Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/21/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU soll der Kollege Dr. Bertold Reinartz ordentliches Mitglied in der Gemeinsamen Verfassungskommission werden. Der Kollege Erwin Marschewski, der bisher ordentliches Mitglied war, soll nunmehr stellvertretendes Mitglied werden. Das bisherige stellvertretende Mitglied Frau Cornelia Yzer scheidet aus der Gemeinsamen Verfassungskommission aus. Sind Sie damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit sind die Kollegen Dr. Bertold Reinartz als ordentliches Mitglied und Erwin Marschewski als stellvertretendes Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission bestimmt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Theo Magin, Dr. Roswitha Wisniewski, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr.- Ing. Karl-Hans Laermann, Jürgen Timm, Jörg Ganschow, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Fraktion der F.D.P. Großforschungseinrichtungen ({0}) - Drucksache 12/1724 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Forschung Technologie und Technikfolgenabschätzung ({1}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Vosen, Lothar Fischer ({2}), Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zur Zukunft der Großforschungseinrichtungen - Drucksache 12/2064 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch damit besteht Einverständnis. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Erich Maaß das Wort.

Erich Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich begründen, warum der Antrag der Regierungskoalition eingebracht worden ist. Hier stellen sich drei Fragen: Erstens. Warum führen wir diese Diskussion? Zweitens. Mit welchem Ziel - unter Haushaltsgesichtspunkten bzw. unter dem Gesichtspunkt forschungspolitischer Haupt- und Nebenziele - wird diese Diskussion geführt? Drittens. Mit welchen Instrumenten kann eine Effizienzerhaltung und -steigerung der Großforschungseinrichtungen erreicht werden? Wie kann ein Höchstmaß an Flexibilität erreicht werden? Zu dem ersten Komplex: Warum führen wir diese Diskussion - nicht nur im Parlament, sondern auch außerhalb des Parlaments? Das hat drei Gründe: Erstens. Durch die Wiedervereinigung sind wir herausgefordert worden, eine einheitliche Großforschungslandschaft in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen. Das zweite: Wir haben in der alten Bundesrepublik Großforschungseinrichtungen, die ihre Aufgabe gut, exzellent bewerkstelligt haben, die aber nun, allein durch Zeitablauf, zu neuen Zielsetzungen kommen müssen, sich also den Herausforderungen der Zukunft anzupassen haben. Der dritte Bereich - ebenfalls mit durch die Wiedervereinigung bedingt - betrifft den Haushalt: Wie kann sichergestellt werden, mit den vorhandenen Mitteln ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit zu bekommen? Zum ersten Themenkreis: Aufgabenstellung der Großforschungseinrichtungen. Die Großforschungseinrichtungen waren bei ihrer Gründung vielfach auf eine einzige Themenstellung ausgerichtet, beispielsweise auf ein Großgerät, beispielsweise auf die Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie, beispielsweise auf die Hochenergiephysik. Diese ursprünglichen forschungspolitischen Zielsetzungen haben sich im Laufe der Zeit zwangsläufig geändert: Einige sind abgearbeitet worden, bei anderen sind neue Aufgaben hinzugekommen. Deshalb muß im Rahmen einer revolvierenden Planung über6608 Erich Maaß ({0}) legt werden, wie man sich an die neuen Ziele und Voraussetzungen anpassen kann. Daß die Großforschungseinrichtungen dem Rechnung getragen haben, zeigt uns der Umstand, daß sie sich erfolgreich um neue Forschungsfelder bemüht haben. Dennoch ist es Voraussetzung, daß wir diesen Umstrukturierungsprozeß in geordneten Bahnen weiterführen; und hier müssen wir auf das zurückgreifen, was vorhanden ist. Wir besitzen eine große technische Infrastruktur, eine ausgwiesene Kompetenz zur fächerübergreifenden Bearbeitung komplexer Themenstellungen und langfristig abgesicherte Kapazitäten in Forschung und Entwicklung. Der nächste Bereich ist: Wie kommen wir zu einer Vereinheitlichung der Forschungslandschaft? Hier ist das Problem: Wie kann man zwei ganz unterschiedliche Systeme, wie wir sie in den neuen Bundesländern und in den alten Bundesländern haben, einheitlich zusammenfassen? Hier hat es in den vergangenen Monaten erhebliche Anstrengungen gegeben. Dabei ist natürlich auch emotionales Konfliktpotential hochgekommen, indem gesagt worden ist: Warum wird in den neuen Bundesländern bis ins Detail evaluiert, warum wird in den alten Bundesländern nur ansatzweise evaluiert? Wir dürfen dieses Konfliktpotential nicht unterschätzen und müssen auch unsere künftige Arbeitsweise darauf einstellen. Der weitere Grund ist, daß diese Struktur mit den vorhandenen Mitteln verbessert und ausgebaut werden muß. Hierzu gibt es eine ganze Menge von Instrumentarien, von denen wir erwarten, daß sie in Zusammenarbeit mit den Großforschungseinrichtungen und dem Bundesministerium für Forschung und Technologie erarbeitet werden, damit die Leistungsfähigkeit gesichert und weiter ausgebaut wird. Nun lassen Sie mich auf die Frage kommen, wie man so etwas erreichen kann. Wir haben Verständnis dafür, daß durch die großen Herausforderungen in den letzten Monaten dieses große Ziel einer einheitlichen Forschungslandschaft natürlich nur etappenweise erreicht werden kann. Das bedeutet, daß wir mit den vorhandenen Mitteln, die wir haben, auch nur einen begrenzten Aktionsradius haben. ({1}) Wir haben im Jahre 1992 einer Haushaltsplafondierung zugestimmt, d. h. einer über alle Großforschungseinrichtungen gehenden linearen Kürzung. Nur, diese lineare Kürzung und somit auch eine forschungspolitische Gleichbehandlung kann auf Dauer nicht unser Ziel sein. Wir müssen hier stärker differenzieren, und das heißt, wir müssen ab 1993 mit den vorhandenen Mitteln differenzierter vorgehen. Was bedeutet es, eine Gleichbehandlung vorzunehmen? Da gibt es bei uns in der Arbeitsgruppe und im Ausschuß so einen saloppen Spruch: Das heißt, wir gehen mit dem Rasenmäher darüber. ({2}) Wir haben Großforschungseinrichtungen, die sich ganz nahe an Aufgaben befinden und die auch wirklich den Versuch unternehmen müssen, ihre Leistung mit zusätzlichen Mitteln zu erbringen. Es gibt andere Großforschungseinrichtungen, die in einer Phase der Umstrukturierung sind. Hier muß die Frage gestellt werden, ob nicht noch Mittelkürzungen vorgenommen werden können. Eine Gleichbehandlung, eine Vereinheitlichung dient weder den forschungspolitischen Zielen, noch hilft sie den Großforschungseinrichtungen selbst. ({3}) Sie kommt einer ständigen dirigistischen Strangulierung gleich, und deshalb wollen wir eine Differenzierung. Die lieben Kollegen von der SPD haben ja zu der Plafondierung für 1992 gesagt: Gut, wir sehen die Umstände, wir müssen ihr auch zustimmen. ({4}) -Na ja. Meine Damen und Herren, deshalb ist unsere Aufgabe eine differenzierte Vorgehensweise. Der zweite Punkt: Wie kann diese einheitliche leistungsfähige Struktur jetzt erhalten und verbessert werden? Hierbei geht es um die forschungspolitischen Ziele. Wir sind der Auffassung, daß im Rahmen einer Globalsteuerung globale Ziele vorgegeben werden müssen, so daß die Struktur aller Großforschungseinrichtungen einheitlich nach gewissen Hauptzielen geändert werden kann, damit dann in entsprechenden Unterzielen, spezifisch ausgerichtet auf die einzelnen Forschungseinrichtungen, eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. In der öffentlichen Diskussion um die Großforschungseinrichtungen in den alten Bundesländern höre ich von deren Vertretern dauernd: Ja, wir evaluieren doch ständig. Das tun Sie auch selbstverständlich. Aber wir müssen fragen, nach welchen Zielvorstellungen. Wir sollten auch dieses Schwarze-PeterSpiel, das seit einigen Monaten läuft, nicht unterschätzen. Von den Großforschungseinrichtungen kommt die Forderung: Der Forschungsminister muß ganz konkrete Ziele vorgeben. Wenn er sie vorgibt, heißt es: Ihr begrenzt uns in unserer Effizienz. Der Forschungsminister hingegen sagt: Ich gebe euch diese Ziele vor, damit ihr den Handlungsspielraum behaltet. Hier muß zwischen den Großforschungseinrichtungen und der Regierung ein stärkerer Konsens hergestellt werden. ({5}) - Nicht „O Gott!", mein lieber Kollege Vosen. Schon wenn ich an Ihre Strukturkommission denke, kommt mir das kalte Grausen. Ihr Konzept bedeutet: Habt ihr keine Ideen mehr? - Dann wollen wir erst einmal eine Kommission einsetzen, und dann werden wir weitersehen. Dabei kommt nur noch mehr Bürokratie, noch mehr Strangulierung, noch weniger Flexibilität, noch weniger Leistungsfähigkeit heraus. ({6}) Darin unterscheiden wir uns halt. Meine Damen und Herren, es gibt zwei Wege der Evaluierung. Das, was wir in den neuen Bundesländern gemacht haben, kommt für die alten BundeslänErich Maaß ({7}) der nicht in Frage, weil wir die neuen Bundesländer auf eine Struktur einstimmen und aufbauen wollen, die sich schon bewährt hat. Ich tendiere aber in die Richtung, daß wir für die alten Bundesländer eine themenbezogene Bewertung, d. h. eine Evaluierung nach größeren Forschungsbereichen wie beispielsweise dem Bereich Umweltforschung durchführen. Diese Vorgehensweise böte den Vorteil, daß für die Großforschungseinrichtungen eine forschungspolitische Bewertung auch bei anderen staatlich geförderten bzw. initiierten Forschungsaktivitäten übergreifend durchgeführt würde. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diesen Komplex zusammenfassen: Den forschungspolitischen Zielvorstellungen muß eine eindeutige Priorität gegenüber etwaigen Einsparungszielen eingeräumt werden. Die Einsparung von Mitteln stellt, für sich genommen, kein forschungspolitisches Ziel dar, ({8}) wenn auch nicht verkannt werden darf, daß durch die deutsche Wiedervereinigung Lasten entstanden sind, von denen die Großforschungseinrichtungen - wie im übrigen auch alle anderen Forschungsbereiche - nicht ausgenommen werden können. Jetzt zu den Instrumenten, also zu der Frage, wie wir das erreichen wollen: Wir müssen einen Weg finden, um auf sozialverträgliche und forschungspolitisch vertretbare Weise zu einer Umorientierung von Forschungskapazitäten zu kommen. Bei der Mittelbewirtschaftung haben wir hier erste Erfolge erzielt. Ich bin sicher, daß der Bundesminister darauf noch eingeht. Ich denke hier auch nach Maßnahmen im personalwirtschaftlichen Bereich. Wir müssen personalwirtschaftliche Instrumentarien, d. h. Flexibilisierungselemente, weiterentwickeln. Ich spreche hierbei Bereiche wie Abfindungszahlungen, Vorruhestandsregelungen und notfalls auch Instrumentarien für Sozialpläne an. Zum Bereich der Zeitverträge: auch wenn die Flexibilisierungsinstrumente zur Zeit im Mittelpunkt der Diskussion stehen, darf darüber nicht vergessen werden, wodurch die personelle Inflexibilität hervorgerufen worden ist. Je nach Großforschungseinrichtung ist der Anteil der Zeitverträge recht unterschiedlich. Bei einigen beträgt er 50 %, bei anderen deutlich weniger. Mit einer pauschalen prozentualen Festlegung für alle Großforschungseinrichtungen wird auf Grund der spezifischen Strukturen der GFEs der Sache nicht gedient. Wir sind der Auffassung, daß wir größere Anreize geben müssen. Wir dürfen die Steuerung der Großforschungseinrichtungen mittelfristig nicht mehr wie bisher durch Budgetfestlegung und durch Festlegung des Stellenkegels vornehmen. Dies darf nur noch über das Budget selbst geschehen. Damit geben wir auch den Großforschungseinrichtungen mehr Handlungsspielraum. Auch das Thema Steuern ist ein Problem. Darauf wird der Kollege Martin Mayer noch ausführlich eingehen. Wir müssen aufpassen, daß durch Steuerforderungen in einer Größenordnung von mehreren Millionen Mark für die Landschaft der Großforschungseinrichtungen kein Schaden entsteht. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Unser Ziel, das der CDU/CSU, kann es nicht sein, durch mehr Dirigismus, durch mehr Bürokratie die Leistungsfähigkeit einer guten Großforschungslandschaft zu beeinträchtigen, sondern wir wollen mit vorgegebenen forschungspolitischen Zielen eine einheitliche Großforschungslandschaft in der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Wir wollen den Standard und die Effizienz erhalten und steigern, auch im internationalen Wettbewerb. Wir wollen dies mit vertretbaren Haushaltsmitteln erreichen. Wir wollen keine bürokratische Strangulierung, keinen staatlichen Dirigismus. Wir wollen eine Planungssicherheit für die Großforschungseinrichtungen selbst. ({9}) Wir wollen auch für das dort arbeitende Personal eine entsprechende Sicherheit haben. Um das umzusetzen, erwarten wir vom Bundesminister für Forschung und Technologie Vorschläge bis nach der Sommerpause, um hier dieses Instrumentarium zu entwickeln. Lieber Herr Kollege Vosen, Sie sprechen vom Bankrott der Großforschungseinrichtungen. Da muß ich natürlich sagen: Das, was Sie vorhaben, führt tatsächlich zum Bankrott. ({10}) Darin unterscheiden wir uns Gott sei Dank. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Abgeordneten Lothar Fischer ({0}) das Wort.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden über einen Forschungsbereich, in dem sich der Bundesforschungsminister vielleicht als Fiskalpolitiker qualifiziert, als Forschungsminister aber in der Tat disqualifiziert hat. ({0}) - Ich komme gleich darauf. Es ist forschungspolitisch nicht vertretbar, wenn der Staat den meisten Großforschungseinrichtungen zumutet, daß sie über Jahre hinaus plafondiert werden, eine inhaltliche Vorgabe seitens des Bundesforschungsministers aber erst noch erarbeitet werden muß. Da sind wir uns, Herr Kollege Maaß, ja wohl einig. Wo bleibt da die Globalsteuerung, die den Staat nicht nur berechtigt, Ziele vorzugeben, sondern ihn zugleich verpflichtet? Das sind wir alle doch dem Steuerzahler und den Zentren schuldig. Die Konzeptionslosigkeit des Bundesforschungsministers ({1}) zieht sich wie ein roter Faden durch die Forschungspolitik der Bundesregierung. Diese Politik ist nicht mehr seriös und gegenüber den nunmehr 16 Großforschungseinrichtungen mit ihren rund 20 000 Mitarbeitern geradezu skandalös. Das haben wir bei den Gesprächen gemerkt, die wir mit der AGBR der Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte, geführt haben, Lothar Fischer ({2}) aber auch mit dem Sprecher der AGF, Herrn Dr. Kroll. Da können Sie ja noch einmal nachhören, was die von Ihrer Politik halten. ({3}) Die Perspektivlosigkeit des BMFT wird selbst von den Forschungspolitikern der Koalition kritisiert. ({4}) In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Ausschußdrucksache 12/095/3. Da steht folgendes: Einsparungen müssen nach forschungspolitischen Kriterien erfolgen. Prozentuale Kürzungen über alle GFEs hinweg werden abgelehnt. Der BMFT wird aufgefordert, eindeutige forschungspolitische Zielvorgaben zu formulieren. So der O-Ton Ihres Antrages! ({5}) Aber in dem neuen Antrag, der hier eingebracht wird, ist das alles verwässert worden. Was Sie hier gefordert haben, bedeutet im Klartext: keine Rasenmähermethoden bei der finanziellen Ausstattung der GFEs anwenden. Das ist doch ein Armutszeugnis ersten Ranges; und das haben Sie, Herr Minister Riesenhuber, von Ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen bestätigt bekommen. ({6}) Wenig schmeichelhaft sind auch die Bemerkungen des Wissenschaftsrates anläßlich seiner Empfehlungen zur Zusammenarbeit von Großforschungseinrichtungen und Hochschulen vom Januar 1991. Beim Bereich Materialforschung wird kritisiert, daß es keine umfassende Analyse des Forschungsfeldes und seiner künftigen Entwicklung gibt. Gleiches gilt laut Empfehlung des Wissenschaftsrates für die Biotechnologie. Zusätzlich wird beklagt, daß eine zu starke Anwenderorientierung wesentliche Durchbrüche in der Grundlagenforschung erschwert. Dies muß doch für die Bundesregierung blamabel sein, Herr Minister. ({7}) Die Biotechnologie wird doch auch von Ihnen, Herr Riesenhuber, immer wieder als große Schlüsseltechnologie bezeichnet und herausgestellt. ({8}) Was macht nun der Forschungsminister? ({9}) Statt die ihm eben attestierten Versäumnisse auszubügeln, kreiert er eine neue Forschungssteuerung. Der BMFT will offensichtlich nur noch über den Etat steuern und die mitunter unpopulären, aber wichtigen Entscheidungen den Zentren allein überlassen. Will er sich aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung stehlen? - Es sieht so aus: Die forschungspolitischen Grundsätze Ihres Hauses vom 17. Juni des letzten Jahres sind in ihrer Globalität und Beliebigkeit wohl kaum noch zu überbieten. ({10}) Gleiches gilt mit gewissen Einschränkungen für den Bericht „Status und Perspektiven der Großforschungseinrichtungen" . ({11}) Mit Recht verlangte deshalb das Direktorium der AGF eine Nachbesserung, also differenzierte Kürzungen auf der Grundlage forschungspolitischer Kriterien und fundierter inhaltlicher Prioritätensetzung. Wie sehen denn die Auswirkungen der von Ihnen betriebenen Fiskalpolitik aus? ({12}) Gleichbleibende Haushalte bedeuten de facto Kürzungen wegen der Preissteigerungsrate. Diese Kürzungen können nur durch Personalabbau oder Investitionskürzungen aufgefangen werden. Ein Personalabbau ist im vorgegebenen Zeitrahmen nicht möglich, es sei denn, die Zentren erhielten von Ihnen, Herr Minister, entsprechende Instrumentarien, ({13}) beispielsweise die Vorruhestandsregelung. Herr Maaß, Sie haben auch andere Themen angeführt. Das müssen Instrumentarien sein, die zur Schaffung einer organischen Altersstruktur hinführen. ({14}) Einsparungen sind nach Ihrer Ansicht bei den Investitionen am ehesten zu realisieren, weil sich die Folgen für das wissenschaftliche Renommee erst später negativ bemerkbar machen werden, vielleicht zu einem Zeitpunkt, in dem Sie gar nicht mehr Forschungsminister sind. ({15}) Angesichts dieser Ausgangslage ist es geradezu zynisch, wenn im Bericht der Bundesregierung als rettender Ausweg die Einwerbung von Drittmitteln angepriesen wird. ({16}) Für die eine oder andere Großforschungseinrichtung ist dieser Weg bereits ausgereizt. ({17}) Nehmen wir nur einmal die DLR, deren Drittmittelanteil am Gesamtbudget knapp 40 % beträgt. Eine weitere Erhöhung kann für diese Großforschungseinrichtung kein Ausweg sein, weil sie sonst ihr Profil gefährdet. ({18}) Lothar Fischer ({19}) Der Hinweis auf die Einwerbung von Drittmitteln mag in der einen oder anderen Großforschungseinrichtung berechtigt sein. Eine Drittmitteleinwerbung lohnt sich aber für die Zentren erst - hier sollte sich Herr Riesenhuber endlich einmal mit Herrn Waigel verständigen -, wenn es eine eindeutige steuerrechtliche Entscheidung gibt. Die Förderung von Forschungsleistungen muß gemeinnützig und steuerfrei bleiben. Ich hoffe, daß wir in dieser Frage - der Kollege Maaß hat das vorhin schon angedeutet - einer Meinung sind. Die Großforschungseinrichtungen sind - das dürfte im Hause unbestritten sein - aus der deutschen Forschungslandschaft nicht mehr wegzudenken. ({20}) Dies beweist nicht zuletzt die Empfehlung des Wissenschaftsrats, in den neuen Bundesländern drei neue Zentren aufzubauen und etliche Außenstellen von bestehenden Großforschungseinrichtungen einzurichten. Ich möchte angesichts dieser desolaten Lage ({21}) kurz die sozialdemokratische Position umreißen: Erstens. Der Forschungsetat muß im vereinigten Deutschland wieder steigen. Ansonsten gefährdet die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik. Für uns ist eine effiziente Forschung unerläßlich, ({22}) um auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können. Wir haben im letzten Jahr einen entsprechenden Antrag auf Erhöhung des Forschungsetats um eine Milliarde DM eingebracht. Die Koalition hat diesen Antrag abgelehnt. Zweitens. Großforschungseinrichtungen müssen angesichts des Finanzbedarfs ständig überprüft werden. Es ist die Aufgabe der Politik, inhaltliche Prioritäten festzulegen. In Sachen Kernenergie ist das viel zu spät und nicht konsequent genug geschehen; bei der Raumfahrt steht eine Entscheidung noch an. ({23}) Drittens. Die Bundesregierung hat eine Strukturkommission einzuberufen, die mit Unterstützung von Fachkommissionen bis Mitte oder Ende 1993 ein Strukturkonzept „Großforschung 2000" im Kontext des übrigen Forschungssystems erarbeitet, das, auf den Zukunftskonzepten der einzelnen Großforschungseinrichtungen aufbauend, eine querschnittartige Evaluierung der bisherigen Forschungsschwerpunkte unter Einbeziehung der bisherigen Begutachtungsergebnisse vornimmt; ({24}) denn die alten Großforschungseinrichtungen sind ja evaluiert worden, aber eben nur als einzelne Großforschungseinrichtungen, auch mit externen Wissenschaftlern. ({25})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter, lassen Sie sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie haben nur noch 30 Sekunden Redezeit. ({0})

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als nächsten Punkt nenne ich: Soweit überhaupt erforderlich, sind Haushaltskürzungen im Bereich der Großforschungseinrichtungen nur vorzunehmen, wenn ein vom Parlament gebilligtes Strukturkonzept vorliegt. Letzter Satz: Unser Ziel ist es, den Großforschungseinrichtungen eine verläßliche Perspektive zu geben ({0}) und sie nicht zum Steinbruch für die Finanzierungsschwierigkeiten des Forschungshaushaltes zu machen. Schönen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Karl-Hans Laermann. ({0})

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Äußerungen des Kollegen Lothar Fischer zur Frage der Bedeutung und der Anerkennung von Großforschungseinrichtungen zurückkommen. ({0}) Ich bin auch der Auffassung, daß Großforschungseinrichtungen bedeutende Strukturelemente in unserer Wissenschafts- und Forschungslandschaft sind, ({1}) und sie haben auch ausgezeichnete Leistungen aufzuweisen. ({2}) Vor allen Dingen ist anzuerkennen, daß sie Zentren der internationalen Zusammenarbeit sind. ({3}) Schließlich möchte ich ihre Leistungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs ausdrücklich hervorheben. ({4}) Ich erkenne auch an, daß sich die Großforschungseinrichtungen in den alten Bundesländern bemühen, am Aufbau neuer Einrichtungen in den neuen Bundeslän6612 Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann dern mitzuwirken und dazu ihren solidarischen Beitrag zu leisten. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, ({5}) daß dies von diesem Hause anerkannt werden soll. Und ich will dazu einmal sagen: Wenn wir keine Großforschungseinrichtungen hätten, müßten wir sie jetzt schleunigst erfinden. ({6}) Nun können wir aus rechtlichen Gründen wohl nicht umhin, festzustellen, daß eine klare Definition für einen grundlegenden Arbeitsauftrag zur Gründung einer Großforschungseinrichtung notwendig ist, für einen Arbeitsauftrag, der dann auch nur in einer Großforschungseinrichtung abgearbeitet und erfüllt werden kann. Nur unter diesem Aspekt sind verfassungsgemäß Großforschungseinrichtungen zu akzeptieren. Zu diesem Arbeitsauftrag möchte ich ausdrücklich feststellen, daß es sich dabei nicht - dies im Gegensatz zu den Vorstellungen der Kollegen von der SPD-Fraktion - um detaillierte inhaltliche wissenschaftliche Vorgaben handeln darf, sondern daß es wirklich nur eine globale Zielsetzung für diese Einrichtungen geben muß. Da helfen uns auch keine Kommissionen und keine Festschreibungen, auf welchem Gebiet und mit welchen Einzelthemen sich diese Einrichtungen befassen sollen. Das möchte ich hier einmal als grundsätzliche Position festhalten. Wenn dieser klare Auftrag an die Großforschungseinrichtungen zu stellen ist, dann ergeben sich allein von daher schon differenzierte Aufgaben und Arbeitsfelder der einzelnen Großforschungseinrichtungen. Ich glaube, ich brauche hier in dieser Runde nicht darzustellen, daß sie in der Bundesrepublik in der Tat differenzierte Arbeitsfelder haben, die jeweils auch nur in einer Großforschungseinrichtung behandelt und von einer Großforschungseinrichtung vertreten werden können. Nun haben sich im Zeitablauf naturgemäß Veränderungen ergeben, und für einige Großforschungseinrichtungen sind die ursprünglich mit dem Gründungsauftrag vorgegebenen Arbeitsfelder inzwischen nicht mehr die eigentlichen Schwerpunkte der Forschungsaktivitäten. Auf der Suche nach neuen Schwerpunkten hat sich durch Hinwendung zu detaillierten Themen in solchen Einrichtungen eine weitgehende Diversifizierung ergeben, womit zwangsläufig die Frage aufkam, ob damit die Begründung für eine Großforschungseinrichtung noch gegeben ist. Ich möchte dazu folgendes anmerken. Erstens. In dieser Umorientierungsphase haben die Forschungspolitik und damit auch wir hier aus dem Parlament heraus versäumt, ({7}) neue grundlegende Arbeitsaufträge festzulegen. Die Großforschungseinrichtungen haben wir mit diesem ihrem Problem der Umstrukturierung alleine gelassen. Das müssen wir uns anrechnen. ({8}) - Nein, nein, auch das Parlament als solches. Wo waren Sie denn? Sie machen doch noch jetzt „business as usual". Wo sind denn die neuen Ansätze? Da fällt Ihnen nur eine Strukturkommission ein. Das ist genau das Problem: Wenn man ein Problem hat und nicht weiß, wie man es lösen soll, dann schlägt man eine Kommission vor und läßt sie arbeiten, bis sich das Problem von alleine gelöst hat. Zweitens möchte ich dazu anmerken: Trotz dieses politischen Versäumnisses haben die Einrichtungen begonnen, aus ihrem Selbstverständnis heraus selbst wieder eine konkrete Identität zu finden. Neue Schwerpunkte beginnen sich herauszubilden, wobei sich Strukturen ergeben, die wegen der Synergismen und der zunehmenden Vernetzung unterschiedlicher wissenschaftlicher Problemfelder der wachsenden Notwendigkeit zu interdisziplinärer Forschung entsprechen können. Ich denke, wir sollten dies bei unseren weiteren Beratungen und weiteren Entscheidungen in diesem Feld wirklich berücksichtigen. Die Notwendigkeit zur internen Umstrukturierung einiger Großforschungseinrichtungen ist sicher unbestritten. Ich habe hier heute morgen auch nichts Gegenteiliges gehört, bis jetzt jedenfalls noch nicht. Dabei ist nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates auch zu überprüfen, was an Grundlagenforschung wieder in die Hochschulforschung reintegriert werden sollte und wie die Zusammenarbeit mit den Hochschulen intensiviert und ausgebaut werden kann. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. ({9}) In der Folge eines solchen Umstrukturierungsprozesses wird es auch unumgänglich sein, einzelne Arbeitsfelder aufzugeben. In diesem Zusammenhang wäre auch zu erwägen, ob nicht einzelne Institute privatisiert bzw. in Tochtergesellschaften umgewandelt werden könnten. Für konkrete Privatisierungs- oder Teilprivatisierungsabsichten von Großforschungseinrichtungen müßten meines Erachtens Konstruktionen zu finden sein, die sowohl die Interessen des Staates als auch die der Privatwirtschaft und der betroffenen Einrichtung berücksichtigen. Dabei muß es keineswegs immer so sein, daß etwa eine Teilprivatisierung nur dann in Frage kommt, wenn die jeweilige Einrichtung ihre Kosten in einem offenen Markt erwirtschaften und somit dauerhaft eigenständig bestehen kann. Es ist auch denkbar, daß florierende Industriezweige für grundlegende FuE-Arbeiten in ihrem Geschäftsbereich ganz oder teilweise für die Finanzierung entsprechender Forschungseinrichtungen aufkommen. Diese könnten etwa einen ähnlichen Status in den Forschungszentren einnehmen wie die „An-Institute" an den Universitäten. Ich denke, damit könnten gleichzeitig auch Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen industrieller Forschung und den Großforschungseinrichtungen z. B. wegen der stringenten Auslegung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ausgeräumt werden. Hier gibt es eine ganze Reihe von Kinken, mit I denen wir uns im Bereich der Forschungspolitik wirklich einmal beschäftigen sollten und müßten. Nach den generellen, aus forschungspolitischen Ansätzen heraus entwickelten Vorgaben - diese müssen erfolgen - muß der Umstrukturierungsprozeß aus den Großforschungseinrichtungen und aus den Zentren heraus selbst geleistet werden. ({10}) Aber dazu müssen die Zentren auch hinreichende Entscheidungskompetenz erhalten. Der Deutsche Bundestag hat dazu in den vergangenen zwölf Jahren - der eine oder andere wird sich sicherlich daran erinnern - bereits dreimal entsprechende Flexibilisierungsmaßnahmen gefordert. Diese haben wir hier in diesem Hause beschlossen. Wären diese konkreten Beschlüsse des Parlamentes in der Vergangenheit umgesetzt worden, wären einige der heutigen Schwierigkeiten - so behaupte ich - weitgehend vermieden worden. ({11}) Nun möchte ich ausdrücklich begrüßen, daß der Bundesfinanzminister Ende 1991 den Flexibilisierungsmaßnahmen in der Bewirtschaftung der Großforschungseinrichtungen endlich zugestimmt hat. Wir fordern aber die Aufhebung der Befristung dieser Maßnahme auf drei Jahre; denn bei einer solchen Befristung werden sich positive Effekte dieser Flexibilisierung kaum entfalten können, und es wird für drei Jahre kaum jemand die grundlegenden Anstrengungen unternehmen wollen. In diesem Zusammenhang muß ich ein heikles Thema ansprechen. Nach der Auffassung einiger Finanzverwaltungen sollen Forschungsmittel einzelner Großforschungseinrichtungen in erheblichem Maße einer Besteuerung unterworfen werden. Damit droht über die aktuelle Finanzsituation hinaus eine weitere Beschneidung der Forschungsaktivitäten. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, diesen Absichten entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, daß die von öffentlichen Zuwendungsgebern zur Verfügung gestellten Forschungsgelder wie auch sonstige im Rahmen von Forschung und Entwicklung eingeworbenen Drittmittel voll der Erfüllung der satzungsgemäßen Aufgaben der Forschungseinrichtungen zugute kommen. Die Forschungsförderung dieser Art sollte steuerfrei bleiben. Es macht doch wirklich keinen Sinn, Steuergelder für die Förderung von Wissenschaft und Forschung einzusetzen und diese dann über Steuern zum Teil wieder zurückzufordern. Ich denke, das macht wirklich keinen Sinn. Von entscheidender Bedeutung für eine kontinuierliche und sozial verträgliche, auch die Forschungsaktivität und die wissenschaftliche Kreativität nicht störende Umorientierung in den Forschungseinrichtungen ist der Einsatz von personalwirtschaftlichen Flexibilisierungsinstrumenten. Auch dazu sind im Antrag der Koalitionfraktionen einige konkrete Vorschläge aufgeführt. Wir fordern von der Bundesregierung eindringlich ein Konzept zu deren Umsetzung, damit die aus diesen Vorschlägen sich ergebenden Konsequenzen für die Entwicklung in den Großforschungseinrichtungen bereits für den Haushalt 1993 berücksichtigt werden können. Herr Minister, im September 1991 ist aus Ihrem Hause ein Papier betreffend Status und Perspektiven der Großforschungseinrichtungen herausgekommen. In einer Anlage dazu ist der finanzielle Rahmen für die weitere Entwicklung abgesteckt worden. Nach Herausgabe dieses Papiers haben Sie mit Vertretern der Großforschungseinrichtungen Gespräche geführt. Ich habe nun folgende Frage: Haben sich Konsequenzen für den finanziellen Rahmen aus diesen Gesprächen ergeben, wenn ja, welche? Dies zu erfahren wäre von Interesse. Vielleicht können Sie darauf eingehen. Meine Damen und Herren, ich möchte hier deutlich sagen: Für die F.D.P.-Fraktion vertrete ich hier den Standpunkt, daß nur mit einer differenzierten Betrachtung und Bewertung jeder einzelnen Großforschungseinrichtung die unterschiedlichen Charakteristiken und die jeweilige Rolle, die den einzelnen Großforschungseinrichtungen in den Wissenschafts- und Forschungsstrukturen zugewiesen ist, berücksichtigt werden können. Wir lehnen deshalb einen weiteren undifferenzierten Überrollungshaushalt und lineare Kürzungen für alle Großforschungseinrichtungen nach dem System Rasenmäher ab. Lassen Sie uns gemeinsam die Aufgabe angehen, damit wir die Großforschungseinrichtungen in der gesamten Bundesrepublik in die Lage versetzen, Wissenschaft und Forschung auch in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit effizient und effektiv zu vertreten. Ich danke Ihnen. ({12})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge mögen ja alle gutgemeint sein, aber sie lassen aus meiner Sicht leider ein grundsätzlicheres Nach- und vor allem Vorausdenken in einer veränderten historischen Situation vermissen. ({0}) - Lassen Sie mich erst einmal ausreden. Wir werden nicht glücklicher, wenn wir hier sechs Anträge vorliegen haben. Vielmehr werden wir glücklicher, wenn wir uns auf einen Antrag einigen können, der die Wissenschaft und Forschung in diesem Land wirklich entwickelt. Mir scheint, daß die Anträge auch darunter leiden, daß sie wenig Willen zur Gestaltung einer der neuen deutschen, aber vor allem europäischen und globalen Verhältniss en entsprechenden Wissenschafts- und Forschungslandschaft zeigen. Die Regierungsparteien halten das offenbar im Augenblick oder generell nicht für nötig, da sie sich schon in der besten aller Landschaften wähnen, und die große Oppositionspartei, so meinte jedenfalls aus gegebenem Anlaß kürzlich Professor Narr, leide an Reformasthmatik, die auf ein Verhältnis ohne Eigen6614 schaften zwischen SPD und Wissenschaft zurückzuführen sei. Ich gebe gerne zu, daß die PDS, insoweit sie am SED-Erbe trägt, ebenfalls ein gestörtes Verhältnis zu Wissenschaft und Forschung mit sich herumschleppt. So sind wir vielleicht allesamt in unterschiedlichen Variationen in einer Situation, in der wir wollen, aber nicht so richtig können. In solchen Situationen empfiehlt es sich, Fachleute zu Wort und zum Zuge kommen zu lassen, wie es bei aller berechtigten Kritik an der Übertragung westdeutscher Maßstäbe unter grober Vernachlässigung ostdeutscher Voraussetzungen und Bedingungen bei der Evaluierung der ostdeutschen Wissenschaft durch den Wissenschaftsrat der Fall war. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, daß wesentlich Schlimmeres herausgekommen wäre, wenn man die Bewertung Parteipolitikern überlassen hätte. In der Annahme, daß Fachleute in die Abfassung des von der SPD in ihrem Antrag geforderten Berichts der Bundesregierung angemessen einbezogen werden, unterstütze ich diese Forderung. Das gilt auch für die in dem Antrag der SPD „Zur Zukunft der Großforschungseinrichtungen" verlangte Einsetzung einer Strukturkommission 2000, ({1}) - warum, ich kann es doch unterstützen; das ist ja mein gutes Recht -, obwohl mir die Sicht auf das Jahr 2000 für Wissenschaft und Forschung schon wieder viel zu kurz zu sein scheint und es mir sympathischer wäre, wir würden über 2005 und 2010 nachdenken, vorausgesetzt, es wird über einen weiten Horizont nicht nur geredet, sondern so bald wie möglich nach einem solchen auch gehandelt. Bei der Großforschung scheint es mir eine wichtige Frage zu sein, was die Gesellschaft, also nicht die etablierte Politik, nicht die Wirtschaft und auch nicht die Hochschule, sondern die Allgemeinheit, von ihr erwarten kann und erwarten muß. Das muß offensichtlich etwas sein, was die eben angesprochenen Sparten der Gesellschaft nicht oder nicht ausreichend leisten können, wie z. B. ein friedliches Zusammenleben der Menschheit, aber auch der einzelnen Menschen mit der Natur, darunter mit ihrer eigenen und mit der Natur anderer Menschen und Menschengruppen. ({2}) Über die Fehler des bei genauerem Hinsehen nur irreal existierenden Sozialismus wird in diesem Hause unter den bekannten Stichworten ja oft genug gesprochen. Diese Art von Sozialismus bedroht niemanden mehr, zumindest nicht andere Gesellschaftsformen und schon gar nicht die Menschheit als Ganzes. ({3}) Deshalb - so meine ich, meine Damen und Herren -, ist es an der Zeit - auch da gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten, verehrte Kollegin -, sich allmählich den Bedrohungen durch die verschiedenen Spielarten der modernen kapitalistischen Gesellschaft zuzuwenden, nicht zuletzt der deutschen. Das Nachdenken über gemeinnützige und längerfristige Ziele verfolgende Wissenschaft und Forschung erscheint mir nur erfolgversprechend, wenn damit auch ein grundsätzlicheres Nachdenken über Politik, Gesellschaft und Menschheit einhergeht. Die im Einigungsprozeß unter Beweis gestellte Kurzatmigkeit und Kurzsichtigkeit können wir uns allesamt nicht mehr leisten. Jetzt muß nachgeholt werden, was da an Zeit vermeintlich nicht vorhanden war. Das gleiche gilt für Europa, um so mehr, wenn es nicht an Oder und Neiße enden soll. Im besonderen Maße gilt das für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Wenn man keine Besinnungspause einlegt und nicht einmal andere Linien findet, an denen entlang man diskutiert und entscheidet - in den letzten Wochen und Monaten waren diese Linien das Geld, politische Altlasten, die Stasi und die deutsche Selbstherrlichkeit -, kann das letztlich alle sehr viel teurer zu stehen kommen als diese oder jene Million oder vielleicht auch Milliarde, die die Regierung jetzt bei Wissenschaft und Forschung und besonders bei der etwas bedächtigeren Großforschung im Osten und im Westen einsparen zu müssen oder nicht zur Verfügung zu haben glaubt. Danke schön. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Heinz Riesenhuber, das Wort. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte der Opposition- besonders dem Kollegen Vosen -ja noch die Gelegenheit geben, auf das einzugehen, was ich sage, ({0}) denn sonst hätte ich am Schluß alles abgeräumt, und das wäre vielleicht nicht so beglückend. Die Großforschungseinrichtungen - das ist hier von allen Rednern betont worden - sind ein kraftvoller Teil unserer Forschungslandschaft. Sie haben sich in einer Vielfalt entwickelt, die nicht jedem ganz klar ist. Wenn Herr Fischer hier, wie geschehen, darauf hinweist, daß wir mehr Geld brauchen, dann bin ich dankbar für jede Unterstützung dieser Art. Aber, Herr Fischer, ich gebe zu, daß wir die hohen Ziele der Opposition nicht immer uneingeschränkt erreichen. ({1}) Sie sagten, der Haushalt 1992 sollte gegenüber dem Haushalt 1991 um 1 Milliarde DM erhöht werden. Wir hatten immerhin einen Zuwachs in Höhe von ungefähr 825 Millionen DM; das ist ein Anstieg um 9,7 %, Herr Catenhusen. Die Differenz ist nur, daß wir auf dem Gebiet der Weltraumforschung keinen so hohen Zuwachs zu verzeichnen hatten, wie einige es vermutet und vorgesehen hatten. Da wir gerade vom Geld sprechen: Ich muß mich bei Ihnen noch entschuldigen. Ich habe während Ihrer Rede für einen Moment mit der Frau Kollegin Baumeister geschwätzt. ({2}) - Ja, ich habe mich ja schon entschuldigt. Ich bitte, mich nicht noch anschließend zu tadeln; das würde mich moralisch völlig zugrunde richten. - Wir haben darüber gesprochen, daß die Forschungsmittel in den einzelnen Bundesländern außerordentlich beachtlich sind. Ich freue mich sehr, daß Baden-Württemberg auf Grund einer prachtvollen und kräftigen Forschungslandschaft Forschungsmittel erhält, ({3}) und zwar auch im institutionellen Bereich, die den statistischen Anteil weit übersteigen. Einem Anteil von 15,3 % an der Bevölkerung der alten Bundesländer stehen Forschungsmittel von 22,8 % und im institutionellen Bereich von 27 % gegenüber. Das ist Ausweis für eine blühende, kraftvolle und dynamische Forschungslandschaft, die auch durch eine hervorragende Zusammenarbeit der Landesregierung mit der Forschung gekennzeichnet ist. ({4}) Wir brauchen durchaus immer mehr Geld für unsere Forschungslandschaft. Ich freue mich über jede Unterstützung. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß es keine Nation auf der ganzen Welt gibt, die einen so großen Teil ihres Bruttosozialprodukts für die öffentliche Förderung ziviler Forschung aufbringt. Die Bundesrepublik bringt 0,94 % auf; die vergleichenden Zahlen für Japan, die USA oder auch Kanada bewegen sich zwischen 0,45 % und 0,53 %, liegen also etwa bei der Hälfte. Selbst Frankreich mit seiner sehr etatistischen zivilen Forschung hat noch einen Anteil am Bruttosozialprodukt, der kleiner ist als der unsere. Insofern verfügen wir mit einer großen Vielfalt von Forschungseinrichtungen wie der Max-PlanckGesellschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, von Universitätsinstituten, von Bund-Länder-Instituten nach der Blauen Liste und mit den Großforschungseinrichtungen über eine einzigartige und ungemein dynamische Landschaft. Nun muß man bei der Diskussion über die einzelnen Einrichtungen - ich bin sehr dankbar, daß Karl-Hans Laermann das dargestellt hat - in ganz unterschiedlichen Bereichen ganz unterschiedlich ansetzen. Wir haben Großforschungseinrichtungen, die in der Grundlagenforschung auch heute noch ausgezeichnete Arbeit leisten, um ein einziges großes Gerät, wie DESY für die Hochenergiephysik oder GSI für die Schwerionenforschung. Das Alfred-Wegener-Insitut erfüllt eine langfristige Staatsaufgabe auf dem Gebiet der Polarforschung und der Meeresforschung. Ich nenne das Deutsche Krebsforschungszentrum, das auf dem Gebiet der Gesundheitsforschung arbeitet. Es arbeitet in einem ungemein vorgeschobenen Bereich, der heute bis hin zur Virologie und zur Immunbiologie reicht. Wir haben das Hahn-Meitner-Institut mit dem Reaktor BER II, der für die Wissenschaft wichtig ist. Ich erwähne noch das Institut für Plasmaphysik. Das heißt: Wir betreiben in ganz unterschiedlicher Weise langfristige und kraftvolle Forschung. Die Wissenschaft erfüllt Aufgaben, deren Grenzen und Inhalte der Staat zu bestimmen hat. Es gibt Bereiche, in denen neue Wissenschaften angegangen werden, und zwar bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung und bei der Gesellschaft für Biologische Forschung. Wir haben aber auch multidisziplinäre Großforschungseinrichtungen, die ursprünglich Aufträge im Bereich der nuklearen Forschung zu erledigen hatten, die sich jetzt jedoch neuer Bereiche angenommen haben. ({5}) Nun mahnte Herr Fischer hierzu an, daß die Differenzierung und die Umwandlung der Themen nicht hinreichend erfolgt sei. Ich möchte sagen: Die Leistungen, die hier erbracht worden sind, sind außerordentlich eindrucksvoll. Wenn Sie sich diese Graphik anschauen, dann werden Sie feststellen, daß wir den Anteil der Energieforschung bei den Großforschungseinrichtungen halbiert haben, und zwar ca. über 40 % auf 21 %, daß wir den Anteil der Umweltforschung fast verdoppelt haben und daß wir den Anteil der Forschung auf dem Gebiet der Informationstechnik mehr als verdoppelt haben. Allein diese Beispiele zeigen: Hier ist ein Strukturwandel in einer sehr grundsätzlichen Weise durchgeführt worden, leise und nicht spektakulär. So unwahrscheinlich es klingt: Es kommt in der Forschungspolitik nicht darauf an, die Köpfe der Menschen mit schmetternden Fanfarenstößen zu verwirren, sondern es gilt, die Wirklichkeit leise und effizient zu verbessern, damit sie wirklich erfolgreich und kraftvoll gestaltet werden kann. ({6}) Das ist die schlichte Wahrheit. Die natürliche Bescheidenheit, mit der wir unsere Erfolge vortragen, soll Sie dabei nicht irritieren. Es kommt uns nicht darauf an, daß uns die Menschheit zujubelt. Es kommt uns darauf an, daß es hier im Lande besser wird. Und das haben wir in der Tat erreicht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das entspricht auch der Mentalität des Kollegen Vosen.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident, ich bedanke mich für diese objektive Kommentierung. ({0}) Es ist hier dargestellt worden, daß sich die Forschungslandschaft durchaus stärker vernetzen sollte. Herr Fischer, einiges von dem, was Sie gesagt haben, ist mir nicht völlig klar. Sie sagten beispielsweise, im Bereich der Biotechnologie fordere der Wissenschaftsrat, daß die Zusammenarbeit zwischen Universität und Großforschungseinrichtungen enger würde. Ich lese aber in dem Gutachten, das Sie angezogen haben, einem roten Buch - was Ihnen angenehm sein muß -: Insgesamt handelt es sich bei der Biotechnologie nach Auffassung des Wissenschaftsrats um ein Forschungsgebiet, auf dem die Zusammenarbeit der beiden Großforschungseinrichtungen mit den jeweiligen Hochschulen in ihrem regionalen Umfeld als beispielhaft gelten kann. Wenn man also feststellt, wo etwas kritisch ist, dann bitte ich die richtigen Beispiele zu nehmen. Die Beispiele, wo die Zusammenarbeit erfolgreich ist und vorzüglich läuft, überwiegen und sind gesund. ({1}) Sehen Sie sich einmal an, wie sich das in den einzelnen Bereichen abgespielt hat. Hier ist angemahnt worden, daß die Zusammenarbeit nicht eng genug wäre. In den letzten zehn Jahren sind die gemeinsamen Berufungen von Professoren in Großforschungseinrichtungen und Universitäten zur Regel geworden. Wir haben ein Nachwuchsprogramm für Doktoranden und Diplomanden mit 470 Stellen aufgelegt. Wir haben im Rahmen des Hochschulsonderprogramms 1992 für Großforschungseinrichtungen 485 Stellen für Doktoranden und Postdoktoranden vorgesehen, um die Kraft der Zusammenarbeit selbstverständlicher zu machen. Wir stellen große Schiffe, große Beschleuniger und große Geräte zur Verfügung. Wir stellen Satelliten zur Verfügung. Hier arbeiten nicht Mitglieder von Großforschungseinrichtungen, sondern von Hochschulen und Universitäten. Der vornehmste Auftrag der Großforschungseinrichtungen ist, Kristallisationspunkt für die besten Köpfe aus den Hochschulen in Deutschland, aber auch in ganz Europa und weltweit zu sein, so daß die besten Leute beste Arbeitsbedingungen finden und in einer gemeinsamen Arbeitsstrategie wirkliche Sprünge in der Erkenntnis leisten, und dies tun sie in einer vorzüglichen Weise. ({2}) Im Zusammenhang mit der Plafondierung bis 1995 ist davon gesprochen worden, Herr Fischer, daß das zu Lasten der Investitionen gehen müßte. Sie haben gefordert, daß wir Instrumente zur Verfügung stellen. Genau das ist geschehen. Sie haben den Vorruhestand eingefordert. Genau der ist vereinbart. Wir haben mit dem Finanzminister eine entsprechende Lösung für 1 200 Stellen vereinbart. Das ist eine Flexibilisierung, die es bisher noch nie gab. Sie haben eingefordert, daß die Investitionen geschont werden. Die Voraussetzungen dafür, daß die Investitionen geschont werden, haben wir mit den Instrumenten geschaffen, ohne daß wir durch eine zu detaillierte Steuerung den Großforschungseinrichtungen bis in jedes einzelne Institut vorschreiben, wie sie vorzugehen haben. Sie haben die Flexibilität eingefordert. Ich kann den Kommentaren von Karl-Hans Laermann nur zustimmen. Sie brauchen die Flexibilität in der Tat für ein erfolgreiches Management. Sie brauchen sie aber auch, damit die Mitarbeiter, die in dieser schwierigen Phase des Umbruchs eine sehr große Last zu tragen haben, gute und vernünftige Arbeitsbedingungen haben oder auch der Übergang in andere Aufgaben bzw. das Ausscheiden möglich werden. Was haben wir in den vergangenen Jahren schon erreicht? Ich nenne die begrenzte gegenseitige Dekkungsfähigkeit von Personalkosten und Investitionshaushalten. Mit dem Finanzminister haben wir die Einwerbung und die Verwendung von Drittmitteln erreicht, des weiteren eine Regelung über die Behandlung von Spenden und die Behandlung der Rücklagen. Dazu kommt die gegenseitige Deckungsfähigkeit und die Zwischenfinanzierung. Alles in allem haben wir einen Kranz von Möglichkeiten, der die Gestaltungsfähigkeit der Großforschungseinrichtungen außerordentlich erweitert. ({3}) - Ich bin bei der Besteuerung entschieden Ihrer Auffassung. Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie dem Herrn Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, der sich diese Sache mit besonderer Herzlichkeit angelegen sein läßt, Ihre Meinung mit Nachdruck zur Kenntnis geben würden. Ich bin mit Ihnen und übrigens auch mit dem Kollegen Laermann der Auffassung, daß es ein absurdes Theater ist, wenn die Länder einerseits zu Recht sagen, daß sie eine starke Forschungsinfrastruktur haben wollen, aber andererseits darauf hinwirken, daß der Staat die eigenen Leistungen des Staates besteuert, die der Forschung dienen sollen. Das ist in der Tat pervers. Darin stimme ich Ihnen zu. ({4}) Hier ist die innere Umstrukturierung der Arbeit eingefordert worden. Ich möchte jetzt nur einen einzigen Punkt ansprechen. Natürlich haben wir die Großforschungseinrichtungen immer wieder überprüft, Herr Kollege Laermann. Ich will einige nennen. Das DKFZ war Anfang der 80er Jahre in einem schlimmen Zustand. Wir haben hier eine Struktur aufgebaut, auch der Überprüfung, die es jetzt zu einem angesehenen und herausragenden Institut gemacht hat. Ich nenne die Beraterkommission für die GBF in 1983, die Kommission zur Langfristplanung für das HMI in 1986, den externen Beraterkreis für die GMD seit 1989, der jetzt seine Vorschläge vorgelegt hat, die Perspektivkommission der KfK von 1990, ich nenne den Umweltbeirat für die gesamte Großforschung von 1987 bis 1990, die Querschnittsarbeit über Großforschung zur Solarenergie von 1988 bis 1990 und schließlich die Aktivitäten des Wissenschaftsrates im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Großforschungseinrichtungen. Jetzt komme ich zu Ihnen. Hier haben wir eine neue Aufgabe - Ecclesia semper reformanda. Die Frage ist nur, wie man das im einzelnen anlegt. Hier kann ich Ihnen nur nachdrücklich zustimmen: Eine Überkommission, die die Landschaft mit Bürokratien überzieht, wird nicht die Dynamik freisetzen, die wir jetzt brauchen, damit die neuen Ziele gesetzt werden. Wir müssen einen Rahmen setzen, der es erlaubt, daß die Großforschungseinrichtungen die Ziele finden. Nun ist hier eingefordert worden, daß wir forschungspolitische Grundsätze in einer deutlicheren Weise herausbringen. Wir haben hier einen iterativen Prozeß. In der ersten Runde hatte ich aus Gesprächen mit den Großforschungseinrichtungen Hoffnungen, daß sie - im Sinne der Globalsteuerung - die entsprechende Umstrukturierung aus sich heraus schaffen. Es hat sich dann gezeigt, daß dies nicht gelingen kann. In der zweiten Runde wurde hier gesagt: Wir brauchen Grundsätze. Wir haben die forschungspolitischen Grundsätze in einer Weise, die nicht sehr rigide und detailsteuernd angelegt ist, herausgebracht. Wenn es nach diesen geht, wenn also klar ist, wie gearbeitet wird, ist das prima. Sonst bin ich bereit, es auch noch genauer festzulegen. Aber je mehr Freiraum ich geben kann, aus dem nach definierten gemeinsamen Zielen die Wissenschaft selbst gestalten kann, desto besser ist es. ({5}) Wir haben hier einen iterativen Prozeß. Wir haben hier Ziele gesetzt. Es ist so, wie der Wissenschaftsrat sagt, daß Großforschung großforschungsspezifisch sein muß, d. h. besser in großen Einheiten geschehen kann als in irgendwelchen Instituten und Universitäten oder der Max-Planck-Gesellschaft. Wenn dies aber so ist, dann heißt dies: Sie muß in der Grundlagenforschung exzellent sein, sie muß interdisziplinär sein oder um ein großes Gerät angelegt sein. Sie muß so angelegt sein, daß sie wirklich das leistet, was wir anders nicht sinnvoll leisten können - von den Gebieten her gesprochen. Wenn Forschung marktorientiert ist, muß sie so angelegt sein, daß sie ihr Geld im Markt auch verdient. Es geht mir nicht um den fiskalischen Teil, sondern darum: Wenn eine marktorientierte Technik entwickelt wird, aber nicht in den Markt umgesetzt wird, dann ist diese Technik nicht nützlich für unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen. Wenn die Unternehmen bereit sind, die Technik zu übernehmen, dann sollen sie dafür bezahlen. Ich sehe nicht, warum der Staat hier karitative Akte setzen soll. Im übrigen ist es so, daß die Unternehmer für etwas, was sie selbst bezahlt haben, sehr viel besser kämpfen. ({6}) - Ich habe leider den Zwischenruf nicht verstanden, Frau Kollegin. Sie haben mich so böse angeschaut, daß ich nur erschrocken war und akustisch nicht mehr ganz zu folgen in der Lage war. Ich bitte um Nachsicht. ({7}) Wir haben also hier eine Strategie entwickelt. Wenn wir von Vorsorge sprechen, die durchaus eine wichtige Aufgabe sein kann, muß sie so angelegt sein, daß die Umwelt hinterher besser ist. Sie darf nicht irgendeine Forschung für sich sein, sondern sie muß auf Ziele, die Verbesserung unserer Umwelt oder auch der Gesetze dafür angelegt sein. Deshalb halte ich Querschnittsbewertungen in der gesamten deutschen Forschungslandschaft für sinnvoll. Karl-Hans Laermann sprach von Umwelt, Erich Maaß sprach von Umwelt und auch von Materialwissenschaften. Wenn der Wissenschaftsrat in seinem Urteil über die Einrichtungen der neuen Länder dazu kommt zu empfehlen, Materialwissenschaft nicht in die Großforschung zu legen, sondern in andere Organisationsformen, dann halte ich dies für ein Urteil, das wir auch für die alten Bundesländer mit erwägen müssen. Wir müssen den Wissenschaftsrat und seinen Rat insofern durchaus miteinbeziehen und überlegen, wie wir Strategien im Querschnitt anlegen. Diese Beurteilungen im Querschnitt halte ich für richtig. Wir werden sie beispielsweise beim Bereich Umwelt mit dem Wissenschaftsrat durchführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, ich halte es für die wichtigste Nachricht - sie ist nach den Anträgen aber nicht das Zentrum der Diskussion -, daß wir seit 1. Januar dieses Jahres nicht von 13, sondern von 16 Großforschungseinrichtungen sprechen. Was in den neuen Ländern nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrats aufgebaut worden ist, liegt genau in den Bereichen, wo wir künftig große Aufgaben sehen: in der Gesundheitsforschung, in der Kombination einer fortgeschrittenen Grundlagenforschung mit der Hilfe für den Kranken, in einer Umweltforschung, die bis zu Verbünden mit Universitäten und mittelständischen Unternehmen reicht, in der Frage von Erde, Klima und Lithosphäre, wo es staatliche Verantwortlichkeiten gibt. Dies ist also eine sehr umfassende und breite Strategie. Wir wollen in Deutschland eine integrierte Forschungslandschaft schaffen, bei der die Großforschungseinrichtungen Knotenpunkte in Netzen sind. Wir brauchen eine Vernetzung in ganz Europa. Das, was wir können, sollten wir in einer guten Partnerschaft mit den anderen Ländern einbringen: für unsere Zukunft hier in Deutschland und in Europa, aber auch im Sinne einer zukünftigen guten Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas, die zu Demokratie und Freiheit auch in der Wissenschaft aufbrechen und in uns gute Partner finden sollen. Schönen Dank. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die Debatte über die Großforschungseinrichtungen in einer Zeit des dramatischen wirtschaftlichen Strukturwandels in der Welt. Der Wettbewerb verschärft sich dramatisch. Zugleich nehmen die ökologischen Anforderungen an unseren Wirtschaftsprozeß und an unseren Lebensstil zu. In einer solchen Situation kommt der Forschungs- und Technologiepolitik eine besondere Bedeutung zu. Die technologische und ökologische Modernisierung der Volkswirtschaft muß vorangebracht werden, weil wir es nur auf diese Weise schaffen, einen humanen und ökologischen Fortschritt zu erreichen. Nur so können wir unseren Wohlstand sichern. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Deshalb müssen die Weichen in diese Richtung gestellt werden. Deutschland ist seit vielen Jahren ein guter Forschungsstandort. Dazu hat übrigens die sozialliberale Koalition - ich nenne die Minister Ehmke, Matthöfer, Hauff und von Bülow - einen wichtigen Beitrag geleistet. Es gehört zur historischen Wahrheit, daß auch Sie, Herr Riesenhuber, zu Beginn Ihrer Amtszeit - das war 1982/83 - diese Form der sozialdemokratischen Modernisierungspolitik zum Teil mit Erfolg fortgesetzt haben. Aber leider mußte die Forschungs- und Technologiepolitik in den 80er Jahren einen enormen Bedeutungsverlust hinnehmen. ({0}) Wenn Sie heute mit dem Rasenmäher durch die Haushalte der Großforschungseinrichtungen fahren, wenn in renommierten Forschungseinrichtungen wirklich Ängste und Sorgen bestehen, so ist das vor allem auf Ihr enormes Handlungsversagen Mitte der 80er Jahre zurückzuführen. Sie haben bei den Weichenstellungen für die Zukunft der Großforschungseinrichtungen versagt. Das muß man Ihnen heute vorwerfen. ({1}) Wenn der Anteil des Forschungsetats am Gesamthaushalt der Bundesrepublik Deutschland von 2,8 % im Jahre 1985 auf 2,1 % im Jahre 1991 - also um 25 % - gesunken ist, dann liegt genau darin die Ursache dafür, daß sich die 20 000 Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler in den Großforschungseinrichtungen heute weniger mit ihren Forschungszielen beschäftigen können, da sie Existenzsorgen haben und Bewerbungen schreiben. Junge Forscher hören heute aus der Science community: Bewerbe dich bloß nicht bei einer Großforschungseinrichtung! Es muß uns doch Sorge bereiten, wenn eine solche Stimmung entsteht. ({2}) Gerade wenn es richtig ist, daß die klassische Form der Großforschungseinrichtungen, wie sie in den 50er und 60er Jahren entstanden ist, meistens im Umfeld von kapitalintensivem Großgerät, nicht mehr den Anforderungen des Jahres 2000 entspricht, muß man von dem politisch Verantwortlichen verlangen, daß er einen aktiven Strukturwandel betreibt, und zwar rechtzeitig. ({3}) Sie, Herr Riesenhuber, haben die Entwicklung treiben lassen. Sie haben sozusagen die „Titanic" auf den Eisberg zutreiben lassen, und heute wundern Sie sich, daß die Passagiere schimpfen. Ich gebe zu: Eine Politik des aktiven Strukturwandels ist unbequemer, das Setzen von Prioritäten ist unbequemer. Aber auch gerade für die Forschung gilt: Wer die kritische Masse in Bewegung setzen will, wer besondere Leistungen erzielen will, muß Ziele definieren, muß motivieren und in der Lage sein, die Menschen zu begeistern. Auf neudeutsch heißt das Management by objectives. Bei Ihnen, Herr Riesenhuber, stelle ich - lassen Sie es mich so salopp sagen - fest, daß Sie ein bißchen nach dem Prinzip Management by toreros vorgehen: Sie weichen allen Problemen aus, stehen da, lassen es treiben, und auf einmal sagen Sie „Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe euch!" Das ist aber keine Politik. Wir müssen rechtzeitig den Strukturwandel auch als Vorgabe im Diskurs mit den Großforschungseinrichtungen berücksichtigen. Jedenfalls haben angesehene Forscher dieses Treibenlassen nicht verdient. Wir können es uns ökonomisch auch nicht leisten. Deshalb haben wir Sozialdemokraten ein Konzept „Großforschung 2000" vorgeschlagen. Dazu sind Vorschläge unterbreitet worden. Lothar Fischer hat das vorhin ausgebreitet. Da gibt es wichtige Weichenstellungen, Bestandsaufnahme, neue Ziele, neue Prioritäten. Da geht es auch um den Aufbau der Großforschungseinrichtungen in Ostdeutschland, die ganz wichtig sind. Und es geht um die Verhandlungen mit Herrn Waigel, was die Etatberatungen angeht. Herr Riesenhuber, Sie kennen ja Herrn Karl W. Deutsch. Der hat definiert: Macht ist, wenn man das Privileg hat, nicht zuhören zu müssen, weil man selber das Sagen hat. ({4}) Sie wissen, daß Sie in 14 Tagen den Entwurf Ihres Etats für 1993 dem Herrn Waigel vorlegen müssen. Meine Bitte an Sie ist: Reden Sie mit ihm darüber, was es 1993 an Weichenstellungen geben muß, damit die Großforschungseinrichtungen nicht weiter demontiert werden! Soviel ich aus Ihrem Haus weiß, gibt es die gleichen Vorgaben wie im letzten Jahr und im vorletzten Jahr; es wird keine Änderung geben, also auch keine Verbesserung für die Großforschungseinrichtungen. Das muß man heute klar und deutlich sagen, damit jeder weiß, woran er ist. Wir haben dieses Konzept vorgeschlagen. Ich will es an dem Beispiel des Kernforschungszentrums, eines bedeutenden Großforschungszentrums, verdeutlichen. Wir wollen ja diesen Strukturwandel. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe ist, wie Sie wissen, mit der Kernenergie groß geworden. Als die Sicherheitsrisiken und die Entsorgungsfrage immer deutlicher und unübersehbar wurden, haben die Fundamentalisten bei den GRÜNEN verlangt, das Kernforschungszentrum zu schließen. Und Sie haben gesagt: Weiter so! Wir haben uns mit den Physikern und den Naturwissenschaftlern und dem Management des Hauses zusammengesetzt und über einen Strukturwandel nachgedacht, wie man den Sachverstand, das Erkenntnisinteresse und die Erfahrungen der Forscher für neue Aufgaben nutzen kann. Karlsruhe könnte mit seinem Know-how einen großen Beitrag zum Energiesparen und zur Erhöhung der Energieeffizienz - was für die Zukunft bedeutend ist, weil wir vor einer großen Energierevolution stehen - und zur Stärkung der regenerativen Energien leisten. Das KfK will sich - es ist richtig, daß darüber diskutiert wird - im Umwelttechnikbereich engagieren. Es geht des weiteren um einen dritten wichtigen Bereich, der auch industriepolitisch bedeutsam ist: Es geht um die Frage, ob das KfK in die Mikrosystemtechnik einsteigen kann und soll und gefördert werden soll. ({5}) Die Mikrosystemtechnik ist die konsequente Weiterentwicklung der Mikroelektronik auf nichtelektronischen Gebieten. Sie ist ein rasch wachsendes technologiepolitisch orientiertes Forschungsgebiet, das für die Medizin, die Umwelttechnik und auch den Maschinenbau - das ist für uns im Süden Deutschlands sehr wichtig - eine Schlüsselbedeutung hat und neue Perspektiven aufweist. Das Kernforschungszentrum könnte zu einer Drehscheibe für ein Forschungs-, Technologie- und Fertigungsdreieck im Südwesten werden. An den Universitäten in Freiburg und Karlsruhe könnten die Forscher ausgebildet werden. In den Instituten der Fraunhofer Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, in der Rheinschiene und im KfK könnten sie Grundlagenforschung leisten. In Kooperation mit den Maschinenbauern im Raum Stuttgart könnten sie die Umsetzung in diesem Bereich bewerkstelligen. Die mittelständisch geprägte Industrie, der Maschinenbau, im mittleren Neckarraum hat im Moment große Probleme, ({6}) weil sie, Herr Laermann, nicht so kapitalintensiv wie die großen Unternehmen in Japan ist und weil sie nicht in der Lage ist, sich so große Forschungseinrichtungen zu leisten. Mit einer solchen Konzeption für das Kernforschungszentrum könnte sie einen Forschungsrückhalt erhalten. Deshalb halte ich es für wichtig, daß wir diese Vision eines Zentrums für Energieeffizienz, Umwelt und Mikrosystemtechnik in Karlsruhe konkret weiterentwickeln und zu realisieren versuchen. Dazu hat der Forschungsminister einen Beitrag zu leisten. ({7}) Er kann nicht nur dasitzen und abwarten und buchhalterisch sagen: Wir streichen das und dieses und jenes. Da ist aktiver Strukturwandel gefordert; nichts anderes. Klare Zielvorgaben und klare Prioritäten in der Forschungspolitik vermissen wir aber auch auf anderen Gebieten in Ihrem Bereich. Wenn die Bundesregierung die Forschungs- und Technologiepolitik nicht endlich mit einem höheren Stellenwert versieht und wenn der Forschungsminister nach zehn Jahren nicht mehr die Kraft für neue Prioritäten hat, ({8}) dann könnten wir in einer entscheidenden Phase der weltwirtschaftlichen Entwicklung technologisch in die Zweitklassigkeit abrutschen. Denken Sie bitte an Herrn Bushs denkwürdige Reise nach Japan! Dort hat er ein Spielwarengeschäft eines amerikanischen Herstellers eröffnet. ({9}) Gleichzeitig hat er - Herr Laermann, Sie wissen das - gebeten, weniger Autos in die USA zu exportieren. Dann hat er auch noch gegen den Tenno Tennis gespielt und 3: 6, 3 : 6 verloren. ({10}) Das war ein Fiasko. Herr Lenzer hätte anders ausgesehen. Jetzt hat Herr Kohl angekündigt, daß auch er im Oktober, Herr Riesenhuber, nach Japan fahren will. In Kenntnis unseres wirtschaftlichen und technologischen Standards und der Wettbewerbssituation auf der Welt, aber auch in Kenntnis der Talente des Bundeskanzlers ({11}) möchte ich schon jetzt davon abraten, daß er mit dem Kaiser Tennis spielt. Vielen Dank. ({12})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Brigitte Baumeister. ({0})

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viel Lob wurde über die Großforschung ausgegossen; ich darf mich da anschließen. Ich glaube, da haben wir überhaupt keinen Dissens. Das gilt ganz besonders auch für unsere Großforschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Großforschungseinrichtungen stellen ein gewaltiges wissenschaftliches Potential, aber auch einen enormen wirtschaftlichen Faktor dar. Ein Jahresetat von über 2,3 Milliarden DM spricht für sich. Insgesamt - wir haben es gehört - beschäftigen sie 20 000 Mitarbeiter, davon 16 000 im institutionellen Bereich. Das sind Zahlen, auf die man, glaube ich, stolz sein kann. Die Vereinigung Deutschlands, der Beitritt der neuen Bundesländer erfordert es aber, daß wir das unter einem ganz neuen Aspekt sehen und die Großforschungseinrichtungen demzufolge - ich glaube, da besteht ebenfalls kein Dissens - neu überdenken und umstrukturieren - sprich: neu strukturieren -. Die westdeutschen Forschungseinrichtungen als Bestandteile eines wissenschaftlich selbstverwalteten und dezentral organisierten Systems standen schon immer im wissenschaftlichen Wettbewerb, aber auch im Lichte eines internationalen Technologievergleichs. Die GFEs leisten heute einen bedeutenden Beitrag in der Grundlagenforschung. Diese Kapazitäten - da stimme ich Ihnen zu - gilt es, Herr Kollege Mosdorf, zu erhalten. Japan - das wissen wir alle - bemüht sich derzeit mit großem Engagement, eine Basis für Grundlagenforschung im eigenen Land zu errichten. ({0}) Die Japaner haben erkannt, daß es für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie von zentraler Bedeutung ist, eine eigene wettbewerbsfähige Grundlagenforschung zu haben. Es gilt meines Erachtens, dafür zu sorgen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Vorsprung hier behält. Herr Kollege Mosdorf, Sie haben auf die Wichtigkeit und Bedeutung von Grundlagenforschung im Bereich der Wirtschaft hingewiesen; auch hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. ({1}) Im Osten sind tiefgreifende Evaluationsmaßnahmen eingeleitet worden, deren Ergebnisse bereits umgesetzt worden sind. Wir sind nunmehr aufgefordert, forschungspolitische Zielsetzungen auch im Westen zu überprüfen und nach Konzentrationsmöglichkeiten zu suchen sowie die daraus notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, daß sich die GFEs - neben der bereits erwähnten Grundlagenforschung - schwerpunktmäßig mit Energiefragen beschäftigen müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Schonung von Ressourcen für spätere Generationen und im Hinblick auf die Vermeidung negativer Klimaveränderungen muß hier mit staatlicher Unterstützung massiv geforscht werden. Auf Grund der fachlichen Kompetenz der GFEs - die mir besonders aus persönlichen Gesprächen mit Vertretern der GfK und des DKFZ bekannt ist - werden diese auch künftig eine wichtige Rolle spielen. So zeichnet sich bereits jetzt ab, daß das Kernforschungszentrum Karlsruhe - wie Sie erwähnten - seine Schwerpunkte im Bereich der Energietechnik, einschließlich der Reaktorsicherheit, der Abfallbehandlung, der Kernfusion, der Umweltforschung und der Mikrosystemtechnik neu überdenken muß. Auch Umweltforschung und Vorsorgeforschung, die im Rahmen der bereits vollzogenen Umstrukturierungsmaßnahmen der GFEs als Themen prioritär aufgegriffen worden sind, müssen meines Erachtens stärker ausgebaut werden. Dabei muß allerdings im Rahmen einer - wie vom Kollegen Maaß gefordert - übergreifenden Bewertung dieser Forschungsbereiche überprüft werden, welche Teilthemen von den jeweiligen GFEs angesprochen und umgesetzt werden. Bei der Vorsorgeforschung, aber auch bei bestimmten Systemtechniken wie Mikrosystemtechnik, Nanotechnik sowie Materialforschung können die GFEs den vorhandenen interdisziplinären Ansatz voll zum Tragen bringen. Diesen Vorteil gilt es im Rahmen der Neustrukturierung auszunutzen. Und, Herr Kollege Fischer - er ist nicht mehr da -: Auch ich wende mich ganz vehement gegen diese Strukturkommission, ({2}) weil ich glaube, daß die GFEs selber Einfluß - und diesen müssen sie auch bekommen - nehmen müssen, um die Neustrukturierung - gewiß nach Vorgaben - vorzunehmen. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, daß meines Erachtens auch der Gesundheitsforschungsbereich weiter ausgebaut werden muß. Aber ich glaube, in dieser Beziehung sind wir uns einig. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg konnte mit dem Aufbau der Tumorvirologie in den letzten Jahren einen für die Krebsforschung bedeutenden Beitrag leisten. Dort bestehen Pläne, durch klinische Abteilungen die in Deutschland nach wie vor hemmende Trennung zwischen klinischer Praxis und Forschung abzubauen. Gerade diese erfreulichen Forschungsaktivitäten des DKFZ rechtfertigen es, hier mehr staatliche Forschungsgelder einzubringen. Genau das haben wir ja auch getan. ({3}) - Das wissen Sie ganz genau. ({4}) - Ein wenig, ein wenig, Herr Vosen. ({5}) Vor dem Hintergrund der Haushaltslage dürfen wir aber nicht darauf verfallen, in den alten Bundesländern quasi mit dem Rasenmäher - wir sprachen es vorhin an - lineare Kürzungen vorzunehmen. Vielmehr muß es zwischen den einzelnen Großforschungseinrichtungen und innerhalb einer jeden Einrichtung zu einer Prioritätenfestsetzung kommen. Im übrigen, glaube ich, muß deutlich gemacht werden, daß eine hochqualifizierte Forschung Voraussetzung für unseren Industriestandort Deutschland ist. Ich kann es wagen, dies hier zu wiederholen, weil ich glaube, daß dies ein ganz zentraler Punkt ist. Im Vorfeld der Haushaltsberatungen 1993, die demnächst stattfinden, möchte ich deshalb ankündigen, daß es meine Fraktion nicht unterlassen wird, erneut Anforderungen an den Forschungsetat zu stellen. ({6}) Ich möchte auch noch einmal deutlich auf das Bundesland Baden-Württemberg hinweisen, woher ich komme; denn gerade dort zeigt es sich, daß eine starke Forschung auch eine starke Industrie nach sich zieht oder umgekehrt. Beides ist wichtig, und beides zeigt sich am Beispiel Baden-Württembergs, weil dort dieser Bereich ganz besonders von Erfolg gekrönt ist. Forschungsthemen und Forschungsschwerpunkte müssen regelmäßig überprüft und im Dialog mit den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Staat und neuen zukunftsorientierten Fragestellungen betrachtet werden. Die Forschungseinrichtungen müssen sich dem Strukturwandel in der allgemeinen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung stellen. Sie sind verpflichtet, Veränderungen aktiv zu beeinflussen und sie auch selbst zu gestalten. Es ist nicht damit getan, laufende und vorgesehene Aktivitäten auf Doppelarbeit oder Konzentrationsgrad hin zu überprüfen. Thematische, organisatoriBrigitte Baumeister sche und personelle Flexibilität und Mobilität müssen als Prinzipien verankert und regelmäßig zur Anwendung gebracht werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle nicht mißverstanden werden. Ich möchte nochmals deutlich machen: Nach Auffassung meiner Fraktion müssen die forschungspolitischen Zielsetzungen eindeutig Priorität gegenüber etwaigen Einsparungszielen haben. ({7}) Für uns ist es wichtig, daß die GFEs auf wirkliche Zukunftsthemen ausgerichtet werden, soweit dies nicht ohnehin schon der Fall ist. Im Mittelpunkt der Diskussion sollte deshalb unserer Auffassung nach stehen, welche Aufgaben die GFEs bei der Lösung der Zukunftsfragen haben und wie sich deren Potential im Zusammenspiel mit den übrigen Forschungseinrichtungen und Aktivitäten optimal nutzen läßt. Wichtig ist, daß die Forschungszentren in allen Berührungspunkten, nämlich Hochschule, staatliche Stellen, Industrie und sonstigen Forschungsinstituten effizient zusammenwirken, daß Kooperation als Bestandteil aller Forschungsaktivitäten begriffen wird. In unseren Forschungseinrichtungen sind nicht nur hervorragende Ergebnisse erzielt worden, dort arbeiten auch - wir haben dies ja schon von Minister Riesenhuber gehört - hochqualifizierte Menschen. ({8}) Wir haben einen international hohen Standard. Wir haben bestausgebildete Forscher, für die wir im übrigen in der ganzen Welt beneidet werden. ({9}) Im Rahmen des Technologietransfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist nicht nur der effektive Austausch von Informationen und Forschungsergebnissen, sondern auch der Austausch von Personal gefordert. Hier sollten in beiden Richtungen Erleichterungen vorgegeben werden. Seitens der Industrie wird zu Recht beklagt, daß in den Großforschungseinrichtungen geltende arbeits- und sozialrechtliche Strukturen des öffentlichen Dienstes die Mobilität und Flexibilität der Mitarbeiter hemmen. Ob wir es wollen oder nicht: Deutschland ist ein Industrieland. Unser Rohstoff ist in erster Linie der Vorsprung in der Forschung und das technologische Know-how. Wir sind darauf angewiesen. Vorausschauende Forschungspolitik zu betreiben, bedeutet daher auch Verantwortung für den Standort Deutschland. Wenn ich „Forschung" sage, dann meine ich eine zukunftsorientierte, ergebniszugewandte Forschung. Die Großforschungseinrichtungen dürfen sich nicht in thematischen Nischen und marktfernen Inselidyllen verstecken, sondern müssen sich auch im Bereich der Grundlagenforschung Themen zuwenden, die für die Industrie von Belang sind. Der industrielle Bedarf an Forschungsthemen sowie die Möglichkeiten industrieller Nutzung von Forschungsergebnissen müssen bei der Forschungsplanung noch stärker berücksichtigt werden. Damit können die Institute auch auf dem Gebiet der Auftragsforschung interessanter, leistungsfähiger und auch unabhängiger von staatlicher Unterstützung werden. Ich möchte es plakativ einmal so ausdrücken: Obwohl 1993 der Gemeinsame Markt Realität ist und die Maastrichter Beschlüsse den Forschungsbereich noch stärker integrieren, betreibt die Bundesrepublik bei der Bewertung der GFEs Nabelschau.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Baumeister, Ihr Pech ist, daß keine Parlamentarische Geschäftsführerin zum Präsidium kommen kann, um eine Redezeitverlängerung zu erbitten. ({0})

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte es zum Schluß auf einen Nenner bringen: Ich glaube, wir müssen uns alle fragen, ob wir alle Möglichkeiten der internationalen Kooperation, der europäischen Kooperation ausgeschöpft haben, und möchte uns alle bitten, über diese Dinge und über neue Strukturierungen gemeinsam nachzudenken. Vielen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege WolfMichael Catenhusen, Sie haben das Wort.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat die SPD-Fraktion mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß auch unser Forschungsminister, der bald zehn Jahre im Amt ist, die europäische Forschungspolitik entdeckt hat. Er hat in einem Memorandum zur europäischen Forschungspolitik seine Anforderungen an die künftige Entwicklung auch der finanziellen Mittel der EG-Forschungspolitik formuliert. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß er eine jährliche Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Europäischen Gemeinschaft in Höhe von 6 % fordert. Da hat er unsere Unterstützung. Nur, Herr Riesenhuber, ich denke, Sie könnten nun in der innenpolitischen Diskussion leicht bezichtigt werden, nur ein Ablenkungsmanöver zu fahren. Denn wie kann ein Forschungsminister nach außen, gegenüber Brüssel, eigentlich mannhaft für eine jährliche Erhöhung der Forschungsausgaben in Höhe von 6 % eintreten, wenn wir seit 1982 unter Ihrer persönlichen Verantwortung, Herr Riesenhuber, eine Entwicklung erlebt haben, in der die Bedeutung des Forschungshaushalts im Bundeshaushalt real gesunken ist ({0}) und die Forschungsausgaben aus den Mitteln des Bundes pro Kopf alleine zwischen 1990 und 1992 von 123 DM auf 116 DM gesunken sind? Herr Riesenhuber, wir würden diese Diskussion ganz anders, auch viel konstruktiver führen können - vielleicht auch Sie -, wenn Sie es nicht zugelassen hätten, daß seit 1982 im Forschungshaushalt eine strategische Schieflage eingetreten ist, die heute auf 1 bis 2 Milliarden DM pro Jahr geschätzt wird. ({1}) Das Problem ist: Sie haben eine neue Diskussion über die Großforschung angefangen, indem Sie zunächst, ehe überhaupt über Konzepte diskutiert worden ist, die Größe des Klingelbeutels bestimmt haben, mit dem Sie bei den Großforschungseinrichtungen anschließend herumgegangen sind, um Geld einzusammeln. ({2}) Dann haben Sie den Großforschungseinrichtungen klarzumachen versucht, daß es für sie doch das erträglichste wäre, Umstruktierung in Form der Anpassung an weniger Geld vorzunehmen. Sie haben ihnen bis heute keine Chance gegeben, in diesem Prozeß der Überprüfung ihrer Aufgaben und Zielsetzungen auch konstruktiv neue Ideen in das Konzept einzubringen. Denn die Prämisse der Forschungspolitik Ihres Hauses, Herr Riesenhuber, war: Es gibt die Vorgabe, daß Stellen abgebaut werden müssen. Die Ziele und die Konzepte, die Sie, liebe Großforschungseinrichtungen, erbringen, werden daran gemessen, ob der Sparbeitrag erfüllt ist oder nicht. Ich meine, meine Damen und Herren, so kann man mit einer motivierten Gruppe von hochqualifizierten Wissenschaftler- und Wissenschaftlerinnenteams in Deutschland nicht umgehen. ({3}) Ich meine, wir sind uns hier zwischen den Fraktionen einig, daß wir für die wissenschaftliche, technologische und wirtschaftliche Zukunft unseres Landes einen qualifizierten Beitrag der Großforschungseinrichtungen brauchen und daß wir Anstrengungen unternehmen müssen, die Forschungseinrichtungen in Deutschland fit zu machen für ihren Beitrag zu diesen Zukunftsaufgaben. Das gilt gerade auch für die Großforschungseinrichtungen. Denn die Großforschungseinrichtungen sind wie kein anderer Sektor unseres Forschungs- und Wissenschaftssystems der Beeinflussung, der Steuerung durch die staatliche Forschungs- und Technologiepolitik auf dem Wege der Globalsteuerung zugänglich. Das heißt: Nirgendwo sonst kann eine gesellschaftliche Nachfrage nach Beiträgen von Forschung und Entwicklung so schnell und direkt aufgenommen und umgesetzt werden wie in der Großforschung. Meine Damen und Herren, dafür ist sie ja auch in den 60er Jahren geschaffen worden, nicht als einsame Insel der Forschung, sondern als Einrichtung, in der interdisziplinär unter Nutzung großer Geräte gesellschaftliche Fragen bearbeitet werden. Nur muß dann auch die staatliche Forschungspolitik diese gestaltende Aufgabe wahrnehmen. Herr Riesenhuber, wo sind eigentlich Ihre Visionen über die wirlichen zentralen Aufgaben, die die Großforschung für den Fortschritt unserer Gesellschaft leisten muß? Wir haben das früher über Großgeräte und über Kerntechnik definiert. Wir müssen doch heute andere große Visionen entwickeln, etwa die Frage, wie wir auch durch Beitrag von Wissenschaft und Technik zu einer Halbierung unseres Energieverbrauches kommen können. ({4}) Wie können wir zu einem umweltverträglichen Verkehrssystem kommen? Wie können wir zu einer Ökologisierung der Produktion kommen? Wenn wir diese Visionen entwickelt und einen gesellschaftlichen Konsens haben, müssen wir prüfen, welchen Beitrag die Großforschung zur Verwirklichung dieser Ziele leisten kann. ({5}) Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir brauchen diesen konstruktiven Dialog, unsere Erwartungen an diese qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, daß sie auch selbst motiviert sind, sich in diesen Zukunftsdialog und diese Zukunftsentscheidung einzubringen. Meine Damen und Herren, wir diskutieren natürlich nicht nur darüber, was Herr Riesenhuber heute wieder gerne möchte. Sie haben heute wieder erzählt, was Ihnen alles so einfiele, wenn Sie ungehemmt schalten und walten könnten. ({6}) Ich meine, es geht heute auch darum, einmal zu überprüfen, wie weit Sie denn auf dem Weg zur Realisierung Ihrer Träume gekommen sind. Heute sind sich alle Fraktionen einig, wie wichtig auch der Beitrag der Großforschungseinrichtungen für die industrielle Entwicklung unseres Landes ist. Ja, was ist denn eigentlich seit 1982 in den Großforschungseinrichtungen in bezug auf Industrieforschung oder Kooperation mit der Industrie passiert? Da haben Sie zunächst 1983/84 der Industrie gesagt: Ich biete Ihnen die Großforschungseinrichtungen an. Gucken Sie doch einmal, was Sie davon gebrauchen können. - Sie haben damals in Ihrem Standort- und Perspektivenbericht schreiben lassen, daß der Industrie angeboten wird, sich an Großforschungseinrichtungen insgesamt oder an einzelnen Teilen zu beteiligen. Nichts ist passiert. Fehlanzeige! ({7}) Ich denke auch, das war der falsche Weg. Die Privatisierung der Großforschungseinrichtungen ist doch nicht der Weg, das Problem eines sinnvollen Einbringens von Basis-Know-how, von technologischem Know-how aus der Vorlaufforschung in die Industrie zu gewährleisten. Nun ist dieser Privatisierungswahn offensichtlich ausgeträumt. Fünf Jahre später steht im zweiten Status- und Perspektiven-Bericht, den Sie dem Ausschuß und der Öffentlichkeit vorgelegt haben, daß Sie, das Ministerium, Defizite der Arbeit der Großforschungseinrichtungen im Bereich der industrienahen Technikentwicklungen konstatieren. Das mag schon so sein. Nur, woran liegt das denn? Was ist denn eigentlich aus Ihrem Hause an konstruktiven, perWolf-Michael Catenhusen spektivischen Beiträgen seit 1984 passiert? Ich denke, Sie sind sich in Ihrem Hause überhaupt noch nicht klar geworden, was eigentlich Großforschungseinrichtungen spezifisch im Bereich wirtschaftlich interessanter Technologieentwicklungen leisten können. Da gibt es doch verschiedene Phasen von Innovationsprozessen, verschiedene Aufgaben vor allem im Berich der wissenschaftlich basierten Vorlaufforschung bei Technologieentwicklungen, wo die Frage nach einem Beitrag der Großforschung konkret geklärt werden muß. Ich denke, Herr Riesenhuber, vor allem muß eines gelten: Wenn wir einiges Interesse daran haben, daß auch die Großforschungseinrichtungen einen größeren Beitrag bei der Entwicklung von wirtschaftlich wichtigen Schlüsseltechnologien leisten können, dann brauchen sie auch mehr Freiraum für eine Zusammenarbeit mit der Industrie. Sie brauchen auch einen anderen Freiraum für eine Mitfinanzierung durch die Industrie. Die Fraunhofer-Gesellschaft zeigt doch, welche Strukturen dafür erforderlich sind. Warum geben Sie nicht mehr Raum für Dezentralisierung der Organisation in den Großforschungseinrichtungen, ({8}) daß sich auch dort solche Freiräume für solche Entwicklungen bilden können. Wenn man sich das so auf die Fahnen geschrieben hat, dann muß ich sagen, Herr Riesenhuber: Konzeptionell, praktisch hat Ihr Haus an dieser Stelle strategisch versagt. Meine Damen und Herren, ich möchte dann noch einen zweiten Punkt kurz behandeln. Ich meine, daß die Frage, wie wir jetzt mit den Großforschungseinrichtungen umgehen, auch die Frage aufwirft, ob wir mit diesen kurzfristigen, mit Bordmitteln gestrickten Umstrukturierungen, die jetzt auf Ihren Druck durch das BMFT allein aus fiskalischen Gründen betrieben worden sind, auf Dauer weiterkommen. Meine Damen und Herren, ein Strukturkonzept „Großforschung 2000" zu erarbeiten, das hat eigentlich eine ganz andere Perspektive, als das hier in der Diskussion von seiten der Koalition zum Ausdruck gekommen ist. Wir müssen doch nüchtern zur Kenntnis nehmen, daß sich die Forschungslandschaft in Deutschland seit Ende der 60er Jahre grundlegend geändert hat. Sie ist sehr viel gegliederter, sehr vielschichtiger geworden. Wir öffnen uns zur Zeit für die Entwicklung einer europäischen Forschungslandschaft, wo auch die Frage, wie deutsche Großforschungseinrichtungen in der europäischen Landschaft ihren Platz finden, beantwortet werden muß. ({9}) Wir stellen uns diese Aufgaben als Anforderungen an eine solche Kommission vor. Wir brauchen eine klare Standortbestimmung der Großforschung in der deutschen und europäischen Forschungslandschaft. Wir möchten, daß dabei folgende Dinge - lassen Sie mich das zum Abschluß kurz sagen - besonders berücksichtigt werden: Erstens. Wir wissen heute, daß neue Generationen von Großgeräten immer stärker europäische oder weltweite Gemeinschaftsprojekte werden. Diese Perspektive muß den längerfristigen Strukturplanungen auch für die großgerätespezifischen Großforschungseinrichtungen zugrunde gelegt werden. Da gibt es bisher nur Fehlanzeige. Zweitens. Wir brauchen - ich habe das schon angedeutet - eine Stärkung der Großforschungseinrichtungen, die nicht nur, wie bisher, Ursachen für Umweltschäden erkennen und die Entwicklung von Reparaturstrategien betreiben, sondern wir brauchen auch eine Vision für eine komplexe, längerfristig angelegte Bearbeitung von Vorstellungen einer ökologisch verträglichen Industriegesellschaft. ({10}) - Das Problem ist, daß Sie sich darunter leider nichts Konkretes vorstellen können. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich will Sie nicht stören, Herr Abgeordneter, aber Sie haben nur noch 20 Sekunden.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die Leitungen der Großforschungseinrichtungen haben einen Anspruch darauf, daß zunächst die Aufgabenbestimmung vorgenommen wird, daß dabei auch darüber diskutiert werden kann, welche neuen Aufgaben den Großforschungseinrichtungen zuwachsen. Wenn sich daraus auch das Bedürfnis ergibt, daß alte bestehende Aufgaben zurückgeführt werden müssen, sind wir der Meinung, daß das getan werden muß. Aber der erste Schritt muß das neue Konzept sein. Der zweite Schritt muß dann die finanzielle Umsetzung sein. Es darf nicht zugelassen werden, daß die Politik gegenüber den Großforschungseinrichtungen nur darin besteht, daß Geld eingesammelt wird. Schönen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin Mayer.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auslöser für die laufende Debatte über Großforschungseinrichtungen sind nicht etwa Fehlentwickungen bei diesen Einrichtungen, sondern sind die deutsche Einheit und die Leistungen, die auch die Großforschungseinrichtungen dafür erbringen müssen, daß wir in der ehemaligen DDR die Folgen von 40 Jahren realen Sozialismus beseitigen müssen. Die Mitarbeiter der Großforschungseinrichtungen haben dazu große persönliche Opfer gebracht. Da könnte ich Beispiele vom Hahn-Meitner-Institut in Berlin und von der GSF in Oberschleißheim und anderen aufzählen. Die Großforschungseinrichtungen müssen aber auch einen finanziellen Beitrag leisten, so schwer das Dr. Martin Mayer ({0}) auch fällt. Ich nenne das Stichwort Einfrieren des Haushalts, was letztlich auch eine reale Absenkung der grundfinanzierten Kapazitäten bedeutet. In einer solchen Situation, in der der zu verteilende Kuchen kleiner wird, lebt natürlich die Diskussion über die Bedeutung der einzelnen Aktivitäten auf. Es muß begründet werden, warum der eine ein größeres Stück bekommt, während beim anderen etwas mehr weggeschnitten wird. In dieser Diskussion hat der Minister im September vergangenen Jahres vor dem Ausschuß für Forschung und Technologie Zielvorgaben gemacht, die sich mit zwei Schlagworten umschreiben lassen: Konzentration auf die spezifischen Aufgaben; Rückzug aus den Bereichen, die eben nicht spezifisch sind, wozu auch bestimmte Bereiche der Technologieentwicklung gehören. Er hat damals und auch heute die Instrumente genannt, die sich mit den Worten umschreiben lassen: Erweitern des Handlungsspielraums; Erleichterung des Finanzmanagements; Verwaltung beweglicher machen. Es wird aber auch notwendig sein, daß die Großforschungseinrichtungen verstärkt Drittmittel einwerben, insbesondere auch aus dem Bereich der EG. Wenn man sich vorstellt, daß sich der EG-Forschungshaushalt in den letzten vier Jahren praktisch verdoppelt hat, daß in den nächsten Jahren eine weitere erhebliche Ausweitung des EG-Forschungshaushaltes erfolgt, sind die Großforschungseinrichtungen durchaus gefordert. Es bietet sich auch für diese Forschungsinstitute so meine ich - eine große Chance zur europäischen Zusammenarbeit. Bei der Ausweitung der Drittmittelforschung wird natürlich die Frage der steuerlichen Behandlung noch virulenter und noch bedeutender. Ich kann mich hier aber auf das beziehen, was der Kollege Laermann dazu gesagt hat. Die Drittmitteleinwerbung durch diese Großforschungseinrichtungen muß steuerfrei bleiben. Nun werden die Mittelständler sagen, das führe zu Wettbewerbsverzerrungen. Ich halte dem entgegen: Wenn sich die Großforschungseinrichtungen auf ihre Aufgaben konzentrieren, dann können sie mit Wirtschaftsbetrieben überhaupt nicht in Konkurrenz treten; im Gegenteil, die Erfahrung zeigt, daß sie sozusagen ideale Partner für Wirtschaftsunternehmen sind, weil sie gerade die Einrichtungen haben und die Bereiche der Forschung betreiben, die Privatbetriebe, insbesondere kleinere Privatbetriebe, nicht betreiben können. Wenn Sie nach Baden-Württemberg oder nach Bayern - das kenne ich besser, weil es meine Heimat ist - schauen - in anderen Bereichen wird es nicht anders sein -, dann sehen Sie, daß Großforschungseinrichtungen Kristallisationspunkte für andere Wirtschaftsbereiche sind, die sich mit der Forschung im besonderen beschäftigen. Wenn wir von der Drittmitteleinwerbung reden, müssen wir uns natürlich auch einmal überlegen, ob man nicht auch bestimmte Anreize für Mitarbeiter schaffen sollte, die Drittmittelforschung zu verstärken. Wir müssen auch überlegen, ob wir nicht für Bereiche, die ohnehin bewältigt werden müssen und für die ohnehin zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt werden - ich nenne beispielsweise die Sicherung der Kernkraftwerke in Osteuropa -, verstärkt freie Kapazitäten aus den Großforschungseinrichtungen einsetzen sollten, statt neue Institutionen zu schaffen. Ich meine, auch das ist eine Sache, über die wir nachdenken sollten. Auch die Betreiber von Kernkraftwerken im Inland sollten einmal darüber nachdenken, ob sie freie Kapazitäten jetzt nicht nutzen könnten, um in der Frage der Entsorgung von Kernkraftwerken schneller voranzukommen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Letztlich sollten wir über alle diese Bereiche vorurteilsfrei nachdenken. Insgesamt müssen wir anerkennen, daß die Großforschungseinrichtungen schon bisher große Anstrengungen unternommen und bei der Einwerbung von Drittmitteln auch Gewaltiges geleistet haben, aber auch bei der Anpassung an veränderte Verhältnisse. Die GSF in Neuherberg hat beispielsweise von 1983 bis 1990 neun Institute oder Abteilungen mit 150 Mitarbeitern geschlossen und dafür wieder neue Institute gegründet. Die Großforschungseinrichtungen haben sich damit den Herausforderungen gestellt. Ich meine, das verdient auch einmal Anerkennung für die Wissenschaftler, für die Verwaltung und letztlich auch für die Personalvertretung. Das, was sie bisher geschaffen haben, gibt auch Hoffnung für die Zukunft. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland nimmt in der Forschung eine Spitzenstellung ein. Die Großforschungseinrichtungen haben dazu ihren Beitrag geleistet. Es ist deshalb wichtig, daß wir die Umbruchsituation rasch bewältigen. Dabei ist es kein Weg, neue Gremien. z. B. eine Strukturkommission, zu schaffen, wie es die SPD vorgeschlagen hat. Diese Strukturkommission wäre ein neuer schwerfälliger Apparat. Es ist halt die alte Leidenschaft der SPD, zu glauben, daß man mit mehr Bürokratie Probleme löst. Das Gegenteil ist der Fall. In einer Welt, die sich ständig verändert, kann es auch nie eine endgültige Organisation geben, sondern der Prozeß der Anpassung wird ein ständiger Prozeß sein. ({1}) Wir können jetzt die Großforschungseinrichtungen auch nicht mit einer Technologiefolgenabschätzung neu belasten. Dabei stellt sich die SPD die Technologiefolgenabschätzung ja immer so á la Ökoinstitut, Freiburg, vor, ({2}) bei der die Gefahren überzeichnet und die Chancen verschwiegen werden. Ich kann nur sagen: Das ist falsch. Die Verantwortung für die Forschung müssen die Politiker gemeinsam mit den betreffenden Wissenschaftlern tragen. Ich bin der Meinung, daß die GFE fähig sind, die Herausforderungen der Zeit zu bewältigen und daß die Politiker und die Großforschungseinrichtungen in einer schrittweisen Annäherung - wie das bereits im Gange ist - diese Probleme lösen können. Dabei sind in den Großforschungseinrichtungen auch die Verwaltungen und die Personalräte mit einzuschließen, wenn es darum geht, auf Dr. Martin Mayer ({3}) diesem Weg zu einer Lösung zu kommen und nach den politischen Vorgaben die Möglichkeiten abzuschätzen. Die Großforschungseinrichtungen müssen auch in Zukunft die Lokomotiven des technischen Fortschritts in unserer Republik bleiben. Die Koalitionsfraktionen haben dazu den richtigen Weg aufgezeigt. Wir werden diesen Weg gemeinsam mit der Bundesregierung gehen. ({4}) Die Großforschungseinrichtungen werden ihren Beitrag zum Standort Deutschland leisten. Sie werden ihren Beitrag dazu leisten, daß es uns auch in Zukunft gutgeht. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle, bevor ich dem Kollegen Vosen das Wort gebe, eine Bemerkung machen. Der amtierende Präsident ist oft genötigt, Unruhe zu bezwingen und dann Kollegen dafür auch noch namentlich anzugehen. Eine Debatte über ein solches ernsthaftes Sachthema in aller Herrgottsfrühe verführt nicht gerade zu besonderer Unruhe, im Gegenteil. Heute hat sich der Kollege Vosen - ich finde, so etwas sollte man auch einmal rühmen -, verdient gemacht, Ruhe zu überwinden. ({0}) Ich weiß, daß es nicht ganz ungefährlich ist, so etwas vor Ihrer Rede zu sagen. Herr Kollege Vosen, Sie haben das Wort.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielleicht darf ich das noch ohne Zeitabzug sagen: Ich bedanke mich für dieses Lob. Ich habe Sie nämlich vor einigen Tagen im deutschen Fernsehen erleben dürfen, wo Sie sich beklagt haben, daß keiner mehr im Parlament war. Da muß ich feststellen: Das Lob tut mir gut. Daß Sie heute so etwas sagen, tut vielleicht auch dem Parlament gut. Herzlichen Dank! ({0}) Ich darf jetzt zu meiner Rede kommen. Ich weiß, daß der Forschungsministerjetzt gleich noch einmal reden möchte. Als letzter möchte er das tim. Ich hatte ihm angeboten, das noch vor mir zu tun. Das wollte er nicht, ({1}) vielleicht weil er eine Kommentierung seines letzten Wortes fürchtet. Aber gut, lassen wir uns überraschen! Ich möchte sagen, Herr Riesenhuber: Das, was Sie hier vorgetragen haben - vielleicht war es etwas früh -, war doch recht blaß. Sie haben die Möglichkeit, das gleich zu korrigieren. Aber ich denke, es ist genauso blaß gewesen wie die Politik schlechthin, die Sie uns hier als erfolgreiche Politik versucht haben zu verkaufen. Insgesamt recht blaß! Meine Kollegen Mosdorf und auch Catenhusen haben es gesagt: Seit 1984 sind dieser Forschungsminister und diese Bundesregierung in einer sogenannten Magerkur. ({2}) Seit 1984 speckt er kontinuierlich ab. Man kann es ja auch sehen: Viel ist nicht mehr dran. Das Problem ist also: Haushaltstechnisch hat er Jahr für Jahr Finanzmittel verloren. So trifft ihn dann die deutsche Einheit abgemagert, ausgemergelt und unvorbereitet, ({3}) in einer Zeit, in der man finanztechnisch Speck auf den Rippen haben müßte, um denjenigen, die jetzt Hilfe brauchen, nämlich unseren Freunden in den neuen deutschen Ländern, einmal eine anständige Blutübertragung zukommen zu lassen. Das ist gar nicht mehr möglich. ({4}) Wenn nämlich die Finanzen des Forschungsministers so abgemagert sind, wie will er denn da helfen? Das Problem ist: Es fehlt eine Milliarde. Das wissen wir alle; das weiß auch der Forschungsminister. Er hat sie beantragt; aber er hat sie nicht bekommen. Das weiß der Forschungsminister. Der Finanzminister hat sie ihm verweigert, wie viele Jahre vorher die notwendigen Mittel verweigert worden sind. Nun fehlt nicht nur das Geld. Das kann man manchmal mit Kreativität und Ideen ausgleichen. Nein, es fehlen auch die Ideen für die Zukunft. Das hat mein Kollege Mosdorf sehr treffend beschrieben. ({5}) Auch die Zukunftsvisionen, so wie es Herr Catenhusen ausgedrückt hat, sind nicht vorhanden. So versucht man dann, ohne Konzept und ohne Geld die Dinge zu regeln. Was dabei herauskommen muß, ist allen klar, nämlich ein Ausschlachten, ein Abbauen bewährter Einrichtungen in unserem Lande, in der alten Bundesrepublik. Der Aufbau der neuen Einrichtungen in den neuen deutschen Ländern kann ebenfalls nicht in dem Maße geschehen, wie es erforderlich wäre; denn es gibt keine Finanzen, keine Konzepte, keine Visionen. Ich muß sagen: Die Rede der Kollegin Baumeister hat mir gut gefallen. ({6}) Vielleicht tut sich ja etwas in der Union; vielleicht sind die Frauen vorne. Wir werden uns überraschen lassen, wie es weitergeht. Große Fehler hat diese Regierung, besonders der Forschungsminister, begangen. Ich erinnere mich, wie er mit seiner Chip-Chip-Hurra-Einstellung die Weltraumfahrt vorantrieb. Er war ja eine Zeitlang Ratsvorsitzender in der ESA. In dieser Zeit hat er mit stolz geschwellter Brust und gerader Fliege uns weis6626 gemacht, daß diese Weltraumfahrt Europa ist. Wenn wir heute sehen, daß auch er, wo er nicht mehr Ratsvorsitzender ist, bei den Vorhaben abspecken muß - wie ja alles abgespeckt wird -, dann wissen wir, daß das Chip-Chip-Hurra nicht in die Zukunft führt. Von daher kann ich sagen: Man hat die Ressourcen, die vorhanden waren, für Vorhaben eingesetzt, die man nicht zu Ende bringen wird. Das ist auch schon früher passiert, z. B. in der Energiepolitik: Man hat zu lange an der Kernenergie und der Kernforschung festgehalten, die, so denke ich, noch zu einem Zeitpunkt viele Ressourcen beansprucht hat, als wir Sozialdemokraten schon lange gesagt haben: Kehrt um! Macht dort nicht weiter! Geht in moderne Bereiche hinein! ({7}) So ist z. B. die Mikroelektronik, die Informationstechnologie ({8}) sehr abgeschlagen. Wir haben kaum noch Chancen, in die großen Bereiche dieses Marktes, der Wissenschaft und der Forschung hineinzukommen. ({9}) - Nein, Herr Laermann, es tut mir leid, wir haben kaum noch Chancen. Die Regierungsparteien, zu denen auch Sie gehören, Herr Laermann, haben diese Politik leider jahrelang, wenn man so will: in Vasallentreue abdecken müssen. Die Kritik, die ab und zu der Kollege Lenzer geäußert hat, wurde niedergemacht; auch das ist uns bekannt. ({10}) Er hat sich dann anschließend nicht mehr getraut. ({11}) Von daher haben wir eine Politik erlebt, die sich heute, wenn man so will, ohne jede Zukunftsvision darstellt. Wir haben in der Mikroelektronik, international betrachtet, einen Abfall festzustellen. In der Verkehrsforschung - der Kollege Mosdorf interessiert sich dafür - sind wir förmlich festgefahren. ({12}) Da stehen wir im Stau, da tut sich nichts; eine Verkehrsforschung sehen wir nicht. Auch in der Umweltforschung sind wir nicht gut vorangekommen, selbst wenn hier immer gesagt wird: Wir haben die finanziellen Mittel verdoppelt. Wenn ich statt einer Mark zwei Mark zur Verfügung stelle, so habe ich eine Steigerung von 100 %, dann habe ich das verdoppelt; aber die Basis ist doch recht schwach. Ich denke, daß der Bundesforschungsminister auch hier ein wenig, wie es seine Art ist, übertreibt. Also, auch das alles ist sehr bescheiden. In der Klimaforschung bemüht sich jetzt der Forschungsminister. Er ist sogar selber durch das Ozonloch geflogen; er hat es bewundert, er hat es gesehen. Nur, was dann in der Klimaforschung passiert, ist, muß ich sagen, recht wenig. ({13}) Deswegen haben wir uns bemüht, in Kürze Initiativen in Sachen Ozonforschung mit auf den Weg zu bringen. Auch beim GATT ist es höchste Eisenbahn, daß wir uns melden; denn das, was jetzt vorgesehen ist, hätte für uns zur Folge, daß wir in der Mikroelektronik, in der Informationstechnologie, bei einem Fördersatz von 25 %, wie es geplant ist, die Aufholjagd zu Japan niemals mehr gewinnen können. Ich denke also, daß eine ganze Reihe von modernen Themen, z. B. die ökologische Wirkungsforschung, völlig brach darniederliegen. Es ist traurig, daß die Großforschungseinrichtungen, die erhebliche Beiträge leisten könnten, heute im Grunde genommen den Spartopf für diesen zu knappen Forschungshaushalt darstellen. Karlsruhe ist angesprochen worden. Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen, und zwar Jülich: Dort hat man für ungefähr 90 Millionen DM ein Großgerät namens COSY installiert. Man hat dieses Ding dahingestellt, wobei jetzt die Mittel, nämlich weitere 20 Millionen DM, für die entsprechenden Geräte, die man dort braucht, um zu messen, nicht zur Verfügung stehen. Das heißt, man ist gar nicht mehr in der Lage, die Investitionen in den Großforschungseinrichtungen überhaupt noch richtig zu nutzen. Das Gerät steht da, und die Mittel fehlen, um es zu benutzen. So sieht die Praxis aus. Ich kann darin keinen Sinn und keine Methodik erkennen außer das Plattmachen, das Zurückfahren und das Schneiden mit dem Rasenmäher. Es gibt keine Konzeption im einzelnen, so wie wir es in unserem Antrag gefordert haben. Die Politik der Bundesregierung ist, was die Forschung angeht, ein einziges Fiasko. Ich bedaure außerordentlich, daß dies so ist. Hätten wir nicht die guten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Großforschungseinrichtungen, an den Universitäten und in der Industrie, bei Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten, ({14}) dann wäre es um unsere Forschung böse bestellt; denn diese Regierung leistet selber keinen vernünftigen Beitrag. Herzlichen Dank. ({15})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Heinz Riesenhuber.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war doch sehr erfrischend, eine solche Fülle von falschen Argumenten zu hören. I Ich darf einmal einige der Punkte aufgreifen, die angesprochen worden sind. Es ist hier gesagt worden, in den letzten zehn Jahren habe es keinen Wandel in den Großforschungseinrichtungen gegeben; dies alles stagniere. Jetzt möchte ich einmal das einzige Beispiel aufgreifen, das hier angesprochen worden ist. ({0}) - Herr Catenhusen. In der Zeitdauer von zehn Jahren - so haben Sie es dargestellt - habe es Versäumnisse gegeben; wir hätten keine Anstöße gegeben; es sei nichts Neues entstanden. ({1}) - Moment, wir sprechen gleich noch über die Vision. Wenn man Anstrengungen wie in der KfK, dessen Kernforschungsanteil von 70 auf 20 % reduziert worden ist, und die im Bereich der Klima- und der Umweltforschung und der verschiedenen Technikbereiche Neues aufgegriffen hat, nicht einbezieht, kommt man zu solchen Urteilen. Es ist hier gesagt worden, es gebe kein Konzept in bezug auf die ökologische Erneuerung. Dies ist ein Bereich, in dem wir grundsätzliche, neue Fragen umfassend aufgegriffen haben. Das, was wir hinsichtlich der Waldschadensforschung, die es bis 1982 nicht gab, obwohl alle Welt voll war mit der Diskussion über die Waldschäden, begonnen haben, wurde jetzt in den Ökosystem-Forschungszentren mit wesentlicher Beteiligung der Großforschungseinrichtungen aufgebaut. Herr Kollege Mayer hat darauf hingewiesen, daß es bei der GSF einen grundsätzlichen Wandel gegeben hat und daß sie völlig neue Themen aufgegriffen hat. Wir haben einen großen Wandel in vielen Bereichen. Es gibt eine neue Struktur der Gesellschaft für Biologische Forschung und eine neue Struktur der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung. Hier ist eine große Vielfalt von Ansätzen neu geschaffen worden. Das war das, was wir uns vorgenommen hatten. Herr Catenhusen, ich kann leider nicht alles im einzelnen aufzählen. Aber nicht jede Technik, die Deutschland hilft, ist in der Großforschung optimal zu Hause. ({2}) Wo Mikrosystemtechnik richtig angesiedelt wird, d. h. in welchem Zusammenspiel zwischen Einrichtungen und Unternehmen, das müssen wir noch herausfinden. Aber eines muß ich hier sagen: Wir haben 15 Monate vor MITI die Mikrosystemtechnik hier in Deutschland mit einem Programm gestartet. Auch nach der zwischenzeitlichen Diskussion ist dies das beste Programm weltweit. Wir greifen es auf und schaffen Verbindungen zwischen Institutionen und Unternehmen. Genau dieser Verbund ist erforderlich. Es geht nicht darum, was wir in irgendwelche Großforschungseinrichtungen hineinstopfen; wir müssen vielmehr prüfen, wo Zukunft entsteht. Jeder, der an einer Stelle arbeitet, an welcher auch immer, wird sich zu überlegen haben, ob das, was er tut, an der richtigen Stelle erfolgt, und ob das, was er tut, für Deutschland in der internationalen Zusammenarbeit wichtig und hilfreich ist. Herr Vosen hat hier darauf hingewiesen, daß der Haushalt in einer verheerenden Weise abgespeckt worden sei. ({3}) Jetzt möchte ich Ihnen einmal sagen, was wir abgespeckt haben. Wir haben die Nuklearforschung abgespeckt, und zwar von 1,485 Milliarden DM auf weniger als 300 Millionen DM, wenn man die Altlasten abzieht, die wir geerbt haben. ({4}) Was haben wir ferner abgespeckt? Wir haben die Förderung von Großunternehmen von 2,9 auf 1,1 Milliarden DM gekürzt. Was haben wir dafür getan? Wir haben, aufbauend auf unseren Visionen, eine grundsätzliche Strukturänderung des Haushalts und der Politik vollzogen. Wir haben den Anteil der Umweltforschung mehr als verdoppelt. Wenn Sie hier, wie geschehen, sagen, auf dem Gebiet der Klimaforschung geschehe wenig, dann sage ich Ihnen: Unser Klimaforschungsprogramm ist umfassender als alle Klimaforschungsprogramme aller EG-Partner zusammengenommen. ({5}) Wir verflechten sie, weil wir dies für wichtig halten. Wir haben den Anteil der Gesundheitsforschung mehr als verdoppelt. Wir haben dort Prioritäten gesetzt, wo staatliche Aufgaben zu erfüllen sind. Es war nie unser Ehrgeiz, die Landschaft durch zusätzliche staatliche Mittel zu überschwemmen. Es war vielmehr unser Ehrgeiz zu erreichen, daß sich der Staat auf die Aufgaben zurückzieht, die er grundsätzlich zu erfüllen hat, und das hat der Wirtschaft und der Wissenschaft genutzt. Sie haben gesagt, es herrsche ein verheerender Zustand. Beschreiben Sie doch einmal die Landschaft, die vor uns liegt! Schauen Sie sich doch einmal an, wo wir sind! In jedem Jahr seit 1984 ist unsere Wissenschaft besser geworden. Wir haben die Aufholjagd in der Biotechnologie vorangebracht. Wir hatten - mit einer Ausnahme - in jedem Jahr seit 1984 einen, zwei oder drei Nobelpreisträger. Ich sage nicht, daß wir uns deswegen auf die Schulter klopfen dürften, aber das Entscheidende ist, daß die Wissenschaftler begeistert darüber sind, was sie hier leisten können und daß sie sich hohe und ehrgeizige Ziele setzen. Unsere Forschungspolitik hat über Jahre hinweg nicht den Staat in den Mittelpunkt gestellt, sondern sie hat gedient. Damit ist der Erfolg unserer mittelständischen Unternehmen mit High-tech-Produkten auf den Märkten größer geworden. Unsere Wissenschaft ist im internationalen Verbund prägend für Europa. Das ist ein Grund für den Erfolg unserer Wirtschaft. Aber auch unsere Arbeit für eine bewahrenswerte Umwelt ist von Erfolg gekrönt. Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Herr Mosdorf hat darauf hingewiesen, wir würden plafon6628 dieren, und zwar auch im nächsten Jahr. Genau das tun wir. Wir plafondieren, wie wir es gesagt haben, zum Teil bis 1995. Aber innerhalb dieser Plafondierung differenzieren wir. Es wird Großforschungseinrichtungen geben, die schon bis 1995 - trotz begrenzter Möglichkeiten der Gestaltung - einen Zuwachs in der Größenordnung von 7, 10 oder 12 % zu verzeichnen haben werden, während andere Abstriche hinnehmen müssen. Hinsichtlich dieses Konzepts besteht grundsätzlich Konsens mit den Großforschungseinrichtungen. Unsere Aufgabe ist es, die Zukunft zu gestalten, nicht aber den Staat in den Mittelpunkt zu stellen. So haben wir es immer gehalten. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/1724 und 12/2064 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Odendahl, Josef Vosen, Eckart Kuhlwein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland - Drucksache 12/1983 Überweisungsvorschlag: Auschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Eckart Kuhlwein das Wort.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat gestern in der Leipziger Universität mit Akteuren und Betroffenen des Umbaus der Hochschullandschaft in den neuen Ländern diskutiert. Ich weiß nicht, ob wir in der Lage sind, aus dem Gehörten ein gemeinsames Fazit zu ziehen. Ich jedenfalls bin erschrocken, welche gewaltigen Aufgaben dort noch vor uns liegen. Ich ziehe daraus den Schluß, daß sich auch der Deutsche Bundestag bei der Lösung dieser Aufgabe sehr viel stärker als bisher engagieren muß. Der Umbau eines 40 Jahre lang ideologisch ausgerichteten und von oben ständig gegängelten Hochschulsystems wirft offenbar sehr viel mehr Schwierigkeiten auf, als es sich die Bundesregierung beim Abschluß des Einigungsvertrages träumen ließ. Fest steht jedenfalls, daß es mit Empfehlungen des Wissenschaftsrates, mit einem Hochschulerneuerungsprogramm und mit der Aufnahme der neuen Länder in die Rahmenplanung des Hochschulbauförderungsgesetzes allein nicht getan ist. Der Bund wird den neuen Ländern darüber hinaus mit Rat und noch mehr Taten zur Seite stehen müssen, wenn er die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse herstellen will. Wenn die SPD-Bundestagsfraktion heute mit einem Antrag zur Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland die Bundesregierung auffordert, bis Ende Mai dieses Jahres einen Bericht vorzulegen, in dem auch die Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrats und die damit verbundenen Entscheidungen von Bund und Ländern sowie die geplanten weiteren Maßnahmen dargelegt werden sollen, so wollen wir dazu den Anstoß geben. Wir können es uns nicht leisten, daß die Hochschulen in den neuen Ländern die Chance verpassen, in Forschung und Lehre so schnell wie möglich einen Standard zu erreichen, der den jungen Menschen dort gleichwertige Zukunftschancen bietet. Wir wollen mit unserem Antrag gleichzeitig Transparenz im Verfahren herstellen. Im Ausschuß haben wir bereits einen Bericht des Bundesbildungsministers erhalten. Wir möchten aber gern wissen, was die gesamte Bundesregierung will und was sie mit den Ländern verabredet hat. Wir möchten auch gern den gesamten Bundestag und die Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung beteiligen. Das ist auch deshalb notwendig, weil wir rechtzeitig für die nächsten Haushalte die Konsequenzen ziehen müssen. Wir glauben schließlich, daß es höchste Zeit ist, daß die neuen Länder kritischer mit der Übertragung des westdeutschen Hochschulsystems umgehen. Vielleicht ließe sich dann noch einiges von dem retten, was z. B. in der alten DDR im Studium effektiver gewesen ist als in der alten Bundesrepublik. Es ist unbestritten, daß der Wissenschaftsrat seit dem Juli 1990 mit seinen Empfehlungen zur Hochschulstruktur hervorragende Arbeit geleistet hat. Aber es konnte gar nicht ausbleiben, daß dieses Expertengremium dabei in erster Linie das bekannte westdeutsche System auf die neuen Länder übertragen wollte. Dabei wurde offenbar verdrängt, daß auch die Hochschule in den alten Ländern in einer tiefen Krise steckt, die nicht nur mit dem Mangel an flächenbezogenen Studienplätzen und an Personal zu tun hat. Die einmalige Chance, mit der Wiedervereinigung Deutschlands das Hochschulwesen vor allem in seiner Organisationsstruktur zu reformieren und es für das vereinte Europa in seiner Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, wurde vergeben. So heißt es in einem Papier der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag. Wo kreative Weiterentwicklung gefragt war, ist Anpassung verordnet worden. In seinem Bericht vor dem Bildungsausschuß hat Minister Ortleb z. B. bedauert, daß es nicht möglich gewesen sei, in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats „die besonderen Stärken der ostdeutschen Hochschulen in der Hochschullehre, z. B. in Gestalt der Seminargruppen, der intensiven Betreuung der Studenten und der didaktischen Aufbereitung des Stoffes, aufzuarbeiten und für eine gesamtdeutsche Hochschullandschaft fruchtbar zu machen". Das Ergebnis dieses Versäumnisses wird sein, daß auch in den neuen Ländern statt früher knapp fünf künftig sieben Jahre im Durchschnitt studiert wird. Nicht zu Unrecht ist in den neuen Ländern vielfach die Frage aufgeworfen worden, ob und wann die Hochschulen in den alten Ländern evaluiert werden. Über dem Umbau dürfen wir aber den Ausbau des Hochschulsystems nicht vergessen. Die Wissenschaftspolitik muß in der Gesellschaft und bei den Finanzpolitikern rechtzeitig ihren fundierten Bedarf anmelden. Ein weiteres Jahrzehnt der Vertröstung auf das Licht am Ende des Tunnels können wir uns nicht mehr leisten. Die Gesellschaft der Zukunft braucht mehr wissenschaftlich ausgebildetes Personal. Sie braucht es wegen der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, wegen der notwendigen ökologischen Erneuerung. Sie braucht es für den sozialen Zusammenhalt und die kulturelle Entfaltung. Die bisher für die alten Länder genannte Ausbauziele bei den Studienplätzen entsprechen in keiner Weise dem Bildungsinteresse und dem dauerhaften Bedarf. Für die neuen Länder gibt es noch nicht einmal solche Zielzahlen, obwohl jeder an seinen fünf Fingern abzählen kann, daß dort die aufgestaute Bildungsbenachteiligung in eine gewaltige Bildungsexpansion umschlagen wird. Strukturreform und Ausbau des Hochschulsystems im Westen und im Osten sind angesagt. Wir brauchen einen Hochschulgesamtplan, in dem neue Strukturen entwickelt und neue quantitative Ziele vorgegeben werden. Die Leistungsfähigkeit des Hochschulbereichs - so hat Minister Ortleb vor dem Bildungsausschuß festgestellt - hänge davon ab, ob es gelinge, dem Wissenschafts- und Hochschulbereich insgesamt im Konzert der Staatsaufgaben einen ausreichenden Platz zu sichern. Ich möchte ihn korrigieren und sage lieber: einen komfortablen oder einen zukunftsweisenden Platz. Aber wir kennen ja die Bescheidenheit dieses Bildungsministers und wollen ihm das nicht nachrechnen. Wir interpretieren das hoffentlich gemeinsam so, daß es der notwendige Platz ist, der gesichert werden muß. Dann gebe ich ihm recht. ({0}) Aber dieser Platz ist nur zu sichern, Herr Ortleb, wenn die zuständigen Minister und Ministerinnen in Bonn und in den Ländern endlich in die Offensive gehen. Der Bund trägt, unbeschadet der Kompetenzverteilung, auch für die Entwicklung der Wissenschaftslandschaft gesamtstaatliche Verantwortung. Die Bundesregierung muß diese Verantwortung endlich ernsthaft wahrnehmen, wenn die Wissenschaft und damit die Zukunft nicht nachhaltig Schaden leiden sollen. Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Koalition, daß wir unseren Antrag im Ausschuß zügig beraten können, damit das, was wir am Ende beschließen - ich habe gehört, Sie hätten gewisse Sympathie für diese Initiative, aber seien noch nicht bereit, sie sofort zu übernehmen und ihr heute zuzustimmen -, schon im nächsten Bundeshaushalt seinen Niederschlag finden kann. Ich hoffe, daß die Koalition nicht nur in der Analyse der Probleme - da waren wir uns in Leipzig, glaube ich, weitgehend einig , sondern auch in den politischen Schlußfolgerungen mit uns übereinstimmt. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD fordert die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorzulegen. Dieser soll die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Hochschulen, Wissenschaft und Forschung sowie den bisherigen Stand der Umsetzung dieser Empfehlungen darstellen. Gegen einen solchen Bericht ist sicherlich nichts einzuwenden, doch erhebt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt dieser vorgelegt werden soll. In der 22. Sitzung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft - Sie haben das bereits angesprochen, Herr Kuhlwein - wurde schon über die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Hochschulstruktur in den neuen Ländern sowie die Durchführung des Erneuerungsprogramms für Hochschule und Forschung diskutiert. Mittlerweise liegt auch ein Bericht des Wissenschaftsrates über den bisherigen Stand der Umsetzung der Empfehlungen vor. Die Empfehlung des Wissenschaftsrates betrifft in erster Linie die Länder. Wie wir am Mittwoch bei der Anhörung in Leipzig feststellen konnten, sind die neuen Länder gerade dabei, die personelle und strukturelle Erneuerung der Hochschulen durchzuführen. Ich denke, es ist sinnvoll, mit dem Bericht zu warten, bis von dort konkretere Ergebnisse vorgelegt werden können. Der 21. Hochschulrahmenplan erkennt klar die Notwendigkeit, den qualitativen und quantitativen Gesamtrahmen für den Ausbau des Hochschulwesens neu zu überdenken. Gründe sind die neue Situation nach der Wiedervereinigung, aber auch die entgegen früheren Prognosen weiter steigenden Studentenzahlen. Die Festsetzung eigener Ausbauziele für die neuen Länder ist möglich, sobald die erforderlichen Datenerhebungen abgeschlossen sind. Diese Datenermittlung, die derzeit durch die Länder erfolgt, ist auch Voraussetzung für die Kostenprognose, wie sie der Ausschuß gefordert hat. Die Umstrukturierung der Hochschulen muß zunächst noch weiter vorangekommen sein, bevor Aussagen für eine längerfristige Ausbauplanung erfolgen können. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch nicht möglich, für den qualitativen Ausbaustand und die Entwicklung der Hochschulen der alten und der neuen Länder vergleichbare Daten vorzulegen. Grundlage für die Planung der Hochschulentwicklung in den neuen Ländern sind die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Struktur des Hochschul6630 wesens. Eine bundesweite Gesamtbetrachtung ist erst möglich, wenn die Planungen der Länder auf der Grundlage dieser Empfehlungen vorliegen. Eines wissen wir jedoch heute bereits: Der Bundesansatz von 1,6 Milliarden DM im Haushalt von 1992 für die Gemeinschaftsaufgabe „Aus- und Neubau von Hochschulen" wird künftigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Der Wissenschaftsrat fordert deswegen für 1993 einen Bundesanteil von 2 Milliarden DM. Diese Aufstockung ist zum einen auf Grund der Anforderungen in den neuen Bundesländern notwendig. ({0}) Sie ist aber auch Folge weiter steigender Studentenzahlen. Angesichts dieser Entwicklung haben sich Bund und Länder entschlossen, den Ausbau der Fachhochschulen zu forcieren, wofür zusätzliche Mittel erforderlich sind. Ich nehme als Beispiel das Land Bayern, das im Herbst letzten Jahres beschlossen hat, an acht Standorten neue Fachhochschulen zu errichten, im Hinblick auf die weitere Entwicklung eine gute Entscheidung. ({1}) Sie muß jedoch auch finanziert werden. Hinzu kommt der Ausbau der Hochschulen in den alten Bundesländern. Er darf nicht vernachlässigt werden. Projekte, die im Bau sind, müssen weiter vorangebracht werden. Am Beispiel meiner Heimatstadt Regensburg will ich dies verdeutlichen. Dort steht der dritte Bauabschnitt des Universitätsklinikums an. Erst mit der Vollendung des Klinikums erhält die Hochschule eine voll ausgebaute und funktionsfähige medizinische Fakultät mit umfassendem Lehr- und Forschungsbetrieb. Ich denke, es ist unbestritten, daß wir neben den verstärkten Anforderungen in den neuen Bundesländern auch den Ausbau in den alten Bundesländern kontinuierlich fortführen müssen. Daher richtet sich unsere Bitte an den Herrn Bundesminister der Finanzen, sich unseren berechtigten Argumenten nicht zu verschließen. ({2}) In den nächsten Wochen beginnen die Vorbereitungen zum Haushalt 1993. Wir wissen natürlich noch nicht, wie die Gewichte verteilt werden; denn der Wissenschaftsrat fordert zusätzliche Mittel z. B. für die Renovierung von Gästehäusern und den Bau von internationalen Begegnungszentren in den neuen Bundesländern. Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen beantragt er ein Sonderprogramm. Dies sind nur einige von einer Vielzahl von Forderungen, die auf den Bundesfinanzminister zukommen werden. Bereits im Juli 1990 hat der Wissenschaftsrat erste Empfehlungen für die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung im Zuge der Wiedervereinigung formuliert. Die ersten Weichenstellungen in den neuen Bundesländern sind daraufhin erfolgt. Der Wissenschaftsrat hat hierzu wichtige Voraussetzungen geschaffen. Dafür gilt unser Dank. Meine Damen und Herren, wir sind uns dessen bewußt, daß in den nächsten Jahren noch viele Probleme zu bewältigen sein werden. Die Umstrukturierung der Hochschullandschaft in den neuen Bundesländern bietet aber auch die Chance, über unser gesamtes Bildungssystem nachzudenken. Angesichts der Tatsache, daß die Zahl der Studenten immer weiter steigt, die der Auszubildenden aber sinkt, müssen wir nach neuen Wegen suchen, um die berufliche Ausbildung wieder attraktiver zu machen. ({3}) - Wir werden uns sicherlich damit beschäftigen, Herr Kuhlwein. - Diese Diskussion betrachte ich als eines der wichtigsten Themen in der nächsten Zeit. Die Fraktion der CDU/CSU empfiehlt die Überweisung des Antrages an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Danke schön. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Karlheinz Guttmacher. ({0})

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation, in der sich der Aufbau einer neuen Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern befindet, kann anderthalb Jahre nach der deutschen Einheit von Bund und Ländern im wesentlichen positiv bewertet werden. ({0}) - Schauen Sie bitte im Bericht nach. Die Ergebnisse, die im haushaltsmäßigen, administrativen und politischen Bereich in der Startphase erreicht wurden, waren zufriedenstellend. Die Länder haben aber in der nächsten Zeit unausweichliche praktische Probleme zu lösen, die sich sowohl durch den Verwaltungsvollzug als auch aus den haushaltsmäßigen Verpflichtungen für die Neuordnung der Forschungslandschaft ergeben. Durch die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten des begrenzten Finanzrahmens auf Bundes- und Landesseite und die damit notwendigen Prioritätenentscheidungen über Landesgrenzen hinweg sind diese Divergenzen nicht zu vermeiden. So werden Bund und Länder auf der Basis der Empfehlungen des Wissenschaftsrates, auf der Grundlage von Art. 38 des Einigungsvertrags, der Hochschul- und Hochschulerneuerungsgesetze der neuen Ländern und des von Bund und Ländern unterzeichneten Erneuerungsprogramms für Hochschule und Forschung einschließlich des Wissenschaftlerintegrationsprogramms - Art. 8 I des HEP - die bisher praktizierte Gemeinsamkeit beim Aufbau der neuen Institute fortsetzen. Ich möchte am Beispiel der Auflösung der Akademie der Wissenschaften die Neustrukturierung der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern skizzieren. Zum Jahreswechsel wurde die Akademie der Wissenschaften, die eine mit eigenen Instituten organisierte Forschungsstruktur hatte, aufgelöst. Es entwickelt sich mit dem Beginn des Jahres 1992 eine neue Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern mit folgenden aus öffentlichen Mitteln geförderten Forschungseinrichtungen: Drei neue Forschungseinrichtungen, die bereits bestehen, haben sich um acht neue, teilweise große Institutsteile ergänzt. 31 neue, vom Bund und von den Ländern gemeinsam finanzierte Forschungseinrichtungen wurden errichtet, die einschließlich einer Serviceeinrichtung in die Blaue Liste aufgenommen worden sind. Die neuen Länder gründen Landesforschungseinrichtungen. Der Bund gründet eine neue BundesressortForschungseinrichtung und erweitert bestehende um Anstaltsteile. Zwei Institute, zwei Außenstellen von Instituten sowie 29 Arbeitsgruppen an Universitäten und eine Trägereinrichtung für die sieben vorgeschlagenen geisteswissenschaftlichen Zentren werden durch die Max-Planck-Gesellschaft geschaffen. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat acht eigenständige FraunhoferInstitute, einen neuen Institutsteil und zwölf Außenstellen errichtet. Zur Erforschung des Transformationsprozesses und zum Neuaufbau der Sozialwissenschaften in den neuen Ländern wurde von Sozialwissenschaftlern aus den alten und den neuen Bundesländern mit Unterstützung des BMFT und des BMA die Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Ländern gegründet und zur Hälfte aus Projektmitteln des BMFT und des BMA in Höhe von 6 Millionen DM gefördert. Die DFG hat ihr Fördergebiet mit Erfolg auf die neuen Länder ausgedehnt. Der Förderungsumfang beträgt 124,35 Millionen DM. 44,1 Millionen DM sind bereits 1991 eingesetzt worden. Als eine wesentliche Voraussetzung für die Integration von Akademie-Personal in die Hochschulen wurden mit dem Wissenschaftlerintegrationsprogramm bislang über 1 700 Förderzusagen erteilt. Hierfür sind im Jahr 1992 144,8 Millionen DM erforderlich. In diesem Zusammenhang erscheint der Hinweis wichtig, daß Hochschulen und Wissenschaftler, die im Wissenschaftlerintegrationsprogramm gefördert werden, sehr schnell aufeinander zugehen müssen, um zu vermeiden, daß durch Aufnahme von Wissenschaftlern aus der Akademie an den Hochschulen der Personalabbau eigener Mitarbeiter zunimmt. Dies kann gelingen, wenn die Förderung nach Art. 8 I HEP so lange läuft, daß die Hochschulen nicht schon Ende 1993 die vollen Kosten des ehemaligen Akademiepersonals zu tragen haben und die Länder Anreize für die Hochschulen z. B. durch einen Stellenpool schaffen, der für im Wissenschaftlerintegrationsprogramm gefördertes Personal zweckbestimmt ist. Der Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und auch das BMBW und das BMFT unterstützten dieses Anliegen und begrüßen die Ausdehnung des Art. 8 I HEP auf fünf Jahre. Wenn man sich an den Instituten oder den Universitäten aufhält, wird immer hörbarer vorgebracht, daß die Universitäten zwar die Personalkosten für die aus der Akademie zu übernehmenden Kollegen übertragen bekommen, nicht aber die Sachkosten. Ich glaube, wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, inwieweit hier eine Nachbesserung erfolgen soll. Die Forschungslandschaft in Deutschland hat sich durch die Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates und die Maßnahmen der Max-PlanckGesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft tiefgreifend verändert. So wurden bereits derzeitig Ankündigungen gemacht bzw. Vereinbarungen getroffen, die jetzt gefällten Entscheidungen nach einigen Jahren zu überprüfen. Die außeruniversitäre Forschungslandschaft darf nicht isoliert entwickelt werden. Vielmehr muß es das Ziel sein, meine Damen und Herren, ein ausgewogenes Verhältnis von Universität, außeruniversitäre Forschung und Forschung in der Wirtschaft zu schaffen. Bei Umsetzung des Hochschulerneuerungsprogramms ist die unmittelbare Verbindung zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung anzustreben. Zum anderen wird es aber auch darauf ankommen, daß bei den wissenschaftspolitischen Planungen in den nächsten Jahren eine integrierte Forschungslandschaft entwickelt wird. Ich danke Ihnen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Als nächster hat der Kollege Dr. Dietmar Keller das Wort.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag zu und halten es für notwendig und richtig, daß sich der Deutsche Bundestag mit der Wissenschafts und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland beschäftigt. Auf Grund gleicher Erwägungen hat die PDS/Linke Liste ja eine Große Anfrage zur Bildungs- und Wissenschaftspolitik der Bundesregierung eingereicht. Natürlich kann man - das ist in der Politik normal - als Regierung und Opposition unterschiedliche Auffassungen über die Bewertung von Prozessen haben. Wenn man nach der wissenschaftlichen Effizienz fragt, nach dem, was die Wissenschaft eigentlich ausmacht, dann sind wir uns, glaube ich, alle einig, daß es dringend notwendig ist, daß sich dieses Parlament mit dieser Lebensfrage für das deutsche Volk sehr schnell beschäftigt. Das Hauptproblem, daß ich sehe, besteht darin, daß die Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern - und da unterscheidet sich die Wissenschaft nicht von der Wirtschaft und anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens - nach der Wende naturgemäß schwere Erschütterungen erlitten hat. Das hängt - auch das ist normal - mit entscheidenden Strukturveränderungen, mit der Reduzierung der Anzahl der Professoren und Dozenten, mit Eingrif6632 fen in den wissenschaftlichen Mittelbau, in inhaltliche und methodische Fragen, in die Ausbildungs- und Lehrzyklen zusammen; das hängt aber auch mit der Neuprofilierung und Umprofilierung von Wissenschaftsgebieten, dem Zusammenbruch von Wissenschaftsschulen und vielem ähnlichen mehr zusammen. Mir scheint - auch deshalb unterstütze ich diesen Antrag -, die Unterschiede bzw. die Rückstände in den neuen Ländern gegenüber den alten Ländern sind nicht geringer geworden. Das ist normal, weil Wissenschaft keine Industrie ist. In der Wissenschaft zahlt sich normalerweise erst in fünf bis acht Jahren aus, was man heute investiert. Um so notwendiger ist es, daß wir, wenn wir über diese Frage sprechen, nicht denken, es gehe jetzt vorrangig um eine Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern. Vielmehr geht es im Augenblick aus meiner Sicht vor allem um die Herstellung ihrer vollen Arbeitsfähigkeit, damit langfristig wirklich eine einheitliche deutsche Wissenschafts- und Forschungslandschaft mit einer vollzogenen europäischen Öffnung entstehen kann. Herr Kuhlwein, mich hat der Besuch in Leipzig - Sie sind Realpolitiker; als solchen kenne ich Sie - nicht erschüttert. Wir wissen, wie schwierig solche Eingriffe in die Wissenschaft und in die Hochschulen sind. Und ich gestehe aus konkreter Erfahrung: Ich weiß, was mit Hochschulreformen in der DDR alles angerichtet wurde. Es wird jetzt sehr viel über die ideologische Indoktrinierung gesprochen, es wird über die Entmündigung der Wissenschaft gesprochen. Aber ich möchte auch daran erinnern, daß der Wissenschaft und den Hochschulen mit diesen Hochschulreformen einheitliche Modelle aufgezwängt worden sind, daß es administrative Entscheidungen über Wissenschaftszweige, daß es Anweisungen zum Gesundschrumpfen von Wissenschaftsdisziplinen gegeben hat, daß Wissenschaftsstandorte leichtfertig verändert worden sind usw. Mir scheint, wir unterliegen der Gefahr, diese Fehler heute zu wiederholen. Wenn wir die Fehler wiederholen, wird das langfristig katastrophale Auswirkungen für die Wissenschaftsentwicklung haben. Ich glaube, Frau Eichhorn, über Zeitpunkte kann man immer sprechen. Es verlohnt sich nicht, darüber zu sprechen, wenn die Ergebnisse in den neuen Ländern so weit sind, daß man nur die Fortschritte konstatieren kann. Ich kann mir vorstellen, daß wir zu einem relativ frühen Zeitpunkt im Ausschuß und im Bundestag gemeinsam darüber beraten, damit kein größerer Zeitverlust eintritt, der letztendlich in der Wissenschaft katastrophalere Folgen hätte als in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Helga Otto, Sie haben das Wort.

Dr. Helga Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001667, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein reichliches Jahr nach der formalen Wiedervereinigung Deutschlands blicken wir auf die Erfolge und Trümmer unserer Hoffnungen. Haben wir das Ziel, eine einheitliche, ausgewogene und freie Wissenschafts- und Hochschullandschaft zu schaffen, erreicht? Sind die dazu vom Einigungsvertrag vorgesehenen Schritte und Empfehlungen des Wissenschaftsrates und die Beschlüsse der Ausschüsse in die Tat umgesetzt worden? Eine vielfach behinderte Wissenschaft hatte wohl kaum eine Chance, nach den Maßstäben einer freien und unbehinderten Wissenschaft evaluiert zu werden. Kann man von Chancengleichheit sprechen? Das Ergebnis: Von 74 000 Beschäftigten der industrienahen Forschung und Entwicklung blieben bedeutend weniger als ein Drittel übrig. Zahlreiche - natürlich nicht die schlechtesten - wanderten nach Westdeutschland ab oder folgten dem Ruf ins Ausland. Andere gingen in technische Dienstleistungen; die nennt man jetzt „überqualifiziert" . Der Rest ist arbeitslos. Und das bei einer Industrie, in der nur knapp ein Viertel der Industrieerzeugnisse jünger als zwei Jahre sind und nur jedes achte Unternehmen Produkt- und Prozeßinnovation durchführt. In der alten BRD ist es jedes zweite. Die Prognose für die von den Betrieben losgelösten Forschungs-GmbHs ist nicht gut; denn ihre Auftraggeber sind verschwunden. Sie haben kein Startkapital, aber Probleme mit dem Eigentum und mit museumswürdiger Technik und Ausstattung. Ich frage Sie: Wie kann sich vor diesem Hintergrund der Staat aus der Verantwortung für diese Leute und für den Industriestandort Ostdeutschland schleichen? Appelle an die westdeutsche Industrie, 5 % ihres Forschungspotentials an die ostdeutschen Länder zu geben, haben erwartungsgemäß nichts gebracht. Im Gegenteil: Dumpingpreise von finanzkräftigen Westfirmen nehmen diesen jungen Betrieben noch die Aufträge aus der Hand. Nachgezogene Projektfördermittel, Überbrükkungsfinanzierungen und geplante Innovationsförderprogramme sind gut, sie dienen aber nunmehr nur noch der Schadensbegrenzung. ({0}) Strukturpolitische Programme von Anfang an, gemeinsam mit der Treuhand unter der Vision des Erhalts einer wertvollen Wissenschaftslandschaft in den Regionen, hätte jedenfalls mehr gebracht. Die Abwicklung der ADW-Institute war eher ein Schlachtfest. Von 24 000 F- und E-Beschäftigten sind 6 500 Mitarbeiter in Institute übernommen worden. Aus 2 000 versprochenen Stellen für das Wissenschaftlerintegrationsprogramm sind gerade 1 750 übernommen worden. Bei den Forschungs-ABM wurden von 2 500 versprochenen Stellen bisher nur 789 bewilligt. Während KAI noch im Juli die löbliche Absicht bekundete, daß - gefördert durch den BMFT - ein Verfahren der Projektförderung in Verbindung mit ABM den Neuaufbau in den neuen Ländern flankieren sollte, lehnte die Bundesanstalt für Arbeit gerade diese Projekte ab, da sie nicht „zusätzlich" seien. Überhaupt ist die Bundesanstalt für Arbeit der Meinung, daß man Wissenschaftler nicht gerade fördern muß, weil sie ja - ich zitiere - „am ehesten über die notwendige Flexibilität verfügen" . Flexibel ist man aber auch, wenn man das Land verläßt. Große Bedenken gibt es beim HEP-Programm. Es liegt klar auf der Hand, daß ein Jahr nicht ausreicht. Bei den Problemen, die die Hochschulen haben, braucht es Zeit; denn Eile ist hier kein guter Ratgeber. Selbst KAI fordert eine Verlängerung auf fünf Jahre. Da wäre eine angemessene Frist. Die Anlaufphase sollte aber in jedem Fall auf zwei Jahre verlängert werden. Für das Wissenschaftlerintegrationsprogramm wären auch Aninstitute denkbar, besonders mit Blick auf die älteren Wissenschaftler. Bei der Umstrukturierung der institutionellen Förderung fällt auf, daß die Lasten ganz listig den neuen Ländern aufgebürdet werden. Während in Westdeutschland für die gesamte außeruniversitäre Forschung das Verhältnis Bund/Länder 74 zu 26 beträgt, ist es in den neuen Ländern 59 zu 41. Es gibt also für die neuen Länder eine 1,6mal höhere Belastung. ({1}) Die mittlere finanzielle Ausstattung pro Mitarbeiter beträgt in den alten Ländern 100 000 bis 200 000 DM, in den neuen Ländern, nach Aufbesserung, 129 000 DM - bei dem enormen investiven Nachholbedarf ein mir völlig unverständlicher Ansatz. Gerade hier müßte wegen der Chancengleichheit kräftig in Bildung, Bausubstanz und apparative Ausstattung investiert werden. Das Wahlversprechen hieß 1990: „Gemeinsam schaffen wir's! ". Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch noch an den Beschluß des Forschungsausschusses vom 12. Juni 1991, in dem Sozialpläne und Qualifizierungsmaßnahmen für die gefordert wurden, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Gerade jeder dreizehnte hat eine Übergangsfinanzierung bekommen. Stellen Sie sich bitte einmal vor, einen westdeutschen Wissenschaftler im Alter von 50 oder mehr Jahren, der 20 Jahre in einem Institut gearbeitet hat, stellte man vor diese Tatsache. Lautes Wehgeschrei und Proteste wären die Folge. ({2}) Ich muß das immer wieder anmahnen: Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Am Schluß zitiere ich den Molekularbiologen Professor Jens Reich: Die deutsche Einigung ist ein Epochenwechsel; sie ist zu wichtig, als daß sie für eine große Zahl Betroffener zur Erinnerung an ein gebrochenes Versprechen, an einen Dolchstoß werden darf. Ich danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Schmidt ({0}) das Wort.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Forschung und Entwicklung ist wirtschaftlicher Aufschwung in den östlichen Ländern nicht möglich. Die Erhaltung und Konsolidierung der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern ist deshalb eine zentrale Aufgabe deutscher Forschungspolitik. Konsolidieren heißt in diesem Zusammenhang, die Schwächen und Defizite, die Erblast des alten Systems sind, abzubauen und eine zukunftsorientierte und wettbewerbsfähige Forschungsstruktur aufzubauen. Konkret heißt dies, neue Forschungseinrichtungen zu gründen und lebensfähige zu erhalten. Die Forschung in der ehemaligen DDR war wie der gesamte Staat zentralistisch organisiert. Sie litt, vor allem in der angewandten Forschung, unter von politischem Abgrenzungsdenken geprägten, die internationale Entwicklung häufig negierenden Forschungsschwerpunkten. Sie litt ferner unter dem Fehlen eines wirkungsvollen Forschungsmanagements. Und schließlich litt sie vor allem daran, daß Forschungsergebnisse meist nicht oder kaum umgesetzt werden konnten. Ich weiß, wovon ich rede. Mangelnde Ausrüstungen wurden durch personelle Oberbesetzungen kompensiert. In den Forschungseinrichtungen der ehemaligen DDR arbeiteten aber Wissenschaftler und technische Mitarbeiter mit hoher Motivation und sehr guter wissenschaftlich-fachlicher Ausbildung. An der fachlichen und intellektuellen Ebenbürtigkeit gegenüber westlichem Standard bestand und besteht auch heute kein Zweifel. Die zum Teil bemerkenswerten Ergebnisse von zum Teil internationaler Bedeutung entsprachen aber in erster Linie subjektiver Tüchtigkeit und persönlichem wissenschaftlichen Format, nicht einer weitsichtigen und effizienten Forschungspolitik der DDR. Wenn wir uns heute mit dem Stand und der Entwicklung der Forschung in den neuen Bundesländern beschäftigen, dann sollte die Diskussion von der politisch wohl unbestrittenen Tatsache ausgehen, daß sich die neuen Bundesländer insgesamt in einer schwierigen Übergangssituation befinden, in der sich neben dem Wirtschafts- auch das gesamte Gesellschaftssystem von Grund auf wandelt. Es ist deshalb nur selbstverständlich, daß auf dem Gebiet der Forschung Maßnahmen ergriffen werden, die diese Übergangssituation berücksichtigen. Es geht darum, der Forschung in den neuen Bundesländern eine faire Startchance zu geben. Dies muß im Hinblick auf alle Ebenen geschehen, auf denen in der ehemaligen DDR Forschung betrieben wurde und noch wird, unabhängig von ihren derzeitigen ministeriellen Zuordnungen. Im einzelnen betrifft dies die außeruniversitäre Forschung, die Hochschul- und die Industrieforschung. Mit dieser komplexen Betrachungsweise wird richtigerweise dem historischen Umstand Rechnung getragen, daß die Zuordnung und Unterstellung der Forschungsinstitute in der ehemaligen DDR häufig eher von rein subjektiven denn von objektiven Kriterien abhing. Machtstreben, Einfluß und oft auch nur persönliche Beziehungen exponierter Persönlichkeiten gaben den Ausschlag über die Einordnung der Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({0}) Institute in die Forschungsstruktur der DDR. Dies heißt: Alle Forschungsbereiche haben im Prinzip eine sehr ähnliche Vergangenheit. Sie verdienen in dieser Übergangsphase alle Unterstützung und Zuwendung. Bei der Umgestaltung der Forschungslandschaft sind zwei Aufgaben zu lösen. Erstens. Die Orientierung auf zukunftsträchtige und wettbewerbsfähige Forschungs- und Technologiefelder, für mich die Zukunftsaufgabe schlechthin, und damit die Bereitschaft und der Wille zur fachlichen Flexibilität sowie zur Ausschöpfung der eigenen, wie ich glaube, nicht geringen Möglichkeiten. Zweitens. Die Behandlung der offenen sozialen Fragen, die für die in der Forschung Tätigen einen Übergang in einen sozial gesicherten Lebensabschnitt gewährleisten muß. Erlauben Sie mir einige kurze Bemerkungen zur Situation in den einzelnen Forschungsbereichen. Die außeruniversitäre Forschung wurde vom Wissenschaftsrat evaluiert. Darüber ist hier von Kollegen vorher schon einiges gesagt worden. Ich möchte aber hinzufügen, die Bemühungen um den Erhalt und die Entwicklung dieses Forschungsbereiches, die vom BMFT, vom Wissenschaftsrat und anderen Institutionen und nicht zuletzt von KAI-AdW unternommen wurden, verdienen wohl unsere anerkennende Würdigung. Herr Guttmacher hat die wesentlichen Tatsachen bezüglich der Umstrukturierung der ehemaligen Akademie der Wissenschaften schon erwähnt, so daß ich mich auf wenige Ergänzungen beschränken kann. Vom Mitarbeiterstamm der ehemaligen Akademien werden ca. 7 000 Mitarbeiter in der außeruniversitären Forschung weiterarbeiten, ca. 2 000 werden in Landesforschungseinrichtungen oder in Forschungseinrichtungen der Bundesressorts tätig sein. Erfreulicherweise sind 40 % davon ältere Wissenschaftler, deren hohe Motivation und Erfahrung auf diese Weise genutzt werden können. Der BMFT ist mit seinen Umsetzungen in verschiedenen Fällen weit über das hinausgegangen, was vom Wissenschaftsrat empfohlen worden ist. Es kann mit Befriedigung festgestellt werden, daß die Forschungsstandorte erhalten geblieben sind und der verschiedentlich befürchtete Kahlschlag nicht stattgefunden hat. Zur Hochschulforschung. Zuerst ist festzustellen, daß an den Hochschulen der ehemaligen DDR weit mehr Forschung betrieben wurde, als landläufig bekannt ist. Das aufgelegte Hochschulerneuerungsprogramm bietet gegenwärtig wertvolle Hilfe und Unterstützung, die Forschung an den Hochschulen zu verstärken und neu zu organisieren. Etwa 2 000 Wissenschaftler der ehemaligen Akademie der Wissenschaften werden in die Hochschulforschung integriert. Es liegt auf der Hand, daß dieser Transfer nur mit einem Höchstmaß an Fingerspitzengefühl und Augenmaß sinnvoll zu realisieren ist. In diesem Zusammenhang wiederholen wir die am 4. Dezember 1991 vom Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung erhobene Forderung nach Verlängerung des Wissenschaftlerintegrationsprogrammes bis 1996. Zur Situation in der Industrieforschung. Die Industrieforschung ist in den letzten beiden Jahren vernachlässigt worden und noch vor Vollendung der staatlichen Einheit zum Teil auch überstürzt privatisiert worden. Die Auftragssituation ist derzeit das schwierigste Problem in der Industrieforschung in den neuen Ländern. Aus dem eigenen Umfeld können zur Zeit aus verständlichen Gründen nicht ausreichend Aufträge gewonnen werden. Die Auftragsakquirierung in den alten Bundesländern hat trotz verbesserten Marketings wenig Erfolg gebracht. Ich möchte deshalb auch hier und heute die westdeutsche Wirtschaft, vor allen Dingen die mittelständische auffordern, mehr Aufträge für Forschung und Entwicklung an industrieorientierte Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern zu vergeben. Mittlerweile wurden die mit der Industrieforschung befaßten Forschungs-GmbHs in den östlichen Bundesländern von der Treuhand evaluiert und in ihrer übergroßen Mehrheit als überlebens- und sanierungsfähig bewertet. Der Bund wird in diesem Jahr die Industrieforschung mit 180 Millionen DM fördern und damit zum Ausdruck bringen, daß die Industrieforschung einen wichtigen und unverzichtbaren Bestandteil der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern bildet. Ich hatte zu Beginn von Übergangsmaßnahmen gesprochen. ABM in der Forschung hat sich als ein wirkungsvolles Instrument bewährt, durch Auftragsmangel zur Zeit gefährdete, für den Aufschwung aber notwendige Arbeitsrichtungen und damit eingespielte Forscherteams zu erhalten und ihr Auseinanderbrechen zu verhindern. ABM hat sich auch als besonders wertvoll erwiesen, wichtige Wissenschaftler und Mitarbeiter in den Institutionen zu halten und ihr Abwandern in die westlichen Bundesländer und in das Ausland zu verhindern. Es ist erfreulich, festzustellen, daß dies jetzt auch für die außeruniversitäre Forschung möglich ist. Der BMFT und die Bundesanstalt für Arbeit haben dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Ich komme zum Schluß. Ein wichtiges Vorhaben bleibt zur Zeit noch offen: die Verbesserung der apparativen Ausrüstung der Forschungseinrichtungen in den östlichen Bundesländern, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die anstehenden Haushaltsberatungen werden Gelegenheit geben, dieses Problem verantwortungsbewußt zu lösen. Vielen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Fischer ({0}).

Evelin Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000550, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Ausführungen zum Antrag der SPD. Zunächst einmal, Kollegin Eichhorn, bedanke ich mich, daß auch Sie der Meinung sind, 1,6 Milliarden DM seien für den Aus- und Neubau der Hochschulen zuwenig. Auch Sie peilen eine Summe von 2 Milliarden DM an. Ich hoffe, daß die 400 Millionen DM nicht Evelin Fischer ({0}) allein in den Freistaat Bayern fließen, sondern daß auch die neuen Länder etwas davon abbekommen. ({1}) - Ich habe das auch so erfahren. ({2}) Die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft vorgestern in Leipzig hat wohl allen Beteiligten klargemacht, wie notwendig und dringend es ist, die Umstrukturierung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern zügig und zielorientiert vorzunehmen. Vor allem muß das Ende dieser Umstrukturierung für die beteiligten Studentinnen und Studenten, für die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer Zukunft eröffnen und gleichzeitig absehbar sein. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundesregierung auf, bis Ende Mai 1992 einen Bericht vorzulegen, der uns Klarheit darüber verschafft, wie die Bundesregierung die Empfehlungen des Wissenschaftsrates umsetzen wird, welche damit verbundenen Entscheidungen von Bund und Ländern sie treffen und welche Maßnahmen sie angesichts der so drängenden Probleme im Wissenschafts- und Hochschulbereich ergreifen wird. Wir setzen in unserem Antrag ein Datum, weil zum einen die Haushaltsentscheidungen anstehen und zum anderen die lähmende soziale Unsicherheit an den Hochschulen aufhören muß. Es läßt doch aufhorchen, wenn Professor Dr. Weiß aus Leipzig darauf hinweist, daß von seiner Hochschule innerhalb eines Jahres 20 Hochschullehrer abgewandert sind, weitere 20 Gastprofessuren an westlichen oder ausländischen Hochschulen oder Universitäten angenommen haben und sie immer öfter um eine Verlängerung ihrer Verträge nachsuchen. Das spricht für die Trostlosigkeit im Bereich von Forschung und Lehre. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sind ihrem Charakter entsprechend komplex. Entsprechend unsicher reagieren daher die neuen Länder bei deren Umsetzung im Hinblick auf den personellen Aufbau der Hochschulen, da der finanzielle Rahmen durch den Haushalt nicht klar abgesteckt ist. Die im Einzelplan 31 vorgesehenen Mittel reichen ganz offensichtlich nicht aus, die qualifiziertesten Wissenschaftler - ich betone: die qualifiziertesten - an den ostdeutschen Hochschulen zu halten. Nicht von ungefähr fordert Minister Enderlein eine Aufstokkung der Mittel für das Wissenschaftsintegrationsprogramm, das Wissenschaftler aus dem ehemaligen Akademiebereich in die Hochschulen integrieren soll. Die auf zwei Jahre befristeten Verträge können den Zweck des Anliegens nicht erfüllen. Ich freue mich, weil ähnliche Anregungen auch von der F.D.P. und der CDU/CSU gekommen sind. ({3}) Ihre Ausweitung auf fünf Jahre würde hingegen eine klare Perspektive für die Akademiker eröffnen und sie zum Bleiben an den ostdeutschen Hochschulen motivieren. Die neuen Länder werden 1993 noch nicht in der Lage sein, dieses für ihre Wissenschaftsund Hochschullandschaft so wichtige Programm zu finanzieren. Als Mitglied des Bundestages, das aus einem neuen Bundesland kommt, erlebe ich die Umstrukturierung der ostdeutschen Wissenschafts- und Hochschullandschaft mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Gestatten Sie mir als Opposition, daß ich hier etwas näher erläutere, weshalb ich die Umstrukturierung mit einem weinenden Auge sehe. Die Übertragung des westdeutschen Hochschulsystems hat uns - möglicherweise auch die westdeutsche Hochschullandschaft - um die Chance einer Weiterentwicklung und einer Reformierung des Systems insgesamt, insbesondere unter der Perspektive des vereinten Europas, gebracht. Auch das westdeutsche Hochschulsystem steckt ja - dies geht aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrates hervor - in einer tiefen Krise. Die Motivation bei uns, die Motivation aller Mitarbeiter an den Hochschulen und im Wissenschaftsbereich war nach der Wende sehr stark, nun endlich nach jahrelanger Reglementierung und Gleichstellung neue Strukturen zu entwickeln und innovativ zu wirken. Die Ernüchterung kam ziemlich schnell. - Dies nicht deshalb, weil Stellen abgebaut werden müssen - das war uns allen klar -, sondern deshalb, weil Chancen vertan wurden, Alternativen zu entwickeln und somit eine Hochschulerneuerung in Ost und in West zu erreichen. ({4}) Ich bedauere es zutiefst, daß die Umstrukturierung aus finanziellen Gründen auch dort nicht vollzogen wird, wo durchaus Positives hätte entdeckt werden können. Ich denke da an die Studentenbetreuung, die didaktische Aufbereitung der Lehrinhalte durch Seminare, die strafferen Lehrpläne. Wir wissen, daß das Verhältnis Lehrende zu Lernenden in den DDR-Hochschulen besser war als in der Bundesrepublik. Die Gruppe der Studienabbrecher war kleiner, die Studienzeit war kürzer: 9,1 Semestern im Osten stehen 14,2 Semester im Westen gegenüber; 75 % Examinierte im Osten gegenüber 50 % Examinierten im Westen. Eine Verschiebung der Verhältnisse, das heißt eine Anpassung an die westlichen Verhältnisse, betrifft im übrigen insbesondere den Mittelbau. Dieser Gruppe müssen wir jedoch gerade unsere Aufmerksamkeit schenken; denn in diesem Bereich arbeiteten erfahrungsgemäß viele, die sich dem SED-Regime ideologisch weniger oder gar nicht angepaßt haben, die dadurch nicht in höhere Positionen gelangten und die nun vom Personalabbau besonders hart betroffen sind. An meiner Kunsthochschule in Halle reduzierte sich der akademische Mittelbau von 1989 bis 1991 um 38 %. Weil die Personalkommission ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen hat, sind weitere Reduzierungen zu erwarten. Derzeit sind an der Hochschule - inklusive Verwaltung - noch 235 Mitarbeiter beschäftigt. Bis Ende des Jahres werden davon noch einmal 59 Stellen abgebaut. Ein nicht unerheblicher Anteil geht zu Lasten des akademischen Mittelbaus. Evelin Fischer ({5}) Aus diesem Grund möchte ich die Bundesregierung auffordern, bei ihren Entscheidungen genau hinzusehen. Es wäre nicht nur eine politische Geste, sondern auch eine politische Notwendigkeit, insbesondere dem Mittelbau Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten anzubieten. ({6}) An vielen Hochschulen ist die Stimmung nicht nur lähmend wegen der unsicheren Zukunft, weit mehr wirkt die Bitterkeit über die geringen Chancen erhoffter Gerechtigkeit. „Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland" heißt unser Antrag. Auch in diesem Bereich geht es uns um einen intensiven Diskurs im Parlament und in der Öffentlichkeit. Gelingt uns hier Umstrukturierung als Chance und nicht nur als Anpassung, hätten wir einen riesigen Schritt in eine gemeinsame, uns einigende Zukunft getan. Danke. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Päselt. ({0})

Dr. Gerhard Päselt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen den Antrag der SPD-Fraktion zum Thema Stärkung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland, ({0}) gibt er uns doch die Möglichkeit, uns im Bundestag mit dem Problem zu beschäftigen. Wie die Debatte zeigt, liegen die Fraktionen ja gar nicht so weit auseinander. Die einen sehen es etwas mehr schwarz, die anderen etwas mehr weiß. Ich sage es einmal so, ohne hier auf Parteifarben zu achten. Frau Eichhorn hat schon gesagt, daß wir uns über Termine im Bundestag und in den Ausschüssen noch unterhalten müssen. Der Einigungsvertrag legt in Art. 38 fest, der notwendigen „Erneuerung von Wissenschaft und Forschung unter Erhaltung leistungsfähiger Einrichtungen" in dem Beitrittsgebiet dient „eine Begutachtung von öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat, die bis zum 31. Dezember 1991" zu erfolgen hat. Ziel dieser Begutachtung sollte die politische und fachliche Erneuerung und Einpassung in eine gemeinsame Wissenschafts- und Forschungslandschaft sein. Nicht ganz eineinhalb Jahre nach Wiederherstellung der deutschen Einheit kann eine Zwischenbilanz gezogen werden. Grundlage dafür sind: erstens die Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf der Grundlage von Art. 38 des Einigungsvertrages, die nahezu vollständig vorliegen, zweitens die Hochschul- und Hochschulerneuerungsgesetze, die die rechtliche Grundlage bieten, und drittens das im Juli 1991 von den Regierungschefs von Bund und Ländern unterzeichnete Erneuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Ländern - genannt Hochschulerneuerungsprogramm -, das Soforthilfen für die Erneuerung bereitstellte. Gestatten Sie, daß ich zu diesen einige Bemerkungen mache. Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen vorgelegt; sie sind den Abgeordneten zugegangen und bekannt. Sie geben insgesamt an Hand vergleichbarer Zahlen aus den alten Bundesländern Vorgaben für die Bildung der Hochschulstrukturkommission, Empfehlungen zu den einzelnen Wissenschaften und Empfehlungen zur Einrichtung von Fachhochschulen. An diese Empfehlungen ist der Fortbestand und die Neueinrichtung der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen und Hochschulen sowie die Neueinrichtung gebunden. Insgesamt werden zehn Universitäten, die Bergakademie Freiberg, die Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar, die Technische Hochschule Ilmenau, 20 Fachhochschulen und eine Reihe Kunst- und Musikhochschulen im Weiterbestand gefordert bzw. neu einzurichten sein. Einen neuen Hochschultyp stellt für die ehemalige DDR die Fachhochschule dar. Dieser an den Erfordernissen der Wirtschaft ausgerichtete Hochschultyp sollte nun zügig errichtet werden. Die ersten sind gegründet worden; weitere werden folgen. Da hier bemängelt wurde, daß Frau Eichhorn Bayern erwähnt hat, muß ich sagen: Auch wir sind da, Frau Kollegin Fischer, um unseren Anteil einzufordern. Es sollte aber vermieden werden, daß wir nur an die neuen Bundesländer denken. Es muß erkannt werden, daß es Probleme in dieser Hinsicht auch in den alten Bundesländern gibt. ({1}) Der Wissenschaftsrat ließ sich bei diesen Empfehlungen davon leiten, daß jedes Land eine regional ausgewogene Hochschullandschaft mit einem breiten Fächerspektrum braucht, insbesondere auch in den Kernfächern des Neuaufbaues wie den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, den Sozialwissenschaften, Teilen der Geistes- und Kulturwissenschaften sowie in der Lehrerausbildung. Die Wissenschafts- und Forschungslandschaft in der ehemaligen DDR war historisch gekennzeichnet durch eine Konzentration auf regionale Bereiche, wobei das Land Sachsen die höchste und das Land Brandenburg die geringste Dichte aufwiesen. Zum Teil handelt es sich um Bildungseinrichtungen mit ehrwürdiger Tradition und einmaligem Charakter. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates haben dem leider nicht immer Rechnung getragen, so daß an einigen Stellen der Vorwurf eines nicht allzu sensiblen Vorgehens erhoben wird. ({2}) Fach- und Ingenieurschulen wurden in der Regel nicht mitbewertet und sollten nur in den wenigsten Fällen in Fachhochschulen umgewandelt werden. Dies bringt, sowohl was die Schulen als auch die Absolventen betrifft, Probleme, über die hier bereits mehrfach berichtet wurde und die heute nicht weiter erörtert werden sollen. Die rechtliche Grundlage für die Erneuerung und weitere Entwicklung bilden die geschaffenen Hochschul- und Hochschulerneuerungsgesetze. Der Stand der Gesetzgebung durch die Länder ist: Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben Vorschaltgesetze, Sachsen und Sachsen-Anhalt Hochschulerneuerungsgesetze und Brandenburg ein vollkommen neues Hochschulgesetz geschaffen. Für Ost-Berlin wurden Ergänzungsteile geschaffen. Das Hochschulerneuerungsprogramm mit einem Umfang von 1,76 Milliarden DM für Hochschule und Forschung wurde am 11. Juli 1991 unterzeichnet. Dabei trägt der Bund 75 % und die neuen Bundesländer 25 %. ({3}) 1991 wurden Bundesmittel in Höhe von 250 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Die Umsetzung des Programms wird durch eine Bund-Länder-Kommission begleitet. Die Vereinbarung zum Hochschulerneuerungsprogramm enthält auch den Auftrag an die Bund-Länder-Kommission, bis September 1992 zu prüfen, ob das Volumen ausreichend und die Maßnahmen geeignet sind. Hier hätten wir schon einen Termin, über den man sprechen müßte. Die Überprüfung durch die Bund-Länder-Kommission hat aber bereits begonnen. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat sich bereits im September 1991 einstimmig an den Haushaltsausschuß gewandt und u. a. um Aufstockung der Mittel für den Aus- und Neubau von Hochschulen gefordert. Auch die anderen Forderungen der Stellungnahme gelten fort. Wie sieht es nun im Februar 1992 aus? In einer Pressemitteilung des Wissenschaftsrates über die Sitzung vom 22. bis 24. Januar 1992 wird berichtet - ich zitiere -, daß dank des engagierten Einsatzes aller Beteiligten aus Bund und Ländern und Wissenschaftsorganisationen die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu einem guten Teil termingerecht umgesetzt wurden. Rahmenbedingungen für die neuen Forschungseinrichtungen wurden in fast allen Fällen geschaffen. Dennoch gibt es große Schwierigkeiten und Probleme, die in dieser Pressemitteilung so gekennzeichnet wurden: Insgesamt kommt die Erneuerung der Hochschullandschaft auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nur schleppend voran. Mich wundert dies nicht. Wir sind uns, glaube ich, hier einig, daß die Umgestaltung der Hochschullandschaft in der ehemaligen DDR beispiellos in der deutschen Geschichte ist. Die Folgen der Vergangenheit werden uns noch lange beschäftigen. Wer hier meint, er habe Patentrezepte, der ist nicht ganz redlich - um es harmlos auszudrükken. Der gute Wille ist in allen fünf neuen Bundesländern und Berlin vorhanden. Beklagt werden Finanznot und Zeitnot. Ich kann dem hier nur zustimmen, daß diese Programme auch zeitlich weiter ausgelegt werden müssen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß seit einiger Zeit das rote Licht blinkt? ({0})

Dr. Gerhard Päselt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Herr Präsident. Darf ich noch ein Wort zum Schluß sagen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Dr. Gerhard Päselt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrates erwuchsen Vorgaben zum Personalbestand an den Hochschulen; sie wurden vorgetragen. Ich kann für den Mittelbau nur unterstreichen, was Frau Fischer gesagt hat. Zum letzten möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir in den neuen Bundesländern das einmalige Kunststück fertigbringen sollen, möglichst ohne Geld mit Beratern aus den alten Bundesländern die Fehler der alten Bundesrepublik nicht zu wiederholen. Frage: Wie sollen wir das machen? ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft das Wort.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Minister:in)

Politiker ID: 11001657

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Frau Kollegin Fischer, die Zahl derjenigen, die im Westen abbrechen, liegt im Durchschnitt nicht bei 50 %, sondern liegt je nach Typ der Hochschule zwische 22 und 28 %. ({0}) - Nein, das kommt ja auf dasselbe hinaus; wer nicht abbricht, absolviert ja. - Ich will diese Zahl nur der Korrektheit halber nachtragen. Ansonsten kann ich mich mit Ihren Ausführungen zum Vergleich der ostdeutschen mit den westdeutschen Hochschulstrukturen durchaus anfreunden; das will ich ausdrücklich sagen. Ich will nur die Zahl korrigieren, weil ich auf Zahlen großen Wert lege. Die Folgerung daraus ist, natürlich, daß man überdenken sollte - hier sind die Länder gefordert -, inwieweit man von den Personalaustattungen á la 70er Jahre in den deutschen Hochschulen wegkommen muß. - Das war eine Vorbemerkung, die nicht der Linie meines weiteren Vortrages entspricht. Es ist keine leichte Aufgabe, die Voraussetzungen für das Zusammenwachsen der deutschen Hochschullandschaft zu schaffen. Auch hier trifft mehr als 40 Jahre nicht gemeinsam gelebte Geschichte aufeinander. In dieser schwierigen Situation halte ich es für einen wissenschafts-politischen Glücksfall, daß mit der Existenz eines unabhängigen Beratungsgremiums mit hohem Sachverstand eine Einrichtung zur Verfügung stand, die im Prozeß des Zusammenwachsens erste zentrale Orientierungspunkte zu setzen vermochte. Dieses Gremium ist der Wissenschaftsrat. Seine Aufgabe ist es, wissenschaftsinterne Aspekte für das Handeln der Politiker in Bund und Ländern zu formulieren. Zu Recht wurde gesagt: Wenn es den Wissenschaftsrat nicht gegeben hätte, spätestens jetzt hätte man ihn erfinden müssen. Der Wissenschaftsrat hat auf der Grundlage des Art. 38 des Einigungsvertrages die außeruniversitäre Forschung in den neuen Bundesländern evaluiert und Empfehlungen zur Einpassung in die Forschungslandschaft ausgesprochen. Für die Entwicklung der Hochschulen hat er fächerbezogene Strukturempfehlungen erarbeitet. Den Arbeitsauftrag dafür erhielt er bereits im Sommer 1990. Der Wissenschaftsrat konnte die ihm gestellte Aufgabe, die von der Sache her äußerst schwierig war und in der deutschen Wissenschaftsgeschichte ohne Beispiel ist, mit einer einmaligen Kraftanstrengung hervorragend lösen. Hierfür gebührt den in den verschiedenen Arbeitsgruppen tätigen Wissenschaftlern des Wissenschaftsrates hohe Anerkennung. Das Verfahren zur Integration von Forschung und Wissenschaft hat dadurch einen Anfang genommen, der den Geist kollegialer Fairneß und innerwissenschaftlicher Expertise in den Dialog mit den Vertretern des Bundes und der Länder einbrachte. Der Wissenschaftsrat konnte es mit seinen Empfehlungen gleichwohl nicht allen recht machen. Es ist unvermeidlich, daß an seinen Empfehlungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auch Kritik angebracht wird, die im Einzelfall aus der Sicht partikularer Interessen verständlich ist. Von gelegentlichen Irrtümern ist im übrigen niemand frei. Dafür sind gewiß auch hoher Zeitdruck und die von vornherein bewußten eingeschränkten Möglichkeiten für die Umsetzung der Empfehlungen mit verantwortlich. Zahlreiche Kompromisse mußten gefunden werden. Für unangebracht halte ich allerdings Kritik am grundsätzlichen Verfahren der Begutachtung. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die internen und nichtöffentlichen Beratungen des Wissenschaftsrates. Ich erinnere daran, daß der Wissenschaftsrat ein Beratungsorgan der Regierungen des Bundes und der Länder ist. Dieser Rechtsstellung, der der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" im Hochschulbauförderungsgesetz Rechnung getragen hat, entsprechen das Verfahren der Beratung und die Zusammensetzung des Gremiums. Folgerichtig richten sich die Ratschläge des Wissenschaftsrates in erster Linie an die Regierungen von Bund und Ländern. Sie können von diesen befolgt werden oder auch nicht. Selbstverständlich können die Beratungen der zuständigen Minister im Wissenschaftsrat mit den wissenschaftlichen Mitgliedern parlamentarische Entscheidungsprozesse nicht substituieren oder auch nur faktisch ersetzen. Sie ändern auch nichts an der Verantwortlichkeit der Minister für ihren Zuständigkeitsbereich. Eine Empfehlung des Wissenschaftsrates ersetzt auch nicht die Entscheidung des Ministers, die dem Parlament gegenüber zu vertreten ist. Soweit ich in dem Antrag der SPD-Fraktion Kritik an diesem Verfahren oder an der bisherigen Unterichtung des Parlaments durch den Kollegen Riesenhuber und mich herauslese, muß ich diese - lassen Sie mich das deutlich sagen - zurückweisen. In den Ländern wird die Rolle der Parlamente im übrigen praktisch sehr viel deutlicher als auf Bundesebene, was der föderalen Struktur entspricht. ({1}) Dies liegt natürlich auch an der Struktur der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, wonach der Bund bei der Erfüllung von Länderaufgaben mitwirkt, insbesondere durch die gemeinsame Rahmenplanung und die hälftige Mitfinanzierung der Landesaufgaben. Die Planungshoheit bleibt bei den Ländern. In den Landesparlamenten werden daher selbstverständlich auch spektakuläre Bauvorhaben kräftigst diskutiert. Ich interpretiere Ihren Beitrag, Herr Kollege Kuhlwein, auch so, daß Sie ungeduldig darauf drängen, die strukturellen und finanziellen Konsequenzen aus den ersten Erfahrungen mit der Neugestaltung der Hochschullandschaft in den neuen Ländern im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau, der Weiterentwicklung der Forschungsförderung und der Sonderfinanzierung im Rahmen des Hochschulerneuerungsprogramms zu diskutieren. Es versteht sich von selbst, daß auf dem Wege der Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates in Bund und Ländern erst ein Teilstück zurückgelegt werden konnte. Auch erscheint es mir angebracht, Verständnis dafür zu haben, daß die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit Zeit brauchen, um ihre eigene Hochschulpolitik zu formulieren und mit ihren Finanzierungsmöglichkeiten abzugleichen. Darüber hinaus braucht die Entwicklung quantitativer Zielvorstellungen allein schon wegen der methodisch schwierigen Bestandsaufnahme und der notwendigen Abstimmung mit den Ländern Zeit. Der Planungsausschuß für den Hochschulbau hat bereits am 11. Juli 1991 einen Arbeitsauftrag zur Überprüfung der bisherigen Ausbauziele und zur Entwicklung neuer Vorschläge erteilt. Das alles können wir nicht übers Knie brechen, obwohl mir manches in den Ländern zu langsam geht. Ich hätte mir daher gewünscht, daß die Opposition mit ihren Berichtsforderungen - zumal ich gerade erst umfassend und zu ihrer Zufriedenheit, so hoffe ich jedenfalls, im Ausschuß berichtet habe - etwas mehr Augenmaß für die Interessen und Belange der Länder und für die Sache aufbringt. Das gilt insbesondere auch für den Zeithorizont Ihrer Berichtsforderungen. Sie werden nicht im Ernst annehmen, daß ich die Konsequenzen aus dem Stand der Hochschulplanung vor der Abstimmung der Belange dieses Bereiches mit den anderen Bundesaufgaben im Zusammenhang mit der Einbringung des Bundeshaushaltes darlegen kann. Gleichwohl werde ich mich Ihrem Antrag nicht widersetzen, da ich jederzeit bereit bin, den Stand meiner Meinungsbildung im Bereich der Hochschulpolitik in diesem Hause und in seinen Ausschüssen zu vertreten. Bundesminister Dr. Rainer Ortleb Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. - Dann kann ich diesen Tagesordnungspunkt abschließen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0}) - Drucksachen 12/2108, 12/2118 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({1}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie und Senioren b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 - Drucksache 12/1920 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend Haushaltsausschuß Ausschuß für Wirtschaft c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf das Bundesausbildungsförderungsgesetz ({3}) - Drucksache 12/1900 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({4}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend EG-Ausschuß Der Ältestenrat schlägt eine Stunde Debattenzeit vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Nun kann ich wiederum dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft das Wort geben. Herr Bundesminister Ortleb, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Minister:in)

Politiker ID: 11001657

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt mit dem vorgelegten Entwurf eines 15. BAföG-Änderungsgesetzes in erster Linie das Ziel, durch Anpassung der Leistungsparameter den realen Wert der Ausbildungsförderung zu erhalten. Der Entwurf zieht insoweit die Schlußfolgerungen aus dem gleichzeitig vorgelegten 9. Bericht nach § 35 BAföG, in dem die Ergebnisse der turnusmäßigen Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 BAföG zusammengefaßt sind. Bund und Länder werden 1993 für rund 600 000 Schüler und Studenten im gesamten Bundesgebiet über 4 Milliarden DM aufwenden; das sind rund 655 Millionen DM mehr als nach geltendem Recht. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht im wesentlichen folgende Verbesserung vor: In den alten Ländern werden die Bedarfssätze zum Herbst 1992 um durchschnittlich 6 v. H. angehoben. Unter Berücksichtigung der Zuschläge für Krankenversicherung und erhöhten Wohnbedarf steigt der Förderungshöchstsatz für nicht bei den Eltern wohnende Studentinnen und Studenten um 50 DM von derzeit 890 DM auf 940 DM. In den neuen Ländern soll nach dem Regierungsentwurf der Grundbedarf zum Herbst 1992 angehoben und zum Herbst 1993 voll an das Westniveau angeglichen werden. Für Studierende an ostdeutschen Hochschulen bedeutet dies eine Erhöhung des Grundbedarfs 1992 auf 540 DM und 1993 um weitere 30 DM auf dann im Bundesgebiet einheitliche 570 DM. Auch der Wohnbedarf soll angehoben werden; für nicht bei den Eltern wohnende Studenten soll er im Osten von 50 DM auf 80 DM steigen. Durch eine besondere Bestimmung der Härteverordnung wird sichergestellt, daß auch bei höheren Mieten in den neuen Ländern eine entsprechend höhere Förderung gezahlt werden kann. In diesem Zusammenhang wenden sich die neuen Länder gegen die 25%ige Selbstbeteiligung der in Wohnheimen öffentlicher Träger untergebrachten Studenten. Die Bundesregierung will mit dieser Selbstbeteiligung ausschließen, daß notwendige Bau- und Instandsetzungsmaßnahmen im Wege von Mietsteigerungen mit BAföG-Mitteln finanziert werden. Zu ihrem Bedauern sehen sich die neuen Länder bisher nicht in der Lage zuzusichern, daß dies ausgeschlossen wird. Darum muß es bei der Selbstbeteiligung bleiben. Im gesamten Bundesgebiet werden die Freibeträge um durchschnittlich 3 v. H. jeweils zum Herbst 1992 und zum Herbst 1993 angehoben. Außerdem werden die Vomhundertsätze und die Höchstbeträge zur Abgeltung der Aufwendungen für die soziale Sicherung entsprechend dem Anstieg der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsbemessungsgrenzen aktualisiert. Neben den 1992 und 1993 vorzunehmenden Anpassungen sind vor allem zwei Neuregelungen hervorzuheben: Erstens. Auszubildende, denen wegen einer Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zum vollendeten 5. Lebensjahr Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus geleistet wird, erhalten diese Förderungsbeträge zukünftig als Zuschuß. Damit wird verhindert, daß sich der zurückzuzahlende Darlehnsbetrag wegen der aus diesem Grunde verlängerten Förderungsdauer erhöht. ({0}) Zweitens. Im Inland förderungsberechtige Ausländer werden in die Auslandsförderung einbezogen, wenn sie an einem integrierten Studiengang teilnehmen, der zwingend vorsieht, daß ein Teil des Studiums an einer ausländischen Hochschule durchgeführt wird. Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf kurz eingehen: Erstens. Der Bundesrat hat die Bundesregierung gebeten zu prüfen, wie und in welchem Zeitrahmen die Ausbildungsförderung für bei den Eltern wohnende Schüler allgemeinbildender und berufsbildender Schulen wieder geöffnet werden kann. Die Bundesregierung wird den hierzu erbetenen Bericht im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorlegen. Schon jetzt möchte ich aber auf folgendes hinweisen. Sicherlich können wir Überlegungen über die Wiedereinführung des Schüler-BAföG anstellen. Bereits durch das Zwölfte Änderungsgesetz sind bestimmte Schülergruppen wieder in die Förderung einbezogen worden. Die Ausweitung der Förderung auf die Schüler allgemeinbildender Schulen ab der 11. Klasse würde aber zu Mehrausgaben für die Ausbildungsförderung von weiteren 400 bis 500 Millionen DM für Bund und Länder jährlich führen. Ich gebe das nur zu bedenken. Zweitens. Der Vorschlag des Bundesrates, die Bedarfssätze West auf Pendler, die in West-Berlin wohnen und eine Ausbildungsstätte in Ost-Berlin besuchen, anzuwenden, begegnet Bedenken. Er steht im Zusammenhang mit einer vom Land Berlin geplanten Umstrukturierung der Hochschulen. Danach sollen bestimmte Studiengänge ausschließlich auf Hochschulen im Ostteil verlagert werden. Gründe der Besitzstandswahrung mögen es rechtfertigen, solche in West-Berlin wohnhafte und dort studierende Auszubildende, die durch die geplante Verlagerung einzelner Studiengänge gezwungen werden. ihre Ausbildung formal an Eirichtungen im Osten der Stadt fortzusetzen, weiterhin in den Genuß von Leistungen in Höhe der Westsätze kommen zu lassen. Die vorgeschlagene Regelung geht aber weit darüber hinaus. Sie begünstigt alle Auszubildenden, die im Beitrittsgebiet ausgebildet werden und in den alten Bundesländern wohnen. Es ist nicht erkennbar, warum diese aus freier Entscheidung im Westen wohnenden Auszubildenden von Gesetzes wegen anders behandelt werden sollen als Auszubildende aus den alten Ländern, die sich entscheiden, eine Ausbildung im Beitrittsgebiet aufzunehmen und dort zu wohnen. Abschließend möchte ich hervorheben, daß das BAföG in Gestalt des Fünfzehnten Änderungsgesetzes voll den Anforderungen gerecht wird, die der europäische Binnenmarkt ab 1993 an die Ausbildungsförderung stellt. In dem Bericht der Bundesregierung vom 20. Dezember 1991 über die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf das BAföG, über den der Deutsche Bundestag heute ebenfalls berät, wird darauf im einzelnen eingegangen. Nach Auffassung der Bundesregierung nimmt das System der Ausbildungsförderung in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Förderungssystemen anderer europäischer Staaten eine Spitzenposition ein. Auch tragen die Voraussetzungen, unter denen im Rahmen einer Inlandsausbildung Ausbildungsförderung für eine Teilausbildung im Ausland gewährt wird, den Erfordernissen der wachsenden Mobilität durchaus Rechnung. Eine Ausweitung der Ausbildungsförderung und des BAföG etwa auf die Durchführung ganzer Ausbildungsgänge im europäischen Ausland wird daher nach Auffassung der Bundesregierung erst im Rahmen einer fortschreitenden Angleichung der Bildungsgänge und des Leistungsniveaus der nationalen Förderungssysteme vorgenommen werden können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Kollegin Odendahl, jetzt kann ich Ihnen wirklich das Wort erteilen. Bitte schön.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der „unendlichen Geschichte" der Ausbildungsförderung ist der Bundesregierung bei der Vorbereitung dieser 15. Novelle schon wieder ein neuer Trick eingefallen. Durch ihr langwieriges und auch schädliches Theater um die Streichung des Wohnbedarfs der am Wohnort der Eltern wohnenden Studierenden hat der Finanzminister davon abgelenkt, daß für ihn trotz des späteren Einlenkens bei dieser Frage der Griff in die BAföG-Kasse seit langem geübte Praxis ist. So kann denn auch der Bildungsminister mit der Abwehr dieser einen Untat von den übrigen Mängeln ablenken, auch davon, daß der Gesetzentwurf durch das praktizierte Fingerhakeln fast zu spät eingebracht worden ist. Offen bleibt: Der Finanzminister meint, der BAföG-Topf gibt gut und gern weitere 130 Millionen DM her, mit denen er ihm wichtiger erscheinende Vorhaben finanzieren könnte. Aber so einfach werden wir es der Bundesregierung nicht machen. Sie hat es versäumt, im Neunten Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zumindest die wesentlichen Ergebnisse der 13. Sozialerhebung in Form eines Vorberichts darzustellen. Man könnte fragen: Warum denn? Bei Anerkennung aller in den neuen Ländern noch bestehenden Schwierigkeiten, zu repräsentativen Daten über die Kosten- und Einkommensverhältnisse zu kommen, schürt sie mit ihrer Darstellung den Verdacht, wissentlich die Tatsache verschleiern zu wollen, daß sich die Kostenstrukturen in den neuen Ländern bereits weitgehend denen in den alten Ländern angeglichen haben. Mein Kollege Stephan Hilsberg wird darauf noch ausführlich eingehen. Bei der Sitzung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft am vergangenen Mittwoch in Leipzig haben wir uns über die soziale Situation der Studierenden in Ostdeutschland ein einprägsames Bild machen können. Diese Ungleichbehandlung muß unverzüglich beendet werden, wie wir dies schon bei der 14. BAföG-Novelle beantragt hatten. Die vorgesehene Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge hat, wie es seinerzeit der BAföG-Beirat zutreffend festgestellt hatte, weiter zur Folge, daß auch der reale Wert des BAföG weiter sinkt. Die „unendliche Geschichte" der BAföG-Novellierungen seit der Mitte der 70er Jahre wird also fortgesetzt. Im Ergebnis bedeutet dieser ständige Wertverlust, daß viele bisher Teilgeförderte aus der Förderung herausfallen und neue Studierende in Zukunft gar nicht erst einen Förderungsanspruch erwerben. Aus finanzpolitischen Gründen, die die Bundesregierung durch ihre Steuer- und Haushaltspolitik herbeigeführt hat, sehen die Länder wie der Bund bei dieser Novelle keine Möglichkeit, höhere Anpassungen vorzusehen, obwohl die hohe aktuelle Inflationsrate in besonderem Maße auch die Studierenden trifft. Damit Sie sich in der Einschätzung nicht zu weit von der Wirklichkeit entfernen, möchte ich dies durch ein paar Beispiele untermalen, die ich in Baden-Württemberg aufgesammelt habe. Aus einer Stellungnahme des Stuttgarter Wissenschaftsministeriums zu einem entsprechenden Antrag der SPD-Landtagsfraktion geht hervor, daß von diesem Jahr an auf breiter Front Preiserhöhungen für sämtliche Leistungen der Studentenwerke vorgenommen werden müssen. Danach nähert sich der Mietpreis in Studentenwohnheimen der 300-DM-Grenze. In Einzelfällen werde eine Miete von 340 DM pro Monat erhoben. Auch die Preise für das Essen in den Mensen der Studentenwerke stiegen in den vergangenen zwei Jahren um rund 16 %. Somit läßt sich leicht errechnen, daß sich die Preise für die Studierenden in den beiden letzten Jahren um etwa 20 % erhöht haben. Durch die kräftigen Preissteigerungen bei den Studentenwerken sind demnach viele Studierende gezwungen, noch mehr als bisher neben dem Studium Geld zu verdienen, wenn es denn möglich ist. Dies führt dann zwangsläufig zu längeren Studienzeiten. Eine solche unzureichende, alle BAföG-Berechtigten schlechter stellende Anpassung wäre dann vertretbar, wenn die Bundesregierung notwendige strukturelle Verbesserungen vorgesehen hätte. Dies ist bedauerlicherweise nicht der Fall. Sie hat es statt dessen dem Bundesrat überlassen, heiße Eisen anzupacken. Der überwiegenden Mehrheit der Länder ist dafür zu danken, daß sie trotz ihrer wesentlich von der Bundesregierung verursachten Haushaltsprobleme zu einigen recht bemerkenswerten Empfehlungen gekommen ist. ({0}) Hervorzuheben sind folgende Bundesratsvorschläge, von denen ich annehme, daß sie in der vorgesehenen öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft am 18. März auf breiten Konsens stoßen werden: die Gleichstellung von Studierenden in den neuen und alten Ländern hinsichtlich des Grundbedarfs und die Pendlersonderregelung für Berlin; die den steigenden Mieten und unzureichenden Verhältnissen in Studentenwohnheimen Rechnung tragenden Bestimmungen zu Wohnbedarf einschließlich Härteverordnung; die strukturellen Verbesserungen bei der Auslandsförderung - da muß doch nun noch Butter an die Fische, Herr Minister Ortleb - sowie die notwendige Klarstellung bei der Förderung von Fachoberschülern. Als Panne ist es hoffentlich anzusehen, daß sich die Mehrheit des Bundesrates noch nicht auf eine Verlängerung der Studienabschlußförderung verständigen konnte. Diese auch zur Studienzeitverkürzung wichtige Maßnahme wurde 1990 auf Probe eingeführt und läuft 1993 aus, wenn nicht rechtzeitig eine Verlängerung beschlossen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert zu beantworten?

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich diesen Satz noch vollendet habe, mit Freuden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Aber selbstverständlich. Ich nehme an, Dr. Lammert hat so viel Geduld.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die SPD-Fraktion wird in jedem Fall beantragen, daß diese Bestimmung über 1993 hinaus verlängert wird. ({0}) Sinn der Bestimmung kann doch nicht sein, daß nunmehr die Alleinschuld für zu lange Studienzeiten bei den Studierenden abgeladen wird, wenn andererseits die hochschulpolitisch Verantwortlichen die dafür notwendigen Maßnahmen schuldig geblieben sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Odendahl, worauf gründen Sie Ihre Vermutung, daß die von Ihnen ausdrücklich gelobten weiterführenden Empfehlungen des Bundesrates auf durchdachten Überlegungen beruhten, während es sich bei der Ablehnung eines ebenfalls vorliegenden Antrages, in diese Novelle eine Verlängerung der Studienabschlußförderung einzubeziehen, nur um eine Panne gehandelt haben könne? ({0})

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen ganz einfach beantworten, Herr Lammert. Wenn man die Länder im Vorfeld mit zu hoch gerechneten Kosten zu schocken versucht, fällt ihnen angesichts des Druckes der Finanzminister jede Entscheidung schwer. In diesem Falle waren sie besonders tätig. Das läßt sich leicht nachprüfen, wenn man die Schätzungen sieht, welche Kosten entstünden. Auch der Bundesrat bedauert, daß sich die Bundesregierung wie bei jeder seit 1983 vorgelegten BAföG-Novelle nicht zu der wiederholten Forderung nicht nur des BAföG-Beirats, sondern auch der SPD auf allen Ebenen geäußert hat, endlich die Ausbildungsförderung für Schüler allgemeiner und berufsbildender Schulen, die bei den Eltern wohnen, wiederherzustellen. Diesen Kahlschlag von 1983 so rasch wie irgend möglich zu beseitigen, verfolgt die SPD mit allem Nachdruck. Auch hier hat die Bundesregierung den Ländern einzureden versucht - Herr Blanke, Sie rechnen jedesmal ein bißchen höher -, die Reform sei nicht finanzierbar. Verrechnet man allerdings die Sozialhilfekosten und die in einer Reihe von Ländern bestehende Förderung von begabten Schülern mit den Kosten einer Novelle, wie sie die SPD-Bundestagsfraktion in der unendlichen BAföG-Geschichte immer wieder vorgeschlagen hat, so sieht man, daß die Reform für die Länder durchaus haushaltsneutral ist, ganz abgesehen davon, daß die Bundesregierung damit auch ihre blamablen Fehlleistungen beim Familienlastenausgleich korrigieren könnte. In einem weiteren Punkt hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht. In einer Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses wurde sie aufgefordert, für die von 1983 bis 1990 auf Volldarlehen geförderten Ausgebildeten, soweit diese noch Zahlungen zu leisten haben, nach einer Erleichterung zu suchen. Sie sollte sich dabei ins Gedächtnis rufen, daß Studierende, die in der Zeit von 1982 bis 1990 den Höchstbetrag erhielten, mit durchschnittlich 40 000 DM Schulden ins Berufsleben starten mußten. Der Geamtschuldenberg summierte sich auf über 15 Milliarden DM. Gleichzeitig sank der Gefördertenanteil dramatisch. 1972 erhielten noch 43 % aller Studierenden BAföG, 1988 dagegen lediglich 22,6 %. Ich muß hier leider die zwölfte Sozialerhebung zitieren, weil die dreizehnte anscheinend Verschlußsache ist. Alles, was Sie heute an Reparaturmaßnahmen vorsehen - das weiß ich durchaus zu würdigen, Herr Minister Ortleb -, korrigiert diese Abwärtsentwicklung nur bruchstückweise. Die Zahlen der zwölften Sozialerhebung haben es belegt: Im Jahre 1988 besuchten von 100 Beamtenkindern 49 eine Hochschule, von 100 Arbeiterkindern dagegen nur acht. Die Sparpolitik beim BAföG hat vor allem einkommensschwache Familien getroffen, und von Chancengleichheit, die einmal das gemeinsame Anliegen bei der Schaffung der Ausbildungsförderung in diesem Hause war, kann keine Rede mehr sein. Mein Appell an die Bundesregierung und die Regierungskoalition kann also nur lauten - geben Sie das auch Herrn Waigel weiter -: Bereiten Sie endlich dem BAföG-Poker ein Ende! Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Jork das Wort.

Dr. - Ing. Rainer Jork (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der heutigen Diskussion zum 15. BAföG-Änderungsgesetz möchte ich als Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, aber besonders als Abgeordneter aus den neuen Bundesländern auch an die Fördersysteme in der ehemaligen DDR erinnern. Das Grundstipendium von im Regelfall 200 DM war eitern- bzw. einkommensunabhängig und nicht bedarfsdeckend. Zunächst gab es aber das Leistungsstipendium, das neben guten Studienleistungen den Nachweis einer vorbildlichen politischen Haltung erforderte. Ferner wurden Zuschläge für längerdienende NVA-Soldaten, nach längerer Berufstätigkeit oder in sozialen Härtefällen gewährt. Diese Regelung war bereits ein erheblicher Fortschritt im Vergleich zu meiner eigenen Stipendienbemessung im real existierenden Sozialismus. Danach erhielt ich, obwohl ich selbst bereits Facharbeiter war, das Mindeststipendium von 140 Mark, da mein verstorbener Vater zu Lebenszeiten Angestellter war, also nicht der Arbeiterklasse zugerechnet werden konnte. Was ist dagegen, liebe Frau Odendahl, die regelmäßige Novellierung des BAföG? Ich finde es eine wunderbare Sache. ({0}) Das mit dem BAföG vereinbarte Verfahren zur Bedarfsbemessung nach dem aktuellen Durchnittseinkommen halte ich für eine hervorragende, sozial angelegte Methode. Insofern ist es richtig, daß mein studierender Sohn jetzt in Anbetracht meines aktuellen Einkommens über das BAföG nicht gefördert wird. Die Überprüfung der Bedarfssätze im BAföG ergab einen Erhöhungsbedarf entsprechend den gestiegenen Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten. Die Steigerungssätze werden befristet noch unterschiedlich nach westlichen und östlichen Bundesländern festgelegt. Dazu gingen mir Änderungswünsche und -forderungen von mehreren Verbänden zu, z. B. von dem Deutschen Studentenwerk, der Kammer der Technik und dem RCDS, aber auch vom Freistaat Sachsen, aus dem ich komme, und dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Welche grundsätzlichen Rahmenbedingungen sind zu sehen? Wir alle wünschen uns möglichst schnell einheitliche Lebensbedingungen in Deutschland. Das betrifft alle Bevölkerungsschichten, neben der Jugend, den Studierenden, aus meiner Sicht vor allem die Senioren und die Behinderten. Zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands gehört auch eine zunehmende Mobilität von Ost nach West. Ich wünschte mir - im Zusammenhang mit dem Studium - auch eine zunehmende Mobilität von West nach Ost. Einheitliche Lebensverhältnisse betreffen aber auch das Arbeitsplatzangebot, die Effizienz der Produktion, die Verkehrs- und die Umweltbedingungen. Die Ausgaben müssen allgemein in einer vernünftigen Relation zu den Einnahmen und dem sozialen Umfeld stehen. Die Bundesregierung schlägt eine differenzierende Gestaltung der Bedarfssätze vor. Nach Art. 6 der BAföG-Novelle soll in zwei Stufen, nämlich in einem ersten Schritt am 1. Juli 1992, in einem zweiten am 1. Juli 1993, die volle Anhebung des sogenannten Grundbedarfs an Westniveau erfolgen. Aus Erhebungen und eigenen Einschätzungen läßt sich erkennen, daß der Anstieg der Lebenshaltungskosten in den östlichen Bundesländern rascher erfolgte, als zu erwarten war. Das haben wir ja auch in Leipzig gehört. Das betrifft u. a. die Preise für Eisenbahn und Nahverkehrsmittel, Lebensmittel und Textilien, aber auch einen Grund- und Nachholbedarf bei Dr.-Ing. Rainer Jork Büchern und Rechentechnik, die für Studierende unverzichtbar sind. Ich bitte in meinem eigenen Namen besonders herzlich, Möglichkeiten für die Anpassung in einem Schritt bereits für den 1. Juli dieses Jahres zu prüfen. Dabei sehe ich mich übrigens auch in Übereinstimmung mit einem entsprechenden Beschluß des CDU-Bundesparteitages Ende 1991 in Dresden. ({1}) Eine persönliche Bemerkung zur Studienzeit: Ich halte die weitgehende Einhaltung der Regelstudienzeit, eine Minderung der Abbruchquoten und eine Senkung der Ausbildungszeiten einschließlich des Studiums für unverzichtbar - auch im Blick auf die Konkurrenzfähigkeit im künftigen Europa. Das bedeutet auch, daß für Studierende Bedarfssätze so festgelegt werden, daß sie nicht während der Semester „jobben" müssen. Grundlagen dafür sehe ich durch den Gesetzentwurf gelegt. Der Gesetzentwurf sieht für Studierende in den östlichen Bundesländern, die in Wohnheimen mit öffentlich-rechtlicher Trägerschaft wohnen, bei Mieten eine Selbstbeteiligung von 25 % vor. Minister Ortleb sagte bereits -und diesen Standpunkt teile ich -, daß die Zusicherung der Länder gefragt ist, daß entsprechende Mieterhöhungen nicht zur Ausnützung der BAföG-Leistungen führen dürfen. In diesem Sinn wäre nach Abgabe der Zusicherung der Länder an dieser Stelle eine Korrektur durch die Bundesregierung - so habe ich seine Ausführungen verstanden - akzeptabel. Für die nächste BAföG-Novelle habe ich den Wunsch, eine entsprechende Förderung auch im Zusammenhang mit Meisterlehrgängen und -prüfungen vorzulegen. Dazu bewegt mich auch die zunehmende Diskrepanz, was die Relation zwischen beruflicher und akademischer Bildung angeht; wir sprachen vorhin schon darüber. Im Zusammenhang mit einer Korrektur der Ein- und Aufstiegsordnung sowie den Studienzugangsbedingungen muß den wirtschaftlichen Erfordernissen besser entsprochen werden. Ich möchte kurz zusammenfassen: Erstens. Angesichts des enormen Arbeitsaufwandes und Engagements bei der verwaltungstechnischen Vorbereitung und Durchführung der BAföG-Regelungen in den östlichen Bundesländern möchte ich den beteiligten Mitarbeitern - auch denen aus den westlichen Bundesländern - herzlich danken. Zweitens. Die Steigerung der Bedarfssätze ist erforderlich und angemessen. Für die östlichen Länder müssen diese Sätze in richtiger Relation zu den genannten wirtschaftspolitischen Kriterien gesehen werden. Drittens. Ich bitte darum, die Möglichkeit einer Grundbedarfsanpassung in einem Schritt zum 1. Juli 1992 nochmals zu prüfen. Letztlich viertens. Eine Streichung der vorgesehenen 25 %igen Beteiligung von Studierenden an Spitzenanteilen für Mieten in Wohnheimen öffentlicher Träger sollte durch Mietbegrenzungserklärungen der betroffenen Länder für die Bundesregierung akzeptabel gestaltet werden. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Dr. Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht zu übersehen, daß die Bundesregierung mit der in ihrem Gesetzentwurf versuchten Festschreibung der Ungleichbehandlung ostdeutscher Studierender gegenüber ihren westdeutschen Kommilitonen und Kommilitoninnen ziemlich alleinsteht. Weder der Bundesrat noch der BAföG-Beirat noch Studentinnen- und Studentenverbände und andere Verbände haben dafür Verständnis, am wenigsten die ostdeutschen Studierenden und ihre Eltern. Ich muß auch daran erinnern, daß der Gesetzentwurf ein Zeichen von Unglaubwürdigkeit von Versprechungen ist. Ich darf Sie, Herr Bundesminister, daran erinnern, daß Sie im Oktober 1991 die Angleichung des Grundbedarfssatzes für 1992 angekündigt haben. Dankenswerterweise hat Herr Jork ja schon Selbstkritik betreffs des Beschlusses des CDU-Parteitages von Dresden geübt. Eine stichhaltige Begründung für die Ungleichbehandlung der ostdeutschen Studierenden vermag die Bundesregierung auch in ihrem umfänglichen Bericht zur Überprüfung der Bedarfssätze nicht zu geben. So ist die im Bericht herangezogene Begründung, daß der Zentralwert der durchschnittlichen monatlichen Gesamtausgaben der ostdeutschen Studierenden 1991 552 DM betragen habe, außerordentlich fadenscheinig, da von diesen Ausgaben keineswegs auf den tatsächlichen Bedarf geschlossen werden kann. Interessanterweise ist im Bericht auch nur von einer Ermittlung des durchschnittlichen monatlichen Bedarfs für einen Normalstudierenden ({0}) die Rede, und der betrug 1991 immerhin 1 030 DM. Die faktische Schlechterstellung der Oststudierenden beginnt also offensichtlich schon mit einer methodischen Ungleichbehandlung, also der Wahl anderer Erhebungs-, Ermittlungs- und Berechnungsmethoden. Andere Begründungen sind ebenso haltlos. So hat die im Bericht verwendete, vom Deutschen Institut für Wirtschaft berechnete zwischen 8 und 19 % höhere Kaufkraft der D-Mark im Osten im vierten Quartal 1991 überhaupt nichts mehr mit dem Grundbedarf von Studierenden zu tun. Sie wird überdies durch den vorausgesagten Anstieg der Lebenshaltungskosten in Ostdeutschland von 13 % im Jahre 1992 aufgezehrt. Alle ernstzunehmenden Fakten sprechen für eine sofortige Anpassung der Grundbedarfssätze, aber auch - bei entsprechendem Nachweis der Mietkosten - für eine Angleichung der Vollförderung, die im Osten 1992 620 DM, im Westen aber 790 DM betragen soll. Nach den von der Bundesregierung in ihrem Bericht selbst vorgelegten Berechnungen ist für 1992 von gleichen Lebenshaltungskosten in Ost und West auszugehen. Darüber hinaus, meine Damen und Herren, ist zumindest noch auf folgendes hinzuweisen: erstens auf den unbestrittenen Nachholbedarf ostdeutscher Studierender bei der Anschaffung von Lernmitteln; zweitens auf die in Ostdeutschland kaum - fast überhaupt nicht - gegebene Möglichkeit von Nebenerwerbstätigkeiten, denen in Westdeutschland immerhin 50 % der Studierenden regelmäßig nachgehen; drittens auf die - vielleicht nicht gewollte - Förderung eines Studiums im Westen durch die studienortgebundene Gewährung der Bedarfssätze mit dem Effekt, daß der in Westdeutschland studierende Ostdeutsche mehr bekommt als bei einem Studium zu Hause und auch seine Eltern erst bei einem höheren Einkommen in die eigene Tasche greifen müssen; und viertens auf die Einkommenssituation der ostdeutschen Familien, die gegenwärtig bei etwa 50 % des Westniveaus angekommen ist und Zuwendungen für das studierende Kind in der Regel sehr schwer macht. Der Bericht der Bundesregierung belegt eindrucksvoll, daß für die überwiegende Mehrheit der studierwilligen ostdeutschen Jugendlichen im Unterschied zu den westdeutschen nur ein BAföG-finanziertes Studium möglich ist - oder überhaupt keines. In Westdeutschland beträgt die Gefördertenquote weniger als 30 % der Studierenden, in Ostdeutschland 90 %. In Ostdeutschland haben mehr als 50 % der Studierenden Anspruch auf Vollförderung; im Westen sind es weniger als 10 %. Warum ignoriert da die Bundesregierung durch die unbegründete Schlechterstellung der ostdeutschen Studierenden dieses hohe Maß des Angewiesenseins auf BAföG? Übrigens belegt die Gefördertenquote von 90 % die von mir schon früher angemerkte Unsinnigkeit der puren Übertragung der aufwendigen „Bafögologie" auf Ostdeutschland. Während der in Westdeutschland betriebene Aufwand vor allem durch die Einkommenssituation der Familien und der Studierenden selbst noch eine gewisse Berechtigung haben mag, um die etwa 30 % Förderungsberechtigten herauszufinden, war dieser gleiche Aufwand in Ostdeutschland für einen längeren Übergangszeitraum mit Sicherheit nicht nötig. Ich glaube - an Sie, Herr Bundesminister, und an die Regierungskoalition gewandt -, Nachbesserungen sind im Interesse der Studenten in Ostdeutschland dringend nötig. Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Funke-Schmitt-Rink das Wort.

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000625, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Am 1. Oktober des vergangenen Jahres konnten wir das 20jährige Jubiläum des Bundesausbildungsförderungsgesetzes begehen und damit auf eines unserer wichtigsten Instrumente zurückblicken, Jugendlichen aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien den Weg zum Studium zu ebnen. Das Jubiläum ist allerdings auch Mahnung, uns nicht auf Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Das BAföG ist nach wie vor ein Dauerreparaturgesetz. Es beinhaltet den Auftrag an die Bildungspolitik, die Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Vermögensbildung, die Veränderung der Lebenshaltungskosten sowie die finanzwirtschaftliche Entwicklung regelmäßig zu prüfen, um Bedarfssätze, Frei- und Höchstbeträge neu festzusetzen. Unser Ziel bleibt es, den realen Wert der Ausbildungsförderung zu erhalten; denn eine Begrenzung der Bildungschancen junger Menschen durch den Geldbeutel der Eltern muß auch in Zukunft ausgeschlossen sein. In den neuen Bundesländern, in denen das BAföG zum 1. April 1991 eingeführt worden ist, wurden im Herbst des vergangenen Jahres 180 000 Schüler und Studenten gefördert; das sind übrigens 80 % aller Studierenden dort. Im Westen sind es 30 % Geförderte. Für die ostdeutschen Studierenden galten wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten in den neuen Ländern 1991 abgesenkte Bedarfssätze. Da dort aber auf Grund der raschen wirtschaftlichen Anpassungsprozesse schnelle Änderungen festzustellen sind, wollen wir mit diesem 15. Änderungsgesetz die Bedarfssätze und Freibeträge der Einkommensentwicklung und den veränderten Lebenshaltungskosten anpassen. Der reale Lebensstandard der vom BAföG erfaßten Studierenden darf nicht sinken. So nähern sich z. B. die allgemeinen Lebenshaltungskosten und die Mieten langsam dem westlichen Niveau. Die stufenweise Angleichung des Grundbedarfs war in den letzten Wochen Anlaß für ungerechtfertigte Aufgeregtheiten; denn es gibt trotz der zunehmenden Angleichung der Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten sehr wohl noch beträchtliche Unterschiede zwischen Ost und West. Ob bei den Sozialbeiträgen, bei den Verkehrstarifen oder bei den Preisen für Mensaessen: Wir stellen immer noch durchschnittlich Unterschiedsbeträge fest. Diesen Unterschieden müssen wir auch finanzpolitisch Rechnung tragen. Wir zementieren hiermit keine Ungerechtigkeit zwischen Ost und West, wie uns das die Opposition weismachen will. Auch andere Sozialleistungsgesetze wie z. B. das Bundessozialhilfegesetz differenzieren bei der Leistungsgewährung weiterhin zwischen alten und neuen Ländern. ({0}) Der Vorwurf der SPD-Opposition, es handele sich hierbei um eine fortgesetzte Diskriminierung der Auszubildenden, liebe Frau Odendahl, entbehrt also jeder Grundlage. Im Gegenteil, das Gesetz stellt sicher, daß die Studierenden nicht von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt werden. Natürlich haben auch wir Liberale Wünsche, die offenbleiben müssen. Der Vorstoß des CDU-Parteitags vom Dezember, auf den Sie, Herr Jork, hingewiesen haben, die Angleichung des Grundbedarfssatzes in diesem Jahr in einem Zug vorzunehmen, war publizistisch gelungen. Doch bisher war es leider nicht möglich, den Finanzrahmen bereitzustellen. ({1}) Ich bedauere dies sehr. ({2}) - Ich habe gesagt, ich bedauere das sehr. Da gibt es überhaupt keine Zerstrittenheit. ({3}) Auch der Finanzrahmen muß doch dargestellt werden. Doch zurück zur 15. Novelle: Es ist eine vernünftige und sachgerechte Lösung, den Wohngeldzuschlag auch für Studierende, die zwar am Wohnort ihrer Eltern, aber nicht bei ihren Eltern wohnen, nicht zu streichen, zumal umfangreiche Umgehungsmöglichkeiten einen nicht zu rechtfertigenden Überprüfungsaufwand erforderlich gemacht hätten. ({4}) An dieser Stelle möchte ich auf eine wichtige Änderung in der BAföG-Novelle hinweisen: Der zurückzuzahlende Förderungsbetrag von Auszubildenden, denen wegen einer Schwangerschaft oder der Pflege bzw. Erziehung eines Kindes bis zum vollendeten fünften Lebensjahr Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer geleistet wird - auch Herr Ortleb hat dies schon dargestellt -, wird sich für die Betroffenen nicht erhöhen, da diese Förderungsbeiträge künftig als Zuschuß geleistet werden. Ich betrachte das als ein Instrument der Frauenförderung. Erziehende werden damit für ihre zusätzliche Belastung gewürdigt und von einer finanziellen Benachteiligung verschont. Das haben Sie leider zu erwähnen vergessen, Frau Odendahl. Des weiteren werden im Inland förderungsberechtigte Ausländer in die Auslandsförderung einbezogen, wenn sie an einem integrierten Studiengang teilnehmen, der zwingend vorsieht, daß ein Teil des Studiums an einer ausländischen Hochschule durchgeführt wird. In diesem Punkt müssen wir, so denke ich, gerade bei der Förderung des Auslandsstudiums im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt ohnehin Perspektiven für eine Erweiterung des BAföGs entwikkeln. ({5}) Wichtig ist für uns zum Schluß auch die Frage nach einer Verlängerung der Studienabschlußförderung. Wir Liberalen begrüßen, daß an der Förderung in der Examensphase bis zum Herbst 1993 nicht gerüttelt wurde. Wir sind nun aufgerufen, Erfahrungen über die Zweckmäßigkeit der Abschlußförderung zu sammeln und auszuwerten. ({6}) Sollten die Erfahrungen zeigen, daß eine Nichtfortführung der Förderung über 1993 hinaus eine Verlängerung der individuellen Studienzeit bewirken und Studenten aus sozial schwächeren Familien benachteiligen würde, werden wir Liberalen auch zukünftig an der Studienabschlußförderung festhalten. ({7}) Fazit: Die 15. Novelle des BAföG schafft ohne jeden Zweifel eine Besserstellung der Studierenden. ({8}) Die Angleichung der Sätze wird in einem vertretbaren Zeitabschnitt und in sinnvollen zwei Schritten erreicht. Daher sind die Versuche der Opposition, das Gesetz kaputtzureden, ohne jede Chance. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Hilsberg das Wort.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja immer ganz erfreulich, die F.D.P.-Strategie sozusagen exemplarisch hier im Bundestag vorgeführt zu bekommen: Zuerst entwikkelt jemand, gelinde gesagt, einen gewissen Schwachsinn, und dann profiliert man sich dagegen positiv. - Lassen wir doch den Schwachsinn beiseite! ({0}) Im übrigen: Sie haben uns an dieser Stelle natürlich als Partner. Wir begrüßen dies. Wenn wir auf diese Art und Weise dazu beitragen können, daß gewisse konservative Elemente beiseite gedrückt werden können, dann sind wir auf dieser Grundlage selbstverständlich zu jeder konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Die Umstellung der elternunabhängigen Förderung auf niedrigerem Niveau für Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten usw. in der ganzen DDR auf das jetzige BAföG war alles andere als unproblematisch. Die schlechte Datenlage, die Tatsache, daß man offenbar immer noch sehr wenig über die neuen Bundesländer weiß - wie sich im Bericht zeigt -, deutet die bestehenden Probleme immer noch an. Trotzdem und gerade deshalb möchte ich mich bei Ihnen, Herr Bundesminister, und bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür bedanken, wie schnell die Einführung des BAföG gelungen ist. Das war keine einfache Aufgabe. Alles in allem stellt es doch eine Besserstellung der ostdeutschen Studenten dar. Das muß an dieser Stelle eindeutig gesagt werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Hansen zu beantworten?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. - Bitte schön.

Dirk Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000804, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hilsberg, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das, was Sie gerade zum Schluß gesagt haben, das aufhebt, was Sie zu Anfang hinsichtlich eines bestimmten Schwachsinns geäußert hatten? ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verstehe ja, daß es für Sie immer wieder notwendig ist, auch mit Hilfe der Opposition wichtige Punkte, die in der Regierungspolitik verändert werden müssen, durchzusetzen. Sie werden der Opposition nicht verdenken, das, was falsch ist, auch als Schwachsinn zu benennen. Wir wollen uns nicht in das Geschäft einmischen, das, was schlecht ist, gut zu nennen, auch wenn Ihnen das möglicherweise besser passen würde. ({0}) Trotzdem muß ich einige Anmerkungen machen. Ich will versuchen, sie schnell durchzugehen: Der wichtigste Punkt ist mir natürlich die sofortige Angleichung des BAföG in der gesamten Bundesrepublik: gleiches BAföG in Ost und West, und zwar nicht erst 1993, sondern schon Ende dieses Jahres. Es gibt keine Gründe mehr dafür, eine Angleichung des Grundbedarfs abzulehnen. Die Preise in Deutschland sind überall gleich hoch. Eher sind sie in den neuen Bundesländern sogar noch ein wenig höher, weil wir dort noch nicht die Konkurrenz haben, die die Preise woanders drückt. Eine Supermarktkette beispielsweise, die den örtlichen „Konsum" aufgekauft hat, diktiert jetzt die Preise. Für einen Stadtteil mag das entscheidend sein. Auch in anderen Bereichen lassen sich eher stärkere finanzielle Belastungen für Oststudenten ausmachen. Zum Beispiel werden Sie nicht abstreiten, daß ostdeutsche Eltern im Gegensatz zu westdeutschen Eltern über ein viel geringeres Finanzvolumen verfügen und daß sie deshalb während des Studiums ihre Kinder lange nicht so gut unterstützen können. Gründe hierfür sind die geringeren Löhne und ist die gestiegene Arbeitslosigkeit. Das wird ja auch noch auf eine gewisse Zeit so bleiben. Erklärungen wie die Gegenäußerung der Bundesregierung zu den Beschlüssen des Bundesrates, der die Ost-West-Angleichung jetzt beschlossen hat, nehmen sich da mager aus. Es mag sein, daß der Sozialbetrag an den ostdeutschen Hochschulen noch niedriger ist. Aber der braucht ja lediglich einmal im Semester von jedem Studenten entrichtet zu werden. Wer aber spricht von den ständigen Ausgaben der Studierenden? Ein Beispiel ist die Miete, auch die Miete in den Internaten, in denen die Studenten leben müssen. Die Miete muß ja geradezu heraufgesetzt werden. Sonst haben die Internate nicht die finanziellen Mittel, um kostendeckend zu arbeiten, vor allem bei dem Ausbaubedarf, der dort zur Zeit herrscht. Das ist der aktuelle Zustand. Notwendig wäre die Angleichung schon in der 14. Novelle gewesen. Aber Sie haben sie nicht einmal in der 15. Novelle vorgeschlagen. Gerade von Ihnen, Herr Minister, der Sie aus einem östlichen Bundesland kommen, hätte ich mir an dieser Stelle etwas mehr versprochen. Ich glaube auch, daß Sie wahrscheinlich Schelte für Ihre übrigen Koalitionspartner bekommen. Wahrscheinlich fällt es auch Ihnen in der ersten gesamtdeutschen Regierung schwer, einen vernünftigen Interessenausgleich durchzusetzen. Für die Gleichstellung ist auch die Zustimmung der ostdeutschen Länder im Bundesrat erreicht worden; im Gegensatz zur Situation bei der 14. BAföG-Novelle, wo, wie man leider anmerken muß, die ostdeutschen Länder selber dazu beigetragen haben, daß es nicht zu einer Angleichung kam. Ende der vergangenen Woche hatte sich schon der Bundesrat mit dem Thema BAföG auseinandergesetzt und zu einer Reihe von Einzelfragen umfangreiche Veränderungen und Verbesserungen vorgeschlagen und verlangt. Leider hat im Bundesrat die Weiterführung der Studienabschlußförderung noch keine Mehrheit gefunden. Mit dieser Abschlußförderung können Studierende BAföG erhalten, die innerhalb der nächsten maximal zwölf Monate ihr Studium abschließen können, auch wenn die Förderungshöchstdauer erreicht oder überschritten ist. Diese Form der Förderung ist damit ein Notnagel für diejenigen Studenten, die ihr Studium nicht in der Zeit abschließen können, die vorgesehen ist. Nur wenige Studierende aber können ihr Studium in den alten Bundesländern rechtzeitig beenden. In den neuen Bundesländern ist das Betreuungsverhältnis von Hochschullehrern zu Studierenden noch gut, und das Studium kann in der Regelstudienzeit bewältigt werden. In den kommenden Jahren wird die Zahl der Studierenden in den neuen, jungen Bundesländern jedoch steigen. Wir begrüßen es, wenn immer mehr junge Menschen - ungehindert durch systembedingte Umstände - ihren Wunsch nach Bildung realisieren können. ({1}) Dieser Wunsch ist in der ehemaligen DDR verständlicherweise ungeheuer groß. Nachholen- und Aufholen-Wollen verbindet sich mit der Erkenntnis, daß eine gute, fundierte berufliche Perspektive eine gute Ausbildung voraussetzt. Wenn sich diese Prognosen erfüllen - und sie werden sich erfüllen -, dann werden die Bedingungen für ein Studium im Osten genauso aussehen wie hier in den alten Ländern: überfüllte Hörsäle, Wartezeiten auf Plätze in Praktika und viel zu wenig persönliche Beratung und Betreuung der Studentinnen und Studenten. Das dumme Geschwätz, daß wir im Osten lediglich die bundesdeutschen Strukturen zu übernehmen bräuchten, um zu einer Verbesserung der Lage zu kommen, hat dazu geführt, daß mögliche innovative Elemente, wie beispielsweise das Betreuungsverhältnis in der gesamtdeutschen Hochschullandschaft nicht zur Kenntnis genommen wurden. Wie gesagt, in den neuen Bundesländern ist das eigentlich noch kein Thema, aber wenn diese Entwicklung so weitergeht, wie sie zur Zeit dort stattfindet, dann wird es binnen kurzem, binnen weniger Jahre ein Thema sein. Wird die Studienabschlußförderung nicht jetzt verlängert, dann können ab Oktober dieses Jahres nur noch verkürzte Bescheide vergeben werden. Da nützt auch alle Beteuerung nichts, daß man sich darüber noch einmal unterhalten will; denn wann soll das in Kraft treten? Wenn sich die Zahlen der Studierenden an den Hochschulen in den neuen Ländern vervierfachen, wird es auch dort sehr viel mehr als eng werden. Ich möchte noch ein anderes Problem ansprechen: Die Diskussion über die politische Bildungsdiskriminierung ist von uns im vergangenen Jahr angerissen worden. Das BAföG enthält - leider nur in den Ausführungsbestimmungen - Vorschriften, um den von der Bildungsdiskriminierung Betroffenen neue Chancen und Möglichkeiten zu geben. Das Problem daran ist: Diese Vorschriften kennt niemand. Deshalb können sie auch nicht greifen. In diesem Bereich wäre ein Mehr an Öffentlichkeitsarbeit hilfreich. Wir haben das im Ausschuß angemahnt. Es ist bis jetzt nicht erfolgt. Diese Öffentlichkeitsarbeit muß sich direkt an die Menschen wenden. Ohne das Lob am Anfang meiner Rede zurückzunehmen, zeigt sich, daß die überstürzte Einführung des BAföG in den neuen Ländern doch Nachteile hatte: In den neuen Ländern wird nämlich die Höhe des Anspruchs auf BAföG anders als in den alten Ländern festgestellt. Während dort die Einkommen von vor zwei Jahren entscheidend sind, gelten in den neuen Ländern die Einkommen der letzten drei Monate des letzten Jahres. Das Verfahren mag für 1991, in dem die Monate Oktober bis Dezember 1990 Grundlage waren, richtig gewesen sein. Wer allerdings in diesem Jahr BAföG beantragt, bei dem werden die letzten drei Monate des letzten Jahres, also von 1991, zugrunde gelegt, inklusive Weihnachtsgeld, und dieser Betrag wird mit vier multipliziert. Das führt dazu, daß ein im Durchschnitt höheres Einkommen berechnet wird, als es tatsächlich vorhanden ist. ({2}) Weitere Schwierigkeiten werden sich künftig bei der Höhe der Freibeträge und der Bedarfssätze ergeben. Ich will dabei nur darauf verweisen, daß die Bundesregierung eine höhere Steigerung der Nettoeinkommen erwartet, als sie sie bei der Erhöhung der Freibeträge vorgesehen hat. Das bedeutet, daß wieder Familien aus der Förderung herausfallen werden, die auf diese zusätzlichen Mittel angewiesen sind. Deswegen ist die vorgesehene Erhöhung der Freibeträge in zwei Stufen um 6 % genauso wenig ausreichend wie die Anhebung der Bedarfssätze in dem gleichen Umfang. Im Bericht gemäß § 35 geht die Bundesregierung selber von einer Steigerung der Lebenshaltungskosten in den alten Bundesländern um allein 4 % im laufenden Jahr aus. Ich will einen letzten Punkt ansprechen, der mir sehr wichtig ist. Für über 21jährige Kinder von EG-Ausländern gibt es derzeit kein BAföG. Nur wenn die Eltern ihnen vollen Unterhalt gewähren können, dürfen sie bei uns studieren. Das ist keine aufgeschlossene Politik gegenüber Europa. Es bedeutet nämlich, daß diejenigen, die hier studieren wollen, aus reichen Familien kommen müssen. Das heißt: Europa nur für den reicheren Teil. Damit können wir keinesfalls einverstanden sein. Wenn es in den anderen europäischen Staaten kein so gutes System der Ausbildungsförderung wie bei uns geben sollte, sollte sich die Bundesregierung dafür stark machen, daß eine solche Förderung eingerichtet wird. Das wäre die Antwort darauf.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, nachdem Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie zum Ende kämen. ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie gestatten mir noch einen Satz?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

BAföG ist gut und wichtig. Wir brauchen aber nicht zu lobhudeln. BAföG hat die wichtige Funktion, daß Innovation in der Gesellschaft realisiert werden kann, Innovation, die aus allen gesellschaftlichen Schichten, auch aus den ärmeren, kommt. Darüber ist zu reden. Mögen die Regierung und die Regierungsfraktionen noch so lobhudeln, wir werden konstruktiv bleiben. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Hollerith das Wort.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegen der Entwurf des 15. BAföG-Änderungsgesetzes, der Bericht zur Anpassung der Bedarfssätze, Frei- und Höchstbeträge nach § 35 BAföG sowie der Bericht der Bundesregierung hinsichtlich der Änderungen bei der Förderung von Ausländern sowie zur Änderung der Förderungsart zugunsten der Studierenden mit Kindern. Vor uns liegt aber auch die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes. Unsere Ausbildungsförderung muß daher sicherstellen, daß die deutsche Jugend auch innerhalb der EG-Konkurrenz berufliche Zukunftsperspektiven hat. ({0}) Daher begrüße ich die Änderung des Art. 1 Nr. 1 ({1}) und 6 BAföG, mit der eine Zusatzausbildung für die Verwendung im europäischen Raum, insbesondere für Absolventen von Fachhochschulen, gefördert werden soll. Die Kritik des Bundesrates daran, daß für derartige Zusatzausbildungen bereits im Rahmen akademischer Austauschprogramme Förderungsmöglichkeiten bestehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf das BAföG weisen jedoch - wie wir dem Bericht der Bundesregierung vom Dezember 1991, Bundestagsdrucksache 12/1900, entnehmen können - auf die Notwendigkeit weiterer Ausbildungs6648 förderung für Auslandsaufenthalte hin, um den Erf ordernissen der fortschreitenden Mobilität innerhalb der EG Rechnung zu tragen. Um sicherzustellen, daß deutsche Berufsanfänger diesem Erfordernis fortschreitender Mobilität in der EG gerecht werden können, müssen wir über die Verbesserung der Ausbildungsförderungsmittel hinaus erstens dafür sorgen, daß unsere im EG-Vergleich viel zu langen Studienzeiten kürzer werden. Es reicht nicht, daß wir die Förderungssätze an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anpassen. Erforderlich sind Anreize für die Studenten, ihr Studium in kürzerer Zeit erfolgreich zu absolvieren. ({2}) Nur dann haben auch deutsche Akademikerinnen und Akademiker die Chance, dem Wettbewerb mit ihren zur Zeit noch weit jüngeren EG-Konkurrenten standzuhalten. ({3}) Zweitens müssen wir dafür sorgen, daß die Schulabgänger entsprechend ihren Neigungen und Fähigkeiten die Möglichkeiten beruflicher Aus- und Weiterbildung genauso in Betracht ziehen wie ein Studium. Das zu erreichen, meine Damen und Herren, ist nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt erforderlich, schon im Hinblick auf die hohen Studienabbruchquoten deutscher Studenten. Die vorliegenden Untersuchungen weisen beim Studienabbruch an Universitäten eine deutlich zunehmende Tendenz auf. ({4}) So ist in der zweiten Hälfte der 80er Jahre realistisch von einer Studienabbruchquote zwischen 15 und 20 an Universitäten auszugehen. Zu den Motiven, die schon immer zum Studienabbruch führten, sind zwischen den Exmatrikulationsjahrgängen 1979 und 1984 verschlechterte Berufschancen für Akadamiker und die zunehmende Bevorzugung praktischer Tätigkeiten oder Ausbildungen hinzugetreten. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß wir derzeit ein auffälliges Ungleichgewicht zwischen Akademikern und Handwerkern zu verzeichnen haben. Dem deutschen Handwerk fehlen an die 350 000 Facharbeiter, davon 30 000 in den neuen Ländern. Jedes Jahr gehen 33 000 Bauhandwerker in Rente, und nur 11 000 Gesellen rücken nach. Insgesamt fehlen in der Baubranche an die 60 000 Facharbeiter. Hält der Trend zu den Hochschulen an, so werden viele Studenten bald weder einen erwartungsadäquaten Job noch überhaupt einen Arbeitsplatz finden. Unsere Wirtschaft, vor allem die mittelständische Wirtschaft, in der die Facharbeiter unersetzbar sind, leidet. Was bringen ihr Aufträge, wen ihr das Fachpersonal zur Ausführung fehlt? Es reicht also nicht, die Förderung nach dem BAföG anzuheben. Vielmehr müssen wir auch die Förderung der beruflichen Bildung nachhaltig verbessern. Ich erinnere daran, daß wir beispielsweise in unseren Koalitionsvereinbarungen - Abschnitt IX Nr. 4 zugesichert haben, die in der 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes erfolgte Kürzung der Zuschüsse zu den Kosten der Meisterkurse ab 1992 rückgängig zu machen. Das zur Entscheidung vorliegende Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes begrüße ich. Es sollte aber lediglich der erste Schritt zur Verbesserung von Ausbildungs- und Berufsförderung in dieser Legislaturperiode sein. Im nächsten notwendigen zweiten Schritt müssen wir uns der Verbesserung der beruflichen Aus- und Weiterbildung annehmen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Graf von WaldburgZeil das Wort.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solche Aussprachen haben manchmal doch etwas Nützliches, wenn man etwas richtigstellen kann. Herr Kollege Hilsberg, es ist so, daß wir das, was Sie gerügt haben, genau in dieser Novelle verändern. In Zukunft sind die Einkommensverhältnisse aus dem letzten Kalenderjahr wieder zu bewerten. Das war der Gegenstand Ihrer Kritik. Wenn ich auf den Sinn unserer Debatten zurückkomme, dann schweifen meine Blicke ein wenig zurück auf zwölf Jahre, die ich jetzt mit dabei bin. ({0}) In den ersten zwei Jahren, lieber Kollege Kuhlwein, habe ich Sie genervt. Natürlich, es ist ja die Aufgabe der Opposition, Schwachstellen zu finden und mehr zu fordern. Ich erinnere mich z. B. an eine Episode, wo es um die nicht buchführenden Kleinlandwirte ging, von denen ich aus meinem Wahlkreis einiges wußte. Sie mußten, obwohl Sie mein Anliegen eigentlich verstanden hatten, von der Regierungsseite her einen anderen Standpunkt vertreten. ({1}) Die Jahre seit 1982 haben die umgekehrte Ordnung zutage gebracht. ({2}) Wenn ich mich auch an die vielen Debatten erinnere, so möchte ich doch eines zu überlegen geben, auch im Hinblick auf die heutige Debatte: Es sind sehr viele Detailthemen, über die wir uns im Ausschuß noch intensiv unterhalten müssen. Aber insgesamt, verehrte, liebe Frau Kollegin Odendahl, war mir Ihr Vortrag ein bißchen zu negativ in dem Sinne: alles ist ein Steinbruch gewesen, und was wir alles an dem BAföG heruntergeholt haben. Wir haben heute in der Debatte drei Themen. Das eine Thema ist der Bericht, das zweite Thema ist die BAföG-Novelle, und das dritte Thema ist der Bericht, der angefordert worden ist im Hinblick auf die ÄndeAlois Graf von Waldburg-Zeil rungsmöglichkeiten des BAföG im Europäischen Binnenmarkt. Der Herr Minister hat bereits darauf hingewiesen: In diesem Bericht steht - nicht nur, weil es die Bundesregierung so sagt, sondern auch unter Bezugnahme auf ein Prognos-Gutachten -, daß wir eine Spitzenstellung im BAföG haben. Das möchte ich einfach einmal sagen: Bei all den vollkommen berechtigten Diskussionen in Einzelpunkten sollten wir nicht übersehen, daß wir innerhalb Europas in der Tat eine absolute Spitzenstellung haben. ({3}) Diese Spitzenstellung allerdings führt uns in eine gewisse Problematik hinein. Diese möchte ich, nachdem die anderen Punkte alle schon angesprochen worden sind, gerne noch etwas vertiefen. Innerhalb Europas - so weist es auch das Prognos-Gutachten aus; es ist übrigens sehr schade, daß das von der Enquete-Kommission „Bildung 2000" angeforderte Gutachten zu diesem Felde noch nicht vorliegt ({4}) wird es ganz zweifellos ein entscheidender Vorteil für jemanden, der in Bildung und Ausbildung steht, sein, wenn er nicht nur ein inländisches Studium hat, sondern auch ein ausländisches Studium vorweisen kann. Das wird gerade in der Konkurrenz um internationale Besetzungen eine entscheidende Rolle spielen. Nun hat das auch in der BAföG-Debatte heute eine Rolle gespielt, weil von seiten des Bundesrates die Anregung gekommen ist, auch vollständige Studien im Ausland zu fördern. Die Bundesregierung kommt zu dem Schluß, daß man diese Förderung deshalb nicht vornehmen kann, weil wir eben diese Spitzenstellung haben. Das Ganze würde dazu führen, daß bei geringfügigen, kurzen Beschäftigungen ein Anspruch von Ausländern entsteht, in ihrem Heimatland zu den verbesserten Bedingungen des BAföG studieren zu können. Aus diesen Gründen und anderen Gründen, also z. B. dem, daß die Leistungskriterien nach zwei Jahren nicht anfallen könnten, wird empfohlen - übrigens: der BAföG-Beirat kommt zu demselben Ergebnis -, daß man statt dessen das Instrumentarium von Stipendien sehr viel stärker zusammenfassen und nochmals überprüfen sollte. Ich würde diese Anregung des BAföG-Beirates, Herr Minister, aufgreifen wollen. Ich hielte das für eine sinnvolle Sache; denn wir werden in Zukunft in der Europäischen Gemeinschaft eine Konkurrenz der Bildungssysteme haben, an der die Bildungsnachfragenden nutzbringend teilnehmen können. Insofern müssen wir neben dem Instrumentarium BAföG im Inland auch das Instrumentarium Stipendien für die vielfältigen Angebote im Ausland wahrnehmen können. Heute hat auch eine Rolle gespielt, daß der Bundesrat vielfältige Vorschläge gemacht hat. Aber es ist Ihnen sicher aufgefallen, daß einem Herzensanliegen der Opposition seit vielen Jahren bei diesen Vorschlägen nicht entsprochen wurde, nämlich der Wiedereinführung des Schüler-BAföGs. Hier spiegelt sich sehr deutlich wider - im Bundesrat hat ja die SPD die Mehrheit -, ({5}) daß jetzt, wo die Zeit für den Schwur reif wäre, wo der Bundesrat dies hätte vorschlagen können, das eben nicht durchsetzbar gewesen ist. ({6}) Dies zeigt die Notwendigkeit, auch in der Bildungspolitik finanzpolitisch zu handeln. Ich danke Ihnen. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2108, 12/2118, 12/1920 und 12/1900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung - dazu gehören die Drucksachen 12/2108 und 12/2118 - soll zusätzlich an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Familie und Senioren, der Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 12/1920 zusätzlich an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Damen und Herren, bevor wir zur Aktuellen Stunde kommen, hat der Abgeordnete Schulz um das Wort zur Geschäftsordnung gebeten. Bitte sehr, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zieht ihren Antrag betreffend die Aktuelle Stunde zurück. Es ist eine Zumutung, diese Problematik an den Rand der Plenartagung auf einen ihr wirklich nicht gebührenden Platz zu drängen. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Das zeigt offenbar, daß die Bundesregierung - wie schon bei der Entscheidung, diese UNO-Konferenz in Berlin abzusagen - der Menschenrechtsfrage einen untergeordneten Stellenwert beimißt. Das ist auch unfair gegenüber unserer Gruppe, die, wie Sie wissen, nicht die Möglichkeit hat, den Minister herbeizurufen, was mir in diesem Falle wirklich angebracht erscheint, weil er vermutlich der einzige ist, der über den wahren Hintergrund dieses Vorganges etwas sagen kann. Aber es geht auch um die Frage der Zulässigkeit von Aktuellen Stunden in diesem Hause. Wir haben in dieser Woche zwei erlebt; eine wurde von der CDU/ CSU zur Nachwäsche zum Steueränderungspaket und eine von der SPD zur aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt beantragt. Beide Themen waren nicht sonderlich brandaktuell. Das einzige Thema, das am Ende der vergangenen Woche die Medien und auch die Bürger wirklich interessiert hat, war die Absetzung dieser geplanten Konferenz. Sie soll nun als Wochenendveranstaltung des Bundestages stattfinden. Wir sind damit nicht einverstanden. Das ist kein Affront gegen Sie, die Sie Werner Schulz ({0}) sich darauf vorbereitet haben, sondern es ist ein Protest betreffend den Umgang mit diesem Thema, Herr Lummer, und den Umgang mit einem international peinlichen Vorgang. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Gerhart Baum das Wort.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn wir die Sitzungen des Bundestages, die am Freitag oder auch am Freitag mittag stattfinden, in ihrer Bedeutung abwerten, dann dürften wir hier schon ganz andere Themen nicht behandelt haben. ({0}) Es hat oft Situationen gegeben - übrigens auch am Vormittag -, wo wir in dieser Zahl hier getagt haben. ({1}) Es gibt ja Themen, die vollkommen aus dem Bereich des öffentlichen Interesses herausfallen. ({2}) - Die GRÜNEN selber sind ja wirklich nicht gerade sehr stark in ihrer Argumentation, wenn Sie hier ganz alleine sitzen. Das ist meine erste Bemerkung. Zweitens. Sie nehmen dem Parlament jetzt die Möglichkeit, auf dieses Thema einzugehen. Es geht ja nicht darum, daß wir diese Debatte scheuen. Im Gegenteil, wir hätten Ihnen in dieser Debatte eine Menge zu den Gründen der Absage und zur Menschenrechtspolitik überhaupt sagen können. Es ist schon etwas merkwürdig, daß wir nur über eine Absage, die begründet ist, diskutieren. Wir sollten eigentlich die Chance ergreifen, über unsere Menschenrechtspolitik zu reden. Ich bin der Leiter der deutschen Delegation bei der 48. Sitzung der Menschenrechtskommission in Genf, die bis zum 6. März stattfindet. Ich bedauere die Entscheidung, die Sie getroffen haben; Sie müssen sie verantworten. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Zur Geschäftsordnung hat sich nun der Abgeordnete Vogel ({0}) gemeldet.

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir haben überlegt, ob wir diese Aktuelle Stunde nicht unsererseits übernehmen sollten. Aber offenbar gibt es Zeitpläne, die vorher verteilt worden sind. Wir müssen feststellen, daß die vorgesehenen Redner der SPD-Fraktion nicht da sind. ({0}) - Sie sind doch da? - Dann bin ich der Auffassung, daß wir das Thema übernehmen und die Aktuelle Stunde durchführen sollten. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wenn das der Wunsch der Fraktionen dieses Hauses ist, dann kommen wir diesem Wunsch selbstverständlich nach. Das ist das gute Recht. Wir müßten uns allerdings über eine Veränderung der Rednerliste verständigen, weil natürlich nicht alle Abgeordneten, die reden wollten, anwesend sind. Ich muß mir einmal einen Moment die Aufstellung mit den gemeldeten Rednern ansehen. - Wir könnten dann an sich mit dem Abgeordneten Sauer ({0}) beginnen. Aber Sie wollten sich noch einmal zur Geschäftsordnung melden, Herr Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, das ist allerdings keine fristgemäße Beantragung einer Aktuellen Stunde. Meiner Meinung nach gibt unsere Geschäftsordnung eine Beantragung in dieser Weise nicht her.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Fraktionen sind nach unserer Auffassung durchaus in der Lage, hier gemeinsam eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Ich will mich aber vorsichtshalber noch einmal vergewissern und bitte um eine kurze Unterbrechung. Ich glaube, die Geschäftsordnungsinterpretation ist diese: Eine Aktuelle Stunde kann im Ältestenrat vereinbart werden. Dem Plenum steht es jedoch frei, Beschlüsse des Ältestenrates zu korrigieren oder zu verändern. Somit können auch die drei Fraktionen des Hauses eine Aktuelle Stunde jetzt beantragen. Das ist einer der Wege, die möglich sind. Trotz des Stirnrunzelns des Abgeordneten Dr. Hirsch erkläre ich diese Interpretation für die gültige und rufe die nunmehr von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. gewünschte Aktuelle Stunde auf: Aktuelle Stunde Absage der 1993 in Berlin geplanten Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen durch den Bundesminister des Auswärtigen Ich erteile zunächst dem Abgeordneten Sauer ({0}) das Wort. ({1}) - Wir sind jetzt in der Aktuellen Stunde.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat die Einladung des Bundesaußenministers vom 10. Mai 1991, die 2. Menschenrechtskonferenz in Berlin durchzuführen, ausdrücklich begrüßt, auch wenn diese mit dem Parlament und, wie ich glaube, auch mit dem Bundesfinanzminister nicht abgestimmt war. Wir haben ebenfalls seine Ausführungen zur Begründung vor den Vereinten Nationen am 25. September 1991 begrüßt. Auch die entsprechenden Ausführungen seines Staatsministers Schäfer in der Menschenrechtsdebatte am 6. DezemHelmut Sauer ({0}) ber 1991 haben wir CDU/CSU-Abgeordneten mit Beifall bedacht. Die CDU/CSU stimmte ferner während der UNO-Reformdebatte am 23. Januar 1992 mit der Stellungnahme von Staatsminister Schäfer überein, als dieser ausführte - ich zitiere -: Die Arbeit der Vereinten Nationen kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, hierzu finanziell, durch die Bereitstellung von qualifiziertem Personal und durch konstruktive politische Impulse beizutragen, nicht nur nicht nachläßt, sondern mit gestiegenen Erwartungen wächst. Wörtlich versprach Herr Schäfer: Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu leisten, die UNO stärker und wirksamer zu machen. Aber ich muß sagen, daß wir die Absage dieser Konferenz aus der Zeitung erfahren müssen, ist nun wirklich ein mieser Stil gegenüber dem Parlament und seinen Auschüssen. ({1}) Ich sage auch deutlich: Diese dem Parlament gegenüber von Herrn Genscher praktizierte Politik nach dem Motto „Vogel friß oder stirb" - damit meine ich nicht Dich, lieber Friedrich - ist ebenfalls unannehmbar. Nun zu den Absagegründen, zunächst zur Kostenfrage. Es gilt generell der Grundsatz: Wer die Musik bestellt, der muß auch zahlen. - Ich meine, jeder von uns weiß, wenn UNO-Tagungen außerhalb von New York, Wien, Nairobi oder Genf stattfinden, müssen die Gastgeberländer die Kosten in voller Höhe übernehmen. Warum hat man dann nicht rechtzeitig und sorgfältig vor der Einladung geprüft, welche UNO-Anforderungen in bezug auf den Teilnehmerkreis und die benötigten Einrichtungen gestellt werden? Warum verbreitet der Sprecher des Ministeriums, das Auswärtige Amt habe im Mai 1991 von Kosten in Höhe von 40 Millionen DM ausgehen müssen, wenn - nachlesbar in UNO-Dokumenten vom 1. und 26. März 1990 - ein Jahr vorher von höchstens 25 Millionen DM an Kosten und einer Teilnehmerzahl von 3 000 bis 4 500 Personen und keinesfalls von 20 000 Personen die Rede ist. Eigentlich hätte dem Herrn Bundesaußenminister schon bei 40 Millionen DM die Kostenbrisanz auffallen müssen, und zwar angesichts der Tatsache, daß sein eigenes Haus für die sogenannte humanitäre Hilfe weltweit nur 70 Millionen DM jährlich ausgibt. Dennoch erhebe ich nicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit, denn ich bin mir schon bewußt, wie schwer es für die Mitarbeiter und die Beamten des Auswärtigen Amtes ist, von der UNO-Bürokratie befriedigende Auskünfte zu erhalten. Aber ich möchte schon feststellen, daß die mir vorliegende Stellungnahme des UN-Menschenrechtszentrums in Genf von vorgestern, die Rechtfertigungen enthält, doch eine schallende Ohrfeige für das Auswärtige Amt ist. Zur Organisationsfähigkeit: Der Außenminister hat uns einen Bärendienst erwiesen, denn das Bemühen unseres Kanzlers und vieler anderer Politiker, UNO-Einrichtungen nach Bonn zu holen, und die Durchführung der Olympischen Spiele und auch der Expo 2 000 könnten, so fürchte ich, leiden. Unser weltweiter Ruf, wir Deutschen seien Organisationsgenies, hat sicherlich auch ein wenig Schaden genommen. Noch eine Schlußfrage: Ich habe den UNO-Botschafter am 27. Januar hier in Bonn empfangen. Er hat uns nicht über die Absage-Überlegungen unterrichtet. Die Frage ist: Ist selbst unser UNO-Botschafter nicht umfassend und rechtzeitig informiert worden? Ich bitte herzlich, noch einmal zu überprüfen und neu darüber zu verhandeln, ob es nicht möglich ist, die Konferenz mit 4 000 Teilnehmern - 1 000 Delegierte plus Troß und Presse - zu finanzieren. Ich meine, der Bundesaußenminister wäre gut beraten, wenn er mit den Kolleginnen und Kollegen im Parlament und in den Ausschüssen einen besseren Kontakt pflegen würde. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günter Verheugen.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Absage der UNO-Menschenrechtskonferenz durch die Bundesregierung tief bedauert. Wir hätten diese Konferenz gerade in Berlin, gerade in Deutschland und gerade zu diesem Zeitpunkt für wichtig und bedeutsam gehalten. Es ist die übereinstimmende Politik aller Fraktionen dieses Hauses, die Durchsetzung und Beachtung der Menschenrechte zu einem zentralen Thema der internationalen Politik der nächsten Jahre zu machen. Wir haben hier gestern eine leidenschaftliche Debatte über die Asylproblematik geführt. Auch bei dieser Gelegenheit ist deutlich geworden, daß die Schwierigkeiten, die wir in der Innenpolitik wegen der großen Zuwanderung von Füchtlingen haben, auch etwas damit zu tun haben, daß in vielen Teilen der Welt Menschenrechte verletzt, nicht beachtet, mit Füßen getreten werden, und wie wichtig es auch in unserem eigenen Interesse ist, dafür zu sorgen, daß die Menschenrechtspolitik weitere Fortschritte macht. ({0}) - Es wäre wichtig gewesen, Herr Kollege Baum, daß sie in Berlin stattgefunden hätte. ({1}) Die symbolische Bedeutung des Ortes Berlin für die Abhaltung dieser Konferenz haben wir alle ja gesehen und begrüßt. Deshalb ist der Zuschlag ja auch erteilt worden. Wenn ich es richtig sehe, hat nicht Deutschland, sondern Berlin den Zuschlag bekommen. Mir scheint aber, daß bei der Vorbereitung dieser Konferenz nicht nur organisatorische Mängel aufgetreten sind. Könnte es vielleicht sein, daß man etwas spät gemerkt hat, daß man gar nicht so richtig weiß, worauf man eigentlich hinaus will, welches Ergebnis diese Konferenz eigentlich haben soll? ({2}) - Herr Kollege, ich kann nicht an der Sitzung eines Unterausschusses teilnehmen, dem ich nicht angehöre. ({3}) Aber ich habe mir erlaubt - das ist ja möglich -, Protokolle nachzulesen. Aus diesen Protokollen geht nicht hervor, daß eine klare Zielsetzung dieser Konferenz Bestandteil der Konzeption der Bundesregierung gewesen wäre. Zum Beispiel konnte ich nicht finden, daß das Konferenzergebnis die Schaffung eines wirklich durchsetzungsfähigen Menschenrechtsregimes im Rahmen der Vereinten Nationen gewesen wäre. ({4}) Der Punkt ist der, daß die Bewerbung, die die Bundesregierung ausgesprochen hat - um das mindeste zu sagen -, nicht gründlich vorbereitet war. Denn wie große Konferenzen dieser Art ablaufen, ist wirklich bekannt. Wir diskutieren lange genug z. B. über die Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio und wissen, daß das keine kleinen Unternehmen sind. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich kritisiere hier nicht die Tatsache, daß sich die Bundesregierung zu einem Zeitpunkt, wo sie offenbar gesehen hat, diese Sache ist finanziell nicht leistbar, zu einer Absage entschließen mußte. Ich kritisiere vielmehr, daß sie, ohne die Folgen zu bedenken, ohne es wirklich durchzurechnen, ohne sich genau zu informieren, diese Bewerbung ausgesprochen und unter Einsatz großer diplomatischer Mühen - nicht nur Diplomaten sind eingesetzt worden, sondern auch Mitglieder dieses Hauses sind gebeten worden, sich dafür einzusetzen, daß die Konferenz nach Berlin kommt, ({5}) was wir gern gemacht haben, Herr Hirsch - und unter Wegdrängen anderer Bewerber diese Konferenz geholt hat und sich offenbar nicht klar darüber ist, was das wirklich bedeutet. Das Faktum, daß man zuerst sagt: Wir machen es, und dann kleinlaut zugeben muß: Wir können es nicht, verursacht den außenpolitischen Schaden, der gar nicht wegzudiskutieren ist. Auch Kollege Sauer hat gar nicht versucht, ihn wegzudiskutieren. Hier ist ein schwerer Vorwurf zu erheben. Ich muß wirklich darum bitten, daß in dieser Debatte klargestellt wird, wie so etwas möglich war. Das Bild, das sich jedenfalls mir darstellt, ist ein etwas anderes. Ich glaube nicht, daß dem Auswärtigen Amt, dessen Leistungsfähigkeit ich gut kenne und beurteilen kann, wirklich ein so gravierender Fehler unterlaufen ist. Ich glaube vielmehr, daß in einer bestimmten Phase der Vorbereitung an einer ganz anderen Stelle der Gedanke entstanden ist, daß es vielleicht unpopulär sein könnte, soviel Geld für eine Menschenrechtskonferenz auszugeben. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich bisher gehört habe, waren in meinen Augen etwas gequälte Versuche, aus der Absage des Tagungsorts Berlin für die Menschenrechtskonferenz eine politische Aktion zu machen. Lieber Kollege Sauer, wenn Sie das dem Außenminister ankleben wollen, dann muß man Ihnen sagen, ({0}) daß die Entscheidung in Abstimmung mit dem Bundeskanzler getroffen worden ist. Sicher wird der Bundeskanzler die Rede mit großem Vergnügen lesen, die Sie gehalten haben, ({1}) - wenn er sie überhaupt liest. ({2}) Nun zur Sache. ({3}) Die Absage wäre nur dann ein wirkliches politisches Faktum, wenn sie eine Änderung der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung signalisieren oder bedeuten würde. Das wird bisher nur von der Opposition dieses Hauses angedeutet bzw. sie versucht, es so darzustellen, und sonst von keinem international ernstzunehmenden Partner. Ich habe das von keinem ernstzunehmenden Politiker im Ausland bisher gelesen, außer von denen, die sich an diesem Feuer die Hände wärmen wollen. Dann sollte die Opposition dieses Hauses nicht versuchen, ihrerseits dadurch, daß sie Zweifel an der Menschenrechtspolitik aus ganz internen Gründen schürt, erst wirklich einen Schaden herbeizuführen. Ich halte das nicht für in Ordnung. Es ist über alle Zweifel erhaben, daß wir diese Menschenrechtskonferenz wollen und daß sie ihre Aufgabe erfüllen soll, zu einer Überprüfung der Instrumentarien zu kommen, sie zu institutionalisieren, wenn irgend möglich. Mein Kollege Baum wird das nachher im einzelnen noch darstellen. Wir sollten einen anderen Gesichtspunkt nicht ganz außer acht lassen. Wir beklagen uns normalerweise darüber, daß Vorgänge, wenn sie ein bestimmtes Stadium erreicht haben, von Menschenhand nicht mehr zu steuern sind, daß ein politischer Apparat nicht die Kraft hat, eine Entscheidung zu revidieren, wenn man sieht, daß sie falsch war. Nun frage ich mich seit langem, was internationale Konferenzen bewirken sollen, an denen Tausende von Menschen vierzehn Tage lang teilnehmen. Wenn der Deutsche Bundestag mit ca. 600 Mitgliedern voll präsent ist, sind wir gerade noch in der Lage, einigermaßen vernünftige Entscheidungen zu treffen. Aber wenn ich sehe, wie z. B. die Weltwirtschaftsgipfel zu einem Schaustellerkongreß entartet sind, oder wenn ich sehe, wie die Olympischen Spiele eine Dimension erreicht haben, die man ehrlicherweise kaum noch vertreten kann, und dann höre, daß hier die Forderung gestellt wird, daß für 13 000 Teilnehmer innerhalb von 14 Tagen ein Aufwand von 100 Millionen DM notwendig ist, muß ich fragen, was eigentlich bei einer solchen Konferenz wirklich herauskommen soll. ({4}) Mich interessiert gar nicht im einzelnen, wie das in der Bürokratie des Auswärtigen Amtes gelaufen ist - das werden wir gleich noch hören -, aber ich halte es für nicht vertretbar, wenn sich eine Mammutkonferenz plötzlich entwickelt und 100 Millionen DM ausgegeben werden sollen, ohne daß irgend etwas in dieser Stadt zurückbleibt; das halte ich für weit überzogen. Ich glaube, daß man den eigentlichen politischen Zweck auch in anderer, vernünftiger Weise erreichen kann und erreichen sollte. ({5}) Wenn einer hergeht und sagt: Nun hören wir auf mit dieser Art des Wachstums, dann würde ich ihn dafür nicht schelten, sondern loben. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Stachowa.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlaß, der zu dieser heutigen Aktuellen Stunde geführt hat, ist für mich schlicht und einfach beschämend. Da hat die Bundesregierung noch vor wenigen Monaten mit Vehemenz gekämpft, um die Durchführung der größten Menschenrechtskonferenz der UNO seit 1976 überhaupt übertragen zu bekommen. Sie hat, so nehme ich an, in diesem Bemühen schlagkräftige, überzeugende Argumente ins Feld geführt und andere Bewerber übertroffen. Sie hat den Eindruck zu erwecken versucht, immer und überall auf der Welt konsequenter Verfechter der Menschenrechte zu sein, diese zu verteidigen und einzuklagen. Sie hat mit Wort und Tat den Anschein erweckt, ein würdiger Gastgeber dieser Konferenz sein zu wollen. Ich zitiere Außenminister Genscher aus seiner Rede im September 1991 vor der UNO-Vollversammlung: Wir freuen uns darauf, diese Konferenz in Berlin durchzuführen, diesem Symbol für eine neue Ära der Menschlichkeit und der Zusammengehörigkeit in Europa. Meine Damen und Herren, das war vor knapp einem halben Jahr. Und nun diese Absage! Eine Konferenz dieser politischen Dimension und Bedeutung kann nicht einfach abgesagt werden wie ein bilaterales Treffen, das auch noch einige Tage später durchzuführen ist. Die Weltöffentlichkeit hat diese Entscheidung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Die Bundesregierung muß sich nach den tatsächlichen Gründen fragen lassen. Sie liegen wohl kaum in den Kosten, über die noch zu reden sein wird. Egal, welche Worte heute hier im Bundestag dazu gefunden werden, es bleibt eine Fehlleistung deutscher Außenpolitik. ({0}): Beifall für die SED!) Sollte sich die Befürchtung bestätigen, daß damit die Durchführung dieser Konferenz 1993 gescheitert ist, dann muß sich die deutsche Außenpolitik auch die Frage gefallen lassen, wie glaubwürdig und verläßlich sie eigentlich ist. Zusätzlich erhebt sich die Frage: Hat die Bundesregierung vielleicht etwas zu verbergen? Wird die Absage etwa von der Befürchtung diktiert, die Vertreter der ca. 170 teilnehmenden Staaten oder die anreisenden Journalisten könnten bemerken, daß es auch im geeinten Deutschland Probleme mit der umfassenden Verwirklichung der Menschenrechte gibt? ({1}): Jetzt machen Sie sich aber lächerlich! - Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Ausgerechnet die PDS erzählt so etwas, die Menschenrechte überhaupt nie akzeptiert hat! Setzen Sie sich! Das ist unverschämt!) Daß die großen Worte nach außen nicht immer mit der Realität im Innern übereinstimmen! Niemand wird doch wohl negieren wollen, daß Abwicklung und Berufsverbote, daß Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit und Sturm auf Asylantenheime, Stasi-Hysterie inzwischen leider schon alltägliche Vorgänge sind, die grundlegende Menschenrechte tangieren. ({2}) Gestatten Sie ein Wort zu den in den Medien genannten Konferenzkosten von 100 Millionen DM: Daß eine Konferenz dieser Größe Geld kostet, haben das Auswärtige Amt und die Bundesregierung auch vor einem Jahr gewußt. Schwer verständlich ist deshalb, daß ein im Organisieren von Konferenzen nicht gänzlich unerfahrener Stab im Auswärtigen Amt nicht rechtzeitig eine ordentliche Kostenrechnung vorgenommen haben soll. Vor einem halben Jahr hätten längst Überlegungen gemeinsam mit dem Senat von Berlin darüber fällig sein müssen, wie sich die Durchführung dieser Konferenz in die städtebauliche Planung, überhaupt in die Entwicklungspläne der neuen alten Hauptstadt einbringen läßt. Im übrigen kann ich mir durchaus vorstellen, daß diese Summe gerade in Anbetracht der wirtschaftlichen wie sozialen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern willkommen, ja bitter nötig wäre, z. B. um Kleininvestoren zu helfen. ({3}) Nehmen Sie diese Summe doch aus dem Verteidigungshaushalt 1992! Nur 1 % Einsparung bei den über 10 Milliarden DM für Forschung und Entwicklung und militärische Beschaffung würde ausreichen, um die Konferenz zu finanzieren. Zugleich würde etwas für die Abrüstung getan. Eine letzte Bemerkung: Ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben kann die Bundesregierung ihre Absage nicht zurücknehmen. Deshalb betrachte ich die vielleicht wohlgemeinten Diskussionen über die Durchführung der Konferenz in Bonn, was ich mir persönlich bei der Größe dieser Konferenz auch kaum vorstellen kann, als überflüssig. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich der Staatsministerin Frau Seiler-Albring das Wort.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh über die Gelegenheit, hier darstellung zu können, welche Daten und Fakten dazu geführt haben, daß das Mandat zur Ausrichtung der Menschenrechtsweltkonferenz seitens der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben werden mußte. Die Bundesregierung hat sich die Entscheidung, das Mandat zur Ausrichtung der Menschenrechtsweltkonferenz 1993 in Berlin an die Vereinten Nationen zurückzugeben, nicht leicht gemacht. Auch ich bedaure, daß diese Entscheidung notwendig wurde. Wir haben das Für und Wider sorgfältig erworgen und sind zu dem Ergebnis gekommen: Unsere Verantwortung für den Aufbau in den neuen Bundesländern, für die Planung und Gestaltung der deutschen Hauptstadt rechtfertigt keine andere Entscheidung. ({0}) Lassen Sie mich kurz auf die Vorgeschichte eingehen. Der Beschluß, eine Weltkonferenz über Menschenrechte im Jahre 1993 abzuhalten, wurde im Dezember 1990 von der 45. Generalversammlung der Vereinten Nationen gefaßt. Im Mai 1991 hatte die Bundesregierung gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen die Einladung ausgesprochen, diese Konferenz in Berlin auszurichten. Im September 1991 gab dann das Vorbereitungskomitee der Konferenz auf seiner ersten Sitzung eine entsprechende Empfehlung an die Generalversammlung ab. Dem Vorbereitungsausschuß lag zu diesem Zeitpunkt lediglich die deutsche Einladung vor. Die Entscheidung der Generalversammlung für den Konferenzort Berlin fiel am 17. Dezember 1991. Grundsätzlich gilt nach einer allgemeinen Regelung der Generalversammlung, daß Konferenzen der Vereinten Nationen an deren Sitz stattfinden sollen. Übernimmt ein Staat die Gastgeberrolle, hat der die gleichen Arbeitsbedingungen wie am Sitz der Vereinten Nationen zu schaffen und alle zusätzlichen direkten und indirekten Kosten zu übernehmen. Die Vereinten Nationen übermitteln dem Gastland die technischen Vorgaben, die zusammen mit anderen Verpflichtungen in einem rechtsverbindlichen Dokument, einem sogenannten Host Country Agreement, festgeschrieben werden. Anfang Dezember 1991 wurde uns als Referenzmaterial das Host Country Agreement, das die Vereinten Nationen mit Brasilien zur Ausrichtung der Konferenz über Umwelt und Entwicklung abgeschlossen haben, übergeben. Die darin enthaltenen Parameter wurden uns von den Vereinten Nationen als verbindliche und nicht verhandelbare Vorgabe genannt. Ich möchte Ihnen daraus einige Zahlen über die von den Vereinten Nationen erwarteten Teilnehmer nennen. Erwartet wurden Delegationen aus etwa 170 Ländern mit insgesamt 5 000 Mitgliedern, 1 000 Bedienstete der Vereinten Nationen, 4 000 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, International Council of Women, Interparliamentary Union, Weltgewerkschaftsbund, Helsinki-Gruppen aus aller Welt. Der Dialog mit diesen wichtigen, für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte unerläßlichen Organisationen ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Menschenrechtsweltkonferenz. ({1}) - Das kommt noch, Herr Kollege Hirsch. Hinzu kämen 5 000 Vertreter der internationalen Medien aus Deutschland und dem Ausland. ({2}) - Ganz richtig. Dies ergibt eine Gesamtzahl von 15 000 Personen. Diese Gesamtzahl führt zu der verbindlichen Vorgabe, Arbeitsmöglichkeiten, Kommunikationsmittel, Unterbringung und Transport für diese Personenzahl zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, soeben einen Zwischenruf gehört zu haben. Ich sage noch einmal: Diese Daten, Fakten und Zahlen sind uns seitens der Vereinten Nationen als nicht verhandelbar, Herr Kollege Sauer, mehrmals mitgeteilt worden. ({3}) - Das brauchen Sie nicht schriftlich zu haben. Sie können es hier von mir als gegeben annehmen, Herr Kollege Lummer. ({4}) - Lieber Herr Kollege Lummer, lassen Sie mich doch bitte ausreden! Sie wissen ganz genau - wir beide waren in der Sitzung -, daß die Bundesregierung Ihnen selbstverständlich zugesagt hat, den Ablauf und die Daten und Fakten dem Ausschuß zur Verfügung zu stellen. Wir haben doch überhaupt keinen Grund, dies nicht zu tun. ({5}) - Herr Kollege, das steht im Belieben des Parlaments. Ms Raumbedarf für eine solche Konferenz wurde angegeben: drei Plenarsäle mit jeweils 1 000 Plätzen und zusätzlich weitere Konferenzräume, 400 Delegationsbüros, 200 Büros für den Stab der Vereinten Nationen und 200 Büros für den Organisationsstab sowie ein Pressezentrum. ({6}) Diese Arbeitsplätze und Räume müssen natürlich in einem sinnvollen räumlichen Zusammenhang stehen, dürfen also nicht über den Gesamtraum einer Großstadt verteilt werden. ({7}) - 17 Tage. Aber das macht es nicht besser. Die Anforderungen der Vereinten Nationen hätten nur durch Einsatz umfangreicher mobiler Bauten ohne bleibenden Infrastrukturnutzen erfüllt werden können. Wir haben aus diesen Vorgaben zügig konkrete Pläne entwickelt und die Kosten geschätzt. Ich möchte auch hierzu einige Zahlen nennen: Allein für die Kosten für mobile Baumaßnahmen und Mieten ergab sich ein Voranschlag von 40 Millionen DM. Hinzu wären u. a. folgende Positionen gekommen: Konferenztechnik 12 Millionen DM, Innenausbau 4 Millionen DM, Telekommunikation 1 Million DM, Honorar für 300 Dolmetscher, Übersetzer und Schreibkräfte 3,5 Millionen DM, Betreuung der NGOs 2 Millionen DM. ({8}) Das sind zusammen mehr als 90 Millionen DM. ({9}) Auf Grund dieser Vorgaben lagen die Elemente für eine abschließende Bewertung vor. Es ging nicht darum, ob Berlin in der Lage ist, eine solche Konferenz auszurichten. ({10}) Keine andere Stadt in Deutschland wäre besser geeignet gewesen als Berlin, dieses weltweite Symbol für die Sehnsucht der Menschen nach Demokratie und Menschenrechten. Bei der Entscheidung der Bundesregierung ging es allein darum, ob die begrenzten Haushaltsmittel nach der Vereinigung und angesichts der Probleme, die sich in Berlin durch das Zusammenwachsen der Stadt und ihre Vorbereitung auf die Hauptstadtfunktion ergeben, eine solche Ausgabe zulassen. Es fiel ferner ins Gewicht, daß es besser ist, unmittelbar nach dem Zuschlag der Generalversammlung und vor Abschluß eines Host Country Agreements klare Verhältnisse zu schaffen, ({11}) als Verpflichtungen zu übernehmen, die unvertretbar hoch erscheinen ({12}) und deren konkrete Höhe, wie häufig in solchen Fällen, noch über den vorläufigen Ansätzen liegen könnte. ({13}) - Wenn Sie sich erinnern, Herr Kollege Lummer: ({14}) Ich sagte, daß das Host Country Agreement Anfang Dezember 1991 übergeben worden ist. ({15}) Mit Schreiben vom 12. Februar 1992 hat der Bundesminister des Auswärtigen dem Generalsekretär der Vereinten Nationen das Ergebnis unserer Untersuchungen mitgeteilt. Es liegt jetzt an der Generalversammlung, erneut über den Konferenzort zu beschließen. Italien hat seine Bereitschaft erklärt, die Ausrichtung zu übernehmen. Lassen Sie mich hier mit aller Deutlichkeit feststellen: Die Konferenz wird stattfinden. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich auch weiterhin aktiv an der Vorbereitung der Weltkonferenz beteiligen. Wir sehen in dieser Konferenz einen bedeutsamen Beitrag zur Stärkung der Menschenrechte überall in der Welt und fühlen uns deshalb ihren Zielen in besonderer Weise verbunden. Die Verteidigung und der weitere Ausbau der Menschenrechte sind zentrales Anliegen deutscher Außenpolitik. Unsere Partner und Freunde und die übrigen Mitgliedstaaten im Weltparlament der Vereinten Nationen wissen dies. Die Mutmaßungen und Unterstellungen, daß die Ziele der Konferenz nicht nachdrücklich und ausdrücklich die Zustimmung der Bundesrepublik finden, weise ich zurück. ({16}) Die Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe, der Vorschlag zur Vermeidung von Flüchtlingsströmen und viele andere Schritte zur weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte sind mit unserem Namen verbunden. ({17}) Unsere langjährige, aktive Mitarbeit in der Menschenrechtskommission und in den zahlreichen Menschenrechtsausschüssen der Vereinten Nationen ist bekannt; ebenso bekannt sind unsere häufigen Demarchen zur Verteidigung der Menschenrechte im deutschen oder europäischen Namen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Staatsministerin - Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Dieses Engagement, meine Damen und Herren, trägt dazu bei, daß wir für unsere verantwortungsvolle Entscheidung weltweit Verständnis finden. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich wollte Sie darauf aufmerksam gemacht haben, daß Sie zu Ende kommen müssen, anderenfalls die Debatte wieder eröffnet würde. Und das wollte ich denn doch tunlichst vermeiden. Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Heinrich Lummer das Wort. ({0})

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt wegen eines Zeitabschnitts, in dem man nicht alles so ernst nehmen soll, 14 Tage Sitzungspause. Menschen sind wir allzumal, und wir machen auch Fehler. Aber wer wirklich Größe hat, gibt dann auch zu, daß er einen gemacht hat. ({0}) Meine Damen und Herren, in der schon erwähnten Stellungnahme des Menschenrechtszentrums der Vereinten Nationen heißt es, daß die Erklärungen zur Absage seitens der Bundesregierung beides seien: verworren und unrichtig, also: disturbing and inaccurate. Very indeed! Wenn man sich den Vorgang richtig vornimmt und ihn richtig studiert, kommt man zu dem nämlichen Ergebnis: Wir wissen nicht alles. ({1}) Aber alles, was wir wissen, führt uns zu der Bewertung: Es fällt verdammt schwer, keine Satire zu schreiben, und das tut einem natürlich leid. Also, da geht man los, um in der internationalen Politik eine bestimmte Gunst gewährt zu bekommen, die Werbetrommel wird kräftig gerührt, man nimmt den Mund ziemlich voll man ist ja schließlich wer -, und dann bekommt man auch den Zuschlag. Dann hat man ihn, denkt ein bißchen darüber nach und gibt ihn zurück. - Meine Damen und Herren, da lachen wirklich nicht nur die Hühner - tut mir leid , sondern das ist schon eine Sache, die ein bißchen wehtut, wenn man so den Mund gespitzt hat und nacher nicht pfeifen kann. Es ist, wie schon gesagt, kein Ruhmesblatt. Auch ohne Zwiebeln könnten einem glatt die Tränen kommen. Meine Damen und Herren, man muß an die Adresse dieses bedeutenden Amtes leider sagen: Nimm den Mund nicht so voll, wenn du hinterher den Schwanz einziehen mußt! Det bringt nischt. So, es wurde also abgesagt. Dafür, meine Damen und Herren, muß man natürlich ein paar Gründe finden, und das ist der Punkt, der mich interessiert, weil ich Berliner bin. Da wird gesagt, die Verlegung des Sitzes der Bundesorgane von Bonn nach Berlin sei beschlossen worden. Wenn das ein Grund sein soll, kann ich nur sagen: Das wußte man auch vorher. Das kann also im nachhinein nicht als Entschuldigung dienen, steht aber in dem Brief, den Herr Genscher geschrieben hat. Weiter wird gesagt, daß die Anforderungen der Vereinten Nationen so seien, daß das in Berlin nicht geleistet werden könne. Wenn man sich als Berliner hier so als wohlfeiler Blitzableiter fühlen muß, denn find ick det nich jut, zumal dann nicht, wenn man in Genf auf den Gängen in schöner Eindeutigkeit sagen hört: Berlin kann die Voraussetzungen für eine solche Konferenz allemal erfüllen. ({2}) Und in Bescheidenheit, die man den Berlinern ja nachsagt, darf ich fragen: Wo in der Welt wollen Sie denn sonst solche Voraussetzungen finden? Es bleiben doch verdammt wenig Orte übrig, obwohl die Vereinten Nationen sehr genau darauf achten, daß solche Konferenzen sogar in Entwicklungsländern durchgeführt werden. - Also, mit der Berlin-spezifischen Begründung, det war nischt. Ich ernenne mich jetzt einfach einmal zum Vertreter Berlins und sage: Das, was an Begründung geliefert wurde, weise ich mit Entschiedenheit zurück, weil das so gar nicht zutreffend ist. ({3}) Ich meine, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Jetzt bewirbt sich Bonn, und damit wird noch deutlicher, was das Ganze eigentlich bedeutet. ({4}) Meine Damen und Herren, offenbar sind die Gründe, die zur Absage geführt haben, ganz anderer Natur. Bei Goethe heißt es ja: Nach Golde drängt Am Golde hängt Doch alles! Das, meine Damen und Herren, kann ich sogar verstehen. ({5}) -„Ach wir Armen", da haben Sie sich doch nicht angesprochen gefühlt, Herr Kollege, vermute ich mal. ({6}) - Aber ich bitte Sie! Ich will sagen: Wenn man als Begründung anführt, die Sache ist zu teuer, das geht vielleicht zu Lasten humanitärer Hilfe - ja, wer sähe das denn nicht ein? Das wäre eine wirklich triftige Begründung. Wenn das aber die Begründung ist, warum nennt man sie denn nicht? Hat man Angst, daß die einen einen für geizig, die anderen einen für arm halten? Ich weiß es nicht. Aber bei der Wahrheit sollte man doch tunlichst bleiben. Jedenfalls möchte ich nicht, daß man die Wahrheit auf Kosten Berlins vernachlässigt; das habe ich nun wirklich überhaupt nicht gern. Nun kommt noch etwas Weiteres hinzu, Frau Staatsministerin; da bin ich wirklich ein bißchen ärgerlich, weil ich die Wahrheit bis zu diesem Zeitpunkt nicht weiß. Wir haben immerhin zwei Tage gehabt, während deren Sie uns hätten aufklären können. Denn die Vereinten Nationen haben ja in der erwähnten StelHeinrich Lummer lungnahme gesagt, sie seien durchaus verhandlungsbereit gewesen. ({7}) - Das müßte man auch prüfen, das wäre ja alles zu prüfen. Sie seien verhandlungsfähig gewesen, es gebe keine unabdingbaren preconditions. Man sagt: Wie kommt man auf 15 000 Personen? Vielleicht wären es 5 000 oder 6 000, vielleicht auch nur 4 000 gewesen, die hätten's auch getan. Wenn das aber so ist, dann kommt man unter Umständen an den Punkt, wo man sagt: Vielleicht haben wir sogar voreilig abgesagt, weil die 100 Millionen DM gar nicht stimmen. Das wäre dann wirklich bitter, wenn man sich vorher so für Berlin einsetzt, hinterher aber möglicherweise aus unzutreffenden Gründen absagt. Alle sagen doch mit Recht, unser Außenminister ist nicht nur am längsten im Dienst, ein alter Hase, ein gewiefter Fuchs. ({8}) Aber das Bild stimmt jetzt nicht mehr, denn es ist ein anderes, und darüber bitte ich doch einmal nachzudenken. Jedenfalls ist das Bild dieser letzten Monate: Der reist da mit Schecks durch die Welt und gibt sie überall ab, stimmt nicht überein mit dem sparsamen Außenminister in dieser Sache. Ich bitte also darum, uns doch wissen zu lassen, was wirklich Sache ist, damit wir uns ein eigenes und vollständiges Urteil bilden können. Es werden sicher einige kommen und bei dem Punkt sagen: Früher war er doch ungewöhnlich großzügig. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man den Vortrag aus dem Außenministerium hier anhört, dann hat man den Eindruck, „der mit den Ohren" will sich ein neues Image als „der mit dem Taschenrechner" erwerben. ({0}) Die Ausladung der Vereinten Nationen für die in Berlin geplante UN-Menschenrechtskonferenz dürfte ein in der Geschichte der Vereinten Nationen wohl einmaliger Vorgang sein. Neben dem politischen Scherbenhaufen, der damit für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen angerichtet worden ist, hat auch die inhaltliche Zielsetzung, der Einhaltung und dem Schutz der Menschenrechte nach der Überwindung des OstWest-Gegensatzes in der Beziehung zwischen den Staaten und in den Staaten mehr Bedeutung beizumessen, einen schweren Rückschlag erlitten. ({1}) In den internationalen Beziehungen hat sich immer deutlicher der Grundsatz durchzusetzen begonnen, daß die Verletzung der Menschenrechte keine innere Angelegenheit der Staaten mehr darstellen darf, sondern eine innere Angelegenheit der Staatengemeinschaft als Ganzes sein solle, daß die Souveränität heute ihre Schranken finden müsse in der Verantwortung der Staaten für die Einhaltung der Menschenrechte und daß dann, wenn die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, die Völkergemeinschaft nicht nur zuschauen könne, sondern einschreiten müsse. ({2}) Die allmähliche Ausweitung, Verfestigung und Durchsetzung dieses Gedankengutes in der UN ist auch eine diplomatisch äußerst schwierige und sensible Aufgabe. ({3}) Die Regierungen etlicher Länder, welche die Rechte ihrer Bürger unterdrücken oder die Menschenrechte ständig mißachten, haben ein Interesse daran, die Ausweitung des Menschenrechtsgedankens in der UN zu behindern und zu stören. Mit der seit 1948 zweiten UN-Weltkonferenz zu diesem Thema verbindet sich die Hoffnung, das Ansehen und die Bedeutung der Menschenrechte im UN-System zu stärken. Allen Gegnern dieser Entwicklung muß es äußerst gelegen kommen, daß es jetzt zu diesem Absagespektakel um die Konferenz gekommen ist. ({4}) Statt den Menschenrechtsgedanken im UN-System zu stärken, hat die Bundesregierung nolens volens den Verächtern und Unterdrückern der Menschenrechte indirekt Auftrieb gegeben. ({5}) Mit der geplanten UN-Menschenrechtskonferenz verbinden sich große Hoffnungen zur Weiterentwicklung und Stärkung des internationalen menschenrechtlichen Instrumentariums. Der durch die Vereinten Nationen garantierte völkerrechtliche Schutz der Menschenrechte kennt ein differenziertes, unübersichtliches und teilweise wenig wirkungsvolles System von Gremien und Verfahren. Dieses System braucht dringend eine Neuordnung und Festigung, vor allem aber eine Stärkung im Bereich der Tatsachenermittlung und der Verbindlichkeit der Beschlüsse. Es geht um die Schaffung eines UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, ({6}) um die Schaffung eines UN-Menschenrechtsgerichtsholes und die Arbeiten an einem internationalen Verbrechenskodex für Straftaten gegen die Menschheit und einen internationalen Strafgerichtshof. Nun wissen wir, daß ein gastgebendes Land auf einer solchen Konferenz keine Sonderrolle hat, daß es aber die Möglichkeit besitzt, bei der Präsentation eines konkreten Vorschlages für diese Menschenrechtsinstitutionen größere Wirkungsmöglichkeiten zu entfalten, als wenn diese Vorschläge in einem anderen Land vorgebracht würden. Natürlich bedeutet die Absage der Konferenz in Deutschland nicht, daß die Bundesregierung nicht aufgefordert bleibt, einen operativen Vorschlag für die Errichtung eines UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und einen UN-Menschenrechtsgerichtshof vorzulegen. ({7}) Wie aber will sie nach dem Absagedebakel mit dem geschwächten Ansehen diese äußerst schwierige diplomatische Mission noch mit der nötigen Glaubwürdigkeit wahrnehmen können? Wir erwarten hier und heute eigentlich eine deutliche Aussage der Bundesregierung, ob sie denn wenigstens die inhaltlichen Arbeiten an den genannten Projekten fortsetzen will ({8}) und ob sie konkrete Vorschläge in das UN-System noch einbringen will. ({9}) Es stelllt sich übrigens die Frage, ob es hinter den genannten Gründen nicht Gründe hinter den Gründen gegeben hat. Ich gehöre dem Deutschen Bundestag jetzt in der fünften Legislaturperiode an. Ich habe als Abgeordneter einer Regierungsfraktion und als Oppositionspolitiker viele weise und weniger weise Regierungsentscheidungen erlebt und auch ertragen müssen. Das Ausmaß der politischen Torheit dieser Entscheidung der Bundesregierung zur Absage der UN-Menschenrechtskonferenz in Berlin wird es schwer haben, überboten zu werden. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gerhart Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in der vergangenen Woche als Leiter der Delegation bei der diesjährigen Menschenrechtskonvention in Genf dargelegt, welche Bedeutung die Bundesregierung den Menschenrechten und der Konferenz beimißt. Alles, was Sie gesagt haben, ist hier unzweifelhaft ausgeführt. An unserer Politik lassen wir nicht zweifeln. Sie wird fortgesetzt, und sie ist nicht mit der Absage der Konferenz in Berlin verbunden. Ich habe diese Absage in der letzten Woche in der Vollversammlung vertreten. Ich habe natürlich eine Reaktion des Bedauerns vernommen. Ich verschweige nicht: Natürlich hätten wir und hätte auch ich die Konferenz gerne in Berlin gesehen. Aber die Gründe haben Verständnis gefunden. Es hat in dem zuständigen Gremium überhaupt keine Debatte gegeben, die mit dem vergleichbar wäre, was die Opposition hier veranstaltet. ({0}) Selbstverständlich wird die Konferenz stattfinden. ({1}) Und selbstverständlich bezweifelt niemand unser Engagement in Menschenrechtsfragen wegen dieser Absage. Was Sie hier sagen, ist doch absurd. ({2}) Ich habe auch keine derartige Stellungnahme des Menschenrechtszentrums gehört. Ich habe mit dem Leiter geredet. Er hat mir das gleiche Verständnis entgegengebracht wie die Delegationsleiter der anderen Länder. Ich habe bekräftigt, daß wir uns bei der Vorbereitung in der Sache genauso beteiligen wie bisher. Herr Verheugen, die Tagesordnung steht ja fest. Da liegt doch nichts im Dunkeln. Die Ziele sind aufgestellt. ({3}) Wir werden eine Bestandsaufnahme „25 Jahre nach Teheran" machen müssen. Wir werden in einer veränderten Welt Orientierungspunkte setzen müssen. Wir haben gestern eine Bestandsaufnahme der Zwölf in bezug auf die einzelnen Länder vorgelegt. Wir haben 34 Länder genannt, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Der portugiesische Vertreter hat dies unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesregierung vorgetragen. Wir werden uns über die Verbesserung des Instrumentariums unterhalten. Es gibt interessante Vorschläge, die in die Richtung des Hochkommissars weisen, dessen Einrichtung übrigens noch nicht Allgemeingut der Überzeugung ist, auch nicht in der Europäischen Gemeinschaft. Das ist unser Vorschlag. Wir unterstützen jetzt einen Vorschlag der Österreicher, die die Handlungsfähigkeit der Konferenz auch zwischen den Sitzungsperioden herstellen wollen. Dies ist also ein Schritt hin zum Hochkommissar. Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß wir unsere Aktivitäten vermindert hätten. Wir haben uns intensiv überlegt, wie wir die beratende Funktion der UN ausbauen. Die UN hat gegenüber jungen und neuen Demokratien eine sehr wichtige beratende Funktion. Auch das wird auf der Konferenz ein Tagesordnungspunkt sein. Wir werden auch unseren Etatbeitrag erhöhen. Es ist nicht so, daß die Absage etwa aus anderen Gründen erfolgt wäre. Es finden ständig Vorbereitungssitzungen statt. Die Bundesrepublik nimmt daran teil. Natürlich habe ich in diesem Statement dort unsere Forderung nach einem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten, die von Herrn Genscher und von Herrn Kohl in der letzten Zeit auch öffentlich erhoben worden ist. Wir werden also einen aktiven Beitrag zur Vorbereitung der Konferenz leisten. Sie wird stattfinden, an einem anderen Ort. Ich habe sogar Stimmen gehört, daß man gesagt hat: Im Grunde bewundern wir euch Deutsche, was eure Organisationskraft angeht. Auch wir hätten gerne gesehen, daß das Symbol Berlin zum Ausruck kommt. Aber wir sehen auch ein, daß dies in dieser Situation, wo die Deutschen nun weiß Gott eine Menge tragen, nicht zu machen ist. ({4}) Es ist nicht nur eine Finanzfrage, so habe ich gelernt, sondern, wie Herr Genscher Herrn Butros Ghali schriftlich mitgeteilt hat, auch eine Organisationsfrage. Es erfordert eine ungeheure organisatorische Anstrengung, diese Konferenz durchzuführen. Wir werden also auf all den Feldern, die da anstehen, weiter arbeiten. Ich will sie Ihnen noch einmal nennen. Wir machen jetzt beispielsweise eine Resolution zu den Themen Aids und Menschenrechte, verschwundene Personen, Wanderarbeitnehmer, Söldner, Folter, religiöse Intoleranz, Rechte des Kindes. Wir werden unseren Beitrag weiter dazu leisten. Wir sind eine der Nationen, die aktiv bei der Erarbeitung der Menschenrechtspositionen teilnimmt, übrigens auch mit einer gewissen Selbstkritik, was die Fremdenfeindlichkeit hier in Europa und auch in Deutschland angeht. Das habe ich in meiner Rede am Anfang gesagt. Wir können uns hier ja nicht freisprechen. Aber wir tun etwas dagegen im Gegensatz zu anderen Ländern, die Menschenrechtsverletzungen fördern, betreiben und hinnehmen. Die Konferenz wird also stattfinden. An der Position der Bundesregierung und der Koalition in Sachen Menschenrechte kann aus der Tatsache der Absage kein Zweifel hergeleitet werden. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Man hat im Verlauf dieser Debatte wieder einmal gemerkt, daß wir von der CDU/CSU-Fraktion nicht nur räumlich, sondern auch politisch die Mitte in diesem Haus bedeuten. Herr Bindig, man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ich würde mir das, was Sie an Vorwürfen geäußert haben, nicht zu eigen machen. ({0}) Herr Hirsch, ich würde es aber auch nicht so niedrig hängen. Denn damit macht man es sich auch zu einfach. ({1}) Wie dem auch sei, meine Damen und Herren, es bleibt ein peinlicher Beigeschmack bei dieser Absage. Es bleiben Fragen, auch die Frage des Kollegen Lummer, die ich mir zu eigen mache. Es wäre in der Tat schlimm, wenn sich jetzt herausstellen sollte, daß man für einen Konferenzort in Italien dann auf einmal ganz andere Bedingungen bekäme, etwa eine Teilnehmerzahl, wie ich aus Genf gehört habe, von 4 000 bis 5 000. Das gilt auch für den Kostenrahmen, den ich aus Genf gehört habe, auch was die Dreiteilung der Kosten anbelangt, wie jetzt bei der Weltklimakonferenz in Brasilien. ({2}) Da richten sich nämlich die sogenannten local costs in der Tat nach der Infrastruktur des Gastgeberlandes. Herr Lummer hat völlig recht: Man braucht in Berlin nicht erst ein neues Konferenzzentrum zu bauen. ({3}) Ich möchte eines auch sehr deutlich hier sagen, meine Damen und Herren, weil ich bei diesem ganzen Vorgang auch spüre, daß es jetzt das Bemühen gibt, die Entscheidungsfindung hin zur Absage von einem Haus in ein anderes Haus zu verlagern. Das finde ich auch nicht ganz in Ordnung, so zu tun, als wäre letztendlich ein Haus für die Absage verantwortlich. ({4}) Als Mitglied der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag möchte ich auch hier ganz deutlich erklären - ich habe mich da noch einmal vergewissert -: Der Bundesfinanzminister war in keiner Phase mit einer Entscheidungsfindung diesbezüglich befaßt; nicht daß hier noch jemand das Gerücht ausstreut, der sparsame Waigel stecke dahinter. Er war zu keinem Zeitpunkt mit der Entscheidungsfindung befaßt. Meine Damen und Herren, in der Tat sollten wir uns darauf konzentrieren, was getan werden kann, damit nicht der Eindruck entsteht, den ich auch nicht haben möchte - Herr Bindig, ich bin der Meinung, daß Sie etwas überziehen -, daß es eine Änderung in der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung gibt. Da können wir in der Tat etwas tun. Ich habe mich zum Beispiel erkundigt, ob wir von seiten der Bundesrepublik Deutschland auch sogenannte Junior Professional Officers für das Menschenrechtszentrum der Vereinten Nationen stellen, wie das die Niederlande, Schweden, Großbritannien und andere tun. Wir tun das leider nicht. Wir delegieren keine Beamten aus Deutschland, die sich zeitweise dem Menschenrechtszentrum der Vereinten Nationen zur Verfügung stellen, wie dies andere Staaten tun. Im ganz en UN-Menschenrechtszentrum in Genf gibt es nur einen deutschen Mitarbeiter. Er wurde aber nicht als Mitarbeiter entliehen. Er hat sich an einer Ausschreibung der Vereinten Nationen beteiligt und ist sozusagen originärer UN-Beamter. Da sollten wir in der Tat etwas tun und auch von seiten der Bundesrepublik Deutschland solche Junior Professional Officers wie andere Länder auch dem Menschenrechtszentrum zur Verfügung stellen. ({5}) Wir sollten uns auch überlegen, meine Damen und Herren, ob wir etwas für die von den Vereinten Nationen in Genf geschaffenen Fonds tun, in die auch andere Länder freiwillige Leistungen geben, wir noch nicht. Es geht um die Voluntary Funds für Folteropfer, für Öffentlichkeitsarbeit, für die Erziehung zur Men6660 schenrechtsarbeit, gegen Kinderarbeit, gegen Formen der Sklaverei. Wir sollten vielleicht auch einen Beitrag dazu leisten - das ist etwas, was einem, wenn man sich für das Menschenrechtszentrum in Genf interessiert, gesagt wird -, daß dieses Menschenrechtszentrum wegen der vielen Konventionen, die es zu betreuen hat, zu einer besseren EDV-Ausstattung kommt. Ich möchte noch ein letztes sagen: Es wäre auch nicht gut, wenn ähnliche Managementfehler bei dem Bemühen passierten, beispielsweise UN-Einrichtungen jetzt nach Bonn zu holen. Ich habe hier eine Presseerklärung des FDP-Fraktionsvorsitzenden gelesen, in der es um die Einrichtungen UNDPT, UNFPA und UNIFEM geht. Am Schluß lese ich: Es liegt jetzt am Verhandlungsgeschick der Bundesregierung, insbesondere des Bundesentwicklungshilfeministers. Es ist nicht Aufgabe von Herrn Spranger allein, also des Bundesentwicklungshilfeministers, dafür zu sorgen, daß UN-Einrichtungen nach Bonn kommen, ({6}) sondern das ist in erster Linie Aufgabe des Hauses, das die auswärtige Politik vertritt. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Brecht das Wort.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Hintergrund eines in der Welt aufgewerteten Deutschland empfing der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herr Butros Ghali, vor kurzem einige Damen und Herren dieses Hauses als erste Parlamentarierabordnung der Welt überhaupt in New York. Exakt eine Woche später bescherte uns der Bundesaußenminister mit seiner Absage der UN-Menschenrechtskonferenz in Berlin eine Blamage, die im UNO-Hauptquartier am East River mit Schadenfreude quittiert wurde. Ich muß da dem Kollegen Hirsch widersprechen. Lesen Sie die amerikanischen Zeitschriften, und Sie werden die Resonanz sehen. ({0}) - Das nicht. Aber es geht hier um den diplomatischen Schaden und um die Schwächung der Glaubwürdigkeit. Bislang ist uns die Bundesregierung eine glaubhafte Erklärung schuldig geblieben. Auch die Ausführungen von Frau Seiler-Albring haben daran nichts geändert. Es ist kaum vorstellbar, daß sich ein Land mit einem so potenten Auswärtigen Amt, wie wir es gerade gehört haben, um die Ausrichtung einer solchen Mammutkonferenz bewirbt, ohne vorher Erkundigungen über die technischen Anforderungen und die damit verbundenen Kosten einzuholen. Es ist auch kaum vorstellbar, daß das Auswärtige Amt von den im Dezember 1991 bekanntgewordenen Konditionen des „host-country-agreement" überrascht wurde. Es war doch völlig klar, welche Kosten auf uns zukommen würden. Es ist auch kaum vorstellbar, daß die jetzige Absage der Bundesregierung durch den am 20. Juni beschlossenen Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin zustande kam, da Berlin den Zuschlag für die Ausrichtung der Menschenrechtskonferenz erst Ende 1991 erhielt. Das ergibt also keine Logik. Es ist auch kaum vorstellbar, daß bei der geplanten Menschenrechtskonferenz 15- bis 20 000 Gäste anreisen werden, wie es die Bundesregierung behauptet hat. Davon abweichend, geht man im Genfer UN-Sekretariat nach wie vor von maximal 5 000 Teilnehmern insgesamt aus. Es ist auch kaum vorstellbar, daß für den sogenannten Local-costs-Anteil von 100 Millionen DM wirklich alles zu zahlen wäre. Diese Zahl steht im Gegensatz zu Schätzungen in Genf. So entsteht der Eindruck, als wollte die Bundesregierung ihre Konferenzabsage in der zu Recht auf Sparsamkeit bedachten Öffentlichkeit durch die Nennung weit überhöhter Kosten populär machen. Es ist kaum vorstellbar, daß die Bundesregierung nach den Ausschreitungen am Rande der WeltbankIMF-Tagung in Berlin von nun an von Sicherheitsbefürchtungen geplagt wird. Es fällt einem wirklich schwer, an eine solch geballte Ladung an Dilettantismus der Bundesregierung zu glauben. Zumindest die Medien tun recht daran, über die eingehandelte Blamage zu spotten. Herr Abgeordneter Lummer hat vorhin von dem „spitzen Mund" gesprochen. Noch besser beschreibt das der Humorist Eugen Roth, der in seinem Gedicht „Das Sprungbrett" folgendes schreibt: Ein Mensch, den es nach oben gelüstet, besteigt, mit großem Mut gerüstet, ein Sprungbrett, und man denkt, er liefe nun vor und spränge in die Tiefe mit Doppelsalto und dergleichen, der Menge Beifall zu erreichen. Doch läßt er - angestaunt von vielen - zuerst einmal die Muskeln spielen, um dann erhaben vorzutreten, als gält's die Sonne anzubeten. Ergriffen schweigt das Publikum, doch er dreht sich gelassen um, und steigt - fast möcht' man sagen: heiter - vollbefriedigt von der Leiter. ({1}) Anders, als es hier bei Eugen Roth heißt, hat die Bundesregierung keinen Anlaß, vollbefriedigt von der Leiter zu steigen. Vielmehr hat sie in mehrfacher Hinsicht die Glaubwürdigkeit deutscher Politik beschädigt. Sie hat die Glaubwürdigkeit der Bonner Menschenrechtspolitik beschädigt, nachdem Herr Genscher in seiner Rede vor der 46. UN-Generalversammlung vehement weitreichende Forderungen zur Durchsetzung der Menschenrechte erhoben hat. Sie hat die Glaubwürdigkeit der deutschen VN-Politik durch eine Reihe von Pannen in Frage gestellt, wobei sie andererseits ein größeres Gewicht Deutschlands in den Vereinten Nationen einklagt. Sie hat auch der Glaubwürdigkeit der Stadt Berlin als internationalem Tagungszentrum geschadet. Man kann nicht einerseits wie unser Außenminister vor den VN die Symbolträchtigkeit der Stadt für Menschlichkeit und Zusammengehörigkeit herausstreichen und sie andererseits desavouieren. ({2}) Schließlich ist durch die fiskalische Argumentation der Bundesregierung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern aus den neuen Bundesländern der Eindruck entstanden, daß die Bundesregierung erst jetzt begriffen hat, daß eine drastische Sprachpolitik zugunsten des Fonds „Deutsche Einheit" vonnöten ist, um ein Mezzogiorno-Szenarium für den Osten Deutschlands doch noch abzuwenden. Meine Damen und Herren, Robert Jungk sagte einmal: „Regieren heißt voraussehen". Mit ihrer Kurzsichtigkeit wird die Bundesregierung das Nachsehen haben. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}) das Wort.

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung selbst nicht erwartet hat - vor allen Dingen das Auswärtige Amt nicht -, daß diese Aktuelle Stunde eine vergnügliche Stunde sein würde. Trotzdem - dieser Auffassung bin ich - sollten wir den Vorgang so aufhängen, wie es ihm gebührt. Sie, Herr Verheugen, Herr Bindig, Herr Brecht, haben doch - so möchte ich sagen - maßlos überzogen. ({0}) Zweifel am Engagement der Bundesregierung, an der Bundesrepublik Deutschland in Fragen der Menschenrechtspolitik sind nun weiß Gott nicht angebracht. ({1}) Das wissen Sie. Sie wissen das auch besser, als Sie hier geredet haben. Ich muß allerdings auch sagen, Herr Kollege Hirsch: Bloß eine Änderung des Tagungsortes - das hängt mir ein bißchen zu niedrig. ({2}) Das geht auch nicht. Und zu sagen, die Konferenz finde ja statt - ({3}) - Natürlich findet sie statt. Natürlich, Herr Baum! Mit der Opposition bin ich doch schon fertig, und ich glaube, daß ich angemessen auf die Opposition reagiert habe. Damit reicht es auch. Ich wiederhole: Natürlich findet sie statt. Für mich ist allerdings ein Vorgang doch ärgerlich. Seit Monaten haben wir diesen Punkt der Menschenrechtskonferenz im Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf der Tagesordnung. ({4}) Wir haben uns unterrichten lassen, wir haben unsere Vorstellungen eingebracht. Am Donnerstag der vorigen Woche rief mich Herr Staatssekretär Kastrup an und teilte mir mit, daß entschieden worden sei, daß die Konferenz nicht stattfindet. Ich habe ihn dann gefragt: Ist das schon entschieden? - Ja - so sagte er -, es ist schon entschieden. Diesen Vorgang im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament halte auch ich allerdings für nicht in Ordnung. ({5}) Nun möchte ich allerdings noch etwas sagen. Ich gehe einmal davon aus, daß es stimmt: 15 000 Personen; 100 Millionen DM Kosten. ({6}) - Sie wissen das nicht, Herr Bindig. Sie behaupten das, und Sie haben sich ja dazu entschieden, in dieser Debatte mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. ({7}) Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Ich würde mich nicht einen Augenblick für die Durchführung dieser Konferenz in Berlin eingesetzt haben, wenn ich gewußt hätte, daß 100 Millionen DM an Kosten für diese Konferenz auf uns zukommen. ({8}) Diese 100 Millionen DM sind für humanitäre Hilfe besser angelegt als für eine solche Mammutkonferenz. ({9}) Mindestens dies möchte ich festgehalten haben. ({10}) Aber, lieber Herr Bindig, einen schweren Rückschlag in ihrer Menschenrechtspolitik und in ihrem Engagement bei den Vereinten Nationen in Sachen Menschenrechte hat die Bundesregierung, hat die Bundesrepublik Deutschland damit nicht erlitten. ({11}) Friedrich Vogel ({12}) Sie sollten also versuchen, das richtige Maß in die Auseinandersetzung dieser Debatte hineinzubringen. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun spricht der Abgeordnete Wartenberg.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Unabhängig davon, wie man die Schwere dieses Falls beachtet oder betrachtet, eines kann man sagen: Der Vorgang ist peinlich, und er ist Ausdruck von Mißmanagement. Aber was einen in so einer Debatte ärgert, ist der Klappmechanismus. Da der Vorsteher dieser Behörde ein F.D.P.-Mann ist, kann die F.D.P. nur gegenhalten und nicht einmal ein selbstkritisches oder nachdenkliches Wort dazu sagen. ({0}) Das ist kein Ausdruck von Souveränität; Sie wissen das. Es ist ein peinlicher Vorgang. Man muß nun nicht, weil es der Herr Genscher ist, meinen, man dürfe dazu nichts sagen. Diese Form von peinlichem Gruppendenken sollte gerade bei solch einer Thematik nicht gespielt werden. Wir sagen nicht - das ist hier in der Argumentation falsch gesagt worden -, daß wir die Größenordnung nicht für problematisch halten. ({1}) Nur, die Frage ist: Was herrschte denn im Mai 1991 für eine Voraussetzung? Das ist noch nicht einmal ein Jahr her. Da war die deutsche Problematik dieselbe, d. h., in Berlin waren dieselben Probleme wie heute. Auch die Größenordnungen waren wohl bekannt; denn der Mensch, der das Außenministerium leitet, ist ja nicht erst seit vorgestern Außenminister. Seine Leute und er sollten ja wohl Erfahrungen mit internationalen Konferenzen dieser Art haben. Also bleibt doch gar nichts Nacht in der Begründung. Das heißt, es ist dieselbe Situation wie im Mai 1991. Alle Begründungen, die jetzt kommen, um die Konferenz abzusagen, sind nachgeschoben und wirken auch in der internationalen Öffentlichkeit peinlich. Das ist der eigentliche Grund für unsere Haltung. Hätte es jetzt einen wirklich überzeugenden neuen Grund gegeben, wäre jeder bereit gewesen, offen darüber zu diskutieren. Ich glaube, der Außenminister wird falsch eingeschätzt, daß er es mit seinem Ministerium nicht geschafft hätte, diese Konferenz in Berlin zu vernünftigen Konditionen, d. h. kleiner und kostengünstiger, auszurichten. ({2}) Das wäre wahrscheinlich möglich gewesen; denn die Bundesrepublik Deutschland hat gerade auf Grund ihrer ökonomischen und politischen Einflußnahme bei den internationalen Organisationen durchaus die Kraft, manches durchzusetzen, wenn sie will, gerade in einer solchen Frage, weil sie einer der Finanziers dieser Dinge ist. ({3}) Einfach nur eine Horrorzahl hier hinzustellen und zu sagen: „Damit konnten wir leider nicht umgehen", das geht meines Erachtens nicht. Dann noch ein Wort zu Berlin. Auch für Berlin ist die Begründung, die vom Außenministerium gegeben wurde, einfach peinlich. Es wird plötzlich gesagt, Berlin sei wegen der Hauptstadtentscheidung und wegen der deutschen Einheit nicht in der Lage, eine solche Großkonferenz durchzuführen. Ich glaube, das ist eine Fortsetzung der etwas kleinlichen Hauptstadtdebatte, die wir ein Jahr lang hier ertragen mußten. Was soll das eigentlich? Die Situation war damals nicht anders, als sie jetzt ist. Wir haben in der Zwischenzeit große Konferenzen in Berlin gehabt, Wir haben die KSZE-Konferenz dort gehabt. ({4}) Wenn es überhaupt einen Standort in Deutschland gibt, wo so etwas durchführbar ist und man nichts Neues bauen muß, weil die Infrastruktur da ist und man es somit kostengünstig organisieren kann, dann ist es natürlich Berlin. ({5}) Es ist peinlich, daß diese Argumentation nun noch zum Schaden der Stadt geführt worden ist. Das halte ich nicht einfach nur für peinlich, sondern für unseriös. ({6}) So geht man nicht mit einem deutschen Bundesland, schon gar nicht mit der Hauptstadt, um. Auch die Verantwortlichen im Senat wurden erst hinterher informiert. Man informiert die Leute rechtzeitig. Dann kann man sich zusammensetzen und eine vernünftige Konditionierung finden. Im großen und ganzen hat sich die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, bei dieser wichtigen Frage nicht mit Ruhm bekleckert. Hier geht es nicht um die Absage irgendeiner Konferenz. Das ist nicht die Konferenz des Großhandels für Sanitärbedarf, sondern das ist eine internationale Menschenrechtskonferenz, die für die Bundesrepublik Deutschland auch außenpolitisch einen hohen Stellenwert hat. Da muß man sagen, daß das Außenministerium und insbesondere der Außenminister dilettantisch gehandelt haben. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde und am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 11. März 1992, 13.00 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.