gehörte er fast zehn Jahre lang dem Deutschen Bundestag an. Als brillanter Redner und scharfer Debatter, der dem politischen Gegner nichts schenkte, ihn aber nie verletzte und nie herabwürdigte, hat er den parlamentarischen Stil des Hohen Hauses in jener Zeit entscheidend mitgeprägt. 1962 in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender der SPD, von 1966 bis 1978 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, danach noch Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. In dieser Stunde können wir dem langjährigen Kollegen, dem populären, doch nie populistischen Politiker, dem prinzipienfesten, aber stets kompromißfähigen Demokraten, dem hilfsbereiten und kameradschaftlichen Menschen nur unseren tiefen Respekt für seine Lebensleistungen nachrufen. Wir trauern mit seinen Angehörigen und Freunden um einen deutschen Politiker, dessen Leben Dienst an der Allgemeinheit war, der am Aufbau unseres freiheitlich-demokratischen Staates wichtigen Anteil hatte. Der Deutsche Bundestag wird Heinz Kühn in ehrender Erinnerung bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Toten erhoben. Ich danke Ihnen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vizepräsident Hans Klein Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften - Drucksache 12/544 -Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 12/2201 Berichterstattung: Abgeordnete Fritz Rudolf Körper Otto Regenspurger ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ihnen heute zur Beratung vorliegende Neunte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften war inhaltsgleich bereits im 11. Deutschen Bundestag von der Bundesregierung eingebracht worden. Damals - das wissen Sie - verzögerte sich die Beratung aus datenschutzrechtlichen Bedenken. Der Gesetzentwurf verfiel der Diskontinuität. Der jetzt zur Verabschiedung anstehende Gesetzentwurf hat diese Bedenken ausgeräumt. Die Vorschläge des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurden übernommen. Kern des Gesetzes sind drei Ziele, die ich kurz erläutern will. Erstens. Das zur Zeit noch fast unüberschaubar in zahlreichen Vorschriften des Bundes und der Länder geregelte Personalaktenrecht wird vereinheitlicht, unmittelbar für den Bund selbst und mittelbar für die Bundesländer. Diese Vereinheitlichung schafft Rechtsklarheit und damit Rechtssicherheit. Darüber hinaus wird das Persönlichkeitsrecht der Beamten gestärkt und, die Verwaltungsgerichte werden entlastet. Dies, meine Damen und Herren, war einfach nötig; denn die Entscheidungsgrundlage für das Fortkommen eines Beamten, für seine Versetzung, für seine Beförderung, ist einfach das, was in den Personalakten vermerkt ist. Die Personalakten sind ein Spiegelbild seines Werdegangs, seiner Eignung, seiner Befähigung und Leistung. Damit können und müssen sie natürlich auch Grundlage einer objektiven, gerechten Personalverwaltung sein. Das Gesetz - diese Ausführungen sind zwar etwas formal, aber ich muß das einfach sagen - dient auch dazu, in den neuen Bundesländern eine weitere Zersplitterung des Personalaktenrechtes zu verhindern. Die neuen Bundesländer bekommen dadurch für ihre Personalverwaltung ein wichtiges Instrument in die Hand, die unselige Aktenpraxis der ehemaligen DDR durch ein rechtsstaatlich eindeutig geregeltes Verfahren für den öffentlichen Dienst abzulösen. Nicht zuletzt regelt das Gesetz auch, ob und inwieweit Personalakten für elektronische Datenverarbeitung übernommen werden können. Es paßt damit das Personalaktenrecht moderner Technik und ihren Bedingungen an. Zweitens. Das Haftungsrecht für Beamte - auch dieser Punkt ist sicherlich von Wesentlichkeit - wird in diesem Gesetz geregelt. Das Gesetz beseitigt den schwer nachvollziehbaren, bisher noch bestehenden Unterschied, daß ein Beamter nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit haftet, wenn er unmittelbar für den Staat als Staat handelt, darüber hinaus aber auch für leichte Fahrlässigkeit, wenn er für den Staat privatrechtlich tätig wird. Ich weiß, meine Damen und Herren, diese Unterschiede sind in der Praxis, insbesondere für den Bürger, kaum zu erkennen. Mir fällt bei dieser Betrachtung eine weitere Position ein. Das geht zwar nicht den Bundesinnenminister an, jedoch den Bundesjustizminister. Ich meine, man sollte in diesem Zusammenhang einmal darüber nachdenken, auch das Staatshaftungsrecht entsprechend zu novellieren. Zum Beispiel wäre es vonnöten, da sich das Verhältnis Staat/Bürger erheblich gewandelt hat, eine Beweislastumkehr ins Gesetz zu schreiben. Ich glaube, es wäre sicherlich richtig - ein Appell an den Bundesjustizminister -, dies vielleicht einmal im Zusammenhang mit dieser Gesetzesänderung zu regeln. Drittens, Zum Schluß darf ich eine erfreuliche, aber auch notwendige Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes erwähnen. Denn künftig - es geht dabei um die Frauen - sind Ausnahmen von dem Verbot der Beförderung während der Probezeit für Frauen zulässig, die aus Gründen der Kindererziehung zeitweilig aus dem Berufsleben ausscheiden. Damit, so meine ich, erfüllt dieses Gesetz ein sehr wichtiges familienpolitisches Ziel. Es beseitigt auch die spezielle Benachteiligung von Frauen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dein Hintergrund unserer grollen politischen Themen mag dieses Gesetz eher unbedeutend erscheinen. Aber ich meine, wir dürfen nicht außer acht lassen, daß wir auch unsere politische Alltagsarbeit erledigen müssen und daß wir insbesondere den öffentlichen Dienst den neuen, geänderten Realitäten anzupassen haben. Ich meine, dazu leistet gerade dieses Gesetz einen wichtigen Beitrag. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Abgeordneten Fritz Rudolf Körper das Wort.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser uns vorliegende Gesetzentwurf zieht zwar verspätet, aber - so denke ich - doch in richtiger Weise Konsequenzen aus dem uns vorliegenden Volkszählungsurteil. Hauptbestandteil ist, daß das Personalaktenrecht neu geordnet werden soll. Vorrangiges Anliegen der Neuordnung ist, das Persönlichkeitsrecht der Beamtinnen und Beamten im Rahmen einer effektiven Verwaltung von Personalakten möglichst umfassend zu sichern. Dabei wird auch dem Wunsch der Länder Rechnung getragen, übereinstimmende Regelungen des Personalaktenrechts für alle Betroffenen und für alle Dienstherren zu schaffen. Dieser Gesetzentwurf hat eine lange Wegstrecke hinter sich, denn er wurde bereits in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt. Er konnte aber u. a. deshalb nicht verabschiedet werden, weil die Bundesregierung offenbar notwendige Abstimmungen mit dem Datenschutzbeauftragten unterlassen hatte. Der jetzt vom Innenausschuß des Bundestages beschlossene Entwurf trägt den datenschutzrechtlichen Bedürfnissen wohl weitgehend Rechnung. Allerdings bleiben trotzdem nach wie vor Fragen offen, wie selbst die Bundesregierung in ihren Erläuterungen einräumt. Auch nach Auffassung der Bundesregierung sind über die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Bestimmungen hinausgehende gesetzliche Maßnahmen erforderlich, um den Datenschutz bei Arbeits- und Dienstverhältnissen umfassend zu regeln. Bereits in der vergangenen Wahlperiode erklärte die Bundesregierung deshalb, daß die Schaffung eines allgemeinen Arbeitnehmer-Datenschutzgesetzes besonders dringlich sei. Ich verweise insoweit auf die Begründung des ursprünglichen Entwurfs aus der 11. Wahlperiode. Es ist die Frage zu stellen, warum dieser Entwurf jetzt immer noch nicht vorliegt. Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion hätte es doch nahegelegen, diesen Entwurf eines allgemeinen ArbeitnehmerDatenschutzgesetzes in dieser Wahlperiode gemeinsam mit dem Entwurf des Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften einzubringen, um eine zusammenhängende Beratung zu gewährleisten. Keinesfalls sind wir damit einverstanden, daß das Vorhaben eines allgemeinen Arbeitnehmer-Datenschutzgesetzes wiederum vertagt und in die nächste Wahlperiode verschoben wird. Wir benutzen diese Gelegenheit hier und heute erneut, um das genannte Gesetz nachdrücklich anzumahnen. Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion im Innenausschuß hatten im Zuge der Beratungen über den vorliegenden Gesetzentwurf den Antrag gestellt, § 12 Abs. 4 des Bundesdatenschutzgesetzes zu streichen, was allerdings von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden ist. Die vorgeschlagene Streichung des Teilparagraphen würde in der Tat zu einer Verbesserung des Schutzes personenbezogener Daten führen. Verbessert würde insbesondere der Schutz personenbezogener Daten von Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst des Bundes. Dies wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung gewesen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle betonen, daß uns dies nicht veranlaßt, den gesamten Gesetzentwurf abzulehnen. Denn neben den Fragen des Personalaktenrechts werden in der vorliegenden Regelung einige andere und wichtige Fragen mit erledigt. Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Regreßregelung gegenüber Beamten in den Fällen, in denen eine Haftung wegen Pflichtverletzung des Beamten eintritt, vereinheitlicht wird. Bisher ist es so, daß der nicht hoheitlich handelnde Beamte wegen Vorsatz und jeder Fahrlässigkeit in Regreß genommen werden kann, der hoheitlich handelnde Beamte dagegen nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Diese Unterscheidung ist unserer Auffassung nach nicht sachgerecht und hat schon seit längerem zu unverständlichen Ergebnissen geführt, zumal die Differenzierung zwischen hoheitlicher und nicht hoheitlicher Tätigkeit in vielen Bereichen fragwürdig geworden ist. Auch soll mit dem vorliegenden Entwurf das Verbot der Beförderung während der Probezeit mit dem Ziel eingeschränkt werden, laufbahnrechtliche Nachteile, die durch Kinderbetreuungszeiten eingetreten sind, durch entsprechende laufbahnrechtliche Regelungen auszugleichen. Im Interesse der Gleichbehandlung mit anderen Beamten, für die solche Regelungen schon gelten, sollen beispielsweise Bundesrichter und Polizeivollzugsbeamte im Bundesgrenzschutz während der Zeit des familienpolitischen Urlaubs Leistungen der Krankenfürsorge erhalten. Zu bemerken meinerseits bleibt noch, daß der Bundesrat eine Reihe von Einzelheiten zwar aufgreift, aber wesentliche Grundzüge des Gesetzentwurfes nicht in Frage stellt. Die lange Beratungsdauer hat doch zur Folge gehabt, daß besonders datenschutzrechtlich notwendige Regelungen aufgenommen wurden. Wir von der SPD-Bundestagsfraktion werden in der sich anschließenden Schlußabstimmung dem Gesetz zustimmen, da immerhin auf einem wichtigen Gebiet, dem Personalaktenrecht der Beamtinnen und Beamten, wesentliche Fortschritte erreicht werden. Wir hätten uns in der Tat noch Besseres vorstellen können, wollen aber mit unserem Stimmverhalten dokumentieren, daß wir Gutes und Richtiges nicht ablehnen. Schönen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich hier um eines der Gesetze, bei denen jede Rede eigentlich in die Art einer Berichterstattung rückt, da man - ganz im Gegensatz zu den üblichen Debatten - beim besten Willen keinen findet, den man von Herzenslust beschimpfen möchte. ({0}) Herr Kollege Körper, Sie haben geradezu eine rhetorische Glanzleistung vollbracht, indem Sie kritische Bemerkungen zu Regelungen gemacht haben, die gar nicht zur Debatte stehen, die Sie zwar gern haben möchten, die aber heute nicht Gegenstand der Debatte sind. Der Kern dieses Gesetzentwurfes ist die umfassende Neuregelung des Personalaktenrechtes. In der Tat haben wir längere Zeit darauf gewartet, was aber -das muß man sehen - auch mit den Abstimmungsschwierigkeiten mit den Ländern, die teilweise mit ihrem Personalaktenrecht vorausgegangen sind, zusammenhing. Es wäre schon wünschenswert, wenn die hier gefundene Regelung dazu führen würde, daß nun in allen Bundesländern vergleichbare Personalaktenregelungen eingeführt werden, damit auch dort die datenschutzrechtlichen und beamtenpolitischen Fragen, die damit verbunden sind, in vernünftiger Weise geregelt werden, also auch die Akteneinsichtsrechte der Betroffenen, die Möglichkeiten, nachteilige Akteninhalte gegebenenfalls auch wieder entfernen zu lassen, usw. Der zweite Teil, der eigentlich mehr ein Anhängsel ist, über den Sie mit Recht gesprochen haben, ist die Neuregelung des Regresses bei Haftungsfällen. Über den bisherigen klassischen Unterschied in dem Regreß je nachdem, ob ein Beamter hoheitlich oder privatrechtlich handelt, haben wir alle, glaube ich, schon während des Studiums gestaunt, und wir haben uns gefragt ({1}) richtig; auch das ist ein Punkt, bei dem wir uns schon einmal um eine Verfassungsänderung bemüht haben , was eigentlich der Sinn ist. Wir begrüßen es, daß das Ganze in einer vernünftigen Weise neu geregelt ist, ebenso wie das nächste Anhängsel: die von Ihnen erwähnten Fälle der Betreuungsregelung und der Gewährung von Beihilfen in Kinderbetreuungsfällen. Das ist alles sehr begrüßenswert. Ich freue mich insbesondere - ich glaube, im Innenausschuß hatte sich die Fraktion der SPD der Stimme enthalten , daß es nun zu einer gemeinsamen Zustimmung zu dem Entwurf kommt. Das finde ich sehr begrüßenswert, und ich bedanke mich für die Beratungen. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Eduard Lintner, das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei so viel Zustimmung hat man fast ein schlechtes Gewissen, auch noch für die Bundesregierung zu sprechen. Aber ich glaube, es ist richtig, die Dinge auch noch einmal aus der Sicht des Bundesinnenministeriums zusammenzufassen. Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht die Neuordnung des Personalaktenrechts. Durch übereinstimmende Regelungen im Bundesbeamtengesetz und im Beamtenrechtsrahmengesetz soll die Grundlage für ein einheitliches Personalaktenrecht für die Beamten aller Dienstherrn geschaffen werden. Vergleichbare Vorschriften sind im übrigen auch für die Soldaten vorgesehen. Mit der Vorlage kommt die Bundesregierung auch einem mehrfach geäußerten Wunsch des Parlaments nach. Ziel dieser Vorlage ist es, den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Beamten und Soldaten zu stärken, gleichzeitig mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen und die Effektivität und Praktikabilität bei der Verwaltung der Personalakten zu verbessern. Ein gewisser Schutz der personalbezogenen Daten im Rahmen des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses zwischen Dienstherrn und Beamten wurde vom Gesetzgeber bereits lange vor der Schaffung eines allgemeinen Datenschutzrechts als ein notwendiges Normierungsziel erkannt und auch aufgegriffen. Ich erinnere an den Art. 129 Abs. 3 in der seinerzeitigen Weimarer Verfassung, der dem Beamten das Recht auf Einsicht in seine Personalunterlagen bereits einräumte und bestimmte, daß Eintragungen von ungünstigen Tatsachen in die Personalakte erst vorgenommen werden durften, wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich hierzu zu äußern. Dieses Anhörungs- und Einsichtsrecht des Beamten ist bis heute eigentlich der einzige Regelungsinhalt des § 90 des Bundesbeamtengesetzes geblieben, der das Personalaktenrecht für die Bundesbeamten in drei knappen Sätzen zusammenfaßt. Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, über den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, erstreckt das Einsichtsrecht auch auf Bevollmächtigte des Beamten und seine Hinterbliebenen, dehnt das Anhörungsrecht im übrigen auch auf Werturteile aus und enthält zusätzlich insbesondere Bestimmungen über die Pflicht zur Führung von Personalakten, den Inhalt und die Gliederung der Personalakten, die besondere Abschottung der Beihilfeakten, den Zugang zur Personalakte, deren Vorlage an andere Behörden und die Auskunfterteilung hieraus, die Entfernung von Vorgängen aus der Personalakte, die Aufbewahrungsdauer und die Verarbeitung und Nutzung von Personalaktendaten in Dateien. Auf Wunsch des Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurde der Gesetzentwurf insbesondere um Regelungen über die Erhebung von personalbezogenen Daten über Bewerber, Beamten und ehemalige Beamte sowie über das Einsichtsrecht des Beamten in Sachakten ergänzt. Damit trägt nun der Gesetzgeber über das im Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990 neugestaltete Bundesdatenschutzgesetz hinaus im Wege einer bereichsspezifischen beamtenrechtlichen Normierung den vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Volkszählungsgesetz von 1983 entwickelten Grundsätzen zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung. Im Bereich der beamtenrechtlichen Haftung soll - auch darauf ist bereits hingewiesen worden - die als nicht mehr sachgerecht empfundene und vom Bundesverwaltungsgericht seit längerem kritisierte unterschiedliche Regreßregelung für Beamte je nach der Art ihres Handelns - nämlich hoheitlich oder nicht hoheitlich - beseitigt und damit der Rechtszustand wiederhergestellt werden, wie er auf Grund des Staatshaftungsgesetzes bestand und wie er in einigen Bundesländern ja immer noch besteht. Nach der derzeit geltenden Rechtslage besteht ein Regreßanspruch gegen den nicht hoheitlich handelnden Beamten, auch wenn dieser nur leicht fahrlässig gehandelt hat. Demgegenüber hat ein Beamter bei hoheitlicher Tätigkeit für unmittelbare und mittelbare Schädigung seines Dienstherrn nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit einzustehen. Durch das Haftungsprivileg für hoheitliche Tätigkeit sollen die Entschlußkraft und die Verantwortungsfreude des Bediensteten gestärkt werden. Dies ist jedoch nicht nur bei hoheitlichem Handeln, sondern für die gesamte staatliche Tätigkeit erforderlich. Auch die Risikolage im hoheitlichen Bereich ist generell nicht größer als bei sonstiger staatlicher Tätigkeit, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt eine Sonderstellung nicht gerechtfertigt ist. So ist es einfach nicht mehr nachvollziehbar, meine Damen und Herren, daß ein Beamter, der etwa die Löhne und Gehälter für Angestellte und Arbeiter der öffentlichen Hand errechnet, also nicht hoheitlich tätig wird, für einen Bearbeitungsfehler voll haftet, während derjenige, der die Beamtenbezüge hoheitlich festsetzt, nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit in Anspruch genommen werden kann. Hinsichtlich der übrigen Regelungen des Entwurfs darf ich auf die Ihnen vorliegende Drucksache und die Beschlußempfehlung des Innenausschusses verweisen. Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf macht deutlich, daß das öffentliche Dienstrecht flexibel genug ist, sich neuen Gegebenheiten anzupassen. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders darauf hinweisen, daß die Neuordnung des Personalaktenrechts und die Vereinfachung der beamtenrechtlichen Haftung vor allem auch in den neuen Bundesländern dazu beitragen werden, die Anwendbarkeit dienstrechtlicher Vorschriften erheblich zu erleichtern und den Befürchtungen wegen des hohen Haftungsrisikos der dort handelnden Bediensteten wirksam entgegenzutreten. Eine funktionierende, effektive Verwaltung beruht nicht zuletzt eben auch auf der Entscheidungsfreude der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Wird jedoch der Wille zu schnellen und sachgerechten Entscheidungen durch ein wirkliches oder vermeintliches Haftungsrisiko gebremst, so treffen die Auswirkungen schließlich alle Bürger. Zusammenfassend bitte ich Sie deshalb um Ihre - ja bereits zugesagte - Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie hatten zwar bei dem Redner der SPD eine Bemerkung über die antizipierte Redelänge gemacht, aber die eigene angemeldete Redezeit ordentlich überschritten. ({0}) - Nein, nein; wir haben das sehr begrüßt, weil noch nicht alle Redner für die nächste Debatte anwesend sind. ({1}) - Bei allem Respekt vor der stärksten Fraktion: Es gibt ja noch mehr Fraktionen in diesem Hause! ({2}) - Verehrter Herr Kollege Conradi, der als erster Redner von Ihrer Fraktion gemeldete Abgeordnete ist auch noch nicht da. Wir wollen jetzt vom Bestand ausgehen. Zunächst einmal schließe ich die Aussprache über den Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf, Drucksachen 12/544 und 12/2201. Diejenigen Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe Punkt 13a bis h der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte 11 und 12 auf: 13. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann, Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Herstellung des Rechtsfriedens im Bereich des Wohneigentums in den neuen Bundesländern - Drucksache 12/2073 Überweisungsvorschlag: Rechtsauschuß ({3}) Innenausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Martin Bury, Achim Großmann, Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bericht der Bundesregierung über das Zusammenwirken finanzwirksamer, wohnungspolitischer Instrumente ({4}) - Drucksache 12/1277 ({5}) -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({6}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vizepräsident Hans Klein Verbilligte Abgabe von Grundstücken sowie von Wohnungen aus Bundesbesitz für den sozialen Wohnungsbau und für andere gemeinnützige Zwecke - Drucksachen 12/884, 12/1676 -Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Wilhelm Pesch Otto Reschke d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Belebung des Neubaues und der Modernisierung von Wohnungen in den alten und neuen Bundesländern - Drucksachen 12/338, 12/1687 -Berichterstattung: Abgeordnete Peter Götz Achim Großmann e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entschuldung der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern - Drucksachen 12/614, 12/1772 -Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Achim Großmann f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Barbara 1-1ö11 und der Gruppe der PDS/Linke Liste Gesetzgeberische Maßnahmen zur Mietpreisbindung in den neuen Bundesländern - Drucksache 12/1953 -Üerweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({10}) Rechtsausschuß g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS/Linke Liste Verlängerung der Regelungen über den erweiterten Kündigungsschutz für Mieter in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin - Drucksache 12/1974 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({11}) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({12}) zu dein Antrag der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mietentwicklung in den neuen Bundesländern - Drucksachen 12/313, 12/1994 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Wiechatzek Iris Gleicke ZP 11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Achim Großmann, Iris Gleicke, Dr. Eckhart Pick, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch - Artikel 232 ({13}) - Drucksache 12/2194 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({14}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Georg Brunnhuber, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Walter Hitschler, Lisa Peters, Uwe Lühr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zur Überprüfung der Instrumente der Wohnungspolitik - Drucksache 12/2231 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({15}) Die erste Vorlage, die auf der Tagesordnung steht, ist von der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN eingebracht, die zur Zeit nicht im Saal vertreten ist. Die sozialdemokratische Fraktion hat eine Reihe von Vorlagen eingebracht. ({16}) - Die Bundesregierung hat einen Vorschlag eingebracht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie vom Präsidenten eben angesprochen, sind neun verschiedene Initiativen und Anträge von Fraktionen und Gruppen des Deutschen Bundestages Grundlage dieser verbundenen Wohnungsbaudebatte. Sie betreffen Themen von der Belebung des Neubaus und der Modernisierung über die Entschuldung der Wohnungsunternehmen und die Mietentwicklung in den neuen Bundesländern, die verbilligte Abgabe von Grundstücken des Bundes für den sozialen Wohnungsbau, die Verlängerung des erweiterten Kündigungsschutzes in den neuen Bundesländern bis zur Forderung eines Berichtes über die Wirkung der Finanzierungsinstrumente im Wohnungsbau und die Einsetzung einer unabhängigen Regierungskommission zu Fragen der Wohnungspolitik. Die Vielzahl und die Vielfalt der Anträge hat einen gemeinsamen wohnungspolitischen Nenner: In den alten Bundesländern schloß sich an die Phase des Wiederaufbaus im Wohnungs- und Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg in den 80er Jahren nur eine kurze Spanne ausgeglichener Wohnungsmärkte an. 400 000 leerstehende Wohnungen Mitte der 80er Jahre, damals als „Wohnungshalden" und „Verschwendung öffentlicher Mittel" vielfach kritisiert, waren aus heutiger Sicht paradiesische Zustände. Ende der 80er Jahre wurde schnell erkennbar, daß die Nachfrage auf den Wohnungsmärkten kräftiger zunahm als der Neubau. Mit vielfältigen Maßnahmen und erheblich erhöhtem Mitteleinsatz haben die Bundesregierung und auch die Länder und Gemeinden in den letzten Jahren auf diese Entwicklung reagiert und dem Wohnungsbau wichtige Impulse gegeben. - Meine Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden aus unserer Sicht noch darauf eingehen. - Eine starke Aufwärtsentwicklung der Neubautätigkeit war die Folge. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen es: Es reicht nicht aus, denn die Rahmenbedingungen haben sich in kurzer Zeit wesentlich verändert. Im Zuge der allgemeinen Einkommensentwicklung der letzten Jahre hat sich zunächst einmal die quantitative und qualitative Nachfrage nach Wohnraum wesentlich verstärkt. Mehr als die Hälfte des neu geschaffenen Wohnraums ging an Haushalte, die wohnungsmäßig bereits ausreichend oder gar gut versorgt waren. Weiter sind durch die große Zuwanderung der letzten Jahre in den alten Bundesländern - derzeit 600 000 bis 700 000 Personen pro Jahr - alle langfristigen Bevölkerungsprognosen, die von einem Rückgang der Bevölkerung ausgingen, Makulatur. Das statistische Material ist überholt und mangelhaft. Die Nachfragestruktur selber hat sich hinsichtlich der Haushaltsgrößen, der gewünschten Lebens- und Wohnformen, der Einkommenssituation und des Anspruchs an Größe und Ausstattung wesentlich verändert. Umwelt- und Naturschutzbelange werden heute gegenüber dem Wohnungsbau hinsichtlich der Auswirkungen der Inanspruchnahme von Bauland, der Bodenversiegelung und der Emissionen wesentlich wichtiger eingeschätzt als früher, ja oft wichtiger als der Wohnungsbau selber. Eine erhebliche Verknappung und Verteuerung des Baulandes ist das Ergebnis. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau, insbesondere für die Finanzierungs und Baukosten, haben den erforderlichen Aufwand so erhöht, daß die Investitionsbereitschaft nachließ und die Versorgung bestimmter Gruppen der Bevölkerung mit Wohnraum außerordentlich erschwert wird. In den neuen Bundesländern haben wir ein katastrophales wohnungspolitisches Erbe des SED-Staates übernommen. Von knapp 7 Millionen Wohnungen waren etwa 1,5 Millionen Wohnungen völlig oder weitgehend unbewohnbar. Etwa die Hälfte davon dürfte nicht mehr zu retten sein. Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sage ich: Die wohnungspolitischen Belehrungen der SED-Nachfolgeorganisation PDS in diesem Zusammenhang kann man wohl nur als blanken Zynismus empfinden. Die Bundesregierung hat speziell für die neuen Bundesländer eine ganze Kette wohnungspolitischer Initiativen ergriffen, auf die meine Kollegen ebenfalls noch zurückkommen werden. ({0}) Dennoch ist sowohl die Neubautätigkeit als auch die lnstandsetzungs- und Modernisierungstätigkeit in den neuen Bundesländern zu gering, als daß eine schnelle und durchgreifende Verbesserung der Situation erreicht werden könnte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Kansy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Dr. Kansy, warum bezeichnen Sie es als Zynismus, wenn ich immer wieder anmahne, daß das Recht auf Wohnen als Menschenrecht in der Verfassung dieses Landes verankert werden sollte?

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bezeichne es als Zynismus, weil Sie in diesem Hause verdrängen, daß Sie die Nachfolgeorganisation der SED sind, die uns das größte Chaos in der Wohnungs- und Städtebaupolitik Deutschlands in den letzten Jahrzehnten hinterlassen hat. ({0}) - Viele Fragen, Herr Kollege Reschke, von der Verfügbarkeit der Grundstücke über die Altschulden bis zu mangelnder Verwaltungskraft und fehlenden Investitionsmöglichkeiten, sind wegen aus verständlichen Gründen gedeckelter Mieten nicht abschließend beantwortet. Meine Damen und Herren, angesichts dieser schwierigen wohnungspolitischen Lage in Ost- und Westdeutschland - wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen - könnte man - damit komme ich zu Ihnen, Herr Reschke; über Ihre Art, Politik zu machen, werden wir heute sicherlich noch etwas detaillierter sprechen - eigentlich annehmen, daß Bund, Länder und Gemeinden, die mit unterschiedlichen Mehrheiten politischer Parteien regiert werden, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung versuchen, der Herausforderung gerecht zu werden. Auf vielen fachpolitischen Tagungen, vor den kritischen Augen und Ohren von Fachleuten, geschieht das dankenswerterweise auch zunehmend offen. Diese Offenheit reicht selbst bis in manche nichtöffentliche Ausschußsitzung in diesem Haus. Aber wie lange noch, Herr Reschke und meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD, wollen wir vor diesem Hintergrund dem deutschen Volk dieses Schwarzer-Peter-Spiel von Wohnungsbaudebatten im Deutschen Bundestag nach dem Motto „Haust du meinen Jungen, haue ich deinen Jungen" bieten, wie das schon aus Ihren ersten Zwischenrufen heute wieder erkennbar war und wie es leider auch im Vorfeld der Debatte wieder feststellbar war? ({1}) Was hilft es denn, Herr Großmann, meinetwegen einer Familie in Köln, wenn Sie hier zum xten Male mit großem Pathos sagen, diese Bundesregierung habe angesichts dieser Bedingungen, die ich Ihnen eben Fakt für Fakt vorgetragen habe, völlig versagt, sie tue nichts in der Wohnungspolitik, ({2}) wenn die CDU und die F.D.P. in Nordrhein-Westfalen mit demselben Pathos Woche für Woche feststellen, die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen habe versagt, und wenn die Kommunen sich beide vornehmen und das für Bund und Länder behaupten? Wir können angesichts der Größe der Herausforderung auf diese Art und Weise hier im Plenum des Deutschen Bundestages, meine ich, keine Wohnungspolitik mehr machen, wenn wir glaubwürdig sein wollen. ({3}) - Herr Reschke, Sie werden sich mit Polemik nicht aus der Sachdiskussion herausmogeln können. Ich hatte eigentlich vor, eine Hoffnung auszusprechen. Aber es ist wirklich schwierig, mit unseren Kollegen von der SPD im Plenum des Deutschen Bundestages vor den Augen der Öffentlichkeit genauso zu diskutieren wie hinter verschlossenen Türen, wo sie bereit sind, Sachprobleme zu erörtern und, vor allen Dingen wenn Fachleute dabei sind, zu sagen: Es geht nicht anders. ({4}) Meine Damen und Herren, die Mehrheit der Bevölkerung - und dies sind die Widersprüche, die wir ansprechen müssen, auch hier in dieser Debatte - hat nicht zuletzt durch unzählige staatliche Förderungen von Bund, Ländern und Gemeinden ihre Wohnraumversorgung ständig verbessert. Mit dem Durchschnitt von 36,5 qm pro Person hat sich der verfügbare Wohnraum in den letzten 20 Jahren um mehr als 50 % erhöht. Die Qualität ist überhaupt nicht vergleichbar mit der der Wohnungen vor 20 Jahren. ({5}) Auf der anderen Seite - und das ist die neue Herausforderung - ist der Anteil derer, die im wahrsten Sinne vor der Tür stehen und teilweise his zur Obdachlosigkeit unterversorgt sind, immer größer geworden. ({6}) Diese Probleme müssen wir ansprechen, ({7}) nicht aber alte Debatten, die wir schon vor drei, vier oder fünf Jahren geführt haben, Herr Conradi, hier immer wiederholen. Wenn man Umfrageergebnisse zu der Frage „Welchen Stellenwert geben Sie der Wohnungspolitik?" betrachtet, landet der Wohnungsbau immer auf Spitzenplätzen, gerade in der letzten Umfrage auf Platz zwei. Fragt man jedoch am Anfang des Jahres, in Silvesterstimmung, in völlig anderem Zusammenhang: „Wofür beabsichtigen Sie in diesem Jahr mehr Geld auszugeben?", landet das Wohnen hinter Urlaub, hinter Auto, hinter Nahrung, hinter Kleidung und hinter vielen anderen Sachen unter ferner liefen, abgeschlagen. Die Frage, die wir hier gemeinsam beantworten müssen, wenn wir in der Zukunft erfolgreich handeln wollen, ist: Müssen wir nicht denen, die es können, ein Stück mehr Eigenverantwortung zumuten, als wir es in Vergangenheit gemacht haben, um wirklich denen zu helfen, die sich nicht alleine helfen können? Das ist die Frage, über die wir heute reden wollen, nicht über Ihre abgedroschenen Vorwürfe. Meine Damen und Herren, ein anderes Problem: Vier bis fünf Millionen Wohnungen, so wird gesagt, müssen bis zum Jahre 2000 gebaut werden. Verlang man das erforderliche Bauland für diese Wohnungen, wird quer durch die Republik gemauert. Das ist die Wahrheit. ({8}) In Quantität und Qualität, beim Wärme- und Lärmschutz, bei Stellplätzen, bei kommunalen Gebühren werden ständig neue Forderungen gestellt, Vorschriften erlassen, Abgaben erhoben, und dann beklagt man sich: In Deutschland ist der Wohnungsbau europaweit am teuersten; wir sollten gefälligst doch einmal über Aachen in die Nachbarländer fahren, um zu sehen, wie man billig Wohnungen baut. Das sind die Widersprüche, die wir ansprechen müssen. ({9}) Meine Damen und Herren, nicht zuletzt: Der Umfang der direkten und indirekten staatlichen Förderung des Wohnens durch Bund, Länder und Gemeinden hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Zwischen 40 und 50 Milliarden DM dürften es zwischenzeitlich sein. Trotzdem nimmt die Zahl derer, die die Förderung am nötigsten brauchen, aber am wenigsten erhalten, weiter zu und nicht ab. Das sind die Themen, über die wir uns unterhalten müssen. Meine Damen und Herren, wir haben in einer Kette von Maßnahmen, die ich hier im einzelnen jetzt nicht aufzählen will, sehr viel getan. Aber nicht nur wir, sondern auch die Länder und Gemeinden haben, wenn wir ehrlich sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten in den letzten Jahren unglaublich viel Zusätzliches versucht. Dennoch: I laben wir wirklich die Gewißheit, daß all diese Aktivitäten und Milliarden treffsicher dort ankommen, wo wir sie eigentlich hinhaben wollen? - Wir wissen, es gibt Grund zum Zweifeln. Und deswegen: Die Forderung, meine Kolleginnen und Kollegen aller Oppositionsparteien, in das vorhandene System noch mehr Milliarden hineinzustecken, ohne es zu hinterfragen, noch mehr staatliche Reglementierung einzuführen, wie z. B. die Minister der SPD-regierten Bundesländer es gerade wieder gemacht haben, in gleichem Atemzug dann noch über zu hohe Staatsverschuldung und zu hohe Steuern zu klagen und dabei noch festzustellen, daß diese vermeintlichen staatlichen Wohltaten bei den Falschen ankommen, ({10}) kann doch nicht Grundlage der weiteren Wohnungsbaupolitik von Bund und Ländern ein. ({11}) Meine Damen und Herren, die Wohnungspolitiker aller Fraktionen und auf allen staatlichen Ebenen, die für den Wohnungsbau gemeinsam Verantwortung tragen - das ist nicht nur der Bund -, haben eine Bringschuld, insbesondere jetzt, wo die öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden fast bis an ihre Leistungsgrenze strapaziert sind. ({12}) Und selbst wenn die öffentlichen Kassen etwas voller wären, meine Damen und Herren: Alle Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden allein werden nicht ausreichen, das Problem zu lösen. Wir sollten gemeinsam den Mut haben, den Menschen das zu sagen, und uns nicht gegenseitig immer vormachen, bei etwas gutem Willen lasse sich das Problem mil dem Einsatz staatlicher Mittel lösen. Vor diesem Hintergrund legen die Koalitionsfraktionen heute einen Antrag auf „Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zur Überprüfung der Instrumente der Wohnungspolitik" vor. ({13}) Meine Damen und Herren, das hört sich vielleicht etwas technokratisch an. Ich sage es deswegen etwas bildhafter: Alles, was Bund, Länder und Gemeinden für direkte oder indirekte Förderung des Wohnens in Deutschland ausgeben oder was den Wohnungsbau wesentlich beeinflußt, gehört jetzt auf den Tisch gelegt. Seine Zeitgemäßheit, die ökonomische Effizienz, die soziale Treffsicherheit und die Flexibilität bei veränderten Bedingungen und auch im Hinblick auf Gerechtigkeit sind zu überprüfen. ({14}) - Herr Conradi, Sie können gerne weiter Zwischenrufe machen. Es belebt vielleicht ein bißchen die Initiativen Ihrer Fraktion. ({15}) Die Überprüfung der Finanzierungsinstrumente, meine Damen und Herren, wie die SPI) sie fordert, wird allerdings nicht ausreichen, dem Problem gerecht zu werden. ({16}) Sie ist zwar richtig, aber nicht ausreichend. Denn neben der Überprüfung von Instrumenten wie Wohngeld, steuerliche Förderung und vieles andere mehr müssen wir auch noch, soweit es das Wohnen betrifft, rechtliche Rahmenbedingungen im Baurecht, im Bodenrecht, im Mietrecht und anderen Rechtsmaterien so weit mit überprüfen, daß wir endlich dahin kommen, neben der Tagesarbeit Grundlagen zu finden, die es ermöglichen, mit der völlig veränderten Situation in Ost- und Westdeutschland fertigzuwerden. Und hier, meine Damen und Herren, schlagen wir vor, diese Aufgabe in einer Expertenkommission überprüfen zu lassen, in einer Kommission, die uns dann auch Vorschläge für unsere Arbeit macht. Diese Kommission - vielleicht kann ich den Zuruf jetzt beantworten - ist eben kein Ersatz, Herr Conradi, für die laufenden Anstrengungen von uns, den Ländern, den Gemeinden und der Wirtschaft und bietet auch keinen Grund für Attentismus.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Kansy, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir bitten alle Parteien um Mitwirkung im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Wir wollen hier nicht Friede, Freude, Eierkuchen - denn parlamentarische Demokratie ist Auseinandersetzung -, aber was wir wünschen, ist - neben platten Sprüchen und neuen Milliardenforderungen, die ein altes System ständig weiterlaufen lassen, ohne daß es effizient ist - ein Stück Mindestkonsens, wie wir es in der Nachkriegszeit im Wohnungsbau schon einmal gehabt haben. Sonst werden wir die Probleme nicht lösen können. Schönen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich muß Sie noch einmal darauf hinweisen: Jede stärkere Redezeitüberschreitung geht natürlich auf Kosten der Redezeit der Kollegen der eigenen Fraktion. Als nächster hat der Kollege Achim Großmann das Wort.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung Kohl hat den Wohnungsmarkt unseres Landes innerhalb weniger Jahre in die tiefste Krise der Nachkriegszeit geführt. ({0}) Es fehlen 2 Millionen bis 2,5 Millionen Wohnungen. Nie nach den 50er Jahren hatten wir eine derart große Wohnungsnot. ({1}) Nur knapp über 200 000 Wohnungen sind in den letzten Jahren pro Jahr gebaut worden. Nie wurden in der Nachkriegszeit weniger Wohnungen als Mitte der 80er Jahre gebaut. ({2}) - Ich habe damit gerechnet, daß Sie mit hektischen Zwischenrufen reagieren. Es kommen noch ein paar Punkte, die Ihnen wehtun werden. Die müssen Sie sich anhören, weil die deutsche Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, wie wir in diese Situation gekommen sind. ({3}) 1983 haben Sie das Mietrecht „liberalisiert", wie Sie das bezeichnet haben. Es wurden aber nicht mehr Wohnungen, sondern weniger Wohnungen gebaut. Die Mieten dagegen sind explodiert. ({4}) Sie stiegen teilweise pro Jahr um einen zweistelligen Prozentsatz. Jetzt, knapp zehn Jahre später, müssen Sie die Kappungsgrenzen für Mieten herunterschrauben. Noch etwas haben Sie geschafft. Trotz mehrjähriger guter Konjunktur steigt die Zahl der Obdachlosen steil. Mehr Millionäre und gleichzeitig mehr Menschen, die auf der Straße leben müssen, das ist die beklemmende Bilanz Ihrer Politik. ({5}) Völlig erfolglos ist auch Ihre Bauland- und Bodenpolitik. Der Baulandbericht 1983 blieb für Sie ohne Wirkungen. Registriert wurden damals zweistellige Preissteigerungen, das Horten von Boden und das Phänomen, daß die Kommunen ihr baureifes Land lieber der Industrie als Bauwilligen gaben. Heute, fast zehn Jahre später, kommen regierungsamtlich eingesetzte Kommissionen zum selben Ergebnis. Kein Wunder: Zehn Jahre lang haben Sie nichts getan; Sie haben das einfach laufenlassen. ({6}) Bereits 1984 haben die wohnungswirtschaftlichen Institute hier in Bonn vor einer kommenden Wohnungsnot gewarnt, die Ende der 80er Jahre eintreten werde. Die Ursache, sagten sie, seien die geburtenstarken Jahrgänge, die dann auf den Wohnungsmarkt drängen würden. Ihr Bauminister saß bei dieser Konferenz dabei. Zwei Jahre später, 1986, hat er es dann sogar amtlich gemacht. Er hat zugegeben, daß durch die Änderung der Altersstruktur der Bevölkerung in den nächsten zehn Jahren eine Zunahme der Haushalte um 800 000 zu erwarten sei; dies sei entscheidend für die Entwicklung der Wohnungsnachfrage. Hören Sie also endlich auf, so zu tun, als hätten Sie alles nicht gewußt! ({7}) Sie haben es gewußt. Sie haben aber genau das Gegenteil von dem getan, was Sie hätten tun müssen. Sie haben keine zusätzlichen Wohnungen gebaut, sondern Sie haben die Mittel für den sozialen Wohnungsbau radikal gekürzt: von 2,29 Milliarden DM 1983 über rund 1 Milliarde 1985 auf schließlich 0,5 Milliarden DM 1988, also um 80 % innerhalb von sechs Jahren. ({8}) Damit die Unterschiede deutlich werden, weise ich darauf hin: In den letzten sieben Jahren der SPD-Regierung Schmidt wurden 781 000 Sozialwohnungen gefördert. In den ersten sieben Jahren von CDU-Kanzler Kohl waren es nur noch 453 000. Das ist ein Rückgang um fast die Hälfte. ({9}) Ich weiß, spätestens an dieser Stelle - das haben wir ja soeben schon gehört - kommt Ihr Märchen von den Wohnungshalden. Das bemühen Sie in Ihrer Not immer wieder zur Ablenkung von Ihrem politischen Versagen. Nun, zu den Leerständen Mitte der 80er Jahre sagte ein ausgewiesener Fachmann der Baufinanzierung Mitte Mai 1991 bei einem sehr renommierten öffentlichen Seminar, ({10}) sie seien auch nichts Spektakuläres, sondern nicht viel mehr als eine an sich ganz normale Fluktuationsreserve, die für das Funktionieren eines Wohnungsmarkts notwendig ist. Er hat Ihnen noch mehr ins Stammbuch geschrieben. Er hat nämlich wörtlich gesagt: Rückblickend auf die 80er Jahre können wir feststellen, daß uns ziemlich genau die Zahl der Wohnungen fehlt, um die die Neubauproduktion in den 80er Jahren eingeschränkt worden ist. I leute stehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, vor dem Scherbenhaufen von zehn Jahren falscher Wohnungspolitik, einer Politik, die an Verantwortungslosigkeit und Leichtfertigkeit nicht zu überbieten ist, einer Politik zu Lasten von Millionen von Menschen, die keine Wohnung finden und die ihre Miete kaum noch bezahlen können.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte im Kontext reden. ({0}) Meine Damen und Herren, wer nun gedacht hätte, mit der dritten Bauministerin in drei Jahren werde sich das ändern, der sieht sich enttäuscht. Das Jahr 1991 war eine wohnungspolitische Null-Runde. Ihre erste Amtshandlung, Frau Ministerin, war ein Wortbruch. Anstatt Ihr vor der Wahl gegebenes Versprechen, 2,2 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen, einzuhalten, haben Sie das Geld für den preiswerten Wohnraum kurzerhand um fast 25 % auf 1,76 Milliarden DM gekürzt. 1991 - die Zahlen sind gestern von Ihnen selber bekanntgegeben worden - sind ganze 0,9 % Wohnungen mehr im sozialen Wohnungsbau gebaut worden, nur 825 Wohnungen mehr als im Jahr zuvor. Man will es kaum glauben. Auch die Mieter haben Sie getäuscht. Das von Ihnen mehrfach genannte Datum für eine Begrenzung der Mietsteigerungen, der 1. Januar 1992, ist lange vorbei. Geschehen ist bisher nichts. Sie setzen lediglich die Ankündigungsserie Ihrer Vorgänger fort. ({1}) Den Sozialabbau, den Ihr Kollege Möllemann vor wenigen Tagen noch gefordert und propagiert hat, führen Sie klammheimlich bereits seit einem Jahr durch. Am 20. Februar 1991 haben Sie vor dem Bauausschuß ausgeführt: Außerdem werden wir im Laufe der Legislaturperiode die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau anheben, damit nicht immer mehr und mehr Haushalte aus der Förderung herausfallen. In Wirklichkeit weigern Sie sich, dem Bundestag einen Bericht über die Entwicklung der Einkommensgrenzen vorzulegen, den alle Fraktionen einstimmig gefordert haben. Sie wollen die Einkommensgrenzen nicht anheben; Sie wollen, daß immer mehr Haushalte aus der Förderung herausfallen. Sie brechen auch an dieser Stelle ein gegebenes Versprechen. Bei der Förderung des selbstgenutzten Eigentums haben Sie, wohl einmalig in der Geschichte der deutschen Wohnungspolitik, den Häuslebauerparagraphen in einem Jahr gleich mehrfach geändert. Das Ergebnis ist klar: Einbrüche beim Eigenheimbau. Viele haben abgewartet, wie denn die neue Förderung aussieht. ({2}) Herausgekommen ist eine Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit. Jemand mit einem wirklichen guten Einkommen bekommt vom Staat auf Grund Ihrer Politik doppelt soviel wie eine Familie mit Kindern mit einem mittlerem Einkommen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Viele Arbeitnehmerfamilien, die Doppelverdienereinkommen haben, denen es also ganz gut geht, können trotzdem nicht bauen, weil sie keine adäquate Förderung des Staates bekommen. Schließlich haben Sie im ökologischen Bereich Tabula rasa gemacht. Ein paar Demonstrationsobjekte reichen hier sicher nicht aus. Sie haben den §82a, den letzten Rest eines früher wirklich guten Einsparprogramms, zum 31. Dezember 1991 auslaufen lassen, ohne Alternative. Zur Lösung der Probleme bei der Baulandausweisung hat die Regierung - Sie versuchen es heute wieder auf einem anderen Level eine Kommission eingesetzt. Experten haben die Köpfe zusammengesteckt und Mitte letzten Jahres eine Reihe von wirklich guten Vorschlägen auf den Tisch gelegt. Realisiert wurde bis zum heutigen Tage kein einziger dieser Vorschläge. ({3}) Die Koalition hat nicht die Kraft, überfällige bodenpolitische Maßnahmen durchzusetzen. ({4}) Meine Damen und Herren, in den neuen Bundesländern ist kein Problem gelöst. Die Altschuldenfrage, monatelang verschleppt, wird immer brisanter. Sie ist zusammen mit den ungeklärten Eigentumsfragen ein Investitionshemmnis erster Klasse. Die Wohnungswirtschaft steht finanziell mit dem Rücken an der Wand. Milliardenbeträge, die in die Instandsetzung und Modernisierung investiert werden könnten, fließen nicht ab und sind blockiert. Sie verhindern damit, daß Tausende in den neuen Bundesländern neue Arbeit finden können. Zusätzlich haben die Mieter Angst. Wir beantragen heute eine Verlängerung des Kündigungsschutzes für die neuen Bundesländer. Stimmen Sie wenigstens diesem Antrag zu! Machen Sie diesem Wechselspiel mit den Mietern endlich ein Ende! ({5}) Die Wohnungsnot in Ost und West wächst. Die alleinerziehende Frau, die Familie mit drei oder vier Kindern, der Facharbeiter mit seiner Familie, der keine Sozialwohnung bekommt und die Mieten auf dem freien Markt nicht zahlen kann, aber auch der wirklich gut dotierte Ingenieur, der von München nach Hamburg ziehen muß, alle finden keine Wohnung mehr, eine bezahlbare sowieso nicht. Ich habe damit klar gemacht, daß die Wohnungsnot quer durch alle Schichten unserer Bevölkerung geht. Für all diese Bevölkerungsgruppen haben Sie kein Konzept. Ein paar Notreparaturen, das ist alles. Sie haben nichts, was Konturen hat, nichts, was für die Zukunft trägt. Einer der Gründe für den wohnungspolitischen Offenbarungseid ist die Handlungsunfähigkeit der Koalition. Hier blockiert jeder jeden: Die Wohnungspolitiker der F.D.P. blockieren die der CDU/CSU, und wenn sie sich doch einmal zusammengefunden haben, gibt es immer noch ein paar Finanzpolitiker, die dann wiederum die Wohnungspolitiker blockieren - eine ausweglose Situation. Die Bundesbauministerin hat bereits im Herbst des letzten Jahres den Schlußstrich gezogen: Das war's - so ihre Botschaft in der Pressekonferenz, in der sie ihr gestutztes Notprogramm vorgestellt hat. Deutlicher, Frau Ministerin, kann man nicht sagen, daß bei Ihnen in der Wohnungspolitik nichts mehr läuft. Trotz der drängenden Probleme vergeuden Sie wertvolle Zeit. Ich will das an einem Beispiel klarmachen, das Ihnen auch sehr wehtun wird. Wie sah die Beschlußlage der Koalition und der Opposition zu Anfang der Legislaturperiode des neugewählten Bundestags aus? Man braucht nur in zwei Papiere hineinAchim Großmann zuschauen, um die unterschiedlichen Ausgangspunkte zu erkennen: einmal in die Koalitionsvereinbarung und zum anderen in den Ausblick der SPD auf die Wohnungspolitik der 12. Legislaturperiode. In der Koalitionsvereinbarung findet sich lediglich eine Aufzählung geplanter Korrekturen. Für die SPD habe ich im Februar 1991 formuliert: Das System der Wohnungsbauförderung muß grundlegend überarbeitet werden ... Dieses Fördersystem weist enorme Fehlentwicklungen in bezug auf Wirksamkeit, Stetigkeit, Neubauorientierung, Übersichtlichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Komponenten auf. Es bedarf in der kommenden Legislaturperiode einer grundlegenden Überarbeitung und Umorientierung. ({6}) Steigende Wohnungsnot und zunehmende Knappheit an öffentlichen Mitteln erzeugen einen Handlungsdruck, dem die Wohnungspolitik nicht wird ausweichen können. Der Umbau des wohnungspolitischen Instrumentariums erfordert einen breiten Konsens zwischen den Parteien, zwischen Bund und Ländern und auch mit der Bau- und Wohnungswirtschaft und ihren Organisationen. Die Diskussion, die wir heute führen, hätten wir also bereits vor einem Jahr führen können. Sie haben damals unsere Vorschläge verworfen. Zur Zusammenarbeit waren Sie nicht bereit. Heute, nach einem weiteren Jahr erfolgloser Wohnungspolitik, müssen Sie Ihre Koalitionsvereinbarung in den Papierkorb schmeißen. Statt auf den SPD-Vorschlag einzugehen, haben Sie eigenbrötlerisch versucht, Ihre Wohnungspolitik notdürftigst zu flicken. ({7}) Meine Damen und Herren, heute folgt nun Ihr Offenbarungseid. Sie verabschieden sich endgültig aus der Wohnungspolitik. Nach Ihrem Willen soll der Bundestag heute beschließen, seine wohnungspolitische Arbeit einzustellen. ({8}) Der heute von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Antrag zur Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission dokumentiert die Flucht dieser Regierung und der sie tragenden Parteien aus der Verantwortung für diese katastrophale Wohnungsnot. ({9}) Die Bauministerin selbst hat am 21. Januar verkündet, daß die Vorschläge der Kommission - hört! hört! - in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden. Sie schieben die Verantwortung auf die Wissenschaftler und die Wohnungswirtschaft ab. Sie suchen also nicht den möglichst breiten Konsens, wie wir ihn schon seit einem Jahr fordern. Sie taktieren und vergeuden wertvolle Zeit. Viele der nötigen Reformen könnten wir von heute auf morgen durchführen. Sie sind in der Diskussion bereits so ausgereift, daß man nun wirklich keine Expertenkommission braucht. Einiges bedarf sicher der Diskussion. Dabei sind natürlich auch Experten willkommen, mit denen wir übrigens seit Jahren vernünftig zusammenarbeiten. Auch für diese schwierigeren Fragen braucht man allenfalls acht bis zwölf Monate, um zu Lösungen zu kommen, Das Hauptproblem - ich habe bereits darauf hingewiesen - ist ein ganz anderes: Die Expertenkommission kann beschließen, was sie will, die Koalition ist handlungsunfähig und kann die Ergebnisse nicht umsetzen. ({10}) Ich will Ihnen auch nach dieser scharfen Analyse ({11}) trotzdem und erneut die Zusammenarbeit in wohnungspolitischen Fragen anbieten. Ich wiederhole noch einmal unsere zentralen Eckpunkte sozialdemokratischer Wohnungspolitik. Sie sind ein konstruktives Angebot zur Lösung der anstehenden Probleme. Erstens. Wir brauchen eine unverzügliche Überprüfung des gesamten Förderinstrumentariums in der Wohnungspolitik. Das Ziel müssen Einsparungen bei ineffektiven Förderinstrumenten sein, damit wir finanzielle Spielräume für langfristig wirksame und sozial gerechte Programme schaffen. Zweitens. Wir brauchen neue, langfristig kalkulierbare Rahmenbedingungen für den notwendigen Bau neuer Wohnungen. ({12}) Befristete Programme - Herr Pesch, Herr Raidel sind Gift für den Wohnungsmarkt und treiben die Bau- und Bodenpreise in die Höhe. ({13}) Drittens. Stetigkeit im Wohnungsbau bedeutet die Festschreibung der Bundesfinanzhilfe für den sozialen Wohnungsbau auf längerfristige Zeit auf einer Höhe von jährlich 5 bis 6 Milliarden DM, damit wir wirklich preiswerten Wohnraum mit langen Bindungen schaffen können. Machen Sie sich doch nichts vor: Es laufen jede Menge Bindungen aus. Wir haben immer weniger sozial gebundene Wohnungen, und wir können das Problem nicht lösen, indem wir jetzt mit 6 oder 7 Jahre Bindung bauen. Wir brauchen lange Bindungen. ({14}) Viertens. Wir wollen die Umstellung der sozial ungerechten und ineffizienten steuerlichen Förde6880 rung des Eigenheimbaus auf einen einkommensunabhängigen Abzugsbetrag von der Steuerschuld und ein erhöhtes Baukindergeld. Beenden Sie doch endlich den Eiertanz zwischen CDU/CSU und F.D.P. und machen Sie eine vernünftige, steuerlich gerechte Förderung für die Eigenheimbauer! Fünftens. Privates Kapital für Investitionen in den Wohnungsbau gewinnen wir durch eine Verbesserung der Rentabilität. Dazu brauchen wir einen flexibilisierten sozialen Wohnungsbau mit je nach Einkommen unterschiedlichen Bewilligungsmieten, korrespondierend dazu auch ein qualifiziert neues Wohngeld und natürlich eine Überprüfung der Einkommensgrenzen. Sechstens. Der seit Jahren andauernde koalitionsinterne Streit über das Mietrecht verunsichert Investoren mehr als die überfällige Korrektur. Mietrechtsänderungen im Miethöhegesetz und beim Schutz vor Umwandlungen müssen schnell beschlossen werden, um Investoren, aber auch Mietern Klarheit zu geben. Die unter der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung bis 1982 geltende Regelung für Mieterhöhungen hat sich damals bewährt. Es wurde mehr gebaut als heute. Nichts spricht dagegen, sie wieder einzuführen. Siebtens. Wir brauchen ein stadtübergreifendes regionales Bodenmanagement, ({15}) eine neuorganisierte Bodenvorratspolitik und ein zoniertes Satzungsrecht für Städte und Gemeinden mit der Möglichkeit steuerlicher Instrumente zur Bodenmobilisierung. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme muß Dauerrecht werden. Achtens. Wir brauchen neue Anstöße in der Städtebaupolitik. Die Finanzierung der Städtebauförderung muß auf einem höheren Niveau verstetigt werden. Statt unzureichender Übergangslösungen müssen neue rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt werden. ({16}) Neuntens. Eine Novellierung des Baugesetzbuches soll die Erfahrungen mit diesem Gesetzeswerk aufnehmen und eine schnellere Umsetzung von Bauvorhaben möglich machen. Zehntens. Angesichts der Tatsache, daß der Energieverbrauch für Raumheizungen und Warmwasseraufbereitung etwa ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs ausmacht, dieser aber insgesamt Hauptursache für die Klimaverschlechterung und den Treibhauseffekt ist, muß ein überzeugendes und stringentes ökologisches Wohnungsbaukonzept erarbeitet werden. Elftens. Die Probleme - und darauf gehen gleich meine Kollegen noch intensiver ein des Wohnungsmarktes in den neuen Bundesländern erfordern eine radikale Kurskorrektur. Dazu zählen insbesondere die Lösung der Altschuldenfrage, die Lösung der ungeklärten Eigentumsfragen und die Herstellung der Liquidität der Wohnungswirtschaft. ({17}) Vor wenigen Tagen haben Sie, Frau Schwaetzer, sich bitter darüber beklagt, wir hätten keine Alternativen und Vorschläge. Ihre Botschaft habe ich wohl verstanden. Sie meinen: Ich weiß nicht mehr, bitte helft mir weiter! Dabei kennt alle Welt unsere Vorschläge, die ich gerade noch einmal wiederholt habe, und wir finden dafür viel Lob. Es ist schon fast peinlich, daß Sie mit solchen Tricks arbeiten. ({18}) Deshalb habe ich Ihnen heute erneut gesagt, daß wir sofort anfangen können, daß wir sofort anpacken müssen. Ich bin in der Schlußphase. Sie haben vielleicht gleich die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Wir müssen sofort anpacken, und wir können das auch. Ich habe eben schon gesagt: Es gibt viele ausgereifte Pläne. Hören Sie auf, Frau Schwaetzer, in der Öffentlichkeit Luftschlösser zu bauen, in denen wirklich niemand wohnen kann! Eine entscheidende Wende in der Wohnungspolitik ist möglich und dringend notwendig, gerade angesichts knapper Finanzen und der großen Umbrüche in unserem Land und in Europa: Eine Wohnungspolitik mit langem Atem kalkulierbar und stetig, eine Wohnungspolitik ökonomisch vernünftig, eine Wohnungspolitik, die konjunktur- und beschäftigungspolitisch wirksam ist, eine finanzpolitisch seriöse und sozial gerechte Wohnungspolitik und eine Wohnungspolitik, die ökologischen Ansprüchen wirklich gerecht wird. Nur eine solche Politik kann die Wohnungsnot wirksam und nachhaltig bekämpfen. Nur eine solche Politik wird es schaffen, daß alle Menschen in unserem Land wieder gut wohnen und leben können. Das ist unsere Alternative. Das ist die Alternative zur gescheiterten Politik der Regierung Kohl. Vielen Dank. ({19})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren! Ich muß jetzt erst einen kleinen Fehler in Ordnung bringen. Unter dem Antrag auf Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zur Überprüfung der Instrumente der Wohnungspolitik steht in der vorläufig verteilten Drucksache irrtümlicherweise offenbar auch der Name des Kollegen Dieter Maaß ({0}), der der sozialdemokratischen Fraktion angehört. Nun war die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Gerlinde Hämmerle bei mir und hat gesagt: Der gehört uns. Da der Kollege Maaß offensichtlich weder diesen Antrag mittragen noch die Fraktion wechseln will, ({1}) Vizepräsident Hans Klein sage ich hier öffentlich zu Protokoll, daß es sich zweifellos um den Kollegen Erich Maaß ({2}) handelt, der hier mit dem „Maaß" gemeint ist. Das muß also entsprechend geändert werden. ({3}) - Maß für Maß! Ich erteile als nächstem das Wort dem Abgeordneten Dr. Walter Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Großmann, daß Sie eher ein Gemälde eines unbekannten Meisters des modernen Destruktivismus interpretiert haben denn zur Wohnungspolitik dieser Bundesregierung gesprochen haben. ({0}) Dietmar Polaczek schrieb diese Woche in der FAZ so trefflich, die italienischen Verhältnisse skizzierend: Auch die Neigung des Schiefen Turms von Pisa nimmt in Wahlkampfzeiten - z. B. jetzt stets besonders bedrohlich zu. Unser Turm von Pisa scheint die Schieflage an den Wohnungsmärkten zu sein, die stets zur Sehenswürdigkeit in bevorstehenden Wahlkämpfen - wie jetzt in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein erkoren wird. ({1}) Im Unterschied zum Schiefen Turm von Pisa, der schief bleiben soll, möchten wir - die Koalitionsparteien und die Bundesregierung die Wohnungsmärkte geraderücken, ({2}) während die Opposition im Bund und in verschiedenen Ländern offenbar Gefallen an diesem Zustand findet und uns deshalb Rezepte anempfiehlt, welche die bedrohliche Neigung noch viel bedrohlicher machen würden. Wohnungsnot in Bonn zu beklagen und Wohnungsbau in den Gemeinden zu behindern, erscheint in der Tat nur demjenigen als perfide, der sich redlich müht, das Angebot an Wohnungen drastisch zu verbreitern. ({3}) Die in den vorliegenden Anträgen der Opposition formulierten Forderungen lassen sich kurz zusammenfassen: gesetzliche Deckelung der Erlöse aus der Wohnungsvermietung, höhere Steuern für Haus- und Grundbesitzer, mehr Subventionen und Entlastung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in den neuen Bundesländern dadurch, daß der Bund 50 Milliarden DM Altschulden übernehmen soll. Das ist so paradox, als bliesen die Erzengel auf dem Blocksberg zum Dixie-Konzert. Der Opposition in der Wohnungspolitik das Handeln in Bonn zu überlassen hieße, auf die wohnungspolitische Katastrophe zuzusteuern, geben Sie sich doch schon in manchen Ländern und Kommunen durch eine aktive Bauverhinderungspolitik gottlob nicht durchgängig erfolgreich redliche Mühe, ihr nahezukommen. Die Fakten sind: Die Baukapazitäten im Wohnungsbau sind weitgehend ausgelastet. Die Arbeitsmärkte sind von Baufacharbeitern leergefegt. Die Bauwirtschaft investiert kräftig in Ausrüstung. Bauland ist schwer zu bekommen. Die Baupreise steigen. Die Kreditzinsen sind auf Grund der hohen Beanspruchung des Kapitalmarkts hoch. Trotzdem wird kräftig gebaut. Wenn Sie sich die gestern veröffentlichte Bilanz der Hypothekenbanken anschauen, können Sie an Hand der Entwicklung der Hypothekarkredite, die in diesem Jahr beantragt sind und ausgeliehen werden, ablesen, wie erfolgreich die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung ist. Nur, Bauen kostet Zeit, und monatlich ziehen mehr Menschen von außen nach Deutschland zu, als wir Wohnungen bauen können. Ohne nachhaltige Lösung dieser Zuzugsfrage werden wir daher auch keine Entspannung auf den Wohnungsmärkten bekommen. Das muß uns klarsein. Die Übernachfrage ist kurzfristig nicht abzubauen, weshalb sich die Wohnungspolitik auf eine dauerhafte Wohnungsbauförderungspolitik einstellen und den Investoren vor allem konstante Rahmenbedingungen bieten muß. Die Freien Demokraten werden sich dabei von folgenden Zielsetzungen leiten lassen, die unsere Wohnungspolitik maßgeblich bestimmen. Erstens. Wir möchten die Bildung von selbstgenutztem Wohneigentum fördern. Der Mensch soll „mein" sagen können, um frei zu sein. Diesen Kernsatz der Denkschrift der Evangelischen Kirche zur Eigentumsfrage in der Bundesrepublik Deutschland wollen wir in der Wohnungspolitik beherzigen. ({4}) Er gilt in den alten wie in den neuen Bundesländern. ({5}) Wir wollen aus Mietern Eigentümer machen und setzen uns daher nachdrücklich auch für eine Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes in den neuen Ländern ein, ({6}) wie wir in den alten für eine Verbesserung der Förderung der Wohneigentumsbildung gesorgt haben, beispielsweise durch die Einführung eines begrenzten Schuldzinsenabzugs, durch die Verbesserung der steuerlichen Abschreibung und des Baukindergeldes. ({7}) Die Eigenheimförderung ist im übrigen für den Staat die billigste Möglichkeit zur Unterstützung des Wohnungsbaus. Eine selbstgenutzte Wohnung von 80 m2 kostet den Staat in 15 Jahren 33 200 DM an Steuerausfällen. Eine öffentlich geförderte Sozial6882 wohnung erfordert im gleichen Zeitraum 260 000 DM Subvention. ({8}) Die Wohneigentumsquote ist sowohl in den alten als insbesondere auch in den neuen Bundesländern unbefriedigend. ({9}) Die Garantie des Privateigentums nehmen wir auch in schwierigen Zeiten ernst, weshalb wir zu dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" stehen. ({10}) Ihre Haltung in dieser Frage offenbart, daß das Eigentum an Grund und Boden in der SPD immer noch keinen verläßlichen Partner gefunden hat. Ihre Bereitschaft, ein Rechtsgut wie das Privateigentum an Grund und Boden von heute auf morgen zugunsten anderer Interessen und Ansprüche aufzugeben, entlarvt Ihr gestörtes Verhältnis zu diesem Kernelement unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. ({11}) Zweitens. Wir möchten den sozial Schwachen Mietwohnungen verschaffen. Deshalb haben wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau kräftig aufgestockt und vor allem mit dem Instrument des dritten Förderweges dafür gesorgt, daß mit den gleichen Mitteln mehr Wohnungen gebaut werden können. Leider wird dieser Weg von einigen sozialdemokratisch regierten Ländern blockiert. ({12}) Eine große Chance zur Schaffung von Sozialwohnungen sehen wir auch in der Nutzung von frei werdenden Kasernenanlagen. Die Kommunen dürfen sich diese Chance nicht entgehen lassen. Wir verweisen auf das Verbilligungsprogramm, das die Bundesregierung beschlossen hat. ({13}) Das Wohngeld wurde von uns in mehreren Schritten durch verschiedene Anhebungen und strukturelle Verbesserungen zu einem wirksamen Instrument der sozialen Absicherung entwickelt. Allerdings müssen wir auch feststellen, daß rund 30 % aller Sozialwohnungen gegenwärtig fehlbelegt sind. Das ist ein Skandal. Die Länder sind deshalb aufgerufen, endlich wirksame Maßnahmen gegen diese Fehlsubventionierung zu ergreifen. ({14}) Drittens. Die Bereitstellung von zusätzlichem Bauland wird unumgänglich notwendig. Die Kommunen haben mit dem Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz ein vorzügliches Instrumentarium erhalten. Sie werden aber auch durch Gemarkungsgrenzen und die Bestimmungen des Landesplanungsrechtes sowie durch die Handhabung der Eingriffsregelungen der jeweiligen Landesnaturschutzgesetze an der Baulandausweisung gehindert. Nachverdichtungen im beplanten Bereich werden durch die Bauaufsichtsbehörden unter Berufung auf Umweltschutzbelange oft verhindert. Neue Baulandausweisungen scheitern, weil man sich in vielen Gemeindevertretungen nicht einig wird. Rot-grün blockiert. Gerade jene aber, welche den Wohnungsmangel am lautstärksten beklagen, gerieren sich als die Verhinderer des Wohnungsbaus, ({15}) indem sie bei der Abwägung der Entwicklungsgrundsätze dem Umweltschutz einen Vorrang vor den Wohnbedürfnissen der Menschen einräumen wollen. Typisch und praxisbewährt ist ferner die Erfahrung, daß die Aufstellung eines Bebauungsplanes für gewerbliche Nutzung insonderheit dann in kürzester Frist bewerkstelligt ist, wenn ein namhafter Betrieb ansiedlungswillig ist. Ein Bebauungsplan für die Wohnbebauung ist freilich vor fünf Jahren kaum zu haben. Das ist die Crux in der Baulandfrage: Die Preise klettern, weil das Angebot an baureifen Grundstükken knapp ist und viele Länder und Gemeinden die Bemühungen des Bundes um mehr Baulandbereitstellung konterkarieren. In den neuen Bundesländern scheinen manche Kommunalverwaltungen Gefallen an dem, was man Bodenspekulation zu nennen pflegt, wenn es Privatleute tun, gefunden zu haben, ohne zu erkennen, wie sehr sie damit der Belebung der Baukonjunktur schaden. Wir halten wenig von allerlei Zusatzsteuern oder Steuererhöhungen, weil sie nicht geeignet sind, mehr Bauland zu mobilisieren, aber durchaus dazu geeignet sind, es zu verteuern. Wir sind aber überzeugt davon, daß es bei dem sparsamen Umgang mit dem Faktor Boden durchaus intelligente und phantasievolle Lösungen gibt, die die Bodeninanspruchnahme und Bodenversiegelung minimieren. Ferner meinen wir viertens, daß es erforderlich ist, den ganzen Wust von baurechtlichen Vorschriften zu durchforsten und zu entbürokratisieren. Dies würde nicht nur der Planungsbeschleunigung dienen, sondern unter Umständen auch eine Verbilligung der Baukosten mit sich bringen. Nicht alles das, was sich im Laufe der Jahre an ordnenden Eingriffen angesammelt hat, macht heute noch Sinn. Angesichts der auf uns zukommenden Verteuerung des Bauens, beispielsweise auf Grund der bevorstehenden Wärmedämmverordnung, sind Maßnahmen zur Verbilligung durch den Abbau überflüssiger Bauvorschriften dringend geboten. Wir möchten den Wohnungsmangel dadurch bekämpfen, daß wir alles meiden, was Investitionen hemmen könnte. Dazu gehören eine Flexibilisierung der Förderinstrumente, um traditionelle Anleger durch bedarfsgerechte Gestaltung der Förderelemente wiedergewinnen zu können, ebenso wie ein stabiles Mietrecht und zeitgemäßere Landesbewilligungsmieten im sozialen Wohnungsbau. Die Schere zwischen den zulässigen Sozialmieten und den echten Kostenmieten ist zu groß geworden. Sie zu überbrücken übersteigt die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte, so daß sie sich gegenwärtig als Investitionshindernis erweisen. Bund, Länder und Gemeinden müssen in der Wohnungspolitik im Gleichschritt gehen, sonst bleibt der nachhaltige Erfolg aus. ({16}) In den neuen Ländern stehen wir vor der besonderen Aufgabe der dringend erforderlichen Instandhaltung und Modernisierung des Wohnungsbestandes und seiner Finanzierung hei einer Mietgestaltung, bei der wir laut Einigungsvertrag an die Einkommensentwicklung gebunden sind. Nach unserer Überzeugung ist dies nur durch eine nennenswerte Privatisierung aus dem kommunalen Bestand heraus zu leisten; ({17}) denn die auf den Grundstücken lastenden Altschulden müssen letztlich nach einer Übergangszeit aus den Mieteinnahmen bedient werden. In Einzelfällen - keineswegs aber generell - werden dabei Überbrückungshilfen geleistet werden können. Die gegenwärtige Grundmiete beträgt im Durchschnitt 2 DM/m2 Wohnfläche; sie macht damit nur ein Drittel der Bruttomiete aus, die zu zwei Dritteln aus Heizkosten, Wasser- und Betriebskosten besteht. Diese Kosten sind vergleichsweise viel zu hoch. Mieter wären deshalb besser beraten, gegen die hohen Betriebskosten ihrer Kommunen zu demonstrieren denn gegen die wirklich minimale Grundmiete, deren Festsetzung wir hier lediglich zu vertreten haben. ({18}) Die Senkung der Betriebskosten eröffnet mehr Dekkungsspielräume für Instandsetzung, Modernisierung und den Kapitaldienst. Wir sind nicht ideologisch fixiert. ({19}) Wir sind völlig offen, was die künftige Gestaltung und den Mix der Förderinstrumente angeht. Wir lassen uns dabei auch von allgemeingültigen Kriterien wie beispielsweise der Gerechtigkeit einer Maßnahme leiten, aber nicht ausschließlich von diesem Aspekt, sondern auch von dem Aspekt der Wirksamkeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute einen Antrag vorgelegt, mit dem wir erreichen wollen, daß durch die Bundesbauministerin eine unabhängige Expertenkommission einberufen wird. Wir bitten Sie, diesen Antrag zu unterstützen. ({20})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am gestrigen Tag hatten sich mehr als 1 900 Brandenburger und Berliner Bürgerinnen und Bürger auf den Weg nach Bonn gemacht, um hier verantwortliche Politikerinnen und Politiker auf ihre Sorgen und Probleme aufmerksam zu machen. Bei Hearings, Gesprächen, auf der Kundgebung auf dem Münsterplaz forderten die Bürgerinnen und Bürger Verlängerung der Schutzfristen für Mieterinnen und Mieter, generellen Kündigungsschutz für Schwerbeschädigte und Bürger ab dem 70. Lebensjahr, ein Mietenmoratorium, die Umkehr des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung, die Aufhebung der völlig unsinnigen Stichtagsregelung bei der die Redlichkeit eines Kaufs nach dem 18. Oktober 1989 generell in Frage gestellt wird , die gesetzliche Neuregelung der Überlassungsverträge, eine angemessene Entschädigung von Alteigentümern. Als Bürgerin des Landes Brandenburg unterstütze ich diese Forderungen voll und ganz. Ich verstehe z. B. die Verbitterung der jungen Frau aus Potsdam, deren Kaufvertrag nur deshalb, weil die Notarin krank wurde, plötzlich nach dem Stichtag liegt, die Unredlichkeit somit durch Krankheit begründet wird. Ich verstehe die Verbitterung derer, die mit maßlosen Forderungen, Rechtsanwälten, Kameras, Drohbrief en und ähnlichen „rechtsstaatlichen Hilfsmitteln" verunsichert und aus ihren Wohnungen und Häusern vertrieben werden sollen, ({0}) in die sie Arbeit, Zeit und oftmals ihr ganzes Geld gesteckt haben. Sie haben im Gegensatz zu den Alteigentümern kein Geld, über Jahre Prozesse führen zu können. Ich habe genauso viel Unverständnis für Äußerungen der Bundesregierung wie z. B. die von Kanzler Kohl: „Hätte sich Herr Dalk" - das ist, zu Ihrer aller Erinnerung, der Abgeordnete aus dem Kreistag Bernau, der in den Freitod gegangen ist - „an mich gewandt, ich hätte ihm geholfen. " Auch die Äußerungen von Frau Schwaetzer, Herrn Kinkel und anderen die Palette ließe sich fortführen - sprechen eher dafür, daß ihnen die Befürchtungen und Ängste der betroffenen Menschen völlig egal sind, daß sie weder Herz noch Verstand für diese Menschen haben. ({1}) „Mieterinnen und Mieter im Osten Deutschlands auf den Bund gekommen" , wie auf einem der Plakate gestern zu lesen war? Meine Damen und Herren, nehmen Sie die Sorgen der Menschen im Osten Deutschlands ernst. Es geht um mehr als 1 Million Betroffene. Ihre Entscheidung zu den vorliegenden Anträgen wird nicht im Bundestag bleiben. Sie müssen sich vor Ihren Wählerinnen und Wählern verantworten. Es darf hier nicht um Parteienprofilierung gehen, sondern einzig und allein um die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern, ({2}) um ihr Recht auf Wohnung, um den Schutz ihrer Interessen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt der Frau Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Irmgard Schwaetzer, das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus Umfragen wissen wir, daß für drei Viertel der Menschen in den ostdeutschen und den westdeutschen Bundesländern das Problem „mehr Wohnungen bauen" ganz oben steht. Die Ursachen für die Wohnungsmisere im Osten, aber auch für die Wohnungsprobleme im Westen liegen dabei deutlich auf der Hand. Im Osten hat es ganz komplexe Auswirkungen, aber eigentlich eine einzige Ursache, nämlich 40 Jahre Sozialismus und staatliche Verteilwirtschaft, die den Wohnungsbestand haben verrotten lassen. Wer allen etwas geben will, wird niemandem wirklich etwas geben. Das ist die Konsequenz, die wir jetzt dort aufzuarbeiten haben. ({0}) Die Ursachen im Westen liegen ebenfalls auf der Hand. Herr Großmann, noch einmal zum Mitschreiben: Seit 1988 gab es 3 Millionen Zuwanderer, Aus-und Übersiedler, in die westlichen Bundesländer, die nach Wohnungen und Arbeit fragen. Seit 1988 verzeichnen wir 1 Million Single-Haushalte zusätzlich. ({1}) Dies ist im wesentlichen nicht nur eine Auswirkung der geburtenstarken Jahrgänge, sondern auch eine Auswirkung des steigenden Wohlstandes in den westlichen Bundesländern - Wohlstandsansprüche, die für jeden von uns 0,5 m2 Wohnfläche pro Jahr als zusätzlich erreichbar hinstellten und auch erreichen ließen. ({2}) Aus diesen Zahlen wird schon völlig klar: Ihr Vergleich mit 1985, Herr Großmann, lag voll daneben. Die Fundamentalpolemik, die Sie vorgetragen haben, hat lediglich deutlich gemacht, wie komplex und kompliziert die Lösung der Probleme, die sich in den letzten Jahren im wesentlichen nicht vorhersehbar - angehäuft haben, ist. ({3}) Deswegen, denke ich, sind Sie wohl ganz froh, daß Sie Opposition sind und nicht an Ihren eigenen Worten und Forderungen gemessen werden. ({4}) Die Bundesregierung kennt die Probleme, und sie handelt konsequent. ({5}) Seit 1989 sind die Fördermethoden und die Fördermittel konsequent nach oben gefahren worden. Die Fertigstellungszahlen seit 1989 betragen 256 000 Fertigstellungen im Westen im Jahre 1990, 300 000 im Jahre 1991, 1992 voraussichtlich etwa 350 000. ({6}) Diese Zahlen wollen und werden wir verstetigen, nicht nur durch unsere Förderpolitik, sondern auch dadurch, daß wir die Bauwirtschaft durch stabile Rahmenbedingungen ermutigen, ihre eigenen Kapazitäten auszuweiten, damit zusätzliche Fördermittel nicht in Baupreise gehen, sondern sich in zusätzlichen Fertigstellungen auswirken. Ich bitte, eines wirklich nicht zu übersehen: Eine Wohnung ist nicht ein Wirtschaftsgut wie ein Kühlschrank. Wenn Kühlschränke am Markt fehlen, dann kann man in relativ kurzer Zeit zusätzliche beschaffen. Wenn Wohnungen am Markt fehlen und wie ich ausgeführt habe - viele Wohnungen auf einen Schlag zusätzlich nachgefragt werden, dann dauert es bedauerlicherweise etwas länger; ({7}) denn die Vorbereitungs- und Fertigstellungszeiten in den westlichen Bundesländern betragen im Durchschnitt nun einmal zwischen einem Jahr und drei Jahren. Deswegen, meine Damen und Herren: Das beste Mittel gegen Polemik sind Zahlen. Die Baugenehmigungen im Wohnungsbau betragen Jahr für Jahr 400 000, die jetzt zum großen Teil noch auf Realisierung warten. ({8}) Die Hypothekenbanken haben gestern ihre Zahlen veröffentlicht. Daraus geht hervor - das streichen sie auch besonders heraus -, daß Kredite für den frei finanzierten Mietwohnungsbau in den letzten Jahren kontinuierlich hochgegangen sind und die Zahl für Kredite in diesem Bereich inzwischen wieder so hoch wie in den 70er Jahren ist, d. h. so hoch wie zu einem Zeitpunkt, als der absolute Höchststand an Zubau im frei finanzierten Mietwohnungsbau in der Bundesrepublik erreicht war. ({9}) Die Nachfrage nach Eigentumswohnungen hat sich im letzten Jahr um 45 % erhöht, und das vorwiegend nach Gebrauchtimmobilien. Das ist auch ein Grund, weshalb wir die steuerliche Förderung des Erwerbs von Gebrauchtimmobilien nicht einschränken werden, weil wir diese Bürger nicht enttäuschen wollen. ({10}) Die Zahlen, die der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft immerhin der bedeutendste Verband von wohnungswirtschaftlichen Unternehmen in West und Ost - für Fertigstellungen veröffentlicht hat, weisen für 1991 gegenüber 1990 ein Plus von 45 % und gegenüber 1989 ein Plus von 72 % aus. Meine Damen und Herren, das zeigt nichts anderes, als daß die Politik der Bundesregierung nicht nur gegriffen hat, sondern durchgreifend für die Trendwende am Wohnungsmarkt sorgt. ({11}) Deswegen werden wir diese Politik konsequent weiterführen. Wir haben in der Baulandpolitik Maßstäbe für Länder und Gemeinden gesetzt. Unser eigenes Verbilligungsprogramm - 50 Abschlag für die Nutzung im sozialen Wohnungsbau bei bisher militärisch genutzten Flächen muß ein Vorbild für Länder und Gemeinden sein. Die Eigenheimförderung ist jetzt, nachdem die SPD endlich ihre Blockade - zumindest in einem Land - aufgegeben hat, ({12}) in Kraft getreten. Deswegen ist die Eigenheimförderung gerade für den Erwerb und den Bau von Immobilien für Familien mit mittleren Einkommen deutlich und drastisch verbessert worden. Mittlere Einkommen liegen bei uns zwischen 50 000 und 90 000 DM. ({13}) Diese Familien können bei uns mit einem Plus netto bar auf die Hand pro Jahr von etwa 4 000 DM rechnen, und das über den Förderzeitraum von 8 Jahren. Es rechnet sich nun wieder, auch ein Eigenheim zu bauen. ({14}) Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau West sind auf 2,7 Milliarden DM pro Jahr heraufgefahren worden. Das ist ein deutliches Plus, das zu einer Bewilligung von etwa 130 000 Sozialbauwohnungen pro Jahr führen wird. Unser besonderer Schwerpunkt ist hier der Ansatz in den Ballungszentren, denn dort kumulieren die Wohnungsprobleme. Das wissen wir. Deswegen werden wir unseren neuen Förderansatz besonders dort umsetzen. Dieser Förderansatz ist die Antwort auf die veränderten Ansprüche der Familien mit mittleren Einkommen, aber auch auf die veränderte Leistungsfähigkeit von Familien. Wir wollen mit privatem Kapital und öffentlicher Förderung marktnähere, einkommensorientierte Mieten und durch kürzere Belegungsbindung keine Fehlbeleger wie in der Vergangenheit. Herr Großmann, wenn Sie das, was wir machen, was ich mühsam unter Androhung von Verfassungsklagen von seiten der Länder mit diesem Sonderprogramm durchgesetzt habe und dem Sie nun offensichtlich zustimmen, ({15}) Ihrer Kollegin Bruses in Nordrhein-Westfalen einmal weitersagten, ({16}) wäre es leichter, in der Bundesrepublik Deutschland sozialen Wohnungsbau zu betreiben. ({17}) Die Lage in den ostdeutschen Bundesländern ist sehr viel komplizierter. Aber auch hier muß auf Grund der Bilanz des Jahres 1991 eines gesagt werden: Die Förderprogramme von Bund, Ländern und Gemeinden haben schon eine Menge bewirkt. Wir sind längst noch nicht am Ende dieses Weges angekommen. Aber alleine die Investitionen, die diese Förderprogramme bewirkt haben, sind mit 25 Milliarden DM ein deutlicher Ausweis dafür, daß wir den richtigen Weg beschritten haben und daß die Bauwirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern zum Konjunkturmotor werden wird. ({18}) Im Bereich der Instandsetzung und Modernisierung sind durch 10 Milliarden DM zinsverbilligte Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau, 1 Milliarde DM Bundesmittel, ergänzt durch Länder- und Gemeindemittel, etwa 1,1 Milliarden DM Zuschußmittel aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und steuerlichen Abschreibungen 600 000 Wohnungen modernisiert und instand gesetzt worden. ({19}) - Herr Reschke, ich habe überhaupt keinen Zweifel daran gelassen, daß die Misere, die 40 Jahre Sozialismus hinterlassen haben, nicht in einem Jahr zu beseitigen ist, sondern daß dies eine Generationenaufgabe ist. ({20}) Wer wie Sie den Menschen in den ostdeutschen Bundesländern suggeriert, daß es schneller ginge, der macht sich an den Ängsten und an der Verunsicherung mitschuldig. ({21}) 80 % dieser Mittel, vor allen Dingen für die Instandsetzung und Modernisierung, sind bereits in energiesparende Investitionen geflossen. Dies ist vielleicht nicht sehr deutlich sichtbar am äußeren Aussehen der Häuser, aber sehr schnell sichtbar am Geldbeutel der Mieter, die in diesen Wohnungen wohnen. Denn dadurch wird die Senkung der Betriebskosten, die dringend notwendig ist, eingeleitet. Wenn wir dann noch erreichen können, daß in einer gemeinschaftlichen Anstrengung mit den Gemeinden die Wasser- und Abwasserkosten gesenkt werden können, dann können wir den Mietern in den ostdeutschen Bundesländern auch die Hoffnung geben, daß ihre eigene Belastung aus Betriebskosten in der Zukunft, so wie wir uns das wünschen, abnimmt. Frau Enkelmann, die Sorgen und Nöte der Mieterinnen und Mieter aus Brandenburg, die gestern hier gewesen sind, nehmen wir in der Tat sehr ernst. Ich will überhaupt keinen Zweifel daran lassen, daß uns alle der Freitod des Kommunalpolitikers Dalk getroffen hat. Ich will auch überhaupt keinen Zweifel daran lassen, daß ich es für skandalös halte, wie manche Alteigentümer aus den westlichen Bundesländern in den östlichen Bundesländern bei den Mietern, die damit rechnen konnten, daß sie in den Immobilien noch lange wohnen würden, auftreten. ({22}) Wir müssen die Ängste der Menschen, die von einem auf den anderen Tag - in den meisten Fällen gewollt; denn die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist von der Mehrheit der Bürger aus den ostdeutschen Bundesländern gewollt worden -, in unsere Rechtsordnung eingetreten sind, ernst nehmen. ({23}) - Daß Sie sie vielleicht nicht wollten, will ich nicht ausschließen. Aber die Mehrheit der Bürger in den ostdeutschen Bundesländern wollte die Rechtsordnung des Grundgesetzes. Jetzt geht es darum, diese Umbruchsituation angemessen, menschlich und erträglich zu gestalten. Dazu gehört auch, daß die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern umfassend über ihre Rechte, die sie schon heute haben, informiert werden. Es war einer der Punkte, den ich ebenfalls in meinem Gespräch mit den Mieterinnen und Mietern aus Brandenburg klarzumachen versucht habe: daß viele der Ängste, die dort jetzt aufgebrochen sind, ({24}) schon deshalb zurückgestellt werden können, weil der Einigungsvertrag umfassende, und zwar mehr Schutzrechte, vorsieht, als bisher dort bekannt ist. Ich sehe hier die Aufgabe, in umfassenden Informationsveranstaltungen dafür zu sorgen, daß alle Menschen wissen, wo und wie sie geschützt sind. ({25}) Aber wir werden die Lücken, die jetzt noch im Schutz bestehen, mit zwei Gesetzesentwürfen, die gerade vorbereitet werden, schließen: mit dem zweiten Vermögenssrechtsänderungsgesetz, bis Mitte dieses Jahres auf den Weg gebracht, und mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das wir bis Ende dieses Jahres auf den Weg gebracht haben werden. Wir werden durch angemessene Moratorien für die Mieter, Erwerber und Eigentümer dafür sorgen, daß hier keine Ängste unzumutbarer Art bestehenbleiben. ({26})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Wenn sie nicht angerechnet wird, Herr Präsident, ja.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr, Frau Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Ministerin, akzeptieren Sie auch, daß es in der ehemaligen DDR besondere rechtliche Verfügungen und Gesetze - Stichwort Überlassungsverträge - gegeben hat? Akzeptieren Sie, daß es notwendig ist, im Interesse der Sicherheit der Mieterinnen und Mieter hier klare gesetzliche Regelungen zu treffen? Die bisherigen sind nicht anwendbar auf die gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik. ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Frau Enkelmann, ich habe gerade ausgeführt, daß sich die Bundesregierung intensiv darum kümmert, das ohne Zweifel sehr komplizierte Geflecht der rechtlichen Hinterlassenschaft des alten DDR-Regimes aufzudröseln und angemessenen Regelungen zuzuführen. Ich muß Ihnen immer wieder sagen, wie erstaunt wir sind, daß dieses alte DDR-Regime zwar Gesetze erlassen, sie aber zum Teil gar nicht selber durchgeführt hat. Bei der Übertragung von Grund und Boden an die Wohnungsunternehmen Ost stellen wir fest, daß zwar enteignet werden sollte, aber diese Enteignung nie durchgeführt worden ist. Es sind zwar Bescheide herausgegangen, aber nie umgesetzt worden. Ein bürokratischer Staat war zwar bürokratisch für seine Bürger, hat aber seine eigenen Gesetze offensichtlich nicht ernst genommen. Wir allerdings nehmen die Hinterlassenschaft im Interesse der Menschen schon so ernst, daß wir uns darum kümmern werden, angemessene Moratorien auszusprechen. ({0}) - Herr Großmann, vor einem Jahr wußten auch Sie nicht, welches komplizierte Rechtsgeflecht das war. ({1}) Herr Großmann, Sie wie wir haben in diesem einen Jahr ungeheuer dazugelernt, wie kompliziert dieses Rechtsgeflecht ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie endlich in Ihre eigene Post hineinsehen und nicht ganz so an der Oberfläche argumentieren würden. ({2}) Die Probleme, meine Damen und Herren, die noch vor uns liegen, sind wie ein gordischer Knoten, den wir jetzt durchhauen: Altschulden, Grundstücksübertragung, Eigentumsansprüche. Bei den Altschulden kann man nicht so tun, als könnten sie einfach mit einem Federstrich wegradiert werden. Man kann sich lange darüber streiten, wie die rechtliche Qualität ist. ({3}) Der Rechtsstreit darüber würde sieben bis zehn Jahre dauern. Ich denke, wir sollten ihn nicht führen, sondern uns um praktikable Regelungen bemühen. Angebote haben wir gemacht. Ich hoffe, daß die neuen Länder auf diese Angebote eingehen, damit die Wohnungsunternehmen kreditfähig werden. Für die Grundstücksübertragung haben wir gerade praktikable Wege der Erledigung entworfen und sind dabei, sie umzusetzen. Dieser Prozeß wird nach unserer Einschätzung Mitte des Jahres abgeschlossen sein. Zu den Eigentumsansprüchen. Die wohlfeile Forderung, das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung umzukehren, kann ich nicht unterstützen. Dazu bekenne ich mich. Ich könnte den Menschen, die jetzt die Hoffnung darauf haben, das ihnen Enteignete zurückzubekommen, nicht sagen, daß sie in einer rechtsstaatlichen Ordnung ein zweites oder drittes Mal von einer rechtsstaatlichen Regierung enteignet werden. ({4}) Deswegen wird am Prinzip nicht gerüttelt. Außerdem hilft dies in dem Bereich, um den es heute geht, im Bereich des Wohnungsbaus, der Wohnungswirtschaft, überhaupt nicht. Hier geht es um etwa 1 Million Immobilien, die unter sogenannter staatlicher oder anderer Verwaltung stehen. Das bedeutet, bei Aufhebung dieser Verwaltung muß einmal über jede dieser etwa 1 Million Immobilien eine Entscheidung entweder zugunsten eines Neuerwerbers oder zugunsten des Alteigentümers getroffen werden. Da liegt der Haken: Die Regelungen für die Vermögensämter müssen praktikabler gestaltet werden - das tun wir bis Mitte des Jahres -, und die Vermögensämter müssen besser ausgestattet werden. Hier liegt der Flaschenhals. Nicht das Prinzip ist der Hemmschuh, sondern die mangelnde Ausstattung der Vermögensämter. Dies, meine Damen und Herren, sind die Probleme, die wir jetzt angehen. Ein letztes Wort zu den Mietern: Mieterhöhungen wird es im Einklang mit dem Einigungsvertrag nur dann geben, wenn die Einkommen steigen. Deswegen wiederhole ich: Ausschlaggebend wird eine Prüfung der Ergebnisse der laufenden Tarifverhandlungen sein. Wir werden selbstverständlich die besondere Situation von Rentnern und Arbeitslosen nicht aus den Augen verlieren, und wir werden eine angemessene Ausgestaltung des Wohngeldes als flankierende Maßnahme vornehmen. Eine nächste Mietenerhöhung - wann immer sie kommt - muß außerdem stärker nach der Qualität der Wohnungen differenzieren. - Dies zeigt die Fülle der Probleme, die wir zu lösen haben. Ich bin darüber hinaus mit einer ganzen Reihe von Gemeinden im Gespräch, wie man die Baulandausweisung für den Neubau verbessern kann; denn daß es einen erheblichen Nachholbedarf an Wohnraum gibt, wissen wir. Es gibt auch potentielle Investoren. Jetzt geht es darum, die Erschließungskosten, wenn es geht, vorzufinanzieren und Bauland auszuweisen, damit auch der Neubau in den neuen Bundesländern in Gang kommt. Die Bundesregierung nimmt sich aller dieser Probleme mit großer Konsequenz und Ernsthaftigkeit an. ({5}) Wir werden bis zur Lösung sicherlich noch einige Zeit brauchen; das wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber Hoffnung dürfen die Menschen haben, und sie haben sie auch; das weiß ich aus vielen Gesprächen. Wir werden alle unsere Kraft zur Lösung dieser Probleme weiter einsetzen. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Peter Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich vor zehn Jahren, als CDU/CSU und F.D.P. die Bundesregierung übernahmen, vorausgesagt hätte, 1992 gibt es in allen Städten, nicht nur in den Großstädten der Bundesrepublik Wohnungsnot, wenn ich vorausgesagt hätte, 1992 gibt es in einem der reichsten Länder der Welt wachsende Obdachlosigkeit, wenn ich vorausgesagt hätte, 1992 erwägen Tausende von Frauen einen Schwangerschaftsabbruch wegen ihrer Wohnungsprobleme, wenn ich das gesagt hätte, hätten Sie darauf entgegnet, das sei eine üble Hetzrede, ({0}) und der amtierende Präsident hätte mich hier zur Mäßigung angehalten. Nur, dies ist die wohnungspolitische Wirklichkeit im Jahr 1992. ({1}) Nach zehn Jahren eines wirtschaftlichen Booms ist Westdeutschland - über Ostdeutschland reden nachher Frau Gleicke und Herr Janzen - im Wohnungs6888 bau das Schlußlicht in Europa. In keinem anderen westeuropäischen Land sind in den letzten fünf Jahren weniger Wohnungen gebaut worden als hier in Deutschland. Das ist der Erfolg Ihrer Politik. Jetzt haben Sie sozusagen den Bankrott Ihrer Politik vor Augen, und jetzt kommen Sie und sagen, wir bilden eine unabhängige Kommission. Weil die Koalition nicht mehr weiter weiß, gründet sie nen Arbeitskreis - das ist vielleicht Politik! - und sagt dann noch, dieser Arbeitskreis, diese Kommission soll in dieser Legislaturperiode keine Veränderungen mehr herbeiführen. Frau Ministerin, für Sie ist das eine Ohrfeige. Sie haben mit Ihren vier Staatssekretären - ein stark besetztes Ministerium - offenbar nichts zuwege gebracht. Jetzt kommen die beiden Koalitionsfraktionen und sagen: Wir müssen eine Sachverständigenkommission einsetzen, damit etwas auf den Weg kommt - irgendwann nach 1994. Das eigentliche Problem ist, daß sich CDU/CSU und F.D.P. in der Wohnungspolitik in keinem Fall einigen können. Es gab ja Warnungen, nicht nur von uns: Herr Dr. Kansy hat vor Jahren, noch vor der Einheit, dem Bundeskanzler einen drängenden Brief geschrieben und zur Umkehr in der Wohnungspolitik aufgefordert. Ich fand das richtig, was er damals geschrieben hat. Ich habe keinen Zweifel: Würden wir beide uns eine Nacht hinsetzen, dann würden wir uns auf weite Teile der Wohnungspolitik einigen. ({2}) Aber jeder Versuch einer vernünftigen Wohnungspolitik in diesem Land scheitert an der F.D.P., an der Partei der „Regierigen". Hätte ich 1982 vorausgesagt, daß 1992 die Abgeordnete Adam-Schwaetzer Bauministerin wäre, hätte ich hier im Plenum einen Lachsturm geerntet; denn die F.D.P. hat damals die Abschaffung des Bauministeriums und den Rückzug des Staates aus der Wohnungspolitik gefordert. War es Bosheit oder war es Wurschtigkeit, daß der Bundeskanzler Ihnen, Frau Schwaetzer, das Bauministerium übertragen hat? Mit Ihnen hat er doch im wahrsten Sinne des Wortes den Bock zum Gärtner gemacht. ({3}) - Die weibliche Form kann ich nicht verwenden, denn sonst bekomme ich einen Ordnungsruf. ({4}) - Zwischenrufe von der Regierungsbank sind nicht üblich, aber wenn Sie einen Zwischenruf von Ihrem Abgeordnetenplatz aus machen wollen, dann werde ich gerne darauf eingehen. ({5}) - Ich habe gesagt, die weibliche Form hätte mir hier einen Ordnungsruf eingetragen; deswegen habe ich die männliche Form gewählt. Wann werden Sie und die F.D.P. endlich begreifen, daß in den Ländern, in denen sich der Staat aus der Verantwortung für die Wohnungspolitik zurückgezogen hat und vor allem auf die Marktwirtschaft setzt, z. B. in den USA, in Großbritannien und in Deutschland, Wohnungselend und Obdachlosigkeit herrschen und daß in den Ländern, deren Regierungen sich angestrengt um Wohnungspolitik kümmern, z. B. Skandinavien oder die Niederlande, jedenfalls kein Wohnungselend herrscht? Man hat den Eindruck, Frau Ministerin, Sie läßt das alles kalt. Sie sind Bauministerin auf Durchreise zu höheren Ämtern. Sie hoffen, sich mit immer neuen Ankündigungen, mit einer Pressepolitik, die dem Fürsten Potjomkin Ehre gemacht hätte, über die Jahre bis 1994 hinwegzuretten und dann in höhere Ämter zu verschwinden. Das werden wir nicht zulassen. ({6}) Ich will an drei Punkten aufzeigen, wie konzeptionslos Ihre Wohnungspolitik ist. In Westdeutschland gibt es 26 Millionen Wohnungen. Im Jahr werden 260 000 Wohnungen - 1 % - hinzugebaut. Es ist töricht, die Wohnungsnot allein mit dem einen Prozent der jährlich hinzukommenden Wohnungen bewältigen zu wollen. Zu den 99 % im Bestand fällt Ihnen nichts ein. Noch immer geht in Westdeutschland fast die Hälfte der Investitionen in den Bestand und nicht in den Neubau. Was fällt Ihnen dazu ein? Nichts. Von den 4 Millionen Sozialwohnungen bei uns in Westdeutschland werden bis 2000 3 Millionen aus den Bindungen herausfallen. Es ist billiger, eine Sozialmietwohnung in der Bindung zu halten, notfalls Rechte anzukaufen. Aber wo sind die gesetzlichen Grundlagen dazu? Wo sind die finanziellen Hilfen für die Gemeinden? Dazu fällt Ihnen nichts ein. 1988 wurden 208 000 Wohnungen gebaut, aber 628 000 Wohnungen verkauft. Noch immer werden bei uns viel mehr Wohnungen verkauft als neu gebaut. In allen Städten blühte das Umwandlungsgewerbe - zu Lasten der Städte und zu Lasten der Mieter. Dann haben einige mutige Städte versucht, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen durch die Abgeschlossenheitsprüfung zu bremsen. Wir haben dazu einen Gesetzentwurf eingebracht, denn jetzt droht der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte, diesen Damm zu durchlöchern. Was fällt Ihnen dazu ein? Nichts. Ihre Bestandspolitik ist eine einzige Fehlanzeige. Das gleiche gilt für die Wohnungspolitik über das Finanzamt. In Westdeutschland gibt der Staat im Jahr rund 70 Milliarden DM für das Wohnen aus: 10 Milliarden DM direkte Förderung und Wohngeld, 60 Milliarden DM über die Finanzämter. Die Wohnungspolitik der Finanzämter folgt dem Grundsatz: Je teurer einer baut und je mehr er verdient, um so stärker wird er gefördert. Die steuerlichen Verluste aus Vermietung und Verpachtung wurden 1989 auf 66 Milliarden DM, die Gewinne auf 19,5 Milliarden DM geschätzt. Was für ein eigenartiges Gewerbe ist das, das solche „Verluste" jahrelang durchstehen kann? Sie belohnen den Neubau einer Wohnung mit einer steuerlichen Abschreibung von 85 % in den ersten zehn Jahren. Roland Stimpel sagt in seinem Buch „Der verbaute Markt": 85 % Abschreibung in zehn Jahren, das ist schneller als das Verfallstempo eines Hauses in Beirut. Und dann behaupten Sie, nach zehn Jahren würden die Steuern fließen. In Wirklichkeit wissen Sie ganz genau: Nach zehn Jahren wird die Wohnung an den nächsten verkauft, und der schreibt wieder seine Verluste ab; dann wird wieder verkauft, und es werden wieder Verluste abgeschrieben. Das ist ein Tollhaus, aber es rentiert sich. Sie führen diese Riesensubventionen nicht einmal im Subventionsbericht der Bundesregierung auf, denn es sind ja Ihre Freunde, die da kassieren. Sie streiten mit dem Bundesfinanzminister um ein paar 100 Millionen DM für den Wohnungsbau, und zu den Milliarden, die im Bestand versickern, sagen Sie nichts. Kein Wort über die Begrenzung der Verluste aus Vermietung! Kein Wort zu einer Besteuerung der Wertzuwächse beim Verkauf! Kein Wort von Ihnen zur Verschleuderung von Staatsgeldern. Schließlich: Bodenrecht und Bauland. Bis zum Jahre 2000 sollen fünf Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Das ist so viel wie der ganze Wohnungsbestand Bayerns. Sie werfen den Gemeinden vor, sie würden da nicht genug tun. Aber was haben Sie denn getan, die Sie doch sonst so auf die Marktwirtschaft schwören, um endlich einmal den Bodenmarkt in Bewegung zu bringen? Ob Einheitswerte, ob vorgezogene Teilhauptfeststellungen für bebaubare Grundstücke, ob Meßzahlen, ob Hebesätze - zum Teil haben wir das noch 1982 in der damaligen Koalition auf den Weg gebracht, aber dann kam die Wende , nichts haben Sie getan in zehn Jahren. Und jetzt kommen Sie und sagen: Wir brauchen eine Kommission. Mit den Bodenwertsteigerungen, die allein in Berlin seit 1989 entstehen, könnten wir nicht nur unseren Umzug, sondern den gesamten Wohnungsbau in Berlin auf Jahre hinaus finanzieren. Aber auch dazu fällt Ihnen nichts ein. ({7}) Nein, Frau Bauministerin, Sie wollen keine vernünftige Wohnungspolitik. Sie wollen nicht begreifen, daß wir alle, daß diese Gesellschaft, daß dieses Parlament und die Regierung mit dafür verantwortlich sind, daß jeder Mann und jede Frau bei uns eine anständige, bezahlbare Wohnung haben. Sie sind in Wirklichkeit die Margaret Thatcher der deutschen Wohnungspolitik, die Bauministerin des kalten Herzens. Nur, mit kaltem Herzen, Frau Bauministerin, läßt sich keine menschenfreundliche Wohnungspolitik machen. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was der Kollege Conradi über den vermutlichen künftigen Lebensweg der Ministerin und über die Freunde hier ausgeführt hat, möchte ich doch so qualifizieren, daß ich sage: Das sind Vermutungen, Unterstellungen und Spekulationen, ({0}) - Nein, nein, ich kann Sie daran überhaupt nicht hindern. Ich wollte das nur feststellen. Nun kommen wir zur nächsten Wortmeldung. Das ist unser Kollege Hans Raidel.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte heute zeichnet sich durch zwei wesentliche Merkmale aus: Wir versuchen, das Ganze in Richtung zu bringen, um wirklich Erfolge zu erzielen. Sie haben in Ihren Beiträgen häufig zuviel Oberflächlichkeit und Polemik gezeigt, so daß der Ernst der Sache eigentlich fast verschüttet wird. Ich meine, das ist etwas schade für diese Debatte. ({0}) Ich möchte mich auf Sachfragen konzentrieren und zum Baulandthema sprechen: In der wohnungspolitischen Debatte wird dieses Thema fehlendes Bauland nach meiner Auffassung zu pauschal gesehen. Es wird als Schlagwort benutzt. Bei genauerem Hinsehen erweist es sich jedoch als erheblich vielschichtiger, als auch wir es heute betrachtet haben. Wir müssen alle zugestehen, in den Großstädten liegen die Probleme anders als in Kleinstädten, in Ballungsgebieten anders als auf dem flachen Lande, in Arbeitsregionen anders als in Urlaubsgebieten, in Denkmalorten anders als in neuen Siedlungen. Eines stimmt: Bund, Länder und Gemeinden können noch so viele Bauprogramme auflegen, wenn kein Bauland zur Verfügung steht, bleiben sie wirkungslos. ({1}) Wo sind die Ursachen des Baulandmangels zu suchen? Wird zuwenig Bauland ausgewiesen, oder wird zuwenig Bauland an Bauwillige verkauft? Beides ist sicherlich der Fall. Untersuchen wir einmal die Frage! Wenden wir uns denen zu, die Bauland besitzen, es aber nicht verkaufen, sondern einfach liegen lassen! Welcher Art sind die Hintergründe für solches Verhalten? Einige Beispiele: Familienvorratspolitik: Besonders im ländlich strukturierten Raum wird Wert darauf gelegt, den Kindern ein Baugrundstück zu hinterlassen. Das muß als richtig akzeptiert werden. Spekulation: Auf Grund der enormen Wertsteigerung von Baugrundstücken, besonders in Ballungsgebieten und den anliegenden Regionen, haben viele Investoren ihr Geld nicht in den Wohnungsbau gesteckt, sondern sich Baugrundstücke gekauft. Die geringe Rendite im Wohnungsbau kann bei weitem nicht mit den Gewinnen bei der Wertsteigerung von Bauland mithalten. Versteuerung: Viele Grundbesitzer veräußern ihre Grundstücke nicht, weil ausreichende steuerfreie Reinvestitionen nicht möglich sind und ein großer Teil an den Fiskus gezahlt werden muß. Also läßt man die Grundstücke liegen. Die Planungshoheit ist den Gemeinden zugewiesen und verfassungsrechtlich gewährleistet. Damit sind die Kommunen die ersten Ansprechpartner für die Lösung der Baulandproblematik. Die Praxis erfordert aber den politischen Willen und die politische Durchsetzungsfähigkeit, um Bebauungspläne bis zur Rechtsverbindlichkeit durchzusetzen. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Aus meiner Kommunalerfahrung weiß ich nun wirklich, wovon ich da spreche. Welche Instrumentarien stehen den Kommunen nun generell zur Verfügung? Zum Baugesetzbuch wurde das Wohnungsbauerleichterungsgesetz erlassen. Seine Verbesserungen wirken sich besonders bei der Beschleunigung der Bauleitplanung und bei der Erteilung von Baugenehmigungen aus. Mit dem Maßnahmegesetz zum Baugesetzbuch wurde das Baurecht vollzugstauglicher gemacht. Seine Anwendbarkeit bei dringendem Wohnbedarf trägt der gegenwärtigen drückenden Lage auf den Wohnungsmärkten Rechnung. Der Bund hat gerade mit diesem Gesetz eine Vielzahl neuer Möglichkeiten geschaffen, die zur Mobilisierung von Bauland beitragen können. Was steht denn eigentlich einer großzügigen Ausweisung von Bauland durch die Kommunen entgegen? - Widerstand der einheimischen Bürger in der Gemeinde. ({2}) Häufig widersetzen sich einige Grundbesitzer oder in Exklusivlagen Wohnende oder politisch Motivierte der Baulanderschließung. ({3}) Ich darf den Kommunen hier zurufen: Haben Sie den Mut, auch gegen diesen Widerstand vermehrt Bauland auszuweisen! ({4}) Berücksichtigung des Naturschutzes: Grund und Boden ist kein beliebig vermehrbares, reproduzierbares und rekonstruierbares Gut. Das Baugesetzbuch gibt die Planungsleitlinie vor, mit Grund und Boden sparsam und schonend umzugehen. Unverbrauchte Natur und freie Landschaft sind ein großes und wertvolles Kapital, mit dem wir nicht leichtfertig umgehen dürfen. Trotzdem muß gefordert werden: Der Wohnungsbau darf nicht hinter den Belangen des Naturschutzes zurückstehen. Bei einer fairen Abwägung besteht zwischen Umweltschutz und Bauen kein Gegensatz. Es muß das Bewußtsein geschaffen werden, daß Bauwerke, die zum Erhalt der Arbeitsplätze, der Besserung der Wohnsituation und der Infrastruktur beitragen, nötig sind. Das ist eine Führungsaufgabe, die auf allen politischen Ebenen gleichzeitig und gleichrangig angegangen werden muß. Lösungsansätze: Ganz allgemein stelle ich fest: Mit Druckmitteln wie Abschöpfungen oder Strafsteuern läßt sich das Problem überhaupt nicht oder nur unzureichend lösen. Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes setzt zu Recht enge Grenzen. Nur marktwirtschaftliche Ansätze, die allerdings die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu beachten haben, bringen Bewegung. Negativ würde sich der immer wieder geforderte Planungswertausgleich auswirken, da nur Neuausweisungen belastet werden können, das vorhandene Baurecht aber wegen des Rückwirkungsverbotes unangetastet bleiben muß. Das generelle preislimitierte Ankaufsrecht führt zu keiner Lösung. Rechtlich gesehen ist es nichts anderes als eine Enteignung, die sich an Art. 14 des Grundgesetzes messen lassen muß, nur im Einzelfall anwendbar sein könnte und damit sicherlich nicht allgemein mobilisierend wirken wird. Im Kern sozialistische Ideen zur Kommunalisierung des Bodens, also die Trennung in Verfügungs- und Nutzungseigentum, sollten in der Mottenkiste der 70er Jahre bleiben; ({5}) denn diese „Bodenreform" ist verfassungswidrig. Was soll die Debatte über die Einführung von gebietsbezogenen Baupflichten kraft Gesetzes oder Verordnung, also die Ersatzvornahme durch den Staat? Sie hat Enteignungscharakter und greift in die Baufreiheit ein. Außerdem würden Selbstverwaltung und Planungshoheit der Kommunen unzulässig eingeschränkt. Es gibt aber auch konstruktive Lösungsansätze. Aussichtsreich ist die wieder eingeführte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme. Sie erfüllt viele Forderungen an das Bodenrecht. Die Gemeinden müssen sie mehr als bisher nutzen. ({6}) Aussichtsreich ist auch ein zoniertes Satzungsrecht für einen besonderen Grundsteuerhebesatz, um unbebaute Grundstücke in Gebieten mit erhöhtem Wohnbedarf steuerlich verstärkt belasten zu können. ({7}) Eine ganz allgemeine Forderung sollte umgehend erfüllt werden, nämlich die Neufeststellung der Einheitswerte. Darüber sind wir uns sicher alle einig. ({8}) - Sie meinen es. Sie schreiben ja ständig von mir ab. Zur gemeindlichen Bodenvorratspolitik: Eines der besten Mittel für die Baulandbereitstellung ist eine langfristig angelegte Bodenvorratspolitik. Das heißt, daß die Gemeinden dort, wo geeignete landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung stehen, diese kontinuierlich aufkaufen, damit sie zum geeigneten Zeitpunkt für Bauzwecke zur Verfügung stehen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Raidel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja; sehr gern.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr, Herr Kollege Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, ist Ihrem Gedächtnis entfallen, daß die Vorschläge zur Baulandmobilisierung, die Sie soeben vortragen, im Bundestag von unserer Fraktion zur Abstimmung gestellt und von Ihrer Fraktion abgelehnt worden sind?

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sind gerade dabei, zu überlegen, wie wir das Ganze in Richtung bringen und mehr Schwung hineinbringen können. ({0}) Ich bin bereit, jede gut scheinende Idee abzuklopfen, ob sie wirklich gut ist. Wenn sie wirklich gut ist, bringen wir sie neu in die Debatte ein. Ich habe keinerlei Vorbehalte. Finanziell sollten die Kommunen dabei auch für den Geländeankauf z. B. mit Zinsverbilligungsdarlehen unterstützt werden. Bauplätze sind kostbar, weil Naturschutz und Landschaftsschutz Rücksicht verlangen. Deshalb hat eigentlich jede Kommune die Verpflichtung, auch Innenentwicklung zu prüfen und zu gestatten. Ich meine damit z. B. das Schließen von Baulücken, Nachverdichtungen in der Fläche und in der Höhe sowie den Dachgeschoßausbau. Geländesparende Geschoßbauten sollten generell wieder mehr in die Überlegungen einbezogen werden können. Spürbare Entlastung auf dem Baulandmarkt kann durch eine Änderung der steuerlichen Regelungen bei Betriebsentnahmen und gleichzeitige Investition auf dem Sektor Wohnungsbau erzielt werden. Ich schlage deshalb vor: Erstens. Betriebsentnahmen aus der Landwirtschaft, aber auch aus Betrieben aller anderen Wirtschaftsbereiche sollten steuerfrei gestellt werden, wenn deren Erlöse in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Zweitens. Betriebsentnahmen, die in den nächsten Jahren für frei finanzierten Wohnungsbau verwendet werden, sollten je nach der Höhe mit ermäßigten Steuersätzen belegt werden. Drittens. Die vorgeschlagenen Regelungen sollten nur für einige Jahre gelten, um eine Initialzündung damit zu erreichen. In einer fachlichen Sachdiskussion stellt sich schnell heraus, daß wir im Bau- und Bodenrecht schon fast alles haben, was sinnvoll und machbar ist. ({1}) Im Steuerrecht scheint mir ein Schlüssel für eine erfolgreiche Baulandmobilisierung zu liegen. ({2}) Die Aufforderung an uns alle lautet: Packen wir es gemeinsam an! Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Als nächster Redner erhält unser Kollege Dr. Ilja Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gestrige Botschaft des Deutschen Mieterbundes an uns lautet eigentlich: Hört auf zu streiten, und tut was für die Menschen! Sie, Frau Ministerin und verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, können doch nicht das Leben in diesem großen Deutschland dafür verantwortlich machen, daß es sich nicht nach den Gesetzen der ehemaligen BRD richtet. Es hat sich ein Knäuel von Problemen angehäuft. Frau Minister, ich freue mich, daß auch Sie vom Gordischen Knoten sprechen. Es geht um Altschulden, die in Wirklichkeit gar keine sind. Ich erinnere an das Gutachten von Rupert Scholz; das ist nicht meine Erfindung. Es gibt Restitutionsansprüche von bis zu 95 % pro Ort, Wohnkosten von über 30 %, gewaltigen Modernisierungs- und Instandhaltungsbedarf, drohenden Wohnungsverlust durch sogenannte Eigenbedarfsklagen, zunehmenden Wohnungsmangel und so weiter und so fort. Es gibt doch gar keinen Markt, der hier irgendwie regulierend eingreifen könnte, geschweige denn, daß beispielsweise Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen vor Kündigung usw. besonders geschützt werden könnten. Ich freue mich, wie gesagt, daß auch Frau Schwaetzer an Alexander den Großen denkt, der, als man ihm ein ebensolches, vom König Gordios geknüpftes Knäuel vorlegte, sein Schwert zog und es durchhaute. Ich glaube, auch jetzt ist der Mut zum Durchschlagen dieses Knotens erforderlich. ({0}) - Gut, es gibt jedoch genügend Menschen, die ihr die Hand dazu führen würden. ({1}) - Aber ja, Herr Kansy, Sie können ja eine Frage dazu stellen. Jede andere Herangehensweise, insbesondere die über den Rechtsweg der ehemaligen BRD, treibt Menschen massenhaft in den Ruin, in die Obdachlosigkeit und - wir wissen es - auch in den Tod. Ich glaube, das kann keiner verantworten. Seit Monaten liegen Vorschläge vor, die das Problem lösen könnten. Als erstes wäre es erforderlich, daß zumindest einmal ein Markt hergestellt wird, d. h. daß so viele Wohnungen da sind, daß der Mensch überhaupt hingehen und sagen kann: Ich möchte mir etwas aussuchen. Nicht zufällig fordert die PDS in ihrem Programm „Wohnen in Deutschland", für mehrere Jahre 8 % des Haushalts für den Wohnungsneubau auszugeben, damit endlich einmal so viele Wohnungen entstehen, daß man sagen kann: Das Problem wird durch Klotzen und nicht durch Kleckern angegangen. Das ist ebenfalls eine Forderung, die gestern vom Mieterbund gestellt wurde. Gehen Sie doch den Menschen eine Chance, zwischen Wohnungen auszuwählen! Geben Sie den Menschen eine Chance zu sagen: Das halte ich für mich für brauchbar und bezahlbar; dafür zahle ich auch den Preis! Sorgen Sie dafür, daß nicht jeder das nehmen muß, was er überhaupt kriegt, und froh sein muß, daß er nicht unter Brücken schlafen muß! Jeder von uns weiß, daß auch das inzwischen keine Einzelerscheinung mehr ist, sondern leider zunehmenden Charakter hat. Ich habe es von dieser Stelle aus mehrfach gesagt und bitte Sie auch diesmal wieder: Geben Sie den Menschen eine Chance, wenigstens auf einem wichtigen sozialen Gebiet eine Ruhepause einlegen zu können! Menschen, die vor Arbeitslosigkeit Angst haben, und Menschen, die vor vielen anderen Dingen Angst haben müssen, brauchen wenigstens ihre Bleibe; sie brauchen wenigstens den Schutz vor Kündigung. ({2}) - Wo denn, Herr Hitschler? Das ist doch nicht wahr. ({3}) - Sie haben es doch gestern gehört: Der Mann mit Herzattacke auf der Herfahrt, der dort stand, sagte, sein kleines Häuschen möchte er gern behalten; aber es kommt jemand und tyrannisiert ihn. Nun sagen Sie doch nicht, daß er es behalten kann. ({4}) - Der Mann hat doch seine Angst. Diese können Sie ihm nicht durch eine Rechtsunwirksamkeit nehmen. ({5}) - Was nützen ihm denn die Rechte, wenn er nicht klagen kann? Er kann sich das doch gar nicht leisten, Herr Hitschler. ({6}) Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Hören Sie auf damit, das reale Leben an die Gesetze der ehemaligen BRD anzupassen. Machen Sie es umgekehrt: Passen Sie die Gesetze dem Leben an. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als nächster Redner hat jetzt unser Kollege Hans Schuster das Wort.

Hans Paul Hermann Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002116, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ostdeutschland fehlen zur Zeit 1 Million Wohnungen. Allein in meiner Heimatstadt Magdeburg gibt es zur Zeit 15 000 Wohnungssuchende. Man rechnet mit einem Bedarf von ungefähr 2 000 Wohnungsneubauten pro Jahr. Wir können davon ausgehen, daß es sich in anderen Städten ähnlich verhält. Für die städtebauliche Planung stellt der Bund den ostdeutschen Ländern auch in diesem Jahr wieder 50 Millionen DM zur Verfügung. Fraglich ist aber, ob die Kommunen, denen im Rahmen des Wohnungsneubaus eine entscheidende Rolle zukommt, ihre Aufgaben überhaupt, d. h. rein technisch, erfüllen können. Zwar wurde der Situation in den neuen Ländern durch gesetzliche Erleichterungen, z. B. die Möglichkeit von vorzeitigen Bebauungsplänen und die Aufstellung von Teilnutzungsplänen, Rechnung getragen; wegen der Unterbesetzung der zuständigen Behörden kommt es dennoch nicht zu der gewünschten Beschleunigung des Planungsverfahrens. Ein weiteres Problem stellen die ungeklärten Eigentumsfragen dar. In besonderem Maße sind die Grundbuchämter unterbesetzt. Hier fehlen nach wie vor Rechtspfleger. Aber auch die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen können die Flut der eingehenden Anträge kaum bewältigen. In Magdeburg gibt es zur Zeit 11 200 Anträge. Daraus resultieren ca. 25 000 Ansprüche, wovon 15 000 auf Gebäude und Grundstücke entfallen. Dies hat zur Folge, daß im innerstädtischen Bereich von Magdeburg zur Zeit kein Wohnungsbau möglich ist. Die Stadt weicht nun aus auf restitutionsantragsfreie Grundstücke am Stadtrand, um dort 800 bis 1 000 Ein- bis Zweifamilienhäuser pro Jahr zu errichten. Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mietwohnungen steht darüber hinaus leer und verfällt langsam, aber sehr sicher. Auch hier sind die Gründe in ungeklärten Eigentumsverhältnissen zu suchen. Mit der bereits in Diskussion befindlichen neuen Vorfahrtsregelung für Investitionen hoffen wir auf eine schnelle Verbesserung der gegenwärtigen Lage. Wenn diese Häuser kurzfristig wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden könnten, könnte die Stadt Magdeburg, aber auch die Stadt Halle bis zu 50 % ihres Wohnungsfehlbestands das ist schwach geschätzt; vielleicht liegt der Prozentsatz sogar noch höher - abbauen. Im Bereich des sozialen Mietwohnungsbaus stehen auch in diesem Jahr Bundesmittel in Höhe von 1 Milliarde DM bereit, die schwerpunktmäßig in die Modernisierung fließen sollen. Des weiteren stellt das Programm Aufschwung Ost jährlich 700 Millionen DM für Investitionszuschüsse zur Verfügung, wodurch etwa 190 000 Modernisierungsmaßnahmen gefördert wurden. Auch mit dem 10-Milliarden-Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau wurden bereits 440 000 Wohnungen modernisiert. Allerdings entfallen über 80 % dieser Maßnahmen auf die Initiative von PrivaHans Schuster ten. Im Bereich der kommunalen Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften verläuft der Prozeß eher schleppend. Das mag zum einen an den bisher ungeklärten Eigentumsverhältnissen hinsichtlich Grund und Boden liegen; vor allem ist dies aber auch auf den Umstand zurückzuführen, daß den Kommunen die finanziellen Mittel fehlen. Wenn aber die Kommunen aus den genannten Gründen auf längere Zeit nicht in der Lage sind, die Modernisierung in Gang zu setzen, andererseits jedoch die Privaten insoweit Eigeninitiative gezeigt haben, so spricht das meines Erachtens für eine weitere Privatisierung von ehemals volkseigenen Wohnungen und Häusern, wofür es im übrigen im Einigungsvertrag ein Gebot gibt. ({0}) Gelegentlich wird eingewendet, daß wegen hoher Preise und minderer Qualität lediglich eine geringe Nachfrage bestünde. Das konnte an Modellversuchen jedoch nicht bestätigt werden. So wurde z. B. in Dessau-Roßlau eine Privatisierung von ehemals volkseigenen Wohnungseinheiten erfolgreich abgeschlossen. Auch die Auffassung einiger kommunaler Wohnungsgesellschaften, vor der Privatisierung müsse erst die Modernisierung der Wohnungen und Häuser abgeschlossen sein, kann kaum nachvollzogen werden; denn im Hinblick auf die Kaufpreise, die für modernisierte Häuser und Wohnungen verlangt werden müßten, wird sich mancher Bürger überlegen, ob er nicht gleich ein Eigenheim baut. Im übrigen ist auch nicht einzusehen, warum im Osten das Maß der Dinge die DIN-gerechte Wohnung in bezug auf Wärmedämmung, Schallschutz sowie verbrauchsabhängige Abrechnung von Energiekosten sein muß, wenn im Westen, z. B. hier in Bonn, etliche Wohnungen noch nicht diesen Standard erreicht haben. Eine Anregung für den Erwerb von ehemals volkseigenen Wohnungen und Häusern wäre natürlich der Erlaß eines Teils der Altschulden, überhaupt ein niedriger Kaufpreis, so daß dem Erwerber genügend finanzielle Mittel für die Modernisierung verbleiben. Zum Teil wird vorgeschlagen, die Altschulden der Wohnungsgesellschaften völlig zu streichen, da ansonsten Mietsteigerungen bis zur Obergrenze erforderlich seien, um Zinsen und Tilgung zu finanzieren, so daß sich die Zahl der Wohngeldberechtigten erhöhen und so der Steuerzahler ohnehin zur Kasse gebeten würde. Dies scheint auf den ersten Blick ein nicht unattraktiver Lösungsvorschlag zu sein, doch hätte die Streichung der Altschulden vor Privatisierung zur Folge, daß die kommunalen Wohnungsgesellschaften noch weniger Interesse an einer Veräußerung der Objekte hätten, als es bis jetzt der Fall ist. Durch den Einigungsvertrag sind die Kommunen nämlich zu Wohnungsmonopolisten geworden. Diesen Status möchten sie offensichtlich nicht aufgeben, zumal eine Reihe von Wohnungsverwaltungen heute immer noch fest in roter Hand sind. Zirka 30 % des gesamten Wohnungsbestandes in Sachsen-Anhalt sind Neubauten sowie Alt-Neubauten, für die eine Rückübertragung nicht in Betracht kommt. Dieser Wohnungsbestand könnte danach ohne weiteres privatisiert werden. Ein sehr trauriges Kapitel ist das Verhalten vieler, wenn auch nicht aller, ehemaliger Eigentümer von Grund und Boden oder Immobilien in den Ländern Ostdeutschlands. In Presse, Rundfunk und Fernsehen ist schon oft darüber berichtet worden. Ich habe solche Fälle in meinem Wahlkreis hautnah. Man braucht schon viel Geduld und Ruhe, um hier sachlich zu bleiben. Dies trägt leider nicht zum besseren Verständnis zwischen Ost und West bei. Meinen betroffenen Landsleuten in Ostdeutschland, ob Ein- oder Zweifamilienhausbesitzer oder Eigenheimbesitzer auf fremden Boden, möchte ich von hier aus sagen: Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Sie sind besser geschützt, als Sie glauben. Mit dem zu erwartenden Zweiten Vermögensänderungsgesetz kann ein Großteil der hier aufgezeigten Probleme gelöst werden. Auch durch die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission zu Fragen der Wohnungspolitik kann die Voraussetzung geschaffen werden, die noch vorhandenen Hemmnisse abzubauen. Ich bitte Sie daher, den Antrag der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion zu unterstützen. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren! Jetzt erhält das Wort unsere Kollegin Frau Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wohnungssituation in Ostdeutschland, wie sie zu DDR-Zeiten entstanden ist, zeigt, daß die real existent gewesene DDR-Wohnungspolitik gescheitert ist. Daraus aber nun zu folgern, das wohnungspolitische Heil für den Osten sei auf den Wegen zu suchen, die im Westen begangen worden sind, wäre ebenso verfehlt. In der BRD wurde eine Wohnungspolitik gemacht, die immer nur auf eine bestimmte Klientel konzentriert war, und zwar auf die der Eigentümer und der Vermieter von Wohnungen. ({0}) - Wunderbar, wunderbar, Ihre Reaktion. Ich hoffe, daß die Bürgerinnen und Bürger im Osten Deutschlands hier zuhören und Ihre Reaktion für ein Indiz Ihrer Politik und Ihrer Auffassung zu dieser Sache halten. Schönen Dank. Wirklich, wunderbar. Schönen Dank. ({1}) Für die Mieterinnen und Mieter - und hierbei handelt es sich schließlich um fast 60 % der westdeutschen Bevölkerung - war und ist diese Politik immer mit Unsicherheiten verbunden. Gegenüber denen, die auf eine soziale Mietwohnung angewiesen sind, war und ist sie ausgesprochen frostig. Ich denke, daß spätestens jetzt in Anbetracht der Situation, die sich im Osten anbahnt, die Ursachen der Wohnungsnot im Westen von der Regierung endlich zur Kenntnis g enommen werden müssen. Die Fehler, die im Westen gemacht worden sind, dürfen sich im Osten nicht wiederholen. Die Wohnungsnot im Westteil der Bundesrepublik ist Folge einer Politik, die im sozialen Mietwohnungsbau nicht eine Dauerlösung, sondern immer nur ein vorübergehendes Übel sah, das so schnell wie möglich durch die Bildung privaten Wohneigentums und durch das weitgehend freie Wirken marktwirtschaftlicher Mechanismen ersetzt werden sollte. ({2}) Die hier im Westen existierende Wohnungsnot ist aber ein unleugbarer Beweis dafür, daß es Bereiche gibt, in denen marktwirtschaftliche Mechanismen ein völlig untaugliches Mittel sind. Wohnungsbau ist so ein Bereich. Wenn Marktwirtschaft geeignet wäre, wohnungspolitische Probleme zu lösen, dann hätten wir doch jetzt nicht 44 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik eine solche Wohnungsnot. Es ist mit den Gesetzen der Logik nicht zu vereinen, das wohnungspolitische Desaster zu DDR-Zeiten als Beweis dafür hernehmen zu wollen, daß die westdeutsche Wohnungspolitik ({3}) die einzig denkbare und die einzig sinnvolle Lösung auf diesem Sektor ist. Die zentrale Säule staatlicher Wohnungspolitik soll und muß der soziale Mietwohnungsbau sein, der die Bereitstellung von Wohnraum für den Teil der Bevölkerung zu garantieren hat, dessen Mittel nicht ausreichen, sich auf dem freien Markt selbst zu versorgen. Es war ein gravierender Fehler, daß in der Bundesrepublik die Preis- und Belegungsbindung des sozialen Mietwohnungsbaus von Anfang an befristet war. Der Staat hat in der Vergangenheit nicht nur viel zuwenig soziale Mietwohnungen gebaut, er hat es auch, aus welchen Gründen auch immer, unterlassen, sich selbst die Verfügungsgewalt über die von ihm mitfinanzierten Wohnungen vorzubehalten und sie damit für ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu sichern. Millionen von Wohnungen, die von Privatunternehmen mit Hilfe von zinsgünstigen Darlehen oder enormen Steuervergünstigungen, also subventioniert, ursprünglich für einkommensschwache Haushalte gebaut wurden, sind nach Ablauf der Bindungen in die Alleinverfügung der Unternehmer gefallen, die diese dann verkaufen oder teuer vermieten konnten. Heute wird ein Großteil der Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau in den „dritten Förderungsweg" gesteckt, bei dem die Wohnungen von Anfang an nur noch eine Bindung von fünf bis zehn Jahren bekommen. Damit wird dann der spätere Rausschmiß derjenigen, die jetzt dort einziehen, bereits vorprogrammiert. Im Osten gibt es im Gegensatz zum Westen einen sehr hohen Bestand an Wohnungen, die in öffentlicher Hand sind. Sie sind heute in der Verwaltung der Kommunen, der Treuhand oder der Genossenschaften. Es handelt sich um ca. 3,8 Millionen Wohnungen, die einen Anteil von 59 % am Gesamtbestand der Wohnungen im Osten ausmachen. Das bietet die, glaube ich, wohl einmalige Chance, zu einer grundsätzlichen Neuorientierung in der Wohnungspolitik zu kommen. Was aber tut die Regierung? Sie propagiert unaufhörlich die Privatisierung dieser Wohnungen, was nicht nur absolut unredlich ist gegenüber potentiellen kaufinteressierten Mieterinnen und Mietern im Osten, sondern auch wohnungspolitisch verheerende Wirkungen haben wird, falls es gelingen sollte. Genau das war doch der Fehler im Westen, daß es die öffentliche Hand versäumt hat, sich einen ausreichend großen Bestand an Wohnungen aufzubauen bzw. ihren von Anfang an zu kleinen Bestand schnell wieder aufgegeben hat. Für die Wenigerverdienenden stünden mehr Wohnungen zur Verfügung, und es hätte auch eine dämpfende Wirkung auf die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt erreicht werden können. Ich denke, daß es absolut nicht einzusehen ist, warum wir im Osten ebenfalls Opfer der ideologischen Verbohrtheit dieser Bundesregierung werden sollen. ({4}) Es wäre ein wohnungspolitischer Skandal ersten Ranges, wenn die Wohnungen im Osten, die noch in öffentlichen Händen sind, nachdem der Versuch, sie an die Mieterinnen und Mieter zu verkaufen, eindeutig gescheitert ist, jetzt an kommerzielle Unternehmer verkauft würden. Die Mieterinnen und Mieter haben von der Privatisierung nichts Gutes zu erwarten; dafür gibt es ja nun Beispiele genug hier im Westen. Aus preiswerten Wohnungen werden teure gemacht, die Bevölkerung ganzer Stadtteile wird ausgetauscht, Menschen verlieren Wohnung und Heimat. Meine Damen und Herren, wenn ich mir die zwei anderen Punkte der aktuellen Diskussion ansehe, nämlich die verheerenden Folgen des Prinzips der Rückgabe vor Entschädigung und die Frage der Altschulden, mit denen die Mieterinnen und Mieter im Osten ab 1994 belastet werden sollen, dann frage ich mich, inwieweit Groteskes überhaupt noch steigerungsfähig ist. Das Gerede von den Altschulden hat keine andere Wirkung als die zusätzliche Verbreitung von Angst und Schrecken unter den Bewohnern und Bewohnerinnen der ehemaligen DDR. Erst macht die Bundesregierung eine Politik, durch die Millionen ihren Arbeitsplatz verlieren, und dann geht sie hin und will bei den gleichen Leuten Schulden kassieren, die sie nie gemacht haben. Ich fordere die Bundesregierung auf: Hören Sie auf damit! Die Folgen der Regierungspolitik im Osten sind auch ohne das schlimm genug. Ich denke nur daran, was das Prinzip der Rückgabe vor Entschädigung bereits angerichtet hat. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, daß jemand, der sein Eigentum in der DDR verlassen hat und dann jahrzehntelang ohne dieses Eigentum gelebt hat und auch nie damit rechnen konnte, es so bald wiederzubekommen oder überhaupt wiederzubekommen, es denen wegnimmt, die jetzt darin wohnen und die es über Jahre hinweg verantwortungs und liebevoll gehegt und gepflegt haben. ({5}) Dafür gibt es auch keinerlei moralische Rechtfertigung. Um vorerst Ruhe in die Diskussion zu bringen und um für eine Suche nach einer Lösung Zeit zu gewinnen, bringt die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN heute einen Gesetzentwurf zur Verlängerung des Kündigungsschutzes für Mieter und Mieterinnen zurückgegebener Häuser bis zum Jahr 2000 ein. Das würde bedeuten, daß solchen Mieterinnen und Mietern bis zu diesem Jahr 2000 nicht gekündigt werden darf und daß dann erst die gesetzliche Kündigungsfrist begänne. Das würde bedeuten, daß die meisten Mieterinnen und Mieter noch acht bis neun Jahre mit einem halbwegs sicheren Gefühl in ihren Häusern bleiben könnten. Allerdings sind wir nicht der Meinung, daß danach die Häuser zurückgegeben werden sollten, in denen Bürgerinnen und Bürger der Ex-DDR wohnen und leben. Wir überlegen uns, wie erreicht werden kann, daß es nach Möglichkeit nicht zur Rückgabe kommt, wie die Rücknahme für die Alteigentümer unattraktiv gemacht werden kann. Zum Beispiel müßte überlegt werden, ob ein lebenslanges Wohnrecht für die jetzigen Bewohner und Bewohnerinnen eingeräumt werden kann. Eigentum verpflichtet, aber es verpflichtet nicht dazu, den größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Die große Gefahr bilden meines Erachtens nicht die - ohnehin wenigen - Alteigentümer, die selbst in ihr altes Haus ziehen wollen. Eine Gefahr bilden auch nicht die, die ein Mietshaus zurückfordern und es weiterhin als Mietshaus nutzen wollen. Hier sind die Mieter und Mieterinnen durch die relativ eng gefaßten Kündigungsgründe des BGB geschützt. Gemeingefährlich sind hingegen diejenigen, die Häuser zum Zweck der Spekulation und Umwandlung kaufen. Hierin liegt die zweite wesentliche Ursache der Wohnungsnot in Westdeutschland. Auch hier müssen wir, denke ich, von den Fehlern der Alt-BRD lernen und solche Umwandlungen mit allen möglichen Mitteln verhindern, z. B. dadurch, daß den Kommunen ein Vorkaufsrecht eingeräumt wird und daß die Kommunen mit den dafür nötigen Mitteln ausgestattet werden. Hier im Westen werden in jedem Jahr mindestens hunderttausend meist preiswerte Mietaltbauwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Aus Drei- bis Vier-Zimmer-Altbauwohnungen, in denen früher ganze Familien gewohnt haben, werden Luxusappartements für gutverdienende Ehepaare, wobei dieser volkswirtschaftliche Schwachsinn auch noch vom Staat mit Steuermilliarden gefördert wird. Selbst wenn die ehemaligen Mieter und Mieterinnen nicht mit kriminellen oder halbkriminellen Methoden aus den Wohnungen vertrieben werden - das kommt immer noch oft genug vor -, geht mit jeder Umwandlung eine preiswerte Mietwohnung verloren, die nie wieder zu gleichen Konditionen ersetzt werden kann. Dieser Humbug kostet die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen über 4 Milliarden DM jährlich. Jede zweite Wohneigentumsbildung in der Alt-BRD betrifft den Erwerb einer Gebrauchtwohnung. Viele davon sind ehemalige Mietaltbauwohnungen. Das wird vom Staat unsinnigerweise steuerlich genauso hoch gefördert wie der Bau einer neuen Wohnung. Meine Damen und Herren, unsere wohnungspolitischen Forderungen für den Osten sind klar: Es müssen sehr viel mehr Bundesmittel in die sanierungsbedürftigen Wohnungen im Osten investiert werden. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, ihren Wohnungsbestand zu behalten, zu sanieren und zu vermehren. Mietshäuser, die vom Verkauf bedroht sind, müssen von den Kommunen aufgekauft werden können. Ein Teil der dazu erforderlichen Mittel ist dadurch zu gewinnen, daß die steuerliche Eigentumsförderung nach § 10e des Einkommensteuergesetzes, die von den Menschen im Osten sowieso nicht genutzt werden kann, ausgesetzt wird. Das wären immerhin 8,7 Milliarden DM pro Jahr. Grob über den Daumen gepeilt könnte man damit ca. 100 000 Wohnungen jährlich im Osten sanieren. Ich wiederhole deswegen an dieser Stelle meine Forderung nach einem mindestens zehnjährigen Moratorium der steuerlichen Eigentumsförderung nach § 10e. Auch die steuerliche Subventionierung des frei finanzierten Mietwohnungsbaus - das sind immerhin 70 000 DM bis 90 000 DM pro Wohnung - muß daraufhin überprüft werden, ob sie denjenigen zugute kommt, die am stärksten darauf angewiesen sind. Ich denke, es geht nicht an, und es ist ein Unding, daß in einer Zeit, in der im Osten Millionen um ihre Wohnungen bangen müssen und Tausende in Wohnungen leben, die unbewohnbar geworden sind, mit Steuergeldern weiterhin nur die Besserverdienenden gefördert werden. „Teilen" hat der Bundespräsident gesagt. Das wäre eine gute Gelegenheit, damit anzufangen. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt unserem Kollegen Rolf Rau das Wort.

Rolf Rau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohnungsbau in Deutschland: Hoffnung und Zuversicht oder Ängste und Zweifel? Ich glaube, diesen Fragen müssen sich nicht nur die Bundespolitiker stellen. Alles verneinen, Frau Schenk, und nichts tun bringt uns auch nicht voran. Der Anspruch der Bürger auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum ist eine Frage grundsätzlicher Lebensqualität. Besonders in den jungen Bundesländern wird deutlich, daß der Verfall der Wohnsubstanz, die nicht vorhandene Infrastruktur und die nicht vorbereiteten Bauplätze einen Wust an Problemen darstellen, den es abzubauen gilt. Hinzu kommt, daß im Westen Deutschlands die Wohnung einen ganz anderen Stellenwert hat als in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Dieser Entwicklung müssen sich alle Bürger stellen. Das geht nicht reibungslos. Wir haben in den vergangenen Monaten im Bereich des Aufschwungs Ost für den Wohnungsbau viele Millionen investiert. Insgesamt wurden 1991 allein beim Gemeinschaftswerk 758 Millionen DM ausgegeben: 528 Millionen DM für Modernisierung und Instandsetzung, nur 15 Millionen DM für Privatisierung und 214 Millionen DM für Zwecke der Städtebauförderung. Weitere 342 Millionen DM wurden mit der Verwaltungsvereinbarung vom 19. August 1991 überwiegend in kommunale Investitionen umgeschichtet, da nicht überall die Voraussetzungen gegeben waren, sie zweckentsprechend für den Wohnungsbau einzusetzen. Insbesondere bei den Wohnungsprivatisierungen wurden diese Mittel frei. Diese Investitionen werden im Jahre 1992 fortgeführt. Wie Sie wissen, sind die Mittel nicht zu reichlich Bernessen. Hier stellt sich eindeutig die Forderung, besonders die Maßnahmen zur Verbesserung der Heizungsbauleistungen, der Wärmedämmung, der Schallschutzsanierung und ähnliches auch in den Folgejahren fortzuführen. Diese Entscheidung muß bald fallen, weil damit besonders für das Handwerk eine Produktionssicherheit und für die Bürger eine Finanzierungssicherheit gegeben werden müssen. Diese Förderungsmittel sind unbedingt notwendig, um den Weg der Verbesserung der Wohnsubstanz für die Mieter, aber auch für die kaufwilligen Bürger zu ebnen, damit im Rahmen der Privatisierung erträgliche Kaufpreise entstehen und somit Voraussetzungen geschaffen werden, um die Fragen der Altschulden auch ablösbar zu gestalten. Wie Sie wissen, beschäftigt uns das Thema Altschulden schon seit über einem Jahr. Dabei hat sich hierbei der Erkenntnisprozeß aus den ersten Forderungen nach einer Entschuldung gegen Null zu einer realisierbaren Lösung und Teilentschuldung variabel gestaltet. Herr Seifert, man muß dabei auch bedenken: Die Wohnungsbaukredite sind ja um den Preis der Belastung der Spareinlagen der Bürger entstanden. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Altschulden müssen objektkonkret errechnet beziehungsweise fixiert werden. Das ist die erste Voraussetzung. Des weiteren muß zweitens im Rahmen der Privatisierung für den zukünftigen Käufer die Altschuld abgelöst sein; das heißt, sie bildet im Rahmen des Verkaufs entsprechend ihrer Höhe eine Schlüsselfigur. Warum sollte zum Beispiel der Kredit nicht gleichzeitig der Kaufwert sein? Drittens muß der Druck auf den Kommunen und gegebenenfalls auf den Genossenschaften verbleiben, damit Anstrengungen unternommen werden, die Effizienz der Wohnungswirtschaft zu erhöhen. Viertens muß straff daran gearbeitet werden, die überdurchschnittlich hohen Betriebskosten durch bauliche Veränderungen zu reduzieren, um die Möglichkeit einzuräumen, den Kapitaldienst zu bedienen beziehungsweise die Sanierung zu finanzieren, ({0}) um in Verbindung mit erhöhter Wohnqualität die Grundmieten anzupassen. Hinzu kommen sollten weiterhin die Möglichkeiten der Bundesunterstützung entsprechend dem Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" - 7 000 DM für den Bürger plus 1 500 DM für jedes weitere Familienmitglied. Die Teilentschuldung sollte in Zusammenarbeit mit den Ländern - so wie es vom Bund vorgeschlagen wird - weiter begleitet werden. Daß diese Lösung auf fruchtbaren Boden fällt, möchte ich am Beispiel der Stadt Frohburg verdeutlichen. 1968 wurden 60 Wohnungen in Frohburg als Typ „Brandenburg" gebaut; das ist eine 0,8 Megapond-Leichtbeton-Bauweise. Es sind 30 Zweiraumwohnungen à 46 qm und 30 Zweieinhalbraumwohnungen mit 60 qm gebaut worden. Die Diskussion zur Privatisierung des gesamten Blocks wurde im März 1991 begonnen. Nach sechs Phasen der Gespräche zwischen Bürgern, Bauleuten und dem Rat der Stadt ist der heutige Stand so, daß von den 60 Wohnungen 52 Mieter ihre Wohnungen kaufen wollen. Die Sanierungsarbeiten sind vereinbart und in den ersten Wohnungen bereits beendet worden. Der Gesamtabschluß der Sanierung erfolgt im Juni 1992. Der Kaufpreis von 850 DM/qm beinhaltet im Durchschnitt pro Wohnung 10 000 DM Altkreditbelastung und den Bodenpreis, der von der Kommune zu günstigen Bedingungen veranschlagt worden ist. Jeder Bürger, der dort eine Wohnung kaufen wollte - ich konnte mich davon überzeugen -, ist heute zufrieden, obwohl es für ihn eine große Belastung war, innerhalb von sechs Wochen den Innenraum seiner Wohnung bei gleichzeitiger Wohnungsnutzung umbauen zu lassen. Hier ist ein Beispiel dafür gegeben, wie durch Initiative der Stadt unter Mitwirkung der Bürger eine vernünftige Eigentumslösung erreicht wurde. Ähnliches höre ich von Pegau, und auch in anderen Städten meines Wahlkreises läuft die Vorbereitung zu weiteren Privatisierungen. Ich bin der Auffassung, daß diese positiven Signale genauso hierher gehören, weil dies verdeutlicht, daß mit persönlichem Engagement vieles lösbar ist. Dies zeigt aber auch, daß dort, wo Verantwortliche den Kopf in den Sand stecken, die Probleme bleiben. Das ist eine Haltung, die ich nicht vertreten kann. Wichtig ist dabei, daß auf Antrag die Kommunen jetzt auch die Verkaufserlöse den Wohnungsbaugesellschaften übertragen können. - So die Information aus dem Bauministerium. Bisher war das Festhalten an Verwahrkonten nicht besonders hilfreich. Weil die angedachten Überbrückungshilfen wohl noch nicht auf fruchtbaren Boden fallen, ist es erforderlich, um den wohnungswirtschaftlichen Bereich zu bewegen, daß man dort, wo die Finanzmittel schwach sind, durch Anschubkredite Bewegung schafft. Denn die Überbrückungskredite helfen nur dort, wo die Kommunen nicht schon über die Maßen belastet sind. Ein Drittel Kreditzuwachs bedeutet ja immer, daß die Kreditfähigkeit der Kommunen noch gewährleistet sein müßte. Insofern meine ich auch, daß man über die gesamte Dimension der Wohnungsbauförderung und die altbewährten Methoden nachdenken muß, um weitere konstruktive Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Keiner hat das Ei des Kolumbus entdeckt, aber die Situation zwingt uns, alle Möglichkeiten der Förderung des Wohnungsbaus auszuschöpfen, um den Wohnungsbau im Osten - natürlich gilt dies auch für die alten Länder zu beschleunigen. Warum sollte man die Förderbedingungen nicht rigoros ändern und von der Objektförderung auf die Personenförderung orientieren? Um Alternativen zu schaffen, muß mit dem Neubau begonnen werden. Das bedeutet, daß die Genehmigungsverfahren nicht - wie man es teilweise erleben kann - verkompliziert werden und Investoren darum bitten müssen, daß ihnen geholfen wird, sondern daß die Möglichkeit der Begleitung von bereitwilligen Investoren eine neue Qualität erfährt. Dabei möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der in den einzelnen Landratsämtern immer mehr an Bedeutung gewinnt. Irritiert, teilweise begünstigt durch die geplante Kreisreform, wird es fast nicht mehr leistbar, den Sturm von Bauanträgen zu bearbeiten. Wenn im Landratsamt Leipzig im Januar und Februar 1 000 Anträge eingegangen sind, so ist das für die Zuversicht des Bauens etwas Hervorragendes. Gleichzeitig müssen die Arme gehoben werden, weil die Genehmigungsverfahren unter den besonderen Bedingungen nicht geleistet werden können. Das ist deprimierend für die Menschen, für die Bearbeiter und für die Investoren und Häuslebauer. Hier sollte man einfach in dem Zusammenhang sind natürlich auch die Landesregierungen gefordert - darüber nachdenken, ob nicht weniger bedeutsame Objekte, beispielsweise Wärmedämmmaßnahmen und ähnliches, in den Kommunen direkt entschieden werden. Auch von den Kreisen aus den alten Bundesländern könnte Amtshilfe geleistet werden, um diese Probleme vor Ort zu lösen. Partnergemeinden und Landratsämter sollten aufeinander zugehen. Trotzdem gestaltet es sich erfreulich, daß die Investitionen je Einwohner in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern bereits Ende 1991 immerhin auf 50 gestiegen sind. Wenn man das nach Bauaufträgen sortiert, dann stellt man fest, daß im zweiten Halbjahr 1991 in den neuen Bundesländern je Einwohner im Durchschnitt fast ebenso viele Bauaufträge vergeben wurden wie in Westdeutschland. Das bedeutet, um die Zahl zu nennen, für den Osten immerhin ein Auftragsvolumen von 180 DM pro Einwohner und für den Westen von 200 DM pro Einwohner. Dabei möchte ich noch einmal unterstreichen, daß bei der Privatisierung der Treuhandbetriebe im Bauwesen ein Fortschritt zu verzeichnen ist, aber noch nicht die Forderung erreicht ist, bis zum 31. März alle Baubetriebe zu privatisieren. Hier muß noch einmal - um es locker zu sagen - Gas gegeben werden. Lassen Sie mich bitte noch eine Bemerkung zu den Baupreisen machen. 1991 stiegen die Baupreise, bedingt durch den Personalkostenanstieg, die Verteuerung des Transports, auch durch die gestiegene Transportentfernung und Baumaterialkosten, um 7 %. Bedenken wir den Einsatz der Fördermittel oder die Kreditlasten, so gilt: Je eher und schneller das Bauen realisiert wird gleich ob bei der Privatisierung, der Reparatur oder dem Neubau -, desto billiger wird es. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt erhält unsere Kollegin Frau Iris Gleicke das Wort.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen alle, daß der brandenburgische Mieterbund gestern eine Großkundgebung in Bonn durchgeführt hat. Diejenigen, die sich wie ich der Diskussion mit den Betroffenen gestellt haben, werden mir in der Feststellung beipflichten, daß die Stimmung emotional außerordentlich aufgeheizt war. Warum war es so, daß die Leute teilweise gar nicht mehr zuhören wollten? Ich glaube, sie fühlen sich von der Bonner Politik im Stich gelassen. Vieles von dem, was so mancher Ostabgeordnete hier vorgetragen hat, ist schon als polemisch abqualifziert worden. Deshalb war es gut, daß die Betroffenen nach Bonn gekommen sind und auf ihre Situation aufmerksam gemacht haben. Wir reden hier über fehlende Wohnungen, wir hantieren mit abstrakten Zahlen und Fakten. Aber dahinter stehen Schicksale von Menschen und Familien. Es war gut, daß Vertreter aller Fraktionen und Gruppen versucht haben, den Menschen ihre politischen Positionen zu erläutern, auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, daß sie von der Ernsthaftigkeit mancher Bemühungen nicht überzeugt werden konnten. Die Menschen im Osten wissen sehr wohl, daß die Mieten nicht für immer und ewig auf dem jetzigen Niveau gehalten werden können. Aber sie haben Angst vor Mieten, die sie nicht mehr bezahlen können. Ist diese Angst so unbegründet? Die Unsicherheit ist sehr groß. Zwar bekennen sich alle Fraktionen dazu, daß die Mieten im Osten erst dann angehoben werden dürfen, wenn die realen Einkommen gestiegen sind. Aber so schnell steigen die Einkommen für die breite Masse nicht. Was in beängstigendem Maße steigt, sind die Arbeitslosenzahlen. Von daher ist es eine Illusion, zu glauben, daß die Wohnungsunternehmen in absehbarer Zeit ihre Aufgaben durch Mieteinnahmen finanzieren könnten. Sie haben jedoch drei sehr wichtige Aufgaben. Erstens müssen sie dafür sorgen, daß zumindest die Bausubstanz erhalten bleibt. Sonst gehen die Häuser einfach kaputt. Zweitens müssen sie investieren, um die Betriebskosten zu senken. Das täte auch der Umwelt gut. Drittens müssen sich die Unternehmen auch dem Neubau von Wohnungen widmen. Allein im Osten fehlen 1 Million Wohnungen. Ich frage mich, wie die Unternehmen angesichts ihrer drückenden Schuldenlast diesen Aufgaben gerecht werden sollen. Wer den Menschen ihre Angst vor Mietsteigerungen nehmen will, wer die Wohnungsnot beheben will, muß ein überzeugendes Konzept zur Lösung der Altschuldenproblematik vorle6898 gen. Das hat die Bundesregierung bisher nicht getan. ({0}) Wir Sozialdemokraten reden nicht einer generellen Entschuldung das Wort. Wir halten es allerdings für selbstverständlich, daß alle Schulden gestrichen werden, die nicht direkt im Wohnungsbau angefallen sind. Das betrifft Kindergärten, Einkaufszentren usw. Wir fordern eine substanzgerechte Zuordnung. Das heißt im Klartext: Der Wert der Wohngebäude wird ermittelt; die über diesen tatsächlichen Wert hinausgehenden Schulden werden gestrichen. Zusätzlich fordern wir, daß die verbleibende Restschuld zu einem niedrigen Zins und mit einer niedrigen Tilgung, die an die jeweilige Entwicklung angepaßt werden kann, zurückgezahlt wird. Zu verbinden sind diese Maßnahmen mit einer Belegungsbindung wie im sozialen Wohnungsbau, welcher sich besonders während der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik bewährt hat. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden Überbrückungshilfen sinnvoll greifen können, Dann haben die Wohnungsunternehmen die reale Chance, liquide und damit auch unternehmerisch tätig zu werden. Das kostet Geld. Ein Kassensturz der Bundesregierung ist überfällig. Mit der Umverteilung von unten nach oben nach Möllemannscher Manier muß endlich Schluß sein. Meine Damen und Herren von der Koalition, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben. Machen Sie sich in der Frage der Altschulden endlich unsere Vorstellungen zu eigen. Wenn wir schon einmal dabei sind: Das gilt auch für den von Ihnen scheinbar so unverdrossen verfochtenen Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung". Macht es denn nicht zumindest die Christdemokraten und die Christlich-Sozialen in der Koalition nachdenklich, daß sich gestern auch die katholische Bischofskonferenz unserer Meinung in dieser Frage angeschlossen hat? ({1}) Ich glaube fast, viele von Ihnen sind längst nachdenklich geworden. Ich glaube, Sie halten an Ihrem Rückgabeprinzip nur noch deshalb fest, weil Sie meinen, einen Weg eingeschlagen zu haben, auf dem es kein Zurück mehr gibt. Dafür sprechen zumindest die Äußerungen von Kurt Biedenkopf in der Haushaltsdebatte des Sächsischen Landtages. Dort hat der sächsische Ministerpräsident nämlich gesagt, die Eigentumsregelung sei nicht mehr umkehrbar, weil die Privatisierung schon zu weit fortgeschritten sei und weil die Umkehr des Prinzips zu einem Fall für das Bundesverfassungsgericht würde. Er hat übrigens auch gesagt, die CDU sei bei der Erörterung des Themas völlig offen gewesen. Die Bundes-F.D.P. habe jedoch eifersüchtig darüber gewacht, daß sich im Bundestag keine koalitionsübergreifende Mehrheiten gegen den von ihr favorisierten Grundsatz finden. Wenn das stimmt, dann haben die Menschen im Osten also deshalb Angst vor den Alteigentümern, weil sich die Union den Eigentumsideologen der F.D.P. gebeugt hat. ({2}) Meine Damen und Herren von der Union, können Sie eigentlich noch ruhig schlafen? Sie können doch wohl nicht gewollt haben, daß Deutsche von Deutschen aus Wohnungen und Häusern vertrieben werden, die sie Jahrzehnte bewohnt haben, die sie unter schwierigen Bedingungen und mit viel Liebe und Aufwand instandgehalten haben. Meine Damen und Herren von der F.D.P., stehen Sie denn eigentlich noch hinter Ihrer damaligen Entscheidung? Vor einiger Zeit hat ja auch der Kollege Solms geäußert, eine Umkehrung dieses Prinzips in „Entschädigung vor Rückgabe" sei heute nicht mehr möglich. Geht das denn in dieser Koalition nur nach dem Motto „Wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, braucht man sich auch nicht mehr die Mühe zu machen, es wieder herauszuholen"? Wenn Sie nicht endlich eingestehen, daß hier ein katastrophaler Fehler schnellstens rückgängig gemacht werden muß, ({3}) dann werden noch viele Kinder in den Brunnen fallen. Mit Ihrer Politik riskieren Sie, daß eine große Zahl von Menschen im Osten in die Obdachlosigkeit abgleitet. Ob das geschieht, weil die Miete nicht mehr bezahlbar ist oder weil der Alteigentümer seine Ansprüche geltend gemacht hat, spielt dann fast schon eine untergeordnete Rolle, weil der Effekt in beiden Fällen derselbe ist. Wo sollen die Menschen hin? Wo sind die bezahlbaren Wohnungen? In meiner Heimat Thüringen stellt sich die Situation wie folgt dar: Dort sind die Wohnungsunternehmen mit 6 Milliarden DM verschuldet. Rückübertragungsansprüche lasten auf jeder zehnten Wohnung, die von einem Wohnungsunternehmen verwaltet wird, Das sind insgesamt 40 000 Wohnungen. Bei ganzen Neubaugebieten bestehen ungeklärte Eigentumsverhältnisse. Über 10 000 Wohnungen in Thüringen stehen wegen nicht geklärter Eigentumsverhältnisse und Rückübertragungsansprüchen leer. Das ist ein unglaublicher Skandal. Glaubt irgend jemand von Ihnen, daß die Stimmung in Thüringen besser ist als in Brandenburg? Frau Schwaetzer, Sie haben gestern etwas von dieser Stimmung mitbekommen. ({4}) Wir erleben das zu Hause in Bürgersprechstunden, auf Veranstaltungen und auch in dem normalen Straßengespräch jeden Tag. Ich habe mich aufrichtig darüber gefreut, daß Sie erklärt haben, der Schutz vor Eigenbedarfskündigungen, wie er im Einigungsvertrag festgelegt ist, müsse verlängert werden. Ich spreche Ihnen den guten Willen nicht ab; aber mit einer Salamitaktik werden Sie nicht weit kommen. Es reicht nicht, diesen Kündigungsschutz scheibchenweise zu verlängern. Die Menschen brauchen Sicherheit. ({5}) Ihnen liegt ein Gesetzentwurf meiner Fraktion vor, durch den der Eigenbedarfskündigungsschutz bis zum Jahresende 1997 verlängert wird. Es ist nun wirklich nicht damit zu rechnen, daß die Gründe, aus denen heraus diese Sonderregelung seinerzeit in den Einigungsvertrag aufgenommen wurde, vor diesem Zeitpunkt hinfällig geworden sind. Gemeint sind Wohnungsmangel und die soziale und wirtschaftliche Situation der Menschen. Verlängern wir diese Regelung nicht, dann wird ein Verdrängungsdruck einsetzen, der einer Katastrophe gleichkommt. Dann werden Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben, ohne auch nur die geringste Aussicht zu haben, eine neue zu finden. Meine Damen und Herren, wir sind gestern von den betroffenen Menschen eindringlich zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit aufgefordert worden. Fangen wir heute damit an. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt erhält unser Kollege Peter Götz das Wort.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Gleicke, es ist unstrittig, daß mehr neue Wohnungen in ganz Deutschland gebaut werden müssen. Wenn wir heute über Wohnungsmarkt reden, so sollten wir versuchen, ohne Polemik gründlich zu analysieren und hieraus die Konsequenzen zu ziehen. Es ist doch zunächst erfreulich, festzustellen, daß sich durch den stetigen Einkommenszuwachs der vergangenen Jahre in der alten Bundesrepublik heute viele Menschen größere Wohnungen leisten können. Obwohl im Zweiten Weltkrieg 21 % aller Wohnungen zerstört wurden, gehört Westdeutschland inzwischen mit über 36 Quadratmetern pro Einwohner, Herr Conradi, zu den bestversorgten Regionen der Welt. ({0}) Allein unsere sehr dynamische Wohlstandsentwicklung erfordert jährlich Hunderttausende neuer Wohnungen. ({1}) - Damit unterstreichen Sie eigentlich nur, daß Sie in der Vergangenheit immer gewußt haben, daß die hervorragende Politik der CDU-geführten Regierungen dazu beiträgt, daß wir mehr Wohlstand haben. ({2}) - Das wird es wohl wahrscheinlich gewesen sein. Eine zweite Ursache, die Sie offensichtlich noch immer nicht richtig zur Kenntnis nehmen wollen, ist die Tatsache, daß jährlich mehrere Hunderttausend neue Bürger als Aus-, Über- oder Umsiedler sowie als Asylsuchende nach Deutschland - nach West wohlgemerkt - ziehen. Deshalb sollten Sie sich von der SPD fragen, ob Sie durch Ihre Verweigerungshaltung in der Asylfrage nicht ein hohes Maß an Verantwortung mit dafür tragen, daß Menschen unter Mißbrauch unseres Asylrechts in unser Land gelockt werden und die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich belasten. ({3}) Es ist erfreulich, festzustellen, daß zumindest einige in Ihrer Partei - offensichtlich auch Ihr Fraktionsvorsitzender - nun auf Druck ihrer Oberbürgermeister und Bürgermeister wohl erkannt haben, daß im Hinblick auf Europa eine Ergänzung von Art. 16 unumgänglich wird. ({4}) Bitte geben Sie auch im Interesse vieler Wohnungssuchender Ihre Blockadehaltung in dieser Frage möglichst bald auf! ({5}) - Auch sie nehmen am Wohnungsmarkt Wohnungen weg. ({6}) Wir alle wissen auch, daß Fluchtbewegungen nicht auf Knopfdruck abgestellt werden können. Das wissen wir. Wir wissen aber auch, Herr Conradi, daß auf Knopfdruck keine fertigen Wohnungen produziert werden können. Deshalb ist Ihre Verweigerungsstrategie bei der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes und Ihr Taktieren zu Lasten der Wohnungssuchenden im Bundesrat in diesem Jahr genauso unverständlich. ({7}) Sie haben monatelang die notwendigen Verbesserungen der steuerlichen Eigentumsförderung beim Wohnungsbau blockiert und damit Investitionsentscheidungen Privater zurückgehalten.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reschke?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber herzlich gern, Herr Reschke.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Götz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vor Änderung der Eigentumsförderung im Herbst vergangenen Jahres im Steueränderungsgesetz die Eigentumsförderung schon mit einem Minus von über 25 % in den Keller gefahren wurde, und zwar mit ihren alten Mitteln?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, exakt deshalb wäre es richtiger gewesen, Ihre Verweigerungs6900 Strategie nicht noch weiter fortzusetzen und ein Vierteljahr oder vier Monate lang die Entwicklung zu blockieren. ({0}) - Ich mache hier mit Sicherheit nicht den Regierungssprecher. Ich muß Ihnen aber den Vorwurf machen, daß Sie monatelang Wohnungsbauentwicklungen blockiert haben. Es wäre klüger gewesen, vor der eigenen Tür mit dem Kehren zu beginnen, bevor krampfhaft Vorwürfe an die Bundesregierung oder an die Koalitionsfraktionen konstruiert werden. Meine Damen und Herren, die soziale Wohnungsmarktwirtschaft hat sich in der Vergangenheit gut bewährt. Auf Grund der veränderten Rahmenbedingungen wurden in den letzten Jahren durch die Bundesregierung laufend Initiativen ergriffen, die unter Berücksichtigung der finanziellen Gesamtverantwortung des Bundes die Situation auf dem Wohnungsmarkt in Ost und West deutlich spürbar verbessern. Ich erinnere nur an das wohnungspolitische Konzept. Frau Ministerin Schwaetzer hat die Einzelheiten ausgeführt. Ich will das nicht wiederholen. Im sozialen Wohnungsbau wurden die Bundesmittel ({1}) für 1992 um 240 Millionen DM auf 2 Milliarden aufgestockt und für Ballungszentren jährlich zusätzlich 700 Millionen DM aufgelegt. Wenn die SPD-regierten Bundesländer fordern, die Bundesfinanzhilfen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus von jetzt 2,7 Milliarden DM auf 4,8 Milliarden DM festzuschreiben und wenn Sie, Herr Großmann, heute 5 bis 6 Milliarden jährlich fordern, so paßt dies zum konfusen Zickzackkurs Ihrer Partei. ({2}) Einerseits in der Steuer- und Abgabenpolitik blokkieren, gleichzeitig die Staatsverschuldung kritisieren und im selben Atemzug Milliardenforderungen an den Haushalt stellen - das ist nicht nur eine Frage der Seriosität. ({3}) Der Vorschlag, I lerr Conradi, Milliardenbeträge ausschließlich in den sozialen Mietwohnungsbau zu pumpen, ist auch unsozial. Ich begründe dies. Um 7 DM oder 7,50 DM pro Quadratmeter Miete verlangen zu können, müßte der Staat im ersten Förderungsweg, wie er in Nordrhein-Westfalen praktiziert wird, ein zinsloses Darlehen von etwa 250 000 bis 300 000 DM pro Wohnung geben, in Ballungszentren wie München erheblich mehr; dort geht es um Größenordnungen von 400 000 bis 500 000 DM. Meine Damen und Herren, das können und sollten wir uns als Staat und Treuhänder des Steuerzahlers auf Dauer nicht leisten. Es ist auch in höchstem Maße unsozial, denn nur wenige aus der langen Schlange der Wohnungssuchenden kommen in den Genuß einer neuen Sozialwohnung, oder anders ausgedrückt, nur wenige gewinnen das große Los der Sozialwohnungslotterie. Wo liegt denn die soziale Gerechtigkeit, wenn ein Polizist oder eine Krankenschwester um 100 oder 200 DM über der Einkommensgrenze liegen und sich auf dem privaten Wohnungsmarkt zu doppelt und dreimal so hohen Mieten versorgen müssen? Sicher brauchen wir, um die sozialpolitischen Aufgaben der Wohnungsversorgung in einigen schwierigen Bereichen lösen zu können, auch in Zukunft den sozialen Wohnungsbau, aber bitte flexibler und in verträglichen Maßen. In Baden-Württemberg wird z. B. der dritte Förderweg erfolgreich praktiziert und führt zu wirkungsvollen Ergebnissen. Dieses Instrumentarium der vertraglich vereinbarten Förderung bietet Ländern und Kommunen mehr Flexibilität und damit die Möglichkeit, auf unterschiedliche Situationen am Wohnungsmarkt angemessen zu reagieren. Um die veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt auch in Zukunft sozial, treffsicher und effektiv umsetzen zu können, ist es sehr wohl begründet, Herr Großmann, die Forderung zu erheben, die ganze Breite des Wohnungsbaus zu überprüfen. ({4}) Wir sollten durchaus den Mut haben, dazu auch den Sachverstand von Experten in Anspruch zu nehmen. ({5}) Was wir dringend brauchen, ist bei der angespannten Finanzlage unseres Haushalts erstens die Aktivierung des vorhandenen privaten Kapitals für den Wohnungsbau. Die dazu erforderlichen Investitionsentscheidungen sind nicht nur von der Nachfrage, sondern auch von der Rendite und der Rentabilität abhängig. Bei Kostenmieten zwischen 30 und 40 DM pro Quadratmeter und auf dem Wohnungsmarkt erzielbaren Mieten von der Hälfte lassen sich Investoren nicht so leicht gewinnen und halten sich zurück. Insofern wird hier die öffentliche Hand in Zukunft helfend eingreifen müssen. Nur wenn es gelingt, privates Kapital wieder für den Wohnungsbau zu aktivieren und zu gewinnen, haben wir eine Chance, der Problemlösung näherzukommen. Die notwendige Steigerung des Wohnungsbaus wird nur gelingen, wenn genügend preiswertes Bauland zur Verfügung steht. Ich denke, das ist hier in diesem I lause unstrittig. Ein drittes und meines Erachtens nicht unwesentliches Thema kommt hinzu: die Baupreise. Wenn wir wissen, daß wir in Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern wesentlich teurer bauen, so sollte dies auch zum Nachdenken Anlaß geben. Ich will nicht der Billigstbauweise das Wort reden. Aber wir sollten selbstkritisch darangehen, über eine Entrümpelung von vielleicht überholten Baunormen, gesetzlichen Vorschriften und Verordnungen nachzuPeter Götz denken, um prozeßbedingte mehrjährige Verzögerungen beim Wohnungsbau zu vermeiden. Für den Bund könnte dies die von uns vorgeschlagene Expertenkommission mit übernehmen. Wir sollten aber auch versuchen, die Länder davon zu überzeugen, den Abbau von bürokratischen Hemmnissen bei den Landesbauordnungen und anderen Bauvorschriften der Länder ebenfalls anzugehen. Auch dies wäre ein Beitrag, damit Bauen wieder finanzierbar wird und Mieten bezahlbar werden. Wir sehen: Die künftigen Herausforderungen im Wohnungsbau lassen sich nur gemeinsam in Bund, Ländern und Gemeinden lösen. Versuchen wir es doch auch hier im Interesse der Wohnungssuchenden gemeinsam! Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und I Zerren, es liegen im Moment noch zwei Wortmeldungen vor. Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Ulrich Janzen.

Dr. - Ing. Ulrich Janzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001020, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor ungefähr einem Jahr haben wir hier in diesem Saal auf Antrag der SPD-Fraktion eine Aktuelle Stunde zum Thema Wohnungspolitik durchgeführt. In dieser Beratung habe ich Ihnen, Frau Ministerin, gesagt, daß ich Ihre Leistungen und die Ergebnisse Ihrer Tätigkeit in der damals für Sie neuen Funktion am Ende der Legislaturperiode in erster Linie daran messen werde, was Sie im Bauen für die neuen Länder getan haben. Sicher ist es legitim, schon nach einem Jahr eine Zwischenbilanz zu ziehen. Das Osterzeugnis 1992 scheint mir nach den bisher in dieser Debatte vergebenen Noten nicht besonders gut auszufallen. Ich glaube aber, es ist sicherlich besser, man wird frühzeitig über seine Leistungen informiert, damit man sich gegebenenfalls verbessern kann ({0}) und damit man auch frühzeitig gewarnt ist, wenn man das Klassenziel doch nicht erreicht. Frau Ministerin, Sie haben das Glück, im Bundestag mit einem Ausschuß zusammenzuarbeiten, der in seinen Auseinandersetzungen durch ein hohes Maß an Sachlichkeit geprägt ist und konstruktiv auf die Entwicklung Einfluß nimmt. Die Lösung der Aufgaben besonders in den neuen Bundesländern zwingt oftmals zum Schulterschluß über die Fraktionsgrenzen hinweg. Wenn Sie sich dieser Arbeitsweise anschließen, sind Sie gut beraten. Im Grunde ist es allerdings bedauerlich, daß wir uns hier im Plenum schon wieder mit der Thematik Wohnungsbaupolitik auseinandersetzen müssen, statt auf der Grundlage richtiger Konzepte die Entwicklung jetzt nur begleitend beobachten zu brauchen. Natürlich trägt Ihr Ministerium nicht die alleinige Schuld an den Hemmnissen. Zu der Mannschaft, die derzeitig am Ball ist, aber selten ein Tor trifft, gehören auch Ihre Kollegen Kinkel und Waigel - wahrlich für Sie kein leichtes Leben. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär, Herr Günther, informierte den Bauausschuß in einem Schreiben vom 6. März sehr klar und deutlich über die Situation in Ostdeutschland: Unklarheit über die Finanzierung des Kapitaldienstes für die Altschulden, fehlende Eigentumsübertragungen und offene Vermögensfragen. Wer nicht bereit ist, in diesen drei Punkten Gesetzesnovellierungen und Entscheidungen zur Veränderung der Situation herbeizuführen, wird auch weiterhin die Verantwortung für die stagnierende Entwicklung beim Aufschwung Ost, darunter auch für den nicht in Schwung gekommenen Wohnungsbau im Osten, aber auch für den sich aus diesen Gegebenheiten entwickelnden Frust in der Bevölkerung tragen. Ich möchte deshalb, obwohl es hier schon mehrfach gesagt worden ist, die immer wieder vorgetragene Forderung an die Regierung wiederholen: Lösen Sie sich von der Parole „Rückgabe vor Entschädigung", und folgen Sie endlich der richtigen und der Situation dringend anzupassenden Lösung „Entschädigung statt Rückgabe". Das ist zu einer akuten geschichtlichen Aufgabe geworden. ({1}) Geben Sie auch endlich der Treuhand den Auftrag „Sanierung vor Privatisierung". 60 % der 7 Millionen Wohnungen im Osten unseres Landes gehören Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften. Diesem großen Volumen muß natürlich der Schwerpunkt unserer wohnungspolitischen Arbeit gewidmet werden. Gestatten Sie mir deshalb einen kleinen finanzpolitischen Exkurs aus eigener Erfahrung. Ich wohne seit fast 30 Jahren in einer der oben angeführten Wohnungen und bin Mitglied einer Genossenschaft. Nach der mir beim Einzug und der Mietfestlegung übergebenen Bauabrechnung kostete meine Wohnung - sie hat eine Größe von 55 qm; ich habe drei Kinder - 38 000 Mark ({2}). Ich selbst hatte daran einen Anteil von ca. 4 000 Mark zu tragen. Davon waren 2 100 Mark Genossenschaftsanteil; der Rest waren die sogenannten Eigenleistungen. Den Genossenschaftsanteil erhält man beim Austritt aus der Genossenschaft zurück. Er wurde inzwischen allerdings durch die Währungsunion halbiert. Man erhielt für ihn nie Zinsen. Die Eigenleistungen waren ohnehin eine materiell verlorene Beteiligung. Die eigentlichen Baukosten galten als Staatszuschüsse. Ich würde dies mit dem heutigen Sprachgebrauch als Fördermittel bezeichnen. Für uns im Osten war diese Umverteilung des Geldes immer eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit für den geringen Lohn, den man erhielt. Dieser war auch damit begründet, daß die Gewinne der Betriebe, in denen wir arbeiteten, nicht als Lohn ausgezahlt, sondern an den Staat abgeführt wurden. Deshalb komme ich zu dem Schluß, daß ich den Begriff „Altschulden", die ich als Genossenschaftsmitglied auf mich geladen haben soll, nicht akzeptieren kann. ({3}) Nicht irgendeine Bank hat mir das Geld geliehen, sondern ich lebte eben in diesem eigentümlichen sozialistischen System mit dem entsprechenden Umgang mit dem Geld. Wenn ich nun, wie mir in Aussicht gestellt wird, ab 1994 die Zinsen für diese Altlasten zur Kasse tragen soll, und zwar eigentlich für das Geld, das mir der Staat vorenthalten hatte mit der Folge, daß ich mir aus diesem Grunde kein Eigenheim bauen konnte, fehlt mir dafür völlig das Verständnis. ({4}) In der letzten Ausschußsitzung wurde von einigen Kollegen prophezeit, daß auch der Wert der Immobilien im Osten nach einer Neubewertung in Kürze sicherlich erheblich steigen wird. Dann frage ich: Wie sieht es dann mit dem Wert meines Genossenschaftsanteils aus? Steigt der auch? Wie sieht es dann mit den Altschulden aus? Einige von Ihnen werden jetzt sicherlich sagen: Das ist, finanzpolitisch gesehen, alles Unsinn, und sie mögen vielleicht recht haben. Aber wenn dieser Unsinn mit eine Ursache dafür ist, daß Sanierung und Modernisierung auf der Stelle treten, daß die Genossenschaften von den Banken nur dann Geld bekommen, wenn dafür noch eine andere Bank bürgt und diese Bürgschaft letztlich noch mit 2 % Zinsen belastet wird, dann erscheint mir dieser ganze Komplex doch sehr überdenkenswert. ({5}) Ich komme zum Schluß; ich bin gleich fertig. Ich möchte noch eine kurze Bemerkung zu dem immer wieder in den Vordergrund gerückten Thema Privatisierung im Wohnungsbau machen. - Vielleicht können Sie gleich eine zweite Frage daran anschließen. - Auch darüber könnte man lange reden. Für mich steht jedoch fest, Herr Schuster und Herr Dr. Hitschler, daß es trotz vielseitiger Wünsche nicht gelingen wird, die Neubauwohnungen in den Wohnblöcken der Satellitenstädte im Osten zu privatisieren, weil sie in ihrer Größe und Qualität Sozialwohnungen sind, und die kauft normalerweise keiner. Setzen Sie deshalb den Schwerpunkt im privaten Wohnungsbau im Osten auf die individuellen Einzel- und Reihenhäuser, denn diesbezüglich besteht ein großer Nachholbedarf. Helfen Sie auch dabei, die Hemmnisse im Bereich der Bodenpolitik zu beseitigen. Daß im Jahre 1991 die Mittel für die Privatisierung nicht voll in Anspruch genommen werden konnten, sollte als Beweis und Zeichen erkannt werden, die Strategie zu verändern. Zum Schluß nur noch zwei Wünsche: Achten Sie bitte alle - und das sage ich Ihnen als Architekt - darauf, daß in dieser Pionierzeit des Bauens im Osten die Architektur nicht zu kurz kommt. Es gibt gehäuft Anzeichen dafür, daß Investoren glauben, schönes Material und Farbe reichten aus, und im übrigen bleibt es hei der bekannten Monotonie von Angebots- und Serienprojekten. Schließlich noch ein Wunsch für Sie, Frau Ministerin: daß Sie in der nächsten Abrechnungsrunde besser abschneiden; denn das brauchen unsere Wähler und Bürger unbedingt. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt als vorläufig letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang von Stetten.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Bei vielen Reden, die heute morgen hier gehalten wurden, insbesondere wenn sie von der linken Seite kamen, hatte ich den Eindruck, daß Ursache und Wirkung schlichtweg verwechselt wurden. Bevor man den tatsächlich vorhandenen Engpaß auf dem Wohnungsmarkt als eine große Fehlleistung brandmarkt, sollte man erst einmal die grandiose Leistung auf dem Wohnungsmarkt in den letzten 40 Jahren würdigen. Wenn sich in diesen Jahren der pro Kopf der Bevölkerung zur Verfügung stehende Wohnraum mehr als verfünffacht hat, von etwa 7 qm auf 36 qm, dann kann man wohl weniger von Wohnraumnot, sondern muß eher von einem Verteilungsproblem sprechen, dies um so mehr, als einige hunderttausend Wohnungen - manche sprechen von 700 000 Wohnungen - leerstehen. Hier gibt es unterschiedliche Zahlen, weil manche Einliegerwohnungen und Dachwohnungen schlichtweg „aufgelassen" und in eine andere Wohnung integriert wurden. Aber in jedem Dorf, in jeder Stadt gibt es Dutzende leerer Wohnungen. Wenn Sie dann von einem Skandal sprechen, Herr Großmann, Herr Conradi, dann sage ich Ihnen, daß ein ganz anderer Skandal, nämlich der Skandal der „Neuen Heimat" in den 80er Jahren, ({0}) ganz wesentlich dazu beigetragen hat, daß der Wohnungsmarkt in sich zusammenbrach, nachdem es durch Ihre schlechte Regierung in den 70er Jahren zu Rezession und Unsicherheit gekommen war und große Häuserblocks - Herr Kansy sprach von Wohnungshalden - leerstanden ({1}) - Der war viel zu kurz dabei, sonst hätte er die „Neue Heimat" viel besser umgekrempelt. ({2}) - Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Die CDU/CSU hat in den 70er Jahren, Herr Conradi, vergeblich vor einer Verschärfung des Mietrechts gewarnt, die dann dazu geführt hat, daß mancher sein Geld woanders anlegte, nachdem das Eigentum „Wohnung" nicht mehr das volle Eigentum war, nachdem er Ärger mit dem Mieter nicht mehr in Kauf nehmen wollte, den er trotz Belästigung nicht aus der Wohnung herausbekommen hatte. Meine Damen und Herren, Sie haben, weil man einige bösartige Vermieter treffen wollte, gleich Zehntausende von gutwilliDr. Wolfgang Freiherr von Stetten gen Vermietern getroffen. Deswegen stehen Hunderttausende von Wohnungen leer. Die Wohnungsknappheit ist aber nicht nur deswegen entstanden, sondern vor allen Dingen auch, weil in den letzten fünf Jahren - darauf wurde schon hingewiesen - fast drei Millionen Aus- und Umsiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, übrigens nicht, weil es hier so schlecht ist, wie Sie hier darstellen wollten, sondern weil es hier so gut ist. Im wesentlichen wurden sie untergebracht, meine Damen und Herren. Jetzt wird der Wohnungsmarkt in steigendem Maße durch Asylbewerber belastet. Sie könnten mithelfen, daß sich das ändert. Ihr - wie las ich heute morgen? - „Kamikaze-Klose" hat ja bereits signalisiert, daß Art. 16 geändert wird. Wir haben noch ein Phänomen zu verzeichnen, das sicher nicht vorhersehbar war, das ich aber alles in allem als positiv betrachten möchte: Ein Großteil unserer jungen Leute zwischen 20 und 25 Jahren zieht von Zuhause fort, um - und das ist neu - allein in einer Wohnung zu leben, wobei der Platz in der Wohnung, dem Haus, der Villa der Eltern leer bleibt, den Kindern gegebenenfalls noch zur Verfügung steht. Dies, meine Damen und Herren, können sich die jungen Leute nur leisten, weil sie hier in der Bundesrepublik Deutschland besonders gut verdienen und sich auch die zum Teil sehr teuren Mieten leisten können. Ich wiederhole - Sie haben es schon gehört -: In Frankfurt sind bereits 55 % aller Wohnungen von Einzelpersonen belegt, auch in anderen Großstädten. Leidtragende sind leider - und das ist richtig - kinderreiche Familien, soweit sie nicht in der Lage sind, über die vielen staatlichen Förderprogramme ein Eigenheim zu bauen, oder das Glück haben, eine Sozialwohnung zu bewohnen. Bei dem Stichwort „Sozialwohnung", meine Damen und Herren, sollten wir alle nachdenklich werden, da wir schon seit Jahren von Fehlbelegungen wissen, aber nicht die notwendige Kraft zum Handeln aufbringen. Das gilt natürlich insbesondere für Sie. ({3}) - Ja, natürlich gibt es Fehlbesetzungen. Aber Sie, Herr Kollege, sitzen auf der linken Seite auf jeden Fall ganz richtig; da sitzen Sie sicher gut. - Hinsichtlich der Wohnungsfehlbelegungen sollten wir schon überlegen, was zu tun ist.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Freiherr von Stetten, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollege Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist es Ihrem Gedächtnis entfallen, daß die sozialliberale Koalition das Problem der Fehlbelegungen 1982 als erste aufgegriffen und daß Baden-Württemberg - das Land, aus dem Sie kommen, in dem Ihre Partei regiert ({0}) die Fehlbelegungsabgabe als eines der letzten Länder eingeführt hat, während andere Länder das schon vor Jahren gemacht haben?

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich sehr über die Belehrung, Herr Conradi. Dennoch haben wir die Fehlbelegung leider weiter. Ein weiteres Problem ist - hier sollte sich vielleicht das Ministerium für Familie und Senioren ein Programm ausdenken -, daß große Wohnungen oft von älteren Einzelpersonen bewohnt werden, die diese Wohnung nur deswegen nicht räumen, weil eine kleinere neue Wohnung mehr Geld kostet. Hier sollte man über einen Ausgleich oder über eine Prämie versuchen, solche Wohnungen für Familien mit Kindern freizumachen. Der Werkswohnungsbau, der in den 50er Jahren in erheblichem Umfang zur Linderung der damals wirklich vorhandenen katastrophalen Wohnungsnot beigetragen hatte, ist in den letzten Jahren fast zum Erliegen gekommen. Ursache war, daß die Dienstwohnung oder Werkswohnung von einem gekündigten oder sogar selbst kündigenden Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen freigemacht werden konnte und der nicht mehr Betriebsangehörige an der geringen Miete und sonstigen Vergünstigungen der Betriebswohnung partizipierte. Hier beabsichtigt die Bundesregierung, mit einer klaren, schärferen Kündigungsmöglichkeit Abhilfe zu schaffen. ({0}) Mit zusätzlichen steuerlichen Anreizen werden wir dann im Werkswohnungsbau sicher wieder mehr Wohnungen bauen. Wir müssen - und wir tun das - die Sorgen derer ernst nehmen, die sich in den neuen Bundesländern durch eine kommende Marktwirtschaft im Wohnungswesen, die sie bisher nicht kannten, bedrängt oder auch bedroht fühlen, sei es, daß sie als Mieter plötzlich mit neuen westlichen Vermietern konfrontiert werden, die zurückgekehrt sind, um ihre ehemaligen Wohnungen und Häuser wieder selbst zu verwalten, sei es, daß sie über die Kosten einer Wohnung aufgeschreckt sind, weil neben der geringen Mieterhöhung doch erhebliche Kosten für Nebenleistungen wie Heizung, Wasser und Strom anfallen. Mieterschutz, meine Damen und Herren - ja, aber Mietkosteneinfrierung kann nicht das Mittel sein, da der desolate Zustand von Häusern und Wohnungen dringend nach Investitionen ruft, ich möchte fast sagen: schreit. ({1}) - Wir können auch noch lauter reden, wenn Sie wollen. - Wir können es uns nicht leisten, daß die Wohnungen verkommen, wenn keine kostendekkende Miete bezahlt wird. Um aber den Aufschwung im Wohnungsbau in den fünf neuen Ländern durchzusetzen, müssen wir drei Maßnahmen durchführen. Im Gegensatz zum Kollegen Janzen bin ich der Meinung, daß wir eine beschleunigte Privatisierung und sei es zum Nulltarif, gegebenenfalls gegen Übernahme von verhältnismäßig geringen Belastungen - und eine neue Regelung von Mietbeihilfe - bei steigenden Mieten - brauchen, solange die Einkommen nicht mit denen in der alten Bundesrepublik vergleichbar sind. ({2}) - Das ist nicht Theorie. Das muß nur gewollt werden, dann geht das. Hier müssen sich aber auch die Kommunen und Städte bewegen, die oft Zehntausende von Wohnungen ihr Eigentum nennen, durch die geringen Mieten nicht auf Kostendeckung kommen und daher eine Entschuldung wollen. Diese Kommunen müssen aufgefordert werden, sich von ihren Wohnungen zu trennen und diese den Mietern als Eigentum anzubieten. Denn auch das müssen wir den Kommunen dort drüben sagen: Es ist nicht Aufgabe von Städten und Gemeinden, der größte Wohnungseigentümer zu sein. Wohnungen gehören privatisiert, am besten in die bisherige Mieterhand - auf Grund der Besonderheiten in den fünf neuen Bundesländern zu einem Anerkennungspreis. Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen - das verstehen Sie nur nicht, Herr Conradi -: Auf der einen Seite investieren die Eigentümer und schaffen damit im Endeffekt Umsatz und Arbeitsplätze, auf der anderen Seite lernen sie Eigentum kennen und schätzen. ({3}) Es wird aber niemand einen Anreiz zur Schaffung von Eigentum empfinden und sich einen Vorteil ausrechnen, wenn er durch unsinnige, auf ein Minimum eingefrorene Mieten gar keinen Anlaß zur Entwicklung von Eigeninitiative hat. Das ist nämlich sozialistisch und nicht sozial ({4}) und entspricht nicht unseren Vorstellungen von möglichst viel privatem Eigentum an selbstgenutztem Wohnraum. Wir müssen auch - hieran wird gearbeitet - durch Änderung des Vermögensgesetzes ({5}) - machen Sie nur so; mit solchen Scherzehen können Sie mich nicht aus der Ruhe bringen ({6}) gegebenenfalls das Investitionsverlangen wieder schaffen. - Jetzt haben Sie mich doch herausgebracht. Ich darf wiederholen: Das Vermögensgesetz muß so geändert werden, daß wir die Vorfahrt verschnellern und vor allem den kleineren privaten Wohnungsbau einbeziehen. „Entschädigung vor Eigentum", was Sie generell fordern, lehnen wir ab. Aber wir müssen diejenigen schützen, die auf fremdem Grund und Boden gebaut oder in fremde Häuser und Wohnungen investiert haben. Auch hier muß wegen des Vertrauensschutzes des Häuslebauers oder des mit Eigeninitiative investierenden Mieters „Entschädigung vor Rückgabe" gelten. Wir müssen dem redlichen Erwerber Schutz geben. Das ist klargestellt. Wer hier Angst schürt, macht ein Geschäft mit der Angst und beruhigt nicht. Wir bringen mit den geschilderten Mitteln Bewegung in den Wohnungsmarkt und werden dieses Problem lösen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu einer Reihe von Abstimmungen. Zunächst stimmen wir ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf verbilligte Abgabe von Grundstücken sowie von Wohnungen aus Bundesbesitz für den sozialen Wohnungsbau und für andere gemeinnützige Zwecke auf Drucksache 12/1676. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/884 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppen Bündnis 90/ GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Belebung des Neubaus und der Modernisierung von Wohnungen in den alten und neuen Bundesländern auf Drucksache 12/1687. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/338 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt gegen diese Beschlußempfehlung? - Wer enthält sich der Stimme? - Mit demselben Stimmenverhältnis, ausgenommen die Stimmenthaltung der Frau Abgeordneten Schenk, ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Nun stimmen wir ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Entschuldung der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern auf Drucksache 12/1772. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/614 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit demselben Stimmenverhältnis wie bei der ersten Abstimmung ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Vizepräsident Helmuth Becker Mietentwicklung in den neuen Bundesländern auf Drucksache 12/1994. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/313 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit demselben Stimmenverhältnis wie vorher ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir stimmen jetzt noch ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/2231. Es geht um die Einsetzung der Expertenkommission. ({0}) Wer stimmt für diesen Antrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppen Bündnis 90/ GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über fünf weitere Drucksachen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2073 - ich sage das Stichwort jeweils dazu; hier: Rechtsfrieden im Bereich Wohnungseigentum -, 12/1277 ({1}) - Infrastrukturbericht -, 12/1953 - Mietpreisbindung -, 12/1974 - Verlängerung; erweiterter Kündigungsschutz - und 12/2194 - Eigenbedarfskündigungs-Änderungsgesetz an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Die Überweisungen sind so beschlossen. Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunkts. Ich rufe den letzten Punkt der Tagesordnung auf, nämlich den Zusatzpunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Entschädigungsrenten für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet ({2}) Drucksache 12/1790 - a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache 12/2224 - Berichterstattung: Abgeordnete Julius Louven Ulrike Mascher b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/2225 Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube Ina Albowitz ({5}) Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst unserem Kollegen Julius Louven.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das hier heute zur Verabschiedung anstehende Entschädigungsrentengesetz hat uns, die wir seit Wochen und Monaten damit beschäftigt sind, ein ganzes Stück DDR-Wirklichkeit nahegebracht. Als wir uns anfänglich dem Problem von Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den bzw. Opfer des Faschismus stellten und erfuhren, daß zur Erlangung dieser Pensionen eine besondere Staatstreue, ja, sogar die Verdienstmedaille des Arbeiter- und Bauernstaates die Voraussetzung war, war die erste Reaktion: Fort damit! Gespräche mit Betroffenen - ich nenne hier insbesondere den Zentralrat der Juden und den Verband verfolgter Sozialdemokraten - machten deutlich: Es gab Willkür; aber bei den Beziehern waren viele Menschen, die rassisch, religiös und politisch Verfolgte waren und in KZ gesessen hatten. Schon anders sah es bei den Kämpfern gegen den Faschismus aus, die im übrigen in der früheren DDR nicht 1 400 DM, sondern interessanterweise 300 DM mehr, also 1 700 DM, erhielten. Hier war der Leistungsbezug vielfach politisch motiviert. Eine besondere Treue zum SED-Staat und zur SED war in der Regel die Voraussetzung, aber auch hier nicht nur. Vor diesem Hintergrund haben wir auch geprüft, ob durch eine generelle Überprüfung jedes einzelnen sichergestellt werden könnte, daß denen, die zu Unrecht eine Leistung beziehen, diese aberkannt werden könnte. Wir haben dann aber schnell feststellen müssen, daß dies für alle diejenigen, die unter den Nazis gelitten hatten, ein unzumutbarer Zustand gewesen wäre. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß die Leistungsbezieher, etwa 9 500, in aller Regel sehr alte Menschen sind. Wir haben uns dann darauf verständigen können, daß eine Kürzung oder Aberkennung dieser Ehrenpensionen nach individueller Überprüfung bei begründetem Verdacht - dies ist in § 5 geregelt - geschehen kann. In diesem § 5 heißt es - ich darf hier zitieren -: Kürzen oder aberkennen kann man bei demjenigen, der gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat. Während der Beratungen stellten sich uns immer neue Themen, Probleme und Fragen: Was ist mit den alten Nazis, die einst stramme Kommunisten waren oder die stramme Kommunisten wurden? Hier gab es den Vorschlag, wir sollten mit einem Paragraphen aus unserem alten Bundesentschädigungsgesetz arbeiten. Diejenigen, die aus der Sozialpolitik kommen, haben dies nicht für praktikabel gehalten. Dies hätte beispielsweise dazu geführt, daß einer, der in jugendlicher Unbekümmertheit mit 18 Jahren der Reiter-SA beigetreten war, automatisch seinen Pensionsanspruch entzogen bekommen hätte, während beispielsweise SED-Größen, die gegen unsere freiheitliche Grundordnung kämpften, nur in der Einzelfallprüfung geblieben wären. Wir haben daher im Bericht noch einmal ausdrücklich klargestellt, wo konkrete Anhaltspunkte für die Einleitung eines Verfahrens gegeben sind. Es ist selbstverständlich, daß Verfehlungen während der Naziherrschaft nicht anders zu sehen sind als solche während der SED-Herrschaft. Ein Stück DDR-Wirklichkeit war auch die Tatsache, daß vielen, die einen Anspruch gehabt hätten, diese Leistung nicht gewährt wurde. Wir stellen in § 8 des Gesetzentwurfs ausdrücklich klar, daß auch diese Menschen künftig Leistungen erhalten können. Künftig werden wir nicht mehr zwischen Opfern und Kämpfern unterscheiden. Es gibt nur noch eine einheitliche Leistung von 1 400 DM. Dieser Betrag wird dynamisiert, wenn er die Höhe einer vergleichbaren Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz wie in den alten Bundesländern zur Zeit gut 1 000 DM - erreicht. Meine Damen und Herren, dies sind die wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfs. ({0}) - Schönen Dank, Herr Kollege. Bevor auch ich Ihnen ein schönes Wochenende wünsche, möchte ich mich abschließend bei Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, dafür bedanken, daß wir dieses Gesetz nach viel Arbeit und vielen Sitzungen im Konsens verabschieden konnten. Ich denke, es war richtig, nachdem wir das Renten-Überleitungsgesetz für die neuen Länder einvernehmlich verabschieden konnten, dies auch hier zu tun. Ich darf mich im Namen von Herrn Staatssekretär Seehofer bei Ihnen auch für Ihr Verständnis dafür bedanken, daß er uns gleich verlassen muß und hier heute nicht das Wort nimmt. Jetzt darf ich Ihnen, Herr Kollege Schreiner, auch den anderen Kollegen ein schönes Wochenende wünschen. ({1}) - Ich bitte um Entschuldigung. Da meine Redezeit noch nicht abgelaufen ist, kann ich noch sagen: Natürlich wünsche ich auch den Kolleginnen ein schönes Wochenende. Die nicht ausgenutzte Redezeit können Sie mir gutschreiben, Herr Präsident!

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Günther Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seehofer, wir haben Verständnis für Ihre Situation. Bei dem heute zur Beratung anstehenden Entwurf, mit dem wir die Ehrenpensionen in der vormaligen DDR überleiten, geht es auch und wieder einmal um ein Stück Geschichtsbewältigung, um die Frage, wie wir mit unserer eigenen Vergangenheit umgehen. Für mich ist es erfreulich, daß die materielle Überführung im Konsens zwischen den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. bewerkstelligt wurde. Möglich wurde diese Zusammenarbeit, weil unterschiedliche ideologische Positionen weitgehend zurückgestellt wurden und sich die Koalition - spät, aber nicht zu spät - zu interfraktionellen Gesprächen offen und bereit gezeigt hat. Wäre dies von Beginn an geschehen, hätte der Aufschrei der Betroffenen, der im Herbst durch die Lande ging, vermieden werden können. In die Vorbereitungen - der Kollege Louven hat darauf hingewiesen - sind nach entsprechenden Forderungen meiner Partei der Zentralrat der Juden, vertreten durch Herrn Dr. Galinski, und die Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten, vertreten durch Frau Professor Miller, einbezogen worden. Beiden möchte ich hier herzlich danken. So kann heute ein Gesetz abschließend beraten werden, das sich von den usprünglichen Plänen der Bundesregierung deutlich unterscheidet. Entgegen dem vom Bundeskabinett bereits beschlossenen Vorhaben, Kämpfern gegen den und Verfolgten des Faschismus zukünftig lediglich 750 DM zu gewähren und damit die vormalig gewährten Ehrenpensionen für die erste Gruppe um 950 DM monatlich und für die zweite Gruppe um 650 DM monatlich zu kürzen, werden künftig einheitlich 1 400 DM gezahlt. Ich denke, dies kann nicht nur befriedigen, dies ist auch eine gute Regelung. ({0}) Für die Bevorzugung der Kämpfer und damit der Diskriminierung der „nur" Verfolgten kann es keinen Grund geben. Deshalb ist die Reduzierung dieser Renten um 300 DM gerechtfertigt. Gleichzeitig wäre es unvertretbar und skandalös, wenn die Verfolgten des Nazi-Terrors jetzt zu Opfern der deutschen Einigung gemacht würden. Deshalb, so denke ich, ist es nur richtig, diese Renten nicht zu kürzen und zukünftig zu dynamisieren. Auch dies war in den ersten Überlegungen der Bundesregierung nicht vorgesehen. Die Ehrenpensionen und die zukünftig zu gewährenden Leistungen sind nicht durch Beiträge erworben. Es handelt sich um eine Entschädigung für erlittenes Unrecht, Unrecht, das diesen Menschen während der 12 Jahre dauernden NS-Gewaltherrschaft zugefügt wurde. Das zugefügte Leid war kein geringeres, wenn es einem Kommunisten zugefügt oder von diesem zu erdulden war, als bei dem, der als bekennender Christ von den Nationalsozialisten für Jahre ins KZ verbannt worden ist. Daraus folgt für meine Fraktion, daß es keine guten und keine schlechten Verfolgte des NS-Regimes gab. Es gibt Verfolgte, gleich, ob Christen oder Juden, gleich, ob Kommunisten oder Sozialdemokraten, und diese Menschen sind prinzipiell für das von ihnen erlittene Unrecht zu entschädigen. ({1}) Eine Anrechnung des damals erfahrenen Unrechts, eine Aufrechnung, mit später vielleicht selbst begangenen Unrechtsbehandlungen muß deshalb in engstmöglichen Grenzen gehalten werden. Eine über den im vorliegenden Gesetzentwurf hinausgehende Regelung ist für uns Sozialdemokraten nicht akzeptabel. Eine Regelüberprüfung oder die Einbeziehung des § 6 des Bundesentschädigungsgesetzes, wie sie verschiedentlich im Gespräch war - dies war ein wesentlicher Grund für die späte Verabschiedung heute -, haben wir Sozialdemokraten entschieden abgelehnt. ({2}) Wenn ein Verfolgter Mitglied der SED oder zeitweise der NSDAP war, so kann dies allein kein Grund für die Aberkennung oder Kürzung der Entschädigungsleistung sein. Eine Regelüberprüfung - da sind wir uns einig, Herr Kollege Louven - ist mit diesem Gesetz ebenso nicht vereinbar, wie eine pauschale Verdächtigung von Kämpfern angesagt ist. Soweit aber die Aberkennung oder Kürzung einer Entschädigungsrente überhaupt in Betracht kommt, kann dies nur dann erfolgen, wenn gegen die Menschlichkeit oder die Rechtsstaatlichkeit verstoßen wurde oder in schwerwiegendem Maße die Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht wurde. Dafür müssen aber konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine Überprüfung im Einzelfall nahelegen oder erforderlich machen. Solche Anhaltspunkte für die Einleitung eines Verfahrens liegen bei Kämpfern gegen den Faschismus sowie insbesondere hei Angehörigen der Staatssicherheit nahe, wenn sie in herausgehobener Stellung in Staat und Gesellschaft tätig waren. Bei aller prinzipiellen Bereitschaft, andere Betrachtungsweisen als möglich anzuerkennen, und unter Anerkennung der Schwierigkeit der Abwägung zwischen den verschiedenen ins Gewicht fallenden Faktoren bleibe ich, bleiben wir dabei: Eine Aufrechnung der Verfolgteneigenschaft mit späterem Verhalten ist problematisch. Der mit der jetzigen gesetzlichen Regelung gefundene Kompromiß hat das ausgelotet, was möglich und tragbar ist. Wenn ich vorhin die prinzipielle Gleichbehandlung von in der NS-Zeit Verfolgten gefordert habe und einer Unterscheidung zwischen guten und schlechten Verfolgten eine Absage erteilt habe, dann verkenne ich nicht, daß genau diese Unterscheidung in der vormaligen DDR vorgenommen wurde und durch die jetzige Überleitung nur zum Teil korrigiert werden kann. Ich spreche z. B. von all denen, die im Widerstand im Dritten Reich tätig waren, die sich auch in der DDR im Widerstand befanden. Viele von diesen Menschen wurden niemals als NS-Verfolgte anerkannt, andere wurden zwar anerkannt, fanden sich aber gleichwohl nach kurzer Zeit gemeinsam mit ersteren in Bautzen wieder. Statt mit Ehrenpensionen ausgezeichnet, mit Orden dekoriert, wurden sie eingesperrt und als Feinde der Republik gebrandmarkt. Wenn sie nach jahrelangem Gefängnis und abermals erlittenem Unrecht ihr Land zu spät verlassen haben, und wenn sie erst Anfang der 70er Jahre in die Bundesrepublik umgesiedelt oder freigekauft wurden, dann gingen viele dieser Menschen leer aus, wurden bestenfalls nach dem Bundesentschädigungsgesetz pauschal entschädigt. Bei anderen Verfolgten ist die Ehrenpension durch die Übersiedlung in die Bundesrepublik schlichtweg weggefallen. Diese Entscheidung, das Bundesentschädigungsgesetz mit dem 31. Dezember 1969 auslaufen zu lassen, hat ohne Zweifel zu Ungerechtigkeiten geführt. Weil diese Ungerechtigkeiten durch das heute zur Beratung anstehende Gesetz nicht beseitigt werden konnten, verbleibt ein ungutes Gefühl, ausgelöst in dem Wissen, daß hier Wesentliches ausgeklammert wurde. Und dies ist nicht das einzige; es gibt andere Gruppen, die verfolgt wurden und denen bis heute der Status und jegliche Entschädigungsansprüche versagt worden sind. Ich behaupte, auch hier besteht Nachholbedarf. ({3}) Klargestellt worden ist zum Schluß der Beratungen allerdings, daß Ehrenpensionen, soweit sie wegen einer nach dem 2. Oktober 1990 erfolgten Verlegung des ständigen Wohnsitzes aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik eingestellt wurden, vom Zeitpunkt der Einstellung an wieder zu zahlen sind. Noch eines zur Klarstellung, weil es dort Zweifel gegeben hat: Unter den § 3 Abs. 1 fallen auch diejenigen, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Verfolgte erfüllt haben, deren Anträge aber nicht bearbeitet oder nicht durch eine Entscheidung abgeschlossen wurden. Auch dieser Personenkreis soll zukünftig eine Entschädigungsrente erhalten. Meine Damen und Herren, die größer gewordene Bundesrepublik, das neue Deutschland, ist gut beraten, allen Opfern und Verfolgten im Nazi-Deutschland auch zu Lebzeiten eine wenigstens materielle Entschädigung für erlittenes Unrecht zu gewähren. Zu diesen Opfern gehören auch die Empfänger von Ehrenpensionen in der vormaligen DDR. Hier haben CDU/CSU, SPD und F.D.P. gemeinsam zu einer befriedigenden Lösung gefunden. Den an den Verhandlungen beteiligten Kolleginnen und Kollegen danke ich herzlich für die faire Zusammenarbeit. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt zweimal darauf hingewiesen worden, daß unser Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Horst Seehofer seine Rede zu Protokoll geben will. Ich bitte, darüber Einverständnis herzustellen, weil das eine Abweichung von der Geschäftsordnung ist. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.*) *) Anlage 3 Vizepräsident Helmuth Becker Ich erteile nunmehr das Wort unserer Kollegin Frau Dr. Gisela Babel

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der breite Konsens, mit dem wir Abgeordneten des Bundestages heute das Thema Entschädigungsrenten/Ehrenpensionen behandeln, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir uns auf historisch vermintem Feld bewegen. Es geht um Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, die in KZs gelitten haben und dadurch für ihr ganzes übrige Leben schwer gezeichnet sind. Ihnen hatte man in beiden Teilen Deutschlands Entschädigungen zugesprochen, in der alten Bundesrepublik nach dem Bundesentschädigungsgesetz, in der DDR als Ehrenpension für Verfolgte und Kämpfer. Wir hatten zu entscheiden, ob und wie diese Regelungen der DDR nach unserem Recht fortgeführt werden können. Entsprechen sie unseren Rechtsvorstellungen? Erich Honecker bekam eine solche Ehrenpension. Soll er sie behalten? Eine unveränderte Übernahme des DDR-Rechts verbot sich für uns aus drei Gründen: Erstens. Die Entschädigungen waren drüben wesentlich höher als bei uns: 1 400 DM für Verfolgte, 1 700 DM für Kämpfer gegen das Nazi-Regime gegenüber 1 000 DM nach dem Bundesentschädigungsgesetz bei uns. Zweitens. Die Empfänger der Ehrenpensionen mußten nicht nur nachweisen, daß sie bei den Nazis verfolgt waren, sondern auch, daß sie aktiv für den SED-Staat eintraten. Hohe Funktionäre der SED erhielten diese Entschädigung. Drittens - im Zusammenhang damit -: Diejenigen, die diese zweite Bedingung nicht erfüllten, die nicht für das SED-Regime eingetreten sind, gingen leer aus. In der Lösung dieser Probleme mußten wir versuchen die wirklich Verfolgten nicht zu kränken, ihnen nichts wegzunehmen, aber die Möglichkeit zu schaffen, SED-Funktionären, wenn sie gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hatten, die Ehrenpension auch abzuerkennen und den nicht Bedachten zu ihrem Recht zu verhelfen. Es war eine Gratwanderung über geschichtlich gefährliches Gebiet. Als Maßstab diente die Rechtsvorstellung des Bundesentschädigungsgesetzes. Die Kämpferpension wird auf das Niveau der Verfolgtenpension gesenkt. Die 1 400 DM bleiben besitzgeschützt und werden erst dynamisiert, wenn die fiktiv zugrunde gelegten 1 000 DM diese Höhe durch Anhebungen erreicht haben. Damit gleichen wir nach einiger Zeit das Niveau der Entschädigungen in Ost und West an. Unsere Regelung enthält die Möglichkeit, Ehrenpensionen abzuerkennen. Voraussetzung ist individuelle Schuld, keine pauschale Verurteilung. Individuell ist nachzuweisen, ob sich der Entsprechende einen Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit zuschulden kommen ließ oder ob die eigene herausgehobene Stellung - egal, ob im Nazi- oder im SED-Regime - zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer ausgenutzt wurde. Hinweis auf eine solche Verfehlung, die Anlaß zur Überprüfung von Amts wegen ist, ist die Mitgliedschaft beim MfS/AfNS. Schließlich soll über eine Härtefallregelung die Möglichkeit eröffnet werden, nicht entschädigten Opfern eine entsprechende Leistung zu gehen. Der Gang bis zu diesem Gesetz war steinig. Die Verhandlungen mit den Betroffenen und der Opposition waren lang; immer wieder neue Einzelheiten waren bis zum Schluß klärungsbedürftig. Die F.D.P. begrüßt, daß der breite politische Konsens erreicht wurde. Gerechtigkeit ist ein hohes Wort, meine Damen und Herren. Aber ich glaube, wir können sagen: Mit diesem Gesetz haben wir Gerechtigkeit hergestellt. Mit der Härtefallregelung erhalten endlich auch die Opfer eine Entschädigung, die von den Nazis verfolgt und von dem SED-Regime mißachtet wurden. Erich Honecker und Mitstreiter verlieren endlich ihre Ehrenpensionen, die ihnen über die ganze Zeit seit der Wiedervereinigung noch gezahlt wurden. ({0}) Die F.D.P. stimmt diesem Gesetz zu. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Monate zog sich die Diskussion über Entwürfe zu einem Entschädigungsrentengesetz hin. Insofern ist zu begrüßen, daß jetzt mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die Ungewißheit über das Schicksal der DDR-Anordnung zu Ehrenpensionen aufhört. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Zahlung von Entschädigungsrenten in Höhe von 1 400 DM monatlich hebt die Ungleichheit zwischen Kämpfern gegen den Faschismus und Verfolgten des Faschismus auf. Dies wurde im übrigen schon zu DDR-Zeiten von den Betroffenenverbänden unterschwellig gefordert. Für begrüßenwert halte ich auch, daß Personen, denen zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen eine Entschädigung verwehrt oder entzogen wurde, erneut einen Antrag stellen können. Bedauerlich ist aber, daß auch die Bonner Regierung nicht das Format hat, die Schranke der DDR-Regierenden zu überwinden, nun endlich ausgegrenzte Opfergruppen wie Sinti und Roma, verfolgte Homosexuelle, Bibelforscher, Zwangssterilisierte usw. einzubeziehen. ({0}) Als äußerst problematisch stellen sich unseres Erachtens die Verfahrensregelungen dar, mit denen im Gesetz die Möglichkeit eröffnet wird, Kürzungen oder Aberkennungen von Entschädigungsrenten vorzunehmen. Eine Kommission soll bei Personen, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht haben, Verfahren durchführen. Die Vorschrift über die Kommission entspricht der des Rentenüberleitungsgesetzes entPetra Bläss sprechend § 3 des Versorgungsruhensgesetzes. Während bei Versichertenrenten die Kommission erst in Aktion tritt, wenn gegen den Berechtigten ein Strafverfahren betrieben wird und sich der Berechtigte dem Strafverfahren durch Auslandsaufenthalt entzieht, reichen für Entschädigungsrenten bereits „Anhaltspunkte für einen Sachverhalt" im oben genannten Sinne, die die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte über das Bundesversicherungsamt der Kommission vorlegt. Die Kommission kann auch von sich aus Sachverhalte aufgreifen. Obwohl im Ausschußbericht beteuert wird, daß nicht eine Überprüfung von Amts wegen erfolgen soll, werden zugleich für mögliche Verdachtsmomente schon pauschalisierende Hinweise gegeben, indem gesagt wird, daß „konkrete Anhaltspunkte für die Einleitung eines Verfahrens bei ,Kämpfern' sowie insbesondere auch bei Angehörigen des MfS/AfNS und informellen Mitarbeitern ... naheliegen, wenn sie in herausgehobener Stellung in Staat und Gesellschaft tätig waren". ({1}) Mit allen diesen Regelungen werden einer Kommission, die aus drei Mitgliedern bestehen soll, wovon nur ein Mitglied die Befähigung zum Richteramt haben muß, Handlungsbefugnisse erteilt, die einem Reagieren auf Denunziation und nach Willkür Tür und Tor öffnen, und zwar über Sachverhalte, bei denen selbst ordentliche Gerichte wie es die aktuelle Situation zeigt - Schwierigkeiten bei der Führung von rechtsstaatlichen Verfahren haben, ({2}) und das alles bezogen auf Personen mit harten Lebensschicksalen und hohem Alter; denn etwa drei Viertel der jetzigen Bezieherinnen und Bezieher von Ehrenpensionen ({3}) - Es geht überhaupt nicht nur um Herrn Honecker. Ich finde es ein bißchen billig, sich immer nur bei diesem einen Fall aufzuhalten. ({4}) Die Hälfte der Bezieher dieser Ehrenpensionen sind über 80 Jahre alt, und ein Viertel sind über 85 Jahre alt. Wir sind der Meinung, Entschädigungen beziehen sich ausschließlich auf die Wiedergutmachung angetanen Unrechts während des Naziregimes, was nicht mit einem Engagement für die Gestaltung der DDR aufgerechnet werden darf. Geschieht dies dennoch mit Maßstäben aus heutigem Blickwinkel - dies haben die Diskussionen im Ausschuß ja eindeutig gezeigt -, entspricht das einer Belebung der Zeit des Kalten Krieges. Die im Gesetz angestrebte Herangehensweise an Kürzungen und Aberkennungen widerspricht unseres Erachtens eklatant der Rechtsstaatlichkeit. Wir können diesem Kompromiß deshalb nicht zustimmen. Ich danke. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Konrad Weiß ({0}) das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das heute verabschiedet wird, regelt die Entschädigungsansprüche von Menschen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Es ist zu bedauern, daß der Gesetzgebungsprozeß so lange gedauert hat ({0}) und daß wir den betroffenen Opfern des Nationalsozialismus über ein Jahr lang diesen Zustand der Verunsicherung zugemutet haben. Es ist nicht zu akzeptieren, daß die Bundesregierung alle Kleinen Anfragen, die seit der Vereinigung zum Bereich der Ehrenpensionsrenten gestellt worden sind, nicht beantwortet hat. Sie hat den Zeitraum für Korrekturen und Klarstellungen verstreichen lassen, bis die Vorschriften am 31. Dezember 1991 ausgelaufen waren. Viele NS-Opfer, die sich im letzten Jahr mit der Bitte um Hilfe und Beratung an uns gewandt haben, fühlen sich durch dieses Vorgehen der Bundesregierung brüskiert. Wir erkennen an, daß der Bundestag nun fraktionsübergreifend Regelungen vorsieht, denen wir überwiegend zustimmen können. Ich begrüße ausdrücklich die Gleichstellung von sogenannten Kämpfern und Opfern. Mich hat es seit Jahren beschäftigt, daß es in der DDR diese Zwei-Klassen-Regelung gegeben hat, und ich weiß, als wie diskriminierend, als wie bedrückend viele Opfer dies empfunden haben. Es sind nun Entschädigungsleistungen in einer Höhe vorgesehen, die - auch durch den tatkräftigen Einsatz von Verfolgtenverbänden - deutlich über den ursprünglichen Absichten liegen. Eine grundsätzlich gute Regelung kann aber denen nichts nutzen, die aus unhaltbaren Gründen von Leistungen ausgeschlossen werden. Ich bedauere es daher zutiefst, daß bei diesem Gesetz fiskalische Überlegungen offenbar gewichtiger waren als humanitäre. Wir haben in den Ausschüssen auf Mängel hingewiesen und dort konkrete Änderungsvorschläge unterbreitet. Diese sind allesamt abgelehnt worden. Dabei hätte der gegenwärtige Gesetzgebungsprozeß die längst überfällige Gelegenheit geboten, jenen Gruppen von Verfolgten, die bisher vom Entschädigungsrecht der Bundesrepublik ausgeschlossen geblieben sind und die auch von der DDR diskriminiert wurden, endlich als Verfolgte anzuerkennen. Statt dessen gelten sie weiterhin im Behördendeutsch lediglich als „Angefeindete", die im Grundsatz nur eine einmalige Leistung nach dem AKG in Höhe von 5 000 DM erhalten. Dazu gehören die Zwangssterilisierten, die Euthanasieopfer, die Homosexuellen, die sogenannten Asozialen sowie die Opfer der NS-Militärjustiz. Konrad Weiß ({1}) Unberücksichtigt bleiben auch alle die, die vor dem 3. Oktober 1990 zwar einen Antrag gestellt haben, deren Antrag in der DDR aber - aus welchen Gründen auch immer; oft sind das Gründe, die bei den alten Seilschaften liegen - nicht bearbeitet wurde, sowie jene, die erst nach der Vereinigung den Mut gefunden haben, einen Antrag zu stellen. Dadurch sind erneut jene betroffen, die in der DDR als Opfer dritter Klasse behandelt wurden. Anders als im Bundesentschädigungsgesetz geregelt, müssen Witwen von Verfolgten, wenn sie eine Leistung erhalten wollen, arbeitsunfähig sein. Das ist aus meiner Sicht eine deutliche Benachteiligung. Ebenso unbefriedigend ist die in § 3 Abs. 2 vorgesehene Ausschlußklausel.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Abgeordneter Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Heyenn?

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie es im Blick auf die arbeitsunfähigen Witwen akzeptieren, daß es sich bei dem Gesetz insgesamt um einen Kompromiß handelt und daß sich die in Frage kommenden Witwen nahezu ausschließlich in einem Alter befinden, in dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit allein durch einen Blick auf das Geburtsjahr geschehen kann?

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich denke dennoch, daß es einige Witwen gibt, die nicht in diesem Geburtsjahr, auf das Sie blicken wollen, geboren sind, sondern später. Ich glaube, daß es ein sehr kleiner Personenkreis ist, der von dieser Änderung betroffen wäre. Aber das führt wieder zu Ungerechtigkeiten; deswegen unser Vorschlag, es dahin gehend zu ändern, daß dieses kleine Wort „arbeitsfähig" gestrichen wird.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Kollege Weiß, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Louven?

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weiß, Sie reden jetzt zum wiederholten Male von Ihren Änderungsanträgen. Mir ist nicht bewußt geworden, daß in der Ausschußberatung von Ihnen Änderungsanträge gestellt worden sind. Von welchen Anträgen reden Sie?

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe diese Anträge im Innenausschuß in mündlicher Form vorgebracht. ({0}) - Sie kennen die Situation unserer Gruppe. Ich bin ohnehin Mitglied in mehreren Ausschüssen und muß mich gelegentlich teilen. ({1}) - Ich beschwere mich auch nicht. - Die Anträge, nach denen Sie fragen, liegen als Drucksache - ich habe die Nummer nicht hier - vor. Sie haben sie also zur Kenntnis nehmen können. ({2}) - Ich bin Mitglied des Innenausschusses. Im Innenausschuß habe ich diese Anträge vorgebracht. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollege Weiß, fahren Sie fort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als letztes möchte ich sagen, meine Damen und Herren: Ebenso unbefriedigend ist aus meiner Sicht die in § 3 Abs. 2 vorgesehene Ausschlußklausel. Dadurch erhält ein aus der DDR geflohener NS-Verfolgter, der vormals eine Ehrenpension erhielt, nun keine Entschädigungsrente, wenn er in der Bundesrepublik bereits eine einmalige Leistung von 5 000 DM nach der Härteregelung zum Bundesentschädigungsgesetz oder aus einer Landesstiftung erhalten hat. Wir haben vorgeschlagen, den Betroffenen eine Entschädigungsrente zu zahlen und dabei bereits gewährte Leistungen anzurechnen. Im Interesse der Opfer bitte ich Sie, unseren Änderungsvorschlägen zuzustimmen. Wir haben jetzt die Gelegenheit, diese Korrekturen noch anzubringen. - Vielen Dank.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Lage der Beratung von Anträgen: Wenn der Innenausschuß mitberatender Ausschuß ist und wenn dort Anträge gestellt werden, dann liegen diese Anträge nach unserer Geschäftsordnung dem federführenden Ausschuß am Schluß vor. Wenn dies aber nicht der Fall ist und ein ganz anderes Verfahren gewählt wird, dann kann der Antrag natürlich auch direkt hier im Plenum gestellt werden. Diese Anträge liegen für die Plenumsberatung jedenfalls jetzt vor. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wir kommen also zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf, Drucksachen 12/1790 und 12/2224. Hierzu liegen auf den Drucksachen 12/2249 und 12/2250 Änderungsanträge der Gruppe Bündnis 90/ DIE GRÜNEN vor. Ich bitte diejenigen, die den Änderungsanträgen zustimmen wollen, um das Vizepräsident Helmuth Becker Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der Gruppe PDS/Linke Liste ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 1992, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.