Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst einige Mitteilungen: Die Kollegin Ulla Schmidt ({0}) legt ihr Amt als Schriftführerin nieder. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolgerin die Kollegin Verena Wohlleben vor. Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist Verena Wohlleben als Schriftführerin gewählt.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, die Abgeordnete Brigitte Baumeister als stellvertretendes Mitglied auf den durch die Wahl des Abgeordneten Bernhard Jagoda zum ordentlichen Mitglied freigewordenen Platz im Vermittlungsausschuß zu entsenden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist Brigitte Baumeister als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung zur Soforthilfe für die Sowjetunion und ihre Republiken auf Drucksache 12/1975 zu erweitern. Der Tagesordnungspunkt soll am Freitag als letzter Punkt aufgerufen werden.
Außerdem wurde interfraktionell vereinbart, den Tagesordnungspunkt 3 - Überweisungen im vereinfachten Verfahren - erst nach Tagesordnungspunkt 5 aufzurufen sowie Punkt 10 der Tagesordnung - Entschädigungsrentengesetz - abzusetzen.
Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 a bis i auf: Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes
- Drucksache 12/1059 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
- Drucksache 12/1755 ({2}) - Berichterstattung:
Abgeordneter
Dr. Fritz Schumann ({3})
({4})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Horst Eylmann, Herbert Helmrich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Detlev Kleinert ({5}), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen, Dr. Hermann Otto Solms und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ({6})
- Drucksache 12/1710 -Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksache 12/1956 Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Dr. Hans de With
({8})
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({9})
zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Übersicht 4 -- Drucksache 12/1819 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Herbert Helmrich
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 64611 - Erstattung des Sozialzuschlags für Rentenempfänger in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet
- Drucksachen 12/1689, 12/1937 -
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 08 - Erstattung von Aufwendungen der Rentenversicherung für Pflegegeld, Blindengeld und Sonderpflegegeld in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet -- Drucksachen 12/1690, 12/1938 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 866 01 - Bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern -- Drucksachen 12/1664, 12/1939 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Esters Dr. Christian Neuling
Werner Zywietz
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 04 Titelgruppe 02 - Leistungen des Bundes nach Maßgabe des Unterhaltssicherungsgesetzes -- Drucksachen 12/1431, 12/1940 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke Ina Albowitz
Dr. Konstanze Wegner
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1991 bei Kapitel 10 02 Titel 656 55 - Krankenversicherung der Landwirte -- Drucksachen 12/1743, 12/1944 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth
Ernst Kastning Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1991
hier: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 40 Titel 684 01 - Unterstützung von Deutschen in den Aussiedlungsgebieten -- Drucksachen 12/1744, 12/1945 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps
Ich höre, daß der Berichterstatter zu Tagesordnungspunkt 4 a kurze Ausführungen machen möchte. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Berichterstatter zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes sehe ich mich zu folgendem Hinweis veranlaßt, den ich aufzunehmen bitte. Das in Art. 2 zitierte Patentgesetz ist im Dezember 1991, also nach der Beratung des Änderungsgesetzes zum Sortenschutzgesetz im Ernährungsausschuß, erneut geändert worden. Deshalb ist folgende redaktionelle Änderung des aktuellen Zitierstandes auf Seite 7 der Drucksache 12/1755 ({0}) erforderlich:
In Art. 2 müssen die Wörter „Artikel 4 des Gesetzes vom 7. März 1990 ({1}) " ersetzt werden durch die Wörter „Artikel 7 des Gesetzes vom 20. Dezember 1991 ({2})".
Danke.
Nach den Ausführungen des Berichterstatters Dr. Schumann kommen wir jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Sortenschutzgesetzes. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung einschließlich der soeben vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf über Fachanwaltsbezeichnungen, Drucksachen 12/1710, 12/1956. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Keine. Dann ist auch dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie dem Gesetz zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist bei vier Enthaltungen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 4 c:
Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht, Drucksache 12/1819.
Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 d bis 4 i:
Beratung von sechs Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben. Es handelt sich um die Erstattung des Sozialzuschlags für Rentenempfänger, Erstattung von Aufwendungen der Rentenversicherung, Bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, Leistungen des Bundes nach dem Unterhaltssicherungsgesetz für die Krankenversicherung der Landwirte und zur Unterstützung von Deutschen in den Aussiedlungsgebieten.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 12/1937 bis 12/1940 sowie 12/1944 und 12/1945, von den überplanmäßigen Ausgaben Kenntnis zu nehmen.
Wenn Sie einverstanden sind, lasse ich über diese sechs Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich bitte diejenigen, die den Beschlußempfehlungen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit sind die Beschlußempfehlungen bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 a bis 5 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze
- Drucksachen 12/1134, 12/1475 - ({0})
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze
- Drucksache 12/899 - ({1})
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze
- Drucksache 12/765 - ({2})
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze
- Drucksache 12/1202 - ({3})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({4})
- Drucksache 12/1952 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann
Otto Schily
Dr. Heinrich Kolb
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Moratorium für Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten
- Drucksachen 12/744, 12/1516 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Kittelmann
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes
- Drucksache 12/1461 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({6})
- Drucksache 12/1962 -
Berichterstattung: Abgeordneter Otto Schily
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/1963 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({8}) Helmut Wieczorek ({9})
({10})
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem dem Abgeordneten Kittelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens seit der Verschärfung des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes im Juni 1990 haben die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung die Weichen für eine wirksame Rüstungsexportkontrolle gestellt. Diese Gesetzesvorlagen stehen vor einer weiteren Ergänzung, die wir heute in der zweiten und dritten Lesung verabschieden werden. Diese Ergänzung ist eine konsequente Fortsetzung unserer Bemühungen um eine effektive Exportkontrolle militärisch verwendbarer Güter.
Wir wissen: Illegaler Waffenexport muß schon im Vorfeld verhindert, und begangene Straftaten müssen auf das Schärfste sanktioniert werden. Deshalb sind wir in diesem Hause wohl in voller Übereinstimmung: Für Gesetzesbrecher darf es keine Gnade geben. Uns muß die Möglichkeit gegeben werden, potentiellen Tätern schon im Vorfeld das Handwerk zu legen.
Die CDU/CSU begrüßt deshalb die heute anstehende Verschärfung nicht nur ausdrücklich, sie genügt damit auch ihrem eigenen politischen und moralischen Anspruch. Mit dieser Änderung ziehen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen glaubwürdig Konsequenzen aus einer Kette von Erfahrungen von Rabta in Libyen bis hin zum Golfkrieg.
Wir alle wissen, daß gerade wir Deutschen zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet sind und daß das Ausland uns in diesem Zusammenhang zu Recht besonders beobachtet. Wir dokumentieren Geschichtsbewußtsein nach innen und außen. Wir fordern alle politischen Kräfte auf, sich dieser besonderen Verantwortung nicht zu entziehen.
Erschüttert haben wir gestern im Wirtschaftsausschuß neue Verdachtsmomente deutscher Lieferung in den Irak zur Kenntnis genommen. Darum habe ich die Sozialdemokraten gestern im Wirtschaftsausschuß erneut aufgefordert, den heutigen Gesetzesänderungen zuzustimmen. Es geht nicht an, daß die Bundesregierung wiederholt mit Vorwürfen überhäuft wird und daß sich die Sozialdemokraten dann, wenn es um Entscheidungen geht, der Verantwortung entziehen wollen.
({0})
Eine Verweigerung durch die Sozialdemokraten würde nicht nur auf ein Entziehen aus geschichtlicher Verantwortung schließen lassen, sondern auch ein Ausweichen vor aktueller politischer Verantwortung beweisen.
Meine Damen und Herren der Opposition, wir fordern Sie darum nachdrücklich auf, den Gesetzesänderungen zuzustimmen und so dazu beizutragen, daß militärische Güter und schließlich Massenvernichtungswaffen durch verbrecherische Elemente nicht in die Hände derer gelangen, die zu einer Gefahr für uns alle werden können.
({1})
Einer solchen Gefahr dürfen wir uns nicht aussetzen. Wenn die SPD dies auch so sieht, kann sie nichts anderes tun, als den Entwürfen in der heutigen Lesung zuzustimmen. Jedes andere Verhalten würde zeigen, daß sie ihre Position nicht zu Ende gedacht hat.
({2})
Wir Christdemokraten dürfen für uns in Anspruch nehmen, genau dies getan zu haben. Dabei sind wir uns natürlich auch über die Befugnisse des Zollkriminalinstituts im klaren. Wir haben uns die Entscheidung nicht leichtgemacht und haben sie sorgfältig abgewogen. Die Überwachung des Post- und Telefonverkehrs von Unternehmen und Personen erfolgt nicht willkürlich. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten haben wir allerdings auch während der Beratung Beweglichkeit bewiesen und die Mitteilungspflicht an die Staatsanwaltschaft eingefügt.
Die mitberatenden Ausschüsse haben sich zum Teil einstimmig für die Annahme des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ausgesprochen: der Finanzausschuß, der Rechtsausschuß, der Innenausschuß und auch der Auswärtige Ausschuß.
({3})
Vor allem aber möchte ich zum wiederholten Male darauf hinweisen, daß der Entschluß, das Zollkriminalinstitut zu einer solchen Überwachung zu berechtigen, sorgfältig abgewogen wurde. Die Entscheidung für eine solche Ermächtigung erfolgt allein vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
In Anbetracht dessen, was ich eingangs ausgeführt habe, kann es keine ernsthafte Frage sein, ob dieser Grundsatz hier beachtet worden ist. Ich frage darum die Opposition: Handelt es sich bei der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland um ein zu achtendes Rechtsgut? Ich nehme an, wir sind gemeinsam davon überzeugt. Ist das friedliche Zusammenleben der Völker schützenwert? Sind die auswärtigen Beziehungen ein herausgehobenes Rechtsgut? Sie können diese Fragen nur mit „Ja" beantworten und müßten darum konsequenterweise auch den Gesetzesänderungen zustimmen.
({4})
Alles andere ist schlicht und einfach unglaubwürdig.
({5})
Präventive Maßnahmen - und das zeigt das ganze Debakel um die illegalen Rüstungsexporte - sind unvermeidbar, wenn wir nicht im endlosen Nachkarten der Bundesrepublik sowohl außenpolitisch als auch außenwirtschaftlich langfristig Schaden zufügen wollen. Wir müssen also erstens bestehende Regelungen und geltende Vorschriften durchsetzen und zweiPeter Kittelmann
tens durch unsere Novellierungen wirkungsvoll präventiv Straftaten verhindern.
Das Gesetz wird damit zu einem ausgewogenen Paket, das erstens durch restriktive Regelungen illegalen Rüstungsexport unterbinden soll, das zweitens die strukturellen Voraussetzungen schafft, um schon im präventiven Bereich wirkungsvoll eingreifen zu können, und das drittens rigide Strafen bei Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz vorsieht.
Dies alles betrifft nicht nur die interne politische Diskussion und nationale Regelungen; das wäre wichtig genug. Wir setzen mit unserem Außenwirtschaftsgesetz und dem Gesetz zur Errichtung eines Bundesausfuhramtes auch im internationalen Vergleich beispielhafte Zeichen. Damit spielen wir eine überaus wichtige Vorreiterrolle. Jetzt gilt es aber auch, darauf zu achten, daß diese Vorreiterrolle am Ende nicht Selbstzweck bleibt. Eine Vorreiterrolle einzunehmen, heißt eben auch, dafür zu sorgen, daß sich die anderen im Troß dem Vorreiter tatsächlich anschließen. Sollte sich erweisen, daß wir im europäischen Rahmen alleine herumgaloppieren, ohne daß uns jemand folgt, bleiben unsere Bemühungen zwar lobenswert, aber letztlich doch umsonst.
Damit unser Engagement für eine wirksame Exportkontrolle aber nicht vergeblich bleibt, wird es viertens darauf ankommen, unverzüglich auf eine europaweite Harmonisierung der Regelungen zu drängen.
({6})
Wir alle wissen: Der Binnenmarkt steht vor der Tür. Es wäre gut, wenn dieses Datum heilsamen Druck auf eine gesamteuropäische Regelung ausüben würde. Hier sind ermutigende Zeichen gesetzt worden. Im Chemiebereich gibt es Annäherungen. Es werden Parameter für Werkzeugmaschinen ausgearbeitet. Es werden - bei den Briten noch etwas zögerlich - Länderlisten erstellt,
({7})
und die EG-Kommission selbst will im Februar entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Wir haben darum im Wirtschaftsausschuß einen Antrag verabschiedet, der die Bundesregierung auffordert, in ihren Bemühungen fortzufahren, auf eine europaweite Harmonisierung zu drängen und den Bundestag über den Stand dieser Bemühungen regelmäßig zu informieren. Herr Bundesminister Möllemann, wir danken Ihnen dafür, daß Sie dies im Wirtschaftsausschuß zugesagt haben. Im Rahmen der Tätigkeit der Bundesregierung gibt es in den nächsten Monaten kaum etwas Wichtigeres, das das Wirtschaftsministerium im Zuge der Bemühungen europaweit durchsetzen muß.
({8})
Gleichzeitig erfolgt heute die zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes. Mit Hilfe dieser neuen Institution wollen wir eine besonders effektive Arbeit im Rahmen der Ausfuhrkontrolle gewährleisten. Das Amt wird darum mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern ausgestattet sein. Entsprechende Besoldungsregelungen sind deshalb unvermeidlich und angesichts der politischen Bedeutung und der sachlichen Vielschichtigkeit der Arbeit im Rahmen der Ausfuhrkontrolle durchaus auch begründet.
Wenn wir im Zusammenhang einer europäischen Harmonisierung der Genehmigungsverfahren den illegalen Rüstungsexport unterbinden wollen, müssen wir auch einen weiteren wichtigen Aspekt berücksichtigen: Es bedarf nämlich dringend einer Europäisierung des Genehmigungsverfahrens,
({9})
weil sich eine einzelstaatliche Regelung natürlich nicht nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auswirken darf.
({10})
Es steht außer Frage, daß der Export durch Gesetze und strenge Genehmigungsverfahren belastet wird. Wir muten den Unternehmen angesichts der politischen Dringlichkeit diese Belastungen zu. Auch die Unternehmen sind bereit, diese Belastungen zu tragen, wenn sie gegenüber ihren europäischen Mitbewerbern, vor allem in Frankreich und Großbritannien, nicht benachteiligt werden.
({11})
Vor dem Hintergrund der wichtigen Frage nach dem Industriestandort Bundesrepublik Deutschland im gemeinsamen Binnenmarkt 1993 dürfen wir dieses berechtigte Anliegen nicht unterschätzen. Vor allen Dingen brauchen die sowohl als auch zu gebrauchenden Güter - dual use - eine europäische Regelung.
Aber es geht ja nicht nur um Europa. Auch unsere amerikanischen und japanischen Partner müssen wir in die Pflicht nehmen. Man kann nicht fortwährend mit dem Finger auf die Deutschen zeigen und selber passiv bleiben.
({12})
Diese Staaten haben zwar mehrfach angekündigt, sie wollten sich um eine internationale Lösung bemühen. Doch bisher geschieht wenig. Auch bei unseren ausländischen Freunden müssen wir auf harmonisierte Regelungen drängen. Die Tatsache, daß wir das Treffen der G 7 bald in München haben werden und daß diese Thematik wieder auf der Tagesordnung stehen wird, wird hoffentlich dazu führen, daß man hinsichtlich der Ergebnisse nachdenklicher wird.
Ich darf für die CDU/CSU wiederum fordern - was wir seit Jahren tun-, daß dies eines der Hauptthemen der Weltwirtschaft sein muß; denn die Probleme außerhalb Europas nehmen zu. Die Problemzonen sind unübersehbar geworden. Die Verpflichtungen der Welthandelsmächte sind umfassender geworden.
({13})
- Der Minister hat die Eigenschaft, sowohl als auch tun zu können.
({14})
Mein großes Anliegen ist es darum, angesichts europaweiter und weltweiter wirtschaftlicher Verflechtungen unsere restriktiven Regelungen als Maßstab für europäisierte und internationale Vorschriften anzusetzen.
Meine Damen und Herren, Europa rückt immer näher zusammen. Nun müssen wir auch zusehen, daß dieser Verbund handlungsfähig wird und für seine Mitglieder die gleichen Bedingungen herrschen.
Die Sozialdemokraten haben heute Gelegenheit, nicht juristische Spitzfindigkeiten vorzutragen, sondern sich im Schnellverfahren zu entschließen, diesen Gesetzen doch zuzustimmen.
({15})
Ich glaube, daß die heute zu beratenden Gesetze beispielhafte Funktionen haben, und bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bachmaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kittelmann, ein prominentes Mitglied Ihrer Fraktion - der jetzige Vorsitzende des Verfassungsausschusses -, hat auch große Bedenken hinsichtlich der Frage, die Sie so herablassend als „juristische Spitzfindigkeiten" bezeichnet haben. Aber mit der Verfassung nehmen Sie es offensichtlich nicht so ernst. Das haben wir von Ihnen schon mehrfach gehört.
({0})
- Herr Dr. von Stetten, haben Sie im Rechtsausschuß nicht auch dagegen gestimmt?
({1})
Über Jahre hinweg hat die Bundesregierung den Kopf in den Sand gesteckt, als es galt, den illegalen Rüstungsexport zu bekämpfen. Die Früchte dieser Untätigkeit können heute diejenigen genießen, die sich beim Handel mit todbringenden Waffen und Massenvernichtungstechnologien eine goldene Nase verdient haben.
({2})
Noch immer haben sie mit geradezu bagatellhaften Strafen zu rechnen, und noch immer sind ihre exorbitanten Gewinne vor staatlichem Zugriff weitgehend sicher.
Nur deshalb, weil die Bundesregierung für das dem Bundesfinanzminister unterstellte Zollkriminalinstitut eine weitreichende Generalermächtigung zum Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis erhalten will, wurde das gesamte Gesetzgebungsverfahren zur Verschärfung des Außenwirtschaftsrechtes in die
Länge gezogen. Alle Bemühungen um einen Kompromiß sind an der kompromißlosen Haltung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen gescheitert.
({3})
Auch unsere mehrfachen Angebote, doch wenigstens die verschärften Strafvorschriften des Außenwirtschaftsrechtes gegen Rüstungsexportverstöße vorab zu verabschieden, hat die Regierung brüsk zurückgewiesen.
({4})
Diese Vorschriften könnten - das wissen Sie ganz genau - längst in Kraft gesetzt sein, so daß die Kriminellen, die nach wie vor illegale Rüstungsgeschäfte betreiben, mit wenigstens einigermaßen angemessenen Strafen und Maßnahmen zu rechnen hätten.
({5})
Wer sich so wie die Bundesregierung verhält, dem geht es nicht primär um die Bekämpfung des Rüstungsexportes. Wer sich so verhält, der verfolgt vorrangig ganz andere Ziele. Sie reden zwar immer gern davon, den Händlern des Todes das Handwerk zu legen, getan dagegen haben Sie allerdings bis heute herzlich wenig.
({6})
In den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen des Bundesrates und der SPD-Fraktion wird vorgeschlagen, auch bestimmte Vorbereitungshandlungen für Rüstungsexportverstöße unter Strafe zu stellen, so daß das gesamte strafprozessuale Instrumentarium, das den Staatsanwaltschaften bei der Verbrechensbekämpfung zur Verfügung steht, also auch das Recht, in das Post- und Fernmeldegeheimnis einzugreifen, gegen drohende Rüstungsexportverstöße eingesetzt werden kann. Wir meinen, daß die Vorbereitung von illegalen und strafbaren Rüstungsexporten den gleichen Regeln unterworfen werden muß, wie sie schon längst für die im Strafrecht als Verbrechen ausgewiesenen Taten selbstverständlich sind. Davor aber schrecken Sie noch immer zurück. Das ist die Wahrheit, und nicht das, was Herr Kittelmann als ein Gespenst an die Wand gezeichnet hat.
({7})
Warum wollen Sie eigentlich nach allem, was wir mittlerweile über die tiefe Verstrickung deutscher Unternehmen in die Massenvernichtungsprogramme von Saddam Hussein wissen, noch immer diejenigen, die in diese todbringenden Geschäfte verstrickt sind, schonender als andere Verbrecher behandeln? Warum eigentlich?
({8})
Schon die Vorbereitungshandlungen und Verabredungen zu illegalen Rüstungsexporten sind von so hohem kriminellen Gehalt
({9})
- hören Sie gut zu -, daß sie unter Strafe gestellt werden müssen. Dann hat die Staatsanwaltschaft nach den Regeln des für sie geltenden Legalitätsprinzips auch das Recht, in das Post- und Fernmeldegeheimnis einzugreifen und abzuhören.
Gerade das aber paßt Ihnen offensichtlich nicht in den Kram. Sie hätten gerne eine möglichst unklar definierte und weit gesteckte Ermächtigung, um nach Ihren jeweiligen Opportunitätserwägungen Abhöraktionen bei Gericht zu beantragen und durchzuführen oder - weil dies Ihren Absichten in bestimmten Einzelfällen zuwiderlaufen könnte - auch davon Abstand zu nehmen.
({10})
Die Tatsache, daß die dem Legalitätsprinzip unterworfene Staatsanwaltschaft beim zuständigen Richter und auch auf Anregung des Zollkriminalinstitutes Abhörmaßnahmen beantragen und durchführen könnte ohne Rücksicht auf eventuelle Opportunitätserwägungen der Regierung, ist Ihnen noch immer ein Dorn im Auge und wird es wohl auch immer bleiben.
({11})
Weil Sie dies verhindern wollen und weil Sie dem Bundesfinanzminister die Entscheidungsbefugnis dafür vorbehalten wollen, ob in einem konkreten Einzelfall ein Abhörantrag gestellt werden soll oder nicht, haben Sie hartnäckig alle Kompromißversuche zurückgewiesen und eine einjährige Verschleppung des Gesetzgebungsverfahrens in Kauf genommen.
Wir wenden uns strikt dagegen, das Zollkriminalinstitut und den Bundesfinanzminister mit geheimdienstähnlichen Vollmachten auszustatten. Die vom Wirtschafts- und Rechtsausschuß des Bundestages durchgeführte Sachverständigenanhörung hat doch wohl deutlich ergeben, daß unser Rechtsstaat derartige Methoden präventiver Ausforschung ohne konkreten Tatverdacht und ohne Legalitätskontrolle nicht verträgt,
({12})
wie dies bereits von uns und insbesondere auch von Mitgliedern des Bundesrates festgestellt worden ist.
Ich bleibe dabei: Die Staatsanwaltschaft gehört in diesen Fällen nicht auf die Zuschauerbank. Sie sollte nach den für sie geltenden strikten Regeln die Sachherrschaft über derart sensible Eingriffe haben. Opportunitätsgesichtspunkte politischer Instanzen haben hier nichts verloren. Wir brauchen keinen grenzenlosen Überwachungsstaat, um den Exporteuren, die Rüstungsgüter illegal ausführen, das Handwerk zu legen.
({13})
Der Rechtsstaat ist stark genug, um diese Aufgabe mit rechtsstaatlich einwandfreien Mitteln zu lösen.
({14})
- Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Er hat Ihnen bestätigt, daß das, was Sie vorhaben, alles überhaupt nichts taugt. Lesen Sie das nach!
({15})
- Herr Kittelmann, wenn Sie wenigstens einmal Ihre alten Reden nachlesen würden. Dann müßte Ihnen die Schamröte ins Gesicht steigen.
({16})
Meine Damen und Herren, mit den von uns vorgeschlagenen Instrumentarien und den vielfältigen Möglichkeiten, die darüber hinaus die Strafprozeßordnung bietet, kann man potentiellen Rüstungsexporteuren sehr wohl das Handwerk legen und sie entsprechend zur Verantwortung ziehen. Die von uns vorgeschlagene Strafbarkeit auch von Vorbereitungshandlungen zu illegalen Rüstungsexporten würde nicht nur dem hohen Kriminalitätsgehalt derartiger Taten Rechnung tragen. Die Vorverlegung der Strafbarkeit - darum geht es uns - hätte auch zur Folge, daß frühzeitig mit den Mitteln der Strafprozeßordnung eingegriffen werden könnte, so daß - um dies nochmals zu sagen - geplante kriminelle Rüstungsexporte rechtzeitig aufgedeckt und verhindert werden könnten. Die Wirkung ist also nicht nur - wie Sie immer gerne sagen - repressiv, sondern weitgehend auch präventiv.
Dieser Weg ist nicht nur rechtsstaatlich einwandfrei, er gewährleistet, wie gesagt, auch einen rechtzeitigen Zugriff auf kriminelle Rüstungsexporteure.
Herr Bachmaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Ja, bitte.
Herr Bachmaier, nachdem Sie Ihren Gesetzentwurf in so leuchtenden Farben schildern, wären Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Professor Hassemer - Professor Hasse-mer wurde ja nicht von uns zu dieser Anhörung geladen, sondern von Ihnen - in der Anhörung zu Ihrem Entwurf gesagt hat:
Man werde den Verdacht nicht los [...], daß
dieser Entwurf das materielle Strafrecht den
Ermittlungsinteressen dienstbar macht und daß
man das materielle Strafrecht genau so weit ausdehnt, wie man ermitteln will.
Ich verhehle nicht, daß Herr Professor Hassemer gewisse Bedenken hinsichtlich der Vorverlegung
({0})
- ja, lassen Sie mich doch ausreden! - der Strafbarkeit geäußert hat. Er hat aber den von uns vorgeschlagenen Weg immer noch für den weit einwandfreieren und verfassungsrechtlich vertretbareren Weg angesehen.
({1})
Das wissen Sie ganz genau. Deshalb sollten Sie es nicht bei halben Zitaten belassen.
({2})
Nach der vom Wirtschafts- und Rechtsausschuß durchgeführten Sachverständigenanhörung wissen wir auch, daß die Entwicklung der Funk- und Fernmeldetechnik - jetzt kommt der Herr Staatsanwalt, den Sie immer so gerne hören - dem Instrument der Telefonabhörung immer enger werdende Grenzen setzt. Auch deshalb ist es verfehlt, sich auf dieses Ermittlungsinstrument zu verlassen. Bis zum heutigen Tage haben wir aber von der Regierung noch gar nichts darüber vernommen, welche Alternativen und neuen Wege sie für erfolgversprechend und gangbar hält, um den hochkriminellen Rüstungsexportaktivitäten zu begegnen.
Und noch eines: Vor nunmehr fast einem Jahr hat die Bundesregierung großmundig im Rahmen eines Kabinettsbeschlusses versprochen, die Strafvorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollrechts - also die Strafvorschriften gegen kriminelle Rüstungsexporteure - aus dem für die Täter nicht selten komfortablen Nischendasein des Nebenstrafrechts herauszunehmen und in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Unseren entsprechenden Gesetzentwurf haben die Koalitionsfraktionen bereits kurz danach ohne weitere Diskussion verworfen. Von Ihren eigenen Versprechungen, Herr Möllemann, will die Regierung ganz offensichtlich schon heute nichts mehr wissen, obwohl es einer der Kernpunkte Ihrer Ankündigung gewesen ist.
({3})
Ein anderes Beispiel: Nur äußerst zähflüssig werden andere Ankündigungen vom Anfang des vergangenen Jahres umgesetzt. Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf zur Errichtung eines Bundesausfuhramtes, das zukünftig für die Exportgenehmigungen zuständig sein soll, war im großartig angekündigten Maßnahmenkatalog des Bundeswirtschaftsministers Anfang des vergangenen Jahres enthalten. Bis zur Vorlage des Gesetzentwurfes benötigte die Regierung fast ein Dreivierteljahr. Dabei handelt es sich mehr oder weniger lediglich um die Ausgliederung einer einzigen Abteilung aus dem Bundesamt für Wirtschaft. Wer in einem derartigen Schneckengang seine eigenen Vorhaben umsetzt, wenn er sie überhaupt umsetzt, dem kann es nicht sonderlich ernst mit seinen Versprechungen sein, den Exporteuren des Todes das Handwerk zu legen.
({4})
Herr Bachmaier, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Ja, bitte.
Herr Bachmaier, ich erinnere mich sehr wohl, daß Sie ab und zu im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages bei Beratung dieses Punktes zugegen waren
({0})
und immer versucht haben, Zusatzfragen zu stellen, zu verzögern, und das alles in Abstimmung mit Ihrem werten Kollegen Herrn Schily. Meine Frage ist deshalb: Wo ist denn Ihr werter Kollege Schily heute? Muß er anderen Tätigkeiten nachgehen? Kann er sich nicht einmal die Zeit nehmen, um als Berichterstatter heute hier zu sein? Oder was sind die eigentlichen Gründe seiner Abwesenheit?
({1})
Herr Hinsken, zum einen bin ich nicht der Vormund des Kollegen Schily. Zum anderen hätten Sie das hier nicht ansprechen sollen. Wissen Sie, wer letztlich so wenig von Aufklärung hält, wie mir das mehrfach im Wirtschaftsausschuß begegnet ist, wer schon bei der zweiten Fragerunde häufig Desinteresse bekundet, der sollte doch keine solchen Fragen stellen.
({0})
- Herr Grünbeck, ich habe jetzt niemanden persönlich angesprochen. Ich habe häufig gemerkt, daß Sie sich dafür interessieren. Aber es gab eine Vielzahl anderer.
Meine Damen und Herren, bei den Debatten über die Bekämpfung des illegalen Rüstungsexports habe ich immer wieder hervorgehoben, daß der illegale und kriminelle Rüstungsexport nur dann wirksam bekämpft werden kann, wenn der legale Rüstungsexport eingeschränkt und weitgehend unterbunden wird. Davon will die Bundesregierung aber gar nichts wissen.
Die unverantwortliche Art und Weise, mit der das Bundesverteidigungsministerium und andere Bundesorgane die Waffen und militärischen Ausrüstungsbestände der ehemaligen Nationalen Volksarmee in aller Herren Länder verramscht haben, offenbart die wahre Haltung der Bundesregierung beim Rüstungsexport.
Auch ist wieder davon die Rede - es wäre gut, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie hier ein klärendes Wort sagen würden -, daß die Genehmigungspflicht für sogenannte „dual use"-Güter, also Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken
dienen können, wieder eingeschränkt werden sollen, um den lautstark geäußerten Wünschen der deutschen Exportindustrie entgegenzukommen. Die umfangreichen Waffenschiebereien des Bundesverteidigungsministeriums sind ein klarer Beweis dafür, daß man den Bekenntnissen dieser Regierung, Waffen- und Rüstungsexporte einschränken zu wollen, keinen Glauben schenken kann.
({1})
Wer mit so miserablem Beispiel vorangeht, darf sich nicht wundern, wenn gewissenlose Krämerseelen sich um unsere Rüstungsexportkontrollvorschriften keinen Deut kümmern und weiterhin ihre Geschäfte mit dem Tod betreiben.
Wen würde es wundern, wenn in nicht allzu ferner Zukunft Exportgenehmigungen für den milliardenschweren Verkauf von Kriegsschiffen nach Taiwan erteilt würden und auch andere Länder des Nahen und Mittleren Ostens die so heiß begehrten Rüstungstechnologien genehmigt und geliefert bekämen? Ein klares Dementi, das nicht nur für den Augenblick gilt, wäre hier sehr willkommen. Hinhaltende Auskünfte über diese Dinge sind eher die Regel.
Meine Damen und Herren, die jetzt beginnenden Beratungen um die Ergänzungen des Grundgesetzes bieten uns allen eine große Chance, ein weitgehendes Rüstungsexportverbot in unsere Verfassung aufzunehmen. Diese heilsame Selbstverpflichtung würde die drohende Dynamik zu einer immer größer werdenden Ausweitung des rüstungsindustriellen Bereiches unterbinden und uns der verfassungsrechtlichen Verpflichtung unterwerfen, im Rahmen der bevorstehenden Wirtschafts- und Währungsunion mit aller Kraft für eine Einschränkung des gesamteuropäischen Rüstungsexportes einzutreten.
Wir müssen alles daransetzen, daß das vereinte Europa nicht zu einer Waffenschmiede ausgebaut wird. Wie das Beispiel Japan deutlich zeigt, liegen auch unsere industriellen Zukunftschancen nicht im militärischen Bereich, sondern bei der Entwicklung der Technologien, die uns helfen, unsere Umwelt- und Energieprobleme zu lösen und die Überlebenschancen der Menschheit zu verbessern.
Leiten Sie mit uns zusammen endlich eine Trendwende bei der Rüstungsexportpolitik ein. Wir könnten damit dem Frieden in der Welt einen wichtigen Dienst erweisen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Kolb.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei all dem was, uns der Kollege Bachmaier hier gesagt hat, kann ich nur in einem Punkte zustimmen, nämlich daß ein Jahr, nachdem der Golfkrieg in seine entscheidende Phase trat und uns erste Meldungen über eine Beteiligung deutscher Unternehmen an der Aufrüstung im Irak erreicht haben, das Außenwirtschaftsgesetz eigentlich längst novelliert und geltendes Recht sein könnte.
Leider, muß ich sagen, hat die Bundesratsmehrheit die schnelle Einarbeitung von Verbesserungen in die Gesetze verhindert.
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Das ist schon deshalb bedauerlich, weil zum einen bei allen Fraktionen von Anfang an Einigkeit über den Handlungsbedarf bestand und weil zum anderen wichtige Teile des Gesetzentwurfes unstreitig sind.
Ich will noch einmal, auch wenn wir uns heute quasi schon in „fünfter Lesung" der Entwürfe befinden, die Punkte Strafbarkeit der illegalen Ausfuhr sensitiver Güter ohne zusätzliche Gefährdungsprüfung, Strafbarkeit von Embargoverstößen, Einzelfallermächtigung für den Bundeswirtschaftsminister, Bestrafung von Technologiesöldnern und Bruttoabschöpfung von Erlösen aus Straftaten nennen, weil die Gefahr besteht, daß diese bei der aufgeregten Diskussion um geeignete Maßnahmen zur Prävention übersehen werden.
Aber ich stelle auch fest: Das sind zwar wichtige Punkte der Gesetzesänderung; allein mit ihnen sind jedoch die im Mittelpunkt stehenden Schutzgüter nicht zu bewahren. Es geht um die äußere Sicherheit und die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik sowie - das wird immer deutlicher - um das friedliche Zusammenleben der Völker.
Unser Gesetzentwurf sieht zur Wahrung dieser Rechtsgüter eine Möglichkeit für das Zollkriminalinstitut vor, unter eng bestimmten Bedingungen Eingriffe in die Freiheit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vorzunehmen.
Ich werde auch nicht müde, zu betonen, daß ein derartiger Eingriff in ein Grundrecht uns Liberalen ganz besonders schwer fällt. Angesichts der Bedeutung der genannten Schutzgüter halten wir diese Überwachungsmöglichkeit jedoch für geboten. Eine effektive Rüstungsexportkontrolle ist nach dem Motto „Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht naß! nicht möglich.
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Wir brauchen diese Möglichkeit, nämlich die ZKIBefugnis, zur Prävention von Straftaten. Es reicht eben nicht, Verstöße nachträglich zu sanktionieren, wenn die verbotene Ausfuhr bereits stattgefunden hat. Dann ist ein Schaden für die Bundesrepublik Deutschland und die Gefahr für den Frieden nicht mehr zu begrenzen. Die Berichte über die Nuklearinspektionen im Irak geben uns eine Vorstellung von dem, was alles hätte geschehen können.
Lassen Sie mich ein Wort zu den rechtlichen Bedenken sagen, die gegen die Abhörbefugnis vorgetragen worden sind: Es sind wichtige Klauseln in das Gesetz aufgenommen worden, um rechtsstaatlich bedenkenlose Verfahren zu garantieren. Es muß eine richterliche Anordnung erfolgen. Die Überwachungsgenehmigung ist auf drei Monate befristet. Der Betroffene ist so bald wie möglich von der Maßnahme zu unterrich6090
ten. Der Bundesfinanzminister hat in Abständen von sechs Monaten ein Gremium des Bundestages über die Durchführung der Maßnahme zu unterrichten. Schließlich ist die ganze Regelung von vornherein auf drei Jahre befristet und wird dann vom Gesetzgeber zu überprüfen sein.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in seiner Stellungnahme keine Einwände erhoben. Ich betone das, weil dies meines Erachtens eine unparteiische Antwort auf das Wehgeschrei der Opposition darstellt. Der Forderung des Datenschutzbeauftragten, eine strenge Zweckbindung der gewonnenen Daten vorzunehmen, ist zu Recht entsprochen worden. Die Verwendung der Daten ist auf Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht und die schweren Straftaten des § 138 StGB beschränkt.
Während der öffentlichen Anhörung des Wirtschafts- und des Rechtsausschusses im November ist von den Sachverständigen zu Recht der Vorschlag der Opposition kritisiert worden; ich gebe zu, daß unser Vorschlag ebenfalls kritisiert wurde, aber auch der Vorschlag der Opposition, der die Vorverlagerung des materiellen Strafrechts in den Bereich der Vorbereitungshandlung vorsieht. Damit - so die Sachverständigen - würde in den Graubereich subjektiver Merkmale vorgedrungen. Dies widerspricht unserem Rechtssystem, das auf ein eindeutiges Tatstrafrecht ausgerichtet ist. Der SPD-Entwurf kann daher nach unserer Auffassung keine ernsthafte Alternative sein.
Meine Damen und Herren, mit der Annahme unseres Gesetzentwurfs wird die Bundesrepublik die strengsten Beschränkungen für den Export militärisch verwendbarer Güter in der Welt haben. Das entspricht nicht nur dem politischen Willen unserer Politik, sondern wird auch der größer gewordenen Verantwortung Deutschlands gerecht.
Wir haben aber auch auf unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft einzuwirken, damit wir zu einer gemeinsamen Politik auf diesem Gebiet kommen. Ich begrüße deshalb nicht nur den vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition, sondern ebenso die Aufforderung an die Bundesregierung, auf eine europaweite Harmonisierung der Exportkontrolle zu drängen.
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Exportkontrolle muß effektiv und effizient erfolgen. Effektiv kontrollieren heißt, wir müssen die richtigen, die sensiblen Exportvorgänge kontrollieren. Effizient kontrollieren bedeutet, wir müssen die Exportvorgänge richtig, d. h. Mißbrauch wirksam unterbindend, kontrollieren. Effektive und effiziente Exportkontrolle bedeutet somit, die sensiblen Exportvorgänge so zu kontrollieren, daß ein Mißbrauch ausgeschlossen ist. Es kann jedoch nicht darum gehen, quasi flächendeckend ohne weiteres auch genehmigungsfähige Exporte zu behindern.
Vor diesem Hintergrund begrüße ich die gestrigen Kabinettsbeschlüsse zur Verkürzung der Länderliste H und zur Einführung einer Länderliste I. In diesem Zusammenhang macht aber vor allem auch die Einrichtung eines Bundesausfuhramtes als selbständiger Bundesoberbehörde Sinn. Sie ist zugleich ein wichtiger Ausdruck gewachsener Sensibilität der deutschen Außenwirtschaftspolitik allgemein. Ich halte es für ein gutes Zeichen, daß sich im Wirtschaftsausschuß alle Fraktionen einmütig für die Einrichtung dieser Bundesoberbehörde ausgesprochen haben.
Die Ausgliederung der bisherigen Abteilung VI, der Ausfuhrabteilung, aus dem Bundesamt für Wirtschaft ist zur Erreichung des Zieles effektiver und effizienter Exportkontrolle auch deshalb erforderlich, weil die Beschaffung von Rüstungsgütern heute schwieriger zu durchschauen ist als noch vor Jahren. Der Trend geht dahin, nicht mehr in erster Linie komplette Waffen zu kaufen, sondern „dual use"-Waren zu verwenden. Dabei werden Teile dezentral beschafft, um sie im Bestimmungsland zusammenzubauen. Oftmals ist nicht leicht erkennbar, ob die exportierten Güter zu zivilen oder militärischen Zwecken benutzt werden sollen. Diese Beschaffungsmethoden erfordern zwingend eine spezialisierte, logistisch auf dem neuesten Stand operierende und hochmotivierte Exportkontrolle.
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Die nichtöffentliche Anhörung zur Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen sowie zahlreiche Gespräche, die ich mit Unternehmern und Arbeitnehmern betroffener Unternehmen führte, haben eines ganz deutlich gezeigt: Die Wirtschaft erkennt die Notwendigkeit einer Kontrolle ohne Einschränkung an. Sie drängt aber zugleich auf kurze Bearbeitungszeiten, und das mit gutem Recht. Die Dauer von Kontrollen darf nicht zu einer Schädigung der Wettbewerbschancen für die deutsche Exportwirtschaft führen.
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- Daß es nicht dazu führt, das ist allerdings sehr wichtig. Ich denke, Herr Jobst, daß ein selbständiges Bundesausfuhramt ganz entscheidend dazu beitragen kann, die Bearbeitungsfristen zu verkürzen.
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Hinsichtlich der Anzahl und der Qualifikation der Mitarbeiter ist auf eine erstklassige Ausstattung des Bundesausfuhramtes großer Wert zu legen. Das gebieten schon die hohen Anforderungen, die wegen der komplexen Materie an den einzelnen Exportkontrolleur gestellt werden. Wichtig ist aber auch die sachliche Ausstattung. Es muß Unternehmen möglich sein, kurzfristig sachkundige Auskunft zu erlangen. Dazu ist es notwendig, daß die vorhandene Datenverarbeitung ausgebaut wird. Das Bundesausfuhramt muß durch eine vollständige Vernetzung eine effektive interne Kommunikation schaffen, die beispielsweise Informationsrecherchen am Bildschirm und den Zugriff auf Datenbanken ermöglicht. Es muß auch das Ziel angestrebt werden, durch papierlose Antragstellung und Bearbeitung die Bearbeitungszeit zu reduzieren.
Im Interesse kurzer Verfahrenszeiten sollte auch darüber nachgedacht werden, die Organisationsstruktur, die Zusammenarbeit des technischen und juristischen Personals möglichst flexibel zu gestalten.
Es wäre denkbar, bei besonders umfangreichen und schwierigen Prüfungen spezielle Teams als Task forces zu bilden.
Ein letztes Wort zum Sitz der Behörde. Es geht darum, Reibungsverluste durch die Verlegung des Sitzes der Behörde und den Verlust eingearbeiteter Mitarbeiter in diesem sensiblen Bereich zu vermeiden. Die Mitarbeiter der bisherigen Abteilung VI sollen ja übernommen werden. Es spricht aus unserer Sicht alles dafür, das Amt am Sitz des Bundesamtes für Wirtschaft, also in Eschborn, aufzubauen. Die Ausgestaltung des neuen Bundesamtes wird in der Praxis darüber entscheiden, ob das erstrebte Ziel einer effektiven und effizienten deutschen Exportkontrolle, die einen Beitrag zur internationalen Friedenssicherung leistet, ohne die deutsche Exportwirtschaft zu lähmen, erreicht werden kann. Meine Damen und Herren, wir haben heute die Möglichkeit, die Grundlage dafür zu schaffen.
Ich danke Ihnen.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Lederer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Geschäft mit dem Tod läuft besser denn je. Warum auch nicht? Die Bundesregierung zeigt doch tatsächlich allen Interessierten, wie es gemacht wird; ob legal, halblegal oder illegal, spielt dabei kaum noch eine Rolle. Da wird in der Türkei praktisch eine ganze Armee mit NVA-Material neu ausgerüstet, Griechenland wird kaum schlechter bedient, Uruguay kann seine Kriegsflotte vergrößern, und für den Irak entpuppt sich die Bundesrepublik förmlich als Hoflieferantin für die brisantesten aller Waffentechnologien, nämlich für chemische und nukleare Waffen.
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-- Ich gehe einmal davon aus, daß Sie heute morgen Zeitung gelesen haben. - Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Ein Anruf genügt, und sollte es Probleme mit Gesetzen und Vorschriften geben, so gibt es schon noch Mittel und Wege; wir haben auch noch unsere Dienste.
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Die ganze Veranstaltung rangiert dann auch noch unter dem Thema „Abrüstung und Konversion". Das ist ebenso genial wie perfide. Aber was soll's? Die Kasse freut es, und den Militärs in aller Welt tut sich hier eine Fundgrube auf. Wenn die Lager dann geräumt sind, haben wir schließlich noch unsere gute deutsche Industrie, und diese hat in der Zwischenzeit nämlich auch nicht geschlafen. Damit, daß sie dabei manchmal über die Stränge schlägt, indem sie etwa eine Giftgasfabrik an das politisch geächtete Libyen liefert oder mit dem Export von Giftgas und Raketentechnologie, Abschußrampen und Fahrzeugen an den Irak unangenehm auffällt, läßt sich hierzulande leben. Eine Zeitlang gibt es wortgewaltige öffentliche Empörung; die Konsequenz liegt dann in kleinen gesetzgeberischen Scheinkorrekturen, und es geht weiter wie bisher.
Die Bundesregierung geht mit gutem Beispiel voran, und zwar nach dem gemeinsamen Motto: „Erst kommt das Geschäft und dann die Moral." - Aber nicht nur das: Sie ist auch Garant dafür, daß alles bleibt, wie es war. Nur um die Kosmetik muß sie sich kümmern, denn hier wie im Hamburger Hafen gilt: Auf die richtige Verpackung kommt es an. Deshalb sitzen wir auch hier heute und beraten - ich glaube, zum fünften Mal - über Gesetzentwürfe, von denen im Grunde genommen alle hier wissen, daß ihretwegen in Zukunft kein einziges Mordinstrument weniger exportiert oder hergestellt und kein einziger Mensch unter Anwendung deutscher Waffen und Technologie weniger getötet wird als bisher.
Nun stellt sich auch noch heraus, daß bundesdeutsche Firmen maßgeblich am irakischen Atomwaffenprogramm - vor allem am Know-how - beteiligt sind. Das, was hierzulande glücklicherweise nicht erlaubt ist, nämlich Nukleartechnologie militärisch zu nutzen, wird in anderen Ländern der Welt ganz offenkundig fleißig trainiert. Soll das vielleicht die Übung für spätere Zeiten sein? Steckt darin vielleicht die Spekulation auf den deutschen Finger am atomaren Abzug?
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Solange nicht der politische Wille besteht, dies tatsächlich und effektiv zu verhindern - das kann nur heißen, Rüstungsexporte grundsätzlich zu verbieten -, solange der Rüstungsexport legal expandiert, solange wird auch das Problem der illegalen Rüstungsexporte nicht beseitigt werden.
Wenn Sie hier von Übertreibung reden, frage ich Sie: Wie wollen Sie eigentlich den Widerspruch auflösen, der darin liegt, daß wir bei Debatten um die künftige Aufgabe von NATO und Bundeswehr von Risiken- insbesondere durch Weiterverbreitung beispielsweise von Waffentechnologien - reden, während die Risiken im Grunde genommen hier produziert werden, nämlich indem diese Technologien von hier aus weiterverbreitet werden? Erklären Sie das bitte der Öffentlichkeit. Darauf gibt es im Prinzip keine andere Antwort, als daß es genau am Willen fehlt.
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Meine Damen und Herren, beispielhaft an Hand der BND-Waffenschiebereien mit Israel haben wir erleben müssen, wie tief die Bundesregierung selbst in illegale Rüstungsexporte verstrickt ist. Wir erleben an Hand des bedenkenlosen Verrammschens der NVA-Bestände in alle Welt und der parallel dazu verlaufenden Anstrengungen, die Bundeswehr an kriegerischen Auseinandersetzungen auch künftig weltweit beteiligen zu können, wie wenig glaubhaft sich die Friedfertigkeit in Ihrer Außenpolitik tatsächlich präsentiert. Wir mußten in den letzten Wochen erfahren, daß die bundesdeutsche Industrie nicht einmal davor zurückschreckt, zur atomaren Aufrüstung Dritter maßgeblich beizutragen.
Vor diesem Hintergrund wird uns ein Gesetzentwurf vorgelegt, der an der Sache nichts ändern wird, der zu nichts weiter als der Beruhigung der über das Gebaren von Regierung und Industrie zu Recht aufgebrachten Öffentlichkeit dient.
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- Sechsmal, Herr Kittelmann, in Vorbereitung dieser Debatte. Es tut mir leid, es gibt keine Veränderung festzustellen. Es ist nach wie vor Kosmetik.
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Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die monatelange Verschleppung selbst dieser untauglichen Maßnahmen mit dem magischen Datum 1. Januar 1993 zusammenhängt. Ist schon heute im Rahmen europäischer Rüstungskooperation fast alles möglich, werden ab dann nämlich sämtliche bundesdeutschen Bestimmungen insofern gegenstandslos, weil sich schlicht die noch laxeren Exportbestimmungen der anderen Länder durchsetzen werden. Die bundesdeutsche Industrie muß ihre tödliche Ware nur noch in ein geeignetes Exportland schaffen, beispielsweise Frankreich, und kann von dort aus exportieren. Deutsch-französische Truppen als Kern einer Militärgroßmacht Europa und deutsch-französische Kooperation als Kern der europäischen Rüstungsindustrie: Das ist offenkundig vor allem das, was unter westeuropäischer Integration verstanden wird.
Meine Damen und Herren, Vergangenheit und Gegenwart deutscher Rüstungsexporte zeigen, daß die Kontrolle von Rüstungsexporten unzulänglich ist. Es genügt nicht, einzelne Gesetzesbestimmungen zu verschärfen. Das hat bis jetzt nicht funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht tun, weil nämlich erstens die Bundesregierung im Einvernehmen mit der Rüstungsindustrie kein Interesse hat, weil zweitens eine effektive Kontrolle von rüstungsrelevanten Gütern, wie die Dual-use-Problematik zeigt, praktisch äußerst schwierig ist, weil drittens der europäische Binnenmarkt die Bestimmungen der Bundesrepublik de facto aushebelt und weil viertens das Hauptproblem gar nicht die illegalen Exporte sind, die 3 % bis 5 % ausmachen, sondern die legalen und genehmigten, wie die Auf- und Ausrüstung des Irak in diesen Tagen belegen. Deshalb muß der Export von Rüstung insgesamt verhindert und den Todeshändlern auf allen Ebenen das Handwerk gelegt werden. Es ist nicht mehr und nicht weniger erforderlich als ein generelles Verbot von Rüstungsexporten und in der Folge davon ein Konversionsprogramm. Wir haben hierzu einen Entschließungsantrag in diese Debatte eingebracht.
Es ließe sich heute durch einige Sofortmaßnahmen einiges erreichen, wozu nichts weiter nötig wäre als der politische Willen dazu: ein sofortiges Moratorium, das den Rüstungsexport in den Nahen und Mittleren Osten, wie es auch die SPD fordert, aber auch in die Türkei wirksam unterbindet, ein sofortiger Stopp der wehrtechnischen Zusammenarbeit, die Verhinderung von weiteren Lieferungen aus Beständen der ehemaligen NVA, eine Aussetzung der Ausstattungs-, Ausbildungs- und Militärhilfe und die Einführung einer wirklichen öffentlichen Überwachung und Kontrolle aller Vorgänge im Zusammenhang mit Rüstungs- und rüstungsrelevanten Exporten.
Die Risiken und die Bedrohung, von denen zur Zeit so gerne schwadroniert wird, nicht zuletzt deshalb, um Bundeswehreinsätze in aller Welt populär verkaufen zu können, sitzen hier auf der Regierungsbank und in der deutschen Industrie versammelt.
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Das Risiko ist die Bundesrepublik selber, solange sie bedenkenlos Waffen, Waffentechnologie und Knowhow auf der Welt verbreitet. Geradezu entlarvend ist es, sich jetzt von deutschen Waffen und deutschem auch Know-how in aller Welt bedroht zu fühlen und damit noch die eigene Aufrüstung zu begründen.
Ich danke.
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Als nächste spricht jetzt die Abgeordnete Vera Wollenberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beteuerung der Bundesregierung, mit ihrem Gesetzentwurf solle friedensgefährdenden deutschen Rüstungsexporten endlich entgegengewirkt werden, ist nur für die Öffentlichkeit gedacht, die durch Presseberichte über deutsche Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern in Spannungs- oder Krisengebiete immer wieder aufgeschreckt wird. Wie wenig ernst es der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition mit diesem vorgeblichen Ziel ist, zeigt der Widerstand gegen folgende Forderungen, die in der Vergangenheit vor allem von den GRÜNEN auch hier im Bundestag erhoben wurden:
Erstens. Strafbewehrtes Exportverbot für Kriegswaffen und eindeutige Rüstungsgüter samt einer grundgesetzlichen Verankerung.
Zweitens. Einschränkung multinationaler Rüstungsproduktion, generelle Ablehnung von Exporten des Endprodukts in Drittländer.
Drittens. Keine staatlichen Garantien oder Bürgschaften für Waffen- und Rüstungsexporte.
Viertens. Vollständige Information des Bundestages über Art und Beteiligte an genehmigten Waffen- und Rüstungsexporten.
Fünftens. Mehr Außenprüfung durch Zoll- und Bundesausfuhramt bei verdächtigen, legalen Exporteuren.
Ich könnte, will aber diese Aufzählung hier nicht fortsetzen.
Statt dessen will die Bundesregierung weiterhin solche Konstrukteure und Zulieferer von Rüstungsprodukten straffrei stellen, die sich leichtfertig der Erkenntnis verschließen, daß die von ihnen gelieferten wesentlichen Bestandteile, so der Gesetzestext, für Waffen eben solche sind. Dies müssen Erbauer von Pestizidfabriken u. a. im Irak oder anderswo geradezu als Aufforderung verstehen, wie gehabt zu verfahren und sich dumm zu stellen.
Unter Ausklammerung dieses breiten Bereichs legaler Exporte will die Bundesregierung mit dem Zollkriminalamt einen vierten Geheimdienst schaffen. Bei dessen geplanten präventiven Befugnissen zur Fernmeldeüberwachung handelt es sich der Sache nach um Polizeirecht und damit um Länderangelegenheiten. Dies ist auch nach den geringfügigen Abänderungen gegenüber dem ersten Gesetzentwurf im Kern so geblieben. Den Umfang dieser Überwachungsausübung könnte nicht mehr der Gesetzgeber regulieren, falls er heute den Entwurf passieren läßt, sondern die Exekutive selbst, denn dieser hängt von der Ausgestaltung der Ausfuhrliste ab, welche durch die Bundesregierung, faktisch durch das Wirtschaftsministerium allein, ständig variiert wird.
Die dabei gewonnenen Daten dürften z. B. auch an den Verfassungsschutz weitergeleitet werden. Das Vorhaben der Bundesregierung, den Empfängern solcher Übermittlung die freie Nutzung dieser Daten auch für sonstige Zwecke bis hin zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zu ermöglichen, konnte zwar noch gestoppt werden, aber der Gesetzentwurf ist auch ohne diese Regelung gefährlich genug, hat er doch nach dem Eingeständnis der Union Türöffnerfunktion für den Bereich, der gern Wischi-Waschi als organisierte Kriminalität bezeichnet wird. Zudem werden hier wie dort die Möglichkeiten vor allem durch die Telefonüberwachung überschätzt, wie der Bundesregierung auf der Expertenanhörung von sehr vielen Sachverständigen leider folgenlos entgegengehalten wurde. Zum Beispiel bei Mobiltelefon und Telefax ist praktisch nichts zu holen. Aber auch im übrigen gehen die Erfolgsaussichten gegen Null.
Rechtssystematisch verstoßen derartige Überwachungen bzw. Ermittlungen ohne Anfangsverdacht gegen die verfassungsmäßige Unschuldsvermutung und das Bestimmtheitsgebot. Wenn sich die Bundesregierung nun nebst Union anschickt, alle diese Mahnungen von den gestandenen Praktikern in den Wind zu schlagen, müssen wohl gewichtige ordnungspolitische Gründe dahinterstehen, derartigen Befugnissen eine erste Bresche zu schlagen, auch für künftige Einsatzbereiche.
Ein Wort zum SPD-Entwurf. Durch den juristischen Kunstgriff, die materielle Strafbarkeit weit vorzuverlegen, im übrigen aber die gleichen Überwachungsbefugnisse daran zu koppeln, ist allenfalls für die reine Lehre oder die Rechthaberei im Parteienstreit etwas gewonnen, nicht aber für die potentiell betroffenen Bürger oder die Wahrung hergebrachter Rechtsschutzprinzipien, wie der Unschuldsvermutung. Mit Recht ist der SPD-Entwurf auf der Expertenanhörung durch den Bundesdatenschutzbeauftragten charakterisiert worden, er weise in der Sache kaum Unterschiede zum Regierungsentwurf auf. Wir lehnen deshalb beide Entwürfe ab. Wir stimmen aber dem Antrag der SPD, den amerikanischen Vorschlag im Repräsentantenhaus, der den Stopp aller amerikanischen Waffenverkäufe im Nahen und Mittleren Osten sowie der Golfregion vorsieht, durch ein deutsches Rüstungsexportmoratorium zu unterstützen, zu.
Gerade ein Jahr liegt der Krieg am Golf zurück. Dieser Krieg war ein Test für neue Waffensysteme, wie Jacqueline K. Davis, die Vizepräsidentin des
Pentagon-nahen Institute for Foreign Policy Analysis in einem Interview für die „Washington Post" im März 1991 sagte. Für diese verkaufsfördernden Tests bedankte sich die Rüstungsindustrie, indem sie während der karnevalsartigen Siegesfeiern dekorierte Wagen z. B. des Patriot-Herstellers Raton durch den Konfettiregen mitführte.
Der Golfkrieg steckt vielen Menschen noch in den Knochen und in den Köpfen. Er gehört nur scheinbar der Vergangenheit an, denn es gibt kein tatsächliches öffentliches Bewußtsein über das, was er angerichtet hat. Seine menschlichen, ökologischen und politischen Folgen sind bei weitem nicht erfaßt. Probleme wurden mit diesem Krieg nicht gelöst; eher sind neue entstanden.
Das Vorkriegsgerede von einer besseren Welt nach dem Krieg hat sich längst als eine Rechtfertigungspropaganda entlarvt. Weder im Irak noch in Kuwait wurde mit diesem Krieg der Demokratisierungsprozeß in Gang gesetzt. Die angebliche neue Weltordnung ist ein Trugbild geblieben, und Saddam Hussein setzt seine brutale Unterdrückungspolitik fort.
Die Lehre aus dem Golfkrieg müßte deshalb unbedingt sein, daß Konfliktbeseitigung im Vorfeld kriegerischer Auseinandersetzungen stattfinden muß. Aber nicht nur Amerika hat 1990 seine Rüstungsexporte in die Länder der Dritten Welt mehr als verdoppelt, nämlich von 7,8 auf 18,5 Milliarden Dollar. Zwischen 1987 und 1990 wurden in die Krisenregion Waffen im Wert von knapp 31 Milliarden Dollar geliefert. Dabei waren die wichtigsten Käufer Saudi-Arabien und der Irak.
Wir waren nicht zurückhaltender. Auch die deutsche Rüstungsindustrie hat die Region gefüttert: Irak, Syrien und Libyen. Mit deutscher Kriegstechnik wurden arabische Staaten chemisch, biologisch und atomar hochgerüstet. Damit sind wir verantwortlich für die unberechenbaren Reaktionen nicht nur eines Saddam Hussein und gefährden zudem den dringend notwendigen Dialog zwischen uns und dieser Region, werfen ihn um Jahrzehnte zurück, als gäbe es dort nichts mehr zu verlieren.
Fast alle nahöstlichen Regime sind autoritär regiert, und die meisten stützen sich mehr oder weniger auf Armee, Polizei und Geheimdienste. Die Menschenrechtssituation in diesen Staaten ist beunruhigend. Diese autoritäre und repressive Herrschaft begünstigt Korruption, schafft Rechtsunsicherheit und schränkt grenzüberschreitende Kontakte ein und erleichtert somit die Einflußnahme potenter inländischer und ausländischer Interessen auf politische Entscheidungen.
Der Golfkrieg und die Golfkrise haben vor allen Dingen einen Rückschlag auf die Ansätze der Demokratiebewegung in den arabischen Ländern bewirkt. Internationale Verhandlungen über die Beschränkung von Rüstungstransfers in die Golfregion können zwar durch ein Moratorium für Waffenexporte erleichtert werden, doch sollte die Politik der Bundesregierung darauf zielen, daß Waffen aus deutscher Produktion in kein Land der Erde exportiert werden.
Vielen Dank.
({0})
Als nächster spricht der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, der heute zur abschließenden Beratung vorliegt, ist in einer weitgehend ähnlichen Form bereits am 22. März 1991 beschlossen worden. Das war gut sechs Wochen nach meinem Amtsantritt.
Ich erwähne das, weil ich kürzlich in einer Zeitung gelesen habe - sinnigerweise auch noch unter der Überschrift „Wider die öffentliche Heuchelei" -, wir hätten den Handlungsbedarf zwar erkannt, aber nichts getan. Wir haben innerhalb kürzester Frist nach meinem Amtsantritt dieses Gesetz auf den Weg gebracht, von dem Sie damals gesagt haben, es sei in einem bestimmten Punkt zu scharf. Deswegen haben Sie den Entwurf zurückgewiesen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich möchte mir ungern vorhalten lassen - deswegen sage ich das hier zu Beginn -, diese Regierung habe, als die entsprechenden Erkenntnisse vorlagen, nicht sofort gehandelt.
Ich appelliere deswegen heute erneut an Sie alle: Verbesserte präventive Eingriffsmöglichkeiten zur Verhinderung illegaler Ausfuhren, höhere Strafen und die Abschöpfung aller Erlöse aus kriminellen Exporten müssen jetzt endlich Gesetzeskraft erhalten.
({0})
Wir sollten auch nicht wegen der im Gesetz enthaltenen und in der vorgesehenen Fassung umstrittenen Telefonüberwachung der vielzitierten Händler des Todes das Gesetzgebungsverfahren weiter in der Schwebe lassen. Die juristischen Unterschiede in den Auffassungen sind einer breiten Öffentlichkeit inzwischen ohnehin nicht mehr verständlich zu machen. Der Sache ist mit der Blockierung des Gesetzgebungsverfahrens wahrlich kein guter Dienst erwiesen worden. Wir alle wollen doch den staatlichen Behörden ein besseres Instrumentarium an die Hand geben, um die den Völkerfrieden gefährdende Kriminalität des illegalen Waffenhandels verhindern zu können.
Leider wird dies trotz aller Anstrengungen bei 18 Millionen Ausfuhrsendungen vor allem im Bereich der Dual-use-Güter, also des Exports von Gütern, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke zu nutzen sind, nie hundertprozentig möglich sein. Aber der Boden unseres Landes muß für derartige Aktivitäten ähnlich unbequem werden wie der anderer westlicher Länder. 15 Jahre Höchststrafe - Herr Kollege Bachmaier, Sie haben das etwas bagatellisierend behandelt - sind ja eine drastische Steigerung des Strafmaßes gegenüber dem Gesetzestext - ({1})
- Pardon, Sie haben recht: des Strafrahmens. Da
merkt man den Unterschied zwischen dem Juristen
und dem Nichtjuristen; ich bitte um Nachsicht. Sie haben das zu Recht so beschrieben.
({2})
Jedenfalls ist diese Bestimmung drastisch verschärft, der Strafrahmen drastisch ausgeweitet worden, auch gegenüber der Zeit, in der SPD und FDP hier die Mehrheit hatten. Deswegen sollte man sich nicht immer allzu schnell in eine Anklagepose begeben. Der ruhige Rückblick auf das eigene Handeln in der Phase eigener Zuständigkeit gibt dazu für Sie wenig Anlaß.
Nun gehen aber die höchsten Strafandrohungen ins Leere, wenn das Risiko, aufzufallen, gering ist; das ist doch unser Problem. Es ist auch schwer verständlich zu machen, meine Damen und Herren, daß ein Mitglied einer verfassungswidrigen Organisation dem Risiko des Grundrechtseingriffs rechtsstaatlich ausgesetzt wird, dies dagegen demjenigen gegenüber nicht möglich sein soll, bei dem Anhaltspunkte für eine Mitwirkung an Massenvernichtungsprogramm en vorliegen.
Niemand täusche sich über die Tatsache hinweg, daß wir international - trotz aller Maßnahmen des letzten Jahres - nicht gut dastehen. Trotz des RabtaSchocks und der bereits 1989/90 erfolgten rechtlichen und administrativen Verschärfungen sind aus Deutschland Zulieferungen für das irakische Atomwaffenprogramm erfolgt, haben deutsche Lieferungen zu einer Verbesserung der irakischen Scud-Raketen geführt und ist - in Einzelfällen - auch das Embargo der Vereinten Nationen gegen den Irak noch unterlaufen worden.
Die laufenden Prozesse zeigen, mit wie grober verbrecherischer Energie - unter dem Eindruck hoher Gewinnerwartungen - bei illegalen Exporteuren zu rechnen ist.
Die Entschlossenheit der deutschen Politik, diesen Kriminellen das Handwerk zu legen, wird auch daran gemessen werden, ob das verschärfte Gesetz jetzt in Kraft gesetzt wird. Mich erreichen viele Briefe besorgter Bürger, auch von Schülerinnen und Schülern
({3}): Uns auch!)
- natürlich, Sie alle -, die absolut kein Verständnis dafür haben, daß die nötigen Gesetze so verzögert worden sind.
In einigen Medien wurde sogar der Eindruck vermittelt, die deutsche Politik habe sich bewußt blokkiert, um letztlich nichts zu tun. Auch Sie, Herr Kollege Bachmaier, haben hier, kaum noch verhohlen, angedeutet, daß dies das Ziel gewesen sei, allerdings nicht Ihr Ziel, sondern angeblich das unsere. Fällt Ihnen nicht auf, daß das die Art von Argumentation ist, die die Leute draußen so ankotzt,
({4})
die so empörend ist, weil mancher nicht mehr in der Lage ist, sich mit einer Position sachlich auseinanderzusetzen, ohne dem anderen gleich üble Motive zu unterstellen? Das haben Sie getan.
Ich möchte mich daran nicht beteiligen, auch nicht daran, mich mit der Dame von der PDS auseinanderzusetzen,
({5})
die mit ihrem Beitrag dem Faß den Boden ausgeschlagen hat. Wer einen solchen Sumpf, eine solche verrottete Situation zu verantworten hat - mit all dem, was wir in den letzten Tagen gehört und gelesen haben -, sollte aufhören, sich hier als Sittenwächter aufzuspielen.
({6})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bachmaier?
Ja, bitte.
Ich habe gerade gedacht, Sie meinen mit „Sumpf" mich.
({0})
Nein, nein.
Aber ich habe dann gemerkt, daß es nicht so gemeint war. Jetzt meine Frage: Herr Bundeswirtschaftsminister, räumen Sie ein, daß wir Ihnen im vergangenen Jahr, u. a. auch im Verfahren im Vermittlungsausschuß im vergangenen Sommer, mehrfach angeboten haben, den strafrechtlichen Teil, den Teil zur Verschärfung der Strafvorschriften, des Außenwirtschaftsrechts abzukoppeln, ihn schnell durch die Gesetzgebungsgremien zu bringen und zu verabschieden?
({0})
Herr Kollege Bachmaier, das ist nicht einzuräumen, sondern das ist eine zutreffende Feststellung.
({0})
Aber wir haben dem widersprochen, und ich will begründen, warum.
Wir haben gesagt: Auch wenn wir uns noch drei-, viermal zu einer weiteren Erhöhung des Strafrahmens durchringen, so nützt uns das nichts, wenn wir die Leute nicht kriegen. Unser Problem bisher war doch, daß wir den Leuten in all diesen Fällen erst dann auf die Schliche gekommen sind, wenn die Waffen, die Rüstungsgüter am Bestimmungsort angekommen waren. Das, worum es gehen muß, ist, die illegalen Exporte künftig zu verhindern. Natürlich sollen die Täter dann auch bestraft werden, und zwar kräftig.
({1})
Aber vorher müssen wir die, die wir einsperren
wollen, packen. Wir glauben, daß der von uns
gemachte Vorschlag mit dem Instrumentarium, das
ich soeben angesprochen habe, wirkungsvoller ist als Ihr Vorschlag.
({2})
Es trifft zu, daß sowohl unsere Überlegungen wie die Ihren von juristischen und sonstigen Experten im Anhörverfahren kritisch beleuchtet worden sind. Wir erleben ja immer wieder, daß eingeladene Experten, die ja im allgemeinen nur wegen ihrer Sachkunde und überhaupt nicht wegen ihrer parteinahen Position eingeladen werden, Positionen kritisch beleuchten. Ich gebe zu bedenken, liebe Kollegen und Kolleginnen, ob wir diesen Zirkus so fortsetzen sollten. Da werden Sachverständigenanhörungen organisiert, und sorgfältigst werden die einzuladenden Sachverständigen danach ausgesucht, daß sie bloß nicht ihren Sachverstand einsetzen, sondern die Position der Partei bestärken, die sie eingeladen hat. Das ist doch so. Hilft das wirklich noch weiter? Es gibt Rituale, die wir einander künftig schenken sollten.
({3})
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?
Ja. Bitte.
Herr Minister Möllemann, stimmen Sie mir zu, daß alle Sachverständigen mit Ausnahme des Leiters des Zollkriminalinstituts, also auch jene Sachverständigen, die von Ihnen eingeladen worden sind, Ihre Abhörvorschläge abgelehnt haben?
({0})
- Das ist genau korrekt.
Er hat mich gefragt, glaube ich.
({0})
Gefragt ist der Minister.
Das kann man wohl sagen. Das ist sicher in Ordnung. - Herr Kollege, ich wollte Ihnen sagen: Sie interpretieren das Ergebnis der Anhörung nicht korrekt. Es hat sowohl zu Ihren wie zu unseren Vorschlägen unterschiedliche Meinungen gegeben. Nun müssen wir heute unser Urteil abgeben und dürfen es nicht weiter auf die Anhörung schieben.
Wir sind den Kritikern des Entwurfs ein großes Stück entgegengekommen und haben auf die rechtlichen Bedenken mit einem überarbeiteten Gesetzentwurf reagiert. Ich nenne nur stichwortartig die Verbesserungen bei der Eingriffsermächtigung des Zoll6096
kriminalinstituts, die jetzt an die Unterrichtung der Staatsanwaltschaft gekoppelt ist. Sie bedeuten ein Plus an Effizienz und Rechtsstaatlichkeit; denn die Staatsanwaltschaft übernimmt die unerläßliche Koordinierung aller Maßnahmen.
Ich habe bereits bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 6. September darauf hingewiesen und bleibe auch jetzt dabei: Das Verfassungsgebot des Schutzes der Privatsphäre des Bürgers bleibt unangetastet. Die Grenzen dieses Rechts werden weiterhin respektiert. Wir wollen das illegale Geschäft mit Waffen verhindern. Unser Ziel ist nicht der Überwachungsstaat. Auch deshalb wird der bestehende Katalog für Telefonkontrollen nicht ins Uferlose ausgeweitet. Dabei haben wir - ich betone dies noch einmal - sehr eng mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zusammengearbeitet und das Einvernehmen mit ihm erzielt. Wir sollten auch diese Tatsache hier nicht verdrängen.
Auf der anderen Seite sind die vorgeschlagenen Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zum Schutz höchster Verfassungsgüter - Frieden und menschliches Leben - notwendig. Ohne deutliche Steigerung der Kontrolleffektivität im Bereich des Außenwirtschaftsrechts erweisen wir dem internationalen Frieden und der Außenhandelsfreiheit einen Bärendienst.
herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Lederer?
Ja.
Herr Minister, unabhängig davon, daß aus meiner Sicht Waffenexporte, egal, aus welchem Land sie kommen, zu verurteilen und einzustellen sind: Wie erklären Sie sich angesichts dieses Ausdrucks „verrotteter Sumpf", daß die Bundesrepublik dennoch auf der Liste der größten Waffenexporteure immer noch vor der ehemaligen DDR rangiert?
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Stimmt doch gar
nicht! - Josef Grünbeck [FDP]: Lesen Sie
doch mal richtig! - Friedhelm Ost [CDU/
CSU]: Alles gefälscht!
Gemach! - Es ist empfehlenswert, sich den Überblick genau anzuschauen. Sie wissen offenkundig nicht, aber Sie könnten, wenn Sie nachlesen würden, wissen, daß wir einen ungewöhnlich geringen Anteil von Rüstungsgütern an unserem Gesamtexport haben und daß der Löwenanteil der bei uns genehmigten Rüstungsexporte in NATO-Staaten und in NATO-Staaten gleichgestellte Länder geht. Wir halten uns dort strikt an die im Jahre 1982 von der Regierung Schmidt/Genscher formulierten exportpolitischen Grundsätze.
({0})
- Dann müssen Sie Ihre Frage konkreter formulieren.
({1})
Ich wende mich entschieden gegen das niemals offen, aber subtil vorgebrachte Argument, auch andere lieferten. Die Lieferantenkontrolle einiger illegal handelnder deutscher Exporteure war nach unserem derzeitigen Wissensstand im internationalen Vergleich prominent, um es ganz lapidar zu sagen. Im übrigen hat es - ob uns das gefällt oder nicht - eine andere Qualität, je nachdem, ob es um ausländische Lieferanten geht oder ob sich deutsche Lieferanten im Irak an Massenvernichtungsprogrammen beteiligen.
Vor wenigen Tagen ist in vielen Reden der 50. Jahrestag der verhängnisvollen Wannsee-Konferenz beschworen worden - das ist gut und richtig so -, aber in Israel hat man sich an Gas bei den Scud-Angriffen vor genau einem Jahre erinnern müssen, und hinter dem gefürchteten irakischen Gas steckte deutsches Anlagen-Know-how.
Nötig ist jetzt die Verabschiedung des verbesserten gesetzlichen Instrumentariums und die Reformierung der Behördenstruktur mit einer Ausfuhrkontrollbehörde, die auch zu einer wirkungsvollen Überwachung in der Lage sein wird. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses, beiden Gesetzentwürfen mit großer Mehrheit zuzustimmen, ihre Entschlossenheit zu einer wirksamen Ausfuhrkontrolle zu unterstreichen und damit auch ein wichtiges außenpolitisches Signal zu setzen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächster spricht Herr Abgeordneter Lowack.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Kittelmann sehr dankbar für den Hinweis, daß wir bereits im Jahre 1990 das Außenwirtschaftsrecht geändert hatten. Damals war der U-Boot-Untersuchungsausschuß eine sehr wichtige, wenn auch nicht ausreichende Erkenntnisquelle. Ich frage mich nur: Weshalb wurde dann wenige Monate später erneut an diesem Außenwirtschaftsrecht herumgebastelt? Da müssen wir uns einfach einmal über den Ausgangspunkt unterhalten, den ich tatsächlich ganz woanders sehe. Da gab es früher einmal, Kollege Möllemann, einen Präsidenten der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, der sich besonders um die Exporte nach dem Irak und nach Libyen verdient gemacht hatte. Und es gab - wenn ich auf eine Sendung im bayerischen Fernsehen Bezug nehmen darf - ein sehr eingespieltes Verfahren, wie derartige Anträge liefen: teilweise über die Gesellschaft, teilweise sogar über das Wissenschaftsministerium, über das Außenministerium zum Bundesamt für Wirtschaft.
Ich spreche nicht von Waffenexporten - dazu weiß ich zuwenig -, ich spreche von Exporten. Es wurde sogar dafür gesorgt, daß in vielen Bereichen Hermes-Bürgschaften zur Verfügung gestellt wurden, Bürgschaften, für die wir heute mit Steuermitteln eintreten müssen.
Ich habe den Eindruck, daß dann, als besonders das Irak-Geschäft durch den Einmarsch des Irak in Kuwait in die Schlagzeilen geriet, auf einmal eine merkwürdige Wandlung vor sich ging. Der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft trat als Präsident zurück. Er bereitete sich auf das Amt des Wirtschaftsministers vor, und eine seiner ersten Aktionen war, den Deutschen Bundestag dafür zu kritisieren, daß er offenbar nicht die richtigen Maßnahmen zu Exportgeschäften getroffen habe, und daß deshalb er als Wirtschaftsminister schleunigst entsprechende Vorschläge unterbreiten müsse. Hier wurde nach meinem Gefühl - und ich weiß sehr genau, wovon ich rede - der Bock zum Gärtner gemacht.
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Ich lasse dieses Parlament nicht zum Büttel von Einzelinteressen machen. Das kann nicht wahr sein, das kann nicht der Hintergrund dafür sein, weshalb wir hier arbeiten sollen. Aber ich bin gerne bereit, auch einzelne Fragen zum materiellen Teil anzusprechen.
Ich bin wieder dem Kollegen Kittelmann für den Hinweis dankbar, daß wir ohnehin nicht national das regeln können, was auf europäischer und sicherlich internationaler Ebene geregelt sein muß. Aber wenn wir schon vorpreschen wollen, dann bitte ich, doch auch einmal die Einzelregelungen kurz durchzugehen. Wie soll ich denn bei einem Richter erwarten können, daß er in Zukunft, wenn er hier Recht sprechen soll, weil es um Strafvorschriften geht, herausfindet, ob die Erteilung einer Genehmigung richtig an persönliche Voraussetzungen geknüpft wurde? Was sind denn diese persönlichen Voraussetzungen, wenn beispielsweise § 3 Abs. 2 Satz 1 des Entwurfs von der Zuverlässigkeit eines Antragstellers spricht? Das ist viel zu vage, um es in der Praxis anwenden zu können.
Auch der alte § 34 Abs. 2 hat doch in der Praxis unglaubliche Schwierigkeiten bereitet, weil der Richter nie entscheiden konnte: Wann ist die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben der Völker gestört, und wann sind die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gefährdet? Das waren Dinge, die der Richter oft gar nicht beantworten konnte. Wir hatten diese Schwierigkeiten im U-BootUntersuchungsausschuß erlebt und gebeten, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Gerade die werden im vorliegenden Gesetzentwurf aber nicht erfaßt.
Ich darf darauf hinweisen, daß die „Wirtschaftswoche", weil auf einmal eine sehr restriktive Art bei Exportgenehmigungen des Bundesamtes für Wirtschaft festzustellen war, schon im September mitgeteilt hat:
Mehr Schaden als Nutzen.
Die verschäften Bonner Exportkontrollen ruinieren den gesamten Außenhandel und sind von den Waffenschiebern leicht zu umgehen.
Nichts ist als Konsequenz daraus erfolgt.
Ich fordere den Deutschen Bundestag auf, ein Außenwirtschaftsrecht zu entwickeln, das wirklich rechtsstaatlichen Anforderungen dient und damit verbessert. Ich bin gegen diese Vorlage, wie sie uns hier zur Verabschiedung vorgelegt wurde, weil sie einer Verbesserung nicht dient. Ich bin allerdings dafür, daß ein Bundesausfuhramt eingerichtet wird, weil ich mir dort den Sachverstand verspreche, den wir dringend brauchen.
Nun spricht der Abgeordnete Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Möllemann, Sie haben nachdrücklich eine schnelle Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes angemahnt und dieses damit unterstrichen, daß es Ihnen darum gehe, außerordentlich schnell zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, die Ihnen ermögliche, die Straftäter wirklich zu fassen. Ich denke, daß dieses auch bei Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs möglich wäre. Insofern bleibt nach wie vor die Auseinandersetzung, ob man das Zollkriminalinstitut ausbauen muß oder ob man dieses im Wege der Prävention mit dem von uns vorgeschlagenen strafrechtlichen Tatbestand einer Vorbereitungstat macht.
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Dieses kriegen wir heute nicht zusammengebracht. Ich möchte aber hinterfragen, ob das von Ihnen mit Pathos und mit Ernst vorgetragene Ansinnen tatsächlich im Bundeswirtschaftsministerium über einen langen Zeitraum auch so gesehen worden ist oder ob nicht, nach der öffentlichen Wahrnehmung bis in die heutigen Tage hinein, etwas anderes herauskommen kann.
In diesen Tagen wird über Lieferungen von Starfighter-Ersatzteilen nach Taiwan in der Presse berichtet. Der „Stern" hat dazu laut „dpa" eine Veröffentlichung gemacht. Von seiten der Augsburger Staatsanwaltschaft wird ermittelt.
Es geht um einen hochsensitiven Bereich. Das Verteidigungsministerium hat ein Dementi hinterhergeschickt. Aber das Dementi des Verteidigungsministeriums bezieht sich nur darauf, daß noch kein Vertrag abgeschlossen worden ist. Dieses ist ein Vorgang, der ein Schlaglicht auf Rüstungsexporte wirft.
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Ich will dieses an einem zweiten Punkt hinterfragen: Taiwan steht auf der Liste der 54 Staaten, die in Spannungsgebieten liegen und in die keine deutschen Rüstungsgüter geliefert werden. Dennoch wird im Kabinett - wie ich höre, mit großer Härte und großer Frontenstarrheit - darüber beraten, ob wir uns an U-Boot-Lieferungen oder am Bau von U-Booten für Taiwan beteiligen. Wie ich erfuhr, soll der Bundesverteidigungsminister dieses bejahen und der Bundesaußenminister dieses ablehnen. Es ist noch nicht klar, wer obsiegen wird.
Ich frage mich: Schafft dieses nicht ein Klima, welches jenen, die Gesetze umgehen wollen, den Eindruck ermöglicht, in der Bundesregierung werde
es mit der Kontrolle des Rüstungsexports nicht ernst gemeint.
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Ich komme insbesondere auf die Vorgehensweise einiger krimineller Firmen noch einmal zu sprechen, auch detailliert zu sprechen, wobei ich an den Anfang stellen möchte: Es ist nicht die deutsche Industrie, die kriminelle Attitüde an den Tag legt, die Gesetze bricht, sondern es sind einige wenige Ausnahmen; diese Ausnahmen sind aber durchaus so stark, daß sie die gesamte Industrie in Verruf bringen. Deswegen haben wir die Industrie vor jenen schwarzen Schafen zu schützen. Das muß unser Anliegen sein.
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Seit den ersten Aufgeregtheiten im Zusammenhang mit den Lieferungen von Rüstungsgütern der deutschen Industrie in den Irak hat sich eine Kette von Informationen und Fakten ergeben, die eine tiefe Verstrickung der deutschen Industrie belegen. Diese Verstrickung der Industrie führt uns aber auch zu Fragen an die Bundesregierung.
Erstens. Der Presse ist zu entnehmen, daß die neunte Inspektionsreise der IAEO dazu beigetragen hat, das Beschaffungsprogramm des Irak für den Bau einer Atombombe entscheidend aufzuklären. Besonders hilfreich war hierbei die konstruktive Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, wie wir natürlich auch begrüßen, daß die Bundesregierung Informationen weitergibt. Wir fragen uns allerdings, ob diese Zusammenarbeit erst im Januar 1992 zustande kommen mußte. Warum hat die Bundesregierung nicht bereits bei der ersten Inspektionsreise der UN ihre Kenntnisse mitgeteilt und damit bereits Mitte letzten Jahres für eine Aufklärung der deutschen Verstrikkungen gesorgt?
Die nochmalige Lektüre ihres VS-Berichtes, Herr Möllemann, hat offenbart, daß die wesentlichen Erkenntnisse bei den Inspektionsfahrten der Vereinten Nationen deckungsgleich sind mit den Erkenntnissen, die Sie uns in Ihrem VS-Bericht vor mehr als einem Jahr vorgelegt haben - vor allem zum Bereich des Nuklearprogramms und hier ganz besonders zur Linie der Gasultrazentrifugen.
In der Tat hätte die Bundesregierung bereits im März diesen Bericht nach New York geben können, und dann hätte die Aussicht bestanden, daß die Inspektionsreisen wesentlich erfolgreicher gewesen wären.
({4})
Wir hätten uns dann Publikationen in der Presse und Verdächtigungen anderer Industriebetriebe ersparen können.
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Dies hat übrigens auch konkret mit der Novelle zum Außenwirtschaftsgesetz zu tun. Es macht schon einen Unterschied, ob ein Straftäter darauf vertrauen kann, daß die Aufklärungsbehörde mangels Kooperation über Monate oder Jahre nicht oder sogar überhaupt nicht zu Ergebnissen kommen kann, oder ob ein
Straftäter sich vergegenwärtigen muß, daß er mit der koordinierten Kraft sämtlicher Erkenntnisse verfolgt wird.
Aus der Bewertung der Aufklärungsmöglichkeiten ergibt sich für den illegalen Rüstungsexporteur eine Vermutung über die Chancen und Risiken seines kriminellen Tuns. Durch rückhaltlose Aufklärung und eben eine solche Koordinierung sämtlicher aufklärender Stellen kann, wie wir im Fall Irak gesehen haben, der Grad der Aufklärung deutlich verbessert werden und somit die abschreckende Wirkung der Strafandrohung erhöht werden.
Fest steht heute, daß die Bundesregierung von Anfang an von den Versuchen des Irak wußte, sich in den Besitz der Gasultrazentrifugentechnologie zu bringen. Diese Technologie war für den Irak immer nur von militärischem Interesse, da im Irak überhaupt keine zivilen Atomanlagen stehen.
Aus dem Irak-Papier der Bundesregierung von 1988 ist folgendes Zitat zu entnehmen:
Seit Herbst 1988 lassen sich konkrete Versuche des Irak feststellen, Komponenten und Technologien für die Urananreicherung nach dem Gasultrazentrifugenverfahren zu beschaffen.
In einem internen Vermerk des Jahres 1989 hat Wirtschaftsminister Haussmann folgendes ausgeführt - ich zitiere -:
Der Irak ist um die Gasultrazentrifugentechnik zur Urananreicherung bemüht. Deutsche Techniker und Firmen sind daran beteiligt.
Fest steht heute, daß die für die Beschaffung der Zentrifugen vom Irak gegründeten Firmen in Großbritannien auch die dortigen Repräsentanten der Firma H & H-Metalform gewesen sind, einer Firma, die für ihre Produkte - es handelt sich um Fließdrückmaschinen, mit denen ebensolche Zentrifugen gebaut werden - Forschungsmittel aus dem BMFT für die Entwicklung von Gasultrazentrifugen erhalten hat.
Und weiter: Als es im Irak zu Problemen mit der Technologie kam, hat die Firma H & H bei der Bundesregierung Forschungsmittel für diese Drückwalzen beantragt und auch erhalten. 150 000 DM sind zugesagt worden. Bis zum Jahre 1990, eben jenem August 1990, sind 90 000 DM aus dem BMFT an die Firma H & H gezahlt worden, eben zur Entwicklung dieser Fließdrückmaschinen - genau bis zu jenem Monat, in dem der Irak Kuwait besetzt hat. Erst dann ist zurückgefordert worden.
Dieses wirft ein anderes Licht auf das, was Sie gesagt haben, Herr Möllemann, und es stellt sich auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit.
({6})
Übrigens hatte die Firma H & H zu jenem Zeitpunkt auch eine irakische Finanzbeteiligung. Wirtschaftsminister Haussmann: Die Firma H & H-Metalform gehört zu 50 % den Irakern. - Ein fast wörtliches Zitat. Fest steht heute, daß eben diese Firma aus Ihrem Wahlkreis, Herr Wirtschaftsminister, maßgeblich an der Vermittlung von Urananreicherungstechnologie nach dem Gasultrazentrifugenverfahren für den Irak
tätig war. Dieser Technologietransfer war effektiv. Es wurden keine Versuchsanlagen gebaut; die Parameter waren so genau, daß sofort 10 000 Gasultrazentrifugen gebaut werden konnten.
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- Ja, ja, das mag in Bayern so sein. Da wird man als Bundestagsabgeordneter geboren. In Münster muß man sich noch um einen Wahlkreis bemühen.
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Das gilt zumindest für den Bereich, in dem er wohnt. Ich reduziere das, damit ich Ihnen eine Zwischenfrage erspare.
Die hier angesprochene Technologie ist nicht nur exportgenehmigungspflichtig, sondern sie ist sogar geheimhaltungspflichtig, Herr Möllemann. Gegen den Geschäftsführer der Firma H &H, Herrn Hinze, hat der Generalbundesanwalt übrigens wegen Spionage und Agententätigkeit ermittelt, Aktenzeichen 2 BJ S 7/89. Am 28. Juni 1989 erfolgte nach einem Verhör der Eintrag in den Computer mit dem Hinweis auf die Beschuldigung des Geschäftsführers Hinze. Schon im Januar 1988 ist im angesprochenen IrakPapier von seiten der Bundesregierung vermerkt worden - ich zitiere -: „Der Irak ist mangels ziviler Verwendungsmöglichkeiten an einer militärischen Nutzung der Kernenergie interessiert. " Und dennoch bekam die Firma H &H am 28. Juli 1989, also sehr viel später, eine Negativbescheinigung für Drückwalzmaschinen.
Dies alles läßt mich sehr zweifeln, ob es wirklich so gemeint ist, wie Sie sagen. Dies geschah trotz Einblick der Bundesregierung in diesen Sachverhalt und wirft möglicherweise auch ein ganz neues Licht auf den Rücktritt des Wirtschaftsministers Haussmann. Dieser Vorgang könnte auch den Abgeordneten im Ministerrang aus Münster belasten. Ich frage Sie, Herr Möllemann - ich unterstelle dies nicht -: Haben Sie angesichts der Förderung der Firma H & H eine schützende Hand über diese Firma gehalten?
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Ich frage dies nur. Auch in diesem Zusammenhang hätte die Bundesregierung verhindern können, daß sensible Technologien in den Irak gelangen.
({10})
- Lassen Sie mich doch einmal das Klima schildern, Herr Kittelmann!
Eine vermutlich wirklich ahnungslose Firma in Dieburg verkauft Auswuchtmaschinen an die Firma Bader im Irak. Der Bundesregierung wird bekannt, wozu diese Maschinen in der Nukleartechnologie einsetzbar sind. Trotzdem bekommt die Firma aus Dieburg eine Ausfuhrgenehmigung.
({11})
Also, die Bundesregierung läßt diese Firma - böswillig formuliert - sogar in die Falle tappen.
Zweitens. Die Bundesregierung hat sich seit nun zwölf Monaten beharrlich geweigert, eine Trennung von den strafrechtlich wirksamen Vorschriften der Novelle von den Abhörbefugnissen vorzunehmen. Dies ist schon mehrfach an den verschiedenen Stellen angesprochen worden. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Bundesregierung nur um den Preis einer Abhörermächtigung für regierungsamtliche Stellen bereit ist, sich zu einer Strafverschärfung für illegale Rüstungsexporte zu bekennen.
({12})
- Das wäre bei uns auch möglich. - Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bundesregierung. Ich frage nach dem echten Willen.
({13})
Drittens. Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz, welches sich ausschließlich um den Bereich der illegalen Rüstungsexporte kümmert. Während wir hier debattieren, wird von seiten der Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um bestehendes Rüstungsexportrecht an anderen Stellen aufzuweichen. Ich höre, daß die Länderliste H zusammengestrichen werden soll - zumindest einige Länder sollen herausgenommen werden -, die Ausfuhrlisten sollen überarbeitet und den Bedürfnissen der Exportwirtschaft angepaßt werden. Wie paßt dieses mit der Strafverschärfung und der Abhörmöglichkeit, die Sie schaffen wollen, zusammen? Gleichzeitig reden wir an anderer Stelle über große Waffengeschäfte mit Taiwan. NVA-Waffen werden in die ganze Welt verkauft oder gar verschenkt, auch in Risikogebiete. Das politische Klima spiegelt die katastrophalen Konsequenzen aus dem Irak-Dilemma nicht wider. Dies sage ich mit allem Nachdruck.
Die Regierungskoalition hat den von der SPD eingebrachten Moratoriumsantrag, keine Waffen in die Golfregion zu liefern, im Wirtschaftsausschuß bereits abgelehnt.
({14})
Sie will offenbar nicht, daß die Golfregion zum Testfall der internationalen Rüstungsexportkontrolle wird.
Dies erschreckt um so mehr, als im letzten Jahr allein nach Saudi-Arabien Waffen im Wert von 14,5 Milliarden Dollar geliefert wurden. Auf den Auftragslisten der Saudis stehen noch weitere Waffensysteme mit nochmals 14 Milliarden Dollar.
Gleichzeitig mit der Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes diskutieren wir auch die Errichtung des Bundesausfuhramtes. Wir werden diesem Teil zustimmen, weil wir ihn für sinnvoll halten, obwohl noch keine strukturelle Beschreibung des Bundesausfuhramtes vorliegt und obwohl die alleinige Anhebung der Stellenzahl um 93 nicht ausreicht.
Herr Minister, wir bitten Sie also trotz unserer Zustimmung, uns möglichst schnell eine genaue Beschreibung dieses Ausfuhramtes nachzuliefern, damit überprüfbar ist, ob tatsächlich eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und eine Effekti6100
viereng der Exportkontrolle stattfindet. Wir werden also, wie ich gesagt habe, diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Lassen Sie mich nochmals auf die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes zurückkommen. Es ist zu befürchten, daß bei den nächsten Inspektionsreisen der UN weitere Informationen geliefert werden, die eine noch tiefere Verstrickung von Teilen der deutschen Industrie in die irakischen Rüstungsprogramme, als bisher angenommen wird, belegen wird. Dies gilt sowohl für den atomaren Bereich als auch für den C-Waffen-Bereich und für die Raketentechnik. Allein bei den Chemiewaffen können wir heute davon ausgehen, daß über 80 % aus der Bundesrepublik kommen.
Auch in diesem Zusammenhang muß die Bundesregierung nochmals gefragt werden, wann sie uns einen vollständigen Bericht darüber vorlegen wird. Diese Informationen dem Parlament nur in Etappen zu geben, halten wir nicht für angemessen.
Wir haben die Aufgabe, mit der Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes die Industrie vor Teilen der Industrie zu schützen, wie ich bereits ausführte. Jeder Manager und jeder Industriebetrieb, die mit krimineller Energie zu Exporteuren des Todes geworden sind, müssen mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Dazu bietet unsere Gesetzesvorlage die bessere und nach unserer Meinung rechtsstaatliche Möglichkeit. Wir bitten Sie daher um Zustimmung zu unserer Gesetzesvorlage.
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Der Bundeswirtschaftsminister hat noch einmal um das Wort gebeten.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Weil eine bestimmte Methode ja nicht unbedacht angewandt wird und weil man weiß, wie blitzschnell aus bestimmten, vermeintlich nicht so gemeinten Behauptungen anderes wird, will ich gleich zu zwei Bemerkungen Stellung nehmen, die hier gefallen sind.
Erstens. Ich stelle fest, Herr Kollege, daß die von Ihnen angesprochene Firma nicht an meinem Wohnort, aber sehr wohl in meinem Wahlkreis liegt. Herr Kollege Probst, Wahlkreise haben auch diejenigen Kollegen, die sie nicht mit Mehrheit erringen.
({0})
- Ihr Demokratieverständnis teile ich ausdrücklich nicht.
({1})
Auch diejenigen, die in einem Wahlkreis unterliegen und ihn nicht direkt erringen, vertreten diesen Wahlkreis mit.
({2})
Es wäre geradezu absurd, wenn es anders wäre. Wenn Sie diese von Ihnen vertretene Argumentation weiterhin vertreten, werden Sie sich wundern, wie allergisch Menschen darauf - auch in Ihrem Wahlkreis - reagieren.
({3})
Ich möchte mich jetzt zu dem Sachverhalt äußern, um den es ging. Herr Kollege, Sie haben eine Firma angesprochen, die in meinem Wahlkreis liegt; Sie haben natürlich bewußt erwähnt, daß sie in meinem Wahlkreis liegt. Dafür kann ich nicht; dafür kann die Firma nicht. Sie haben damit aber eine klare Frage verbunden: ob ich nämlich meine schützende Hand über die Firma gehalten habe. Ich stelle fest: Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt um irgendeinen diese Firma betreffenden Vorgang gekümmert. Ich lege Wert darauf, das hier festzustellen.
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- Die Frage war nach dem Motto gestellt: Es muß so sein, es könnte so sein; ich will das nicht unterstellen, aber vielleicht ist es so.
({5})
Zweitens. Sie haben die gestrige Sendung in „West 3" angesprochen. Hierzu ist folgendes zu sagen: Maschinen von H & H wurden von den Vereinten Nationen im irakischen Programm gefunden. Die Negativbescheinigung des Bundesamtes für Wirtschaft wurde erteilt. Sie beinhaltete aber nicht eine Genehmigung von genehmigungspflichtigen Maschinenexporten nach dem Irak, sondern nur die abstrakte Feststellung, daß dieser Maschinentyp nach den internationalen Kontrollisten nicht genehmigungspflichtig war. Das ist die Negativbescheinigung. Ja, ist stelle das hier korrekt dar, wie es ist. Deshalb eignet sich dieser Vorgang auch nicht als Argumentation in Richtung auf ein pflichtwidriges Verhalten der Bundesregierung oder der zuständigen Behörde. Dieser Eindruck soll aber erweckt werden.
({6})
Weiter will ich sagen, daß die Ermittlungen gegen dieses Unternehmen zum Zeitpunkt, als diese Negativbescheinigung ausgestellt wurde, eingestellt worden waren. Sie sind kürzlich von einer anderen Institution wieder aufgenommen worden. Auch das möchte ich hier klarstellen.
Und die letzte Klarstellung, die ich hier vornehmen möchte, Herr Kollege Lowack: Es gibt Schmierenkomödien, und es jagt Sie wohl, sich daran zu beteiligen. Ihre damaligen Inszenierungen im Bayerischen Rundfunk habe ich beobachtet. Ich stelle hier fest: Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt für die Genehmigung von Rüstungsexporten oder rüstungsähnlichen Gütern nach Irak oder Libyen eingesetzt. Ich weise das aufs schärfste zurück; sparen Sie sich Ihre üblen Unterstellungen!
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Herr Lowack!
Kollege Möllemann, ich habe klargestellt, daß ich einen Einsatz für Rüstungsexporte Ihrerseits hier nicht anspreche und daß ich dazu zuwenig weiß. Das ist im Protokoll festgehalten. Ich spreche von dem Weg - und das haben Sie nicht verneint -, den Genehmigungsanträge oft gegangen sind, die gefördert wurden von der Gesellschaft, die ich angesprochen habe. Das waren Ermittlungen, mit denen ich konfrontiert worden bin, die ich aber nicht angestellt habe. Ich habe bei dieser Fernsehsendung keine besondere Rolle gespielt, son-dem ich bin von Journalisten gefragt worden, was ich dazu wüßte. Ich habe nichts gesagt, was irgendwie ehrenrührig für Sie gewesen wäre.
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Als nächster hat jetzt der Abgeordnete Hinsken das Wort.
Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Volksmund heißt es: „Was lange währt, wird endlich gut. u Ich hoffe, daß dies auch auf die Beschlüsse zutrifft, die wir zu diesem Tagesordnungspunkt heute zu fassen haben. Nach fast einem Jahr mit vielen Beratungen, mehreren Anhörungen der Arbeitsgruppen und des Ausschusses soll nun die Verabschiedung des Außenwirtschaftsgesetzes und die Errichtung eines Bundesausfuhramtes beschlossen werden. Zudem wird über das Moratorium für Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten debattiert.
Diese lange Verfahrensdauer hat unser Image im Ausland bestimmt nicht gehoben. Haben wir doch sowieso mit dem Umstand zu kämpfen, daß die vertrauliche Behandlung, die in verschiedenen Fällen seitens der Bundesregierung vorgenommen werden mußte, z. B. in den USA als ein Schützen der Firmen bezeichnet wurde. Darüber wurden wir gestern in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Beckmann informiert.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Irak kann überall sein. Deshalb ist es richtig, daß wir heute schärfere Gesetze beschließen. Gibt es doch zu denken, daß der Irak, leider auch dank Lieferungen aus Deutschland, nur noch 18 Monate von der A-Bombe entfernt stand. Mit zwei A-Bomben ist ein Staat wie Israel zu zerstören. Es wurde sogar eine Produktionskapazität von fünf Hiroschima-Bomben pro Jahr angestrebt, die z. B. mit Langstreckenraketen auch für uns eine Gefahr hätten werden können. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch, daß wir Deutsche in der Vergangenheit von zuständigen Institutionen, und zwar internationalen Institutionen, häufiger als der Irak kontrolliert wurden, z. B. von der IAEA.
Meine Damen und Herren! Die Zulieferungen deutscher Unternehmen zu Chemiewaffenprogrammen in Libyen und im Irak, aber auch mögliche Beteiligungen an Nuklearwaffen- und Raketenprogrammen machen deutlich, mit welcher Skrupellosigkeit, Kaltschnäuzigkeit und krimineller Energie einige schwarze Schafe auch in der deutschen Wirtschaft vorgegangen sind.
Die Beweise, aber auch der begründete Verdacht auf das rücksichtslose Verhalten einiger weniger machen eine Verschärfung unserer Exportkontrollvorschriften notwendig. Das Handeln der Politik wird von all denjenigen im In- und Ausland erwartet, die in vielfältigen Berichten über die Medien von der Beteiligung deutscher Unternehmer an illegalen Geschäften erfahren haben. Handeln der Politik erwartet aber auch unsere Wirtschaft, die es sich nicht gefallen zu lassen braucht und nicht gefallen lassen will, daß eine ganz kleine Minderheit von skrupellosen Geschäftemachern ihren weltweit guten Ruf beschädigt.
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Die Verschärfung der Strafvorschriften und die Verbesserung der Aufklärung und Bekämpfung solcher illegalen Aktionen stellen eine angemessene, an rechtsstaatlichen Prinzipien orientierte Reaktion dar, die wir uns, der Bevölkerung und der Wirtschaft schuldig sind.
Dennoch verhehle ich nicht, daß ich etwas besorgt bin, daß wir mit deutschem Übereifer in dieser Frage über das Ziel hinausschießen. Eine Exportnation mit einem nennenswerten Anteil an den Weltmärkten kann niemals verhindern, daß irgendwo in irgendeinem Konfliktfall auf dieser Welt Gegenstände aus ihrer Produktion auftauchen,
({1})
und seien es nur Klebstoff, ein Reifen, ein Motor oder eine besonders haltbare Schraube.
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Meine Damen und Herren, ich nehme die Bedenken unserer exportorientierten Unternehmen ernst, die in der restriktiven Handhabung des Begriffs „dual use", aber auch in der Kompliziertheit und Langwierigkeit der Verfahrensabläufe einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Konkurrenten befürchten oder sogar schon beklagen. Es ist zwar erfreulich, daß durch eine personelle und sachliche Verbesserung der Ausstattung beim Bundesamt für Wirtschaft eine Verfahrensverkürzung erwartet werden kann. Allerdings sehe ich auch, daß vor allem kleine und mittelständische Unternehmen bei den Verfahrensanforderungen häufig überfordert sind und schon allein dadurch einen klaren Wettbewerbsnachteil haben.
Bei der heutigen Komplexität und engen Verflochtenheit der internationalen Wirtschaft und angesichts der manchmal nur haarbreiten Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit halte ich es für geradezu abenteuerlich, wenn wir nationale Regelungen beschließen, ohne auf die internationalen Zusammenhänge und Rückwirkungen zu achten. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich halte es für richtig, daß wir mit einer Verschärfung der Exportkontrollen nicht gezögert haben; aber ebensowenig dürfen wir zögern, so schnell wie möglich dafür zu sorgen, daß sie in einen internationalen Kontext gestellt werden.
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Bereits mein Kollege Peter Kittelmann ist in seiner Eingangsrede umfangreich hierauf eingegangen.
Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dies sichergestellt haben, setzen wir uns nicht dem Vorwurf aus, nur unser nationales Gewissen beruhigt zu haben, aber ansonsten an einer international funktionierenden Exportkontrolle nicht interessiert zu sein. Und wir setzen uns nicht der Gefahr und dem Vorwurf aus, unsere eigene Industrie mit überzogenen bürokratischen Verfahren zu knebeln und ihrer internationalen Handlungsfähigkeit - übrigens der Grundlage des Wohlstandes in unserem Lande - zu berauben. Wir brauchen eine EG-weite, nach Möglichkeit aber weltweite Vereinheitlichung der Exportkontrollvorschriften, und zwar möglichst auf dem Niveau unserer Vorschriften, da wir ansonsten gezwungen wären, bei der Harmonisierung von diesem Niveau wieder herunterzugehen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich bitte Sie eindringlich, alle Hebel in Bewegung zu setzen, auch Ihren Kollegen, den Außenminister, zu animieren, diesbezüglich nach wie vor tätig zu werden, daß wir nicht nur eine europaweite, sondern auch eine weltweite Regelung hierfür bekommen. Sonst ist tatsächlich zu befürchten, daß unsere deutsche Wirtschaft ins Abseits gerät und leider Gottes nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
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Die Vorschriften müßten jedoch nicht nur in allen Ländern gleich sein, sondern sie müßten auch in ihrer Auslegung einheitlich sein, so daß sichergestellt ist, daß an allen EG-Grenzen die gleichen Rechtsvorschriften für diesen Export gelten.
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Eine solche Harmonisierung sollte innerhalb der EG, ja, sogar innerhalb der Industriestaaten möglich sein; denn schließlich verbindet uns doch alle die gleiche Verantwortung und, wenn ich es richtig verstehe, meine lieben Kollegen, auch die gleiche Moral.
Lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend feststellen: Ziel der Verabschiedung der Gesetze ist: erstens eine deutliche Abschreckung zu bekommen, zweitens weitere Verbrechen zu verhindern, drittens die Täter schnellstmöglich fassen zu können, viertens einer Rufschädigung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten und fünftens die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht zu verschlechtern.
Dies soll durch dieses Gesetz erreicht werden. Wir haben, wie gesagt, lange darüber beraten. Ich verhehle nicht, daß ich mir als CSU-Mandatsträger hier im Deutschen Bundestag eine andere, vielleicht schärfere Lösung gewünscht hätte. Die war aber nicht umsetzbar. Deshalb nehme ich hier lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
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- Herr Kollege Bachmaier, Ihre Alternativvorschläge waren doch nicht zu gebrauchen. Sie waren doch viel schlechter als das, was wir jetzt beschließen.
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Deshalb bin ich der Meinung, es ist richtig, vernünftig und gut, diesem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort zu einer Kurzintervention erhält zunächst Frau Matthäus-Maier.
Meine Damen und Herren, ich habe mich nach dem Beitrag des Bundeswirtschaftsministers spontan gemeldet, weil ich Sie fragen möchte, ob wir uns nicht in der Praxis der Ausfuhrkontrolle auf ein gemeinsames Ziel einigen könnten.
Diejenigen von uns, die 1988 im Atomuntersuchungsausschuß gesessen haben, wissen, daß es immer wieder Gegensätze gab zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium, und zwar bei der Frage der Ausfuhrkontrolle oder auch bei der Untersuchung von Verstößen. Das Auswärtige Amt war restriktiver, das Bundeswirtschaftsministerium war immer sehr viel großzügiger, auch schon zu Zeiten der sozialliberalen Koalition. Daran sehen Sie, daß es mir nicht um Parteipolitik geht.
Meine Frage an uns alle ist: Wäre es nicht eine Lösung über das jetzige Gesetzgebungsverfahren hinaus, wenn wir alle miteinander
({0})
in diesem Bundestag der Meinung wären, wenn es Differenzen über die Zulässigkeit oder über die Überprüfung von Verstößen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium gibt, solle sich die restriktivere Handhabung des Auswärtigen Amtes durchsetzen, meine Damen und Herren?
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Herr Minister!
Frau Kollegin Matthäus! Dieser auf den ersten Blick hin - auch wenn ich unterstelle, daß Sie eine taktische Absicht nicht haben - interessante Vorschlag hat eine Schwäche: Der Bundeswirtschaftsminister, der Bundesminister des Auswärtigen und andere haben eine Verantwortung für die Bundesregierung wahrzunehmen. Es kann überhaupt nicht sein, daß gegenüber dem Parlament der Bundesminister des Auswärtigen oder der Bundeswirtschaftsminister am Ende nur ganz persönliche Überlegungen vertreten. Es vertreten am Ende beide die Haltung der Bundesregierung. Die Zuständigkeitsfragen innerBundesminister Jürgen W. Möllemann
halb der Bundesregierung regelt die Bundesregierung selbst und nicht das Parlament.
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Herr Kollege, ich glaube, Sie haben es mißverstanden oder sind nicht darauf eingegangen. Meine Zielsetzung ist: Könnten wir nicht alle miteinander zustimmen, daß sich die restriktivere Haltung durchsetzen muß, wenn es innerhalb der Bundesregierung Auseinandersetzungen - welche auch immer - gibt, und daß diese dann selbstverständlich die gemeinsame Haltung der gesamten Bundesregierung ist?
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Eine Intervention vom Kollegen Grünbeck.
Frau Kollegin, ich finde Ihren Vorstoß ausgesprochen begrüßenswert, und zwar insoweit, als der jetzige Gesetzentwurf primär das Ziel hat, im Vorfeld von illegalen Rüstungsexporten die Täter zu erwischen und nicht erst nachher zu verfolgen.
Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie zustimmten, und zwar unter dem ausdrücklichen Hinweis, daß wir diesen Gesetzentwurf für befristet erklärt haben. Das heißt, wenn sich die dortigen Regelungen nicht bewähren würden, könnten Sie Ihre Vorschläge neu einbringen. Dann werden wir - das verspreche ich Ihnen - sehr sorgfältig prüfen, ob wir Ihnen nicht dann zustimmen können. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung in der befristeten Form des vorgelegten Gesetzentwurfes.
({0})
Als letzter zu diesem Tagesordnungspunkt spricht der Kollege Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es noch einmal festzustellen: Wäre es nach der Koalition gegangen, dann stände ein Gesetz, das dem heutigen weitgehend entspricht, bereits seit einem halben Jahr im Gesetzblatt. Im März 1991 hat die Koalition ein solches Gesetz hier verabschiedet. Es war die Mehrheit der sozialdemokratisch regierten Länder, die dieses Gesetz abgelehnt hat.
({0})
Das ist immer wieder hervorzuheben, nachdem hier der Eindruck erweckt wird, es sei die Koalition, die nicht rechtzeitig übergekommen sei. Im Gegenteil: Wir haben damals unter dem Eindruck des Golfkrieges sehr schnell ein Gesetz vorgelegt. Hätten wir eine starke und selbstbewußte Opposition in diesem
Hause, dann hätte sie diesem Gesetzesentwurf zugestimmt.
({1})
An diesem Gesetzgebungsverfahren läßt sich nämlich eindrucksvoll zeigen, daß und wie eine schwache Opposition in eine geradezu querulatorische Rechthaberei verfällt, nur um einen Grund zu finden, dieses Gesetz abzulehnen.
Dabei herrscht im Ergebnis in der Sache selber zwischen uns weitgehende Übereinstimmung.
({2})
- Ich komme auch darauf noch zu sprechen. - Ich darf das noch einmal aufzeigen: Sie wollen und wir wollen, daß illegale Waffengeschäfte nicht erst dann aufgespürt werden, wenn die Ware über die Grenze ist; da besteht völlige Übereinstimmung.
({3})
Deshalb wollen Sie und deshalb wollen wir, daß die Strafverfolgungsorgane frühzeitiger eingreifen können; auch da besteht Übereinstimmung. Sie können aber nur dann frühzeitiger einschreiten, wenn sie von solchen geplanten Geschäften rechtzeitiger erfahren.
Wir sind uns auch darüber einig - ich hoffe jedenfalls, daß wir uns darüber einig sind -, daß ein sinnvolles Mittel eine frühzeitige Kontrolle des Telefonverkehrs und des Postverkehrs ist.
Wir unterscheiden uns nur bei der Rechtsgrundlage. Sie wollen frühzeitiger überwachen, wir wollen es. Der Minister hat recht, wenn er sagt: Die juristischen Feinheiten, die jetzt kommen, sind doch dem staunenden Publikum draußen überhaupt nicht mehr zu vermitteln.
({4})
- Nein, nein. - Sie wählen den Weg, daß Sie die Strafbarkeit in das Vorbereitungsstadium hinein vorverlagern
({5})
und so zu einer Anwendung des § 100a der Strafprozeßordnung kommen.
({6})
Dabei wollen Sie nur vorverlagern, um die Anwendbarkeit dieser Vorschrift zu erreichen.
({7})
Das zeigt sich bei einem Vergleich Ihrer Gesetzesentwürfe; zunächst nämlich hat es dort nicht gestanden.
({8})
Wir sagen, wir schaffen eine Vorschrift, die unter bestimmten engen Voraussetzungen bereits zur Ver6104
hütung solcher Straftaten - präventiv - eine Telefonüberwachung ermöglicht. Wir unterscheiden uns - das will ich noch einmal festhalten - also nicht in dem Ziel, das wir anstreben; wir wollen dasselbe Ergebnis: frühzeitige Überwachung.
({9})
Wir streiten uns nur darüber, was die rechtsstaatlichere Grundlage ist.
({10})
- Doch! - Wenn Sie nun mit dem Opportunitätsprinzip kommen und uns unterstellen wollen, es würde in einigen Fällen nicht überwacht, so darf ich Sie daran erinnern, daß Sie in der Diskussion anfangs des öfteren gesagt haben, Sie befürchteten, es würde zuviel überwacht. Je nachdem, wie es Ihnen paßt, wählen Sie die Argumente.
Es ist die alte Geschichte seit 1983: Es wird von der Opposition immer wieder behauptet, wir träten die Verfassung mit Füßen und wir wählten keine rechtsstaatlichen Verfahren. Das ist erstens allmählich langweilig, und zweitens beeinträchtigt es Ihre Glaubwürdigkeit; denn alle diese Gesetze, die angeblich rechtsstaatlich bedenklich oder verfassungswidrig waren, haben die Hürde des Verfassungsgerichts passiert. Unser Rechtsstaat ist lebendig wie eh und je. Sie müssen sich einmal einen anderen Topos der Argumentation einfallen lassen als immer wieder diese Geschichte.
({11})
Ich will jetzt unsere Vorlage noch einmal rechtfertigen: Sie verkennen vor allen Dingen, daß es um Gefahrenabwehr geht und daß dem Staat, wenn es um die Abwehr von sehr schwerwiegenden Gefahren geht, mehr erlaubt ist als im Rahmen der Strafverfolgung.
Ein Sachverständiger hat gesagt, es geht hier, wenn man es auf die Spitze treibt und auf den Punkt bringt, darum, die Gefahr abzuwehren, daß es Israel vielleicht in einigen Jahren nicht mehr gibt. Diese ungeheure Gefahr ist gegen einen Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis abzuwägen.
Wir kennen bei der Gefahrenabwehr z. B. die Inanspruchnahme eines Nichtstörers, der selber gar keine Gefahr mit sich bringt. Das gibt es bei der Strafverfolgung nicht.
Wir kennen bei der Gefahrenabwehr sogar das Recht des Polizisten, in einer Ausnahmesituation, um Menschenleben zu retten, einen Menschen zu erschießen. Die Todesstrafe kennen wir bei der Strafverfolgung nicht.
Wir kennen in unserer Verfassung, z. B. in Art. 13 - Unverletzlichkeit der Wohnung -, ausdrücklich Einschränkungen der Gefahrenabwehr.
Ich weiß daher nicht, wo Ihre rechtsstaatlichen Bedenken liegen,
({12})
wenn wir zur Abwendung ungeheurer Gefahren in einem bestimmten engen Bereich einen Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis zulassen.
({13})
Sie lassen auch die rechtsstaatlichen Garantien, die wir eingebaut haben, außer acht:
Wir haben erstens die Verantwortung ganz oben aufgehängt, nämlich beim Minister.
Wir haben zweitens die richterliche Kontrolle vorgesehen. Nicht der Einzelrichter, sondern eine Strafkammer, bestehend aus drei Berufsrichtern, bei einem bestimmten Landgericht, das auch seine Erfahrungen sammeln kann, muß eine solche Entscheidung anordnen.
Wir haben drittens auch noch das Parlament beteiligt. Einem Gremium aus fünf Kolleginnen und Kollegen muß innerhalb von sechs Monaten Bericht erstattet werden.
Schließlich gibt es auch noch eine Befristung bis zum 31. Dezember 1994. Für meine Begriffe ist diese Frist fast zu kurz, um Erfahrungen zu sammeln.
Ich frage Sie: Weshalb reichen Ihnen diese rechtsstaatlichen Garantien nicht aus, und weshalb stimmen Sie unserem Gesetzentwurf nun nicht endlich zu?
({14})
Sie machen - das will ich Ihnen sagen - in dieser Sache einen großen Fehler.
({15})
Sie beschädigen Ihre eigene Glaubwürdigkeit.
({16})
Sie reden in Sachen Beschränkung und stärkere Kontrolle des Waffenxports so, wie der Kollege Bachmaier heute hier geredet hat: vollmundig, polemisch, lautstark und immer haarscharf an der Wahrheit vorbei.
({17})
Wir werden uns erlauben, Sie ab und zu daran zu erinnern, daß Sie diesem wichtigen Gesetz nicht zugestimmt haben und außerdem dafür gesorgt haben, daß es sechs Monate später verabschiedet wird, als es eigentlich möglich gewesen wäre.
({18})
Nun hat der Kollege Professor Jürgen Meyer das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Kollege Eylmann, Sie haben mit einer für Ihre Verhältnisse sehr schwachen Argumentation die Unterschiede zwischen den beiden Entwürfen zu verwischen versucht. Ich nenne drei:
Erstens. Wir wollen, weil Waffenexport nach unserer Auffassung ein Verbrechen ist, daß auch die Vorbereitungshandlungen bestraft werden. Dies lehnen Sie ab. Wir wollen hier rechtsstaatlich überzeugend durch Vorverlagerung der Strafbarkeit gegen Waffenexporte vorgehen.
Zweitens. Wir wollen in bezug auf die Telefonüberwachung, daß diese rechtsstaatlich erfolgt und nicht von der Zustimmung des Finanzministers abhängig ist. Nach ihrem Entwurf gibt es keine einzige Überwachungsmaßnahme, wenn der Bundesfinanzminister dem nicht zustimmt. Wir haben nach dem Atom-U-Boot-Skandal Kiel-Südafrika nicht nur zur zuständigen Oberfinanzdirektion, sondern auch zum Finanzminister, wenn es um Waffenexport geht, nicht so viel Vertrauen wie Sie. Dafür bitten wir um Verständnis. Deshalb wollen wir die Zustimmung des Finanzministers nicht zur unerläßlichen Voraussetzung machen.
({0})
Der dritte Punkt. Von uns kommt ein Entwurf zur Gewinnabschöpfung, der parallel beraten wird. Von der Regierungskoalition kommt nichts, von der Regierung auch nicht, sondern nur vom Bundesrat. Wir wollen, daß diese Art von Verbrechen in den Bereich der organisierten Kriminalität eingeordnet wird und daß Gewinne abgeschöpft werden; Verbrechen sollen sich in diesem Bereich nicht mehr lohnen.
Wir hoffen, daß Sie da zustimmen. Das ist unsere Initiative.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes auf den Drucksachen 12/1134, 12/1475 und 12/1952. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wir stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. III seiner Beschlußempfehlung, den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/899 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist Nr. III der Beschlußempfehlung bei wenigen Enthaltungen so angenommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der SPD. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. IV seiner Beschlußempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/765 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit erübrigt sich die weitere Beratung.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. V seiner Beschlußempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 12/1202 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist Nr. V der Beschlußempfehlung bei wenigen Enthaltungen so angenommen.
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt schließlich unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei wenigen Enthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung zu Punkt 5 b der Tagesordnung, und zwar zur Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Moratorium für Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten auf Drucksache 12/744.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1516, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung so angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung zu Punkt 5 c der Tagesordnung, und zwar zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes auf den Drucksachen 12/1461 und 12/1962.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei wenigen Gegenstimmen und zwei Enthaltungen so angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? -
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf so angenommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1976. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nun Punkt 3 der Tagesordnung auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zeitlichen Begrenzung der Nachhaftung von Gesellschaftern ({0})
- Drucksache 12/1868 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes
- Drucksache 12/1867 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß ({2}) Innenausschuß
Ausschuß für Frauen und Jugend
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1991 bei Kap. 10 04 Titel 682 04 ({3})
- Drucksache 12/1613 -Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1991 bei Kap. 10 04 Titel 683 21 ({4})
- Drucksache 12/1620 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Maskuline und feminine Personenbezeichnungen in der Rechtssprache
Bericht der Arbeitsgruppe Rechtssprache vom 17. Januar 1990
- Drucksache 12/1041 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß
Ausschuß für Frauen und Jugend ({5})
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Wir kommen zunächst zu den Tagesordnungspunkten 3 a bis d. Interfraktionell wird vorgeschlagen, diese Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Punkt 3 e der Tagesordnung. Das ist der Bericht der Arbeitsgruppe Rechtssprache zu maskulinen und femininen Personenbezeichnungen in der Rechtssprache auf der Drucksache 12/1041. Interfraktionell ist vereinbart, diesen Bericht zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß sowie den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Johannes Gerster ({6}), Wolfgang Zeitlmann, Dr. Paul Laufs, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch, Dr. Jürgen Schmieder, Heinz-Dieter Hackel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes
- Drucksache 12/288 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 12/1967 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({8}) Dr. Jürgen Schmieder
Gerd Wartenberg ({9})
({10})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({11})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
I. Gesetzliche Regelungen für die Lagerung, Verwaltung, Sicherung und Nutzung von Unterlagen und Daten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit
II. Gesetzliche Regelungen für die Lagerung, Verwaltung, Sicherung und Nutzung staatsbezogener Parteiakten der SED, der Blockparteien und von Massenorganisationen in der ehemaligen DDR
- Drucksachen 12/283, 12/1540, 12/1967 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({12}) Dr. Jürgen Schmieder
Gerd Wartenberg ({13})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({14})
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Gründung von drei unselbständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs
- Drucksachen 12/1379, 12/1967 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({15}) Dr. Jürgen Schmieder
Gerd Wartenberg ({16})
Zum Bundesarchivgesetz liegt ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hartmut Büttner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Stasi-Unterlagengesetz und dem ersten Unrechtsbereinigungsgesetz fügen wir heute mit der Ergänzung des Bundesarchivgesetzes einen weiteren wichtigen Baustein zur Aufarbeitung des DDR-Unrechtsregimes ein.
Die Erbschaft der untergegangenen DDR drückt sich neben einer kaputten Volkswirtschaft, verkommener Bausubstanz und gestörten Seelen in Tonnen von bedrucktem Papier aus. Auch die Inhalte der ca. 80 verschiedenen Archive und Lagerstätten geistiger Arbeit sind jetzt ein Stück der gemeinsamen Geschichte der Deutschen. Um die in Menge und Vielfalt bunte Mischung vorhandener Archivbestände zu sichern und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, haben die Koalitionsfraktionen bereits mit Antrag vom 20. März 1991 einen Entwurf zur Änderung des Bundesarchivgesetzes eingebracht.
Die Bestände reichen von allgemeinen Unterlagen zur deutschen Geschichte vor 1933 über die Geschichte der Arbeiterbewegung bis zu Archivalien der DDR, ihren Parteien und Massenorganisationen. Die Unterlagen so unterschiedlicher Institutionen wie der SED, des FDGB oder der Gesellschaft zur Förderung des olympischen Gedankens waren dabei zu berücksichtigen.
Bei dieser Ausgangslage ist es fast ein parlamentarisches Wunder, daß es nach der Anhörung von Sachverständigen und Beteiligten im Reichstag zu Berlin nun zu einer von fast allen Seiten getragenen Konsenslösung kommen kann.
Dabei waren die ursprünglichen Hürden in der Tat hoch aufgetürmt. Eine breite Palette möglicher Organisationsformen zur weiteren Nutzung und Verwahrung der Archivbestände stand zur Debatte. Alternativ wurden genannt: die vollständige Übernahme aller Staatsakten in das Bundesarchiv oder eigenständige Institute oder das Stiftungsmodell mit einer oder gar mehreren Stiftungen oder die räumliche und tatsächliche Trennung von Staatsakten und sonstigen Archivbeständen.
Hinzu kamen die verschiedenen Eigentumsformen. Von treuhandverwalteten Beständen bis zu den 83 privaten Nachlässen von Ulbricht, Pieck, Grotewohl,
Thälmann, Liebknecht, Benjamin oder Ebert reicht auch hier die Bandbreite.
Der Umfang der Aktenbestände ließ erkennen, daß auch die räumlichen, sächlichen und finanziellen Fragen der weiteren Verwendung dieser historischen Quellen auf Antwort drängten: 20 Kilometer Akten in Potsdam, ca. 40 Kilometer in anderen Teilen der DDR, allein 9,7 Kilometer Gewerkschaftsarchiv mit noch einmal ca. 170 000 Bänden in der Bibliothek.
Alle Beteiligten haben sich nach den Ergebnissen der konstruktiven Anhörung von Berlin politisch bewegt. Das ist in der Tat in diesem Parlament nicht selbstverständlich. Das galt für zahlreiche Einbringer aus dem Bereich des real existierenden und gerade deshalb gescheiterten Sozialismus genauso wie für die SPD oder wie für uns, die Koalitionsparteien.
Ich finde es bemerkenswert und erfreulich, daß die Sozialdemokraten ihren eigenen Gesetzentwurf nicht weiter verfolgt haben. Ebenso erfreulich ist das Beitreten der Naumann-Stiftung und der AdenauerStiftung zur gemeinsam gefundenen Basis. Auch wir, CDU/CSU und auch die FDP, haben unsere eigenen Vorschläge überarbeitet.
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben, denke ich, bewiesen, daß vernünftige Beratungen zu Konsenslösungen ohne politische Scheuklappen führen können. Ich darf mich bei allen, die dazu beigetragen haben, hierfür herzlich bedanken.
Wir errichten eine unselbständige Stiftung des öffentlichen Rechts im Bundesarchiv. Diese Stiftung hat die Aufgabe, Unterlagen zur Geschichte und Vorgeschichte der DDR zu übernehmen, auf Dauer zu sichern und nutzbar zu machen. Dies gilt auch für die Unterlagen zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, einschließlich der Geschichte der Arbeiterbewegung.
Die Regelung umfaßt das gesamte Archivgut von Parteien und Massenorganisationen der DDR, auch soweit es nichtstaatliche Aufgaben betrifft. Diese Regelung hat den unbestreitbaren Charme, das Grundgesetz aller Archivare hinreichend beachtet zu haben: Kein Archiv- oder Bibliotheksbestand braucht auseinandergerissen zu werden. Die Einheit der Archive bleibt gewahrt. Damit eröffnen wir der wissenschaftlichen Forschung ausgezeichnete Bedingungen. Bewußt ist der Errichtungserlaß so gestaltet worden, daß die unterschiedlichen Interessenlagen nahezu aller Beteiligten berücksichtigt werden können.
Depositarverträge mit einzelnen Einbringern sind genauso möglich wie Spezialkommissionen für besondere Aufgabenbereiche oder die Erfassung der aus den neuen Bundesländern ausgelagerten Materialien.
Wir sollten den gefundenen Kompromiß jetzt nicht durch unnötige und zur Zeit auch nicht erfüllbare Forderungen nach Umlagerung von Archivgut gefährden.
Ich meine, die vor Eintritt in die Gesetzesberatung vorgenommene Zusammenführung und Sicherung der Archive der ehemaligen Blockparteien in Gummersbach und St. Augustin. Jetzt werden auch diese
Hartmut Büttner ({0})
Bestände unter gleichen archivfachlichen und rechtlichen Bedingungen in die unselbständige Stiftung einbezogen. Im übrigen ist der Anteil der Akten, die staatliches Handeln betreffen, bei FDP und CDU denkbar gering. Das gilt nicht für andere Parteien und nicht für alle Massenorganisationen.
So sind die Akten der SED Unterlagen eines ehemals staatsbeherrschenden Verfassungsorgans. Bis zum 1. Dezember 1989 galt Art. 1 der Verfassung der DDR. Dieser definiert die DDR als die politische Organisation der Werktätigen unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, also der SED.
Damit war festgeschrieben, was bereits seit 1945 in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und nach 1949 in der DDR herrschende Praxis war: die führende Rolle der KPD und später der SED im sozialistischen Staat.
Der russische Außenminister Kosyrew bezeichnete die SED analog zur KPdSU am 6. September 1991 als „keine eigentliche Partei", sondern als eine „staatliche Struktur".
Die tägliche Praxis in der DDR ließ keinen Zweifel zu. Der Ministerrat leitete die Durchführung seiner Politik „auf der Grundlage der Beschlüsse der SED". Das Politbüro war das eigentliche Lenkungsorgan des Staates. Neben diesem spielten Zentralkomitee und der SED-Generalsekretär die entscheidende politische Rolle. Auch das Statut der SED bestätigt die real ausgeübte Diktatur der Staatspartei.
Wegen dieser engen Verflechtung von SED und Staat sind alle in diesem Bereich entstandenen Unterlagen natürlich auch staatliche Unterlagen. Sie sind damit staatliches Eigentum und dürfen heute nicht dem Privateigentum der PDS zugerechnet werden.
Für die anderen Parteien und Massenorganisationen, die die SED bei der Wahrnehmung ihrer staatlichen Funktion unterstützt haben, gilt selbstverständlich das gleiche. So gab es die besondere Rolle des Gewerkschaftsbundes, welcher u. a. Aufgaben der staatlichen Sozialversicherung erfüllte.
Bei den Blockparteien ist der Anteil von Staatsakten durch die von der SED zugewiesene Statistenrolle naturgemäß sehr gering; ich habe darauf hingewiesen.
Allerdings führt die rechtliche Unterscheidung zwischen staatlichen und partei- oder organisationsamtlichen Unterlagen nicht zu deren körperlicher Trennung. Die Interessen des Archivwesens bleiben voll gewahrt.
Im einzelnen regeln wir durch den Gesetz- und den Erlaßentwurf folgendes:
Erstens. Der Sitz der Stiftung ist Berlin. Unser politischer Wille ist es, daß bis auf die wenigen Ausnahmen auch die Archivbestände in Berlin und den neuen Bundesländern bleiben müssen.
Zweitens. Die finanziellen und personellen Voraussetzungen werden durch den Bund dauerhaft sichergestellt.
Drittens. Die größeren archivgutabgebenden Stellen werden im Kuratorium der Stiftung vertreten sein.
Ihr Stimmrecht wird unter Berücksichtigung des Umfangs der eingebrachten Bestände gewichtet.
Viertens. Es besteht eine gesetzliche Verpflichtung des Bundes zum Abschluß von Vereinbarungen mit den einbringenden Stellen. Bisher haben bereits 16 Organisationen dem Bundesarchiv ihre Bestände übergeben. Acht von neun der wichtigsten Einbringer haben sich bereits grundsätzlich mit dem Bundesarchiv verständigen können.
Fünftens. Um den Zusammenhalt des Archivguts zu gewährleisten, wird davon abgesehen, die unterschiedlichen Rechtsstandpunkte zum Eigentum an den Unterlagen zu klären und Teilbestände zu entfernen. Jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen können so vermieden werden. Die Bestände stehen den Nutzern sofort zur Verfügung.
Sechstens. Die Unterlagen, welche die Landesebene, die Bezirksebene und die kommunale Ebene betreffen, sollen von den Staatsarchiven der neuen Bundesländer übernommen werden.
Siebtens. Die Geschichte der DDR, meine Damen und Herren, ist ein abgeschlossener Vorgang. Da die juristische Aufarbeitung in einem Rechtsstaat ihre Grenzen hat, kommt der politischen und historischen Aufarbeitung ein besonderer Stellenwert zu. Sie muß unverzüglich eingeleitet werden. Deshalb verzichten wir ausdrücklich auf die 30jährige Schutzfrist, wie sie nach § 5 Abs. 1 des Bundesarchivgesetzes vorgesehen ist.
Alle Fachleute haben sich während der Anhörung allerdings auch für einen vorsichtigeren Umgang mit den personenbezogenen Daten ausgesprochen. Selbst der Unabhängige Historikerverband, der bekanntlich dem Bündnis 90 durchaus nahesteht, unterstützt - wie auch der Datenschutzbeauftragte - diese Position. Wir werden aus diesem Grund dem Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE auch nicht folgen können.
Achtens. Probleme gibt es bis zur heutigen Stunde allerdings immer noch mit dem Namen der Stiftung. Alle Ansprüche der unterschiedlichen Einbringer und die Vielfalt der Unterlagen konnten nun wirklich nicht, lieber Herr Wartenberg, in der Überschrift untergebracht werden. Nicht nur aus stilistischen Gründen halten wir den Namen „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" für den bisher treffendsten Begriff. Die Bandwurmüberschriften sollten wie die Titelflut bei Politikern, denke ich, endlich der Vergangenheit angehören.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leeres Haus! Die Öffnung und Nutzung der Archive der SED, der anderen Parteien und der Massenorganisationen kann mit dazu beitragen, der historischen Wahrheit eine Gasse zu bahnen. Es ist ein Angebot an alle Wissenschaftler, Verbände, Organisationen und Bürger, sich daran zu beteiligen. Das Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes läßt in Verbindung mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz auch Zugriffsmöglichkeiten für die Rehabilitierung von Opfern, die Verfolgung von Verbrechen und die Arbeit der Gauck-Behörde zu.
Hartmut Büttner ({1})
Meine Fraktion begrüßt diese zusätzliche Möglichkeit der Aufarbeitung der Vergangenheit des Unrechtsregimes DDR ausdrücklich.
Auch für die Tätigkeit einer vom Deutschen Bundestag einzurichtenden Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wird das Archivgut der Stiftung eine wichtige Grundlage bedeuten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute ein gutes Gesetz. Eine breite Mehrheit wäre ein Signal für das Zusammenwachsen in Deutschland. Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen.
Schönen Dank.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Gerd Wartenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten haben die Innenpolitiker dem Deutschen Bundestag einen ersten großen Komplex der DDR-Geschichte vorgelegt: das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Dort haben wir versucht, gemeinsam eine der schwierigsten Materien zu regeln. Ich glaube, trotz vieler Unzulänglichkeiten ist es halbwegs gelungen.
Wir haben hier jetzt einen zweiten Komplex aus der Geschichte der DDR: Das sind die Archive der Parteien, der Massenorganisationen und zum Teil anderer öffentlicher Stellen. Ich denke, wir werden wiederum ein Gesetz schaffen, mit dem wir alle leben können. Ich glaube, das ist auch sehr gut, weil damit gezeigt wird, daß sich dieses Parlament bemüht, die schwierigen Fragen aus der Geschichte der DDR und ihre zukünftige Aufarbeitung und Behandlung gemeinsam zu lösen bzw. vorzunehmen und den Betroffenen aus der ehemaligen DDR einen möglichst umfassenden Zugriff und Spielraum im Umgang mit diesen Nachlässen zu sichern. Ich meine, beide Komplexe sind so gelöst worden, daß man nicht sagen kann, daß Westdeutsche hier eine Lösung für Ostdeutsche vorgeschrieben hätten.
Ich bin der Auffassung, daß diese Archive und die Regelungen, um die es hier heute geht, langfristig vielleicht sogar eine größere Bedeutung als das StasiUnterlagen-Gesetz und das Stasi-Archiv haben werden, wenn auch die Öffentlichkeit im Augenblick viel mehr auf die vielmillionenfachen Individualschicksale guckt. Über diese Archive werden Zusammenhänge hergestellt werden können, auf Grund dieser Archive wird eine Phase der deutschen Geschichte bewertet und in den Zusammenhang der europäischen Vorkriegs- und Nachkriegsentwicklung gestellt werden können. Deswegen sind diese Archive so ungeheuer wichtig.
Wir haben Regelungen gefunden, die es möglich machen, daß diese Archive weitestgehend zusammenbleiben, so daß damit auch eine komplexe Forschung ermöglicht wird. Ich gehe davon aus, daß die Erforschung dieser Archive und damit dieser Phase der deutschen Geschichte in den nächsten Jahren in erster Linie durch Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern erfolgt. Das heißt nicht, daß andere ausgeschlossen werden sollen. Aber ich denke, daß man bei der Vergabe von Forschungsmitteln hier andere Prioritäten setzen sollte, als wir das sonst gewohnt sind.
Wir haben eine Zeitlang diskutiert, ob man diesen Archiven ein Forschungsinstitut direkt angliedern sollte. Dieser von einigen Fachleuten vorgeschlagene Weg ist von uns nicht beschritten worden, weil das eine gewisse Monopolisierung der Forschung bedeuten würde, die eigentlichen Archive in den Hintergrund rücken, die Mittel nur noch in die Forschung fließen und der Ausbau sowie die Bewahrung dieser Archive sozusagen als lästige Nebenarbeit angesehen würden. Wir wollen aber dafür sorgen, daß - ähnlich dem Institut für Zeitgeschichte in München, das sich in der Nachkriegszeit um die Erforschung der NS-Geschichte sehr intensiv bemüht hat - in Berlin mittelfristig ebenfalls eine solche Forschungsstelle gegründet wird. Es ist jetzt vom Land Brandenburg beschlossen worden, an der Potsdamer Universität eine solche Forschungsstelle zu errichten. Aber, ich glaube, auch der Bund hat eine Verpflichtung, sich darum zu kümmern.
Die Ausgangslage für die Beratung dieses Gesetzes war außerordentlich schwierig. Der Fehler - das darf nicht vergessen werden - ist von den Regierungsfraktionen und der Regierung beim Einigungsvertrag gemacht worden, indem die Archive de facto privatisiert worden sind. Das heißt, sie sind von denjenigen, die angeblich Besitzer oder Übernehmer von Ansprüchen waren, eingesackt worden. Es sind dabei teilweise sehr merkwürdige Rechtskonstruktionen entstanden, die heute umstritten sind, angegriffen werden und auch noch geklärt werden müssen.
Dieser Fehler hat dazu geführt, daß insbesondere die Archive der Blockparteien aus Berlin und anderswo sofort ausgelagert und in den Bonner Raum, nämlich zur Konrad-Adenauer-Stiftung und zur Friedrich-Naumann-Stiftung, gebracht worden sind. Ich glaube, daß dies auch deswegen eine falsche Entscheidung war, weil die Regierungsfraktionen damit in der Auseinandersetzung mit anderen Institutionen, die Archive in ihrem Besitz haben wollten oder hatten, teilweise blockiert waren. Denn das, was FDP und CDU/CSU recht war, mußte anderen eigentlich billig sein.
({0})
- Gut, die CSU nehmen wir einmal heraus, Herr Zeitlmann. Sie haben recht, Sie haben da kein Erbe zu verwalten; richtig. - Das hat z. B. dazu geführt, daß sich der Lieblingsprügelknabe PDS in diesem Zusammenhang eigentlich nicht sonderlich als Prügelknabe eignete, weil die PDS für sich zeitweilig nur das verlangt hat, was die CDU und die FDP selber entsprechend mit den Archiven der Blockparteien gemacht haben. Das muß man in diesem Zusammenhang wohl gerechterweise sagen.
Die Regelung des Einigungsvertrags hatte aber zur Folge, daß wir uns eineinhalb Jahre mit Unzulänglichkeiten herumschlagen mußten, die häufig fast dazu geführt haben, daß einige Archive auseinandergefal6110
Gerd Wartenberg ({1})
len und kaputtgegangen wären. Die unzureichende Finanzierung in diesen letzten eineinhalb Jahren hat viele dieser Archive an den Rand des Ruins gebracht. Deswegen muß man auch an dieser Stelle die verwaltende Stelle der Treuhandanstalt, die unabhängige Kommission, kritisieren. Obwohl sich der Bundestag und die Bundesregierung dann doch frühzeitig einig waren, daß alle Archive erhalten bleiben sollen, hat diese Stelle immer wieder die Mittel gesperrt und damit die Archive in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Das war keine gute Situation. Ich hoffe, daß durch das Gesetz diese Schwierigkeiten abgestellt werden.
Nachdem im vorigen Jahr auch die Regierungsparteien eingesehen hatten, daß die im Einigungsvertrag vorgesehene Regelung den großen Bestand etwa des ehemaligen SED-Archivs kaum vernünftig gerecht wird, wurde eine Regelung nach dem Bundesarchivgesetz vorgeschlagen, die äußerst unsensibel, ja brutal war. Sie ging davon aus: Staatsakten werden vom Bundesarchiv, d. h. von der Bundesrepublik Deutschland, ohne Rücksicht darauf sichergestellt, daß dadurch die Archive zerschlagen würden, indem sortiert würde: Was sind Staatsakten, und was sind privatrechtliche Akten, die anders einzuschätzen und zu verwalten sind?
Dieser Gesetzentwurf hat die Diskussion lange belastet. Er hat auch bei den Anhörungen Fronten zwischen den Fachleuten aufgerissen, die große Sorge vor einer Lösung hatten, die dem Problem fachlichhistorisch nicht gerecht wird. Wir hätten uns auch in den Anhörungen und in den Diskussionen in der Öffentlichkeit viel ersparen können, wenn man von vornherein eine sensiblere Lösung vorgeschlagen hätte.
Die meisten Fachleute forderten in den Anhörungen eine öffentlich-rechtliche Lösung. Das wäre vielleicht die beste Lösung gewesen. Allerdings hätte ihre Verwirklichung viel Zeit gekostet. Auch die Finanzierung wäre natürlich komplizierter geworden. Denn jeder ging doch davon aus, daß der Staat finanzieren muß. Die Bedingungen, unter denen eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die voll aus dem Staatshaushalt finanziert wäre, gegründet werden sollte, hätten lange Diskussionen mit sich gebracht.
Am Ende der Anhörung durch den Innenausschuß ist von sozialdemokratischer Seite die Lösung einer unselbständigen Stiftung unter dem Dach des Bundesarchivs vorgeschlagen worden. Erstaunlicherweise haben sich fast alle Beteiligten bereit erklärt, über diese Lösung zu diskutieren, und haben sie positiv eingeschätzt.
Wir Sozialdemokraten haben damals vorgeschlagen, drei unselbständige Stiftungen zu installieren, um folgendem Problem gerecht zu werden: Diese Archive umfassen nicht nur die Archivalien der Massenorganisationen und der Parteien der DDR, sondern in ganz großem Maß auch Archivalien der Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung. Auch aus diesem Grund hing in dieser Debatte ziemlich viel Herzblut der SPD an einer vernünftigen Lösung.
Der überwiegende Teil dieser Archivalien befand sich im PDS-Archiv. Dabei kann man davon ausgehen, daß zwei Drittel der Archivalien aus der Zeit vor 1933 datieren. Unter anderem sind in der Bibliothek 17 000 Bände, die noch den Stempel der SPD aus der Zeit vor 1933 tragen, die also dem Reichsvorstand der SPD gehört haben.
Hier zeigt sich eine Verknüpfung. Hätte man dies nicht mit einer Gesamtlösung in den Griff bekommen, wären lange Streitigkeiten und Rechtsverfahren die Folge gewesen. Der Versuch, über eine unselbständige Stiftung alle Beteiligten zu motivieren, ihre Ansprüche zwar zu kodifizieren, aber nicht zu realisieren, d. h. alles in dieser unselbständigen Stiftung zu belassen, ist wahrscheinlich eine sehr gute Möglichkeit, die Bestände zusammenzuhalten.
Die Tatsache, daß diese Archive zu einem sehr großen Teil Materialien der Geschichte der Arbeiterbewegung umfassen und damit indirekt - nach dem Archiv in Amsterdam - die größten der Arbeiterbewegung, jedenfalls der deutschen Arbeiterbewegung sind, hat auch etwas mit der Diskussion um den Titel zu tun. Sie haben das ja eben angesprochen. Es ist eine ganz schwierige, fast unlösbare Frage. Entweder wird es ein Mammuttitel mit erheblichen Problemen - die Arbeiterbewegung in direktem Zusammenhang mit Blockparteien in einem Titel zu bringen ist ja wohl ein bißchen problematisch -, oder aber man verkürzt es so, daß der Inhalt dessen, worum es geht, nicht mehr klar wird. Ganz zum Schluß hat es noch den Vorschlag gegeben, dieses neue Archiv nur Sonderarchiv zu nennen; aber damit wäre die Problematik entstanden, daß kein Mensch gewußt hätte, worum es eigentlich geht. Wir sind deswegen bereit, auch diesen verkürzten, unvollständigen Titel mit zu tragen, weil es so unendlich schwierig ist, eine Lösung zu finden, die wirklich das umschreibt, was in diesen Archiven letztendlich enthalten ist. Ich glaube, es muß darauf hingewiesen werden, daß die Lösung unvollkommen ist, vielleicht unvollkommen sein mußte.
Meine Damen und Herren, die unselbständige Stiftung, die es jetzt doch vielen ermöglichen sollte, die Archive der Stiftung zu überlassen, setzt voraus -und da muß ich doch noch einmal an die KonradAdenauer-Stiftung und an die Friedrich-NaumannStiftung und damit auch an die sie tragenden Parteien appellieren -, daß auch Zeichen gesetzt werden. Es ist meines Erachtens unumgänglich, daß diese beiden Stiftungen die Materialien nach Berlin zurückgeben.
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Wenn wir uns darüber im klaren waren, daß es sich hier in erster Linie - jedenfalls was die Parteien und Massenorganisationen angeht - uni die Geschichte der DDR und der Vorläufer-DDR handelt, dann ist es nicht verständlich, warum dieses Material in Gummersbach und in Sankt Augustin sein soll.
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Ich glaube, es wird Ihnen auch einmal leid tun, das, was eigentlich DDR-Geschichte ist, als Geschichte der CDU und der FDP zu verstehen. Ich weiß, daß viele Abgeordnete da ihre eigenen Stiftungen kritisch
Gerd Wartenberg ({4})
beäugen, und hoffe, daß sich da die Abgeordneten auch im eigenen Interesse der beiden Parteien, die betroffen sind, durchsetzen; etwas anderes kann eigentlich nicht der Sinn der Sache sein.
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Wie gesagt, es hätte auch eine psychologische Wirkung, wenn das gemacht würde. Das würde es manch einem anderen erleichtern, in dieser Stiftung zu bleiben bzw. ihr beizutreten. Wir wissen ja, daß wir auch sehr viele privatrechtliche Verträge abschließen müssen. Das Bundesarchiv muß darüber verhandeln, daß privatrechtliche Verträge - Depositarverträge - verlängert oder neu abgeschlossen werden. Es wäre psychologisch sehr gut, wenn andere Beteiligte nicht nur rechtlich an dieser Stiftung teilhätten, sondern auch physisch mit ihren Archivalien an den Sitz der Stiftung gingen, eben in das Land Berlin.
Meine Damen und Herren, diese unabhängige Stiftung wird unter dem Dach des Bundesarchivs sein. Ich glaube, das Bundesarchiv mit seiner manpower
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- oder womanpower -, aber auch mit seiner 40jährigen Erfahrung, hat gezeigt, daß solche Archive und solche Materialien bei ihm durchaus in guten Händen sind, daß sie gepflegt und auch erweitert werden. Damit, daß eine unselbständige Stiftung geschaffen wird, ist aber gleichzeitig ein politisches Zeichen von uns gesetzt worden, daß es hier nicht einfach nur um irgendeinen Bestandteil der Geschichte der Bundesrepublik oder der deutschen Geschichte geht, sondern daß es ein Sonderbereich ist, der ganz bewußt in den neuen Bundesländern bleiben soll, und daß dort auch die Forschung betrieben werden soll. Ich glaube, das gibt diese Konstruktion her. Es wird eine eigene Direktion, ein eigenes Kuratorium und einen eigenen Haushalt geben, so daß eine von dem riesigen Gesamtbestand des Bundesarchivs unabhängige Archivpolitik betrieben werden kann. Ich denke, das ist auch psychologisch wichtig für die Bewohner der neuen Bundesländer.
Wir haben uns dafür eingesetzt, daß die Sperrfristen, die allgemein im Bundesarchiv gelten, für die Bestände dieser Stiftung nicht gelten. Dazu liegt noch einmal ein Antrag vom Bündnis 90/GRÜNE vor. Ich meine, die Regelung, die wir jetzt haben, reicht aus. Sie besagt eindeutig, daß diese Fristen nicht gelten, daß aber natürlich der Schutz der Person gewährleistet sein muß. Ich weiß, daß Wissenschaftler, insbesondere Historiker, am liebsten jegliche Bindung fallen sehen möchten. Wir kennen das aus der Diskussion des Bundesarchivgesetzes in den letzten zehn Jahren. Ich glaube, hier ist eine Regelung gefunden worden, die über die Restriktionen des Bundesarchivgesetzes hinausgeht und es möglich macht, daß die historische Forschung ohne Einschränkung erfolgen kann. Bei strafrechtlichen Tatbeständen gelten diese Fristen und Beschränkungen - anders als bei der GauckBehörde - sowieso nicht. Hier gelten die allgemeinen Regelungen, die auch für das Bundesarchivgesetz relevant sind.
Noch unklar ist, wie die Stimmenanteile in dem Kuratorium gewichtet werden, wobei ich noch einmal ausdrücklich darauf hinweise, daß wir davon ausgehen, daß diejenigen, die in diese unselbständige Stiftung große Bestände eingeben oder Ansprüche auf große Bestände haben, ein stärkeres Gewicht erhalten müssen als andere. Das heißt, die Stimmenverteilung im Kuratorium muß auch die Gewichtung der Einbringer widerspiegeln. Das gilt für alle Einbringer. Da würde ich auch aus politischen Gründen keine Unterschiede machen; da darf nicht getrickst werden. Das würde es vielen erleichtern, mit den Verträgen, die noch geschlossen werden müssen, umzugehen.
Man sollte auch etwas zu dem größten Archiv, dem PDS-Archiv, sagen. Wir als Abgeordnete haben mit vielen Archiven zu tun gehabt. Ich muß sagen, daß das PDS-Archiv - das haben mir aus fachlicher Sicht viele bestätigt - nach der Wende trotz der ökonomischen Schwierigkeiten fachlich gut geführt worden ist und daß hier - das haben auch die Wissenschaftler, selbst konservative, unterstrichen - die Zusammenarbeit mit Forschung und Wissenschaft gut und auch die Informationspolitik in Ordnung war. Ich glaube, das sollte man auch berücksichtigen, wenn es darum geht, wie dieses Archiv mit Mitarbeitern in die Stiftung eingebracht wird. Man sollte nicht zu kleinlich sein. Es hat andere Archive gegeben, die sehr viel problematischer waren, geradezu unseriös - um das auch einmal zu sagen. Für mich ist das auch eine Frage der Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Bitte an alle diejenigen äußern, die auf die Privateinleger in den verschiedensten Archiven Einfluß haben. Es gibt viele privatrechtliche Depositarverträge über Nachlässe, und es gibt viele Menschen gerade unter den Einlegern in diese Archive, die den Zusammenbruch der DDR nicht verkraftet haben und dazu neigen, als Ersatzhandlung, vielleicht auch als eine kleine Rache, die Bestände ihrer Familien dort herauszunehmen. Ich meine, wir sollten diesen Menschen sagen, daß diese Stiftung und dieses Archiv die Gewähr dafür bieten, daß mit allen Archivalien gut umgegangen wird, daß sie der historischen Forschung offenstehen, langfristig gesichert sind und damit auch eine Bewertung ermöglichen, die unter den verschiedensten Aspekten der Forschung, die bei uns möglich ist, pluralistisch sein wird. Ich glaube, die Vorbehalte auch dieser Menschen, die vieles nicht verkraften können, was sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hat, sollten überwunden werden. Ich habe einfach die Bitte, daß sich jeder sehr genau überlegt, ob er die Archivalien aus der Stiftung herausnimmt.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten werden diesem Gesetzentwurf zustimmen. Wir haben an kleineren Punkten noch einzelne Bedenken gehabt. Wir wollen mit unserer Zustimmung aber auch signalisieren, daß, wenn vernünftige Verhandlungen mit den einzelnen Einbringern geführt werden, alle Beteiligten mit der Lösung, die gefunden worden ist, leben können. Wir wollen damit auch einen Vertrauensvorschuß dieser Stiftung gegenüber zum Ausdruck bringen und hoffen, daß sich möglichst alle an dieser Stiftung beteiligen, damit für die Forschung, aber auch für die Aufarbeitung und Sicherstellung dieser Archivalien in der nächsten Zeit ein sowohl unter finanzpolitischen als auch unter fachli6112
Gerd Wartenberg ({7})
chen Gesichtspunkten guter Weg gegangen werden kann.
Recht herzlichen Dank.
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Nun hat der Kollege Dr. Jürgen Schmieder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geduld zu haben zahlt sich manchmal aus. Diese Aussage trifft auch auf die vorliegende Problematik zu. Erst hieß es, 40 Jahre zu warten und sich zu gedulden. Dann, unmittelbar nach der Wende, trat in der Ex-DDR, von einigen als Wunsch, von anderen als Forderung geäußert, das Verlangen nach Einsicht in die vollständigen Unterlagen der SED, der ehemals in absoluter, sogar in der Verfassung festgeschriebenen Alleinherrschaft regierenden Partei, auf.
Selbstverständlich sollten auch die Unterlagen der der SED in die Hand arbeitenden Massenorganisationen und die Führungsunterlagen der anderen in der ehemaligen DDR existierenden Parteien einbezogen sein.
Die politische Führung der anderen Parteien war bis auf wenige Ausnahmen nie müde geworden, bis zuletzt ihre Treue zur SED zu beweisen. Sie hat alles nachgeplappert und hat sich sogar vor den Karren spannen lassen. Daß sich die Führung mit derartigem Gebaren von dem übergroßen Teil des Parteivolkes entfernte, störte die Herrschaften dabei nicht.
Die meisten normalen Parteimitglieder waren in der Regel als Opposition zur SED oder weil man schlicht und ergreifend vor dieser eigentlich alles beherrschenden Partei weggelaufen war oder, ganz banal, nur weil man sich bei der Erlangung einer Gewerbeerlaubnis gewisse Vorteile versprach, Mitglied einer Partei geworden. An der Tatsache allerdings, daß in der ehemaligen DDR das System existierte, daß man in einer Partei sein mußte, um eine Gewerbeerlaubnis zu bekommen, war selbstverständlich die SED schuld. Ulbricht hatte damals schon sinngemäß gesagt: Genossen, wir müssen alles von Anfang an fest im Griff haben, aber schön demokratisch muß es aussehen.
Alles, was man in der DDR tun und lassen bzw. sagen konnte, war reglementiert, vorgedacht und hatte dem Dogma der SED zu entsprechen. Jeder Freiraum mußte erkämpft werden. Alles, was man da tat, ob als Person oder als kleine Partei, tat man bei Strafe des Untergangs.
Wen wundert es also, daß nicht wenige Partei- oder Unionsfreunde es als das Äußerste ansahen, was man in der DDR in Opposition zur SED tun konnte, wenn man in eine sogenannte Blockpartei ging - nicht ahnend, daß die durch ihre jeweilige Parteiführung längst an die SED verkauft war.
Für die SED war jeder einzelne Bürger interessant, solange er parteilos war. Er war damit potentielles Mitglied. Denn da bestand immer noch die Möglichkeit, daß er irgendwann und irgendwie sich der SED anschloß.
Wer sich jedoch anders entschied und in eine der kleinen Parteien ging, der geriet aus dem Gesichtsfeld und hatte in der Regel verwirkt. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", das war der Slogan der SED, und das bekamen die Mitglieder der kleinen, nach außen hin zum Schein im „demokratischen Block" vereinten Parteien überall zu spüren.
Die mit der LDPD- oder CDU-Mitgliedschaft erworbene Stellung bewahrte die Mitglieder dieser Parteien glücklicherweise in den meisten Fällen vor dümmlichen Anwerbeversuchen in die Kampfgruppen, die eines der militärischen Machtinstrumente der SED waren. Aber in der Regel nahm man erhebliche Nachteile für den beruflichen Entwicklungsweg in Kauf, bis hin zum Berufsverbot. Eine Beschäftigung bei der Deutsch-Sowjetischen Aktiengesellschaft, der Wismut, fand nicht statt. Die Übernahme einer Leitungsfunktion war in der Regel nur möglich, wenn der Proporz stimmte.
Sicherlich gab es auch in der SED einige Mitläufer und Leute, die den ständigen Werbeversuchen, bis hin zur beruflichen Erpressung, nicht standgehalten hatten oder aus dem Motiv, daß sie endlich ihre Ruhe haben wollten, nachgegeben haben. Die Zahl von 2,3 Millionen Parteimitgliedern läßt Raum für diese Überlegungen. Das war aber nicht die Regel. Die SED war die SED - mit aller Brutalität und Verlogenheit.
Wenn einige „Altvordere" und politische Scharfmacher des Gestrigen sowie einige ihrer geistigen Erben aus den Reihen der heutigen PDS ständig versuchen, die SED und die anderen Parteien als Ganzes in einen Topf zu werfen, dann ist das nicht korrekt. Erst einmal steht die SED allen voran, und dann sind eben nur die politischen Führungen der anderen Parteien einzubeziehen. Wer anderes behauptet, ignoriert bestimmte Gegebenheiten in der DDR, betreibt Bauernfängerei und Effekthascherei, will so der SED zu einem späten Triumph über die Mitglieder der kleinen Parteien verhelfen und öffnet einer pauschalen Verurteilung Tür und Tor.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon mehr als ärgerlich, daß die letzte Volkskammer der DDR zur Aufarbeitung der Problematik wenig beigetragen hat und daß es damals eben nicht gelungen war, eine gesetzliche Regelung zur Einsicht in die Archive zu beschließen. Ähnliches trifft auf die Vermögenswerte der Parteien zu. Hier wie dort scheiterte die Volkskammer nicht am Willen, sondern an den ständigen Bedenken einzelner, die sich damals in politischer Verantwortung befanden, so daß der nach der Wende aufgekommene Wunsch der Zugriffnahme auf die Archive bzw. der Einsicht in diese Archive ein frommer Wunsch bleiben mußte, bis heute.
Nach der Einbeziehung der Standpunkte von Sachverständigen und Experten und nicht zuletzt der Prüfung der Standpunkte der möglichen Einbringer wurde jetzt eine allseits verträgliche und zumutbare Lösung gefunden. Im Rahmen einer unselbständigen Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" unter dem Dach des Bundesarchivs bietet die jetzt vorliegende Lösung beste Chancen, auch und vor allem die Interessen der Einbringer
sowie der künftigen Nutzer angemessen zu berücksichtigen.
Die Unterlagen der SED, der mit dieser Partei verbundenen Organisationen und juristischen Personen sowie der Massenorganisationen der DDR sollen, soweit sie die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betreffen, einbezogen sein. Gleichzeitig gilt dies auch für andere Parteien und für die mit diesen Parteien verbundenen Organisationen der DDR.
Die Stiftung bekommt die Aufgabe, die Unterlagen der gesamten Stellen zu übernehmen, auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und zu ergänzen. Diese Aufgabe gilt auch für andere Unterlagen zur deutschen Geschichte, insbesondere für die Unterlagen zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, die damit in historischem und sachlichem Zusammenhang stehen.
Die Stiftung selbst entsteht durch Erlaß des Bundesinnenministers und wird formalrechtlich unter das Dach des Bundesarchivs gestellt, wobei sich der körperliche Sitz der Stiftung nicht am Rhein, sondern in Berlin befinden wird. Das ist gut so, setzt es doch zum einen ein Zeichen in Richtung auf die Entstehungsorte der Unterlagen und trägt zum anderen der Hauptstadtfunktion Berlins Rechnung.
Mit jedem in Frage kommenden Einbringer ist ein Einzelvertrag, der alle konkreten Rechte, Bedingungen und Interessen des Einbringers regelt, abzuschließen. Eine derartige Verfahrensweise eröffnet die Möglichkeit - das ist der eigentliche Wille des Gesetzgebers -, daß alle relevanten Unterlagen unter einem Dach zusammenkommen. Für die politische und historische Aufarbeitung ergeben sich dadurch beste Voraussetzungen, insbesondere auch dadurch, daß die für die sonstigen Materialien des Bundesarchives geltende Schutzfrist von 30 Jahren für die Bestände der Stiftung keine Anwendung findet. Konkrete, die Nutzung der Unterlagen betreffende Bestimmungen sind im Erlaß zur Errichtung der Stiftung geregelt. So gibt es eine weitgehende und unbedingt notwendige Regelung bei Personen der Zeitgeschichte und Amtsträgern. Hier können die Schutzfristen verkürzt werden. Schutzwürdige Belange sollten allerdings angemessen berücksichtigt sein.
Der vorliegende Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die Verkürzung der Schutzfrist betreffend, ist eigentlich nicht erforderlich, da genau die aufgeführten Belange sowohl im Gesetzestext als auch in dem dazugehörigen Erlaß berücksichtigt sind. Der Erlaß bestimmt auch die Organisationsstruktur der Stiftung. So wird bei der Stiftung ein Kuratorium und ein Wissenschaftlicher Beirat gebildet.
Herr Kollege Schmieder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Köppe?
Nein, Frau Köppe ist nach mir dran und kann dann Stellung nehmen. - Im Kuratorium der Bundeseinrichtung werden die Legislative und die Bundesexekutive paritätisch vertreten sein. Die neuen Länder werden zwei Vertreter stellen.
Von den Archivgut abgebenden Stellen werden in angemessenem Rahmen Vertreter einbezogen.
Das Kuratorium beschließt über grundsätzliche Fragen, die zum Aufgabenbereich der Stiftung gehören, und überwacht die Tätigkeit des Direktors. Der Wissenschaftliche Beirat unterstützt das Kuratorium und den Direktor in allen die Stiftung betreffenden Angelegenheiten. Der Beirat besteht aus bis zu 18 Sachverständigen des Archiv- und Bibliothekswesens sowie der Geschichts- und Sozialwissenschaft, insbesondere der Geschichte der DDR und der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.
Die Stiftung untersteht der Aufsicht des Bundesministers des Innern. Für die Rechnungslegung der Stiftung gelten die Bestimmungen der Bundesverwaltung. Die Stiftung ist allerdings berechtigt, ihr von Dritten übertragene Nutzungsrechte auszuüben und Zuwendungen Dritter entgegenzunehmen. Der Bund stellt der Stiftung die Unterlagen der Archive der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR zur Verfügung; diese bilden das Stiftungsvermögen.
Die Stiftung erhält zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen jährlichen Zuschuß nach Maßgabe des jeweiligen Bundeshaushaltes. Damit wird die Stiftung arbeitsfähig.
Nun kann die politische Aufarbeitung der Unterdrückung des Volkes, der politischen Vorgänge und Strukturen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und der sich anschließenden Zeit der Diktatur durch eine Partei und ein System erfolgen.
Einige fordern, daß hierzu ein Tribunal abgehalten werden sollte, insbesondere ein Welttribunal gegen Honecker. Das ist nach meiner Ansicht reiner Schwachsinn.
({0})
- Ich bleibe trotzdem bei meiner Formulierung.
({1})
Davon abgesehen, daß der Begriff „Tribunal" denkbar ungeeignet und vorbelastet wäre, würde eine solche Verfahrensweise doch den Altstalinisten in die Hand arbeiten. Denn diese Leute hatten auch die Eigenart, wenn es Probleme oder Schaden gab, diesen sofort zu personifizieren, um damit das System schadlos zu halten.
Hier geht es aber um mehr: Es geht um die Untersuchung und Verurteilung des gesamten Systems, da es sich als unrealistisch und unmenschlich erwiesen hat. Die Aufgabe der Aufarbeitung kann eine Enquete-Kommission viel besser leisten.
({2})
Ich gehöre zu den Anhängern dieser Idee und hoffe, daß sich das Hohe Haus möglichst schnell zu einer solchen Lösung entschließt.
({3})
Die Diskussion hierzu währt schon geraume Zeit. Sie wurde dankenswerterweise von einigen Leuten initiiert, die für die politische Wende in der DDR stehen. '
Zwischendurch gab es Profilierungsversuche einzelner, die nachträglich versuchten, lautstark auf diesen fahrenden Zug aufzuspringen. Das sind meiner Meinung nach denkbar ungeeignete Momente eines fairen Umgangs miteinander. Besser wäre, sich in geeigneten Gremien zusammenzusetzen und eine allen Erfordernissen Rechnung tragende Aufgabenstellung für die Enquete-Kommission zu erstellen und dies in einem interfraktionellen Antrag zu formulieren. Von unserer Seite gibt es hierzu Bereitschaft. Mehr noch: In der FDP gibt es schon einen Gesprächskreis der Interessenten.
Die Enquete-Kommission könnte demnach Forschungsaufträge zur Erschließung der Zusammenhänge an Expertenteams oder auch an die zu gründende Stiftung vergeben. Eine Enquete ist auf jeden Fall auch besser geeignet als beispielsweise ein Untersuchungsausschuß.
Das vorrangige Problem ist es, zu erschließen und aufzuzeigen, welche Machtstrukturen es tatsächlich gegeben hat, wie sie intern gewirkt haben und welche Wirkungen sie nach außen, den Bürgern gegenüber, hatten.
Des weiteren geht es darum, zu ergründen, welche offen und verdeckt wirkenden Repressionsmechanismen es gab und wie deren Arbeitsweise war. Von Bedeutung ist außerdem die Darstellung der konkreten Lebensbedingungen der Menschen in der ehemaligen DDR. Durch die Unterdrückungsherrschaft der SED waren Bedingungen entstanden, unter denen die Menschen leben mußten, denen sie sich anpaßten, wo einzelne Freiräume schufen und Widerstand leisteten und so die Voraussetzungen für die politische Wende herbeiführten.
Gerade die Kenntnis der konkreten Lebensumstände der Menschen in der ehemaligen DDR würde den Prozeß des eigenen Erkennens und der gegenseitigen Akzeptanz im jetzt vereinten Deutschland wesentlich unterstützen.
Eigentlich sollten die Prozesse gegen die Wahlfälscher auch der Aufarbeitung der Vorgänge in der ehemaligen DDR und der Offenlegung der Machtstrukturen dienen. Damit diese Prozesse ablaufen können, haben damals, Mitte 1989, Bürgerrechtler und Männer und Frauen der Kirche unter hohem Risiko Beweismaterial zusammengetragen. Wenn man aber jetzt mit ansieht, wie die Prozesse ablaufen, bekommt man das Schaudern, und ich kann verstehen, wenn sich dabei Aggressionen aufbauen.
({4})
Bestimmte Leute haben plötzlich von nichts gewußt, waren am Ende nicht dabei oder können sich nicht erinnern; und im übrigen war es eben so. Alle sind ehrenhaft und machen sich nicht einmal die Mühe, Reue zu zeigen.
Die Krönung ist allerdings die Verteidigung im Falle Berghofer. Da steht jemand, dem es offensichtlich nur um das Geldverdienen geht und der nicht begreift, daß er dabei politisches Porzellan zerschlägt. Als Abgeordneter hatte ich bisher geglaubt, es gehe vordergründig darum, die Interessen seiner Wähler zu vertreten und nicht irgendwelche Leute von der Schuld bzw. Mitschuld an 40 Jahren Diktatur in der DDR mit dümmlichen, den Mut der Bürgerrechtler verhöhnenden und die Befindlichkeiten der Menschen in der DDR mißachtenden Scheinargumenten entlasten zu wollen.
Ich kann den Aufschrei der SPD in den neuen Ländern voll verstehen. Er reiht sich in den Aufschrei großer Teile der Bevölkerung in der ehemaligen DDR ein. Es wäre aus meiner Sicht nur allzu logisch und konsequent, wenn sich die SPD von solchen Leuten trennen würde,
({5})
wie das schon viele Mitglieder in den neuen Ländern getan haben, weil sie so ein arrogant zur Schau gestelltes, ignorantes Verhalten eines politischen Mandatsträgers nicht verstehen. Mit derartigen Aktionen wird das Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West erheblich gestört. Hoffen wir, daß die zu gründende Stiftung zu einer sachlichen und fundierten Aufarbeitung der politischen Vergangenheit dienen kann!
Danke.
({6})
Als nächstes hat das Wort der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schmieder, gestatten Sie mir, daß ich zu Ihren Ausführungen, die sich ja relativ wenig mit dem Archiv beschäftigt haben, ein paar Bemerkungen mache. Ich halte das, was Sie hier zuletzt gemacht haben - gestatten Sie mir, das so deutlich zu sagen -, für ungeheuer gefährlich. Das eine ist die Beurteilung eines Menschen, was er als Parlamentarier macht, etwas völlig anderes aber ist die Beurteilung eines Menschen, was er in seinem Beruf als Verteidiger macht.
({0})
Wenn wir hier als Parlament anfangen, Verteidiger dafür zu rügen, daß sie verteidigen - ob uns das Argument gefällt oder nicht, ist eine ganz andere Sache -, dann wird es für diesen Berufsstand tatsächlich eng. Ich glaube nicht, daß so etwas geht. Und wenn Herr Schily sich entscheiden würde, eine Mörderin zu verteidigen, dann ist das genauso sein Recht, und dann haben wir hier nicht zu beurteilen, ob die Argumente uns gefallen oder nicht, die er dabei als Verteidiger benutzt.
({1})
Sie haben viel von Aufarbeitung der Vergangenheit gesprochen und haben zu Beginn erklärt, daß die Führung der Blockparteien in der früheren DDR, sagen wir mal: ziemlich unangenehme Vertreter dieses Systems waren, während die Mitglieder eigentlich
überwiegend in Opposition zur SED standen. Dann haben Sie noch ein paar andere denkbare Motive für die Mitgliedschaft in den Blockparteien genannt. Ich glaube, dies ist der Beginn, sich etwas in die Taschen zu lügen, und das bedeutet dann genau, Aufarbeitung der Vergangenheit zu verhindern.
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Wenn wir solche Prämissen setzen, kommen wir nicht weiter. Ich muß das auch für meine Partei sagen, und ich kann das auch nicht durchgehen lassen. Ich kenne da inzwischen auch viele, die sagen, sie standen immer in Opposition zur Führung. Das ist doch einfach nicht ehrlich, das hilft doch nicht weiter, wenn wir so herangehen.
Interessant ist doch, gerade aus heutiger Sicht einmal zu erforschen, weshalb es auch relativ viel Zustimmung gab. Darum macht sich ja gar keiner mehr Gedanken. Was waren denn dafür die Gründe? War das nun nur, sagen wir einmal: durch den Druck, oder gab es da auch bestimmte Überlegungen? Weshalb wollten denn viele eine Alternative zur Bundesrepublik - mit viel Kritik?
({3})
- Sie müssen schon ein bißchen zuhören, dann würden Sie das richtig verstehen. Es ist überhaupt keine Würdigung des Systems, sondern es ist ein tieferes Eindringen, sowohl in Mechanismen als auch in Denk- und in Verhaltensweisen. Immer dann, wenn jemand versucht, nur eine Seite zu erklären - wenn er sagt, ich habe ja das und das gemacht, um größeren Schaden abzuwenden -, und nicht erklärt, worin seine Übereinstimmung bestand und auch die Akzeptanz bei ihm lag, wird die Antwort unglaubwürdig und stimmt nicht. Wenn Sie viele Jahre Mitglied einer Blockpartei waren, dann hatten Sie ganz bestimmt auch ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung mit dem System, und ich finde, dazu kann man auch stehen. Man muß es nur erklären; dann wird es auch ehrlich, und dann ist Aufarbeitung der Vergangenheit möglich. Ich würde das z. B. für mich nie bestreiten, und ich bilde mir auch ein, jemand gewesen zu sein, der durchaus kritisch zu vielen Fragen stand. Ich würde aber nie so tun, als ob ich generell alles abgelehnt habe und nur überlegt habe, wie ich die reinlegen kann. Das ist zu billig, weil es auch nicht stimmt. Ich glaube, das hilft uns da nicht weiter.
Lassen Sie mich nun zum eigentlichen Thema kommen, das ja mit Aufarbeitung der Geschichte zu tun hat. Ich weiß nicht, wie es in den anderen Archiven ist, ich weiß nur, daß es dort schwierig ist. Denken Sie aber einmal an die erste Lesung, die hier stattgefunden hat, und an die Atmosphäre und die Beschimpfungen, die ich damals über mich ergehen lassen mußte, und denken Sie an heute. Da ist doch eine andere Atmosphäre entstanden. Ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, wie diese PDS - bei allem, was man ihr meinetwegen sonst alles vorwerfen mag - mit diesem Archiv umgegangen ist.
({4})
- Das ist doch eine glatte Lüge, was Sie hier sagen. Also halten Sie sich da bitte zurück!
({5})
- Da war ja nie das Archiv, was erzählen Sie denn da.
Das Besondere ist, daß erstens bei diesem Archiv nichts weggekommen, sondern sogar etwas hinzugekommen ist, nämlich das sogenannte interne Politbüroarchiv, das früher nie Bestandteil des Parteiarchivs war.
({6})
- Darüber entschied die Leitung der Partei, wie das bei uns so üblich war, und nicht das Archiv, was dort hinkommt.
({7})
- Schade, ja. Aber das Material ist gerettet und zugeführt worden.
Zweitens. Wir hatten den großen Vorteil, daß dieses Parteiarchiv sehr schnell geöffnet werden konnte. Wenn Sie die Benutzer fragen, werden Sie feststellen, daß allen Benutzern fast alles zugänglich ist, daß sie dort wirklich gute Arbeitsbedingungen vorfinden und daß dort nichts versteckt wird. Was ich bedaure, ist, daß dort zuwenig aktive Mitglieder aus meiner Partei sitzen und es benutzen. Das wäre eine Kritik, die ich nach innen zu üben hätte. Es kommen sehr viel andere in dieses Archiv und betreiben Aufarbeitung.
Ich will nur sagen: Dieses Archiv ist so offen wie kaum ein anderes Archiv in der Bundesrepublik Deutschland; das steht fest. Eine meiner Sorgen ist, daß sich das ändern könnte.
({8})
Wir achten deshalb bei dem Vertrag sehr darauf, daß das nicht passieren wird.
Es gibt eine Menge Übereinstimmung.
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Wir haben uns alle bewegt, auch die PDS/Linke Liste. Wir sind eh aufeinander angewiesen. Wir machen mit diesem Gesetzentwurf etwas ganz Komisches: Wir organisieren eine Zwangsehe zwischen Bundesregierung und PDS.
({10})
- Ich will auch sagen, weshalb. Passen Sie einmal auf! Das hilft nun alles nichts.
Wir brauchen die öffentlichen Mittel, weil wir sonst das ganze nicht bezahlen können. Wenn Sie nicht wollen, daß das Archiv zerstört wird, brauchen Sie uns, um auch die anderen Teile erfassen zu können.
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- Das weiß ich nicht. Darüber denke ich schon nach, Herr Wiefelspütz. Wir wollten eigentlich nicht heiraten; ich gebe das zu.
({12})
Ich will Ihnen sagen, worin das Problem und auch meine Kritik besteht. Um diese Regelungen, auf die wir uns zum Teil schon verständigt haben, durchzusetzen, brauchen wir dieses Gesetz nicht. Mit diesem Gesetz schaffen Sie eine Eigentumsregelung. Diese Eigentumsregelung wäre völlig überflüssig. Sie ist nicht nötig, um z. B. den gleichen Vertrag zu schließen, um das Archiv in die unselbständige Stiftung einzubringen. Mit dieser Eigentumsregelung, die Sie schaffen, begeben wir uns erstens rechtlich und zweitens tatsächlich auf einen ganz schwierigen Weg. Warum?
Sie verletzen hier erstmalig das Provenienzprinzip und sagen: Es kommt nicht darauf an, wer ein Dokument hergestellt hat, sondern es kommt darauf an, was darin steht. Wenn darin etwas Staatliches steht, gehört es dem Staat, und wenn darin z. B. etwas Parteiorganisatorisches steht, gehört es der Partei. - Das ist, wenn sich dieses Prinzip irgendwie durchsetzen sollte, höchst gefährlich, weil Sie damit alle Archive in eigentumsrechtlicher Hinsicht zerstören können.
Nun sagen Sie: Das ist hier eine Besonderheit, weil das sozusagen ein Verfassungsorgan und eigentlich eine staatliche Organisation war. Passen Sie bloß mit diesen Argumenten auf! Wenn das die Unabhängige Kommission zur Prüfung des Parteivermögens hört, dann müssen die staatliche Zuschüsse doch als rechtsstaatlich anerkennen. Daß ein Staatsorgan staatliche Zuschüsse erhält, ist ja ganz selbstverständlich. Ich würde also bei diesen Argumenten aufpassen. Letztlich ist das auch nicht überzeugend; denn alle staatlichen Akte sind natürlich auch noch einmal als staatliche Akte vollzogen worden.
Sie verletzen letztlich das Provenienzprinzip in einer eigentumsrechtlichen Frage, und das völlig überflüssigerweise, weil eine Vereinbarung geschlossen werden kann, ohne daß das geschieht. Mit diesem Gesetz machen Sie praktisch eine Enteignung. Aber Sie vollziehen sie nicht auf der Grundlage, die das Grundgesetz dafür vorsieht, sondern Sie machen das in einer Art Feststellungsverfahren, indem Sie sagen: Wir stellen fest: „Das ist Bundeseigentum", ohne eine Eigentumsübertragung gesetzlich oder in irgendeiner anderen Form zu vollziehen. Das halte ich für unredlich und rechtlich angreifbar.
Das Dritte. Sie gefährden damit genau das, was hier schon angesprochen worden ist: die Frage der privaten Einleger, also das, was alles Bestandteil dieses Archivs ist und was wichtig ist. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Wir versuchen ja, eine Vereinbarung zustande zu bekommen, und ich bin auch davon überzeugt, daß uns das gelingen wird. Wir sind ja ziemlich weit. Aber ich füge hinzu: Sie machen es uns natürlich unsagbar schwer, Gespräche mit den privaten Einlegern zu führen, wenn diese hören, ein Teil der Akten ist plötzlich Staatseigentum, die Bundesregierung ist in einem erheblichen Maße dafür zuständig usw. Sie dürfen nicht vergessen, daß deren
Anschauung aus ihrer Biographie - die kann Ihnen gefallen oder nicht - resultiert. Entsprechend schwer sind diese Verhandlungen zu führen.
Ich möchte zusammenfassen: Uns geht es in erster Linie darum, daß das Parteiarchiv in großem Umfange für die Öffentlichkeit nutzbar bleiben soll. Darauf werden wir größten Wert bei den entsprechenden Verhandlungen und Vereinbarungen legen. Ich gehe weiter davon aus, daß wir hier durch eine Eigentumsregelung ein rechtliches Problem schaffen, das nicht nötig wäre. Das ganze Gesetz brauchen wir nicht. Eine Vereinbarung würde genügen, und diese ist mit uns abschließbar. Da weiß ich nicht, warum sie mit anderen nicht abschließbar sein sollte, warum diese erst per Gesetz gezwungen werden müssen. Damit schaffen wir uns für die Zukunft eine Fülle rechtlicher Probleme, die überhaupt nicht nötig gewesen wären, wenn hier nicht dieser Drang bestehen würde, unbedingt Eigentümer zu sein und damit - ich weiß nicht was - den Besitz in jeder Hinsicht zu sichern, was ich für eine verfehlte Politik halte.
Mein letzter Hinweis: Ich möchte auch die Bitte an die privaten Einlegerinnen und Einleger richten, uns zu vertrauen, daß wir in den Verhandlungen alles tun werden, um auch ihre Rechte und Interessen zu berücksichtigen, und solange wir nicht sagen, daß wir das nicht können, auch nicht von sich aus das Archiv in seinem Wert dadurch zu schmälern, daß sie die Einlagen zurückziehen. Das wäre schade. Dazu ist dieses Parteiarchiv in seiner gesamten Entwicklung mit seinen gesamten Beständen, die zum größten Teil von vor 1933 stammen, einfach zu wertvoll. Ich glaube, das hat die Öffentlichkeit nicht verdient. Daran sollten wir denken, auch wenn hier Kompromisse gemacht werden müssen.
Aber das, was es an Belastungen gab, ist zum Teil überzogen worden und wird durch das Gesetz überzogen. Es wäre nicht nötig gewesen.
Deshalb werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen und dennoch weiter daran arbeiten, eine einvernehmliche Regelung herzustellen, um die es letztlich geht.
Danke.
({13})
Als nächstes hat Frau Kollegin Professor Roswitha Wisniewski das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes stellt nach der des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - kurz „StasiUnterlagen-Gesetz" genannt - den zweiten wichtigen Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR dar.
Bereits im Juli 1990 haben verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen, so der Arbeitsbereich „Geschichte und Politik der DDR" an der Universität Mannheim, das Bundesarchiv in Koblenz und das Institut für Zeitgeschichte in München in mehreren
Veröffentlichungen darauf hingewiesen, daß die politische Umwälzung in Osteuropa die Situation der Zeitgeschichtsforschung völlig verändert. Es heißt in einem dieser Beiträge - ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin:
Nun werden in großem Umfang neue Quellen zugänglich, die auf vielen Forschungsgebieten die Chance eröffnen, zu wesentlichen Fortschritten bei der Darstellung und der Interpretation der deutschen wie der allgemeinen Geschichte im 20. Jahrhundert zu gelangen.
Schon damals wurden die Öffnung der Archive sowie die Sicherung der Archivalien, die aus der ehemaligen DDR zugänglich wurden, als zentrale Aufgabe bezeichnet.
Die Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR halten das Material bereit, das für diese wichtige Forschungsarbeit gebraucht wird. Es handelt sich insofern um besonders wichtiges nationales Kulturgut. Dieses gilt es zu sichern. Diesem Ziel gilt das vorliegende Gesetz. Die hohe Bedeutung, die Parlament und Regierung diesem Gegenstand zumessen, wird daran sichtbar, daß die unselbständige Stiftung „Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" durch ein eigenes Gesetz etabliert wird und nicht nur durch einen einfachen Erlaß. Außerdem werden nicht unerhebliche finanzielle Mittel zur Sicherung des Materials und des dafür benötigten Personals bereitgestellt.
Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte mit all ihren bedrückenden Erkenntnissen ist zweifellos eine der wichtigsten Aufgaben, die unserer Zeit gestellt ist. Es geht darum, diesmal nun wirklich aus der Geschichte zu lernen, um Rückfälle in dieses oder ein ähnliches System zu vermeiden, ein System mit solchen Auswirkungen in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, vor allem aber auch mit solchen menschlichen Deformierungen, die wir erneut festzustellen genötigt sind, ein System, das nach seinem Zusammenbruch durch immer neue Feststellungen und Enthüllungen im antiken Sinne mit Furcht und Mitleid zur Kenntnis genommen werden muß. Nichts wäre verhängnisvoller als die Verdrängung der Auseinandersetzung mit der DDR-Ideologie und mit ihrer Umsetzung in die politische Wirklichkeit. Kritische Erforschung und Darstellung der Zusammenhänge ist dringend geboten und eine der wichtigsten wissenschaftspolitischen und bildungspolitischen Aufgaben.
Die Forschung muß dabei aufzeigen - sie wird dies bei den Studien zweifellos differenzierter tun können, als es ohne den Zugang zu den Materialien vor der Wende möglich war -, wie die SED als staatsleitendes Verfassungsorgan wirkte, wie sie den von ihr geschaffenen Staatsapparat lenkte und kontrollierte, vor allem durch das Politbüro, das Zentralkomitee und den Generalsekretär.
Die Fragen nach Regierungs- und Vereinigungskriminalität werden mit Hilfe der Archivalien ebenso Antwort finden wie die Einsichten in schuldhafte Verstrickungen führender Einzelpersönlichkeiten; denn hier befinden sich teilweise auch die Akten der Führungskader.
Die Erforschung der Funktionsweise dieses zentral gelenkten und daher für eine freiheitliche Demokratie überaus fremden staatlichen Gebildes wird ebenso aufschlußreich sein wie die Untersuchung der Auswirkungen ideologisch bestimmter Entscheidungen auf der Grundlage marxistischer Philosopheme mit ihrer völligen Verkennung der menschlichen Natur.
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- Ich würde sagen: kritische Auseinandersetzung mit Marx; die scheint mir allerdings sehr notwendig.
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- Gern; nur kann man hier zunächst nichts anderes tun, als ein paar Grundsätze zu formulieren. Ich wiederhole ausdrücklich, daß meiner Meinung nach die Philosophie von Karl Marx in einer völligen Verkennung der menschlichen Natur gründet. Dies hat zu dem Elend der DDR geführt.
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Die Aufgabe der neu zu gründenden Stiftung ist es, für diese Forschungsarbeiten Unterlagen, Material-, aber auch Bibliotheksbestände aus Archiven von Parteien und Massenorganisationen der DDR sachgerecht bereitzustellen und aufzuarbeiten. Welche Anforderungen dabei erfüllt werden müssen und wie groß die Verantwortung für das Archivgut ist, wird durch die Zahlen deutlich, die Herr Kollege Büttner schon nannte. Ich möchte ein paar Einzelheiten hinzufügen:
Im Zentralen Parteiarchiv der SED beim Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung liegen archivalische Quellen von der Entstehung der ersten Arbeitervereinigungen in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu den Akten der SED 1989. Es finden sich Marx und Engels betreffende Materialien, Akten zur Geschichte der SPD, ein historisches Archiv der KPD - darin allein 16 500 Mikroaufnahmen aus dem Kominternbestand des ZPA in Moskau - sowie Archivgut der SED. 270 schriftliche Nachlässe bzw. Teilnachlässe sind ebenso vorhanden wie historisch wichtige Schallplatten, Fotos und Filme. Hinzu kommen Sammlungen, darunter ungefähr 2 500 schriftlich niedergelegte Memoiren, und nicht zuletzt auch eine umfangreiche Bibliothek mit über 400 000 Bänden.
Ein anderes Beispiel: Im Archiv des früheren FDGB in Berlin lagert das gesamte Schriftgut des ehemaligen FDGB von 1945 bis zur Auflösung 1990, außerdem die regionalen Akten und die Akten der Einzelgewerkschaften. Wichtige Unterlagen sind aber vor allem auch die Bestände aus der Zeit des ADGB vor 1933, außerdem 48 Nachlässe und nicht zuletzt eine Bibliothek, die als bedeutendste der bereits 140 Jahre dauernden Geschichte der deutschen Gewerkschaften gilt. Insgesamt sind das etwa 180 000 Bände, davon 70 000 aus der Zeit vor 1933.
Die sogenannten Blockparteien, deren Rolle im DDR-System offensichtlich anders und weniger bedeutend war als die des Verfassungsorgans - um es abgekürzt zu sagen - SED, müssen ebenfalls in ihrer differenzierten Wirkung gesehen und analysiert werden. Die Archive von CDU und Bauernpartei
wurden bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, die von LDP und Nationaldemokraten bei der Friedrich-Naumann-Stiftung untergebracht. Es ist ein besonders erfreuliches Ergebnis der parlamentarischen Arbeit an diesem Gesetz, daß sich beide Stiftungen ebenso wie die anderen betroffenen anderen Einrichtungen bereit erklärt haben, ihr Archivmaterial zur Verfügung zu stellen - man muß vielleicht am besten sagen: der neuen unselbständigen Stiftung anzugliedern - und damit die Gesamtnutzung der DDR-Bestände besser zu ermöglichen. Eine erneute Umsiedlung wäre vielleicht später einmal zu erwägen. Zur Zeit sind wir froh, daß der erste Schritt getan wurde. Die elektronische Kommunikation, die in unserem Zeitalter selbstverständlich geworden ist, wird noch wesentlich erleichtert werden, sobald die organisatorische Angliederung geschafft ist.
An dieser Stelle sei allen, die dazu beigetragen haben, das für die Aufarbeitung unserer Geschichte so überaus wichtige Archivgut zu sichern und angemessen aufzuarbeiten, ein sehr herzliches Wort des Dankes gesagt, gleichgültig übrigens, welcher Parteirichtung sie angehören. Denn die genannten Beispiele werden gezeigt haben, daß es oft des besonderen persönlichen Einsatzes bedurfte, um in der Übergangszeit mit ihren Unwägbarkeiten und Unsicherheiten die kostbaren Bestände zu erhalten und zu pflegen.
Meine Damen und Herren, im Vorfeld der Regelungen, die jetzt in diesem Gesetz getroffen wurden, wurde vielfach, namentlich von Wissenschaftlern, vor langwierigen Rechtsstreitigkeiten und vor Benutzungshemmnissen gerade für die Wissenschaft gewarnt. Beides wird - das können wir im Moment schon absehen - dank der gefundenen flexiblen, allen Interessen entgegenkommenden Organisationsform und dank einer vernünftigen Benutzungsordnung nicht eintreten.
Im § 4 eines Erlaßentwurfs ist die Nutzung der Unterlagen geregelt. Ich möchte noch einmal die wichtigen Punkte herausheben; sie sind, glaube ich, alle schon genannt worden.
Das erste: Das Recht, das Archivgut der Stiftung zu nutzen, steht jedermann auf Antrag zu.
Das zweite: Die für das Bundesarchivgesetz geltende Schutzfrist von 30 Jahren findet auf die Bestände der Stiftung keine Anwendung. Dies ist für die Zeitgeschichtsforschung natürlich von enormer Bedeutung.
Das dritte: Archivgut, das sich nach seiner Zweckbestimmung auf natürliche Personen bezieht, darf erst 30 Jahre nach dem Tod des Betroffenen durch Dritte benutzt werden. Ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, dann endet die Schutzfrist 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. Damit würde Zeitgeschichtsforschung natürlich zu einer recht weit zurückgreifenden Geschichtsforschung werden. Daher ist eine Verkürzung dieser Schutzfristen möglich, wenn der Betroffene dem zugestimmt hat oder die Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange unerläßlich ist usw. Die schutzwürdigen Interessen werden dabei natürlich gewahrt.
Wichtig ist vor allem, daß für Personen der Zeitgeschichte und für Amtsträger die Schutzfristen verkürzt werden können, wenn die schutzwürdigen Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, wir hoffen alle, daß mit diesem Gesetz vernünftige Regelungen im Interesse aller Seiten getroffen worden sind. Ich sage noch einmal: Wir meinen, damit eines der wichtigsten Instrumente für die Erforschung der DDR und damit für die Erforschung eines politischen Phänomens geschaffen zu haben, das in unserer Zeit allergrößte Bedeutung hatte und das viele Menschen unglücklich gemacht hat. Ich denke, daß wir damit einen wichtigen Beitrag für die Forschung, aber natürlich dann in der Folge auch für die kommende Politik zur Verfügung stellen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächste hat die Kollegin Ingrid Köppe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Gruppe hat am 20. März 1991 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir eine gesetzliche Regelung einerseits für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, andererseits für die staatsbezogenen Parteiakten der ehemaligen DDR forderten. Wir haben vorgeschlagen, für die Parteiakten der SED, der Blockparteien und der Massenorganisationen Vorschriften zu schaffen, mit denen die politische, historische, juristische und persönliche Aufarbeitung der Geschichte des DDR-Regimes ermöglicht wird, und wir schlugen vor, die Unterlagen, soweit möglich, dezentral zu lagern, aber einer einheitlichen Verwaltung zu unterstellen. Der Zugang zu nicht personenbezogenen Unterlagen sollte unbeschränkt zugelassen werden. Bei den personenbezogenen Unterlagen sollten die gleichen Kriterien angewendet werden, wie dies für uns nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz angemessen schien. Insbesondere legten wir Wert auf folgenden Sachverhalt: Schutzvorschriften wie die im geltenden Bundesarchivgesetz festgelegte 30jährige Sperrfrist für personenbezogene Unterlagen und Daten stehen der erforderlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit entgegen und sind daher nicht auf den Umgang mit diesen Partei- und Organisationsakten zu übertragen.
Auch die Koalitionsfraktionen brachten eine Vorlage ein. Die staatsbezogenen Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen sollten danach in toto dem Bundesarchiv und dem Bundesarchivgesetz unterstellt werden. Weder für die nicht personenbezogenen noch für die personenbezogenen Unterlagen gab es in diesem Gesetzentwurf den Verzicht auf die restriktiven Sperrfristen des Bundesarchivgesetzes.
Dies hätte nicht nur bedeutet, daß massenhaft Einleger von Archiven ihre dort bereitgestellten Unterlagen abgezogen hätten, es hätte auch zu rechtlichen und praktisch ungeheuer komplizierten Aktionen der Trennung von Unterlagen, des Transports und
der Neueinlagerung geführt. Schlimmer noch: Während sich nach und nach für den Bereich der Stasi-Unterlagen der politische Wille durchsetzte, bei Unterlagen über ehemalige Mitarbeiter des MfS und sogenannte Begünstige auf die Anwendung von Sperrfristen zu verzichten, hätte man nach diesem Gesetzentwurf die personenbezogenen Unterlagen über die Hintermänner der Stasi im Parteiapparat der SED, in den Blockparteien, im Ministerrat usw. erst 30 Jahre nach ihrem Tod einsehen und nutzen können.
Wir wollen uns ansehen, was aus diesen Vorschlägen im Rahmen des Beratungsverfahrens geworden ist. Spätestens bei der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses wurde den Koalitionsfraktionen von den Sachverständigen unmißverständlich klargemacht, daß ihr Gesetzentwurf einer Beerdigung erster Klasse für die Parteiakten der ehemaligen SED gleichkomme. Nachdrücklich wurde das Parlament darauf hingewiesen, daß eine Organisation, die die Selbständigkeit der bestehenden Archive erhielt, gleichwohl für die staatsbezogenen Unterlagen den Eigentumstitel und das Nutzungsrecht des Bundes bestehen ließ, organisatorisch die optimale Lösung sei. Daraus entstand der Entwurf einer unselbständigen Stiftung unter dem Dach des Bundesarchivs.
Die SPD präzisierte die Stiftungsidee in ihrem Antrag vom Oktober 1991, in dem sie die Gründung von drei unselbständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs forderte. Auch wir sind der Meinung, daß diese Konstruktion optimal gewesen wäre, hätte sie doch die organisatorische Eigenständigkeit am besten garantiert.
(Beifall des Abg. Freimut Duve ({0})
Die organisatorische Konzeption ist aber nur das eine Standbein der gesetzlichen Regelung. Letztendlich entscheidend ist, inwieweit nun die Archive für die Öffentlichkeit für vom DDR-Regime Verfolgte, für Presse und Wissenschaft genutzt werden können. Hier sind wir deutlich unzufrieden mit dem, was uns nun angeboten wird.
Im Innenausschuß gelang es vor allem nicht - das ist für uns der wichtigste Grund, warum wir dieser Beschlußempfehlung auch nicht zustimmen können -, eine Aufhebung der Sperrfristen für personenbezogene Unterlagen zu erreichen. Aus unserer Sicht ist die Aufarbeitung damit keinesfalls gesichert. Der zu dem Gesetz vorgesehene Erlaß des Bundesinnenministeriums kann weder die fehlende Vorschrift in der jetzigen Beschlußempfehlung formal ersetzen, noch ist der vorgesehene Erlaß inhaltlich ein Beweis dafür, daß wirklich eine Aufarbeitung der Unterlagen gewünscht wird. Die gesetzliche Änderung fällt damit deutlich hinter das Stasi-Unterlagen-Gesetz zurück.
Unsere Zustimmung zu diesem Gesetz werden wir davon abhängig machen, ob Sie unserem heute vorgelegten Änderungsantrag zustimmen. Wir sehen vor allem drei Punkte als dringend korrekturbedürftig an:
Erstens - vielleicht auch nochmals für Sie, Herr Schmieder, weil Sie das vorhin ansprachen -: Wir wollen, daß nicht nur das allgemeine Archivgut des Bundes, sondern vor allem die personenbezogenen
Unterlagen über ehemalige Parteigrößen, sogenannte Personen der Zeitgeschichte, und Amtsträger in Ausübung ihrer Funktion unbegrenzt und ohne Sperrfrist für die Aufarbeitung zur Verfügung stehen. Natürlich muß dabei sichergestellt werden, daß deren schutzwürdige Belange ausreichend geschützt werden. Das Gesetz sieht hier kein Abrücken vom Wortlaut des Bundesarchivgesetzes vor. In dem Erlaßvorschlag des Innenministeriums, über den das Parlament heute nicht befinden kann, ist nur eine unverbindliche Kann-Formulierung vorgesehen. Mit der Vorschrift, über die Sie heute entscheiden, würden z. B. diejenigen, die im Parteiapparat der SED der Stasi Weisungen gegeben haben, vor einer Aufarbeitung mehr geschützt als diejenigen, die Weisungen erhielten. Wegen der notwendigen Koppelung mit dem StasiUnterlagen-Gesetz, u. a. den Regelungen für Begünstigte, muß hier im Bundesarchivgesetz für die Parteiakten und in dem darauf bezogenen Erlaß ausdrücklich die Aufhebung der Schutzvorschriften vorgesehen werden. Herr Schmieder, es ist jetzt so, daß in Art. 1 § 2 a Abs. 4 vorgesehen wird, die Benutzung extra in dem Erlaß zu regeln. In dem Erlaß steht in § 4 Abs. 3, daß personenbezogene Daten erst nach 30 Jahren zu nutzen sind. Danach kommt diese Kann-Bestimmung. Wir wollen, daß die Sperrvorschrift auch für personenbezogene Unterlagen ausdrücklich aufgehoben wird.
Zweitens. Die für einen Erlaß vorgeschlagene Regelung enthält unter § 4 eine Staatswohlklausel, welche besagt, daß die Benutzung nicht zulässig ist, soweit Grund zu der Annahme besteht, daß das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet werden würde. Diese Klausel ist weder parlamentarisch noch von der an einer Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit interessierten Öffentlichkeit nachprüfbar und kontrollierbar. Unter dem Gesichtspunkt einer gewünschten umfassenden Aufarbeitung ist diese Formel, wie wir meinen, verzichtbar. Die einschlägige Vorschrift in § 5 des Bundesarchivgesetzes sollte deshalb für diesen Unterlagenbestand ausdrücklich nicht zur Anwendung kommen.
Unser dritter Kritikpunkt. Mit der Formel des nicht vertretbaren Verwaltungsaufwandes, ebenfalls in § 5 des Bundesarchivgesetzes, mit der ein grundsätzliches Nutzungsverbot ausgesprochen wird, können wir uns im Interesse der Aufarbeitung unserer Geschichte auch nicht einverstanden erklären. Leider übernimmt der Erlaßentwurf des BMI diese Restriktion ebenfalls. Eine solche Formel ist auch von den Benutzern in keiner Weise nachprüfbar. Im Zweifelsfall sollte ein erhöhter Verwaltungsaufwand, sofern die gewünschte Nutzung nicht ohnehin im überwiegenden Allgemeininteresse liegt, allenfalls durch die Erhebung von Gebühren, nicht aber durch die grundsätzliche Verweigerung der Nutzung geregelt werden.
Wenn auch Ihnen diese Vorschläge einleuchten und Sie zu einer umfassenden Aufklärung der Geschichte des Repressionsapparates der ehemaligen DDR beitragen wollen, bitte ich Sie, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Danke.
Als nächster hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich nur wenige Minuten Zeit habe, möchte ich mich auf die wichtigsten Bemerkungen zu der bisherigen Debatte beschränken.
Herr Kollege Gysi, wir sind nicht deswegen gelassener geworden, weil die PDS eine besonders zurückhaltende oder vornehme Haltung in dieser Frage eingenommen hätte, sondern weil einfach der Zeitablauf Emotionen besänftigt. Wir folgen aber Ihrem Argument nicht, daß es keines Gesetzes bedurft hätte. Ich glaube, daß Sie die Funktion und die Stellung der SED in der DDR nicht mit der Stellung der Parteien, wie sie in der Bundesrepublik üblich sind, gleichsetzen können. Die SED war und betrachtete sich als die Partei der führenden Klasse der Arbeiterschaft. Das ist eine Identität von Partei und Staat, wie wir sie auch in früheren Zeiten in Deutschland schon einmal erlebt haben. Es ist ganz selbstverständlich, daß Sie nicht in die Rolle einer normalen Partei schlüpfen können. Deswegen ist es für uns schon wichtig, nicht im Wege von Vereinbarungen, wie immer sie aussehen mögen, die Nutzung des Archivgutes sicherzustellen. Wir wollen das gesetzlich regeln. Ich halte das für notwendig.
({0})
Sie haben eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Schmieder zu der Verteidigung des Kollegen Schily in der Sache Berghofer gemacht. Sie haben ja völlig Recht - das ist gar nicht bestritten worden -, daß natürlich ein Abgeordneter in der Ausübung seiner Funktion als Anwalt völlig frei ist.
Ich habe schon einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt: Auch derjenige, der zwei Mützen hat, hat nur einen Kopf. Diese Schizophrenie - „ich sage das als Anwalt, aber nicht als Abgeordneter" oder umgekehrt -, ist ja immer etwas merkwürdig. Das Argument, das er gebracht hat, lautet: Da das ganze System falsch ist, kann ich das gar nicht fälschen. Auf so eine Idee muß man erst kommen. Ich wäre neugierig, ob er das hier auch als Abgeordneter im Bundestag vorträgt, denn er verhöhnt damit die Menschen, die zur Wahl gegangen sind.
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Hier zu sagen, daß die Menschen in Dresden und sonstwo es auch wirklich so empfinden, halte ich doch für wichtig und angebracht, ganz unabhängig davon, wie das Verfahren ausgeht.
Nun zu Frau Köppe. Frau Köppe, Sie machen das immer wieder: Sie haben entweder das Gesetz nicht verstanden, oder Sie haben zu wenig Achtung vor den Persönlichkeitsrechten dritter Personen, wenn Sie über die etwas wissen wollen. Das geht nicht. Man kann in solchen Fragen nicht mit zweierlei Maß messen.
Deswegen will ich noch einmal klarmachen, wie die Regelung aussieht: Wir haben die 30jährige Frist des Archivgesetzes aufgehoben, weil es keine Akten sind, auf die der Staat als solcher wieder zurückgreifen muß. Diese allgemeine 30jährige Schutzfrist des
Archivgesetzes ist ja für staatliche Behörden, auch für das Archiv, wichtig, weil sonst die Versuchung viel zu groß ist, bestimmte Akten nicht in das Archiv einzustellen.
Der zweite Punkt: Wir haben in diesem vorgesehenen Erlaß, der so kommen wird, gesagt: Archivgut, das sich nach seiner Zweckbestimmung auf natürliche Personen bezieht, darf erst nach 30 Jahren aufgedeckt werden, d. h. Kaderakten oder Schnüffelakten über einzelne Leute, die gar nicht wissen können, was über sie darinsteht. Wenn das nicht eine Person der Zeitgeschichte, sondern Herr Müller, Herr Lehmann oder Herr Schulze ist, ist es doch wohl nicht zuviel verlangt, daß man sich mit dem in Verbindung setzt und fragt: Bist du denn damit einverstanden, daß deine Akte urbi et orbi offengelegt und zum allgemeinen Fraße vorgeworfen wird? Nein, ich finde, das geht so nicht, sondern da muß man in der Tat daran denken, daß es Persönlichkeitsrechte gibt, die nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen können. Deswegen halten wir an dieser Regelung fest, die notwendig ist.
({2})
Letzte Bemerkung. Ich selber habe ja ein etwas gebrochenes Verhältnis zu Archiven überhaupt. Ich glaube, es wird nicht nur zuviel aufgeschrieben, es wird auch immer zuviel aufgehoben. Wer glaubt, daß er damit auf Dauer die Geschichtsschreibung erleichtert, der täuscht sich vermutlich, weil allzu große Nähe zum Detail den Überblick erschwert. Die Geschichtsschreibung beruht im Grunde genommen darauf, daß man nicht alles aufschreibt, was man hat, sondern daß man aus dem Aufgeschriebenen etwas wegläßt. Das Problem unserer Zeit, vielleicht im Gegensatz zur früheren, beruht im Grunde genommen darauf, daß wir nicht wissen, was wir weglassen können, so daß die umfangreichen Archive nicht zu einer besseren, sondern zu einer mehrfachen Geschichtsschreibung führen werden. Jeder wird seine eigentliche geschichtliche Wahrheit darstellen. Hervorragend! Ich wünsche allen Historikern mit dem Archiv viel Vergnügen.
({3})
Darf ich das als eine Wortmeldung zu einer Kurzintervention verstehen? Gestatten Sie die noch?
Wenn ich sie beantworten darf.
({0})
- Dürfen und können ist nicht immer dasselbe, das ist richtig.
Herr Hirsch, stimmen Sie mir denn zu, daß die uns hier vorliegende Regelung in bezug auf Nutzung der personenbezogenen Unterlagen über Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, Personen der Zeitgeschichte, sogenannte Begünstigte im Stasi-Unterlagen-Gesetz, mit dieser hier formulierten Kann-Bestimmung deutlich hinter die Regelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes zurückfällt?
Das sind ja ganz andere Akten, gnädige Frau. Hier geht es um Archivmaterial, das in einer anderen Weise zustande gekommen ist als das staatliche Material des Staatssicherheitsdienstes. Es sind Aufschreibungen von Parteien, die sich in hohem Maße, zum Teil unterschiedlich, mit dem Staat identifiziert haben. Das ist der Unterschied.
Nun sagt dieser hervorragende Entwurf zu den „Obermohren", also zu denjenigen, die sich an die Rampe der Öffentlichkeit gedrängt und in das Scheinwerferlicht gestellt haben, daß für deren personenbezogene Daten, auch das, was davon in den Akten hinterlassen worden ist, insoweit die Fristen gekürzt werden können. Da kann man auch nicht sagen: gekürzt werden müssen.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel bringen. Wir wissen aus Archiven, daß Heinrich Himmler einen unehelichen Sohn hatte. Dieser lebt noch. Ich weiß auch, wo er lebt: in Niedersachsen. Natürlich lebt er dort unter einem anderen Namen. Glauben Sie denn, daß es für die geschichtliche Forschung notwendig ist, das aufzudecken und den Mann sozusagen offen hinzustellen?
Nein, es gibt für jeden einen Schutz und einen Bereich der Privatsphäre, der mich nichts angeht, der Sie nichts angeht, der alle anderen auch nichts angeht. Das muß man begreifen.
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Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Thierse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Stasi-UnterlagenGesetz ist das Gesetz, das wir heute diskutieren, das zweite Gesetz, das juristische und faktische Voraussetzungen dafür schafft, daß die Begegnung mit der eigenen Geschichte, nicht deren Verdrängung stattfinden kann. Ich begrüße dieses Gesetz trotz mancher, allerdings untergeordneter Einwände; übrigens auch trotz des Einwands, den ich ebenso wie Ingrid Köppe habe: Die Einschränkung der Aufhebung der Schutzfrist für Personen der Zeitgeschichte läßt allzuviel Interpretationsspielraum.
Ein weiterer Einwand bezieht sich auf den Titel. Dazu hat Gerd Wartenberg schon das seinige gesagt. Der Titel suggeriert ja doch etwas, was mir mißbehagt. Er subsumiert nämlich die Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung unter DDR-Geschichte, und das ist etwas Falsches.
Auch finde ich manchen Versuch der eigentumsrechtlichen Definition von Staatsnähe oder -ferne von Parteien nicht ganz geglückt.
Die Begegnung mit der eigenen Geschichte ist notwendig. Ich bin überzeugt: Sie wird am Schluß auch befreiend sein, befreiender jedenfalls als das einfache Vergessen oder das absichtsvolle Sich-Abwenden. Dabei weiß ich - wir erleben es gerade heftig und hoffentlich nicht einfach als Voyeure -: Die Begegnung mit der Unrechtsgeschichte der DDR ist ein schmerzlicher Prozeß. Die Archive der Staatssicherheit sind seit dem 1. Januar geöffnet. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte werden die Akten eines Geheimdienstes den Opfern zugänglich gemacht - ein unwägbarer, nicht steuerbarer Prozeß hat begonnen.
Wir begegnen unserer eigenen leidvollen und bedrückenden Vergangenheit; eine Begegnung, die Wut und Empörung, Trauer und Rachegefühle auslöst, aber auch Scham und Verzweiflung, Trotz und Abwehr.
Es geht bei der quälenden Lektüre von unsäglichem Aktenmaterial nicht so sehr um die Befriedigung von Neugier, sondern um die Aneignung zerstörter Biographien, um das Begreifen von Unglück und Scheitern, die durch staatliche Willkürakte, durch Denunziation, Infiltration und Zerstörung von Menschen verursacht worden sind. Was wir entdecken, ist entsetzlich: Vertrauensmißbrauch und Verrat, Feigheit und staatlich verordnete Unmenschlichkeit. Zu entdecken sind aber auch authentische Widerstandsgeschichten, Zeugnisse von Treue und Zivilcourage.
Wir dürfen niemanden alleinlassen mit diesen Entdeckungen, weder die Opfer noch die Täter. Wir brauchen Aufklärungs- und Aufhellungsvorgänge in vielfältigen Gesprächen, in denen wir gemeinsam zu begreifen versuchen, was gewesen ist, warum Menschen so gehandelt haben. Wir bedürfen der Wiederherstellung der Maßstäbe von Recht und Unrecht, von Anstand und Würde.
Wir müssen versuchen, diese Maßstäbe konkret und differenziert den Lebensrealitäten der DDR entsprechend zu verwenden. Differenzierung ohne Beschönigung, Kritik ohne Vernichtungsabsicht, die Wiederherstellung von Wahrheit also tun not.
Betroffen aber stelle ich fest: In den letzten Wochen und Monaten ging es darum wohl nicht oder jedenfalls nicht vor allem und nicht allen. Vernichtende Pauschalurteile haben die Oberhand gewonnen. Die Vermarktung von Unrecht, Verstrickung und Verdächtigung zu Skandalgeschichten findet statt. Verdacht wird allzu schnell zu Vorverurteilung.
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Differenzierung, Nachdenken, Nachfragen, das private und öffentliche Gespräch über Verantwortung und Schuld, über Alternativen des Verhaltens in der DDR-Diktatur - all das hat kaum noch eine Chance. Flotte und selbstgerechte, arrogante und niederwalzende Urteile sind üblich geworden, übrigens - ich bitte um Entschuldigung - fast immer von Westdeutschen. Ich könnte eine endlose Liste zitieren -: „Die DDR-Bevölkerung war ein Spitzelvolk", oder: „Die DDR hat eine menschliche Wüste hinterlassen" - die Logik dieser Charakterisierung ist ja, daß andere, die Wessis, diese Wüste urbar machen müssen -, oder: „Der Herbst 1989, die friedliche Revolution, war eine Inszenierung des Staatssicherheitsdienstes".
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Auch dies war neulich zu lesen. Und zuletzt ist hier die unüberbietbare Niedertracht von „Report"/München zu nennen, die öffentliche Veranstaltung nicht nur einer Anklage, sondern zugleich einer Vorverurteilung und Abstrafung. Was sagt eigentlich die ARD zu einer solchen medialen Vernichtungsaktion?
In diesem Zusammenhang will ich auch auf den Kollegen Schily eingehen, gerade weil ich ihm - so6122
fort, einen Tag nachdem er in Dresden mit dieser Verteidigungsargumentation aufgetreten ist - öffentlich widersprochen habe. Ich denke, das ist erlaubt. Die Logik einer Argumentation darf man kritisieren. Gerade deswegen wende ich mich gegen die Forderung von Ihnen, Herr Schmieder, ihn aus der Partei auszuschließen. Als ehemaligem DDR-Bürger sträuben sich mir die Haare. Wir kennen doch die unendlichen SED-Geschichten über Parteiausschlüsse. Wie kann man so etwa noch fordern? - Also, ich denke, wir sollten fein unterscheiden zwischen den Möglichkeiten und Pflichten eines Verteidigers und den Argumenten, die man kritisieren kann. Ein Verteidiger und seine Argumentation sind nicht unantastbar. Aber das Recht und die Pflicht des Verteidigers, alles nur Mögliche zu tun, sollten unangetastet bleiben.
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Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, DDR-Vergangenheit und DDR-Bürger insgesamt zum Tabu zu machen - wahrhaftig nicht! -, sondern es geht darum, eine verständnis- und verständigungsorientierte Kritik zu erreichen, eine differenzierte Aufarbeitung von DDR-Unrechtsgeschichte in Gang zu setzen. Die pauschalisierenden Vernichtungsfeldzüge, die jetzt stattfinden, berauben uns nämlich des einzigen, was wir DDR-Bürger in die Einheit Deutschlands mit Stolz mitzubringen dachten, nämlich des Moments von Selbstbefreiung, des eigenen Beitrags zum Zusammenbruch eines unterträglichen Systems. - Plötzlich war alles ein Werk der Stasi, auch dies, also nichtswürdig.
Solche Art genereller Verdacht und allgemeines Vorurteil, das nicht bereit ist, genau hinzusehen - und es ist schwer, genau hinzusehen, ich weiß; auch mir fällt es schwer -, bringt die Ostdeutschen in eine peinigende Situation und falsche Alternative: Entweder wir bücken uns unter dieses Vorurteil, demütig und gebrochen, oder wir flüchten in bockige Abwehr und entschlossene Verdrängung. Beides ist falsch, beides beraubt uns eines wesentlichen Moments der menschlichen Würde, nämlich der Scham aus eigener Einsicht, der Scham aus erfahrener Gerechtigkeit.
Ich bin für einen vielgestaltigen gesellschaftlichen Prozeß der Aufarbeitung der Vergangenheit, den die Opfer und Täter, die unterschiedlich Betroffenen und die Zeitgenossen tragen als einen Prozeß der Verständigung und des Begreifens von Unrecht, seinen Ursachen und seinen Folgen. Das meint die Idee des Tribunals, und diese Idee - so problematisch das Wort ist, selbstverständlich - darf durch den Vorschlag, eine Enquete-Kommission einzurichten, nicht ad absurdum geführt oder weggeschoben werden. Wer denkt, wir könnten die Aufarbeitung der Vergangenheit durch eine Enquete-Kommission monopolisieren und in zwei Jahren sagen, nun ist aber Schluß, will genau diesen unerhört wichtigen Verständigungsprozeß verhindern.
Ich weiß - ich habe das vorhin gesagt -, dieser Prozeß ist risikoreich und nicht recht steuerbar. Der Staat sollte sich hüten, ihn steuern zu wollen. Deshalb ist es wichtig, ja unerläßlich, daß solche Verstehensprozesse begleitet, beeinflußt, befördert werden durch sachliche Informationen, wissenschaftliche Objektivität, Zurverfügungstellen von Quellen. Die zeitgeschichtliche Forschung ist gefragt. Eile ist geboten und zugleich Seriosität. Es ist gut, daß die Archive geöffnet sind und geöffnet bleiben.
Kollege Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Kollege Lüder, bitte.
Kollege Thierse, ich teile Ihre Auffassung, daß wir nicht nur im Bundestag die Geschichte der DDR aufarbeiten dürfen. Aber halten Sie es nicht für einen gangbaren Weg, daß der Bundestag mit den nach seiner Geschäftsordnung möglichen Instrumenten - und davon bietet sich die Enquete-Kommission an - damit anfängt und für die sich anschließende allgemeine vertiefte öffentliche und wissenschaftliche Diskussion ein Zeichen gibt?
({0})
Aber selbstverständlich! Herr Lüder, ich unterstütze den Vorschlag einer Enquete-Kommission ausdrücklich. Ich weise nur darauf hin, daß es zugleich die Versuchung gibt, diese Enquete-Kommission mit ihrem klar umrissenen und notwendig durchaus beschränkten Auftrag als Ersatz für das anzusehen, was ich für unendlich wichtiger halte: den gesellschaftlichen Prozeß der Begegnung mit der eigenen Geschichte. In sehr unterschiedlichen Formen verständigungs- und verständnisorientiert begreifen, was gewesen ist, das kann und darf durch keine Enquete-Kommission ersetzt werden. Wer diesen Versuch macht, beschädigt genau das sinnvolle Anliegen einer Enquete-Kommission.
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Es gilt zwei wichtige Grundfragen zu beantworten, und dafür brauchen wir die Archive und die Einsichtnahme in die Archivmaterialien schnell. Es geht einerseits um den Vergleich zwischen 1945 und 1989, zwischen dem deutschen Faschismus und dem realen Kommunismus. Dieser Vergleich stellt sich unausweichlich ein. Er wird zugleich immer tabuisiert, weil die Unterschiede zwischen den beiden Systemen gewaltig sind. Aber gerade weil sich das eine als die kollektive Erfahrung für die Verarbeitung des anderen darstellt, müssen wir genau über Vergleichbarkeit und Nichtvergleichbarkeit beider Systeme reden. Wir müssen auch über die Erfahrungen mit dem, was man nach 1945 in Deutschland Vergangenheitsbewältigung genannt hat, neu sprechen und die Erfahrungen aus den 50er und 60er Jahren darauf prüfen, was sie uns jetzt zu sagen haben.
Heinz Galinski, der Präsident des Zentralrats der Juden, hat am Wochenende zum 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz gesagt: Man muß aufhören mit Vergleichen von Unvergleichbarem, mit Gratwanderungen der Historiker, die durch Vernebelung der Vergangenheit die Zukunft unberechenbar machen. Genau das ist eine Aufgabe: durch Genauigkeit des
historischen Vergleichs die sich aufzwingenden oberflächlichen Vergleiche abzuwehren und das richtige Vergleichbare herauszuarbeiten.
Eine ganz einfache zweite Frage muß beantwortet werden. Was war eigentlich Geschichte der DDR? So, wie sie bisher geschrieben wurde, war sie notwendig immer Teil der politischen Auseinandersetzung; in der DDR auf unerträgliche Weise. Nachdem dieses Kapitel der deutschen Geschichte beendet ist, haben wir neu zu fragen: Welches waren die geschichtlichen Phasen dieser DDR? Gab es in der Entwicklung Alternativen? Vor allem: Welches ist die wechselseitige Abhängigkeit der Entwicklung der DDR und der alten Bundesrepublik - alt -? Dies war ja eine parallele, eine miteinander verbundene Geschichte. Und am Schluß geht es darum, nicht nur moralisch zu appellieren, sondern durch Fakten, durch Quellen zu belegen, daß sich die Westdeutschen nicht in der Loge des Zuschauers befinden, wenn wir uns mit DDR-Unrechtsgeschichte befassen, sondern daß sie Teil dieser gemeinsamen Geschichte sind.
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Ich will eine Nebenbemerkung machen. Ich finde es eher beunruhigend, daß die Archive der CDU und der LDPD nun weit weg vom Ort des Geschehens sind, als wolle und könne man durch die örtliche Entfernung suggerieren, daß CDU und LDPD irgendwie weniger staatstragend gewesen seien, und dadurch den Schein größerer Systemferne der alten Blockparteien erzeugen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, setzen Sie sich doch nicht dem Verdacht aus, für die eigenen Teilparteien Sonderbedingungen bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte haben zu wollen.
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Die Hinterlassenschaft muß zusammen gesichtet und erforscht werden können, und zwar am Ort des Geschehens.
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Es geht um den Weg zwischen Reinwaschung der eigenen Blockparteivergangenheit und falschen Schuldzuweisungen. Genau deshalb muß die Geschichte der Blockparteien im Systemzusammenhang erforscht werden und nicht unter Sonderkonditionen.
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- Herr Schmieder, ich weiß das doch, und Sie haben von mir noch nie gehört, daß ich SED und CDU und LDPD sozusagen absolut gleichstelle. Ich brauche das vielleicht hier nicht ausführlich darzustellen. Vielleicht darf ich es in einem Bild tun. Wir sind ja gerade dabei, manchmal auch heiter in die eigene Vergangenheit zu schauen, so schwer es fällt. Es war halt wie beim Theater. Es gab Hauptrollen, Nebenrollen, Statisten, und die Blockparteien hatten die Nebenrollen inne. Natürlich weiß ich auch, daß es sowohl innerhalb der SED wie in den Blockparteien dann auch noch einmal wieder Hauptdarsteller und Nebendarsteller
und Statisten gab, und die Gagen waren auch entsprechend unterschiedlich; das ist schon richtig.
({5})
Im übrigen will ich ausdrücklich sagen, da ich gerade vom Standort der Archive gesprochen habe, daß es wichtig ist, daß auch Einigkeit darüber besteht, daß landeseigene Archive die Materialien sammeln und behalten sollen, die, auf ihre Region bezogen, vorhanden sind. Ich bitte die Bundesregierung ausdrücklich, bei dem Abschluß der Einbringungsverträge auf Bundesebene darauf bedacht zu sein, daß die Möglichkeit, regionale Unterlagen in die Landes-archive zu übernehmen, nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern die Übernahme nachdrücklich angeregt wird.
„Was wir verdrängen, holt uns wieder ein", hat die Bundestagspräsidentin anläßlich der Erinnerung an die Wannsee-Konferenz gesagt. Die Archive sind geöffnet. Lassen wir uns keine Zeit, uns mit Anstand, Differenzierungsvermögen und wissenschaftlicher Objektivität dieser Archive um der historischen Wahrheit willen zu bedienen! Aufklärung tut not, nicht billige Urteilssprüche.
Ich danke fürs Zuhören.
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Nun hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Thierse, lassen Sie mich eingangs einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie eben ausgeführt haben. Zunächst einmal sollte nicht der Eindruck stehenbleiben, als würden die von Ihnen eingeforderten Diskussionen durch den vorliegenden Gesetzentwurf verhindert; im Gegenteil, sie werden erst ermöglicht, wir schaffen die Rahmenbedingungen dafür.
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- Ja, gut; dann dient das jetzt der Klarstellung; denn der Eindruck könnte anders gewesen sein.
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Die zweite Bemerkung, die ich machen will: Bitte, verwischen Sie auch nicht den Unterschied, den es in den Rollen gab, die die SED einerseits und die Blockparteien andererseits gespielt haben. Nach allem, was wir wissen - ich gehöre dem Westteil an und kann also bei weitem nicht in dem Maße mitreden wie sicherlich Sie alle -, hat sich die SED - das war bisher eigentlich unstreitig - die führende Rolle von niemandem, auch nicht von den Blockparteien, streitig machen lassen. Deshalb ist die Identifizierung mit dem Staat bei der SED natürlich ungleich größer gewesen, als dies bei CDU oder anderen Blockparteien der Fall war. Diese gegebenen Unterschiede zu berücksichtigen, war, glaube ich, auch ein Gebot des Gesetzgebers. Es ist ein qualitativer Unterschied, der
hier eben auch in der Regelung zum Ausdruck kommt.
Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß es natürlich auch um den Sinnzusammenhang mit vorhandenen Archiven geht. Es gibt ja bereits Archive, beispielsweise zur Geschichte der Union. Nun wäre es nicht gerade sinnvoll, Teile dieser Geschichte anderswo anzugliedern. Ich glaube, die Zusammenführung unter diesem Aspekt ist durchaus gerechtfertigt.
({2})
Herr Kollege Lintner, gestatten sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Herr Lintner, verstehe ich Sie jetzt richtig? Sie wollen also sagen, daß der Sinnzusammenhang der Geschichte der ostdeutschen CDU mit der der westdeutschen CDU größer und enger ist als der Sinnzusammenhang der ostdeutschen CDU mit dem System in der DDR und daß deshalb die Archivbestände der Ost-CDU zur Adenauer-Stiftung gehören?
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Herr Thierse, der Sinnzusammenhang ist zumindest in der Anfangsphase gegeben und sehr eng. Deshalb ist es ein Aspekt, der dabei berücksichtigt werden muß. Daß die Geschichte hinterher auseinandergelaufen ist, wird ja nicht bestritten. Aber gerade in der entscheidenden Phase der Gründung der DDR war eine Verbindung vorhanden, die auch dadurch zum Ausdruck kommen sollte, daß beide Archive zusammengeführt werden.
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Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes geht der Deutsche Bundestag heute einen wichtigen Schritt voran in der künftigen Sicherung und Nutzung von Geschichtsquellen der DDR, die zum Teil - das ist, glaube ich, zum Ausdruck gekommen - unverzichtbaren Wert haben für die Rekonstruktion und Erforschung der Geschichte der DDR.
Auch die große Mehrheit der dortigen Deutschen hat gewollt - wie sich dies ja auch schon deutlich in den Archiven des Ministeriums für Staatssicherheit zeigt -, daß die Quellen zur Geschichte der sozialistischen Diktatur erhalten bleiben und die historische Wahrheit über ihr Ende hinaus an den Tag kommt, Tätern und Opfern damit auch Gerechtigkeit geschehen kann. Deshalb konnte und durfte nicht zugelassen werden, daß Schriftgut und andere Unterlagen in den Archiven der ehemaligen DDR zerstreut, dann womöglich vernichtet werden und damit unersetzliche historische Quellen verlorengehen.
Auf Initiative der Bundesregierung bestimmte der Einigungsvertrag - mit einer Änderung des Bundesarchivgesetzes von 1988 -, daß die Unterlagen zentraler staatlicher Stellen dem Bundesarchiv anzubieten und zu übergeben sind. Eine weitergehende Regelung, die auch Unterlagen aus Archiven der Parteien und der Massenorganisationen der DDR als vom Bundesarchiv zu übernehmendes Archivgut einbezogen hätte, kam nicht zustande.
Meine Damen und Herren, mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages hat das Bundesarchiv die Unterlagen zentraler staatlicher Stellen der DDR übernommen, soweit die Unterlagen von Stellen des Bundes zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben nicht mehr aktuell benötigt werden. Auch die in den zentralen Archiven der DDR befindlichen Unterlagen staatlicher Archive sind seit Übernahme ins Bundesarchiv nunmehr im Rahmen des Bundesarchivgesetzes nutzbar.
Im Zentralen Staatsarchiv in Potsdam waren Bestände von 20 km Länge archiviert, und in den laufenden Registraturen und Verwaltungsarchiven der DDR waren Bestände von 40 km Länge zu erfassen und zu sichern. Zusammen mit den zentralen Archivbeständen in der DDR bis 1945 liegen damit jetzt Geschichtsquellen vor, die der historischen Forschung neue, geradezu gewaltige Aufgaben stellen, aber eben auch neue Perspektiven eröffnen.
Für die Akten der Parteien und Massenorganisationen der DDR hatte der Einigungsvertrag insofern eine vorläufige Regelung getroffen, als dieses Archivgut als Bestandteil des Vermögens dieser Organisationen gilt. Es unterliegt der Prüfung und der treuhänderischen Verwaltung der Treuhandanstalt und der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR und damit eben einer gesetzlichen Verfügungsbeschränkung. Mit dem heute beratenen Gesetzentwurf soll nun auch für dieses Material eine abschließende gesetzliche Regelung getroffen werden.
Herr Wartenberg, deshalb verstehe ich Ihren Vorwurf nicht ganz, daß diese Archive womöglich privatisiert worden seien. Im Gegenteil: Durch diese Verfügungsbeschränkung ist eben keine Verfügungsberechtigung der Archiveigentümer über die Bestände gegeben. Ich bitte Sie, hier bei der wahrheitsgemäßen Sachdarstellung zu bleiben, damit keine Legenden und falschen Eindrücke entstehen.
Schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs aus der Mitte des Bundestages im April 1991 hat sich ein Konsens fast aller Fraktionen ergeben, die Erhaltung und Nutzung des Archivguts der Parteien und Massenorganisationen der DDR auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung zu übertragen. Die Archive und Bibliotheken dieser DDR-Organisationen enthalten entscheidendes Material für die Analyse und das Verständnis der Struktur und der Geschichte der DDR.
Bei der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses im August letzten Jahres wurden Grundsätze einer Regelung erkennbar: Erstens. Das Archivgut und die Bibliotheken der DDR-Organisationen sollten ungeteilt zentral verwaltet werden, am besten in Berlin.
Zweitens. Die Verwaltung, Aufbereitung und Nutzung der Archive darf nicht privatisiert werden.
Drittens. Der unmittelbare Zugang für Wissenschaft und Forschung muß gesichert werden.
Viertens. Die Rechtsansprüche der öffentlichen Hände auf alle Akten, soweit diese staatliche Aufgaben betreffen, sind gesetzlich klarzustellen.
Schließlich bot sich auf der Grundlage dieser Anhörung und der weiteren parlamentarischen Beratung die Errichtung einer unselbständigen Stiftung im Bundesarchiv zur Bewältigung ebendieser Aufgaben an.
Der Gesetzentwurf stellt zunächst klar - und dazu ist keine Vereinbarung nötig, Herr Gysi; vielmehr handelt es sich aus unserer Sicht um eine deklaratorische Feststellung -, daß Akten der SED, anderer Parteien und Massenorganisationen der DDR, soweit diese Unterlagen staatliche Angelegenheiten betreffen, dem Bundesarchiv zustehen. Die SED hat seit 1945 ihre Rolle als Staatspartei und damit ihre Vorherrschaft über den Staat und in der Gesellschaft zielstrebig ausgebaut. Dieses fand auch seinen normativen Ausdruck vor allem in Artikel 1 der Verfassung der DDR von 1968, aber auch von 1974, in denen die staatsleitende Rolle der SED definiert wurde.
Sehr eindeutige Regelungen finden sich in diesem Zusammenhang auch in der einfachen Gesetzgebung. So heißt es z. B. im Gesetz über den Ministerrat der DDR von 1972:
Der Ministerrat leitet die Durchführung der Außenpolitik der DDR auf der Grundlage der Beschlüsse der SED.
Über den staatleitenden Charakter seiner Beschlüsse und deren unmittelbare Verbindlichkeit für staatliche Organe faßte das Politbüro grundsätzlich Beschlüsse. Auch das Parteistatut der SED von 1976 enthält Regelungen für die Lenkung des Staatsapparates.
Die Begründung des Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen unterstreicht daher zu Recht:
Die SED leitete den von ihr geschaffenen Staatsapparat umfassend an und kontrollierte ihn. Für alle Staatsorgane ... waren die Parteibeschlüsse unmittelbar verbindlich und hatten Vorrang vor den Gesetzen.
Daraus läßt sich folgern, daß die SED staatsleitende Funktionen wahrgenommen hat und daß jedenfalls die in diesem Zusammenhang entstandenen Vorgänge als staatliche Akte im Eigentum der öffentlichen Hand sind und nicht dem privaten Parteivermögen der PDS zugerechnet werden können.
Auch bei anderen Parteien der DDR und bei mit der SED verbundenen Massenorganisationen können Unterlagen selbstverständlich auch in Wahrnehmung staatlicher Aufgaben entstanden sein. Manche Massenorganisationen in der DDR haben vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge Funktionen wahrgenommen, die in der Bundesrepublik Deutschland üblicherweise öffentlichen Stellen zugeordnet sind. So hat z. B. der FDGB Aufgaben der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung erfüllt.
Der Gesetzentwurf ermöglicht darüber hinaus mit der Errichtung einer unselbständigen Stiftung im Bundesarchiv, daß das Beamte Archivgut von Parteien und Massenorganisationen der DDR, soweit es eben nichtstaatliche Aufgaben betrifft, zusammengeführt und nach einheitlichen Kriterien umfassend genutzt werden kann. Dabei ist das Bild der Ehe, das Sie geprägt haben, natürlich unzutreffend. Es hat keine Hochzeit stattgefunden, Herr Dr. Gysi, sondern es handelt sich schlicht um Vereinbarungen, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen.
Wesentliche Ziele dieser Regelung sind erstens der Zusammenhalt der Archiv- und Bibliotheksbestände im Interesse der umfassenden Nutzung, insbesondere der wissenschaftlichen Forschung; zweitens die Sicherung auf Dauer durch Schaffung einer vom Bund finanzierten öffentlichen Stiftung; drittens die Festschreibung der Aufgabe der zu errichtenden Stiftung im Bundesarchivgesetz; viertens gesetzliche Verpflichtung des Bundes zur Überlassung der staatlichen Unterlagen als Stiftungsvermögen unter Wahrung der Eigentumsrechte der Archivgut abgebenden Stellen im übrigen, soweit das Eigentum eben bei diesen Stellen verbleibt; fünftens die gesetzliche Verpflichtung des Bundes zum Abschluß entsprechender Vereinbarungen; sechstens Mitgliedschaft der bedeutenderen Archivgut abgebenden Stellen im Kuratorium der Stiftung und Stimmrecht unter Berücksichtigung des Umfangs der eingebrachten Bestände; siebtens Ergänzung der Archiv- und Bibliotheksbestände entsprechend den Aufgaben der Stiftung.
Diese Regelung bietet den Organisationen der früheren DDR gute Voraussetzungen, um auf dem Wege besonderer Vereinbarungen ihr Archivgut in die Stiftung einzubringen. Hierüber finden gegenwärtig die bereits erwähnten Gespräche statt.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht auch ausdrücklich vor, daß die Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen der DDR ohne die generelle Schutzfrist von 30 Jahren zugänglich sind. Dies entspricht Forderungen, die im Parlament, aber auch von der Wissenschaft erhoben wurden, um die Erforschung der jüngeren Vergangenheit nach dem Ende der DDR zu erleichtern und um ohne Zeitverzug mit der historischen und politischen Aufarbeitung dieser Vergangenheit zu beginnen.
Besondere datenschutzrechtliche Vorschriften für die Unterlagen sind im übrigen nicht erforderlich. Der Gesetzentwurf und der vorgesehene Errichtungserlaß übernehmen die im Bundesarchivgesetz bestehende bereichsspezifische Regelung. Diese Regelung berücksichtigt die wissenschaftlichen und archivfachlichen Belange sowie das Nutzungsrecht des Bürgers angemessen, ohne die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen zu beeinträchtigen.
Archivbestände für die Zeit bis 1945 waren in der DDR bisher nur teilweise zugänglich. In manchen Fällen hielten die Verantwortlichen schon die bloße Existenz solcher Unterlagen vor der Öffentlichkeit verborgen. Akten der Entstehungszeit nach 1945 blieben entweder allen verschlossen oder wurden nur von DDR-Historikern benutzt, die sich dem herrschenden Parteilichkeitsgebot unterwarfen. Mit dem heute debattierten Gesetzentwurf wird auch ein Beitrag
dazu geleistet, daß diese Bestände künftig einer internationalen Standards verpflichteten Forschung zugänglich sind.
({1})
Der heute beratene Gesetzentwurf entspricht archivfachlichen Grundsätzen. Er bietet die Voraussetzungen für eine einvernehmliche Lösung mit den bisherigen Archivträgern und damit einen schnellen und, wie wir glauben, auch praktikablen Weg für ein umfassendes Archiv der Parteien und Massenorganisationen in der DDR. Der Gesetzentwurf verwirklicht das Ziel, die Aktenbestände der SED, der anderen Parteien und Massenorganisationen insgesamt zu erhalten und einen uneingeschränkten Zugang zu den Unterlagen für jedermann zu ermöglichen. Über dieses Ziel besteht ein weitgehender Konsens im Bundestag und mit der Bundesregierung.
Daher bin ich zuversichtlich, meine Damen und Herren, daß sich im Deutschen Bundestag auch eine große Mehrheit für diesen eingebrachten Gesetzentwurf finden wird. Er wird wiederum die Grundlage dafür bieten, daß eine der Wahrheit verpflichtete Information des Bürgers auch durch Wissenschaft und Medien über die Geschichte der DDR mit der Nutzung unverzichtbarer Geschichtsquellen ermöglicht wird.
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Nun hat das Wort der Kollege Freimut Duve.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, auch sehr kritische und skeptische Historiker werden künftig nicht sagen können, daß dieses Gesetz sehr viel Anlaß zu Mißtrauen und Zweifel bietet. Ich denke, die Erörterungen, die es gegeben hat - auch das Verhalten der PDS, das Schwierigkeiten mit sich brachte -, haben alles in allem gezeigt, daß sich bei dieser Grundsteinlegung für das Gebäude „Aufarbeitung" alle Beteiligten sehr viel Mühe gegeben haben.
Deshalb möchte ich den Appell von Wolfgang Thierse doch wiederholen. Es läge wirklich im Interesse dieses Grundgedankens, im Interesse auch der Klarheit des Gesetzes, wenn die Archive, die jetzt der Stiftung der FDP und der Stiftung der CDU sozusagen materiell einverleibt worden sind, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wieder zusammengeführt werden. Die Zwischenfrage von Herrn Thierse an die Bundesregierung hat ja gezeigt, welche Möglichkeiten der Fehlinterpretation in dem Vorgang der materiellen Auslagerung nach Westdeutschland liegen.
Vielleicht können und sollten Sie noch einmal auf Ihre Parteien und auf die Stiftungen einwirken, damit dieser Akt auch wirklich bald vollzogen wird; denn so, wie das Gesetzjetzt formuliert ist und wie es sich liest, gehören diese beiden Archive nicht nach Westdeutschland. Das ist meine herzliche Bitte.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesarchivgesetzes auf den Drucksachen 12/288 und 12/1967.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/1979 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist bei wenigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen in zweiter Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen.
Der Innenausschuß empfiehlt unter b) seiner Beschlußempfehlung - Drucksache 12/1967 -, Teil II des Antrags der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/283 für erledigt zu erklären. Teil I wurde bereits bei der Beratung des Stasi-UnterlagenGesetzes für erledigt erklärt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung, auch Teil II für erledigt zu erklären? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit großer Mehrheit so angenommen.
Der Innenausschuß empfiehlt des weiteren unter c), den Antrag der Fraktion der SPD - Gründung von drei unselbständigen Stiftungen unter dem Dach des Bundesarchivs - auf Drucksache 12/1379 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist bei wenigen Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung so angenommen.
Damit können wir uns jetzt, um 13.17 Uhr, endlich in die Mittagspause begeben. Ich wünsche guten Appetit, soweit Sie essen. Wir treffen uns wieder pünktlich um 14.00 Uhr zur Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung.
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Meine Damen und Herren! Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde
- Drucksache 12/1958 Der erste Geschäftsbereich, der heute aufgerufen wird, ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Zuerst rufe ich die Frage 6 des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch auf:
Wie ist es möglich, daß der Redakteur Erich Kieckhöfel in der Zeitschrift „Der Zivildienst, Magazin für den Zivildienstleistenden", lieft 8/91, September 91, Seiten 22 bis 28, unter der Überschrift „Asyl. Eine Welt auf der Flucht vor sich selbst. Zelte = Kathedralen unseres Jahrhunderts." einen wüsten Hetzartikel gegen Flüchtlinge veröffentlichen konnte, in dem Flüchtlinge pauschal für Kriminalität, die Mafia, Rauschgift usw. verantwortlich gemacht werden, und was wird die Bundesregierung veranlassen, um die Leserschaft nach dieser kaum verhüllten Volksverhetzung sachlich zu informieren?
Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kollege Hirsch! Der Artikel von Erich Kieckhöfel in der Zeitschrift „Der Zivildienst", Ausgabe September 1991, ist als Beitrag eines langjährigen freiberuflichen Mitarbeiters aufgenommen worden, der die persönliche Auffassung des Autors und nicht die der Bundesregierung darstellt. Die Redaktion der Zeitschrift „Der Zivildienst" hat in der Dezember-Ausgabe einen großen Teil der eingegangenen kritischen Stellungnahmen zum Artikel von Herrn Kieckhöfel veröffentlicht. Die Redaktion beabsichtigt ferner, Parlamentarier verschiedener Fraktionen um Stellungnahme zur Asylproblematik zu bitten und die Beiträge in der Zeitschrift abzudrucken.
Zusatzfrage des Kollegen Hirsch.
Herr Staatssekretär, nachdem in dem Artikel selbst erst durch mehrmaliges Nachblättern feststellbar war, daß es sich nicht um einen redaktionellen, sondern um einen persönlichen Beitrag handelt, und nachdem nicht nur einzelne Parlamentarier an dem Inhalt Anstoß genommen haben, sondern eine breite Öffentlichkeit - ich nehme an, daß Sie die umfangreiche Stellungnahme des mit Recht empörten Caritasverbandes kennen - kann sich doch die Bundesregierung nun nicht wie ein Hase mit angelegten Ohren in die Furche legen und selbst nicht Stellung nehmen, sondern dieses Geschäft anderen überlassen. Ich muß Sie vielmehr fragen, wie denn die Bundesregierung selbst zu diesem empörenden Vorgang steht, daß hier Volksverhetzung getrieben wird.
Die von Ihnen geäußerte Kritik an dem veröffentlichten Beitrag findet aus unserer Sicht besonderen Anhaltspunkt in der gesamten Darstellung des Artikels, also in der ganzen Aufmachung, nicht nur im eigentlichen Text selber, sondern gerade in der Zuordnung der Bilder, der Zeitungsausschnitte und des Textes. Hier sind tatsächlich die Grenzen zur unsachlichen Polemik in der Zusammenfügung aller einzelnen Bestandteile arg verwischt oder sogar überschritten. Die Bundesregierung wird sicherstellen, daß sich ein solcher Vorgang in Zukunft nicht wiederholt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hirsch.
Herr Staatssekretär, können Sie denn zusichern, daß die Bundesregierung dafür sorgt, daß das, was Sie eben an berechtigter Distanzierung von diesem Artikel vorgetragen haben, in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift „Zivildienst" an gleicher Stelle und in entsprechender Größe veröffentlicht wird?
Eine Veröffentlichung in der gleichen Größe wird nicht möglich sein, aber wir drucken gerne die Antwort mit Ihrer Anfrage in der nächst erreichbaren Ausgabe der Zeitschrift „Der Zivildienst" ab.
Weitere Zusatzfragen liegen dazu nicht vor.
Wir kommen damit zur Frage 7 des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch:
Welche Haushaltsmittel stehen dem für die Herausgabe der Zeitschrift verantwortlichen Bundesamt für den Zivildienst für diese Zeitschrift zur Verfügung und wie übt die Bundesregierung die Fach- und Dienstaufsicht in Fällen dieser Art aus?
Frau Präsidentin, Herr Kollege Dr. Hirsch! Dem Bundesamt für den Zivildienst stehen im Haushaltsjahr 1992 für Kosten der Veröffentlichung und der Dokumentation 1,78 Millionen DM zur Verfügung. Der größte Teil dieses Betrages wird für die Herstellung und den Versand der Zeitschrift „Der Zivildienst" benötigt, die in zehn Ausgaben pro Jahr in einer Gesamtauflage von jährlich 1,2 bis 1,3 Millionen Exemplaren erscheint.
Aufgaben der Aufsicht im Rahmen der redaktionellen Arbeit werden durch einen Beamten des höheren Dienstes des Bundesministeriums für Frauen und Jugend wahrgenommen.
Zusatzfrage, Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, nachdem mit dieser Aufsicht, wie Figura zeigt, bedauerliche Erfahrungen gemacht worden sind, möchte ich Sie fragen, was Sie denn veranlassen oder veranlaßt haben, um zu verhindern, daß in Zukunft in dieser mit Bundesmitteln finanzierten Zeitschrift Veröffentlichungen erscheinen, die zumindest hart an der Grenze eines strafbaren Tatbestandes liegen.
Mit den Mitgliedern der Redaktionskonferenz, Herr Kollege Dr. Hirsch, sind entsprechende Gespräche geführt worden, die insbesondere zum Ziel hatten, die Gesamtgestaltung und Gesamtaufmachung der Zeitschrift und der einzelnen Beiträge und der Zuordnung von Bildern, Beispielen und Texten bei der Bewertung und Beurteilung der Arbeit in Zukunft genauer in den Blick zu nehmen.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Hirsch.
Der Anfrage, die ich gestellt habe, ist eine Kleine Anfrage der Gruppe DIE GRÜNEN/Bündnis 90 vorausgegangen. Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß schon diese Anfrage in
der befriedigenden Weise hatte beantwortet werden können, wie Sie heute meine mündliche Frage beantworten?
Ich freue mich, daß Sie Ihre Anfrage als befriedigend beantwortet empfinden. Ich kann nicht empfinden, daß wir die andere Anfrage nicht befriedigend beantwortet hätten. Ich habe Sie gerade gereicht bekommen, aber nicht im Wortlaut im Kopf.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ihr Geschäftsbereich ist damit zu Ende.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, also die Fragen 41 bis 47 von unterschiedlichen Kollegen, werden samt und sonders schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Hier steht zur Beantwortung die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 48 des Kollegen Klaus Kirschner:
Aus welchen Gründen ist die im Gesundheits-Reformgesetz spätestens zum 1. Januar 1992 vorgesehene Einführung einer Krankenversichertenkarte anstelle des Krankenscheins nicht erfolgt, obwohl die Spitzenverbände der Krankenkassen rechtzeitig die notwendigen Vorbereitungen getroffen haben, und wie will die Bundesregierung erreichen, daß diese gesetzliche Regelung und die damit verbundenen Regelungen des SGB V zu der Kosten- und Leistungstransparenz in der Krankenversicherung und zur wirksameren Ausgestaltung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Ärzte und Zahnärzte umgesetzt werden?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Kirschner, Ihre Frage möchte ich wie folgt beantworten: Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben gemeinsam die Einführung der Krankenversichertenkarte vorbereitet. Vorgesehen war, zunächst Modellversuche in drei Regionen durchzuführen.
Die gesetzlichen Bestimmungen sehen vor, daß die mit der Einführung der Karte verbundenen Einzelfragen durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu regeln sind. Das betrifft zum einen die Ausgestaltung der Karte selbst und zum anderen die Ausgestaltung der von den Ärzten verwendeten Formulare, d. h. der Behandlungs- und Überweisungsscheine, der Krankenhauseinweisungen, der Rezeptformulare etc. Letzteres, die kartengerechte Formulargestaltung, ist notwendig, da die Versichertenkarte auch dazu dienen soll, den Ärzten die Auftragung der Versichertendaten auf die Formulare mit Hilfe eines Umdruckgerätes oder eines Praxiscomputers zu erleichtern.
Vor Durchführung der Modellversuche hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung in den dafür vorgesehenen Regionen Abstimmungen der Kassenärzte durchführen lassen. Diese Abstimmungen haben ergeben, daß in zwei Regionen eine knappe Mehrheit der Ärzte für und in einer Region eine knappe
Mehrheit gegen die Durchführung der Modellversuche war. Daraufhin sind die genannten Vereinbarungen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht unterzeichnet worden, und die Modellversuche sind bisher nicht zustande gekommen.
Zur Zeit werden erneut Gespräche zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geführt. Am 21. Januar 1992 wurde von den Spitzenverbänden der Krankenkassen der Tendenzbeschluß gefaßt, die Krankenversichertenkarte auf der Basis der Chip-Technologie einzuführen. In nachfolgenden Gesprächen sollen insbesondere die damit verbundenen technischen Fragen geklärt und die Versuchsregionen bestimmt werden.
Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, ist nach Ihrer Antwort davon auszugehen, daß zwar einerseits alle Regelungen, die die Versicherten mit höheren Zuzahlungen treffen, pünktlich in Kraft getreten sind, während andererseits die Kassenärztliche Vereinigung darüber entscheidet, wann solche Regelungen in Kraft treten, die zu mehr Transparenz beitragen sollen? Ich frage die Bundesregierung: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dafür Sorge zu tragen, daß die Bestimmungen ihres eigenen Gesetzes termingerecht umgesetzt werden?
Herr Kollege Kirschner, Sie erinnern sich vielleicht, daß 1990 die deutsche Einheit stattgefunden hat und die Krankenkassen 1991 damit beauftragt waren, die Einheitsversicherung in den neuen Bundesländern in die gegliederte Krankenversicherung umzuwandeln. Das hat einen erheblichen Aufwand für die Krankenkassen bedeutet. Ich glaube, daß beide - sowohl die Spitzenverbände der Krankenkassen als auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung - sehr wohl gewillt sind, diese vertraglichen Vereinbarungen zu treffen, aber leider auch aus diesen genannten Gründen diese nicht treffen konnten.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, aus Ihrer Antwort entnehme ich, daß die Einführung bisher nicht an den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung gescheitert ist, sondern - wie Sie sagten - an der entsprechenden Unterschrift der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Ich frage Sie noch einmal: Wie gedenkt die Bundesregierung in ihrem aufsichtsrechtlichen Bereich dafür Sorge zu tragen, daß diese Abstimmungen, die Teil unseres Gesetzes sind, auch umgesetzt werden? Ich frage Sie also als Aufsichtsbehörde.
Herr Kollege Kirschner, ich glaube, daß Sie die Antwort auf die erste Zusatzfrage nicht ganz richtig interpretiert haben. Aber um Ihre zweite Zusatzfrage zu beantworten, kann ich feststellen, daß am 21. Januar ein Tendenzbeschluß gefaßt worden ist und die
Feldversuche am 1. Juli 1992 beginnen sollen. Ich habe hier vollstes Vertrauen in die Vertragsverhandlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Damit komme ich zur Frage 49 des Kollegen Klaus Kirschner:
Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage für die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geforderte Einfüh rung einer elektronischen Krankenversicherten-Chipkarte anstelle des Krankenscheins, auf der nicht nur Daten zur Person des Versicherten, sondern auch Angaben über die verschiedenen Arztbesuche und die Krankheiten des Versicherten gespeichert werden können, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Vorschlag im Hinblick auf die Gewährleistung des Datenschutzes?
Herr Kollege Kirschner, die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat vorgeschlagen, an Stelle der Karte mit Magnetstreifen, die bisher als Krankenversichertenkarte vorgesehen war, eine sogenannte Chipkarte für Feldversuche in drei Regionen einzuführen. Auf dieser Chipkarte, die eine größere Speicherkapazität hat als die Magnetstreifenkarte, könnten neben den im Gesetz genannten Angaben zur Person des Versicherten auch weitere Daten gespeichert werden, die dem Arzt die Behandlung des Versicherten erleichtern könnten.
Gegen die Chipkarte bestehen dann keine Bedenken, wenn sie lediglich die im Gesetz genannten Angaben enthält. Der weitergehende Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz erörtert worden. Der Datenschutzbeauftragte vertritt die Auffassung, daß eine Versichertenkarte, die zusätzlich zu den gesetzlich vorgegebenen Daten medizinische Daten des Versicherten enthält, unter Datenschutzrechtsgesichtspunkten bedenklich und mit den geltenden gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar ist. Die nach dem Tendenzbeschluß der Spitzenverbände vom 21. Januar 1992 vorgesehene Chipkarte soll ausschließlich die im Gesetz genannten Angaben enthalten.
Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, daß nämlich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz erhebliche Vorbehalte hat gegen die Einführung der Chipkarte und bei den Beratungen des Gesundheitsreformgesetzes ja gerade von den Kassenärztlichen Vereinigungen Bedenken gegen diese im Gesetz vorgeschriebene Form laut wurden - nach dem Motto: hier werden der gläserne Patient und der gläserne Arzt geschaffen - und nun nach Auffassung der Kassenärztlichen Vereinigung auf der Chipkarte viel mehr Daten gespeichert werden sollen, frage ich Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, daß nicht ein unnötiger Zeitverlust in Kraft tritt, sondern daß diese Karte jetzt so schnell wie möglich in der ursprünglichen Form auch wirklich eingesetzt wird?
Herr Kollege Kirschner, der Datenschutzbeauftragte hat sich nicht gegen die Einführung der Chipkarte gewandt, sondern gegen die zusätzliche Auftragung von Daten, die nicht im Gesetz stehen. Der Tendenzbeschluß sieht vor, daß bei der Einführung der Chipkarte allein die im Gesetz vorgesehenen Daten dort verankert werden.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Kirschner.
Frau Staatssekretärin, wenn der Feldversuch, wie Sie es nennen, erst zur Mitte des Jahres beginnen soll, können Sie mir dann verraten, wie lange es dauern wird, bis die Bestimmungen des Gesetzes endlich in Kraft treten?
Herr Kollege Kirschner, soweit mir der Vertrag bekannt ist, soll der Feldversuch drei Monate dauern. Ich kann deshalb davon ausgehen, daß die Karte spätestens Anfang des nächsten Jahres eingeführt werden kann. Ich bin da auch sehr optimistisch, Herr Kollege Kirschner.
({0})
- Die können wir hinterher machen, Herr Kirschner.
Was Sie hinterher machen, interessiert mich jetzt weniger. - Weitere Wünsche nach Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann würde ich jetzt gerne die Frage 50 der Kollegin Antje-Marie Steen aufrufen:
In welchem Umfang werden in der Bundesrepublik Deutschland Silikonimplantierungen vorgenommen, und welche Kurz-und Langzeitforschungsergebnisse liegen dem Bundesgesundheitsamt und dem Bundesministerium für Gesundheit derzeit über Risiken und Nebenwirkungen von Silikonimplantaten vor?
Frau Kollegin Steen, nach Angaben der Vereinigung der deutschen plastischen Chirurgen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit etwa 120 000 Trägerinnen von Brustimplantaten.
Silikongeihaltige Brustimplantate gelten als Arzneimittel nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Arzneimittelgesetzes und unterliegen nicht der Zulassungspflicht für Arzneimittel. Deshalb liegen dem Bundesgesundheitsamt keine Dossiers der Hersteller über Kurz- und Langzeitfolgenergebnisse vor. Insbesondere sind in der Bundesrepublik Deutschland keine Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen beim Bundesgesundheitsamt bekannt geworden.
Aus der Literatur und aus den Erkenntnissen der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA sind die folgenden möglichen Risiken bekannt geworden: Kapselfibrose, Blutungen und Hämatome, Infektionen, Infiltrationen, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Autoimmunreaktionen, Sklerodermie, Undichtigkeiten des Implantats, Krebsverdacht und Beeinträchtigung von diagnostischen Maßnahmen.
Zusatzfrage, Kollegin Steen.
Ist es richtig, Frau Staatssekretärin, daß derartige Silikonimplantate wie „industrielle Produkte" behandelt werden und somit Schäden und Nebenwirkungen nicht dem BGA gemeldet werden müssen?
Das ist nicht so, Frau Kollegin Steen. Ich kann Ihnen das aus dem Arzneimittelgesetz wörtlich vorlesen:
Der pharmazeutische Unternehmer ist nach einer aus übergreifenden Grundsätzen resultierenden Schutzpflicht gegenüber dem Verbraucher zur Sicherung seiner Produkte verpflichtet.
Das bezieht sich also auch auf die Beobachtung der im Verkehr befindlichen Arzneimittel und auf die bei ihrer Anwendung gesammelte Erfahrung. Das gilt auch für Implantate.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, erlauben Sie dann die Frage, warum das BGA auf solche eminenten Veränderungen, die Sie eben vorgelesen haben, in der Beantwortung meiner Frage zu den gesundheitlichen Auswirkungen nicht reagiert hat. Es muß dann wohl irgendwo eine Informationslücke zwischen Hersteller und BGA gegeben haben.
Frau Kollegin Steen, ich habe Ihnen gesagt, daß diese Angaben aus der Literatur stammen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, das Risiko einer solchen Nebenwirkung liegt bei 1:1 000 000. Derartige Nebenwirkungen sind in Deutschland nicht gemeldet worden. Ich habe hier lediglich Literaturangaben zitiert; das möchte ich noch einmal feststellen.
Kollege Lowack, eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, in der Absicht, etwas mehr Humor in einer grauen Zeit ins Parlament zu implantieren, wollte ich Sie fragen, ob sich die Langzeitforschungsergebnisse auch auf eine Bestandsaufnahme der durch die Implantierung hervorgerufenen Lebensfreude erstrecken.
Herr Kollege, sicherlich hat diese Form der Implantation bei der plastischen Chirurgie nach einer Krebsoperation sehr große Bedeutung. Deswegen wird sie ja auch durchgeführt.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Wir kommen dann zur Frage 51 der Kollegin Antje-Marie Steen:
Gedenkt die Bundesregierung neuere Forschungsergebnisse abzuwarten und sich dem amerikanischen und australischen Moratorium hinsichtlich Silikonpräparaten anzuschließen?
Frau Kollegin, das Bundesgesundheitsamt hat sich dem Moratorium der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA angeschlossen und seinerseits empfohlen, silikongelhaltige Brustimplantate nicht mehr einzusetzen. Außerdem hat es das nach dem Arzneimittelgesetz vorgesehene Stufenplanverfahren zur Erfassung von Arzneimittelrisiken eingeleitet und die Hersteller aufgefordert, eine Reihe von Fragen zur Risikosituation zu beantworten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, werden in das Moratorium auch Implantate einbezogen, die aus salzhaltigen Kissen bestehen, und wenn nicht, warum nicht?
Frau Kollegin Steen, soweit mir bekannt ist, werden sämtliche Implantate mit einbezogen, weil auch die mit Kochsalz gefüllten Implantate eine silikonhaltige Hülle haben.
Die zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, dann darf ich Sie auf die Mitteilung des Bundesgesundheitsamtes aufmerksam machen, die uns zugegangen ist und in der ausgeschlossen wird, daß diese Implantate mit einbezogen werden, sprich: Sie dürfen nach wie vor verwendet werden.
Frau Kollegin Steen, ich muß das etwas berichtigen. Das Bundesgesundheitsamt hat generell empfohlen, silikonhaltige Implantate vorerst nicht mehr zu verwenden. Ich rechne diese dazu.
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- Wir können es gerne klären.
Die Fragen 52 und 53 des Kollegen Pfaff, die Fragen 54 und 55 der Kollegin Regina Schmidt-Zadel und die Fragen 56 und 57 der Kollegin Gudrun Schaich-Walch werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 58 der Frau Kollegin Brigitte Adler:
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, wenn nach einer Brustoperation auf den Silikonersatz verzichtet wird, daß die psychischen Operationsfolgen mit Hilfe zusätzlicher psychosozialer Betreuung bewältigt werden müssen und daß dabei besonderer Wert auf eine gemeinschaftliche Partnerbetreuung gelegt werden sollte?
Frau Kollegin Adler, psychische Folgen einer Brustoperation sind individuell unterschiedlich ausgeprägt. Hilfen müssen sich an der Beurteilung des Einzelfalles orientieren.
Allgemeinärzte und Fachärzte sind in der Regel geschult, vorbereitende und postoperativ stützende Gespräche zu führen oder eine psychotherapeutische Behandlung zu veranlassen. Eine große Bedeutung bei der psychischen Kompensierung im Sinne der Selbsthilfe haben die Selbsthilfegruppen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin Adler.
Frau Staatssekretärin, mich interessiert gerade im Zusammenhang damit, ob auch der Partner mit einbezogen wird und ob dann, wenn solche Gespräche notwendig werden, z. B. bei einer psychotherapeutischen Behandlung, auch die-Kosten übernommen werden. Würden Sie so etwas empfehlen?
Zu der ersten Hälfte der Frage würde ich sagen, daß im individuellen Fall ein Partner, wenn er vorhanden ist, mit einbezogen werden sollte. Aber, wie gesagt, das hängt natürlich vom Einzelfall ab.
Die zweite Hälfte der Frage ist so zu beantworten, daß die Kosten für Gespräche oder eine psychotherapeutische Behandlung dann, wenn sie veranlaßt werden, von den Kassen übernommen werden.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Darm kommen wir zur Frage 59 der Kollegin Brigitte Adler:
Wird die Bundesregierung die Einfuhr von Silikonpräparaten aus dem Ausland weiterhin zulassen, und wie sieht sie deren Sicherheit für die damit zu behandelnden Personen gewährleistet?
Für die Verhängung eines Importverbotes sind die Bundesländer zuständig. In meiner Antwort auf die Frage der Abgeordneten Regina Schmidt-Zadel, die schriftlich beantwortet wird, habe ich ausgeführt, daß das Bundesgesundheitsamt nach Eingang der Stellungnahme im Rahmen des Stufenplanverfahrens das Material auswerten und eine entsprechende Empfehlung über notwendige Maßnahmen an die für die Durchführung des Arzneimittelgesetzes zuständigen Bundesländer erstellen wird.
Das Bundesgesundheitsamt hat in seinem Pressedienst Nr. 3 vom 14. Januar 1992 empfohlen, die silikongefüllten Brustimplantate vorerst nicht mehr zu implantieren. Es weist in dem Pressedienst ferner darauf hin, daß sich für Frauen, die bereits ein silikonhaltiges Brustimplantat haben, jetzt keine Konsequenzen ergeben. Falls bei diesen Frauen Beschwerden auftreten, sollte ein Arzt aufgesucht werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Adler.
Ich frage die Frau Staatssekretärin, ob die Bundesregierung beabsichtigt, für medizinisch verwendete Produkte wie die Silikonimplantate eine Zulassungspflicht zu erlassen.
Frau Kollegin, im Rahmen der EG-rechtlichen Bestimmungen und ihrer Harmonisierung würden die Implantate dem Medikalproduktegesetz unterliegen. Es ist hier vorgesehen, eine Zulassungspflicht anzustreben.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Adler.
Frau Staatssekretärin, die Frage zielte vor allem auf Silikonpräparate aus dem Ausland. Habe ich Sie richtig verstanden, daß sichergestellt ist, daß jetzt auch diese Implantate nicht mehr zur Verwendung kommen? Denn Sie haben eben gesagt, es sei empfohlen worden. Das bedeutet, man kann, aber man muß sich nicht daran halten. Mich würde jetzt interessieren, ob ein ganz generelles Untersagen vorgesehen ist, bis Forschungsergebnisse vorliegen, die die Unbedenklichkeit bescheinigen, so daß also im Augenblick wirklich nicht implantiert wird und die Frauen davor geschützt sind. Das heißt, sie können ja nicht immer über alle Dinge Bescheid wissen.
Frau Kollegin Adler, ich gehe davon aus, daß die Ärzte, wenn das Bundesgesundheitsamt alle Stellen davon informiert hat, verantwortungsbewußt handeln und diese Implantate nicht mehr verwenden, bis geklärt ist, ob sie schädlich sind.
Vizepräsidentin Renate Schmidt Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Steen.
Frau Staatssekretärin, ich habe soeben vernommen, daß Sie planen, ein sogenanntes Medizinproduktegesetz zu entwerfen bzw. daß ein solches Gesetz in Vorbereitung ist. Darf ich Sie nach dem Stand der möglicherweise stattgefundenen Beratungen fragen?
Frau Kollegin Steen, ich habe nicht gesagt, daß wir zur Zeit solch ein Medikalproduktegesetz vorbereiten, sondern ich habe gesagt, daß die EG-Kommission im Rahmen der EG-Harmonisierung zur Zeit ein Medikalproduktegesetz vorbereitet.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe Frage 60 der Kollegin Uta Titze auf:
Welchen Handlungsrahmen leitet die Bundesregierung von der Tatsache ab, daß in Tierversuchen deutliche Auswirkungen auf das Immunsystem aufgrund körperfremder Silikonimplantate nachgewiesen wurden?
Frau Kollegin Titze, es trifft zu, daß Silikonimplantate körperfremde Implantate sind. Die Auswertung der im Rahmen des laufenden Stufenplanverfahrens zu erwartenden Unterlagen wird auch die Bewertung von Tierversuchen bezüglich der Auswirkung auf das Immunsystem umfassen.
Zusatzfrage, Kollegin Titze.
Das ist keine Antwort auf die Frage. Ich habe gefragt: Welchen Handlungsrahmen leitet die Bundesregierung von der Tatsache ab, daß in Tierversuchen deutliche Auswirkungen auf das Immunsystem auf Grund körperfremder Silikonimplantate nachgewiesen wurden?
Kollegin Titze, uns ist zur Zeit nicht bekannt, welche Tierversuche durchgeführt wurden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie wissen, es gibt die Datenbank des DIMDI in Köln. Dort könnte man sich erkundigen.
Frau Staatssekretärin.
War das eine Frage oder eine Feststellung?
Es war eine Feststellung. Ich warte auf die Beantwortung der nächsten Frage.
Das müssen Sie mir deutlich machen, Frau Kollegin Titze. - Ich rufe damit Frage 61 der Kollegin Titze auf:
Wird sich die Bundesregierung in absehbarer Zeit darum kümmern, daß neueres Informationsmaterial aus den USA, wo in dem Prozeß einer silikongeschädigten Frau Schadensersatzzuspruch von ca. 7 Mio. Dollar gewährt wurde, entsprechenden Fachkreisen in der Bundesrepublik Deutschland zugänglich gemacht wird?
Frau Kollegin, bei der Erarbeitung von Informationsmaterial für Fachkreise und auch far die Patienteninformation wird wissenschaftliches Material selbstverständlich auch aus den USA herangezogen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Material in amerikanischen Gerichtsverfahren verwendet wurde oder nicht.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Titze.
Heißt das, daß ich davon ausgehen kann, daß die Entscheidung der US-Expertenkommission, bis zum 11. Februar ein endgültiges Urteil über die Transplantate zu fällen, hier bekanntgegeben, übernommen und weitergereicht wird?
Ich gehe davon aus, daß das Bundesgesundheitsamt dies auswerten wird.
Nun eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Steen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie der Auffassung, daß es genügt - wie es jetzt vom Bundesgesundheitsamt mitgeteilt worden ist -, die Hersteller aufzufordern, Daten zu liefern und diese auszuwerten, oder sind Sie nicht auch der Auffassung, daß das Bundesgesundheitsamt selber initiativ werden müßte und selbst Forschungen anstellen müßte?
Frau Kollegin Steen, das Stufenplanverfahren sieht solche Informationen zunächst einmal vor. Das heißt: Uns sind in Deutschland keine Nebenwirkungen bekannt. Wir müssen diese Daten erst einmal abfordern, da spontane Nebenwirkungen nicht festgestellt wurden.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl zur Verfügung.
Frage 62 des Kollegen Steffen Kampeter soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 63 der Kollegin Dr. Helga Otto auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Zeitschrift „ADAC-Motorwelt", Nr. 1/92, Seiten 68 ff. aufgestellte Behauptung, eine bundesweite Umfrage bei den Hubschrauber-Notärzten habe ergeben, daß 90 % der Notärzte Schwierigkeiten hatten, für ihre Notfallpatienten ein aufnahmebereltes Krankenhaus zu finden, und daß bei über 80 % der Notärzte dadurch mehrmals pro Woche Verzögerungen in der Weiterbehandlung auftraten?
Frau Kollegin Dr. Otto, der Bundesregierung liegen zu dieser Behauptung keine prüfbaren Ergebnisse vor. Der Rettungsdienst ist nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes Aufgabe der Länder. Diese stellen in ihren Rettungsdienstgesetzen die Durchführung des Rettungsdienstes sicher. Nach den Krankenhausgesetzen der Länder ist jedes Krankenhaus verpflichtet, entsprechend seiner Aufgabenstellung jeden, der seine Leistung benötigt, nach Art und Schwere der Erkrankung zu versorgen. Die Kontrolle darüber obliegt ebenfalls den Ländern.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Stimmen Sie mir zu, daß gemäß Art. 72 unseres Grundgesetzes die Länder nur dann die Gesetzgebungskompetenz haben, wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht und das Erfordernis der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse - Abs. 2 Nr. 3 - den Bedarf für eine bundeseinheitliche Regelung in diesem Punkt rechtfertigt?
Die Bundesregierung sieht diesen Bedarf nicht als gegeben an. Dementsprechend hat sie keinen Anlaß, die derzeitige Kompetenzverteilung zu ändern.
Keine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Otto? Dann kommen wir zur Frage 64 der Frau Kollegin Dr. Otto:
Gibt es Überlegungen und Aktivitäten der Bundesregierung, in Anbetracht der katastrophalen Situation bei der Unfallrettung bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen?
In dem BundLänder-Ausschuß Rettungswesen, der seit etwa 30 Jahren besteht und in welchem die Länder und der Bund Probleme des Rettungswesens gemeinsam erörtern und gemeinsame Lösungen suchen, ist bekannt, daß es in den Bereichen des Luftrettungsdienstes wie auch des bodengebundenen Rettungsdienstes örtlich Schwierigkeiten hinsichtlich der Übernahme von Patienten durch die angefahrene Klinik gibt. Der Ausschuß hat am 6. November 1991 beschlossen, das Problem zu untersuchen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen
führt derzeit im Auftrag des Bundesministers für Verkehr eine Untersuchung zu dem Thema „Zusammenarbeit von Rettungsdienst und Kliniken" durch. Erste Ergebnisse erwarten wir im Herbst 1992.
Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, daß wie in dem Artikel steht, die Rettungsärzte eigentlich immer pünktlich zur Stelle gewesen sind, daß es aber besondere Defizite in der personellen Ausstattung und in der Kapazität der Krankenhäuser gegeben hat? Denn es wurden jeweils sehr viele Krankenhäuser angefahren.
Es gibt auch nach meiner Kenntnis Defizite in der personellen Ausstattung von Krankenhäusern. Sie offenbaren sich leider Gottes auch in solchen Fällen.
Weitere Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir auch zu, daß alle verunglückten Menschen in ganz Deutschland die gleichen Rechte haben, sofort geborgen und ärztlich versorgt zu werden?
Das ist mit Sicherheit richtig. Deswegen bemühen sich die Länder - zum allergrößten Teil mit großem Erfolg -, diese Rettung in entsprechend kurzen Fristen sicherzustellen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 65 und 66 der Kollegin Frau Dr. Margrit Wetzel werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 67 des Kollegen Horst Kubatschka:
Wann wird die Bundesregierung den seit 17. Dezember 1991 vorliegenden Antrag der Deutschen Bundesbahn zur Beschaffung von 75 Doppelstockwagen für den Großraum München genehmigen, und in welcher Reihenfolge werden die vorgesehenen Strecken mit diesen Wagen ausgestattet?
Herr Kollege Kubatschka, zum Antrag der Deutschen Bundesbahn, ist, wie bei solchen umfangreichen Beschaffungsvorhaben üblich, das Hauptprüfungsamt bei der Deutschen Bundesbahn gebeten worden, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorzunehmen. Sobald das Hauptprüfungsamt bestätigt, daß die von der Bundesbahn errechnete positive Wirtschaftlichkeit zutrifft, wird das Bundesverkehrsministerium die Beschaffung genehmigen. Erforderlich dazu ist das Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen.
Die Deutsche Bundesbahn plant den Einsatz der Doppelstockwagen streckenweise in folgender Reihenfolge - ich gebe Ihnen das auch noch schriftlich -: auf den Strecken München-AugsburgDonauwörth-Treuchtlingen und München-Ingolstadt-Treuchtlingen - hier sind 10 Wagen der 1. und 2. Klasse und 28 Wagen der 2. Klasse vorgesehen -, zweitens auf der Strecke München-Landshut-Passau-Regensburg - diese Strecke wird Sie wahrscheinlich besonders interessieren - mit 5 Wagen 1./2. Klasse und 13 Wagen 2. Klasse und schließlich drittens auf der Strecke München-Mühldorf mit 5 Wagen 1./2. Klasse und 14 Wagen 2. Klasse.
Herr Staatssekretär, wann diese Entscheidung fällt, können Sie aber nicht sagen?
Nein, weil ich auch nicht auf das Hauptprüfungsamt Einfluß nehmen kann, die Überprüfung zeitlich in einem bestimmten Rahmen zu gestalten.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, welches sind die Kriterien, nach denen diese Reihenfolge entschieden wurde, die Sie gerade vorgetragen haben?
Meinen Sie die Reihenfolge der Strecken?
Des Einsatzes, also der Strecken, wie Sie es gewertet haben.
Das ist eine interne dienstliche Entscheidung, eine betriebliche Entscheidung der Deutschen Bundesbahn, die wir von der Bundesregierung her nicht zu korrigieren haben. Wir haben uns deshalb auch nicht mit den Bewertungsgründen auseinandergesetzt.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Wir kommen jetzt entgegen der ursprünglichen Absicht zu der Beantwortung der Fragen 68 und 69 des Kollegen Albrecht Müller. Der Kollege ist hier, und Sie sind sicherlich auch darauf vorbereitet, Herr Gröbl.
Diese Fragen waren aber doch für die schriftliche Beantwortung vorgesehen. Jetzt habe ich die Antworten nicht dabei.
Diese Fragen waren für die schriftliche Beantwortung vorgesehen. Dann bleibt es dabei. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Aber ich stehe für Fragen natürlich gern zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 70 der Kollegin Elke Ferner:
Warum hat die Bundesregierung dem Beginn der Bauarbeiten im baureifen Abschnitt der A 8 zwischen den Anschlußstellen Merzig/Wellingen und Perl/Borg im Haushaltsjahr 1992 nicht zugestimmt, obwohl die A 8 im Bundesverkehrswegeplan in der höchsten Dringlichkeitsstufe enthalten ist, und für welche anderen Verkehrsprojekte sind von der Bundesregierung in diesem Jahr die Mittel nicht freigegeben worden?
Frau Kollegin Ferner, dem Antrag auf Baubeginn für 1992 wurde nicht zugestimmt, weil die Finanzierung nicht gesichert war. Der daraufhin vom zuständigen Minister des Saarlandes an den Bundesverkehrsminister
gerichtete Brief wird allerdings, insbesondere in seiner Darlegung des einschlägigen Kabinettsbeschlusses der saarländischen Regierung, in unserem Haus eingehend geprüft. Das Ergebnis dieser Überprüfung kann ich Ihnen heute allerdings nicht mitteilen.
Zum zweiten Teil Ihrer ersten Frage: Weitere Anträge auf Baubeginn für Maßnahmen, deren Finanzierung nicht gesichert ist, liegen dem Bundesminister für Verkehr nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, als dieses Teilstück der A 8 in den Bundesverkehrswegeplan in die Stufe „vordringlicher Bedarf" aufgenommen worden ist, war damals schon bekannt, daß die Bausumme für dieses Autobahnteilstück die Mittel, die über Quote dem Saarland zufließen, wesentlich übersteigen werden. Warum hat man dann, wenn die Finanzierung jetzt plötzlich nicht gesichert ist - das war ja damals schon absehbar -, dieses Stück überhaupt in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen?
Das war eine Entscheidung des Deutschen Bundestages, wie Sie wissen, und die hat ein Mitglied der Bundesregierung nicht zu kritisieren.
Zum zweiten. Ich habe Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Frage dargelegt, daß wir die neuerlichen Finanzierungsvorstellungen der saarländischen Regierung in unserem Haus überprüfen. Hier werden Prioritäten angeboten, über die wir nachzudenken haben.
Eine Zusatzfrage.
Wenn Sie bei den Überlegungen in Ihrem Haus, Herr Staatssekretär, zu einem für das Saarland negativen Ergebnis kommen, wie schätzen Sie dann die Chancen ein, mit dem Bau dieses Teilstücks der A 8 zu beginnen? Wenn andere Maßnahmen vorgezogen werden, werden diese unter Umständen auch nicht im Haushaltsjahr 1992 abgeschlossen sein und dann über die nächsten Haushaltsjahre Mittel in Anspruch nehmen.
Wir sollten, Frau Kollegin, das Ergebnis dieser Prüfung jetzt nicht vorwegnehmen. Ich glaube, wir würden dem Projekt insgesamt keinen guten Dienst erweisen.
Wir kommen damit zur Frage 71 der Kollegin Ferner:
Wann wird die Bundesregierung ihre Meinungsbildung über privatwirtschaftliche Finanzierungsmodelle im Verkehrsbereich abgeschlossen haben, und wie will die Bundesregierung die Finanzierung der A 8 unabhängig von Entscheidungen über privatwirtschaftliche Finanzierungsmodelle im Verkehrsbereich sicherstellen?
Frau Kollegin, das Bundeskabinett wird sich noch im Januar dieses Jahres, voraussichtlich am 29., mit der privaten Finanzierung von Verkehrsinvestitionen befassen und das weitere Vorgehen festlegen. Sollte eine private Finanzierung nicht in Betracht kommen, würde für eine ausreichende Finanzierung dieser Maßnahme die
Bereitstellung zusätzlicher Mittel außerhalb des normalen Anteils des Saarlands an Bundesfernstraßenmitteln erforderlich werden oder die Regelung greifen, die Herr Jo Leinen in seinem Brief an den Bundesverkehrsminister vorgeschlagen hat.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie sich vorstellen, daß für diese Verbindung vielleicht auch noch im Rahmen der EG Sondermittel fließen können, weil es ja nicht nur um eine Verbindung innerhalb der Bundesrepublik, sondern auch um den Lückenschluß zwischen Merzig und Luxemburg geht?
Sehr groß sind meine Hoffnungen in dieser Beziehung nicht.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 72 des Kollegen Hans-Joachim Otto sowie die Fragen 73 und 74 des Kollegen Dr. Heinrich Kolb werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Ich danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 75 des Kollegen Klaus Harries auf:
Sieht die Bundesregierung in dem beim niedersächsischen Umweltministerium gebildeten „Beirat für Fragen des Kernenergieausstiegs" ein sachlich-fachlich kompetentes, unabhängiges und ernstzunehmendes Gremium, und welche Kontakte bestehen ggf. zu diesem Gremium?
Herr Kollege Harries, ich antworte auf Ihre Frage wie folgt. Ein ausstiegsorientierter Vollzug des Atomgesetzes ist rechts- und verfassungswidrig. Der Bundesumweltminister hat deshalb Mitteilungen in den Medien über die Bildung eines „Beirats für Fragen des Kernenergieausstiegs" zum Anlaß genommen, das niedersächsische Umweltministerium um Bericht und Übermittlung der einschlägigen Unterlagen zu bitten. Auf der Grundlage des Berichts ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser Vorgang Anlaß zu bundesaufsichtlichem Einschreiten gibt.
Ein wesentlicher Prüfpunkt ist hierbei die Frage der Beteiligung des Beirats im Hinblick auf konkrete atomrechtliche Verfahren und Vorhaben bzw. die Frage von diesbezüglichen Wechselwirkungen zwischen Beirat und Verfahren.
Zusatzfrage, Kollege Harries.
Herr Staatssekretär, sind Sie schon heute, also vor der von Ihnen angekündigten Prüfung, bereit zu verkünden, daß dieses Gremium nicht sachgerecht, nicht fachkompetent und nicht zur unabhängigen Sachaussage fähig ist?
Herr Kollege Harries, nicht die Einrichtung des Gremiums an sich steht bei einer rechtlichen Bewertung im Mittelpunkt; vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß der „Beirat für Fragen des Kernenergieausstiegs" als Hilfsmittel eines ausstiegsorientierten Vollzugs genutzt werden könnte. Dies wäre, wie ich bereits dargestellt habe, bundesaufsichtlich nicht hinnehmbar.
Die Bundesregierung hat die Qualifikationen der in den Beirat berufenen Persönlichkeiten nicht zu bewerten und wird dies auch nicht tun.
Zweite Zusatzfrage, Kollege Harries.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zu gegebener Zeit dem Land Niedersachsen und der Öffentlichkeit nach Prüfung der Rechts- und Sachlage die Auffassung klar zu verkünden?
Ja.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, da Sie auf die Frage von Herrn Harries nach einer Kontaktaufnahme zwischen der Bundesregierung und diesem Gremium nicht geantwortet haben, frage ich: Besteht denn eine Möglichkeit, wenn sich herausstellt, daß dieses Gremium durchaus im Rahmen der rechtlichen Grundlagen in Niedersachsen tätig ist, nämlich als Beratungsgremium für die Niedersächsische Landesregierung, daß dann vom zuständigen Bundesumweltministerium aus ein vernünftiger Kontakt zu diesem Gremium aufgebaut wird?
Der Kontakt, der hier aufzubauen ist, besteht zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung von Niedersachsen.
Ich rufe die Frage 76 des Kollegen Harries auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Deutschen Gesellschaft zum Bau von Endlagern, daß der Laugenzutritt im Dezember 1991 im Schacht 1 in Gorleben kein Grund ist, die weitere Abteufung der Schächte 1 und 2 in Gorleben einzustellen und das Salzlager in Gorleben nach derzeitigem Kenntnisstand als ungeeignet für ein Endlager anzusehen?
Herr Kollege Harries, die Antwort lautet: ja. Die bergmännischen und geowissenschaftlichen Erfahrungen im Salzbergbau zeigen, daß Laugenzutritte bei Abteufarbeiten von Gefrierschächten im Übergangsbereich zwischen Deckgebirge, Salzhut und Salzstock keine Besonderheit darstellen. Vielmehr wurde mit solchen Zutritten gerechnet.
Als Gegenmaßnahme wurden seit dem Erreichen des Salzstocks in einer Teufe von 258 Metern bis zur derzeitigen Schachtsohle in einer Teufe von 312 Metern umfangreiche Bohr- und Abdichtarbeiten durch Injektionen durchgeführt. Eine Gefahr für Personal oder Bauwerk hat zu keiner Zeit bestanden. Dies ist auch die Einschätzung der zuständigen niedersächsischen Bergbehörde. Die Laugenzutritte sind zudem nur ein temporärer Vorgang, der - spätestens durch den zu errichtenden wasserdichten Innenausbau des Schachtes Gorleben 1 - in seiner zeitlichen Wirkung begrenzt ist.
Auswirkungen auf die Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben ergeben sich somit nicht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Harries.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Irritationen in der Öffentlichkeit, Ängste in der Öffentlichkeit und auch polemische Darstellungen in der Öffentlichkeit nach diesem Laugenaustritt mit Sicherheit, wie ich meine, dann hätten vermieden werden können, wenn die Betreibergesellschaft rechtzeitig und umfassend informiert hätte?
Herr Kollege Harries, es trifft zu, daß die Berichterstattung in den Medien den tatsächlichen Ereignissen teilweise nicht angemessen war. Wir nehmen dies zum Anlaß, auch über die Zusammenhänge nachzudenken, die Sie gerade angedeutet haben.
Zweite Zusatzfrage? - Keine mehr.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fuhrmann.
Herr Staatssekretär, wie steht es mit der Verantwortung für die Abteufarbeit in Gorleben, nachdem bereits im bergmännisch-technischen Bereich zum wiederholten Male Unwägbarkeiten aufgetreten sind, die man nun nicht als Kleinigkeit abtun kann - Schächte 1 und 2 in Gorleben sind seit Jahren immer wieder im Gespräch, nicht etwa nur und ausschließlich wegen der Frage der Eignung, sondern auch wegen der Frage der technischen Machbarkeit im bergmännischen Bereich -; wer übernimmt also, bitte schön, in Zukunft die Garantie - Sie oder die Betreibergesellschaft -, daß derartige Zwischenfälle unterbleiben, damit das Vertrauen der Bevölkerung in ein zukünftiges Endlager nicht noch weiter erschüttert wird?
Vorkommnisse, wie sie hier in Rede stehen, bei Abteufarbeiten in solchen Gebirgen sind nicht ungewöhnlich. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, die weitere Durchführung der geplanten Abteuf- und Erkundungsmaßnahmen in Gorleben dadurch in Frage zu stellen.
Herr Kollege Fuhrmann, eine weitere Zusatzfrage Ihrerseits ist leider nicht möglich; Sie haben zu dieser Ausgangsfrage nur eine Zusatzfrage. Der Wunsch nach weiteren Zusatzfragen besteht nicht.
Wir kommen damit zur Frage 77 des Kollegen Horst Kubatschka:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Altpapierquote für aus Skandinavien importiertes Zeitungsdruckpapier einzuführen?
Herr Kollege Kubatschka, die Antwort auf Ihre Frage lautet: nein. Die Bundesregierung beabsichtigt weder für in
Deutschland hergestelltes noch für importiertes Zeitungsdruckpapier oder andere Papiere, feste Einsatzquoten zwingend vorzuschreiben. Im Rahmen der zur Zeit in Vorbereitung befindlichen Verordnung zur Verwertung von Druckerzeugnissen werden vielmehr Rücknahmepflichten und Pflichten zur stofflichen Verwertung der gebrauchten Papiere vorgesehen. Entscheidend ist, daß eine Verminderung des Papierabfallaufkommens erreicht wird. Insofern kommt es darauf an, eine höchstmögliche stoffliche Verwertung gebrauchter Papiere sicherzustellen, nicht aber vorzuschreiben, wieviel Altpapier in einem Produkt unbedingt enthalten sein muß.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Ich bin mit dieser Antwort nicht zufrieden und frage deshalb: Warum will die Bundesregierung diese Quote nicht einführen?
Herr Kollege Kubatschka, für die Bundesregierung sind stringente, dirigistische Maßnahmen, die auf einzelne Produkte bezogen sind, nicht die erste Wahl. Sie bevorzugt marktwirtschaftliche Umweltregelungen. Sie sieht auch keine Möglichkeit, ausländische Hersteller durch nationale Regelungen zu zwingen, deutsches Altpapier zu verwerten. Bei der deutschen Zeitungsdruckpapierherstellung ist die Altpapierverwertungsquote bereits sehr hoch, im Einzelfall bis zu 75 %. Bei skandinavischen Importpapieren ist sie im allgemeinen sehr niedrig.
Die Forderung, die ausländischen Papierproduzenten zu zwingen, bei der Importware, die sie in Deutschland vermarkten, Altpapierquoten einzuhalten, stößt auf erhebliche EG-rechtliche Bedenken, denn damit sind unzweifelhaft Handelshemmnisse verbunden.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Würde eine solche Maßnahme aber nicht die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Altpapierverarbeiter verbessern oder wenigstens einen Gleichstand herbeiführen?
Wenn dies realisierbar wäre, könnten Sie recht haben. Aber ich habe, glaube ich, deutlich dargestellt, daß dies nicht realisierbar ist.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Hartenstein.
Herr Staatssekretär Laufs, gelten diese EG-rechtlichen Bedenken auch, wenn man weiß, daß - so bin ich informiert - die Hauptmasse des aus Skandinavien importierten Holzes aus Finnland stammt, und wäre es im Hinblick darauf nicht doch überlegenswert und angebracht, an eine Quotenregelung zu denken, auch um die von Ihnen erwähnte in Vorbereitung befindliche Verordnung zur Entsorgung von Druckerzeugnissen nicht zu unterlaufen?
Wie ich Ihnen dargestellt habe, versucht die Bundesregierung, mit einer entsprechenden Verordnung einen anderen Weg zu gehen, von dem wir glauben, daß er sicherer und auch ökologisch überzeugender zum Ziel führt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Harries.
Herr Staatssekretär, sind auch Ihnen Informationen zugegangen, daß Schweden angeblich eine Selbstverpflichtung der Papierindustrie vorbereitet, mit Recycling erarbeitetes Material zu gegebener Zeit nach Deutschland zu exportieren?
Eine solche Selbstverpflichtung wäre außerordentlich zu begrüßen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie verweisen in Ihrer Antwort auf die Vorlage der Druckerzeugnisse-Verordnung. Wann ist denn mit dieser Vorlage zu rechnen, zumal sie schon für das Ende des vorigen Jahres angekündigt war und wir alle wissen, daß sie zur Chefsache gemacht wurde, aber im Kanzleramt nach wie vor unbearbeitet liegt?
Die mit der Wirtschaft zur Ausgestaltung dieser Verordnung geführten Gespräche stehen vor dem Abschluß. Wir rechnen damit, daß die Verordnung in Bälde vorgelegt werden kann.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 78 und 79 des Abgeordneten Schäfer werden entsprechend der Anlage 4 zu unserer Geschäftsordnung nicht beantwortet.
Wir kommen zu der Frage 80 der Kollegin Jutta Müller:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele entsorgungspflichtige Körperschaften bereits Verträge mit der „Duales System Deutschland" ({0}) abgeschlossen haben?
Frau Kollegin Müller, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Duales System Deutschland GmbH beabsichtigt, ein nach § 6 Abs. 3 Verpackungsverordnung ermöglichtes duales Erfassungssystem für Verkaufsverpackungen aufzubauen. In diesem Zusammenhang verpflichtet Satz 2 des § 6 Abs. 3 der Verpackungsverordnung dazu, freiwillige duale Erfassungssysteme auf vorhandene Sammel- und Verwertungssysteme der entsorgungspflichtigen Körperschaften, in deren Bereich sie eingerichtet werden, abzustimmen. Abstimmung im Sinne dieser Vorschrift bedeutet, daß sich diejenigen, die freiwillige duale Erfassungssysteme errichten wollen, mit den entsorgungspflichtigen Körperschaften, die bereits über entsprechende Systeme verfügen, über die Integration dieser Systeme in das neue duale System einigen sollen. Diese Abstimmungsvoraussetzung bedeutet nicht etwa ein formalrechtliches Verfahren im Sinne eines Zustimmungserfordernisses.
Was die gegenwärtige Situation betrifft, sind nach Angaben der Duales System Deutschland GmbH bislang 52 Entsorgungsverträge abgeschlossen worden. Damit sind rund 10,8 Millionen Einwohner an das duale System angeschlossen. Von diesen Verträgen sind nach Auskunft der Duales System Deutschland GmbH zwei unmittelbar mit Kommunen bzw. von kommunal betriebenen Gesellschaften abgeschlossen worden. 11 Entsorgungsverträge sind mit Entsorgungsunternehmen abgeschlossen worden, in denen sich Kommunen und private Entsorgungsunternehmen zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen haben. Derzeit zeichnet sich deutlich der Trend ab, daß Kommunen entweder als alleinige oder zumindest als beteiligte Vertragspartner mit der Duales System Deutschland GmbH Entsorgungsverträge abschließen wollen. Ziel ist es nach Auskunft der DSD, bis Ende des Jahres möglichst für alle entsorgungspflichtigen Körperschaften Entsorgungsverträge abzuschließen.
Zusatzfrage.
Halten Sie es angesichts des von Ihnen genannten Anteils der angeschlossenen Bevölkerung als auch der Zahl der abgeschlossenen Verträge nicht für bedenklich, daß in sehr vielen Supermärkten Produkte mit dem sogenannten Grünen Punkt auch dort angeboten werden, wo überhaupt kein duales System besteht? Das bedeutet ja dann eine Täuschung durch die Verkäufer.
Frau Kollegin, es liegt in der Natur der Sache, daß in dieser Aufbau- und Übergangszeit solche Probleme entstehen. Es ist immer darauf hingewiesen worden, daß mit dem Grünen Punkt keine irreführende Werbung unternommen werden soll. Der Grüne Punkt zeigt an, daß die Finanzierung über das duale System läuft. Nach der Aufbauphase werden sich die Probleme, die Sie andeuten, von selbst lösen.
Zweite Zusatzfrage.
Ich kann das nicht so sehen. Es ist ja nicht nur einfach so ein grüner Punkt, sondern auch noch ein Pfeil, und außerdem steht da etwas von Recycling. Wir wissen ja nun, daß bei einer ganzen Reihe von Stoffen, selbst wenn das DSD irgendwo besteht, ein Recycling nicht geschieht, weil wir überhaupt nicht die Möglichkeiten und die Kapazitäten haben, z. B. im Kunststoffbereich. Finden Sie nicht, daß das doch eine irreführende Werbung ist?
Nach den Vorschriften der Verpackungsverordnung sind Hersteller und Vertreiber verpflichtet, diese Verpackungsmaterialien zurückzunehmen, wiederzuverwenden oder einer stofflichen Verwertung zuzuführen. Im Falle der wirtschaftlichen Entsorgung im Rahmen der dualen Systeme sind Dritte in dieser Pflicht. Es gibt bis jetzt keine Erkenntnisse, daß die entsorgungspflichtigen, verwertungspflichtigen Unternehmen die Regelungen unserer Verpackungsverordnung verletzt haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stehen Sie dann zu Berichten des „Spiegel", daß beispielsweise das Kunststoffrecycling überhaupt nicht funktioniert und derzeit nur 5 % der Kunststoffe erfaßt werden?
Ich darf darauf hinweisen, Frau Kollegin, daß die Verpackungsverordnung, soweit Verpackungen betroffen sind, erst vom 1. Januar 1993 an im Rahmen des dualen Systems wirksam wird und daß im Augenblick hier nur Maßnahmen bei der Entsorgung, also bei der Rückführung, Wiederverwertung von Transportverpackungen, in Frage kämen, die vom 1. Dezember 1991 an den Vorschriften der Verpackungsverordnung unterworfen sind. Es liegen keine Tatsachen vor, die darauf hindeuten, daß es zu Verletzungen der Regelungen gekommen ist.
Zusatzfrage des Kollegen Müller.
Herr Staatssekretär, wenn nach Meinung von Fachleuten auch aus der Wirtschaft heute schon erkennbar ist, daß die Verwertung auch mangels Bedarfs nicht geleistet werden kann - und dies bei bereits abgeschlossenen Verträgen für 10 Millionen Einwohner -, wie ist dann nach Meinung der Bundesregierung ein Bedarf zu schaffen und die Entsorgung zu regeln, wenn diese einmal, wie man das ja will, flächendeckend sein soll?
Herr Kollege, wir sind am Beginn des Aufbaus eines grundlegend neuen Abfallwirtschaftssystems. In dieser Phase, in der natürlich zwangsläufig Probleme auftreten und Fragen noch unbeantwortet sind - gerade im Hinblick auf die stoffliche Verwertung von Kunststoffabfällen -, scheint es mir nicht angezeigt, Spekulationen über das Scheitern des gesamten Systems anzustellen. Solche Spekulationen können die Beteiligten am Markt nur entmutigen.
({0})
Wir sind uns alle darüber einig, daß das System nur dann erfolgreich sein kann, wenn sich alle Beteiligten, Hersteller, Handel und Konsumenten, motiviert und engagiert beteiligen und an diesem System mitwirken. Ich bitte Sie, natürlich genau zu beobachten, aber zunächst einmal Ihre Spekulationen und Kritik zurückzustellen, bis das System richtig angelaufen ist.
Noch eine letzte Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir recht geben, daß man es durchaus als eine Art vorauseilenden Gehorsam der Industrie bezeichnen könnte, wenn heute schon Umverpackungen, die erst zum 1. April 1992, bzw. Verpackungen,
Ulrich Klinken
die zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt einer stofflichen Wiederverwertung zugeführt werden müssen, mit dem Grünen Punkt gekennzeichnet werden und zu einem gewissen Prozentsatz auch stofflich verwertet werden?
Dr. Paul Laufs, Pari. Staatssekretär: Es ist richtig, Herr Kollege Klinkert, daß sich die Wirtschaft auf die Anforderungen der Verpackungsverordnung schon umfassend einstellt. Diese Wirkung ist erwünscht, und wir begrüßen sie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde.
({0})
- Wir haben die Zeit für die Fragestunde bereits überschritten. Deswegen kann ich keine weiteren Fragen mehr zulassen.
Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Verheugen, Dr. Uwe Holtz, Norbert Gansel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reform der Vereinten Nationen - Drucksache 12/1719 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({1})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Günter Verheugen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben dem Antrag, der heute zu beraten ist, in bewußter Untertreibung die Überschrift „Reform der Vereinten Nationen" gegeben. Hinter dieser bescheidenen Bezeichnung steckt aber ein anspruchsvolles Vorhaben, mancher wird sagen: ein utopisches oder sogar ein unmögliches. Wir sind uns der Schwierigkeiten, die der praktischen Verwirklichung unserer Vorschläge entgegenstehen, absolut bewußt. Aber soll man einfach resignieren, wenn eine Aufgabe besonders schwierig ist?
Ich finde, daß man sich zwei Fragen stellen muß: Erstens, ist eine Reform der Vereinten Nationen nötig, und zweitens, ist sie möglich? Mit beiden Fragen will ich mich jetzt beschäftigen.
Wenn man Reform der Vereinten Nationen versteht als ein Programm zur Steigerung ihrer Effizienz in der gegebenen Struktur, dann ist die Notwendigkeit ganz unumstritten. Die Vorschläge dazu füllen ganze Bibliotheken. Wenn man Reform der Vereinten Nationen aber versteht als Voraussetzung zur Schaffung einer stabilen, gerechten und friedlichen Weltordnung, dann läuft man Gefahr, der politischen Naivität bezichtigt zu werden. Ich kann das aber nur schwer verstehen.
Vor einem Jahr noch - Sie werden sich erinnern - war das Wort von der neuen Weltordnung in aller Munde. Die Rolle der Vereinten Nationen bei der Lösung schwieriger regionaler Konflikte und vor allen Dingen in der Golfkrise hatte die Hoffnung wachsen lassen, die Vereinten Nationen könnten das Zentrum, das politische Kraftfeld dieser neuen Weltordnung sein.
Nötig ist sie ja. Der Zusammenbruch der kommunistischen Staatenwelt mit seinen Auswirkungen bis in die letzten Winkel unseres Planeten bedeutet ja nicht, daß wir in eine Phase größerer Stabilität und größerer Sicherheit eingetreten wären; eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Die alte, vom Antagonismus zweier Blöcke bestimmte Weltordnung ist untergegangen - uns Deutschen hat das, nicht zu vergessen, die Einheit beschert -, und eine Neuordnung ist nicht in Sicht.
Wir befinden uns in einer Übergangsphase, von der wir nicht wissen, wohin sie uns führt. Aber wir sollten versuchen, uns darüber klar zu werden, wohin wir wollen. Wir sollten das Ende der Blockkonfrontation als Chance begreifen. Wir sollten begreifen, daß das friedliche Zusammenleben der Völker - mehr und mehr Menschen sagen ja: das Überleben der Menschheit überhaupt - bedroht ist von schnell wachsenden globalen Gefahren. „Verelendung", „Flüchtlingsströme", „Umweltzerstörung", „Ressourcenvergeudung", „Krieg" und „Bürgerkrieg" heißen die wohlbekannten Stichworte. Wir alle kennen sie. Aber was tun wir?
Wir wissen auch schon lange, daß wir auf keiner Insel der Seligen leben. In der ökologischen Krise sind wir Täter und Opfer zugleich. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht auf der Welt, das auch unseren Wohlstand begründet, setzt eine Völkerwanderung in Gang, deren Vorboten bei uns angekommen sind. Und wer glaubt, er könnte dem mit Änderungen unseres Asylrechts beikommen, der hat es nicht begriffen. Fluchtursachen müssen bekämpft werden, nicht Flüchtlinge.
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Was wir hier sehen müssen, ist dies: Es hat wenig Sinn, moralisierend über den Lauf der Welt zu klagen, sondern unser ureigenstes Interesse gebietet es, diesen Lauf, den ich nur als selbstmörderisch bezeichnen kann, zu verändern. Wir müssen es aussprechen, daß auch die Deutschen auf Dauer nur in Frieden und Wohlstand leben können, wenn wir unseren Beitrag dazu leisten, daß alle Völker es können. Und welches andere Instrument haben wir dazu als die Vereinten Nationen?
Es wäre ein anderes Modell denkbar: Die Reichen auf der Erde schließen sich zu einem Schutzbündnis zusammen und verteidigen ihren Wohlstand am schlechten Ende dann mit militärischer Gewalt. Dieselbe Frage stellt sich auch für die Neuordnung Europas. Und hier sind wir uns offensichtlich schon
einig, daß wir keine neue Spaltung Europas, diesmal in Arm und Reich, haben wollen.
Es ist wohl so, daß nur die Völkergemeinschaft zusammen die Probleme bewältigen kann, die uns alle bedrängen. Dazu reichen die Vereinten Nationen in ihren heutigen Strukturen und ihren heutigen Möglichkeiten nicht aus. Für mich gibt es allerdings auch keinen Zweifel, daß die Reform der Vereinten Nationen im Sinne von Verbesserung und Weiterentwicklung notwendig ist - wirklich und wahrhaft lebensnotwendig.
Das Haupthindernis für eine durchgreifende Reform der Vereinten Nationen sind die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Organisation und zwischen ihren Mitgliedern. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, die heute eine Art Weltdirektorium bilden, haben andere Interessen als alle übrigen, die Industriestaaten andere als die Entwicklungsländer, große Staaten andere als kleine.
Es wird darauf ankommen, denjenigen, die in erweiterten Einwirkungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen in erster Linie Interventionsrechte der mächtigen Staaten sehen, die die Gefahr eines Super-Imperialismus an die Wand malen, einen Weg zu zeigen, der dieses vermeidet.
Dieses wäre einfacher, wenn die Vereinten Nationen zugleich mit der Reform auch demokratisiert werden könnten. Aber das setzt demokratische Strukturen in allen Mitgliedsländern voraus, und die haben wir nicht. Es wird also viel Überzeugungsarbeit nötig sein, gerade auch bei jüngeren Staaten, die ihre Souveränitätsrechte wie einen Augapfel hüten.
Ein weiteres Hindernis ist die Zusammensetzung des Sicherheitsrates. Wenn er weitergehende Zuständigkeiten erhalten soll - und das sollte er -, wird er in seiner Struktur verändert werden müssen. Die ständigen Mitglieder sind von dieser Idee nicht begeistert, weil sie eine Schmälerung ihres Einflusses befürchten. Mit diesem Problem wird sich mein Kollege Dr. Brecht noch besonders beschäftigen.
Ich will hier nur soviel sagen: Neue Aufgaben der Vereinten Nationen bedeuten neue Lasten für die Gruppe von Staaten, die den Hauptanteil der UN-Finanzierung leisten. Diese Staaten werden ohne entsprechende Einflußmöglichkeiten dazu nicht bereit sein. Ich spreche noch nicht einmal von uns, aber z. B. von Japan.
UN-Experten erklären fast übereinstimmend, die Reform der UN in unserem Sinn sei nicht möglich, wenn dazu Änderungen der Charta notwendig wären, und warnen davor, eine Büchse der Pandora zu öffnen. Ich meine, daß man sie sehr wohl geschlossen lassen kann, diese Büchse. Denn die Vereinten Nationen können sehr flexibel sein, wenn es anders nicht geht. Ihre erfolgreichsten politischen Aktivitäten, die friedenserhaltenden Maßnahmen, sind in der Satzung überhaupt nicht erwähnt. Es läßt sich vieles unterhalb der Ebene der Satzungsänderung erreichen. Ich gehe auch nicht davon aus, daß es möglich wäre, die Reform der Vereinten Nationen in einem großen Wurf zu erreichen. Es muß punktuell vorgegangen werden, und manches kann auch sehr lange dauern.
Wir machen hier eine Reihe von Vorschlägen, die andere schon vor uns gemacht haben. In einzelnen Bereichen gibt es schon Initiativen, sogar schon Ergebnisse, auch solche, die von der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen sind, z. B. wirksamere Koordinierung des Katastrophenschutzes oder Transparenz des Waffenhandels. Damit habe ich zum erstenmal zu tun gehabt, als ich im Jahre 1975 im Auswärtigen Amt war. Katastrophenschutz und Waffenhandel zeigen, daß die bisherigen Ergebnisse entweder nicht ausreichen oder daß ihnen die nötige Verbindlichkeit fehlt.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein Wort zur besonderen Aufgabe unseres Landes in den Vereinten Nationen sagen. Wir diskutieren seit einiger Zeit die Frage, wie die außenpolitische Rolle der Bundesrepublik Deutschland nach der Einheit eigentlich aussehen müßte. Ob wir es wollen oder nicht, von uns wird erwartet, daß wir mehr Verantwortung und auch mehr Lasten übernehmen. Ganz sicher können wir das nicht einfach auf die UN-Ebene abschieben. Wir können aber eine deutsche Initiative zur Reform der UN als eine konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik darstellen, die auf Frieden, Kooperation und Entspannung angelegt ist.
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Die Diskussion dieser Frage ist in meinen Augen zu sehr zugespitzt worden auf die deutsche Beteiligung an militärischen Maßnahmen der UNO. Das heißt nun wirklich, den letzten Schritt vor dem ersten tun zu wollen. Viel wichtiger als der Einsatz militärischer Mittel ist es, den Vereinten Nationen die Rechte und die Instrumente zu geben, die sie brauchen, um eine krisenvorbeugende und krisenentschärfende Politik zu betreiben. Wir glauben nicht, daß die Risiken, die den Weltfrieden bedrohen, mit militärischen Mitteln beseitigt werden können. Es gibt aber einen Bereich, wo sich militärische und zivile Komponenten zunehmend ergänzen: die friedenserhaltenden Operationen, bekannt als Blauhelmeinsätze.
Auf der zivilen Seite, die im großen Stil beim Unabhängigkeitsprozeß Namibias eingeführt wurde und demnächst in Kambodscha noch stärker werden wird, stehen unserer Mitwirkung keine Hindernisse entgegen. Um so bedauerlicher übrigens, wenn, wie im Fall der UN-Beobachtermission in Mittelamerika, die wichtige deutsche Beteiligung von heute auf morgen wegen eines vergleichsweise lächerlichen Betrags beendet wird.
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Auf der militärischen Seite bleibt meine Fraktion dabei, daß wir die Beteiligung der Bundeswehr an friedenserhaltenden Einsätzen der UNO für richtig halten und dazu eine Grundgesetzänderung wollen. Mehr ist von uns nicht zu haben, und mehr wird auch nicht verlangt, denn mit der Aufstellung von UNO-Kampftruppen und UNO-Oberbefehl ist in Wahrheit auch in Zukunft nicht zu rechnen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: In einer sich rapide verändernden und sich selber bedrohenden Welt brauchen wir einen neuen Begriff von Sicherheit. Sicherheit ist keine verteidigungspolitische Kategorie allein, und Frieden - das wissen wir schon lange - ist
mehr als Abwesenheit von Krieg. Kein Volk kann Sicherheit und Frieden auf Dauer auf sich allein gestellt finden. Wir sollten versuchen, die engen Grenzen einer nationalstaatlich ausgerichteten Außenpolitik zu überwinden. In Europa sind wir schon auf dem Weg. Dieser Weg muß auch global beschritten werden. Wir wollen eine Außenpolitik, die eine Weltinnenpolitik möglich macht.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Christian Ruck das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung nach einer Reform der Vereinten Nationen ist wohl so alt wie die UNO selbst, aber zum ersten Mal sehen wir mit einiger Berechtigung auch realistische Chancen für tiefgreifende Reformschritte. Das Ende des Ost-West-Konflikts hat zwar vielleicht die Summe der Probleme dieser Erde nicht verringert, aber den politischen Blick weitgehend entideologisiert und führt immer mehr Politiker und Staaten zu Gesprächen zusammen, in denen Lösungen in der Sache gesucht werden und im Vordergrund stehen. Dies ist wahrhaftig ein geeigneter Nährboden für die Weiterentwicklung der weltumfassenden politischen Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. Wir Deutsche sollten - mit unserem gestiegenen Einfluß und unserer größeren Verantwortung - mithelfen, diese günstige Stunde zu nützen, um den Spielraum der UNO bei der Bewahrung oder Wiederherstellung von Frieden, Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Gleichgewicht weltweit zu erhöhen.
Wir sollten jedoch bei der Formulierung konkreter politischer Vorhaben aus dem Bundestag heraus auch Augenmaß zeigen und nicht überwiegend nur wünschenswerte Idealvorstellungen entwerfen.
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So habe ich viel Sympathie für Vorschläge des SPD-Antrags nach Abschwächung des Vetorechts im Sicherheitsrat, nach Gruppenvertretungsrechten, nach sanktionsfähigen Menschenrechts- oder Umweltgerichtshöfen oder auch für ein internationales Gewaltmonopol der UNO. Konkrete Veränderungen werden wir damit allerdings, so fürchte ich, in absehbarer Zeit nicht erreichen. Alle zu Rate gezogenen Fachleute haben z. B. eine Änderung der UNO-Charta derzeit für vollkommen unrealistisch gehalten, und sie werden auch bestätigt durch die Vorgänge in New York, z. B. während des jugoslawischen Bürgerkrieges.
Dringlich wäre natürlich auch eine vollständige Erfüllung von verpflichtenden oder freiwilligen Beitragszahlungen. Besonders ärgerlich sind die Außenstände, z. B. bei den peace-keeping-Kosten. Solange dazu jedoch kein von allen abgesegneter Sanktionsmechanismus vereinbart werden kann, bleibt auch diese Forderung fürs erste leider nur ein frommer Wunsch.
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- Und zwar kräftig!
Ich möchte daher eher dazu auffordern, daß wir in den Diskussionen um die UN-Reform zwar durchaus auch Visionen formulieren sollten, aber den Schwerpunkt unserer Bemühungen auf Vorschläge richten, die allgemein verhandlungsfähig und zumindest mittelfristig auch durchsetzbar sind. Dazu gehören meines Erachtens die Reorganisation des Generalsekretariats, die Straffung der Gesamtorganisation oder auch eine verbesserte internationale Katastrophen-hilf e.
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Hier sind ja seit 1986 Fortschritte erzielt worden, die jedoch bei weitem nicht ausreichen.
In dem für internationale Weisheit und Tatkraft so wichtigen Jahr der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung sollten wir uns vor allem auch darauf konzentrieren, wie die umwelt- und entwicklungspolitischen Systeme der UNO entschlackt, gestrafft, effizienter gestaltet und schließlich auch personell und finanziell besser ausgestattet werden können.
Über 30 verschiedene Organisationen und zahlreiche Sonderfonds streiten sich um die ohnehin schon schmalbrüstigen UNO-Entwicklungsgelder, weitgehend urkoordiniert, oft mit fragwürdigen personalpolitischen Altlasten aus der Zeit des Kalten Krieges befrachtet, mit schwacher Stellung gegenüber effizienteren nationalen oder internationalen Einrichtungen.
Hier lohnt es sich, mit Reformvorschlägen sehr konkret zu werden. Nehmen wir nur das Beispiel des UN-Umweltprogrammes UNEP, das zwar in der Tat finanziell und personell gestärkt werden müßte, aber darüber hinaus weitere Reformen nötig hätte, als da beispielsweise sind: klare Aufgabenabgrenzung und -begrenzung als umweltpolitisches Koordinations-, Frühwarn- und Wissenschaftszentrum ohne eigenen Vollzugsaufbau, weil das andere, bestehende Organisationen besser können; Personaleinstellung nach vorgegebenen Leistungskriterien; ständig anwesendes, kleines Direktorium; ausgeglichene Mischfinanzierung aus Pflicht- und freiwilligen Beiträgen; formale Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte in allen umweltrelevanten UNO-Gremien sowie in regionalen und überregionalen Entwicklungsbanken; jährliches Koordinationstreffen der UNEP mit allen wichtigen internationalen Umwelt- und Entwicklungseinrichtungen, und zwar auf Chefebene unter Leitung des Generalsekretärs; jährliches Treffen der Umwelt- und Entwicklungsminister mit UNEP.
Solche oder ganz ähnliche Anforderungsprofile sind für alle wichtigen UN-Gremien zu erstellen. Nur so ließen sich deren Effizienz steigern, Doppelarbeit vermeiden, Überflüssiges abstreifen,. und nur so wäre den wichtigen Anliegen, z. B. von UNEP oder auch UNESCO, mehr Geltung zu verschaffen.
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Abgesehen davon ließe sich auch nur so eine bessere finanzielle Ausstattung begründen, wie sie ja auch die SPD fordert.
Fast noch wichtiger als der finanzielle ist jedoch der personelle und intellektuelle Beitrag für die UN. Die UN braucht qualifiziertes Personal. Unser Beitrag dazu könnte, um es vorsichtig zu formulieren, ruhig höher ausfallen. Dies gilt im übrigen für alle internationalen Organisationen.
Auch hier könnten wir als deutsche Abgeordnete bald Konkretes unternehmen, wenn wir z. B. auf einen deutlichen Karrierebonus hinwirkten, den deutsche Mitarbeiter nach einem zeitweiligen Aufenthalt in der UN bei ihrer Rückkehr in unsere Verwaltungen erhielten.
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In der Praxis ist das Gegenteil der Fall.
Mehr qualifizierte deutsche Mitarbeiter bei den Vereinten Nationen nützten nicht nur der Sache im Ausland; die gesammelten Erfahrungen in internationalen Gremien sind ja auch eine wesentliche Bereicherung unserer deutschen Verwaltungen.
Ich würde mich freuen, wenn wir solche konkreten Verbesserungsvorschläge für die Arbeit der UNO vor Ort und bei uns gemeinsam vertreten könnten.
Umgekehrt halte ich einen anderen Vorschlag des SPD-Antrags für ebenso umsetzbar - und zwar ohne Charta-Änderung - wie begrüßenswert, nämlich die Einstufung von brutalen Menschenrechtsverletzungen als Friedensgefährdung, die von den Vereinten Nationen operatives Handeln verlangt. Bei dem millionenfachen Mord der Roten Khmer am eigenen Volk hätten wir uns dies alle, glaube ich, gewünscht.
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Allerdings frage ich Sie - und damit möchte ich Sie, Herr Verheugen, ganz konkret ansprechen - und die SPD, wie ernst Sie diese berechtigte Forderung selbst nehmen, wenn Sie den Einsatz von Blauhelmen als wohl äußersten Beitrag Deutschlands zu einem solchen operativen Handeln ansehen.
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Pol Pot hätten Sie mit Blauhelmen nicht beeindruckt, und bei der Lage in Kambodscha würden Sie ihn auch in Zukunft nicht beeindrucken.
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Und das finde ich bedauerlich.
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In solchen konkreten Situationen sollten wir uns, glaube ich, doch überlegen - und Sie kennen unseren Standpunkt dazu -, ob Blauhelme wirklich ausreichen. Meiner Ansicht nach tun sie dies in einigen Fällen eben nicht.
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Meine Damen und Herren, wie auch immer: Ich freue mich auf eine konstruktive Diskussion in den betroffenen Ausschüssen und im Bundestag über die möglichen Ziele und die geeigneten Instrumente einer UNO-Reform, die wir alle wollen. Der vorliegende Antrag der Opposition läßt auf ein anspruchsvolles Niveau dieser Diskussion hoffen. Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Abgeordneten Hans Modrow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UNO, entstanden im Ergebnis des Sieges der Anti-Hitler-Koalition über das faschistische Deutschland, hat dazu beigetragen, die internationalen Beziehungen neu zu organisieren und eine Wiederauflage von Faschismus und Krieg zu verhindern. Sie hat als einmalige Organisation universellen Charakters bei der Erörterung und Lösung globaler Fragen insgesamt viel getan und sich bewährt. Natürlich konnte sie dabei nicht besser sein als jene Mächte, die in ihr das Sagen haben. Sie ist und bleibt aber unverzichtbar für das friedliche Zusammenleben auf unserer Erde.
So stimmen wir der Notwendigkeit der Reformierung der UNO unbedingt zu. Sicher sind ihre grundlegenden Ziele, Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit, unverändert gültig; aber die Lösung der umfassenden Aufgaben zur Bewahrung der Welt gebietet Veränderungen. In diesem Sinne enthält der Vorschlag der SPD interessante und konstruktive Anregungen. Vor allem geht es darum, sicherzustellen, daß im wahrsten Sinne des Wortes die Anstrengungen aller Nationen bei der Lösung der globalen Aufgaben vereint werden. Insbesondere die Vollversammlung muß zu einem echten Beratungs- und Entscheidungsforum werden, von dem größerer Einfluß auf andere UN-Organe ausgeht.
Alle Mitglieder dieser Weltorganisation sind wirklich gleichberechtigt in die Vorbereitung, Entscheidungsfindung und ihre Umsetzung einzubeziehen. Mit Recht wird von vielen Mitgliedern der UNO die Frage nach der Zusammensetzung und Arbeitsweise des Sicherheitsrates gestellt. Demokratisierung der UNO darf nicht nur eine beliebte Vokabel in politischen Sonntagsreden sein, man muß sie wirklich angehen.
Die UNO wurde ursprünglich als globales System kollektiver Sicherheit konzipiert, um das kriegsträchtige System regionaler Militärpakte abzulösen. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wäre nichts dringlicher, als eben diese Seite des UNO-Systems endlich funktionsfähig zu machen. Das muß vor allem präventive sicherheitspolitische Arbeit der UNO umfassen wie ein wirkungsvolles Krisenmanagement. Zugleich muß ihr Mißbrauch, sei es als verlängerter Arm bestimmter Mächte, sei es zur Bemäntelung militärischer Aktionen einzelner Staaten, wirkungsvoll ausgeschlossen sein.
Einen besonderen Stellenwert müssen die Linderung und die Überwindung des Nord-Süd-Gegensatzes, die Schaffung einer gerechten internationalen Wirtschaftsordnung, die Rettung der menschlichen, biologischen und natürlichen Lebensbedingungen, die Beseitigung des Hungers sowie die Einhaltung der Menschenrechte einschließlich der Lösung der Asyl- und Migrationsprobleme einnehmen. Es wäre letztendlich tödlich, würde die daraus resultierende ungeheure Gefahr für die Menschen weiter verdrängt. Natürlich gehören dazu auch neue Instrumentarien. Als Stichwort möchte ich nur nennen: Sicherheitsrat für Umweltfragen, Welthungerrat und Kontrollorgan für das Verbot von Rüstungsexporten.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in diesem Sinne aktiv für eine Reformierung der UNO einzusetzen, und gehen einer, glaube ich, konstruktiven, interessanten Diskussion der von der SPD unterbreiteten Vorschläge entgegen.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Ulrich Irmer das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! Auch wir begrüßen die Debatte über dieses wichtige Thema, die übrigens nur Teil der weltweiten Debatte ist, die über dieses Thema schon begonnen hat. Nicht umsonst hat dieses Haus zu Anfang der Wahlperiode einen eigenen Unterausschuß für Fragen der Vereinten Nationen eingerichtet. Das ist eine wichtige Aufgabe, die dort zu bewältigen sein wird. Der Antrag der SPD wird dorthin überwiesen werden. Wir können dann über die Einzelheiten sprechen.
Ich glaube, es verdient festgehalten zu werden, daß die Vereinten Nationen die Lähmung, von der sie jahrzehntelang befallen war, überwinden konnten. Mit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes sind gänzlich neue Handlungsmöglichkeiten entstanden. Die Weiterentwicklung ist im übrigen auch ohne förmliche Beschlüsse in vollem Gange. Ich erinnere daran, daß durch die Resolution 687 des Sicherheitsrates festgehalten worden ist, daß eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auch durch Vorgänge herbeigeführt werden kann, die sich innerhalb eines Landes abspielen, wenn es z. B. um massive Menschenrechtsverletzungen geht wie seinerzeit in dem Falle der Abschlachtung der Kurden durch den Irak. Ebenso ist in der Resolution 688 zum erstenmal gesagt worden, daß auch die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sein kann.
Diese neuen Entwicklungen in der Praxis ohne förmliche Änderung der Charta begrüßen wir außerordentlich. Die Vereinten Nationen haben gezeigt, daß sie auf diesem Wege ganz entschieden weitergehen wollen, dadurch, daß sie vorgestern abend eine neue, wegweisende Entscheidung getroffen haben. Sie haben nämlich eine Resolution verabschiedet, in der im Streit der USA, der Briten und der Franzosen gegen Libyen in der Frage Terrorismusbekämpfung ganz eindeutig gegen Libyen Partei ergriffen wurde mit der Forderung, die Terroristen, die für die Flugzeugabstürze verantwortlich waren, auszuliefern. Es ist angekündigt worden, daß Sanktionen verhängt werden. Dies ist eine ganz wichtige Entscheidung, deren Bedeutung man nicht unterschätzen sollte. Hier zeichnen sich Möglichkeiten ab, wie ohne Änderung der Charta ganz wesentliche Reformschritte gegangen werden können.
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Ich kann angesichts der kurzen Zeit - wir müssen uns die Redezeit noch immer mit der Regierung teilen, eine Frage, die man im Zuge der Parlamentsreform erörtern sollte ({1})
nicht auf weitere Einzelheiten eingehen. Wir werden die Einzelpunkte, die die SPD in ihren Antrag gepackt hat, in den Ausschüssen eingehend beraten. Ganz unstreitig ist die Notwendigkeit, die Stellung des Generalsekretärs zu stärken, die Stellung des Generalsekretariats zu straffen und die Gesamtorganisation effizienter zu machen. Die Frage nach der Einrichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs und der Einsetzung eines Hochkommissars für Menschenrechte ist eine Uraltforderung von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher.
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Ich freue mich, daß die SPD diese Forderung teilt.
Wir sollten auch einen Generalstabsausschuß einsetzen, wie er in Kap. 7 Art. 47 der UN-Charta vorgesehen ist, damit die UN selbst, wenn es zu bewaffneten Konflikten kommen sollte, handeln kann. Wir sollten ins Auge fassen, daß wir die Möglichkeit ausnützen, Unterorganisationen regionaler Art einzusetzen. Ich meine, es wäre wichtig, darüber nachzudenken, ob sich nicht die KSZE als Unterorganisation der Vereinten Nationen selbst etablieren könnte, um in diesem regionalen Bereich tätig werden und bei der Konfliktlösung helfen zu können.
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Ich bin skeptisch gegenüber dem Verlangen, die Charta zu ändern; denn das scheint im Augenblick unrealistisch zu sein.
Herr Kollege Ruck, Sie gehören ja der CSU an. Ich muß eines sagen: Wer die Diskussion um die Reform der Vereinten Nationen verkürzt auf die Forderung, die Deutschen sollten einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekommen,
({4})
der betreibt Kraftmeierei oder - um es so zu sagen -„Kreuthmeierei"; ich hoffe, ich bin damit wortschöpferisch tätig geworden.
Meine Damen und Herren, jetzt wende ich mich aber an die SPD. Sie stehen vor der schwersten Entscheidung. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich Martin Luther zitieren. Ein Wort in dem Zitat ist möglicherweise unparlamentarisch. Aber es
war in der „Aachener Volkszeitung" abgedruckt. Deshalb traue ich mich, das auch hier zu sagen. Luther hat gesagt: „Auf fremdem Arsch ist gut durchs Feuer reiten. "
Wenn Sie von der SPD hier einerseits eine Stärkung der Vereinten Nationen mit vollem Recht fordern, dann muß ich Ihnen die Frage stellen: Was machen Sie in den Fällen, wo Blauhelmeinsätze nicht mehr ausreichen? - Natürlich sind mililtärische Einsätze immer nur das allerallerletzte Mittel, wenn Konfliktverhütung und friedliche Streitbeilegung nichts mehr helfen. Es gibt doch solche Situationen. Sie können nicht bestreiten, daß es dazu kommen kann. Und dann kommen Sie und verweigern sich. Diese Position müssen Sie ändern.
Ihre Argumentation unter moralischen Gesichtspunkten verfängt auch nicht. Sie waren immer bereit - Respekt! -, selber das eigene Land zu verteidigen und Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Jetzt frage ich Sie: Ist es denn moralisch verwerflicher, einem anderen Bedrängten, der kein Bündnispartner ist, zur Hilfe zu eilen? Ist denn Nothilfe moralisch nicht mindestens so gerechtfertigt wie Notwehr, zu der Sie ja bereit sind?
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Die zweite Frage. Sie sagen immer, deutsche Soldaten haben so viel Unheil über die Welt gebracht. Das ist ja leider richtig, weil deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg von den Naziverbrechern dazu mißbraucht worden sind, die Grenzen zu überschreiten und in einem imperialistischen Angriffskrieg das Völkerrecht brutal zu verletzen.
Aber ich frage Sie: Ist es denn nicht etwas ganz anderes, wenn heute ein demokratisches Deutschland zur Verteidigung internationalen Rechts bereit ist, auch dazu, im äußersten Notfall seine Bundeswehr mit einzusetzen? Wir können uns doch nicht immer auf das moralische hohe Roß setzen und sagen: Das geht uns nichts an; die anderen sollen die Dreckarbeit machen; wir werden dann schon nicht zu knappe Schecks ausstellen.
Meine Damen und Herren von der SPD, mit dieser Argumentation kommen Sie nicht durch. Sie sind hier in ganz schwerem moralischen Zweifel. Ich fordere Sie förmlich auf: Überdenken Sie diese Position. Verweigern Sie sich nicht, die Verantwortung voll wahrzunehmen, die dem vereinigten Deutschland übertragen ist.
Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß eine Reform der Vereinten Nationen sinnvoll, ja, sogar notwendig ist, ist sicher nichts Neues. Das wird von Friedensforschern, von Völkerrechtlern und vielen anderen, nicht zuletzt auch von GRÜNEN und Bürgerbewegungen schon sehr lange gefordert.
Die UN-Strukturen sind im wesentlichen geprägt worden durch die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs, durch den kalten Krieg und die Teilung der Welt in Einflußsphären zweier Supermächte. So berechtigt und notwendig diese Strukturen auch waren, so dringend überholungsbedürftig sind sie angesichts der bedeutsamen Veränderung der politischen Weltlage. Nach der fast explosionsartigen Erweiterung der Weltorganisation infolge der Entkolonialisierung veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse drastisch. Das Prinzip „ein Staat, eine Stimme" wurde seitdem zu einem durchaus ambivalenten Instrument in der Hand der Supermächte oder mitunter auch gegen sie.
Von ähnlich gravierender Bedeutung ist die jüngste globale politische Veränderung, das Ende des Ost-West-Konflikts. In der Tat bietet dieses auch die Chance für die Vereinten Nationen, ihre ursprüngliche Aufgabe der Erhaltung von Balance in Richtung auf eine wirkliche Zusammenarbeit zu entwickeln. Schon deshalb ist es nicht nur im Grundsatz richtig, sondern auch aus der aktuellen Lage ableitbar, das Prinzip des gleichen Stimmrechts für alle Staaten offensiv zu vertreten, und zwar unabhängig von deren wirtschaftlicher oder militärischer Stärke.
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- Wegen meiner kurzen Redezeit will ich jetzt nicht unsere gesamten Vorstellungen einer Reform erläutern; die Zeit habe ich leider nicht. Ich will mich auf einige Bemerkungen zu dem Antrag, der von Ihnen vorgelegt wurde und den wir in seinen wesentlichen Forderungen unterstützen, beschränken.
Der Erfolg der Vereinten Nationen bei der Schlichtung einer Vielzahl von Regionalkonflikten ist unzweifelhaft. Aber dies gilt nicht für den Fall des direkten Interesses einer Großmacht. Da Mehrheitsverhältnisse nicht mit Kräfteverhältnissen identisch sind, nützt dem Generalsekretär ein Alarm- und Beobachtungssystem wenig, wenn die Entscheidungen letztlich doch von den Interessen der militärischen Mächte abhängen. Das Beispiel des Golfkrieges macht das deutlich: Solange die Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär für die Legitimation der Kriegsvorbereitungen gebraucht wurden, spielten sie eine Rolle. Den Angriffsbefehl allerdings gab der Präsident der USA.
Die Frage muß also lauten, wie die Abhängigkeit des Generalsekretärs von den politischen Entscheidungen von Großmächten beseitigt werden kann.
Ziel der Reform sollte die Verbesserung der friedenserhaltenden und friedenssichernden Funktion der Vereinten Nationen sein, ein weiteres Ziel die Durchsetzung des Vorrangs nichtmilitärischer Mittel. Dabei muß die Aufhebung der machtpolitischen Dominanz der nördlichen oder, besser gesagt, der nordwestlichen Industriestaaten im Zentrum der Überlegungen stehen.
Unter diesen Voraussetzungen - und nur unter diesen! - läßt sich dann auch die Frage nach der Beteiligung der Bundeswehr an Friedenstruppen der Vereinten Nationen neu stellen.
Der Schlüssel zur UN-Reform ist zweifellos die Stellung des Sicherheitsrats. Mit dem Ende des kalten Krieges haben sich sozusagen die Geschäftsgrundlagen von Struktur und Mechanismen des Sicherheitsrats prinzipiell verändert. Vor diesem Hintergrund kann und muß es jetzt darum gehen, die Konsequenzen aus diesen Veränderungen zu ziehen. Ich meine damit nichts Geringeres als die Aufhebung des Status der ständigen Mitglieder und ihres Vetorechts zugunsten eines im ganzen periodisch zu wählenden Gremiums, das gegenüber der Generalversammlung verantwortlich bleibt.
Schließlich noch ein Wort zur Reform der Gesamtorganisation und der Unterorganisationen. Nicht nur eine Straffung, sondern auch Schwerpunktsetzungen sind notwendig. So erfordern beispielweise die nur transnational möglichen Versuche zur Lösung der weltweiten Umweltproblematik dringend eine deutliche Aufwertung der entsprechenden Aktivitäten und Institutionen der Vereinten Nationen. - Sie haben, Herr Kollege, vorhin auf die UNEP, auf das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hingewiesen; ich brauche das nicht alles zu wiederholen. Ich möchte nur sagen, daß dieses Thema neben dem ökonomischen und zivilen Aspekt auch noch einen sicherheitspolitischen Aspekt hat. Solange eine Reihe von Staaten, darunter Mitglieder der NATO, nicht einmal das Umweltkriegsübereinkommen ratifiziert haben, wird die Wirksamkeit derartiger Initiativen und Reformversuche begrenzt bleiben müssen.
({1})
Die Bundesrepublik sollte im Sinne der Neuorientierung und Reform der Vereinten Nationen ein besonderes Engagement entwickeln. Das wäre eine schwierige, aber auch angemessene und lohnende Aufgabe für das vereinigte Deutschland.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt Helmut Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr 1992 wird - das ist schon jetzt absehbar - ein Jahr großer Herausforderungen auch für die Vereinten Nationen. Mit der Wahl von Dr. Butros Ghali zum Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde eine Persönlichkeit berufen, der wir die Tatkraft und Entschlossenheit zutrauen, die Weltorganisation mit Erfolg zu führen und die notwendigen Schritte einzuleiten - über die ja heute hier gesprochen wird -, um die UN zu einem schlagkräftigeren Instrument zu machen, das diesen Herausforderungen gerecht wird.
Die Bundesregierung hat die Wahl von Dr. Butros Ghali nachdrücklich begrüßt. Die Arbeit der Vereinten Nationen kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, hierzu finanziell durch Bereitstellung von qualifiziertem Personal und durch konstruktive politische Impulse beizutragen, nicht nur nicht nachläßt, sondern mit den gestiegenen Erwartungen wächst.
Hierzu sind neues Verständnis und vertieftes Engagement für die Vereinten Nationen notwendig. Das gilt auch und in besonderem Maße für Deutschland,
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das - ich darf das hier mit einem gewissen Stolz sagen; aber mancher im Lande wird es nicht gerne hören - nach der Auflösung der Sowjetunion demnächst der drittgrößte Beitragszahler zum regulären Haushalt der Vereinten Nationen sein wird.
Meine Damen und Herren, um den Herausforderungen der neuen Zeit gerecht werden zu können, müssen die Vereinten Nationen besser gerüstet sein. Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu leisten, die UN stärker und wirksamer zu machen.
Die Reform des Systems der Vereinten Nationen steht auf der Tagesordnung wichtiger Gremien innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen. Ich erinnere nur daran, daß der Weltwirtschaftsgipfel in London im Juni vergangenen Jahres die Stärkung und Reform der Vereinten Nationen als Anliegen von absoluter Priorität bezeichnet hat. Die Stockholmer Initiative vom 22. April vorigen Jahres enthält ebenfalls wichtige Anregungen und Gedanken.
Unser gemeinsames Anliegen muß es sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Vereinten Nationen bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und bei der Überwindung von Hunger, Not und Elend, die mehr und mehr Ursache von Flüchtlingsströmen ist, bei der Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen durch die Unterstützung regionaler Abrüstung in allen Teilen der Welt und bei der Beschränkung des weltweiten Rüstungsexports stärker mitwirken können. Die Verhinderung der Weiterverbreitung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen ist eine zentrale Aufgabe, die die Weltgemeinschaft lösen muß.
Durch die Veränderungen der weltpolitischen Lage, vor allem die Auflösung des West-Ost-Gegensatzes, hat der Sicherheitsrat - darauf ist hier schon mehrfach hingewiesen worden - eine ganz neue Handlungsfähigkeit gewonnen.
Die gewachsene Bedeutung des Sicherheitsrats hat aber auch zu einer Diskussion darüber geführt, ob seine Zusammensetzung noch zeitgemäß ist. Die Bundesregierung hat sich ganz bewußt an dieser Diskussion nicht beteiligt.
({1})
Sowohl eine Änderung der Zusammensetzung des Sicherheitsrats wie auch die Einschränkung des Vetorechts würden eine Satzungsänderung erfordern. Reformansätze, die eine Änderung der Charta der Vereinten Nationen erforderlich machen, sind aber - das wissen wir - auf kurze und mittlere Sicht nur sehr schwer zu verwirklichen. Vor allem unsere Partner im Sicherheitsrat befürchten, daß die Diskussion über eine Änderung der Charta eine Art Büchse der Pandora öffnen und zu Initiativen führen könnte, die der Effizienz der Weltorganisation nicht förderlich wären. Dem wollen wir nicht Vorschub leisten.
In Maastricht haben sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft auf eine stärkere Koordinierung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik geeinigt, auch darauf, daß sich die im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertretenen Mitglieder der Union für die gemeinsamen Standpunkte einsetzen. Wir hoffen das und wünschen das.
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Die Einnahme des Sitzes der aufgelösten Sowjetunion im Sicherheitsrat durch die Russische Föderation begrüßen wir als pragmatische Lösung im Sinne der Kontinuität seiner Arbeitsfähigkeit.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung tritt schon seit Jahren für eine Stärkung der Position des Generalsekretärs der UN ein. Sie hat nachdrücklich gefordert, daß dem Generalsekretär bei der Verhinderung von Konflikten ein selbständiges, eigenes Mandat zukommt, neben dem Sicherheitsrat tätig zu werden.
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In mehreren von der Bundesregierung initiierten Resolutionen hat sich die Generalversammlung diese Haltung der Bundesregierung inzwischen zu eigen gemacht.
Wir teilen auch die Auffassung, daß das Sekretariat der Vereinten Nationen klarer und besser strukturiert werden und eine effiziente Leitungsebene unterhalb des Generalsekretärs erhalten sollte.
Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen haben sich als - das kann man heute, glaube ich, ohne Übertreibung sagen - die erfolgreichsten Instrumente zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit erwiesen. Obwohl sie nicht satzungsmäßig verankert sind - ich glaube, das muß auch nicht so sein -, sind sie inzwischen unumstritten und allgemein akzeptiert.
Die Bundesregierung tritt dafür ein, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Deutschland die Vereinten Nationen in diesem wichtigen Tätigkeitsfeld stärker als bisher unterstützen kann. Das gilt für alle Rechte und Pflichten der Charta einschließlich der Maßnahmen der kollektiven Sicherheit. Mein Kollege Ulrich Irmer hat ja heute in einer temperamentvollen Form deutlich gesagt, was damit gemeint ist und womit sich die SPD intern weiter befassen wird.
Die Bundesregierung teilt auch die Auffassung, daß eine Überprüfung des Systems der Vereinten Nationen mit dem Ziel der Vermeidung von Doppelarbeit und von Reibungsverlusten im Wirtschafts- und Sozialbereich notwendig ist. Sie hat dahin gehende Reformen konstruktiv unterstützt. Eine effektive Koordinierung des Gesamtsystems durch den ECOSOC und den UN-Unterorganisationen durch das Sekretariat ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für eine effizientere Arbeit des UN-Systems.
Änderungen im System der Vereinten Nationen sollen zum Nutzen aller ihrer Mitgliedstaaten sein. Ich glaube, Herr Holtz wird mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Rolle der Entwicklungsländer in der Weltorganisation nicht geschwächt werden darf.
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- Vielen Dank. Ich habe Herrn Holtz als den Vorsitzenden eines wichtigen Ausschusses besonders angesehen.
In vielen Bereichen internationaler Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen ist die Entwicklung bereits weiter fortgeschritten - ich darf das heute sagen -, als dies im Antrag der SPD zum Ausdruck kommt. Dies gilt insbesondere für die Verbrechensbekämpfung, die Bekämpfung des internationalen Waffenhandels, die Herstellung von Transparenz bei Rüstungsexport und Rüstungsproduktion, bei vertrauensbildenden Maßnahmen und der Stärkung der Vereinten Nationen bei der Koordinierung der humanitären Hilfe in Katastrophenfällen.
Meine Damen und Herren, unsere heutige Debatte kann nur erste Anstöße für die überfällige Reform einzelner Bereiche in der Organisation der Vereinten Nationen geben. Ich begrüße es für die Bundesregierung, daß der Deutsche Bundestag mit der Einrichtung des Unterausschusses „Vereinte Nationen/Weltweite Organisationen" ein Gremium berufen hat, in dem die Diskussion kompetent und vertieft weitergeführt werden kann. Die Bundesregierung vertraut - wie immer - darauf, auch künftig bei der Gestaltung ihrer Politik im Rahmen der Vereinten Nationen die Unterstützung des Deutschen Bundestages zu finden.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist Abgeordneter Dr. Eberhard Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 40 Jahre DDR haben in mir die Fähigkeit des Träumens fast erstickt. So sehr habe ich mich durch die scheinbar unabwendbare politische Wirklichkeit domestizieren lassen. Das Jahr 1989 gab mir schließlich meine Träume zurück. Seitdem wehre ich mich wieder und wieder gegen das Argument einer geringen Wahrscheinlichkeit von Utopien, das ich von realpolitischen Bedenkenträgern in der UN-Reformdebatte auch heute immer wieder zu hören bekomme. Denn, meine Damen und Herren, Politik besteht nun einmal nicht in der Kapitulation vor Widerständen, sondern gerade in deren geduldigem Abbau.
Wenn im Antrag meiner Fraktion eine veränderte Zusammensetzung des Sicherheitsrats gefordert wird, so ist dies keine tagespolitische Forderung, sondern eine Vision, deren künftige Verwirklichung angesichts einer veränderten Welt unabweisbar geworden ist. Die USA und in stärkerem Maße Rußland werden angesichts wachsender wirtschaftlicher und sozialer Probleme im eigenen Land ihre direkte außenpolitische und militärische Präsenz begrenzen müssen. Um ihre Einflußnahme dennoch zu sichern,
werden sie bei künftigen Konfliktsituationen verstärkt UN-Operationen präferieren und dabei auch zusammenarbeiten.
Die Länder der Dritten Welt hingegen, die mitunter von der bipolaren Weltordnung profitierten, befürchten daher die Hegemonie eines nunmehr befriedeten Weltdirektoriums. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer erlebten den Golfkrieg als einen Kreuzzug der vereinten Ersten und Zweiten Welt gegen die Dritte Welt.
Wenn diese Befürchtungen nicht ernst genommen werden, wenn also das Gewicht dieser Länder im Weltsicherheitsrat nicht vergrößert wird, ist mit einer Blockierung multilateraler Initiativen durch die Dritte Welt zu rechnen.
({0})
Schließlich wird auch ein wirtschaftlich so potentes Land wie Japan auf Dauer nicht bereit sein, das Haus der Vereinten Nationen stark zu alimentieren, ohne gleichzeitig dessen Wohnzimmer betreten zu dürfen.
Wie könnte nun eine neue Zusammensetzung des Sicherheitsrats aussehen? Der italienische Außenminister schlug die Größe eines Landes, dessen Bevölkerungszahl und sein Bruttosozialprodukt als Kriterien für eine permanente Mitgliedschaft im Sicherheitsrat vor. Demnach wären die USA, Rußland, Japan, China, Nigeria, Indien, Brasilien, Kanada oder Australien und schließlich Europa geeignete Kandidaten für einen ständigen Sitz in diesem UN-Gremium.
Die CDU/CSU/FDP-Koalition ist gegenwärtig damit beschäftigt, über die Fragen eines ständigen Sitzes eines vereinten Deutschland im Sicherheitsrat zu streiten. Herr Irmer hat schon darauf hingewiesen. Während nämlich die CSU-Landesgruppe in ihrem Kreuther Beschluß eine eigene Stimme zur Wahrung deutscher Interessen erwägt, einige deutsche UN-Diplomaten das sogar ausdrücklich fordern, erklären der Bundeskanzler und der Außenminister jetzt endlich öffentlich ihren Verzicht.
({1})
Für die SPD sage ich: Wir stehen zu einer gemeinsamen europäischen UN-Politik. Wir treten für einen ständigen EG-Sitz im Sicherheitsrat ein. Auch wenn die Regierungen in London und Paris auf ihrer ständigen Mitgliedschaft offiziell noch bestehen, so setzt sich doch auf der parlamentarischen Ebene in diesen Ländern langsam die Erkenntnis durch, daß dieses Relikt der Nachkriegsordnung durch eine Änderung der Charta einer zeitgemäßeren europäischen Option weichen muß. Das jedenfalls ist der Eindruck, den ich beim ersten weltweiten Treffen der mit der UNO befaßten Parlamentarier in Tokio gewonnen habe.
Ich weiß: Eine Reform der UNO und insbesondere eine Erneuerung des Sicherheitsrats ist von heute aus gesehen nicht gerade wahrscheinlich. Wenn wir aber die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform einmal eingesehen haben, dürfen wir Parlamentarier nicht einfach resignieren und uns auf tagespolitische Geschäftigkeit und Routine beschränken. Unser
Antrag zur UNO-Reform, der inhaltlich durch die Stockholmer Initiative weitgehend unterstützt wird, darf als ein solcher Impuls verstanden werden.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Leni Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf der Debatte haben wir viel gehört über das Für und Wider neuer VN-Strukturen, über Notwendigkeiten, Möglichkeiten, Chancen und Risiken. Ich denke, das kann nur ein Einstieg in eine sehr viel gründlichere Beratung sein, die wir dann in den Ausschüssen vornehmen werden.
Mir ist eines besonders wichtig: Bisher wurden in der deutschen Öffentlichkeit Fragen, die die Vereinten Nationen betreffen, selten diskutiert, meistens nur in Fachgremien und von Spezialisten. Ich finde schon, das muß sich ändern, indem wir in unserer politischen Arbeit und in den täglichen Diskussionen stärker als bisher auch von uns aus auf die Vereinten Nationen und ihre Struktur hinweisen und auch versuchen, die Öffentlichkeit für diese Themenbereiche zu interessieren.
Damit geht auch einher, daß wir uns angesichts einer von Grund auf veränderten Welt, in der die Vereinten Nationen im Mittelpunkt neuer Erwartungen der Menschheit im Hinblick auf Friedenssicherung stehen, damit befassen, wie eine weltweit wirksame Organisation heutzutage ausgestattet sein muß, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Ich glaube schon, daß bei der Beratung dieses Antrags durchaus auch die Überlegung Raum greifen könnte, ob wir uns innerhalb einer größeren Anhörung - darüber wird der Ausschuß beschließen müssen - mit dem gesamten Themenkomplex befassen könnten.
({0})
Ich meine, wir sind besonders der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen zu großem Dank verpflichtet, da sie einige der wenigen Institutionen ist, die den Gedanken der Vereinten Nationen in all den vergangenen Jahren in die Öffentlichkeit gebracht und diesen Gedanken immer wieder unterstützt hat.
Wir meinen, daß die SPD in ihrem Antrag ein wichtiges Thema aufgegriffen hat. In meiner Eigenschaft als langjähriges Mitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen freue ich mich darüber, wie Sie sich vorstellen können. Ich mache aber kein Hehl aus der Tatsache, daß mir einige Bereiche in Ihren Ausführungen - Herr Dr. Brecht sprach von den Träumen und Visionen - ein wenig zu sehr Traum und Vision zu sein scheinen.
Es hat in den letzten Jahren viele Ansätze auch innerhalb der Vereinten Nationen zu einer Neustrukturierung gegeben. Die Stockholmer Initiative, die bisweilen schon erwähnt wurde und die auch in Ihrem Antrag eine Rolle spielt, hat ein ziemlich umfangreiches Reformkonzept erstellt.
Leni Fischer ({1})
Wir sollten in diesem Zusammenhang auch die Ausführung von Maurice Bertrand von 1985 in „Le Monde diplomatique" in die Überlegung einbeziehen, wie eine Weltorganisation der dritten Generation auszusehen hätte oder aussehen könnte.
Der nicht mehr im Amt befindliche, frühere Generalsekretär Pérez de Cuéllar hat in seinem Jahresbericht 1991 selbst konkrete Vorschläge zur Straffung der Effektivität der Vereinten Nationen gemacht, die sich vorwiegend auf eine Verbesserung von Struktur und Arbeitsmöglichkeiten beziehen. Auch die sollten wir in die Überlegungen einbeziehen. Er hat in seinem Ausblick auf die künftige Arbeit zwei wesentliche Wünsche zum Ausdruck gebracht - ich glaube, sie werden auch vom Haus hier unterstützt -, nämlich der Frage des Nord-Süd-Konflikts und der Lösung der Nord-Süd-Probleme eine größere Bedeutung beizumessen und mehr Augenmerk zu schenken, vor allem auch dem gesamten Problembereich der frühzeitigen Erkennung von sich entwickelnden Konflikten.
Als Pérez de Cuéllar im vorigen Jahr hier in Deutschland war, hat er die Arbeit der Bundesrepublik innerhalb der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen sehr gelobt.
Ich sollte auch die Ausführungen und Vorschläge des Bundesaußenministers erwähnen, die er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September gemacht hat. Als Stichworte nenne ich die Frage der Übernahme militärischer Verantwortung für VN-Sicherheitskräfte und die Frage der Umweltrechtsinitiative. Ein ganz wichtiger Punkt sind die Konditionen für Entwicklungspolitik, d. h. das Prinzip der Einmischung in die Innenpolitik eines Landes, wenn elementare Menschenrechte verletzt sind. Generell hat er den gesamten Themenbereich der Menschenrechtsfrage genannt und natürlich die Stärkung der Position des Generalsekretärs. Das eröffnet natürlich ein großes Feld an weiterer Problematik.
Aber machen wir uns nichts vor. Da aber die UNO wie alle Institutionen das Spiegelbild ihrer Mitgliedsländer ist, bedarf es eines noch größeren politischen Engagements Deutschlands in den und für die Vereinten Nationen.
Ich möchte hier den Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der FDP aufgreifen, zu überlegen, ob wir im Zusammenhang mit dem Umzug des Bundestages nach Berlin nicht einen Teil der UN-Unterorganisationen im Bereich UNDP oder UNFPA - Familien- und Bevölkerungsfragen - und UNIFEM - Unterorganisation der Vereinten Nationen für die Gleichberechtigung und die Rechte der Frauen - hier ansiedeln könnten. Der Gedanke ist reizvoll,
({2})
und ich fand ihn wirklich einer Überlegung wert.
Wir sollten uns eingehend mit der Stockholmer Initiative und den Vorschlägen befassen, wobei Sie auch in Betracht ziehen müssen, daß die Stockholmer Vorschläge in weiten Teilen auf die Vorschläge von Petrowski zurückgehen, der damals stellvertretender Delegationsleiter der Delegation der UdSSR war und diese Vorschläge 1988 bei der 43. Generalversammlung in weiten Teilen schon vorgebracht hatte.
Die Frage nach einem neuen Ansatz zur Lösung der Finanzprobleme der Vereinten Nationen wird uns sicherlich besonders beschäftigen. Gedanken dazu sind sicherlich nicht sehr beliebt, aber in der Bundesrepublik durchaus bekannt durch das, was wir beim Finanzamt erleben. Für nicht rechtzeitig eingegangene Beitragszahlungen ist durchaus auch an die Zahlung von Verzugszinsen zu denken oder, wie wir das aus den einzelnen Parteien kennen, durchaus auch zu denken an den Entzug des Stimmrechts. Das sind alles Überlegungen, die man mit einbeziehen sollte, vor allen Dingen vor dem Hintergrund - Professor Holtz hat das eben in einem Zwischenruf erwähnt -, daß eigentlich schon in den vergangenen Jahren häufig durch Nichtzahlung versucht wurde, politischen Druck auf die einzelnen UN-Organisationen auszuüben.
Frage: Es ist auch zu überlegen - das ist ein sehr heikles Thema -, ob der Generalsekretär autorisiert sein könnte, kommerzielle Kredite aufzunehmen. Wichtig ist allerdings die Frage eines „humanitarian revolving fund", also einer Möglichkeit, in Katastrophenfällen eine schnelle Einsatzchance zu haben.
Breiten Raum werden auch in Zukunft die Fragen einnehmen: Sicherheitsrat, Repräsentation der EG, Generalversammlung, Ausweitung der Kompetenzen des Generalsekretärs; diese würde natürlich klar zu Lasten des Sicherheitsrats gehen, und deswegen müßte man das wohl in einem Gesamtbild betrachten.
Zum gesamten Bereich UN-Entwicklungsorganisationen hat mein Kollege Dr. Ruck einiges gesagt. Es geht in jedem Fall darum, die Entwicklungshilfeagenturen der UN zu straffen und die Arbeit besser zu koordinieren, obwohl ich kein Hehl daraus mache, daß ich viel Verständnis für die Forderung von Geberländern habe, daß man einige Büros der Res Reps in Entwicklungsländern dann eigentlich schließen sollte, wenn die Bürokosten höher sind als der Anteil der von ihnen verwalteten Mittel. Ich glaube, dies käme auch unseren Prinzipien einer sparsamen Haushaltsführung durchaus entgegen.
({3})
Es ist sehr wichtig, daß wir uns zum Zwecke der Unterstützung des Anliegens immer wieder an die Medien wenden. Daß die Anliegen der Vereinten Nationen in den Medien so wenig Beachtung finden, liegt nicht an den Korrespondenten, die aus den Vereinten Nationen berichten. Ich erinnere an Ansgar Skriver, der vor einigen Jahren viel von den Vereinten Nationen berichtet hat. Ich erinnere im Zusammenhang mit den Vorbereitungen von UNCED an Herrn Seelmann-Eggebrecht oder an Herrn Günter Kramer bezüglich der UN-Berichterstattung.
Wir kommen aber in der Sache nicht sehr viel weiter, wenn die Berichterstattung nur dann erfolgt, wenn es beispielsweise Streit im Sicherheitsrat gibt. Ich möchte dem neuen Generalsekretär beipflichten, der gesagt hat: Wenn es keine Entwicklung ohne Demokratie gibt, so kann es auch keine Demokratie ohne Entwicklung geben. - Damit sollten wir uns bei unseren Beratungen auch befassen.
Leni Fischer ({4})
Ich habe folgende Anregung und hoffe dabei auf die Unterstützung dieses Hauses: Wenn der neue Generalsekretär Butros Ghali seinen Antrittsbesuch in der Bundesrepublik möglicherweise im Laufe dieses Jahres macht, sollten wir ihn einladen, seine Vorstellungen von der Arbeit der Vereinten Nationen in den nächsten Jahren auch hier vor dem Deutschen Bundestag darzulegen.
Herzlichen Dank.
({5})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Holtz das Wort.
Besten Dank, Herr Präsident! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Internationale Politik ist von existentieller Bedeutung für Deutschland. Sie ist für die Lösung der Menschheits- und Überlebensprobleme, die auch uns betreffen, wichtig. Zu diesen Problemen zählen insbesondere die Existenz zehntausender Massenvernichtungswaffen, die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Ländern, die Überbevölkerung und die drohende Weltklimakatastrophe.
Die tektonische Spannung zwischen den Wohlstandsinseln im Norden und den großen Armutsrevieren im Süden und Osten erfordert ein ganz anderes Verständnis von Politik, als es Siegelbewahrer einzelstaatlicher Souveränität besitzen. Tektonische Spannungen führen immer dann zu Erdbeben, wenn der Druck der widerständigen, sich reibenden Teile zu groß geworden ist.
Die Folgen können verheerend sein. Sie gilt es abzuwenden, insbesondere dadurch, daß auch die weltpolitische Rolle der Vereinten Nationen für Frieden und eine menschliche Entwicklung gestärkt wird. Dies ist die Hauptstoßrichtung unseres Antrags zur schrittweisen Reform, nicht zur Revolutionierung der Vereinten Nationen.
Apropos, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn es keine Visionen gibt, werden die Menschen wüst und leer ({0}).
({1})
Was meint eigentlich der Begriff „Entwicklung"? Für Hunderte von Millionen Menschen bedeutet dies zuvorderst die Befreiung von Hunger und materieller Not; für alle ein Leben in Freiheit. Insofern heißt Entwicklung: Befriedigung der Grundbedürfnisse und Verwirklichung der Menschenrechte. Deshalb müssen Entwicklungsstrategien durchgesetzt werden - wie es in unserem Antrag heißt -, die auf Dauer tragfähig, umweltverträglich, sozial gerecht, wirtschaftlich produktiv und menschenwürdig sind.
Das wichtigste Forum und Handlungszentrum für die Welt- und Südprobleme sind die Vereinten Nationen. Die UNO ist der Gegenentwurf zu einer Welt des nationalen Egoismus, die wir nicht wollen. Wir Sozialdemokraten wollen - wie das jetzt hier auch deutlich geworden ist: mit Ihnen zusammen - die UNO stärken und durch eine schrittweise Reform zu einer neuen Dimension und Qualität der weltweiten Zusammenarbeit kommen.
Die Vereinten Nationen müssen dank einer vorausschauenden Friedens- und Entwicklungspolitik zu einem Instrument gewaltfreier Weltinnenpolitik werden. Diese Zielsetzung steht bei uns im Vordergrund und nicht, die Bundeswehr an die Front zu schikken.
({2})
Wenn die KSZE gestärkt und eine UNO-Sonderorganisation werden sollte, dann stellt sich übrigens die Situation verändert dar:
({3}) Aus den Vereinten Nationen sollte nicht,
({4})
wie der Herr Bundespräsident zu Recht gesagt hat, eine Kriegsführungsmacht in der ganzen Welt entstehen, sondern eine Kriegsverhinderungsmacht. Darum geht es.
({5})
Was not tut, ist eine neue Entspannungspolitik, eine Politik der wirtschaftlichen und sozialen Entspannung zwischen Nord und Süd, zwischen reichen und armen Ländern. Wir brauchen eine tragfähige Südpolitik. Eine in sich stimmige Südpolitik, abgestimmt unter allen Ressorts, sehe ich noch nicht.
Die Handlungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen müssen deshalb auch und gerade auf dem Gebiet Entwicklung und Umwelt deutlich verbessert werden. Dazu unterbreiten wir eine Reihe detaillierter Vorschläge, die von der Straffung der UN-Organisation über eine stärkere Beteiligung der Entwicklungsländer bis hin zur Erhöhung der entwicklungs- und umweltpolitischen Effektivität reichen.
Bei der Übernahme größerer Verantwortung für einen fairen Nord-Süd-Ausgleich sollte die Bundesrepublik Deutschland - von der Bundesregierung bis hin zur deutschen Wirtschaft - eine größere Rolle spielen. Meiner Meinung nach wäre es in diesem Zusammenhang in der Tat ein deutliches Signal, wenn die Bundesregierung Bonn zu einem NordSüd-Zentrum ausbauen könnte, wie ich persönlich dies schon vor einem halben Jahr gefordert habe, und dabei die Ansiedlung entsprechender UNO-Institutionen fördern würde.
Zurück zum Antrag: Die Stärkung der UNO, Herr Präsident, muß mit einer größeren parlamentarischen Mitwirkung und Kontrolle einhergehen.
({6})
Der Unterausschuß „UNO/Internationale Organisationen" ist ein erster Schritt in diese Richtung. Die
Interparlamentarische Union hat vorgeschlagen, in
die Delegationen, die an der UNO-Generalversammlung jeweils im Herbst teilnehmen, auch Abgeordnete mit einzubeziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, dem Überweisungsvorschlag zuzustimmen. Nach dieser insgesamt doch anregenden, positiven Debatte habe ich den Eindruck, daß es zu einer konstruktiven Beratung über die UNO-Reformvorschläge kommen wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat wie Frankreich, Großbritannien und die anderen EG- sowie die OECD-Länder insgesamt eine aktive Mitwirkungspflicht bei der Stärkung der Vereinten Nationen.
Danke schön.
({7})
Entsprechend dieser Anregung wird interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1719 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ausländerbeauftragte
- Drucksache 12/1357 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. - Auch hier erhebt sich kein Widerspruch, so daß wir so verfahren können.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Gerd Andres das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende November wurde Frau Schmalz-Jacobsen von der Bundesregierung offiziell zur Ausländerbeauftragten - exakt: zur Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen - ernannt. Frau Kollegin, im Interesse der Sache wünschen wir Ihnen für dieses neue Amt Erfolg
({0})
und stets eine glückliche Hand.
({1})
Mit Ihrer Ernennung endete eine fast fünfmonatige Hängepartie, die vor dem Hintergrund der ausländerpolitischen Situation im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres nur als skandalös bezeichnet werden kann.
({2})
Erinnern wir uns: Im Juni 1991 gab die zu diesem Zeitpunkt amtierende Ausländerbeauftragte, Frau Lieselotte Funcke, ihr Amt demonstrativ zurück. Sie wollte damit deutlich machen, wie einflußlos sie in der Zwischenzeit geworden war. Sie war nicht mehr bereit, ihr hohes Ansehen für eine entgegengesetzte Ausländerpolitik der Bundesregierung aufs Spiel zu setzen und nur noch Feigenblattfunktion zu haben.
Fünf Monate dauerte dann das koalitionsinterne Gezerre um die offizielle Ernennung der Nachfolgerin.
({3})
Hintergrund dabei war, daß sich die Koalition nicht über Funktion, Bedeutung und Amtsausstattung des Amtes der Ausländerbeauftragten einigen konnte. Es bedurfte schon öffentlicher Drohungen von Graf Lambsdorff und der bereits im August designierten Nachfolgerin von Frau Funcke, um in diesem Ränkespiel zu einer Klärung zu kommen, und dies alles in einer ausländerpolitischen Situation, die diese Republik mit den Ausschreitungen von Hoyerswerda und den tagtäglich registrierten Gewalttaten gegen Ausländer in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß beschäftigte.
Am 17. Oktober 1991 brachte die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein, mit dem gefordert wurde, eine erhebliche politische und sachliche Aufwertung des Amtes der Ausländerbeauftragten vorzunehmen. Über diesen Antrag beraten wir heute in dieser Plenardebatte. Wir fordern mit ihm eine erhebliche politische und sachliche Aufwertung des Amtes, ein Anhörungs-, Berichts- und Initiativrecht gegenüber der Regierung und dem Parlament zu allen Migrations-, Integrations- und Minderheitsfragen sowie eine sachgemäße personelle und finanzielle Ausstattung.
({4})
Frau Schmalz-Jacobsen ist in ihrer neuen Funktion schon tätig geworden. Auch in den Vordiskussionen trat die Frage auf, ob man auf die Beratung dieses Antrags vor dem Hintergrund von Veränderungen denn nicht verzichten könne. Wir haben uns dagegen entschieden.
Mit ihrer bisherigen Tätigkeit hat Frau Schmalz-Jacobsen bei einer Reihe von Unionsabgeordneten schon für Unmut gesorgt.
({5})
Sachkenner der Materie wird das nicht verwundern. Mit ihren Äußerungen beispielsweise zur doppelten Staatsangehörigkeit hat sie einen wichtigen Punkt in der ausländerpolitischen Debatte aufgegriffen, den die Koalition im Jahre 1990 mit dem neuen Ausländergesetz genau entgegengesetzt geregelt hat.
({6})
Mit ihren Vorstößen zur Veränderung des Wahlrechts
zu den Sozialwahlen - um ein weiteres Beispiel zu
nennen - findet sie im konservativen Lager sicherlich nicht nur Freunde.
({7})
Entsprechende Positionen - beispielsweise zum Kommunalwahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger - ergeben sich aus solchen Positionen bei logischer Fortsetzung ja von ganz allein.
Mit ihren Initiativen für eine vorbildliche PR-Kampagne in den öffentlichen Medien gegen Ausländerfeindlichkeit wirkt sie so manchem konservativen Scharfmacher entgegen, der glaubt, mit der „rechten" Zuspitzung der Asyl- und Ausländerthematik ließen sich auch die entsprechenden Wahlprozentpunkte einfahren. Daß Rechtsradikale und eine häufig aus Entwurzelten und Perspektivlosen bestehende Gewaltszene daraus ihre vorgeblichen Legitimationen hernehmen und damit auch eine innenpolitisch beispiellose Gewaltwelle gegen Ausländer mit entfacht und mit unterstützt wurde, wird von den verantwortlichen Saubermännern entrüstet zurückgewiesen.
({8})
Bei all diesen guten Ansätzen der erst kurzen Amtszeit von Frau Schmalz-Jacobsen bleiben dennoch offene Fragen. Unserer Auffassung nach sind die Kompetenzen nach wie vor zweifelhaft. Zwar hat die bisherige Reduzierung der Zuständigkeit ausschließlich auf den Kreis der Ausländer, die aus den sogenannten Anwerbeländern stammen, sowie ihrer Familienangehörigen ein Ende gefunden. Zwar gibt es zusätzliche Kompetenzen in allen ausländerpolitischen Fragen - mit Ausnahme der Asylproblematik -; dennoch bleibt unklar, ob die massiven Kritikpunkte, mit denen Frau Funcke ihren Abschied erklärt hat, in der Kompetenz- und Zuständigkeitsfrage durch die Bundesregierung in der Tat restlos ausgeräumt sind.
Ich habe von Ihnen öffentliche Interviews gelesen, in denen Sie beispielsweise auf das Vortragsrecht in der Kabinettsrunde und ähnliche Punkte abgehoben haben, über die wir in den zuständigen Fachausschüssen doch gern noch einmal diskutieren möchten.
Die Personal- und Sachausstattung des Amtes der Ausländerbeauftragten wurde verbessert. Aber die Aufstockung ihres Etats von ehemals 120 000 DM - in Worten: einhundertzwanzigtausend - auf nun 400 000 DM macht deutlich, mit welch lächerlichen Beträgen die Bundesregierung eine so wichtige Aufgabe versieht.
({9})
Offen bleibt auch, ob Frau Schmalz-Jacobsen entscheidenden Einfluß auf die ausländerpolitischen Haushaltstitel - beispielsweise im Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und bei anderen Ministerien - hat. Ich möchte hier in Erinnerung rufen - die Kolleginnen und Kollegen von den anderen Fraktionen, die hier sitzen, wissen, worum es geht -, daß es heftige interne Auseinandersetzungen gegeben hat, beispielsweise um die Töpfe für die Integrationsmaßnahmen ausländischer Arbeitnehmer, die durch diese Regierungskoalition eingefroren sind und de facto auch nach unten gefahren werden. Wir halten es schon für spannend und ganz wichtig, ob die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung hier ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus all diesen Gründen hat die SPD auf der Lesung ihres Antrags vom 17. Oktober 1991 bestanden. Die weiteren Beratungen über diesen Antrag in den zuständigen Ausschüssen sowie die damit verbundene genauere Definition der Zuständigkeiten, der Kompetenzen, der Sach- und Personalausstattung der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung werden zeigen, ob die engagierten Ansätze von Frau Schmalz-Jacobsen auch entsprechenden Rückhalt durch die Bundesregierung bekommen, die sie ernannt hat.
Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Ich habe einige Zwischenrufe von der Regierungsbank gehört nach der Melodie, all dies gehöre doch nicht hierhin.
({11})
Ich muß Ihnen sagen, Herr Staatssekretär, wir finden schon, daß all das hierhin gehört, und wir finden auch, daß die Art und Weise, wie die Bundesregierung ein solches Amt ausstattet, in der Tat auch eine ganz entscheidende Frage und einen Indikator dafür darstellt, wie ernsthaft bestimmte Fragen in der Ausländerpolitik gesehen und genommen werden.
({12})
Herr Abgeordneter Andres, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Waffenschmidt zuzulassen?
Selbstverständlich.
Vorher erlaube ich mir noch den Hinweis, daß Zwischenrufe von der Regierungsbank ja eh nicht erlaubt und möglich sind; also kann es nicht sein. Bitte sehr.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht einen Zwischenruf zur aktuellen Debatte gemacht habe, sondern mit zwei Kollegen aus dem Hause darüber gesprochen habe, daß diese oder jene Materie in einem bestimmten Verwaltungszusammenhang nicht erörtert werden sollte. Der liebe Gott hat mir eine laute Stimme gegeben. Darum haben Sie es vielleicht da noch gehört; aber es gehörte gar nicht zu Ihrem Sachbeitrag.
({0})
Gut, ich nehme das zur Kenntnis.
({0})
- Er hätte es rufen können, ja. - Ich nehme insbesondere zur Kenntnis, daß sich die aufgeschnappten
Wortfetzen „dies gehört nicht hierhin" ausdrücklich
nicht auf die Amts- und Sachausstattung der Ausländerbeauftragten beziehen,
({1})
sondern daß Sie sich da unserer Meinung anschließen.
({2})
Darf ich eine Zusatzfrage stellen? - Herr Kollege, sind Sie bereit zuzugeben, daß Sie bei Ihrem letzten Satz in der Interpretation meiner Worte schon sehr weit gingen, weil sie unterstellten, ich würde Ihren Ausführungen zustimmen? Dies kann nur teilweise der Fall sein, nämlich nur dort, wo ich der Ausländerbeauftragten Glück und Erfolg wünsche.
Ich hatte ja gedacht, Herr Staatssekretär, daß Sie sich nun auch zu den wichtigen Inhalten dieses Antrages und der Debatte bekennen wollten. Es ist für die Bundesregierung sehr kennzeichnend, daß sie sich jetzt wieder in dieser Art und Weise davonschleicht.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal zum Ausdruck bringen, daß uns diese Frage sehr ernst ist und daß wir mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen haben, wie sich diese Frage des Amtes und auch das ausländerpolitische Verhalten der Bundesregierung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres dargestellt hat, insbesondere vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussionen, Auseinandersetzungen, Gewalttätigkeiten und ähnlichem, was wir erlebt haben. Für uns ist die Ausstattung einer solchen Funktion nicht irgendeine Beliebigkeitsfrage, sondern in der Tat Ausdruck der politischen Bedeutsamkeit, die man einem solchen Amt beimißt.
Deswegen möchte ich hier abschließend sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung über unseren Antrag weiter beraten werden und daß wir dabei genauer Kenntnis davon erhalten und möglicherweise auch konzeptionell darüber diskutieren können, was die Ausländerbeauftragte macht, wie ihr Amt ausgestattet ist und wie insbesondere ihre personellen Zuständigkeiten aussehen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Daß im vergangenen Halbjahr immer das Damoklesschwert über der Außenstelle Berlin schwebte und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort nicht einmal wußten, ob sie über den 31. Dezember des vergangenen Jahres hinaus weiter beschäftigt sind, halte ich bei einer ausländerpolitischen Lage, wie wir sie auch in Berlin vorfinden, für absolut skandalös. Wir werden die Möglichkeiten der zweiten und dritten Lesung hier dazu nutzen, uns öffentlich wieder darüber auseinanderzusetzen, ob die Ausstattung in unserem Sinne politisch korrekt vorgenommen ist.
Schönen Dank.
({1})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Kauder das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land, und wir wollen, daß dies so bleibt.
({0})
Wir verurteilen deshalb schärfstens Gewalttätigkeiten gegen Ausländer in unserem Land. Gewalttätige fremdenfeindliche Aktionen sind eine Schande für unser Volk. Dem treten wir mit ganzer Entschlossenheit entgegen.
({1})
Wir lassen nicht zu, daß eine kleine gewalttätige Minderheit womöglich zu einem falschen Eindruck über unser Land führt. Die große Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt mit unseren ausländischen Mitbürgern friedlich zusammen.
({2})
Viele Ausländer leben seit vielen Jahren wie selbstverständlich in unserer Mitte und tragen mit ihrem Fleiß zu unser aller Wohlstand bei. Mit ihrer Kultur sind ausländische Mitbürger eine Bereicherung unseres Lebens.
Ich weiß aber auch, daß viele Ausländer Probleme haben, sich bei uns zurechtzufinden, daß sie im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Kulturen hin- und hergerissen sind. Ich sehe auch in der deutschen Bevölkerung wegen der ständig zunehmenden Zuwanderung Ängste wachsen, die durchaus zu abnehmender Toleranz führen können. Die Bevölkerung erwartet deshalb, daß die Fragen, die zur Lösung anstehen, ja, geradezu danach drängen, nicht nur ständig diskutiert, sondern auch gelöst werden. Ich meine hier ganz ausdrücklich das Asylrecht.
({3})
Wir tun deshalb gut daran, uns hier im Hause den Problemen zu stellen, Antworten und Lösungen zu finden; aber wir tun auch gut daran, Initiativen zu fördern, die das Verständnis zwischen Deutschen und Ausländern weiter verbessern und Ausländern die Integration erleichtern.
({4})
Deshalb begrüße ich die Entscheidung der Bundesregierung vom November letzten Jahres, die Aufgabenstellung des Ausländerbeauftragten, in diesem Fall einer Dame, zu erweitern und so dieses Amt deutlich aufzuwerten.
Damit ist einer der Punkte, die die SPD-Fraktion in ihrem Antrag fordert, schon erfüllt.
({5})
Das Amt ist nicht mehr nur auf die Unterstützung der Bundesregierung bei der Integration ausländischer Arbeitnehmer beschränkt; Frau Schmalz-Jacobsen ist nun für alle Ausländer bis auf die Asylbewerber zuständig.
Die SPD möchte nach ihrem Antrag das Amt dadurch weiter aufwerten, daß es dem Amt des Wehrbeauftragten ähnlich gestaltet und so auch in
der Verfassung verankert wird. Ich meine, daß dies das Aufgabenfeld eher beschränken und damit das Amt in seiner Breite eher abwerten müßte. Das Amt des Wehrbeauftragten dient nach einem grundgesetzlichen Auftrag dem Schutz der Grundrechte der Soldaten, die in einem besonderen Gewaltverhältnis erheblich eingeschränkt sind. Das Parlament will durch diese Einrichtung individuelle Rechte der Soldaten schützen und ihnen zur uneingeschränkten Geltung verhelfen.
Die Ausländerbeauftragte dagegen soll die Bundesregierung in ihren gesamten ausländerpolitischen Bemühungen unterstützen und auch Ansprechpartner für Deutsche und Ausländer sein. Die Aufgabe ist so umfassend und politisch zu verstehen. Sie ist deshalb beim Bundesminister für Arbeit richtig angesiedelt, was ja auch von der SPD befürwortet wird. Eine Ausgestaltung im Sinne des Wehrbeauftragten würde sich aber mit einer Ansiedlung beim Bundesminister für Arbeit überhaupt nicht vertragen. Dies würde zu einer nicht akzeptablen und verfassungsrechtlich auch bedenklichen Vermischung der Verantwortung bzw. von Aufgaben und Kompetenzen des Parlaments und der Regierung führen müssen.
Meine Damen und Herren, mit der deutschen Einheit sind auch die Aufgaben der Ausländerbeauftragten erheblich gewachsen. Eine moderne Ausländerpolitik gab es in der DDR nicht. Mit Recht stellt die frühere Ausländerbeauftragte Liselotte Funcke fest, daß manches, was nun an Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus und Antisemitismus deutlich wird, seine Ursachen wesentlich im alten SED-Regime selbst hat.
Der noch von Frau Funcke vorgelegte Handlungskatalog ist eine gute Grundlage für die uns allen gestellte Aufgabe.
Die Bundesregierung, Herr Kollege Andres, hat die Herausforderung sehr wohl erkannt und deshalb das Amt der Ausländerbeauftragten personell und sachlich besser ausgestattet. Natürlich kann man immer die Frage stellen, ob die Personalausstattung ausreicht, und Forderungen erheben. Das Amt der Ausländerbeauftragten soll nach dem Verständnis unserer Fraktion aber nicht in eine Behördenstruktur hineinwachsen. Die Ausländerbeauftragte sollte möglichst unmittelbar Eindrücke erhalten und Anregungen geben und nicht durch Mitarbeiterstäbe aufbereitete Realität erfahren.
({6})
Das Amt der Ausländerbeauftragten soll über seine Beratungs-, Anregungs- und Informationsfunktion hinaus auch nicht in Entscheidungsfunktionen hineinwachsen.
Es mag unterschiedliche Auffassungen darüber geben, ob das, was da ist, reicht. Aber darüber möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt mit Frau Schmalz-Jacobsen reden, wenn sie eine Zeitlang die Aufgabe wahrgenommen hat. Darüber, was aus ihrem Erfahrungsbereich heraus noch zusätzlich nötig ist, reden wir dann im zuständigen Ausschuß.
({7})
Wir sollten nicht schon zu Beginn ihrer Tätigkeit der neuen Beauftragten vorschreiben wollen, was sie braucht oder haben müßte, damit die Aufgabenerfüllung klappt. Geben wir ihr doch zunächst eine reelle Chance, ihre Aufgabe anzupacken!
({8})
Das Amt darf auch nicht so groß werden, daß der Eindruck entsteht: Da gibt es jemanden, der sich allumfassend und ausreichend mit den Problemen der Ausländer beschäftigt. Nur allzu schnell entsteht in unserem Land der Eindruck, da gebe es ja jemanden, der sich schon darum kümmert, so nach dem Motto: Entledigen wir uns der Aufgabe, indem wir entsprechende Stellen schaffen. Sich um ein gutes Zusammenleben zwischen Ausländern und Deutschen zu bemühen ist aber eine gesellschaftliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns allen ständig neu gestellt ist.
({9})
Ich meine, daß die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, daß Frau Schmalz-Jacobsen ihre Arbeit gut beginnen kann. Wir werden zum gegebenen Zeitpunkt mit ihr darüber reden, welche Erfahrungen sie gemacht hat. Sie muß jetzt diese Erfahrungen sammeln können.
Ihnen, sehr geehrte Frau Schmalz-Jacobsen, wünsche ich in Ihrer neuen ehrenamtlichen Aufgabe viel Erfolg und sage Ihnen im Namen meiner Fraktion eine gute Zusammenarbeit zu.
({10})
Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht eine Bemerkung zu meinen Vorrednern: Wenn Deutschland ein ausländerfreundliches Land wäre, dann hätte es meiner Meinung nach diese Welle von Pogromen gegen Ausländerinnen und Ausländer nicht gegeben. Von daher finde ich diese Betonung, die hier immerzu vorgetragen wird, wenig selbstkritisch.
Die Vorgängerin der jetzigen Ausländerbeauftragten verband damals mit ihrem Rücktritt auch eine Hoffnung: die Hoffnung nämlich, daß der Rücktritt eine breite Diskussion um Stellung, Aufgaben und Ausstattung ihres Amtes in Gang setzen könnte. Bis in den Rang eines Ministeriums könnte das gehen; so die damaligen Überlegungen.
Der heute vorliegende SPD-Antrag bleibt leider hinter diesen Überlegungen weit zurück, wenn er auch ein erster Fortschritt in die Richtung ist, der Ausländerbeauftragten mehr Kompetenzen zuzuschreiben. Weder die damals dringend geforderte Kompetenzerweiterung ist in dem SPD-Antrag verankert worden, noch genießt die jetzige Ausländerbeauftragte größere Aufmerksamkeit durch die Bundesregierung als die frühere. Lediglich die finanzielle
und personelle Ausstattung wurde geringfügig verbessert.
Zur Erinnerung: Bundeskanzler Kohl fand trotz dringender Bitten monatelang keine Zeit für ein Gespräch mit der früheren Ausländerbeauftragten. Dafür gab es in den letzten Monaten diverse Kanzlerrunden, mindestens drei davon zu den Problemen des Asylrechts und des Asylverfahrensrechts.
Die Ausländerbeauftragte war meines Wissens zu keiner einzigen Runde geladen. Ich habe aber leider von ihr zu den dort gefaßten Beschlüssen weder etwas gehört noch etwas gelesen. Hier sind also dringend Initiativen nötig. Sie müssen allerdings über den hier vorliegenden Antrag hinausgehen.
Nicht alles, was an Veränderungen notwendig ist, sollte auf die kaum begonnene Verfassungsdebatte verschoben werden, wie es der SPD-Antrag vorschlägt. Ich befürchte allerdings, daß wir dieses Wegschieben in die Beratungen des Verfassungsrates demnächst noch öfter hören werden.
Gleichzeitig wird die Situation der Ausländerinnen und Ausländer und der Asylbewerberinnen und Asylbewerber real tagtäglich verschlechtert, z. B. mit dem geplanten Asylverfahrensrecht, das unter anderem gefängnisähnliche Unterbringung der Asylbewerberinnen und Ayslbewerber vorschreibt, wie der Republikanische Anwaltsverein das kommentiert, und das nach Ansicht anderer Experten den Kreislauf „KnastSammellager-Knast" programmiert.
Die SPD hätte den Zielen ihres Antrages und damit der Arbeit der Ausländerbeauftragten sicher mehr geholfen, wenn sie sich an diesen Kanzlerrunden nicht so konstruktiv beteiligt hätte.
Das Ziel, der Ausländerbeauftragten in Zukunft prinzipiell zu allen Migrations-, Integrations- und Minderheitenfragen ein Anhörungs- und Initiativrecht einzuräumen und damit auch politische Wirkung zu erzielen, ist durch die hier vorgelegte Konzeption leider nicht erreicht. Vielleicht gelingt uns dieses im Ausschuß.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nun hat das Wort die Abgeordnete Frau Schmalz-Jacobsen.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zuerst für die freundlichen Glückwünsche zur Übernahme meines neuen Amtes. Ich kann das gut gebrauchen.
Ich nehme den SPD-Antrag, meine Damen und Herren, als Angebot der Zusammenarbeit und des Interesses. Dafür bedanke ich mich.
({0})
Wir sind daran erinnert worden, in welcher Zeit dieser
Antrag gestellt worden ist. Es freut mich natürlich, daß
Sie das Amt für so wichtig halten. Lieselotte Funcke,
meine Vorgängerin, hätte sich darüber bestimmt sehr gefreut.
({1})
Sie war es, die das Amt geprägt hat, und alle sollten ihr dankbar sein für ihre engagierte und stetige Arbeit, meine Damen und Herren. Wenn das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Ausländern gelungen ist, so hat auch Lieselotte Funcke ihren Anteil daran.
({2})
Der SPD-Antrag ist nun auf weite Strecken überholt, weil ihm in der Sache nachgekommen wurde. Das Amt ist inzwischen in seiner Funktion aufgewertet worden. Die Ausländerbeauftragte und ihr Stab sind zuständig für alle Ausländer mit Ausnahme der Asylbewerber im Verfahren. Wir werden an Gesetzen, Rechtsverordnungen und sonstigen Angelegenheiten beteiligt, die meinen Aufgabenbereich betreffen. So steht es in der Kabinettsvorlage. Es hat gewisse personelle Verbesserungen gegeben - übrigens stand die Auflösung der Berliner Außenstelle nie in Frage -,
({3})
und es hat finanzielle Verbesserungen gegeben.
Jetzt möchte ich einmal ganz salopp sagen: Jetzt lassen Sie mich erst einmal arbeiten, meine Mitarbeiterinnen und mich, und Erfahrungen machen, und dann sehen wir weiter. Ich muß hier allerdings auch sagen - an das ganze Haus -: Ich werde mich nicht scheuen, wenn ich es für richtig halte, hier Korrekturen vorzuschlagen.
({4})
Ich habe große Bedenken - das möchte ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren Antragsteller -, das Amt analog zum Wehrbeauftragten auszuformen; denn der Wehrbeauftragte hat ausschließlich Ombudsfunktion. Die haben wir auch, und die nehmen wir natürlich auch wahr. Es gibt unzählige Einzeleingaben usw. von Deutschen und von Ausländern und vor allen Dingen aus gemischten Ehen. Aber diese Arbeit, die wir zu leisten haben, ist unendlich viel vielfältiger. Sie besteht darin, zu informieren, Stellung zu beziehen, Anregungen zu geben, Netze nach draußen zu knüpfen, die im übrigen angesichts der Anschläge, die wir erleben mußten und immer noch erleben, besonders wichtig sind. Eine wichtige Aufgabe ist natürlich auch die, Vorschläge zu machen. Zu den Vorschlägen - das will ich bei dieser Gelegenheit gerne sagen - gehört der Vorschlag, das passive Wahlrecht zur Sozialversicherung für alle Ausländer möglich zu machen.
({5})
Dazu gehört auch, die Benachteiligung für hier geborene Ausländer abzuschaffen, wenn es um das
Arbeitsförderungsgesetz, um die Hochschulzulassung und um den Bezug von BAföG geht.
Meine Damen und Herren, daß in diesem Bildungsbereich junge Ausländerinnen und Ausländer, die hier aufwachsen und hier geboren sind, benachteiligt werden, ist kein integrationspolitisches Glanzlicht.
({6})
Viele werden das gar nicht wissen. Ich bin auch lange genug im politischen Geschäft, um erfahren zu haben, daß es manchmal ein bißchen dauert zu überzeugen. Aber an der Stelle, wo wir alle die Integration wollen, müssen wir auch die Änderungen, die dafür notwendig sind, im Gesetz deutlich machen.
Konkret in der nächsten Zeit: Was steht an? Im März veranstalte ich einen Bundeskongreß mit allen Ausländerbeauftragten der Länder und Kommunen. Das sind inzwischen 140 an der Zahl. Das ist eine interessante Entwicklung. Das gehört zum Thema Netzwerk. Im September werde ich einen Kongreß zu Fragen der Migration in Erfurt mitveranstalten. Die Zusammenarbeit mit dem Bundespresseamt, die ich im vergangenen Jahr angefordert habe, ist angelaufen.
Der europäische Kontext dieses Amtes wird immer wichtiger. Die Treffen auf europäischer Ebene, gerade was das betrifft, sind eher zufällig. Es gibt hier unterschiedliche Strukturen. Ich gehe davon aus, daß den Harmonisierungen der Gesetze irgendwann auch eine Harmonisierung der Strukturen folgen wird, damit man weiß, wer welchen Gesprächspartner hat. Dazu ist es aber heute zu früh. - So viel zur Kommission.
Wir werden noch häufiger Gelegenheit haben, und ich werde auch die Gelegenheit nehmen, Sie über die Inhalte meines Amtes zu informieren, auch wenn ich Ihnen damit manchmal auf die Nerven fallen werde.
Danke.
({7})
Nunmehr erteile ich dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß Frau Schmalz-Jacobsen von allen Seiten Unterstützung zugesagt wurde. Das ist ein guter Auftakt. Ich versichere Ihnen: Die Bundesregierung reiht sich in die Schlange, die sie unterstützen will, ein.
({0})
Wir wollen keine Klassengesellschaft, in keiner Form. Unsere ausländischen Mitbürger sind Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, Schulkameradinnen und Schulkameraden, Nachbarn. Wir wollen keine Gesellschaft, die die Ausländer ausgrenzt. Deshalb ist die Funktion wichtig, Gräben zuzuschütten, wo sie sind, Brücken zu bauen.
Ich will ausdrücklich Frau Funcke unseren Dank und unsere Anerkennung für das sagen, was sie bei dieser wichtigen Aufgabe geleistet hat.
({1})
Frau Schmalz-Jacobsen bringt große politische Erfahrung in dieses Amt ein. Auch das wird diesem Amt nützen. Ihr Amt ist übrigens aufgewertet; die Aufgaben sind ausgeweitet. Es handelt sich nicht nur um die ausländischen Arbeitnehmer, sondern um alle ausländischen Mitbürger. Frau Schmalz-Jacobsen wird nicht nur Ombudsfrau, Beschwerdestelle, Kummerkasten sein, sondern sie wird an der Weiterentwicklung der Integrationspolitik bei der Vorbereitung der Gesetze initiativ beteiligt.
Das aus meiner Sicht Wichtigste ist die Bewußtseinsbildung. Nicht daß keine institutionelle Hilfe gebraucht würde, aber ohne Bewußtseinsveränderung, ohne Arbeit an der Aufgabe, gute Nachbarn zu sein, werden wir die Aufgabe nicht lösen. Das können wir nicht der Polizei überlassen.
Herr Andres, ich wollte noch korrigieren: Es trifft nicht zu, als hätten wir die Mittel für Integration im Haushalt zurückgenommen. Wir haben sie umgeschichtet. Wir haben die Mittel für die Betreuungsarbeit zurückgenommen und dafür die Mittel für die Integration aufgestockt.
({2})
- Sie kennen das Problem also. - Wir haben gerade in dieser Zeit insgesamt die Mittel nicht zurückgenommen, sondern umgeschichtet,
({3})
um gerade mit Projektarbeit direkter, gezielter helfen zu können.
Wir stimmen sicherlich auch darin überein, daß mit einer guten Ausländerpolitik, einer Politik für die Ausländer, das Problem nicht umfassend gesehen wird. Wir wollen eine Welt, in der die Menschen ihre Heimat nicht aus Not verlassen müssen.
Wir stimmen auch darin überein, daß das Übel an der Wurzel zu packen auch bedeutet, daß Arbeit und Heimat miteinander versöhnt bleiben, daß wir keine Welt wollen, in der die Menschen wie Zugvögel den Erdball umkreisen, um sich dort niederzulassen, wo gerade Arbeit für sie ist.
Deshalb bleibt bei diesem Thema unsere weitergehende Aufgabe, die Maschinen zu den Menschen zu transportieren und nicht die Menschen zu den Maschinen.
({4})
Mein Beitrag besteht darin - insofern ist das ein guter Beginn -, Ihnen, Frau Schmalz-Jacobsen, die Unterstützung der Bundesregierung und ganz besonders natürlich des Arbeitsministeriums zuzusagen.
({5})
Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 12/1357 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. -Das ist offensichtlich der Fall.
Somit rufe ich den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Dr. Willfried Penner, Wolfgang Thierse, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Beibehaltung der bisherigen Förderungshöhe für die Kultur in den neuen Bundesländern
- Drucksache 12/1437 -Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({0}) Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Hier macht Ihnen der Ältestenrat den Vorschlag, eine Debattenzeit von einer Stunde zu vereinbaren. - Auch darüber scheint offensichtlich Übereinstimmung zu bestehen, so daß ich die Debatte eröffnen kann. Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Duve das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag deswegen einbringen müssen, weil uns dieser kleine Vermerk vorlag. Danach sollen auf Antrag der Haushaltsgruppen von CDU/CSU und FDP die Mittel des Bundes für die fünf neuen Bundesländer und an Berlin aus der im Einigungsvertrag eingegangenen Verpflichtung heraus, die Substanz der Kultureinrichtungen der ehemaligen DDR erhalten zu helfen, für den Haushalt 1993 für „kw" erklärt werden, also künftig wegfallen.
Wir sind mit dem sächsischen Ministerpräsidenten, mit Tausenden von Schauspielern, Orchestermusikern und vielen anderen Menschen vor allem in den sogenannten soziokulturellen Zentren der Meinung, daß das ein Todesstoß für viele Einrichtungen sein könnte, die sich in der dramatischsten Phase des Umbaus und Neuaufbaus befinden.
({0})
Ich will noch einmal daran erinnern: Nach dem Wegfall der Mauer waren wir ja alle sehr unsicher. Die SPD-Fraktion hat gesagt, wir müssen wie immer das laufen wird, ob es zwei Staaten oder einen Staat geben würde - man wußte das ja noch nicht, auch der Bundeskanzler wußte es ja noch nicht -, ganz schnell, schon im Dezember 1989, versuchen, in der Kultur eine gemeinsame Einrichtung hinzukriegen, damit wir helfen können und die Gemeinsamkeit betonen. Das war sozusagen der erste Impuls.
Der zweite Impuls - und auch der ist von uns gekommen - war, als die Einigung dann feststand, zu sagen: Laßt uns denen dort in den neuen Ländern und vor allen Dingen in den neu formierten Städten und Gemeinden helfen, die Zeit zu kaufen, ihre kulturellen Einrichtungen selber umzubauen und neu zu gestalten. „Zeit kaufen" , diesen Begriff hat die thüringische Landesregierung jetzt übernommen und ihn als „finanzierte Bedenkzeit" dargestellt. Ich halte das für einen sinnvollen Begriff. Wir wollen nicht, daß der Bund dort die Kultur auf immer und ewig trägt. Aber Gemeinden, die bisher überhaupt keine Chance hatten, autonom zu gestalten, Länder, die es bis vor kurzem nur in den Köpfen und Hoffnungen der Menschen gab, aber nicht in der Realität, sind die Träger dessen, was man bei uns im Lande Kulturhoheit nennen kann. Sie müssen die Chance bekommen, das Neue aufzubauen, ohne alles Alte zu zerstören.
Für diese Chance hat der Bund Geld gegeben, ungefähr 1,1 Milliarden DM, und zwar auf unser starkes Drängen. Es war nicht leicht, und ich weiß aus dem Innenministerium - Herr Waffenschmidt wird das so nicht bestätigen dürfen -, wie dankbar man uns ist, daß wir immer wieder gedrängt haben, daß die SPD schon 1991 und zum Haushalt 1992 immer wieder Anträge gestellt hat. Es war eine segensreiche Freundlichkeit, die uns seitens der Mitarbeiter des Innenministeriums zuteil wurde, weil wir plötzlich sozusagen ihre Liebkinder waren. Wir wollten das auch. Wir wollten, daß in dieser Phase nichts kaputt geht. Wir müssen den Eindruck gewinnen, daß es in dieser Bundesregierung keine wirkliche Gemeinsamkeit und keine klare Linie gibt.
({1})
- Wir werden das ja dann hören, wie das nun mit 1993 aussieht.
({2})
Der Antrag möchte klarmachen, daß diese Verpflichtung des Bundes bis Mitte der 90er Jahre jetzt erklärt werden muß.
Wir wollen nicht eine Verpflichtung bis ins Jahr 2000. Aber wir wollen die Chance in der schwierigen und diffizilen Umbauphase erhalten und nicht das Damoklesschwert des absoluten Endes mit dem Ende 1992. Darum geht es in der Sache. Wenn Sie jetzt sagen, Sie seien bis Mitte 1995 mit dem Finanzminister klar, dann gibt es - obwohl es uns nicht immer leicht fällt, Ihnen zuzustimmen oder möglicherweise auch den einen oder anderen leisen Beifall zu klatschen - die eine oder andere Streicheleinheit auch für Herrn Waffenschmidt.
Nur, ich habe den Eindruck, daß Sie noch nicht so weit sind. Wir müssen unseren Antrag hier einbringen und müssen vor allem die anderen Fraktionen und auch die Ossis in den anderen Fraktionen mobilisieren, daß sie die Bundesregierung unter Druck setzen, daß das klar wird.
Nun gibt es aber ein Thema, bei dem wir uns ebenfalls einig sein müssen. Wir hören aus den West-Bundesländern, unabhängig von der Parteizugehörigkeit bzw. Fraktionszugehörigkeit, immer wieder Kritik daran, daß sich der Bund überhaupt mit solchen Sachen befaßt.
({3})
- Darin bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Ich
kann nicht sagen, daß sich die West-Länder in dieser
dramatisch schwierigen Situation des Neubeginns der Ost-Länder auf dem Kulturgebiet mit sehr viel Ruhm bekleckert und sehr viel getan haben.
({4})
Wenn der Bund, natürlich angeregt und angespornt durch die große Oppositionspartei SPD, dies nicht gemacht hätte und wenn wir ihn nicht getrieben hätten, dann wäre sehr viel - vielleicht auf sehr dramatische Weise - schon in den ersten Monaten nach dem 3. Oktober kaputtgegangen. Denn es gab kein Geld. Es mußte irgendwo herkommen, und es konnte nur vom Bund kommen. Die West-Bundesländer waren dazu nicht in der Lage. Es gab die permanente Schelte, wir dürften das nicht einmal im Parlament beraten und wir dürften nicht einmal ein Gremium - jetzt haben wir einen Unterausschuß - schaffen, in dem wir die Bundesregierung auf Trab bringen, kontrollieren und vielleicht auch darauf aufpassen, daß sie föderal genug denkt.
({5})
Wir stammen ja alle aus Bundesländern. Wir sind alle sozusagen mit der Muttermilch des Föderalismus überhaupt hier hergekommen. Es gibt zur Zeit - jedenfalls bei uns - keine Zentralisten.
Ich finde diese Debatte, die auch aus einigen Landesverbänden meiner Partei kommt, nicht in Ordnung. Der Bund hat hier eine Verpflichtung übernommen. Dieser Verpflichtung haben die Bundesländer mit dem Einigungsvertrag zugestimmt, und diese Kulturförderung muß auch parlamentarisch beraten werden.
Meine Damen und Herren, ich will noch einige Bemerkungen zu der geistig-politischen und geistigkulturellen Diskussion der letzten Zeit machen. Ich habe es immer so empfunden, daß die Menschen in den Kultureinrichtungen der ehemaligen DDR neben der Freude, daß jetzt endlich Kultur und künstlerischer Ausdruck nicht mehr staatlicher Zensur unterworfen sind, und der Tatsache, daß sie nicht nur, wie wir inzwischen wissen, der Gängelung, sondern der permanenten Bespitzelung und Begleitung ausgesetzt waren,
({6})
auch Schocks erlebt haben. Ich empfinde das als einen dreifachen Schock.
Bei der Debatte um Christa Wolf, meinten manche - etwa Stefan Heym und vielleicht Christa Wolf selber -, daß das, was an Kritik in Feuilletons im Westen stand, etwas Gelenktes, zentral Gelenktes gewesen sei ähnlich dem, was ihnen früher der lenkende Staat an Kritik entgegengebracht hat. Das war nicht so. Es gibt hier keine Debattenlenkung. Es wurde manches Bittere und Böse dort gesagt. Rita Süssmuth hat sich dazu als Bundestagspräsidentin dankenswerterweise geäußert. Aber die Menschen in der ehemaligen DDR haben sicher in den letzten zwei Jahren gelernt, daß es diese Art von zentraler Instanz, die sich ausdenkt, man wolle mit den Künstlern so oder so verfahren, bei uns Gott sei Dank nicht gibt.
({7})
- Natürlich gibt es Literaturpäpste. Nur, sie sind heute da und morgen dort. Sie sind auch mal wieder weg, und das Thema verändert sich.
({8})
Man muß den Literaturpapst nicht plötzlich zu einer administrativen Staatsinstanz erklären oder als solche empfinden.
({9})
Das ist nicht der Fall. Natürlich kann man hier - wie meine Kinder sagen würden - sehr schnell ins „Out" geraten. Mal ist man „in" und mal ist man „out" in der kulturellen Debatte. Das ist auch für die Autoren, Schauspieler, Denker, Essayisten und Politiker der Bundesrepublik außerordentlich schmerzhaft. Da gibt es auch Monopolsituationen. Da gibt es auch Boshaftigkeiten. Aber es ist sozusagen Teileiner fließenden Debatte und nicht Teil eines zentral organisierten Staatsapparats. Dieses muß ganz klar sein. Das müssen sich auch diejenigen, die sich dann häufig solidarisch zusammentun und sagen: „Wir müssen den Angegriffenen helfen", immer wieder klarmachen.
Diese Diskussionen, die wir haben, sind manchmal sehr schmerzhaft. Sie können jemanden auch an den Pranger stellen. Ich habe ja in einer bestimmten Situation Wolf Biermann meinerseits kritisiert, obwohl auch ich überzeugt war, daß Anderson derjenige war, als der er sich herausgestellt hat.
Aber das Wichtige für den kulturellen Umgang damit wird sein, daß wir im Westen und die Menschen in den neuen Bundesländern einen Stil und eine Form finden, die einmal der offenen Gesellschaft entspricht und zum anderen auch dem Ausmaß all dessen, was hier ans Tageslicht kommt.
Ich glaube, die Form ist eine wichtige Frage. Da kann man sicher mit dem einen oder anderen, den Sie als Kulturpapst bezeichnet haben, reden und ihm sagen: Mein Lieber, du beschädigst Chancen dafür, daß nach der Aufarbeitung, nach der Wahrheitsfindung eine Versöhnungsmöglichkeit besteht. Ich glaube auch, daß das gefährlich ist.
({10})
- Ich kann niemandem vorschreiben, was Seriösität ist. Da gibt es auch sehr unterschiedliche Meinungen.
Nur, eines sollte sich im Westen jeder klarmachen, der sich an diesen Diskussionen beteiligt: Wir alle nutzen natürlich, wenn wir jemanden angreifen, auch den Angriff als einen Teil unserer eigenen öffentlichen Wirkung. Das heißt, wir müssen auch immer ehrlich sein und feststellen, daß wir in solchen Angriffssituationen ein bißchen Propaganda für uns selbst machen wollen. Wenn das ohne Selbstgerechtigkeit gehen könnte, wäre insgesamt vielleicht die Chance für eine spätere Versöhnung besser; denn es handelt sich nicht nur um ein paar Literaten, es
handelt sich nicht nur um ein paar Künstler, sondern das, worum es hier geht, betrifft Zigtausende, Hunderttausende, wo die Grenzlinie - um zu diesem Thema noch einmal zu kommen - zwischen Opfer und Täter lange nicht so genau zu ziehen ist, wie unser idealistischer Wunschtraum, hie der Böse und da der Gute, es will.
Das heißt, die Kultur, der Stil des Umgangs mit diesem Thema werden außerordentlich wichtig sein. Eine Stilfindung kann man in einer offenen Gesellschaft erwarten. Aber die Denunziation des Angriffs als quasi staatliche Zensur ist falsch und bringt uns sozusagen auf die völlig falsche Spur.
Ich will jetzt hier schließen. Meine Kollegin Fischer wird als Kollegin aus einem der neuen Bundesländer noch etwas ins Detail der Erfahrungen mit der veränderten Kulturlandschaft gehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Nunmehr spricht die Abgeordnete Frau Professor Dr. Wisniewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Duve, Sie haben anfangs nicht zu Ihrem Antrag gesprochen, sondern zu einer neuen Entwicklung im Haushaltsausschuß in den Beratungen über den Etat 1993, die ich persönlich noch nicht kenne. Ich glaube, wir sollten uns darüber dann erst in den Ausschüssen unterhalten.
Hier geht es zunächst ja um Ihren Antrag, der besagt - im ersten Teil jedenfalls -, daß die Kürzung, die für das Haushaltsjahr 1992 geplant war, rückgängig gemacht werden solle. Insofern ist Ihr Antrag - zum Glück, muß ich sagen - überholt. Denn der Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung im Dezember 1991 beschlossen, für Substanzerhaltung, Infrastruktur und Denkmalpflege in den neuen Bundesländern weitere 180 Millionen DM über den Haushalt 1992 hinaus bereitzustellen. Diese Mittel wurden der Stiftung Kulturfonds zur Selbstbewirtschaftung zugeteilt. Es wurde ferner die institutionelle Förderung von Kultureinrichtungen in den neuen Bundesländern um 30 Millionen DM erhöht. Rechnet man die gesamten Aufwendungen für die Kulturförderung in den neuen Bundesländern allein aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums zusammen, dann ergibt sich für 1992 gegenüber 1991 nur eine unwesentliche Reduzierung: 1992 werden 1,19 Milliarden DM zur Verfügung stehen, 1991 waren es 1,28 Milliarden DM.
Begründet wird diese Regelung übrigens mit der erheblichen Steigerung der Ausgaben für Personal und Sachkosten in den neuen Bundesländern. Das haben wir ja immer wieder betont. Insofern, glaube ich, sind wir alle, gleichgültig aus welcher Fraktion, über diese Entwicklung erfreut.
Bundesregierung und Bundestag kommen also ganz unverändert ihren im Einigungsvertrag, Art. 35, übernommenen Verpflichtungen zum Schutz der kulturellen Substanz in den neuen Bundesländern nach.
({0})
- Richtig; wie es weitergeht, werden wir sehen.
({1})
- Ja, aber nun erst einmal dieses.
Die zweite Forderung des Antrags, die Bundesförderung im Bereich der Kultur bis in die Mitte der 90er Jahre hinein fortzusetzen, wirft schwierige Fragen auf; Sie haben es selber schon angedeutet. Selbstverständlich - so nehme ich an - wird weiterhin Bundeshilfe zu leisten sein, wenn tiefgreifende Gefahren für die kulturelle Substanz in den neuen Bundesländern drohen. Aber es wird auch notwendig sein, Jahr für Jahr zu prüfen, in welcher Höhe Mittel benötigt werden. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, daß mit zunehmender finanzieller Stabilität der neuen Bundesländer eine erhebliche stufenweise Reduzierung möglich sein wird.
Da kulturelle Förderung grundsätzlich Aufgabe der Länder ist, werden die einzelnen Landesregierungen natürlich bemüht sein, die ihnen zukommende Sorge für ihre Kulturgüter und kulturellen Einrichtungen voll zu übernehmen.
Ein Blick nun in eine Liste von Institutionen der neuen Bundesländer, die aus dem Bundeshaushalt Fördermittel erhalten, stimmt ziemlich nachdenklich. Da stehen z. B. die Deutsche Staatsoper in Berlin, das Deutsche Historische Museum im Zeughaus in Berlin, die Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam/Sanssouci, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Bereich der ehemaligen DDR, das Bauhaus in Dessau. - Das sind alles Namen von nationalem, ja von internationalem Bekanntheitsgrad.
Deswegen erhebt sich die Frage, ob nicht die Förderung solcher hier nur beispielhaft genannter Kulturdenkmäler und kultureller Einrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung in Zukunft selbstverständlicher und in höherem Maße als bisher auch Bundessache sein darf.
Bei aller Zustimmung zum föderalen Aufbau der Bundesrepublik und zur Zuständigkeit der Bundesländer für die Kulturpolitik sollte man diese Frage im Zusammenhang mit dem hier anstehenden Spezialproblem in den Ausschüssen unvoreingenommen und ohne Angst, föderalistische Tabus zu brechen, einmal erörtern, vor allem mit Blick auf andere europäische Länder, aber auch im Hinblick auf infolge der Herstellung der deutschen Einheit notwendig gewordene Organisationsrevisionen. Es sollte möglich sein, Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten akzeptiert werden können. Schließlich ist auch der Deutsche Bundestag, ja sogar die Bundesregierung nicht ganz frei von föderalistischen Elementen, wenn man das sorgsame Achten auf ausgewogenere Repräsentanz der einzelnen Länder in Gremien und Positionen bedenkt.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der Überweisung in die Ausschüsse zu und wird gern die hier aufgeworfenen Fragen mit allen Fraktionen beraten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich habe in dieser Woche gelesen, daß der Bundesinnenminister, Herr Seiters, erklärt hat, daß im Jahr 1992, 1,19 Milliarden DM für die Kulturförderung in den neuen Ländern zur Verfügung stehen werden und daß die Bundesregierung ihre Verantwortung für die Entwicklung der Kultur in den fünf neuen Ländern auch im Jahr 1992 ernst nehmen wird. Damit wäre ja im Prinzip fast das Anliegen des SPD-Antrags erledigt
({0})
- „fast", habe ich gesagt -, wenn sich jetzt nicht eine Diskussion wiederholte, die wir bereits im vergangenen Jahr über den Planansatz 1991 hatten, und wenn viele nicht befürchteten, daß ähnliche Diskussionen vielleicht auch im nächsten oder im übernächsten Jahr ins Haus stehen werden.
Es bleibt dabei, daß im Einigungsvertrag die Zusage paraphiert wurde, die kulturelle Substanz in den neuen Ländern zu erhalten. Das ist eine verbindliche Aussage, und auch daran wird die Koalitionsregierung natürlich gemessen werden.
Nun streiten sich einige über die Möglichkeiten und Grenzen der Bewertung des Begriffs „kulturelle Substanz". Vielleicht kann man darüber unterschiedlicher Meinung sein. Es bleibt aber dabei: Wer den Rotstift bei der Kultur ansetzt,organisiert eine mindere Lebensqualität und untergräbt seine eigene Existenz und die Existenz der folgenden Generationen.
Ich bin bereit, mich zu korrigieren. Ich stelle für das Jahr 1991 fest, daß wichtige Bereiche der professionellen künstlerischen Kultur, insbesondere im musikalischen und dramatischen Bereich, nicht nur erhalten wurden, sondern daß sie sich stabilisiert haben. Ich sage, ich korrigiere mich. Ich hatte Zweifel, ob die Bundesregierung das schafft.
Ich stelle aber zur gleichen Zeit fest, daß der Begriff „kulturelle Substanz" ja nicht nur auf die professionelle künstlerische Kultur zielt. Wir müssen heute ehrlich eingestehen, daß bestimmte Bereiche der professionellen künstlerischen Kultur nicht mehr leben können oder daß sie schon gestorben sind. Ich denke an bestimmte Bereiche der Unterhaltungskunst und der Literatur und auch die bildende und die angewandte Kunst; ich denke an den großen Bereich der Alltagskultur, der Basiskultur, der Straßenkultur und der alternativen Kultur, der in der DDR vernachlässigt wurde, was zu großen Auseinandersetzungen im kulturellen Bereich geführt hat.
({1})
-Was wissen Sie denn von der Kultur?
({2})
- Entschuldigen Sie mal bitte; wenn Sie über die Kultur reden, ist es so, als wenn mein Großvater über die Atomforschung gesprochen hätte. Sie haben keine Ahnung davon.
({3})
Meine Damen und Herren, viele Zwischenrufe auf einmal verfehlen ihren Effekt. - Herr Dr. Keller, Sie haben das Wort.
Sie bringen mich nicht aus der Ruhe. Schauen Sie sich im Geschichtsbuch genau an, wo ich wann tätig gewesen bin und wo ich Verantwortung getragen habe.
({0})
Dann können wir uns darüber unterhalten.
Ich rede jetzt mit Ihnen darüber, daß Sie nicht dazu in der Lage sind - Sie als CDU tragen die Verantwortung dafür -, diese Bereiche der Alltagskultur zu entwickeln.
({1})
Sie tragen die Verantwortung dafür, daß im letzten Jahr 1 500 bis 2 000 Kulturhäuser, Kinos, Jugendclubs usw. geschlossen worden sind. Das können Sie nicht auf meine Rechnung setzen. Sie müssen damit leben lernen. Das ist nicht mein Problem.
({2})
Das ist Ihre Verantwortung, und daran werden Sie gemessen, ob Ihnen das paßt oder nicht. Das werden wir Ihnen sagen, das werden andere oppositionelle Kräfte Ihnen sagen, und das werden Ihnen vor allen Dingen diejenigen sagen, die gehofft haben, daß nach der Einheit Deutschlands dieser kulturelle Bereich entwickelt wird.
({3})
Ich sage Ihnen auch: Es ist das Problem eingetreten - das ist nicht meine Schuld -, daß allein in Berlin pro Woche etwa vier Ateliers gekündigt werden. Die Atelierkosten sind um 500 bis 2 000 % gestiegen. Das ist natürlich ein Problem, das zum Untergang bestimmter Bereiche der Kunst und der Kultur führen wird.
Wir stellen auch fest - selbst wenn für Kunst und Kultur dieselbe Summe wie im Jahr 1991 zur Verfügung steht -: Das Leben wird für die Kommunen nicht einfacher. Die Steuereinnahmen werden nicht so steigen, daß Probleme in bestimmten Bereichen gelöst werden können. Es gibt natürlich die notwendigen Tarifsteigerungen; es gibt höhere Materialkosten u. ä. Ich bin mir dessen bewußt: Das Problem, das seit der Einheit besteht, besteht auch im Jahre 1992.
Wir müssen um den Erhalt der kulturellen Substanz ringen. Ich bin mir sicher: Vieles wird gelingen; aber wenn wir den Finger nicht auf einige Posten legen, dann werden wir zu spät feststellen, daß wir auf dem Weg einiges verloren haben.
({4})
Nun hat der Abgeordnete Baum das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vermag die Bundesregierung und das Parlament überhaupt nicht zu kritisieren. Wir haben ja die entsprechenden Haushaltsentscheidungen getroffen. Wir haben eine außerordentlich große Anstrengung unternommen - sie ist vorbildlich für die Bundesländer -: Im letzten Jahr wurden 950 Millionen DM für die Kulturförderung und die Substanzerhaltung der Kultur in den neuen Bundesländern aufgewendet; in diesem Jahr ist es nicht wesentlich weniger.
({0})
Stellen Sie einmal einen Vergleich an. Mir ist soeben der Umfang der Subventionen für Theater in der alten Bundesrepublik eingefallen. Etwa 1,1 bis 1,2 Milliarden DM kosten alle unsere Theater in der alten Bundesrepublik. Wir geben für die Kulturpflege im Beitrittsgebiet insgesamt 1,19 Milliarden DM aus; im vorigen Jahr waren es 1,28 Milliarden DM.
({1})
Das ist doch eine gewaltige Leistung.
Ich frage mich in allem Ernst: Wo ist eigentlich der Fonds der alten Bundesländer zur Substanzerhaltung der Kultur in den neuen Bundesländern? Er fehlt.
({2})
Der Bund erbringt Leistungen nach dem Einigungsvertrag, was ich sehr begrüße. Ich möchte nicht, daß daran Abstriche vorgenommen werden. Aber er tut es natürlich außerhalb seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit. Er muß es tun; wir sind in einer wichtigen und schwierigen Übergangssituation. Aber ich verbitte mir dann auch - genauso wie Sie, Herr Duve, es getan haben - die kleinliche Kritik der Bundesländer an unseren Aktivitäten. Soll das Parlament diese Leistungen des Bundes nicht in einem Unterausschuß begleiten? Wie haben wir darum gekämpft, diesen Unterausschuß zu bekommen. Meine Fraktion war sogar dafür, einen Kulturausschuß einzusetzen,
({3})
weil wir der Meinung sind, daß Kunst und Kultur im Parlament des Gesamtstaates eine wichtige Rolle spielen.
Im übrigen geht es ja nicht nur um dieses Thema. Wir entscheiden hier im Bundestag über wichtige Rahmenbedingungen der künstlerischen Tätigkeit, und zwar im Steuerrecht, im Stiftungsrecht, im Sozialversicherungsrecht oder im Recht der Europäischen Gemeinschaft. Wir haben also allen Anlaß, uns damit zu befassen.
Die Einheit hat eine kulturelle Dimension. Es geht nicht nur um die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen. In dieser schwierigen Übergangszeit haben die Menschen in den neuen Bundesländern auch einen besonderen Anspruch darauf, daß die kulturelle Substanz nicht vor die Hunde geht. Im vorigen Jahr wurden im Rahmen der Übergangsfinanzierung 3 300 Institutionen und Veranstaltungen aus allen Kulturbereichen gefördert. Die neuen Bundesländer haben im vorigen Jahr 2,5 Milliarden DM für die Kultur bereitgestellt. Wir haben, wie erwähnt, etwa 1,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Daran sehen Sie, daß dieser Anteil sehr hoch ist und hoch sein mußte.
Es ist im Haushaltsausschuß gelungen, den Betrag von zunächst 650 Millionen DM auf 830 Millionen DM aufzustocken. Andere Programme kommen hinzu: Substanzerhaltung, Infrastruktur, Denkmalpflege. Die Mittel für die institutionelle Förderung sind erhöht worden. Die Leistungen des Bundes zugunsten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz betragen de facto etwa 85 %. Wir haben uns auch an anderen Institutionen und Stiftungen beteiligt: Weimarer Klassik, Potsdamer Schlösser, Bauhaus Dessau, Staatliche Museen Ost-Berlin. Alles das leisten wir aus dem Haushalt des Bundes, so daß hier insgesamt eine so große Zahl zu nennen ist. Kritik am Jahr 1992 ist also völlig unberechtigt. Insofern ist der Antrag erledigt.
Die Frage ist: Wie geht es weiter; wie ist die Perspektive? Wir sind dazu der Meinung, daß es weitergehen muß. Die Übergangsfinanzierung kann nicht mit dem Jahr 1992 auslaufen. Sie muß im Jahr 1993 nach den Bedürfnissen fortgesetzt werden.
({4})
Allerdings muß sich der Anteil der neuen Bundesländer erhöhen. Sie haben höhere Haushaltsmittel. Man wird sehen, wie hoch der Anteil sein wird. Meine Fraktion wird dafür eintreten, daß nicht kw-Vermerke, Herr Kollege Weng, das Jahr 1993 kennzeichnen, sondern daß die Übergangsfinanzierung fortgesetzt wird.
Ich bin zweitens mit meiner Fraktion der Meinung, daß sich der Bund an den besonders bedeutsamen kulturellen Einrichtungen in den neuen Bundesländern beteiligen muß. Das sind Einrichtungen von nationaler Bedeutung. Ich habe Weimar und die Potsdamer Schlösser schon erwähnt. Das ist eine Aufgabe des Gesamtstaates, genauso wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Aufgabe des Gesamtstaates ist. Der Unterausschuß wird sich mit diesem Thema besonders befassen. Wir haben gestern beschlossen, Besuche in den neuen Bundesländern zu machen, um uns diesen Einrichtungen zu widmen. Der Bund muß sich also auf Dauer an solchen Einrichtungen beteiligen.
Drittens bin ich der Meinung, Herr Kollege Waffenschmidt, der Bund sollte ein Konzept entwickeln und möglichst bald diesem Parlament vorlegen, das über die Übergangsfinanzierung hinausgeht. Die Über6160
gangsfinanzierung wird eines Tages auslaufen, wahrscheinlich Mitte der 90er Jahre. Aber dann muß es ein Konzept geben, das für die Folgezeit Geltung hat.
Das ist unsere Position. Anlaß zur Kritik am Verhalten der Bundesregierung oder der Koalition gibt es überhaupt nicht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Fischer ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte als Bürgerin eines neuen Bundeslandes, Ihnen kurz die Situation im Hinblick auf Breitenkultur und die berechtigten Ängste zu schildern, die es bei uns in den neuen Ländern gibt, wenn die Fördermittel gekürzt würden. Wie ich mittlerweile mitbekommen habe, wird das doch nicht so drastisch geschehen. Dafür bedanke ich mich.
Ich möchte trotzdem nicht auf eine Situationsschilderung verzichten, damit Sie die Befindlichkeit der Bürger dort ein bißchen nachempfinden können. Seit 1954 gab es in meinem Ort ein Kreiskulturhaus, unter dessen Dach sich neben einem großen Saal mehrere kleinere Räume befanden, in denen die unterschiedlichsten Volkskünstler arbeiten konnten. Es gab eine Bibliothek, ein Musikzimmer und ein großzügiges Maleratelier. Von 1978 bis 1990 gehörte ich diesem Malzirkel an. Sämtliche kulturellen Aktivitäten sind am 31. Dezember 1990 eingestellt worden. Das Kreiskulturhaus beherbergt heute eine Möbelfiliale und ein Videozentrum. Die Kommune war nicht in der Lage, dieses Haus zu unterhalten. Das ist beileibe kein Einzelfall.
Der Einigungsvertrag aber gebietet aber in Art. 35, daß die kulturelle Substanz keinen Schaden nehmen dürfe, die kulturelle Infrastruktur zu entwickeln sei und folglich ihre Finanzierung gesichert werden müsse. Im gleichen Atemzug weist der Einigungsvertrag darauf hin, daß Schutz und Förderung von Kultur den neuen Ländern und Kommunen obliegen. Aber die neuen Länder können, wie wir schon gehört haben, ihre Kulturhoheit noch nicht eigenverantwortlich wahrnehmen. Der Aufschwung Ost hat nicht so wie erwartet gegriffen. Die Einnahmen der Kommunen lagen unter den damaligen Erwartungen.
Es ist für mich auch als Designerin bitter, mit anzusehen, wie stark gerade die Breitenkultur unter dieser Finanznot leidet. In vielen ländlichen Gegenden waren Kulturhäuser und Jugendzentren Orte, in denen Ausstellungen, Lesungen sowie Konzerte stattfanden und Volkskunstzirkel arbeiteten, die besonders gern von den Bürgern angenommen wurden.
Nach Umfragen der Stiftung „Lesen" und des Deutschen Kulturrates bei ostdeutschen Bürgermeistern hat sich die Zahl kultureller Einrichtungen halbiert. Das gleiche Schicksal widerfuhr den Kinos. Statt ihrer sehen wir nun als sichtbarstes Zeichen der neuen Zeit Porno-Shops, Würstchenbuden und Videotheken.
Am stärksten hat der Abbau der kulturellen Infrastruktur bestimmte Zielgruppen, z. B. die Jugendlichen, getroffen. Sozial- und Freizeitangebote sind erst spärlich vorhanden. Wir brauchen uns nicht zu wundern, daß hier der Rechtsradikalismus nahrhaften Boden findet.
Am deutlichsten aber ist der Abbau der öffentlichen Bibliotheken. Die Zahl der Ausleihstellen sank von 6 250 auf 2 900, das sind ca. 50 %. Die Zahl der Benutzer und der Entleihungen wiederum ging nur um ein Drittel zurück. Der Bedarf ist also da. Nur, die Wege sind jetzt lang geworden, da die kleinen Dependencen in Schulen, Krankenhäusern und Altersheimen geschlossen wurden. Ein mobiler Bücherdienst aber kann von den Kreisverwaltungen finanziell noch nicht getragen werden.
Schließung von kulturellen Einrichtungen bedeutet auch immer Personalabbau. In den hier genannten Bereichen sind besonders die Frauen betroffen. Die Probleme potenzieren sich, wenn die AB-Mittel noch auslaufen. Derzeit sind sie de facto die einzige Möglichkeit zur Finanzierung dieser Personalstellen.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich will hier wirklich keine Panikstimmung machen. Um Einschnitte im kulturellen Bereich wird man nicht herumkommen - das wissen wir -, und die Forderung nach Beibehaltung der bisherigen Förderungshöhe von 900 Millionen DM soll nicht nur genutzt werden, um Vorhandenes zu konservieren, was sowieso schon schwer genug fallen wird, sondern auch als Anfang eines Gestaltungsauftrages verstanden werden.
Es hat nun wohl doch die Bundesregierung nachdenklich gestimmt, daß Dr. Alfred Gomolka im Auftrag aller Ministerpräsidenten der neuen Länder um eine erneute Zuweisung von 900 Millionen DM gebeten hat und diese Bitte als wirklichen Hilferuf an den Bundeskanzler herangetragen hat. Man weiß dort wohl am ehesten und am besten um die Befindlichkeiten der Bürger der ehemaligen DDR.
Gerade in der Breitenkultur fanden viele eine Möglichkeit - so auch ich -, dem tristen DDR-Alltag zu entrinnen. Diese Strukturen haben es ihnen in den vergangenen Jahrzehnten erleichtert, ideologische Vereinnahmung, so gut es ging, von sich fernzuhalten. Ihre kulturelle Betätigung - das sehe ich aus meinem eigenen Befinden - war auch ein Stück ihrer Identität. Lassen Sie es bitte als Bundesregierung nicht zu, daß gerade im kulturellen Sektor diese Identität auch noch verschwindet - in anderen Bereichen ist sie schon verlorengegangen -, und das womöglich aus finanziellen Gründen, die man in späterer Zeit wohl nicht mehr nachvollziehen könnte!
({0})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Haschke ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Rede des
Udo Haschke ({0})
Kollegen Duve und nach der überzeugenden Darstellung meiner Kollegin Professor Wisniewski ist eigentlich die Hälfte des Antrags erledigt. Ich habe das geahnt und habe mich nur auf die zweite Hälfte vorbereitet.
Ich bin der SPD sehr dankbar, daß sie den Antrag mit dieser Begründung gestellt hat, gibt er doch Gelegenheit, einmal grundsätzlich einige Dinge zur Kulturpolitik zu sagen, die hier sonst leider nicht immer in gebührendem Maße zur Sprache kommen.
Wenn man nach Deutschlands Kultur fragt - egal, wo man hinkommt -, stößt man wahrscheinlich immer auf dasselbe Phänomen: daß die Namen einiger herausragender Persönlichkeiten, Gebäude, Einrichtungen und Institutionen genannt werden. Für das Gebiet der neuen Bundesländer könnten das etwa Sanssouci und Dresden sein, könnten das Händel und Bach sein, sicherlich und gewiß auch Goethe und Schiller. Und aus lokalpatriotischer Sicht - Herr Präsident, Sie hatten erwähnt: Haschke ({1}) - hoffe ich immer, einigen fallen dabei auch die Jenaer Romantiker ein.
Ich glaube, diese und viele weitere Namen und möglicherweise auch die neuerdings in die Debatte gebrachte deutsche Volksmusik bewirkten und bewirken Zusammenhalt, eine nationale Identität der Deutschen über regionale Besonderheiten hinweg.
Deshalb wird im Einigungsvertrag zu Recht festgestellt, daß „in den Jahren der Teilung Kunst und Kultur ... eine Grundlage der ... Einheit der deutschen Nation" waren und daß sie „im Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag" leisten.
Insofern sollte - ich sagte es bereits - das Thema Kultur in den Debatten des Deutschen Bundestags, aber mehr noch in den Debatten der Landtage und der Gebietskörperschaften nicht nur am Rande der Haushaltsdebatten behandelt werden.
({2})
Natürlich ist es auch ein Haushaltsthema. Jedermann - weil ich um die Empfindlichkeiten bei manchen Frauen weiß, spezifiziere ich „jedermann": Mann, Frau und Kind - erlebt dies immer wieder einmal in der Entscheidung zwischen Theaterkarten und anderen Notwendigkeiten. Ich sage bewußt „anderen Notwendigkeiten", weil Kunst und Kultur dem Menschen tatsächlich nicht so etwas wie Kompott sind, sondern notwendig.
({3})
- Das meine ich ja: Kunst und Kultur sind dem Menschen nicht Kompott, sondern notwendig.
Deshalb bin ich froh, daß im vergangenen Jahr die Bundesregierung trotz eisernen Sparwillens eine doch nicht unerhebliche Summe den neuen Bundesländern für kulturelle Zwecke zur Verfügung gestellt hat und auch für 1992 wieder dazu bereit ist. Ich stimme dem
Kollegen Baum sehr gern zu: Wir werden uns gemeinsam anstrengen, daß das 1993 nicht ausläuft.
({4})
Über die Höhe läßt sich immer streiten. Natürlich hätte auch ich gern mehr; jeder, dem die Kultur am Herzen liegt, hätte dafür gern mehr. Aber es sind auch realistische Abwägungen zu treffen, was in welcher Höhe tragbar ist. Wenn ich „tragbar" sage, dann meine ich: tragbar u. a. für den deutschen Steuerzahler.
Abzuwägen ist aber auch, wofür diese Mittel konkret eingesetzt werden. Der Einigungsvertrag sagt in der damals gebotenen Kürze: „Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3 genannten Gebiet darf keinen Schaden nehmen."
Wolfgang Thierse, damals Fraktionsvorsitz ender der SPD in der Volkskammer, hat in der Debatte zum Einigungsvertrag am 13. September 1990 diese Formulierung für gefährlich halbherzig gehalten. Er sagte: „Statt konkreter Aussagen kehren vage Andeutungen von nicht ausgeschlossenen Hilfen bzw. Mitfinanzierungen im Text immer wieder. " Ich bin froh, daß es nicht bei den vagen Andeutungen geblieben ist. Er hatte also nicht recht. Frau Professor Wisniewski hat die Zahlen exakt genannt.
Aber er hatte insofern recht, als die allgemeine Absichtserklärung natürlich zu gegebener Zeit mit konkreten Zahlen und konkreten Adressaten untersetzt werden mußte. Wir wissen: Dies ist geschehen.
In der Volkskammerdebatte am 13. September 1990 ist aber auch etwas anderes geschehen. Wir in der ehemaligen DDR hatten dafür das Wort „Trittbrettfahrer" . Herr Bisky ({5}) sprang auf diese Formulierung des SPD-Fraktionsvorsitzenden auf. Ich zitiere:
Herr Thierse hat bereits darauf hingewiesen, daß dies eine gefährliche Halbherzigkeit ist. Ich möchte dies unterstreichen und sagen, daß die Formulierungen zur Kultur eine abenteuerliche Unbestimmtheit atmen. Welche Substanz ist überhaupt gemeint? Ich bin dafür, daß die kulturelle Substanz dieses Landes eingebracht wird und nicht nur allgemein vor Schaden geschützt werden sollte.
Die kulturelle Substanz dieses Landes - gemeint ist damit die ehemalige DDR - wollte und - davon gehe ich aus - will die SED/PDS einbringen. Wen oder was meint sie damit eigentlich alles? Mir fallen unter diesem Aspekt nicht nur das Gewandhausorchester oder der Kreuzchor oder das Nationaltheater Weimar oder - wieder lokalpatriotisch - die Jenaer Philharmonie ein.
Mir fallen unter dem Stichwort Jena auch ein: Jürgen Fuchs, Roland Jahn und - weniger bedeutend; aber da ich ihn persönlich kenne, möchte ich ihn hier erwähnen - Manfred Hildebrand, diese und andere, die über die Zwischenstation Stasi-Knast aus eben diesem Land verjagt wurden.
Mir fällt ein, wie der Kollege Riege - PDS - die Kulturarbeit an der FSU - Friedrich-Schiller-Univer6162
Udo Haschke ({6})
sität ({7}) - kürzlich beiläufig lobte; aus seiner Sicht vielleicht mit gutem Grund.
({8})
Da wurde nämlich der, dem der „Bitterfelder Weg" zu bitter wurde, wer Eigenes - entsprechend dem im Studentenkeller „Zur Rose" manchmal angestimmten Lied „Die Gedanken sind frei" -nicht nur „in der Still und wie es sich schicket" dachte, wer also aufmüpfig wurde, exmatrikuliert, denunziert, notfalls inhaftiert und dann abgeschoben.
({9})
Und bei Leipzig fällt mir - unter anderen - Erich Loest ein. Und da löse ich vor diesem Hohen Haus
- auch wenn es schwach besetzt ist; Herr Loest möge es mir verzeihen - gern ein Versprechen ein, das ich ihm anläßlich einer Lesung hier in Bonn gegeben habe: Wer an Leipzig und Leipzigs Kultur denkt, soll auch denken an die Universitätskirche, unwiderbringlich verlorene kulturelle Substanz.
({10})
Wer dies bedenkt, soll auch denken an die Damen und Herren in der Bezirksleitung der SED. Ich will diese Gedanken hier heute aussprechen, will dies am Beispiel Erich Loest - er war einer von denen, die zur kulturellen Substanz dieses Landes DDR nach Ansicht der SED nicht gehörten, die raus mußten - darstellen. Ich zitiere aus Erich Loest „Der Zorn des Schafes", Unterabschnitt „Aus meiner Stasi-Akte":
Bezirksverwaltung Leipzig
Leipzig, 17. Oktober 1980
Abteilung XX/7
Aktennotiz
OV Autor II
- „OV" steht für operativer Vorgang. Am 13. 10. 1980 wurde durch Gen. General Hummitzsch über ein Gespräch mit dem Sekretär der BL
- der Bezirksleitung der SED, Gen. D. Keller, informiert, in dem vom Gen. Keller zur weiteren Verfahrensweise zu Loest folgendes dargelegt wurde:
Durch den stellv. Minister für Kultur, Gen. Klaus Höpcke, wird ein Vorschlag an Gen. Kurt Hager gerichtet, wonach Loest nach dem Erscheinen des Hetzromanes „Spurensicherung" in der BRD die Wiedereinreise in die DDR nicht gestattet werden soll. Ob dieser Vorschlag die Zustimmung des Gen. Hager findet, kann nicht eingeschätzt werden. Andere Vorstellungen über eine Auseinandersetzung mit Loest existieren zur Zeit nicht.
Gezeichnet: Tinneberg ({11})
Ein weiteres Zitat aus dem Buch von Loest, aber nicht aus der „Stasi-Akte":
Die Abteilung Kultur der Bezirksleitung der SED
in Leipzig unterstand Dr. Dietmar Keller. In der
Regierung Modrow fungierte er als Kulturminister; zu der Wahl am 6. März 1990 war er der Leipziger Spitzenkandidat der PDS. Sollte er sich wieder einmal für ein demokratisches Amt bewerben, werde ich ihn an seine Kumpanei mit der Stasi erinnern müssen.
Ich erinnere ihn heute daran, nach dieser arroganten Rede.
({12})
Wenn also über kulturelle Substanz „dieses Landes DDR" zu sprechen ist, dann auch über diese Kapitel, über die, die sie so erdacht, so aufgeschrieben und verwirklicht haben - in eben diesen drei Schritten, immer mit dem Schwert und unter dem Schild der Partei, sprich: MfS.
Man mag sich streiten, ob Überschriften wie „Landschaft der Lüge" - Jürgen Fuchs - oder „Blühender Schrebergarten der Stasi" - Wolf Biermann - für diese Kapitel zu hart seien - ich sehe damit vieles auf den Punkt gebracht -; aber auch darüber kann man, wie gesagt, reden. Man muß dann aber auch über die „Grenzgänger" in diesen „Landschaften" der „Lüge", in diesen „Gärten der Stasi" reden. Man muß auch reden - ich zitiere Karl Corino aus der „Welt" vom 2. Januar 1991 - über die „Gipfeltreffen auf Akademie-Ebene", die einem „Weißwäscher-Kongreß" gleichen, auf dem man sich mit den „Spitzeln von gestern fraternisiert".
Wenn wir darüber nicht reden können, laßt uns schweigen; ich verstehe ja die Trauer um verlorene Illusionen. Aus Rainer Kunzes „Einladung zu einer Tasse Jasmintee" sei zitiert: „Treten Sie ein, legen Sie Ihre Traurigkeit ab, hier dürfen Sie schweigen und nachdenken", nachdenken über den „Versuch, man selbst zu sein". Dieses Zitat von Christa Wolf war mir noch wichtig nach diesem für mich unverständlichen Intellektuellenstreit um eine Frau, die uns in der damaligen DDR wirklich sehr viel gegeben hat.
({13})
Christa Wolf ist für mich immer noch aktuell, immer noch wichtig.
Reden wir in Sachen Kulturförderung demnächst bitte konkret über Dinge von nationaler Bedeutung, von regionaler Bedeutung, von territorialer Bedeutung! Laßt uns dafür sorgen, daß wir das Geld dafür irgendwie auftreiben! Dazu ist nicht nur unser Durchsetzungsvermögen im Haushaltsausschuß, sondern auch unsere Phantasie gefordert, an solche Leute heranzugehen, die das nötige Kleingeld in der Tasche haben.
Herr Abgeordneter, ersparen Sie es mir, Sie über die Bedeutung des roten Lichts an diesem Pult aufklären zu müssen.
({0})
Der letzte Satz. - Nicht suchen sollten wir aber als Verbündete fragwürdige Trittbrettfahrer. „Wesentlich für die volle Entfaltung kultureller Kreativität", so heißt es in einer Erklärung des Symposiums über das kulturelle Erbe
Udo Haschke ({0})
der KSZE-Teilnehmerstaaten vom Juni 1991 in Krakau, „ist die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" . Das wollen wir bitte immer im Gedächtnis behalten!
Danke schön.
({1})
Zu einer persönlichen Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Keller das Wort.
Herr Haschke, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen - ich beziehe mich nur auf Teile Ihrer Rede -, daß ich Herrn Jürgen Fuchs acht Tage nach meinem Amtsantritt als Minister für Kultur der DDR in Berlin empfangen habe, daß die „Frankfurter Rundschau" am 11. Januar auf anderthalb Seiten ein Gespräch von Erich Loest mit Dietmar Keller veröffentlicht hat, in dem es eine etwas andere Wertung gibt, als Sie es hier zitiert haben, und daß ich der erste Abgeordnete dieses Hauses bin, der von der Gauck-Behörde überprüft worden ist?
({0})
Nunmehr erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Waffenschmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können gemeinsam mit einiger Befriedigung auf das Jahr 1991 sehen, wenn es darum geht, das kulturelle Erbe zu schützen.
Was stand dahinter, was muß weiterhin als Aufgabe dahinter stehen? Es geht um die Identität von Städten, von Landschaften und ihren Menschen und das, was sie mit bewährter Arbeit und Identität für unser gesamtes kulturelles Erbe in Deutschland einbringen. Ich möchte ausdrücklich denen danken, die gesagt haben, daß auch in den traurigen Zeiten der Teilung manches kulturelle Erbe Brücke für die Einheit unseres Vaterlandes war; ganz besonders das ist zu erhalten und zu pflegen.
({0})
Ich denke, wir sollten in dieser heutigen Debatte auf Grund dessen, was Bundesregierung und Parlament leisten konnten, auch Ländern, Kommunen und freien Trägern in den neuen Bundesländern danken. Insgesamt wurden die Mittel ja zu der stattlichen Summe von 2,5 Milliarden DM aufgestockt. Neben dem, was auf Bundesebene geleistet wurde, kam ein gleich hoher Betrag aus den neuen Ländern. Wenn man sich ansieht, mit welch großen Schwierigkeiten, Sorgen und Nöten man dort nach wie vor zu kämpfen hat, dann will ich ausdrücklich Dank sagen, daß diese stattliche Summe von Ländern, Kommunen und freien Trägern auch in den neuen Ländern für diesen wichtigen Zweck - Erhaltung des kulturellen Erbes -mobilisiert worden ist.
({1}) Es ist wichtig, daß wir das betonen; denn es soll auch die Plattform dafür sein, daß wir uns der Aufgabe weiterhin in guter Zusammenarbeit widmen.
Herr Kollege Duve, mit Recht haben die Vorredner darauf hingewiesen: Für 1992 ist die Gestaltung der finanziellen Seite auf der Bundesebene genauso vorgesehen wie im Jahr zuvor. Das ist eine gute Sache.
Weil ich die Chance hatte, den ersten Beschluß des Bundeskabinetts in dieser Sache zu vertreten - das war schon am 14. November 1990, als wir uns im Bundeskabinett damit befaßt haben, um diese Mittel für 1991 und möglichst auch für 1992 zu sichern -, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Es war Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich ganz persönlich dafür eingesetzt hat, daß das Geld für diese außergewöhnlich wichtige Aufgabe zur Verfügung gestellt werden soll. Es hat uns sehr geholfen. Ich glaube, das Geld, das das Parlament auf Anregung der Koalition bereitgestellt hat, ist gut angelegt.
({2})
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve zu beantworten?
Ja.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage - bereit sind Sie bestimmt -, dem Hause heute schon zu sagen, wie die Bundesregierung auf diesen kw-Vermerk „1.1.93", also auf den Wegfall dieser Zahlung, der ja sozusagen bereits intendiert ist, reagieren wird und was nun in der nächsten Zeit - es muß ja relativ schnell geschehen - getan wird, damit dieser Wegfall wieder wegfällt und die Sache wirklich auch im Jahr 1993 finanziert ist?
Herr Kollege Duve, ich muß Ihnen mit einigem Schmunzeln sagen: Ich verstehe, daß Sie sich so vehement auf 1993 stürzen, weil ja Ihr Antrag im Hinblick auf das Jahr 1992 völlig ins Leere läuft; da ist er ja gegenstandslos.
({0})
-Ich will ja Ihre Frage beantworten. Der erste Teil hat sich also erübrigt; das haben die Kollegen schon gesagt.
Ich komme jetzt zum zweiten Teil. Ich kann Ihnen nur sagen: Unser Haus, das Bundesinnenministerium, wird sich, wie ich Ihnen eben schon darlegen durfte
- es begann schon im Herbst 1990 -, auch weiterhin als Anwalt der berechtigten Anliegen betätigen. Aber
- Sie sind ja schon lange Mitglied dieses Hauses und wissen es - die Vorbereitungen des Haushalts für 1993 beginnen ja erst in den nächsten Wochen. Wir sind ja gerade im ersten Monat des Jahres 1992.
Ich kann nur das wiederholen, was ich schon mehrfach zum Ausdruck brachte und was sowohl von Abgeordneten dieses Hauses als auch bei anderer Gelegenheit aus unserem Hause gesagt wurde: Wir werden uns einsetzen. Das Kabinett beschließt den
Etatentwurf in der Mitte des Jahres 1992 und überweist ihn an das Parlament, und dann wird das Parlament beraten. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die schon heute gesagt haben, sie würden sich mit Nachdruck dafür einsetzen, daß auch 1993 etwas geschieht.
Herr Kollege Duve, ich will Ihnen aber noch einen guten Vorschlag machen, weil wir uns ja in der Zielsetzung, daß etwas geschehen soll, einig sind. Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien sind daran interessiert, daß die Finanzausstattung der Länder und Kommunen in den neuen Bundesländern längerfristig gesichert ist, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Das ist ja ein wichtiges Anliegen. Deshalb hat die Bundesregierung vorgeschlagen, zusätzlich 6 Milliarden DM in den Fonds Deutsche Einheit zu geben, u. a. die Strukturhilfemittel umzuschichten. Das wird von Ihnen und Ihren Freunden im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß blockiert.
({1})
Stimmen Sie den Vorschlägen der Bundesregierung zu, dann kommen 6 Milliarden DM zusätzlich in den Fonds Deutsche Einheit. Dann können die Länder und Kommunen auch in den neuen Ländern die kulturellen Aufgaben viel besser durchführen, als wenn Sie die Dinge immer blockieren, wie Sie es bisher tun.
({2})
- Nein, wir schnüren nicht Pakete auf, sondern wir haben Ihnen konkrete Vorschläge gemacht. Wissen Sie, eines geht nicht: sich hier hinstellen und sagen, wir müssen mehr Geld in die neuen Länder geben, und sich dann auf der anderen Seite in den alten Ländern hinstellen und sagen: Aber die Strukturhilfe-mittel müssen wir möglichst alle behalten, die dürfen nicht dahin gehen.
({3})
Das ist nicht glaubwürdig. Wir wissen auch, daß in den alten Ländern noch viele Dinge zu regeln sind, aber wir haben den Mut zu sagen, in den neuen Ländern ist das Geld jetzt dringlicher, u. a. auch für diese kulturellen Aufgaben. Beschließen Sie deshalb mit uns, damit die Blockade im Vermittlungsausschuß aufhört und das Geld in die neuen Länder kommt. Das ist wichtig, meine Damen und Herren.
({4})
Ich möchte gerne noch einen anderen Dank aussprechen, weil das für unser gemeinsames Ziel wichtig ist. Die Deutsche Stiftung für Denkmalschutz und andere haben das, was wir gemeinsam wollen, in den letzten Monaten als Zielsetzung auch ganz energisch verfolgt. Ich möchte denen, die hier als private Sponsoren, als Helfer auf vielfältigem Wege noch zusätzliche Millionen mobilisiert haben, ganz herzlich danken und sie ermuntern, über die vielfältigen Wege der finanziellen Unterstützung auch mit privater Initiative für diesen wichtigen Zweck weiterhin Hilfe zu geben; denn wir sind auf Dauer auch darauf angewiesen, daß sich nicht nur Bund, Länder und Kommunen, sondern auch viele freie Träger, private Sponsoren diesem wichtigen Zweck der Erhaltung des kulturellen Erbes zuwenden. Die das schon gemacht haben, verdienen unseren Dank und unsere Anerkennung, auch heute im Bundestag.
({5})
Meine Damen und Herren, ich finde, es ist eine ganz wichtige Sache, daß wir heute feststellen können: Über 3 300 Institutionen, Veranstaltungen, Organisationen des kulturellen Lebens in den neuen Bundesländern konnten unterstützt werden. Hier ist auch manches an sehr positiven Reaktionen gekommen. Eben wurde schon gesagt: Manch einer hat es gar nicht für möglich gehalten, daß das, was mit einem Satz im Einigungsvertrag beschrieben wurde, in dieser lebendigen Weise auch durchgeführt werden konnte.
Ich möchte für unser Haus sagen: Wir werden uns mit aller Kraft anstrengen - nicht nur in den Diskussionen mit dem Parlament, sondern auch in den Diskussionen mit den Ländern und Kommunen, auch in den Diskussionen mit den alten Bundesländern -, damit wir das Ziel erreichen, das kulturelle Erbe für unser Vaterland, für unser gemeinsames Deutschland zu wahren, und die - das halte ich für ganz wichtig - oft durch Jahrhunderte gewachsene Identität der Städte und Landschaften und ihrer Menschen in den neuen Bundesländern zu pflegen und weiterzuentwickeln. Uns ist hier - das sage ich als einer aus den alten Bundesländern -, ein großer Reichtum zugewachsen, daß wir das wieder gemeinsam in Freiheit gestalten können.
Wenn wir die gemeinsame Verantwortung für das kulturelle Erbe nicht nur durch Wort, sondern auch durch Tat zum Ausdruck bringen, leisten wir auch einen wichtigen Beitrag für die innere Einheit unseres Vaterlandes. Ich denke, das sollte unsere Anstrengungen in den nächsten Monaten bestimmen. Wir sind dazu seitens der Bundesregierung gerne weiter bereit.
Vielen Dank.
({6})
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage auf der Drucksache 12/1437 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei
- Drucksachen 12/1274, 12/1918 Hierzu wird Ihnen interfraktionell eine Zehnminutenrunde vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann können wir mit der Aussprache beginnen.
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Zunächst hat die Abgeordnete Frau Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei aktuelle Meldungen der Presseagenturen vom heutigen Tag und von gestern offenbaren die Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei in aller brutalen Härte. Sie werfen gleichzeitig ein bezeichnendes Licht auf die Beziehungen der BRD zur Türkei.
„dpa" meldet heute morgen um 8 Uhr, daß die türkische Armee ihre in der ersten Januarwoche begonnenen Luft- und Bodenoperationen gegen Stellungen und Lager der kurdischen Arbeiterpartei - PKK - in Türkisch-Kurdistan offenbar verstärkt habe. Die wegen ihrer guten Kontakte zu Sicherheitskreisen bekannte türkische Zeitung „Hürriyet" berichtete am Donnerstag, in dieser Woche hätten sich die Angriffe auf drei PKK-Lager in den Provinzen Sirnak und Tunceli konzentriert. Dabei seien nahezu 500 PKK-Guerillas getötet worden. Sonderkommandos des Heeres hätten vor den Bombenangriffen fliehende Guerillas umzingelt, „um der PKK den Rest zu geben", schrieb „Hürriyet". „dpa" berichtet, daß die Luft- und Bodenangriffe bis zum Frühjahr fortgesetzt würden.
Gestern berichtete „dpa", daß das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden habe, daß Kurden in der Türkei keiner staatlichen Verfolgung als Volksgruppe unterlägen und deshalb auch keinen Asylanspruch in Deutschland hätten. Das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen kurdische Bewohner der südöstlichen Gebiete der Türkei richte sich nicht gegen die Volksgruppen der Kurden „als solche". Vielmehr, so begründet der Senat, handele es sich dabei um zeitlich und örtlich begrenzte Reaktionen auf Anschläge von Untergrundkämpfern.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere große Anfrage zur Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei zielt darauf ab, die neue Regierung der Türkei vor einer tiefgehenden Kritik in Schutz zu nehmen und mögliche, meiner Meinung nach unbedingt notwendige Konsequenzen als unnötig erscheinen zu lassen.
Einmal mehr Diktatur, einmal ein bißchen Demokratie. Der Dialog der Bundesregierung zur Türkei war immer - Zitat - „kritisch, aber zugleich konstruktiv", wie die Bundesregierung das ausdrückt. Konstruktiv war man für das Geschäft und die NATO. Kritisch stellte man sich gegenüber der Öffentlichkeit dar, um die Geschäfte nicht zu beeinträchtigen.
Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß es unter der Regierung Demirel gewisse positive Veränderungen gegeben hat, die den politischen Spielraum der oppositionellen Kräfte etwas erweitern. Die Bundesregierung versucht aber, insgesamt den Eindruck zu erwecken, daß die neue türkische Regierung mit Ernsthaftigkeit Menschenrechte durchsetzen will. Diese Bemühung ist verständlich bei einer Partnerschaft, die meiner Meinung nach zugleich eine Komplizenschaft ist. Das erklärt, warum sich die Bundesregierung in ihren dürftigen Antworten nicht damit beschäftigt, Sachverhalte wahrheitsgemäß aufzuhellen, sondern spitzfindig ausweicht und nichtssagend bleibt.
Fragt man die Bundesregierung nach Menschenrechtsverletzungen und welche Fälle von Menschenrechtsverletzungen es in der Türkei gibt, dann erfährt man nichts über die Politik des Ausnahmezustandes und der Notstandsgesetzgebung, die Verschleppung und Ermordung Oppositioneller, die Bombardierung ethnischer Minderheiten nicht nur in Türkisch-Kurdistan mit dem Ziel der Entvölkerung unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, sondern auch nichts über Napalmeinsätze des türkischen Militärs gegen Kurden im Irak, bürgerkriegsähnliche Zustände, die Außerkraftsetzung wesentlicher Paragraphen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darüber schweigt die Bundesregierung. Von einem gewissenhaften Nachkommen ihrer Informationspflicht kann nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil.
Dafür ein Beispiel: Da behauptet die Bundesregierung bei der Beantwortung der Frage 6, daß es keine Anhaltspunkte dafür gäbe, daß das türkische Militär Bombardierungen mit Napalm gegen kurdische Dörfer im Irak durchgeführt habe. Die Bundesregierung stützt sich dabei auf Aussagen der türkischen Regierung. Am 25. November 1991 wurde allerdings im WDR ein Bericht über Napalmopfer in Krankenhäusern und Krankenstationen gesendet. Diesen Anhaltspunkten hätte z. B. die Bundesregierung durchaus nachgehen können.
Da verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort darauf, daß unter den Abgeordneten der Sozialistischen Volkspartei - SHP - 20 kurdische Abgeordnete gewählt worden seien. Verschwiegen wird von der Bundesregierung, daß kurdische Abgeordnete, wenn sie reden wollten, unter den Augen der türkischen Regierungsbank zum Teil mit Schlägen vom Rednerpult geholt worden sind.
Ebenfalls wird verschwiegen, daß bei den Abgeordneten Leyla Zana und Hartip Dick die Aufhebung der Immunität beantragt und die Todesstrafe gefordert worden ist, weil sie dem nationalistischen Eid hinzugefügt hatten - ich zitiere -: „Ich leiste ihn für die Freundschaft des türkischen und kurdischen Volkes."
Von der Bundesregierung erfährt Mensch auch nicht, daß gegen die 20 SHP-Abgeordneten, die aus der kurdischen „Arbeiterpartei des Volkes - HEP - stammen, ebenfalls die Aufhebung der Immunität beantragt wurde, weil gegen sie Anklage nach den berüchtigten Antiterrorgesetzen laufen mit dem Vorwurf, sie hätten im Wahlkampf „separatistische Propaganda" betrieben, d. h. sie seien für ein selbständiges Kurdistan eingetreten.
Soweit zu der von der Bundesregierung hoch gelobten parlamentarischen Vertretung der Kurden.
Da wird von der Bundesregierung verschwiegen, daß die Regierung Demirel praktisch seit ihrem Regierungsantritt mit dem Ausnahmezustand in den kurdischen Provinzen regiert. Demirel und auch der neue türkische Innenminister haben sofort mehrfach und auch entsprechend deutlich unterstrichen, daß sie zu keinerlei Zugeständnissen an „kurdische Separati6166
sten" bereit seien. Mit dem Ausnahmezustand werden alle demokratischen Rechte der kurdischen Bevölkerung aufgehoben. Unter diesen politischen Bedingungen ist eine Aufdeckung und Verfolgung von Folter, Verschleppung und Mord unmöglich.
Nichts ist von der Bundesregierung darüber zu erfahren, daß im Jahre 1991 im Schutze des türkischen Antiterrorgesetzes von staatlichen Stellen über 90 Morde an politisch Oppositionellen begangen worden sind. Dieses Gesetz hat de facto zu einer Legalisierung der Folter und Ausweitung staatlicher Morde geführt.
Bei anderer Gelegenheit wurden die Antiterrorgesetze vom Bundesaußenministerium als moderne Terrorbekämpfung bezeichnet. Die Beteiligung der Bundesregierung an dem Zustandekommen dieser Gesetze weist die Bundesregierung weit von sich. Sie läßt dabei natürlich, wie in allen Fällen üblich, die Antwort offen, ob nachgeordnete bundesdeutsche Stellen im Rahmen der Expertengespräche, z. B. TREVI, beratend tätig waren.
({0})
Die Bundesregierung verschleiert die konkrete Praxis der Regierung Demirel mit den Antiterrorgesetzen. Vor allem in den letzten Wochen des Jahres 1991 wurden zahlreiche Militäroperationen, u. a. Bombardierungen aus der Luft mit aus der BRD gelieferten MBB-Hubschraubern, durchgeführt, die angeblich der Terrorbekämpfung dienten, sich tatsächlich aber gegen kurdische Siedlungen und Dörfer richteten. Allein durch die Zerstörung in den letzten Wochen des Jahres 1991 wurden die Bewohner und Bewohnerinnen von sechs Dörfern zum Verlassen ihrer Dörfer gezwungen.
Am 24. Dezember 1991 richteten in Kulp und Lice türkische Sicherheitskräfte ein Massaker an, als sie in eine Menschenmenge schossen, die hingerichtete Mitglieder der PKK beerdigen wollte. In Kulp wurden die Menschen zunächst durch Barrikaden am Weitergehen gehindert, und schließlich eröffneten die Sicherheitskräfte das Feuer. In Kulp sollen 14, in Lice 5 Menschen getötet worden sein
({1})
- das ist übrigens nach türkischen Zeitungen übersetzt -, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt.
Die türkische Regierung hat nie einen ernsthaften Versuch unternommen, die Hintergründe der Ermordungen und Massaker aufzuklären. Bis heute blieb z. B. auch der Fragenkatalog der internationalen Untersuchungskommission zur Ermordung von Vedat Aydins, in der ich übrigens selber Mitglied bin, von der türkischen Regierung unbeantwortet.
Die Bundesregierung unterstützt letzten Endes auch den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung mit umfangreichen Materiallieferungen aus NVA-Beständen an das türkische Militär. Unentgeltlich wurden dem türkischen Regime auf Grund einer Materialwunschliste von 1990 z. B. 100 000 Panzerfäuste, 256 125 Maschinenpistolen vom Typ Kalaschnikow, 5 000 Maschinengewehre und 450 Millionen Stück Munition zur Verfügung gestellt. Nach Auskunft des Parlamentarischen Staatssekretärs Wimmer vor wenigen Tagen sollen diese Kriegsgerätelieferungen noch ungehindert bis Ende 1992 an das NATO-Land Türkei erfolgen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Komplizenschaft mit diesem Regime zu beenden und die politische und materielle Unterstützung vor allem im militärischen und polizeilichen Bereich einzustellen. Ich fordere die Bundesregierung weiterhin auf, durch eine wahrheitsgemäße Berichterstattung über die Verhältnisse in der Türkei dafür zu sorgen, daß kurdische Flüchtlinge und Asylbewerber und Asylbewerberinnen Asyl erhalten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Hans Stercken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Politik nicht nur aus Selbstgerechtigkeit, sondern auch aus der Bereitschaft zur Hilfe und konstruktiven Zusammenarbeit besteht, um diese Welt friedlicher und menschlicher zu gestalten, haben viele von uns schon die Strafrechtsreform in der Türkei vom Frühjahr 1991 als einen wichtigen Schritt zu mehr Recht und Gerechtigkeit gewertet. Die Gesinnungsstraftatbestände wurden weitgehend aufgehoben. Damit fanden viele Strafverfahren durch Freispruch ihr Ende.
({0})
Von der Amnestie waren rund 46 000 Häftlinge betroffen. Die Todesurteile wurden in Haftstrafen umgewandelt.
Trotz dieser gesetzlichen Änderungen setzte die türkische Regierung jedoch einen Strafvollzug fort, der sich an rechtsstaatlichen Maßstäben nicht messen läßt. Darauf hätte sich im Juli vergangenen Jahres eine Anfrage beziehen können. Die ideologischen Hintergründe des PDS-Vorstoßes lassen allerdings dieses zentrale Bemühen nicht mehr erkennen.
Spätestens der Ausgang der Wahlen am 20. Oktober 1991 und die Regierungserklärung vom 24. November 1991 haben dann deutlich gemacht, daß die Intentionen der extremen Linken in Deutschland besser in den Händen türkischer Demokraten aufgehoben sind, die durch die Berufung eines Staatsministers für Menschenrechte eine Absicht in den Mittelpunkt stellen, die wir uns in vielen, ehemals sozialistischen Ländern nur hätten wünschen können.
Meine Fraktion hat dies am 27. November 1991 ausdrücklich begrüßt und festgestellt, daß „eine Türkei, die diesen Weg beschreitet, unsere nachdrückliche Unterstützung findet" . Zu dieser Entwicklung haben nicht Konfrontation und Vertrauensentzug, sondern Dialog und Zusammenarbeit geführt.
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- Herr Kollege Bindig, das ist unter Freunden so üblich.
Das muß in Freundschaft und Verständnis fortgesetzt werden. Daran nehmen viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages teil. Sie beschränken sich nicht auf distanzierende Anfragen nach deutscher militärischer Hilfe - jetzt folgen Zitate - „bei der Bekämpfung kurdischer Separatisten", der „Lieferung deutscher Polizeihunde", dem Bau von Gefängnissen nach „bundesrepublikanischem Vorbild" - ich nehme an, daß es sich um deutsches handelt - oder dem Bau eines Spezialgefängnisses nach „Stammheimer Modell" in Istanbul.
Mit diesen Hinweisen will ich begründen, daß es im Sinne des Beschlusses von 1984 gerade in diesem Augenblick keine Veranlassung gibt, unsere türkischen Verbündeten einer besonderen Überwachung exekutiver Art zu unterwerfen.
Doch lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, um auf die Sympathien hinzuweisen, die nach wie vor zwischen bestimmten kurdischen und deutschen Marxisten gepflegt werden, die nach ihrer Terminologie und politischen Forderung deutlich machen, daß sie einen bewaffneten Kampf in der Türkei zur Veränderung der derzeitigen Verhältnisse und die Ausrufung einer eigenen kurdischen Republik unterstützen.
Alle Fraktionen dieses Hauses haben durch einen Antrag vom 5. Dezember letzten Jahres unter Beweis gestellt, daß sie den Kurden im Irak weiterhin Hilfe angedeihen lassen wollen, und verbinden dies auch mit der Forderung nach einer Respektierung dieser Volksgruppe innerhalb des irakischen Staatsverbandes. Dies ist auch die Position, die die Fraktionen dieses Hauses im Hinblick auf die Behandlung der Kurden in der Türkei eingenommen haben. Es ist richtig, daß eine solche Hilfe nötig war und geleistet wurde.
Doch diese humanitäre Grundeinstellung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle Demokraten gut daran tun, sowohl bei ihrer Bewertung der Entwicklung in der Türkei als auch bei ihrem politischen Verhalten in Deutschland keinen Zweifel daran zu lassen, daß sowohl die Rechtslage in Deutschland als auch das internationale Recht eine materielle und politische Unterstützung eines gewaltsamen und terroristischen Kampfes nicht zulassen.
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Ich formuliere dies im Hinblick auf die rechtliche Bewertung solcher Aktionen in unserem Lande in aller Klarheit.
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Dies gilt gerade auch für marxistische Gruppierungen, die über Jahrzehnte mit Sympathie und ohne Bedenken zugesehen haben, als die elementarsten Menschenrechte in kommunistisch beherrschten Teilen Europas unterdrückt wurden.
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Natürlich legen wir an einen befreundeten und verbündeten Staat, mit dem wir in der Atlantischen Allianz gleiche demokratische Überzeugungen verteidigen wollen und mit dem wir im Europarat und in der KSZE und morgen sicher in weiteren europäischen Gremien auf der Grundlage von rechtsstaatlicher Demokratie zusammenarbeiten wollen, andere Maßstäbe an als an Länder, in denen es noch eines langen Wachstumsprozesses bedarf, um auch dort eine tragfähige Grundlage für die Demokratie zu errichten.
Aber wir haben jetzt nicht nur die Chance, dies als Zuschauer in der Türkei beobachten zu können, sondern wir haben als demokratische Freunde die Chance, durch unsere Zusammenarbeit diese neue Politik zu unterstützen und damit zu festigen. Ich gebe zu, daß ich mich seit einer einjährigen Tätigkeit in der Türkei dem Land und den Türken, darunter auch den kurdischen Türken, in Sympathie verbunden fühle. Natürlich ist der Prozeß, den Atatürk eingeleitet hat, noch nicht abgeschlossen, und noch nicht alle Türken habe eine Chance erhalten, sich auf diesen Weg einer neuen Zivilisation zu begeben. Die Türkei braucht daher die Solidarität anderer, und ich meine, daß das Wohlwollen und das Vertrauen unserer türkischen Partner genutzt werden sollten, um gerade uns Deutsche zu bewegen, diese Aufgabe anzunehmen.
Ich sage dies auch als Freund der griechischen Nachbarn der Türkei; denn niemand ist auf Grund seiner traditionellen Beziehungen so sehr befähigt, die Verständigung zwischen diesen beiden großen Völkern zu fördern, als wir Deutschen. Parlamentarier sollten auf einen solchen Prozeß positiv und konstruktiv einwirken, statt sich allein zum selbstgerechten Richter aufzuschwingen.
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Nein, ich halte daran fest, daß gerade nach den demokratischen Veränderungen in der Türkei alle Veranlassung zur Zusammenarbeit besteht, die sich auf ein gegenseitiges Vertrauen und auf gemeinsame Überzeugungen stützen wird.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der Frau Abgeordneten Monika Ganseforth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mehr als zehn Jahren beklagen wir die Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei. Wir sind es den Menschen schuldig, die in Haft gefoltert und gequält werden, die in Gefängnissen sitzen, ohne kriminelle Taten begangen zu haben, die Menschenrechtsverletzungen beim Namen zu nennen und bei den Regierungen auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen. Wir sind es diesen Menschen schuldig, auch Fragen zu stellen, und ich meine, distanzierende Fragen gibt es in diesem Zusammenhang gar nicht, wie sie von Herrn Kollegen Stercken qualifiziert worden sind. Dieses Beim-Namen-nennen gilt für China ebenso wie für den Iran, das gilt für Birma wie für Indonesien, das gilt für den Irak wie für die Türkei. Für die Türkei ganz besonders, denn dies ist ein Land, das der NATO angehört und Mitglied des Europarates ist. Wir müssen verlangen, daß dieses Land die Menschen- und
Minderheitenrechte, die Meinungs- und Pressefreiheit und die Bürgerrechte achtet.
Um ein Mißverständnis auszuräumen: Wer sich gegen die Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei wendet, befürwortet nicht die kriminellen Handlungen terroristischer Organisationen. Anschläge der PKK oder der Organisation DEV-SOL müssen in der Türkei, aber auch in Deutschland konsequent verfolgt werden. Dabei müssen jedoch rechtsstaatliche Regeln streng eingehalten werden. Das gilt auch für die Meldung, die wir in den letzten Tagen über Hubschrauber- und Flugzeugeinsätze gehört haben. Terrorismus ist kein Grund, Völkerrecht, Menschenrechte, Minderheitenrechte, demokratische Rechte zu verletzen.
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Das gilt besonders für staatliche Instanzen. Folter, Mord, Verschwindenlassen, Massenprozesse, Polizeiüberfälle sind durch nichts gerechtfertigt. Darüber hinaus verstärken sie den Terror und die Spirale der Gewalt.
Im kurdischen Südosten der Türkei haben die sogenannten Dorfschützer und Spezialeinheiten mit ihren Bestrafungsaktionen, mit Übergriffen gegen die Bevölkerung, mit dem Verschleppen und dem Ermorden von Menschen die Akzeptanz der PKK eher verstärkt. Sie haben also das Gegenteil bewirkt. Staatliche Repression treibt die Menschen nur in die Arme der PKK oder sie verlassen in großer Zahl das Land. Die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber aus der Türkei in den verschiedenen europäischen Ländern spricht für sich. 1990 wurde z. B. in Frankreich 1 743 Menschen aus der Türkei Asyl gewährt. In der Bundesrepublik waren es 1 283, in der Schweiz 270 usw.
Wenn wir die Mißachtung der Menschenrechte anprangern, so hören wir von türkischer Seite neuerdings, daß das ein Versuch unseres Landes sei, nach der Vereinigung nun andere Länder zu dominieren und zu belehren. Das ist völlig falsch! Gerade das größere Deutschland mit seiner Geschichte steht in der Verantwortung, Menschen in Bedrängnis beizustehen und sich auf ihre Seite zu stellen. Wir haben die Einhaltung der Menschenrechte und demokratischen Mitgestaltungsrechte besonders einzufordern.
In der Zeit des Nationalsozialismus hat die Türkei Menschen aufgenommen, die in Deutschland verfolgt wurden. Wir müssen das nun auch umgekehrt tun und Asyl gewähren. Aber wir müssen uns auch dafür einsetzen, daß die Menschen nicht die Türkei verlassen müssen und daß sie aus dem Exil zurückkehren können. Eine Generalamnestie für politisch Verfolgte und politische Gefangene der türkischen Regierung wäre eine sinnvolle Maßnahme.
1991 hat es erfreuliche Änderungen in der Türkei gegeben, die hoffen lassen. Die alte Regierung, der es nicht gelungen war, Menschen- und Bürgerrechten zum Durchbruch zu verhelfen, wurde abgewählt. Diejenigen, die auf die Mutterlandspartei, die ANAP, gesetzt hatten, müssen sich jetzt umorientieren. Es hat in der Türkei einen Regierungswechsel gegeben, d. h. einen für eine Demokratie normalen Vorgang.
Die neue Regierung, die von einer Koalition aus der „Partei des richtigen Weges" von Süleyman Demirel und von der Sozialdemokratischen Volkspartei, SHP, von Erdal Enönü gestützt wird, hat sich vorgenommen, Reformen auf dem Gebiet der Menschenrechte durchzusetzen. Das geht aus den Koalitionsvereinbarungen und aus der Regierungserklärung hervor.
Es wurde ein Ministerium für Menschenrechte gegründet. Die Untersuchungshaft soll verkürzt werden. Es soll endlich durchgesetzt werden, daß Verhaftete die Aussage ohne die Anwesenheit ihres Anwalts oder ihrer Anwältin verweigern können.
Endlich wird die absurde Politik beendet, die die Existenz der Kurden leugnet. Die Anerkennung der Kurden - eigentlich eine Selbstverständlichkeit - ist für die Türkei nach Jahrzehnten ein Durchbruch. Die Sozialdemokratische Volkspartei, SHP, hat stellvertretend diese für die Türken schmerzliche Diskussion geführt und eingeleitet und damit einen Prozeß zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage begonnen und möglich gemacht.
Wir hoffen und wünschen, daß das gelingt und die Schraube der Gewalt gestoppt wird. Dazu sind jedoch weitere Signale und Taten der Regierung nötig. Die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Abschaffung der Spezialeinheiten und der sogenannten Dorfschützer im Südosten der Türkei sind notwendige und wichtige Schritte. Aber auch die Möglichkeit für Kurden, sich zu organisieren, sowie mutigere Schritte im Kulturbereich wären nötig. Die Auflösung des Gefängnisses in Eskisehir ist über Ankündigungen hinaus eine wichtige erste Tat. Wir begrüßen sie ausdrücklich. Weitere Taten müssen folgen.
Es ist die Frage, wie weit sich die Regierung und die sie stützenden Parteien gegenüber den reaktionären Kräften in Polizei und Militär in der Türkei durchsetzen. Viele Meldungen gerade der letzten Tage und Wochen erfüllen uns mit großer Sorge; denn noch werden weiterhin Menschen festgenommen und gefoltert, Oppositionelle verschwinden und werden umgebracht.
Wir erwarten von der neuen Regierung, daß sie alles tut, um solche Vorfälle zu verhindern, um sie aufzuklären und um die Schuldigen zu bestrafen. Wir erwarten, daß die Regierung nicht nachläßt, den angekündigten Weg der Achtung der Menschenrechte fortzusetzen. Dies alles einzufordern ist nach meiner Auffassung ein Gebot der Freundschaft. Freundschaft erschöpft sich nicht in Schmeicheleien und auch nicht in Waffenlieferungen. Positive und konstruktive Zusammenarbeit, Herr Kollege Sterkken, heißt nicht Waffenlieferungen. Da sind wir nun Spitze.
Aus dem Bericht des Verteidigungsministers Stoltenberg über die Abgaben von Material der ehemaligen NVA geht hervor, daß Unmengen militärisches Material an die Türkei bereits geliefert wurden. Meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen: In der Summe beträgt die Stückzahl fast eine halbe Milliarde. Was passiert damit? Ist das das, was die Türkei als Freundschaftsbeweis braucht? Das ist nur der Höhepunkt eines ununterbrochenen Stroms deutscher Waffen, der seit mehreren Jahrzehnten in das NATO-Land Türkei fließt, sei es unter dem Namen
Verteidigungshilfe, Materialhilfe, Rüstungshilfe oder wie auch immer. Hier handelt es sich um unerfreuliche und auch unehrliche Freundschaftsbeweise.
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Dahinter stecken natürlich auch Interessen der deutschen Rüstungsindustrie. Alle diese Lieferungen sind kein Beitrag zur Lösung der Probleme der Türkei.
Zusammengefaßt: Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie die Spannungen in diesem Land nicht durch Waffenlieferungen, dazu noch ohne Information des Parlaments, erhöht. Von der türkischen Regierung erwarten wir die Einhaltung der Menschenrechte und mutige, wirksame Schritte auf dem von der neuen Regierung begonnenen Weg. Schließlich erwarten wir von der Bundesregierung die Unterstützung der Türkei in Freundschaft auf diesem Weg.
Schönen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen, dem Herrn Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Jelpke hat hier ein Zerrbild entwickelt, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Ich habe vor wenigen Wochen mit kurdischen Abgeordneten in Ankara gesprochen. Einer von ihnen ist der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, der andere Vizepräsident des Parlaments. Sie halten natürlich die Kurdenpolitik der Regierung für falsch. Aber sie sind in gar keiner Weise in der Ausübung ihrer parlamentarischen Pflichten gehindert. Im Gegenteil, sie nehmen sie erfreulicherweise mit aller Energie wahr.
Es ist richtig, daß die türkische Armee Stützpunkte der PKK jenseits der Grenze angegriffen hat. Aber wenn man das verurteilt, dann muß man gleichzeitig sagen, daß diesem Angriff die Ermordung von 19 jungen türkischen Soldaten vorangegangen ist.
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Man kann nicht nur eine Seite sehen. Sie verbiegen sich die Wirklichkeit, wie Sie sie wollen, weil Sie die PKK, die eine Terrororganisation ist, die auch vor der Ermordung von Kurden nicht zurückschreckt, in fälschlicher und leichtfertiger Weise mit den Kurden identifizieren. Das kann man nicht machen.
Wir verfolgen mit Sorge die sehr unterschiedlichen Nachrichten über anhaltende Verletzungen der Menschenrechte, insbesondere den Vorwurf der Folter in Polizeihaft und der Tötung von Menschen aus politischen Gründen, ohne daß diese Morde aufgeklärt werden, und über das Schicksal der Kurden. Wir erwarten, daß die türkische Regierung all diesen Vorwürfen nachgeht. Aber wir stellen auch fest, daß die Türkei in der Tat über Jahre hinweg unverändert zu den Ländern gehört, aus denen die meisten politischen Flüchtlinge - mit einer beachtlichen Anerkennungsquote - zu uns kommen.
Aber man muß auch die Entscheidung der neuen Regierung Demirel sehen, die sich der Bedeutung der Menschenrechtslage für die europäischen und für unsere Beziehungen zur Türkei bewußt ist und die sich erneut eindrucksvoll dazu bekannt hat, eine an Europa orientierte Politik fortzusetzen.
Die Befassung mit der Lage der Menschenrechte in der Türkei ist keine unzulässige Einmischung. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wenn in einem anderen, zumal mit uns befreundeten Land, Menschenrechte verletzt werden. Kein Mensch darf zum Objekt staatlicher Willkür werden, nicht bei uns und nicht sonstwo.
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Überall da, wo sich wirtschaftliche Not, ideologische Starrheit und die Bereitschaft zur Gewalt miteinander verbinden, ist das friedliche Zusammenleben der Völker gefährdet. Es ist notwendig, über die Türkei zu sprechen, aber eben nicht im feindseligen Sinne, sondern in der Absicht, diesem mit uns befreundeten Land zu helfen.
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Es ist hier schon gesagt worden: Die Anfrage ist von einer unerträglichen Selbstgerechtigkeit und geht an den eigentlichen Problemen des Landes völlig vorbei. Die Menschenrechte, die wir einfordern, sind ja auch von uns in Europa erst seit wenigen Jahren verwirklicht und beachtet worden. Das können Sie doch nicht so schnell vergessen haben. Es fällt auch heute noch manchem westeuropäischen Staat schwer, die Rechte von Minderheiten nicht nur auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit zu achten.
Wenn ich lese, was Sie über die NATO geschrieben haben: Das hätte der SED in der Volkskammer der DDR gut angestanden, das zu sagen. Dann hätten Sie sich dort aber über die Menschenrechtslage in der DDR selber einmal unterhalten und darüber reden müssen
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und nicht nur immer mit dem Finger auf andere Leute zeigen sollen. Mir paßt das nicht.
Wir können die Kurdenpolitik Ankaras nicht für richtig halten. Ohne die kulturelle Autonomie für dieses alte Volk mit eigener Sprache und eigener Kultur wird es keinen Frieden geben. Die türkische Regierung wird erkennen müssen, daß sie das Kurdenproblem - ({4})
- Sorgen Sie doch dafür, daß Sie erst einmal eine klare Optik dafür kriegen, ehe Sie hier solchen Unsinn erzählen, wie Sie das getan haben.
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- Ich kümmere mich nur deswegen um Ihre Optik, weil Sie uns mit Ihren merkwürdigen Thesen hier dauernd behelligen, die mit der politischen Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben.
Die türkische Regierung wird erkennen müssen, daß sie das Kurdenproblem nicht mit militärischen Mitteln lösen kann. Der Hinweis auf den Lausanner Vertrag von 1923 hilft nichts, in dem die Kurden zwar
vergessen wurden, in dem aber auch eindrucksvolle Minderheitenrechte vereinbart worden sind. Der erste Schritt, die größere Freiheit in der Benutzung der kurdischen Sprache, ist getan worden. Aber das allein reicht nicht für einen Minderheitenstatus aus.
Auf der anderen Seite müssen wir begreifen, daß die PKK eine terroristische Organisation ist, die vor brutaler Gewalt nicht zurückschreckt, vor Gewalt, die sich auch gegen Kurden richtet, nämlich gegen diejenigen, die die Politik der PKK für falsch halten und sich ihr nicht unterwerfen.
Seit 1984 sind im südöstlichen Anatolien fast 3 000 Menschen ermordet worden oder bei bewaffneten Kämpfen ums Leben gekommen: Männer, Frauen, Kinder, Soldaten und Zivilbevölkerung. Das kann kein Staat dulden, der sich nicht selbst aufgibt.
Dieser Terror hilft allenfalls denen, die am liebsten zur Militärdiktatur zurückkehren wollen oder die im angeblichen Staatsinteresse zu rechtswidriger Gewalt greifen und damit die Schraube von Gewalt zu Gegengewalt immer weiter drehen, bis zum Ende jeder auf Ausgleich gerichteten Politik. Darum muß die Türkei der Gewalt widerstehen; aber sie muß ihre Haltung gegenüber der kurdischen Minderheit ändern.
Ich würde es im übrigen dankbar begrüßen, wenn wir uns auch mit der Hilfe beschäftigten, die die Türkei trotz ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage und trotz der Armut in Ostanatolien denjenigen Kurden leistet, die aus dem Irak geflohen sind oder im Grenzgebiet vegetieren.
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Die brutale und unerhörte Kurdenverfolgung im Irak ist ein Völkermord. Wir, die Europäische Gemeinschaft, könnten der Türkei bei der Versorgung dieser Flüchtlinge weiß Gott mehr helfen, als wir das tun.
Seit November vergangenen Jahres hat sich die innenpolitische Lage in der Türkei verändert. Die Regierung Demirel hat mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihre Kurdenpolitik bleibt mir unklar. Aber sie hat entschlossene Schritte einer wirksamen Menschenrechtspolitik eingeleitet: die Entrümpelung des Strafrechts von Gesinnungsstraftaten, die Humanisierung des Strafvollzugs, die rechtsstaatliche Novellierung des Polizeirechts, um Folter und Tod von Gefangenen in der Polizeihaft unmöglich zu machen, die Stärkung der Rechte der Verteidiger und der Unabhängigkeit der Gerichte, die Abschaffung der Zensur, die Einrichtung eines Menschenrechtsministeriums. Alles das sind Schritte, die wir begrüßen und die uns mit Hoffnung erfüllen.
Für jede neue Politik braucht man Zeit, zumal in einer Demokratie. Es ist für die Türkei nicht leicht, sich als der einzige demokratische Staat mit moslemischer Bevölkerung in dieser Region innen- und außenpolitisch zu behaupten.
Dabei fallen ihr besondere Aufgaben im Zusammenhang mit den neuen südlichen Republiken der früheren Sowjetunion zu, und darum haben wir an ihrer demokratischen Stabilität ein erhebliches Interesse.
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Wir Deutsche können dabei helfen; uns verbindet eine enge Freundschaft. Wir können auch nicht nur ein bestimmtes Verhalten einfach einfordern, ohne der Türkei gleichzeitig zuverlässige Perspektiven für ihre wirtschaftliche Bindung an die Europäische Gemeinschaft zu geben.
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Unser Land ist für viele Türken der Inbegriff Europas. Sie erhoffen von uns politische und wirtschaftliche Unterstützung und Zusammenarbeit. Wir sollten sie leisten.
Wir treten ein für die Menschenrechte auch in der Türkei. Wir kritisieren das, was zu kritisieren ist. Aber wir müssen die Möglichkeit behalten, an einer friedlichen und demokratischen Entwicklung in der Türkei mitzuwirken.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Abgeordneten Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist durchaus zutreffend, daß sich nach den Parlamentswahlen im Oktober und der Bildung der Koalitionsregierung aus den beiden bisherigen Oppositionsparteien die politische Landschaft in der Türkei wesentlich verändert hat. Zum ersten Male seit dem Militärputsch im Jahre 1980 vermittelt uns eine aus halbwegs fairen Wahlen hervorgegangene türkische Regierung glaubhaft den Eindruck, zur inneren Befriedung des Landes beitragen zu wollen und substantielle Verbesserungen der Menschenrechtssituation in der Türkei anzustreben.
Die Abschaffung der Todesstrafe für eine Reihe von Straftaten, die Umwandlung Hunderter von Todesurteilen in Haftstrafen, die Amnestie für mehr als 40 000 politische Häftlinge und die angestrebte Verkürzung der Polizeihaft sind Zeichen dafür, daß es diese neue Regierung ernst meint.
Die Bildung eines eigenständigen Ministeriums für Menschenrechtsfragen zeigt, daß die türkische Regierung den Menschenrechten eine neue Bedeutung beimißt, und sollte nicht leichtfertig als bloße Augenwischerei abgetan werden.
Der Tenor des Fragenkatalogs der Großen Anfrage der PDS und auch Ihre Rede, Frau Jelpke, folgen leider einem Schema, das durch Verbalradikalismen und durch das Zusammenziehen von früher durchaus berechtigten Fragen mit den auch heute noch aktuellen Menschenrechtsverletzungen ein verzerrtes und einseitiges Bild der Türkei zeichnet. Die kritische Auseinandersetzung mit den teilweise berechtigten Fragen und den entsprechenden Antworten der Bundesregierung wird so unnötig erschwert.
Angesichts der nach wie vor vorhandenen Menschenrechtsprobleme in der Türkei besteht indes kein Anlaß, den türkischen Machteliten einen nur hier und da leicht zerknitterten Persilschein auszustellen, wie dies manche Vertreter der Regierungskoalition mitunter öffentlich tun.
Das vom Militär unbarmherzig exekutierte Antiterrorgesetz, kein Produkt der Junta, sondern der RegieGerd Poppe
rung Özal aus jüngerer Zeit, spricht allen rechtsstaatlichen Normen Hohn. Die durch keine demokratische Instanz kontrollierte Machtfülle, die es dem Militär im Osten der Türkei erlaubt, immer wieder gröbste Menschenrechtsverletzungen zu begehen und erfolgreich zu vertuschen, ist eine der schwersten Hypotheken für eine glaubwürdige Demokratisierung der Türkei.
Die menschenfeindliche Praxis der Sonderkommandos in Türkisch-Kurdistan wird es eben nicht erreichen, die terroristische PKK auszuschalten, im Gegenteil: Zum erstenmal seit vielen Jahren gewinnen die PKK-Kommandos neuen Zulauf. Die Militäreinsätze gegen ganze Ortschaften, die Hinrichtung einzelner kurdischer Repräsentanten, das willkürliche Verschwindenlassen und die Foltermethoden der Sicherheitskräfte treiben die kurdische Bevölkerung der PKK in die Arme.
Der ausgeübte Staatsterror führt wiederum zum sogenannten revolutionären Terror und diskreditiert zugleich diejenigen kurdischen Organisationen und Einzelpersönlichkeiten, die mit großem Ernst nach einem tragfähigen Ausgleich mit dem türkischen Zentralstaat suchen.
Der Dauerkonflikt mit der kurdischen Minderheit ist der deutlichste Ausdruck für einen der schwersten Geburtsfehler der modernen Türkei: das kemalistische Dogma, die Fiktion von einer Nation in einem Staat. Zur Zeit der Staatsgründung von oben nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches erschien diese Beschwörung einer einheitlichen Nationalität im anatolischen Rest des Reiches dem sogenannten „Vater der Türken", Kemal Atatürk, als die einzige Chance, dem weiteren Zerfall des Vielvölkerstaates vorzubeugen. In den folgenden Jahrzehnten und bis heute gab und gibt es in der Türkei angeblich nur Türken, und die türkische Sprache war und ist die einzige Amtssprache. Kurden wurden so zu Bergtürken; die Armenier waren bereits vorher ausgerottet oder vertrieben worden; die dritte große nationale Minderheit, die Griechen, wurden bis auf verschwindende Reste wenige Jahre nach den Armeniern vertrieben; Assyrer, Tataren und andere Minderheiten hatten nur eine Chance, wenn sie sich als Türken definierten.
Dieses gänzliche Unverständnis gegenüber all ihren Minderheiten wirkt in den Köpfen der Türken bis heute fort, und zwar quer durch alle politischen Lager. Weil das Verständnis für die legitime Existenz und die Rechte von Minderheiten in der Türkei weitgehend fehlt, sind alle internationalen Verpflichtungen zum Minderheitenschutz, die die Türkei gerade im Zusammenhang des KSZE-Prozesses in den letzten Jahren eingegangen ist, das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen.
Aktiver Menschenrechtsschutz ist vor allem auch aktiver Minderheitenschutz. Dies ist ein Hauptthema der Menschenrechtspolitik der neunziger Jahre, wie nicht nur die KSZE-Debatten der jüngsten Zeit, sondern auch die aktuellen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und in der ehemaligen Sowjetunion zeigen. Solange die türkische Gesellschaft nicht ein neues Verhältnis zu ihren Minderheiten findet, bleibt der Schutz der Menschenrechte in der Türkei ein dauerhaftes Problem. Es genügt eben nicht, den bisher verbotenen Gebrauch anderer Muttersprachen im täglichen Leben zu tolerieren, wenn diese, z. B. das Kurdische, nicht auch als gleichberechtigte Amtssprache zugelassen und ihre Verbreitung in den Medien und in den Schulen nicht nur zugelassen, sondern vielmehr gefördert werden.
Der übermächtige Militär- und Polizeiapparat, eine weitere Hypothek aus kemalistischer Tradition, muß endlich auf die demokratischen Prinzipien einer zivilen Gesellschaft verpflichtet und zurechtgestutzt werden. Solange die Folter eine gängige Verhörmethode bleibt, solange sich das Militär primär als Unterdrükkungsinstrument gegen mißliebige politische Tendenzen und gegen jede Form von Autonomiebestrebung der Minderheiten versteht, bleiben alle Formen der militärischen Ausstattungs- und Ausbildungshilfen, wie sie die Bundesrepublik im Rahmen der NATO-Partnerschaft seit Jahren betreibt, ein nicht zu verantwortendes Unterfangen, das unsere Menschenrechtsappelle an die Adresse der Türkei ad absurdum führt.
Die Sondergesetze zur Disziplinierung der Presseöffentlichkeit in der Türkei müssen endlich verschwinden. Die Gewerkschaften als unverzichtbare Interessenvertretung der Arbeitnehmer müssen endlich ungehindert arbeiten können.
Ziel eines grundlegenden Veränderungsprozesses in der Türkei muß es sein, das autoritäre Verhältnis der Staatsmacht zu den Bürgern zu beenden.
Das sind recht weitgehende Forderungen an eine Gesellschaft, die tief in den Traditionen des autoritären Obrigkeitsstaates verwurzelt ist. Der formal parlamentarisch verfaßte Staat, für den die Türken nun schon seit Jahren von manchem hier im Hause gelobt werden, ist doch nur der Rahmen. Mit real gelebter Demokratie - das beweist uns die Praxis der Menschenrechte in der Türkei - hat dies erst einmal wenig zu tun.
Durch die Stärkung der demokratischen Institutionen auf allen Ebenen, nicht aber durch die Stärkung des schon jetzt größten Militärapparats im Nahen Osten sollten wir die Türkei auf ihrem schwierigen Weg zur Demokratie unterstützen. Dabei hilft es wenig, die türkische Realität in alter linker Tradition zu verketzern, aber es hilft ebensowenig, von Wirtschaftlichen oder wohl eher noch von militärischen Interessen her die Augen vor den vielen unbewältigten Problemen in der Türkei zu verschließen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns hier in den letzten Jahren - besonders in den beiden letzten Jahren - so häufig mit der Lage in der Türkei beschäftigt, daß dort die Frage aufgekommen ist, ob sich unsere menschenrechtlichen Interessen nur noch auf dieses Land konzentrieren. Frau
Kollegin Ganseforth, Sie haben hier zwar eine Liste von Ländern aufgeführt und dabei interessanterweise einige ausgelassen, aber Sie müssen sich bei dem von Ihnen gebrauchten Wort Freundschaft auch einmal deutlich machen, was für ein Eindruck in einem Land entsteht, wenn sich der Deutsche Bundestag immer wieder von neuem, nahezu ausschließlich, mit Menschenrechtsproblemen in der Türkei beschäftigt und als Begründung dafür angegeben wird, es handele sich dabei um ein NATO-Land, und wenn Sie feststellen müssen, daß in keinem anderen Land eine moralisch vergleichbar hochangelegte Debatte mit dem Ziel der Verurteilung der Türkei erfolgt, wie es hier der Fall ist.
Das schließt nicht aus - das möchte ich von Anfang an dazusagen -, daß wir nicht ein Recht dazu hätten, daß wir nicht besorgt sein müßten und daß uns dort vieles nicht gefällt, aber ich muß Ihnen wirklich sagen: Von der Häufigkeit der Türkei-Debatten im Bundestag hat man in der Türkei durchaus Kenntnis genommen, und man hat daraus auch Schlüsse gezogen, die ich ungern sehe. Das Wort „Freundschaft" war nicht immer der Tenor dieser Debatten, so daß ich Ihnen heute gerne folge, wenn Sie jetzt auch beginnen, Veränderungen, die es dort gibt, zumindest zu akzeptieren.
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Ich will mich vor allem auf diese Veränderungen, die Kollege Hirsch und andere heute ja schon dargestellt haben, konzentrieren, denn die Anfrage, die seitens der PDS an die Bundesregierung gestellt worden ist, bezog sich auf eine ganze Reihe von Ereignissen vor den Wahlen in der Türkei und vor der Bildung einer neuen Regierung. Die Antwort ist dementsprechend auf diese Zeit konzentriert. Ich darf heute noch einmal nachdrücklich sagen, daß wir auch erkennen müssen, daß es in der Türkei Bemühungen gibt, von den hier sicher zu Recht gerügten Dingen wegzukommen, und daß hier Akzente gesetzt worden sind, die man nicht einfach übersehen kann.
Meine Damen und Herren, es ist gesagt worden, daß es ein Menschenrechtsministerium gibt. Ich wünschte mir, so etwas gäbe es in einigen anderen Staaten, die hier nicht kritisch beurteilt werden, auch.
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Eines der am meisten kritisierten Sondergefängnisse ist geschlossen worden. Es gibt eine ganze Reihe wichtiger programmatischer Aussagen in der Regierungserklärung der neuen Regierung, die wir zur Kenntnis zu nehmen haben. Ich meine etwa die Tatsache, daß im Hinblick auf die Kurden-Politik gesagt wird, die nach der Militärintervention seinerzeit geschaffene Verfassung müsse grundlegend reformiert werden, sicher ein löblicher Ansatz. Die türkische Regierung anerkennt ausdrücklich die Notwendigkeit, das Rechtssystem und die Menschenrechtspraxis dem internationalen Standard anzupassen.
Es wird ausdrücklich gesagt, daß Bereiche wie Polizei, Hochschulen und das Pressewesen in dieser Hinsicht besonders reformbedürftig sind. In dem Programm wird gesagt, daß die polizeilichen Befugnisse eingeschränkt werden müßten, daß die Stärkung der Stellung des Verteidigers sowie die Aufhebung von Zensur und Verbannung erfolgen müßten. Es wird eine kurdische Identität anerkannt. Das Sicherheitskonzept für die Südosttürkei, insbesondere der Ausnahmezustand und das sicher sehr wenig erfreuliche Dorfwächtersystem, sollen überprüft - ich hoffe: abgeschafft - werden. Der türkische Kultusminister hat noch vor wenigen Tagen die Freigabe von 25 000 bisher verbotenen Buchtiteln bestätigt. Auch dem freien Gebrauch der kurdischen Sprache in Kinofilmen, Theaterstücken und bei Kulturveranstaltungen soll nichts mehr im Wege stehen. Eine auflagenstarke kurdische Wochenzeitung befindet sich seit neuestem auf dem Markt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das muß man zur Kenntnis nehmen. Sie haben es ansatzweise getan, Frau Ganseforth. Ich bin dafür dankbar. Ich glaube, wir kommen jetzt langsam dahin - ich hatte vor vielen Monaten schon darum gebeten, dorthin zu kommen -, daß wir alle die Gravamina, die wir mit der Türkei in diesen Fragen haben, im bilateralen Dialog zwischen den Parteien erörtern. Die Ihnen nahestehende sozialdemokratische Partei ist nun an der Macht. Sie haben die Möglichkeit, auch im Rahmen der Sozialistischen Internationale diese Gespräche zu führen. Ich glaube, dann wird manches schon etwas einfacher sein.
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Meine Damen und Herren, man muß aber auch erkennen - das ist dankenswerterweise vom Kollegen Hirsch gerade gesagt worden -, daß alle türkischen Regierungen - natürlich vertreten sie auch das türkische Volk - im kurdischen Radikalismus und Separatismus eine Gefahr für die territoriale Integrität der Türkei sehen. Das ist nicht nur eine rein türkische Angelegenheit. In den Nachbarstaaten im ganzen Nahen Osten wird die territoriale Integrität der entsprechenden Länder genauso verteidigt. Man muß sich das bewußt machen, urn die Bedeutung und Tragweite der Reformansätze, die es jetzt gibt, zu würdigen. Immerhin ist in der türkischen Nationalversammlung der frühere Vorsitzende der kurdischen Arbeitspartei des Volkes zu einem Vizepräsidenten des Parlaments gewählt worden. Es ist bereits mehrfach gesagt worden, daß es 22 kurdische Abgeordnete gibt - dank der Bereitschaft der Sozialdemokraten, sie auf ihre Listen zu setzen.
Ich glaube, es ist wichtig, daß all das, was seitens der türkischen Regierung angekündigt worden ist, umgesetzt wird. Wir werden in den Gesprächen natürlich darauf hinweisen, daß eine Umsetzung der guten Absichten zur Beruhigung zumindest der besonders aufgeregten deutschen Öffentlichkeit beitragen kann, so daß ein traditioneller Freund Deutschlands nicht weiter das Gefühl haben müßte, daß er ausgerechnet aus Deutschland am schärfsten und heftigsten kritisiert wird.
Meine Damen und Herren, es ist auch wichtig, deutlich zu machen, daß das, was im Zusammenhang mit dem Bereich Folterungen immer noch nicht erfüllt ist und unseren immer wieder geäußerten Erwartungen nicht entspricht, seitens der Türkei endlich herStaatsminister Helmut Schäfer
gestellt wird. Das geltende Antiterrorgesetz ist mit seiner zu weiten Auslegung des Begriffes Terror immer noch die rechtliche Grundlage für Vorgehen, die sicher nicht geeignet sind, das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß sich der Terrorismus auch auf andere Weise, nämlich legitim, von der Polizei bekämpfen läßt und daß er rechtsstaatlich bekämpft werden muß. Hier gibt es sicher noch notwendige Änderungen. Aber auch hier wissen wir, daß sich die türkische Regierung vorgenommen hat - ich hoffe, sie führt es auch durch -, dieses Gesetz zu novellieren.
Wir wissen, daß die türkische Regierung vor sehr schwierigen Aufgaben steht, zu denen sie eigentlich mehr Ermutigung durch die in der KSZE und im Europarat vertretenen Staaten braucht.
Ich darf noch einen Aspekt erwähnen, der die Türkei in einem anderen Licht erscheinen läßt. Sie wissen, daß sich die türkische Diplomatie im Augenblick sehr nachhaltig um Kontakte, um Einflußnahme in den islamischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion bemüht. Auch ein anderes Land bemüht sich um diese Einflußnahme, nämlich der Iran, der zumindest in den letzten zwei Jahren bei weitem nicht so häufig kritisiert worden ist. Wir sollten bei unseren politischen Überlegungen und auch beim Stil unserer Debatten in Erwägung ziehen, daß auf die Türkei eine sehr wichtige neue Rolle - möglicherweise auch für die Stabilität in Europa - neben ihrer bisherigen NATO-Aufgabe zukommt, die wir nicht übersehen sollten.
({3})
Damit will ich nicht sagen, daß wir keine Menschenrechtsdebatten mehr führen sollten. Aber ich glaube, wir dürfen diese ganz wichtige neue Entwicklung nicht übersehen. In allen Gesprächen, die zuletzt auch der Bundesaußenminister mit seinem neuen türkischen Kollegen geführt hat, ist, neben all diesen wichtigen Funktionen der Türkei, auch immer wieder die Menschenrechtssituation angesprochen worden. Wir haben aber auch, gerade in dem Gespräch am 18. Dezember mit dem neuen türkischen Außenminister, Herrn Cetin, der ja aus einem Kurdengebiet stammt, begrüßt, daß die Absichten der türkischen Regierung erfreulich sind und daß wir hoffen, daß sie auch bald in die Tat umgesetzt werden. Vielleicht können wir hier zu einer neuen Auffassung im Verhältnis zur Türkei kommen.
Daß die Auseinandersetzungen in der Türkei auch mit der schwierigen innenpolitischen Situation zusammenhängen, ist klar. Dazu gehört u. a. das, was hier bereits als Terrorismus bezeichnet worden ist. Ich denke dabei insbesondere an Anschläge. Weihnachten wurden wieder elf Bürger durch einen Anschlag auf ein Kaufhaus in Istanbul getötet. Ziehen Sie bitte all diese Dinge in Betracht. Frau Kollegin, ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sie hier schon einmal eine Generalamnestie für die RAF gefordert haben. So weitgehende Forderungen sind hier noch nicht aufgestellt worden. Ich betone das, da Sie dauernd von einer Generalamnestie für kurdische Terroristen sprechen. Ich glaube, wir sollten sehr wohl zwischen den Kurden, die in ihrer Führung keineswegs mit der PKK übereinstimmen, sondern ganz andere Zielsetzungen verfolgen - ich nenne in diesem Zusammenhang Herrn Talabani - und den Radikalen unterscheiden, die ihre Vorstellungen - natürlich auch mit terroristischen Methoden - verwirklichen wollen und die dazu beitragen, daß genau die radikalen Kräfte in der Türkei gestärkt werden, die wir ungern gestärkt sehen möchten.
Meinen Damen und Herren, zum Schluß: Es gibt neueste Meldungen - Sie haben das angesprochen - über eine türkische Offensive gegen die PKK innerhalb der Türkei. Ich kann dazu nur folgendes sagen: Die Auffassung der Bundesregierung zu militärischen Schlägen gegen den Terrorismus, bei denen immer wieder auch die unschuldige Zivilbevölkerung leidet, ist bekannt. Ich verweise auf unsere früheren Erklärungen. Da hat sich nichts geändert. Aber ich bin der Auffassung, daß man, bevor man hier Urteile fällt, die Dinge etwas genauer prüfen sollte. Es geht darum - wir haben bereits vorhin mit Ankara Verbindung aufgenommen -, daß wir uns ein Urteil erst erlauben können, wenn wir genaue Einzelheiten wissen. Ich glaube, nach diesem Prinzip sollte man immer verfahren.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß sagen, was ich hier immer wieder gefordert habe und was jetzt Gott sei Dank verwirklicht wird: Wir wollen den Dialog mit der Türkei auf allen Ebenen. Ich glaube, das ist sehr viel hilfreicher und kommt Ihrem Begriff von Freundschaft, Frau Kollegin Ganseforth, sehr viel näher als die öffentlichen Anprangerungen der Türkei in diesem Hohen Hause. So wichtig diese zeitweilig vielleicht waren, so wenig hilfreich sind sie jetzt.
Vielen Dank.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beratung der Großen Anfrage der Gruppe der PDS/Linke Liste zur Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann ({0}), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe in den neuen Bundesländern schaffen
- Drucksache 12/1909 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Finanzausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Fritz Schumann ({2}) und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Festschreibung der zur Zeit gültigen ABM-Regelung bis 31. Dezember 1992
- Drucksache 12/1927 6174
Vizepräsident Helmuth Becker
Interfraktionell ist für die gemeinsame Aussprache eine Fünf-Minuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Frau Abgeordneten Petra Bläss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu gewohnter später Stunde werden zwei Anträge von uns behandelt. Aus gegebenem Anlaß haben wir zwei Anträge zur Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern eingebracht und bitten um Ihre Zustimmung.
In beiden Anträgen geht es uns um die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsmöglichkeiten für Frauen und Männer in den neuen Bundesländern. Vor allem geht es uns darum, daß der Arbeitsmarkt im Osten nicht länger zum Experimentierfeld der Wirtschaftspolitik von Herrn Möllemann
({0})
und schon gar nicht zum Thema für Profilneurosen einzelner Regierungsmitglieder verkommt. Natürlich wären wir froh, wenn das groß in Szene gesetzte Programm Aufschwung Ost endlich griffe und zukunftsträchtige Dauerarbeitsplätze, insbesondere im produzierenden Gewerbe, hervorbrächte. Solange dies aber nicht gelingt - die weiter steigenden Arbeitslosenzahlen sind dafür ja ein untrügliches Zeichen -, setzen wir uns für die Beibehaltung und den Ausbau von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein; ganz nach der von Ihnen millionenfach auf Hochglanz verbreiteten Parole: ABM - Arbeit für viele, Nutzen für alle. Insofern halten wir es für gar keinen guten Beitrag zum neuen Jahr, wenn Bundeswirtschaftsminister Möllemann die Menschen in den neuen Bundesländern durch die Ankündigung einer weiteren Mittelkürzung für ABM schockiert, wenige Tage nach der Jahreswende, die wiederum für mehrere hunderttausend Beschäftigte Arbeitslosigkeit bedeutete; denken Sie nur an die halbe Million, deren Kurzarbeiterregelung Ende 1991 endgültig ausgelaufen ist.
Viele von ihnen sehen sicher in ABM keine Lösung auf Dauer. Aber ganz bestimmt haben sie die Hoffnung, darüber ihre materielle Situation und ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Allemal finden sie es besser, als arbeitslos zu sein.
Daß im letzten Jahr 400 000 Stellen über ABM besetzt werden konnten, deutet doch wohl darauf hin, daß wenigstens dieses beschäftigungspolitische Instrumentarium für den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt gegriffen hat - im Gegensatz zu den vielen Ankündigungen zur Belebung des ersten Arbeitsmarkts.
Wenn jetzt nach den Vorstellungen von Wirtschaftsminister Möllemann eine Korrektur der Mittelvergabe insofern vorgenommen wird, daß ABM-Gelder zugunsten der Investitionsförderung drastisch verknappt werden, so droht das, was an neuen Arbeitsmöglichkeiten - natürlich öffentlich subventioniert - entstanden ist, wieder zusammenzubrechen.
Das ist übrigens kein Ost-Problem allein. Mit den Mittelkürzungen von 500 Millionen DM für ABM in den westlichen Bundesländern stehen dort jetzt vielerorts zwei Drittel der Maßnahmen am Ende. Abwikkeln droht also gesamtdeutsch zu werden.
Die von Bundesminister Möllemann beabsichtigte Kürzung der Dauer von AB-Maßnahmen auf sechs Monate würde vor allem für die vielen Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsgesellschaften das Aus bedeuten. Aber das ist ja die erklärte Absicht von Herrn Möllemann; denn bereits im September, also wenige Wochen nach der mit der Treuhand, den neuen Ländern und den Tarifparteien dazu abgeschlossenen Rahmenvereinbarung, stellte er fest, daß diese mit öffentlichen Mitteln geförderten Gesellschaften das Entstehen mittelständischer Unternehmen und mithin neuer Strukturen in den neuen Bundesländern behinderten, weil sie - so seine Analyse - z. B. dem Handwerk gesuchte Fachkräfte entzögen.
Kein Wunder, meine Damen und Herren, daß die Arbeitssenatorin von Berlin, Frau Christine Bergmann, angesichts von über 200 000 Arbeitslosen allein in Berlin solche Aussagen nur noch als blanken Zynismus abtut und Regierungsmitglieder aus Mecklenburg-Vorpommern Möllemanns Vorschläge tödlich finden.
Auch die beabsichtigte Veränderung der anderen Konditionen für AB-Maßnahmen stoßen auf heftige Kritik in den Ländern und bei den Gewerkschaften. Zu Recht wird darauf verwiesen, daß hier mit der Existenzgrundlage insbesondere derjenigen herumgespielt wird, die durch eine Vielzahl kleiner Projekte wichtige soziale Netzwerke neu geknüpft und vorhandene Infrastruktur erhalten haben. Allein die Sachmittelkürzung im letzten Jahr hat deren Überlebenschance erheblich in Frage gestellt.
Etwas Ähnliches bewirkt natürlich das ministerielle Ansinnen, AB-Kräfte zukünftig unter Tarif zu bezahlen und ihnen dies auch noch als Anreiz, vom zweiten in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren, zu verkaufen.
Wenn sich die Tarifparteien diesen Überlegungen nicht freiwillig anschließen, erwägt Herr Minister Möllemann eine gesetzliche Regelung zur untertariflichen Bezahlung. Handelt es sich hier etwa nicht um einen massiven Eingriff in die Tarifautonomie, den Sie von der Regierungsbank ja in der letzten Woche in der Debatte über die Leiharbeit noch so nachdrücklich gegeißelt haben? Eine abenteuerliche Volksverdummung hat Frau Engelen-Kefer vom DGB das alles genannt. Dem kann ich mich nur anschließen.
Danke.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Ulrich Petzold.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr gerehrten Damen und Herren! Eine tolle Mischung und sehr populistisch - das fällt einem beim Lesen der beiden Anträge der PDS sofort ins Auge. Hier werden marxistische Wirtschaftsideen eifrig mit marktwirtschaftlichen Forderungen verUlrich Petzold
mischt, wird der Erhalt alter sozialistischer Wirtschaftsstrukturen durch die Treuhand mit investitionsfördernden Maßnahmen verziert, und das ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Machbarkeit.
({0})
Der Zielpunkt dabei ist immer wieder eine Umgestaltung der Treuhand, nachdem sie nun endlich Tritt gefaßt hat. Ihnen kommt es darauf an, Ihr eigenes Versagen in 40 Jahren sozialistischer Wirtschaft polemisch hinter einem angeblichen Versagen der Treuhand zu verbergen.
({1})
- Gleich. Dabei soll die Plattform dieses Parlaments propagandistisch für Ihre Diskussionen über den sterbenden und faulenden Kapitalismus Marxscher Prägung ausgenützt werden. Anscheinend haben Sie noch gar nicht bemerkt, daß viele der von Ihnen aufgegriffenen wirtschaftlichen Forderungen schon längst in die Tat umgesetzt wurden.
({2})
Bei der „äußerst häufigen Anwesenheit" Ihres Kollegen im Wirtschaftsausschuß ist das wohl kaum verwunderlich.
({3})
- Ja, ich bin immer da.
({4})
Ihre Forderung nach mehr Transparenz der Treuhand ist gut, doch bereits überholt. So etwas kann man eben nicht erfahren, wenn man bei Veranstaltungen der Treuhand über deren Controlling und Revisionssystem fehlt.
Ich hoffe, Sie nehmen zur Kenntnis, daß die Treuhand Ihren Forderungen nach Belegschaftsübernahme und Managementunterstützung z. B. durch verstärkte Förderung von MBO und MBI bereits nachkommt. Traurig ist in diesem Zusammenhang, daß vielen Menschen bei uns in den 40 Jahren Ihrer Diktatur Initiative und Risikobereitschaft aberzogen wurden.
Weiterhin sollte für Sie interessant sein, daß im Dessau-Bitterfelder Raum auf Initiative des dortigen Regierungspräsidenten eine Strukturentwicklungsgesellschaft entsteht, die Ihre Forderungen nach Regionalförderung zum alten Eisen macht.
({5})
- Selbstverständlich, wenn Sie das sagen, immer.
Schon längst vorhanden sind Sonderkonditionen für Betriebe in den neuen Ländern bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Vielleicht lesen Sie die Erlasse der Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr vom 1. Juli 1991 einmal durch. Sie scheinen allerdings so alt zu sein, daß sich das Bundesbahnbeschaffungsamt gar nicht mehr daran erinnern kann.
({6})
Beim Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern scheint die PDS keine einheitliche Linie zu fahren. Während Sie hier eine Beschleunigung fordern, konterkarieren eine ganze Reihe Ihrer Mitglieder in den Ortsverbänden die Durchsetzung des Verkehrswegebaubeschleunigungsgesetzes.
Was die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
({7})
in den neuen Bundesländern angeht, so darf ich Ihnen versichern, daß wir mit dem Gesamtetat von über 12 Milliarden DM für dieses Jahr den festen Willen bekundet haben, ABM fortzuführen.
({8})
Mit einer - wie Sie es wünschen - Festlegung auf eine unveränderte Weiterführung würden wir uns jeder Reaktionsmöglichkeit berauben.
Wir würden uns freuen, falls Sie anerkennen sollten, daß in den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr durch investitionsfördernde Maßnahmen, z. B. durch die Vergabe von ERP-Krediten, mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden als mit den höheren Aufwendungen des ABM-Programms. Da jede D-Mark nur einmal ausgegeben werden kann, ist es für uns sinnvoller, gesunde Arbeitsplätze zu schaffen, als das ABM-Programm ausufern zu lassen.
Ich glaube, insbesondere die Tatsache, daß jetzt auch verstärkt Arbeitskräfte aus Problemgruppen freigesetzt werden, erfordert geradezu eine verstärkte Umorientierung bei ABM. Auch muß der Unsinn unterbunden werden, daß z. B. teilweise hochqualifizierte Schweißer aus der Schiffbauindustrie ihren Arbeitsplatz verlassen und in besser bezahlte ABM-Stellen des öffentlichen Dienstes abwandern. Vielleicht wird daran deutlich, daß gerade hier Handlungsbedarf besteht.
Wir sind gern bereit, mit Ihnen im Ausschuß über die Probleme zu sprechen, falls wieder ein Kollege von Ihnen anwesend sein sollte.
({9})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Bindig, die Verhaltensregeln für Abgeordnete stehen in Anlage 1 unserer Geschäftsordnung.
Als nächster Redner hat jetzt der Herr Abgeordnete Adi Ostertag das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Beratung anstehenden Anträge verdeutlichen dreierlei: zum einen die katastrophale Lage auf dem Arbeitsmarkt, zum zweiten das Scheitern der arbeitsmarkt- und wirtschaftspoliti6176
sehen Maßnahmen dieser Bundesregierung und schließlich die Konzeptionslosigkeit der Regierungsparteien.
({0})
Die jüngst veröffentlichten Zahlen für Ostdeutschland verschleiern das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Die 11,8 %-Quote ist manipuliert;
({1})
denn sie berechnet sich auf der Grundlage von Erhebungen der damaligen DDR. Es werden auch die Menschen mitgezählt, die in den Westen pendeln oder längst aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind.
({2})
In den jüngsten Zahlen sind auch die in die Hunderttausende gehenden Kündigungen zum Jahresende noch nicht enthalten, so daß die gegenwärtige reale Arbeitslosenquote bei 20 % liegen dürfte. Eine kurzfristige Entlastung für den Arbeitsmarkt Ost ist nicht in Sicht, denn die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind auf 400 000 Stellen begrenzt, die Beschäftigungsgesellschaften laufen wegen der Finanzierung nur schleppend an, die Betriebe werden sich auf Grund der schlechter gewordenen Bedingungen von vielen Kurzarbeitern verabschieden.
Diese Bundesregierung redet zwar ständig von der Brückenfunktion der Arbeitsmarktpolitik, sie hat dieser Brücke aber nicht die nötigen Träger als Verstärkung eingezogen, die angesichts der riesigen Last notwendig wären. Im Gegenteil: Teile der Brücke sollen gekappt werden.
Möllemanns arbeitsmarktpolitische Vorschläge laufen auf eine Befristung von AB-Maßnahmen auf sechs Monate hinaus; die Entgelte sollen unter Tariflohnniveau sinken. Das schafft in der Wirtschaft keinen einzigen Arbeitsplatz, sondern die Zahl der arbeitslosen Geldbezieher und die der Pendler und Übersiedler würde steigen.
Gleichzeitig versucht die Bundesanstalt für Arbeit, die vorhandenen Mittel für ABM zu strecken, die Förderansätze sollen sinken und die Beschäftigungsgesellschaften aus der verstärkten Förderung herausgenommen werden.
Wir haben bereits im Rahmen der Haushaltsberatungen 1992 darauf hingewiesen, daß die Kürzungen im Bereich der AB-Maßnahmen zurückgenommen werden müssen. Entgegen dem Flickwerk der Bundesregierung wollen wir die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter ausbauen und sie mit Qualifizierungsmaßnahmen verbinden; genau das haben die Koalitionsfraktionen im Dezember verhindert. Wir fordern die Aufstockung der Mittel für 200 000 Neueintritte in Vollzeit-ABM für eine Laufzeit von mindestens einem Jahr. Wir fordern Sachmittelzuschüsse für ABM von 30 %, wie sie bis zum August 1991 bestanden. Weiterhin benötigen wir spezielle Regelungen, damit sich der unterproportionale Frauenanteil bei ABM erhöht. Wir möchten außerdem erreichen - auch das galt bis zum August 1991 -, daß die ABM-Regelentgelte wieder auf 90 % erhöht werden.
Weil der Antrag der PDS/Linke Liste nur den Status quo festschreibt, werden wir diesen Antrag ablehnen.
Der heute ebenfalls zur Beratung anstehende Antrag betreffend wettbewerbsfähige Arbeitsplätze beinhaltet einen umfassenden Ansatz zur Wirtschafts-, Investitions- und Absatzförderung für die neuen Länder. Es ist richtig, daß insbesondere der Osten Deutschlands dringend eine vorausschauende Industrie-, Wirtschafts- und Sozialpolitik benötigt. Daher haben wir bereits vielfältig Initiativen entwikkelt und immer wieder unseren Sachverstand für die Lösung der anstehenden Probleme angeboten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren nationalen Aufbauplan für die neuen Länder. Ich meine, schnelles Handeln ist nötig. Dazu gehört sicherlich die umgehende Klärung der Eigentumsfrage und die Entschuldung der Unternehmen zur Mobilisierung privater Investitionen. Das sind die eigentlichen Investitionshemmnisse.
Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben diese unklaren Verhältnisse geschaffen und damit die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erheblich erschwert.
Wir werden uns nicht mit der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit abfinden. Im AFG haben wir zwar bewährte Instrumente zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Abfederung sozialer Härten, sie reichen aber für die Zukunft sicherlich nicht aus.
Deshalb wollen wir das AFG einer grundlegenden Bewertung unterziehen, die Bewährtes herausfiltert und Neues einbezieht. Dazu haben wir als Sozialdemokraten eine Große Anfrage eingebracht, mit der der Stand und die Perspektiven der Arbeitsförderung erarbeitet werden sollen. Auf die Beantwortung durch die Bundesregierung sind wir sehr gespannt.
Beschäftigungspolitik läuft ins Leere, wenn sie nicht gleichzeitig durch eine aktive Regionalpolitik, innovative Industriepolitik und perspektivische Strukturpolitik untermauert wird; hier muß vor allem die Treuhand stärker Beschäftigungspolitik betreiben.
Angesichts des wirtschaftspolitischen und arbeitsmarktpolitischen Desasters der Regierungsparteien gibt es Ansätze des Umdenkens. Ich lese diese Woche in der „Frankfurter Rundschau", daß der Abgeordnete Kolbe als Wortführer der CDU-Parlamentarier der neuen Länder die Arbeit der Treuhand kritisiert und eine phantasievollere und intelligentere Politik anmahnt als das bloße Vermarkten von Unternehmen und die Entlassung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit.
({3})
- Eine richtige, wenn auch späte Erkenntnis.
({4})
Hoffentlich besinnen sich die Regierungsparteien darauf, wenn wir diesen Antrag beraten.
Vielen Dank.
({5})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist der Herr Abgeordnete Heinz Hübner.
({0})
So ist das, Kollege Schreiner. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollegin Bläss, es tut mir ja sehr leid - Sie werden auch nichts anderes erwarten -, ich muß Ihnen massiv widersprechen. Wenn Sie vom Experimentierfeld ostdeutsche Wirtschaft sprechen, dann geben Sie mir sicher recht, wenn ich sage, daß dort über einen viel, viel längeren Zeitraum andere Leute in schlimmer Weise experimentiert haben. Wirtschaftsexperten - sogar vom Westen als solche bezeichnet - wie Herr Mittag sind dafür ein Synonym.
Die von Ihnen aufgezeigte Perspektive, die sich bei der Annahme Ihrer Anträge ergeben könnte, kann ich nur als scheinsoziale Wohltatsperspektive bezeichnen. Das hat mit Wirtschaft nichts zu tun. Wenn man nämlich die Überschriften Ihrer beiden Anträge vergleicht, dann drängt sich einem auf den ersten Blick der Gedanke auf, daß hier ein ins Auge fallender Widerspruch besteht. Zum einen sollen - das ist richtig - wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden, zum anderen soll die zur Zeit gültige ABM-Regelung für ein weiteres Jahr festgeschrieben werden.
Was wollen Sie denn eigentlich? Sie sprechen in Ihrem Antrag von der Hauptursache far die wachsende Zahl von Arbeitslosen, nämlich der fehlenden Investitionstätigkeit im produzierenden Gewerbe. Richtig, das stimmt. Aber Sie fordern die Bundesregierung gleichzeitig auf, ihre Mitwirkungspflicht bei der Umstrukturierung und Modernisierung der Wirtschaft aktiv wahrzunehmen. Was glauben Sie denn, was wir tun?
({0})
Ich möchte hier nur - auch wenn das schon getan wurde - auf das massive Programm Aufschwung Ost des Bundeswirtschaftsministers verweisen. Leider ist es so - das habe ich vor Ort erfahren können -, daß Gelder in Millionenhöhe, ohne den Weg über Investitionen zu gehen, sofort in die Konsumtion verschwinden, mehr als zwei Drittel! In diesem Zusammenhang ist nicht nur die zur Zeit noch existierende, in meinen Augen - ich erkläre noch, warum - großzügige ABM-Regelung zu nennen, bei der eine Reihe von Beschäftigten auf sozialistische Art und Weise arbeiten: ein Mann, eine Schippe, fünf Mann schauen zu.
({1})
- Wenn Sie das abstreiten, dann müssen Sie sich einmal einige dieser Beispiele anschauen. Ich weiß nicht, wo Sie herumspringen.
({2})
Ich sehe das in meinem Wahlkreis in Thüringen täglich.
Es ist auch die Tatsache zu erwähnen, daß eine Reihe von maroden Betrieben noch von der Treuhand unterstützt werden und, anstatt zu investieren, die Gehälter in den Chefetagen und die Löhne einiger Arbeitnehmer nach oben schrauben.
Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?
Sehr gern.
Herr Kollege Hübner, ich wollte Sie fragen, ob Sie nach der „Schippentheorie", die eben von Ihnen entwickelt worden ist, den Äußerungen von Herrn Dr. Koch, Vorstandsmitglied der Treuhand, zustimmen können, der gestern im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gesagt hat, die im letzten Jahr entwickelten und für Ostdeutschland eingesetzten Arbeitsmarktinstrumente seien mehr als angemessen?
Ich habe die Aussage des Herrn Koch nicht mitbekommen; ich war in einem anderen Ausschuß. Ich sehe täglich, was dort passiert.
({0})
- Zum Beispiel in Thüringen. Ich komme noch zu Beispielen, daß sich Bürgermeister über ABM-Regelungen massiv beschweren. Genau das ist der Punkt. Diesen zweiten Arbeitsmarkt noch massiver auszubauen ist gerade das, was das Entstehen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze verhindert, Kollege Schreiner. Darüber haben wir uns schon oft unterhalten.
({1})
Ich kann hier auch Beispiele nennen, daß diese Praxis zu Preisdumping geführt hat - Kollege Büttner, hören Sie genau zu -, was letztendlich seinen Ausdruck in der Tatsache fand, daß gerade neu entstandene kleinere Betriebe gegenüber diesen „Konsumierungsunternehmen" nicht mehr konkurrenzfähig waren. Wenn Sie die Treuhand statt zum Sanieren dazu gebrauchen wollen, absterbende Betriebe künstlich am Leben zu halten,
({2})
dann haben wir die blanke Staatswirtschaft, so wie wir sie als Ex-DDR-Bürger zur Genüge kennenlernen mußten. Wenn ich mir die einzelnen Forderungen Ihres Antrages „Wettbewerbsfähige Arbeitsplätze ... " anschaue, dann kann ich nicht umhin, Ihnen zu bestätigen, daß ein großer Teil dieser Forderungen seit langem in unserem Programm „Aufschwung Ost" angegangen wurde, was letztendlich auch zum Erfolg führen wird.
Zu Ihrem Antrag auf Weiterführung von ABM-Regelungen habe ich schon einiges ausgeführt. Ich frage an dieser Stelle noch einmal ganz konkret: Wo ist, wenn Sie die Beibehaltung der zulässigen AB-Maßnahmen fixieren wollen, wenn Sie die Höhe der ABM-Entgelte sichern wollen, wenn Sie die Sachkostenzuschüsse erhalten wollen,
({3})
der vierte Punkt in diesem Antrag, der damit eng zusammenhängt: Aufbau einer konkurrenzfähigen Wirtschaft?
({4})
Sie können natürlich sagen: Das steht in unserem anderen Antrag. - Gut. Tatsache ist aber, daß Sie augenscheinlich bewußt dieses Ziel in Ihrem zweiten Antrag weggelassen haben.
Ich habe eine Reihe von Gesprächen mit Bürgermeistern verschiedener Gemeinden und Städte in Thüringen geführt. Dort wurde mir immer wieder bestätigt, übrigens sogar von Bürgermeistern, die heute neu parteilos sind, früher einmal SED-Bürgermeister waren - das werfe ich ihnen nicht vor -, daß man wesentlich glücklicher wäre, wenn Gelder, die für ABM ausgegeben werden, statt dessen in neu entstehenden und wieder entstandenen Unternehmern
({5})
- Unternehmen! - eingesetzt werden könnten. Das ist eine Überlegung, die man durchaus ernst nehmen sollte. Wir haben seitens der Koalitionsfraktionen entsprechende Vorschläge gemacht.
Jetzt komme ich auf den Versprecher. Das hat schon etwas damit zu tun, aber nicht mit Freud: Eine gute Politik für mittelständische Unternehmer ist der beste Garant für eine gute Arbeitnehmerpolitik.
({6})
Diese Erkenntnis müssen Sie wohl noch gewinnen.
Wir lehnen Ihre beiden Anträge aus sachlichen Gründen ab. Übrigens hat das aus diesen oder ähnlichen Gründen auch die SPD vor.
Danke schön.
({7})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt die Frau Abgeordnete Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Franke, sprach in seinem letzten Monatsbericht davon, daß in diesem Jahr mit einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation in den ostdeutschen Bundesländern zu rechnen ist. Ich denke, das überrascht niemanden, zumindest überrascht es uns nicht. Und es ist auch nur die halbe Wahrheit. Die Arbeitslosenstatistik - das ist hier schon gesagt worden, aber ich denke, man kann das nicht oft genug sagen, insbesondere den Menschen in der ehemaligen DDR nicht oft genug sagen - ist gefälscht.
({0})
Nicht berücksichtigt werden die Migrationen aus der Ex-DDR nach Westdeutschland, die Pendlerinnen und Pendler, diejenigen, die in den Vorruhestand gegangen sind, die Altersübergangsgeld beziehen, und schließlich auch diejenigen, die jetzt die sogenannte stille Reserve bilden. Das sind insgesamt, zieht man das einmal zusammen, 4 Millionen Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind, arbeiten wollen und dies nicht regulär tun können. Angesichts dieser Zahlen von 11 % Arbeitslosen zu sprechen, ist nichts als Augenauswischerei.
Aber diese Tatsache, so schlimm sie auch sein mag, veranlaßt die Bundesregierung offensichtlich nicht, von einer postulierten zu einer wirklich aktiven Arbeitsmarktpolitik überzugehen, die mehr ist als eben nur die massenhafte Bereitstellung von Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Beschäftigungsgesellschaften.
Der völlige Zusammenbruch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Strukturen im Ostteil des Landes verlangt eine völlig neue Dimension der Beschäftigungspolitik und der Wirtschaftspolitik überhaupt. Vor dieser Herausforderung hat die Bundesregierung bisher versagt.
({1})
Große Hoffnungen und Erwartungen werden im Osten vor allem an ABM geknüpft. Aber ich denke, es muß auch gesagt werden, daß die Wirkung von ABM durchaus zwiespältig ist und es meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist, sie als Königsweg aus der Misere anzusehen.
ABM können an einigen Stellen das Entstehen rentabler Arbeitsplätze behindern, und sie werden auch genutzt, um die Löcher in den Haushaltskassen der ostdeutschen Kommunen notdürftig zu kompensieren. In Pflegeheimen, auf Sozialstationen, aber vor allen Dingen auch in Kinderbetreuungseinrichtungen werden Dauerarbeitsplätze in zeitlich befristete AB-Arbeitsplätze umgewandelt. Das betrifft in überwiegender Zahl Frauen. Fehlende Übernahmegarantien nach Ablauf der ABM kündigen einen massenhaften Abbau von Frauenarbeitsplätzen in diesem Bereich an. Das wird so lange so bleiben, wie die Finanzausstattung der Kommunen nicht abgesichert ist.
Das Geld, das die Bundesregierung über den Umweg der Bundesanstalt für Arbeit in die Kommunen fließen läßt, sollte vom Bund direkt zur Schaffung fester Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden.
ABM haben - und auch das muß gesagt werden - andererseits positive Effekte, und zwar insofern, als sie unter den Bedingungen einer restriktiven Finanzpolitik die Arbeit in alternativen Projekten im sozialen, kulturellen und auch feministischen Sektor sowie die Existenz von Selbsthilfegruppen oder auch die Tätigkeit von Vereinen maßgeblich ermöglichen. Das sind, denke ich, durchaus auch Aktivitäten, die die geistige Kultur dieses Landes wesentlich prägen.
ABM sind auch ambivalent für die Betroffenen selbst. Sie tragen angesichts fehlender beschäftigungspolitischer Alternativen dazu bei, der oder dem einzelnen zu helfen, die komplizierte, psychisch enorm belastende Situation der Arbeitslosigkeit, der Erwerbslosigkeit wenigstens zeitweilig zu überbrükken und auch einen gewissen sozialen Halt zu gewährleisten. Sie mindern die finanziellen Probleme der Erwerbslosigkeit wenigstens teilweise. Immerhin brauchen, einer Zeitungsmeldung aus den letzten
Tagen zu folge, fast 60 % der Erwerbslosen ihre Ersparnisse auf, um durchs Leben zu kommen. Und der Anteil der von Sozialhilfe Lebenden hat sich in den östlichen Bundesländern innerhalb kürzester Zeit drastisch erhöht. Dafür ist mit Abstand die Erwerbslosigkeit die häufigste Ursache.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden jedoch zum Abstellgleis, wenn sie eben nicht mehr, wie es im Arbeitsförderungsgesetz heißt, Brücken in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse sind. Für viele in Ostdeutschland sind sie heute eine Warteschleife mit vorprogranuniertem Absturz. Ohne eine intelligente Strukturpolitik, ohne wirksame Investitionsförderung - und das schließt auch die Klärung der Eigentums- und Rückgabefragen mit ein -, also ohne die Einbindung von ABM in regionale Wirtschaftsstrukturen und eine entsprechende Koppelung an Qualifizierungsmaßnahmen verkommen sie zur Beschäftigung schlechthin, vielfach um den Preis des Einkommensverlustes und der Dequalifizierung. ABM lösen die Probleme nicht, sie verlagern sie nur.
Angesichts der geschilderten Situation in Westdeutschland kann man es wirklich nur noch als zynisch bezeichnen, wenn von einem Vertreter der Regierungsbank der Vorschlag kommt, künftig ABM nur noch für sechs Monate zu genehmigen bzw. das Entgeld für ABM-Beschäftigte unter das in normalen Arbeitsverhältnissen festzulegen.
({2})
Man darf vermuten, daß es sich hier um einen Testballon handelt, mit dem ausgelotet werden soll, wie weit man gehen kann.
Festzuhalten bleibt: Solange die Bundesregierung nicht in der Lage oder bereit ist, eine Politik zu betreiben, die ABM als Massenphänomen überflüssig macht, haben einzelne Minister nicht das Recht, die Betroffenen mit diversen Sparmaßnahmen zu bedrohen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Klaus Beckmann, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte ganz kurz auf den Vorwurf eingehen, den meine Vorrednerin Frau Schenk hier erhoben hat. Der Bundesanstalt die Fälschung der Arbeitslosenstatistik vorzuwerfen, ist ja offensichtlich absurd. Ich weise diesen Vorwurf namens der Bundesregierung mit aller Entschiedenheit zurück.
({0})
Meine Damen und Herren, schon ein erster Blick auf den Antrag Drucksache 12/1909 macht deutlich: Hier wird uns - das hat der Kollege Petzold mit Recht angemerkt - ein Sammelsurium von Forderungen vorgelegt, für das eigentlich dreierlei gilt. Entweder sind sie erstens überholt, weil sie längst zum Bestand unserer aktiven Wirtschaftspolitik zur Unterstützung des „Aufschwungs Ost" gehören - Stichworte: Investitionsförderung, Regionalförderung -, oder sie laufen zweitens offene Türen ein. Dabei bringt Ihre Erinnerung an die Mitwirkungspflicht der Bundesregierung bei der Umstrukturierung und Modernisierung der ostdeutschen Wirtschaft angesichts unserer massiven Unterstützungsmaßnahmen ein enormes Maß an Arroganz zum Ausdruck.
({1})
Drittens spricht aus Ihrem Antrag und aus diesen Ihren Forderungen der Geist der Vergangenheit, zum Beispiel wenn Sie vorschlagen, Treuhandunternehmen in die direkte Obhut des Bundes zu stellen und damit letztlich das Privatisierungsziel zu untergraben. Aber mit mehr Staat, meine Damen, und mit mehr Lenkung lassen sich eben keine dauerhaften Arbeitsplätze in einer Marktwirtschaft schaffen. Das wäre der falsche Weg, und den werden wir nicht gehen.
({2})
Meine Damen und Herren, zwischen Sachverständigen aus Wirtschaft und Wissenschaft besteht mittlerweile eine fast einhellige Meinung: Bei der Aufgabe, die vom SED-Regime hinterlassene desolate Wirtschaft wieder funktionsfähig zu machen, haben wir im ersten Jahr des „Aufschwungs Ost" erhebliche Erfolge erzielt. Die Fördermaßnahmen der Bundesregierung greifen.
({3})
Wir sind auf dem richtigen Weg. Das sagen uns ja auch die Sachverständigen. Dreh- und Angelpunkt für den weiteren „Aufschwung Ost" sind Investitionen der öffentlichen Hand, aber insbesondere der privaten Wirtschaft.
Allerdings, die bisherigen Investitionen - da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege - reichen noch nicht aus. Größeres privates Engagement ist erforderlich, damit neue, sichere Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern entstehen und vor allen Dingen mehr unrentable Arbeitsplätze wegfallen.
({4})
Mit dieser Zielsetzung hat der Bundesminister für Wirtschaft seine Vorschläge zum „Aufschwung Ost" im zweiten Jahr vorgelegt. Sie sind auf breite Zustimmung gestoßen. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft teilen uns ausdrücklich mit, daß wir den richtigen Weg beschritten haben. Das sagen auch die neuen Bundesländer.
Die Frage einer Aufstockung der Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung wird morgen in der Beratung des Jahreswirtschaftsberichts im Kabinettsausschuß für Wirtschaft zu besprechen sein.
Die Beseitigung von Investitionshemmnissen steht weiter ganz oben auf unserer Tagesordnung. Wir müssen, meine Damen und Herren, das Vermögensgesetz novellieren, um die Verfahren zu beschleunigen und auch um Mißbräuche zu vermeiden.
({5})
Pari. Staatssekretär Klaus Beckmann
Die erfolgreiche Arbeit der Treuhandanstalt im Bereich der Privatisierung muß fortgeführt und nicht zuletzt im Interesse der Erhaltung der Industriestandorte intensiviert werden. Die Sanierung der Betriebe ist ebenfalls zentrale Aufgabe der Treuhandanstalt. Entscheidendes Kriterium muß dabei sein, ob die Unternehmen in absehbarer Zeit die Wettbewerbsfähigkeit erreichen können. Neue Überlegungen zielen darauf ab, durch Management-Gesellschaften, Kapitalanlagefonds und Kapitalbeteiligungsgesellschaften erfahrene Sanierer für die Treuhandunternehmen zu gewinnen.
Noch ein Wort zur Arbeitsmarktpolitik: Die PDS/ Linke Liste fordert eine Festschreibung der zur Zeit gültigen ABM-Regelung bis zum 31. Dezember 1992. Dieser Antrag, meine Damen und Herren, geht nach meiner Auffassung an arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten vorbei. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tragen in den neuen Bundesländern wesentlich dazu bei, die Arbeitslosigkeit zu dämpfen. Das ist sicher richtig. Gerade weil es notwendig ist, auch weiterhin die Zeit zwischen dem wegfall alter Arbeitsplätze und der Schaffung neuer Arbeitsplätze mit ABM zu überbrücken, müssen wir dieses Instrument wirksamer gestalten. Wo immer möglich, muß es daher zu einer Kombination von beruflicher Bildung und ABM kommen,
({6})
wobei, meine Damen und Herren, der ABM-Anteil nach meiner persönlichen Auffassung grundsätzlich sechs Monate nicht überschreiten sollte. So können im übrigen insgesamt auch mehr Menschen gefördert werden.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wir dürfen bei den ABM-Teilnehmern nicht den Eindruck entstehen lassen, daß es sich bei diesen Maßnahmen um ein Dauerarbeitsverhältnis handelt, denn dadurch würden Mobilität und Eigeninitiative gebremst und auch der Privatwirtschaft Arbeitskräfte entzogen, die für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft in den neuen Ländern dringend erforderlich sind.
({7})
Dies, meine Damen und Herren, dies letzte ist und bleibt das zentrale Ziel der aktiven Wirtschafts- und Strukturpolitik der Bundesregierung.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/1909 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1927: Festschreibung der zur Zeit gültigen ABM-Regelung bis 31. Dezember 1992. Wer stimmt dafür? - Danke. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltung? - Dann haben wir folgende Situation: Dieser Antrag ist abgelehnt. Die PDS/Linke Liste hat dafür gestimmt, Bündnis 90/GRÜNE sich der Stimme enthalten, und mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP ist der Antrag abgelehnt.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. Januar 1992, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.