Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich wünsche uns einen guten Morgen.
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Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Maastricht
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember hat sich der Europäische Rat in Maastricht nach über 30stündigen Beratungen auf den Vertrag über die Politische Union sowie über die Wirtschafts- und Währungsunion geeinigt. Dieses Vertragswerk, das Anfang Februar 1992 unterzeichnet wird, bedeutet eine grundlegende Weichenstellung für die Zukunft Europas:
Erstens: Der Weg zur Europäischen Union ist unumkehrbar. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind jetzt für die Zukunft in einer Weise miteinander verbunden, die ein Ausbrechen oder einen Rückfall in früheres nationalstaatliches Denken mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich macht.
Wir haben damit ein Kernziel deutscher Europapolitik in die Tat umgesetzt. Maastricht ist der Beweis dafür, daß das vereinte Deutschland seine Verantwortung in und für Europa aktiv wahrnimmt und zu dem steht, was wir immer gesagt haben, nämlich daß die deutsche Einheit und die europäische Einigung zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.
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Zweitens: Wir haben ein tragfähiges Ergebnis in beiden Konferenzen erreicht, das unsere wesentlichen Interessen wahrt und zugleich die Gemeinschaft einen entscheidenden Schritt voranbringt.
Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis ist uns nicht in den Schoß gefallen. Wir haben ein Jahr intensiver und schwieriger Verhandlungen hinter uns, in denen alle Seiten bewiesen haben, daß sie bereit sind, gemeinsam den Weg zu einem vereinten Europa zu gehen und dabei auch die notwendigen Kompromisse zu schließen.
Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, all denen zu danken, die in den letzten zwölf Monaten an diesem Vertragswerk mit besonderem Engagement mitgearbeitet haben.
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Ich nenne aus dem Kreis der Bundesregierung ganz besonders den Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und den Finanzminister Theo Waigel.
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Ich nenne ganz besonders - und das tue ich sehr gerne, weil ja über öffentliche Verwaltungen häufig mit einem beachtlichen Maß an Unkenntnis gesprochen wird - die verantwortlichen Beamten, die hier weit über das Maß des Üblichen hinaus eine hervorragende Arbeit geleistet haben.
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Meine Damen und Herren, wir haben ein Gesamtergebnis erreicht, das vielen innerhalb und außerhalb Europas vor einem Jahr noch völlig unrealistisch, ja utopisch erschienen wäre. Heute kann man feststellen, daß Maastricht in der historischen Perspektive wohl das bedeutendste Gipfeltreffen der EG seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge war.
Drittens: Daß es uns gelungen ist, der europäischen Einigung neuen Auftrieb zu geben, ist in besonderem Maße dem engen Schulterschluß mit Frankreich zu verdanken. Die deutsch-französische Partnerschaft und Freundschaft war, ist und bleibt entscheidend für Europa. Vor allem mit Frankreich sind wir uns in der Vision eines Europa einig, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zusammenwächst.
Viertens: Die Europäische Gemeinschaft ist jetzt für die schwierigen Herausforderungen der Zukunft bes5798
ser gerüstet. Der Durchbruch in Maastricht hat nicht nur für das Zusammenwachsen der Gemeinschaft große Bedeutung, sondern ist auch ein deutliches Signal an unsere europäischen Nachbarn, ja, an unsere Partner in der Welt.
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Mit dem Ergebnis von Maastricht ist der Weg zur Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion klar vorgezeichnet und unwiderruflich festgelegt. Diese Irreversibilität ist in einer gesonderten Protokollerklärung von allen Mitgliedstaaten noch einmal ausdrücklich unterstrichen worden.
Gelungen, meine Damen und Herren, ist es vor allem, den Vorrang der Geldwertstabilität so eindeutig festzuschreiben, daß dies - das sage ich auch im Hinblick auf die öffentliche Diskussion in unserem Land - den Vergleich mit dem deutschen Bundesbankgesetz nicht zu scheuen braucht.
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Mehr noch: Wichtige Einzelheiten sind in diesem Vertrag klarer und eindeutiger geregelt, als es im Bundesbankgesetz der Fall ist.
Wir konnten also diesem Vertrag zustimmen, weil er in vollem Umfang den deutschen Erfahrungen entspricht, die wir mit der D-Mark und der Gewährleistung ihrer Stabilität in den letzten 40 Jahren gemacht haben.
Manche von denen, die in diesem Zusammenhang öffentlich polemisieren, müssen sich fragen lassen, wem eine solche Kampagne nützt.
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Denn heute können wir festhalten: Der nach langen und intensiven Verhandlungen vereinbarte Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion trägt den deutschen Forderungen in allen entscheidenden Punkten Rechnung.
Unsere bewährte Stabilitätspolitik ist zum Leitmotiv für die zukünftige europäische Währungsordnung geworden. Zu diesem Erfolg - auch das will ich hier dankbar erwähnen - hat die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank in diesen Verhandlungen entscheidend beigetragen.
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Als zentrale Vorbedingung für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion verlangt der Vertrag die nachprüfbare wirtschaftliche Konvergenz der Mitgliedstaaten.
Anders ausgedrückt: Die wirtschaftlichen Daten der Kandidaten für die Währungsunion müssen ganz bestimmten Qualitätsanforderungen genügen, bevor eine Teilnahme an der Währungsunion möglich ist.
Diese Kriterien für die Qualifikation zur Währungsunion lauten: strikte Preisstabilität, unbedingte Haushaltsdisziplin, Konvergenz der langfristigen Zinssätze, stabile Position im Europäischen Währungssystem in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in die Währungsunion.
Diese Auflagen und Vorgaben sind in dem Vertrag bzw. in den Protokollen zum Vertrag so eindeutig festgeschrieben, wie wir es im Hinblick auf die Stabilität der D-Mark bei uns selbst für erforderlich und notwendig halten.
Als Beispiel nenne ich die unbedingte Haushaltsdisziplin, d. h. die Unterbindung übermäßiger Haushaltsdefizite. Hierzu wird u. a. festgelegt, daß die jährliche öffentliche Neuverschuldung nicht mehr als 3 % des Bruttosozialprodukts betragen darf.
Auch im Blick auf die Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland kann diese Festlegung als angemessen angesehen werden, denn im Gefolge der außergewöhnlichen Belastungen der Wiedervereinigung müssen auch wir uns anstrengen, meine Damen und Herren, um diese Voraussetzung zu erfüllen.
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- Ich habe bei diesem Satz auf Ihre Zustimmung gehofft; ich habe sie auch erhalten.
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- Auf diesem Gebiet enttäuschen Sie mich nie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Hinzu kommt - das ist ein bisher einmaliger Vorgang - , daß sich souveräne Staaten im Rahmen internationaler Verträge zu einer dauerhaften Begrenzung ihrer öffentlichen Verschuldung verpflichten und darüber hinaus bereit sind, bei Verletzung der Haushaltsdisziplin abgestufte Sanktionen zu akzeptieren. Damit sind völkerrechtlich bindende Regelungen vereinbart, mit denen verhindert werden kann, daß die auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik durch eine falsche nationale Haushaltspolitik unterlaufen werden kann.
Was den Fahrplan zur Wirtschafts- und Währungsunion betrifft, so besteht Einvernehmen darüber, daß die sogenannte zweite Stufe, d. h. der Vorbereitungsabschnitt zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, am 1. Januar 1994 beginnt.
Ziel dieser sogenannten zweiten Stufe ist zum einen, daß sich möglichst viele Mitgliedstaaten durch wirtschafts- und finanzpolitische Anstrengungen für die Endstufe der Währungsunion qualifizieren, und zum anderen, daß die notwendigen Vorbereitungsarbeiten für die Errichtung der Europäischen Zentralbank geleistet werden.
Besonders wichtig war für uns, für Deutschland, daß in dieser zweiten Stufe keine geldpolitische Grauzone entsteht. Dies bedeutet: Die geldpolitische Souveränität bleibt in vollem Umfang und ausschließlich bei der Deutschen Bundesbank.
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Der Übergang zur dritten Stufe und damit die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion erfolgt nach Maßgabe der Konvergenzkriterien. Bis spätestens Ende 1996 entscheiden die Staats- und Regierungschefs, ob eine Mehrheit der Mitgliedstaaten die
notwendigen Voraussetzungen erfüllt, was dann auch die Festlegung eines entsprechenden Termins ermöglicht. Gelingt dieser erste Anlauf noch nicht, beginnt die Endstufe in jedem Falle am 1. Januar 1999. Eine Mindestzahl von Teilnehmerländern ist dann nicht mehr notwendig.
Meine Damen und Herren, entscheidender Maßstab in diesem Verfahren ist und bleibt, daß die genannten qualitativen Vorbedingungen für die Währungsunion von allen Teilnehmern voll gewährleistet sein müssen.
Für die künftige Europäische Zentralbank haben wir nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank ein Statut verabschiedet, das sie auf den Vorrang der Preisstabilität verpflichtet und zugleich ihre volle Unabhängigkeit sichert.
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die noch nicht an der dritten Stufe teilnehmen können, haben selbstverständlich keinen Einfluß auf die geldpolitischen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank.
Wichtig ist ferner, daß die in anderen europäischen Ländern zum großen Teil noch von der Regierung abhängigen Zentralbanken - und ich möchte Sie darauf hinweisen, was dies bedeutet - spätestens mit der Errichtung der Europäischen Zentralbank unabhängig werden. Das ist ein gewaltiger Einschnitt in nationales Denken und Handeln in einer großen Zahl europäischer Länder.
Der Sitz der Europäischen Zentralbank konnte in Maastricht noch nicht festgelegt werden, da diese Frage von anderen Mitgliedstaaten mit der nach dem Sitz anderer EG-Organe und EG-Institutionen verknüpft wird.
Sie alle kennen die Diskussion um den Sitz des Europäischen Parlaments und anderer Institutionen. Ich bin jedoch sicher, daß der jetzt verabschiedete Zeitplan den notwendigen Druck ausüben wird, um auch in den anderen Fragen der Sitzentscheidungen - bis hin zur Frage des endgültigen Sitzes des Europäischen Parlaments, die eine Schlüsselfrage darstellt - voranzukommen.
Ich habe unmißverständlich unseren Anspruch auf den Sitz der Europäischen Zentralbank deutlich gemacht und will das hier von dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen.
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Meine Damen und Herren, insgesamt werden mit dem Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion zentrale Grundbedingungen, die seit über vierzig Jahren bei uns in Deutschland für ein hohes Maß an Geldwertstabilität und wirtschaftlichem Erfolg gesorgt haben, auf die Europäische Gemeinschaft übertragen.
Dies kann in seiner Bedeutung für unser Land, für Deutschland, nicht überschätzt werden; denn wir leben mehr als alle anderen in der Gemeinschaft vom Handel mit unseren Partnern. Jede dritte Mark wird gegenwärtig im Export erwirtschaftet, und 60 % davon gehen in unsere europäischen Nachbarländer. Stabile Verhältnisse in den anderen europäischen Ländern, d. h. stabiles Geld und solide Staatsfinanzen, entscheiden also mit darüber, ob Wachstum und Beschäftigung in der Zukunft bei uns gesichert werden können. Der Export von Geldwertstabilität nach Europa ist ein entscheidender Schritt, um auch bei uns Arbeit und Beschäftigung auf Dauer zu sichern sowie Einkommen und soziale Sicherheit auf lange Sicht zu stärken. Der Weg zur europäischen Stabilitätsgemeinschaft ist damit ein entscheidender Eckstein für die Europäische Union.
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Auch mit dem Vertragsteil über die Politische Union wird in klarer Weise der Weg zur Vollendung der Europäischen Union vorgezeichnet und unumkehrbar gemacht.
Ich hätte mir gewünscht, daß wir noch deutlichere Fortschritte erreicht und noch mehr Bereiche schon zum jetzigen Zeitpunkt in Gemeinschaftskompetenz überführt hätten. Wir hatten jedoch eine Güterabwägung zu treffen. Es war notwendig und entsprach unserer Überzeugung, in Maastricht zum Ziel zu kommen. Dies erforderte Kompromisse von allen Seiten.
Wenn man den Teil zur Politischen Union kritisch betrachtet, so ist der Wunsch, noch mehr zu erreichen, verständlich. Er wird auch von mir geteilt. Ich möchte aber all denen, die sich kritisch äußern, für einen Augenblick zu bedenken geben, wie sich auf Grund der Beschlüsse von Maastricht Europa in diesem Jahrzehnt entwickeln wird. Wir werden auf alle Fälle entweder 1997 oder 1999 die Währungsunion erreichen. Wir werden in einem Jahr den großen europäischen Markt vollendet haben, einen Markt für rund 380 Millionen Menschen. Es wird ein Raum ohne Binnengrenzen für Menschen und Waren sein.
Wenn man diese säkulare Veränderung unseres Kontinents bedenkt, dann weiß man, daß durch die Tatsachen hier Entwicklungen geschaffen werden, die, obwohl manche das heute noch nicht glauben, irreversibel sind.
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Vieles von dem, was in Amtsstuben in ganz Europa - ich schließe dabei Deutschland nicht aus - heute noch gedacht wird - ich denke an die Widerstände und Überlegungen, daß etwas, was noch nie dagewesen war, deswegen auch nicht kommen könne -, wird durch die Entwicklung hinweggefegt werden. Es ist ein dynamischer Prozeß eingeleitet worden, den wir in dieser Form in der modernen Geschichte noch nie hatten.
Wir Deutschen konnten im 19. Jahrhundert Erfahrungen damit sammeln. Ich will in diesem Zusammenhang Friedrich List erwähnen. Er hatte im vergangenen Jahrhundert eine Vision von dem, was der Wegfall von Grenzkontrollen und Zöllen für die politische Einigung Deutschlands bedeuten würde.
Wir haben in Maastricht auf einer Reihe von Feldern Neuland betreten. Ich nenne hier die Innen- und Justizpolitik. Andere Bereiche - wie die Außen- und Sicherheitspolitik - müssen in den kommenden Jahren erst Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt werden.
Für mich ist klar, daß die Politische Union in allen Bereichen rasch an Substanz gewinnen wird und daß in einigen Jahren viel mehr als heute im Gemeinschaftsrahmen stehen wird. Nicht nur die im Vertrag enthaltenen klaren zeitlichen Vorgaben und Überprüfungsklauseln, sondern vor allem der dynamische Prozeß der politischen Einigung Europas wird den Druck verstärken und das Ganze in die richtige Richtung voranbringen.
Ich wiederhole: Dieses Europa wird 1997 bzw. 1999 eine gemeinsame Währung haben. Man muß sich überlegen, was das heißt: eine gemeinsame Währung von Kopenhagen bis Madrid, von Den Haag bis Rom.
Meine Damen und Herren, im Bereich der Innen- und Justizpolitik haben wir als ersten Schritt eine wesentliche Vertiefung der bisher rein zwischenstaatlichen Zusammenarbeit vereinbart. Ich habe diesem Ergebnis in der Erwartung zugestimmt, daß wir nur so rasch zu praktischen Fortschritten kommen können. Entscheidend war dabei, daß wir hierbei Zeitvorgaben und eine Bestimmung durchgesetzt haben, die die Möglichkeit eröffnet, diese Politiken zu vergemeinschaften.
Dieser Weg erlaubt uns - das ist für uns in Deutschland wichtig - , insbesondere in der Asylpolitik, aber auch in der Zuwanderungspolitik auf der Grundlage des von den Innenministern verabschiedeten Arbeitsprogramms umgehend konkrete Schritte einzuleiten und dann vor Ende 1994 zur Prüfung der vollen Harmonisierung zu kommen.
Wir haben uns darauf geeinigt, bis Ende 1993 eine europäische Polizeistelle - Europol - für den Kampf gegen den internationalen Drogenhandel und das organisierte Verbrechen zu schaffen.
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Meine Damen und Herren, auch in diesem Fall ist mir klar, daß dies natürlich nur ein erster Schritt ist. Aber wer weiß, welche Schwierigkeiten schon dieser erste Schritt bedeutet hat, was für einen Prozeß des Umdenkens, übrigens auch im föderalen Gemeinwesen Deutschland, er bedeutet, der hat eine Vorstellung davon, daß hier Entscheidendes getan wurde.
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Für uns war es besonders wichtig, ein klar formuliertes und gerichtsfestes Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen, und zwar in dem Sinne, daß nur solche Fragen in Brüssel, d. h. in der Gemeinschaft, behandelt werden, die von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene geregelt werden. Mit der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Vertrag stellen wir sicher, daß sich die Gemeinschaft auf ein föderal aufgebautes Europa hin entwickelt, auch wenn dieser Begriff im Vertrag nur umschrieben wird. Sie kennen dieses Problem: Unsere britischen Partner und Freunde verstehen unter Föderalismus genau das Gegenteil dessen, was die übrigen darunter verstehen; deshalb mußte dieser Kompromiß geschlossen werden.
Wir haben uns ferner auf einen Regionalausschuß mit beratender Funktion verständigt und damit auch unseren Bundesländern eine direkte Beteiligung an der Willensbildung der Gemeinschaft eröffnet.
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Auch das ist für eine Reihe der Partnerländer wirklich völliges Neuland, und ich bin ganz sicher, daß sich aus dieser Institution sehr viel Positives für die Zukunft entwickeln kann. Gerade wir Deutschen können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Bundesregierung hat wesentliche Ziele der Bundesländer in diesem Vertragswerk durchsetzen können. Ich muß auch hier betonen, was ich in anderem Zusammenhang eben sagte: Ich hätte vor einem Jahr nicht geglaubt, daß dies so möglich sein würde. Ein so engagierter Europäer wie Jacques Delors, der Präsident der EG-Kommission, der dem deutschen Föderalismus nicht nur viel Sympathie entgegenbringt, sondern der uns in diesen Tagen auch wirklich besonders geholfen hat, hatte noch im Februar 1991 in München einen Regionalausschuß zwar als wünschenswert, aber als im Rahmen der Regierungskonferenz mit Sicherheit nicht erreichbar bezeichnet.
Ich will mich auch bei den Bundesländern für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Daß die Meßlatte dabei oft besonders hoch gelegt wurde, gehört zur Politik in einem föderalen Staat. Aber ich denke, wir können mit dem gemeinsam Erreichten zufrieden sein. Wir wollen vor allem auch bei der praktischen Ausgestaltung möglichst eng zusammenarbeiten. Die Bundesregierung hat den festen politischen Willen, im Rahmen des Ratifikationsverfahrens zu einer vernünftigen und angemessenen Fortschreibung der Beteiligung der Bundesländer in Fragen der Europäischen Gemeinschaft beizutragen.
Meine Damen und Herren, den Weg zu den Beschlüssen zur Außen- und Sicherheitspolitik haben - das ist allgemein anerkannt - maßgeblich die Initiativen von Präsident Mitterrand und mir vom 6. Dezember 1990 und vom 14. Oktober 1991 eröffnet. Wir haben uns auf die Herausbildung einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität verpflichtet. Wir bauen die Westeuropäische Union als integralen Bestandteil der Europäischen Union aus und stärken damit zugleich ihre Rolle als Brücke zwischen der Atlantischen Allianz und der Europäischen Union. In die Schlußakte des Vertrages wird eine Erklärung der neun WEU-Staaten aufgenommen, die die Vorschläge zur Weiterentwicklung der WEU auf der Grundlage der deutsch-französischen Initiative in allen wesentlichen Teilen übernimmt.
Ein politisches Kernstück ist die vorgesehene engere Abstimmung der WEU-Staaten innerhalb der Allianz. Dies wird dazu führen, daß Europa auch in der Allianz sichtbarer als bisher mit einer Stimme spricht.
Im übrigen werden wir allen Mitgliedstaaten der EG den Beitritt zur WEU eröffnen. Das ist die Logik unseres Ansatzes. Für die europäischen NATO-Partner, die nicht der EG angehören, werden wir ebenfalls
bis Ende nächsten Jahres einen besonderen Status schaffen.
Beides - der neue Vertragsartikel über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die WEU-Erklärungen - geben der Politischen Union eine neue, in die Zukunft weisende Dimension. Jetzt wird es entscheidend darauf ankommen, die in der Erklärung der WEU-Staaten enthaltenen Maßnahmen zum Ausbau der WEU und ihres Verhältnisses zur Europäischen Union und zur Allianz schrittweise in die Tat umzusetzen. Hier stehen wir als derzeitige WEU-Präsidentschaft in einer besonderen Verantwortung. Wir werden von unseren europäischen Partnern daran gemessen werden, wie wir gerade diesen Ansatz mit Leben erfüllen.
Auch in der Außenpolitik haben wir eine neue Qualität erreicht. Mit dem Einstieg in Mehrheitsentscheidungen und den neuen Strukturelementen, insbesondere den gemeinsamen Aktionen, gehen wir einen wesentlichen Schritt über die bisherige Europäische Politische Zusammenarbeit hinaus. Wir können damit schrittweise eine gemeinsame Außenpolitik entwikkeln, die diesen Namen auch verdient.
Auch hier will ich hinzufügen: Wir waren bereit, noch weiter zu gehen. Dies war in der gegenwärtigen Situation noch nicht möglich. Aber die Entwicklung geht eindeutig in die von uns im Hohen Haus, wie ich glaube, gemeinsam gewünschte Richtung.
Die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments war immer ein gemeinsames Anliegen des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. Wir haben dabei Fortschritte erreicht, aber nicht alles, was wir wollten. Denn die Widerstände gegen die Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments sind unverändert beträchtlich. Man muß hier ehrlich bekennen: Es sind eben nicht nur die Regierungen, sondern in einem beachtlichen Maße auch die jeweiligen nationalen Parlamente, die zumindest im Augenblick, nicht bereit sind, weitere Schritte zuzulassen. Da wir hier in Deutschland aber gemeinsam eine Meinung vertreten, hoffe ich, daß wir im Rahmen der Gespräche zwischen den nationalen Parlamenten vielleicht einen stärkeren und auch pädagogischen Beitrag leisten können.
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Die Bürger Europas werden jedenfalls bei der nächsten Wahl im Juni 1994 ein Parlament wählen, das weitaus mehr Entscheidungs- und Kontrollrechte haben wird als bisher. Ich nenne als Beispiele: Das Europäische Parlament wird künftig die neue Kommission bestätigen. Die Wahlperioden von Parlament und Kommission werden angeglichen; das ist keineswegs nur eine technische Frage, sondern eine Frage von großer politischer Bedeutung. Das Parlament wird über ein Untersuchungsrecht und über ein Petitionsrecht verfügen. Damit werden die Kontrollrechte auch gegenüber der Kommission wirksamer wahrgenommen werden können als bisher. Schließlich haben wir den Einstieg in eine echte Miteinscheidung des Parlaments im Rahmen der gemeinschaftlichen Gesetzgebung, und zwar für wichtige Bereiche wie den Binnenmarkt, den Verbraucherschutz, die Umwelt und die Transeuropäischen Netze, durchgesetzt. Wenn man sich dieses Verfahren einmal genau anschaut, wird deutlich, daß dieses neue Recht für das Parlament mehr als ein bloßes Veto-Recht ist.
Von ganz besonderem Interesse war für uns die Frage der Zahl der deuschen Mandate im Europäischen Parlament. Sie wissen, daß sich das Europäische Parlament vor einigen Wochen in einer Entschließung unser Anliegen zu eigen gemacht hat, im Zusammenhang mit der deutschen Einheit die Zahl der Mandate um 18 zu erhöhen. Ich will auch hier gerne die Gelegenheit noch einmal wahrnehmen, allen Kollegen aus Deutschland aus allen Fraktionen, die bei diesem Beschluß besonders hilfreich waren, zu danken.
Die Berechtigung dieses deutschen Wunsches, der vom Europäischen Parlament bestätigt wurde, wurde auch in Maastricht von niemandem bestritten. Aber, meine Damen und Herren, im Verlauf dieser Debatte ist natürlich von einer ganzen Reihe unserer Partner deutlich gemacht worden, daß es aus den Gründerjahren der Gemeinschaft, den 50er Jahren, klare Absprachen gibt, wonach die Gewichtung der großen Mitgliedstaaten in den Institutionen - das gilt auch für das Europäische Parlament - in etwa gleich groß sein müßte.
Ich kann nur sagen: Dies ist die Absprache von damals. Ich stehe hier in der Kontinuität aller Bundesregierungen. Es ist ganz eindeutig: Es ist nicht nur ein Land, wie gelegentlich kolportiert wurde, das diese Position einnimmt. Wir haben ungeachtet dieser Lage auf unserem Wunsch nach Erhöhung bestanden und das auch entsprechend zu Protokoll gegeben.
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- Sie sind natürlich nicht weg. Davon kann doch gar keine Rede sein.
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- Nein, sie sind nicht weg. Das wird auch nicht anders, wenn Sie es hier erklären. Vielleicht hören Sie aber erst einmal die Passage meiner Rede an, Dann können wir darüber reden.
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Im Zusammenhang damit ist eine andere Frage diskutiert worden, nämlich wie sich die Zahl der Parlamentssitze im Europäischen Parlament auf Grund weiterer Beitritte zur EG entwickeln wird. Das ist eine absolut berechtigte Frage. Das ist übrigens eine Frage, die auch in nationalen Parlamenten im Blick auf die Zahl der Parlamentssitze dort gelegentlich gestellt wird.
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- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, gnädige Frau! Es hat doch keinen Sinn, daß Sie erst sprechen und dann anhören, was ich zu sagen habe.
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Sie müssen doch aus Ihrer früheren Tätigkeit wissen, daß da ein Problem besteht. Es geht um die Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments.
Wenn man die bisherige Praxis fortschreibt, dann würde sich die Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments inklusive der 18 durch die Beitritte bald auf über 700 Mitglieder erhöhen.
Im Rahmen dieser Diskussion in Maastricht ist auch die Frage an mich und andere, die für die Verstärkung des Parlaments eintreten, gerichtet worden, ob eine weitere Erhöhung der Mandatszahl nicht die Kraft des Parlaments schwächen könnte. Auch das ist eine Lebenserfahrung.
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- Sie können hier, Herr Kollege, für den Bundestag Ihre Anträge stellen; aber ich spreche jetzt vom Europäischen Parlament.
Ich finde, es ist klug - so ist es jetzt in Maastricht beschlossen worden - , daß in den nächsten Monaten bis Ende des Jahres 1992 Gespräche zwischen den Regierungen, den nationalen Parlamenten, dem Europäischen Parlament und natürlich auch der Kommission geführt werden, um diese Frage abschließend zu klären. Diese Diskussion wird sich auch mit der Frage befassen, ob wir uns etwa darauf verständigen könnten, für das Europäische Parlament eine bestimmte Höchstzahl festzulegen. Dies hätte natürlich Auswirkungen auf die Anzahl der Abgeordneten der einzelnen Mitgliedstaaten.
Es ist fest vereinbart, daß bis zum EG-Gipfel in England - das ist im Dezember 1992 - diese Frage entschieden wird. Dann haben wir immerhin fast noch eineinhalb Jahre für die Vorbereitung der Europawahl und die notwendigen nationalen Gesetzgebungen.
Ich möchte hier ausdrücklich für die Bundesregierung dem Hohen Haus und den Fraktionen das Angebot machen, daß wir über diese Frage miteinander sprechen. Unser Ziel ist es, den deutschen Anteil zu halten. Wir müssen aber auch erreichen, daß das Europäische Parlament in einer vernünftigen Dimension arbeitsfähig ist.
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Es gab auch Diskussionsbeiträge, die etwa von der Überlegung ausgingen, daß, wenn Deutschland 18 Mandate mehr hat, die bisherige Zahl für die einzelnen Länder proportional erhöht wird. Dann wären wir bald bei einem Europäischen Parlament mit weit über 800 Abgeordneten. Dies kann ja nicht unser Ziel für ein funktionsfähiges Europäisches Parlament sein.
Im übrigen ist in diese Diskussion die Frage mit eingeflossen, wie viele Kommissare die einzelnen Länder in der Kommission zu stellen haben. Auch bei diesem Thema ist natürlich die Frage der Erweiterung mit einzubeziehen.
Aber bei diesen Fragen ist im Kreise der Staats- und Regierungschefs der Wille deutlich geworden - das ist mir wichtig - , zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen und das Europäische Parlament in diese Entscheidung selbstverständlich mit einzubinden. Ich will hier das Angebot wiederholen, daß wir in Deutschland, Parlament und Regierung, möglichst zu einer gemeinsamen Haltung kommen.
Meine Damen und Herren, ein ganz entscheidendes Thema unserer Beratungen in Maastricht war die Sozialpolitik. Es war im Vorfeld dieser Tagung bereits klar, daß es wenig Chancen zu einer Einigung mit Großbritannien in dieser Frage gab.
Wir haben dann nach einer langwierigen Debatte angesichts der britischen Haltung auf Vorschlag von Präsident Mitterrand, von Jacques Delors und von mir die Entscheidung getroffen, daß im Vertrag selber von den Zwölf das jetzt mögliche, nämlich der Stand der Einheitlichen Europäischen Akte festgeschrieben wird.
Die elf Mitgliedstaaten ohne Großbritannien haben es für absolut notwendig erachtet, über diese Bestimmungen hinauszugehen. Wir haben auf der Grundlage des erheblich weitergehenden niederländischen Entwurfs vom 4. Dezember einen gesonderten Vertrag in Form eines Protokolls abgeschlossen, der Teil des Vertragswerkes ist und der im übrigen auch ratifiziert werden muß.
In einem weiteren Protokoll, dem auch Großbritannien zugestimmt hat, haben wir vereinbart, daß die Elf dabei entsprechend den bestehenden Gemeinschaftsverfahren vorgehen werden. Die elf Länder bekunden damit ihren Willen, den Weg, den die Ende 1989 von den gleichen elf Ländern in Straßburg verabschiedete EG-Sozialcharta vorgezeichnet hat, bald vollständig in die Tat umzusetzen.
Wir standen vor der Entscheidung, ob wir das gesamte Vertragswerk an dieser Frage scheitern lassen - ich habe dies verneint - oder ob wir den eben beschriebenen Weg wählen. Es war für mich und auch für die anderen Partner völlig ausgeschlossen, daß wir in Maastricht auseinandergehen, ohne eine entscheidende Weiterentwicklung der sozialen Dimension vorzunehmen. Für mich und für uns - ich denke, das ist unsere gemeinsame Meinung - ist die Entwicklung der Europäischen Union ohne gleichzeitige Entwicklung ihrer sozialen Dimension nicht denkbar.
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Die weit überwiegende Mehrheit der Bürger Europas sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese Wirklichkeit unserer Gesellschaft muß sich natürlich in der Gemeinschaft widerspiegeln. Die Gemeinschaft kann nur dann wirklich zusammenwachsen, wenn wir bereit sind, die Gewerkschaften, die Unternehmerverbände, aber auch die Vertreter anderer sozialer Gruppen in die Gestaltung dieser gemeinsamen Politik einzubeziehen.
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Im übrigen bin ich ganz sicher, daß es spätestens zu dem Zeitpunkt des Beginns der Wirtschafts- und Währungsunion - ob das nun 1997 oder 1999 sein wird - auch in dieser Frage nicht elf, sondern zwölf Teilnehmer geben wird. Derlei Entwicklungen hat es auch in der Vergangenheit gegeben.
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Meine Damen und Herren, das Ergebnis der beiden Regierungskonferenzen über die Politische Union soBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
wie über die Wirtschafts- und Währungsunion gibt der Gemeinschaft die Chance, mit neuer Kraft die im Inneren anstehenden Aufgaben anzupacken. Dies gilt für die anstehende Reform der Agrarpolitik - ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Notwendigkeit des Abschlusses der GATT-Verhandlungen - wie auch für die 1992 fällige Überprüfung der Finanzausstattung der Strukturfonds.
Aber - das ist besonders wichtig - der Maastrichter Gipfel ist auch ein Signal über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus. Er wird zu Recht von unseren Partnern - ob in den USA, in Japan oder in der Dritten Welt - als großer Erfolg bewertet. Er ist insbesondere für unsere unmittelbaren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die sich in einer der schwierigsten Stunden ihrer Geschichte befinden, eine große Ermutigung. Ihre Hoffnung richtet sich heute mehr denn je auf die Europäische Gemeinschaft.
Maastricht ist auch eine klare Botschaft an diejenigen europäischen Länder, die jetzt der EG beitreten wollen. Wir waren uns in Maastricht darin einig, daß die Beitrittsverhandlungen mit Österreich und Schweden - und, eventuell auch mit Finnland - Anfang 1993 aufgenommen und zügig abgeschlossen werden sollen.
Meine Damen und Herren, wir Europäer und gerade auch wir Deutsche haben heute, gegen Ende dieses Jahrunderts, Grund zur Zuversicht. Uns ist zwar von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes" bis zu den Kulturpessimisten unserer Tage immer wieder eingeredet worden, Europa sei am Ende. In Wahrheit - dies haben wir jetzt einmal mehr unter Beweis gestellt - ist die Kraft Europas ungebrochen - eine Kraft, die wir nach den bitteren Erfahrungen dieses Jahrhunderts vor allem in den Dienst von Frieden und Freiheit in der Welt stellen wollen.
Es waren großartige Männer und Frauen, die im Parlamentarischen Rat aus der Erfahrung unserer jüngsten Geschichte die Präambel des Grundgesetzes von 1949 formuliert haben. Darin wird unserem Volk aufgetragen, „seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Nachdem wir die Einheit unseres Vaterlandes erreicht haben, wollen wir jetzt auch diesen, den europäischen Auftrag unserer Verfassung, erfüllen. Dazu lade ich Sie ein.
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Es spricht jetzt die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen konnten wir in den Zeitungen folgende kurze Notiz lesen:
Heute vor 75 Jahren wurde die Weltkriegsschlacht am nordfranzösischen Fluß Somme abgebrochen. Seit dem 24. Juni hatten dort mehr als 1 Million Soldaten ihr Leben verloren, mehr als 614 000 auf seiten der Briten und Franzosen, mehr als 420 000 Deutsche.
Daß eine solche Katastrophe zwischen Briten, Franzosen und Deutschen heute unvorstellbar ist, ist das wichtigste Ergebnis der europäischen Einigung. Wir alle sind dankbar dafür, daß diese Gräben der Vergangenheit zwischen unseren Völkern zugeschüttet sind.
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Welchen Weg wir gemeinsam in Europa zurückgelegt haben, zeigt, daß wir jetzt in Maastricht eine gemeinsame europäische Währung vereinbart haben. Eine solche Währungsunion haben wir Sozialdemokraten seit Jahren gefordert. Wir begrüßen daher dieses Ergebnis von Maastricht.
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Es war auch richtig, Herr Bundeskanzler, daß Sie vor dem Gipfel die Währungsunion und die Politische Union eng miteinander verknüpft haben. Sie haben die Meßlatte erfreulich hoch gelegt. Leider sind Sie dann aber in Maastricht nicht drübergesprungen, sondern drunter durchgekrochen, denn die Ergebnisse zur Politischen Union sind ausgesprochen kläglich, meine Damen und Herren.
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Die Vereinbarungen zur Währungsunion gehen im Grundsatz in die richtige Richtung. Festgelegt wurde erstens der Vorrang der Geldwertstabilität, zweitens die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank, drittens das strikte Verbot, Haushaltsdefizite der einzelnen Länder oder der Union durch die Notenbank zu finanzieren, und viertens das Erfordernis einer soliden Finanzpolitik.
Indem die europäischen Partner diese Kernelemente einer erfolgreichen deutschen Stabilitätspolitik übernommen haben, sind die formalen Voraussetzungen für eine gemeinsame europäische Währung geschaffen, die ebenso stabil sein muß wie die D-Mark. Daß dies vereinbart wurde, meine Damen und Herren, verdanken wir ganz wesentlich der Deutschen Bundesbank die sich mit ihren Präsidenten Pöhl und Schlesinger dafür beharrlich eingesetzt hat.
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Trotzdem haben viele Menschen Angst um unsere Währung. Diese Angst muß ernst genommen werden. Man kann diese Angst nur überwinden, wenn die Menschen verstehen, daß eine gemeinsame Währung in Europa unser aller Wohlstand sichert und mehrt und uns allen Vorteile bringt, gerade auch uns Deutschen.
Wer z. B. in Amerika reist oder Handel treibt, kann das in 50 Staaten mit derselben Währung. Das ist gut für die Wirtschaft und gut für die Verbraucher. Wer dagegen mit 1 000 DM in der Brieftasche nacheinander durch alle Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft reist, hat bei seiner Rückkehr, selbst wenn er nirgendwo einen Pfennig ausgibt, sondern nur sein Geld in die elf verschiedenen Landeswährungen umtauscht, nur noch fast genau 500 DM in der Tasche.
Den Rest haben die umtauschenden Banken für sich behalten.
Das zeigt, wie wichtig für die Bürger eine gemeinsame Europawährung ist. Aber auch die Wirtschaft hat ein hohes Interesse an einer stabilen einheitlichen europäischen Währung. Milliarden werden gespart, Handel und Wandel werden erleichtert. Der zunehmende Wettbewerb kommt dem Verbraucher zugute und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf den Weltmärkten. Eine starke Gemeinschaftswährung wird Europa auch das ihm zustehende Eigengewicht gegenüber dem Yen einerseits und dem immer wieder enorm schwankenden amerikanischen Dollar andererseits verschaffen. Auf diese Weise werden übrigens auch die USA zu einer solideren Haushaltspolitik gezwungen.
Wer an dieser Stelle skeptisch ist, den darf ich an die Erfahrungen mit dem Europäischen Währungssystem erinnern, das Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing vor 13 Jahren begründet haben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir damals im Bundestag das Europäische Währungssystem gegen viele Vorbehalte, Bedenken und Ängste durchgesetzt haben. Und was für ein Erfolg war das Europäische Währungssystem! Es hat uns allen mehr Wohlstand gebracht. Wer damals abseits stand - wie die Engländer unter der Regierung Thatcher - , mußte das durch ein Zurückbleiben seiner Wirtschaft teuer bezahlen. Wenn die Briten heute z. B. von den Italienern beim Bruttosozialprodukt pro Kopf deutlich überholt worden sind, zeigt das, welche Nachteile die konservative Lady in Großbritannien ihren Landsleuten durch eine europafeindliche Politik zugemutet hat.
Herr Bundeskanzler, dieses hat für uns den kleinen Trost, daß es eine neue Gemeinsamkeit zwischen uns gibt: Da bekannterweise die Labour Party in Großbritannien sowohl für die Sozialunion als auch für die Währungsunion ist, gehe ich davon aus, daß nicht nur wir Sozialdemokraten in Deutschland, sondern - jedenfalls heimlich - auch der deutsche Bundeskanzler auf den Wahlerfolg der Labour Party bei den nächsten Wahlen hoffen.
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Frau Kollegin Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwarz?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, glauben Sie nicht, daß es nach der Schilderung dieser Erfolgsgeschichte des Europäischen Währungssystems den Sozialdemokraten in der Bundesrepublik gut anstünde, das Schüren der Angst um die D-Mark zu beenden und eher auf die positiven Zeichen zu setzen?
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Herr Kollege Schwarz, das weise ich zurück!
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Es waren nicht Sozialdemokraten, sondern es waren die Springer-Blätter und der „Spiegel" . Im übrigen darf ich daran erinnern, daß es Helmut Schmidt war, der in dieser Woche in der „Bild"-Zeitung auf die großen Vorteile einer Europäischen Währungsunion hingewiesen hat.
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Frau MatthäusMaier, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß im britischen Parlament nur die Liberalen das föderale Europa wollen?
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Herr Kollege Lambsdorff, da ich vor wenigen Wochen mit dem zuständigen Vertreter der Labour Party über die Europäische Währungsunion gesprochen habe, weiß ich sehr genau, daß die Labour Party für Europa und für die Europäische Währungsunion ist. Sie werden sicher verstehen, daß ich die Hoffnung habe, daß Labour ein bißchen mehr Stimmen bekommt als Sie.
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Meine Damen und Herren, da Herr Schwarz mir mit seiner Zwischenfrage die Gelegenheit gegeben hat, noch einmal auf Helmut Schmidt hinzuweisen,
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will ich an dieser Stelle nur sagen: Angesichts der Erfolgsgeschichte des Europäischen Währungssystems können wir Helmut Schmidt
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und Giscard d'Estaing heute nur danken. Herr Bundeskanzler, ich hätte es nicht für ganz unpassend gehalten, wenn dieser Dank hier heute von Ihrer Seite ausgesprochen worden wäre. Denn ohne das Europäische Währungssystem würde es die Europäische Währungsunion zweifellos nicht geben. Ich finde, es hätte Ihnen gut angestanden, hier einen entsprechenden Dank auszusprechen.
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Damit die Währungsunion aber auch in der Praxis und nicht nur rein formal, auf dem Papier ein Erfolg wird, muß noch hart gearbeitet werden. Es muß vor allen Dingen verhindert werden, daß die strengen Stabilitätsvoraussetzungen für den Eintritt in die Währungsunion wieder aufgeweicht oder aus Gründen der politischen Opportunität unterlaufen werden. Die lange Frist bietet leider auch vielen Politikern und Interessengruppen in allen EG-Ländern vielerlei Gelegenheit, in die Suppe einer stabilen Währungsunion zu spucken.
Es muß auch sichergestellt werden, daß die Währungsunion nach ihrem Beginn keine Inflationsgemeinschaft wird, sondern eine Stabilitätsgemeinschaft bleibt. Dafür muß die Wirtschafts- und Finanzpolitik in allen EG-Ländern strikt auf Stabilität ausgerichtet werden. Wer gegen dieses Ziel verstößt, muß mit wirksamen Sanktionen auf den Weg der Stabilität zurückgezwungen werden.
Hier, für die Zeit nach dem Eintritt in die Währungsunion, liegt nach unserer Ansicht noch eine Schwachstelle des Systems, auf die, wenn ich es richtig sehe, auch Graf Lambsdorff schon kritisch hingewiesen hat. Ein bißchen spät, Graf Lambsdorff! Wo waren Sie denn vor dem Gipfel? Sie hätten das als FDP durchaus einbringen können. Aber das kennen wir ja schon: Wenn es in der Regierung schwierig wird, dann hat die FDP mit der jeweiligen Politik der Regierung, an der sie beteiligt ist, überhaupt nichts zu tun. Das kennen Sie genausogut wie wir, meine Damen und Herren.
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Es wird zwar immer lebhaft, wenn Frau Matthäus-Maier redet. Trotzdem wäre es gut, wenn wir jetzt zuhören würden.
Wir Sozialdemokraten werden die Bundesregierung jedenfalls hartnäkkig bedrängen, damit die neue europäische Währung mindestens so stabil wird wie die D-Mark.
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Übrigens sollten wir noch einmal gemeinsam über den Namen und die konkrete Ausgestaltung der gemeinsamen Währung nachdenken. Nachdem es gelungen ist, so viele Elemente der Stabilitätspolitik der Mark auf Europa zu übertragen, stellt sich die Frage: Warum sollten wir die gemeinsame europäische Währung wenigstens in Deutschland nicht weiterhin als Mark bezeichnen können?
Meine Damen und Herren, die Ergebnisse zur Währungsunion gehen in die richtige Richtung. Die Ergebnisse zur Politischen Union sind demgegenüber nur allzu dürftig. Hier muß sich der Bundeskanzler zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, daß er eingeknickt ist.
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Am 6. November hat er hier im Deutschen Bundestag gesagt, daß die Politische Union unerläßliches Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion sei. Wer die Meßlatte so hoch legt, darf dann nicht mit so mageren Ergebnissen nach Hause kommen. Selbst Ihr Koalitionspartner mahnt doch an, daß Nachbesserungen zur Politischen Union vorgenommen werden müssen. Man fragt sich unwillkürlich: Herr Genscher, waren nicht auch Sie auf dem Gipfel?
Wir Sozialdemokraten sagen jedenfalls klipp und klar: Bei der Politischen Union muß kräftig nachgebessert werden:
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Eingeknickt ist der Bundeskanzler auch bei der Entscheidung über die zusätzlichen deutschen Europaabgeordneten.
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Wo sind die 18 zusätzlichen Parlamentssitze für die Vertreter der Bürger in den neuen Bundesländern, die politisch doch schon akzeptiert waren?
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Das hätten Sie durchsetzen können und müssen.
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Notfalls, Herr Bundeskanzler, hätten Sie das aussitzen müssen.
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Darin sind Sie doch sonst so stark. Aber diesmal hat Sie wohl Herr Major in ihrer eigenen Disziplin geschlagen.
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Eingeknickt sind Sie leider auch bei der Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments. Es geht doch nicht an, daß der Bundestag z. B. bei der Finanz- und Haushaltspolitik Rechte nach Europa abgibt, ohne daß das Europäische Parlament entsprechend mehr Rechte erhält.
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Wer sonst soll denn die Bürokratie in Brüssel kontrollieren?
Hier muß kräftig nachgebessert werden. Wir wollen ein demokratisches und kein bürokratisches Europa.
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Eingeknickt sind Sie leider auch in der Frage, wo die Europäische Zentralbank ihren Sitz haben soll. Es ist wichtig, daß diese Zentralbank nach Deutschland kommt. Dabei geht es nicht um Prestige oder Arbeitsplätze; es geht darum, daß diese Zentralbank in einem Umfeld tätig ist, in dem die Stabilität der Währung als selbstverständliche Notwendigkeit historisch verwurzelt ist.
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Eingeknickt ist der Bundeskanzler leider auch bei der Sozialunion. Warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, bei der Sozialunion nicht dieselbe Hartnäk5806
kigkeit wie bei der Währungsunion an den Tag gelegt? Die Antwort ist klar: Eine Bundesregierung, die in Deutschland Arbeitnehmerrechte einschränkt und den Sozialstaat abbaut,
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ist weder ausreichend willens noch in der Lage, in Europa für die Rechte der Arbeitnehmer zu kämpfen.
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Wir Sozialdemokraten wollen jedenfalls nicht nur ein Europa der Unternehmer, sondern auch ein Europa der Arbeitnehmer und ihrer Familien.
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Mit Sorge sehen wir, Herr Bundeskanzler, daß Sie der Einrichtung milliardenschwerer neuer Fonds zugestimmt haben, ohne zugleich an anderer Stelle des EG-Haushalts längst überfällige Einsparungen vorzunehmen.
Deutschland ist der größte Zahler der Europäischen Gemeinschaft. Unsere Beiträge belaufen sich auf rund 39 Milliarden DM im Jahr. Damit finanzieren wir rund ein Drittel des EG-Haushalts. Weil wir das tun
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und weil wir das auch nicht in Frage stellen wollen, haben wir Deutschen aber auch ein ganz besonderes Recht darauf, daß diese Mittel sparsam verwendet werden.
Deshalb hätte in Maastricht auch die Reform der europäischen Agrarpolitik auf die Tagesordnung gehört.
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Es kann nicht angehen, daß wir zwei Drittel des EG-Haushalts dafür ausgeben, daß riesige Überschüsse produziert und dann für teures Geld auf den Weltmärkten verschleudert werden. Es ist doch der reine Wahnsinn, daß vor wenigen Monaten die Europäische Gemeinschaft 100 000 t Rindfleisch für 1 DM pro kg nach Brasilien verkauft hat, obwohl sie selber dafür 6 DM pro kg gezahlt hat. Dies regt nicht nur die Verbraucher auf, das stört auch den Welthandel und schadet unserer Wirtschaft. Das verhindert, daß die Entwicklungsländer aus eigener Kraft auf die Beine kommen.
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Dieses sinnlose Verschleudern von Steuergeldern unserer Bürger muß endlich ein Ende haben. Dann haben wir auch das Geld, um zusätzliche europäische Fonds zu bezahlen.
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Durch das Versäumnis, für eine solide Finanzierung der neuen Fonds zu sorgen, sind die Sorgen vieler
Bürger, daß wir uns finanziell übernehmen könnten, nicht geringer, sondern eher größer geworden.
Spätestens die Handlungsunfähigkeit Europas gegenüber dem Bürgerkrieg in Jugoslawien hat gezeigt, daß wir endlich auch eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik brauchen. Die Völkergemeinschaft wird es nicht länger hinnehmen, daß die Europäer sehr oft in erster Linie ans Geldverdienen denken, sich aber ihrer Mitverantwortung für die Lösung internationaler Probleme entziehen.
Die Fortschritte, die in der Außen- und Sicherheitspolitik erzielt wurden, reichen nicht aus. Auch Kommissionspräsident Delors hat die Ergebnisse insofern als unzureichend kritisiert. Meine Kollegin Wieczorek-Zeul wird auf den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik noch gesondert eingehen.
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Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Gipfel von Maastricht hat Fortschritte gebracht, vor allem bei der Währungsunion. Bei der Politischen Union und bei der Sozialunion ist er aber weit hinter den Erwartungen und Notwendigkeiten zurückgeblieben. Weniger markige Worte vor dem Gipfel und statt dessen mehr Steh- und Durchsetzungsvermögen auf dem Gipfel - das hätte, Herr Bundeskanzler, den deutschen Interessen mehr genutzt.
({19}) Hier muß nachgebessert werden.
Wenn wir in der Lage sein wollen, die Europäische Gemeinschaft für die neuen Demokratien in Mittel-und Osteuropa zu öffnen, dürfen wir das europäische Haus nicht länger im Rohbau stehenlassen. Bis das Haus fertig ist, liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit.
Ich danke Ihnen.
({20})
Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, als Sie Ihre Rede begonnen haben, dachte ich, es würde eine Rede, die der Bedeutung dieser Debatte angemessen ist.
({0})
Aber im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie der Versuchung vielleicht doch nicht widerstehen können, an Stelle einer Würdigung nicht nur dessen, was in Maastricht erreicht worden ist, sondern auch der Schwierigkeiten auf dem Wege, dieses europäische Haus zu vollenden - das ja noch nicht fertig ist -, einen Mindestbedarf an Polemik abzuladen. Dieser Teil Ihrer Rede ist wirklich stark abgefallen.
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Ich will mich aber zunächst ausdrücklich für das bedanken, was Sie zur Wirtschafts- und WährungsDr. Wolfgang Schäuble
union gesagt haben. Ich glaube, es ist gut, wenn wir gemeinsam würdigen und auch unseren Bürgern gemeinsam sagen, daß das ein wichtiger Schritt voran ist, Europa weiterzubauen, unseren wirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden und zugleich auch die Stabilität unserer Mark, die wir in über 40 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland errungen haben, in einer europäischen Währung zu bewahren.
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Ich stehe nicht an, mich für den Beitrag der Sozialdemokraten auf diesem Weg und auch in der Erläuterung gegenüber unseren Bürgern, auch was Helmut Schmidt betrifft, zu bedanken.
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Unsere Bürger haben verständlicherweise viele sorgenvolle Fragen, z. B. danach, ob die Sicherheit und die Grundlage für Vertrauen, die unsere D-Mark 40 Jahre lang bedeutete, jetzt möglicherweise zugunsten Europas gefährdet wird oder nicht. Ich glaube, wir alle miteinander können in voller Verantwortung unserer Bevölkerung sagen: Nein, es wird nicht aufs Spiel gesetzt. Die europäische Währung wird so stabil sein, wie die D-Mark es 40 Jahre lang war. Durch das Zusammenwirken von Bundesregierung und Bundesbank ist Vorkehrung dafür getroffen, daß die europäische Währungsgemeinschaft wirklich eine Stabilitätsgemeinschaft sein wird, daß alle Staaten, die an der Währungsgemeinschaft teilnehmen, strenge Kriterien hinsichtlich der Stabilität erfüllen müssen, daß die Europäische Zentralbank mindestens so unabhängig sein wird, wie die deutsche Bundesbank immer gewesen ist, daß das Ziel der Geldwertstabilität als vorrangiges Ziel nicht nur für die deutsche Währung, sondern Ende dieses Jahrhunderts auch für eine europäische Währung gilt und daß deswegen niemand die Sorge haben muß, daß wir in Zukunft eine weniger stabile Währung haben werden.
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Wie sie dann heißen wird, das ist vielleicht eine zweitrangige Frage.
Vielleicht, Frau Matthäus-Maier, sollten wir, wenn wir das europäische Haus wirklich weiterbauen wollen, die Diskussion auch hier von diesem Pult aus so führen, daß man merkt, daß wir nicht ganz alleine sind, sondern daß wir auch an die elf anderen denken.
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Wir brauchen eine stabile gemeinsame europäische Währung. Dabei ist der Name vielleicht nicht das Allerwichtigste, und wir sollten auch ein Stück weit an die Befindlichkeit unserer europäischen Mitbürger in den elf anderen Mitgliedstaaten denken.
Deswegen möchte ich übrigens auch gleich dafür werben, daß wir uns, wenn wir das Bedürfnis haben, Wahlkämpfe zu führen, von diesem Pult aus weiterhin darauf beschränken, deutsche Wahlkämpfe zu führen. Ich habe ja Verständnis dafür, daß Sie jetzt vielleicht lieber in anderen Ländern Wahlkampf machen wollen.
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Aber das, was Sie zu Großbritannien gesagt haben, wird sicherlich nicht dazu führen, daß die Bereitschaft in Großbritannien, europäisch zu denken, gefördert wird; es wird vielmehr, soweit es überhaupt zur Kenntnis genommen wird, allenfalls das Gegenteil bewirken. Frau Matthäus- Maier, ich finde wir sollten das bleibenlassen.
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Denn wenn wir in Europa ein Stück weiterkommen wollen, müssen wir ja begreifen, daß wir diesen Weg alle miteinander gehen müssen und daß andere auf Grund der Geschichte in diesem Jahrhundert, an die Sie zu Recht erinnert haben, vielleicht zum Teil auch weitere Wege zurückzulegen haben als wir Deutsche, als etwa einer wie ich, der im Deutschen Bundestag einen Wahlkreis vertritt, der in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Straßburg gelegen ist.
Wir haben es ein Stück leichter auf dem Weg zur europäischen Einigung, und wir wissen vielleicht ein Stück mehr als andere - wir sind möglicherweise auch unmittelbarer betroffen als andere - , warum die europäische Einigung heute dringender denn je für uns alle ist.
Manches - das war vor und während und auch nach Maastricht klar - spricht dafür, daß die europäische Einigung auch mühevoll ist. Aber ich denke, Herr Bundeskanzler, sie ist der Mühe wert. Die Fraktion der CDU/CSU dankt Ihnen, dem Außen- und dem Finanzminister und allen Beamten für die Mühe, die Sie sich auf dem Weg zum Erfolg des Maastrichter Gipfels gegeben haben.
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Wir wissen, daß wir die deutsche Einheit nur auf dem Weg zur europäischen Einigung erreicht haben, und wir wissen, daß wir nach der Vollendung der deutschen Einheit nun mehr denn je darauf angewiesen sind, das größere, vereinigte Deutschland in einen Prozeß der unumkehrbaren europäischen Einigung einzubinden. Wir wissen mehr als andere, daß die Entwicklungen in Osteuropa, in der Sowjetunion oder in dem, was wir bis vor kurzem Sowjetunion zu nennen gewohnt waren, uns in Europa unmittelbar betreffen, daß unsere Sache in Jugoslawien, in der Tschechoslowakei, in Rußland, in der Ukraine, im Baltikum und wo auch immer verhandelt wird und daß wir davon unmittelbar betroffen sind und daß, je mehr Instabilitäten, Risiken und Unsicherheiten sowie schnelle, dramatische, in ihren Auswirkungen ganz unabsehbare Veränderungen in Osteuropa zu verzeichnen sind, um so mehr Stabilität durch europäische Einheit und durch Fortschritte in der europäischen Einigung im Westen Europas notwendig ist.
In diesen historischen Zusammenhang muß man Maastricht einordnen, um zu begreifen, worum es geht und warum es bei allen Schwierigkeiten und bei allem, was uns auch an dem Ergebnis von Maastricht nicht voll zufriedenstellen kann, notwendig und rich5808
tig ist, diesen Weg zu gehen und auch unsere Beiträge dafür einzubringen.
Hätte in Maastricht mehr erreicht werden können? Das ist die Frage.
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- Für deutsche Interessen, ja, das Wort kenne ich schon; aber seien Sie doch in der Art, wie Sie es in den Mund nehmen, zurückhaltend. Lassen Sie uns doch einmal in Ruhe die Fragen prüfen.
Zunächst einmal ist wichtig: An dem, was in Maastricht vereinbart werden konnte - und Sie haben nichts davon kritisiert -, ist, glaube ich, aus der deutschen Sicht nichts Falsches, sondern alles, was in Maastricht erreicht worden ist - es ist wichtig, das festzuhalten - , entspricht unseren Überzeugungen.
({10})
Das gilt für alles - darin stimmen wir überein, und dafür habe ich mich bedankt - , was zur Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart worden ist. Es ist ja wichtig, daß etwa der Präsident der Deutschen Bundesbank, Herr Schlesinger, ausdrücklich erklärt hat, daß alle wesentlichen Forderungen der Deutschen Bundesbank insoweit erfüllt worden sind. Es ist genauso wichtig, daß die zentralen Forderungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht unserer Erfahrungen als Bundesstaat, was die regionale Entwicklung in Europa, was das Subsidiaritätsprinzip betrifft, erfüllt worden sind. Das ist ganz wichtig. Wir können ein vereintes Europa nicht anders zustande bringen und nicht anders bauen als nach den Bauprinzipien des bundesstaatlichen Prinzips und des Subsidiaritätsprinzips. Auch dieses ist richtig vereinbart.
Wir hätten uns auch mehr Rechte für das Europäische Parlament gewünscht. Wer denn nicht in diesem Deutschen Bundestag?
({11})
Aber es macht wenig Sinn, daran die Kritik anzusetzen. Sie haben es auch nicht getan. Allerdings haben Sie mit Worten wie „eingeknickt" ein falsches Bild beschrieben. Es ist doch niemand eingeknickt. Die Frage ist doch: Wenn mehr nicht zu erreichen war
- und wer die Verhandlungen verfolgt hat, kann nicht ernsthaft behaupten, daß vor und in Maastricht in dieser Frage mehr zu erreichen gewesen wäre -, dann wäre ja, wenn man es mit dem Wort „eingeknickt" beschreibt, die Konsequenz die, daß man das, was man jetzt in Maastricht vereinbart hat, nicht hätte vereinbaren sollen;
({12})
aber das haben Sie nicht gesagt. Nehmen Sie deswegen diesen Begriff bitte zurück, weil er ein falsches Bild beschreibt.
({13})
Wir werden weiter daran zu arbeiten haben. Darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Sie haben ja auch das Wort „nachverhandeln" , das ich gestern gelesen habe, heute nicht gebraucht, sondern von „weiterarbeiten" gesprochen. Mit „weiterarbeiten" bin ich einverstanden.
({14})
- Ich habe es leider bei Ihnen in Ihrer Presseerklärung gelesen.
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- Ja, gut, ich lese halt Ihre mit besonderer Aufmerksamkeit.
({16})
- Also werde ich es in Zukunft auch nicht mehr tun; dann spare ich schon wieder ein bißchen Zeit.
({17})
Jetzt will ich zur Frage der Zahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament etwas sagen. Frau Matthäus-Maier, Sie haben, wenn ich mich recht erinnere - ich bin nicht ganz sicher, meine es aber zu wissen - , die Frage aufgeworfen, ob dieser Deutsche Bundestag nicht eher zu viele als zu wenige Mitglieder habe.
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- Ja, alle sollen vertreten sein, aber wohl doch ein Stück weit entsprechend den jeweiligen Anteilen, die sie zu vertreten haben.
({19})
- Nein. ({20})
Ich bin dafür, daß wir die Frage ehrlich unter uns und mit unseren europäischen Partnern besprechen. Wenn wir bei weiteren Beitritten, die wir ja alle wünschen, für die wir uns einsetzen, gleichwohl die Zahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments begrenzt halten wollen, um der Arbeitsfähigkeit und damit um der demokratischen Gestaltungskraft dieses Parlaments willen, dann werden wir auch die Zahl der deutschen Abgeordneten nicht für sakrosankt erklären dürfen, sondern dann werden wir bereit sein müssen, darüber zu reden.
({21})
Es macht keinen Sinn, den Menschen vorher etwas anderes zu sagen. Sonst arbeitet man mit unvereinbaren Prinzipien.
({22})
- Nein, Sie haben es hier getan. Der Bundeskanzler hat gesagt, er sei dafür, daß man offen mit den Partnern darüber spreche, daß man eine faire Vertretung
aller Mitgliedstaaten und der Bevölkerung ganz Europas im Europäischen Parlament wolle.
({23})
- Also gut, dann will ich auch dazu einen Satz sagen. Im Hinblick darauf, was wir erreichen wollten und was ein Stück weit nicht voll erreicht werden konnte, etwa was die Entscheidungsrechte des Parlaments anbetrifft - das ist doch gar nicht streitig zwischen uns - , wäre es doch falsch gewesen, unsere Position vor Maastricht nicht klar zu vertreten. Sonst hätten Sie der Bundesregierung zu Recht Vorwürfe machen können. Aber es macht doch keinen Sinn, wenn Sie nach solchen Verhandlungen dann, wenn nicht hundert Prozent von dem, was man als eigene Position vorher und während der Verhandlungen vertreten hat, erreicht wurde, zu kritisieren, man sei eingebrochen oder man habe etwas nicht durchgesetzt. So kann man keine Verhandlungen begleiten. Das ist kein ehrlicher Umgang miteinander.
({24})
Deswegen müssen wir, wenn Sie mit uns am europäischen Haus wirklich weiterarbeiten wollen, auch was die Möglichkeiten in solchen Verhandlungen anbetrifft, ehrlich miteinander umgehen.
({25})
Man muß vorher die Positionen klar vertreten und hinterher bereit sein, dazu zu stehen, daß von der eigenen Position vielleicht nur 80 oder 90 % erreicht worden sind. Man darf das Ergebnis dann nicht mit solchen Begriffen wie „einknicken" oder „unter der Meßlatte durchkriechen" diffamieren. Das macht keinen Sinn.
({26})
- Was heißt „Mängel" und „Fehler"?
({27})
- Einverstanden, Herr Klose. Darüber können wir uns verständigen.
({28})
Wenn Sie den Eindruck haben, daß das, was ich hier mache, Lobhudelei sei, schlage ich Ihnen vor, daß Sie frühere Reden von Ihnen noch einmal nachlesen.
({29})
Ich bin auch dafür, daß wir über die Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition durchaus vernünftig miteinander reden. Ich finde nur, daß es unwahrhaftig ist, wenn man in der Bewertung des Ergebnisses von Maastricht nicht ausspricht, daß diese Bundesregierung ihre Positionen klar vertreten hat,
daß sie im Sinne unserer gemeinsamen Position viel erreicht hat und daß es nicht an der Bundesregierung gelegen hat, wenn in Maastricht in den Punkten, in denen nicht mehr erreicht werden konnte, was wir gemeinsam bedauern, nicht mehr erreicht werden konnte.
({30})
Ich bin der Meinung, wenn wir gemeinsam am europäischen Haus weiterarbeiten wollen, müssen wir die Bedingungen, unter denen wir diese Arbeit zu leisten haben, bei Gelegenheit dieser Debatte genau formulieren.
Auch in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hätten wir alle miteinander größere Schritte erwartet.
({31})
- Ich sage doch gar nicht, daß Sie uns loben sollen. Ich rede doch über die Probleme, die wir miteinander zu besprechen haben.
In der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir, was die Handlungsfähigkeit des vereinten Europa anbetrifft, auch über die Frage reden, was der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu sein hat, um in einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eines vereinten Europa handlungsfähiger zu werden, als wir es bisher gewesen sind.
({32})
Da werden die Sozialdemokraten noch einige Beiträge zu leisten haben.
Wir werden in der gemeinsamen Innen- und Rechtspolitik - ich will das heute nicht vertiefen - über europäische Lösungen, etwa in der Asylpolitik, in den nächsten Wochen miteinander zu sprechen haben. Auch da wird der Beitrag der Sozialdemokraten noch genauer zu definieren sein, als es bisher in den letzten Wochen möglich gewesen ist.
({33})
- Mein Kurs ist ziemlich klar. ({34})
- Dann will ich es Ihnen noch einmal sagen: Wir brauchen in der Asylpolitik wie in anderen Politikbereichen europäische Lösungen. Diese können nicht anders erreicht werden, als daß wir an der vereinbarten Zusammenarbeit, die jetzt in der ersten Stufe intergouvernemental ist, vorbehaltlos teilnehmen. Ich habe schon in der Haushaltsdebatte gesagt, daß ich gerne möchte, daß wir vorbehaltlos miteinander reden, mit dem Ziel, daß wir zu diesen europäischen Lösungen kommen. Da wird Ihr Beitrag gefordert sein. Da können Sie zeigen, daß es Ihnen ernst ist, daß wir gemeinsam am europäischen Haus weiterarbeiten wollen.
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Mir ist bei der Bewertung und bei der Überlegung dessen, was in Maastricht erreicht worden ist und was
an weiteren Arbeiten noch zu leisten sein wird, gelegentlich in Erinnerung gekommen, wie wir Anfang der 80er Jahre über die Lage in der Europäischen Gemeinschaft und den europäischen Einigungsprozeß miteinander nachgedacht haben. Damals war viel von Eurosklerose die Rede. Manche Ergebnisse von Gipfeln, die auch mit vielen Erwartungen befrachtet waren, sind noch kritischer und skeptischer betrachtet worden. Wenn wir es heute zurückschauend betrachten, dann stellen wir fest, daß es in dieser Regierungszeit gelungen ist, vieles an dynamischen Kräften im europäischen Einigungsprozeß neu freizusetzen.
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Die Vereinbarungen, den europäischen Binnenmarkt ab 1. Januar 1993 Wirklichkeit werden zu lassen - bei vielen Schwierigkeiten, die den Vereinbarungen zunächst im Weg standen - haben gezeigt, daß durch die Irreversibilität, die Unumkehrbarkeit dieses Prozesses dynamische Kräfte freigesetzt worden sind, die uns jetzt wirklich voranbringen. Ich füge übrigens hinzu: Bei der Vorbereitung auf den europäischen Binnenmarkt muß die sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Fraktion - in Bund und Ländern im übrigen - noch Beiträge leisten, denn der Stand, den wir im Augenblick im Vermittlungsausschuß bei der Unternehmensteuerreform und beim Steueränderungsgesetz haben, erfordert natürlich auch noch ihre Beiträge.
({37})
Es geht nicht, wenn jedermann weiß, daß die Mehrwertsteueranhebung zum 1. Januar 1993 verbindlich kommen muß, dann eine Blockadepolitik mit der Mehrheit im Bundesrat zu machen.
({38})
So kann man ein europäisches Haus nicht bauen.
Wenn wir im einheitlichen Binnenmarkt den Investitionsstandort Bundesrepublik Deutschland wettbewerbsfähig halten wollen, ist die Unternehmensteuerreform ebenso dringend notwendig wie die Verbesserungen im Familienlastenausgleich. Deswegen bitte ich, in dieser letzten Debatte vor der Weihnachtspause herzlich: Geben Sie bis Januar Ihre Blockadeposition auf.
({39})
Ich jedenfalls bin in der Bewertung von Maastricht bei allem, was an weiteren Arbeiten zu tun bleibt - und es wird weiterhin viel Mühe kosten - , ganz überzeugt - weil der Prozeß zur europäischen Einigung durch die Vereinbarungen von Maastricht nun wirklich unumkehrbar geworden ist, genau wie der Weg zum einheitlichen Binnenmarkt Mitte der 80er Jahre unumkehrbar eröffnet worden ist -, daß wir einen entscheidenden historischen Schritt auf dem Weg zur europäischen Einheit in dieser Woche getan haben. Dafür dankt die Fraktion der CDU/CSU der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundesaußenminister, dem Bundesfinanzminister.
({40})
Dieser historische Durchbruch ist in einer Zeit von besonderer Bedeutung, in der Osteuropa auf uns schaut, in der die Dritte Welt auf uns schaut und in der Entscheidendes davon abhängt, daß wir die Chancen, die sich durch den Wegfall von Mauer und Stacheldraht in Deutschland, durch den Wegfall des Eisernen Vorhangs in Europa, durch den Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums ergeben haben, nutzen - Chancen, die der Welt ein dramatisches Tempo an Veränderungen mit sich bringen. Wir brauchen viel Kraft, um aufzufangen, was es an Veränderungen gibt, um neue Stabilitäten für ein Leben in Frieden und Freiheit zu schaffen. Dafür brauchen wir die Einheit der Europäer. Das ist das Gebot der Stunde, und auf diesem Wege sind wir in Maastricht ein gutes Stück vorangekommen.
Wir werden - hoffentlich mit Ihnen gemeinsam - weiterarbeiten, damit dieses gut fundierte europäische Haus auch in seiner Ausstattung nach innen und außen dem gerecht wird, was wir für die Zukunft unserer Bürger brauchen.
({41})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP schließt sich dem mehrfach geäußerten Dank an den Bundeskanzler, den Bundesaußenminister und den Bundesfinanzminister an. Es macht in meinen Augen wenig Sinn, als Meßlatte anzulegen, ob 100 % von dem erreicht worden sind, was man sich vorgenommen hat, oder nicht. Herr Bundeskanzler, Sie hatten sich die Meßlatte in der Tat sehr hoch gehängt, aber was hätte wohl die Opposition gesagt, wenn Sie sie ganz niedrig gelegt hätten
({0})
und leicht darüber hinweggehüpft oder - sagen wir - hinweggeschritten wären?
({1})
Herr Bundeskanzler, wir wären beide nicht gehüpft. Das will ich hinzufügen.
Die FDP ist trotz notwendiger kritischer Fragen zu den Ergebnissen von Maastricht, die vor allem im Hinblick auf die Fortschritte in der Politischen Union und zur Verstärkung der Rolle des Europäischen Parlaments gestellt werden müssen, der Überzeugung, daß Maastricht die Gemeinschaft auf dem Weg zur Europäischen Union einen wichtigen Schritt vorangebracht hat. Das ist das entscheidende Ergebnis dieser Tage.
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Ich will nicht verschweigen, Herr Bundeskanzler, daß wir es bedauern, daß sich in den Texten kein einDr. Otto Graf Lambsdorff
ziges Wort zur Integration der Reformländer Mittel- und Osteuropas findet. Ohne daß wir diese Länder integrieren, ohne daß wir ihnen die europäische Perspektive bieten, werden deren Reformen nur schwer gelingen können. Aber Maastricht ist ja nicht das Ende der Geschichte. Dort, wo Defizite erkennbar sind, kann nachgebessert werden. Die nächsten Regierungskonferenzen - wenn weitere Länder der EG beitreten, kommen sie bald - geben Gelegenheit dazu, und die FDP wird darauf dringen, daß diese Gelegenheiten auch genutzt werden.
Der politisch entscheidende Punkt für uns Deutsche ist, daß in Maastricht vereinbart wurde, daß spätestens 1999 die D-Mark durch die neue europäische Währung abgelöst wird, vorausgesetzt, daß die Bedingungen dafür erfüllt sind.
Ich schließe mich den Anregungen derjenigen an, die über die Namensgebung noch einmal nachdenken wollen. Ich meine, wir sind hier noch nicht am Ende.
(
Nein, nein, auf keinen Fall!)
Es ist genau dieser Punkt, also die Erfüllung der Bedingungen, der bei den Bürgern in der Bundesrepublik Ängste ausgelöst hat, für die ich viel Verständnis habe. Ich kritisiere allerdings auch von dieser Stelle aus - ich habe es an anderem Platz schon getan - die Medien, die diese Besorgnis drei Tage vor Maastricht plötzlich erkannt haben. In ganzer Breite wurde das zum Thema gemacht. Aber ich empfehle, die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen. Wir müssen durch Überzeugung und durch Ergebnisse darlegen, daß es unzulässig ist, die Frage der künftigen europäischen Integration auf die Frage der Existenz oder Nichtexistenz der D-Mark zu verengen. Wir müssen unter Beweis stellen, daß der Weg zur Währungsunion ein Weg zu einer europaweiten Stabilitätsgemeinschaft ist, auf dem sich die Partner verpflichtet haben, einen marktwirtschaftlichen Kurs zu verfolgen, ihre Währungen stabil zu halten und ihre Finanzpolitik solide zu gestalten. Wir müssen überzeugen, daß Europa eine Wachstumsgemeinschaft bleibt und daß für uns auf dem Weg zur Währungsunion die D-Mark nicht das gleiche ist wie der Goldklumpen des Hans im Glück im Märchen der Gebrüder Grimm.
Meine Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen: Die D-Mark steht für den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie steht für anhaltende Geldwertstabilität in einem Land, dessen Bevölkerung zwei fatale Hyperinflationen in diesem Jahrhundert erlebt hat. Die D-Mark ist nicht durch künstliches Fördern, sondern aus innerer Stärke zur zweitwichtigsten Reservewährung der Welt geworden. Und nicht zuletzt ist auch den Bürgern in den neuen Bundesländern, die die D-Mark so sehr herbeigesehnt haben, wohl nicht ganz einfach begreiflich zu machen, daß sie diese Erfolgswährung schon in wenigen Jahren wieder hergeben sollen.
Eine Regierung, die die D-Mark aus der Hand gibt, ohne Gleichwertiges oder Besseres zu erhalten,
würde von den Wählern hinweggefegt werden; ganz gleichgültig, welche Regierung dies wäre.
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Herr Bundeskanzler, die Maßlatte dafür haben Sie selber gesetzt. Sie haben hier an dieser Stelle gesagt, die D-Mark sei so etwa das Wertvollste, was wir haben. - Mit Recht! Das sehen auch unsere Bürger im Lande so.
Das entscheidende ist deshalb, daß jetzt alle Anstrengungen unternommen werden, damit die Voraussetzungen für die Währungsunion, die heute ja nur wenige der Partner - nicht einmal wir selber - erfüllen, in möglichst vielen Ländern geschaffen werden. Nicht die Termine und schon gar nicht der Automatismus, der in letzter Konsequenz für den Eintritt in die dritte Stufe festgelegt wurde, sind hier wichtig. Entscheidend ist die inhaltliche Entwicklung.
Beim Automatismus, muß ich zugeben, habe ich deshalb auch die größten Probleme, auch wenn es ein bedingter Automatismus ist. Ich bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß die Entscheidung über die Abschaffung der D-Mark von so entscheidender Bedeutung ist, daß sie in so langer Perspektive und ohne das Parlament am Ende nicht getroffen werden kann.
({1})
Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt nicht zu Unrecht vor der Gefahr, daß die jetzt festgeschriebenen klaren ökonomischen Bedingungen für den Eintritt in die Endstufe unter dem Druck politischer Vorgaben wieder aufgeweicht und letztlich nicht erreicht werden könnten.
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Damit würden wir den Bürgern in Europa einen schlechten Dienst erweisen. Es sind aber noch neun Jahre Zeit bis dahin. In der heutigen Zeit brechen in drei Jahren Weltreiche zusammen. Die deutsche Einheit kam in einem Jahr zustande. Was kann in neun Jahren noch alles passieren?
Im Prinzip geht es um den alten Streit seit dem Haager Gipfel von 1969, mit dem der erste Anlauf zur Wirtschafts- und Währungsunion unternommen wurde. Der scheiterte an den ökonomischen Fehlentwicklungen der 70er Jahre. Bitte keine Illusionen! Wenn Europa entgegen dem erklärten Willen der Regierungschefs in der jetzt noch zur Verfügung stehenden Zeit nicht zur Stabilitäts- und Wachstumsgemeinschaft zusammenwächst, dann werden auch die Termine und Automatismen von Maastricht überrollt werden. Keine Regierung, erst recht nicht die Bundesregierung, könnte dann dieses Wagnis eingehen.
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Aber lassen Sie mich die Dinge bitte anders betrachten: Ich finde es beachtlich, zu welchen Verpflichtungen sich die Staaten der EG in der Frage der Währungsunion bekannt haben. Der inhaltliche und auch der institutionelle Teil des Vertrages stellen echten Fortschritt dar.
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Was man in Worten festlegen kann, das wurde festgelegt: Verpflichtung auf die Stabilität, Unabhängigkeit des künftigen Notenbanksystems, Verpflichtung zu einer soliden Finanzpolitik sowie die Festlegung klarer und vor allem strikter Kriterien.
Aber, meine Damen und Herren, jenseits der Worte liegen die Probleme, die man mit Vertragstexten nicht einfangen kann. Der Vertrag sieht Sanktionen vor, wenn ein Land die Budgetdisziplin nicht einhält. Sehr stark sind die Sanktionen nicht, Herr Bundesfinanzminister. Wie wird man sie durchsetzen können? Wäre es nicht vielleicht doch besser gewesen, auch die Möglichkeit vorzusehen, jemanden, der gar nicht auf Kurs zu bringen ist, in letzter Konsequenz wieder aus der Währungsunion auszuschließen?
Ein anderes Beispiel: Wir erleben in der Bundesrepublik gerade, daß Haushaltssalden auch gestaltbar sind, ohne daß die Finanzströme deshalb solider werden. Ich spreche von den Nebenhaushalten: Treuhand, Reichsbahn, Post.
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- Meine Damen und Herren, was wir können, das können auch andere. Hier besteht europaweit Manipulationsspielraum. Welche Vorkehrungen, Herr Bundesfinanzminister, wurden dagegen getroffen?
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Was für Haushaltssalden gilt, das gilt auch hinsichtlich der Gestaltung der Preisindizes. Wie ist sichergestellt, Herr Bundesfinanzminister, daß die Errechnung der Preisindizes kompatibel erfolgt? Bisher ist das in Europa nicht der Fall.
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Für die Stabilität der D-Mark war und ist von entscheidender Bedeutung, daß die Bundesbank in ihrer Politik von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wurde, der sie in ihrer Unabhängigkeit bestärkt hat. Die Unabhängigkeit der Notenbank hätte in Deutschland nichts bewirkt, wenn nicht die Breite der Bevölkerung diese Unabhängigkeit gewollt hätte, sie immer verteidigt hätte und wenn sie nicht stabilitätsbewußt wäre und nicht die Inflation scheute wie der Teufel das Weihwasser. Das ist die Stärke, die uns die D-Mark gestützt hat. Aber das kann man in keinen Vertrag hineinschreiben.
({8})
Ein solcher Konsens ist in vielen europäischen Staaten nicht oder nur unzureichend gegeben. Deswegen müssen gerade wir gemeinsam darauf hinarbeiten. Ich hoffe, daß dafür die Zeit von 1997 bis 1999 ausreicht.
Es wäre ein ganz wichtiges Signal - Herr Bundeskanzler, Sie haben das erwähnt; Herr Bundesfinanzminister, Sie haben früher schon davon gesprochen - , wenn die anderen Partner ihre Notenbanken in der Übergangszeit wirklich in die volle Unabhängigkeit entlassen würden. Das würde dazu beitragen, auch in deren Ländern das Gefühl zu stärken, daß eine unabhängige Notenbank wichtig ist.
Aber Klarheit wäre auch wichtig für ganz prosaische Dinge: Wie sehen die Verträge aus für die künftigen Präsidenten der Notenbank und die Zentralbankratsmitglieder?
({9})
Unabhängigkeit erreicht man auch dadurch, Herr Kollege, daß die Verträge langfristig sind, daß sie gut bezahlt sind und daß es ordentliche Pensionen gibt, damit niemand nach Hause schielen und bei seiner eigenen Regierung Gefallen finden muß, um es einmal ganz simpel auszudrücken. Verständlicherweise kann man darüber in dem Maastrichter Übereinkommen nichts erfahren.
Meine Damen und Herren, eine Währungsunion setzt theoretisch nicht voraus, daß von den wohlhabenden Gebieten ein Transfer zu den weniger wohlhabenden Gebieten stattfindet. Politisch-praktisch sieht es aber ganz anders aus.
({10})
Wir haben das am Beispiel der deutsch-deutschen Währungsunion erlebt. Das war zwangsläufig. Logischerweise sieht das beschlossene EG-Vertragswerk Derartiges auch vor. Kohäsion ist ja die neue, vornehme Umschreibung dafür, in die Tasche anderer Leute zu fassen.
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Gibt es für den zu schaffenden KohäsionsFonds eigentlich Grenzen? Was heißt es, daß die Absicht bekundet wird - ich zitiere aus dem Vertragstext - , ein „größeres Maß an Flexibilität bei der Zuweisung von Finanzmitteln für besondere Bedürfnisse" vorzusehen? Oder was bedeutet die bekundete Absicht, die „Höhe der Gemeinschaftsbeteiligung an Programmen und Vorhaben im Rahmen der Strukturfonds zu differenzieren, um einen übermäßigen Anstieg der Haushaltsausgaben in den weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten zu vermeiden"? Angesichts solcher Formulierungen müssen wir aufpassen, daß nicht zu tief in die Taschen der nördlichen Länder gegriffen wird.
({12})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie mir zurufen, man sei zum Lob aufgefordert, dann wiederhole ich: Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Europäische Union. Aber es wird ja wohl noch erlaubt sein, im Parlament Fragen zu stellen, die der Aufklärung bedürfen.
({13})
- Das war schon eine historische Stunde!
Wir wollen, daß die europäische Integration erfolgreich weiter voranschreitet. Die Zukunft wird zeigen, ob das Positive, das in diesem neuen Vertragswerk angelegt ist, Wirklichkeit wird. Das wäre wünschenswert, aber es erfordert noch erhebliche Anstrengungen.
Es ist hier vom Europäischen Haus gesprochen worden. Ich bin sehr für den Bau des Europäischen Hauses, pflege aber hinzuzufügen: Ich wünsche mir immer eine nordamerikanische Einliegerwohnung in dem Europäischen Haus. Ich hoffe, es bleibt auch dabei.
({14})
Der Weg dorthin lohnt; das Ziel lohnt. Deshalb sollten wir uns auch auf den Weg machen.
Die FDP, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister, Herr Bundesfinanzminister, dankt noch einmal für das Ergebnis von Maastricht und wird Sie bei dieser Arbeit und auf diesem Wege weiter unterstützen.
({15})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Hans Modrow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse von Maastricht verdienen tiefgründige, weitgehende Analyse. Ohne Zweifel haben sie Bedeutung für den weiteren Gang der Dinge in Europa.
Eine erste Prüfung der uns zur Verfügung stehenden Texte wie auch das, was der Bundeskanzler heute dazu erläuternd gesagt hat, bringen jedoch nur wenig von dem zum Vorschein, was der Kontinent heute wirklich braucht.
Europa steht angesichts der fortgesetzten Rüstungspolitik und Streitkräftemodernisierung, der Existenzunsicherheit in einem Teil europäischer Staaten, angesichts der dringend notwendigen hilfreichen Zusammenarbeit mit den ost- und südosteuropäischen Staaten sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und nicht zuletzt auf Grund des gespannten Verhältnisses zur Dritten Welt vor großen Herausforderungen. Darüber ist in den Dokumenten von Maastricht wenig zu lesen, höchstens ist davon in den Tischreden zu hören.
Wer wie die Bundesregierung im Vorfeld von Maastricht, wie heute mehrmals gesagt, die Meßlatte in Worten sehr hoch gelegt hat, muß sich jetzt nicht wundern, wenn seine Leistungen daran gemessen werden. Vielleicht war der Anlauf etwas zu lang und der Atem dann etwas zu kurz.
Unbestritten ist jedoch, daß weitere Schritte auf dem Weg einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion getan wurden. Es muß aber zu denken geben, daß eine künftige Politische Union nach Belieben verlassen werden kann, wenn es das Verhandlungskalkül oder innenpolitische Erfolgszwänge für geboten erscheinen lassen.
Wie kann man das als unumkehrbar beurteilen? - Nicht nur die PDS/Linke Liste stellt diese Frage. Auch Kreise der deutschen Industrie und der Hochfinanz, die in dieser Sicht als unverdächtige Zeugen zitiert werden dürfen, beurteilen das Ergebnis von Maastricht mit deutlicher Skepsis. So sieht der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Dr. Helmut Geiger, die größte Gefahr darin - ich zitiere -, „daß Politik und Geld nicht parallel laufen".
Deutschland müsse schleunigst wieder zur Stabilität zurückfinden, wird gefordert. Klartext spricht auch der BDI: „Maastricht bringt keine guten Bedingungen für den Erfolg der Währungsunion. "
Maastricht ist also nicht der große Durchbruch, noch weniger der historische Einschnitt für die größere Rolle Deutschlands geworden; aus unserer Sicht durchaus mehr Vorzug als Nachteil.
Historische Einschnitte lassen sich ohnehin nicht vorher ansagen. Jede wirklich große Aufgabe - die Bewältigung des Spannungsverhältnisses zwischen westeuropäischer Integration und osteuropäischer Desintegration wäre eine solche - kann nur Schritt für Schritt verwirklicht werden. Die Ergebnisse von Maastricht haben so keine angemessene Antwort auf die gewaltigen Herausforderungen für unseren Kontinent gegeben.
Dahinter verbirgt sich ein Problem grundsätzlicher Natur: Die Bundesregierung ist im ganzen Gerangel um die Änderung der Römer Verträge zunehmend der Blick für die gesamteuropäische Perspektive verlorengegangen. Deshalb wird mit der Vertiefung der westeuropäischen Integration, die mit den Beschlüssen von Maastricht ohne Zweifel eintreten dürfte, zugleich der Weg in ein neues Europa gemeinsam mit den Staaten Mittel- und Osteuropas einschließlich der Nachfolgestaaten der Sowjetunion nur noch schwieriger werden.
Das kann gar nicht anders sein. Denn beherrschend war in Maastricht offensichtlich der Grundsatz, die Festung Westeuropas sturmfest zu machen und dabei in der eigenen Burg möglichst den Frieden zu wahren.
Er dürfte auch die Erklärung dafür sein, daß trotz der großen Unterschiede, ja tiefgreifenden Gegensätze in den Positionen der Hauptbeteiligten in Maastricht die Ergebnisse sowohl in Bonn als auch in London wie in Paris als historischer Erfolg, ja als großer Sieg geradezu euphorisch gefeiert werden. Dabei zollen wir dem zweitägigen Verhandlungsmarathon, dem sich der Bundeskanzler und der Außenminister aussetzten, durchaus Respekt. Aber wer hat nun den Pyrrhussieg davongetragen? - Von dem deutschen Junktim zwischen Währungs- und Politischer Union, das auf einen größeren politischen Handlungsspielraum zielte, ist in Maastricht nicht viel übriggeblieben.
Wie nicht anders zu erwarten, standen die Vereinbarungen zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Militärpolitik im Mittelpunkt der Anstrengungen der Bundesregierung. Das, was Maastricht dazu gebracht hat, ist von großer Tragweite, auch wenn es erst in der Perspektive wirksam werden sollte. Ich meine vor allem das Streben nach einer gemeinsamen Militärpolitik, nach Ausbau der WEU zu einer militärischen Organisation der EG, durch den in der Perspektive ein neuer militärischer Westblock entstehen dürfte. Es ist doch einfach anachronistisch, wenn nach der Auflösung des Warschauer Vertrages und nach dem Zerfall der Sowjetunion Sicherheit in Europa wieder nahezu ausschließlich militärisch definiert wird.
({0})
Die neuen Risiken und Konflikte in Europa sind aber in erster Linie ökonomisch, sozial, ethnisch oder religiös begründet. Der Kern europäischer Sicherheitspolitik müßte also ein ganz anderer sein: wirtschaftliche Entwicklung und Verflechtung sowie weitreichende und immer dichter werdende gegenseitige Abhängigkeit - und das gegenüber dem Osten wie gegenüber dem Süden.
Europäische Sicherheitspolitik bedeutet vor allem aktive Konfliktvorbeugung und vermittelnde Teilnahme an ihrer friedlichen, nichtmilitärischen Lösung.
({1})
Nicht über die Einsatzmöglichkeiten deutscher Truppen, ob als Kampftruppen oder als Blauhelme, sollte man sich den Kopf zerbrechen. Sie hätten ohnehin nur größere negative politisch-moralische sowie materielle Folgen für unser Land und für Europa.
Diese Bundesregierung, die die Zustimmung der europäischen Völker und Staaten zur friedlichen deutschen Wiedervereinigung erhalten hat, hätte ihre eigentliche Aufgabe in Maastricht darin sehen müssen, die EG für eine gesamteuropäische Perspektive stärker zu öffnen, sowohl in ökonomischer Hinsicht als auch im Hinblick auf ein nichtmilitärisches System der Sicherheit und Entmilitarisierung in Europa. Nichts ist in dieser Richtung geschehen.
({2})
- Sie werden sich, was diese Ahnung betrifft, in den nächsten Jahren sicher zur Prüfung stellen.
So gesehen widerspiegelt das Agieren der deutschen Verhandlungsdelegation in Maastricht noch nicht jenes neue Denken, das sich nun als erforderlich erweist.
Wir fordern eine offenere Zusammenarbeitsstrategie. Das wäre Solidarität, das wäre Vorsorge auch für die westeuropäische Zukunft. Das hieße, die EG wirklich zum Kern und Motor gesamteuropäischer Zusammenarbeit zu machen. Nach all dem, was auch heute zu hören war, werden die Ergebnisse von Maastricht dafür nicht ausreichen und nichts Wesentliches bewirken.
Ein besonders kritisches Kapitel bleibt das Demokratiedefizit in der Gemeinschaft.
({3})
Maastricht hätte eine gute Gelegenheit geboten, gerade diese Konstruktionsfehler der EG zu beheben, und nach den dazu vom Bundeskanzler immer wieder abgegeben Beteuerungen wäre das weitgehendst zu erwarten gewesen.
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Aber Wesentliches ist dazu nicht geschehen.
Entgegen allen Versprechungen, sich in Maastricht nur mit einer wesentlichen Stärkung des Europäischen Parlamentes zufrieden zu geben, hat man völlig unzureichenden Entscheidungen zugestimmt. Die vorgesehene Mitwirkung des Europäischen Parlaments auf einigen wichtigen Politikfeldern ist eher ein durchlöchertes Feigenblatt für den weiterhin völlig undemokratischen Aufbau der geplanten Union. Alle wesentlichen politischen Entscheidungen werden auch künftig von den Exekutivorganen gefällt.
({5})
Dem Europäischen Parlament werden keine Initiativrechte und keine Budgetrechte, also keine positive Mitentscheidung, eingeräumt.
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Die Parlamentarier werden dadurch eher in die Ecke ständiger Neinsager gedrängt.
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- Herrn Honecker hätte man 1987 etwas mehr sagen und nicht darauf warten sollen, daß man mir den Vorwurf macht, was man zu irgendwelchen Zeitpunkten vergessen hat.
({8})
Völlig unverständlich ist, daß sich der Bundeskanzler dazu bereit erklärt hat, die von den Außenministern bereits abgestimmten Vereinbarungen, den bisherigen Beobachtern aus den neuen Bundesländern volle Rechte im Europäischen Parlament einzuräumen, noch einmal zu diskutieren. Hier, Herr Schäuble, möchte ich darauf verweisen: Es ist im Auswärtigen Ausschuß mit aller Eindeutigkeit gesagt worden, dieser Erfolg sei erzielt worden, und zwar vor der Beratung in Maastricht.
({9})
Es kann nichts anderes als eine Mitachtung der Bürger in den neuen Bundesländern sein, wenn gerade in dieser Frage nachgegeben wurde, während man sich in anderen, z. B. in militärpolitischen Fragen oder bei der Schaffung gemeinsamer Verbände und gemeinsamer Rüstung, viel entschiedener durchboxte.
Besonders schlecht ist das Ergebnis hinsichtlich der sozialen Dimension. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn gerade das, wie z. B. bei den Gewerkschaften, auf heftige Kritik stößt. Dabei hätte man sich gerade auf diesem Gebiet gewünscht, daß die Bundesregierung zu ihren zuvor verkündeten Positionen stehen würde. Sie hat sich aber ohne einleuchtenden Grund hier zu Kompromissen, ja zum Aufgeben beDr. Hans Modrow
kannt. Es ist doch geradezu grotesk, wenn elf Staaten, allen voran die Bundesrepublik, den zwölften einfach aus den Bemühungen um mehr sozialen Schutz entlassen und sich selber mit allgemeinen Absichtserklärungen aus der Pflicht nehmen wollen.
Ob an solchen Forderungen der Gipfel wirklich gescheitert wäre - wie jetzt argumentiert wird - , darf zu Recht bezweifelt werden. Auf jeden Fall hätte eine klare Haltung der Bundesregierung den Interessen der künftigen Eurobürger mehr entsprochen, auch wäre sie ehrlicher gewesen.
Nach dem Vorliegenden zu urteilen, wird jedes Weiterkommen in den Fragen einer Sozialunion und insbesondere bei den Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen blockiert. Es bleibt deshalb unsere Grundforderung, die Sozialunion grundsätzlich mit dem gleichen Tempo und der gleichen Intensität zu gestalten und auszubauen wie die Wirtschafts- und die Politische Union; denn es wird niemals ein einiges Europa geben, wenn es nicht bewußt sozial gestaltet wird.
Ich komme zum Schluß:
({10})
Es kann und darf nicht darum gehen, um jeden Preis nur eine kleine Gruppe besonders entwickelter Staaten organisatorisch, wirtschaftlich und politisch zusammenzuführen. Es geht um das ganze Europa, um alle seine Bürger. Es geht um die Verantwortung gegenüber den Ländern der Dritten Welt. Es geht immer um Schicksale von Menschen, gleiche Lebenschancen, eine gerechte Sozialstruktur, um die Verantwortung für Benachteiligte und Schwache. Es geht um echte Partnerschaft. Gerade davon aber sind die Ergebnisse von Maastricht leider noch sehr entfernt geblieben.
({11})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Kollegen Gerd Poppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat vor zwei Tagen die Beschlüsse von Maastricht als riesigen Erfolg gefeiert. Heute war er nicht ganz so euphorisch; da war von einem „tragfähigen Ergebnis " die Rede. Mit „Erfolg" ist wohl auch sein persönlicher Erfolg gemeint.
Vor etwas mehr als einem Jahr hat er die deutsche Einheit zustande gebracht, und inzwischen geht es, wie jeder weiß, keinem Menschen in Ostdeutschland schlechter als früher in der DDR.
({0})
- Das war nicht so ernst gemeint. - Solche Erscheinungen wie die Massenarbeitslosigkeit, die Entindustrialisierung und das Erleben von Perspektivlosigkeit bei vielen Jugendlichen, wovon hier gestern ausführlich die Rede war, können also nur Phantome sein oder dem Pessimismus der ewigen Schwarzmaler entspringen - wozu alle gezählt werden, die immer wieder auch die problematischen Seiten des Einigungsprozesses beschrieben haben.
Wird nun also bereits ein weiteres Ruhmesblatt für den deutschen Bundeskanzler ins Geschichtsbuch geheftet? Ich denke, daß er und wir davon noch weit entfernt sind. Trotz des verordneten Optimismus betrachten einige Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, die der Kanzler sicher nicht als notorische Nörgler ansieht, die Ergebnisse des EG-Gipfels merklich differenzierter als er selbst.
Daß die Ergebnisse von Maastricht magerer ausfallen würden, als manche hofften oder vorgaben zu hoffen, war absehbar. Trotzdem sind Weichen gestellt worden; soviel ist richtig an der Einschätzung der Bundesregierung. Daß dabei aber ein derartiges Ungleichgewicht zwischen stabilitätsorientierter Währungsunion einerseits, Demokratisierung und Sozialverträglichkeit andererseits entstanden ist, läßt nun allerdings erwarten, daß der Zug in die falsche Richtung fahren wird.
Die - hinter halb vorgehaltener Hand - gepriesene Taktik, mit Zugeständnissen an die währungspolitische Strategie eine Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments zu erzwingen, ist nicht aufgegangen. Ich will nicht behaupten, daß sie gar nicht ernst gemeint war, obwohl angesichts der Schieflage zugunsten der Geldwertstabilität dieser Gedanke aufkommen kann. Es bleibt auch in Zukunft so, daß die Europäische Gemeinschaft etwa auf dem Stand des Norddeutschen Bundes verharrt, was den Grad an demokratischer Kultur angeht: eine Vereinigung der Oberen, nicht der Bürger und der Parlamente.
Der Rat bleibt die einzige effiziente Kontrollinstanz für die Kommission. Das Parlament erhält keine gestaltende Aufgabe. Es begleitet Prozesse, die auf Regierungsebene ablaufen und innerhalb der Ministerialbürokratien ausgehandelt werden.
Die alten Pläne einer europaweiten Volksabstimmung über die Europäische Union tauchen nicht mehr auf. Der viel zitierte Regionalausschuß hat lediglich beratende Funktion. Bei einer Fortsetzung des bisherigen Kurses und der Verlagerung der Kompetenzen von den Ländern auf den Bund und von beiden gemeinsam nach Brüssel können wir bald auch unsere Vorstellung vom Förderalismus vergessen.
Die guten alten Zeiten der D-Mark allerdings wird man nach ihrem Verschwinden wohl lange in Erinnerung behalten. Nach wie vor habe ich den Eindruck, daß der ökonomische Kraftakt, der mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden ist, sträflich heruntergespielt wird. Wenn ich sehe, wie schwer es ist, im innerdeutschen Verhältnis die notwendige Solidarität zu mobilisieren, dann frage ich mich, wie dies in westeuropäischem Maßstab geschehen soll. Es kennzeichnet die Entscheidungsmethode des Europäischen Rates, die Schaffung einer Währungsunion zu beschließen, die Errichtung eines Kohäsionsfonds zur Flankierung dieses Vorhabens aber lediglich anzukündigen, ohne den Mittelbedarf dafür zu nennen, womöglich ohne sich überhaupt Klarheit darüber zu verschaffen.
Dies ist sträflicher Leichtsinn. Es ist auf westeuropäischer Ebene ungefähr das gleiche, was die Bun5816
desregierung - auf die deutsche Vereinigung bezogen - bereits vorexerziert hat.
Es ist keineswegs sicher, daß die EG die ihr zugeschriebene Rolle als Stabilitätsanker für ganz Europa wirklich erfüllen kann und ob nicht die Währungsunion selbst zum Faktor der Instabilität wird. Sie wird in Westeuropa Kräfte und Mittel binden, die für die Unterstützung Osteuropas - ganz zu schweigen von den armen Ländern des Südens - viel dringender benötigt würden.
({1})
Dies hat um so mehr Bedeutung, als sich die EG seit eh und je mit ihrer sozialen Dimension schwertut. Westeuropäische Sozialpolitik wurde immer schon als möglichst zu vernachlässigendes Anhängsel des wirtschaftlichen Zusammenschlusses behandelt.
({2})
Die Entstehungsgeschichte der Sozialcharta hat die Schwierigkeiten in diesem Bereich zur Genüge offenbart.
Letztlich ist dieses nicht einmal einstimmig verabschiedete Dokument weit hinter den Zielsetzungen des Europäischen Parlaments zurückgeblieben. Dieses wollte darin einen umfassenden Katalog sozialer Grundrechte verankert sehen. Wohl hat man den Katalog der mit qualifizierter Mehrheit zu behandelnden Fragen etwas ausgeweitet, dafür aber gleichzeitig die Rolle des Parlaments in sozialen Fragen beschnitten. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird ohne wirksame sozialpolitische Flankierung die ärmeren Regionen Europas noch stärker ins Abseits drängen.
({3})
- Ja, und Sie haben bisher nichts anders als eine Gegenbehauptung aufgestellt.
Von der Idee eines sozialen Europa sind wir trotz der Sozialcharta weit entfernt. Soziale Grundrechte umfassen im übrigen auch mehr als die dort formulierten Arbeitnehmerrechte. Notwendig wäre auch die Festlegung von sozialen Mindeststandards, und zwar nicht nur für den Bereich der Arbeitswelt, sondern auch für die Existenzsicherung.
Ein soziales Europa nach unserer Vorstellung würde natürlich die Bereitschaft zum Teilen voraussetzen. Dazu aber fehlt offensichtlich der politische Wille.
Vorhanden ist ein solcher Wille aber ganz offenbar dazu, die deutsche Asylrechtsregelung auf dem Umweg über die sogenannte Harmonisierung innerhalb der Union auszuhebeln. Unsere Ablehnung einer solchen Politik haben wir schon oft kundgetan. Wir fordern die Bundesregierung erneut auf, sich für eine europäische Asylrechtsregelung einzusetzen, deren Maßstab das gültige Asylrecht der Bundesrepublik gemäß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes ist. Dessen versuchte Aushöhlung im Zusammenhang mit der unzureichenden sozialen Absicherung und der nach Osten und Süden blinden Währungspolitik der EG läßt in der Tat nicht viel Gutes von der Europäischen Union erhoffen.
Was geschieht, wenn die Währungsunion in weltwirtschaftliche oder auch nur gesamteuropäische Turbulenzen geraten sollte? Diese Turbulenzen sind bereits jetzt absehbar. Aber im Hinblick auf Osteuropa haben die Verhandlungspartner in Maastricht die Augen fest geschlossen, wenn man von der angekündigten Nahrungsmittelhilfe für die zerbrochene Sowjetunion absieht.
Schon bezogen auf den Beitritt Österreichs und Schwedens tut sich der Europäische Rat schwer, wenn ich sein Ersuchen an die Kommission richtig interpretiere, dessen Auswirkungen auf die künftige Entwicklung der Union zu prüfen.
Was aber ist von folgendem Satz zu halten, den ich wörtlich zitieren möchte: „Der Europäische Rat hat die Minister für auswärtige Angelegenheiten ersucht, die Entwicklungen in Osteuropa und in der Sowjetunion im Hinblick auf die Ausarbeitung eines Konzepts für die Beziehungen zu neuen Staaten zu prüfen." Was, meine Damen und Herren, würden Sie von einem Außenminister halten, der dies nicht auch ohne eine derartige Aufforderung täte?
Das eigentlich Schlimme ist aber, daß die EG ein solches Konzept immer noch nicht hat. Sie hat es nicht einmal, bezogen auf Polen, Ungarn und die CSFR. Der Hinweis auf die Assoziierungsverträge mit diesen Ländern kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Nicht der EG-Gipfel in Maastricht ist das gegenwärtig wichtigste weltpolitische Ereignis, sondern das endgültige Verschwinden der Sowjetunion von der politischen Landkarte. Die Ereignisse dort konfrontieren uns mit einem Ausmaß von Problemen und möglichen Gefahren, wie wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben. Nur eine kleine Auswahl: ökologische Schäden, die zur Verwüstung riesiger Landstriche geführt haben, eine gigantische Wirtschaftskrise und soziales Elend für Millionen. Davon sind allein im europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion so viele Menschen betroffen, wie Deutschland, Frankreich und die Beneluxländer zusammen Einwohner haben.
Wir erleben gleichzeitig, wie die Menschen hier auf diese Entwicklung einerseits mit Mitleid und Hilfsbereitschaft, anderersetis aber auch mit zunehmender Angst reagieren. Die Verunsicherung wächst. Erst kostet die deutsche Einheit Milliarden, dann bricht die Sowjetunion zusammen - wieviel mag das erst kosten -, und schließlich nimmt uns der Kanzler noch die D-Mark weg.
({4})
- Ich spreche von den Ängsten und Befürchtungen vieler Menschen in der heutigen Bundesrepublik, die dies immer wieder zum Ausdruck bringen. Sie haben ihnen bis jetzt nicht mit hinreichender Klarheit gesagt, wie es eines Tages wirklich aussehen wird.
In dieser Situation setzt der Gipfel von Maastricht das falsche Zeichen. Er gaukelt den Menschen vor, wir könnten die Probleme Westeuropas lösen, ohne auf den Osten Rücksicht zu nehmen. Dieser wird mit vagen Versprechungen abgespeist. Ein ernsthaftes Angebot zu politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit gibt es nicht. Das richtige Signal wäre gewesen, sich zu einer gemeinsamen Verantwortung für
das Schicksal ganz Europas zu bekennen, rein westeuropäische Probleme zurückzustellen und über die Reformstaaten Polen, CSFR und Ungarn hinaus den baltischen, den südosteuropäischen und den neu entstehenden Staaten eine dem jeweiligen Stand der demokratischen Entwicklung entsprechend abgestufte Perspektive im Rahmen eines europäischen Gesamtkonzepts zu eröffnen.
Der Weg, der in Maastricht eingeschlagen wurde, wird auf der einen Seite die Menschen weiter verunsichern und auf der anderen Seite ein hilfloses Krisenmanagement bewirken, dessen Unzulänglichkeit sich schon in Jugoslawien und während des Putsches in der Sowjetunion zeigte. Schlimmstenfalls wird dieser Weg zur Aufrüstung und zur militärischen Verteidigung Westeuropas gegen das aus dem Osten und dem Süden heranstürmende Elend führen.
Wenn wir, meine Damen und Herren, einem solchen Unglücksszenario in unseren Prognosen keinen Platz einräumen wollen, so bedarf es einer konstruktiven Erneuerung europäischer Politik. Diesem hohen Anspruch ist Maastricht nicht gerecht geworden.
({5})
Nunmehr erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu zwei Bemerkungen der Frau Kollegin Matthäus-Maier etwas sagen.
Was die Bemerkung angeht, der Bundeskanzler sei unter der Meßlatte durchgekrochen: Das ist völlig ausgeschlossen. Das stimmt nicht und ist auch gar nicht möglich.
({0})
- Nein, es entspricht nicht seiner Art und Weise, irgendwo durchzukriechen, und es geht auch nicht.
({1})
Was den Sitz der Europäischen Zentralbank anlangt: Mehr, als wir getan haben, und stärker, als wir dafür gefochten haben, konnte man es nicht tun. Ich lade Sie herzlich ein, auch bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in Europa, bei den Sozialisten und Sozialdemokraten, dafür zu werben, daß wir dabei erfolgreich sind.
({2})
Wir müssen hier noch eine Menge an Überzeugungsarbeit leisten.
Ich darf auch zu den Fragen, die Graf Lambsdorff an mich gestellt hat, teilweise Stellung nehmen. Ein bißchen war es ja scheinheilig,
({3})
daß er mich gefragt hat, obwohl er genausogut den Außenminister hätte fragen können.
({4})
Aber das ist anscheinend das Spiel über Bande beim Billard, und ich bin dazu gern bereit.
Ich würde Sie, Graf Lambsdorff, bitten, den Rat, ein Herz aus Stein zu haben, auch Ihren Kollegen im Bundeskabinett zu geben. Denn wenn es um Anforderungen und ähnliches mehr geht, reagieren die keinen Deut anders als die Kollegen aus der CDU oder aus anderen Parteien.
({5})
- Entschuldigung, Graf Lambsdorff hat mich gefragt, und ihm möchte ich jetzt antworten. Sie gehören der FDP doch nicht mehr an.
({6})
Es gibt, Graf Lambsdorff, wie Sie wissen, keinen Konvergenzfonds - das ist sehr wichtig - , es gibt keinen abstrakten Finanzausgleich. Aber es wird einen Kohäsionsfonds geben, über dessen Ausstattung wir im nächsten Jahr im Zusammenhang mit den Gesamtverhandlungen über Finanzfragen sprechen werden, mit den Fazilitäten beim Umweltschutz und bei der Verkehrsinfrastruktur.
Was nun die Europäische Zentralbank und ihre Unabhängigkeit anlangt, so lehrt ein Blick in den Vertrag, daß der Präsident und die Vizepräsidenten auf acht Jahre bestellt werden. Ich glaube, das entspricht den Anforderungen. Und: Die Bezahlung ist in Europa meist auskömmlich; aber darüber wird noch zu reden sein. Ich habe darüber bisher relativ wenig Klagen gehört. Trotzdem werden wir uns Ihrer Sorgen um die auskömmliche Bezahlung dieser Damen und Herren gern annehmen.
({7})
Was nun das Ausscheiden eines Landes aus dem Bereich anlangt, wenn es ihm schon einmal angehört hat, so will ich doch darauf hinweisen, daß in erster Linie, wenn es eben keinen abstrakten Finanzausgleich gibt, das Land selber den Schaden hat: einen Schaden in Form von verminderter Wettbewerbsfähigkeit und einen Schaden in Form höherer Arbeitslosigkeit.
In einem habe ich mich - das gebe ich gerne zu - geirrt: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß einzelne Länder in den letzten fünf bis zehn Jahren eine solche Stabilitätspolitik erfolgreich durchgeführt . haben. Das betrifft Frankreich, Dänemark, aber auch Spanien und andere. Ich glaube nicht, daß diese Länder, die unter so großen Opfern Stabilität herbeigeführt haben, diese Stabilität mit so großen Schäden aufs Spiel setzen würden.
({8})
Diese „surveillance", dieser ganze Willensbildungsprozeß ist höchst wirksam und hat sich auch - ohne Konditionen, ohne einen Statut - bei den G-7-Treffen als wirksam erwiesen. Wer hätte es für möglich gehalten, daß es durch diese Absprachen der
G 7 gelingen würde, durch eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik - bei allen Fehlern, die es da noch gibt - eine so lang andauernde Wachstumsphase der Weltwirtschaft zu erreichen?
({9})
- Ich sage ja: Dort haben wir das Statut nicht, und trotzdem hat diese abgestimmte Politik jedenfalls uns bisher sehr genützt.
Eines, Graf Lambsdorff, sollten wir, glaube ich, daraus lernen: Wo immer man Stabilitätspolitik machen will, sind Ampelkoalitionen der falsche Weg dazu.
({10})
- Jetzt macht sich die Frau Matthäus-Maier Sorgen, ich sei zu Ihnen zu polemisch,
({11})
in einem fast wehleidigen Ton. Ich bin wirklich zu Tränen gerührt, Frau Matthäus-Maier.
({12})
- Ja. Aber ich kann es jetzt nicht hinüberreichen.
In Maastricht wurde zur Wirtschafts- und Währungsunion das beschlossen, was wir zuvor in Brüssel und in vielen Sitzungen der Regierungskonferenz im Kreis der Finanzminister, der Stellvertreter und der Verantwortlichen von den Notenbanken erarbeitet hatten.
Der Gipfel von Maastricht hat es bestätigt: Wir bringen die deutsche Währungsordnung nach Europa. Es geht um den Aufbau einer stabilen, wirtschaftsstarken und dynamischen Europäischen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn wir unser größtes wirtschaftspolitisches Kapital, unsere Währung, nach Europa bringen.
Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. Wir sollten den Menschen aber nicht Angst einjagen und nicht die Tatsachen auf den Kopf stellen.
({13})
Wir werden in der Tat jeden Spielraum nützen, um auch das Symbolhafte und das Psychologische zu berücksichtigen.
Wir werden die Frage der Gestaltung der künftigen europäischen Münzen und Geldnoten sorgfältig prüfen. Der Vertrag schreibt für die Schaffung der neuen Zahlungsmittel kein festes Datum vor.
({14})
Der Beschluß legt nur die endgültige Fixierung der Wechselkurse auf spätestens 1999 fest. Bei der Gestaltung der Geldscheine und Münzen bleibt Spielraum. In Art. 16 des Europäischen Währungsstatus heißt es: Die Europäische Zentralbank berücksichtigt bei der Ausgabe der Zahlungsmittel so weit wie möglich die
Gepflogenheiten bei der Ausgabe und Gestaltung von Banknoten. Es ist z. B. - ich gebe das als Anregung - denkbar, eine Seite der Banknoten mit den europäischen Symbolen und die andere entsprechend den nationalen Traditionen zu gestalten.
({15})
Schon heute gibt es z. B. in Schottland regionale Pfundnoten. Auch nach unseren Vorstellungen sollen die Deutschen die Tradition ihrer Währung auf den künftigen Banknoten wiederfinden.
({16})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen danken, die in den letzten Tagen und Wochen von ihrer persönlichen oder politischen Autorität her dazu beigetragen haben, diesen wichtigen, weit über die Parteien hinausgehenden Schritt zu begleiten.
Ich habe mich über das gefreut, was der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in der letzten Woche in einem Interview der „Bild"-Zeitung gesagt hat. Ich habe ihm ein Telegramm geschickt und ihm dafür gedankt und meinen Respekt vor dieser Haltung ausgedrückt.
({17})
Es ist ein wichtiger Dienst, den hier politische Persönlichkeiten mit Autorität tun, um das Vertrauen der Menschen in einen so wichtigen Schritt in die Zukunft, an dem wir alle, wie die heutige Debatte gezeigt hat, existentiell interessiert sind, positiv zu begleiten. Ich bitte alle, das auch künftig zu tun.
Ich habe schon in der vorigen Woche gesagt - und nach dem konkreten Gipfel können wir es bestätigen - : Die D-Mark wird nicht verschenkt, und sie wird schon gar nicht verraten. Es gibt auch keinen Währungsschnitt und keine Währungsreform. Es ist nicht vergleichbar mit der Sorge der Menschen 1948. Es ist auch nicht vergleichbar mit der deutschen Währungsunion, wo eine starke Währung eine schwache Währung übernommen hat. Vielmehr kommen nur starke Währungen zusammen und schaffen eine Stabilitätsgemeinschaft, wie es sie noch nie gegeben hat.
Zahlreiche europäische Währungen, auch außerhalb des EWS, haben in den vergangenen Jahren am deutschen Stabilitätsanker festgemacht. Das hat für uns Vorteile, aber auch zusätzliche Belastungen und Verantwortung mit sich gebracht. Jetzt erhält der ganze Stabilitätsgeleitzug den besten und sichersten Flankenschutz, der überhaupt vorstellbar ist. Wir schaffen mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine transnationale Währungs- und Finanzverfassung, für die es in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Völkern kein Vorbild gibt. Durch die Währungsunion wird es in Deutschland und in Europa noch mehr Stabilität und Sicherheit geben als bisher.
Im bisherigen Währungsverbund war nur die Bundesbank völlig unabhängig und gesetzlich auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Jetzt müssen die anderen Länder schon in der zweiten Stufe ihre Zentralbanken in die Unabhängigkeit entlassen. Der
Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, was das für die Tradition der anderen bedeutet. Wenn man sich bei uns fragt, was wir vielleicht aufgeben, sollte nicht vergessen werden: Die Frage, wer was aufgibt, ist für die anderen Länder mit Sicherheit viel gravierender als für Deutschland.
({18})
Und die anderen verfügen sicher nicht über weniger stolze Traditionen im Bereich der Ökonomie und der Geldwertstabilität.
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist durch völkerrechtlichen Vertrag unverrückbar verankert, während die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank nur in einem Bundesgesetz geregelt ist. Es gibt auch kein Vetorecht der Regierungen mit aufschiebender Wirkung, wie es das Bundesbankgesetz vorsieht.
Das Statut der Europäischen Zentralbank entspricht uneingeschränkt den deutschen Regelungen: unzweideutiger Stabilitätsauftrag, völlige Unabhängigkeit, keine Notenbankfinanzierung der Staatshaushalte, ein starkes Direktorium, auf acht Jahre unabsetzbar, identische geldpolitische Instrumente. Und weiter Handlungsspielraum auch bei der äußeren Währungssicherung.
Es gibt keine Grauzone, es gibt keine Mischfunktion in der zweiten Stufe. Es gibt klare Kriterien für die Haushaltsdisziplin - stärker, als sie unser Verfassungsrecht und unser Haushaltsrecht vorsehen. Es sind bessere Kriterien als bei uns. Selbst Art. 115 des Grundgesetzes haben wir auch noch als eine goldene Regel in den Katalog dieser Konvergenzkriterien eingebracht.
({19})
Meine Damen und Herren, noch eines ist erreicht worden: Wer die Haushaltsdisziplin nicht verwirklicht, wer Preise und Zinsen nicht unter Kontrolle bekommt, bleibt außerhalb der Währungsgemeinschaft. Wer Stabilität nicht erreicht, darf in der Zentralbank nicht mitbestimmen. Es gibt keinen Automatismus. Wir haben in Wahrheit alle Sicherungen an der richtigen Stelle angebracht.
({20})
Wenn es einen Automatismus gibt, dann den zur Stabilität und zum wirtschaftlichen Erfolg; denn die Wirtschafts- und Währungsunion wird es bis Ende dieses Jahrzehnts nur geben, wenn Stabilitätspolitik überall wirksam ist. Wenn Stabilität erreicht wird, muß auch die Union kommen. Aber wir werden eher mit einer kleinen Gruppe von Ländern beginnen, als nur ein Jota von den Eintrittsbedingungen abzuweichen.
({21})
Es bleibt auch dabei: Kein Termin ersetzt die Konvergenzbedingungen, kein Termin ersetzt die Kriterien. Sie bleiben bis zum Schluß die dominante, objektive Bestimmung für das, was geschieht.
Ich will eines sagen: Durch die Wirtschafts- und Währungsunion wird es große Vorteile geben. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist kein Handelsgeschäft. Sie ist ein Stabilitätspakt. Wir zahlen keinen Preis. Die D-Mark ist vielmehr der Grundstock einer gemeinsamen Währung, die zu einem tragenden Pfeiler der Gemeinschaft wird.
Wir bauen einen Währungsraum, der gleichberechtigt neben der Dollar- und der Yenzone stehen wird. Europa wird nicht Objekt, sondern Subjekt der Weltwirtschaft sein. Wenn diese größte Stabilitätsaktion, die es seit 1949 überhaupt gegeben hat, greift, dann werden damit Ressourcen frei, dann wird damit Kapital frei, das wir für Investitionen, für Arbeitsplätze, für Forschung, für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Japan und auch für soziale Verbesserungen gegenüber den Menschen in Europa besser nutzen können als zur Zeit, wo wir es für die Beseitigung von Investitionshemmnissen ausgeben müssen.
({22})
Meine Damen und Herren, zur Kohäsion habe ich das Notwendige gesagt.
Lassen Sie mich am Schluß betonen: Die Idee Europa reicht über das Ökonomische hinaus. Europa muß zum entscheidenden Eckpfeiler, zum Orientierungspunkt unseres Kontinents werden. Wir geben den Völkern ein Vorbild für ein friedliches Zusammenleben.
Konrad Adenauer hat am 21. September 1949 anläßlich der Verkündigung des Besatzungsstatuts im alliierten Hauptquartier auf dem Petersberg die Perspektiven eines künftigen Europa beschrieben:
Wenn wir zurückfinden zu den Quellen unserer europäischen Kultur, die aus dem Christentum entspringt, muß es uns gelingen, die Einheit des europäischen Lebens auf allen Gebieten wiederherzustellen. Dies ist die allein wirksame Garantie für die Erhaltung des Friedens.
Dieser Entwurf der Zukunft von damals wird heute und in diesem Jahrzehnt Realität. Maastricht ist mehr als eine Hoffnung oder ein Versprechen; es ist die Entscheidung der Europäer, zusammenzustehen und ihren Auftrag und ihre Verantwortung wahrzunehmen. An diesem entscheidenden Schritt hat das einige Deutschland großen Anteil.
Ich danke Ihnen.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler und auch der Finanzminister haben einige Schwierigkeiten, Maastricht als großen Erfolg darzustellen; so recht gelingt das nicht. In den Reden war doch schon so eine gewisse defensive Stimmung erkennbar.
Herr Kollege Schäuble war ja in seiner übertriebenen Reaktion auf Kritik von uns ebenfalls bemerkenswert. Hängt das vielleicht damit zusammen, daß die
Ihnen in bestimmten Bereichen sonst so nahestehenden Zeitungen diesmal doch sehr kritisch sind?
({0})
Das scheint mir fast so.
Ich möchte eines sehr deutlich sagen, damit wir uns da richtig verstehen. Ich halte gar nichts von den Tatarenmeldungen der Boulevardpresse. Es ist einfach unsinnig, zu sagen, daß nur die D-Mark eine harte Währung sein könne und eine europäische Währung nicht. Wir sollten aber die Sorgen, die dahinterstehen, ernst nehmen, Graf Lambsdorff. Wir müssen Aufklärung leisten. Nur, so wie die D-Mark zur Stabilität und auch zur Identität in Deutschland beigetragen hat, kann dies auch eine europäische Währung im europäischen Einigungsprozeß leisten. Darin besteht Gemeinsamkeit, glaube ich.
({1})
Aber das enthebt nicht der Verpflichtung, sich näher damit auseinanderzusetzen, was in der seriösen Fachpresse und in den Stellungnahmen etwa der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, gestern im „Handelsblatt" nachzulesen, angesprochen worden ist.
Man wird die Vereinbarung also mit Nüchternheit prüfen müssen. Währungspolitik ist kein Gebiet, in dem mit rosarotem Optimismus gearbeitet werden kann, sondern nur mit sehr nüchterner Risikoabschätzung. Dabei geht es auch nicht um historische Momente oder etwas Ähnliches, sondern es muß am Ende funktionieren. Es ist sicher richtig - da möchte ich dem Finanzminister beipflichten - , daß die Konstruktion der Europäischen Zentralbank unseren Vorstellungen weitestgehend entspricht. Das gilt allerdings nur eingeschränkt für das EWI. In bezug auf dieses besteht zwar ebenfalls große Übereinstimmung; aber einige Punkte sind doch ein bißchen zu hinterfragen.
Erstens. Bei den Empfehlungen des Europäischen Währungsinstituts in der Vorbereitungsphase für die Gestaltung der endgültigen Währung werden alle EG-Länder ein volles Mitspracherecht in bezug auf die Gestaltung der dritten Stufe, also die endgültige Währungsunion, haben. Nun ist zwar diese Empfehlung nicht verbindlich; aber machen wir uns doch nichts vor: Diese Empfehlung wird dann die entscheidende Verhandlungsgrundlage 1996 oder 1998 sein.
Zweitens. Das Europäische Währungsinstitut erhält von den Mitgliedsländern das Recht, freiwillig Währungsreserven zu verwalten. Dabei muß es sich dann zwar jeweils mit der betroffenen Zentralbank abstimmen; aber ich werde sehr stutzig, wenn Frankreich, das ja für das europäische Währungsinstitut immer eine eigenständige Währungskompetenz verlangt hat, jetzt ganz plötzlich erklärt, es sei bereit, dem Institut freiwillig Währungsreserven zur Verfügung zu stellen. Da ist doch ein Konflikt vorprogrammiert. Was ist denn, wenn dieses Währungsinstitut mit französischen Währungsreserven gegenüber dem Dollar in die Märkte eingreift? Muß es sich dann wirklich vorher mit der Bundesbank abstimmen? Dabei geht es doch formal nicht um die D-Mark. Da ist also in Wirklichkeit durch die Hintertür leider doch eine Grauzone hineingekommen, auch wenn der Vertrag sie nicht vorsieht.
Man hat immer gesagt, die Phase II, in der das Europäische Währungsinstitut arbeitet, muß sehr kurz sein. Aber jetzt haben wir aber einmal einen Termin 1997 und einmal einen Termin 1999. So schön hinreichend ist das jetzt nicht mehr definiert, wie einmal gewünscht.
Das führt mich zu einem zweiten Punkt. Vor Maastricht hieß es immer auch hier in diesem Hause in allen Debatten von allen Seiten, daß kein Land gezwungen werden dürfe, der einheitlichen Währung beizutreten. Jetzt ist aber für 1999 ein Automatismus festgeschrieben, der letztlich von statistischen Größen abhängt. Die „Frankfurter Allgemeine" hat am 11. März dazu geschrieben - ich zitiere - :
Das ist mehr als eine protokollarische Merkwürdigkeit. Hier wird zweierlei erkennbar: der Wille zu einem festen Fahrplan und die Ahnung von der Vorläufigkeit aller Planungen.
Das erinnert mich sehr an das, was Graf Lambsdorff vorhin gesagt hat. So weit ist das wirklich nicht voneinander entfernt.
Bei der Schärfe der Kriterien kann es durchaus passieren, daß nur eine kleine Minderheit von Ländern 1999 die Voraussetzungen erfüllt. Dazu muß noch nicht einmal die Bundesrepublik gehören. Wenn es aber nur eine kleine Zahl von Ländern ist, dann ist das nicht nur ein absurdes Ergebnis, sondern noch viel schlimmer. Es wäre ein Sprengsatz für den Zusammenhalt der gesamten Europäischen Gemeinschaft, wenn eine Minderheit von Ländern die dominierende neue Währung beherrscht, die anderen Länder in Abhängigkeit davon geraten und eben zugleich in anderen Bereichen der EG auch diese Länder ihren Einfluß geltend machen können. Wir wissen doch, daß in der EG häufig Birnen gegen Äpfel gehandelt werden. Das darf natürlich im Bereich der Stabilitätsanforderung bei der Währungsunion nicht passieren.
({2})
Die an und für sich sehr lobenswerte Absicht, den Ländern mit Anpassungsschwierigkeiten Zeit für ihren Beitritt zu geben, verwandelt sich durch diesen Automatismus in eine gefährliche neue Qualitätsstufe des Einigungsprozesses, in einen Weg der zwei Geschwindigkeiten, der zwangsweise ist. Ich kann davor nur warnen. Dies ist auch keine düstere Prognose; denn sie beruht ja auf der Realität der Entwicklungsstände, die wir heute in den EG-Ländern haben.
Das macht sich erstens deutlich bei dem Konvergenzkriterium: Höhe der öffentlichen Verschuldung, gemessen am Bruttosozialprodukt. Die Länder Belgien, Italien, Irland, Griechenland und in geringerem Maße sogar die Niederlande liegen heute zum Teil bereits sehr weit über der Grenze von 60 % des öffentlichen Schuldenstandes. Es ist völlig unrealistisch, anzunehmen, daß diese Länder bis 1997 oder 1999 diesen Stand tatsächlich erreichen. Dies ginge nur mit einer massiv deflatorischen Politik, die von sozialen, beschäftigungspolitischen und politischen Unruhen begleitet wäre. Dies würde dem Einigungsprozeß
schaden, aber nicht nur dem Einigungsprozeß, es würde auch den anderen Volkswirtschaften in der EG und gerade auch der der Bundesrepublik schaden.
Das gilt um so mehr, wenn uns klarer wird, daß wir im Moment nicht mehr in einer Phase konjunkturellen Aufschwungs, sondern einer konjunkturellen Schwäche in Westeuropa leben. Dies gilt ja zunehmend auch für die Bundesrepublik. Die Folgen einer Wachstumsschwäche sind gar nicht kalkulierbar.
Die ungewöhnlich lange Phase des weltweiten konjunkturellen Aufschwungs in den 80er Jahren ist vorbei; sie hatte geholfen, daß wir im Rahmen des europäischen Währungssystems Konvergenz erreicht haben. Wir sehen aber jetzt schon, daß diese Konvergenzdaten wieder auseinanderstreben. Ich schließe nicht aus, daß es so wie zu Beginn der 80er Jahre, als wir die letzte Weltwirtschaftskrise hatten, dann wieder zu einer falschen Diskussion kommen kann: hie Stabilität, dort Beschäftigung.
({3})
- Dies war aber nicht unsere Regierung, Kollege Faltlhauser. Das war damals der Angriff der Franzosen, der Italiener, der Briten gegenüber dem EWS.
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Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß in Frankreich jeder so denkt wie z. B. Herr Bergevoy?! Weil das so war und weil das wiederkommen kann, müssen wir daran denken.
Es ist doch keine Zufälligkeit, daß der Vertrag genau an dieser Stelle politische Bewertungskriterien einführt. Ich wiederhole meine Warnung vom letzten Mal. Wenn dort politisch bewertet wird, wird das auch für die anderen Kriterien gelten können. Man wird nicht nur eines politisch bewerten können; das wird die Praxis sein.
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- Ach wissen Sie, wenn die Labour-Party drankommt, kriegen wir mit denen zumindest die Währungsunion. Das ist ja bei Frau Thatchers Nachfolger etwas schwierig mit seiner eigenen Partei.
Dann kommen wir noch zu dem Konvergenzpakt: Angleichung der langfristigen Zinssätze und Abwertungsverbot im Rahmen des EWS, weil das die Angleichung für die wirtschaftlich schwachen Länder schwieriger macht. Gerade im bestehenden EWS ist doch die Wechselkursstabilität mit Zinsdifferenzen erkauft worden. Wenn ich jetzt beides zusammenpacke und sage, nur wenn ihr beides ordentlich macht, kommt ihr da rein, dann gibt es nur einen Weg, da hereinzukommen: stark Deflationsprozesse zu machen. Das hat allerdings genau die Wirkung, die ich eben schon einmal beschrieben habe.
({6})
- Darauf komme ich gleich. - Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich halte die Kriterien für sinnvoll, aber durch den Automatismus werden sie für den Einigungsprozeß sehr gefährlich. Sie dürfen nicht aufgegeben werden, aber dieser Automatismus macht es schwierig. Deswegen ist ja auch plötzlich - Graf Lambsdorff, ich stimme Ihnen zu - dieser Kohäsionsfonds dort hineingekommen. Dafür werden zur Zeit zwar noch keine Summen genannt, aber entweder bleibt er wirkungslos, weil zu knapp ausgestattet, oder er wird sehr teuer - und dann gerade für die Bundesrepublik.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich die Bundesrepublik mit ihren Lasten aus der deutschen Einheit und den unabweisbaren Lasten für die Entwicklung und Stabilisierung der Reformländer Osteuropas sehr hüten muß, sich unter diesem Zwang des automatischen Prozesses zur europäischen Währungseinheit an dieser Stelle finanziell zu übernehmen.
({7})
Das sind einige der seriösen Kritikpunkte am Ergebnis von Maastricht. Der wichtigste Punkt ist aber der, daß die Beziehung zwischen der Währungs- und der Politischen Union weitgehend gelöst worden ist.
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Zu Beginn der Diskussion über die einheitliche Währung gab es in der Bundesrepublik - ich darf daran erinnern - diesen fruchtlosen Streit zwischen den Verfechtern der Krönungstheorie und der Lokomotivtheorie. Krönungstheorie: Die Währungsunion kann nur Schlußstein des gesamten europäischen Einigungsprozesses sein. Lokomotivtheorie - Herr Genscher, Sie hatten wohl Sympathien dafür - : Die Währungsunion muß alles zur Einigung hinziehen.
Ich habe ein bißchen den Verdacht, daß wir uns jetzt ziemlich weit der Lokomotivtheorie angenähert haben. Damit haben wir den sehr verdienstvollen Ansatz des Delors-Berichtes, der nämlich die Verknüpfung zwischen beiden zum Inhalt hatte, aufgegeben. Die Bundesregierung hat ja auch die allergrößte Mühe, das Ergebnis im Bereich der Politischen Union als politischen Erfolg zu verkaufen. Sie hat den selbst formulierten, gerade vom Bundeskanzler immer formulierten Standpunkt, beides kann nur zusammen, gleichwertig geschehen, faktisch aufgegeben.
Dabei geht es aber nicht nur um die Frage der Vertretung der ostdeutschen Länder im Europäischen Parlament oder um das von uns allen beklagte unannehmbare Demokratiedefizit der EG. Es geht im Bereich der Währungspolitik genau um die unverzichtbaren Rahmenbedingungen, unter denen Währungspolitik stattfindet.
Das Statut der Europäischen Zentralbank mag noch so gut sein; aber auch die Erfolge der Bundesbank in der deutschen Wirtschaftspolitik waren nur möglich, weil es für die Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik, von einigen Irrungen und Wirrungen abgesehen, auf Grund unserer geschichtlichen Erfahrungen mit ungebremster Inflation immer den Konsens zur Stabilitätspolitik gab.
({9})
Die neue Europäische Zentralbank aber wird nach dem heutigen Stand mit mindestens 12, wahrscheinlich aber 15 oder 16 selbständigen Wirtschafts- und
Finanzpolitiken konfrontiert werden. Diese Politiken werden wegen der unterschiedlichen realen Ausgangslage in den verschiedenen Ländern auch unterschiedlich stabilitätsorientiert sein. Das wird unvermeidlich sein. Die Geld- und Währungspolitik kommt dann in Zugzwang und unter Durck.
Vizepräsident Tietmeyer hat in einer Rede, die ich neulich zitieren konnte, im Hinblick auf Wanderungsbewegungen auf Grund längerer Arbeitslosigkeit in Regionen der EG auf diese Problematik hingewiesen. Es gibt aber auch noch andere Beispiele für eine mögliche Gefährdung der guten Absicht - die will ich ja gar nicht bestreiten - zur währungspolitischen Stabilität.
Zwar sieht der Vertrag vor, daß die Haushaltspolitik abgestimmt werden soll, und er droht mit Sanktionen und der Verweigerung einer Garantie für die Länder, die sich finanziell übernehmen, nur, der Praxistest, der Test zumindest für die Garantieklausel, steht aus. Wenn ein Land der EG wirklich in massiven finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, werden die anderen EG-Länder gerade wegen der bestehenden realwirtschaftlichen Verflechtungen im Eigeninteresse wahrscheinlich anders handeln, als der Vertrag androht.
Zur Illustration: Kein Mensch hat der Sowjetunion eine Garantie gegeben. Trotzdem müssen wir im eigenen Interesse den Republiken Geld geben, damit dort die Lage nicht im Chaos versinkt.
Ich habe in meiner Rede am 5. Dezember gesagt: Die Gefahr besteht, daß wir in der Währungsunion mit dem einen Bein einen langen Schritt machen und in der Politischen Union im Schlamm steckenbleiben. Dann fällt man auf die Nase. - Mir scheint, daß diese Gefahr jetzt Realität wird.
Maastricht kann für uns insofern kein Abschluß der Verhandlungen sein. Für die Gesamtbewertung wird es entscheidend darauf ankommen, ob bis 1996, spätestens in dem Revisionsprozeß für die Politische Union 1996 - der ist ja angekündigt -, echte Fortschritte zur Demokratisierung der EG und zur Herausbildung eines gemeinsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Zielrahmens geschaffen werden.
Die Politische Union muß eine parlamentarisch-demokratische Institution schaffen, die ein vollwertiger Partner der Europäischen Zentralbank in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist.
Der in unserer gemeinsamen Entschließung vom 5. Dezember beschlossene Parlamentsvorbehalt, die gemeinsame Absicht, daß sich vor dem endgültigen Eintritt in die Währungsunion der Deutsche Bundestag noch einmal mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur einheitlichen Währung befaßt, hat im Licht der jetzt vorliegenden Ergebnisse besondere Bedeutung bekommen.
Der nächste Bundestag wird die Verantwortung für den Erfolg der europäischen Einigung und für die Akzeptanz dieses Prozesses in der deutschen Bevölkerung tragen.
({10})
Es ist aber Aufgabe schon dieser Bundesregierung,
das jetzt Erreichte entscheidend nachzubessern. Für
Selbsttäuschung steht zuviel auf dem Spiel, sowohl in der Bundesrepublik als auch in Europa.
({11})
Nun spricht der Bundesminister des Auswärtigen, HansDietrich Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, das hat uns das Grundgesetz aufgegeben. Mit dem Europäischen Rat in Maastricht sind wir dem Ziel eines vereinten Europas einen wesentlichen Schritt nähergekommen.
Die Unumkehrbarkeit des europäischen Einigungsprozesses hat auf diesem Gipfel seine Bestätigung gefunden. Das ist für uns Deutsche in einem Europa voller Herausforderungen und großer Gefahren der Instabilität östlich von uns von größter Bedeutung.
({0})
Ich glaube, ein Blick in den Osten und Südosten Europas zeigt, was ein Rückschlag in Maastricht für das ganze Europa in Wahrheit bedeutet hätte. Das ist der Maßstab, den wir anzulegen haben.
({1})
- Man muß einen Maßstab anlegen, um feststellen zu können, was eine Katastrophe ist, Herr Kollege. Manche stellen die Katastrophe ohne Maßstab fest.
({2})
Der Europäische Rat von Maastricht wird den Skeptikern zum Trotz in die Geschichte eingehen als der Gipfel, auf dem die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nach jahrzehntelangen Vorarbeiten verbindlich beschlossen und eine umfassende Europäische Union auf den Weg gebracht wurde. Die Bundesregierung hat daran wesentlichen Anteil.
Für uns Deutsche war und ist die Europäische Gemeinschaft vor allem auch eine politische Gemeinschaft. Die wirtschaftliche und monetäre Einigung Europas muß Hand in Hand mit der politischen gehen; sie muß vor allem bürgernah sein. Insoweit hat Maastricht einen entscheidenden Fortschritt gebracht.
Das Gesamtverhandlungsergebnis führt zu einer Vertiefung und zu einer Erweiterung der bisherigen Gemeinschaftskompetenzen. Unter dem Dach der Europäischen Union können sich nunmehr die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit der Innen- und Justizminister entwikkeln, letztere allerdings zunächst verfahrensmäßig noch stark intergouvernemental, aber doch mit einBundesminister Hans-Dietrich Genscher
deutiger Ausrichtung zu mehr Gemeinsamkeit und auch zur Vergemeinschaftung.
Erste konkrete Elemente einer künftigen europäischen Verfassungsstruktur werden erkennbar. Das europäische Einigungswerk hat sich erneut in Bewegung gesetzt. Evolutivklauseln und Revisionsklauseln ermöglichen eine positive Fortentwicklung.
Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Entwicklung zu einer gemeinsamen Verteidigung sind wesentliche Pfeiler der Europäischen Union. Das Konzept, das wir zusammen mit Frankreich entwickelt hatten, hat sich in Maastricht weitgehend durchgesetzt. Kernstück der Bestimmungen über die Außen- und Sicherheitspolitik ist das neue Instrument der gemeinsamen Aktion. In ihrem Rahmen wird die Union in Zukunft geschlossen handeln.
Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen wurden in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eingeführt.
Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Das wird auch einmal dazu führen, daß Deutschland bei einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung seine Vorstellungen nicht wird durchsetzen können. Das sollten wir dann aber im europäischen Geist hinnehmen und auf Verbesserungen hinwirken.
Die Tatsache, daß alle Partner das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen akzeptiert haben, ist wegweisend für die künftige außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Europas. Es eröffnet auch eine neue Dynamik.
Maastricht hat einen entscheidenden Fortschritt für die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension der Europäischen Union erbracht. Alle Partner haben sich darauf verständigt, auch auf diesem Gebiet die Konsequenz aus der neuen Dynamik der Integration zu ziehen. Wir haben vertraglich verankert, daß die Union eine gemeinsame Verteidigungspolitik entwickeln wird, die - und jetzt zitiere ich wörtlich -„zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte". Durch diese vertragliche Formulierung unterstreichen die Mitgliedstaaten die Notwendigkeit der Verteidigungsidentität der Union mit dem Ziel, Europa in die Lage zu versetzen, seine sicherheits- und verteidigungspolitische Verantwortung wahrzunehmen.
Kernelement ist die Feststellung, daß die Westeuropäische Union integraler Bestandteil der Europäischen Union ist. Das war das zentrale Ziel der deutschfranzösischen Initiative. Damit hat die Europäische Union in der Westeuropäischen Union das Instrument, um ihre verteidigungspolitischen Ziele und später die Verteidigung selbst verwirklichen zu können.
({3})
Wir haben uns darauf festgelegt, diese Westeuropäische Union zur Verteidigungskomponente der Union auszubauen. Die künftige Verbindung zwischen WEU und Union ist klar geregelt. Die Westeuropäische Union wird auf Ersuchen der Union die gemeinsame Verteidigungspolitik formulieren und umsetzen. Die dazu notwendigen Schritte wurden in einer Erklärung
der WEU-Mitgliedstaaten verankert, und das ist Teil des Vertragswerkes.
Wesentlich für den Aufbau der gemeinsamen Verteidigungspolitik ist die operationelle Ausgestaltung der WEU. Dazu wurden eine Reihe von Entscheidungen getroffen. Wir waren uns auch einig, dabei auch der Westeuropäischen Union zugeordnete militärische Einheiten weiter zu prüfen und festzulegen.
Der neuen Rolle der Westeuropäischen Union entspricht auf der Seite der Union der Einstieg in die engere sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit der Zwölf. Die Außenminister haben eine Liste vereinbart, in die diese Themen aufgenommen wurden. Dabei geht es um den KSZE-Prozeß, um Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle, um Fragen der Nichtverbreitung und der Rüstungsexportkontrolle. Weitere Gebiete für eine gemeinsame Aktion werden erarbeitet werden. Diese Liste wird bis zum Inkrafttreten des Vertrages noch ausgebaut und präzisiert.
Alle Partner haben die Perspektive der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklung der Union akzeptiert. Wir haben uns auf das Prinzip geeinigt, daß jeder Mitgliedstaat der Gemeinschaft, der das wünscht, auch der Westeuropäischen Union beitreten kann oder, wenn er dies vorzieht, einen Beobachterstatus erhält. Damit wird dem Wunsch Griechenlands nach einem raschen Beitritt zur Westeuropäischen Union Rechnung getragen. Ich denke, jeder wird verstehen, wie wichtig das für Griechenland ist, wenn man seine geographische Lage in einer höchst instabilen Umgebung richtig einschätzt.
({4})
Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union ist mit der politischen Allianz und der Politik der Atlantischen Allianz verknüpft. Wir haben uns daher auch darauf verständigt, daß die europäischen NATO-Partner, die nicht Mitglieder der Gemeinschaft sind, assoziierte Mitglieder unserer Westeuropäischen Union werden können. Damit wird deutlich, daß unser Einigungsprozeß zugleich auch zur Festigung des europäischen Pfeilers der Alllianz beiträgt.
({5})
Es ist beabsichtigt, die entsprechenden Verträge und Abkommen über die jeweiligen Beziehungen der WEU bis Ende des nächsten Jahres abzuschließen.
Man kann feststellen: Die Rolle der Atlantischen Allianz bleibt gewahrt; alle Partner sind sich einig, daß die Entwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität die Allianz stärkt und festigt und daß ein bedeutender Beitrag zum Aufbau des europäischen Pfeilers geleistet wird.
Wir haben damit einen großen Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der künftigen Europäischen Union getan. Auch dieser auf Fortentwicklung der Gemeinsamkeit angelegte Prozeß kann nunmehr seine Dynamik entfalten. Partner, die in Maastricht noch gezögert haben, werden sich dieser Dynamik in der Zukunft nicht entziehen können.
Ich habe mich bei manchen Diskussionen in Maastricht an die Diskussionen im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der Schlußakte von Helsinki erinnern müssen. Auch damals wurde diese Schlußakte von vielen Kritikern zu statisch gesehen. Man hat die ihr innewohnende Dynamik nicht richtig eingeschätzt. Heute wissen wir, welche grundlegenden Verbesserungen dieser dynamische Prozeß in Europa bewirkt hat. Ich habe keinen Zweifel: Die Dynamik unserer Europäischen Union wird weitaus wirksamer sein. Deshalb haben wir hier einen wirklichen Fortschritt erzielt.
({6})
Wenn wir 1996 die Vertragsbestimmungen, die für die WEU getroffenen Regelungen, im Licht der bis dahin gewonnenen Erfahrungen überprüfen, dann wird sich voraussichtlich kein Partner mehr gegenüber der Notwendigkeit einer umfassenden gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik einschließlich ihrer Verteidigungskomponente reserviert verhalten können. Wahrscheinlich wird das schon früher der Fall sein.
Ein weiteres, gleich wichtiges Anliegen der deutschen Delegation war die Demokratisierung der Gemeinschaft. Eine ausbaufähige Grundlage für eine wachsende Beteiligung des Europäischen Parlaments in wichtigen Fragen wurde geschaffen.
Ab Inkrafttreten des Vertrages wird es ein Gesetzgebungsverfahren geben, in dem Rat und Parlament gemeinsam entscheiden. Hierfür wurden genau definierte Bereiche genannt, insbesondere der Binnenmarkt, ferner Forschung, Umwelt, Bildung, Kultur, Gesundheit, Verbraucherschutz und transeuropäische Netze.
Das Europäische Parlament wird zukünftig voll bei der Ernennung des Präsidenten und der Mitglieder der Kommission beteiligt sein. Wichtig für die Entwicklung einer demokratischen Verbindung zwischen Parlament und Kommission ist auch die folgende Neuerung: Ab 1. Januar 1995 wird auf unseren Antrag hin die Amtsperiode der Kommission an die fünfjährige Wahlperiode des Europäischen Parlaments angepaßt werden. Das Europäische Parlament wird das Recht erhalten, Untersuchungsausschüsse einzusetzen und Petitionen entgegenzunehmen. Wichtige internationale Abkommen werden seiner Zustimmung bedürfen.
Offen muß gesagt werden, daß die Ergebnisse bei der Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments am weitesten hinter unseren Zielen und Erwartungen zurückgeblieben sind.
({7})
Ich muß allerdings auch sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Dies war der Bereich, in dem wir für unsere Forderungen die wenigste Unterstützung aus dem Kreis unserer Partner erhalten haben.
({8})
Es war oft so, daß Fortschritte an ein oder zwei Ländern scheiterten. Hier war es so, daß Deutschland, von
sehr wenigen Ländern unterstützt, das einzige Land
war, das mit großem Nachdruck die Rechte des Parlaments in einem richtigen Selbstverständnis einer demokratischen Union vertreten hat. Aber die Hilfe war gering; für uns alle ein Anlaß, unsere Parteifamilien zu bitten, daß sie in den jeweiligen Ländern - das sage ich in alle politischen Richtungen ({9})
dafür sorgen, daß denen Beine gemacht werden, die, wenn sie zu Hause Kompetenzen verlieren, sie lieber an Bürokratien weitergeben und offensichtlich dem Europäischen Parlament die dann notwendige parlamentarische Kontrolle nicht übertragen möchten. Das ist für mich gänzlich unverständlich.
({10})
Da wir diesmal noch nicht mehr erreichen konnten, haben wir eine Evolutionsklausel durchgesetzt, die den weiteren Ausbau der Kompetenzen beim Kohäsionsverfahren ermöglichen soll. Auch wenn jetzt die zusätzlichen 18 Abgeordneten noch nicht unmittelbar im Vertrag stehen, so ist doch vereinbart, daß rechtzeitig vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament, d. h. noch bis Ende 1992, eine globale Lösung für die Zusammensetzung des Parlaments und der Kommission beschlossen wird, die allen Gesichtspunkten einer gewachsenen Gemeinschaft einschließlich des zu Protokoll der Konferenz gegebenen deutschen Standpunktes gerecht werden soll, nämlich der Verankerung der 18 zusätzlichen deutschen Abgeordneten. Das wird von niemandem bestritten. Das Problem ist, welche zusätzlichen Zahlen für andere Länder geschaffen werden.
Der europäische Bürger wird im übrigen nach dem neuen Vertrag an dem Ort seines Wohnsitzes überall in der Gemeinschaft nicht nur das Kommunalwahlrecht, sondern auch das Wahlrecht zum Europäischen Parlament haben. Ich halte das für einen wichtigen Fortschritt.
({11})
Bei der Innen- und Justizpolitik, insbesondere beim Asyl-, Einwanderungs- und Ausländerrecht sowie bei der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, gelang es, eine umfassende Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu vereinbaren. Einen ersten und über die Evolutivklausel ausbaufähigen Einstieg in Gemeinschaftsverfahren gibt es bei den Bestimmungen der Voraussetzungen für die Visa-Erteilung an Staatsbürger aus Drittländern, insbesondere in Notsituationen bei einem plötzlichen Zustrom.
Wir haben im neuen Vertragswerk weitere, neue Gemeinschaftskompetenzen eröffnet oder bestehende vertieft. Ich nenne hier die Bereiche Umwelt, Forschung, Entwicklungspolitik, transeuropäische Netze, Gesundheit, Verbraucherschutz, Bildung und Kultur.
Es gelang uns ferner, den Bereich der qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Rat gegenüber der EinBundesminister Hans-Dietrich Genscher
stimmigkeit durchzusetzen. Wenn wir Erreichtes mit Wünschenswertem vergleichen, so möchte ich sagen: Mit Rücksicht auf den förderalen Aufbau unseres Staates und mit Rücksicht auf die Forderung der Bundesländer haben allerdings auch wir in wichtigen Bereichen auf Einstimmigkeit Wert legen müssen, wo andere sehr wohl zu Mehrheitsentscheidungen bereit gewesen wären. Das zeigt, wie schwer es ist, wenn zwölf Länder mit einer höchst unterschiedlichen Geschichte, einem höchst unterschiedlichen Staatsverständnis und Aufbau ein gemeinsames, so in die Zukunft wirkendes Werk schaffen wollen. Deshalb bitte ich, auch nicht ungerecht zu sein gegenüber denjenigen, die in anderen Ländern gezögert haben, so wie wir hier in bestimmten Fragen mit Mehrheitsentscheidungen zögern mußten.
({12})
Wichtig war für uns, daß wir in Maastricht das neue Kapitel zur künftigen Industriepolitik ordnungspolitisch unbedenklich gestalten konnten.
({13})
Die Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich muß sich an einem System offener und wettbewerbsorientierter Märkte orientieren. Wettbewerbsverzerrende Beihilfen bleiben ausdrücklich ausgeschlossen. Eventuelle Förderungsmaßnahmen müssen einstimmig beschlossen werden.
Ein besonders schwieriges Kapitel war in Maastricht die Sozialpolitik. Angesichts des harten britischen Widerstandes einerseits und der Entschlossenheit der Mehrheit andererseits, die soziale Dimension des Europäischen Marktes fortzuentwickeln, haben wir hier vertragspolitisch Neuland betreten. Großbritannien wird zunächst eine Ausnahmeregelung zugestanden, die aber anders gestaltet ist als bei der Währungsunion, während die übrigen Mitgliedstaaten auf Grund eines unter ihnen abgeschlossenen Abkommens künftig effizienter, d. h. zum Teil mit qualifizierter Mehrheit, sozialpolitische Entscheidungen, insbesondere zur Umsetzung der Sozialcharta 1989, treffen können. Es ist also nicht, wie gelegentlich zu lesen und zu hören war, für die Sozialpolitik eine intergouvernementale Zusammenarbeit vereinbart, sondern unter elf Ländern ein neuer Gemeinschaftsvertrag geschaffen worden, durch den auch die Einrichtungen und Instrumente der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Hier gilt das, was ich in einer früheren Debatte gesagt habe: Der Zug nach Europa wird sich in Gang setzen. Wer einsteigen will, wird dabei sein; aber er wird sich in Gang setzen.
({14})
Besonders schwierig waren auch die Verhandlungen zur sogenannten Kohäsion, d. h. der Frage der finanziellen Aufwendungen zur Sicherung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft. Spanien und andere Mitgliedstaaten stellten hier weitgehende Forderungen. Zu einer Präjudizierung der Beratungen des kommenden Jahres zur Überprüfung der EG-Eigenmittelregelung und des Strukturfonds ist es nicht gekommen. Dafür soll bis 1993 ein spezieller Fonds für Zwecke des Umweltschutzes und der grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur im Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts geschaffen werden. Wir haben bei der Infrastruktur Wert darauf gelegt, daß das auf die Verkehrsinfrastruktur beschränkt wird, weil die Fragen der Energie, aber auch der Telekommunikation nach unserer Meinung vornehmlich privater Finanzierung vorbehalten bleiben sollten, wie das auch in Deutschland der Fall ist.
Darüber hinaus hat sich der Rat auf eine Erklärung geeinigt, wonach geprüft werden soll, wie die durch zu starke degressive Elemente auf der Einnahmenseite eingetretene Benachteiligung ärmerer Mitgliedstaaten berücksichtigt und korrigiert werden kann.
Meine Damen und Herren, ich verstehe die Sorge, die hier ausgedrückt worden ist, daß neue erhebliche Lasten durch die Kohäsion auf Deutschland zukommen können. Wir haben diese Diskussion auch in der Vergangenheit geführt; denn wir haben schon verschiedene Kohäsionsrunden in der Europäischen Gemeinschaft gehabt, z. B. bei den Entscheidungen über den Gemeinsamen Binnenmarkt. Wenn wir uns allerdings die deutsche Außenhandelsbilanz mit Blick auf die Länder ansehen, die Vorteile aus der Kohäsion ziehen, dann können wir feststellen, daß die deutsche Exportindustrie von den Kohäsionsergebnissen in diesen Ländern den größten Vorteil gezogen hat.
({15})
Das heißt, hier ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Ein hoher Stand der Entwicklungen in den bisher weniger entwickelten Teilen unserer Gemeinschaft ist immer ein Vorteil für das Land, das in seiner industriellen Produktion am stärksten ist. Deshalb heißt Kohäsion auch Hilfe für die Beschäftigungslage in Deutschland. Auch das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden.
({16})
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wohl wissend, wie die verfassungsrechtliche Situation ist, werde ich mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ich mich dem Verdacht aussetze, Sie im Verhältnis zu anderen zu privilegieren. Ich möchte Sie bitten, die Redezeit nicht auf Kosten der anderen überzubeanspruchen.
Herr Präsident, da ein Präsident über jeden Verdacht erhaben ist - natürlich nur, solange er da oben sitzt -,
({0})
verstehe ich Ihren Einwand gut und möchte - ({1})
- Danke schön. Das ist das erste Mal, daß ich einem Zuruf von Ihnen in vollem Umfang zustimmen kann, Frau Kollegin.
({2})
Ich stelle fest: Wir haben eine wichtige Entscheidung getroffen. Jeder, der dieses Werk beurteilt, wird für sich in seiner vollen Verantwortung als Abgeordneter - dasselbe gilt für die Regierungen der Bundesländer - die Frage zu beantworten haben, ob uns die5826
ses Vertragswerk in Europa weiterbringt oder ob uns eine Ablehnung des Vertragswerkes weiterbrächte. Ich habe keinen Zweifel: Wer Europa will und meint, wird sich für den Fortschritt in Europa entscheiden.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glück und Standfestigkeit hatte Hans-Ulrich Klose vor einer Woche dem Kanzler für Maastricht gewünscht. Glück hatte er.
Die Regierungen müssen sich gefallen lassen, daß man sie an ihren Versprechungen mißt. Ich verstehe nicht die Larmoyanz, mit der hier Herr Schäuble auf die Kritik aus unseren Reihen reagiert hat.
({0})
Das sind die eigenen Versprechungen, die wir zitiert haben.
Die Bewertung kann nur lauten: Öffentliche Zusagen sind nicht eingehalten worden, Erwartungen in der Bevölkerung sind enttäuscht worden. Überdies hat der Bundeskanzler den Beschluß, den der Deutsche Bundestag vor gut einer Woche gefaßt hat, gröblich mißachtet. Wir hatten am Donnerstag vor einer Woche im Bundestag dem Kanzler eine Botschaft mit auf die Reise nach Maastricht gegeben, eine klare Orientierung: Die Ergebnisse der Verhandlungen über die Politische Union dürfen nicht hinter den Ergebnissen der Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion zurückbleiben.
Ich zitiere an dieser Stelle die FAZ, normalerweise nicht im Verdacht, der Sozialdemokratie nahezustehen. Der Kommentator sagt zum Verhalten der Bundesregierung - ich zitiere - :
Aus deutscher Sicht ist das, da gibt es kein Vertun, nicht ein halber Erfolg, sondern eine Dreiviertel-Niederlage: Entstanden ist fürs erste genau jene ungleichgewichtige „hinkende Union", deren Verhinderung sich der Bundeskanzler mit seinem ursprünglichen Junktim zwischen beiden Materien zum Ziel gesetzt hatte.
({1})
Nun ist hier gesagt worden, Kompromisse seien notwendig. Ich frage mich nur, warum in der zentralen Frage der parlamentarischen Demokratie ein Kompromiß gemacht wurde,
({2})
und vor allen Dingen, warum man, wenn diese Verbindung so zentral ist, dann schon vorher eingeknickt ist und Stufenpläne vorgeschlagen hat.
Im übrigen wird dann immer von der Macht des Faktischen gesprochen; das entwickele sich ja. Das Europäische Parlament wird bereits seit zehn Jahren direkt gewählt, und es hat noch immer nicht kraft
Macht des Faktischen die entsprechenden Rechte erhalten.
({3})
In Maastricht ist es jedenfalls so gewesen, daß die Wirtschafts- und Finanzwelt jetzt weiß, was gegen Ende dieses Jahrzehnts auf sie zukommt. Aber die Bürger und Bürgerinnen und vor allen Dingen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wissen es nicht. Auch Ihre Parlamentarier, die deutschen Abgeordneten, wissen es nicht. Es weiß keiner, wie stark Deutschland im neuen Parlament vertreten sein wird, das 1994 gewählt werden soll.
Ich sage an dieser Stelle: Wir sind - das hat Ingrid Matthäus-Maier dargestellt - für die Wirtschafts- und Währungsunion, und wir begrüßen, daß die Verhandlungen zu diesem Ergebnis geführt haben. Aber wir sagen auch: Daß die Wechselkurse in einem festen Austauschverhältnis stehen müssen, ist Voraussetzung für die Währungsunion. Aber auch der Wechselkurs zwischen Politischer Union und Wirtschafts- und Währungsunion muß stimmen.
({4})
Die Kursrelation zwischen Politischer Union und Wirtschafts- und Währungsunion von Maastricht stimmt nicht. Was uns in der Politischen Union in Maastricht angeboten worden ist, ist politisches Kleingeld in sehr weicher Währung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Denn über dem Mauerwerk der Währungsunion steht vom Dach der Politischen Union bestenfalls ein Gerüst. Wie fest manche Balken darin verankert sind, das muß sich erst noch zeigen.
Uns allen hier im Deutschen Bundestag und in jedem nationalen Parlament muß klar sein: Mit der einheitlichen Währung geben wir Kompetenzen an das Europäische Parlament ab. Aber sie dürfen doch nicht in dem Bermudadreieck verschwinden, das sich Europäischer Rat oder Ministerrat nennt.
({6})
Sie müssen doch dahin verlagert werden, wo sie hingehören, nämlich in ein Parlament, in das Europäische Parlament.
Das Europäische Parlament, so hat der Bundeskanzler versichert, solle mehr Rechte bekommen. Ich betone an dieser Stelle - leider scheint er die Rechte nicht in dem Maße ernstzunehmen, daß er jetzt bei einer solchen Diskussion auch noch da wäre - : Das Europäische Parlament ist nach Maastricht nicht gleichberechtigt neben dem Ministerrat. Für uns Deutsche wiegt am schwersten, daß 16 Millionen Bürger und Bürgerinnen aus den fünf neuen Ländern nicht angemessen mit 18 Abgeordneten im nächsten Europäischen Parlament vertreten sein werden.
({7})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte diesen Punkt erst zu Ende bringen, Herr Kittelmann.
Ich will auf eine Sache hinweisen: Es ist heute morgen gesagt worden, das sei alles noch im unklaren und es komme eine Regelung ab Ende 1992. Aber eines ist klar: Die 18 Vertreter und Vertreterinnen, die versprochen waren, werden nicht kommen. Da sage ich: Das ist keine Vertretung deutscher Interessen; da ist der Bundeskanzler nicht standfest geblieben. Ich zitiere dazu die Ausführungen von Staatsministerin Seiler-Albring in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 14. November 1991, und ich würde gerne wissen, was die Bundesregierung dazu sagt:
Dennoch hat Noordwijk [...] vor allen Dingen aus deutscher Sicht eine Reihe substantieller Fortschritte gebracht. Es wurde [...] bereits erwähnt, daß alle Partner der Erhöhung der Zahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament von 81 auf 99 zugestimmt haben. Sie haben sich nicht der Erkenntnis verschlossen, daß sich die Repräsentanz von 17 Millionen neuen EG-Bürgern niederschlagen muß und eine angemessene und faire Repräsentanz im EP anderweitig nicht gewährleistet wäre.
Das ist eine Zusage an die Bürger und Bürgerinnen in den fünf neuen Ländern gewesen. Diese Zusage ist gebrochen worden, und zwar auch von der Bundesregierung.
({0})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie nun die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kittelmann?
Wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.
Selbstverständlich wird sie nicht angerechnet. Bitte schön, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Frau Abgeordnete Wieczorek-Zeul, stimmen Sie mir zu - abgesehen davon, daß Sie mit der überzogenen kritischen Haltung der SPD ziemlich allein stehen -,
({0})
daß wir in dem Appell, für die weitere Verstärkung der Rechte des Europäischen Parlaments einzutreten, der hier mehrfach, auch vom Außenminister, geäußert worden ist, alle übereinstimmen und daß wir uns vor allen Dingen in unseren Partnerparteien in den übrigen Ländern Europas intensiv dafür einsetzen müssen - da haben auch die Sozialisten sehr viel zu tun -, daß wir in den Nachberatungen erfolgreicher sind, als es jetzt möglich war, weil der Bundeskanzler für Deutschland in dieser Frage auf der Konferenz ziemlich allein stand?
Herr Kollege Kittelmann, ich bin dafür - ich komme noch zu diesem Punkt - , daß wir die Möglichkeiten nutzen, die wir als Parlamentsabgeordnete haben. Ich mache Ihnen nachher einen Vorschlag, was wir als deutsche Bundestagsabgeordnete tun können, um dem Europaparlament zu mehr Rechten zu verhelfen. Ich komme auf diesen Punkt zurück.
({0})
- Ich wäre ganz besonders friedlich, wenn wir es in Maastricht geschafft hätten, in der Frage der Politischen Union einen Durchbruch zu schaffen; das muß ich schon sagen.
({1})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem deutsche Interessen nicht mit dem notwendigen Nachdruck vertreten worden sind. Entgegen der Interpretation, die der Außenminister hier gegeben hat, ist meines Erachtens die Regelung einer Sozialunion zu elft ökonomisch der absolute Unsinn. Das kann rechtlich funktionieren, aber ökonomisch ist es Unsinn. Es führt in letzter Konsequenz dazu, daß, weil es die elf Staats- und Regierungschefs so hingenommen haben, sich Großbritannien - jedenfalls für die Zeit konservativer Herrschaft - aus dem sozialen Europa abmeldet und daß neben der Europäischen Gemeinschaft eine Gemeinschaft entsteht, die für das Soziale zuständig ist.
Bei genauerem Hinsehen - das ist das zusätzlich Bedenkliche - entlarvt sich der britische Ausstieg aus der Sozialpolitik der EG wirklich als eine zielstrebig zu Lasten der britischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betriebene Politik des Standortvorteils für ausländische Investoren. Was hier zugelassen wird, ist Sozialdumping, und zwar auch zu Lasten der deutschen Standorte und der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb ist diese Regelung aus unserer Sicht inakzeptabel.
({2})
Im übrigen - darauf ist schon hingewiesen worden - waren die Staats- und Regierungschefs anscheinend nicht imstande, einmal die technischen Details zu durchdenken. Was bedeutet das eigentlich: Soll in diesem Bereich nächstens ein eigener Haushalt aufgestellt werden? Sollen die Europaabgeordneten aus Großbritannien nicht mehr mitstimmen, wenn es um die Sozialpolitik geht?
({3})
Es gibt neben den ökonomischen eine Fülle von technischen Problemen. Das zeigt, daß dort Unsinn beschlossen worden ist.
Ich schließe mich dem an, was Frau Matthäus-Maier vorhin gesagt hat: Da innerhalb der nächsten Monate Wahlen in Großbritannien stattfinden, besteht ja die Möglichkeit, daß wir bei einem Wechsel der Regierung in Großbritannien eine Sozialunion zu zwölft
schaffen. Eine solche Perspektive wäre für uns alle gut.
({4})
Wir hoffen - damit komme ich zu dem, was ich vorhin an die Adresse von Herrn Kittelmann gesagt habe - , daß sich jetzt über Ländergrenzen hinweg ein Bündnis von nationalen Parlamenten in der Europäischen Gemeinschaft zusammenfindet, mit einer gemeinsamen Auffassung, daß mit dieser Reform zum politischen Teil von Maastricht kein Staat zu machen ist, schon gar kein europäischer.
Deshalb appelliere ich an Sie alle: Nehmen wir als deutsche Bundestagsabgeordnete die Bundesregierung in die Pflicht. Erteilen wir ihr den klaren Auftrag, dieses Defizit an demokratischer Kontrolle und an europäischer Demokratie sobald wie möglich auszufüllen. Deshalb, Herr Kittelmann, verweise ich Sie auf die Gelegenheiten zum Nachbessern. Wenn Herr Schäuble noch hier wäre, würde er verstehen, was wir damit meinen.
Es gibt in der nächsten Zeit Gelegenheiten genug zum Nachbessern, z. B. im Juni, wenn die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft um mehrere Länder beschlossen werden soll und wenn über die neue Finanzverfassung diskutiert werden soll, und bis spätestens Ende 1992, wenn über die künftige Zahl der EG-Kommissare und die Zahl der Abgeordneten des Europaparlaments entschieden wird.
Die Aufforderung zum Nachbessern ist im übrigen vom Vorsitzenden der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Egon Klepsch, und auch vom Vertreter der FDP-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herrn von Wechmar, genauso formuliert und vertreten worden.
Deshalb schlagen wir vor, die Ratifizierung der jetzt vorgelegten Vertragsänderungen mit den Regelungen zur Zahl der Europaabgeordneten, die spätestens Ende des Jahres beschlossen werden, zu verbinden. Ziehen wir diese Verhandlungen vor und bringen wir das mit in die Ratifizierung ein, so üben wir erstens Druck auf die Regierungen aus, in diesen Bereichen schnell voranzukommen, und tragen zweitens dazu bei, daß gleichzeitig Nachverhandlungen für mehr parlamentarische Rechte möglich sind.
({5})
Das heißt: Der entsprechende Wille muß jetzt vorhanden sein. Wenn der Bundeskanzler und der Außenminister, wenn Sie alle, die Sie hier sitzen, wirklich so an der Ausfüllung des parlamentarischen Defizits interessiert sind, dann lassen Sie sich mit auf diesen Weg ein! Sorgen Sie mit dafür, daß alle nächsten Abschnitte von Juni des nächsten Jahres bis Ende nächsten Jahres genutzt werden, um mehr Rechte für das Europäische Parlament nachzufordern und damit eine wirkliche Gesetzgebungsmöglichkeit und eine volle Mitentscheidungsmöglichkeit des Europäischen Parlaments mit in die Verhandlungen einzubringen.
Zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich noch einmal daran erinnern - das paßt in das Bild -, was Bundeskanzler Kohl in einer Debatte im
Jahre 1990 - das ist gerade ein Jahr her - gesagt hat. Er hat gesagt: Es geht um die Stärkung der Kontrollrechte und Kompetenzen des Europäischen Parlaments. Ich zitiere:
Wir alle brauchen Fortschritte, wenn wir 1994 in der Bundesrepublik Deutschland wie in den anderen EG-Mitgliedstaaten erneut vor die Wähler treten und sie auffordern wollen, in freien, geheimen und direkten Wahlen das Europäische Parlament zu wählen.
Bei dem, was jetzt folgt, müssen Sie genau zuhören: Ich glaube nicht,
- sagte Kanzler Kohl vor einem Jahr daß wir alle noch einmal die Wähler zur Wahl eines Europäischen Parlaments mit so geringen Kompetenzen wie jetzt auffordern können.
({6})
- Recht hatte er! - Deshalb sagen wir: Ziehen Sie die Konsequenz daraus und nehmen Sie Nachverhandlungen mit dem Ziel der Nachbesserung der Rechte des Europa-Parlaments und der Zahl der Abgeordneten aus den fünf neuen Ländern auf! Lassen Sie uns die Ratifizierung dann gemeinsam mit den jetzigen EG-Vertragsänderungen vollziehen! Dann braucht die Klage nicht mehr erhoben zu werden, die hier alle erhoben haben. Dann ist nachgebessert, was in Maastricht nicht korrekt geleistet worden ist.
Ich danke Ihnen.
({7})
Nun hat der Abgeordnete Kurt Faltlhauser das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag der Kollegin Matthäus-Maier enthielt zwei besonders bemerkenswerte Aspekte. Er beinhaltete erstens eine volle Zustimmung zum Vertragstext zur Wirtschafts- und Währungsunion, zwar widerwillig, aber es war eine Rundum-Zustimmung.
({0})
Zum zweiten haben Sie sich gleichzeitig geradezu störrisch geweigert, denjenigen Beifall zu geben, die dieses Vertragswerk ausgearbeitet und ausgehandelt haben. Sie haben den Eindruck erweckt, das sei einerseits gewissermaßen die reife Frucht der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und andererseits das Ergebnis der intensiven Beratungen des Präsidenten der Bundesbank gewesen.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen, Frau Kollegin: Es war der andere Helmut, der in Maastricht verhandelt hat!
({2})
Und: Es war der jetzige Finanzminister, der dieses
Ergebnis zustande gebracht hat, nicht aber der BunDr. Kurt Faltlhauser
desbankpräsident, der den Ausgang dieser Verhandlungen in einem Resümee freilich gelobt hat.
({3})
Überwinden Sie Ihre Hemmschwelle und geben Sie dann Beifall, wenn er notwendig, wenn er angebracht ist. Dieser WWU-Vertrag ist ein hervorragendes und nicht zu verbesserndes Werk.
({4})
Franz Josef Strauß hat in seinem Buch „Gebote zur Freiheit" folgendes beklagt - ich zitiere - :
Der europäische Pioniergeist unter den Staatsmännern und Politikern unseres Kontinents scheint erloschen. Namen der europäischen Qualität eines Alcide de Gasperi, eines Robert Schuman, eines Konrad Adenauer sind rar geworden.
Das Buch datiert aus dem Jahre 1980. Franz Josef Strauß würde sich heute beruhigt zurücklehnen und zusehen; denn wir haben wieder deutsche Namen der geforderten Qualität. Er würde besonders zufrieden sein, weil der Name seines Nachfolgers Theodor Waigel mit dabei ist.
({5}).
Herr Wieczorek - er ist nicht mehr anwesend -,
({6})
dessen Sachkunde ich sehr schätze, hat hier einen Beitrag geleistet, in dem er bemüht war, alle möglichen zukünftigen Konflikte zu sammeln. Aber natürlich gibt es auch auf der Basis eines guten Vertragswerks die Möglichkeit von Konflikten. Die Arbeit ist ja am Dienstag nicht beendet worden, sondern darauf muß man in den nächsten Jahren aufbauen.
Die vernünftigste Lösung für zukünftige Konflikte wäre, diese Bundesregierung möglichst lange im Amt zu halten, und die Opposition sollte uns gelegentlich aus nationaler Verantwortung zustimmen. Ich glaube, das wäre die beste Lösung, um diese Konflikte zu bewältigen.
({7})
Frau Wieczorek-Zeul, der Begriff „nachbessern" hat mir nicht gefallen; er wurde auch an anderer Stelle verwendet. Das klingt so, als müsse man nachsitzen, weil man keine ordentliche Arbeit geleistet hat.
({8})
Eine solche Meinung wäre aber gerade im Hinblick auf den WWU-Vertrag nicht richtig. Es ist das Optimale erreicht worden. Wenn wir es allerdings so interpretieren, daß wir weiterarbeiten müssen, würde ich selbst diesem Begriff zustimmen. Ich meine aber, der Begriff „weiterverhandeln" ist besser als der Begriff „nachbessern".
({9})
Der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Stabilitätsanforderungen des WWU-Vertrags nicht nur erfüllt, sondern sogar übererfüllt. Dies verdient genauer betrachtet zu werden.
In § 3 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank heißt es schlicht, daß die Bundesbank die Währung zu sichern habe. In § 12 heißt es:
Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgaben die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen.
In dem neu ausgehandelten Vertrag von Maastricht heißt es in Art. 105 - ich zitiere -:
Das vorrangige Ziel des europäischen Systems der Zentralbanken ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB
- das sind die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken in der EG die allgemeinen Wirtschaftspolitiken in der Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren, diese Festlegung auf die Priorität der Geldwertstabilität ist eindeutiger als die im Bundesbankgesetz. Diese von Deutschland durchgesetzte Formulierung bedeutet nichts anderes als die klare Festlegung: Unterstützung durch das europäische Zentralbankensystem in der Wirtschaftspolitik, der Strukturpolitik, der Konjunkturpolitik ausschließlich dann, wenn dadurch der Geldwert nicht gefährdet wird. Das ist eine sehr stringente Vorgabe. Das ist mehr, als in unseren deutschen Gesetzen festgelegt ist.
Ähnliches gilt für die Unabhängigkeit der Leitungsorgane der Europäischen Zentralbank. Hier gibt es eine klare Regelung. Während es im Bundesbankgesetz schlicht heißt, daß die Bundesbank bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach dem Bundesbankgesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig ist, steht in Art. 107 des neu ausgehandelten WWU-Vertrags ausdrücklich, daß bei Wahrung der in diesem Vertrag und in der Satzung der ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten weder die EZB - man muß sich an die neuen Abkürzungen wirklich gewöhnen - noch eine Zentralbank eines Mitgliedstaats, noch ein Mitglied ihrer Beschlußorgane Weisungen von Organen oder Institutionen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder annehmen dürfen.
Dann wird noch eines draufgelegt, meine Damen und Herren. Es heißt ausdrücklich - das hat mich in dieser Deutlichkeit überrascht -:
Die Organe und Institutionen der Gemeinschaft sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diese Grundsätze zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlußorgane der EZB und der Zentralbanken der Mitgliedstaaten bei der Wahrung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.
Mögen diejenigen, die das formuliert haben, dabei an die Eleganz des Einflusses französischen Etatismus
gedacht haben oder an sizilianische Versuchungen - der Vertragstext läßt auch hier keinerlei Spielraum für verfälschende Interpretationen.
Entscheidend ist auch, daß nach diesem Vertrag die Vorgabe von wechselkurspolitischen Richtlinien durch politische Instanzen nicht mehr möglich ist.
Der Mann auf der Straße fragt sich, wo eigentlich das deutsche Interesse an einer derartigen Währungsunion ist. Wir können ihm antworten, daß die deutsche Volskwirtschaft vor allen Dingen vom Handel mit anderen Ländern lebt, mehr als jede andere Volkswirtschaft auf dieser Erde. Mehr als ein Drittel unseres Bruttosozialprodukts wird im Export erwirtschaftet. Davon gehen allein 60 % an die europäischen Nachbarländer. Die deutsche Volkswirtschaft hängt also in hohem Maße auch von der wirtschaftlichen Stabilität unserer Partnerländer ab. Deshalb haben wir Deutschen ein großes Interesse an stabilen Verhältnissen in den anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft. Stabiles Geld und solide Staatsfinanzen in unseren Partnerstaaten entscheiden mit darüber, ob bei uns in Deutschland Wachstum und Beschäftigung auf Dauer gesichert sein können.
Der Finanzminister hat hervorgehoben, daß der WWU-Vertrag ein Stabilitätspakt ist. Das Ergebnis dieses Stabilitätspaktes werden mehr Wohlstand und stabileres Wachstum in ganz Europa sein. Aus der Stabilitätsgemeinschaft, meine Damen und Herren, wird eine Wachstumsgemeinschaft werden. Ich bin ganz sicher, daß sich die Engländer letztlich sehr schnell anschließen werden; denn wo Erfolg ist, ist auch Gefolgschaft.
Lassen Sie mich noch zu einem Aspekt, der von Herrn Wieczorek angesprochen wurde - er hat sich zu den möglichen Problemen des Kohäsionsfonds geäußert -, etwas sagen. Ich glaube, daß sich keine Probleme aus diesem Fonds - auch wenn er einmal dotiert sein wird - ergeben. Es ist vernünftig, in Umwelt- und Verkehrsfragen eine Unterstützung zu geben.
Allerdings müssen wir den Partnern heute sagen, daß es sich bei diesem Vertragswerk um eine Währungsunion und nicht um eine Umverteilungsunion handelt. Es darf sich also nicht eine bequeme Nehmermentalität entwickeln. Eine langfristige Angleichung des Wohlstandsniveaus ist nur durch die Entwicklung der Produktivkräfte in den einzelnen Ländern möglich, nicht aber durch das Zukleistern von Defiziten mit Geschenken.
Noch eine Erwartung zum Schluß. Der Deutsche Bundestag hat - in Übereinstimmung mit der Bundesregierung - wiederholt gesagt: Wir wollen die Europäische Zentralbank in Frankfurt.
({10})
Jetzt ist das Europäische Währungsinstitut verankert. Es ist gut, daß dieses Währungsinstitut vor allem die Aufgabe hat, die vielen komplizierten technischen Vorbereitungsarbeiten für die Europäische Zentralbank zu leisten. Und es ist noch besser, daß dieses Institut kein eigenes Geld emittieren kann. Am besten jedoch wäre es, wenn auch dieses Institut in Frankfurt angesiedelt würde. Frankfurt ist zum Symbol deutscher Geldwertstabilität geworden. Dieses Symbol soll auch für die Europäische Gemeinschaft gelten. Das Europäische Währungsinstitut als Vorbereitungsinstitution kann also seinen Platz nur dort haben. Das wäre ein guter Start auf der Basis dieses hervorragenden WWU-Vertrages.
Ich bedanke mich.
({11})
Nun erteile ich dem Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, dem Minister für besondere Aufgaben, Wolfgang Clement, das Wort.
Minister Wolfgang Clement ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa und die Europäische Gemeinschaft haben viel mit Symbolen zu tun. Auch die Länder sind von dieser europäischen Symbolik betroffen.
Bei der feierlichen Eröffnung der Europäischen Regierungskonferenz in Rom vor gut einem Jahr, im Dezember 1990, saßen die Ministerpräsidenten der Länder mit am Verhandlungstisch. Sie durften zwar nicht mitreden, aber am Verhandlungstisch mit dabeisein. Am Ende, in Maastricht, waren die Länder wieder vor die Tür verbannt. Wir durften zwar in der Delegation mitreisen, aber am Verhandlungstisch waren wir nicht mehr erwünscht. Wir haben also, meine Damen und Herren, die Streichung des Begriffs „Föderalismus" aus dem Vertrag der Politischen Union gewissermaßen am eigenen Leibe verspürt.
Wenn ich diese Symbolik noch etwas tiefergehend interpretieren darf, dann würde ich sagen, daß Maastricht eine Veranstaltung nach dem Motto war: Alle Gewalt geht vom Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs aus. Es ist klar, daß die Föderalisten, daß die Parlamente der Länder, des Bundes und das Europäische Parlament damit am Nerv getroffen werden können. Ich würde den Staats- und Regierungschefs nahelegen, sich in der Wissenschaft umzutun, um zu erkennen, daß das, was der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs zur Zeit durchführt, beschließt, eine Art Vorläufer eines europäischen Präsidialsystems ist, das selbstverständlich an den Nerv des Parlamentarismus geht.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Schäuble hat gefragt, ob man von Maastricht mehr hätte erwarten können. Meine Antwort lautet: Man hätte von Maastricht mehr erwarten müssen.
({2})
Und „mehr erwarten müssen" bezieht sich insbesondere auf die parlamentarischen Rechte der Vertreter der Bürgerinnen und Bürger in Straßburg.
({3})
Die Länder haben wie der Bundeskanzler vor dem Gipfel den gleichgewichtigen Fortschritt der beiden Regierungskonferenz en zur Währungsunion und Politischer Union gefordert. Ich denke, das ist heute in der Debatte ausreichend deutlich geworden: Diesen gleichgewichtigen Fortschritt gibt es nicht. Es gibt ein ziemlich präzise formuliertes Vertragswerk für die
Minister Wolfgang Clement ({4})
Währungsunion, aber es wäre übertrieben, in Sachen Politischer Union von einem Durchbruch zu sprechen. Die „FAZ" hat recht - Frau Wieczorek-Zeul hat es zitiert - : Was herausgekommen ist, ist eine hinkende Union - genau das, was der Bundeskanzler hatte verhindern wollen.
Wir als Länder haben nicht nur den Gleichklang von Währungsunion und Politischer Union, sondern auch einen sozialen Fortschritt gefordert, der mit dem Fortschritt in Europa Schritt halten muß. Das ist die bitterste Enttäuschung von Maastricht. Großbritannien hält sich außen vor. Was dahintersteht, ist an Zynismus schwerlich zu überbieten. Was dahintersteht, ist die Absicht der britischen Regierung, mit Sozialdumping wirtschaftliche Vorteile im Standortwettbewerb zwischen den Regionen in Europa zu gewinnen.
({5})
Das ist fast unverhohlen vom britischen Premier erklärt worden. Es gehört zu den am schwersten zu ertragenden Ergebnissen und Erfahrungen dieses Gipfels, daß nicht verhindert werden konnte, daß sich die britische Regierung aus dem sozialen Fortschritt in Europa ausklinken konnte.
Ein Preis für die vereinbarte Wirtschafts- und Währungsunion ist der Kohäsionsfonds, der zum Ziel hat, die ökonomisch noch zurückhängenden Regionen und Mitgliedsstaaten in Europa voranzubringen. An diesem Ziel der Herstellung möglichst gleicher Lebensverhältnisse in Europa gibt es prinzipiell nichts zu deuteln. Aber für die Länder möchte ich nach den Erfahrungen mit dem Vertrag zur deutschen Einheit und seinen finanziellen Auswirkungen auf Länder und Gemeinden hier anmelden, daß wir an den Verhandlungen über die Ausgestaltung des Kohäsionsfonds von Anfang an wie bei den Regierungskonferenzen beteiligt werden wollen, zumal wir damit rechnen müssen, daß die Auswirkungen wiederum die Länder und die Gemeinden treffen.
({6})
Ich stehe nicht an, zu sagen, daß der Papierform nach die Ergebnisse von Maastricht, soweit sie die föderalen Ansätze im Vertragswerk betreffen, mehr für uns erbracht haben, als wir in den letzten Wochen vor dem Gipfel erwarten konnten.
({7})
- Sie müssen verstehen, daß es auch Grundsätze gibt, die die Länder betreffen.
({8})
Wir sind ja an einem europäischen Gesamtwerk interessiert. Das ist auch das Interesse der Länder, die hier - ich spreche für den Bundesrat - selbstverständlich auch das Ganze zu beurteilen haben.
Der Papierform nach spreche ich über die föderalen Ansätze. Die föderalen Ansätze, über die ich spreche, betreffen bespielsweise die Subsidiaritätsformel. Der Bundeskanzler hat dies hervorgehoben. Ich möchte ihm anworten: Für uns gibt es auch hinsichtlich dieses Prinzips keinen Grund zum Jubel. Beim Subsidiaritätsprinzip haben sich die Regierungschefs nämlich leider nicht zu einer klaren Absage an zentralistische Entwicklungen in Europa durchringen können. Was erreicht worden ist, ist eine Kompromißformel, um das Äußerste, nämlich eine zentralistische Optimierungsformel - hätte ich beinahe gesagt - auf europäischer Ebene, zu verhindern.
Der Regionalausschuß, wie er jetzt vereinbart worden ist, ist in seiner Ausgestaltung für uns als erster Schritt akzeptabel. Es wird ja danach ein eigenständiger Ausschuß der Regionen gebildet, in dem Deutschland 24 Sitze hat. Die Mitglieder werden vom Rat auf Vorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten ernannt. Dabei bleibt es dem innerstaatlichen Verfahren überlassen, den Status der Mitglieder und die Auswahl zu regeln.
In der Bundesrepublik Deutschland werden sich die Länder über die Besetzung des Regionalausschusses verständigen. Dieser Ausschuß muß eine Vertretung der unmittelbar unterhalb der Mitgliedstaaten angesiedelten Ebene, also der dritten europäischen Ebene, sein. Das heißt, um dies unzweideutig zu sagen: Die Kommunen werden den bei der Kommission bestehenden Beirat für regionale und lokale Gebietskörperschaften dann zur alleinigen Vertretung ihrer Interessen nutzen können. Ich glaube, daß eine solche klare Trennung zwischen Regionalausschuß für die Länder und Regionen und Beirat für die Kommunen sowohl den Interessen der Länder als auch denen der Kommunen am ehesten entspricht.
Bedeutsam ist aus unserer Sicht insbesondere Art. 146, der auf belgischen Vorschlag - leider nicht auf deutschen Vorschlag - in die Verträge hineingekommen ist. Er sieht vor, daß die Interessen der Länder und Regionen der Bundesrepublik Deutschland im Ministerrat künftig auch von Vertretern der Länder wahrgenommen werden können, jedenfalls dann, wenn sie unmittelbar betroffen sind, also bei Bildung, Wissenschaft, Kultur, Medien etc.
Es kommt hier wie auch in anderen Bereichen jetzt sehr darauf an, wie dieser Art. 146 in innerstaatliches Recht umgesetzt wird. Wir werden dann feststellen können, inwieweit insbesondere Sie, Herr Bundesaußenminister, föderale Prinzipien inzwischen verinnerlicht haben.
Die Länder waren mit dem Ziel angetreten - das ist hier erklärt worden, aus meiner Sicht allerdings als aus der falschen Richtung - , die Kompetenzen der Gemeinschaft so weit wie möglich eindeutig und klar zu beschreiben und damit auch zu begrenzen. Für den Fall, daß das gelungen wäre, wären wir bereit gewesen, uns der Abstimmung durch qualifizierte Mehrheiten zu unterwerfen. Leider ist es auf den Konferenzen bis zum Gipfel hin nicht gelungen, solche klaren Kompetenzabgrenzungen zu erreichen. Deshalb mußten die Länder in der Schlußphase der Verhandlungen die Notbremse ziehen und in den Bereichen ihrer ureigenen Kompetenzen auf Einstimmigkeit bestehen.
Wir sind froh, daß das für den Bereich der Kultur und der Medien erreicht worden ist, daß sich der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister dem ange5832
Minister Wolfgang Clement ({9})
schlossen haben. Wir bedauern, daß das für den Bereich der Bildung und der Gesundheit nicht gelungen ist. Deshalb muß ich darauf hinweisen, daß es vor einer endgültigen Bewertung einer sehr sorgfältigen Analyse dieser Normen bedarf. Dabei ist zu prüfen, in welchem Umfang der Kommission möglicherweise unkalkulierbare Handlungsbefugnisse eingeräumt worden sind, die für die Länder in den Bereichen ihrer ureigenen Kompetenzen nicht hinnehmbar wären.
Für die Länder wird die abschließende Bewertung entscheidend davon abhängen, welche Verbesserungen des innerstaatlichen Beteiligungsverfahrens jetzt erreicht werden können. Da geht es nicht nur um die bisher von der Bundesregierung nicht akzeptierte Forderung nach einem Klagerecht der Länder vor dem Europäischen Gerichtshof; da geht es, wie gesagt, auch um die Ausführungsvorschriften zu Art. 146, also um die Mitwirkung der Länder im europäischen Ministerrat, und es geht um die aus unserer Sicht notwendige Bindung der Bundesregierung bei Maßnahmen nach Art. 235 - dem Einfallstor für schleichende Kompetenzanmaßung durch die Kommission - an die Zustimmung durch den Bundesrat.
Ich habe mit Genugtuung vernommen, daß der Bundeskanzler erklärt hat, die Bundesregierung habe den festen politischen Willen, im Rahmen des Ratifikationsverfahrens zu einer vernünftigen und angemessenen Fortschreibung der Beteiligung der Bundesländer in Fragen der Europäischen Gemeinschaft beizutragen. Das ist so allgemein wie hoffentlich verbindlich. Wir werden die Bundesregierung an diesem Wort selbstverständlich messen. Ich denke, daß wir sehr schnell zu sehr viel konkreteren Gesprächen über diese Fragen der innerstaatlichen Beteiligung kommen müssen als bisher. Bisher haben wir - das müssen wir sagen - weder in der Bundesrepublik noch in Europa festen föderalen Grund unter den Füßen. Bis dahin sind noch ein paar Meter zu gehen.
Schönen Dank.
({10})
Ich erteile der Abgeordneten Frau von Teichman das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Clement, mir scheint Ihr Jammern und Klagen doch reichlich überzogen zu sein; denn gegen den erklärten Widerstand der anderen Länder der Europäischen Gemeinschaft haben wir ein föderales Gremium geschaffen, haben wir den Regionalausschuß durchsetzen können. Wir haben auch erreicht - wenn ich „wir" sage, meine ich auch uns als die die Regierung tragenden Fraktionen - , daß das Subsidiaritätsprinzip justitiabel in den Verträgen verankert worden ist. Das ist ein ganz entscheidender Schritt. Man muß wirklich sehen: Die anderen Länder haben diese Prinzipien nicht. Gegen ihren Widerstand sind diese Bestimmungen in die Verträge aufgenommen worden.
Maastricht ist von daher nicht Waterloo. Die drohende Niederlage für Europa und für uns alle, mit der wir nach all den Schwierigkeiten der letzten Wochen und Monate rechnen mußten, ist abgewendet worden.
Herausgekommen ist letztlich ein Erfolg, auch wenn lange nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten. Dafür gebührt den Konferenzteilnehmern Dank, ganz besonders unserer deutschen Verhandlungsdelegation, die es verstanden hat, mit Geschick und Beharrlichkeit die Interessen unseres Landes zu vertreten, ohne unseren Partnern Anlaß zur Sorge vor deutscher Dominanz zu geben.
({0})
Europa ist in dieser Woche ein gutes Stück vorangekommen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion. Es gilt auch für die Schaffung der europäischen Bürgerschaft mit ihrer Ausweitung des Aufenthaltsrechts und der Möglichkeit, sein Recht der Wahl zum Europaparlament an jedem Ort der Europäischen Gemeinschaft auszuüben, und - das ist in meinen Augen besonders wichtig - für die Schaffung des kommunalen Wahlrechts.
Dies sind doch, meine Damen und Herren, erste klare Elemente einer bundesstaatlichen Verfassung, auch wenn das einheitliche Wahlrecht für die Europawahl einstweilen noch nicht geschaffen werden konnte. Das mag sich ja ändern, wenn die Liberalen in Großbritannien ein Wort mitzureden haben.
({1})
Was Maastricht für das Europäische Parlament an zusätzlichen Möglichkeiten gebracht hat, insbesondere den Einstieg in das Mitentscheidungsverfahren, ist unter den gegebenen Umständen sicher nicht geringzuschätzen. Aber gemessen an dem, was notwendig wäre, um das Defizit an demokratischer Kontrolle der europäischen Institutionen zu beheben, ist es eher bescheiden.
({2})
Nur, keine noch so geschickte Diplomatie kann das Problem der Quadratur des Kreises lösen und objektiv unvereinbare Positionen in Einklang bringen.
Die Rechte des Europaparlamentes bleiben auf der Tagesordnung. Die nächste Konferenz ist fest terminiert. Spätestens dann muß der nächste Schritt getan werden.
({3})
Aus deutscher Sicht bedauerlich ist natürlich, daß die Erhöhung der Abgeordnetenzahl um die 18 Abgeordneten aus den neuen Bundesländern noch nicht endgültig festgelegt werden konnte. Ich bin aber zuversichtlich, daß dies im Laufe des nächsten Jahres gelingen wird und daß diese Frage spätestens im Zuge der neuen Beitrittsverhandlungen gelöst werden wird.
Enttäuschend ist, daß nicht alle Mitgliedstaaten bereit waren, der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik die Kompetenzen und die Entscheidungsverfahren zu übertragen, die dringend erforderlich sind, um endlich auch
gemeinschaftlich handlungsfähig zu werden. Aber so vollzieht es sich nun einmal in der Europäischen Gemeinschaft. Der europäische Einigungsprozeß verläuft seit 35 Jahren so: nicht im revolutionären Eiltempo, sondern in kleinen Schritten und mühsamen Kompromissen.
Maastricht ist aber nicht nur ein Ereignis von Bedeutung für die Mitgliedstaaten der EG. Weil es den Willen und die Fähigkeit der Gemeinschaft zur Weiterentwicklung der europäischen Union demonstriert hat, wird es auch für unsere Nachbarn im Osten und Südosten Europas ein positives Signal sein. Für diese Länder ist die EG Hoffnung und Ziel zugleich. Ein Rückschlag in Maastricht wäre auch ein Rückschlag für diese Hoffnungen gewesen.
Die EG muß sich jetzt verstärkt den jungen Demokratien, den ehemaligen Ostblockstaaten, dem Baltikum und den sich neu bildenden Staaten auf dem Gebiet der bisherigen Sowjetunion, zuwenden, damit diese Hoffnungen Realität werden. Zeitgleich mit den anstehenden Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden und vielleicht auch anderen Staaten müssen politische Signale gesetzt werden, die den ost-
und südosteuropäischen Staaten eine konkrete Perspektive für die Annäherung an die EG und, wenn sie dies wünschen, schließlich für die Mitgliedschaft geben.
({4})
Alles in allem, meine Damen und Herren, ist Maastricht kein sensationeller Durchbruch, aber ein vernünftiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere müssen folgen, und zwar bald. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, gemeinsam in dem Sinne, wie es unsere beiden letzten Entschließungsanträge hier im Hause waren. Lassen Sie uns auch Überzeugungsarbeit bei unseren britischen Freunden leisten, damit das Wort „föderal" vielleicht doch noch seinen ganz unverdienten Schrecken verliert, und auch bei unseren eigenen Landsleuten, die durch das vielstimmige Echo auf Maastricht vielleicht verunsichert sein könnten.
Ich möchte mit folgenden Worten, etwas frei nach Churchill, schließen: Maastricht ist nicht das Ende der europäischen Entwicklung, noch nicht einmal der Anfang ihres Endes, aber vielleicht das Ende ihres Anfangs. Der europäische Einigungsprozeß hat in dieser
Woche eine neue Qualität gewonnen. Trotz allem geht es mit Europa voran.
({5})
Nachdem wir nun am Schluß der Aussprache sind, kann ich den Zusatzpunkt 14 aufrufen:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Überwachung und Kontrolle der Großkredite von Kreditinstituten
- Drucksachen 12/849 Nr. 2.1, 12/1809 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl H. Fell Martin Grüner
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen, so daß wir gleich zur Abstimmung kommen können. Ich lasse also über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 12/1809 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von zwei Mitgliedern der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.
Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich möchte mich bei denjenigen, die die Geduld gehabt haben, bei dieser wichtigen Debatte bis zum Schluß anwesend zu sein, herzlich bedanken und Ihnen und Ihren Angehörigen ein frohes Weihnachtsfest, gute Erholung und ein glückliches, vor allem friedvolles neues Jahr wünschen. Diese Wünsche sind nicht nur die meinen, sondern auch die der Kolleginnen und Kollegen aus dem Präsidium und gelten auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Nun bleibt mir nur noch übrig, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Januar 1992, 13 Uhr einzuberufen und Ihnen eine gute Heimfahrt zu wünschen.
Die Sitzung ist geschlossen.