Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich komme gleich zur Verlesung der Mitteilung: Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zu erweitern. Der Zusatzpunkt soll nach Tagesordnungspunkt IV aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann haben wir es so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 ({0})
- Drucksachen 12/1000, 12/1329 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
Einzelplan 04
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes
- Drucksachen 12/1404, 12/1600 - Berichterstattung:
Abgeordnete
Rudi Walther ({2}) Dietrich Austermann
Ich weise darauf hin, daß über diesen Einzelplan gegen 14.45 Uhr namentlich abgestimmt werden soll.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache fünf Stunden vorgesehen. - Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich mich zunächst nicht an die Regierung, sondern an meinen Vorgänger im Amt, an Hans-Jochen Vogel, wende.
Wir kennen ihn alle, wir von der sozialdemokratischen Opposition natürlich noch ein bißchen besser als die Damen und Herren der Regierungsfraktionen. Sie haben ihn zumeist als Gegner erlebt, und das trägt nicht unbedingt dazu bei, in den Kategorien von Sympathie zu denken. Ein leichter, angenehmer Gegner ist er Ihnen nie gewesen. Aber trösten Sie sich: Auch uns hat er bisweilen harsch auf den Weg politischer Tugend zurückgeführt. Manch einer hat unter der Fuchtel seines unerbittlichen Wiedervorlagesystems gelitten.
Gleichwohl haben wir ihn nicht nur respektiert. Wir mögen ihn so, wie er ist. Wir wissen, was wir ihm zu danken haben.
({0})
Wir wissen es - und die Menschen auch, vor allem die in den östlichen Bundesländern. Er war ihr überzeugter Anwalt und wird es bleiben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, das ganze Haus kann mir zustimmen, wenn ich sage: Der Parlamentarier Vogel war nicht nur ein Kärrner der Opposition, sondern er war und ist auch ein Kärrner der parlamentarischen Demokratie, die auszubauen und zu bewahren unsere gemeinsame Aufgabe ist.
({2})
Erlauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren, auch ein Wort an die Adresse des Kollegen Dr. Dregger. Auch er hat nach langjähriger Tätigkeit als Vorsitzender der größeren Regierungsfraktion sein Amt vor zwei Tagen in andere Hände übergeben. Daß dies kein leichtes Amt ist, weiß ich, weil ich - auf viel kleinerer Ebene - im Hamburger Landesparlament eine Zeitlang Vorsitzender der größeren Regierungsfraktion war. Es ist nicht leicht, einer selbstbewußten Fraktion gegenüber der eigenen Regierung genügend Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen und zugleich, sogar in erster Linie, diese Regierung verteidigen zu müssen. Daß uns, Herr Kollege Dregger, über die Jahre in der Sache mehr getrennt als verbunden hat, liegt in der Natur der Sache. Es ändert nichts
daran, daß wir Ihre parlamentarische Leistung respektieren.
({3})
Der Kollege Schäuble hat mir zur Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der SPD gratuliert. Er hat mir Erfolg gewünscht, damit ich noch möglichst lange die wichtige Aufgabe des Oppositionsführers wahrnehmen könne.
({4})
So ähnlich hätte ich es auch formuliert - das gehört zum Spiel. Zum guten Stil gehört es, ihm meinerseits Glück zu wünschen - heute für das Amt des Vorsitzenden der größeren Regierungsfraktion, morgen für das Amt des Oppositionsführers,
({5})
ein Amt, Herr Kollege Schäuble, daß Sie, wie ich gut verstehe, nicht direkt anstreben. Das ist aber auch nicht nötig; die Rollen werden uns zugewiesen von der Wahlbevölkerung.
Ich wünsche mir, daß unsere Zusammenarbeit - in welcher Rolle auch immer - geprägt wird durch den wechselseitigen menschlichen Respekt und das Bewußtsein, daß wir alle gewählt worden sind, nicht um den Nutzen der eigenen Partei zu mehren, sondern den der Menschen.
({6})
Ich denke, auf einer solchen Basis läßt sich dann auch mit Anstand streiten.
Genug der Vorreden. Es ist an der Zeit, daß ich mich dem Herrn Bundeskanzler zuwende. Denn es geht ja um seinen Haushalt. Sie haben, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, vor wenigen Wochen zwei Länder Lateinamerikas besucht. In Chile haben Sie sich in einen Streit um Menschenrechte eingelassen - das finde ich gut. In Brasilien haben Sie die Problematik der Zerstörung des Regenwaldes angesprochen - auch das finde ich gut.
({7})
Die ganze Reise war in Ordnung in einer Zeit, da viele Menschen und Regierungen, vor allem im Westen und im Süden, über die zukünftige Rolle Deutschlands nachdenken. Werden sich die Deutschen für längere Zeit auf sich selber zurückziehen, auf den notwendigen Wiederaufbau im eigenen Land? Werden sie sich vorrangig um Osteuropa kümmern, weniger um die westlichen Partner? Kann man mit den Deutschen auch künftig international rechnen? Angesichts solcher Fragen war die Reise eine wichtige Geste. Sie sind ja, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ein Freund von Gesten. Manche glücken, manche nicht; diese ist geglückt.
({8})
Doch was bleibt, abgesehen von der Geste? Nehmen Sie einmal das Stichwort Ökologie. Die zunehmende Verarmung der Menschen in den Ländern des Südens, verursacht durch die für sie nachteiligen Bedingungen der Weltwirtschaft, verursacht auch durch das vielfach zu beobachtende Fehlverhalten der dortigen Eliten, führt zu höchst bedenklichen Zerstörungen im weltweiten Ökosystem. Das Land wird durch das Ausbleiben von Landreformen, durch Monokulturen, durch die Zerstörung angepaßter Anbaumethoden, durch Industrialisierung und hohen Düngemitteleinsatz einseitig genutzt und schnell erschöpft. Neue Landflächen werden durch Abholzung von Waldflächen erschlossen. Die großflächige Ausnutzung der natürlichen Reichtümer in Regenwaldgebieten und das Fehlen einer eigenen Energieversorgung in erschlossenen Landstrichen tun ein übriges.
Die Bundesregierung weiß das alles. Die Eliten in den Ländern der Dritten Welt wissen es auch. Wir alle kennen die fatalen Folgen. Dennoch geschieht fast nichts, um diese Entwicklung aufzuhalten. Warum ist das so? Weil die Regierungen des Nordens fast nichts tun, um den Ländern des Südens wirklich zu helfen. Im Gegenteil: Wir zwingen sie geradezu auf einen Entwicklungspfad, der unserem entspricht, wohl wissend, daß das weltweite Ökosystem zusammenbrechen müßte, wenn die Länder des Südens unsere zivilisatorischen Standards übernähmen, wenn sie so lebten und wirtschafteten wie wir.
({9})
Meine Damen und Herren, mit guten Gesten ist es ja nicht getan. Wir müßten helfen - weit über das bisherige Maß hinaus - , und wir müßten endlich anfangen, die Verhältnisse auch bei uns zu ändern, und zwar grundsätzlich.
({10})
Denn wir, die Industrieländer, sind die Hauptverantwortlichen der globalen Umweltzerstörung. Wir wirtschaften nicht nur auf Kosten der Natur, sondern auch auf Kosten der Dritten Welt. Die Industrieländer, die ein Viertel der Menschheit beherbergen, beanspruchen für sich 75 % der kommerziellen Energie. Sie sind für rund 80 % der Kohlendioxidemissionen verantwortlich.
Die Bundesrepublik Deutschland liegt bei der Energienachfrage pro Kopf rund viermal über dem Weltdurchschnitt. Sie hält mit 5,5 % die vierte Stelle in der traurigen Rangfolge der größten Kohlendioxidemittenten. Allein in Nordrhein-Westfalen - so habe ich mir sagen lassen - gibt es genau so viele Autos wie auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Wir wissen das alle. Und Sie, Herr Bundeskanzler, wissen es auch, und Ihr Umweltminister ebenso. Der Reichtum der westlichen Industrienationen, so sagte er kürzlich, beruhe auf einer Wohlstandslüge. Die Entwicklungsländer seien mit den ökologischen Kosten für den wirtschaftlichen Wohlstand in den Industrieländern belastet worden. Sehr gut und sehr richtig! Aber was tun Sie eigentlich, um endlich umzusteuern?
({11})
Der Landwirtschaftsminister hat kürzlich darauf hingewiesen, daß sich der Zustand unserer Wälder in
letzter Zeit durch Luftschadstoffe und anhaltende Trockenheit wieder verschlechtert habe. Was, bitte, folgert er daraus?
Der Umweltminister erwartet von der Einführung weiterer schadstoffarmer Autos einen, wie es heißt, nennenswerten Rückgang der Schadstoffbelastung. Es würden jedoch, so sagt er, zur Eindämmung des Schadstoffausstoßes noch strengere Grenzwerte erforderlich. Ist Ihnen diese Erkenntnis erst jetzt gekommen?
Was bedeutet es, wenn er eine Verordnung ankündigt, die es Regionalbehörden erlaubt, gegebenenfalls den Individualverkehr einschränken oder völlig untersagen zu können? Welches Verkehrskonzept verbirgt sich hinter dieser Ankündigung? Gibt es überhaupt eines?
({12})
Oder wird die Ankündigung von Maßnahmen hier wieder einmal zum Ersatz für konkretes Handeln?
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Was wirklich geschehen müßte, wissen Sie, Herr Bundeskanzler, genau. Der entscheidende Hebel ist die drastische Verringerung des Energieverbrauchs in den Industrieländern.
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Dazu muß - wie wir vorgeschlagen haben - die Energie verteuert werden durch höhere Besteuerung des Energieverbrauchs bei gleichzeitiger steuerlicher Entlastung des Faktors Arbeit. Wir stehen zu diesem Vorschlag, auch wenn gegen ihn polemisiert wird. Denn Politik heute muß immer auch eine Politik für morgen, für zukünftige Generationen sein.
({15})
Nur wenn die Energie teurer wird, werden Verbraucher und Industrie sparen und Produkte fordern und anbieten, deren Energieverbrauch signifikant unter den heutigen Werten liegt. Erst die Verteuerung der Energie macht umweltverträgliche Alternativen, z. B. die Solartechnik, wirtschaftlich attraktiv.
Natürlich, meine Damen und Herren, sehen auch wir, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht allein entscheidet, daß wir Teil der Europäischen Gemeinschaft sind, eng verflochten mit der Weltwirtschaft. Die Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft muß bedacht werden. Es geht aber nicht an, den Klimaschutz - frei nach Minister Möllemann - unter einen ökonomischen Vorbehalt zu stellen. Den könnten wir, wenn überhaupt, nur akzeptieren, wenn wir gleichzeitig erkennen könnten, daß die Bundesregierung jede nur denkbare Anstrengung unternimmt, um auf EG-Ebene in der Sache voranzukommen. Wir sehen keine solche Anstrengung, sondern Showbusineß, ein Hinwursteln von Konferenz zu Konferenz.
({16})
Der Wille zum Umsteuern fehlt. Es wird so getan, als ob etwas getan werde. Mit dieser Als-ob-Politik richten wir unseren Planeten zugrunde.
({17})
Noch eine Zusatzbemerkung, Herr Bundeskanzler, in Ihre Richtung: Sie könnten in Brasilien mit größerer Glaubwürdigkeit für den Schutz der Regenwälder eintreten, wenn Ihre Bilanz im eigenen Land besser wäre.
({18})
Aber der Schutz der eigenen Wälder ist Ihnen nicht einmal eine vernünftige Geschwindigkeitsbegrenzung wert. Wir fordern sie seit langem, leider vergeblich.
({19})
Nun zu einem zweiten Stichwort, anknüpfend an Ihre Reise, Herr Bundeskanzler. In der zunehmenden Verarmung in den Ländern des Südens, in der ungleichen Verteilung der Reichtümer dieser Erde sehen wir zugleich eine Erklärung für ein weiteres Grundproblem: die Armutswanderung. Nach offizieller Statistik sind heute mehr als 15 Millionen Menschen auf der Flucht vor Hunger, ausgelöst durch Katastrophen, durch Gewalt und Unterdrückung.
Diese Menschen wenden ihre Blicke von Süden nach Norden; sie drängen nach Europa. Aber auch innerhalb Europas gibt es ein deutliches Gefälle. Viele Menschen in den vom Kommunismus verwüsteten Ländern Ost- und Südosteuropas drängen nach Westen, vor allem im die Bundesrepublik.
Hier liegt die wesentliche Ursache für das Asylproblem, zu dem dem Kollegen Schäuble bisher nur eines eingefallen ist: Der Art. 16 des Grundgesetzes müsse geändert werden.
({20})
Ist das wirklich die Lösung?
({21})
Zugegeben, die Bundesrepublik Deutschland allein kann die Flüchtlingsproblematik nicht lösen.
({22}) - Wer hätte das je bestritten?
Zugegeben, das Asylrecht des Art. 16 wird mißbraucht.
({23})
Aber wenn ein Recht mißbraucht wird, heißt das nicht - jedenfalls nicht nach unserer Auffassung - , daß das Recht abgeschafft oder eingeschränkt werden muß. Dem Mißbrauch muß begegnet werden.
({24})
Dazu, meine Damen und Herren, haben wir Vorschläge gemacht, die die Regierung akzeptiert hat.
({25})
Seither sind eineinhalb Monate nutzlos verstrichen. Was hindert Sie eigentlich daran, Herr Bundeskanzler, die damals verabredeten Maßnahmen schnell und wirkungsvoll in die Tat umzusetzen?
({26})
- Nichts hindert Sie, aber Sie tun nichts und lassen es zu, daß einige Ihrer Parteifreunde weiter Öl ins Feuer der Emotionen gießen.
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Was soll damit bewirkt werden, wem soll damit wirklich geholfen werden? - Nicht einmal sich selbst helfen Sie; denn Wählerzustimmung werden Sie auf diese Weise nicht auf Ihre Mühlen lenken. Eher erhöhen Sie die Zahl rechtsextremistischer Wähler.
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Der Herr Bundespräsident hat doch völlig recht, wenn er die Parteien mahnt, sich in dieser Situation um die wirklichen Probleme zu kümmern, statt sich gegenseitig in Stellung zu bringen, sich gegenseitig vorzuführen und auf diese Art und Weise Wahlkampfvorteile anzustreben.
({29})
Ein Teil der offenkundigen Probleme, die ja niemand bestreitet, ließe sich mit einer Verfahrensbeschleunigung ausräumen. Wir sollten es mindestens versuchen.
Andere Probleme wie z. B. das Wohnungsproblem muß die Politik durch wirksame Wohnungsbauprogramme lösen.
({30})
Im übrigen gebietet es die Redlichkeit, darauf hinzuweisen, daß die Wohnungsnot in Deutschland nicht durch Asylbewerber verursacht worden ist, sondern durch das Nichtstun der Bundesregierung
({31})
und - so füge ich hinzu - auch durch die Tatsache, daß durch Zuwanderung von Aussiedlern täglich neue Wohnungsnotfälle entstehen.
({32})
Sozialdemokraten haben frühzeitig auf die entstehende Wohnungsnot hingewiesen. Sie aber haben das Problem verharmlost und den sozialen Wohnungsbau praktisch auslaufen lassen.
({33})
Jetzt stehen die Menschen bei den Wohnungsämtern Schlange. Ihr Zorn richtet sich zu Unrecht auf kommunale Behörden. Dabei liegt die Schuld ganz eindeutig bei dieser Regierung, die tatenlos zusieht, wie immer mehr Menschen in die Obdachlosigkeit abgleiten.
({34})
Warum kümmern Sie sich nicht endlich um die wirklichen Skandale?
Statt dessen lenken Sie den in der Bevölkerung verbreiteten Unmut auf eine Gruppe von Zuwanderern, die Asylanten zu nennen wir uns angewöhnt haben,
die weniger als 10 % der insgesamt bei uns lebenden Ausländer ausmachen.
({35})
Im übrigen wissen Sie, Herr Kollege Schäuble, so gut wie ich, daß das weltweite Problem der Armutswanderung mit Gesetzen nicht zu lösen ist. Dazu bedarf es der koordinierten konkreten Hilfe der reichen Industrieländer für die weniger begünstigten Länder des Südens und des Ostens. Ich weiß, die Bundesrepublik Deutschland allein kann es nicht schaffen - das ist richtig - , aber sie kann sich zum Fürsprecher einer forcierten internationalen Entwicklungszusammenarbeit machen, und sie kann das ihr Mögliche tun, aber nicht einmal das tut diese Regierung.
({36})
Was wirklich geschehen müßte, hat mein Fraktionskollege Uwe Holtz wie folgt formuliert: Die Bundesregierung müsse eine präventive Entwicklungspolitik mit dem Ziel betreiben, zumindest auf längere Sicht neue und größere Flüchtlingsströme verhindern zu helfen. Oberstes Ziel der Entwicklungspolitik müsse es sein, zu einer menschenwürdigen, wirtschaftlich produktiven, sozial gerechten, umweltverträglichen und auf Dauer tragfähigen Entwicklung in den Entwicklungsländern und - füge ich hinzu - in den Ländern Osteuropas beizutragen.
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Uwe Holtz hat recht, und Sie, Herr Kollege Schäuble, haben unrecht, wenn Sie den Menschen weiszumachen versuchen, mit einer Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes sei das Asylproblem zu lösen.
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Sie lösen es damit nicht, jedenfalls dann nicht, wenn Sie das Asylrecht als Individualrecht erhalten wollen. Das wissen Sie auch, wie Sie anderswo - z. B. in Hessen bei einer CDU-Veranstaltung - zugegeben haben; in den Zeitungen stand es zu lesen. Wenn Sie es aber wissen und dennoch so tun, als ob, dann erweist sich das ständige Reden über den Art. 16 des Grundgesetzes als Kunstgriff, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.
({39})
Wir handeln nicht mit Kunstgriffen, Herr Kollege Schäuble, sondern wir sind hier, um problemlösende Politik zu machen. Das kann ich in dieser Frage bei Ihnen nicht erkennen, denn auch der Hinweis auf Europa ist, wie sich gezeigt hat, nur ein Ablenkungsmanöver: Zehn von zwölf Regierungen waren gegen Ihre Vorschläge. Was also hilft Ihnen derzeit der Hinweis auf Europa?
({40})
In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Bundeskanzler. Es ist gut, wenn Sie in Chile über Menschenrechtsfragen diskutieren. Genauso wichtig wäre es, den Regierenden in der Türkei
klarzumachen, daß wir von ihnen die Respektierung der Menschenrechte erwarten.
({41})
Es kann nicht hingenommen werden, daß der NATO-Partner Türkei die eigene Bevölkerung unterdrückt und in die Bundesrepublik treibt. Die Kurden verdienen Schutz, und zwar auch dann, wenn sie nicht von Irakern, sondern von Türken verfolgt werden.
({42})
Ich kann nur hoffen, daß sich die Verhältnisse in der Türkei unter der neuen Regierung zum Besseren verändern. Wir werden sehen.
Meine Damen und Herren, einig waren wir uns in diesem Hause bei der Verurteilung von Gewaltaktionen gegen Asylbewerber. Für uns alle gilt, denke ich, der Satz von Karl Jaspers: „Demokratie ist tolerant gegen alle Möglichkeiten, muß aber gegen Intoleranz selbst intolerant werden können." - Deshalb: Gewaltaktionen, deren Ziel es ist, Städte asylantenfrei zu machen, müssen verurteilt, bekämpft, verhindert werden.
({43})
Die Polizei, der diese Aufgabe obliegt, bedarf dazu mehr als nur moralischer Unterstützung. Sie muß tatsächlich in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe zu meistern.
({44})
Das ist vor allem in den östlichen Ländern der Bundesrepublik nicht von heute auf morgen zu schaffen.
({45})
Es muß aber mit Hilfe der westlichen Bundesländer und des Bundes alles getan werden, um die Polizei durch Ausbildung und Ausstattung zu einer verläßlichen und handlungsfähigen, demokratisch motivierten Einheit zu machen,
({46})
besonders in den östlichen Ländern, denn dort ist nach den Jahren der erzwungenen Ruhe die Verunsicherung und dementsprechend das Sicherheitsbedürfnis besonders groß.
({47})
Meine Damen und Herren, es gibt kein monokausales Erklärungsmuster, aber die allgemeine Erfahrung sagt uns, daß Frieden und Unfrieden in einer Gesellschaft etwas mit der materiellen Lebenswirklichkeit zu tun haben. Verarmungsprozesse ausgegrenzter Gruppen, das Gefühl, zu kurz zu kommen, nicht die gleichen Lebenschancen zu haben, die andere mit Selbstverständlichkeit für sich in Anspruch nehmen, das alles fördert die Bereitschaft zum Konflikt und die durch nichts anderes als die eigene Benachteiligung begründete Überheblichkeit gegenüber anderen, gegenüber Ausländern. Rassismus und Gewalt sind
eben auch Signale der Not, der Angst und der Sinnerschöpfung.
({48})
Dies, meine Damen und Herren, kann die Polizei nicht beheben. Da ist die Politik gefordert. Sie, Herr Bundeskanzler, sind gefordert, denn Sie regieren. Sie werden an dem Urteil von Hannah Arendt gemessen:
Wo die Reform nicht gelingt, wird das Ergebnis schließlich sein, daß die Welt gewalttätiger geworden ist, als sie es vorher war.
({49})
Hier liegt Ihr Problem, Herr Bundeskanzler, das Sie übrigens subjektiv mit der Bemerkung, keinem werde es nach der Einheit schlechtergehen, größer gemacht haben, als es tatsächlich ist. Die Enttäuschung ist entsprechend größer.
({50})
Herr Bundeskanzler, ich habe, wie Sie wissen, Ihre Deutschlandpolitik unterstützt, soweit es um das Ziel der deutschen Einheit und den Zeitablauf ging. Ich war wie Sie für ein zügiges Vorgehen, nicht aus nationalen Gründen, sondern weil ich wußte, daß die Einheit kommen mußte, sobald die Menschen in Ostdeutschland anfingen, den Traum vom besseren Leben konkret zu träumen. Ich war zudem wie Sie der Meinung, daß man die Zustimmung der Sowjetunion gewinnen müßte, solange dieses zerfallende Imperium noch verläßlich agieren konnte. Aus diesen Gründen hatten Sie nach meiner Auffassung bei der Frage des Tempos recht. Sie hatten aber unrecht bei der allzu rosigen Beschreibung der Einheitsfolgen, bei der Einschätzung der Schwierigkeiten, die sich nach der Einheit für die Menschen vor allem im Osten ergeben würden. Da hatte Oskar Lafontaine recht. Und wie recht er hatte!
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Niemand kann es dieser Bundesregierung übelnehmen, daß sie bei der Einheit Deutschlands in den Kategorien der staatlichen Einheit gedacht hat, denn auch diese Arbeit mußte getan werden. Aber eine gute Regierung hätte das als notwendiges Pflichtprogramm erledigt und sich vorrangig um die Menschen, ihre soziale Situation, ihre Arbeitsmöglichkeiten, ihr Fremdsein in der neuen Ordnung gekümmert und hätte ihre teils großen, teils ängstlichen Hoffnungen und Wünsche in den Mittelpunkt gestellt.
Statt aber zu fragen und sich raten zu lassen, wie sich die Menschen im Osten selbstbewußt selber helfen könnten, statt zu fragen, was denn geschehen müßte, damit den Menschen in den neuen Ländern nach der Freiheit auch politische Teilnahme, Demokratie, sozialstaatliche Gemeinschaft wichtig und attraktiv erscheinen, hat diese Bundesregierung offenbar nur eines im Sinn gehabt: Wie kann es gelingen, daß sich 17 Millionen Rädchen möglichst schnell im System drehen? Der Markt wird es schon richten, lautete der Rat Ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Freunde,
({52})
und bei einigen von ihnen konnte man, wenn man genau zuhörte, sogar vernehmen, die unbeschreibliche Wucht der Marktgesetze habe auch den Vorteil, daß sie die konkurrenzunfähige Spreu vom leistungsstarken Weizen trenne.
Die Bundesregierung ist so auf dem besten Weg, mit ihrer Politik Ressourcen zu verbrauchen, die wir für unser Gemeinwesen genauso nötig haben wie materielle und natürliche Ressourcen, die immateriellen, wohlfahrtsstaatlichen und demokratischen Werte und Institutionen der Allgemeinheit.
({53})
Meine Damen und Herren, die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben aus geschichtlicher Erfahrung diese Gefahr gesehen, als sie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Grundgesetz festlegten:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Nach allem, was wir heute über die Bedingungen des Wohls der Allgemeinheit wissen, bedeutet dies, daß unsere Verfassung nicht nur die Sozial-, sondern auch die Umweltverpflichtung des Eigentumsgebrauchs festgelegt hat. Ich wüßte nicht, wann diese Regierung und die sie tragenden Parteien bei ihrer Förderung privaten Eigentums und individueller Leistung jemals Rechenschaft abgelegt hätten, ob und inwiefern dies dem Wohle der Allgemeinheit dient.
({54})
Hätten wir oder, genauer, hätten Sie denn die Soziale Marktwirtschaft als politisch, rechtlich und institutionell gesichertes System von markt- und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen überhaupt erfinden müssen, wenn die bloße Verfolgung des privaten Eigennutzes schon aus sich heraus gesellschaftliche Wohlfahrt und friedliebende Zivilisation schaffen würde?
In grauer Vorzeit hat die FDP einmal um diesen Zusammenhang gewußt, als sie in ihren Freiburger Thesen 1972 schrieb - ich zitiere - :
Zwar mag das individuelle Streben nach Mehrung des persönlichen Vorteils in seiner überindividuellen Auswirkung zur Steigerung des allgemeinen Wohls beitragen. Doch von bestimmten Grenzen an bewirken alle diese so förderlichen menschlichen Antriebe, wo sie zur Übervorteilung des einen durch den anderen führen können, die Zerstörung auch des allgemeinen Wohls.
({55})
Über die Vorzüge der Marktwirtschaft brauchen wir nicht mehr zu streiten. Sie sind offensichtlich.
({56})
Es wäre aber falsch, die Marktwirtschaft als politisches Gestaltungsinstrument zu ideologisieren. Denn wir wissen heute auch, daß von Beginn des modernen Industriesystems an die sozialen Institutionen, wie Familie, Schule, Kirche, die bindenden Werte und Verhaltensmuster, wie Toleranz, Solidarität und soziale Disziplin, aber auch die sozialen Sicherungssysteme
und der geschaffene Sozialstaat immer in der Gefahr standen, von der Logik und der Dynamik des wirtschaftlichen Prozesses unterspült oder zerrieben zu werden. Soziale Wohlfahrt bedarf des Marktes und der Leistung. Aber sie ist kein Produkt des Wirtschaftsprozesses.
({57})
Sie muß z. B. von Gewerkschaften erkämpft, von der Politik gestaltet, gefördert und entwickelt werden. Unser System läßt dies nicht nur zu, sondern setzt geradezu voraus, daß dies geschieht.
Die Bundesregierung sieht das offenbar anders. Jedenfalls sind die Resultate ihrer Politik eher bedrükkend.
({58})
Von den 100 % Sozialhilfeempfängern in den östlichen Bundesländern sind ca. 50 % unter 25 Jahre; eine wirklich erschreckende Zahl. Sie erscheint mir indessen plausibel, denn wir wissen doch, daß auch in der alten Bundesrepublik ein überproportional hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen in Haushalten lebt, die auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Überhaupt hat die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 1980 bis 1989, also im wesentlichen in Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, erschreckend zugenommen. Sie hat sich fast verdoppelt, bei der Altersgruppe der 18- bis 25jährigen sogar mehr als verdoppelt. Der von Peter Glotz geprägte Begriff der Zweidrittelgesellschaft erweist sich zunehmend mehr als zutreffende Beschreibung unserer Realität.
Zur Situation der Jugendlichen im Osten noch eine kleine Randnotiz. Daß man diesen Jugendlichen, deren Identitätsprobleme ich mir vorzustellen versuche, jenen kleinen, aber vielleicht doch nicht ganz so bedeutungslosen Punkt der Identifizierung, das Programm des Jugendsenders DT 64, ohne Not wegnimmt, ist nur ein Beispiel für die Art und Weise, wie man die Einheit nicht gestalten sollte.
({59})
Ich verweise auf die Situation der Frauen, die von Arbeitslosigkeit überproportional betroffen sind. Ihnen sind die Rahmenbedingungen für die eigene Berufstätigkeit, nämlich die garantierte Möglichkeit der Kinderbetreuung, weitgehend genommen worden. Hätten wir nicht in diesem Punkt etwas von der Lebenswirklichkeit der alten DDR übernehmen können? Das war immerhin eine Errungenschaft, eine der ganz wenigen.
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Eine andere: das Selbstbestimmungsrecht der Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, was veranlaßt Sie eigentlich dazu, jetzt Regelungen durchzudrükken, die von den Frauen dort wie hier als diskriminierend und lebensfremd angesehen werden?
({61})
Sie wissen doch: Werdendes Leben ist durch Strafandrohung nicht zu schützen. Ist Ihr Mißtrauen gegenüber der Verantwortungsbereitschaft der Frauen so groß? Unser Vorschlag einer Fristenregelung unterstellt diese Verantwortungsbereitschaft. Er will helfen, nicht strafen.
Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Bundesregierung die Frauen in den neuen Bundesländern zu den Verliererinnen der deutschen Einheit macht.
({62})
Unsere Aufgabe, die rechtliche und soziale Gleichberechtigung von Frau und Mann in Gesamtdeutschland durchzusetzen, wird damit zu einer neuen, großen Herausforderung.
({63})
Bedenken Sie die Situation der Älteren in unserer Gesellschaft. Das ist keine Randgruppe, sondern wird zunehmend mehr die Mehrheitsaltersgruppe. Unsere Gesellschaft wird laufend älter; das wissen wir. Ich habe aber Zweifel, ob uns schon völlig klar ist, was das bedeutet, z. B. für die angesprochene Frage der Zuwanderung.
Klar ist jedenfalls, daß wir auch die sozialen Probleme dieser Altersgruppe keineswegs gelöst haben. Es gibt, wie der Bundesarbeits- und Sozialminister sehr wohl weiß, das Problem der Altersarmut: Es ist weiblich. Wo bleibt das Konzept zur Verbesserung der rentenrechtlichen Stellung der Frau? Und vor allem: Wann endlich bringen Sie die Pflegeversicherung auf den Weg? Unser Gesetzentwurf liegt doch auf dem Tisch.
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Die große Mehrheit dieses Hauses will die Pflegeversicherung als Pflichtversicherung. Der zuständige Minister und die CDU haben sich - was ich begrüße - unsere Vorstellungen zu eigen gemacht.
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Soll dieses wichtige sozialpolitische Vorhaben wirklich am Veto einer Minderheit scheitern? Womit ich der FDP nicht zu nahe treten möchte. Sie ist, wie wir alle wissen, eine wichtige Minderheit: immer bei der Mehrheit.
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Aber ich finde doch, daß sie an diesem Punkt ihre Position überprüfen sollte. Es ist bitter, meine Damen und Herren, daß die Mehrzahl der alten Menschen, die im Alter der Pflege bedürfen, zu Sozialhilfeempfängern werden, die wie Kinder Taschengeld erhalten.
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Soll es wirklich so sein, daß dieses System bei uns unverändert bleibt und in die östlichen Bundesländer exportiert wird? Das ist gewiß nicht der Fortschritt, von dem die Menschen dort träumen.
Was tut der Bundesarbeitsminister für die Arbeitslosen im Westen und im Osten? Im Westen hat sich die Situation in den letzten Jahren leicht gebessert ({68})
Gott sei Dank, aber doch kein Wunder nach acht Jahren guter Konjunktur. Für das kommende Jahr wird wiederum ein Anstieg der Arbeitslosenzahl erwartet. Wie aber ist die Situation in den östlichen Ländern? Dort steigt die Zahl der Arbeitslosen ständig an, nicht, weil die Treuhand die falsche Politik betreibt; das tut sie zwar, aber es ist Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Regierung. Denn die Treuhand arbeitet nach Gesetzen, die die Mehrheit dieses Hauses beschlossen hat, und nach Weisung des Bundesfinanzministers.
({69})
Es ist Ihre falsche Politik, die es zuläßt, daß die Entindustrialisierung in den östlichen Ländern voranschreitet. Sie können zur Entschuldigung auch nicht auf die westdeutschen Unternehmen verweisen, von denen es heißt, sie täten zuwenig. Das stimmt auch. Denn so ist es eben: Unternehmen investieren nicht, weil der Herr Bundeskanzler oder der Wirtschaftsminister darum bitten. Sie investieren, wenn sie glauben, daß es sich um ein lohnendes Investment handelt. Es gibt eben bei manch einem Unternehmer Zweifel, ob ein zusätzlicher Markt von knapp 17 Millionen und eher vage Hoffnungen auf künftige Ostgeschäfte eine Investition lohnen.
Weil das so ist, kann die Bundesregierung den Prozeß des ökonomischen Wiederaufbaus in den östlichen Ländern nicht einfach dem Markt überlassen. Hier muß die öffentliche Hand eingreifen, nicht nur um die Infrastruktur aufzubauen oder zu erneuern, sondern auch um den Unternehmen dort, die jetzt in Schwierigkeiten sind, die aber künftig durchaus Chancen am Markt haben könnten, über die Hürden zu helfen, und sei es, um Zeit zu gewinnen, bis der Marktaufbau von unten sich voll auszuwirken beginnt.
({70})
Ich zitiere in diesem Zusammenhang den McKinsey-Report:
Eine realistische Industriepolitik muß Platz greifen. Berührungsängste vor dem Terminus „Industriepolitik" sollten nicht den Blick dafür verstellen, was leistungsfähige westliche Volkswirtschaften erreichen müssen: eine Abstimmung von Infrastrukturentwicklung, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Regionalpolitik, Umweltpolitik, die den vorhandenen, historisch gewachsenen Bestand an Human- und Sachkapital sinnvoll verändert und weiterentwickelt.
Hier wäre die Bundesregierung gefordert. Dabei geht es um Wirtschaftspolitik, nicht um Finanzpolitik. Deshalb wäre es unter Sachgesichtspunkten natürlich besser, die Weisungskompetenz gegenüber der Treu4980
hand läge beim Wirtschaftsminister und nicht beim Finanzminister,
({71})
womit ich im übrigen zur Frage der fachlichen Kompetenz der beiden Herren nichts gesagt haben will.
({72})
An die Adresse des Bundesfinanzministers wende ich mich in diesem Zusammenhang mit folgender Bemerkung: Herr Minister, wir kritisieren nicht die Höhe der jährlichen Transferleistungen von West- nach Ostdeutschland. Wären die Mittel, die für die Einheit aufzuwenden sind, noch höher, wir hätten nicht nein, sondern aus Überzeugung immer ja gesagt.
({73})
Das gilt, wie ich überzeugt bin, für die ganz große Mehrheit der Menschen im Westen, wenn man ihnen rechtzeitig gesagt hätte, daß diese Kosten entstehen und daß Teilung überwinden teilen heißt.
({74})
Daß man es ihnen nicht rechtzeitig gesagt hat und daß sie sich ungerecht behandelt fühlen, das hat Unwillen und bisweilen auch Häme produziert. - Aber das nur nebenbei.
Nicht also die Höhe der notwendigen Zahlungen kritisieren wir, fast hätte ich gesagt: nicht einmal in erster Linie die Art und Weise, wie diese Mittel aufgebracht werden. Da verfolgen wir eher amüsiert, bisweilen verärgert, den Als-ob-Kampf des Bundeswirtschaftsministers gegen Subventionen. Daß der Bundesfinanzminister bei notwendigen Steuererhöhungen den Gesichtspunkten des Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit absoluten Vorrang einräumen würde, wer hätte das erwartet?
Wir kritisieren die enorme, in ihrer wahren Dimension versteckte Verschuldung, und wir kritisieren die völlig planlose Art und Weise, wie Sie das Geld ausgeben. Es hätte mit dem Geld mehr erreicht werden können, wenn sich Bund und Länder zum Beispiel in stärkerem Maße um den Aufbau der kommunalen Verwaltungsebene bemüht hätten,
({75})
wenn die Regierung sich intensiver nicht nur um die sächliche Infrastruktur, sondern in gleicher Weise um die Menschen, das sogenannte Humankapital gekümmert hätte,
({76})
wenn sie bei der Entschuldung der Unternehmen im Osten mutiger gewesen wäre, wenn sie die Eigentumsfrage präzise entschieden hätte
({77})
und wenn sie rechtzeitig regionale Entwicklungskonzepte erarbeitet oder bei der Erarbeitung geholfen hätte. Hier hätte vernünftige Politik ansetzen müssen. Statt dessen ideologische Verklemmung! Als ob es den konsequent marktwirtschaftlichen Kurs gefährden würde, wenn zugleich auch der Staat seine Schulaufgaben erledigt!
({78})
Selbst die sogenannten Fünf Weisen merken in ihrem jüngsten Jahresgutachten an, daß „der Staat beim Neuaufbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern in der Pflicht ist" und sich nicht auf die Zuschauerrolle beschränken dürfe. An anderer Stelle heißt es übrigens in diesem Jahresgutachten - ich zitiere - :
Die Erwartung derer, die geglaubt hatten, mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und einer gehörigen Anschubfinanzierung sei die sozialistische Wirtschaft der ehemaligen DDR binnen kurzem in eine blühende Marktwirtschaft zu verwandeln, hat, wie vorauszusehen, gründlich getrogen.
Wen könnten die Fünf Weisen bei dieser kritischen Anmerkung im Visier gehabt haben?
({79})
Das, meine Damen und Herren, frage ich mich, wie ich mich auch frage, wie sich der Herr Bundesfinanzminister ernsthaft durch das Jahresgutachten bestätigt sehen kann. Zugegeben, die Fünf Weisen haben der Welt auch nicht immer der Weisheit letzten Schluß beschert. Den Hinweis aber, daß eine Preissteigerungsrate von 4 To plus bevorstehender Steuererhöhung die Bundesbank beunruhigen und den Tarifpartnern das Leben schwermachen, was wiederum Auswirkungen auf das Investitionsverhalten der Unternehmen haben könnte, sollten Sie ernster nehmen, als Sie es offenbar tun.
Oder wollen Sie beim Gebrauch von Regierungsgutachten immer nach der Devise von Jonathan Swift verfahren: Elefanten werden immer kleiner, Flöhe immer größer gezeichnet, als sie in Wirklichkeit sind? Diese Devise mag Sie kurzfristig trösten, sie schafft Ihnen aber nicht das Problem vom Hals.
({80})
Denn, Herr Bundesfinanzminister, auch international kommen erhebliche Belastungen auf uns zu, nicht zuletzt aus dem östlichen Europa. Was dort geschieht oder nicht geschieht, berührt unsere Lebenswirklichkeit unmittelbar und nachhaltig. Wir haben deshalb ein hohes Interesse daran, beim Wiederaufbau der durch den Kommunismus verwüsteten Länder Osteuropas zu helfen.
({81})
Ich füge hinzu - ich denke, da sind wir uns einig - : Wir Deutschen sollten uns aber nicht überheben. Wir haben unseren Teil beizutragen, tun das auch. Das geht aber nur, wenn sich Westeuropa insgesamt engagiert, und zwar viel stärker als bisher, wenn sich die G-7-Länder engagieren; Japan will ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich nennen.
Auch verbal, meine Damen und Herren, in der Gestik sollten wir uns eher zurücknehmen; denn einerseits sind die Hoffnungen, die sich auf uns richten, schon heute überzogen; die Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Zum anderen könnten unsere Partner
im Westen auf den wenig hilfreichen Gedanken kommen, es ginge den Deutschen bei alledem doch um mehr als die vielzitierte besondere Verantwortung; das wäre kontraproduktiv.
({82})
Meine Damen und Herren, diese Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages findet wenige Tage vor der Sitzung des Europäischen Rats in Maastricht statt. Die EG-Staats- und Regierungschefs haben mehrfach bekundet, daß sie in Maastricht ihre Unterschrift unter einen neuen Vertrag zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union setzen wollen.
Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Im Gegenteil, wir wollen, daß die EG, der organisatorische Kern Europas, zur Politischen Union fortentwickelt wird. Wir sind überzeugt, daß der Zeitpunkt gekommen ist, die notwendigen und möglichen Schritte zu gehen.
Verbal sind wir uns auch in diesem Punkt einig, Herr Bundeskanzler; denn ich erinnere mich gut an Ihre Regierungserklärung vom 30. Januar 1991. Damals sagten Sie:
So wichtig die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ist, sie bliebe nur Stückwerk, wenn wir nicht gleichzeitig die Politische Union verwirklichten. Um es klar und einfach zu formulieren: Aus meiner Sicht ist für die Bundesrepublik nur die Zustimmung zu beiden gleichzeitig möglich. Beide Vorhaben sind unauflöslich miteinander verbunden.
Sehr richtig, Herr Bundeskanzler. Um es aber ebenso klar und einfach zu formulieren: Aus unserer Sicht hat die Bundesregierung ihre europäischen Hausaufgaben nicht bewältigt. Denn aus heutiger Sicht, vom uns bekannten heutigen Stand der Dinge ausgehend, würde mit dem Gipfel in Maastricht weder ein großer noch ein guter, sondern ein bedrückend kleiner Schritt nach vorn gemacht.
Unzufrieden sind wir vor allem, daß bis jetzt eine grundlegende Verbesserung der Rechte des Europäischen Parlaments nicht erreicht worden ist.
({83})
Wollen wir denn einen bürokratischen Zentralstaat Europa schaffen, in dem das gewählte Europäische Parlament nichts zu sagen hat?
({84})
Wie wird die Bevölkerung darauf reagieren? Schon in der Vergangenheit war die Wahlbeteiligung bei europäischen Wahlen gering. Wie wird es bei der nächsten Wahl sein? Schon bisher ist den Menschen, jedenfalls den meisten, Brüssel eher fremd, bisweilen unheimlich. Soll das so bleiben?
Nein, Herr Bundeskanzler, das kann so nicht bleiben. Es müssen Fortschritte bei der Dremokratisierung der EG erreicht werden. Wenn das nicht gelingt, wird es jedenfalls für Sozialdemokraten sehr schwer, den Vertragsänderungen zuzustimmen.
({85})
Wie soll denn auch ein Mitglied dieses Hauses zustimmen, daß immer mehr Kompetenzen auf die EG übertragen werden, wenn von parlamentarischer Mitwirkung auch in Zukunft keine Rede sein kann.
({86})
Herr Bundeskanzler, Sie sollten diesen Hinweis ernst nehmen. Denn das Ergebnis von Maastricht bedarf der Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag, in einigen Punkten sicher mit verfassungsändernder Mehrheit. Ein Selbstlauf wird das, wenn sich nichts ändert, weder im Deutschen Bundestag noch, wie ich vermute, in anderen europäischen Parlamenten.
Herr Bundeskanzler, Sie verstehen mich hoffentlich recht: Die Opposition will Ihnen in dieser Frage um Gottes willen nicht drohen; sie will helfen. Denn gerade heute müßten die Regierungen die Europäische Gemeinschaft handlungsfähig und aufnahmebereit machen, aufnahmebereit auch für die Länder Osteuropas, die der Gemeinschaft, wenn schon nicht morgen, so doch übermorgen beitreten wollen. Es wird sicher noch einige Zeit vergehen; aber der Zeitpunkt kommt, und die EG muß sich darauf vorbereiten. Sie würde aber an den Problemen, die mit jeder EG-Erweiterung verbunden sind, scheitern, wenn uns nicht heute die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft gelingt. Wer es mit der Gemeinschaft gut meint, der nutzt die Chancen, handelt jetzt und verschiebt es nicht auf spätere Zeiten, wenn die gewachsene Zahl der Mitglieder die Sache womöglich noch schwieriger, vielleicht sogar unmöglich macht.
({87})
Unwohl, Herr Bundeskanzler, ist uns nicht beim Ob, sondern beim Wie bei der deutsch-französischen Verteidigungsinitiative. Wir stimmen ihr zu in dem Bemühen, die WEU schrittweise an die politische Union heranzuführen. Unklar bleibt aber aus unserer Sicht das Verhältnis zur Allianz, zur NATO. Diese Frage beschäftigt uns sehr. Denn Bestandteil der Initiative ist auch die angekündigte Bildung eines deutschfranzösischen Corps. Wenn aber die voll in die NATO integrierte Bundeswehr und die nicht in die NATO-Struktur integrierten französischen Streitkräfte ein gemeinsames Corps bilden, dann wüßten wir doch gerne, ob dieses Corps außerhalb der NATO-Struktur stehen soll, und wenn ja, welche Aufgaben es übernehmen soll.
({88})
Wir verstehen ja die Geste - schon wieder eine Geste - und sind auch nicht gegen integrierte militärische Verbände. Warum sollten wir? Aber ein bißchen mehr Klarheit über Organisation und Aufgaben dieses Corps wären doch hilfreich, nicht zuletzt aus amerikanischer und britischer Sicht,
({89})
von der eigenen Bundeswehr ganz abgesehen. Diese hat derzeit ohnehin genügend Probleme, die sie abarbeiten muß. Vielleicht besteht das größere Problem gar nicht in der Reduzierung der Sollstärke auf 370 000 Mann, sondern darin, den eigenen Soldaten
zu erklären, was sie denn in Zukunft gegen wen verteidigen sollen. Vom Herrn Bundesverteidigungsminister haben wir dazu bisher wenig Erhellendes vernommen.
Aus der Sicht der Opposition erlaube ich mir folgende Feststellungen: Wir sehen die Bundeswehr als in die NATO integrierte Streitkraft. Wir wollen, daß das so bleibt, bis wir, gestützt auf die NATO, ein neues gesamteuropäisches Haus der Sicherheit gebaut haben. Ein Haus sollte es schon sein; eine Architektur allein wäre uns zuwenig.
({90})
Wir sind für weitere Abrüstungsschritte und können uns auch eine noch stärkere Reduzierung der Sollstärke der Bundeswehr vorstellen.
({91})
Solchen Überlegungen müßten allerdings sorgfältige Analysen der Sicherheitslage - ich spreche bewußt nicht von Bedrohungsanalysen - vorausgehen. Die allgemeine Erfahrung zeigt, daß in Zeiten der Umbrüche, der zerfallenden Strukturen neben den Chancen solcher Veränderungen immer auch deren Risiken gesehen werden müssen.
Wir sind nicht dafür, den der NATO abhanden gekommenen Verteidigungsauftrag durch „out of area"-Planspiele zu ersetzen.
({92})
Was den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNO angeht, so verweise ich auf den Beschluß des SPD-Parteitages in Bremen. Wir sagen ja zur sogenannten Blauhelmaktion. Überlegungen, die darüber hinausgehen, halten wir nicht für vordringlich. Im Gegenteil: Wir halten sie für falsch, weil sich dahinter noch immer die Vorstellung verbirgt, man könne die Probleme dieser Welt mit militärischen Mitteln lösen. Das können wir nicht.
({93})
Wir wissen, daß wir die Gewalt nicht aus der Welt wegreden können. Gewalt wird eingesetzt und provoziert Gegengewalt. Gleichwohl wissen wir auch, daß Gewalt kein einziges Menschheitsproblem löst, sondern selber eines ist. Deshalb denken wir ausschließlich in den Kategorien von Verteidigung.
({94})
Im übrigen glauben wir in Übereinstimmung mit dem UN-Generalsekretär, daß die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen im Rahmen der UNO am besten durch ein verstärktes Engagement bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei der Bewahrung der Umwelt erfüllen kann.
({95})
Meine Damen und Herren, was militärische Gewalt bedeutet und anrichtet, haben wir in Europa bitter erfahren. Die Bürgerkriege, die wir in Europa gegeneinander geführt haben, die entsetzlichen Weltkriege haben uns an den Rand des Abgrundes gebracht. Jetzt bietet sich uns eine neue Chance. Die Staaten Osteuropas kehren nach Europa zurück. Aber in welches Europa? In das Europa des beginnenden 20. Jahrhunderts oder in das Europa der Jahrtausendwende vom 20. in das 21. Jahrhundert?
Zwei Fragezeichen setze ich hier: Werden die Länder Osteuropas die Nationalismen, die zur Befreiung vom Kommunismus wesentlich beigetragen haben, in Zukunft zügeln können? Werden die westeuropäischen Länder der Gefahr widerstehen, einmal mehr in Allianzen statt in Kategorien der Einheit zu denken?
Meine Damen und Herren, der Bürgerkrieg in Jugoslawien und die Art und Weise, wie Westeuropa auf diesen Krieg reagiert hat, macht mich unruhig. Ganz besonders irritiert mich die Tatsache, daß die Krise lange Zeit aus den politischen Köpfen der Regierenden verdrängt und erst reagiert worden ist, als längst die Waffen sprachen. Besondere Fähigkeiten im außenpolitischen Krisenmanagement vermag ich bei der deutschen und europäischen Politik nicht zu erkennen.
({96})
Vieles Reisen ist kein Ersatz für klare Zielvorgaben.
({97})
Zielvorgaben sind aber wichtig. Denn mir scheint, Europa hat in seinen Reaktionen auf die jugoslawische Krise auch deshalb so lange gezögert, weil es keine einheitliche Linie bei der Zieldefinition und möglicherweise auch ein gewisses Mißtrauen gegenüber - wie ich hoffe: zu Unrecht - vermuteten deutschen Zielen gab.
({98})
Wir sollten das immer bedenken. Geschichte wirkt weiter. Sie beeinflußt ganz konkret auch unser heutiges Denken und Handeln, das der anderen und unseres. Hier liegt daher ganz sicher eine besondere Verantwortung Deutschlands. Wir werden wenig tun können, um die Nationalismen Osteuropas zu besänftigen. Materiell helfen können wir, wie gesagt, gemeinsam mit Westeuropa und anderen und sollten es tun. Ob sich Europa aber zurückentwickelt in Allianzen oder ob Europa die Chance zur Einheit nutzt, hängt ganz wesentlich auch an uns, an unserer Bereitschaft, uns in diese Einheit voll einzubringen und uns in ihr zugleich zurückzunehmen. Es hängt an der Frage, ob wir mit den Schwierigkeiten des Umbaus im eigenen Land fertig werden.
Wir Deutschen haben die Einheit zurückgewonnen, friedlich und ohne nationalen Taumel. Ich gebe zu: Ein bißchen stolz bin ich auf diese eher nüchternen Deutschen in den Tagen der Einheit gewesen. Noch heute glaube ich - trotz der bösen Ausschreitungen rechtsextremistisch beeinflußter Jugendlicher - , daß wir Deutschen vielleicht doch eine Chance haben, ein normales demokratisches Land in Europa zu werden.
({99})
- Hören Sie genau zu: Der größte Fehler, den wir machen könnten, wäre, so zu tun, als wären wir es schon.
({100})
Denn wir waren geteilt und sind erst noch dabei, die Einheit zu verwirklichen.
({101})
Wir setzen auf die Einheit Europas, das wie Deutschland faktisch noch immer geteilt ist und sich erst langsam auf den Weg macht, eine neue kulturelle Identität zu entwickeln.
Wir leben in dem Bewußtsein, daß der Kommunismus gescheitert ist, daß sich das westliche System als überlegen erwiesen hat. Aber ist dieses westliche System auch gut genug, mit den Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, fertig zu werden? John le Carré, der Romancier, hat es so formuliert - ich zitiere -:
Wir haben gewonnen? Womöglich haben wir auch gar nicht gewonnen. Vielleicht haben die anderen bloß verloren, und unsere Schwierigkeiten fangen jetzt erst an, nachdem die Fesseln des ideologischen Konfliktes abgestreift sind?
({102})
Herr Bundeskanzler, die großen Schwierigkeiten sind klar erkennbar. Wir, die sozialdemokratische Opposition im Deutschen Bundestag, werden die Stärke oder die Schwäche dieser Bundesregierung ausschließlich daran messen, ob und in welcher Zeit sie diese Schwierigkeiten meistert.
({103})
Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gegenstand dieser Debatte ist nicht die Tatsache, daß die beiden großen Fraktionen des Hauses jeweils einen neuen Vorsitzenden haben, sondern der Gegenstand der Debatte ist die Beratung des Bundeshaushalts 1992.
Gleichwohl, Herr Kollege Klose, bedanke ich mich für das, was Sie zu Alfred Dregger und zu Hans-Jochen Vogel gesagt haben. Auch wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind stolz auf das und dankbar für das, was Alfred Dregger nicht nur für uns, sondern auch für dieses Parlament geleistet hat, und auch wir anerkennen voller Respekt, was Hans-Jochen Vogel nicht nur für Sie, sondern auch für dieses Parlament und für unsere Demokratie bedeutet hat. Wahrscheinlich haben Sie recht: Viel weniger als uns hat er gelegentlich auch Sie nicht geärgert.
({0})
Zu dem, was Sie zu unserem persönlichen Miteinander oder Gegeneinander - beides wird es sein - gesagt haben, denke ich, wir sollten - ich will mir Mühe geben; ich hoffe, es gelingt mir - die Sache von der Person trennen. Ich fürchte, in der Sache muß ich Ihnen schon nach dem, was Sie heute gesagt haben, ein ganzes Stück weit widersprechen. Ich hätte mir gewünscht, daß es heute nicht sein muß, aber Ihre
Rede war nicht von der Art, daß man darauf verzichten kann.
({1})
Im übrigen denke ich, daß wenige Parlamentarier in diesem Hause, meine Damen und Herren, es besser als Alfred Dregger verstanden haben, hart in der Sache zu fechten und zugleich stets die persönliche Integrität auch des politisch Andersdenkenden zu wahren.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren und verehrter Herr Kollege Klose, es gehört natürlich zu einer Haushaltsdebatte, daß man den Standort bestimmt. Ich denke, daß dieser Haushalt 1992 wie die der kommenden Jahre im wesentlichen bestimmt wird durch die deutsche Einheit, durch die Vollendung dessen, was Großartiges in den letzten Jahren erreicht worden ist, und durch die dramatischen Veränderungen insbesondere in Osteuropa. Dazu brauchen wir eine vorurteilsfreie Bestandsaufnahme. Aber zu einer Standortbestimmung gehört eben auch eine Vergewisserung, welchen Weg wir zurückgelegt haben.
Da haben Sie in den wenigen Tagen, in denen Sie Vorsitzender Ihrer Fraktion sind, gemessen an dem, was Sie früher gesagt haben, einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt. Zu Anfang dieses Jahres hatten Sie noch davor gewarnt, immer nur Weltuntergangsszenarien zu zeichnen, immer nur zu Worst-case-Szenarien zu kommen, und gesagt, daß man einen realistischen Weg zwischen einer Beschreibung von Krisen und Risiken und dem, was realistische Zuversicht ist, aufzeigen sollte. Zum letzten Teil habe ich heute von Ihnen wenig gehört. Von dem, was in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren stattgefunden hat, habe ich auch wenig gehört.
Wenn Sie vom Umsteuern in ökologischen Fragen sprechen, hätten Sie ein Wort dazu sagen müssen, daß diese Bundesregierung Mitte der 80er Jahre schadstoffarme Autos gegen erhebliche Widerstände eingeführt hat, während in Ihrer Regierungszeit in der Umweltpolitik eben nichts geschehen ist.
({3})
Man kann nicht losgelöst von den Realitäten und den konkreten Erfahrungen Visionen aufzeigen, ohne auch dafür Verantwortung zu tragen, wie man sich ein Stück weit diesen Visionen nähern kann.
({4})
Sie haben davon gesprochen, daß die rentenrechtlichen Regelungen für Frauen verbessert werden müßten.
({5}) - Klatschen Sie mal!
Sie hätten, Herr Kollege Klose, die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung für Frauen wenigstens erwähnen müssen
({6})
und auch erklären müssen, warum in den Jahren, in
denen Sozialdemokraten Verantwortung für dieses
Land getragen haben, nichts geschehen ist, in der
Umweltpolitik nicht und in der Familienpolitik nicht.
({7})
Ich sage ja nicht, daß wir schon alles perfekt gemacht hätten oder jeweils perfekt machten, aber ich sage: Aus dem Vergleich der Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben, mit der Zeit, in der wir Verantwortung tragen, wird vielleicht ein Stück sichtbarer, was tatsächlich erreicht worden ist,
({8})
vielleicht auch ein Stück mehr Verständnis für das, was tatsächlich möglich ist. Denn diejenigen, die immer nur unerfüllbare Erwartungen schüren, machen den Menschen nicht Hoffnung, sondern führen sie in Resignation und Orientierungslosigkeit. Das wollen wir nicht tun.
({9})
Ich sage noch einmal: Zu einer realistischen Standortbestimmung gehört auch die Vergewisserung, welchen Weg wir gegangen sind. Ich denke, wir haben nicht nur die Chance zur Einheit im vergangenen Jahr konsequent genutzt - ich will auf den Streit nicht mehr eingehen, ob wir sie denn überhaupt verwirklicht hätten, wenn wir nach dem gegangen wären, wofür Sie, Herr Klose, nicht, aber die SPD gestanden hat - , sondern wir sind auch - und das klang mir in Ihrer Rede ganz falsch - auf dem Weg, diese Einheit zu vollenden, einheitliche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland herzustellen, gut vorangekommen.
Weiß Gott, die Probleme sind nicht alle gelöst, aber wir sind in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht und auch beim Beginn, den Umweltskandal zurückzuführen, den der real existierende Sozialismus in der DDR hinterlassen hat, gut vorangekommen, und die Menschen in den östlichen Bundesländern schöpfen neue Zuversicht und neue Hoffnung.
({10})
Wir haben uns im übrigen in den 80er Jahren auf die Chance der Einheit gut vorbereitet. Hätten wir den NATO-Doppelbeschluß 1982/83 nicht durchgesetzt - ({11})
- Ja, Sie sind - ({12})
Wissen Sie, mit dieser Häme haben Sie reagiert, als der Bundeskanzler Helmut Kohl 1982 und 1983 gesagt hat: Wir wollen Frieden schaffen mit weniger Waffen. Und genauso ist es gekommen. Und das eine hängt mit dem anderen zusammen.
({13})
Wir haben in unserer Deutschlandpolitik, in der wir die Menschen im Reise- und Besucherverkehr und durch vieles andere zusammengeführt haben, zugleich immer am Ziel der Einheit der Deutschen festgehalten.
({14})
Das war ja der Unterschied zu den Sozialdemokraten.
({15})
Sie haben an die Einheit nicht mehr geglaubt. Wenn man Ihnen heute vorliest, was Sie noch im Herbst 1989 gesagt haben, dann sind Sie empört und betrachten das als eine Beleidigung. Sie werden durch das Zitieren Ihrer eigenen Äußerungen aus den letzten Jahren beleidigt. Ich will es Ihnen deswegen heute ersparen, es sei denn, Sie zwingen mich auch noch dazu.
({16})
Wenn wir nicht in den 80er Jahren - der Finanzminister Theo Waigel hat es gestern ja eindrucksvoll dargelegt - durch unsere Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik das Land so in Ordnung gebracht hätten, dann wären wir heute weniger gut in der Lage, diese großen Herausforderungen zu meistern.
({17})
Deswegen haben wir uns gut vorbereitet auf die deutsche Einheit und auf die großartigen Veränderungen, die sich in Europa vollziehen.
({18})
Wir wollen uns jetzt darauf konzentrieren - das müssen wir wohl tun - , die deutsche Einheit zu vollenden und einheitliche Lebensverhältnisse zu schaffen, die Menschen in den östlichen Bundesländern in diesem schnellen Wechsel und in diesem Wechselbad von rasch steigenden Hoffnungen und Erwartungen und der Erfahrung, daß es bei aller Geschwindigkeit und bei allen dramatischen Veränderungen doch nicht ganz so schnell gehen kann, einheitliche Verhältnisse zu erreichen - ({19})
- Aber entschuldigen Sie! Mit dem Versprechen war es ganz einfach. Wir haben immer gesagt: Es wird ein paar Jahre harter Anstrengungen
({20})
und schwerwiegender Veränderungen geben. Und ich finde, wir im Westen müssen auch immer wieder sagen: Die Veränderungen, die unsere Mitbürger in den östlichen Bundesländern treffen, haben ein Ausmaß, wie wir es im Westen gar nicht mehr gewohnt sind zu ertragen. Deswegen brauchen wir auch ein Stück mehr Verständnis für die Befindlichkeit der Menschen in den östlichen Bundesländern.
({21})
Wenn ich sehe, wie schwer wir uns bei der Frage getan haben, den Einzelhandelsgeschäften zu erlauben, an einem Tag in der Woche zwei Stunden länger geöffnet zu halten - auch da haben Sie Ihre Widerstände gehabt - , oder wie schwer wir uns in der Region Bonn mit der Entscheidung des Deutschen Bundestags vom 20. Juni tun oder wie schwer wir uns in der Region Frankfurt/Wiesbaden Rhein/Main jetzt mit der Überlegung tun, ob nicht ein paar Bundesbehörden nach Bonn zum Ausgleich verlagert werden könDr. Wolfgang Schäuble
nen, dann muß ich sagen: Wir alle haben Grund, mehr Verständnis für die Betroffenheit der Menschen in den östlichen Bundesländern zu haben, als es gelegentlich hier sichtbar wird.
({22})
Wenn wir uns auf die Vollendung der deutschen Einheit und auf unsere Verantwortung insbesondere in dem nicht mehr durch den Ost-West-Konflikt geteilten Europa konzentrieren wollen, dann heißt das natürlich, daß wir eine Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen müssen, die das Konsolidierungsziel beachtet, aber auch den notwendigen Spielraum für die erforderlichen Wachstumsimpulse läßt.
Diese schwierige Gratwanderung, die die Finanzpolitik des Finanzministers Theo Waigel und der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl besser bewältigt hat, als ihre Kritiker meistens überhaupt nur verstanden haben, gilt es auch in Zukunft fortzusetzen. Wir müssen beides zugleich erreichen: eine Fortsetzung der Konsolidierung durch eine Begrenzung der Ausgabenzuwächse nicht nur im Haushalt 1992, sondern auch in den Folgejahren, aber zugleich den nötigen Spielraum, damit unsere Wirtschaft in der Lage bleibt, den gewaltigen Anforderungen und Anstrengungen beim Aufbau und der Entwicklung der neuen Länder gewachsen zu sein.
Dies heißt auch, daß wir in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen Risiken eher zu- als abnehmen, ein Stück weit Vorsorge, auch Risikovorsorge, treffen müssen. Was sich in Osteuropa in den nächsten Monaten alles an Risiken vollziehen kann, weiß jeder; das braucht man nicht jeden Tag auszusprechen, auch nicht, welche schwierige Situation wir in manchen der westlichen Industrieländer haben und wie ungewiß die konjunkturellen Aussichten in den kommenden Jahren sind. Die Schwierigkeiten mancher Branchen unserer Wirtschaft - nicht nur im Maschinenbau - auf den Exportmärkten wachsen.
All dies heißt doch wohl, daß wir uns stärker, als ich es bei Ihnen gehört habe, darauf konzentrieren müssen, die Aufschwungkräfte in unserer Wirtschaft zu stärken. Deswegen kommen Sie Sozialdemokraten in der Frage der Unternehmenssteuerreform nicht so davon, wie Sie sich bisher eingelassen haben.
({23})
Wir werden, wenn wir die Arbeitsplätze in ganz Deutschland auch in Zukunft sichern wollen, nicht darauf verzichten können, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Investitionsstandorts Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft zu sichern.
({24})
Es hilft gar nichts: Wir müssen auch darüber sprechen, daß bei der Entwicklung in den Lohn- und Lohnnebenkosten unsere Spielräume für weitere Erhöhungen der Lohnnebenkosten außergewöhnlich begrenzt sind.
({25})
Nur, Herr Kollege Klose: Wenn diese Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl in den 80er Jahren nicht so viele von Ihnen in den 70er Jahren liegengelassene Reformen hätte nachholen müssen,
({26})
dann würden wir uns ein Stück weit leichter tun. Das fängt bei der Gesundheitsreform an.
({27})
Da hätten Sie in den 70er Jahren längst handeln müssen.
({28})
Wir haben die Gesundheitsreform gegen erbitterte Widerstände durchgesetzt.
({29})
Wir wissen, daß weitere Schritte notwendig werden, weil uns der Kostenanstieg bei den gesetzlichen Krankenkassen besorgt macht und Handlung erfordert.
Wir wissen auch, daß es schon lange Zeit ist, endlich das Risiko der Pflegebedürftigkeit hinreichend durch Vorsorge abzusichern.
({30})
Wir wissen, daß das in einer Zeit, in der der Spielraum für einen weiteren Anstieg der Lohnnebenkosten ungewöhnlich begrenzt ist, außerordentlich schwierig ist. Deswegen wäre es besser gewesen, Sie hätten schon zu Ihren Regierungszeiten ein Stück weit in der Frage der Pflegeversicherung gehandelt. Sie haben aber nichts getan.
({31})
Nun müssen wir, muß die Koalition von CDU/CSU und FDP in einer Zeit ungewöhnlich großer Anforderungen an die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft diese Pflegeversicherung einführen. Wir sind entschlossen, es zu tun.
({32})
Wir haben unterschiedliche Vorstellungen zwischen den Partnern dieser Koalition. Das ist auch gar nicht überraschend. Es ist doch etwas, worüber man ganz unbefangen und offen reden kann. Aber wir haben die feste Absicht, uns zu einigen. Notfalls gehen wir schrittweise voran. Nur, von Ihnen, die Sie keinen einzigen Schritt in diese Richtung gegangen sind, lassen wir uns dabei nicht kritisieren.
({33})
Wir werden mit den Problemen nur fertig und den Menschen die notwendige und von uns geschuldete Orientierung nur geben können, wenn wir die Risiken realistisch beschreiben, wenn wir die Erwartungshorizonte nicht allzusehr nach oben verschieben. Auf der anderen Seite ist es natürlich ganz erfreulich, wenn jemand eine so problemorientierte, visionäre Rede hält, wie Herr Klose es hier getan hat. Nur, Herr Klose, das eine paßt nicht zum anderen: im Bundesrat seitens der SPD-regierten Länder für die Jahre bis 1994 Mehrforderungen in der Größenordnung von mehr als
40 Milliarden DM zu stellen und hier vom Umsteuern zu reden. Da haben Sie zusammen mit Björn Engholm noch ein bißchen Führungsarbeit vor sich.
({34})
Wir werden im übrigen darüber zu sprechen haben, daß auch angesichts der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich wie zur Steuerfreiheit des Existenzminimums unsere Handlungsspielräume bei der gegebenen wirtschaftlichen und finanziellen Lage für die kommenden Jahre außergewöhnlich eng sind. Ich finde, es gehört zur Ehrlichkeit, daß wir das in dieser Haushaltsdebatte sagen.
Ich füge hinzu: Bei den großen Transferleistungen, die wir aus den westlichen in die östlichen Länder zu Recht und notwendigerweise erbringen, muß es gelingen, daß der Anteil der investiven Ausgaben an diesen Transferleistungen in den kommenden Jahren höher ist, als er es bis heute notwendigerweise sein konnte.
({35})
Ich hätte mir übrigens schon gewünscht, daß Sie bei der Horrorbeschreibung, die Sie von der Lage in den östlichen Ländern gegeben haben,
({36})
einen Satz dazu gesagt hätten, in welch hohem Maße wir in allen sozialen Sicherungssystemen - in der Versicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit, in der Rentenversicherung, in der Krankenversicherung - Transferleistungen aus dem Westen in den Osten in dieser Zeit erbringen, mit welch hohen Leistungen wir gerade im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit verhindert haben, daß die Arbeitslosigkeit in den östlichen Ländern die befürchtete Höhe erreicht. Sie ist weiß Gott hoch genug, zu hoch. Aber sie ist, Herr Klose, lange nicht so hoch geworden, wie die allermeisten bei Ihnen und auch viele bei uns befürchtet haben. Auch das gehört zu einer realistischen Beschreibung, damit die Menschen nicht in Hoffnungslosigkeit geführt werden.
({37})
- Wollen Sie sich, die Sie für diese 40 Jahre totalitärer sozialistischer Vergangenheit in der DDR stehen, hier wirklich mit solchen Zwischenrufen an dieser Debatte beteiligen?
({38})
Bei dem, was Sie den Menschen angetan und was Sie zu verantworten haben, wagen Sie das? Ich würde schweigen.
({39})
Ich würde wirklich herzlich bitten: Schweigen Sie!
({40})
Wenn wir darüber sprechen, daß wir bei begrenzten Handlungsspielräumen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik die Priorität auf die östlichen Bundesländer setzen müssen, dann sollten wir - wenn wir das Gutachten des Sachverständigenrats, Herr Kollege Klose, schon ansprechen - auch ein Wort dazu sagen,
daß der Sachverständigenrat in einer harschen Weise kritisiert hat, daß der Beitrag der westlichen Bundesländer, für die Sie - leider - in der Mehrheit die Verantwortung tragen, zur Vollendung der deutschen Einheit bisher höchst ungenügend ist.
({41})
Die Vollendung der deutschen Einheit ist eine Aufgabe für Bund und Länder. Wenn der Bund, wie Berechnungen ergeben haben, im Jahre 1991 60 Milliarden DM und die elf westlichen Länder 3,2 Milliarden DM für die östlichen Länder leisten, dann ist das im Rahmen der gesamtstaatlichen Verantwortung so nicht in Ordnung. Und dann wird noch ein Stück Führungskraft in der SPD gefordert sein, damit wir in den kommenden Jahren zu einem ausgewogeneren Verhältnis kommen. Denn so allein werden wir es sonst nicht schaffen.
({42})
Es wird Ihr Problem und Ihre Herausforderung sein, daß Sie uns - als Minderheit im Bundestag, aber in einer Position der Mehrheit im Bundesrat - ein Stück Glaubwürdigkeit der SPD vorführen müssen. Denn mit einer gespaltenen Strategie à la Oskar Lafontaine bei der Wirtschafts- und Währungsunion - im Bundestag ablehnen, im Bundesrat zustimmen - werden Sie natürlich nicht sehr weit kommen. Das wird keinen Sinn machen.
({43})
Es geht auch nicht an, daß die Bundesländer immer dann, wenn es unangenehm wird, die Verantwortung dem Bund zuschieben. Wir haben uns bezüglich der Frage, wie wir Asylverfahren beschleunigen können, unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers in einer Reihe von Punkten verständigt. Allerdings haben wir uns darüber, daß wir das Problem ohne eine Grundgesetzänderung nicht hinreichend lösen können, bisher noch keine abschließende Verständigung erzielt. Aber, Herr Kollege Klose, es geht, wenn man Gemeinsamkeit in der Umsetzung der Zielvorstellungen fordert, nicht an, daß sich jetzt die von der SPD regierten Bundesländer nicht mehr an die Zielvorstellungen halten wollen, die wir am 10. Oktober verabredet haben.
({44})
Wir haben - ich habe das gleich einmal mitgebracht, weil ich dachte, es werde eine Rolle spielen - wirklich folgendes vereinbart:
Die Länder schaffen die Voraussetzungen unter Festlegung eines Schlüssels, aus dem sich die von jedem Land vorzuhaltende Kapazität ergibt, für zentrale Gemeinschaftsunterkünfte, die über ausreichende Kapazitäten verfügen,.. .
Und dann heißt es: Mithilfe des Bundes durch Zurverfügungstellung freier oder freiwerdender Liegenschaften.
Jetzt sagen die von Ihnen regierten Länder: Wir schaffen Sammelunterkünfte, soweit der Bund dazu Liegenschaften zur Verfügung stellt. - So haben wir
nicht gewettet. Das ist nicht in Ordnung, das paßt so nicht zusammen.
({45})
Sie können sich nicht einfach aus der Verantwortung der gemeinsamen Absprache davonstehlen.
({46})
- Die haben wir ja gerade im Haushalt. Den beraten wir doch! Der Einzelplan 06 des Bundeshaushaltes 1992 wird morgen in zweiter Lesung behandelt. Da hoffe ich, wenn es um die Erhöhung der entsprechenden Stellen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geht, auf Ihre Zustimmung. Wir mußten diese Stellenerhöhung ja vorsehen. Gestern hat Ihr Kollege Wieczorek kritisiert, daß im Rahmen der Haushaltsberatung noch so viele Nachforderungen kamen. So haben wir z. B. über 2 000 Stellen für das Bundesamt nachträglich in den Haushaltsplan eingebracht. Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuß, daß das einvernehmlich geschehen konnte.
({47})
- Erst müssen sie genehmigt werden, Herr Klose!
({48})
- Entschuldigen Sie, erst müssen sie genehmigt sein, bevor sie besetzt werden können.
({49})
- Nun lenken Sie doch nicht vom Thema ab!
({50})
Ich bitte Sie um eine klare Zusage, daß es dabei bleibt, daß die Länder die notwendigen Sammelunterkünfte in eigener Verantwortung schaffen und unterhalten und daß der Bund dabei hilft, daß aber nicht die gesamte Verantwortung dem Bund zugeschoben wird; letzteres haben wir nämlich nicht so vereinbart.
({51})
Wenn man Gemeinsamkeit will, muß man sich darauf festlegen lassen. Im übrigen sind die Vorwürfe, wir hätten verzögert, nun wirklich unbegründet. Fragen Sie doch einmal Ihre Innen- und Ihre Justizminister in den SPD-regierten Bundesländern! Die werden es Ihnen sagen. Fragen Sie Herrn Schnoor! Es wird von den zuständigen Bundesressorts unter Beteiligung der Länderressorts unter Hochdruck gearbeitet. Ich habe ihnen auch geschrieben:
Ich hoffe, daß der Gesetzentwurf bis Ende dieser Woche den Fraktionen übersandt werden kann.
Das habe ich ihnen noch als Innenminister geschrieben. Das hätten Sie hier auch sagen können. - Dann wäre Ihr Verhalten auch ein Stück wahrhaftiger gewesen.
Ich finde, daß die Vorwürfe, wir verzögerten, angesichts des Hochdruckes, mit dem sowohl bezüglich der Schaffung zusätzlicher Stellen für Mitarbeiter im
Bundesamt als auch bei der Umsetzung dessen, was wir am 10. Oktober beschlossen haben, gearbeitet wird, überhaupt nichts mit der Wahrheit zu tun haben. Sie sollten sie lassen. Die Appelle zur Gemeinsamkeit würden ehrlicher, wenn Sie sich in Zukunft anders verhielten.
Nur, ich habe immer gesagt - und dabei muß ich bleiben - : Wir werden bei aller Anstrengung, diese Zielvorstellungen umzusetzen, das Ziel nicht erreichen, wenn wir nicht zugleich auch durch eine Änderung unseres Grundgesetzes ermöglichen, daß wir zu einer europäischen Zusammenarbeit in der Lage sind.
({52})
Ich will das heute nicht im einzelnen ausführen. Ich habe dazu vor wenigen Wochen von dieser Stelle aus das Notwendige gesagt. Ich sage lediglich das folgende: Wir sind uns in der Koalition von CDU/CSU und FDP einig - das, Herr Kollege Solms, steht schon in unserer Koalitionsvereinbarung vom Beginn dieses Jahres - , daß wir in der Asylpolitik eine europäische Lösung wollen und daß wir im Rahmen dieser europäischen Lösung miteinander ohne vorherige Festlegung auch über die Frage der Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung sprechen.
Wir sind uns in der vergangenen Woche einig geworden - auch da gibt es überhaupt nichts zu verheimlichen - , daß wir, weil die europäische Lösung in Form der Gemeinschaftskompetenz in Maastricht leider nicht zu erreichen sein wird, Herr Kollege Klose, Asylpolitik in Europa auf der Basis intergouvernementaler Zusammenarbeit jetzt harmonisieren wollen. Wir wollen deswegen im Rahmen der Ratifizierung des Zusatzabkommens zu Schengen wie auch des Dubliner Abkommens eine Lösung dahin gehend erreichen, daß wir an diesem Abkommen ohne Vorbehalte teilnehmen. Wir haben uns auch darüber verständigt, diese europäische Lösung in diesem Sinne jetzt anzustreben; denn wenn es keine Gemeinschaftskompetenz gibt, müssen wir bei Öffnung der Grenzen in Europa zu einer Harmonisierung in Form der Regierungszusammenarbeit fähig werden.
In der Frage, ob wir dazu eine Grundgesetzänderung brauchen oder nicht, haben wir unterschiedliche Meinungen. Aber darüber werden wir sprechen. Herr Kollege Klose, ich lade Sie einfach ein: Lassen Sie es uns gemeinsam tun. Das hat alles überhaupt nichts damit zu tun, daß diejenigen, die wirklich politisch verfolgt sind, in Deutschland und in Europa auch weiterhin Zuflucht finden.
({53})
Aber gerade wenn, wie Sie sagen, ein Recht in großem Maße mißbraucht wird - das ist zwischen uns nicht streitig - , dann muß man unvoreingenommen prüfen, wie die rechtlichen Regelungen so gestaltet werden können, daß das Recht erhalten bleibt und der Mißbrauch ein Stück weit besser bekämpft werden kann, als es heute der Fall ist.
({54})
Um nichts anderes geht es. Lassen Sie uns darüber miteinander und ohne Voreingenommenheit reden.
Bei der Diskussion um die Frage, wie man Ausländerfreundlichkeit in diesem Land sicherstellt, denke ich oft daran, daß Heiner Geißler in diesem Hause in anderem Zusammenhang den Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik erläutert hat. Die Frage der Ausländerfreundlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ist für mich eine Frage der Verantwortungsethik. Da reichen Appelle allein nicht aus. Vielmehr muß man so handeln und entscheiden, daß sich die Menschen, daß sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in ihren Sorgen ernstgenommen fühlen
({55})
und daß sie das Gefühl haben, daß die politische Klasse sie noch versteht.
Wenn man jeden Tag einen Appell hört, man solle nicht ausländerfeindlich sein, dann kommen mehr und mehr Menschen dazu zu sagen: Was soll das denn? Wir sind gar nicht ausländerfeindlich.
(
Ja!)
Warum wird jeden Tag an uns appelliert? Die Deutschen sind in ihrer übergroßen Mehrzahl nicht ausländerfeindlich.
({0})
Das Problem ist vielmehr, daß die Politiker offenbar nicht in der Lage sind, ein Problem zu lösen, von dem wir meinen, daß es dringend gelöst werden muß.
({1})
- Wir alle miteinander; aber auch Sie.
({2})
- Ich auch nicht mehr. Aber kommen Sie, das Thema ist zu ernst.
Deswegen, Herr Klose, bitte ich Sie herzlich: Lassen Sie uns darüber miteinander sprechen. Die Koalition ist sich einig: Wir wollen über die europäische Lösung jetzt miteinander reden und auch über das, was in Umsetzung der Zielvorstellungen geschehen muß, wenn die SPD bei ihrer Position bleibt. Lassen Sie uns in den nächsten Tagen und Wochen vernünftig miteinander reden. Ich glaube, es dient diesem Land, es dient den Deutschen und den Ausländern, wenn wir den Streit beenden. Aber das geht nur, wenn wir die Probleme auch lösen.
({3})
Dann habe ich gleich noch eine herzliche Bitte: Vermischen wir damit nicht die Aussiedlerproblematik.
({4})
Wir sind mit unserer Politik ungewöhnlich erfolgreich gewesen, nämlich den Deutschen in den Siedlungsgebieten zu sagen: Wir helfen euch, daß ihr für euch und eure Kinder auch für die Zukunft eine Perspektive der Hoffnung in der Heimat eurer Väter habt. Wir wollen ja gar nicht, daß so viele Deutsche oder Menschen überhaupt ihre Heimat verlassen, sondern wir wollen, daß sie in ihrer Heimat eine Zukunftsperspektive finden.
Wir haben ein Aussiedleraufnahmegesetz verabschiedet, das übrigens für Aussiedler das vorsieht, was wir für Asylbewerber nicht tun können. Es schreibt nämlich vor, daß sie das Aufnahmeverfahren von ihrem Heimatland aus betreiben müssen. Aber dazu gehört auch, daß wir den Deutschen in der angestammten Heimat sagen: Wenn ihr denn in Jahren kommen wollt, bleibt auch in Zukunft das Tor offen. Wer daran rüttelt, löst Torschlußpanik aus. Deswegen meine herzliche Bitte: Vermischen Sie nicht das, was nicht vermischt werden darf.
({5})
- Nein, Sie nicht, aber viele Ihrer Kollegen - Herr Lafontaine läßt grüßen - tun es leider immer noch. Tun Sie es nicht. Es ist besser. Wir haben die Lösung des Problems wirklich gut auf den Weg gebracht.
Das andere bleibt ebenfalls: Auch mit allen Veränderungen und Verbesserungen im Asylverfahren und beim Grundgesetz bleibt das Thema der weltweiten Wanderungsbewegungen eines der großen dramatischen Risiken für Frieden und Stabilität dieser einen Erde. Das ist durch die Asyldiskussion so oder so nicht zu lösen, auch nicht durch Einwanderungsquoten - das füge ich gleich hinzu - , sondern das ist nur dadurch zu lösen, daß wir unsere Anstrengungen verstärken, die Ursachen dieser Wanderungsbewegungen in Osteuropa wie in der Dritten Welt zu bekämpfen.
({6})
Das werden wir besser schaffen, wenn wir uns nicht mehr sosehr mit 200 000 Asylbewerbern in zehn Monaten in unserem Lande politisch und finanziell herumschlagen müssen. Gerade dafür brauchen wir eine Bündelung der europäischen Kräfte. Deswegen brauchen wir eine europäische Gemeinsamkeit und europäische Lösungen in der Asylpolitik, damit wir die Ursachen besser bekämpfen können.
({7})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch folgendes sagen. Ich glaube, auch diejenigen, die nicht in allen Punkten die Politik von Helmut Kohl loben,
({8})
bestreiten ja nicht, daß es zu dem historischen Verdienst dieses Bundeskanzlers gehört, daß wir die deutsche Einheit und die europäische Einigung eng und untrennbar miteinander verbunden gehalten haben. Das ist das historische Verdienst dieses Bundeskanzlers.
({9})
Deswegen ist die deutsche Einheit auch gut gelungen. Deswegen müssen wir auch jetzt bei der Vollendung der deutschen Einheit, bei der Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse unsere Verantwortung für Europa als Ganzes zugleich sehen. Deshalb müssen wir - so schwer das fällt - Alleingänge vermeiden, auch was den Krieg in Jugoslawien anbetrifft.
Ich bin auch der Meinung, daß Europa bei den Bemühungen, einen Krieg mitten in Europa zu verhindern, keinen besonders guten Eindruck hinterlassen hat. Ich finde, so kurz nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes sollte es eigentlich nicht wieder möglich werden, daß mitten in Europa Krieg geführt wird.
({10})
Aber die Kritik an der Bundesregierung, am Bundesaußenminister, man hätte früher im Wege des Alleinganges handeln müssen, greift nach meiner Überzeugung zu kurz. Sie trifft nicht.
Wir dürfen bei der Wut, die wir alle miteinander über das, was in Jugoslawien stattfindet, empfinden, nicht zu Alleingängen kommen, weil wir all das wieder aufs Spiel setzen würden, was wir in mehr als 40 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht haben, nämlich daß dieses freie demokratische Deutschland fest eingebunden bleibt in die Gemeinschaft der Demokratien Westeuropas und im übrigen auch in das transatlantische Bündnis. Beides zusammen brauchen wir, und beides dürfen wir auch nicht aus begreiflicher Wut und Enttäuschung über das, was in Jugoslawien stattfindet, aufs Spiel setzen.
({11})
Deswegen muß der mühsame und oft auch enttäuschende Weg, ein gemeinsames europäisches Handeln zustande zu bringen, fortgesetzt werden. Deswegen muß Maastricht ein Erfolg werden. Deswegen sind wir der Bundesregierung und dem Bundeskanzler dankbar, daß alle Bemühungen - auch gegen viele Widerstände - unternommen werden, um Maastricht zum Erfolg zu bringen.
({12})
Ich denke übrigens, daß wir, was unsere Verantwortung für Osteuropa anbetrifft, unseren osteuropäischen Nachbarn und Partnern auch sagen sollten, daß sich der Föderalismus als das Zukunftsmodell anbietet, um Minderheitenprobleme, Volksgruppenkonflikte zu lösen und um Grenzprobleme und Grenzauseinandersetzungen zu vermeiden.
Mancher begreift heute vielleicht besser als noch vor einem Jahr, wie unvermeidbar notwendig und richtig es war, daß wir zusammen mit der deutschen Einheit auch erklärt haben: Die Grenze Deutschlands zu Polen wird nicht mehr zur Diskussion gestellt. Sie bleibt unverändert; sie wird für alle Zukunft nicht mehr verändert. Sie wird lediglich so verändert, daß sie nicht mehr trennen soll. So wie die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich seit langem nicht mehr trennt, soll auch die Grenze zwischen Polen und Deutschland nicht mehr trennen.
({13})
Wenn wir in Europa wieder um Grenzen streiten und den Grenzverlauf ändern wollen, dann werden wir ernten, wovon wir in Europa in diesem Jahrhundert zuviel hatten, nämlich Krieg und Tod. Deswegen darf nicht mehr um Grenzen gestritten werden. Grenzen müssen vielmehr abgebaut werden. Das kann sich nur im System eines modernen aufgeklärten Föderalismus vollziehen. Dafür sollten wir werben.
Wir brauchen im übrigen angesichts neuer Risiken, neuer Auseinandersetzungen, neuer Instabilitäten so rasch wie möglich europäische Friedensstrukturen. Solche Friedensstrukturen kann Westeuropa, die Europäische Gemeinschaft nur gemeinsam mit unseren osteuropäischen Partnern schaffen. Wenn es uns nicht gelingt, dies rasch zu schaffen, dann, fürchte ich, könnten wir verspielen, was wir an großartigen Erfolgen in bezug auf die Überwindung des Ost-West-Konflikts und den Zusammenbruch des Kommunismus in den letzten Jahren erreicht haben.
Ich füge hinzu: Wir brauchen dazu auch die Bindung zu unseren amerikanischen Verbündeten. Amerika darf sich nicht aus Europa zurückziehen. Wir können die Chancen, die sich uns bieten, nur nutzen, wenn wir an der europäischen Integration und der transatlantischen Verankerung festhalten und wenn wir daraus Strukturen für Europa schaffen, die den Frieden auch unter veränderten Bedingungen in der Zukunft sichern.
Dazu ist - dazu haben Sie wenig gesagt, Herr Kollege Klose - die volle außenpolitische Handlungsfähigkeit der souverän gewordenen Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar notwendig. Ich habe noch vor wenigen Monaten gelesen, daß Sie eine ganz andere Meinung hatten. Jetzt haben Sie sich auf Ihren Parteitagsbeschluß zurückgezogen. Das ehrt Sie als Parteisoldat, aber in der Sache selber werden wir damit nicht handlungsfähig.
({14})
Außenpolitische Handlungsfähigkeit, volle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nach Ende des Ost-West-Konflikts und nach Überwindung der deutschen Teilung heißt auch, gleichberechtigte Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland, notfalls auch der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen sowie im Rahmen eines europäischen Streitkräfteverbundes.
({15})
Anders werden wir unserer Verantwortung, den Frieden auch angesichts von Veränderungen zu sichern, nicht gerecht werden.
Das alles heißt ja nicht, daß im Einzelfall ein Automatismus entsteht, sondern das alles heißt lediglich, daß im Einzelfall natürlich die notwendigen Entscheidungen zu treffen sind. Aber es heißt eben, daß wir dieser Verantwortung nicht ausweichen können. Wenn wir die Aufgaben, die Prioritäten und die Verantwortung des vereinten Deutschlands am Ende des Jahres 1991 beschreiben, gebietet es die Ehrlichkeit zu sagen: Die Sicherung des Friedens kann nicht mehr allein anderen überlassen bleiben. Wir werden unseren gleichberechtigten Anteil daran zu tragen haben, wenn wir besser als in der Vergangenheit den Frieden sichern wollen.
Im übrigen werden wir in der Debatte über die notwendigen Änderungen unseres Grundgesetzes miteinander zu sprechen haben. Sie werden aus Ihrer Verantwortung als Opposition im Bundestag wie als SPD-regierte Länder im Bundesrat in dieser Frage nicht entlassen werden können. Das ist die eigentliche Anforderung in der Grundgesetzdebatte: daß wir überprüfen, wo es in unserem Grundgesetz, nachdem
wir die Teilung überwunden, die Einheit erreicht und die volle Souveränität erlangt haben, einen Anpassungsbedarf an die veränderte Situation gibt. Das ist in der Debatte, welcher Reformbedarf bei unserem Grundgesetz besteht, für mich das eigentliche Thema, was nicht heißt, daß wir nicht auch über andere Fragen miteinander reden können.
Dann, Herr Kollege Klose, haben Sie von unserer globalen Verantwortung insbesondere in bezug auch auf die Umwelt gesprochen. Sie haben zu Recht die Reise des Bundeskanzlers nach und sein Eintreten für die Erhaltung der tropischen Regenwälder in Brasilien als ein rühmenswertes Beispiel genannt. Sie hätten vielleicht hinzufügen sollen, daß diese Bundesregierung und dieser Bundeskanzler bereits seit Mitte der 80er Jahre auf Weltwirtschaftsgipfeln wie bei anderen Anlässen dafür wirbt, arbeitet und kämpft, daß alle auf dieser Erde begreifen, daß es eine unteilbare Erde ist und eine unteilbare Verantwortung für diese Erde geworden ist. Wir werden in Frieden nur überleben können, wenn wir unsere Verantwortung für diese eine und immer enger zusammengerückte Erde stärker wahrnehmen, als es bisher der Fall gewesen ist.
({16})
- Das heißt z. B. konkret, daß es mit der Forderung nach Umsteuerung in den Industriegesellschaften so einfach sein Bewenden nicht haben kann. Vielmehr muß man konkret fragen: Was kann man tun?
({17})
- Hören Sie zu. Ich glaube, das Thema ist zu ernst.
Ich bin ganz überzeugt, daß keine freiheitliche Gesellschaft und keine Wohlstandsgesellschaft so einfach freiwillig auf ihren Wohlstand verzichtet und daß man die Möglichkeiten, mit moderner Technik und mit der Kraft menschlichen Forschergeistes Probleme zu lösen, stärker nutzen muß, als es in Ihren resignierenden Utopien gelegentlich zum Ausdruck kommt.
({18})
Machen Sie einen praktischen Vergleich, Herr Kollege Schäfer, zwischen solchen westlichen Bundesländern, in denen die CDU oder CSU regiert, und solchen, in denen die SPD regiert, wie etwa in der Frage der Reinhaltung unserer Oberflächengewässer die Leistungsbilanz auf Ihrer und unserer Seite aussieht.
({19})
- Gehen Sie doch einmal nach Baden-Württemberg, da kommen Sie her, in keinem Land ist mehr geleistet worden.
({20})
Dann vergleichen Sie noch einmal unsere Politik, schadstoffarme Autos einzuführen. Sie haben nichts gemacht.
({21})
- Ich dachte, dieses Thema sei Ihnen so wichtig.
({22})
- Hören Sie doch zu.
Seit 1972 haben die deutschen Automobilfirmen Katalysatorautos in andere Länder exportiert. Aber in Deutschland ist nichts geschehen, bis Helmut Kohl Bundeskanzler war und wir den Ärger auf uns genommen haben.
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Nein, wir müssen die Möglichkeiten von technischem Fortschritt und Erfindergeist und auch der Gestaltung politischer Rahmenbedingungen dazu nutzen, daß Umweltprobleme Schritt für Schritt gelöst werden und nicht dazu führen, die Menschen nur in Resignation und Weltuntergangsstimmung zu versetzen. Wir müssen ihnen ein Stück weit Wege zeigen, wie wir bei der Lösung der Probleme auch vorankommen können.
Ich habe den Eindruck, daß sich das Tempo der weltweiten Veränderungen in Deutschland und in Europa zu beschleunigen scheint. Ich glaube, daß viele Menschen heute stärker als früher empfinden, was an Risiken vor ihnen liegt. Vieles war in den vergangenen Jahren vielleicht auch durch den Ost-West-Konflikt ein Stück zugedeckt. Wir empfinden jetzt deutlicher als bisher die Veränderungen und auch neue Risiken, die wir nicht gewohnt sind und die, weil sie für die Menschen in den östlichen wie in den westlichen Ländern jetzt neu sichtbar werden, auch ein Stück weit zu einer neuen Unsicherheit führen.
Diese Unsicherheit angesichts dramatisch schneller Veränderungen und immer neuer Risiken wird dann verstärkt, wenn man ihnen Ausweglosigkeit bei den Problemen vorspiegelt. Denn das führt dann zu Weltuntergangsstimmung. Daraus wächst Resignation. Vielleicht wächst aus dieser Verunsicherung und Resignation und aus dem Nichtwissen oder Nichtsehenkönnen, wie es denn weitergehen kann, etwas von dem, was uns alle gemeinsam erschreckt, nämlich Gewalttätigkeit eines kleinen Teils der jungen Generation. Vielleicht sind diese Verunsicherung und Ausweglosigkeit ein Stück weit die Basis.
Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie darüber nachdenken, dann sollten Sie sich noch einmal daran erinnern, wie die Lage Anfang der 80er Jahre am Ende der Regierungszeit von Helmut Schmidt war. Da hatten wir eine ähnliche Grundstimmung von Resignation und wachsender Zukunftsangst.
In den Jahren, seit Helmut Kohl Bundeskanzler ist
- das war eben nicht nur die günstige Konjunktur, Herr Kollege Klose; so einfach ist das nicht gewesen ({24})
und in denen CDU/CSU und FDP miteinander die Regierungsverantwortung tragen, haben wir angefangen, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern Probleme zu lösen, und zwar gegen viele Widerstände und Schwierigkeiten. Damit haben wir den Menschen
ein Stück weit den Weg gezeigt, daß die Probleme groß sind, daß sie aber auch zu lösen sind; nicht alle von heute auf morgen, aber Schritt um Schritt. Daraus wächst auch ein Stück Zuversicht.
({25})
- Nein, das ist nicht wahr. Sie wissen: Das, was sich mit der deutschen Einheit vollzieht, das Ausmaß an Veränderungen, das für die Menschen im einzelnen schwer vorhersehbar ist - auch Oskar Lafontaine hat es nicht so ganz genau vorhergesehen; das ist eine Legende -, die Situation, die auch für die Menschen in den westlichen Bundesländern ein Stück weit weniger sicher ist - ich bin derjenige gewesen, der davon gesprochen hat, daß man Teilung nur durch Bereitschaft zum Teilen überwinden kann und daß die Bereitschaft zum Teilen auch einschließt, daß wir auch die Veränderungen im vereinten Deutschland miteinander tragen müssen und daß wir auch da ein Stück weit teilen müssen - , schaffen eine neue Unsicherheit. Das gilt auch für das, was sich - auch hinsichtlich neuer Herausforderungen - an Ungewissem in Europa und weltweit vollzieht.
Deswegen sage ich: Wir dürfen die Menschen mit diesen neuen Verunsicherungen nicht alleine lassen, sondern wir müssen ihnen Wege der Hoffnung zeigen. Wir müssen handeln. Wir dürfen Probleme nicht nur beschreiben und dann sagen: Wenn wir das Modell der Industriegesellschaften auf die Dritte Welt übertrügen, bräche alles zusammen. Nein, wir müssen Schritt um Schritt handeln, um die Probleme zu meistern.
Im übrigen sage ich: Auf Grund der Erfahrungen der 80er Jahre gibt es, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, keinen Grund, die Probleme für unlösbar zu erklären. Die Geschichte der Menschheit läßt sich auch als eine Geschichte der Vorhersage des unmittelbar bevorstehenden Weltuntergangs beschreiben. Wir wissen nicht, wann es dazu kommt. Das ist aber kein Grund zur Verantwortungslosigkeit. Wir müssen uns jeden Tag jede nur erdenkliche Mühe geben, um das Bestmögliche zu tun, wissend, daß wir irren können und daß wir, wenn wir handeln, immer auch Fehler machen.
Aber wir haben kein Recht, den Menschen den nahenden Weltuntergang vorherzusagen,
({26})
sondern wir haben die Pflicht, durch eine konkrete Politik Schritt um Schritt, so gut wir können, Probleme zu lösen.
({27})
Wir haben auch die Pflicht, den Menschen ein Stück Hoffnung zu machen. Wir haben ferner die Pflicht, keine falschen Erwartungen zu erwecken, auch in den Ansprüchen dessen, was der Staat in kurzer Zeit leisten kann.
Ich habe in der Debatte um die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit der früheren DDR immer
davor gewarnt, zu große Erwartungen zu schüren, weil nur Enttäuschung die Folge sein kann.
({28})
Ich werbe auch dafür, daß wir dabei bleiben, den Menschen in ganz Deutschland zu sagen: Es wird uns noch einige Jahre lang große Anstrengungen kosten, um die Einheit zu vollenden.
Das, was wir an Großartigem an Veränderungen in Europa haben, wird unsere ganze Kraft erfordern. Es ist nicht eine Zeit, wo man in der Art mancher Diskussionen nur noch Freizeit als einen zentralen Wert deutscher Politik ansehen kann. Nein, es besteht auch gar kein Grund dazu. Größere Chancen als seit 1989 sind uns in der Geschichte selten geboten worden.
({29})
Deswegen finde ich, daß wir miteinander beides zugleich tun sollten: realistisch davon reden, welche Risiken vor uns liegen und welche prioritären Aufgaben sich uns stellen, aber auch davon reden, daß kein Grund besteht, angesichts der Größe der Aufgaben zu verzweifeln, sondern daß Grund zu Hoffnung und zu Zuversicht besteht. Vor allen Dingen besteht für uns, die wir politische Verantwortung tragen, aller Anlaß, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.
({30})
Der Haushalt 1992 spiegelt in dem, was ein Haushalt überhaupt leisten kann, Herr Bundesfinanzminister, beides wider: die Notwendigkeit, Risikovorsorge auch angesichts ganz unwägbarer und unvorhersehbarer Entwicklungen zu treffen, aber zugleich die Entschiedenheit dieser Bundesregierung, das Notwendige und Mögliche jetzt zu tun. Auf diesem Weg, Herr Bundeskanzler, werden Sie auch in Zukunft die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion haben.
({31})
Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Welt ist im Umbruch. Europa ändert sein Gesicht. Deutschland ist größer geworden. Das Blockdenken löst sich auf. Das souveräne Gesamtdeutschland definiert seine Aufgaben neu und wird seiner gewachsenen Verantwortung gerecht.
Niemals waren die Aufgaben für die deutsche Politik nach dem Wiederaufbau der Bundesrepublik in der ersten Legislaturperiode weitreichender und zukunftsorientierter als heute. Es ist deshalb ein bemerkenswerter Vorgang, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages nahezu gleichzeitig ihre Führungen austauschen.
Die bisherigen Fraktionsvorsitzenden Mischnick, Vogel und Dregger haben entscheidenden Anteil an der parlamentarischen Vollendung der deutschen Einheit. Sie und ihre Weggefährten haben über viele
Jahrzehnte an vorderster Front auf die deutsche Einheit hingearbeitet.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, namens der FDP-Fraktion Ihnen, Herr Dr. Dregger, für die vertrauensvolle, immer faire und menschlich anständige Art der Zusammenarbeit zu danken.
({0})
Diese anständige Art der Zusammenarbeit haben Sie auch in Fragen sachlich unterschiedlicher Einstellungen immer durchgehalten.
Ihnen, Herr Kollege Vogel, danke ich dafür, daß Sie bei allen politischen Differenzen dem Gegner immer den notwendigen Respekt gezollt haben. Ihre beispielhafte Pflichterfüllung war Vorbild für uns alle im Hause.
Vor allem aber freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Kollege Schäuble. Ich gratuliere Ihnen nochmals zu Ihrer Wahl. Ausdrücklich begrüße ich, daß Sie die Autorität Ihrer Fraktion gegenüber der Regierung stärken wollen.
({1})
Dies, Herr Kollege Schäuble, entspricht dem demokratischen Prinzip der Trennung zwischen Regierung und Legislative, und das ist für die Bürger wichtig, um auseinanderzuhalten, wer welche Funktion hat. Ich bin zuversichtlich, daß es uns gelingen wird, die Leistungsfähigkeit und Gestaltungskraft der Koalition in den Vordergrund zu stellen.
Meine Damen und Herren, Sie alle erinnern sich an die Fraktionsvorsitzendenpaare Barzel/Schmidt in der Großen Koalition und Wehner/Mischnick in der sozialliberalen Koalition. Sie haben gezeigt, wie wichtig Zusammenarbeit in der Koalition für Stabilität und Handlungsfähigkeit von Koalitionsregierungen sein kann. Natürlich kann man das nicht nachahmen, aber es soll eine Orientierungshilfe sein.
Ihnen, Herr Kollege Klose, wünschen wir eine glückliche Hand. Es ist keine leichte Aufgabe, die große Fraktion der SPD zu führen. Dazu kommt die Aufgabe, als Oppositionsführer vor der Öffentlichkeit deutlich zu machen, was die Handlungsalternativen der Opposition sind.
({2})
Sie haben sich vorgenommen, die Fraktionsarbeit zu straffen und schlagkräftiger zu gestalten. Ich wünsche Ihnen dabei besten Erfolg; denn eine starke Regierung braucht eine starke, auch handlungsfähige Opposition. Nur eine selbstbewußte Regierung wünscht sich das auch. Wir tun das, Herr Kollege Klose, weil wir wissen, eine starke Opposition macht uns nur stärker und gibt uns noch mehr Handlungsfähigkeit vor der Öffentlichkeit.
({3})
Meine Damen und Herren, unsere freiheitliche demokratische Ordnung genießt in der Welt, gerade in den Ländern, die sich nun demokratischen Systemen zuwenden, höchstes Ansehen. Um das in unserem
Land praktizierte System der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft werden wir in der ganzen Welt beneidet. Eine Politik, die dies geschaffen hat und fortlaufend weiterentwickelt, kann so schlecht nicht sein.
({4})
Trotz dieser augenscheinlichen Attraktivität unserer Politik setzt sich der Ansehensverlust der Politiker beim Wähler anscheinend unaufhaltsam fort. Woran liegt das? Sollen wir diesen Trend als Normalität betrachten? Ich meine, es ist angezeigt, dazu ein paar kritische, auch selbstkritische Betrachtungen und Überlegungen anzustellen.
Ist es nicht eher so, daß im politischen Alltag Verhaltensweisen entstanden sind, die ursächlich für das schlechte Erscheinungsbild der Parteien und der Politiker in der Öffentlichkeit sind? Es wäre zu einfach, die Schuld bei Dritten zu suchen, etwa bei den Medien oder gar beim Bürger selbst; das hilft auch nicht weiter. Zunächst müssen wir uns überlegen, was wir selber tun können, um diesen Eindruck zu ändern.
Wir alle, jeder einzelne muß sein Verhalten kritisch überprüfen und rasch Konsequenzen daraus ziehen. Dies gilt für alle Seiten des Hauses. Ich möchte vier Beispiele nennen:
Erstens. Durch permanente Übersteigerungen und verbale Rundumschläge bei reinen Sachdebatten, auch bei weniger wichtigen, nutzt sich die Sprache der Politiker ab; keiner hört mehr genau zu. Wenn es dann um wirklich kontroverse Fragen, um schwerwiegende Konflikte geht, fehlt es an zulässigen und wahrnehmbaren Steigerungs- oder Differenzierungsmöglichkeiten. Ich nenne dies verbalen Radikalismus. Wie leicht gehen manchen Abgeordneten die Worte „Lüge", „Täuschung" , „Hinterhältigkeit", „Heuchelei" und vieles andere mehr über die Lippen!
({5}) Ich meine, wir sollten dies unterlassen.
Zweitens. Der verbale Radikalismus wird verschärft durch das permanente Reden übereinander, wodurch das Reden miteinander immer schwieriger möglich wird; und es geschieht dann auch seltener. Wenn wir uns in der Öffentlichkeit gegenseitig immer wieder die übelsten Absichten und schlimmsten Verfehlungen unterstellen und auch zutrauen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Medien und Bürger dies dann auch für bare Münze nehmen.
({6})
Drittens. Wer meint, sich zu Lasten des politischen Gegners persönlich profilieren zu müssen, ohne dabei die gebotene Form zu wahren, muß sich fragen lassen, wem er damit überhaupt nutzt. Ich meine, wir täten gut daran, wieder zu lernen, uns hinter die Sache zurückzunehmen; denn wir vertreten nicht vorrangig uns selbst, wir vertreten unsere Bürger und haben einen Wählerauftrag zu erfüllen.
({7})
Viertens. Wir müssen uns zudem wieder an die selbstgesetzten Spielregeln unserer parlamentarischen Demokratie halten.
({8})
Die Opposition muß die Rolle der Opposition spielen, die Regierung die der Regierung.
({9})
Wenn die Opposition ihre Rolle nicht richtig spielt und wenn in der Regierung versucht wird, auch noch eine Oppositionsrolle einzunehmen, dann verwischen sich natürlich die Eindrücke beim Betrachter.
Der Versuch, in der Koalition Opposition zu spielen oder sich gegenseitig gar in die Oppositionsrolle zu drängen, verwischt die Konturen und schadet der Koalition.
({10})
Der Wähler kann sich nicht mehr orientieren. Es muß deutlich werden, worauf sich die Koalition verständigt hat, was wir gemeinsam wollen, was wir gegebenenfalls nicht wollen oder worauf wir uns noch zu verständigen beabsichtigen.
({11})
Es darf nicht der Eindruck entstehen, als wolle man täglich neue Konflikte schüren oder erfinden.
({12})
Ich nenne hier nur zwei der jüngsten Themen, die gerade in der Koalition konfliktreich sind. Das eine ist die Debatte um die Einführung einer Pflegeversicherung. Der Kollege Blüm führt seit einem halben Jahr eine Kampagne
({13})
für ein bestimmtes Modell der Pflegeversicherung und unterstellt dabei, daß diejenigen, die für dieses Modell sind, die Guten seien, denen es wirklich um die Pflegebedürftigen ginge, und daß diejenigen, die ein anderes Modell vorschlagen, die Bösen, die Kaltherzigen seien,
({14})
die die Alten ihrem Schicksal überlassen wollten.
({15})
Meine Damen und Herren, das ist nicht richtig
({16})
und ist für die Koalition schädlich, weil wir innerhalb der Koalition die Gespräche dazu überhaupt noch nicht begonnen haben.
({17})
Richtig wäre es, die Gespräche in der Koalition zu führen und sich dann auseinanderzusetzen.
Worum geht es denn in Wirklichkeit? In Wirklichkeit wollen die Vertreter aller Seiten dieses Hauses das Problem der zunehmenden Pflegebedürftigkeit in der Bevölkerung möglichst optimal lösen. Wir streiten
darüber, was der effizientere, der günstigere und der weniger schädliche Weg ist,
({18})
- der für die Volkswirtschaft, für die Betroffenen und für die Gesamtgesellschaft bessere Weg!
({19})
Das von der FDP vorgeschlagene Modell einer privaten Pflichtversicherung für jeden einzelnen vermeidet - das ist jedenfalls unsere Meinung - zentrale Schwächen des Blumschen Kostenmaximierungsmodells.
({20})
Die Kosten werden nicht auf die folgende Generation überwälzt. Jeder Bürger betreibt Vorsorge für sein eigenes Pflegerisiko. Eine Belastung der deutschen Arbeitsplätze mit weiteren Personalzusatzkosten wird vermieden. Das begrenzt die Flucht in die Schattenwirtschaft bzw. die Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Das vom Prinzip der Eigenvorsorge getragene private Haftpflichtmodell verhindert Mitnahmeeffekte. Es verhindert damit die im Umlageverfahren systemimmanente Kosten- und Beitragsexplosion. Die Ansprüche, die der Versicherte auf Grund seiner Beitragszahlungen erwirbt, sind vor staatlichen Eingriffen besser geschützt.
Für die pflegenahen Jahrgänge sieht auch unser Modell eine Übergangsfinanzierung, eine Fondsfinanzierung - man kann es auch als eine Art Umlagefinanzierung bezeichnen - vor.
Das heißt also: Über die Fragen der höheren Effizienz der beiden Systeme müssen wir uns unterhalten. Den guten Willen zur Lösung des Problems sollte man niemandem absprechen.
Das zweite Reizthema - das hat der Kollege Schäuble hier schon angesprochen - ist das Thema Asyl. Ich meine, auch hier geht es nicht, daß man in einer mit großem Aufsehen in der Öffentlichkeit versehenen Gesprächsrunde zwischen Koalitionsparteien und SPD zu einem Ergebnis kommt, von dem sich dann einerseits die Länder, insbesondere was die Kosten anbetrifft, wieder abzuseilen versuchen, zu dem andererseits beispielsweise der Kollege Stoiber in Bayern schon am nächsten Tag erklärt, das Ganze würde sowieso nichts bringen. Das kann beim Bürger nicht den Eindruck erwecken, uns ginge es wirklich um die Lösung in der Sache,
({21})
sondern sie müssen den Eindruck haben, hier würden parteitaktische Spielchen getrieben.
({22})
Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, das zu realisieren, was dort beschlossen worden ist, und es geht im weiteren darum, daß die Regierung, nachdem das Mandat für die Kommission in Maastricht wohl nicht zu erhalten ist, in Verhandlungen in Europa eintritt, um eine europäische Lösung des Asylrechts zu
erzielen. Daran wirken wir mit. Wir hoffen, daß es möglichst bald zu konkreten Ergebnissen kommt.
Meine Damen und Herren, diese Reizthemen haben in den vergangenen Monaten wiederholt die Frage nach der Zukunft der Bonner Koalition aufkommen lassen. Aufkeimende Hoffnung auf ein nahendes Ende der Koalition muß ich enttäuschen. Auch die beiden genannten Reizthemen werden jetzt entschlossen einer Lösung zugeführt.
Im übrigen zeigt sich: Für die Koalition gibt es angesichts der nationalen und internationalen Aufgaben gegenwärtig gar keine Alternative.
({23})
Vielleicht kann man sagen: Während die SPD heute noch überlegt, ob sie die deutsche Einheit überhaupt gewollt hat oder gewollt haben soll,
({24})
hat die Koalition die neuen gesamtdeutschen Auf gaben und die europäischen Aufgaben längst angepackt.
({25})
Die Koalition bekennt sich in allen Punkten zu der gewachsenen Verantwortung eines souveränen Deutschlands.
Ich sehe drei zentrale Aufgabenfelder für die deutsche Politik der neunziger Jahre: erstens die innere Einheit Deutschlands gestalten, zweitens den wirtschaftlichen Aufschwung sichern und drittens die gewachsene internationale Verantwortung akzeptieren.
({26})
Zum ersten Punkt, zur Gestaltung der Einheit: Die Herstellung der inneren Einheit Deutschlands hat rechtliche, soziale und psychologische Aspekte. Nicht allein die DDR existiert nicht mehr; auch die alte Bundesrepublik ist untergegangen. Dieser Prozeß bedeutet für uns eine neue Standortbestimmung nach innen, die Auseinandersetzung mit einer sich wandelnden Identität.
Das Regime der DDR hat hier ein schweres Erbe hinterlassen. Der Bundestag hat das Stasi-Überprüfungsgesetz verabschiedet. Bei der Behandlung dieser überaus sensiblen Frage gab es einen parteiübergreifenden Konsens. Dies stimmt mich hoffnungsvoll, daß auch die anderen Themen der Vergangenheitsbewältigung mit dem notwendigen Gespür für die vielfach tragischen Verstrickungen und Schicksale der Betroffenen behandelt werden. Pauschalurteile dürfen wir nicht zulassen; die FDP wendet sich entschieden dagegen. Jedes Einzelschicksal hat Anrecht auf eine individuelle Beurteilung.
({27})
Meine Damen und Herren, zu diesem Erbe gehören auch die ungeklärten Eigentumsfragen. Dabei geht es der FDP nicht nur um die wirtschaftliche Wiedergutmachung; es geht um die Idee des Eigentums schlechthin. Der liberale Rechtsstaat gebietet vor allem sich selbst, bestimmte Sachen und bestimmte Rechte als einem bestimmten Individuum gehörig unverbrüchlich zu achten. Dabei möchte auch ich, Herr Kollege Klose, die Freiburger Thesen von 1971 zitieren, die in diesem Punkt auch heute völlig aktuell sind:
({28})
Diese demokratische Errungenschaft des Eigentumschutzes gegenüber aller staatlichen Übermacht und behördlichen Willkür ist Ausdruck der Demokratisierung des Staates, d. h. der verfassungsmäßigen Einschränkung der schrankenlosen Herrschaft des Staates über seine Untertanen bis hin zum willkürlichen Entzug ihres Eigentums.
Das Wichtige ist - das haben Sie, Herr Klose, bei Ihrem Zitat wohl etwas verdreht - : Der Art. 14 des Grundgesetzes bestimmt ja zunächst einmal die Garantie des Eigentums, und erst im Abs. 2 wird die Eigentumsgarantie durch die Sozialpflichtigkeit begrenzt. Es ist nicht umgekehrt! Es ist nicht so, daß die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Vordergrund steht und daß nur das, was dann übrigbleibt, der Verfügung des Eigentümers unterliegt. Das ist, glaube ich, die grundsätzlich unterschiedliche Einstellung zwischen Ihnen und uns zum Eigentum.
({29})
Wir treten dafür ein, daß auch die vor 1949 Enteigneten eine Chance erhalten, ihr früheres Eigentum zurückzuerlangen. Es geht darum, wie wir das regeln.
({30})
Dabei sind natürlich die Gesichtspunkte zu beachten, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat. Natürlich darf dieser Prozeß nicht dazu führen, daß der Privatisierungs- und Investitionsprozeß behindert oder verzögert wird.
({31})
Andererseits darf nicht der Eindruck entstehen, der Staat wolle sich am früheren Besitz Enteigneter bereichern. In diesem Spannungsfeld haben wir die Entscheidung zu finden.
({32})
Als Rechtsstaatspartei, die den Grundrechten, also auch der Eigentumsgarantie, verpflichtet ist, können wir hierzu keine andere Haltung einnehmen.
Zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland gehört vordringlich die Verbesserung der Wohnungssituation, die Verwirklichung gleicher Bildungschancen und die Verbesserung der Umweltsituation in den neuen Bundesländern.
({33})
Auch die unterschiedliche rechtliche Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs in West und Ost muß nun überwunden werden.
({34})
Der Vorschlag, den die FDP vorgelegt hat, liegt auf dem Tisch. Die Anhörung im Sonderausschuß kürzlich hat ergeben, daß diesem Vorschlag von den Experten große Zustimmung entgegengebracht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß Sie auffordern: Verhelfen Sie der Vernunft mit Ihrer persönlichen Entscheidung zum Durchbruch. Tragen Sie dazu bei, daß auf der Basis dieses Entwurfs eine Mehrheitsentscheidung zustande kommt.
({35})
An eines möchte ich erinnern, auch weil auf dem CSU-Parteitag wohl ein anderer Eindruck erweckt worden ist: Einen Koalitions- oder Fraktionszwang darf es bei dieser Gewissensfrage nicht geben. Darüber waren wir uns auf allen Seiten dieses Hauses einig.
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- Das beruhigt mich, Herr Kollege Bötsch.
Die Einheit Deutschlands ist zwar politisch vollzogen, ökonomisch aber noch lange nicht erreicht. Es sind Fortschritte erkennbar, aber vieles bleibt zu tun. Jetzt kommt es darauf an, nicht falsche Entscheidungen zu treffen. Aufgabe des Staates ist es, in den neuen Bundesländern die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für private zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu gestalten. Dazu zählt, die Investitionsbedingungen generell zu verbessern, damit sich ein dynamischer Wachstums- und Innovationsprozeß auf breiter Front durchsetzen kann. Dann entstehen auch in den neuen Bundesländern Einkommen aus eigener Kraft, aus eigener Produktion, aus eigener Leistung. Das ist ja das, was die Bürger einbringen wollen: Sie wollen ihre eigene Leistungskraft einbringen.
Zur richtigen Weichenstellung gehört die soziale Flankierung. Nur durch die gleichzeitige soziale Absicherung ist der drastische Strukturwandel den Menschen überhaupt zuzumuten. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kurzarbeit null oder Beschäftigungsgesellschaften können allerdings nur beim Übergang einen Beitrag zur sozialen Absicherung leisten. Sie müssen es im Übergang tun, aber sie müssen zeitlich begrenzt sein. Sie dürfen keine Dauereinrichtung werden.
({37})
Staatliche Verantwortung in der Sozialen Marktwirtschaft kann nicht heißen, daß der Staat für alles zuständig ist. Er ist weder für die Einkommen noch für die Strukturgestaltung, die Regionalstruktur, die Beschäftigung oder die Preisgestaltung zuständig. Er kann und er soll all das in einer Marktwirtschaft nicht leisten. Der Aufbau einer modernen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur kann nur das Ergebnis der unzähligen Aktionen einer Höchstzahl unabhängiger Wirtschaftssubjekte sein.
Es ist daher unverzichtbar, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft im Westen ebenfalls zu erhalten und zu sichern. Eine leistungsfähige Wirtschaft ist das Kapital, mit dem wir die mit der Einheit verbundenen Lasten bewältigen können. Dieses Kapital dürfen wir keinesfalls verspielen.
Stärkung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft im Westen kann nicht heißen: Der Staat muß oder kann immer mehr Schulden machen. Der Konsolidierungskurs muß eingehalten werden. Das Budgetdefizit muß zurückgeführt werden. Der Haushaltsplan 1992 bedeutet in unseren Augen einen wichtigen Schritt in dieser Richtung.
Stärkung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft kann auch nicht heißen, daß wir die Wirtschaft mit immer neuen Steuern und Abgaben belasten. Es gibt zu viele Leute, die ihre Phantasie anstrengen, um neue Abgaben zu erfinden, und zu wenige, die den Mut haben, auf Entlastungsmaßnahmen und -entscheidungen zu drängen.
({38})
Die Belastungsfähigkeit unserer Wirtschaft darf nicht erneut getestet werden. Das ist Anfang der 70er Jahre schon einmal versucht worden. Damals hat Karl Schiller gesagt - vielen wird es noch im Ohr klingen - : Genossen, laßt die Tassen im Schrank. Das gilt auch heute.
({39})
Statt zusätzliche Abgaben verlangt die wirtschaftliche Bewältigung der deutschen Einheit strikte Ausgabendisziplin. Es müssen neue Prioritäten gesetzt werden. Alte Besitzstände müssen abgebaut werden; ein weiterer Subventionsabbau ist unverzichtbar.
({40})
Auch wenn manche das Ergebnis immer wieder miesmachen wollen, ich bleibe dabei: Jürgen Möllemann
({41})
hat durch seine Hartnäckigkeit beim Subventionsabbau einen wichtigen Durchbruch erzielt.
({42})
Ohne seinen Mut und seinen Einsatz wäre dieses Ergebnis nicht möglich gewesen.
Das Ergebnis des Subventionsabbaus dieser Koalition kann sich sehen lassen:
({43})
14 Milliarden DM im Rahmen der Steuerreform 1990, 10 Milliarden DM beim Abbau der Zonenrandförderung und der Berlin-Förderung - weitere 10 Milliarden DM bis 1994, auf Initiative von Herrn Möllemann -, 6 Milliarden DM im Rahmen der Unternehmenssteuerreform, zusammengenommen ab dem Haushaltsjahr 1994 40 Milliarden DM pro Jahr; das ist ein beeindruckendes Ergebnis.
({44})
Die FDP fordert eine Umkehr in der Lohnpolitik. Sie will sich jedoch nicht in die Tarifautonomie einmischen. Es wäre aber verantwortungslos gegenüber den Beschäftigten und insbesondere gegenüber den Arbeitslosen, nicht auf die Gefahren der Fortsetzung des gegenwärtigen lohnpolitischen Kurses hinzuweisen, und zwar im Osten wie im Westen. Wer angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen in Ostdeutschland wie im gemeinsamen Binnenmarkt Lohnerhöhungen von 10 % und mehr fordert, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ich glaube, er handelt verantwortungslos gerade gegenüber denen, die arbeitslos sind oder in der Gefahr stehen, arbeitslos zu werden.
({45})
Die Folgen einer solchen Politik müßten sein: mehr Inflation, weniger Investitionen, steigende Arbeitslosigkeit. In der Lohnpolitik muß deshalb für den Westen wie für den Osten gelten: Maßstab ist der Produktivitätsfortschritt.
Für den Osten Deutschlands kommt hinzu, daß auf die Situation der Einzelbetriebe Rücksicht genommen werden muß. Es wäre gut, wenn man Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen vereinbaren würde, damit Betriebsvereinbarungen möglich werden.
Die dritte große Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt in Europa. In wenigen Tagen sollen beim Europäischen Rat in Maastricht wichtige Weichen für die Weiterentwicklung des Binnenmarkts zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union gestellt werden. Der EG-Binnenmarkt hat den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bereits jetzt beträchtlich erhöht und die Arbeitsteilung vertieft. Wer in diesem Markt der offenen Grenzen künftig bestehen will, muß wettbewerbsfähig sein.
Um im Binnenmarkt erfolgreich zu bestehen, müssen wir die Unternehmenssteuerreform endlich auf den Weg bringen. Sie ist nicht, wie von der SPD immer wieder gesagt, eine Umverteilung von unten nach oben; sie ist ein Beschäftigungsprogramm erster Güte.
Deshalb bin ich auch gegen jede Abkoppelung der Unternehmenssteuerreform vom Steueränderungsgesetz 1992.
({46})
Im Vermittlungsverfahren zum Steueränderungsgesetz 1992 kann die Mehrheit der SPD-Ministerpräsidenten zeigen, wie ernst es ihr um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit die Sicherheit deutscher Arbeitsplätze ist.
Die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarkts kommen erst in der Währungsunion voll zum Tragen. Voraussetzungen sind vor allem: strenge überprüfbare Kriterien bei der wirtschaftlichen Konvergenz, eine stabilitätsorientierte Haushalts- und Wirtschaftspolitik, die strikte Wahrung der Geldwertstabilität und die absolute Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Zu neuen Formen des Euro-Dirigismus und -Protektionismus darf es ebensowenig kommen wie zu industriepolitischen Experimenten.
Die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung der 80er Jahre ist ein Erfolgsrezept, meine Damen und Herren. Sie hat 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze allein in der alten Bundesrepublik geschaffen. Deshalb ist sie kein Auslaufmodell; sie ist auch für Gesamtdeutschland das Modell der Zukunft.
({47})
Ich komme nun zur gewachsenen Verantwortung in der Welt. Zur gewachsenen internationalen Verantwortung Gesamtdeutschlands. Neben der Wirtschafts- und Währungsunion brauchen wir die Einbindung Deutschlands in die Politische Union der europäischen Staaten. Das ist die beste Gewähr dafür, daß verbleibende Vorbehalte gegen ein größer gewordenes Deutschland abgebaut werden. Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater des Präsidenten Carter, sagt: Ein integriertes Deutschland kann eine Lokomotive wirtschaftlichen Wachstums in Europa sein. Er fügt allerdings hinzu, daß ein hegemoniales Deutschland in einem politisch uneinigen Europa weltweit unliebsame Erinnerungen wecken würde. Wir brauchen daher das Bekenntnis zu unserer gewachsenen internationalen Verantwortung!
Das Angebot Präsident Bushs zur Führungspartnerschaft bedeutet in erster Linie Einbindung in gemeinsame Verantwortung. Nicht so sehr deutsche Macht fürchten die Partner, sondern deutsche Sonderwege. Darauf müssen wir achten. Jeder Anschein des Ohnemich kann uns in den Augen der Welt nur schaden, wenn es darum geht, Völkerrecht, Selbstbestimmung, Menschenrechte im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme wie der UNO zu verteidigen.
Wir können uns nicht länger dem Vorwurf aussetzen, daß wir andere die Kastanien aus dem Feuer holen lassen und erst dann dazukommen, wenn die Luft rein ist - eventuell zum Geschäftemachen.
({48})
Aus historischen Gründen haben deutsche Soldaten auf dem Balkan nichts zu suchen.
({49})
Dennoch dürfen wir bei einer Friedensstreitmacht unter UNO-Mandat zur Bekämpfung eines brutalen Rechtsbrechers das nächste Mal nicht abseits stehen.
({50})
Es ist das Ziel der FDP - und wohl auch der Koalition - , die Möglichkeit einer Teilnahme deutscher Streitkräfte an allen Aktionen zu beschließen,
({51})
die den Pflichten eines Mitglieds der Vereinten Nationen entsprechen.
({52})
Einen Automatismus darf es dabei nicht geben. Der
Deutsche Bundestag muß selbstverständlich das letzte
Wort haben, ob und wie deutsche Truppen an Einsätzen zur Wahrung des Völkerrechts beteiligt werden.
„Es gilt den Weg freizumachen, damit Deutschland durch die überfällige Grundgesetzänderung international berechenbar, partnerfähig und vor allem handlungsfähig wird." - So hat es ein kluger Politiker Anfang des Jahres formuliert. Derselbe Politiker - Herr Klose, das sind Sie - stellte damals fest, daß „die Deutschen und die deutschen Sozialdemokraten eine unglaubliche Chance vertan haben, ein normaler Staat in der Völkergemeinschaft zu werden. " Deutschland müsse, so Klose, in Zukunft Rechtsgrundlagen schaffen, um bei UNO-Aktionen auch wirklich Partner sein zu können und, wenn es nicht anders geht, militärisch zu helfen.
Klose hat, so heißt es, für diese Äußerungen in seiner Partei damals Prügel bezogen.
({53})
Trotzdem ist er zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion gewählt worden.
({54})
Ist das ein Signal, daß zumindest die SPD-Bundestagsfraktion ihre Meinung geändert hat und nun seiner Meinung folgt, oder wird Herr Klose seine Meinung der Meinung der Bundestagsfraktion unterordnen?
({55})
- Das war heute der erste Auftritt. Das kann sich alles noch entwickeln.
({56})
Bei den anstehenden Grundgesetzänderungen kann die SPD diese Ankündigung ihres neuen Fraktionsvorsitzenden einlösen. Wir sind gespannt.
({57})
Wir brauchen schließlich weiterhin das eindeutige Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis. Jede Ambivalenz gegenüber dem Bündnis, dem Garanten von Freiheit und Demokratie über 40 Jahre hinweg, verringert unsere Sicherheit.
({58})
Von Anfang an bedeutete die Bündniszugehörigkeit für uns Einbettung in die westliche Wertegemeinschaft. In Zukunft bedeutet die Bündniszugehörigkeit für uns Mitwirkung an einer dauerhaften europäischen Friedensordnung.
Das Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis bedeutet auch die Absicht, den Abrüstungsprozeß fortzusetzen, die Weiterverbreitung der Nuklearwaffen zu verhindern und die sowjetischen Waffen zentraler Kontrolle zu unterstellen.
Meine Damen und Herren, gewachsene deutsche Verantwortung bedeutet auch nicht weniger, sondern mehr Engagement für globale Themen. Ich meine den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, weltweite
Abrüstung, eine Strategie gegen den hohen Geburtenüberschuß und die Überwindung der Armut in der Dritten Welt.
Die gewachsene deutsche Verantwortung spiegelt sich auch in unserer Rolle im europäischen Einigungsprozeß. Gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn wollen wir Europa gestalten. Die Bundesregierung ist dabei die Triebkraft. Deswegen sind die Vorwürfe, Herr Klose, die Sie an die Bundesregierung heute gerichtet haben, unangebracht.
({59})
Die Bundesregierung ist die treibende Kraft in Europa!
Unabdingbare Voraussetzung für die Europäische Politische Union sind klare Bekenntnisse zum föderalen Aufbau Europas, zum demokratischen Mehrheitsprinzip, zur Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments, zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie zur gemeinsamen Innen-, Rechts- und Asylpolitik.
Meine Damen und Herren, wenn es noch eines Beweises für die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik einschließlich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bedurft hätte, die bestürzenden Ereignisse dieses Jahres im Nahen Osten und in Jugoslawien haben ihn geliefert. Die Ereignisse haben gezeigt: Europa ist außenpolitisch noch nicht handlungsfähig. Für ein gemeinsames Vorgehen fehlen die Instrumente. Damit in Zukunft schneller und wirkungsvoller reagiert werden kann, müssen jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden. Schon der Gipfel in Maastricht ist hierfür gefordert.
Unverzichtbarer Bestandteil der Politischen Union ist eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Die Westeuropäische Union ist integraler Bestandteil des Einigungsprozesses. Sie wird schrittweise zur europäischen Verteidigungskomponente der Gemeinschaft ausgebaut. Diese Entwicklung wird den europäischen Pfeiler der Allianz und damit das Bündnis insgesamt stärken.
({60})
Die KSZE wird als kollektives Sicherheitssystem in und für Europa das Dach der künftigen gesamteuropäischen Architektur darstellen.
({61})
Die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft verlangt die Vertiefung der Integration und gleichzeitig die Erweiterung der Gemeinschaft. Das europäische Zusammenwachsen muß Osteuropa einbeziehen. Der Zugang zu den westeuropäischen Märkten für die Staaten Mittel- und Osteuropas stellt eine bessere Hilfe dar als jeder Kredit.
({62})
Die konkrete Perspektive des Beitritts zur EG gibt den Menschen die Hoffnung, daß Europa zu ihnen kommt, statt, wenn auch unfreiwillig, ins Wohlstandsparadies zu locken.
Für die Sowjetunion und ihre Republiken müssen wir nach dem gescheiterten Putschversuch zunächst
einmal spontan und unbürokratisch Hilfe leisten, um die leidgeprüfte Bevölkerung über den nächsten Winter zu bringen. Ich freue mich, daß wir dem russischen Präsidenten Jelzin hier Zusagen machen konnten. Niemand in Europa kann ein Interesse an einem völligen Zerfall der Union haben. Die Wiederernennung Eduard Schewardnadses als Außenminister gibt Hoffnung, daß die Kräfte des Zusammenhalts unter Präsident Gorbatschow noch stark genug sind oder wieder stärker werden.
Herstellung der inneren Einheit Deutschlands, Sicherung des wirtschaftlichen Aufschwungs, Übernahme der gewachsenen Verantwortung in Europa und der Welt, das sind die zentralen Aufgaben unserer Politik.
({63})
Die Koalition hat die Aufgaben erkannt. Sie hat sich an die Arbeit gemacht. Wir werden unseren Kurs dabei unbeirrt fortsetzen.
({64})
Bei der Opposition hat inzwischen Nachdenklichkeit eingesetzt. Das ist gut. Es ist auch höchste Zeit dafür. Wenn der neue Oppositionsführer Klose nach seiner Wahl Überlegungen, vielleicht wohl versehentlich, angestellt hat - jedenfalls kam das über eine Ticker-Meldung - , wer aus seiner Partei Oppositionsführer nach 1994 werden solle oder könne,
({65})
dann zeigt das, daß er seinem Vorvorgänger Herbert Wehner nachträglich recht gibt. Der hatte eine lange Zeit vorausgesagt - ich erinnere mich an 15 Jahre, und das bedeutet frühestens 1997/98 -,
({66})
bis die SPD wieder den Status der Regierungsfähigkeit erlangen werde. Ich wünsche ihr ehrlich eine gute Entwicklung.
({67}) Vielen Dank.
({68})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch im Namen meiner Gruppe herzlichen Glückwunsch für die frisch gewählten Fraktionsvorsitzenden! Ich fasse mich kurz, weil ich weniger Redezeit habe.
Unsere heutige Debatte findet zwei Jahre nach Öffnung der Mauer, gut ein Jahr nach der Wirtschafts- und Währungsunion, der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, und fast ein Jahr nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl statt.
In dieser Zeit hat das vereinte Deutschland seine innere Einheit und seine veränderte Rolle in Europa und in der Welt noch nicht gefunden. Dies kann der Regierung Kohl nicht angelastet werden. Das wäre
sicher falsch. Niemand kann erwarten, daß in so kurzer Zeit der Umbruch in Deutschland politisch verarbeitet werden kann.
({0})
Für diejenigen von Ihnen, die aus der alten Bundesrepublik kommen, waren die letzten zwei Jahre ein wichtiger politischer Einschnitt, eine Herausforderung, der Sie sich mit Freude oder Beklommenheit stellen mußten. Für die Bürgerinnen und Bürger der DDR waren die letzten zwei Jahre die totale Umwälzung des eigenen Lebens. Sie sind in einem anderen Land gelandet, ohne sich von der Stelle gerührt zu haben. Sie spüren Zugwind - um bei dieser berühmten Metapher zu bleiben - , obwohl sie nicht fahren.
Die politischen Veränderungen waren dabei nur ein kleiner bei weitem nicht der wichtigste Teil. Deswegen ist die Parteiverdrossenheit nicht allein Anzeichen von mangelndem Interesse an der Demokratie, sondern Zeichen dafür, daß die fundamentalen Veränderungen des Alltags die Menschen so stark belasten, daß für Politik keine Kraft mehr bleibt, und zugleich natürlich, daß Politik als etwas erfahren wird, was mit den gigantischen Alltagsproblemen kaum etwas zu tun hat. In der alten DDR gab es besonders im Umkreis der Bürgerrechtler und Bürgerbewegungen viele Überlebenstechniken, die jetzt zusammenbrechen. Aber wir beklagen uns nicht. Wir haben maßgeblich zu dieser Umwälzung beigetragen und sind froh darüber - das muß hier deutlich gesagt werden - , daß dieser totalitäre Staat zusammengebrochen ist.
Trotz unserer Kritik an der Hals-über-Kopf-Geburt betrachten wir die deutsche Einheit und die Zugehörigkeit zu einem demokratisch verfaßten System der Sozialen Marktwirtschaft als etwas Positives. Insofern erheben wir auch den Anspruch, an der notwendigen Umgestaltung, auch aus der Opposition heraus, aktiv mitzuwirken. Dem Politikansatz der Bürgerbewegungen entspricht es, notwendige Themen jenseits von Parteiinteresse, ideologischen Überzeugungen und materiellen Interessen aufzugreifen.
Wie notwendig ein solches Herangehen an die Probleme ist - senkrecht zu den politischen Schützengräben -, zeigt das traurige Bild des Staates.
... statt diesen Staat mit neuen verfassungsrechtlichen Mitteln neu zu ordnen, daß der Mensch nicht unter seinem Gewicht erdrückt wird, haben Parteien und Bürokratie einträchtig die zentralistische Gewalt des Staates weiter gesteigert, die Selbstverwaltung verkümmern lassen, die Kompetenzen ins Unbegrenzte erweitert, so daß man von einem totalen Staat sprechen könnte, wenn nicht sogar die Parteien den Anspruch erheben, ihn über das politische Parlament zu einem reinen Instrument der herrschenden Parteien zu machen.
Das ist kein Zitat von Bakunin oder irgendeinem anderen linken Staatsanarchisten. Es könnte auch von Richard von Weizsäcker stammen, der auf der Dritten Straßburger Konferenz über Parlamentarische Demokratie grundsätzlich das gleiche gesagt hat. Nein, es ist ein Zitat von Theodor Steltzer, dem einzigen ÜberWerner Schulz ({1})
lebenden des Kreisauer Kreises, des Widerstandskreises um den Grafen Moltke, Mitbegründer der CDU und erster Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Sie sollten vielleicht auch mal gründlich auf Ihre Quellen zurückkommen, wenn Sie uns schon immer Literaturzitate empfehlen.
({2})
Die Regierung, die fähig war, die staatliche Einheit Deutschlands binnen kürzester Zeit herbeizuführen, dieselbe Regierung ist unfähig, die innere Einheit, den gesellschaftlichen Konsens und die wirtschaftliche Angleichung zwischen Ost und West zu realisieren.
({3})
Die Mobilisierung von Solidarität ist heute die wichtigste politische Führungsaufgabe. Daran muß sich die Fähigkeit der politischen Elite Deutschlands messen lassen. Meine Damen und Herren, losgelöst von Parteiraison bestehen in diesem Parlament in einer Reihe von Sachfragen komfortable Mehrheitsverhältnisse. Die Aufgabe verantwortlicher Politik ist es, diese Mehrheitsverhältnisse zu organisieren, die sich auf Mehrheiten in der Gesellschaft stützen. Das ist nicht der Tod der Koalition, wie Herr Schäuble unlängst in den „Tagesthemen" gesagt hat, das ist die wirkliche Suche nach Konsens. Das ist eher ein Sieg der politischen Vernunft. Das bringt Leben ins Parlament. Denken Sie nur an diese befreiende Bonn-Berlin-Debatte, an das erlösende Gefühl, als Denkschablonen und Fraktionskorsette aufgebrochen sind. Es sei einmalig gewesen, habe ich von Abgeordneten gehört, die fünf Sterne im „Kürschner" tragen.
Das könnten wir doch in etlichen Fällen fortsetzen, z. B. bei Nummer eins: Treuhand. Herr Waigel hat gestern die Arbeit der Treuhandanstalt als die größte und erfolgreichste Privatisierungsaktion der Wirtschaftsgeschichte charakterisiert. Sicher, für diejenigen, die das Schnäppchen des Jahrhunderts machen, mag das stimmen. Es ist aber auch die größte Skandalgeschichte der an Skandalen gewiß nicht armen Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik. Es ist aber auch das größte Phänomen, wie ein Volk sein Eigenturn verliert, als hätte es das nie gegeben. Hier liegt die schwerste Hinterlassenschaft der SED, daß den ursprünglichen Besitzern ihr Eigentumsbewußtsein abhanden gekommen ist oder - wie bei der Betriebsbesetzung in Henningsdorf - jetzt fünf nach zwölf erst wieder in den Sinn kommt. Oder meinen Sie wirklich, daß diese Gesellschaft in Ordnung ist, wenn 1,7 % der deutschen Haushalte über 70 % des Produktivvermögens besitzen, sich diese Diskrepanz durch die Politik der Treuhand sogar noch erweitert? Da haben selbst konservative Politiker wie Ulf Fink ihre Zweifel.
({4})
- Ich weiß, Sie mögen ihn nicht. Trotzdem ist es gut, daß sich seine Position in Ihrer Partei langsam durchsetzt.
({5})
Es läßt sich auch nur mit Zynismus überschreiben, wenn Frau Breuel die Hartnäckigkeit der Ostdeutschen bewundert, die immer wieder an ihre Tür klopfen. Mit jedem Tag, den die Treuhandanstalt so weitermacht wie bisher, schwindet in der Bevölkerung wie im Deutschen Bundestag die Bereitschaft, diese fragwürdige Praxis hinzunehmen. Es deutet wenig darauf hin - von einigen bevorzugten Regionen einmal abgesehen - , daß in Ostdeutschland wieder eine eigenständige, tragfähige Industriestruktur entsteht, daß Ostdeutschland mehr wird als verlängerte Werkbank, Niederlassungsstandort, Absatzmarkt, Arbeitsreservoir für den Westen. Die Menschen in Ostdeutschland haben sich von der Einführung der D-Mark und der Marktwirtschaft nicht den Zusammenbruch der Industrie und den Ruin der Landwirtschaft erhofft. Aber das bekommen sie jetzt; ausreichend neue Arbeitsplätze günstigenfalls für die nächste Generation.
Die Bundesregierung hat es - aus welchen Gründen auch immer - versäumt, die besondere Rolle des Staates beim Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu erkennen und wahrzunehmen. Was Bundesregierung und Treuhandführung von den privaten Marktkräften erwarten, können diese selbst beim besten Willen nicht leisten. Die zwingend erforderliche Sanierung der kurzfristig nicht sanierbaren Treuhandunternehmen kann nicht vorn privaten Sektor erwartet werden; hier ist der Staat gefragt. „Behutsam sanieren", sagt Herr Waigel und zitiert Rohwedder, ohne auch nur im geringsten nachvollziehbare Kriterien für die Sanierung zu nennen. Kleinere Betriebe, bei denen nicht damit zu rechnen ist, daß ihre Belegschaften das Betriebsgelände besetzen, für die sich Politiker und Presse nicht vehement und vernehmbar stark machen, die also lautlos sterben, können offensichtlich weit weniger auf die Unterstützung der Behörde bauen als Großunternehmen, denen das öffentliche Interesse gilt.
Für das Schicksal der chemischen Industrie scheint es schon zu genügen, wenn der Bundeskanzler bei einem Besuch in Bitterfeld - im emotionalen Überschwang, ohne präzise Kenntnis der wirtschaftlichen Fakten und ohne Abstimmung mit der Treuhand - sagt, diese Region müsse als Chemiestandort erhalten bleiben. Das ist der führende Vertreter der Wirtschaftspartei. Sie zerstören mein Bild von der Bundesrepublik. Früher war diese Position offenbar an mehr Sachkompetenz gebunden.
Doch nun bewegt sich etwas in der Treuhandfrage: Anfang dieses Jahres waren wir vom Bündnis 90/ GRÜNE noch die einzigen, die ein neues Treuhandgesetz verlangt haben. Im Sommer hat sich die SPD-Fraktion ebenfalls dazu durchgerungen und mittlerweile einen eigenen Gesetzentwurf für Januar angekündigt. In den letzten Wochen haben - alle Achtung für diese Zivilcourage - auch die ostdeutschen CDU-Abgeordneten erfreulicherweise Farbe bekannt und eine Umkehr in der Treuhandpolitik gefordert.
({6})
Schlachten Sie bitte unseren Treuhand-Gesetzentwurf aus; er steht Ihnen zur Verfügung. Es mag nicht das Nonplusultra sein, doch wir haben viel Kraft und Überlegungen investiert: hinsichtlich der Kontrolle der Treuhandanstalt, der Sanierung wettbewerbsfähi5000
Werner Schulz ({7})
ger Betriebe, der Anbindung ihrer Politik an die regionale Wirtschaftspolitik, ökologischer Verpflichtungen usw. Nutzen Sie, was Sie für sinnvoll halten, Hauptsache, wir erreichen ein neues Treuhandgesetz; es ist höchste Zeit.
Aber vielleicht wird es Ihnen gelingen, Herr Bundeskanzler, die Dissidenten in Ihrer Fraktion
({8})
noch einmal auf Linie zu bringen. Aber Sie werden sie schwerlich überzeugen können. Für Ihre Treuhandpolitik haben Sie keine parlamentarische Mehrheit; eine Mehrheit in der ostdeutschen Bevölkerung hatten Sie in dieser Frage ohnehin nie.
Beispiel zwei: selbstbestimmte Schwangerschaft. Wir haben im Bundestag jetzt einen Sonderausschuß mit der wohlklingenden Bezeichnung „... Schutz des ungeborenen Lebens". In der Sache soll er die Neuregelung des § 218 StGB vorbereiten. Gesucht ist eine Lösung, die rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt, die illegale und unsachgemäße Abtreibungen verhindert, die schließlich die ostdeutschen Frauen nicht zum Opfer der deutschen Vereinigung macht, indem die relativ liberale Rechtspraxis der DDR durch eine repressive, an den Vorstellungen konservativer Kirchenmänner orientierte Regelung ersetzt wird. Ich sage das ohne Polemik. Die Frage „Schutz des ungeborenen Lebens" versus „selbstbestimmte Schwangerschaft" wird in der Gesellschaft eine offene Wunde bleiben - so oder so. Es deutet sich keine Regelung an, die ohne Verletzung auskommt. Die Auseinandersetzung dreht sich allerdings um den Strafrechtsparagraphen 218, also nicht um die Verringerung von Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt. Daß dieses Ziel mit den Mitteln des Strafrechts schwerlich zu erreichen ist, darüber besteht weitgehend Einigkeit. Theoretisch gibt es deswegen in diesem Parlament eine deutliche Mehrheit für die Fristenlösung. Die damit verbundene Frage nach der Beratung müßte sich klären lassen. Aber offenbar soll jetzt durch Koalitionszwang eine solche oder andere Lösung verhindert werden. Zum Schutz des ungeborenen Lebens trägt das alles überhaupt nicht bei. Wer Schwangerschaftsabbrüche verhindern will - und das ist eine Binsenweisheit - , muß für den Schutz des geborenen Lebens sorgen, muß eine kinderfreundliche Politik machen. Doch die kostet Geld und hört beim Geld noch lange nicht auf.
Beispiel drei: Pflegeversicherung. Quer durch die Reihen des Bundestages besteht Einigkeit darüber, daß für die Absicherung des Pflegefallrisikos gesetzlich Vorsorge getroffen werden muß. In diesem Fall ist die parlamentarische Mehrheit für eine vernünftige Lösung des Problems so breit wie selten. Für eine Absicherung des Pflegefallrisikos im Rahmen der Sozialversicherung ließe sich bequem eine Stimmenzahl mobilisieren, mit der auch hier eine gar nicht notwendige Verfassungsänderung durchzusetzen wäre. In diesem Fall ist es die FDP, die auf Grund von Partikularinteressen in klassischer Lobbymanier die parlamentarische und die gesellschaftliche Mehrheit blokkiert. Der FDP-Vorschlag der Lösung über eine Privatversicherung glänzt ja nicht dadurch, daß er eine bessere Absicherung garantiert oder geringere Kosten verursacht.
({9})
Er ist weder besser, noch ist er billiger.
({10})
Sein Hauptmerkmal besteht darin, daß er die Besserverdienenden aus der gesellschaftlichen Solidarität entläßt - so einfach ist das.
({11})
Es steht zu befürchten, daß sich aus Gründen der Koalitionsdisziplin die Parlamentsmehrheiten hier nicht zusammenfinden werden.
Viertes Beispiel: das Menschenrecht auf Asyl und das Einwanderungsland Bundesrepublik, also diese unnötige und polarisierende Asyldebatte, die bewußt inszeniert wurde, um von anderen Problemfeldern abzulenken. Es gibt keinen dramatischen Anstieg der Zahl von Asylsuchenden, allenfalls drastische Einbrüche bei Wahlergebnissen, schwindende Stimmenzahlen für bestimmte Parteien.
Das Thema selbst wird von Demagogie beherrscht. Die neueste Koalitionsvereinbarung ist ein Verfahrenstrick, den wir nicht durchgehen lassen. Eine pauschale Zurückweisung ohne Einzelfallprüfung darf es nicht geben, ist auch nicht verfassungskonform. Bei einer Einreise aus einem Staat Osteuropas versagt diese Regelung ohnehin.
Viele Menschen, die zu uns kommen, suchen ja gar nicht Asyl, sondern möchten aus verschiedenen Gründen hier leben, arbeiten, einfach Mitbürger werden. Was uns fehlt, sind klare Einwanderungsbestimmungen. Wir haben ein Gesetzespaket erarbeitet, das ein Einwanderungs-, ein Flüchtlings- und ein Niederlassungsgesetz enthält und für das im Grundsatz auch eine breite Mehrheit besteht - von Hans-Jochen Vogel, Burkhard Hirsch über Heiner Geißler bis hin zum Bundespräsidenten. Mehr als schade ist in diesem Zusammenhang, daß uns der Bundeskanzler trotz unserer Bereitschaft und unserer konstruktiven Vorarbeit nicht zum sogenannten „Allparteiengespräch" ins Kanzleramt eingeladen hat.
({12})
- Es war der CDU-Vorsitzende, der im Kanzleramt residiert. Das ist ja eine seltsame Mischung. Es ist gut, daß Sie darauf hinweisen.
Offenbar hat der Herr Bundeskanzler uns wegen der Respektlosigkeit der Fragen von Ingrid Köppe, die eine tiefe Berechtigung haben
({13})
und die nicht nur von ihr so gestellt werden, mit Kanzlerbann belegt und von der Kommunikation ausgeschlossen.
Und weil Sie hier so Ihre Vorreiterrolle für die deutsche Einheit betonen - Herr Schäuble, das hat sicherlich auch in den Sonntagsreden nie gefehlt - , will ich eines einmal deutlich festhalten: Wir waren, so glaube ich mit gutem Gewissen sagen zu können, die einziWerner Schulz ({14})
gen, die sich nicht mit dem SED-Staat abgefunden, sondern ihn bekämpft haben. Das ist der Unterschied, und das macht Ihnen heute wahrscheinlich den Umgang mit uns etwas schwer
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und macht uns ein bißchen unbeliebt. Es ist schon - um ein Lieblingswort von Herrn Schäuble aufzugreifen - auch ein Stück weit schlechtes Gewissen, wenn man die Bürgerrechtler ins Abseits schiebt, um die Altopportunisten aufs Siegerpodest heben zu können.
Aber zurück zum Bundeskanzler: Ich finde, das ist kleinmütig, Herr Bundeskanzler, und paßt nicht zu einem großen Politiker - aber dieses Etikett bestimmt sich eben nicht anhand von Preisverleihungen.
Noch ein Aspekt ist auffällig: Vor gut einem Jahr waren die Regierungsparteien partout nicht bereit, über die Anpassung des Grundgesetzes an die neue Lage in Deutschland zu diskutieren. Heute ist in der öffentlichen Debatte die Union mit ihrer Forderung nach Änderung des Grundgesetzes am lautesten zu hören; sie vertritt Vorstellungen, die eine Einschränkung der Verfassung bezwecken. Es ist schon aufschlußreich, an welchen Stellen das unantastbare Grundgesetz jetzt beschnitten werden soll: zur Einschränkung des Asylrechts und zur Ausdehnung des Auftrags der Bundeswehr um mögliche Out-of-areaEinsätze.
Ausgerechnet die, die vor kurzem das Grundgesetz so, wie es ist, ohne Wenn und Aber, für sich reklamiert haben, wollen jetzt die Substanz eben dieses Grundgesetzes aushöhlen. Muß ich, Jahrgang '50 und in der DDR geboren, Sie darauf aufmerksam machen, daß uns unsere Geschichte dazu gebracht hat, das Recht der Verfolgten, bei uns Zuflucht zu finden, ohne Einschränkung zu garantieren? Im Art. 16 des Grundgesetzes steht das geschrieben. Niemand sollte dieses Recht unter Vorbehalt stellen. Glücklicherweise steht dem eine Mehrheit, eine Sperrmajorität, entgegen.
Ich könnte zu diesen qualitativen Mehrheitsverhältnissen noch weitere Beispiele anfügen. Machen Sie selbst die Probe aufs Exempel! Sie werden in diesem Haus eine theoretische Mehrheit für die Einführung des Tempolimits auf Autobahnen, für eine entschieden schnellere Verringerung der CO2-Emissionen, für ein Programm des Sozialen Wohnungsbaus und und und finden. Diese Bundesregierung hat die Macht, aber sie hat nicht die Kraft, zu einer Politik zu finden, die gesellschaftliche Mehrheiten überzeugt.
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Meine Damen und Herren, die Mühen der Deutschen Einheit sind ein Kinderspiel gegenüber dem, was an Problemen in Osteuropa entsteht. Nachhaltig drängen die Länder Ostmitteleuropas auf eine rasche Einbeziehung in die Europäische Gemeinschaft. Sie schauen dabei in besonderer Weise auf Deutschland, das für sie in mancher Hinsicht die Brücke nach Europa darstellt. Die Öffnung der EG nach Osten liegt auch im Interesse Ostdeutschlands, das von der wirtschaftlichen Umstrukturierung doppelt betroffen ist, weil damit der Wegfall der Wirtschaftsverflechtungen in den ehemaligen RGW-Raum verbunden ist. In dieser Situation ist es das Gebot der Zeit und stünde Deutschland gut an, eine wirklich gesamteuropäische Politik zu machen. Doch bisher setzt die Bundesregierung vorrangig auf die Weiterentwicklung und Konsolidierung der Westeuropäischen Gemeinschaft, ungeachtet des Preises, den Europa östlich der EG dafür zahlen muß.
Es steht zu befürchten, daß die gesamteuropäische Aufgabe auf die lange Bank geschoben wird. Das wird zu Lasten Osteuropas und zu Lasten Ostdeutschlands gehen. Mit einem Hin- und Herschwanken der deutschen Politik zwischen westeuropäischem Projekt und osteuropäischen Anforderungen wird sich eine gefährliche Sonderrolle Deutschlands innerhalb der EG und zwischen West- und Osteuropa ergeben.
Doch jedes Scheitern der Reformpolitik in Osteuropa wird entweder zur Stärkung der Ex-Kommunisten oder der antiwestlichen Nationalisten oder sogar zu einer Verbindung beider führen. Westeuropa muß Osteuropa die Hand reichen, wirtschaftlich wie politisch, wenn nicht der ganze Kontinent in einen Abgrund von Gewalt und Elend hinabgezogen werden soll. Ich denke, daß wir Bürgerrechtler aus der DDR hier eine wichtige Vermittlungsfunktion wahrnehmen könnten.
Meine Damen und Herren, auch aus diesem Grund plädieren wir für eine rasche Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft um die beitrittswilligen Staaten Ost- und Mitteleuropas. Eine gesamteuropäische Gemeinschaft muß in der Lage sein, unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme zu integrieren - jedenfalls besser, als dies die EG bisher vermochte. Die Beitrittsfähigkeit darf nicht danach beurteilt werden, ob ein Land bereits alle Standards des EG-Binnenmarktes erfüllt. Die ostmitteleuropäischen Länder dürfen nicht erneut auf unabsehbare Zeit von den europäischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden.
Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Jugoslawien, die Unstimmigkeit, ja das Versagen der EG machen eines deutlich: Es besteht kein Frieden mehr in Europa, es gibt keinen griffbereiten Friedensplan und auch kein tragfähiges Sicherheitskonzept. Ich sage das nicht vorwurfsvoll, sondern besorgt. Auch von der Friedensbewegung, die bei anderen Bedrohungen auf der Straße war und sich lautstark artikuliert hat, ist im Moment nichts zu spüren.
Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation ist das politische Koordinatensystem durcheinander geraten. Die NATO ringt um ihr Selbstverständnis; Sinn und Legitimation sollen durch ein Konstrukt belegt werden, das da lautet: Wir stehen vor gefährlichen Risiken, und wir brauchen eine angemessene Risikoversicherung. Die NATO sei eine wichtige Versicherungspolice, die man nicht einfach wegwerfen könne. Sie möchte eine Überlebensgarantie. Dabei steht sie einer gesamteuropäischen Friedensordnung eher im Wege.
Historische Chance und Aufgabe lauten doch, daß bestehende sicherheitspolitische Institutionen entmilitarisiert und daß bestehende Organisationen nicht
Werner Schulz ({17})
militarisiert werden - wie etwa die EG, die bei aller Kritik eine zivile Großmacht ist.
Allerdings sollten wir die fromme Formel der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten aufgeben. Was heißt denn „souverän" oder gar „friedliche Koexistenz", wenn in einem Land Mord und Totschlag herrschen? Wir brauchen neue Instrumente zur Verteidigung der Menschenrechte, eine Strategie der nichtmilitärischen Konfliktbewältigung. Einen solchen Auftrag möchte ich dem Herrn Bundeskanzler ins Gepäck für seine Reise nach Maastricht legen. Das ist die Herausforderung eines zivilen Europa. Hier muß sich die Autorität des vereinten Europas, der Politischen Union zeigen; denn Gnade uns Gott, wenn sich das in der Sowjetunion wiederholt, was jetzt in Jugoslawien geschieht. Wenn die Abnabelung der Unionsrepubliken, der Reformprozeß nicht friedlich verlaufen, dann wird der Bürgerkrieg in Jugoslawien wie ein Hausbrand im Vergleich zu einem Feuer in einem Atommeiler erscheinen.
Da hilft Ihre Kanonenlöschbootdiplomatie nicht weiter, Herr Schäuble, wie unlängst vor der Jungen Union geäußert. Das waren todsicher die falschen Worte am rechten Platz. Wir haben weder in Kuwait, in Jugoslawien noch sonstwo etwas verloren, können nur den mehr oder minder guten Ruf Deutschlands, den guten Ruf der Bundesrepublik verlieren, haben aber nichts zu gewinnen außer Schrammen am Helm - es sei denn, er ist blau oder grün und ihn schmückt das UNO-Friedensmandat.
({18})
Wir sollten vielmehr mit Nachdruck dafür sorgen, daß Europa endlich bereit ist, die Kosten eines Ölembargos gegen die jugoslawischen Konfliktparteien zu tragen, anstatt unverdrossen über militärische Eingreiftruppen zu schwadronieren.
({19})
Wir sollten Deserteuren Friedensasyl anbieten und so den Kampf der jugoslawischen Mütter unterstützen.
({20})
Meine Damen und Herren, in Anbetracht meiner geringen Redezeit will ich mich jetzt kurz fassen.
({21})
- Für Sie mag das zu lang sein. Ich hätte Ihnen noch vieles zu sagen, wenn Sie aufmerksamer zuhören würden.
({22})
Es sind die großen Probleme, vor denen wir stehen und die ich hier jetzt abschließend gar nicht mehr behandeln kann. Aber ich will Ihnen sagen, daß keine Partei in solch einer schwierigen Situation, in der wir uns jetzt befinden, komplette Instantlösungen parat hat. Die Situation erfordert von uns Außergewöhnliches. Wir sollten uns dem Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichtet fühlen und unseren Grips zusammennehmen. Was getan werden muß und getan werden kann, ist nur durch schonungslose Offenlegung der Tatsachen, durch Glasnost, gemeinsame Analyse, gemeinsame Arbeit zu leisten. Nur das wird die so dringend erforderliche Aktivität auch im Osten, wo noch so viel Lethargie herrscht, freisetzen. Es darf nicht so sein, daß sich dieser schlechte Witz bewahrheitet, wonach sich die Ossis beim Bundeskanzler darüber beschwerden, er hätte sein Versprechen gebrochen, und er ihnen entgegnet: Macht nichts; Ihr bekommt ein neues.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte soll sich ja generell mit der Politik der Bundesregierung auseinandersetzen. Nun haben zunächst alle am Anfang den neuen Fraktionsvorsitzenden gratuliert. Ich habe das persönlich getan, und ich wiederhole das hier auch. Ich will es aber nicht weiter ausdehnen, um deren Ruf nicht unnötig zu schädigen.
({0})
Ich nehme ja darauf auch Rücksicht, füge allerdings eines hinzu: Wissen Sie, ich habe es in meiner Anwaltspraxis nicht selten erlebt, daß Staatsanwälte und Richter versucht haben, mir das Wort zu entziehen, und daß sie gesagt haben, ich solle lieber schweigen.
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- Wenn Sie das richtig finden, dann zeigt das Ihre Einstellung zum damaligen Rechtssystem in der DDR. ({2})
Wenn ich das heute wieder aus dem Munde eines Fraktionsvorsitzenden höre, dann macht mich das schon hinsichtlich der Parallelität ziemlich stutzig. Ich sage Ihnen deutlich, daß ich es mir nicht bieten lasse, ganz abgesehen davon, daß der Zwischenruf gar nicht von mir kam. Aber diese Art von Sachirrtümern bin ich gewöhnt, und ich bin ja auch bereit, das auf mich zu nehmen.
Was die Außenpolitik der Bundesregierung betrifft, so mache ich mir sehr wohl Sorgen, daß es in der Koalition nach wie vor Kräfte gibt, die weniger ein Miteinander in Europa und in der Welt als vielmehr eine Vormachtstellung anstreben. Hier können auch schon kleine Gesten große Mißverständnisse auslösen. Ich mache mir z. B. Sorgen, wenn der Kanzler den russischen Präsidenten ans Mikrophon schubst, damit er eine von ihm gewünschte Erklärung abgibt. So geht
man eigentlich mit Präsidenten anderer Länder nicht um.
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Ich füge hinzu: Mir fehlt das wirklich neue Denken auch in der Außenpolitik. Was wäre denn jetzt erforderlich? Erforderlich wäre eine Stärkung und eine Demokratisierung der UNO, des KSZE-Prozesses, des Europäischen Parlaments und eine Beendigung der Blockade bei der Aufnahme in die Europäischen Gemeinschaften. Wer wirklich europäische Einigung will, muß auch Osteuropa und die entsprechenden Teile Südeuropas einbeziehen. Ansonsten sollte er gleich sagen, daß es ihm nur um eine Integration Westeuropas und eine Abschottung Westeuropas gegenüber anderen Teilen Europas und der Welt geht.
Ich frage mich eigentlich, wieso die NATO-Politik wie bisher fortgesetzt wird, als ob sich in dieser Welt nichts geändert hätte. Der Warschauer Vertrag ist aufgelöst, und es wird dennoch nicht über konsequente Abrüstung nachgedacht. Statt dessen soll zusätzlich eine europäische Eingreiftruppe im Rahmen der WEU geschaffen werden, und das heißt nach deutschen Vorstellungen wohl: an der Seite der EG; d. h. die Europäischen Gemeinschaften sollen auch noch militarisiert werden. Ich frage mich, wozu dieser Ausbau eigentlich gut sein soll, woher man eigentlich das neue Feindbild gewinnen will, das doch eigentlich restlos zerstört sein müßte.
Ich betone allerdings, daß ich dem Bundeskanzler und der Bundesregierung voll zustimme, wenn sie u. a. aus historischen Gründen sagen, daß sich deutsche Truppen an einem militärischen Einsatz in Jugoslawien nicht beteiligen werden. Ich teile dieses Argument. Ich teile allerdings nicht das Argument, daß es für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland wichtig sei, sich künftig auch an militärischen Einsätzen zu beteiligen, und daß deshalb auch noch das Grundgesetz geändert werden sollte. Ich glaube, darauf können die anderen Völker und kann auch unser Volk ganz gut verzichten.
In diesem Zusammenhang möchte ich zum Haushalt zurückkommen und auch ein Wort zur Rüstungspolitik in diesem Land sagen. 52,5 Milliarden DM sollen für Rüstung und Militär im kommenden Jahr ausgegeben werden. Das ist eine Reduzierung um 0,06 %. Ich möchte gerne darauf hinweisen, weil es deutlich macht, daß hier auch keine Veränderung in der Politik eingetreten ist. Ich begreife es einfach nicht, daß, nachdem sogar sozusagen der direkte Gegner DDR weggefallen ist, hier nicht eine konsequente Abrüstung möglich sein sollte. Mindestens 10 Milliarden DM könnten eingespart werden. Die Hälfte davon könnte für Konversion und für soziale Absicherung zu entlassender Berufssoldaten ausgegeben werden; die andere Hälfte stünde dann wirklich für soziale und andere Zwecke zur Verfügung. Solange so viel Geld für Rüstung ausgegeben wird, ist z. B. in der Sozialpolitik Mittelknappheit für mich kein Argument. Das möchte ich deutlich betonen.
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Ich finde, daß es auch an der Zeit wäre, einmal über die Abschaffung der Wehrpflicht und anderer
Zwangsdienste nachzudenken. Ich glaube, auch das würde zu einer Abrüstungspolitik gehören.
In diesem Zusammenhang kommt man natürlich auch nicht umhin, zu der leidigen Debatte zum Thema Asyl und überhaupt zur Politik in bezug auf unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Stellung zu nehmen. Nachdem diese Debatte im Sommer durch Vertreter der Regierungskoalition ausgelöst worden ist und wir es seit Herbst mit einer Welle von Gewalt gegen Heime sogenannter Asylantinnen und Asylanten, gegen Ausländerheime, und mit Angriffen auf einzelne Ausländerinnen und Ausländer zu tun haben, hätte ich gehofft, daß sich diejenigen, die diese Kampagne inszeniert haben, wenigstens erschrecken, daß sie sehen, was sie mit angerichtet haben, und danach Zurückhaltung üben. Aber nein, es werden die gleichen Formulierungen weiter benutzt, als wäre in diesem Land nichts passiert. Diese schlimmen Worte von „Scheinasylanten", „Wirtschaftsflüchtlingen", „SPD-Asylanten" werden immer noch benutzt, und das, wie gesagt, in einer Art und Weise, die Rechtsradikale nur aufmuntern kann. Es ist eben ein riesiges Problem, wenn ich denen sage: „Wir sind uns doch im Ziel einig, die sollen fast alle weg, nur in der Methode unterscheiden wir uns. " Das ist zuviel an Übereinstimmung.
Ich füge hinzu, daß hier auch mit Zahlen jongliert wird. 200 000 Anträge wird es in diesem Jahr geben. In diesem Jahr sind auch 200 000 sogenannte Übersiedler gekommen. Die Industrie hat in diesem Jahr 300 000 Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Das wird immer verschwiegen, und es wird so getan, als ob mit diesen 200 000 Anträgen fast das gesamte wirtschaftliche und soziale Schicksal der Bundesrepublik zusammenhinge. Man muß auch einmal sehen, was in den Vorjahren z. B. an DDR-Bürgern aufgenommen worden ist.
Die Argumente, die Sie benutzen, können Sie doch nicht ernsthaft an Nationalität binden. Ist es nun sozial möglich, ist es wohnungspolitisch möglich, oder ist das alles nicht möglich? Sie können doch nicht sagen: „Das ist möglich, wenn es ein Deutscher ist,
({5})
aber es ist völlig unmöglich, wenn es eine Ausländerin oder ein Ausländer ist. " Das sagt dann nämlich etwas über Ihre Einstellung.
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- Wissen Sie, die Posse in bezug auf die Auslieferung von Honecker wollen wir heute lieber nicht aufwärmen; dazu könnte ich Ihnen auch einiges sagen.
({7})
- Meine Zeit ist zu begrenzt. Ich sage Ihnen dazu schon noch etwas.
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- Das ist doch nicht mein Problem. Ich habe kein Staatsbankett für Herrn Honecker gegeben. Ich habe
überhaupt nie in meinem Leben mit ihm persönlich gesprochen, weder telefoniert noch anders.
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Ich weiß nicht, ob Sie ihm damals beim Abendessen gesagt haben, als Sie die Wiedervereinigung in Ihrer Tischrede forderten, Herr Bundeskanzler: „Natürlich werden Sie anschließend sofort eingelocht, und Ihre Grenzsoldaten gleich mit." Ich habe meine Zweifel, daß Sie ihm das damals gesagt haben. Das hätte dann aber zur Ehrlichkeit dazugehört.
({10})
Inzwischen passiert folgendes. Inzwischen marschiert in Halbe am Volkstrauertag zunächst die Bundeswehr auf den Friedhof. Da liegen schon Kränze mit SS-Runen, es steht auch ein SS-Pappdenkmal da, das wird nicht beseitigt.
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- In Halbe, auf dem Friedhof. - Nachdem die Bundeswehr abfährt - das werfe ich ihr jetzt nicht mehr vor - , kommen ganze Schwadronen von Neonazis mit SA-Hemden, mit SS-Abzeichen, halten eine Stunde lang Reden, ein einziger Polizist erscheint. Bisher ist kein einziges Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Es waren volksverhetzende Reden schlimmster Natur. Ich konnte mir einen Zwei-Stunden-Film ansehen, in dem das alles aufgezeichnet ist. Man kriegt das kalte Grauen und Gruseln. Keine Reaktion seitens der Bundesregierung, keine Maßnahmen werden eingeleitet.
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- Auch durch die Justiz nicht. - Das muß doch so verstanden werden, daß diese nationalistischen und neonazistischen Tendenzen hier toleriert werden.
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- In Halbe, sagte ich schon.
({14})
- Die trafen sich dort aus allen Bundesländern zu dieser Aktion. Nein, nein, das bekommen Sie nicht hin, das ist zu billig.
Ich sage Ihnen noch etwas. Das Problem besteht u. a. darin, daß auch die Justiz so einäugig reagiert. Die Treuhandanstalt und die Unabhängige Kommission lassen sich z. B. zur administrativen Vernichtung der PDS jeden Tag etwas Neues einfallen, der Senat in West-Berlin, besser gesagt: jetzt in Berlin tagt die ganze Zeit über die Frage, ob eine Richterin, der man nichts vorwerfen kann, von der man aber annimmt, daß sie in der PDS sein könnte, dieses Amt tatsächlich ausüben kann. Da werden irrsinnige Aktivitäten entfaltet. Wenn Sie nur ein bißchen dieses Ideenreichtums im Kampf gegen den Rechtsradikalismus anwenden würden, wir wären schon wesentlich weiter.
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Ich sage Ihnen auch, daß die ganzen Diskussionen in diesem Zusammenhang um die Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes nicht nur am falschen Punkt ansetzen. Das Schlimmste daran ist, daß damit Illusionen geweckt werden. Denn sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als ob mit einer solchen Grundgesetzänderung die Probleme, die damit in Zusammenhang stehen, auch nur irgendwie gelöst werden könnten.
Ich füge hinzu: Ich bedaure, daß es Ihnen gelungen ist, die SPD so an die Wand zu drücken, daß sie Ihren Vorstellungen zur Beschleunigung der Asylverfahren, zu Sammellagern etc. wesentlich nähergekommen ist und zum Teil auch zugestimmt hat. Das ist genau alles das, was wir in den Auseinandersetzungen in dieser Frage nicht benötigen.
Ich bin - im Unterschied zum Bündnis 90/GRÜNE - ganz und gar gegen Quotierungen, solange nicht eine Grundvoraussetzung erfüllt ist: Die Bundesrepublik Deutschland nimmt für jede D-Mark, die sie in die Dritte Welt schickt, immer noch 3 DM ein. Solange das Verhältnis nicht endlich umgekehrt ist, solange wir nicht wirksam etwas gegen Elend und Hunger in der Dritten Welt tun, dürfen wir uns nicht wundern, daß dieses Elend und dieser Hunger an unsere Türen klopfen. Dann auch noch die Türen zu schließen, das ist eine Arroganz des Wohlstandes, die uns nicht nur schlecht ansteht, sondern die unsere Existenz gefährden kann, wenn wir uns mit diesen Widersprüchen nicht ernsthaft auseinandersetzen und versuchen, sie zu lösen.
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Ich habe heute das erste Mal vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU gehört, daß Sie sich auf die deutsche Einheit gut vorbereitet hatten. Ich muß ja sagen: Bisher hatte ich vieles entschuldigt, weil ich dachte, Sie seien nicht darauf vorbereitet gewesen. Wenn ich jetzt aber mitbekomme, daß Sie sich darauf gut vorbereitet haben, und sehe, daß das herausgekommen ist, was wir gegenwärtig in den neuen Bundesländern erleben, müssen meine Vorwürfe doch an Schärfe gewinnen.
Ich sage Ihnen: Das Schlimmste an der Krise in den neuen Bundesländern ist, daß die Bundesregierung nicht einmal zur Kenntnis nehmen will, daß es diese Krise gibt. Deshalb kann sie nämlich auch keine Konzepte gegen sie entwickeln.
Statt dessen hören wir hier permanente Beschönigungen, Lobhudeleien und permanentes Leugnen von Tatsachen. Sicherlich gibt es in den neuen Bundesländern im Vergleich zu der Zeit vor dem Herbst 1989 ein deutliches Mehr an Demokratie, an politischen Freiheiten und an vielem anderen.
Aber das gab es auch schon
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in der Zeit vor der Einheit 1990, z. B. seit der Wahl vom 18. März 1990. Aber jetzt ist eine soziale, eine wirtschaftliche , eine psychische Verunsicherung eingetreten, die nicht so ohne weiteres zu steuern ist. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern haben den Eindruck, daß Sie hier dachten, Sie bekämen ein riesiges Territorium, viele Immobilien. Plötzlich sind auch noch 16 Millionen Menschen dabei, die würgen; mit denen kann man irgendwie schlecht umgehen. Aber die haben sie eben auch bekommen. Für die müssen Lösungen gefunden werden, die nicht in Sicht sind.
Sie sprechen von Aufschwung. Sie malen eine reine Idylle für die Zukunft aus. Künftig soll das dort der modernste Standort werden. Mit den gegenwärtigen Realitäten hat das nichts zu tun. Sie dürfen nicht vergessen: Sie stoßen dort auf eine Bevölkerung, die jahrzehntelang Schönfärberei hinter sich hat. Sie wollte jetzt eigentlich mit der Wahrheit konfrontiert werden und nicht wieder mit falschen Versprechungen.
Lange Zeit sprach die Bundesregierung z. B. von einem zweiten Wirtschaftswunder und knüpfte an die Währungsreform von 1948 an. Ich darf aber sagen, daß damals eine ganz andere Methode angewandt wurde, nämlich die vorhandenen Kapazitäten effizienter zu nutzen und die Arbeitsplätze produktiver zu nutzen. Heute werden aber die vorhandenen Kapazitäten und die Arbeitsplätze zerstört. Schon deshalb ist die Politik heute wesentlich schlechter als die von damals. Kapazitäten werden brach- und stillgelegt; die Menschen sind arbeitslos oder unter verschiedenen anderen Bezeichnungen ohne Beschäftigung.
Die Bundesregierung setzt diesmal in der Frage der Ankurbelung der Wirtschaft passiv und einseitig auf die Kräfte des Marktes. Diese Kräfte wirken aber nicht von allein zugunsten eines Aufschwungs in den neuen Bundesländern.
Die Gelder der Steuerzahler müssen beträchtlich für soziale Zwecke eingesetzt werden, obwohl sie viel günstiger zur Finanzierung von Arbeit eingesetzt werden könnten.
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Wir sind für diese soziale Sicherung. Aber ich füge hinzu: Es ist an der Zeit, etwas gegen die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit zu tun. Die alleinige Finanzierung der sozialen Mindestsicherung der Arbeitslosigkeit kann nicht als sozial angesehen werden, wenn eine soziale Grundforderung, nämlich das Recht auf Arbeit, nicht gewährleistet wird.
Besonders schlimm ist die Lage für Ältere und für Frauen. Die Arbeitslosenquote der Frauen liegt wesentlich höher als die der Männer. Alleinerziehende, die ihr persönliches Leben unter Bedingungen gestalten, die materiell eine gleichberechtigte Teilnahme am Leben stützen, sehen sich jetzt sozialen Zwängen ausgesetzt. Die PDS/Linke Liste geht davon aus, daß die Möglichkeit, durch Arbeit sein Leben selbst zu gestalten, ein Grunderfordernis einer demokratischen Gesellschaft, ja, der Emanzipation des Menschen ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch etwas zur Treuhandpolitik sagen, wobei ich darauf
hinweise - Herr Schulz, ich muß Sie korrigieren; Sie haben das ausgelassen - , daß auch die PDS/Linke Liste einen Treuhandgesetzentwurf im Mai 1991 eingereicht hat. Auch der steht zur Verfügung, wenn es endlich um die Realisierung einer neuen Treuhandpolitik geht.
Das Problem besteht zum einen darin, daß die Treuhand nicht transparent arbeitet. Auf eine Frage von mir hat ein leitender Mitarbeiter der Treuhandanstalt gesagt: Man redet doch als Eigentümer nicht über Kaufpreise, die man erzielt. Dabei vergißt er nur, daß die Eigentümer die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer sind, und diese haben sehr wohl einen Anspruch, zu erfahren, für welches Geld was verscherbelt wird.
Durch die Art der Währungsunion zahlt die Treuhandanstalt genauso viel für Zinsen wie für die Sanierung. Rund 10 Milliarden DM verdienen die Banken jährlich an der künstlichen Verschuldung ehemaliger DDR-Staatsunternehmen. Wann werden denn nun endlich die sanierungsfähigen Betriebe entschuldet? Wann wird endlich eine Sanierungs- und Strukturpolitik eingeleitet? Wann endlich geht man in erster Linie von den Interessen der Menschen und nicht einiger Wirtschaftsmanager aus?
Nicht unbedeutende Mittel werden in die Umschulung oder Fortbildung gesteckt. Ich beziehe mich hier auf das Untersuchungsergebnis des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung der Ruhr-Universität Bochum. Diese Umschulungen enthalten massenhaft Ausbildungen über allgemeine Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Man schickt Studenten und Rentner als Kursleiter in den Osten. Selbst wer als Weiterbilder im Westen nie etwas hätte werden können, verdient sich im Osten eine goldene Nase mit Gemeinplätzen über Marktwirtschaft. Die Kosten tragen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Eine wirkliche Erweiterung des Fachwissens findet nicht statt.
Ein Hauptproblem ist natürlich die technische Erneuerung. Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie eine technische Erneuerung erreichen wollen, wenn Sie gleichzeitig die Kapazitäten zur wissenschaftlichtechnischen Innovation permanent schließen, sowohl in den Betrieben als auch in den Universitäten, Akademien und Hochschulen. Woher soll denn dann dort der technische Fortschritt kommen? Ich glaube, daß Sie ihn gar nicht wollen.
Wir können es auch ganz konkret machen, z. B. was die Stahlproduktion in Hennigsdorf betrifft. Es gab zwei Angebote: ein Angebot der Firma Riva und ein Angebot eines deutschen Konsortiums bestehend aus Badischen Stahlwerken, Saarstahl und Thyssen Stahl AG. Unabhängige Wirtschaftsprüfer sind bei der Bewertung der beiden Angebote darauf gekommen, daß das deutsche Konsortium Vollzeitarbeitsplätze in wesentlich größerem Umfange anbietet und außerdem Schulden übernehmen und dann noch 14 Millionen DM mehr an Kaufpreis zahlen will. Genau dieses Angebot wird abgelehnt.
Aber wenn man das nun schon ablehnt, dann bleibt eine ganz wichtige Frage: Bekommt die neue Beschäftigungsgesellschaft, die 8 000 Beschäftigte über5006
nehmen soll, weil nur 2 000 weiterbeschäftigt werden sollen, das Gelände, das für den Industriestandort nicht benötigt wird? Hat sie eine Möglichkeit, den Bewerbern für dieses Gelände zu sagen: Ihr könnt das zwar erwerben, aber unter der Bedingung, daß soundso viele unserer Beschäftigten übernommen werden?, oder bekommt sie diese Möglichkeit nicht? Es wäre eine neue Treuhandpolitik, wenn diese Beschäftigungsgesellschaft das Recht bekäme, über den Grund und Boden im Interesse der Beschäftigten zu verfügen, statt daß hier wieder eine Splittung stattfindet, daß die Beschäftigungsgesellschaft nichts in der Hand hat und nur betteln kann, während die Treuhandanstalt die Immobilien, den Grund und Boden meistbietend verkauft, ohne sich um die Arbeitskräfte zu kümmern.
Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht eine neue Skandalgeschichte über die Treuhandanstalt verbreitet wird. Ich sage nur: Unsere Zentrag hat einen Mitarbeiter bekommen, der einen Tag später abgelöst werden mußte - er sollte dort eigentlich Ordnung schaffen - , weil er nach mehreren eidesstattlichen Versicherungen für jedes Geschäft bisher Provisionen genommen haben soll. Das ist auch gar nicht verwunderlich, wenn man sich einmal ansieht, wie der Verwaltungsrat zum Teil besetzt ist, wie eng hier regierungsamtliche und wirtschaftliche Interessen miteinander verflochten sind.
Lassen Sie mich noch etwas zur Sozialpolitik sagen. Hier ist seit langem eine grundlegende Änderung erforderlich. Sie ist auch mit diesem Haushalt wiederum nicht eingeleitet worden. Die Debatten und die Verschleppung der Regelung der Pflegeversicherung sind geradezu unwürdig. Ich bin erschreckt, wie man in einem Staat, der sich Sozialstaat nennt, tatsächlich sagen kann, das Soziale müsse jetzt privatisiert werden, wie es der Vorschlag der FDP ist. Ich halte das für einen Anachronismus. Die Wirtschaft wird immer stärker vergesellschaftet, aber die soziale Sicherung soll privatisiert werden.
Ich glaube, daß hier eine Schuld der Regierenden gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in Ost und West einzulösen ist. Hier kann auch nicht die DDR in die Verantwortung genommen werden. Es ist ein Skandal, wie Unternehmerverbände und die FDP ausgerechnet gegen eine sozialverträgliche Regelung der Pflegeversicherung und gegen einen Unternehmerbeitrag bei Sozialversicherungskonzepten argumentieren und aus der sozialen Verantwortung heraustreten wollen.
Wenn auch die Pflege in der DDR auf sehr geringem materiell-technischem und personellem Niveau gesichert wurde, so entsprachen diese Regelungen dennoch einer Sozialleistungspflicht des Staates und nahmen den Pflegebedürftigen nicht die Ersparnisse, Vermögen und Einkommen. Nach dem Anschluß der DDR an die BRD ist für Zehntausende pflegebedürftige Bürgerinnen und Bürger die plötzliche, bisher nicht gekannte finanzielle Belastung, die soziale Degradierung und das Gefühl, für Familie und Kinder eine Last zu werden, ein Alptraum. 98 % der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner in den neuen Bundesländern sind Sozialhilfeempfängerinnen bzw. Sozialhilfeempfänger geworden; 70 % sind es in den alten Bundesländern.
Ich glaube, wir brauchen auch eine Änderung des Rentenrechts. Erstens muß das politische Strafrecht aus dem Rentenrecht wieder verschwinden, und zweitens brauchen wir Ehrlichkeit bei der Benennung von Erhöhungen. Sie müssen doch den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen Bundesländern, wenn Sie von Rentenerhöhungen sprechen, auch sagen, daß jene, die einen höheren Zahlbetrag haben, überhaupt keine Erhöhung bekommen, sondern daß dann der Betrag gleichbleibt.
Ich glaube, wir benötigen auch dringend eine Mindestrente. Außerdem müssen wir uns auf eine soziale Grundsicherung zubewegen.
Insgesamt sind für uns wichtige Reformschritte in Richtung einer sozialen Sicherung: die Einführung einer bedarfsorientierten bundesfinanzierten Mindestsicherung für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung, die Durchsetzung des Rechts auf Wohnraum und des Rechts auf Zugang zu für die Eltern bezahlbaren Kinderbetreuungseinrichtungen, die Verlängerung der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung und die Verkürzung von Warte- und Vorversicherungszeiten, die Wiederanhebung der Unterstützungssätze und die stärkere Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung und -pflege in der Renten- und in der Arbeitslosenversicherung.
({19}) - Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Herr Abgeordneter Gysi, Ihre Redezeit ist noch nicht abgelaufen. Ich wollte Ihnen nur einen geringeren Geräuschpegel vermitteln; das war meine Absicht.
Ich bin es ja gewöhnt, daß sich die Regierungskoalition für soziale Verbesserungen für die Menschen nicht interessiert; das ist sozusagen nichts Neues.
({0})
Worauf ich besonders bestehe, will ich hier deutlich sagen: Schaffen Sie endlich die unwürdige Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern ab! Degradieren Sie diese Menschen nicht weiterhin, sondern führen Sie endlich eine soziale Grundsicherung ein!
({1})
Ich füge hinzu, daß die Art der Abwicklung in der früheren DDR auch zu einem starken Identitätsverlust geführt hat. Es ist eine Katastrophe - nicht nur wirtschaftlich, sondern auch psychisch und vor allem kulturell - , wenn Jugendklubs, Kulturhäuser, Orchester und Theater geschlossen werden, wenn Künstlerinnen und Künstler in Armut geraten, wenn Sie den Menschen sogar das Stückchen Identität nehmen, das sie durch den neuen Deutschen Fernsehfunk, durch
DT 64, für die Jugend hatten, wenn Sie die Akademie der Wissenschaften zum Ende des Jahres schließen. Alles wird beerdigt, für nichts und wieder nichts.
Ich füge hinzu: Dann mißbrauchen Sie die Menschen in den neuen Bundesländern auch noch, um Abbau von Demokratie und Sozialleistungen durch Deregulierung oder durch Justizreformen zu begründen, obwohl diese Pläne längst auf dem Tisch lagen und überhaupt nichts mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu tun haben.
Herr Dr. Gysi, jetzt allerdings wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Ankündigung von eben wahrmachen würden.
Danke schön, ich nehme den Hinweis gerne entgegen.
Meines Erachtens ist neues Denken tatsächlich erforderlich, auch in der Politik der Bundesregierung, gerade auch für die Menschen in dieser Bundesrepublik Deutschland. Beendigen Sie Beschönigung, lassen wir Realismus und Wahrheit einkehren und vergessen wir in der Politik nie, gerade beim Haushalt, daß es nicht um Zahlen und um Geld, sondern letztlich um das Schicksal einer Vielzahl von Menschen geht!
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir erlaubt, bei der Rede von Herrn Schäuble den Zwischenruf zu machen: „Keinem wird es schlechter gehen" , und damit Bundeskanzler Kohl aus dem Jahre 1990 zitiert. Mir wurde daraufhin entgegengehalten, daß ich Verantwortung für 40 Jahre Totalitarismus trüge und deswegen schweigen müßte.
({0})
Ich trage Verantwortung für das, was ich getan oder nicht getan habe. Ich lehne aber den Versuch ab, hier Kollektivschuld zu begründen. Ich meine, daß das Reden von Kollektivschuld die politische Kultur dieses Landes und auch des Bundeshauses vergiftet.
({1})
Ihr Parteifreund Herr Teltschik hat vor kurzem in der „Zeit" geschrieben, es erfülle ihn mit Zorn, wenn führende Politiker aus den neuen Bundesländern lapidar erklärten, sie seien ja nur Mitglieder einer der Blockparteien oder nur Mitglied der FDJ oder dort nur in untergeordneten Positionen gewesen.
({2})
Das alles sei Kollaboration gewesen. Sie hätten damit z. B. das Privileg erworben, zum Studium zugelassen zu werden. - Jeder, der in der DDR studiert hat, wird damit der Kollaboration beschuldigt. Ich meine, daß
solche Methoden der Begründung von Kollektivschuld in der Lage sind, das Klima dieses Landes zu vergiften. Ich bitte Sie, daß wir miteinander hier als Individuen umgehen und uns überlegen, was jeder getan hat, wozu jeder heute steht, daß wir versuchen, uns hier einander als Individuen zu behandeln. Ich sehe das als eine Voraussetzung für die politische Kultur an. Ich denke noch heute mit Freude an die Art und Weise, wie in der letzten Volkskammer der DDR miteinander umgegangen wurde. Ich empfehle dem Bundestag das als Vorbild.
({3})
Nun erteile ich dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht erlauben Sie, weil ich unmittelbar nach meinem Vorredner spreche, eine knappe Bemerkung. Ich glaube nicht, daß es in diesem Hause jemanden gibt, der Kollektivschuld behauptet. Das ist völlig undenkbar. Wir, die Deutschen, haben die Lektionen der Geschichte gelernt. Ich finde, wir sollten uns das Gegenteil auch nicht unterstellen. Es gibt keine Kollektivschuld.
Das Zweite ist - auch das gehört allerdings zu diesem Bild -, daß man doch bedenken muß, wofür man Verantwortung trägt, durch sein eigenes Mittun, durch sein eigenes Versagen - ich werde in anderem Zusammenhang auf das Thema heute noch zu sprechen kommen - , und daß man dann vielleicht auch bei der Wortwahl, Herr Abgeordneter, bedenken muß, ob Zwischenrufe dieser Art, gerade an diesem Punkt, angemessen sind, und daß dann möglicherweise Reaktionen erfolgen, die Sie ja verstehen sollten; denn Sie stehen schon, auch mit dem, was Sie politisch hier vertreten, für einen Abschnitt der deutschen Geschichte, den die meisten der Deutschen als einen unglücklichen Abschnitt bezeichnen.
({0})
Im übrigen - lassen Sie mich das als Parteivorsitzender sagen - bin ich dafür, daß wir uns mit Ihnen über diesen Abschnitt auseinandersetzen. Das trägt zu dessen Klärung für unser Volk bei. Aber dazu gehört eben, daß man nicht wehleidig ist. Ihr Herr Vorsitzender hat eben einen Beweis dafür gebracht, daß er im Austeilen sehr viel stärker ist, als Sie im Einstekken sind. Das ist eine der Erfahrungen, die gemacht wurden.
({1})
Meine Damen und Herren, ich denke, Sie haben Verständnis dafür, daß auch ich mich, bevor ich mich dem eigentlichen Thema, der Generalaussprache, zuwende, angesichts des Wechsels in wichtigen Funktionen des Hauses mit einem Wort des Dankes und des Respektes an einzelne Kollegen wende.
Ich spreche zunächst Sie an, Herr Kollege Dr. Vogel. Wir haben in diesen Jahren von diesem Platz aus oft miteinander die Klingen gekreuzt. Wir haben hef5008
tige Auseinandersetzungen miteinander geführt; wir haben gegeneinander kandidiert, und wir haben uns ganz gewiß auch gegenseitig nichts geschenkt. Wir haben uns - lassen Sie mich das so offen bekennen, wie ich es empfinde, vielleicht auch Sie - eine ganze Weile recht schwergetan, uns aneinander zu gewöhnen. Das ist aber am Ende doch gelungen.
Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Als Sie jetzt - das ist sehr symptomatisch und typisch für Sie - , noch bevor Sie aus dem Amt schieden, den Abschiedsbesuch bei mir machten, war meine Empfindung die, die ich jetzt hier wiedergeben kann: nämlich daß Jochen Vogel in diesen Jahren nicht nur irgendein Parteisoldat war, sondern versucht hat, mit seinen Möglichkeiten unserer Republik zu dienen. Wir waren oft unterschiedlicher Meinung. Aber da ich selbst einmal Vorsitzender der Oppositionsfraktion war und insofern neben Ihnen der einzige Spezialist auf diesem Gebiet mit Erfahrung im jetzigen Hause bin, kann ich sehr wohl ermessen, was Sie für Ihre Partei und Ihre Fraktion, aber auch für die Idee der freiheitlichen Demokratie geleistet haben. Dafür möchte ich ausdrücklich meinen Respekt bekunden.
({2})
Ich wende mich in einem sehr persönlichen und herzlichen Wort auch an meinen Freund Alfred Dregger, den langjährigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, an einen Mann, der in diesen Jahren einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet hat und ohne dessen Wirken - das gilt auch für Wolfgang Mischnick, der zu einem früheren Zeitpunkt sein Amt aufgegeben hat - die erfolgreiche Regierungspolitik nach dem 1. Oktober 1982 so nicht möglich gewesen wäre. Sie haben es in der Ihnen eigenen Weise getan, Herr Dregger: loyal, kameradschaftlich, freundschaftlich. Sie haben sich mehr als andere mit Zerrbildern und Feindbildern in der deutschen Politik auseinandersetzen müssen. Wer Sie kennt, weiß, daß Sie in Wirklichkeit eigentlich nichts mit diesen Zerrbildern zu tun haben. Sie haben auch im menschlichen Miteinander immer wieder das richtige Wort gefunden. Ich darf Ihnen für die Bundesregierung, aber auch ganz persönlich für diese Unterstützung, Kameradschaft und Freundschaft und für den Dienst an der Sache sehr herzlich danken.
({3})
Herr Kollege Klose, ich bin in der glücklichen Lage, daß ich in bezug auf Ihre Wahl die richtige Prognose abgegeben habe, wie einige Ihrer Kollegen wissen. Daraus können Sie entnehmen, wie meine Würdigung Ihrer bisherigen Arbeit war und ist. Ich kenne Sie noch aus Ihren Jahren als Hamburger Bürgermeister. Ich wünsche Ihnen - im Rahmen dessen, was meinem Amt, besser gesagt: meinen Ämtern gemäß ist - Erfolg,
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und zwar vor allem auch eine glückliche Hand im Umgang mit den Kollegen aller Fraktionen. Ich glaube, daß die Rolle des Fraktionsführers der stärksten Oppositionsfraktion so ist, wie ich es eben schon
in Würdigung von Jochen Vogel zum Ausdruck gebracht habe, nämlich ungewöhnlich schwierig. Ihre heutige Rede ist ja auch ein Beweis dafür.
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Man muß alle Mitglieder und alle Strömungen in der Fraktion unter einen Hut bringen; man muß gleichzeitig versuchen, seine eigene Identität nicht zu verlieren und verleugnen. Wer selbst einmal in solcher Lage war, hat sehr viel Verständnis dafür, selbst wenn er es dann anschließend kritisiert.
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Ich wende mich mit einem persönlichen Wort an meinen Freund Wolfgang Schäuble. Bei ihm sage ich ganz einfach: Ich wünsche Ihnen viel Glück und Segen in diesem neuen Amt.
({7})
Herr Kollege Klose, ich habe, wie viele andere, Ihre Rede heute natürlich besonders aufmerksam angehört. In der Kürze der Zeit kann ich nicht auf alles eingehen. Aber bei einigen Äußerungen fand ich Sie doch erstaunlich uninformiert; ich will es freundlich so formulieren, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie schon in der Jungfernrede als Fraktionsvorsitzender solche Äußerungen wider besseres Wissen gemacht haben könnten.
Zunächst einmal freue ich mich natürlich, daß Sie die Brasilien- und die Chile-Reise freundlich gewürdigt haben.
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- Herr Kollege, er hat einen anderen Ton angeschlagen. Vielleicht folgen Sie dem Vorsitzenden nach. Das Haus hat einen Gewinn davon, glauben Sie mir.
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Ich freue mich darüber, daß Sie ein freundliches Wort gefunden haben. Nur kann ich zwei Bemerkungen nicht verstehen.
Das erste ist, daß Sie im Zusammenhang mit meinem Eintreten für die Menschenrechte im chilenischen Parlament das Thema Türkei angesprochen haben. Diese Bundesregierung braucht sich in Sachen Menschenrechte und zu dem, was sie zu diesem Thema in Ankara immer wieder gesagt hat, keine Vorhaltungen machen zu lassen. Der Bundesaußenminister, der hier vor allem tätig war, und ich können Ihnen ohne weiteres eine ganze Summe von Einzelaktivitäten der Bundesregierung zugunsten kurdischer Flüchtlinge, für die Achtung der Menschenrechte nennen. Wenn Sie nur einigermaßen aufmerksam die verfaßte öffentliche Meinung in der Türkei auch während des Wahlkampfes dort verfolgt hätten, würden Sie unschwer festgestellt haben, daß wir, die deutsche Bundesregierung, mehr als andere angegriffen worden sind mit dem Vorwurf, wir würden uns in innere Angelegenheiten der Türkei einmischen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie uns vorhalten.
Das zweite, was ich nicht verstehen kann, ist, daß Sie uns im Zusammenhang mit dem Thema Ökologie und tropische Regenwälder Versäumnisse vorwerfen. Man kann ernsthaft darüber reden, ob nicht die geBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Samte westliche Welt sich zu diesem Thema zu wenig engagiert hat - etwa auf den Konferenzen der G 7, der großen Industrienationen, und die begannen nicht mit Helmut Kohl, sondern mit Helmut Schmidt. Diese Behauptung kann man durchaus aufstellen und darüber diskutieren. Aber wahr ist doch, daß seit Mitte der 80er Jahre niemand unter den Regierungschefs der großen Industrienationen mit größerer Entschiedenheit für dieses Thema eingetreten ist, als gerade ich es getan habe. Die von mir geführte Bundesregierung hat den Zusammenhang zwischen ökologischem Handeln und Schuldenerlaß - etwa in afrikanischen Ländern - als erste deutlich hervorgehoben. Daß wir dabei insgesamt noch sehr viel mehr tun müssen, ist klar. Klar ist auch, daß wir beispielsweise im Kreise der G 7 leider Gottes bis zu dieser Stunde noch keineswegs bei allen Partnern den gleichen Erkenntnisstand haben - und ich bin nicht sicher, ob es uns bis München im nächsten Juni gelingen wird. Ich nenne bewußt das wichtige Land im Fernen Osten, das etwa beim Verbrauch von tropischen Harthölzern weit über dem liegt, was die gesamte EG nutzt, und dennoch bisher nicht bereit war, die notwendigen Maßnahmen mit zu ergreifen. Das ist leider so. Aber wir können niemanden zwingen, sondern nur den Versuch unternehmen, durch einen mühsamen Prozeß der Überzeugung dafür zu werben, daß wir unbedingt etwas tun müssen. Und wir werden es tun.
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Dritter Punkt. Lieber Herr Klose, daß Sie hier die Pflegeversicherung angemahnt haben, verstehe ich überhaupt nicht. Denn was haben Sie eigentlich getan? Sie sind seit vielen Jahren im Bundestag. Sie waren Bürgermeister von Hamburg und hatten Sitz und Stimme im Bundesrat. Sie haben zwischen 1969 und 1982 bei einer gleichermaßen ungünstigen demographischen Situation in Deutschland, was die Entwicklung des Altersaufbaus betrifft, die Gelegenheit gehabt, zu handeln. Sie haben nichts getan. Wenn wir uns jetzt vorgenommen haben, in dieser Legislaturperiode dieses Thema anzupacken, was notwendig und überfällig ist und ein Stück sozialer Sicherheit und Stabilität des Landes gewährleistet, dann brauchen wir keine Anmahnung, wann wir den Entwurf vorlegen. Wir haben zugesagt, daß wir es in dieser Periode erledigen, und wir werden es erledigen. Wir haben darüber eine Diskussion. Es ist die normalste Sache der Welt, daß man sich in einer so schwierigen, in die Generationen, die nach uns kommen, hineinwirkenden Frage vernünftigerweise berät.
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Daß wir so vorgehen, halte ich für selbstverständlich.
Vierter Punkt, und da haben Sie unsere volle Zustimmung. Sie haben ein freundliches, gutes und ermutigendes Wort für die Polizei gefunden. Herr Abgeordneter Klose aus Hamburg, ich hätte mir gewünscht, daß Sie das in Hamburg in bezug auf den Einsatz von Polizeibeamten in der Hafenstraße auch einmal so deutlich sagen würden.
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Zu der Wirtschaftsprognose, die Sie abgegeben haben, will ich nichts sagen, weil Sie da hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben sind. Ich habe Sie in den letzten Jahren und Monaten eigentlich immer als einen Mann erlebt, der weit vor vielen Kollegen aus der eigenen Fraktion die Erkennntnis hatte, wie sich die Entwicklung in den neuen Bundesländern wirklich darstellt, übrigens auch in der Gesamtökonomie unseres Landes.
Aber das gehört zu dem, was ich schon sagte: Man muß als Oppositionsführer alle Gruppen aus den eigenen Reihen hinter sich versammeln. Wenn man viel Beifall haben will, muß man auch Erklärungen abgeben, von deren Richtigkeit man nicht völlig überzeugt ist. Ich sage das so offen, weil es mir ähnlich ging. Meine Situation war noch komplizierter, weil ich darüber hinaus noch meine besonderen Erfahrungen als Vorsitzender der gemeinsamen Fraktionen von CDU und CSU machen durfte. Das fehlt Ihnen; das merkt man auch.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist morgen zwei Jahre her, daß ich von diesem Platz aus das sogenannte Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas vorgestellt habe.
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Da wir in einer ungewöhnlich schnellebigen Zeit leben und weil auch viele dabei sind, ihre Politik in diesen zwei Jahren etwas zu vernebeln, ist es wichtig, bei der Generalaussprache über den Etat 1992 kurz auf dieses Thema zu sprechen zu kommen; denn vieles von dem, was wir jetzt als Probleme lösen müssen, und vieles von dem, was sich jetzt glücklicherweise als Lösung anbietet, war ja nur möglich, weil die deutsche Einheit kam.
Damals, in den Tagen und Wochen nach der Öffnung der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze, bot sich uns eine einmalige Chance, und wir haben sie genutzt. Seitdem haben sich vorher kaum glaubliche Veränderungen ergeben. Ich denke, es wird Ihnen wie mir gegangen sein: Als in diesen Tagen der erste frei gewählte Präsident Rußlands, Boris Jelzin, bei uns war, als wir die Fahne Rußlands sahen und die Hymne Rußlands hörten, haben wir gespürt, welch eine im Wortsinne säkulare Veränderung sich ergeben hat.
Ich habe vor zwei Jahren an dieser Stelle erklärt:
Wie ein wiedervereinigtes Deutschland schließlich aussehen wird, das weiß heute niemand. Daß aber die Einheit kommen wird, wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich sicher.
Ich sagte dann:
Die Wiedervereinigung, d. h. die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands, bleibt das politische Ziel der Bundesregierung.
Ich kann nur sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht, und wir sind dankbar dafür.
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Meine Damen und Herren, ein Teil unseres Problems, wenn wir - durchaus auch mit unterschiedlicher Meinung - über die Entwicklung und die Lage in den neuen Bundesländern diskutieren, besteht darin, daß sich nicht wenige im Lager der Opposition einfach nicht mehr daran erinnern lassen wollen, daß sie in ihrer geschichtlichen Einschätzung völlig neben der Entwicklung lagen. Wie soll der Ministerpräsident eines Bundeslandes heute völlig unbefangen über die Fragen der Leistungen, auch im Materiellen, für die neuen Bundesländer diskutieren, wenn er - wie Herr Schröder - noch im September 1989 erklärte, eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik sei reaktionär und hochgradig gefährlich?
Ich sage dies nicht, um jetzt bei Herrn Schröder nachzukarten, sondern ich sage das nur, weil die Unbefangenheit fehlt, jetzt einfach aufeinander zuzugehen - etwa zwischen Bund und Ländern - und das Notwendige zu tun. Herr Farthmann hat Ihnen dann ja auch ins Stammbuch geschrieben - als langjähriger Vorsitzender der SPD-Fraktion im nordrheinwestfälischen Landtag kennt er seine SPD - , er sei traurig und schockiert darüber, daß viele seiner Parteifreunde so kühl und distanziert gegenüber dem deutschen Einigungsprozeß blieben.
Deswegen, so finde ich, müssen wir mit der Geschichte leben, die wir zu vertreten haben, und Sie mit der Ihren, auch in den letzten Jahren.
Es ist einfach nicht wahr, daß vor der deutschen Einheit über die Opfer und über das, was auf uns zukommen würde, nicht gesprochen wurde. Die Fama wird zwar immer wieder verbreitet - der Sprecher der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hat es eben wieder getan -, aber es ist einfach nicht die Wahrheit. Wir alle waren uns doch darüber im klaren und haben es in vielen Reden gesagt - der eine mehr, der andere weniger - , daß dies eine gewaltige geschichtliche Herausforderung sei und daß wir uns bei der Herstellung der deutschen Einheit an kein Vorbild halten könnten. Wir könnten nicht fragen, auch nicht in der öffentlichen Verwaltung: Wie ist das früher gemacht worden? Wir mußten völlig neue Wege gehen.
Dabei ergaben sich auch auf Grund der zeitlichen Bedrängnis und der Notwendigkeit schneller Entscheidungen Fehlerquellen und Fehler. Ich habe nie angestanden zu sagen, daß selbstverständlich auch ich in diesen Jahren Fehler gemacht habe. Aber ich bleibe bei meiner Grundthese - ich bleibe bei meiner Grundthese! - , die da lautet, daß wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung unseres Volkes, auch unserer Volkswirtschaft, die neuen Bundesländer in einer relativ kurzen Zeit von drei, vier, fünf Jahren - je nach Branche und Landschaft verschieden - an das Niveau der alten Bundesländer herangeführt haben werden. Ich bleibe bei dieser These, und sie wird sich als richtig erweisen.
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Eine ganz andere Frage, meine Damen und Herren - und ich finde, auch das gehört in diese Debatte, damit wir nicht nur von Geld und Wirtschaft reden -, ist - und ich räume hier ein, das habe ich mir als schwierig vorgestellt, aber nicht als so schwierig, wie es sich jetzt offensichtlich erweist - das Miteinander und Zusammenleben der Menschen im früher geteilten Deutschland, zwischen denen aus der früheren DDR, den neuen Bundesländern, wie wir jetzt sagen, und denen aus der alten Bundesrepublik.
40 Jahre Trennung, das bedeutet weit mehr, als diese Zahl aussagt; das waren gleichsam zwei Welten, eine Trennung bis in die Begrifflichkeit und den persönlichen Erfahrungsschatz hinein. Wenn wir jetzt in einem dramatischen Umbruch den Weg nach Europa gehen, wenn wir jetzt vor dem Maastricht-Gipfel stehen - ich will gleich darüber sprechen - , dann macht es natürlich einen Unterschied, ob man wie ich vom Rhein kommt, ob man in seiner Heimat, in der Pfalz, die Aussöhnung von Deutschland und Frankreich erlebt hat, förmlich hineingeboren wurde in das, was mit Namen wie Konrad Adenauer, Robert Schuman und anderen verbunden ist, oder ob man in Rostock gelebt hat, über Jahrzehnte hinweg durch eine Propaganda beeinflußt, wonach dieses zusammenwachsende Europa eine Institution des Wirtschaftskapitalismus zur Ausbeutung der Massen sein werde.
Wir müssen aufeinander zugehen. Wer das Glück hatte, im Westen geboren zu sein und zu leben, hat, wie ich finde, die Aufgabe und die Pflicht, das größere Wegstück zurückzulegen. Wir müssen lernen, besser zuzuhören. Wir müssen aber auch entschieden widersprechen, wenn beispielsweise -- wie jetzt wieder; auch heute war manches hier im Saal zu hören - die Soziale Marktwirtschaft diffamiert wird und der Versuch unternommen wird, das verbrecherische SED-Regime von Schuld freizuwaschen und diejenigen, die jetzt den Konkurs ausbaden müssen, schuldig zu sprechen. Das ist nur eines der Beispiele.
Beim Umgang mit der Vergangenheit im SED-Regime müssen die Deutschen im Westen die notwendige Zurückhaltung üben, wenn sie die Verhältnisse von Menschen beurteilen, die in einer ganz anderen Lage waren. Wer in Freiheit gelebt hat, muß sich ehrlich fragen, wie er sich in einer Diktatur verhalten hätte, ob er sich in eine Nische zurückgezogen hätte. Wer weiß schon, wieviel Mut er selbst gehabt hätte. Ich will das hier nicht alles im einzelnen ausführen.
Mir mißfällt es, daß in dieser Frage noch viel zu viele so tun - und zwar in allen politischen Lagern - , als hätten sie ganz genau gewußt, wie sie sich selbst verhalten hätten. Die Situation heute ist auch nicht ohne weiteres vergleichbar mit den Erfahrungen nach 1945. Auch da hatten wir eine Erfahrung, aber sie war dennoch anders.
Meine Bitte, die ich hier ganz nachdenklich in diese Debatte einbringen kann, ist, daß wir uns jetzt nicht gegenseitig vorhalten, daß wir sozusagen die besseren Demokraten in den neuen Bundesländern seien, sondern daß wir diesen Lernprozeß gemeinsam durchschreiten. Jeder wird dabei von seiner Geschichte eingeholt. Das gilt für die Christlich Demokratische Union genauso wie für die Freie Demokratische Partei; das gilt auch für die Sozialdemokratische Partei. Es ist für mich interessant, daß eine Sache, die kein Ausländer versteht, sich als schwierig erweist, nämlich die zum Reichstag führende Straße umzubenennen, damit sie nicht länger Otto-Grotewohl-Straße heißt. Ich bringe dieses Beispiel, weil es sehr symptoBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
matisch für die Schwierigkeit im Umgang mit der Geschichte ist.
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Bei der Debatte spielt natürlich das Ökonomische eine zentrale Rolle. Aber wir denken nicht nur über die ökonomischen Entwicklungen nach, sondern auch über das, was die Menschen unmittelbar ganz erheblich bewegt. Wir haben - darüber kann es gar keinen Zweifel geben - im Ökonomischen eine gute Ausgangsposition. In den alten Bundesländern sind die Aussichten gut, daß auch die Konjunktur nach der jetzigen Atempause im kommenden Jahr wieder an Fahrt gewinnt.
Herr Fraktionsvorsitzender der SPD, wenn Sie über das Thema „Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern" reden, reden Sie doch zumindest zu einem großen Teil an der Wirklichkeit des Landes vorbei.
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Es geht wirklich nicht an, das Schicksal der Menschen in den neuen Bundesländern, wo wir eine völlige Veränderung der Strukturen erleben, mit dem zu vergleichen, was bei uns in der alten Bundesrepublik auf diesem Feld deutlich wird. Eine Million neue Arbeitsplätze binnen Jahresfrist hat es doch wirklich deutlich gemacht. Wir haben einen Beschäftigungsrekord von fast 30 Millionen. Das gab es in der Geschichte der alten Bundesrepublik nicht. Die Realeinkommen sind nicht zuletzt dank der Stabilitätserfolge der Koalition heute erheblich höher als zu Beginn der 80er Jahre. Dies ist übrigens ein entscheidender Grund, daraus zu lernen, daß die Stabilität der D-Mark das wichtigste Ziel unserer Politik sein muß. Auch das folgt ja daraus.
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Wir haben, gemessen an unseren Nachbarn und Freunden, ein beachtliches Wirtschaftswachstum in diesen Jahren gehabt. Wir sehen, daß andere Probleme haben, die wir etwa im Export ebenfalls verspüren. Wir haben durch eine kluge Politik seit dem Beginn der 80er Jahre, mit der erfolgreichen Politik der Sozialen Marktwirtschaft gute Voraussetzungen geschaffen; aber niemand von uns hat 1982, 1983, 1984 gewußt, daß wir 1989/90 die Chance haben würden, die deutsche Einheit herbeizuführen.
Wir haben überhaupt keinen Grund, die Probleme zu verniedlichen. Aber, Herr Kollege Klose - und da hat Wolfgang Schäuble doch recht -, wir haben noch viel weniger Grund, die Probleme in einer Weise zu dramatisieren, daß die Menschen Angst bekommen und uns die Kompetenz zur Lösung absprechen, daß wir sie lösen können. Das ist eine Diskussion, die doch nur bei uns stattfindet. Jeder Besucher aus dem Ausland, der heute nach Bonn kommt, und jede entscheidende Persönlichkeit, mit der man in anderen Ländern spricht, pflegt zu sagen, wenn man vorträgt, wo unsere Probleme sind: Eure Probleme möchte ich haben. Das ist doch die übliche Reaktion.
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Das ändert nichts an der Tatsache, daß wir die Probleme haben. Aber - Theo Waigel hat es dieser Tage immer wieder gesagt - wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre, hätten wir jetzt für die alte Bundesrepublik eine phantastische Bilanz vorzulegen. Aber Gott sei Dank haben wir die Bilanz der deutschen Einheit. Das ist doch sehr viel wichtiger als alles andere. Und deswegen bleiben wir bei unserer Politik.
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Wir sind in den neuen Bundesländern gut vorangekommen: bei den Arbeitsplätzen, der Gründung und der Sanierung von Betrieben. Aber wahr ist - das gehört natürlich in die Bilanz -, daß sich viele große Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, daß sie Arbeitsplätze verloren haben, daß sie vor einer ungesicherten Perspektive stehen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, daß die Menschen wissen, daß diese Sorge bei uns gut aufgehoben ist, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden und ihnen helfen.
Um so wichtiger ist es, daß wir leistungsfähige Betriebe ausbauen, unterstützen, neu aufbauen und daß wir so schnell wie möglich das beseitigen, was die Schwäche der neuen Bundesländer ist, nämlich das Fehlen eines dynamischen Mittelstands. Mit das Schlimmste in der Veränderung der Gesellschaft durch den Sozialismus und Kommunismus des SED-Regimes war die Zerschlagung des Mittelstandes. Eine wirklich funktionierende Soziale Marktwirtschaft ist letztlich nur mit einem dynamischen Mittelstand möglich. Das ist doch die Erfahrung, die wir haben.
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Wir haben allen Grund, davon überzeugt zu sein, daß der Aufbau der neuen Strukturen erfolgreich sein wird. Das gilt auch für solche Kernbereiche, die sich jetzt zunächst besonders schwer tun. Natürlich bleibe ich bei meiner These, daß, wenn die deutsche Chemie einen weiteren Standort außerhalb der alten Bundesrepublik sucht, dieser Standort im Chemiedreieck um Halle liegen muß. Es gibt doch ganz eindeutige Hinweise darauf, daß in einer Veränderung der Struktur in diesem Bereich Mitteldeutschlands diese Strukturen der Chemie neu entstehen werden, zum Teil sicherlich in einer anderen Fasson.
Wahr ist auch, meine Damen und Herren, daß wir gerade jetzt in dieser Übergangszeit im betrieblichen Bereich angesichts der Sorgen der Arbeitnehmer wirksame Maßnahmen zur Flankierung ergreifen müssen. Wer jetzt kommt - ich spreche es jetzt einmal so aus, wie ich es gelegentlich in der Debatte empfinde - und sozusagen nach dem Lehrbuch der reinen Marktwirtschaft sagt, es muß alles über den Markt gelöst werden, der verkennt sicherlich die Erhard'sche Wirtschaftspolitik; denn Ludwig Erhard sprach nicht von Marktwirtschaft, sondern von Sozialer Marktwirtschaft.
({23})
Ich lege darauf großen Wert, und zwar gerade schon deswegen, Herr Kollege Klose, weil mir Ihre Vorgänger von diesem Pult aus gelegentlich Nähe zum Thatcherismus oder zur Politik des früheren amerikani5012
schen Präsidenten vorgehalten haben. Das war nie unsere Politik. Unser geistiger Pate war nie Milton Friedman, sondern wir bleiben Erhardianer. Das hat sich als das beste erwiesen, was wir tun können.
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Die Aus- und Fortbildung von über 800 000 Teilnehmern, der ABM-Bereich mit rund 400 000 Plätzen, beides ist doch ein Beweis dafür, daß hier das Notwendige geschieht. Herr Kollege Klose, ich hätte es auch gern gesehen - das muß ich Ihnen ganz offen sagen -, wenn Sie heute in Ihrer Übersicht über die Probleme einmal erwähnt hätten, was für eine gewaltige gemeinschaftliche Leistung unseres Landes jetzt erbracht wurde, indem das Problem der Lehrlinge in den neuen Bundesländern weitgehend gelöst werden konnte ohne Zwang durch den Staat, ohne neue Gesetze, ohne neue Verordnungen, auf dem Weg des Mittuns von vielen in allen Bereichen der Wirtschaft, der Mittelständler genauso wie der großen Unternehmen und der Gewerkschaftler. Ich finde, das ist eine großartige Leistung, vergleichbar mit der, die wir in den 80er Jahren in der alten Bundesrepublik hatten.
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Im Hinblick auf Ihren Vorwurf, die Bundesregierung würde sich - ich sage es jetzt mit meinen Worten - nur unzureichend um die soziale Situation der Menschen kümmern, habe ich mir in der Zwischenzeit noch einmal die Zahlen beschafft. Wie sehen die Tatsachen aus? Insgesamt fließen 1991 netto, d. h. nach Abzug der Einnahmen, 111 Milliarden DM an öffentlichen Leistungen in die neuen Bundesländer. 1992 steigt dieser öffentliche Transfer von West nach Ost auf rund 140 Milliarden DM. Einen vergleichbaren Transfer dürfte es in der Wirtschaftsgeschichte wohl kaum geben. Das ist doch immerhin auch eine Leistung der Menschen in der alten Bundesrepublik. Das soll bei dieser Gelegenheit doch auch einmal deutlich gesagt sein.
({26})
Herr Kollege Klose, im Hinblick auf Ihre Behauptung stelle ich als Tatsache fest, daß sich 1992 die Leistungen aus dem Bundeshaushalt, die den Menschen in ihrer sozialen Situation in den neuen Bundesländern unmittelbar zugute kommen, auf 28 Milliarden DM belaufen. Sie reichen von der Kriegsopferversorgung über das Vorruhestandsgeld bis hin zum Erziehungs- und Kindergeld. Hinzu kommen mehr als 30 Milliarden DM, mit denen die Bundesanstalt für Arbeit die notwendige aktive Arbeitsmarktpolitik im östlichen Teil Deutschlands betreibt. 400 000 ABM-Plätze sind z. B. eine Leistung, die in der Geschichte der alten Bundesrepublik ohne Beispiel ist. Dafür werden 8 Milliarden DM bereitgestellt. Wir haben das nach langen Diskussionen getan, wohl wissend - das will ich auch aussprechen - , daß das nur eine Übergangslösung sein kann und daß für uns AB-Maßnahmen nicht Dauerparkplätze sind, sondern Voraussetzung für vernünftige Arbeitsmarktpolitik.
({27})
Die Rentenversicherung und der Bundeshaushalt bringen zusammen rd. 20 Milliarden DM für die Rentner in Ostdeutschland auf, um die Angleichung der unterschiedlichen Rentensysteme möglich zu machen. Das ist ein gewaltiger Posten, den ich mit Nachdruck unterstütze und vertrete, weil ich - das spreche ich offen aus - entsprechend meiner Empfindung und meiner Überzeugung denke, daß die Zuwendung - nicht nur die materielle, sondern auch die geistigseelische - gegenüber den Älteren noch ein viel bedeutsameres Stück Miteinander in Deutschland ist als das, was wir für Lehrlinge tun. Es ist richtig, daß die Schulabgänger eine Ausbildung erhalten. Aber es ist für mich noch wichtiger, daß die Generation der Rentner und Pensionäre, die keine berufliche Zukunftschance mehr hat, für die der berühmte Silberstreif am Horizont im Berufsleben nicht mehr Wirklichkeit wird, spürt, daß sie in die Solidaritätsgemeinschaft aller Deutschen mit aufgenommen ist. Ich halte das für einen ganz zentralen Punkt.
({28})
Auch das Thema „Frauen in den neuen Bundesländern" hat hier seine Bedeutung. Richtig ist, daß die tiefgreifende Veränderung in den neuen Ländern auch viele Frauen vor schwierige Aufgaben stellt. Richtig ist aber auch, daß die durchschnittliche Rente für Frauen in den neuen Bundesländern 1992 durch die Angleichung der Rentensysteme höher sein wird als in Westdeutschland. Das hängt mit der dort im Durchschnitt höheren Zahl von Berufsjahren der Frauen zusammen. Aber dies zeigt auch, daß wir die soziale Situation unserer Landsleute sehr wohl begriffen haben und im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, das Notwendige zu tun.
Ich habe soeben schon gesagt: Entscheidend für die zukünftige Entwicklung wird die Stabilität der D-Mark sein. Lassen Sie mich hier deswegen ein sehr offenes Wort zu diesem Thema sagen, auch auf die Gefahr hin, daß ich wieder Schelte beziehe, ich würde mich hier in die Tarifautonomie einmischen. Das ist schon deswegen falsch, weil ich das nicht will. Die Vorstellung, daß der Staat, die Regierung Tarife beschließt, ist für mich eine völlig absurde Vorstellung. Aber: Wahr ist auch, daß die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland - Bund, Länder und Gemeinden - Tarifpartner ist und Tarifverantwortung trägt.
Meine Damen und Herren, jeder spürt - auch viele, die in den Gewerkschaften in der Verantwortung sind - , daß eine stabile Währung zentrale Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist. All das, was hier heute über das Ansehen unserer Republik, über die Stellung Deutschlands in der Welt und auch über die außenpolitische Position mit Recht gesagt wurde, könnten wir vergessen, wenn die D-Mark eine instabile Währung würde. Eine stabile Währung ist eines der wertvollsten Güter unseres Landes nach innen und nach außen. Sie sichert Wohlstand und sichere Arbeitsplätze. Das muß Vorrang vor allem anderen haben.
({29})
Wenn die D-Mark heute zur zweitwichtigsten Anlage- und Reservewährung geworden ist, so ist das
eine Aussage, die nicht nur unseren Stolz erregen, sondern vor allem auch die Verpflichtung stärken sollte, dies so zu erhalten. Das setzt voraus, meine Damen und Herren, daß wir bei den jetzt beginnenden Tarifrunden die Gesamtentwicklung von Staat und Gesellschaft im Auge haben, auch beim öffentlichen Dienst, daß wir bei den Tarifabschlüssen bedenken: Welche Wirkung hat dies in den neuen Bundesländern? Welche Wirkung hat das in einer Phase abgeschwächter Weltkonjunktur auf unsere Konkurrenzfähigkeit? Welche Wirkung hat dies insonderheit auf einzelne Unternehmen in schwierigen Branchen?
Wir sind ein Land - ich spreche jetzt vor allem von der alten Bundesrepublik - , das sich durch gemeinsame Arbeit einen beachtlichen Wohlstand geschaffen hat. Da dies so ist, wollen wir ihn behalten, wollen wir ihn sichern. Aber „sichern" heißt, daß wir zum richtigen Zeitpunkt die Gesamtverantwortung sehen, daß wir stabilitätsgerechte Lohnabschlüsse bekommen und daß wir vor allem das Ziel im Auge behalten, daß die Tarife, die wir in den alten Bundesländern, in der alten Bundesrepublik abschließen, in ihrer Wirkung auf Rostock ebenso wie auf Dresden und auf Zwickau genau bedacht werden. Denn Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Solidarität muß heißen, daß wir auch bei dem Tarifgeschehen an das ganze Land denken.
({30})
Dazu gehört ein Weiteres. Herr Kollege Klose, Sie haben schon vor Monaten gemeinsam mit dem Bürgermeister von Hamburg eine Reihe von Bemerkungen gemacht, von denen ich hoffe, daß wir sie aufnehmen können - auch im Verhältnis zwischen Bundesrat und Bundestag und zwischen jeweiligen Mehrheiten und Bundesregierung. Gemeint ist die Frage nach dem Standort Deutschland. Meine Damen und Herren, in 13 Monaten wird der große Markt mit 340 Millionen Menschen aus der EG und 40 Millionen aus dem Bereich der EFTA Wirklichkeit. Wir werden in diesem Markt eine gewaltige Dynamik erleben. Wir, die Bundesrepublik Deutschland insgesamt, gehen in einer guten Verfassung in diese Entwicklung.
Dennoch wird bei uns - das muß ich befürchten, wenn ich andere Länder, ich denke immer wieder an Spanien als Beispiel, im Vergleich sehe - viel zuwenig über die Konsequenzen der Entwicklung des Standortes Deutschland in Europa nachgedacht. Alles in allem - und ich sage dies ohne Kritik; denn ich vertrete als Kanzler diesen Haushalt natürlich in erster Linie - müssen wir uns fragen, ob wir genug in die Zukunft investieren, ob wir nicht bei vielem vor allem Gegenwart und Vergangenheit bedenken, ob die Vorbereitungen in Deutschland auf den europäischen Binnenmarkt unter verschärfter Konkurrenz, unter veränderten Bedingungen wirklich ausreichend sind. So verstehe ich die Diskussion über das Steueränderungsgesetz und die Unternehmensteuerreform überhaupt nicht. Denn, meine Damen und Herren, alle meine Kollegen in EG-Europa - auch die, die aus den sozialistischen Parteien kommen - , haben selbstverständlich ihre Pflicht darin gesehen, ihre Länder jeweils auf diese Entwicklung vorzubereiten. In unserer Nachbarschaft, in den Niederlanden, hat die Koalition
zwischen den christlichen Demokraten und den Sozialisten in den letzten Monaten nach stürmischen Parteitagen der niederländischen Sozialisten ganz erstaunliche Beschlüsse gefaßt. Das ist für mich kein Vorbild; ich bringe es nur als Beispiel, von dem ausgehend man darüber nachdenken kann, was andere im Blick auf die Zukunft bereits tun.
Meine Bitte an Sie alle lautet - auch im Blick auf Regierung und Opposition - , daß wir das, was wir bisher erreicht haben, nicht nur als erreicht, abgehakt und gesichert betrachten sollten, sondern auch als eine Chance, das Erreichte zu sichern und zu mehren, auch im Blick auf die neuen Bundesländer und für die nächste Generation. Die Grundlagen, die jetzt geschaffen werden, haben enorme Wirkungen für die Generationen junger Leute, die noch nicht Mitglied dieses Hohen Hauses sein können. Doch ist es unsere Pflicht, an sie zu denken.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, von dem ich glaube, daß er für die Position Deutschlands auch international von größter Bedeutung ist. Gemeint ist die gegenwärtige Runde der GATT-Verhandlungen. Offene Märkte und freier Welthandel, meine Damen und Herren, sind für uns unverzichtbar. Angesichts einer Exportquote von 35 % hängt hierzulande fast jeder vierte Arbeitsplatz vom Export ab. Allein das ist schon ein Grund dafür, daß wir Deutsche am Erfolg von GATT interessiert sein müssen. Doch nehme ich ganz bewußt Ihr Beispiel auf, Herr Klose. Wir können noch so viele Mittel für Entwicklungshilfe bereitstellen: Die Folgen eines Scheiterns der GATT-Runde könnten auch durch sämtliche Mittel des Entwicklungshilfeetats bei weitem nicht ausgeglichen werden.
({31})
Ich denke in diesem Zusammenhang nicht nur an die Dritte Welt, die uns zuerst in den Sinn kommt. Ich denke genauso an Polen. Ich denke genauso an das, was jetzt in der Sowjetunion geschieht. Ich denke an unsere Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Wenn wir uns abschotten, wenn die genannten Länder ihre Produkte - das gilt genauso für die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas - bei uns nicht absetzen können, werden sich das Elend dort und der Nord-Süd-Konflikt verschärfen. Wenn wir uns dann - Wolfgang Schäuble hat das Notwendige zu diesem Thema bereits gesagt, ich will mich darauf beziehen - die weltweite Völkerwanderung vergegenwärtigen, so kann ich nur sagen: Wir brauchen uns über Asyl- und Asylantenprobleme gar nicht zu unterhalten, wenn die Völker nicht in der Lage sind, ihre Waren in den Industrieländern abzusetzen. Deswegen ist das eine der zentralen Fragen der deutschen, der europäischen, der internationalen Politik.
Aber das heißt auch - das muß auch gesagt werden, so wie ich es gestern mittag George Bush in einem Telefonat noch einmal gesagt habe - , daß der Kompromiß natürlich von allen Seiten gewollt sein muß. Man kann es nicht so sehen, wie es gelegentlich in den USA - auch auf Grund der innenpolitischen Situation - geäußert wird: Die Europäer haben eine Bringschuld, und wir selbst warten ab. - Ich bedauere beispielsweise, daß die Verhandlungen jetzt
für beinahe 14 Tage unterbrochen wurden. Die Zeit läuft uns davon. Mein Wunsch ist, daß man so schnell wie möglich weiterverhandeln möge. Mein Wunsch ist - die Bundesregierung wird das Notwendige tun -, daß die EG-Kommission in einer vernünftigen Weise Angebote macht. Aber mein Wunsch ist auch, meine Damen und Herren, daß wir aufhören, die gesamte Problematik des GATT ausschließlich auf die Ebene der Landwirtschaft zu schieben.
({32})
Es gibt eine ganze Reihe von anderen Punkten, bei denen auch die amerikanische Seite, die japanische Seite und andere eine Bringschuld haben.
Es gibt eine verständliche Loyalität und Solidarität gegenüber den europäischen und den deutschen Bauern; auch das will ich in diesem Zusammenhang sagen.
({33})
Die schwierigen Verhandlungen - und die Verhandlungen sind nicht nur von Beifall begleitet worden; ich sage das auch im Blick auf meine eigene Partei - in der Kohlerunde sind jetzt zu einem Abschluß gekommen. Das ist - wenn ich das von der finanziellen Seite aus betrachte - immerhin eine beachtliche Leistung des Staates, des Steuerzahlers, auch über die Kohlegebiete hinaus.
Wer dem zustimmt, der muß auch in bezug auf die Hilfe für die Bauern die gleiche Loyalität aufbringen.
({34})
Es kann nicht so sein - es muß für den Übergang gehandelt werden -, daß die einen aufgegeben werden, die anderen aber nicht. Die deutschen Bauern - das müssen wir hier gemeinsam bekennen, zumindest die Parteien aus der alten Bundesrepublik - befinden sich wegen der EG-Agrarpolitik in einer Entwicklung, an der alle demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik ihren Anteil haben.
({35}) Das muß man doch selbstkritisch sagen.
Es traten auch Fehlentwicklungen auf. Die Fehlentwicklungen, die es gegeben hat, kann man aber jetzt doch nicht dem einzelnen Bauern anlasten. Wenn ich, meine Damen und Herren, bei den Bergarbeitern, den Kumpels, sage, daß dort Entwicklungen korrigiert werden müssen, wenn wir helfen wollen, dann gilt das gleiche in vollem Umfang auch für die Bauern in Deutschland.
({36})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch eine kurze Bemerkung zu zwei anderen Themen. Zum Thema Jugoslawien: Wir haben hier eine besonders schwierige Lage. Wie kompliziert die deutsche Außenpolitik gerade nach der Wiedervereinigung geworden ist, kann man an diesem Beispiel besonders leicht erkennen. Sie haben recht, Herr Abgeordneter Klose, die Geschichte hat uns einmal mehr eingeholt.
Deswegen ist es doch ganz klar - darüber braucht man wirklich nicht zu sprechen; ich habe es immer
wieder gesagt, auch die Bundesregierung hat es gesagt -, daß es in Europa - wie man auch über einen Truppeneinsatz in Jugoslawien entscheiden mag - einige Gebiete gibt - dazu gehört mit Sicherheit auch Jugoslawien -, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß dort deutsche Soldaten eingesetzt werden.
({37})
Das ist keine Diskriminierung der Deutschen; das ist ein Akt politischer Vernunft. Ich glaube, das muß man doch gemeinsam erkennen.
({38})
Wenn man die EG kritisiert und sagt, die Europäer seien unfähig und handlungsunwillig, dann muß man aber auch einmal die Frage stellen: Hat die EG einen Rechtsrahmen, damit sie überhaupt handlungsfähig ist? Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob in der EG, in den einzelnen Gremien, von Anfang an die richtige Erkenntnis vorhanden war.
Diese Frage läßt sich übrigens auch im Hinblick auf Belgrad, Zagreb und andere Orte in Europa stellen, nämlich ob die Einstellung und die Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung der Situation realistisch waren.
Angesichts der besonderen Verbundenheit, die viele in unserem Volk für Jugoslawien und seine Völker empfinden, und angesichts der Bilder, die wir Tag für Tag im Fernsehen sehen, gehen wir Deutschen nicht nur theoretisch an dieses Thema heran. Wir wissen, was zerstörte Dörfer und Städte bedeuten.
In unserem Land leben 700 000 jugoslawische Bürger - Ausländer, die wir geholt haben, damit sie uns helfen, unser Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften -, von denen rund zwei Drittel Kroaten sind. Das hat in unserem Land eine ganz besondere Wirkung - und ich habe das gestern abend in Brüssel einigen Kollegen gesagt. Wenn gelegentlich in den Hauptstädten Europas und außerhalb Europas - ich spreche dies offen an - so getan wird, als resultiere es aus den Erinnerungen der Deutschen an vergangene Zeiten, wenn hier eine besondere Sympathie für die Selbstbestimmung der Völker Jugoslawiens besteht, dann ist das abwegig. Dahinter steht nicht das Denken des Jahres 1941 - um es klar und deutlich auszusprechen - , sondern die Erfahrung unseres Volkes, das gerade auf dem Weg der Selbstbestimmung mit der Zustimmung aller Nachbarn - das war ja das Große und das Großartige an der deutschen Einheit - seine Einheit gewonnen hat. Dementsprechend haben wir als Bundesregierung wirklich den Wunsch, keine Alleingänge zu unternehmen. Das wäre eine völlig fatale und ganz ungute Entwicklung. Deswegen unterstützen wir die Bemühungen des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Cyrus Vance, des Vorsitzenden der Haager Friedenskonferenz, Lord Carrington, damit sich hier in der nächsten Zeit die Dinge wirklich bewegen. Es geht darum, daß die von der EG beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionen diejenigen Konfliktparteien treffen, die den Friedensprozeß durch brutale Gewaltaktionen torpeBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
dieren, und nicht die, die den Frieden wollen. Auch das ist ja eine der Gefahren, die jetzt bestehen.
Demgegenüber glauben wir, daß sich die Republiken, die sich konstruktiv an der Friedenssuche beteiligen, nicht nur von den Sanktionen ausgenommen werden müssen, sondern daß wir sie durch positive Maßnahmen fördern sollten.
Wir wollen als Bundesregierung in einem engen Schulterschluß mit unseren Partnern zu einer dauerhaften Friedenslösung beitragen. Es geht darum, daß alle Völker Jugoslawiens über ihre Zukunft frei entscheiden können, daß die Menschenrechte geachtet werden, daß die Minderheiten geachtet und geschützt werden. In diesem Sinne werden wir uns weiter dafür einsetzen, daß die völkerrechtliche Anerkennung derjenigen Republiken, die dies wünschen, nicht durch Blockierung der Friedensbemühungen auf die lange Bank geschoben wird.
Wir müssen sehen, daß die Zeit davongeeilt ist. Auch unsere Freunde und Kollegen in der Europäischen Gemeinschaft müssen wissen, daß für die Bundesregierung ein Zwang zu einer Einstimmigkeit in dieser Frage nicht gegeben ist. Das, was wir uns wünschen, ist, daß eine möglichst große Zahl der europäischen Länder einen Weg beschreitet, der die Selbstbestimmung respektiert. Ich füge hinzu - ganz einfach gesagt -, daß ich glaube, daß man vor dem Weihnachtsfest in dieser Frage zu einer Entscheidung kommen muß. Ebenso klar füge ich hinzu, daß ich ein anderes Datum, bei dem wir über europäische Dinge zu sprechen haben, nicht notwendigerweise mit diesem Thema verbunden haben will. Ich würde das sonst für einen schweren Fehler halten. Aber ich glaube, daß zwischen der Zusammenkunft in Maastricht und dem Weihnachtsfest ein Zeitraum liegt, in dem wir uns in der EG einzeln erklären müssen - auch andere in Europa - , wie wir die Entscheidung treffen wollen.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei dem anderen, letzten Thema, das aber letztlich wahrscheinlich das Thema des Jahrzehnts ist, wenn ich das unter europäischer Perspektive sehe: die Konferenz von Maastricht.
Wolfgang Schäuble hat schon darauf hingewiesen - ich will es wiederholen; ich hoffe, hier sind wir einer Meinung; ich glaube es jedenfalls, denn es entspricht ja auch dem Denken der deutschen Sozialdemokraten seit vielen Jahrzehnten - : Wir würden einen historischen Fehler begehen, wenn die deutsche Einheit für sich isoliert bliebe und die europäische Einigung nicht Hand in Hand mit der deutschen Einheit kommen würde.
({39})
Hand in Hand bedeutet natürlich nicht: auf den Tag. Aber es bedeutet angesichts tatsächlicher oder vermeintlicher und herbeigeredeter Ängste - dabei ist Angst manchmal auch ein anderes Wort für Wirtschaftsneid - wegen der unterschiedlichen Größenordnungen in Europa und in der Europäischen Gemeinschaft, daß die Antwort der Deutschen lauten muß: Wir wollen das vereinte Deutschland - das haben wir glücklicherweise erreicht - , und wir wollen die politische Einigung Europas.
Maastricht ist - wenn Sie so wollen - ein Markstein auf diesem Weg. Dabei muß man ehrlicherweise sagen: Noch vor zehn Jahren hätten die wenigsten geglaubt, daß wir überhaupt zu einem solchen Datum kommen. Wir haben trotz aller Schwierigkeiten phantastische Erfolge erreicht. Wer noch einmal auf die siebziger Jahre oder auf den Anfang der achtziger Jahre zurückblickt, als „Eurosklerose" im Hinblick auf die EG das am meisten gebrauchte Wort war, der muß doch zugeben, daß die Tatsache, daß der europäische Binnenmarkt in 13 Monaten vollendet ist, eine wirklich phantastische Sache ist: ein Raum ohne Binnengrenzen für 340 Millionen Menschen.
({40})
Ich füge hinzu - ich denke, auch darin sind wir uns einig - , daß die EG kein Closed Shop sein darf. Wir müssen vielmehr offen sein für diejenigen, die zur Gemeinschaft kommen wollen. Alles, was wir jetzt in Maastricht besprechen, muß deshalb auch schon unter der Perspektive gesehen werden, daß, wie ich hoffe, Österreich und Schweden der Gemeinschaft im Jahre 1995 beitreten werden. Ich bin zwar kein Prophet, aber ich erwarte, daß das Wirkung auf Norwegen und Finnland haben wird. Dann wird niemand mehr sagen können, die EG sei südlastig, sondern dann ist Nordeuropa ein integraler Bestandteil der Gemeinschaft.
Unser Bestreben muß auch sein - ich will wiederholen, was ich kürzlich von diesem Pult aus schon sagte -, daß wir beim Thema „EG-Erweiterung" auch an die Nachbarn CSFR, Polen und Ungarn denken, wenn auch für diese Länder ein Beitritt nicht zum gleichen Zeitpunkt in Frage kommen kann wie bei den genannten EFTA-Staaten. Hierin will ich einem meiner Vorredner ausdrücklich widersprechen. Es würde der Gemeinschaft nicht gut bekommen, wenn die Unterschiede in der sozialen und wirtschaftlichen Struktur ihrer Mitgliedstaaten so gravierend wären, daß einige der Mitgliedstaaten reine Almosenempfänger wären. Das wäre auch psychologisch nicht gut. Aber man kann ja Übergangslösungen schaffen; man kann Assoziierungen vereinbaren; man kann praktische Möglichkeiten des Miteinanders eröffnen.
Wir haben vor über einem Jahr die Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Politischen Union eingesetzt. Deren Ergebnisse liegen in Kürze vor. Anschließend geht es natürlich darum, die Ergebnisse umzusetzen. Dabei werden wie immer bei solchen Fragen Kompromisse notwendig. Manche glauben, es gehe um das Prestige. Nationale Parlamente in Europa beschäftigen sich inzwischen mit Fragen wie: Welche Kompetenzen verlieren wir, wer übt die parlamentarische Kontrolle aus usw.? Solche Fragen sind ganz und gar verständlich.
Meine Damen und Herren, wer jedoch nach Maastricht geht nach dem Motto: Mein Konzept ist das allein seligmachende, und das, was die anderen bieten, ist inakzeptabel, der braucht gar nicht dorthin zu gehen. Auch für die politische Kultur Europas gilt, daß
wir zu vernünftigen Kompromissen fähig sein müssen.
Ich nenne nur zwei Beispiele - Wolfgang Schäuble hat eines davon heute in seiner Rede schon angesprochen - : Ich hielte es für das Beste, wenn wir uns in der Frage der Drogenbekämpfung und in der Frage des Asylrechts, auf eine Gemeinschaftskompetenz einigten. So wie ich die Dinge nach dem Stand von heute mittag - das wird, vermute ich, heute abend nach dem Besuch von John Major nicht anders sein - sehe, können wir auf diesen beiden ganz wichtigen Feldern jedoch nur über eine intergouvernementale Zusammenarbeit Einvernehmen erzielen. Das ist immerhin die zweitbeste Lösung - besser als ein völliges Scheitern. Aber vielleicht sollte der Versuch unternommen werden - ich will ihn jedenfalls machen - , in den Vertrag eine Öffnungsklausel aufzunehmen, wonach nach dem Ablauf von 5 oder 6 Jahren auch diese Materie zur Gemeinschaftsmaterie wird.
({41})
Das ist immer noch viel besser, als wenn wir jetzt sagen - zumal es sich um drängende Probleme handelt - : Wir machen gar nichts.
({42})
Herr Kollege Klose, ähnlich wird es in bezug auf das Europäische Parlament sein. Da haben Sie uns ganz zu Unrecht gescholten. Sie sollten mit Ihrem Herrn Parteivorsitzenden jetzt einmal zu einer Sitzung der europäischen Sozialisten fahren und dort pädagogisch tätig werden. Das Erstaunliche ist, daß sich konservative Regierungen - ich spreche jetzt nicht von christlich-demokratischen Regierungen - und sozialistische Regierungen hier zum Teil sehr viel schwerertun als wir, die wir mehr aus der politischen Mitte kommen.
({43})
- Ich habe Ihnen ganz korrekt unseren Standort beschrieben, meine Damen und Herren.
({44})
Für die europäischen christlichen Demokraten und für die europäischen Liberalen ist die Bejahung der Frage, ob das Europäische Parlament mehr Rechte erhalten soll, kein Problem, weil wir erkannt haben, daß die Politische Union eine umfassende parlamentarische Kontrolle braucht und daß es absurd wäre, die Bürger der EG 1994 erneut zu einer freien, geheimen und direkten Europa-Wahl aufzufordern, um die Zusammensetzung eines Parlaments zu bestimmen, das nicht die notwendigen Rechte hat. Ich glaube, das braucht man hier im Deutschen Bundestag nicht näher zu begründen. Da gibt es keine Meinungsunterschiede zwischen uns. Nach dem jetzigen Stand glaube ich, daß wir auch hier wohl nur in zwei Schritten vorankommen. Ich plädiere dafür, daß wir in einem ersten Schritt das tun, was für die Legislaturperiode ab 1994 möglich sein wird, und daß auf dieser Grundlage für die Legislaturperiode ab 1999 die Rechte des Europäischen Parlaments weiter ausgebaut werden. Das ist immer noch besser, als in dieser wichtigen Frage überhaupt nicht voranzukommen.
Nicht viel anders, meine Damen und Herren, ist es mit der Initiative von Staatspräsident Mitterrand und mir. Ich habe mit großem Behagen gehört, Herr Abgeordneter Klose, daß Sie die Besorgnisse der Amerikaner erwähnt haben. Ich freue mich, wenn die deutschen Sozialdemokraten jetzt wieder die Besorgnisse der Amerikaner so ernst in ihre Überlegungen aufnehmen. Auch das ist eine Veränderung, und diese nehmen wir dankbar zur Kenntnis.
({45})
Aber ich muß Ihnen sagen: Das, was François Mitterand und ich vorgeschlagen haben, wendet sich in keiner Weise gegen wohlverstandene amerikanische Interessen. Präsident Bush hat die Initiative ja auch ausdrücklich begrüßt. Es geht einfach darum, daß wir im Rahmen der Politischen Union etwas für die Verteidigungsidentität unseres alten Kontinents tun. Das ist kein Gegensatz zur NATO. Wir sind einer Meinung, daß wir die NATO noch auf lange Sicht brauchen. Wie lange, weiß niemand von uns, aber auf lange Sicht bestimmt. Es geht darum, dem in einer vernünftigen Weise Rechnung zu tragen.
Meine Damen und Herren, jetzt frage ich Sie: Was würde eigentlich dagegen sprechen, wenn sich nach kurzer Zeit dem deutsch-französischen Korps - auf deutsche Verhältnisse übertragen ist es nur eine Division - etwa Belgier und Spanier anschließen würden? Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 nicht gescheitert wäre, hätten wir heute eine völlig andere Perspektive. Weil dies so ist, muß dieser Versuch unternommen werden. Er dient darüber hinaus in hohem Maße auch dem menschlichen Miteinander in Europa, nicht zuletzt auch bei der jungen Generation.
Bei den Regierungskonferenzen haben wir ein Problem, bei dem wir uns leichtertun als andere und über das wir uns in Bundestag und Bundesrat völlig einig sind. Es betrifft die föderale Struktur des neuen Europa. Wir Deutschen haben ein historisch gewachsenes positives Verhältnis zum Föderalismus. Die klassischen Zentralstaaten Europas hingegen tun sich schon mit diesem Begriff schwer. Man muß einfach wissen, daß der Begriff „föderalistisch" oder „föderal" im angelsächsischen Politikverständnis genau das Gegenteil von dem besagt, was er bei uns bedeutet. Die Engländer geraten bei dem Gedanken, daß Europa „föderal" wird, ziemlich in Rage, weil sie darunter etwas Zentralistisches verstehen. Wir Deutschen wollen jedoch keineswegs ein Europa, in dem alles und jedes von einer Zentrale aus reguliert wird. Im Gegenteil, wir haben vielleicht mehr und schneller als andere die Erfahrung gemacht, daß beispielsweise Begriffe wie „Region" oder, um es einmal mit etwas Wärme zu versehen, wie „Heimat" an Bedeutung gewinnen. Nach meiner felsenfesten Überzeugung wird es keinen wirklichen Frieden in Europa geben, wenn es dort nicht eine enge Zusammenarbeit der Regionen gibt. Das, was an der deutsch-französischen Grenze, was zwischen Saarland, Lothringen und Luxemburg möglich war, muß genausogut in Frankfurt an der Oder mit den benachbarten Regionen Polens oder
zwischen Bayern und der CSFR möglich sein; ich kann die Liste solcher Beispiele beliebig fortsetzen.
Dazu gehört auch das für uns wichtige Prinzip der Subsidiarität. Das ist nicht irgendein Thema, sondern es ist ein Grundsatz, der das moderne Verfassungsdenken unseres Landes entscheidend geprägt hat. Die Erfahrung zeigt, daß eine moderne Industriegesellschaft auf dieser Grundlage besonders bürgernah gestaltet werden kann.
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Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Es bleibt noch sehr viel zu tun, bis hin zu den sich gut entwickelnden Verhandlungen im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion. Aber damit das ganz klar ist: Hier gibt es Positionen, die nicht zur Disposition stehen können, etwa die Unabhängigkeit einer allein der Geldwertstabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank.
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Dazu gehört, daß wir jetzt in Maastricht klar sagen, daß wir die dritte Stufe wollen, und die endgültige Entscheidung nicht auf das Jahr 1996 verschieben.
({48})
- Ja, das ist ja ein Teil des geplanten Vertrages, Graf Lambsdorff. Ich glaube, da sind wir ganz einig. Das Problem besteht ja nicht hier im Haus, sondern es besteht mit einer Reihe unserer Freunde und Partner, die eine andere geschichtliche Entwicklung genommen haben und die sich deshalb verständlicherweise schwertun. Wer die Debatte im britischen Unterhaus verfolgt hat, konnte ja hören und lesen, was hier an Argumenten aus der Vergangenheit bis zurück zu der Zeit von 1914 vorgetragen wurde.
Ich sage dies hier nicht abwertend. Wir Deutschen sollten uns stets überlegen, wie wir die Dinge sähen, wenn wir auf vergleichbare geschichtliche Erfahrungen zurückblicken würden. Wer gerecht ist, muß sehen, daß unsere Partner in dieser Frage einen weiteren Weg als wir - vor allem psychologisch - zurückzulegen haben.
Für mich selbst - lassen Sie mich das persönlich zum Schluß sagen - ist gerade in diesen Tagen sehr wichtig, an einen Satz von Konrad Adenauer zu erinnern, den er damals unmittelbar vor der Abstimmung über den EVG-Vertrag in Paris - die dann leider Gottes, wie Sie wissen, kein gutes Ende nahm - gesprochen hat. Er hat damals, 1954, den Europäern zugerufen: Wenn dieser Vertrag scheitert, wird es länger als eine Generation dauern, bis wir wieder in der Lage sind, ein solches Werk zu schaffen.
1954 -1991: Man muß kein Prophet sein, um zu sagen: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, den Prozeß der politischen und ökonomischen Einigung Europas unumkehrbar zu machen, dann wird es länger als eine Generation dauern, bis wir diese Chance wieder haben. Es werden sich neue Nationalismen in Europa auftun, und wir, die Deutschen, sollten nicht sagen, wir seien davor gefeit. Es werden sich neue Ängste und neue Komplexe bilden.
Wir haben jetzt eine geschichtliche Chance. Wir haben von 1989 bis zum 3. Oktober 1990 die einmalige Chance gehabt, die deutsche Einheit zu erreichen. Ich bin ganz sicher, daß wir jetzt die einmalige Chance haben, die europäische Einigung zu erreichen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren: Die Kollegen, die jetzt von ihren Ämtern als Fraktionsvorsitzende zurückgetreten sind - das gilt für den Kollegen Vogel und den Kollegen Dregger - , stellen - ich habe es bei uns in der Fraktion gesagt - die Brücke von der Kriegsgeneration zu der heute nachwachsenden Generation dar. Die Botschaft, die sich in diesen Persönlichkeiten und in ihrem Lebensweg zeigt, ist doch, daß wir jetzt das wahr machen, was die besten Geister Europas nach dem Krieg gesagt haben: Nie wieder Krieg - keine Rückkehr zum Nationalstaat vergangener Zeiten! Wir wollen die politische Einigung Europas. Dies ist, glaube ich, unsere historische Pflicht, übrigens eine Pflicht, die, wie auch die deutsche Einheit, Freude bereitet. Ich möchte uns einladen, dabei mitzutun.
({49})
Nun hat der Kollege Wolfgang Thierse das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ach, wäre es schön, wenn man in diesem Hause nicht mehr die Gespenster der Vergangenheit gegen die Probleme der Gegenwart aufbieten würde!
({0})
Wer hat was wann wofür oder wogegen gesagt? Das haben wir heute vormittag von Herrn Schäuble und vom Herrn Bundeskanzler verschiedentlich gehört.
Ich müßte mich jetzt eigentlich gezwungen sehen, mit den entsprechenden apokryphen Zitaten von Ihnen zu kontern, also an die 10 Punkte zur Konföderation oder an das Gespräch mit diesem oder jenem zu erinnern. Was soll das? Es reicht mir, immer wieder dasselbe Spiel mitspielen zu sollen oder immer wieder dem Vorwurf zu begegnen, wir hätten bei der deutschen Einigung nicht die rechte Andacht gezeigt. Muß ich denn immer wieder für mich selbst und die Sozialdemokraten betonen, mit welcher Leidenschaft - individuell sicher unterschiedlich - auch wir die deutsche Einheit gewollt haben? Der Streit war einer über den Weg und über die Schritte, nicht über das Ziel.
({1})
Der Herr Bundeskanzler hat vorhin - ich erwähne dies, weil er uns gerne frühere Zitate entgegenwirft - wieder ein Versprechen abgegeben. Herr Bundeskanzler, ich garantiere Ihnen: Ich werde Sie daran erinnern, und Sie werden mir wieder sagen, Sie hätten es nicht gesagt. Drei, vier, fünf Jahre, haben Sie diesmal angegeben, wird der Prozeß dauern,
(
Das habe ich immer gesagt!)
dann werden die neuen Länder an das Niveau der Bundesrepublik herangeführt sein - wörtlich.
(
Ökonomisch! - Uta Würfel [FDP]: Das war eine Feststellung!)
Ich erinnere mich an entsprechende Sätze, die Sie im Jahre 1990 im Wahlkampf gesagt haben. Diese wollen Sie jetzt nicht mehr wahrhaben. Sie werfen uns üble Nachrede vor, wenn wir sie zitieren. Nein, Sie müssen sich an Ihre eigenen Worte erinnern lassen.
({0})
Andacht war verlangt worden. Aber ich denke, die Andacht von gestern und auch die von heute hilft doch gar nicht bei der Lösung der deutschen Probleme. Da helfen nur nüchterne, ja schmerzliche Analyse und der konkrete Vorschlag. Andacht und Erfolgstrunkenheit sind da eher von Übel. Die Probleme von heute bekommen durch sie durchaus gespenstische Ausmaße. Die ständige Erinnerung an die Fehlleistungen der anderen, der Opposition, setzt sich dem Verdacht aus, wer das betreibt, der betreibt Rechtfertigungsdemagogie für verfehlte Politik heute.
({1})
Darf man in diesem Hause trotz allem noch Marx zitieren?
({2})
- Nein, nein! Aber ich tue es ja freiwillig. Es gibt von ihm eine ganz passende Bemerkung:
Im Grunde genommen
- heißt es bei Marx in der „Deutschen Ideologie" stellt sich die Menschheit nur Aufgaben, wo die
Bedingungen zu ihrer Lösung herangereift sind.
Dies zu Ihrer Forderung, Herr Schäuble, was die SPD in den 70er Jahren schon hätte alles erledigen sollen, um Ihnen die Aufgabe zu erleichtern.
Ich schließe mit einem Bibelzitat an - wegen der Ausgewogenheit:
({3})
„Laßt die Toten ihre Toten begraben!" Wenden wir uns also der lebendigen Gegenwart zu!
Dabei noch zwei Bemerkungen zu Ihnen, Herr Schäuble, und zu Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ausländerfeindlichkeit, haben Sie gesagt, sei nicht gesinnungsethisch, sondern wirkungsvoll nur verantwortungsethisch zu begegnen. Das ist gewiß richtig. Aber wie kann Verantwortung gesinnungslos, charakterlos wahrgenommen werden?
({4})
Aus Ihren Reihen stammt doch der furchtbare Satz:
Mit der Asylfrage werde die SPD jede nächste Wahl
verlieren - eine schlimme Drohung. Diese parteipolitische, wahltaktische Instrumentierung von Ängsten, von wirklichen Ängsten nenne ich charakterlos.
({5})
Sie warnen vor apokalyptischen Reden, Sie warnen vor Dramatisierungen. Es gehe um eine Politik Schritt für Schritt. Dem ist zuzustimmen.
({6})
Aber welche Schritte, und in welche Richtung sollen sie gegangen werden? Dazu haben Sie sich nicht sehr ausführlich geäußert.
({7})
Sie haben eben keine Vorlage eines Handlungskonzepts geboten, sondern einen allgemeinen Appell, der nicht konkret zu werden vermag. Aber das Gegenteil von Apokalypse muß doch nicht illusionäre Schönfärberei sein.
({8})
Handlungsfähigkeit ist gefordert.
Noch eine kleine Nebenbemerkung: Mich macht besorgt, wenn ich den Eindruck gewinnen muß - das scheint unumgänglich zu sein - , daß, wenn Sie von Handlungsfähigkeit reden, eigentlich Einsatzbereitschaft militärischer Art gemeint ist. Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, darüber müßte man in einer Verfassungsdebatte reden. Eine Verkürzung der Reformbedürftigkeit und des Anpassungsbedarfs des Grundgesetzes auf diesen einseitigen Aspekt finde ich beängstigend.
({9})
Gestern hat ein Kollege der Regierungsfraktionen gesagt, dieser Haushalt, den wir diskutieren, sei ein Beleg beginnender Normalität in diesem gesamtdeutschen Staat. Ein erstaunlicher Satz! Ich verstehe ihn nicht. Er scheint mir allzusehr im Widerspruch zu einer Wirklichkeit zu stehen, die für so viele Menschen problematisch und beängstigend sowie irritierend chancen- und risikobesetzt erscheint. Aber vielleicht war mit dieser Bemerkung nur gemeint, daß es endlich wieder gelungen sei, die widerspenstige Wirklichkeit auf vertraute Denkschablonen und die üblichen Urteilsmuster zu stutzen.
Ich will dem ein Beispiel von Normalisierung in der deutschen Wirklichkeit entgegenhalten. Seit über zwei Wochen streikt die Belegschaft des Stahlwerks Hennigsdorf. Zur gleichen Zeit streiken Bergleute im Aachener Revier. In Hennigsdorf streikt die Belegschaft, weil sie einer Verkaufsentscheidung der Treuhandanstalt mißtraut. Man glaubt, der eine Interessent werde weniger Arbeitsplätze sichern als der andere, der aber den Zuschlag der Treuhandanstalt nicht erhalten soll.
Der Streik in Hennigsdorf belegt ein Stück Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland auf durchaus paradoxe Weise. Mich freut dieser Streik trotzdem, weil er eine Normalisierung der LebenseinWolfgang Thierse
stellung signalisiert, die ich begrüße: Die Arbeitnehmer in den neuen Ländern haben zu kämpfen begonnen.
({10})
Arbeitsplatzvernichtung wird auch dort in Zukunft nicht mehr so leicht sein, hoffe ich. Dem Kampf um die Erhaltung chancenreicher Arbeitsplätze gilt meine volle Solidarität in den alten wie in den neuen Ländern.
Der Konflikt in Hennigsdorf wirft übrigens ein Schlaglicht auf die Treuhand. Mir ist nicht ersichtlich, warum die Anstalt eine Präferenz für einen Anbieter hat; ich kenne die Gründe und die Konzepte nicht. Schlimmer ist, daß sie dies den Arbeitern nicht verständlich machen kann. Es mangelt offenbar noch immer an der nötigen Transparenz der Treuhandentscheidungen.
Die Arbeiter von Hennigsdorf sind weder bockig noch nationalistisch. Ihr Kriterium ist nicht die Nationalität des Kapitals, sondern die Zahl der verbleibenden Arbeitsplätze. Das ist ein vernünftiges Kriterium. Es beweist auch: Die Leute wollen Arbeit, und sie wollen nicht auf Dauer am Geldtropf des Westens hängen. Sie wissen, was sie selber können, und wollen es auch tun - ganz normale Leute also!
Normalität sonst? Wir leben zwar in einem geeinten Staat, aber in einem ökonomisch und sozial gespaltenen Land. Daß wir in einem gemeinsamen Staat leben - Gott sei Dank - und in diesem gemeinsamen Staat die ökonomische und soziale Spaltung zu überwinden haben, ist Risiko und Chance zugleich. Die Spaltung zu beschreiben ist also nicht Schwarzmalerei, sondern Aufgabenbeschreibung. Über Probleme zu reden ist nicht Defätismus. Wer den Deindustrialisierungsprozeß im östlichen Deutschland benennt, vertieft nicht die Spaltung Deutschlands - wie der thüringische Ministerpräsident gestern behauptet hat -, sondern nennt eine brutale Wirklichkeit beim Namen, um den Prozeß umzukehren.
({11})
Beschweigen oder schönreden hilft nicht, sondern schadet nur.
In diesem Sinne rufe ich ein paar nüchterne Daten in Erinnerung: Seit 1989 sind mindestens 500 000 Menschen von Ost nach West in Deutschland gewandert - zum Glück keine Flüchtlinge im früheren Sinne mehr. Im Westen Deutschlands hat die Zahl der Arbeitsplätze erheblich zugenommen; der Bundeskanzler hat die Zahl vorhin genannt. Die Produktion ist 1990 und im ersten Halbjahr 1991 gestiegen; die Unternehmensgewinne sind rasant gewachsen.
Eine Meldung von heute: In Ostdeutschland gibt es einen Einkommensrückstand von mehr als zehn Jahren gegenüber Westdeutschland; das teilt das DIW mit. Von 1989 bis 1991 ist das Bruttosozialprodukt im Osten Deutschlands um rund ein Drittel geschrumpft und ist die Industrieproduktion um zwei Drittel gesunken. Die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze in Ostdeutschland ist von 9,6 Millionen auf 5,7 Millionen gesunken.
({12})
Die versteckte und offene Arbeitslosigkeit einschließlich der durch befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aufgefangenen Personen liegt bei über 30 %. In einzelnen Regionen ist sie deutlich höher. Vergleicht man die direkte Arbeitslosigkeit, so ergibt sich im Westen eine Arbeitslosenquote von 5,4 %, wobei ich weiß, daß es auch hier Regionen gibt, wo die Arbeitslosigkeit dramatisch ist. Im Osten gibt es eine Arbeitslosigkeit von 11,9 %, bei Frauen 14,9 %, bei Männern 9 %.
({13})
Mittlerweile scheint die Talsohle der Produktion hinter uns zu sein, jedoch ist ein sich selbst tragender Aufwärtstrend immer noch nicht in Sicht. Machen wir uns nichts vor. Die Talsohle bei der Beschäftigung ist noch längst nicht erreicht.
({14})
Im Osten Deutschlands steigen die Investitionen wieder, aber je Erwerbstätigen wird nach wie vor nur halb so viel im Osten Deutschlands investiert wie im Westen Deutschlands.
({15})
Dabei müssen wir doch einen Nachholprozeß organisieren. Da ist dieses eine alarmierende Zahl.
Ich weiß, die Realeinkommen in Ostdeutschland sind kräftig gestiegen. Ich mache aber die Einschränkung: für einen Teil der Bevölkerung. Die Basis des Anstiegs des Einkommens ist nicht die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern selbst, sondern zu einem großen Teil der enorme - die Zahlen hat auch der Herr Bundeskanzler genannt - Milliardentransfer von West nach Ost,
({16})
nur zu einem kleinen Teil selbst erwirtschaftet. Das kann selbstverständlich nicht auf Dauer so bleiben, zumal es Anzeichen für eine Angleichung auch im Negativen gibt in Deutschland.
Drastischer und schneller, als von vielen erwartet,
- so schrieb die „Wirtschaftswoche" vor wenigen Tagen hat sich der einsetzende westdeutsche Konjunkturabschwung auf dem deutschen Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Fehlende Impulse aus dem Ausland, eine erlahmende Nachfrage aus den neuen Bundesländern sowie die zahlreichen Steuern und Abgaben, die den Westverbrauchern die Kauflust nehmen, würgten den Aufschwung in der zweiten Hälfte dieses Jahres ab.
({17})
Finanzpolitisch aber sind wir auf einen Konjunktureinbruch und die sozialen Kosten für die Millionen Arbeitslosen nicht ausreichend vorbereitet. Das bedeutet, die ökonomische Lage wird bedrängender. Der Westen Deutschlands wird in Mitleidenschaft gezogen. Dabei ist doch klar - ich will das ausdrücklich
betonen - : Die Stabilität der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Westen Deutschlands ist die Voraussetzung für den Nachhol- und Aufbauprozeß im Osten Deutschlands. Und eine vernünftige Politik für den Aufbau im Osten wirkt positiv zurück auf die Entwicklung im Westen. Das allerdings gilt auch. Jeder Fehler dort hat Wirkungen hier, kommt am Schluß alle in Deutschland teuer zu stehen. Da hilft keine Politik des Schönredens und der Versprechungen. Ich verlange keine Wunder, sondern die Korrektur von Fehlern. Das ist doch wohl das Mindeste:
({18})
die Überwindung einer bornierten Politik, die beängstigende Folgen gezeigt hat.
Ich will das nur an einem einzigen Beispiel verdeutlichen, weil nicht soviel Zeit ist: Die berühmten, berüchtigten ungeklärten Eigentumsverhältnisse im Osten Deutschlands sind - das ist eine hinlänglich bekannte Tatsache - ein elementares Investitionshemmnis. Zu diesem dramatischen Problem stehen die von der Regierung durchgesetzten - sogenannten - Lösungen im Einigungsvertrag und in den Nachbesserungsgesetzen in einem geradezu lächerlich absurden Mißverhältnis. Ich will gerne einmal vortragen, was notwendig ist, um ein Grundstück in den neuen Ländern zu erwerben, auf dem neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Es müssen berücksichtigt werden: das Vermögensgesetz, das Vermögenszuordnungsgesetz, die Grundstücksvermögensordnung, die Anmeldeverordnung, die §§ 20 a und 20b des Parteiengesetzes der DDR, das Investitionsgesetz, das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Verwaltungszustellungsgesetz, das Einigungsvertragsgesetz, die Grundbuchordnung, die Wertermittlungsverordnung, das Treuhandgesetz mit vier Durchführungsverordnungen, das Abkommen vom 9. Oktober 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR über einige überleitende Maßnahmen. Soll ich fortfahren aufzuzählen, welche Verwaltungsstellen alle eingeschaltet werden müssen und wer alles bei der Frage mitredet, welche Rechtswege noch möglich sind?
({19})
Ich denke, Sie müßten aus dieser Erfahrung endlich eine Konsequenz ziehen, den Grundsatz umkehren und nun menschlich angemessen verfahren. Es kann nicht bei dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" bleiben.
({20})
Diese bornierte Eigentumsregelung
({21})
erzeugt Probleme, die auch beängstigenden sozialen Sprengstoff enthalten und die Gefahr einer neuerlichen Ost-West-Spaltung heraufbeschwören.
In der DDR konnte man, um auf die andere Seite einzugehen, die viele Millionen Menschen betrifft - da geht es jetzt nicht um Investitionen -, Grundstücke nicht erwerben. Man wurde, insbesondere in den siebziger Jahren, nur Nutzer eines Hauses; das
bedeutet praktisch, Eigentümer mit allen Rechten und Pflichten zu sein. Solche Menschen haben sich 20 Jahre lang als Eigentümer fühlen können. Sie haben vor allem unter großen Mühen Haus und Grundstück gepflegt und erhalten. Nun sind sie vom Verlust ihres Wohnsitzes bedroht, weil sie in eine rechtliche Situation geraten sind, die es eigentlich gar nicht gibt. Schutzlos sind sie den Ansprüchen früherer, im allgemeinen jetzt westlicher Eigentümer oder gar deren Erben ausgesetzt, die bis zum 3. Oktober 1990 niemals damit rechnen konnten, den früheren Besitz zurückzuerlangen. Sie benötigen ihn oft auch nicht, sondern spekulieren; ich weiß das aus Berlin und aus der Umgebung von Berlin.
Manche der Nutzer haben ein Gesetz der ModrowRegierung vom März 1990, das vom Runden Tisch abgesegnet war, benutzt, um das Grundstück, auf dem sie leben, doch noch zu kaufen. Sie stehen nun im Geruch des unredlichen Erwerbs, weil ihnen laut aktueller Rechtslage hätte klar sein müssen, daß der Rücktritt Honeckers am 18. Oktober 1989 das Ende der DDR bedeutet habe, durch das jeglicher Rechtsverkehr hätte ruhen müssen. - Ich brauche das nicht weiter zu schildern.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die Stichtagsregelung des Vermögensgesetzes zu streichen und die Beweislast für angeblich unredlichen Erwerb umzukehren.
({22})
Ich fordere, den Nutzern von Wohneigentum langfristig ein Bleiberecht unter Bedingungen zu sichern, die sie auch finanziell verkraften können, und schließlich auch beim privaten Hausbesitz Regelungen zu treffen, daß die Alteigentümer vorrangig entschädigt werden.
({23})
Wir können nicht Hunderttausende wegen einiger zwar wichtiger, aber doch abstrakter Rechtsnormen um die Früchte ihrer Lebensleistung, um ein Stück Heimat, um ihre Wohnung bringen.
({24})
Es würde die fortbestehende gesellschaftliche Spaltung in Deutschland weiter vertiefen, statt sie zu überwinden.
Die Dimension dieses Problems ist enorm. Allein in Brandenburg sind von 300 000 Restitutionsansprüchen 200 000 Ansprüche auf private Häuser und Wohnungen. 200 000 betroffene Haushalte summieren sich schnell zu einer halben bis einer Million Menschen, die davon betroffen sind. Ich erlaube mir den Satz, daß demgegenüber bestimmte Rechtsnormen abstrakt genannt werden können.
({25})
Herr Kollege Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?
Aber sicher.
Herr Kollege Thierse, würden Sie uns bitte auch erklären, wie Sie bei diesen Darlegungen und bei dem, was Sie hier vorgeschlagen haben, mit dem Eigentum verfahren wollen, das früheren jüdischen Mitbürgern enteignet worden ist? Was wollen Sie mit dem machen?
Entschuldigung, dieses Problem haben wir allerdings wirklich schon im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag geregelt.
({0})
Es ist ein Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen beigefügt, in dem genau Sonderkonditionen vereinbart sind.
({1})
- Herr Graf Lambsdorff, ich habe darauf hingewiesen, daß zur Lösung dieses Problems bereits eine Regelung erreicht worden ist.
({2})
Es ist natürlich ein altes Muster, mit dem Hinweis auf ein sehr besonderes Beispiel eine allgemeine Regelung durchzusetzen. Ich rede andersherum; ich gehe von der Mehrzahl der Fälle aus und sage: Wir müssen eine menschenverträgliche Lösung für das Problem und für die vielen Betroffenen finden und zugleich Ausnahmeregelungen zulassen,
({3})
gerade auch für die Beispiele, von denen Sie gesprochen haben.
Herr Kollege Thierse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Waltemathe?
Bitte schön.
Herr Kollege Thierse, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland ({0}) für während der Nazizeit enteignetes oder zwangsverkauftes jüdisches Vermögen Restitutionsansprüche gegeben hat und daß nicht unbedingt eine Rückübertragung erfolgt ist?
({1})
Ich danke für den Hinweis und werde ihn in den Katalog der Beispiele aufnehmen, mit denen ich immer durchs Land ziehe, wo ich dann gelegentlich einmal erkläre: Ich wünsche mir einfach, daß man Rezepte aus der Erfolgsgeschichte der alten Bundesrepublik anwendet und auf das Gebiet der ehemaligen DDR überträgt. Dies wäre ein weiteres Beispiel.
({0})
Ich will zum Schluß kommen. Der Hinweis auf das Eigentumsproblem war nur ein Ausschnitt unter der Überschrift, daß es nicht darum geht, Wunder zu organisieren, sondern das Mögliche zu tun und Fehler - wenigstens das - zu vermeiden, die man erkannt hat oder die man jedenfalls erkennen kann, weil die Probleme massenhaft auftreten. Dies ist ein Beispiel.
Ich schließe mit einer kleinen Bemerkung. Am Schluß wird uns nichts anderes helfen als Solidarität, Solidarität als Investition in die Zukunft, Solidarität zwischen den Deutschen West und Ost und Solidarität der Deutschen mit den Osteuropäern.
In diesem Zusammenhang will ich ganz ausdrücklich sagen, daß die SPD immer - ich habe das früher von außen beobachten müssen - eine leidenschaftliche Anhängerin der europäischen Integration gewesen ist und daß wir auch jetzt im Grundsatz - sicher nicht in jeder Detailfrage - Ihren Positionen zustimmen, mit denen Sie in die Verhandlungen zur weiteren europäischen Einigung gehen. Wir werden über Einzelfragen zu streiten haben.
Ich füge hinzu, da ich gewissermaßen aus Osteuropa komme
({1})
- gewissermaßen aus Osteuropa - : Wir sollten es uns nicht ganz so leicht machen.
({2})
- Wir waren ein Teil Osteuropa, unfreiwillig, aber wir waren es. Ich will aus dieser Not gerade eine Tugend machen.
Ich will darum bitten, daß wir es uns nicht ganz so leicht machen mit der Bemerkung, die europäische Integration müsse beschleunigt werden. Ich habe die Sorge, daß dann die osteuropäischen Nachbarn nicht mehr recht mitkommen. Wir sollten miteinander Sorge dafür tragen, daß wenigstens der Abstand der Osteuropäer zum Prozeß der europäischen Integration nicht zunimmt. Sonst haben sie nämlich keine Chance.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Michael Glos.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur ein paar Worte zum Kollegen Thierse sagen: Zu unserer Gesellschaftsordnung gehört als ein tragender Bestandteil auch unsere Eigentumsordnung. Ohne daß wir diese Säule ordentlich aufrechterhalten, kann diese Gesellschaftsordnung und kann vor allen Dingen die Wirtschaftsordnung nicht funktionieren.
({0})
- Es wird rechtsstaatlich gemacht, nicht erbarmungslos; das wissen Sie ganz genau.
({1})
Wir hoffen auch, daß der Ausbau des Rechtswesens in den Ländern der ehemaligen DDR vorangeht, und dann werden sich alle Fragen rechtsstaatlich klären lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beraten über den Bundeshaushalt - ein Dokument dafür, welche enormen Anstrengungen wir unternehmen, den ökonomischen und ökologischen Scherbenhaufen zu beseitigen, den vierzig Jahre Sozialismus angerichtet haben. Wer allerdings bisher der Auffassung gewesen ist, daß zwischen Regierungskoalition und SPD-Opposition zumindest in diesem Punkt Einigkeit herrsche, der konnte am Sonntagabend eines Besseren belehrt werden.
Die Äußerung von Herrn Klose in der ZDF-Sendung „Bonn direkt" zum Wettbewerb der Wirtschaftssysteme hat die letzte Illusion zerstört. Der neue Fraktionsvorsitzende hat in dieser Sendung zwar richtigerweise dargelegt, daß der Kommunismus tot ist und sich das westliche System als das erfolgreichere herausgestellt hat; so weit, so gut. Schlimm war allerdings der nächste Satz: Es müsse sich aber erst noch zeigen, ob das westliche System auch das bessere System sei im Sinne seiner Fähigkeit zur Lösung von Problemen. - Da kann ich nur sagen - frei nach dem bekannten Lied - : Wärst du doch in Mexiko geblieben!
({2})
- Entschuldigung, Herr Kollege, Sie scheinen auch der Toskana-Fraktion anzugehören, weil Sie sich jetzt so stark solidarisieren: Gut essen, gut trinken, gut ruhen lautet die Devise. Das ist also die Fortsetzung der ehemaligen Arbeiterpartei!
Ich habe irgendwo gelesen, man müsse wissen, daß „piatti caldi" „warme Speisen" heißt und nicht „kalte Speisen" oder „Brotzeit" , wie deutsche Arbeiter vielleicht denken würden. Dies ist Ausdruck des neuen Lebensstils.
Man hat sich den Fraktionsvorsitzenden aus Mexiko geholt, und man muß jetzt sehen, wie man damit zurechtkommt.
({3})
- Ich kann doch nicht ständig Ihrem Geschrei zuhören. Ich habe vorhin aufmerksam zugehört.
Ich möchte zurückkehren zur Marktwirtschaft. Auch in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und in einem System der Sozialen Marktwirtschaft leben wir nicht auf einer Insel der Glückseligen.
({4})
Auch bei uns gibt es sicher Probleme und Mißstände.
Das wollen wir nicht verniedlichen. Auch bei uns gibt
es immer wieder Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Es kann aber doch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Soziale Marktwirtschaft dasjenige System darstellt, das Probleme mit Abstand am allerbesten lösen kann.
Wer nach Öffnung der Mauer die damalige DDR betrachtet hat, konnte von dem versprochenen Arbeiter- und Bauernparadies nichts, aber auch gar nichts bemerken. Von Oskar Lafontaine gibt es das Zitat von der DDR als einem blühenden Industrieland. Wer es richtig betrachtet hat, hat gemerkt, daß kaum erhaltenswerte Errungenschaften vorhanden sind.
({5})
Die Vollbeschäftigung ist u. a. durch die Anstellung Zigtausender von Stasi-Spitzeln zur Überwachung der eigenen Bevölkerung garantiert worden. Dies darf man im nachhinein nicht als Erfolg von Vollbeschäftigung preisen. Die angeblich überlegene Lenkung und Steuerung der Planwirtschaft hat die Sowjetunion zwar befähigt, Raumstationen ins Weltall zu schießen und Nuklearwaffen zu entwickeln und auch in großer Zahl zu produzieren; sie hat es allerdings nicht vermocht, die endlosen Schlangen der Hausfrauen, Arbeiter und Rentner vor den leeren Lebensmittelläden zu verhindern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der real existierende Sozialismus.
({6})
Für mich ist es deshalb schleierhaft, wie man nach diesen negativen Erfahrungen immer noch vorschlagen kann, die SPD sollte die ursprünglichen Ideale des Sozialismus, wie Herr Thierse es am 12. September in der „Berliner Zeitung" formuliert hat, wieder stärker kenntlich machen.
Wenn die deutsche Sozialdemokratie glaubt, trotz dieser Tatsachen immer noch nach einem dritten Weg zwischen Zentralverwaltungsstaat und Sozialer Marktwirtschaft suchen zu müssen, dann ist das eine gefährliche politische Traumtänzerei.
({7})
Der polnische Staatspräsident Lech Walesa soll vor einiger Zeit die Frage nach dem besten Wirtschaftssystem für Polen dahin beantwortet haben, daß man das Beste des Kapitalismus mit dem Besten des Sozialismus verbinden müsse. Ich beziehe mich hier auf Arnulf Baring in seinem Buch „Deutschland, was nun?". Auf die weitere Frage, was das sei, hat er gesagt, der Kapitalismus sei leistungsstark, aber im Sozialismus brauche man nicht viel zu arbeiten, das müsse beibehalten werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so geht es natürlich nicht. Ich kann gut verstehen, daß das der polnische Staatspräsident noch nicht so genau gewußt hat. Aber die deutsche Sozialdemokratie müßte doch zumindest wissen, daß man nicht so ohne weiteres „Errungenschaften" beibehalten kann, wenn man erfolgreich sein will.
({8})
Der Sozialismus ist schon in den verschiedensten Spielarten versucht worden. Neben der Variante im kommunistischen Ostblock gab es die jugoslawische
Variante, die schwedische Variante - sie wird jetzt stark korrigiert -, die afrikanische Variante - ich erinnere an Nyerere in Tansania -, die kubanische Variante usw.
({9})
Alle Modelle haben nicht funktioniert und die Menschen nur ärmer gemacht. Das ist die Tatsache.
({10})
Ausgerechnet die deutsche Sozialdemokratie, die den real existierenden Sozialismus auf deutschem Boden erlebt hat, glaubt immer noch, eine eigene Variante, sozusagen einen Stein der Weisen des Sozialismus, entdecken zu können.
({11})
Ich bin der festen Überzeugung: Jeder dritte Weg führt in die Dritte Welt. Diese Einsicht hat sich bis weit in die Sowjetunion herumgesprochen, wie der Besuch des russischen Präsidenten Boris Jelzin in der Bundesrepublik gezeigt hat. Der russische Präsident will ordnungspolitische Grundsatzreformen mit einer Preis- und Wechselkursfreigabe, freien Märkten und Privateigentum in Rußland durchsetzen. Ich wünsche ihm und anderen Reformern wie dem Sankt Petersburger Oberbürgermeister Anatoli Sobtschak die gleiche Kraft, den gleichen Mut, die gleiche Beharrlichkeit und vor allen Dingen den gleichen Erfolg wie bei der Niederschlagung des August-Putsches.
Boris Jelzin hat ein klares Bekenntnis zur Öffnung seines Landes für ausländische Investoren, zur Gewerbefreiheit abgelegt. Dabei sollen die Bedingungen für Investitionen verbessert und ein ungehinderter Transfer von Devisen und Gewinnen ermöglicht werden.
Zu begrüßen ist, daß mittlerweile acht von zwölf Unionsrepubliken die Bedienung der sowjetischen Auslandsschulden uneingeschränkt anerkannt haben. Dies war und ist für uns unabdingbare Voraussetzung für ein weiteres staatliches und vor allen Dingen, wie ich hoffe, bald auch privates Engagement des Westens in den Republiken der Sowjetunion. Es kommt jetzt darauf an, diese Erklärung alsbald mit rechtlichen Bindungen zu versehen, damit das internationale Vertrauen in die Sowjetunion erhalten bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, westliche Hilfen können nur dann einen Sinn machen, wenn in der Sowjetunion möglichst rasch Klarheit über Zuständigkeiten geschaffen wird. Jedes einzelne Hinauszögern der Unterzeichnung des Unionsvertrages kann deshalb nur schädlich sein, und wir wünschen Präsident Gorbatschow hier, auch in unserem Interesse, viel Erfolg.
({12})
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, zu erkennen, daß die wirtschaftlichen Probleme in den Unionsrepubliken noch um einiges größer sind als diejenigen, mit denen wir zur Zeit in den jungen Bundesländern
konfrontiert sind. Zu groß ist einfach die Altlast, die der Sozialismus hinterlassen hat.
({13})
Im Gleichschritt mit Fortschritten bei der Umsetzung von Wirtschaftsreformen dürften deshalb in den kommenden Jahren weitere westliche Hilfen erforderlich sein, um den wirtschaftlichen Neuanfang zu flankieren.
Niemand im Westen kann ein Interesse an einem Rückfall in den kalten Krieg oder an einem vollständigen Zerfall der Sowjetunion haben. Denken wir nur einmal an die Probleme, die entstehen, weil sehr viele Atomwaffen unkontrolliert vorhanden sind. Wir alle müssen ein ausgeprägtes Interesse am Gelingen der Reformen haben, damit es in der Sowjetunion und den anderen Reformstaaten nicht zu einem gefährlichen Vakuum kommt. Menschen, die in Not sind, die nichts zu verlieren haben, deren Kinder hungern, handeln irrational. Deshalb müssen Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft einen entsprechend starken Beitrag leisten.
Aber hier ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, nicht nur die Staaten sind gefordert; ohne privates Engagement - dies zeigen die Erfahrungen in den neuen Bundesländern - können die marktwirtschaftlichen Reformen nicht zum Erfolg führen. Private Unternehmungen und Banken müssen bei unsicheren Engagements die Risikokomponente zweifelsohne mitberücksichtigen. Das sind sie ihren Eigentümern schuldig.
Es gilt aber auch, die enormen Chancen von Investitionen im ehemaligen Ostblock zu sehen. In der CSFR geht es ja los, daß westliche Industriekonzerne, auch deutsche, kräftig investieren. Wir wünschen uns das für den gesamten Ostblock.
Jedem westlichen Investor und jeder Bank muß klar sein, daß im Osten ein Markt von 400 Millionen Menschen liegt und die Schlüssel für das Tor zum riesigen Markt der Sowjetunion und anderer ehemaliger RGW-Staaten heute vergeben werden. Wer bei dieser Schlüsselvergabe dabei sein will, muß sich jetzt bemühen und muß auch eigenes Risiko eingehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dann müßte im Zusammenhang mit unseren Hilfen für die Reformländer des Ostblocks jedermann klargeworden sein, daß der Haushaltsrahmen in der Bundesrepublik Deutschland leider sehr eng geworden ist. Deutsche Einheit und Unterstützung der Reformländer sind Aufgaben, die nicht ohne Einschnitte bei bisherigen und neuen staatlichen Leistungen einzulösen sind.
Generell muß den Menschen im alten Bundesgebiet klar sein, daß nicht jedes soziale und wirtschaftliche Problem in demselben Umfang und in dem Tempo angepackt werden kann wie in der Vergangenheit. Es gibt in den nächsten Jahren keine zusätzlichen realen Verteilungsspielräume. Auch das müssen wir unseren Mitbürgern, wie ich meine, klipp und klar sagen.
Vor diesem Hintergrund haben der Bundesfinanzminister und die Haushaltspolitiker der Koalition mit dem Bundeshaushalt 1992 ausgezeichnete Arbeit geleistet, die den geänderten finanzpolitischen Rahmenbedingungen Rechnung trägt.
Für noch so gut gemeinte neue sozial- oder umweltpolitische Leistungen bieten zumindest die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren keinen großen Spielraum mehr. Wir müssen deshalb auch unser Tempo beim Einführen neuer wünschenswerter Standards überprüfen. Es macht für mich z. B. wenig Sinn, im alten Bundesgebiet im kleinsten Dorf forciert die Umstellung auf vollbiologisch funktionierende Kläranlagen erreichen zu wollen, während in den neuen Bundesländern in vielen Landkreisen überhaupt noch keine einzige zentrale Kläranlage vorhanden ist.
({14})
Beim Einsatz knapper öffentlicher Mittel muß gelten, daß sie in hohem Maß dort eingesetzt werden, wo sie am allerdringendsten benötigt werden - da stimme ich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern überein -, nämlich in den neuen Bundesländern.
Zu warnen ist auch davor, die Finanzierung von neuen staatlichen Aufgaben durch ein entsprechendes Anziehen der Abgabenlasten oder der Steuerschraube der Bürger und Betriebe suchen zu wollen. Wer glaubt, eine Kuh immer nur melken zu können, ohne sie zwischendurch auch einmal zu füttern, der irrt vollständig.
({15})
- Nein. Hier geht's ums Füttern, ums gute Füttern. Vom Schlachten reden wir überhaupt nicht.
Ich kann Ihnen ein anderes Bild bringen, da ja die Luft- und Raumfahrtindustrie in Bremen zu Hause ist.
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Es ist bei der Wirtschaft wie mit einem großen Jumbojet, der heute um die Welt fliegt. Die großen Konzerne verkaufen ja in allen Ländern der Welt, sie produzieren gemischt, und sie vertreiben weltweit. Für dieses große Flugzeug sucht man sich eine feste Basis oder einen festen Heimathafen, wo die Kosten günstig sind, wo man möglichst wenig Substanzsteuern zahlen muß, wo man sein Stammpersonal da hat, wo es noch bezahlbar ist.
So ähnlich verhält es sich heute mit internationalen Investitionen. Wir stehen hier weltweit im Wettbewerb, nicht nur in Europa, sondern auch mit vielen anderen Industrie- und Schwellenländern.
Es ist alarmierend - das müssen wir uns in dem Zusammenhang vor Augen führen - , daß im vergangenen Jahr deutsche Unternehmungen im Ausland 36 Milliarden DM direkt investiert haben, auch zur Sicherung ihrer Marktbasis, während ausländische Unternehmungen bei uns nur 2,5 Milliarden DM investiert haben. Ich glaube, das sind bedrohliche Zahlen. Diese Zahlen machen deutlich, daß wir nicht umhin
können, die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Engagement in Deutschland zu verbessern.
({17})
Das heißt für den Bereich der Steuerpolitik, daß die Unternehmenssteuern investitions- und beschäftigungsfreundlicher, als sie derzeit sind, gestaltet werden müssen, um die Wettbewerbsposition für die deutschen Unternehmungen unter den Konkurrenzbedingungen des europäischen Binnenmarkts zu verbessern.
Ich glaube, jetzt kommt bald die Stunde der Wahrheit.
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Die Sozialdemokratie kann durch ihr Verhalten im Bundesrat zeigen, wie ernst sie es mit dem Industriestandort Bundesrepublik Deutschland meint.
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Im Vermittlungsausschuß haben Sie ein ganzes Stück mitzureden. Ich kann an Sie nur appellieren, daß Sie die Unternehmenssteuerreform nicht sabotieren, sondern so auf den Weg bringen, wie es für die Arbeitsplätze in unserem Land nötig ist.
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Ich finde es auch viel redlicher, hier in Bonn offen und ehrlich ja zu sagen zu unabdingbaren Verbesserungen bei den betrieblichen Steuern, z. B. bei der betrieblichen Vermögensteuer, statt so zu handeln, wie es im Saarland anscheinend Brauch ist. Ich beziehe mich auf die jüngste Ausgabe des „Spiegel". Dort heißt es: Im SPD-regierten Saarland ist durch Verstöße gegen steuerrechtliche Vorschriften mit Willkürentscheidungen auf die Zahlung von Unternehmensteuern überhaupt verzichtet worden.
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Es stimmt ja nicht alles, was im „Spiegel" steht. Aber vieles stimmt. Und solche Dinge sind oft sehr sorgfältig recherchiert. Wenn diese Meldungen stimmen, hat dort, wie ich meine, ein „Oskar"-reifes vermögensteuerpolitisches „Kasper"-Theater auf Kosten der Gesamtheit der ehrlichen deutschen Steuerzahler stattgefunden. Für die, die den „Spiegel" nicht gelesen haben: Der Finanzminister dort heißt Kasper. Deswegen: das „Kasper"-Theater. Der Regisseur in diesem Theater heißt, glaube ich, Oskar - nicht? - . Und so hat ein „Oskar"-reifes „Kasper" -Theater stattgefunden.
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- Es ist Oskar Lafontaine diesmal, der berühmte Oskar, Mitglied der Toskana-Fraktion.
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- Entschuldigen Sie! Ich war auch schon in der Toskana.
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In dem Lokal war ich natürlich nicht. Ich war ganz privat dort, verstehen Sie, wie es sich gehört: mit der eigenen Frau.
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Auch da kann es einem gut gefallen. Ich will mich nicht weiter darüber verbreiten. Jedenfalls bin ich deswegen nicht zum Mitglied der „Toskana"-Fraktion geworden.
Ich plädiere außerdem nachdrücklich für einen Verzicht auf weitere Belastungen oder zumindest für eine Verschiebung von Belastungen der Wirtschaft im sozialen wie im Umweltbereich. Jede einzelne dieser Belastungen unserer Wirtschaft durch Steuern, Abgaben, Löhne, Bürokratiekosten usw. scheint für sich verkraftbar zu sein, aber in der Summe, in der Bündelung liegt das eigentliche Problem. Nur wenn wir auf diesem Wege voranschreiten, die Kosten nicht erhöhen, sondern eher wieder eine Entlastung vornehmen, können wir die Staatsquote in der Bundesrepublik Deutschland wieder allmählich zurückführen und die Abgabenbelastung, die wir zur Zeit Bürgern und Wirtschaft zumuten müssen, auf ein vernünftiges, dauerhaft vertretbares Maß bringen. Nur wenn wir die Wirtschaft in den alten Bundesländern in Ordnung halten, haben wir auch die Kraft, den neuen Bundesländern zu helfen; und das möchten wir tun.
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Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem jüngsten Gutachten guté Chancen dafür konstatiert, daß es mit der ostdeutschen Wirtschaft im kommenden Jahr weiter aufwärtsgeht. Ich bin sehr zuversichtlich. Die gesamtwirtschaftliche Produktion in den neuen Ländern könnte dann 1992 mit einer zweistelligen Rate zunehmen. Ich freue mich, daß das auch Herr Kollege Thierse bestätigt hat. Es bedeutet allerdings im Blick auf das Ziel, gleiche Lebensverhältnisse wie in den alten Bundesländern rasch herzustellen, nur einen kleinen Schritt. Gemessen an dem desolaten Zustand, in dem sich die DDR beim Fall der Mauer befunden hat, kann man den Fortschritt als sehr beachtlich ansehen.
Es ist durchaus verständlich, daß es in den neuen Bundesländern Enttäuschungen und in den alten Bundesländern Sorgen gibt, ob wir uns nicht dabei übernehmen, uns finanziell so stark zu engagieren, wie wir es mit diesem Haushalt tun. Vielleicht war am Beginn der Optimismus, daß sich die Lebensverhältnisse im Osten sehr rasch ändern, etwas zu groß. Ich gebe das gerne zu, aber es war zumindest nicht absichtlich verharmlost. Ich glaube, wir haben alle das Ausmaß nicht so deutlich erkannt. Ich kann das zumindest für mich in Anspruch nehmen.
Die Konflikte, die daraus entstehen, sind heute schon angesprochen worden. Wir müssen uns nicht nur wirtschaftlich, sondern selbstverständlich auch menschlich zusammenfinden. 40 Jahre oder noch länger eines teilweise anderen Denkens prägen die Menschen.
Ich möchte hier den Schriftsteller Martin Walser zitieren, der in seinem Buch „Die Verteidigung der Kindheit" richtig geschrieben hat: „Wahrscheinlich
lassen sich Entfernungen zwischen Menschen mit irdischen Maßen gar nicht ausdrücken."
Sowohl für das weitere Gelingen des Aufschwungs Ost als auch für eine Fortsetzung des Wirtschaftswachstums im Westen unseres Landes ist es unbedingt erforderlich, daß sich die Lohnpolitik im Rahmen des produktivitätsmäßig und stabilitätspolitisch Machbaren bewegt. Wenn ich mir die jüngsten Forderungen nach zweistelligen Einkommensverbesserungen im Westen und nach rascherer Angleichung der Einkommensverhältnisse im Osten vor Augen halte, so würde ich mir durchaus mehr Einsicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge seitens der Gewerkschaften und vor allen Dingen auch mehr Stehvermögen der Arbeitgeber wünschen, als es in der letzten Lohnrunde der Fall gewesen ist.
({27})
Man kann nicht ständig nur von Aktivitäten der öffentlichen Hand reden, sie anmahnen und die hohe Abgabenbelastung der Wirtschaft anprangern, um sich dafür beim Hauptkostenfaktor Lohn oder bei den betrieblichen Lohnnebenkosten um so großzügiger zu zeigen. Das Ganze geht nicht zusammen.
An dieser Stelle möchte ich mit einem Märchen aufräumen, das sich hartnäckig hält und uns von Arbeitgeberseite auch immer wieder an den Kopf geworfen wird, daß nämlich der öffentliche Dienst eine unheilvolle Lohnführerschaft übernommen habe. Dieser Vorwurf übersieht, wie ich meine, die im Vergleich zu anderen Tarifbereichen ausgesprochen niedrigen Lohnzuwächse in den Jahren vorher,
({28})
nämlich 2,4 %, 1,4 % und 1,7 %, die im öffentlichen Dienst damals vereinbart worden sind, so daß der Abschluß von 6 % 1991 ohne Zahlung von Nachschlag hier eingeordnet werden muß. Das war also nicht als Signal an die übrige Industrie und an die übrigen Tarifbereiche gedacht und konnte auch nicht so verstanden werden. Insofern ist es falsch, wenn man sich darauf herausredet.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir wünschen uns, daß die Tarifpartner in der diesjährigen Lohnrunde nicht die gleichen Fehler wie in den letzten Jahren machen. Es hat keinen Sinn, erst die Lohnpolitik zu überhitzen, bis die Funken sprühen, dann die Feuerwehr zu rufen und anschließend Ersatz für die Schäden, die durch Löschwasser entstanden sind, einzufordern.
Trotz des Neuaufbaus in den neuen Bundesländern und trotz der raschen Entwicklung im Osten Europas dürfen wir nicht vergessen, die europäische Entwicklung weiter voranzutreiben. Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Bundeskanzler Kohl, der heute nochmals sehr ausdrücklich seinen festen Willen erklärt hat, die europäische Einigung in Maastricht voranzutreiben und vor allen Dingen darauf zu achten, daß wir bei der gemeinsamen europäischen Notenbank den gleichen Zielen verpflichtet sind wie die Deutsche Bundesbank, nämlich der Stabilität der Währung; damit sind wir gut gefahren.
({29})
Wir wünschen uns auch, daß gleichzeitig mit der Wirtschafts- und Währungsunion mehr Gemeinsamkeit in die Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Länder kommt. Es ist heute schon viel über die schrecklichen Ereignisse in Jugoslawien geredet worden. Hier ist ein gemeinsames Europa gefordert. Hier ist auch gefordert, daß sich die demokratischen Parteien verständigen, wie sich unser Land bei solchen Konflikten künftig verhält. Ich hoffe, daß sich in dieser Frage die pragmatische Haltung von Herrn Klose, die er zumindest im Golfkonflikt gezeigt hat, in der SPD stärker durchsetzt. Ich bin überzeugt, daß wir diese Dinge in der Koalition sehr sorgfältig miteinander diskutieren.
Allerdings werden wir leichter Wege finden, um unser Land in eine gute Zukunft auch in dieser Frage zu führen. Ich fände es daher völlig unerträglich, wenn wir in diesem Jahrtausend noch einmal eine SPD-geführte Bundesregierung bekommen würden,
({30})
die diesen Aufgaben, wie sich zeigt, nicht gewachsen ist.
({31})
Und jetzt schließe ich mich ausnahmsweise einmal einer Beurteilung an, die eine große Hamburger Illustrierte in ihrer letzten Ausgabe vorgenommen hat. Sie hat nämlich eine sehr treffende Situationsbeschreibung der SPD abgeliefert - ich zitiere - :
Ein Parteivorsitzender ohne Autorität, ein zweiter Kanzlerkandidat in Wartestellung. Mit Klose wird die labile Lage an der Parteispitze durch einen dritten, noch unkalkulierbareren Hauptdarsteller komplettiert.
({32})
Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - wünsche ich Herrn Klose eine sehr, sehr lange Amtszeit als Oppositionsführer.
Vielen Dank.
({33})
Das Wort hat die Kollegin Gerlinde Hämmerle.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 10. Oktober erklärte der Bundespräsident in einem Aufruf zur „Woche der Welthungerhilfe" u. a. - ich zitiere - :
Eine Fülle begeisternder und bestürzender Ereignisse, ermutigender und bedrohlicher Entwicklungen der Politik hält uns in diesem Jahr 1991 in Atem. Mit der Überwindung des Ost-West-Konflikts scheinen wir der Sorgen äußerer Sicherheit enthoben. Andererseits brachten uns die Ereignisse am Golf und in Jugoslawien in Erinnerung, wie sich die Verachtung für Mensch und Natur fast hemmungslos entfesseln kann.
Es gibt aber eine noch schwerere Bedrohung, die nicht die Bildschirme beherrscht. Sie bewegt uns viel zuwenig und ist doch erbarmungslos. Sie betrifft nicht nur einzelne Nationen oder Konfliktherde, sondern unzählige Länder und ganze Weltteile: die Gewalt der Armut.
Armutswanderung, Armutsflüchtlinge, die man oft - wie ich finde: diskriminierend - auch Wirtschaftsasylanten nennt,
({0})
machen einen wesentlichen Teil der Zuwanderung in die Bundesrepublik aus. Ich nehme diesen Aspekt aus der Rede meines Fraktionsvorsitzenden von heute vormittag noch einmal auf.
Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Flüchtlinge nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen um 2,3 Millionen auf 17,3 Millionen erhöht. Dies sind allerdings nur diejenigen unter den Flüchtlingen, für die der Hohe Flüchtlingskommissar ein Mandat übernommen hat. Aus Jugoslawien kamen allein im Oktober 14 744 Menschen. Hinter jeder einzelnen dieser Zahlen steht persönliches, meist schweres Schicksal.
Bei aller Bedrohung, die mancher durch die Höhe dieser Zahlen empfinden mag, muß dennoch gesagt werden, daß nur etwa 15 % aller Flüchtlinge der Welt Europa überhaupt erreichen. Der weitaus größere Teil wird immer noch von den anderen Entwicklungsländern aufgenommen. Dies wird allerdings nicht so bleiben; denn der Fluchtdruck wächst, vor allem in Osteuropa, dessen Länder nicht immer zu denen gehörten, die ein Auswanderungspotential in sich trugen. Aber heute ist es anders: Etwa 70 % der Menschen, die zu uns kommen, stammen aus Osteuropa. Als Beispiel nenne ich nur die Zahlen des Monats Oktober. Aus den Staaten Ost- und Südosteuropas kamen im Oktober 22 912 Asylbewerber; das sind 68,3 % aller Asylbewerber überhaupt. Der Anteil der Europäer an der Gesamtzahl beträgt 75,9 %; das sind über 25 000 Personen.
Millionen von Menschen sind auf der Wanderung, jeder aus einem für ihn wichtigen oder lebensbedrohenden Grund. Fluchtursachen sind vor allem die katastrophalen Lebensbedingungen in weiten Teilen der südlichen Erdhalbkugel, krasse Armut, Hunger, Kriege, Bürgerkriege, ethnische Konflikte, Umweltzerstörung und Katastrophen, schwere Menschenrechtsverletzungen, dramatisches Bevölkerungswachstum. „Auch Hunger ist ein Verfolger" , sagte Stefan Heym einmal in einer Podiumsdiskussion - ein Wort, das nachdenklich machen muß. Hunger als Vertreiber - auch ein Grund für die Zunahme der Wanderungsbewegung aus Osteuropa und den asiatischen Teilen der zerfallenen Sowjetunion, eine neue, meine Kolleginnen und Kollegen, eine neue, bedrükkende Qualität.
Die Ursachen sind bekannt. Eine Analyse ist jetzt nicht meine Aufgabe. Mein Anliegen ist vielmehr, umgehend eine massive Bekämpfung der Fluchtursachen in die Wege zu leiten. Denn nur dies wird mittel- und langfristig die Wanderungsbewegungen eindämmen.
({1})
Ich will die Durchlässigkeit der Grenzen in Europa. Ich will keine Abschottung der reichen gegenüber den armen Ländern. Ich will keine rein nationale Bevölkerung. Nein, ich will sie, ich will sie wirklich, die multikulturelle Gesellschaft. Ich will sie erreichen. Und bilden wir uns nicht ein, daß ein türkischer Volkstanz auf einem Gemeindeabend bereits die multikulturelle Gesellschaft darstelle! Doch will ich auch eine Verminderung, ja, Beseitigung der Flucht und der Zuwanderung aus Gründen des Hungers und der Not. Ich bin froh darüber, daß quer durch die Fraktionen dieses Hauses die Zuwanderungsproblematik zunehmend auch unter dem Aspekt diskutiert wird, die Ursachen von Flucht, Vertreibung und Auswanderung zu bekämpfen, anstatt sich auf eine Abwehrstrategie zu konzentrieren.
Auf die Dauer - davon bin ich zutiefst überzeugt - wird die Bekämpfung der Ursachen wirksamer und leichter zu finanzieren sein als die Beschränkung auf kurzfristig wirksame Abwehrmaßnahmen.
({2})
Der Bundeskanzler erklärte in seiner Regierungserklärung vom 30. Januar 91:
Um das Problem der Flüchtlings- und Wanderungsströme in und nach Europa zu lösen, müssen wir gemeinsam die Ursachen in den Herkunftsländern bekämpfen.
Ich hätte Ihnen gerne zugerufen: Recht so, gut so, Herr Bundeskanzler. Aber Sie waren hinausgegangen.
({3})
- Ja, er muß auch einmal hinausgehen. Ich sehe das ein.
Das tatsächliche Verhalten der Bundesregierung steht im Gegensatz zu diesen Erklärungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben heute die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, in dem wir fordern, daß durch Senkung des Verteidigungsetats Mittel in Höhe von 1 Milliarde DM für die Bekämpfung der absoluten Armut in Entwicklungsländern, für Umweltschutz und für Programme zur Minderung des Bevölkerungswachstums freigemacht werden.
Für die Länder der Sowjetunion und für Osteuropa wird noch lange Zeit Hilfe nötig sein. Ich denke, daß die Zurverfügungstellung von Mitteln für diese Länder Entwicklungshilfe im wahrsten Sinne des Wortes ist.
({4})
Herr Dr. Schäuble, Sie haben vorgestern im ZDF gesagt, daß ein guter Schachspieler nicht nur auf den nächsten Zug schauen darf, sondern daß er immer das Ende der Partie im Auge haben muß. Das Ende der Partie ist die Beseitigung der Fluchtursachen. Wenigstens hier, Herr Dr. Schäuble - darüber bin ich froh -, weiß ich Sie an unserer Seite. Das wird sehr viel Geld kosten. Wir sollten bereit sein, es zur Beseitigung der Fluchtgründe auszugeben und nicht vorwiegend zur Reparatur der Fluchtfolgen im eigenen Land.
Ich habe dazu allerdings eine persönliche Meinung, die sich immer mehr und mehr verfestigt: Ich würde das Geld letztendlich auch davon abhängig machen, wie die Empfängerländer mit ihren Minderheiten umgehen. Damit sind wir wieder beim Thema Asyl.
Natürlich gibt es Asylmißbrauch. Natürlich haben viele Asylsuchende keinen wahren Asylgrund. Das weiß doch jeder, und das bestreitet doch eigentlich niemand ernsthaft. Wir haben aber im Oktober eine Absprache - einen Kompromiß, wenn Sie so wollen - getroffen. Die Parteien haben sich auf einen Kompromiß verständigt, der keine Änderung des Grundgesetzes vorsieht.
Herr Dr. Schäuble, Sie waren Innenminister. Sie haben große Erfahrung in diesem Ressort. Die Menschen erwarten nun von Ihnen - auch als Vorsitzender der Fraktion der CDU/CSU -, daß dieser Kompromiß jetzt durchgesetzt wird.
({5})
Ich will Ihnen wirklich nicht die Schuld für das, was Länder vielleicht nicht so schnell zustande bringen, zuschieben. Aber ich sage Ihnen, Herr Dr. Schäuble - und das wissen Sie so gut wie ich - eines: Nach meiner Erfahrung erwarten die Bürgerinnen und Bürger bei der Bewältigung dieser Problematik ein gemeinsames Handeln der Demokraten. Lassen Sie uns doch nach diesem Grundsatz handeln, Herr Dr. Schäuble.
Wie es nicht geht, weiß ich selber. Lassen Sie uns doch miteinander nach Möglichkeiten suchen, wie es geht und wie eine Lösung durchgesetzt werden kann. Ich glaube, daß Sie selber ganz genau wissen - das geht jetzt nicht mehr an Ihre Adresse, sondern an die Adresse der Bundesregierung - : Das Durchsetzen eines Kompromisses ist die Aufgabe der Exekutive und nicht die Aufgabe der Oppositionsfraktion in diesem Hause.
({6})
- Okay, da bin ich mit Ihnen einig.
Die Zuwanderung aus Osteuropa besteht zu einem wesentlichen Teil aus deutschen Aussiedlern, die nicht als Asylbewerber kommen, sondern deren Kommen auf einem anderen rechtlichen Hintergrund basiert. Ich will diese Menschen nicht diskriminieren. Ich kenne ihr oft grausames Schicksal in der Vergangenheit. Sie wissen, daß ich und auch der Kollege Sielaff, den ich gerade hier sitzen sehe, oft bei diesen Menschen waren. Ich habe diese Menschen in unserem Land und in ihren Herkunftsländern getroffen.
Ihr Schicksal hängt eng mit dem Zweiten Weltkrieg zusammen, durch den sie wie Millionen andere Vertreibung, Tod und Not erlebt haben. Aber es gibt keinen Vertreibungsdruck mehr. Das Bundesvertriebenengesetz kann außer Kraft gesetzt werden. Über 40 Jahre nach Kriegsende wird es Zeit, die Gesetze in diesem Bereich zu überprüfen und eine Gesetzgebung zum Abschluß der Kriegsfolgen vorzulegen.
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Das halbe Asylproblem ist ein Wohnungsproblem, sagte jüngst ein Bürgermeister. Und er hat recht. Die Kapazität ist erschöpft, der Wohnungsmarkt leerge5028
fegt; die Gemeinden brauchen vor allem beim Wohnungsbau Hilfe. Gestern hatten Sie Gelegenheit, in namentlicher Abstimmung unserem Antrag zuzustimmen, der die Wohnungsbauförderung zum Inhalt hatte.
Ein letzter Punkt: die Wolgarepublik. Die Bemühungen des Herrn Staatssekretärs Waffenschmidt sind zu begrüßen. Aber ich warne vor einer zu positiven Einschätzung der Auswirkungen auf das Bleiben der Menschen. Die ganze Angelegenheit ist sehr unsicher und wird dort nur relativ wenige halten. Die Zunahme der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Nationalisierung der Republiken und anderes mehr, z. B. die Islamisierung Kasachstans, werden den Bleibewunsch nicht stärken.
Zwar handelt es sich um eine innenpolitische Entscheidung der Russischen Republik, dennoch sage ich, daß auch das Gelände - ein abgewracktes Raketengelände - nicht unproblematisch ist.
Lassen Sie mich das zusammenfassen, was das Peti-tum meines Redebeitrages ist: die Bekämpfung der Fluchtursachen. Bekämpfung der Fluchtursachen heißt, erstens eine Politik zu betreiben, die zu einer menschenwürdigen, wirtschaftlich produktiven, sozial gerechten und umweltverträglichen Entwicklung beiträgt, und zweitens massive Hilfe beim wirtschaftlichen Aufbau in Osteuropa und Direkthilfe für den Winter.
Zur Toleranz der Demokratie, zur Toleranz der Demokraten, die heute in diesem Hause schon mehrfach angesprochen worden ist, meine Kolleginnen und Kollegen, gehört - wie wir alle wissen - Verständnis für Fremde, Freundlichkeit, Gastfreundschaft und Anerkennung für Ausländer. Ich möchte uns - vielleicht auch ein wenig zum Nachdenken - am Schluß dieses Redebeitrags ein Zitat aus der Rede eines Indios an die westliche Welt mitgeben:
Was macht ihr eigentlich mit eurem Reichtum und eurer Bildung? Unsere Kinder lehrt ihr in den Schulen, wie man die Natur beherrscht, wie man reich werden kann. Aber sie erfahren nicht, wozu der Reichtum gut sein soll. Eure Touristen reisen durch die ganze Welt und suchen unsere Gastfreundschaft. Aber ich habe noch nicht gehört, daß ihr einen von uns eingeladen hättet, bei euch zu wohnen und euer Leben kennenzulernen. Wenn ihr nicht gastfreundlich sein könnt, weil in euren großen Wohnungen kein Platz ist, und ihr vor lauter Arbeit keine Zeit für Gäste habt, dann seid Ihr auch nicht reich.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Kollege Abgeordnete Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Hämmerle hat eine eigenwillige Beantwortung der eigentlich gestellten Fragen vorgenommen, ob dieses Land gut regiert wird; denn dies ist die Frage, die im Zusammenhang mit der Behandlung des Kanzleretats gestellt werden muß: ob wir mit der politischen Führung auf
dem richtigen Weg sind, ob wir zu den richtigen Ergebnissen kommen. Sie hat dabei das ernste Problem der Flüchtlingsströme ein bißchen mit dem Thema der Asylantenströme vermengt; sie hat ein paar andere Probleme miteinander vermischt. Trotzdem kann man ihr wohl in der Situationsbeschreibung zustimmen.
Worin wir ihr nicht zustimmen, ist ihre Bewertung, was zu tun ist und ob die Regierung dazu die richtigen Schritte eingeleitet hat und einleiten wird.
Ein Kollege von Ihnen, Frau Hämmerle, hat vorhin vorgetragen, daß wir in der Bundesrepublik im Jahr lediglich 1 Milliarde DM für Entwicklungshilfe ausgeben würden. Dies war natürlich falsch. Netto sind es rund 7 Milliarden DM.
Wenn Sie die Vermischung der Themen tatsächlich wollen, müßte meines Erachtens aufgeführt werden, daß in der Bundesrepublik Deutschland weitere 5 bis 6 Milliarden DM pro Jahr ausgegeben werden, um Personen aufzunehmen, die - zu Recht oder zu Unrecht - vorgeben, einen Asylanspruch zu haben. Ich meine, daß diese 5 bis 6 Milliarden DM sicherlich dort besser ausgegeben werden sollten, wo die stärkste Not ist, als für die kleine Anzahl derer, denen es gelingt, in die Bundesrepublik zu kommen. Hierin unterscheiden wir uns. Ich glaube, das Geld sollte an der richtigen Stelle - für mehr Menschlichkeit - ausgegeben werden.
Der Kollege Thierse hat darauf hingewiesen, daß in der Politik Handlungsfähigkeit gefordert ist. Er hat ein paar Beispiele aus den neuen Bundesländern aufgeführt, mit denen das Schreckensbild wiederholt wurde, mit dem Hans-Ulrich Klose heute morgen begonnen hat. Ich glaube, daß man bei der Beratung dieses Etats deutlich sagen muß: Das, was in den Jahren, in denen diese Regierung im Amt ist, erreicht worden ist, gibt zu Selbstbewußtsein - nicht zu Stolz -, aber auch zu Zuversicht Anlaß.
Helmut Schmidt hat im Oktober 1982 eine hohe Meßlatte für die ihm nachfolgende Bundesregierung angelegt. Er hat in zehn Punkten Forderungen erhoben, die damals fast utopisch klangen, die aber heute mit Blick auf die Realität aus der Perspektive des Scherbenhaufens, auf dem er damals gesessen hat, fast unglaublich erscheinen, aber die alle erfüllt sind.
Die Union war Wegbereiterin der deutschen Einheit, die allen Deutschen in Ost und West die Freiheit gebracht hat. Der formalen Einigung folgt jetzt die regionale Angleichung der Lebensverhältnisse. Das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik wird 1992 im zehnten Jahr - dies hat es noch nicht gegeben - zusammen mit dem Wachstum der Beschäftigung und der Preisstabilität weltweit für eine Spitzenposition - neben Japan - sorgen.
Die Arbeitslosigkeit in der alten Bundesrepublik ging kontinuierlich zurück. In den neuen Bundesländern werden die Anstrengungen, die Zahl der Arbeitslosen zu verringern, verstärkt. Die Realeinkommen stiegen. Herr Thierse hat bescheinigt, daß die Realeinkommen im Osten kräftig gestiegen seien, zwar noch nicht für alle, aber immerhin doch für den Großteil der Arbeitnehmer, für Rentner und viele andere.
Die Chancen der jungen Mitbürger haben sich verbessert. Die familienpolitischen Maßnahmen sorgten für einen gerechteren Lastenausgleich.
Die Abrüstung kam voran. Leistungen und Erfolge im Umweltschutz sind offenkundig. In der Außenpolitik hat sich unsere Politik des Dialogs und der guten Nachbarschaft bewährt.
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Diese Zwischenbilanz vermittelt die Gewißheit, daß die Zukunft mit ihren besonderen Herausforderungen gemeistert werden kann. Wer, wenn nicht die Bundesrepublik Deutschland, sollte denn in der Lage sein, die innerdeutschen Aufgaben zu lösen und mit den internationalen Anforderungen fertig zu werden? Frau Hämmerle, das gilt auch für die von Ihnen angesprochenen Fragen.
Dies ist offensichtlich auch die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung, wenn man jüngsten Meinungsumfragen glauben darf. Trotz erheblicher finanzieller Inanspruchnahme - ich meine, man sollte der Bevölkerung auch einmal dafür danken, daß sie das, was an steuerlichen Belastungen und Abgaben dazugekommen ist, getragen hat - ist die Bevölkerung zur Zeit - ähnlich wie bei der Bundestagswahl - davon überzeugt, daß es zur derzeitigen Regierung, zum derzeitigen Kanzler keine Alternative gibt.
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Die SPD ist in einer schwierigen Position. Die von Engholm geführte Kieler Landesregierung wird vom dortigen Landesvorsitzenden massiv kritisiert, sie gebe sich der Lächerlichkeit preis. Wenn es um die Frage, wer Kanzlerkandidat werden soll, geht, dann scheint Handlungsbereitschaft nicht gefordert zu sein. Offenbar will das in der SPD keiner werden. Klose zeigt auf Engholm, dieser auf die früher einmal sogenannte schmucke Riege von Ministerpräsidenten.
Das neue Trio im Ollenhauerhaus - der Gewerkschaftssekretär, das Parteimegaphon und Engholm light - kann nicht verhindern, daß die Presse schreibt: Es klemmt und knirscht in der Baracke. Der Bundesvorsitzende der SPD wird, wie die Agentenaffäre zeigt, zunehmend nervöser. Jetzt droht er sogar Journalisten Keile an. Es ist erstaunlich, wie empfindlich manche sind, wenn die Kritik einmal nicht nur andere trifft.
Nach der Arbeit der letzten Jahre packen wir die in den verbleibenden Jahren der Legislaturperiode anstehenden Aufgaben entschlossen und zielstrebig an. Ich will sie nennen, damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden die Probleme verkennen, die tatsächlich vor uns liegen. Wir werden die Fragen im Zusammenhang mit dem Thema der Asylanten- und Flüchtlingsströme lösen. Wir werden eine Neuregelung der Pflege vornehmen. Wir werden die Gesundheitsreform fortsetzen, um es bei tragbaren Beiträgen zu belassen. In den letzten Jahren sind 115 000 Studienplätze geschaffen worden; wir werden in diesem Sinne weitermachen, vor allen Dingen in den neuen Bundesländern.
Wir wollen die Staatengemeinschaft nach jeweiligen Kräften in die Hilfe für Schwächere - sei es im Osten oder im Süden - einbinden. Wir wollen jedoch
weiterhin unseren Anteil zum Aufbau in der Welt leisten.
Das Problem des Schwangerschaftsabbruchs muß neu geregelt werden. Wir wollen einen modernen, verantwortungsvollen Schutz für das Leben.
Maßnahmen zur stärkeren Bekämpfung der Drogensucht sind eingeleitet worden; hier muß weiter gehandelt werden, auch in den Ländern.
In der Landwirtschaft verheißen EG-Reform und GATT-Neuregelung weiter Einkommen, die nicht befriedigend sind. Ich danke dem Bundeskanzler für seine Aussage, die er zu diesem Thema gerade gemacht hat. Wir bleiben bei nationalen Hilfen. Wir wollen über den sozio-strukturellen Einkommensausgleich sowie über eine Beteiligung an der Unfallversicherung im nächsten Jahr noch stärker helfen.
Vor uns stehen Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit, die vor allem durch die Bundesländer gewährleistet werden muß.
Viel bleibt im Bereich des Wohnungsbaus zu tun. Aber wer hier die Behauptung aufstellt, es sei nichts geschehen, übersieht, daß in den letzten neun Jahren über 2 Millionen Wohnungen neu geschaffen worden sind und daß wir 1987 noch eine Situation hatten, in der es leerstehenden Wohnraum gegeben hat. Zur Zeit liegen für den Bau von 475 000 Wohnungen Genehmigungen vor. Viele Investoren warten darauf, daß sie, bei langfristig weiter sinkenden Zinsen, investieren können. Dazu wird unsere Finanz- und Haushaltspolitik mit stabilen Rahmenbedingungen beitragen.
Deshalb ist es wichtig, daß die Belastung der Kapitalmärkte über eine Senkung der öffentlichen Verschuldung zurückgeführt wird. Dies werden wir tun. Deshalb wird der Bundesbankgewinn eben nicht für neue Ausgaben, sondern zur Schuldentilgung eingesetzt. Gleiches gilt für höhere Steuereinnahmen.
Eine weitere Aufgabe - dies ist vom Kollegen Glos angesprochen worden - ist mehr Steuergerechtigkeit für Unternehmen, aber auch weiter dafür zu sorgen, daß die Steuern und Abgaben für unsere Bürger im internationalen Vergleich sinken. Mit der Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 0,6 % ab 1. Januar 1992 und dem Fortfall des Solidarbeitrags ab 1. Juli 1992 verfügen die Arbeitnehmer über 100 bis 150 DM mehr an monatlichem Einkommen.
Ich weiß, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, das nicht freut. Wenn man Ihre Pläne verfolgte, würde aus der Solidarabgabe eine Dauerabgabe für fünf Jahre. Dies allein kostete jeden Arbeitnehmer etwa 7 000 bis 8 000 DM.
Wir werden auch den Familienlastenausgleich ab 1. Januar 1992 mit einem Volumen von 7 Milliarden DM fortführen. Es ist jetzt sehr scharf zu beobachten, wie sich die SPD-regierten Bundesländer im Bundesrat verhalten: ob sie das Gesetz tatsächlich scheitern lassen, d. h. die Entlastung der Familien weiter verzögern wollen.
Das größte Problem ist zur Zeit die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern nach den Regeln der Marktwirtschaft.
({2})
- Lieber Rudi Walther, ich glaube, daß Dich das nicht überrascht: Das ist in erster Linie eine Aufgabe der Betriebe. Wir werden auch hier vorankommen. Wer auf Hennigsdorf verweist, muß dabei natürlich auch die ganze Wahrheit sagen. Diese Wahrheit kann nicht darin bestehen, daß die bisherige staatliche Planwirtschaft dadurch ersetzt wird, daß der von marktwirtschaftlichen Prinzipien bestimmte Staat Arbeitsplätze garantiert, die nicht rentabel sind.
Im übrigen, meine ich, soll auch deutlich etwas zur Arbeit der Treuhandanstalt gesagt werden. Die Treuhandanstalt - die von Ihnen immer wieder verteufelt wird; ich weiß nicht, wer von der SPD die direkte Verantwortung für entsprechende Maßnahmen im Vorstand übernehmen will - hat nach dem letzten Stichtag 4 337 Betriebe privatisiert, 15,1 Milliarden DM Erlöse erzielt und, was am wichtigsten ist, damit nicht nur 793 000 Arbeitsplätze gesichert, sondern auch Zusagen über Investitionen in der Größenordnung von 96,9 Milliarden DM erhalten. Ich sage es noch einmal: Es stehen aus diesen Betriebsverkäufen Investitionen in der Größenordnung von 96,9 Milliarden DM bevor, und dies ist nur eine Zwischenbilanz.
Deshalb ist es gar nicht verwunderlich, daß inzwischen auch die Mehrheit der Landsleute aus den neuen Bundesländern glaubt, daß die alten Bundesländer eine gute Unterstützung geleistet haben. Beispiele sind vorgerechnet worden. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, brutto werden es im nächsten Jahr 140 Milliarden DM sein. Nach Abzug der Steuereinnahmen, die in den neuen Bundesländern schon mit rund 34 Milliarden DM kalkuliert werden können, bleibt immerhin noch ein Transfer in die neuen Bundesländer von 110 Milliarden DM, eine beachtliche Leistung, die, glaube ich, von der Opposition völlig zu Unrecht verniedlicht worden ist.
Wir haben mit diesen Anstrengungen eine gute Perspektive erarbeitet. Die konjunkturelle Entwicklung in Westdeutschland verlief in diesem Jahr zufriedenstellend. Die große Mehrheit im alten Bundesgebiet ist trotz höherer Abgaben mit der privaten wirtschaftlichen Lage zufrieden. 90 % schätzen dies so ein. In den neuen Bundesländern ist eine spürbare Verbesserung eingetreten. Dort sind immerhin 72 % mit der Situation zufrieden. Wir arbeiten dafür, daß für immer mehr die Zufriedenheit ein Dauerzustand wird.
({3})
Dürfte ich um ein bißchen Aufmerksamkeit für den Redner bitten?
({0})
Gegen diese optimistische Perspektive spricht auch nicht die Entwicklung der öffentlichen Schulden. Bezogen auf das nominale Bruttosozialprodukt ging die Neuverschuldung bis 1989 ständig zurück, nämlich auf 0,7 %. Sie stieg im letzten Jahr auf 2,2 % gegenüber 2,5 % im
Jahre 1981. In den Haushaltsberatungen wird also deutlich, daß der finanzielle Teil der Zukunft der Bundesrepublik beherrschbar ist und auch aktiv gestaltet wird.
1991 war ein finanzpolitisch außergewöhnliches Jahr. Wir kehren jetzt mit sinkender Neuverschuldung zur Normalität zurück. Ich glaube, daß es deshalb falsch ist, was Björn Engholm vor den Delegierten des Hamburger Landesparteitages der SPD vorgetragen hat - einige haben dies schlafend, wenn man den Zeitungen glauben darf, andere zeitunglesend überstanden - , als er der Bundesregierung vorwarf, sie verschulde sich auf Deubel komm raus. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Er ist vor allen Dingen auch dann unverständlich, wenn man sieht, daß Schleswig-Holstein prozentual eine doppelt so hohe Verschuldung wie der Bund hat, nämlich 5,7 %.
({0})
- Das Saarland wird diesen Prozentsatz allerdings wohl noch übertreffen.
Diese Situation - auch in Schleswig-Holstein - erklärt noch längst nicht persönliche und gezielte Attakken. Ich möchte jetzt Kollegen aus dem Haushaltsausschuß und aus der Union ansprechen. Ich ertrage es, wenn Frau Simonis, die schleswig-holsteinische Finanzministerin, dem Städtetag, dem Landkreistag, dem Gemeindetag und den Abgeordneten des Landtages mitteilt, ich hätte im Haushaltsausschuß am 6. November 1991 - übrigens mit der ganzen Koalition - für den Wegfall der Strukturhilfemittel für die alten Bundesländer gestimmt. Ich stehe dazu.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag legt dann nach und fragt, ob der Abgeordnete Austermann denn im Haushaltsausschuß tatsächlich entsprechend abgestimmt habe. Die Finanzministerin Schleswig-Holsteins wirft mir dann vor, ich sei ein wandelndes Haushaltsrisiko für Schleswig-Holstein.
({1})
Angesichts der Tatsache, daß sie selber das personifizierte Finanzchaos ist, und der Tatsache, daß das schleswig-holsteinische Institut für Mikroelektronik, die Elektrifizierung der Bundesbahn und Forschungsprojekte in erheblicher Höhe auch von mir mit durchgesetzt worden sind, kann ich damit leben.
Schlimmer aber ist die in den Attacken zum Ausdruck kommende fehlende Solidarität der SPD einschließlich ihres Bundesvorsitzenden, der ja diese Anwürfe seiner Ministerin mittragen muß, gegenüber der Umlenkung der Hilfe aus den alten in die neuen Bundesländer. Übersehen wird, daß 600 Millionen DM als Nachschlag für die Strukturhilfe bereitgestellt werden und daß es selbst dem ärmsten Dorf im nördlichsten Bundesland nicht so dreckig geht wie mancher Großstadt östlich der Elbe.
({2})
Es wundert einen schon lange nicht mehr, daß gerade Solidarität für manchen Sozialdemokraten aus der Lübecker Enklave „Schöner Wohnen" zum Fremdwort geworden ist.
Die Bundesrepublik wird gut regiert. Die Erfolge der Vergangenheit sind eine Referenz für eine optimistische Perspektive unserer Bürger für 1992. Wir gehen das neue Haushaltsjahr ohne Stolz, aber mit Selbstbewußtsein und Zuversicht an. Auf die Koalition können sich alle Bürger in West und Ost verlassen. Wir stimmen deshalb dem Kanzleretat zu.
({3})
Bevor der Kollege Harald B. Schäfer das Wort bekommt, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, daß die namentliche Abstimmung frühestens in 25 Minuten stattfindet. Vielleicht besteht die Möglichkeit, noch ein bißchen Ruhe zu bewahren.
Herr Kollege Schäfer hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Austermann, der eben sprach, und ich haben offenkundig eine Gemeinsamkeit. Wir beide kommen nämlich aus einem Land, wo am 5. April 1992 gewählt wird; er aus Schleswig-Holstein, ich aus Baden-Württemberg.
Aber es trennt uns mindestens zweierlei: Er in Schleswig-Holstein wird nämlich vergeblich versuchen, die dortige Landesregierung abzulösen, wir in Baden-Württemberg werden darin Erfolg haben.
({0})
Das zweite, was uns trotz der ersten Gemeinsamkeit noch trennt: Ich werde nicht zur baden-württembergischen Landespolitik reden, sondern zur Politik des Bundeskanzlers und zu dem Haushalt, der heute auf der Tagesordnung steht.
({1})
Ich habe mich als jemand, der sich in besonderer Weise der Umwelt-, der Ökologiepolitik verpflichtet fühlt, gefreut, daß heute in allen Reden der Ökologie-politik ein derart hoher Stellenwert beigemessen worden ist. Das ist ein Zeichen, das insoweit zukunftsfroh stimmt, als die Herausforderung bei uns hinsichtlich der Art, zu produzieren und zu konsumieren, der Art, wie wir wirtschaften und leben, und hinsichtlich dessen, daß wir diese Art ökologisieren müssen, Allgemeingut geworden ist.
Wir haben uns auch gefreut, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den Umweltschutz zu einem Schwerpunkt seiner Politik in dieser Legislaturperiode erklärt hat. Was wir freilich beklagen müssen - leider nicht nur, weil es die Opposition so tun muß, sondern weil es der Wirklichkeit entspricht - , ist die Tatsache, daß von der Umsetzung der in der Regierungserklärung angekündigten Umweltschutzmaßnahmen in der Wirklichkeit bisher zuwenig zu bemerken ist. Das beklagen wir, meine Damen und Herren.
({2})
- Es ruft jemand „Ignorant" dazwischen. Ist etwa das
Waldsterben abgewendet? Sind Nord- und Ostsee
zwischenzeitlich vor dem biologischen Tod bewahrt?
Sind die Abfallberge kleiner geworden? Geht es beim Klimaschutz voran? Haben wir eine ökologisch ausgerichtete Verkehrspolitik? Auf all diese Fragen kann heute doch niemand - auch nicht Herr Töpfer, der derzeit in Sachen Klimaschutz in Australien, Indonesien und Neuseeland unterwegs ist ({3})
guten Gewissens eine beruhigende Antwort geben. Das alles sind doch Beispiele dafür, daß die Regierung dann versagt, wenn es um Umweltschutz im eigenen Lande geht.
Die immer wieder hervorgehobenen Erfolge in Teilbereichen, beispielsweise bei der Verringerung der Schwefeldioxidbelastung und der Staubemissionen, dürfen doch den Blick nicht für das Ganze verstellen. Noch immer ist auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland - dies zeigen alle Fakten - , wirtschaftliche Entwicklung mit zunehmender Umweltbelastung verbunden. Wir leben auch in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1991 ökologisch noch immer über unsere Verhältnisse.
({4})
Unser Wohlstand gründet zu einem großen Teil auf dem Raubbau an der Natur und auf der Ausbeutung zu Lasten der Länder und Menschen der Dritten und Vierten Welt.
({5})
Ihr Umweltminister hat in diesem Zusammenhang von der Wohlstandslüge der Industrieländer gesprochen. Davon wird Ihr Umweltminister wirklich etwas verstehen. Wir müssen diesen Trend umkehren, und zwar schnell, weil wir sonst gegenüber den nach uns kommenden Generationen unserer Verantwortung nicht gerecht werden.
({6})
Entschuldigung, Herr Kollege. Darf ich noch einmal um etwas Ruhe bitten. Ich bitte diejenigen, die stehen, Platz zu nehmen, und diejenigen, die das alles nicht wollen, diesen Saal zu verlassen. Ich bedanke mich.
Herr Kollege, Sie haben wieder das Wort.
Wir dürfen unseren Blick nicht durch ein Teleobjektiv nur auf einzelne Schadstoffe richten, sondern müssen ein Weitwinkelobjektiv für die komplexe Betrachtung ökologischer Krisen benutzen. Schließlich schädigen wir unsere Umwelt nicht nur durch Schadstoffe. Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke und für die Intensivlandwirtschaft zerstören unwiderruflich Lebensräume.
Das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten ist in Ausmaß und Geschwindigkeit auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland verheerend. Weltweit stirbt jede Stunde eine Art aus. Es gilt, die biologische Vielfalt nicht nur bei uns, sondern auch anderswo zu erhalten.
Der Kollege Schäuble, den ich jetzt direkt ansprechen möchte, hat zuvor den Eindruck erweckt, als ob
Harald B. Schäfer ({0})
mit dem Regierungsantritt Helmut Kohls gleichsam die Geburtsstunde der Umweltpolitik begonnen hätte.
({1})
Er hat darauf hingewiesen, daß sich die sozialliberale Koalition von 1969 bis 1982 im Grunde in der Umweltpolitik durch Nichtstun auszeichnete.
({2})
Der Kollege Schäuble weiß, daß dies die Unwahrheit ist. Die ersten Jahre der sozialliberalen Koalition, von 1969 bis 1975, waren auf Grund des damaligen Wissensstands gute Jahre für die Umweltpolitik.
({3})
Ich nenne einige wenige Gesetze. Ich nenne das Abfallbeseitigungsgesetz, das neu geschaffen worden ist.
({4})
Ich nenne das Bundes-Immissionsschutzgesetz - heute noch das Grundgesetz der Umweltpolitik.
({5})
Ich nenne das Zukunftsinvestitionsprogramm, wo wir Milliardenbeträge für die Sanierung der Gewässer zum Bau von Kläranlagen aufgewandt haben, um damit die Umwelt zu entlasten und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen.
({6})
Diese Liste ließe sich fortführen.
({7})
Aber ich leugne auch nicht, daß wir alle in den Jahren ab 1975 dem notwendigen Umweltschutzgedanken in der Wirklichkeit unserer Politik leider zu wenig Beachtung geschenkt haben. Dies sollte für uns alle Ansporn sein, nicht in den gleichen Fehler zurückzufallen.
({8})
Es ist nicht meine Art, zu sehr Vergangenheitsbetrachtung zu betreiben, aber eines, Kollege Schäuble, möchte ich Ihnen und auch Ihrer Fraktion zur Erinnerung ins Stammbuch schreiben: Sie werden von 1969 bis 1982 nicht eine einzige parlamentarische Initiative der damaligen CDU/CSU-Opposition und nicht eine einzige Initiative der damaligen von der CDU gestellten Bundesratsmehrheit finden, die mehr Umweltschutz verlangt hat.
({9})
In der Regel war das Gegenteil der Fall. Wenn wir hier Umweltgesetze gemacht haben, haben Sie gebrüllt: Sie überfordern die Wirtschaft!
({10})
Aber ich wollte ja weniger die Vergangenheit betrachten als den Blick auf die Gegenwart und auf die Zukunft richten. Es gibt überhaupt keinen Anlaß zur umweltpolitischen Selbstzufriedenheit. Sie haben Anlässe genug zum Handeln. Das immer weiter um sich greifende Waldsterben zeigt, daß die Umweltzerstörung vorangeht. Der jüngste Waldschadensbericht registriert eine Gesundheitsverschlechterung - hören Sie bitte gut zu - aller Baumarten in der Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Der Wald stirbt weiter. Ihre Luftreinhaltepolitik, meine Damen und Herren, ist gescheitert.
({12})
Die Luft übrigens, die den Wald schädigt, macht auch den Menschen krank. Wir fordern deswegen eine tatsächlich konsequente Politik zur Walderhaltung. Erst dann, wenn der Bundeskanzler hier den eigenen Wald wirksam schützt, ist er in seinen Appellen an die anderen, den tropischen Regenwald zu schützen, glaubwürdig.
({13})
Es gibt keine ungeteilte Verantwortung. Es gibt die globale Verantwortung für die Umweltpolitik. Wer zu Recht globale Umweltpolitik angeht, der muß Beispiele geben, indem er im eigenen Land die entsprechende Politik nachweist. _
({14})
Wir haben begrüßt, daß Sie den Beschluß gefaßt haben, die Kohlendioxidemissionen bis zum Jahre 2005 um 25 % zu verringern. Das begrüßen wir! Wir beklagen freilich, daß Sie bis zur Stunde nicht eine einzige konkrete Maßnahme hier in den Deutschen Bundestag eingebracht, geschweige denn beschlossen haben, um dieses Ziel auch zu erreichen.
Das, was Herr Möllemann mit seinem angeblichen Energiekonzept vorgelegt hat, geht genau in die gleiche Richtung: Sie beklagen den Zustand der Natur, Sie reden, Sie kündigen an, aber Sie handeln nicht.
({15})
Das ist das Defizit, das wir bei Ihnen beklagen.
({16})
Nur ein Zyniker, Herr Austermann - falls Sie diesen Zwischenruf machen wollten - , kann den Rückgang der Kohlendioxidemissionen in den neuen Bundesländern, der auf den furchtbaren wirtschaftlichen Niedergang zurückzuführen ist, als Erfolg einer konsequenten Klimaschutzpolitik ausgeben.
({17})
Wer das tun sollte, wäre zynisch und verantwortungslos.
Wer den Klimaschutz ernst nimmt,
({18})
der muß heute den Übergang zum Energie- und Solarzeitalter organisieren, damit er morgen ohne Kernenergie und übermorgen ohne die klimaschädigenden fossilen Energieträger die Energieversorgung ermöglichen kann. Das ist die entscheidende Herausforderung, vor der wir stehen.
({19})
Harald B. Schäfer ({20})
Sie sind mit Ihrer Politik von dieser notwendigen ökologischen Wende meilenweit entfernt.
Der Straßenverkehr ist ein weiteres Feld, auf dem wir ein Handlungsdefizit, kein Beschreibungsdefizit haben.
({21})
Der Straßenverkehr ist immer noch Umweltproblem Nummer eins. Die Verkehrspolitik ist übrigens, meine Damen und Herren,
({22})
das Paradebeispiel dafür, wie die einzelnen Minister innerhalb der Bundesregierung Bande spielen. Der eine - Töpfer - sagt „Ökologie", der andere - Krause - wirbt für wachsenden Verkehr. Der eine - Töpfer - sagt „Tempolimit", der andere - Krause - verhindert es. Der eine, nämlich Töpfer, sagt „Kraftstoffverbrauchsbegrenzung für PKW ist notwendig", und der gleiche erteilt dann der S-Klasse von Mercedes-Benz die ökologische Absolution. Das, meine Damen und Herren, ist doch keine Politik! Das ist der Versuch, den Bürger an der Nase herumzuführen.
({23})
Das ist der Versuch, eine Als-ob-Politik als entschlossenes Handeln auszugeben.
({24})
Die massiven Straßenbaupläne der Bundesregierung - und viele von Ihnen denken da doch wie wir - sind ein Paradebeispiel für verfehlte Verkehrspolitik.
({25})
Wir brauchen heute nicht immer mehr mehr Straßenbau; wir brauchen heute einen Ausbau des Schienennetzes. Das ist die ökologische und die ökonomische Herausforderung, der wir uns zu stellen haben!
({26})
Nicht immer mehr Straßen für immer mehr Lkw sind notwendig, sondern mehr Terminals für mehr Güter auf der Schiene. Gerade in diesem Bereich fahren Sie in die falsche Richtung!
({27})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich bei der Debatte heute bedrückt, ist die Tatsache, daß es zwar bei der Bundesregierung, bei den Koalitionsfraktionen nicht an der Erkenntnis der Notwendigkeit, die ökologischen Gefahren wirksam anzugehen,
({28})
fehlt und daß es auch nicht an Wissen fehlt, daß aber noch nie in der Geschichte der Industriegesellschaft der Gegensatz zwischen dem, was man weiß, was man tun müßte, und dem, was tatsächlich geschieht bzw. nicht geschieht, so groß ist wie heute.
({29})
Reden und Handeln, Erkenntnis und Handeln klaffen immer weiter auseinander. Das hat auch etwas damit zu tun, daß Politik insgesamt an Glaubwürdigkeit bei den Bürgern verliert, weil Reden und Handeln nicht zusammenpaßt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird morgen in der Wirtschaftsdebatte noch eine Rolle spielen: In einigen Bereichen der deutschen Volkswirtschaft zeigen die Konjunkturdaten nach unten. Prompt häufen sich wieder einmal die Klagen von seiten der Industrie, verstärkter Umweltschutz gefährde den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland und damit Arbeitsplätze. Wir sagen: Das Gegenteil ist richtig. Nur umweltverträgliche Wirtschaftsentwicklungen, nur eine Wirtschaftspolitik, die sich von Beginn an der Ökologie verpflichtet weiß, sichert auf Dauer die Industriestandorte. Wer den Industriestandort Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig machen will, der muß die ökologische Erneuerung konsequent vorantreiben, weil Umweltqualität immer mehr ein entscheidender Standortfaktor und damit Wettbewerbsfaktor für moderne Industriegesellschaften ist.
({30})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute in der Debatte davon gesprochen worden, daß wir im Grunde nur eine Welt haben, daß wir in einer internationalen Risikogemeinschaft leben, daß das, was wir auf der nördlichen Halbkugel unternehmen oder unterlassen, direkte Auswirkungen auf die Entwicklung der Dritten und Vierten Welt hat. Umgekehrt gilt das gleiche.
Willy Brandt hat in seinem UN-Bericht zur weltwirtschaftlichen Entwicklung uns allen den Imperativ aufgegeben, in unserer Politik das Überleben zu sichern. Dieser Imperativ Willy Brandts gebietet uns heute, eine Politik zu betreiben, auf die sich auch kommende Generationen verlassen können. Dies ist der Maßstab für unsere Politik, dies ist das Kennzeichen der Sozialdemokraten.
({31})
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte Wolfgang Schäuble zunächst sehr herzlich zu seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden gratulieren, schon auf Grund der langjährigen Waffenbrüderschaft. Ich glaube vor allen Dingen, lieber Kollege Schäuble, Sie werden es nicht so einfach haben, wie Sie es sich vielleicht einmal vorgestellt hatten oder wie es sich auch der Bundeskanzler vorgestellt hatte. Denn es könnte ja sein, daß die Fraktion nach vielen Jahren einer gewissen Abstinenz, was die wirkliche Beteiligung an den tragenden Entscheidungen angeht, auf einmal doch den Wunsch äußert, an Entscheidungen mit Kompetenz beteiligt zu sein und über diese auch zu debattieren.
Ich gratuliere auch Theo Waigel zu seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender und damit gleichzeitig auch dem Herrn Bundeskanzler. Denn Theo Waigel hat es fertiggebracht, doch in relativ kurzer Zeit aus der Christlich-Sozialen Union eine Art Landesverband der CDU zu machen, noch mit einem Traditionsnamen, den sie bis heute hat.
Immerhin zeigt die gute Wahl, die Edmund Stoiber erlebt hat, daß immer noch genügend Leute in der CSU sind, die für eine gewisse Eigenständigkeit stehen.
Die Union befindet sich also im Hoch. Der Bundeskanzler ist ja sogar der Auffassung, sein Job sei der schönste überhaupt. Er wird in dieser Auffassung nur durch den Bundesaußenminister in Frage gestellt, der wenige Tage später im Westen Kanadas sagte, nein, in Wirklichkeit sei sein Job der schönste.
({0})
Wir stellen also fest: Die Koalition befindet sich in einer Hochstimmung. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hochmut kommt vor dem Fall. Ich konstatiere folgendes, und Sie müßten das in Zukunft vielleicht berücksichtigen: Die Distanz zwischen der Politik, zwischen dem, was Sie hier in Bonn zu erarbeiten haben, und den Menschen draußen wird zunehmend größer; der Bezug zur Basis geht zunehmend verloren. Auch wenn Sie sagen, das seien alte Kamellen, glauben Sie mir, daß die Menschen draußen noch immer nicht die Steuerlüge hinter sich gebracht haben; das ist noch aktuell. Glauben Sie, daß die Menschen draußen immer mehr spüren, was die Inflation, die ja nun leider zum Teil hausgemacht ist, für sie bedeutet. Glauben Sie, daß die vielen Millionen, die bei uns als Heimatvertriebene und deren Abkömmlinge sind, nicht vergessen haben, wie man hier mit ihren Rechten umgegangen ist und Schindluder getrieben hat. Glauben Sie nicht, daß die Art, in der sich die deutsche Außenpolitik nach außen hin zeigt, indem wir gute Ideen und die Bereitschaft, wirklich einmal zielgerichtet zu arbeiten, mit dem Scheckbuch zu ersetzen versuchen, von der Bevölkerung akzeptiert wird.
Herr Abgeordneter Lowack, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kubicki? - Bitte.
Herr Präsident! Ich möchte keine Zwischenfrage stellen, sondern nur darum bitte, daß Sie vielleicht für etwas Ruhe sorgen. Ich möchte auch diesem Redner gerne folgen.
Herr Kubicki, ich bedanke mich sehr für Ihre engagierte Hilfe bei der Amtsführung des Präsidenten. Nur ist es wichtig, daß dann überall Ruhe herrscht.
({0})
Herr Präsident, ich darf fortfahren? - Danke schön.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, haben wir denn wirklich schon vergessen, daß diese Bundesregierung fast ein halbes Jahr lang keine Antwort auf die Herausforderungen aus der Golfregion, auf Probleme, die bis heute nicht gelöst sind, gefunden hat? Haben wir vergessen, daß gerade diese Verhaltensweise uns unendlich viel gekostet hat? Es ist eine leichte Entscheidung, sie hier mit dem Haushalt abzusegnen. Aber die Menschen draußen müssen das tragen, und sie spüren es täglich. Sie sind auf Dauer nicht mehr bereit, das zu akzeptieren.
Nehmen wir einfach so leicht zur Kenntnis, daß heute in Kroatien Tausende von Menschen sinnlos massakriert werden und Hunderttausende auf der Flucht sind und unglaubliche Schäden entstehen? Können wir uns wirklich vormachen, daß wir nicht eines Tages für diese Schäden im Rahmen eines europäischen Wiederaufbauprogramms einstehen müssen?
Ich frage die Bundesregierung: Ist wirklich alles getan worden, was wir von deutscher Seite aus tun konnten? Daß Sie versuchen, einen Konsens in der Europäischen Gemeinschaft herzustellen, ist richtig. Aber wenn man sich die Lage auf dem Balkan anschaut, stellt man fest, es sind vor allen Dingen drei Staaten, mit denen wir uns stärker unterhalten müssen: Das ist Griechenland, das ist Rumänien, und das ist als Hauptunterstützer des orthodoxen kommunistischen Regimes in Belgrad die Volksrepublik China. Für uns wäre eine Abstimmung vor allen Dingen mit den Vereinigten Staaten von Amerika wichtig.
Jetzt frage ich den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundesaußenminister: Wie hat man denn mit der Regierung in Athen Kontakt aufgenommen, die von einer Partei gebildet wird, die als Schwesterpartei der Union geführt wird? Was hat man mit unseren Unterstützungsmaßnahmen in Rumänien verbunden, damit Serbiens Unterstützung durch Rumänien ein Ende findet? Ich frage mich: Was haben wir in unserer Politik gegenüber Rotchina gemacht, um europäische und unsere Interessen wirklich wahrzunehmen? In Wirklichkeit haben wir dort ein orthodox kommunistisches Regime unterstützt.
Ich frage den Bundeskanzler: Warum stellen wir in der Politik eigentlich nicht klar, daß in Serbien ein Staatsstreich über die Bühne gegangen ist? Denn noch gibt es einen Staatspräsidenten, den Herrn Me-sic, der gewählt worden ist. Warum stellen wir nicht klar, daß es sich um einen Staatsstreich von Generalen handelt, der international jede Art von Eingreifen durchaus ermöglichen würde?
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, viele andere Bereiche sind ebenfalls offen. Was diese Regierung bei unseren Menschen hinterläßt, ist letztlich der Eindruck, daß sie nicht in der Lage ist, geistig irgendwelche Elemente zu vermitteln. Ich frage Sie: Für welche Werte und für welche Prinzipien steht diese Bundesregierung? Glauben Sie bloß nicht, daß wir die deutsche Einheit nur vor dem Hintergrund der Angleichung der materiellen Lebensverhältnisse ohne ein ideales - oder sagen wir ruhig: ein idealistisches - Element vollziehen können.
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie sehr herzlich bitten - ich bedarf
Vizepräsident Hans Klein
dazu im übrigen keiner Aufforderung - , dem Redner die wenigen Minuten Redezeit, die er noch hat, Aufmerksamkeit zu schenken. Wir kommen dann zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte Sie herzlich, hinten im Saal die Gespräche einzustellen. Wenn Sie sich unterhalten wollen: Vor dem Saal ist auch noch Platz. - Bitte fahren Sie fort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich bitte darum, daß mir das auch nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Ich möchte fragen: War es tatsächlich richtig, mit Polen einen Vertrag abzuschließen, der deutsche Investitionen verhindert, und sich gleichzeitig außenpolitisch zu binden, den Antrag Polens auf Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft zu unterstützen? Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn das so weiterliefe, würde das für den deutschen Steuerzahler - weil wir Nettozahler sind - eines Tages eine Leistung in einer Größenordnung von 300 bis 400 Milliarden DM bedeuten. Darüber müssen Sie heute nachdenken.
Wenn der Bundeskanzler landauf, landab predigt, daß der Gipfel in Maastricht ein Erfolg werden muß, muß er sich trotzdem fragen lassen, ob die Europäische Währungsunion auf Biegen oder Brechen und zu Lasten des deutschen Steuerzahlers tatsächlich so sinnvoll und so brennend ist, daß wir heute darauf bestehen müssen, oder ob nicht tatsächlich darüber noch einmal nachgedacht werden kann.
({0})
Der Wähler, der Bürger hat sehr wohl vermerkt, was hier teilweise mit einem falschen Titel beschlossen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß ein Solidaritätsgesetz den Eindruck vermittelt, es ginge um die Entwicklung in den neuen Bundesländern, während damit tatsächlich ganz andere Ziele abgedeckt werden, letztlich eine Legitimierung für Maßnahmen, die vorher vom Bundeskanzler ohne jede Rückendekkung durch das Parlament abgesprochen wurden, werden wir dem Bürger begreiflich zu machen haben.
Ich frage die Bundesregierung: Wo sind eigentlich die 63 Milliarden DM deutscher Leistungen an die Sowjetunion innerhalb eines Jahres gelandet, Geld, das uns heute fehlt, um die Kräfte wirklich zu unterstützen, die die neuen Länder und die neuen Gesellschaften auf dem Gebiet der alten Sowjetunion aufbauen? Ich habe den Eindruck, wir schauen viel zuwenig in die Zukunft, und wir leben viel zu sehr von der Hand in den Mund.
Wir haben bisher davon profitiert, daß uns die Geschichte geholfen hat. Nur, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Damit können wir in Zukunft nicht rechnen. Ich bezweifle, daß die Bundesregierung heute, nach der Erklärung des Bundeskanzlers, hier die richtigen Perspektiven entwickelt hat.
Wie glaubwürdig ist eigentlich ein Bundeskanzler, der noch vor zwei Jahren mit Erich Honecker einen Deal über 8,6 Milliarden DM westdeutsche Leistungen geschlossen und ihn sozusagen mit einem großen Bahnhof empfangen hat, sich jetzt aber auf einmal
dahin äußert, der Mann müsse ausgeliefert werden? Ist das wirklich glaubwürdig gegenüber den Menschen, die sich fragen: Was passiert eigentlich noch alles in der Politik? Ich frage: Welche Funktion wird das Recht zukünftig haben, wenn wir bereits hier mit Unglaubwürdigkeit vorgehen?
Die Bundesregierung und der Herr Bundeskanzler verkörpern heute leider eine Selbstgefälligkeit und manchmal schon eine Selbstüberheblichkeit, über die man sich nur wundern kann. Die Menschen draußen werden sich das mit Sicherheit auf Dauer nicht gefallen lassen.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04: Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmkarten abgegeben? - ({0})
Sind die Kolleginnen und Kollegen, die aus der Landesvertretung Baden-Württemberg hierhergeeilt sind, inzwischen im Saal? Haben sie ihre Stimmkarten abgegeben?
({1})
- Geben wir also den Kolleginnen und Kollegen, die es ein Stückchen weiter haben, noch zwei Minuten eine Chance. -
Zum letzten Mal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dies scheint jetzt nicht mehr der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. * )
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, jetzt wieder Platz zu nehmen, damit wir mit unseren Beratungen fortfahren können. - Ich bitte um das gute Beispiel der Parlamentarischen Geschäftsführer. - Wer den Saal verlassen möchte, den bitte ich, dies jetzt zu tun. Ich bekomme soeben eine Information. Diese Information ist für die Kolleginnen und Kollegen, die die Debatte vor dem Fernseher verfolgen, fast noch wichtiger als für Sie hier, aber natürlich auch für Sie wichtig. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf geeinigt, daß alle ausstehenden namentlichen Abstimmungen um 21.30 Uhr gemeinsam vorgenommen werden sollen.
({2})
Ich rufe auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes - Drucksachen 12/1405, 12/1600 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose
*) Seite 5043 D
Vizepräsident Hans Klein
Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dies ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Ernst Waltemathe das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist größer geworden, der Anteil des Etats des Auswärtigen Amts am Gesamthaushalt des Bundes relativ kleiner. Für unsere unmittelbare Außenpolitik stehen knapp 3,4 Milliarden DM zur Verfügung. Das sind etwa 0,8 % des Bundeshaushalts. 0,8 % können wenig sein, 0,8 ‰ viel; aber das steht in einem anderen Zusammenhang.
Allerdings sind aus solchen Zahlen weder die außenpolitischen Aktivitäten noch die außenwirtschaftlichen und die finanziellen Leistungen deutscher Politik ablesbar. Der Etat des Auswärtigen Amtes enthält nur verhältnismäßig geringe operative Mittel und selbstverständlich verhältnismäßig hohe Personalkosten und sächliche Kosten für das Ministerium und die vielen Auslandsvertretungen, ferner große Beiträge an internationale Organisationen.
Was die Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Arbeit und in zweiseitigen Abkommen mit zahlreichen Staaten unserer Erde wirklich leistet, findet sich in anderen Einzelplänen als Zahlenwerk. Teilweise werden sie im Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - versteckt, z. B. unter „Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg" - Beschaffungskosten für zwei U-Boote für Israel - . Insgesamt geben die nackten Zahlen kein zutreffendes Bild der auswärtigen Politik.
Die deutsche Außenpolitik wird seit 171/2 Jahren vom dienstältesten Außenminister der Welt geprägt.
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Gut 16 Jahre lang hat Herr Genscher die grundsätzliche Unterstützung durch die Sozialdemokratie gehabt: in rund acht Jahren gemeinsamer Regierungsverantwortung der sozial-liberalen Regierung und in weiteren acht Jahren, seit wir Sozialdemokraten in die Opposition verwiesen wurden.
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Diese grundsätzliche Unterstützung war an der Sache orientiert, sie war nicht taktisch bedingt. Nicht nur tut ein Parlament gut daran, in der Außenpolitik ein Höchstmaß an Gemeinsamkeiten und gemeinsamer Verantwortung anzustreben, wir Sozialdemokraten haben darüber hinaus in Herrn Genscher auch einen Garanten gesehen für die Fortsetzung der von Willy Brandt als Außenminister und Bundeskanzler begonnenen, von Helmut Schmidt fortgesetzten Politik zur Überwindung der Spaltung Europas und der weltweiten Zusammenarbeit. Es war dies eine Politik, zu der CDU und CSU ursprünglich nein oder „so nicht" sagten und zu der sie sich nach der Regierungsübernahme nur zögernd bekannten. Stichworte wie Ostverträge, KSZE-Prozeß, deutsch-polnische Aussöhnung und Endgültigkeit der polnischen Westgrenze, Rüstungsreduzierung, Rüstungskontrolle, Beitrag zur friedlichen Bewältigung von Konflikten, Durchsetzung von Menschenrechten usw. haben uns veranlaßt, den Außenminister gegen manche „Nebenaußenpolitik" seines größeren Koalitionspartners in Schutz zu nehmen und zu unterstützen.
Aber, meine Damen und Herren, weder die Person des Außenministers noch seine politische Rolle sind sakrosankt. Seine Verdienste um die internationale Absicherung der deutschen Vereinigung und darum, daß sie von unseren zahlreichen Nachbarn in Europa nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Weiterentwicklung europäischer Zusammenarbeit begriffen wurde, sind unbestritten und werden auch in dieser Debatte nicht bestritten. Aber diese Feststellung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem Kapitän auf der Brücke der Außenpolitik der Kompaß inzwischen etwas durcheinandergeraten ist, so daß Kursabweichungen nicht mehr ausgeschlossen sind.
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Seit einem guten Jahr funktioniert die hektische Reisediplomatie nicht mehr wie gewohnt. Eine gewisse Unentschlossenheit im Zusammenhang mit dem Golfkrieg und der peinliche Eindruck der Scheckbuchpolitik gegenüber Staaten des Nahen Ostens haben Mißtrauen hervorgerufen. Das Vertrauen in deutsche außenpolitische Staatskunst ist während der zurückliegenden Monate im Zusammenhang mit dem Krieg in Jugoslawien auch nicht gewachsen. Die gewachsene Verantwortung des größer gewordenen Deutschlands darf nicht verwechselt werden mit einer permanenten Vorreiterrolle innerhalb der europäischen Gremien, die von anderen Partnern als Vorherrschaftsdenken mißverstanden werden könnte. Es gilt, sensibel zu sein und sensibel zu bleiben gegenüber kleineren EG-Partnern, insbesondere dann, wenn diese die EG-Präsidentschaft innehaben.
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Meine Damen und Herren, ich will mich hier gar nicht zu den Inhalten unserer oder der EG-Jugoslawienpolitik im einzelnen äußern, aber doch zu bedenken geben, daß voreilige Ratschläge für das, was EG-Außenminister erst noch beraten sollen, und Tricks, wer nach einer Außenministerzusammenkunft als erster zu einer Pressekonferenz eilt, eine Desavouierung des Außenministers eines kleineren Nachbarn darstellen. Diese Desavouierung verletzt den Geist gleichberechtigter Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
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Selbst dann, wenn nicht alles stimmen sollte, was die Medien über das Verhältnis Genscher-van den Broek berichten, ist es doch mehr als ein Kunstfehler deutscher Außenpolitik, daß der Eindruck entstanden ist, als wäre dieses Verhältnis eine zusätzliche Belastung
für wichtige Entscheidungen, die jetzt in der Gemeinschaft getroffen werden müssen.
Nach wie vor gehe ich davon aus, daß das größer gewordene Deutschland eine wachsende Verantwortung dafür trägt, daß Europa zusammenwächst und aus dem vordemokratischen Stadium einer Versammlung von Regierungen hinauswächst zu einer parlamentarischen Demokratie, die auf Zusammenarbeit zwischen größeren und kleineren Ländern, zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Staaten angelegt ist. In der Sache selbst werden meine Kollegen Norbert Gansel und Eberhard Brecht sicher noch nähere Ausführungen machen.
Wenn ich mich wieder dem Haushalt zuwende, so knüpfe ich da an, worauf ich zu Anfang meines Debattenbeitrages bereits hingewiesen habe: Die Beurteilung der Außenpolitik läßt sich aus den verhältnismäßig geringen operativen Mitteln des Einzelplans 05 nicht ohne weiteres herleiten. Einige Etatpositionen begegnen aber trotzdem unseren Bedenken.
Während wir - trotz einvernehmlicher Beschlüsse aller Fraktionen dieses Hauses - im Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Jahr für Jahr mit geringem oder gar keinem Erfolg darum kämpfen, die Dotierung für humanitäre Hilfsmaßnahmen aufzustocken, wird auf der anderen Seite daran festgehalten, daß unter dem Stichwort NATO-Verteidigungshilfe erhebliche Rüstungslieferungen an die Türkei und an Griechenland vergeben werden. Selbst wenn es gelang, den Betrag, der bis einschließlich dieses Jahres mit 164 Millionen DM jährlich zu Buche steht, um 30 Millionen DM zu kürzen, so bleiben nach dem Willen der Koalition ab 1992 nach wie vor Jahr für Jahr 134 Millionen DM für Rüstungsmaßnahmen zugunsten von zwei NATO-Partnern - in einer Zeit, in der auch für die NATO Abrüstung angesagt ist. Im übrigen kann man bezweifeln, ob aus diesem Titel wirklich NATO-Verteidigungshilfe geleistet wird.
Gleichzeitig, meine Damen und Herren, soll unter dem Titel „Ausstattungshilfe" ein neues Dreijahresprogramm von knapp 200 Millionen DM für überwiegend an ausländische Streitkräfte und Polizeieinheiten vom Bundesverteidigungsminister zu liefernde Güter nicht waffentechnischer Art aufgelegt werden. Auch wenn es sich nicht um Waffenlieferungen handelt, so sind die Lieferungen für viele Empfängerländer doch von erheblicher logistischer Bedeutung. Sie fördern nicht die Entwicklung dieser Empfängerländer, sondern vielfach die Aufrechterhaltung von Repressionsmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung.
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Von den 200 Millionen DM sollen etwa drei Viertel, etwa 150 Millionen DM, für solche bedenklichen Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung gestellt werden. Lediglich 46 Millionen DM sind im Dreijahreszeitraum für Demokratisierungshilfen und für Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität vorgesehen. Die beiden letztgenannten Maßnahmen unterstützen wir, den größeren Brocken an Militär- und Polizeihilfe lehnen wir ab. Auf Drucksache 12/1648 haben wir einen Antrag zur Abstimmung vorgelegt, den Haushaltstitel und die Verpflichtungsermächtigungen für die Ausstattungshilfe entsprechend zu kürzen. Wir bitten um Annahme unseres Antrags.
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Meine Damen und Herren, es gibt einen Teil des Etats des Auswärtigen Amtes, den wir unterstützen und den wir in Zukunft noch ausgedehnt haben möchten. Das ist der Etat für auswärtige Kulturpolitik, der etwa ein Drittel des Haushalts für die Außenpolitik ausmacht und der grundsätzlich sinnvoll und in den meisten Punkten zwischen den Parteien unstrittig ist. Friedliche Zusammenarbeit kann nur entstehen, wenn sich Menschen begegnen, sich kennenlernen und ihre jeweilige Kultur, ihre jeweilige Mentalität verstehen.
Es ist deshalb hilfreich und vernünftig, wenn wir, beispielsweise durch Stipendienprogramme, Studenten und Wissenschaftler anderer Länder und Erdteile an unseren Universitäten zu Gast haben. Es ist wichtig, die Spracharbeit über die Intensivierung und Ausweitung der Arbeit der Goethe-Institute und über Medienprogramme auszubauen. Wir wollen Ausstellungen und Gastspiele von Theatern oder Künstlergruppen aus devisenschwachen Ländern in Deutschland haben. Umgekehrt wollen wir auch, daß Gastspiele und Ausstellungen deutscher Kultur im Ausland das Bild eines kulturell hochstehenden, demokratisch gesinnten, eines friedlichen Deutschland vermitteln.
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Und wir wollen, meine Damen und Herren, daß die politischen Stiftungen Hilfe leisten, anderswo politisches und gesellschaftliches Zusammenleben in friedfertigen, demokratischen Formen zu organisieren. Für diese Arbeit, die wir zu Recht überwiegend über Mittlerorganisationen und nicht durch bürokratische Institutionen durchführen lassen, haben wir erhebliche Mittel bereitgestellt.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung in Mittel-und Osteuropa, mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den drei vor kurzem wieder selbständig gewordenen baltischen Staaten und der sich abzeichnenden Verselbständigung von Republiken der ehemaligen Sowjetunion ist die Notwendigkeit gewachsen, gerade in der Auslandskulturarbeit kräftig zuzulegen, ohne die entsprechenden Aufgaben in anderen Teilen der Welt zu vernachlässigen.
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Einige Verbesserungen gegenüber dem Regierungsentwurf zum Haushalt 1992 haben wir noch in letzter Minute einvernehmlich erreichen können. Einiges ist uns aber nicht gelungen. Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihrem Etatentwurf für das Jahr 1993 eine weitere notwendige, der Sache angemessene Aufstockung des Kulturetats des Auswärtigen Amtes zu berücksichtigen.
Zusammengefaßt, meine Damen und Herren: Auch wenn ich am Schluß meiner Ausführungen die Gemeinsamkeit bezüglich der Kulturarbeit herausgestellt habe, so bleibt es doch bei der negativen Gesamtbeurteilung des Etats für das Auswärtige Amt, den die Bundesregierung bzw. die Regierungskoali5038
tionen vorgelegt haben. Wir werden deshalb den Etat des Auswärtigen Amtes ablehnen.
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Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Klaus Rose das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich ohnehin mit dem Kollegen Waltemathe das ganze Jahr zu tun habe, brauche ich jetzt nicht auf ihn einzugehen. Ich möchte den Schwerpunkt der Haushaltsdebatte bezüglich der Außenpolitik auf das Hauptstichwort legen, das uns als vergrößertem Deutschland gegeben ist, nämlich auf die neue Rolle Deutschlands und wie wir uns dazu stellen sollen.
Berufene und Unberufene stellen nämlich diese Frage, Betroffene und Abseitsstehende sind von ihr fasziniert. Wir wissen alle, daß sich das Ausland bereits ein Bild über dieses neue Deutschland macht. Ich betone vorweg, daß wir verpflichtet sind, dieses Bild zu prägen, und zwar im Sinne einer weiter vertieften Freundschaft mit unseren Nachbarn. Das große Vertrauen, das wir als kleinere Bundesrepublik mit der Hauptstadt Bonn genossen haben, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
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Natürlich haben wir nach Erlangung der vollen Souveränität für alle Deutschen zusätzliche Aufgaben. Natürlich dürfen wir gesundes Selbstbewußtsein zeigen und müssen nicht als der von der Geschichte Mißgebildete dauernd am Krückstock gehen. Von einer liebenswürdigen Bescheidenheit sollten sich die Deutschen aber nicht zu weit entfernen.
Wir leben gegenwärtig mit dem Problem, daß die einen sehr viel von uns erwarten - materielle Hilfen, technologisch-wissenschaftliche Unterstützung. Doch je mehr wir tun, desto eher zeigt die andere Seite den Stachel des Mißtrauens, so daß wir darauf achten müssen, nicht als beherrschend angesehen zu werden. Den goldenen Mittelweg zu finden ist bekanntlich nicht leicht. Das gilt auch für den unmittelbar bevorstehenden Schritt zur Europäischen Politischen Union.
Solange, meine Damen und Herren, das Feindbild des Ostens bestand, war der Druck hin zur Einigung im Westen gewünscht. Heute besteht die Herausforderung der Geschichte darin, daß diese Politische Union auch erreicht wird, obwohl sie nicht mehr allseits gewünscht erscheint. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, die angemessenen Schritte zu tun. Der bevorstehende Gipfel von Maastricht - heute vom Herrn Bundeskanzler mehrmals erwähnt - mag nicht leicht zu erklimmen sein, um der Zukunft Europas willen darf man jedoch keinen Schweißtropfen scheuen. Dabei sollen unsere europäischen Freunde spüren, daß die Deutschen in aufrichtiger Partnerschaft denken und nicht in Vormachtgelüsten schwelgen. Die entsprechende Lehre aus der Geschichte sollten wir gezogen haben.
Es wäre im übrigen eine Tragik der Geschichte, wenn der europäische Zug kurz vor der Vollendung des Binnenmarktes und der Politischen Union einen Weichensprung erlebte. Die falsche oder gar entgegengesetzte Richtung darf nicht eingeschlagen werden. Leider sind nämlich nicht alle Zeichen in Europa ermutigend. Die Tragödie in Jugoslawien zeigt unsere Ohnmacht. Das erklärte Ziel von Außenminister Genscher, aber auch der KSZE und ungezählter anderer Konferenzen war und ist es, in Europa ohne Grenzveränderungen auszukommen, es sei denn, sie vollzögen sich im friedlichen Wandel. Im Falle von Jugoslawien erweist sich mit brutaler Zynik, daß die verzögerte Anerkennung von Slowenien und Kroatien die friedliche Beibehaltung der Grenzen zunichte gemacht hat.
Ich halte nichts von falscher Schuldzuweisung und schon gar nicht gegenüber der Bundesregierung und ihrem Außenminister, wenn sie Grundsatztreue zeigen, eine umgehende Anerkennung der beiden Westrepubliken Jugoslawiens ist jedoch geboten, bevor es in den Ostrepubliken des untergehenden Vielvölkerstaats zu einer ähnlichen Tragödie kommt.
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Kein Mensch in unserem Land versteht mehr, warum Slowenien und Kroatien gegen das Selbstbestimmungsrecht an Jugoslawien gekettet bleiben. Die Fiktion des geeinten Südslawiens ist mit dem Tode Titos - wie ja leider erwartet oder befürchtet - erloschen.
Wenn ich vorhin vom Ziel des vereinigten Europas sprach, so tat ich dies auch angesichts der jüngsten gegenläufigen Tendenz, sich in immer mehr selbständige oder gar unabhängige Regionen aufzusplittern. Ich beobachte aus der etwas näheren Sicht Bayerns mit sorgenvollem Interesse, wie Tschechen und Slowaken miteinander umgehen. Noch Ende Juli dieses Jahres, als ich in Preßburg mit Ministerpräsident Carnogursky und mit seinem Opponenten Meciar Gespräche führte, deutete nichts auf eine Eskalierung des Gegensatzes zwischen der tschechischen Republik und der slowakischen Republik hin. Man wollte zwar mehr eigene Rechte, mehr Selbständigkeit und mehr internationale Aufmerksamkeit für die Slowakei; im Gesamtstaat CSFR fühlte man sich aber durchaus beheimatet. Die zu uns kommenden jüngsten Meldungen erwecken jedoch den Eindruck einer anderen Politik. Uns kann es nicht um die Einmischung in die inneren Angelegenheiten gehen. Aber ich meine, wir sollten möglichst viele Verknüpfungen und enge Bindungen auch mit der Slowakei eingehen, nicht gegen die Tschechen, sondern um den Slowaken das Gefühl der Gleichberechtigung zu geben, nämlich daß sie unmittelbar Kontakt zu Europa haben.
Ein vereintes Europa braucht selbstbewußte Völker, aber eben auch partnerschaftliche Ideen, ohne die an ein Zusammenleben nicht zu denken ist. Vielleicht sind Südtirol oder auch Flandern - zwei andere Beispiele - ebenfalls Auftrag, für Europa mehr zu tun.
Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten Zeit naturgemäß viel über die Sowjetunion bzw. über die neuentstandenen Republiken diskutiert. Ich will nicht behaupten, daß die Dritte Welt oder daß andere
Regionen auf der Erde hintangestellt werden dürfen. Meine Kollegen Vogel und Köhler gehen darauf nachher noch ein. Doch im Rahmen einer Haushaltsdebatte muß es erlaubt sein, auch die Grenzen des Machbaren aufzuzeigen. Wir haben zu Jahresbeginn bekanntermaßen schon problematische Entwicklungen in bezug auf das viele Geldausgeben gehabt. Angesichts der unvorstellbaren Kosten, die durch die Hinterlassenschaft des Kommunismus östlich der Elbe oder des Bayerwaldes auf uns zukommen, können wir uns eine derartige Politik nicht mehr leisten. Auch wenn man die Deutschen für die goldene Melkkuh halten mag, steht fest, daß niemand auf der Erde alleine reich genug ist für die Lösung aller Weltprobleme.
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Deshalb muß man Prioritäten setzen. Bei uns Deutschen, bei uns Europäern, kommt es darauf an, jenen zu helfen, die jahrzehntelang ihrer Rechte beraubt waren.
Ich bin sehr dafür, daß wir uns um Rußland kümmern und daß wir auf Rußland zugehen, aber Ungarn, Polen oder die Tschechen und die Slowaken haben sich jahrelang gegen die Übermacht gewehrt und gegen den Totalitarismus gekämpft. Dort haben die Völker Mut gezeigt und die Freiheit errungen. Diese Völker - auch in ihrer Rolle als unsere unmittelbaren Nachbarn - dürfen wir nicht vergessen.
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Wir dürfen vor allem die deutschen Minderheiten nicht vergessen, was ich als CSU-Abgeordneter vorrangig betone. Im Haushalt 1992 sind beträchtliche Mittel für die entstehende Wolga-Republik und vor allem auch Mittel zur Pflege deutscher Kultur enthalten.
Wer gestern abend im Fernsehen den Bericht über die Wolga-Republik und über das Schicksal dieser Menschen sah, wird mit besonderem Interesse verfolgen, wie sich das alles entwickelt, ob es überhaupt zu einer Wolga-Republik in unserem Sinne kommen kann und vor allem wie wir Gerechtigkeit in der Geschichte für diese Menschen, die wirklich nichts dafür konnten, die niemals Faschisten, die niemals Nazi-Anhänger waren und die eben in ihrer Geschichte so schwer getroffen waren, erwirken können.
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Meine Damen und Herren, ich möchte in diesem Zusammenhang gerne erwähnen, daß alleine auf dem Gebiet der bisherigen Sowjetunion 11 Millionen Schüler und Studenten die deutsche Sprache erlernen - 11 Millionen! - und daß 65 000 Deutschlehrer Lehrmaterial brauchen, daß sie gerne Stipendien angeboten und Deutschlandreisen vermittelt haben wollen. Wir haben also einiges zu tun. Hier breitet sich eine gewaltige Dimension der auswärtigen Kulturpolitik aus, die vom Goethe-Institut, vom DAAD und von den politischen Stiftungen ausgefüllt werden muß.
Daß mit dem Haushalt 1992 nur ein einziges Goethe-Institut in den baltischen Staaten - in Riga - genehmigt wurde, hängt mit den Haushaltszwängen
zusammen. Flächendeckend können wir halt momentan nicht in der ehemaligen Sowjetunion oder in Jugoslawien oder überall dort, wo neue Republiken entstehen, arbeiten. Wir können mit der Bestückung von Universitätsbibliotheken oder mit dem begierig aufgenommenen Angebot der Sprachvermittlung schon viel erreichen.
Diese haushaltsmäßige Bescheidenheit hat im übrigen zu der einstimmigen Entscheidung im Haushaltsausschuß geführt, wegen der sich abzeichnenden großen Notwendigkeiten flächendeckender diplomatischer Betreuung auf die Etablierung von B 6-Botschaften in den drei Balten-Republiken zu verzichten. Entgegen anders lautenden Spekulationen ist diese Entscheidung also nicht wegen oder gegen Personen gefallen, sondern einzig und allein aus Sachgründen.
Wir haben im Haushaltsausschuß noch einen aufsehenerregenden politischen Beschluß gefaßt, nämlich 25 Millionen DM für die Umrüstung militärischer für die Türkei bestimmter Güter zu sperren. Wegen der knappen Zeit kann ich heute nicht in voller Länge darauf eingehen. Die Sperrung ist ein normales haushaltstechnisches Mittel, aber es wollte auch ein politischer Akzent gesetzt werden. Nur, ich meine, man kann den Akzent auch falsch setzen. Wenn jetzt in der Türkei eine neue Regierung im Amt ist, in der auch Sozialdemokraten Mitglieder sind, wenn man sich bemüht, Menschenrechte zu verwirklichen, wenn man ein eigenes Staatsministerium mit einem Menschenrechtsminister etabliert hat, wenn man in der Türkei in den Koalitionsvereinbarungen Passagen findet, daß man sich der Frage von Gewalt und Terror auf menschenrechtliche Weise annehmen will, dann sollten wir diese Entwicklung in der Türkei fördern und nicht durch falsche Maßnahmen behindern.
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Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich deshalb darum bitten, daß der Weg der Entsperrung dieser Mittel möglichst bald beschritten wird. Wir verlassen uns auf die Regierung, daß sie mit diesem Anliegen an das Parlament und an den Haushaltsausschuß herantritt, so daß wir dann auch gegenüber unserem traditionell guten Freund und NATO-Partner Türkei das richtige Zeichen setzen können.
Der Haushalt 1992 - Auswärtiges Amt - weist viele gute Dinge auf. Wegen der Knappheit der Zeit - ich betone es nochmals - kann ich aber auf weitere schöne Punkte nicht eingehen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Sigrid Hoth.
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Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltspolitik enthält immer ein wenig die Gefahr, sich überwiegend auf nationale Belange zu konzentrieren. So war es auch oberste Maxime dieser Haushaltsberatungen, einen Gesamthaushalt zu verabschieden, der den zukünftigen Erfordernissen Rechnung trägt, gleichzeitig
aber eine übermäßige Verschuldung des Bundes vermeidet.
Die nun vorliegenden Zahlen belegen, daß die Regierung auch zukünftig ihren Beitrag zur Vollendung der deutschen Einheit leisten kann, ohne Steuerzahler oder Wirtschaft zu überfordern.
Spätestens jedoch die Debatte zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes zeigt jedem, daß wir mehr tun wollen, als vor der sprichwörtlichen eigenen Tür zu kehren. Wer sich die Ereignisse dieses Jahres in Erinnerung ruft, wird mir uneingeschränkt darin zustimmen, daß wir noch mehr Verantwortung als bisher für die wirtschaftliche und politische Entwicklung außerhalb unserer nationalen Grenzen - aber auch über die Grenzen Europas hinaus - übernehmen müssen. Der Krieg am Golf führte uns deutlich vor Augen, wie schnell sich als stabil eingeschätzte Strukturen verändern können. Dieser Krieg zeigte außerdem, daß innerhalb Deutschlands kein Konsens darüber besteht, welche Rolle die Bundesrepublik Deutschland zukünftig bei ähnlichen Auseinandersetzungen einnehmen soll.
Wir müssen uns bewußt werden, daß uns mit der Vereinigung Deutschlands, mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch neue Pflichten zugefallen sind. Natürlich müssen wir genau wie bisher versuchen, jede kleine Chance zu nutzen, um Konflikte politisch zu lösen. Unter Umständen könnten wir aber zukünftig gezwungen sein, unschuldigen Opfern von Völkerrechtsverletzungen - das kann, wie der Golfkrieg gezeigt hat, auch bei nicht der NATO angehörenden Staaten der Fall sein - im Rahmen von UN- und später vielleicht auch von KSZE-Aktionen Beistand zu leisten.
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Bisher als unverrückbar angesehene Positionen müssen insofern also neu überdacht werden.
Meine Damen und Herren, trotz herber Rückschläge, die wir in unserem Bestreben nach dauerhaftem Frieden hinnehmen mußten - als jüngstes Beispiel sei hier der Jugoslawien-Krieg genannt - , sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Das entschlossene Vorgehen der UN gegen Saddam Hussein zeigt: Solange die Völkergemeinschaft geschlossen gegen Unrecht einschreitet, kann Aggression auf Dauer nicht bestehen.
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Zudem zwang die Beendigung des Golfkrieges alle Beteiligten, über eine zukünftige Friedensordnung im Nahen Osten nachzudenken. Es wäre doch ein Pyrrhussieg, wenn der Golfkrieg gewonnen wäre, ohne daß es gelänge, Stabilität für die Region zu erzielen.
Die Anfang November begonnene Friedenskonferenz gibt meiner Ansicht nach zu vorsichtigem Optimismus Anlaß. Ein Erfolg dieser Gespräche würde zugleich beweisen, daß es auch zwei so unterschiedlichen Konfliktparteien möglich sein kann, Lösungen für eine friedliche Nachbarschaft zu finden. Dies könnte auch Signalwirkung für andere Regionen haben.
Im Vergleich dazu gestalteten sich die Verhandlungen über die Verträge zwischen der Bundesrepublik
Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn - der Republik Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn - einfacher, gleichwohl sie für die Friedensordnung in Europa von herausragender Bedeutung sind. Mit Genugtuung können wir feststellen, daß diesen bilateralen Verträgen Assoziierungsabkommen mit der EG folgen sollen. Entsprechende Abkommen wurden bereits paraphiert. Die Anbindung Ungarns, Polens und der Tschechoslowakei an den Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaft ist für deren wirtschaftliche Entwicklung und damit für die innere Stabilität dieser Staaten unerläßlich.
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Wir helfen diesen Staaten am effizientesten dann, wenn wir ihnen den Zugang zu unseren Märkten und letztlich zum gemeinsamen Europa ermöglichen.
Zur Herstellung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion müssen die Verhandlungen der zwölf EG-Mitgliedstaaten schnellstmöglich zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werden. Zentrale Forderung der Bundesregierung ist dabei, die Stabilität der künftigen Währung zu gewährleisten. An eine gemeinsame Währung müssen dieselben stabilitätspolitischen Kriterien angelegt werden, die in der Bundesrepublik für die D-Mark gelten. Dazu ist es notwendig, im EWG-Vertrag Kriterien für exzessive Defizite, Verfahren für den Abbau solcher Defizite sowie Sanktionsmöglichkeiten bei unsolider Haushaltspolitik zu verankern. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß auch nach Herstellung der WWU die Wirtschaftspolitik vorrangig Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben wird. Die künftige gemeinsame Geldpolitik hingegen soll in alleiniger Verantwortung der unabhängigen europäischen Zentralbank liegen.
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Dabei muß im Rahmen der WWU dem Grundsatz demokratischer Legitimität Rechnung getragen werden. Der Vertragsentwurf sieht daher in allen legislativen und institutionellen Fragen die Beteiligung des Europäischen Parlaments vor. Der kommende Gipfel in Maastricht wäre, wenn er zu einem erfolgreichen Abschluß kommt, ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion sowie zur Politischen Union Europas.
Meine Damen und Herren, auch ein nur kurzer Rückblick auf dieses Jahr ist ohne die Berücksichtigung der Ereignisse in der bisherigen UdSSR unvollständig. Derzeit scheint man dort eine Form zu finden, die sowohl dem Bestreben der einzelnen Republiken nach Unabhängigkeit als auch der Notwendigkeit eines zusammenhängenden Wirtschaftsraums Rechnung trägt. Die Vorgänge in der Sowjetunion lassen hoffen, daß die gewaltige Wirtschaftshilfe der Bundesrepublik nicht vergeblich war.
Es ist sicherlich auch nicht anmaßend, zu behaupten, daß wir durch unsere Finanzhilfen einen kleinen Beitrag leisten konnten, die Person und die Politik Michail Gorbatschows zu unterstützen. Das durch ihn geweckte geänderte Bewußtsein in der Bevölkerung und nicht zuletzt in der Armee war die entscheidende Kraft bei der Niederschlagung des Putsches. An dieser
Stelle soll auch das Verdienst von Boris Jelzin in diesen Tagen nochmals ausdrücklich gewürdigt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von mir aufgeführten Entwicklungen belegen: Wirtschaftliche Hilfe darf nicht ausschließlich an kurzfristiger Rentabilität orientiert sein. Sie sollte auch immer einen Vertrauensvorschuß enthalten, um langfristig richtigen Entwicklungen zum Durchbruch verhelfen zu können. Zusammen mit dem Auswärtigen Amt können wir auch in Zukunft in diesem Sinne arbeiten.
Der Gesamthaushalt des Einzelplans 05 beträgt etwa 3,4 Milliarden DM und weist Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 560 Millionen DM aus. Für die Aufgaben der Auslandsvertretungen werden im kommenden Jahr über eine Milliarde DM zur Verfügung gestellt. Der Ansatz im Regierungsentwurf in Höhe von 991 Millionen DM wurde aufgestockt, um Botschaften in den baltischen Staaten einrichten zu können.
Neben den Auslandsvertretungen ist auch die Pflege kultureller Beziehungen ein Schwerpunkt deutscher Außenpolitik. Knapp 1,2 Milliarden DM sind im kommenden Jahr dafür eingeplant. Mit diesen Geldern unterstützen wir u. a. die Förderung von Studenten und Nachwuchswissenschaftlern durch Stipendien und Beihilfen in Höhe von 180 Millionen DM, deutsche Wissenschaftler und Lektoren der deutschen Sprache im Ausland mit 48 Millionen DM, das Goethe-Institut mit 232 Millionen DM, Kirchen, politische Stiftungen, Jugendbewègungen und die Förderung von Sportbeziehungen mit 73 Millionen DM und nicht zuletzt den Deutschen Akademischen Austauschdienst mit knapp 33 Millionen DM.
Zur Pflege der kulturellen Beziehungen gehört auch die Förderung deutscher Auslandsschulen mit Mitteln in Höhe von 328 Millionen DM. Mit unseren Vertretungen und der eben erwähnten Arbeit auf dem Gebiet der Kulturpolitik versuchen wir, sowohl ein vorurteilsfreies Bild von anderen zu erhalten als auch ein ebensolches von uns selbst zu vermitteln. Dies ist auch der einzige Weg, Vertrauen aufzubauen und so Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen oder diese bereits im Vorfeld lösen zu können.
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Was wir derzeit in Jugoslawien hingegen beobachten können, ist das brutale Vorgehen der serbischen Republik gegen Kroatien. Viele Waffenstillstandsvereinbarungen wurden geschlossen. 14 sind es wohl mittlerweile. Gehalten hat noch keine. Dieser Krieg hat bereits Tausende von Todesopfern gefordert, Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, haben ihre Heimat verloren. Die vermeintlichen Sieger finden die von ihnen zerstörten Städte vor. Der wirtschaftliche Schaden, den Jugoslawien durch diesen Krieg erleidet, ist gewaltig.
Die Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft, diesen Konflikt zu beenden, blieben bisher ohne Erfolg. Die Schwierigkeiten, zu einer gemeinsamen europäischen außenpolitischen Haltung zu finden, kosteten Zeit und führten zu Zwischenlösungen. Deren
erhoffte Wirkung blieb bisher leider aus. Der Jugoslawien-Krieg zwingt uns daher nachdrücklich, eine wirksame außenpolitische Abstimmung schnellstmöglich zu realisieren. Ein deutliches Signal könnte dabei die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die EG sein.
In einem Interview dieser Woche sagte Außenminister Genscher zu, die medizinische Hilfe für Kroatien von 6 auf 10 Millionen DM zu erhöhen.
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Ich begrüße dies ausdrücklich, liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir damit deutlich machen, daß die Anerkennung der politischen Souveränität allein nicht ausreicht.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen: Eine Anerkennung müßte zudem die Aufforderung zur Wahrung der Minderheitenrechte beinhalten. Das Problem der Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten innerhalb eines Staates und die Wahrung ihrer Interessen und Rechte scheint mir weltweit ein wachsendes Problem zu sein.
In diesem Zusammenhang wird auch das Vorgehen der Türkei gegen die unschuldige kurdische Zivilbevölkerung von uns kritisiert. Die Türkei weist als Begründung für ihr Handeln darauf hin, daß diese Maßnahmen eine Abwehr gegen Aktionen der terroristischen PKK darstellen. Dabei läßt die Regierung in Ankara jedoch anscheinend außer acht, daß die Verfolgung von Straffälligen niemals völkerrechtswidrig grenzüberschreitend oder mit Gefahr für das Leben der Zivilbevölkerung erfolgen darf. Insofern ist das Vorgehen der Türkei zu verurteilen. Aus diesem Grund hat der Haushaltsausschuß während der Etatberatungen im Rahmen der Militärhilfe für die Türkei 25 Millionen DM qualifiziert gesperrt. Es muß abgewartet werden, ob z. B. die geplante Ernennung eines Ministers für Menschenrechte in der Türkei wirkliche Änderungen im Vorgehen der Regierung bewirken wird.
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Die Entwicklungen in diesem Jahr machen deutlich: In unserem Streben nach Ausgleich in der Welt können wir noch lange nicht innehalten. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam darauf hinarbeiten, daß wir zukünftig gegen Ende eines Jahres positive Ereignisse als Regel und Krisen als Ausnahme bilanzieren können!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hans Modrow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorbereitung und Diskussion des Haushalts dienen dazu, die Weichen der Politik zu stellen. Betrachtet man den vorgelegten Entwurf, gewinnt man den Eindruck, daß die Bundesregierung keine wesentlichen Veränderungen erblickt, und das gilt für den gesamten Bundeshaushalt wie für den jetzt zur Debatte stehenden Einzelplan
des Auswärtigen Amtes. Die größer gewordene Rolle des vereinigten Deutschlands in der konfliktreicher gewordenen Welt wird ebenso mißachtet wie das Ausmaß der globalen Probleme, die sich dramatisch zuspitzen und vor denen sich selbst so hoch entwickelte Länder wie die Bundesrepublik auf Dauer nicht abschotten können.
Natürlich kann und soll die Bundesrepublik nicht alleine für die Lösung dieser Probleme aufkommen. Aber so zu tun, als existierten sie nicht, als könnte man auf den eingefahrenen Gleisen weiterfahren, dank dem Anschluß von über 100 000 Quadratkilometern und 16 Millionen Menschen
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sogar mit größerer Schubkraft, das ist nicht nur kurzsichtig, es ist riskant und kann auch verhängnisvoll sein.
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- Ach wissen Sie, das Thema ist doch nun zu Ende.
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- Das können Sie für sich selber weiterbereden.
Nur zu schnell können Krisen und Katastrophen entstehen, auch wenn man heute noch glaubt, vor der Geschichte zum Sieger bestimmt zu sein.
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Die Bundesregierung hat erst kürzlich auf dem NATO-Gipfel in Rom eine wichtige Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, zu weitreichenden Schlußfolgerungen aus den völlig veränderten Bedingungen in Europa beizutragen. Schlimmer noch: Sie hat maßgeblich darauf hingewirkt, daß wiederum, sieht man von wenigen Veränderungen ab, eine anachronistische Sicherheitskonzeption beschlossen wurde.
Nichts charakterisiert doch die fundamental veränderte Situation heute mehr als die Tatsache, daß, wie Egon Bahr es nannte, sowjetische Streitkräfte im vereinigten Deutschland auf dem Territorium der NATO stehen und daß sich niemand darüber Sorgen macht.
Auch ein neuer Feind, gegen den man neue Waffen bräuchte, die ohnehin schon im Übermaß vorhanden sind, ist nicht zu sehen. Die NATO ohne Feindbild nennt sich nunmehr Versicherungsgemeinschaft. Doch nach Zielen, Strukturen und Beiträgen gleicht sie eher einer maßlos teuren Feuerversicherung, die sich selber mit dem Feuer beschäftigt und damit spielt; und die Bundesregierung zündelt mit.
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Gewiß sind die geplanten Vernichtungen von land-und seegestützten taktischen Kernwaffen, die Verminderung von konventionellen Waffensystemen in
Übereinstimmung mit dem Wiener Vertrag zu begrüßen. Was nützt es, wenn die Bundesregierung den Römer Gipfel als historisch rühmt, wenn sie gleichzeitig aber verschleiert, daß jetzt kostenaufwendige Modernisierung der Streitkräfte und neueste Waffentechnologien zu finanzieren sind, während an der Strategie der Abschreckung und dem Ersteinsatz von Kernwaffen nicht gerüttelt wird?
Der Kalte Krieg ist vorbei. Aber der Wettlauf um hohe Profite aus der Rüstung geht weiter.
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- Na ja, warten Sie ab, daß uns dieses „alte Geschwätz" nicht gemeinsam zu hart über den Nacken kommt.
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Was haben, so ist zu fragen, NATO-Verteidigungshilfe, Ausstattungshilfe, Rüstungssonderhilfe mit dem Haushalt des Auswärtigen Amtes zu tun, von der Frage ihrer Rechtfertigung noch ganz abgesehen? Wo bleibt im Haushalt die Finanzierung einer aktiven Abrüstungspolitik, die sinnvolle Verwendung der Friedensdividende?
Wir fordern die Bundesregierung deshalb erneut auf, schnellstmöglich einen Verhandlungsprozeß mit den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion über einen kernwaffenfreien Status Deutschlands einzuleiten, um die Stationierung von Kernwaffen auf deutschem Boden zu beenden.
Wenn mit dem Haushalt auch über die internationale Rolle der Bundesrepublik entschieden wird
- und dem ist so - , darf nicht vergessen werden, daß viele europäische Staaten, vor allem aber unsere Nachbarn, mit der Einbindung in die EG und die NATO immer noch das Ziel der Sicherung vor Deutschland verbinden. Das ist heute so, auch wenn es in öffentlichen Reden von Ministerpräsidenten und Staatspräsidenten nicht ausgesprochen wird. Dieses Ziel erscheint, nachdem Deutschland nahezu 80 Millionen Menschen zählt, wichtiger als je zuvor.
Wie blind und unbelehrbar die Bundesregierung aber an verfehlter Politik festhält, zeigt ihr Vorgehen in der Jugoslawien-Frage. Ungeachtet der vielschichtigen Ursachen, des entsetzlichen Blutvergießens, des zweifellos komplizierten Charakters der schlimmen Krise, der bekanntgewordenen Grausamkeiten beider Seiten setzt die Bundesregierung ihre konfliktschärfende Politik der einseitigen Parteinahme für Kroatien fort.
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Wer bei Serbien nicht vergißt, auf kommunistische Strukturen zu verweisen, und auf der anderen Seite rechtsextremistische Zeichen, die es dort gibt, verschweigt, ist noch nicht beim neuen Denken angekommen. Dem Frieden in Jugoslawien und dem Ansehen der Bundesrepublik wäre es dienlicher gewesen, wenn die geradezu missionarisch eingesetzte politische Energie für eine ehrliche, vermittelnde, friedenDr. Hans Modrow
stiftende Politik verwandt worden wäre. Manch bitteres Wort an die deutsche Adresse wäre im Ausland nicht gesprochen, vor allem aber neuer Argwohn kraft Geschichte und unseliger Erinnerung nicht geweckt worden.
({8})
Noch ist eine Umkehr möglich. Das gilt für das Verhalten zu Jugoslawien wie zu Osteuropa insgesamt. In Rom hat die NATO diesen Staaten eine neue Ära der Partnerschaft angeboten. Dieses Angebot war überfällig. Dennoch bleibt es halbherzig und wird von den tatsächlichen Erfordernissen noch weit entfernt sein. Anstatt mit Prioritäten darauf hinzuwirken, alle europäischen Staaten gleichberechtigt in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem einzubinden, werden sie in Staaten erster und zweiter Ordnung mit unterschiedlichen Sicherheitsansprüchen eingeteilt.
Ähnlich falsche Signale setzt die Bundesregierung bedauerlicherweise für den bevorstehenden EG-Gipfel in Maastricht. Auch wir sind für ein Europa, das eine eigenständige und dauerhafte Ordnung des Friedens und der Zusammenarbeit aufbaut und verantwortungsbewußt Fähigkeiten entwickelt, zur Neugestaltung des Nord-Süd-Verhältnisses beizutragen. Dieses Europa soll weder eine Vormachtrolle beanspruchen oder für irgendeinen Staat begründen, noch soll es auf militärischer Stärke beruhen. Es soll ein friedliches, demokratisch-konförderatives Europa sein, das allen Staaten des Kontinentes offensteht. Wenn sich die Europäischen Gemeinschaften fähig erweisen, dafür den Grundstein zu legen, sind wir für eine solche europäische Einigung.
Die Bundesregierung treibt jedoch die Entwicklung keineswegs so entschieden in diese Richtung. Im Mittelpunkt ihrer Anstrengungen steht das Festhalten an Machtstrukturen. Es ist ein Irrweg, zu glauben, einer sinnvollen gemeinsamen Sicherheitspolitik durch den Ausbau gemeinsamer Rüstung und den Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe am besten zu dienen. Das zeugt nicht von Selbstvertrauen. Katastrophen können auch heraufbeschworen werden, wenn sie mit untauglichen Mitteln verhindert werden sollen.
Das kann die westliche Insel des Friedens, des Wohlstands und des Wohlergehens teuer zu stehen kommen, teurer als die Kosten eines zweiten europäischen Wiederaufbaus. Die Wohlstandsgesellschaft wird gegen alle noch so berechtigten Forderungen vehement verteidigt, kommen sie denn aus den weniger entwickelten Regionen der EG oder von außerhalb.
Im Rahmen des künftigen europäischen Binnenmarktes bleibt die soziale Dimension völlig unterbelichtet. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt wird gravierende Auswirkungen auf die Beschäftigungslage, die soziale Sicherheit der Menschen und die sozialen Leistungen des Staates haben. Alles, was bisher dazu zu hören ist, bleibt vage und wenig verbindlich. Aber es ist auch eine wesentliche Schlußfolgerung: Hier ist ohne Zweifel auch der deutsche Einigungsprozeß eine Stunde des Lernens. Wir haben heute vormittag in der Debatte mehr als einmal gehört, wie kompliziert sich die Probleme in den neuen, östlichen Ländern gestalten. Das wird in Ost wie in West mit Besorgnis gesehen.
Wir sind deshalb dafür, die Sozialunion grundsätzlich mit dem gleichen Tempo und mit der gleichen Intensität zu gestalten und auszubauen wie die Wirtschafts- und die Politische Union. Umfangreiche Mittel könnten dafür aus dem aufgeblähten Militärhaushalt ohne Schaden für die Sicherheit und das Gemeinwohl verwendet werden.
Eine letzte Bemerkung zur Ausstattungshilfe für ausländische Streitkräfte und Polizei.
Herr Abgeordneter, Entschuldigung. Aber Sie können nur noch einen Satz sagen. Sie sind schon über die Zeit.
({0})
Dann möchte ich auf zwei Dinge verweisen. Auf der einen Seite wird für die Türkei darum gestritten, ob Streichungen vorgenommen werden müssen oder nicht. Auf der anderen Seite wird für Kuba alles gestrichen, ohne danach zu fragen, ob Kinder leiden bzw. wer wirklich Not leidet.
Der Haushalt eines Staates ist Prüfstein seiner Politik. Der uns vorgelegte zeigt, wie verfehlt die gegenwärtig Politik der Bundesregierung ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, auf den Drucksachen 12/1404 und 12/1600 bekannt: *) Es wurden 578 Stimmen abgegeben. Darunter waren keine ungültigen; es gab auch keine Enthaltungen. Mit Ja haben gestimmt, 354, mit Nein 224.
*) Vgl. Seite 5035 D
Endgültiges Ergebnis Austermann
Bargfrede
Abgegebene Stimmen: 579 Dr. Bauer
Frau Baumeister
davon Bayha
ja: 354 Belle
nein: 225 Frau Dr. Bergmann-Pohl Dr. Blank
enthalten: 0 Frau Blank
ungültig: 0 Dr. Blens Bleser
Dr. Blüm
Frau Dr. Böhmer
Ja Börnsen ({0})
Dr. Bötsch
CDU/CSU Bohl
Bohlsen
Frau Dr. Ackermann Borchert
Adam Brähmig
Dr. Altherr Breuer
Frau Augustin Frau Brudlewsky
Augustinowitz Brunnhuber
Vizepräsident Hans Klein
Büttner ({1}) Buwitt
Carstens ({2})
Dehnel
Frau Dempwolf
Deres
Deß
Frau Diemers Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehlers
Ehrbar
Engelmann Eppelmann Frau Eymer Frau Falk
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Fischer ({3})
Frau Fischer ({4}) Fockenberg Francke ({5}) Frankenhauser
Dr. Friedrich Fritz
Fuchtel
Ganz ({6})
Frau Geiger Geis
Dr. von Geldern
Gerster ({7})
Gibtner
Glos
Dr. Göhner Göttsching Götz
Dr. Götzer Gres
Frau Grochtmann
Gröbl
Grotz
Dr. Grünewald
Günther ({8}) Hames
Haschke ({9}) Haschke ({10})
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({11})
Hauser ({12}) Hedrich
Heise
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Dr. h. c. Herkenrath Hinsken
Hintze
Hörsken
Dr. Hoffacker Hollerith
Dr. Hornhues Hornung
Hüppe
Jäger
Frau Jaffke Jagoda
Dr. Jahn ({13}) Janovsky
Frau Jeltsch Dr. Jobst
Dr.-Ing. Jork Dr. Jüttner Jung ({14})
Junghanns Dr. Kahl
Kalb
Kampeter Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes
Frau Karwatzki
Kauder
Keller
Kittelmann Klein ({15})
Klein ({16})
Klinkert
Köhler ({17})
Dr. Köhler ({18}) Dr. Kohl
Kolbe
Frau Kors Koschyk
Kossendey Kraus
Dr. Krause ({19}) Krause ({20})
Krey
Kriedner
Kronberg Dr.-Ing. Krüger
Lamers
Dr. Lammert Lamp
Lattmann Dr. Laufs Laumann Frau Dr. Lehr
Dr. Lieberoth
Frau Limbach
Link ({21})
Lintner
Dr. Lippold ({22}) Dr. sc. Lischewski
Frau Löwisch
Lohmann ({23}) Louven
Lummer
Dr. Luther
Maaß ({24}) Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Frau Marienfeld Marschewski
Dr. Mayer ({25}) Meckelburg
Meinl
Frau Dr. Merkel
Frau Dr. Meseke
Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk
Michels
Dr. Mildner Dr. Möller Molnar
Müller ({26}) Müller ({27})
Müller ({28})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({29}) Nitsch
Ost
Oswald
Otto ({30}) Dr. Päselt Pesch
Petzold
Pfeffermann Pfeifer
Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla
Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Frau Rahardt-Vahldieck
Raidel
Dr. Ramsauer
Rau
Rauen Rawe Reddemann
Regenspurger
Reichenbach
Dr. Reinartz
Frau Reinhardt
Repnik
Dr. Rieder
Dr. Riedl ({31})
Dr. Riesenhuber
Rode ({32})
Frau Rönsch ({33})
Frau Roitzsch ({34})
Dr. Rose
Rossmanith
Roth ({35})
Rother Dr. Ruck
Rühe
Sauer ({36})
Sauer ({37}) Scharrenbroich
Frau Schätzle
Dr. Schäuble
Schemken
Scheu Schmalz
Schmidt ({38})
Dr. Schmidt ({39}) Schmidt ({40})
Frau Schmidt ({41}) Schmitz ({42})
Dr. Schneider ({43})
Dr. Schockenhoff
Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz
Frhr. von Schorlemer
Dr. Schreiber
Schulhoff
Dr. Schulte
({44}) Schulz ({45})
Schwalbe
Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing Seibel Seiters Skowron
Dr. Sopart
Frau Sothmann
Spilker Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Frau Steinbach-Hermann
Dr. Stercken
Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen
Dr. Stoltenberg
Strube Stübgen
Frau Dr. Süssmuth
Susset Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Vogel ({46})
Vogt ({47})
Dr. Voigt ({48})
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Werner ({49})
Wetzel
Frau Wiechatzek
Dr. Wieczorek ({50}) Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({51})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Wittmann ({52}) Wonneberger
Frau Wülfing
Würzbach Frau Yzer Zeitlmann Zierer
Zöller
FDP
Frau Albowitz
Frau Dr. Babel
Baum
Bredehorn
Cronenberg ({53}) Eimer ({54})
Engelhard
Dr. Feldmann
Friedhoff Friedrich Funke
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow
Genscher Gries
Grüner
Günther ({55})
Dr. Guttmacher
Hackel
Hansen
Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Frau Homburger
Frau Dr. Hoth
Dr. Hoyer Hübner
Irmer
Kleinert ({56})
Kohn
Dr. Kolb
Koppelin Kubicki
Frau LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Menzel Nolting
Otto ({57})
Paintner Frau Peters Frau Dr. Pohl
Richter ({58})
Rind
Dr. Röhl Schäfer ({59})
Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({60})
Dr. Schmieder
Schüßler
Frau Dr. Schwaetzer
Frau Sehn
Frau Seiler-Albring
Frau Dr. Semper
Dr. Solms
Frau Dr. von Teichman Thiele
Dr. Thomae Timm
Türk
Frau Walz
Vizepräsident Hans Klein
Dr. Weng ({61}) Wolfgramm ({62}) Frau Würfel
Zurheide
Zywietz
Nein
SPD
Frau Adler
Andres
Bachmaier
Frau Barbe
Bartsch
Becker ({63}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Bock
Dr. Böhme ({64}) Börnsen ({65}) Brandt
Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht
Büchler ({66})
Büchner ({67}) Büttner ({68}) Frau Bulmahn
Frau Burchardt
Bury
Frau Caspers-Merk Conradi
Daubertshäuser
Dr. Diederich ({69}) Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Ebert
Dr. Eckardt
Dr. Ehmke ({70}) Eich
Dr. Elmer
Esters
Ewen
Frau Ferner
Frau Fischer
({71}) Fischer ({72}) Formanski
Frau Fuchs ({73}) Frau Fuchs ({74}) Fuhrmann
Frau Ganseforth Gansel
Gilges
Frau Gleicke
Graf
Großmann
Habermann
Frau Hämmerle Hampel
Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Heistermann
Heyenn
Hiller ({75})
Hilsberg
Dr. Holtz
Horn
Ibrügger
Frau Iwersen
Frau Jäger
Frau Janz
Dr. Janzen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({76}) Jungmann ({77}) Frau Kastner Kastning
Kirschner
Frau Klappert Frau Klemmer Klose
Dr. sc. Knaape Frau Kolbe
Kolbow
Koltzsch
Kubatschka
Dr. Kübler
Kuessner
Dr. Küster
Kuhlwein
Lambinus
Frau Lange
von Larcher Leidinger
Lennartz
Frau Dr. Leonhard-Schmid Lohmann ({78})
Frau Dr. Lucyga Maaß ({79}) Frau Mascher
Frau Matthäus-Maier
Frau Mattischeck
Meckel
Frau Mehl
Dr. Mertens ({80}) Mosdorf
Müller ({81}) Müller ({82}) Müller ({83}) Müller ({84}) Müntefering Neumann ({85})
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Opel
Ostertag
Frau Dr. Otto Paterna
Dr. Penner
Peter ({86}) Pfuhl
Dr. Pick
Poß
Purps
Rappe ({87}) Reimann
Frau von Renesse
Frau Rennebach Reschke
Reuschenbach Reuter
Rixe
Roth
Schäfer ({88})
Frau Schaich-Walch Schanz
Scheffler
Schily
Schloten
Schluckebier Schmidbauer ({89}) Frau Schmidt ({90}) Frau Schmidt ({91}) Schmidt ({92})
Frau Schmidt-Zadel
Dr. Schmude Dr. Schnell
Dr. Schöfberger Schreiner
Frau Schröter Schröter
Schütz
Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz
Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Frau Simm Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge
Frau Steen Stiegler
Dr. Struck
Tappe
Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse
Tietjen
Frau Titze
Toetemeyer Urbaniak
Vergin
Verheugen Dr. Vogel
Vosen
Wagner
Wallow
Waltemathe Walter ({93})
Walther ({94}) Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weis ({95}) Weißgerber
Weisskirchen ({96}) Welt
Frau Wester Frau Westrich
Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({97})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
Wimmer ({98}) Dr. de With
Frau Wohlleben
Frau Wolf
Frau Zapf
PDS/LL
Frau Bläss Frau Braband
Dr. Briefs
Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer
Dr. Gysi Dr. Heuer Frau Dr. Höll
Frau Jelpke
Dr. Keller Dr. Modrow
Dr. Riege Dr. Seifert Frau Stachowa
Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige
Poppe
Frau Schenk Schulz ({99}) Dr. Ullmann Weiß ({100})
Fraktionslos
Lowack Henn
Damit ist der Einzelplan angenommen.
Wir fahren jetzt fort in der Aussprache über den Einzelplan 05. Ich erteile dem Abgeordneten Gerd Poppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Sommer 1989 erleben wir eine Phase tiefgreifender Umwälzungen in Europa. Wer aber vor zwei Jahren dachte, daß auf die Kettenreaktionen der Umstürze mit den ersten freien Wahlen in den ehemaligen Ostblockstaaten eine vergleichsweise ruhige Zeit des Aufbaus der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft folgen würde, hat sich getäuscht.
Die Umbruchphase hat ihren Endpunkt noch lange nicht erreicht. Er wird wohl erst dann in Sicht kommen, wenn sich die Entwicklung zur Demokratie und zu friedensfähigen Staaten in allen Teilen des ehemaligen Sowjetimperiums durchzusetzen beginnt.
Zunächst aber müssen wir erkennen, daß die dort gewaltsam unterdrückten, latent aber immer vorhandenen Konflikte nun an die Oberfläche getreten sind und daß sie von ungesicherten Demokratien und krisengeschüttelten Wirtschaften ohne fremde Hilfe nicht bewältigt werden können.
Wir erleben Veränderungen von historischer Dimension, die für ganz Europa einen revolutionären Prozeß vollenden können, der vor mehr als 200 Jahren bei unseren westlichen Nachbarn begann.
In den Schulbüchern späterer Jahrhunderte könnte vielleicht das Europa von 1789 bis etwa zum Jahre 2000 zusammengefaßt als eine Zeit dargestellt werden, die durch Kriege, Gewalt und Endzeitvisionen mit geprägt war, die schließlich aber nach der Rückkehr der politischen Vernunft zu einem Ausgangspunkt für Frieden und Gerechtigkeit wurde und das Ende von Krieg, Unterdrückung, Armut und Umweltzerstörung einleitete. Ich muß sagen, daß mir eine solche Prognose schwer über die Lippen geht, obwohl ich mich für einen notorischen Optimisten halte.
({0})
Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten sehr daran gewöhnt, die gegenteilige Variante der Geschichte für wahrscheinlich zu halten, zu oft nur in den Tag hinein gelebt, zuwenig an spätere Generationen gedacht, ganz pragmatisch immer nur das Schlimmste zu verhüten gesucht und den Zeiger immer wieder einmal auf fünf vor zwölf zurückgebogen.
Die Entwicklung seit 1989 bietet uns die vielleicht einmalige Chance, die Lethargie zu beenden und unserer gesamteuropäischen Verantwortung gerecht zu werden. Immerhin haben wir das Glück, an der die nächsten Jahrzehnte entscheidenden Weichenstellung beteiligt zu sein.
Die Bundesrepublik Deutschland wird eine ganz besondere Rolle für das künftige Europa spielen. Sie wird sie nicht allein bewältigen, und sie wird die Belastungen auch nicht allein tragen können. Es geht aber wohl weniger um die Höhe der aufzubringenden finanziellen Mittel als um deren sinnvolle Verteilung und um eine der neuen Situation angemessene Politik.
Europa ist seit 1989 nicht friedlicher und sicherer geworden; es ist im Gegenteil unsicherer geworden. Diese Unsicherheit läßt sich nicht mit den alten Mitteln der Abschreckung beheben. Sie ist militärisch nicht überwindbar. Vonnöten sind statt dessen neue Instrumente der Konfliktlösung.
Wir sollten die mögliche Rolle der Bundesrepublik in Osteuropa oder in der bisherigen Sowjetunion nicht überschätzen. Ob im konkreten Fall beispielsweise die Völker im Kaukasus gewaltsam aufeinander losgehen oder ob sie ihre Konflikte friedlich bewältigen, wird vor allem von ihnen selber abhängen.
Die Konturen künftiger europäischer Außen- und Sicherheitspolitik werden aber von uns mitgestaltet. Deren wesentliche Aspekte kann ich in diesem Rahmen nicht umfassend beschreiben; ich will nur vier von ihnen andeuten:
Erstens der Gewaltverzicht und die Ächtung jeglicher Gewalt. „Keine Gewalt" war eine wichtige Forderung des revolutionären Herbstes 1989. In diesem Geist muß eine Politik konsequent weitergeführt werden, die dem Neuanfang im Osten gerecht werden will.
Zweitens der intensive politische Dialog mit den Kräften der Erneuerung. Es macht keinen Sinn, einerseits Geld für die wirtschaftliche Entwicklung zu geben, andererseits über die Schwierigkeiten des demokratischen Aufbaus hinwegzusehen oder die spezifischen Besonderheiten der ost- und mitteleuropäischen Nachkriegsgeschichte zu vernachlässigen. Eine echte Demokratisierungshilfe, ein Dialog, der diesen Namen verdient, vertragen sich nicht mit überheblicher Schulmeisterei.
Daraus folgt drittens, aufmerksam die kritischen Untertöne wahrzunehmen, die bei aller Genugtuung über westliche Hilfe aus dem Osten zu vernehmen sind, z. B. westliche Hilfe sei zu bürokratisch, zu unflexibel, nehme zuwenig Rücksicht auf die dortigen Bedingungen, sei zu sehr auf den eigenen Vorteil bedacht, sprich: auf den osteuropäischen Markt, anstatt die westlichen Märkte für osteuropäische Produkte zu öffnen.
Schließlich, viertens, wird Deutschland im Osten nicht nur als Vorbild für eigene Hoffnungen auf Demokratie und Wohlstand betrachtet. Es wächst unübersehbar auch die Furcht vor dem vereinten Deutschland. Famit meine ich nicht die serbischen manipulativ eingesetzten Haßtiraden, über die wir uns mit Recht empören.
({1})
Ich meine die begründete Furcht, die aus manch überheblichen oder gar nationalistischen Tönen aus Deutschland und aus den gewaltsamen Übergriffen der jüngsten Zeit erwächst. Diese Furcht, diesen Stimmungsumschwung sollten wir sehr ernst nehmen und konsequent darauf reagieren. Unsere Glaubwürdigkeit als verläßlicher Partner in einem friedlichen und demokratischen Europa wird an unserer Fähigkeit, die eigene Demokratie zu festigen, gemessen werden.
Das Fehlen eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Konzepts, das den veränderten Bedindungen in Europa entspricht, zeigt sich sehr deutlich am Beispiel Jugoslawiens. Die Europäische Gemeinschaft hat, befangen im alten Status-quo-Denken, viel zu spät und zu halbherzig gehandelt, zu lange nur über Anerkennung oder Nichtanerkennung diskutiert.
Erschreckt von den täglichen Greuelmeldungen fällt inzwischen manchem deutschen Politiker nur noch eine militärische Lösung ein - als ob Nationalitätenkonflikte von Militärbündnissen bewältigt werden könnten. Der Verdacht liegt nahe, daß für jene, die laut nach „out of area"-Einsätzen der Bundeswehr und einer entsprechenden Verfassungsänderung rufen, ein Drama wie in Jugoslawien vor allem als Vorwand für ihre Forderung dient, das wirtschaftlich starke Deutschland auch militärisch stark zu machen.
({2})
Es wäre naiv, zu glauben, mit einer Eindämmung der Kämpfe in Kroatien wäre das Problem gelöst. Immer noch wird - von vereinzelten Äußerungen abgesehen - die schon vorprogrammierte Eskalation in den anderen Krisengebieten ignoriert. Wer kümmert
sich um politische Lösungen für das Kosovo, für Mazedonien und Bosnien-Herzegowina? Wer kann die Nötigung von Roma zur Rückkehr aus Deutschland nach Skopje verantworten oder gar ihre Abschiebung? Soll ein weiteres Mal das Kind erst in den Brunnen fallen, ehe reagiert wird?
Auch gegenüber der zerfallenden Sowjetunion wirken die westlichen Versuche bisher eher hilflos und zufällig. Die Bundesregierung befindet sich offenbar zwischen Baum und Borke. Mit großer Befriedigung wird Schewardnadses Wiederernennung zum sowjetischen Außenminister begrüßt. Aber wen kann Schewardnadse noch vertreten? Eine wiederauflebende Sowjetunion wird es auch mit ihm nicht geben. Gleichzeitig glaubt die Bundesregierung nach den Gesprächen mit Jelzin, mit einer eleganten Kombination von Umschuldung und Liquiditätshilfe für die ehemals sowjetischen Republiken dort die Wirtschaftsreform angekurbelt zu haben. Was aber ist Jelzins die Schulden betreffende Aussage wirklich wert? Erforderlich sind nicht Absichtserklärungen auf beiden Seiten, sondern konkrete, überprüfbare Projekte. Ebenso nötig sind konkrete, überprüfbare Adressaten für die auch in diesem Winter dringend notwendige Lebensmittelhilfe.
Es ist richtig, daß Deutschland mehr Hilfe geleistet hat und leistet als andere westeuropäische Länder. Aber mit dieser Feststellung sollten wir uns nicht zufriedengeben. Eine Erweiterung der Hilfeleistung ist durchaus denkbar, wenn gleichzeitig der überdimensionierte Verteidigungshaushalt reduziert wird. Dieser Zusammenhang ist durchaus logisch. Eine neue Sicherheitspolitik bedeutet eben nicht Waffenmodernisierung, sondern sie bedeutet, mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln die Krisen und Sicherheitsrisiken der Zukunft zu verhindern oder wenigstens zu verringern.
Dies gilt um so mehr, als es Probleme ja nicht nur in Europa gibt. Ich erinnere nur an Hungersnot und Flüchtlingselend am Horn von Afrika, an die kritische Situation in Südostasien, an die massenhaften Menschenrechtsverletzungen am tibetischen Volk und in China überhaupt, an den Bahais im Iran oder am kurdischen Volk, das - an dieser Stelle mehrfach vorausgesagt - sich nun wieder auf die Flucht begibt. Die Resolution 688 des UN-Sicherheitsrates schien ein grundsätzlich neues Sicherheitsverständnis einzuleiten, indem sie gravierende Menschenrechtsverletzungen als potentielle Kriegsgefahr darstellte. Trotzdem bleibt es bei verbalen Bekundungen und dem passiven Warten auf das nächste Massaker.
Von vielen Dritte-Welt-Staaten wird nicht zu Unrecht ein unauflösbarer Zusammenhang zwischen der Durchsetzung der Menschenrechte und wirtschaftlicher Entwicklung betont. Eine deutliche Verstärkung der Entwicklungshilfe wäre dringend notwendig.
Wie schon häufig gefordert, sollte die sogenannte Ausstattungshilfe zugunsten humanitärer Hilf eleistungen gestrichen bzw. gekürzt werden. Wir unterstützen deshalb den dazu vorliegenden Änderungsantrag der SPD-Fraktion.
({3})
Für humanitäre Zwecke sollte auch eine Umwidmung nicht ausgeschöpfter Haushaltsmittel in Betracht kommen. Schlicht unverständlich bleibt, daß das aus haushaltstechnischen Gründen mit den im Frühjahr für die Kurdenhilfe nicht mehr verwendeten Mitteln nicht möglich sein soll.
Im Vorgriff auf den nächsten Tagesordnungspunkt mache ich, da ich nicht ein zweites Mal vor Sie treten möchte, noch einige Anmerkungen zum Verteidigungshaushalt.
({4})
Er macht das Fehlen einer sicherheitspolitischen Resonanz auf die Veränderungen in Europa und die Fixierung auf eine noch immer nahezu ausschließlich militärisch definierte Sicherheit deutlich. Das korrespondiert mit den alten Kategorien militärischen Denkens, denen die Soldaten der Bundeswehr immer noch ausgesetzt werden: Siegpostulat, Offensivdenken, Vernichtungsprinzip.
Auch in diesem Jahr sind wir mit einem Militärhaushalt wie aus den Zeiten des Kalten Krieges konfrontiert. Statt ein Irrsinnsprojekt wie die Entwicklung des Jägers 90 weiterzuführen, könnte schon mit einem Bruchteil des dafür verwendeten Geldes der Aufbau der Wirtschaft so mancher osteuropäischer Länder sinnvoll gefördert werden.
({5})
830 Millionen DM - das ist doch wohl eine erhebliche Summe - sollen für dieses Projekt im nächsten Jahr verschleudert werden, mehr als an Steuergeldern für einen wirksamen Umweltschutz zur Verfügung steht.
({6})
Aber selbst wenn man sich die archaischen militärischen Denkmuster zu eigen macht, leuchtet der Haushaltsentwurf des Verteidigungsministeriums nicht ein. Wer zusammen mit allen Militärausgaben aus anderen Einzelplänen über 60 Milliarden DM für überholte militärische Strukturen ausgibt, nimmt nicht zur Kenntnis, daß sich staatliche Machtpolitik immer weniger auf militärische Potentiale als zunehmend auf die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Staates als wirksamstes Interventionsinstrument stützen kann. Wer ohne weiteres aus dem Golfkrieg die Notwendigkeit ableitet, neue Waffentechnologien einführen zu müssen, setzt sich dem Verdacht aus, Politik zur Wahrung militärischer Besitzstände zu betreiben, die wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie höher zu bewerten als Abrüstung und eine dem Ende der Blockkonfrontation angemessene Sicherheitsstrategie.
Demgegenüber fordern wir die Kürzung aller verteidigungsrelevanten Ausgaben, darunter den sofortigen Stopp der Entwicklung von Großwaffensystemen wie des Jägers 90, und ihren Einsatz für Konversionsprogramme und ökologische Sanierungen, die Reduzierung der Bundeswehr auf unter 100 000 Mann und damit verbunden die Abschaffung der Wehr5048
pflicht und des Zivildienstes zugunsten einer Armee freiwilliger Zeitsoldaten sowie das generelle Verbot von Rüstungsexporten.
Neben einer vorbeugenden Konfliktverhütung bzw. -eindämmung mit vorrangig wirtschaftlichen Mitteln sollte die nichtmilitärische Konfliktschlichtung ein Mittel zeitgemäßer Sicherheitspolitik werden. Im Falle der nationalen und ethnischen Konflikte in der zerfallenden Sowjetunion ist kein anderes Vorgehen denkbar; andernfalls werden wir möglicherweise mitverantwortlich für gewaltsame Auseinandersetzungen, die in ihrer Dimension über die serbisch-kroatischen weit hinausgehen.
Meine Damen und Herren, geboten ist das Prinzip der Einmischung. Gerade die Staaten, die die Menschenrechte am unerträglichsten mißachten, gebrauchen weiter die Formel von der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten:
({7})
China, Kuba, Serbien und eine Reihe afrikanischer und asiatischer Länder. Das war ein Begriff aus der Zeit des alten Status quo, des Blockdenkens. Wenn wir heute statt dessen das Prinzip der Einmischung vertreten, so ist damit nicht gemeint, daß der wirtschaftlich Stärkere den Schwächeren bevormundet oder daß die unterschiedliche Entwicklung demokratischer Staaten nivelliert werden soll. Am allerwenigsten bedeutet es militärische Intervention.
Es geht vielmehr um die globalen Gefahren wie Umweltzerstörung, ein potentielles MilliardenFlüchtlingsheer, gewaltsame Auseinandersetzungen infolge der Mißachtung von Menschenrechten, insbesondere Minderheitenrechten. Nationale Souveränität, in letzter Zeit vielbeschworen, hatte und hat einen Wert für die Entwicklung von Demokratie. Niemand aber hat unter Bezugnahme auf die nationale Souveränität ein Recht auf die Anwendung von atomaren oder chemischen Waffen, auf die Zerstörung des tropischen Regenwaldes oder auf die Unterdrückung von Minderheiten - um nur einige Beispiele zu nennen.
({8})
Wie das UN-Embargo gegen Südafrika gezeigt hat, kann internationaler Druck sinnvoll eingesetzt werden. Wirtschaftliche Kooperation muß an Kriterien wie die Garantie der Menschenrechte oder die Unantastbarkeit von Grenzen gebunden sein. Die einfachste Form der Einmischung wäre somit, solchen Staaten, die diese Kriterien mißachten, keine Unterstützung zu gewähren bzw. die wirtschaftliche Kooperation aufzukündigen. Einmischung macht auch dann einen Sinn, wenn sie die demokratischen Kräfte in Diktaturen materiell und moralisch unterstützt.
({9})
Frühzeitig müssen internationale Gremien vermittelnd einbezogen werden. Der Verweigerung aller Lösungsversuche und aller Kompromisse kann mit Embargos und politischer Ächtung begegnet werden. Schließlich halte ich als ein letztes Mittel der Einmischung noch den Einsatz von Blauhelmen der UNO für denkbar. Mehr aber nicht.
({10})
Herr Kollege Poppe, Ihre Gruppe hatte beantragt, ihre Redezeit aus dem Verteidigungsbereich, also einem anderen Geschäftsbereich, zu diesem Geschäftsbereich hinzuzunehmen. Das Präsidium ist davon ausgegangen, daß Sie für die Außenpolitik mehr Redezeit wollten. Nun ist heute der Tag des Kanzlerhaushalts mit der Generalaussprache.
({0})
Da wollen wir das nicht so eng sehen. Ich erlaube mir nur, auf eines hinzuweisen. Sie haben jetzt selbständig die Tagesordnung gestaltet. Sie haben über einen Themenbereich gesprochen, zu dem die Kollegen der anderen Fraktionen, die Verteidiger - natürlich verstehen die Außenpolitiker viel von Sicherheits- und Verteidigungspolitik - , und das Verteidigungsministerium nicht anwesend sind.
({1})
- Ich habe ihn auch nicht unterbrochen. Ich weise nur darauf hin: Wenn auch unter den Geschäftsführern solche Abmachungen getroffen werden, die die Geschäftsleitung natürlich nicht erleichtern, mit der ausgeliehenen Zeit hin und her, dann sollte auch angekündigt werden, daß der betreffende Kollege zu einem weiteren Haushalt das Wort nehmen will. Das scheint mir der Korrektheit halber und im Interesse der Kollegialität gegenüber den anderen notwendig.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedrich Vogel.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unsere Außenpolitik profitiert zweifellos davon, daß die überragende Bedeutung der militärischen Friedenssicherung in den Hintergrund getreten ist. Gleichzeitig ist sie durch das veränderte internationale Gewicht der Bundesrepublik Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung herausgefordert. Diese insgesamt positive Gewichtsverlagerung in unserer Außenpolitik ist eine Folge der Überwindung der Ost-West-Konfrontation, die nicht zuletzt auch ein Erfolg der Politik unseres Bundeskanzlers Helmut Kohl und unseres Außenministers Hans-Dietrich Genscher ist.
({0})
- Ich habe eine Bitte: Sparen Sie sich Ihren Beifall für das Ende meiner Ausführungen auf. Sonst geht meine Redezeit flöten.
Deutlicher als bisher ist in den Vordergrund getreten, daß ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der stabilen Entwicklung der Staaten und der Staatenbeziehungen einerseits und der Entwicklung demokratischer Strukturen und der Gewährleistung der
Friedrich Vogel ({1})
Menschenrechte andererseits besteht. Eine Außenpolitik, die sich daran nicht orientierte, würde ihrer Aufgabe nicht gerecht. Vor allem das Eintreten für die Gewährleistung der grundlegenden Freiheits- und Menschenrechte ist längst zu einem integralen Bestandteil der Außenpolitik geworden. Die Vereinten Nationen haben in ihrer Menschenrechtserklärung von 1948, in den Menschenrechtspakten und in vielen anderen Dokumenten die Grundlagen für den universellen Geltungsanspruch der Freiheits- und Menschenrechte gelegt. Aufgabe der Außenpolitik ist es nicht zuletzt, diesem universellen Geltungsanspruch überall in der Welt zum Durchbruch und zum Erfolg zu verhelfen.
Die Maßstäbe, die dabei in den Außenbeziehungen angelegt werden, dürfen wegen dieses universellen Geltungsanspruchs nicht bei dem einen Staat anders sein als bei einem anderen. Mehr und mehr hat sich auch die Überzeugung durchgesetzt, daß das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates nicht als eine Schutzmauer betrachtet werden darf, hinter der ungestraft die Freiheits- und Menschenrechte massiv und systematisch verletzt werden können.
({2})
Nicht nur von einem Recht zur Einforderung der Beachtung der Menschen- und Freiheitsrechte muß ausgegangen werden, sondern zunehmend auch von einer Pflicht dazu.
({3})
Die Staatengemeinschaft wird diese Pflicht um des Friedens und der Menschen willen zur tragenden Grundlage der Gestaltung der Staatenbeziehungen machen müssen.
Mich hat es beeindruckt und gefreut, mit welcher Klarheit der Ständige Vertreter der Niederlande bei den Vereinten Nationen in New York für die Europäische Gemeinschaft und ihre zwölf Mitgliedstaaten deren gemeinsamen Standpunkt am 19. November 1991 vor dem Dritten Ausschuß der 46. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York hat vortragen können. Gewünscht hätte ich mir, der Europäischen Gemeinschaft wäre es rechtzeitig gelungen, auch in der jugoslawischen Krise ein so hohes Maß an Übereinstimmung zu erreichen.
Es kann und darf bei dem Eintreten für die Menschenrechte nicht darum gehen, diese zum Schlagstock gegen andere Staaten, aus welchen Gründen auch immer, zu verwenden. Oberstes Ziel muß bleiben, in den Staaten, in denen diese Rechte massiv und systematisch verletzt werden, die Einsicht in die Notwendigkeit der Gewährleistung der Menschen- und Freiheitsrechte zu wecken und die Befolgung dieser Einsicht zu fördern.
Wenn in der Türkei die neue Regierung Demirel/ Inönü in ihrem Regierungsprogramm eine Verfassungsreform ankündigt, die die Prinzipien der Charta von Paris auch in der Kurdenfrage verwirklichen soll, gleichzeitig ein Menschenrechtsministerium eingerichtet wird und der Ministerpräsident dann noch die
Schließung eines der berüchtigtsten Gefängnisse in Anatolien verfügt, dann verdient das ungeachtet aller bisherigen Veranlassung, der Türkei Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen, unseren Beifall und unsere Unterstützung.
({4})
Wenn wir es ernst meinen mit unserer Forderung, daß die Türkei in der Gewährleistung der Menschen- und Freiheitsrechte europäischen Standard verwirklicht, dann müssen wir ihr jetzt auch die Chance dazu geben.
({5})
Unerbittlich und scharf anprangern müssen wir Menschenrechtsverletzungen überall dort, wo die Machthaber die Einsicht in die Notwendigkeiten und die Bereitschaft zur Beachtung und Gewährleistung der Menschen- und Freiheitsrechte konsequent verweigern. Hier ließen sich zahlreiche Staaten in beinahe allen Erdteilen aufzählen.
Nicht zuletzt die Ereignisse im auseinandergefallenen Jugoslawien und die ungehemmte Gewaltanwendung dort zur Durchsetzung politischer Ziele machen die Notwendigkeit unabweisbar, daß die Staatengemeinschaft Instrumente braucht, mit deren Hilfe Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen verhindert werden können.
Wenn serbische Abenteurer nicht zur Vernunft gebracht werden können, droht nach dem Leid, das über die Bevölkerung in Kroatien gebracht worden ist, mit großer Wahrscheinlichkeit Schlimmeres im Kosovo und in der Woiwodina. Ich möchte die Staatengemeinschaft leidenschaftlich und eindringlich auffordern, das zu verhindern.
({6})
Niemand, meine Damen und Herren, sollte schließlich auch die Gefahren übersehen und unterschätzen, die sich aus dem Prozeß des Selbständigwerdens der Republiken der bisherigen Sowjetunion entwickeln. Auch hier werden wir höllisch aufpassen müssen, daß wir nicht auf die falschen Karten setzen, mögen sie in der Vergangenheit noch so gut gewesen sein.
Bei dem jüngsten Besuch einer Delegation des Unterausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe in Washington haben uns die Vorsitzenden der Menschenrechtsgremien im Kongreß aufgefordert, uns an einer dauerhaften Konzertierten Aktion zur Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs der Menschen- und Freiheitsrechte aktiv zu beteiligen. Sie schlagen vor, daß die Parlamente der USA, der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten sowie Japans ein Kartell bilden, in dem sie ihr Eintreten für die Menschenrechte bündeln und koordinieren und damit gemeinsam erfolgreicher zur Durchsetzung der Menschenrechte auch dort beitragen, wo sie immer noch massiv und systematisch verletzt werden. Wir sollten unseren Ehrgeiz darauf konzentrieren, uns auf diese Aufforderung einzulassen und gemeinsam mit unseren amerikanischen Freunden auch unsere japanischen Partner dafür zu gewinnen, daß sie sich der gemeinsamen Pflicht nicht entziehen. Damit werden wir mit mehr Gewicht als bisher
Friedrich Vogel ({7})
einen Beitrag für den Frieden in dieser Welt durch Durchsetzung des universalen Geltungsanspruchs der Menschen- und Freiheitsrechte leisten können.
Uns ist nirgends, wenn es um die Menschen- und Freiheitsrechte geht, eine Rolle des Zuschauens gestattet. Das wiedervereinigte Deutschland wird nicht zuletzt danach beurteilt werden, welchen Beitrag es zur Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs leistet. Wer jetzt in die Hauptstädte anderer Länder reist, begegnet eigentlich überall der Erwartung, daß diese wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland der Rolle in der internationalen Politik gerecht wird, die ihrer Größe und wirtschaftlichen Bedeutung zukommt. Das gilt nicht zuletzt auch für unser Eintreten für die Menschenrechte.
Wir haben der Welt zugesagt, daß vom Boden dieser Bundesrepublik Deutschland Frieden ausgehen soll und daß sie der Welt mit Werken des Friedens dienen will. Das konsequente und unbeirrbare Eintreten für die Menschen- und Freiheitsrechte überall in der Welt ist, meine Kolleginnen und Kollegen, ein hervorragendes Werk des Friedens.
Danke.
({8})
Herr Kollege, Dr. Eberhard Brecht, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Sturz des SED-Regimes hatten wir Ostdeutschen, die wir nicht zur DDR-Nomenklatura gehörten, natürlich keine außenpolitischen Erfahrungen, die wir in das vereinte Deutschland hätten einbringen können. Dennoch gab es in den Bürgerrechtsgruppen unseres Landes bestimmte Orientierungen, die den Stallgeruch der DDR-Erfahrungen tragen. Ich möchte sie nennen:
Da ist einmal die Angst, die Angst vor uns selbst, den Deutschen, die wir in der Gefahr stehen, nach langer Zweitrangigkeit nun nach der Vereinigung im Konzert der Nationen etwas zu laut zu tönen. Damit meine ich nicht nur das rechtsradikale Potential diesseits und jenseits der Elbe. Als einen zu lauten Ton empfinde ich auch den verletzenden Vergleich Herrn Schäubles zwischen der Unterbringung der albanischen Flüchtlinge in Bari durch die italienische Regierung und der von Folterung begleiteten Verwahrung von Menschen im Stadion von Santiago de Chile durch die Putschisten im Jahre 1973.
({0})
Wenn wir Deutschen eigene Interessen durchsetzen wollen, sollten wir dies mit leiseren Tönen tun.
Daneben sind wir geprägt durch eine 40jährige Mißachtung der Demokratie und der Verletzung der Menschenrechte. Und obwohl oder gerade weil wir mehrheitlich diesem Regime zuwenig widerstanden, befürworten viele Ex-DDR-Bürger eine solche deutsche Außenpolitik, die sich insbesondere der Förderung der Demokratie und der Wahrung der Menschenrechte in aller Welt verpflichtet fühlt. Hier möchte ich meinem Vorredner Vogel ausdrücklich zustimmen.
Schließlich ist außenpolitisches Denken vieler ehemaliger DDR-Bürger geprägt durch Dankbarkeit gegenüber Osteuropa: Indem nämlich Gorbatschow die Breschnew-Doktrin fallenließ, nahm er uns einen Teil der Angst. Die tschechischen Bürgerrechtler in der Charta '77 sowie die polnische Solidarnosc-Bewegung machten uns Mut zum Widerstand, und die Ungarn entrissen durch die Grenzöffnung nach Osterreich der SED-Führung deren letzte Waffe. So gibt es für uns Ostdeutsche bei aller Würdigung der Verdienste Westeuropas um die deutsche Einheit eine besonders enge außenpolitische Bindung an und Verantwortung für die mittel- und osteuropäischen Staaten.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd
Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]
Auf den ersten Blick ist die finanzielle Unterstützung der Bundesrepublik für Mittel- und Osteuropa anerkennenswert: Bei nur 8 % Bruttosozialprodukt innerhalb der G 24 bestreitet sie in dieser Gruppe immerhin mehr als ein Drittel aller Transferleistungen.
Dennoch: Diese Hilfen werden vorwiegend nach geopolitischen Gesichtspunkten und nicht nach Bedürftigkeit vergeben. Gelder für die Außenseiter Rumänien, Bulgarien und Albanien fließen zu spärlich und obendrein zu spät. Bei einem unterstellten Gesamtvolumen von 20 Milliarden DM für Ost- und Mitteleuropa und Zusagen in Höhe von 75 Millionen DM für Albanien entfällt durchschnittlich auf einen Osteuropäer rund 200 DM Finanzhilfe, während uns z. B. der Albaner nur gerade ein Zehntel, nämlich 23,40 DM, wert ist, und dies, obwohl Albanien das ärmste Land von allen ist. Noch armseliger erscheinen die für einen Albaner bereitgestellten 23,40 DM im Vergleich zu den rund 5 600 DM, die uns die militärische Befreiung eines einzigen Kuwaiti kostete.
Was die militärische Intervention am Golf betrifft, möchte ich Frau Hoth widersprechen: Dies war keine UN-getragene Aktion.
({1})
- Die UN hat diese Aktion lediglich völkerrechtlich ermöglicht;
({2}) aber es war keine UN-Aktion.
({3})
Bei der militärischen Intervention am Golf war die Bundesregierung bereit, mit Milliardenbeträgen zur Wiederherstellung von Freiheit und Menschenrechten - so ihr Selbstverständnis - beizutragen.
Im Fall von China relativiert sie hingegen eklatante Menschenrechtsverletzungen, um wirtschaftliche Interessen nicht zu gefährden. Ich spreche vom LenglMöllemann-Skandal. Zunächst agierte Staatssekretär Lengl als Minenhund, der durch sein Schwanzwedeln gegenüber den blutigen Unterdrückern der chinesischen Demokratiebewegung das Feld für „normale"
Beziehungen vorbereitete. Bis heute hat sich die Bundesregierung nicht entschließen können,
({4})
sich von diesem Staatssekretär zu trennen, obwohl sie ja weiß Gott genug davon hat.
({5})
Offensichtlich werden die Kriterien deutscher Entwicklungszusammenarbeit, die an erster Stelle die Beachtung der Menschenrechte als Kriterium für die Vergabe von Entwicklungshilfe ausweisen, von Herrn Möllemann nicht ernst genommen. Denn er offerierte der chinesischen Regierung einen Kredit von 600 Millionen DM mit einem Zuschußanteil von 150 Millionen DM aus der Tasche des deutschen Steuerzahlers.
({6})
Neben diesem Widerspruch zwischen Spranger und Möllemann gab es offenbar einen weiteren, nämlich im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit selber: Zunächst einmal erklärte Staatssekretär Repnik
({7})
den Möllemann-Kredit für unbedenklich, offenbar ohne Kenntnis seines Ministers. Von der SPD getrieben, stellte sich Hausherr Spranger dann doch gegen die Möllemann-Zusage.
Leider ist die Angelegenheit viel zu ernst, als sie unter sportlichen Aspekten als Wettstreit zwischen den Ministern Spranger und Möllemann zu betrachten. Wie verbindlich sind für die Bundesregierung eigentlich die einstimmig vom Bundestag angenommenen China-Entschließungen aus dem Jahr 1989?
({8})
Sie schließen u. a. Kapitalhilfen und Hermes-Bürgschaften für China aus und stellen fest, daß eine positive Fortentwicklung der deutsch-chinensischen Beziehungen die Respektierung der Menschenrechte durch die chinesische Regierung voraussetzt. Eine durchgreifende Änderung der innenpolitischen Situation in China ist nicht erkennbar, und daher sollten Wirtschaftskontakte à la Möllemann vorerst nicht geknüpft werden.
({9})
Ich sage dies, obwohl ich als Deutscher aus der ehemaligen DDR natürlich ein Interesse daran habe, daß die Werften an der Ostsee wieder Aufträge bekommen. Aber in diesem Bestreben dürfen wir nicht käuflich werden. Wenn wir heute die Politik der verschiedenen Bundesregierungen gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in der ehemaligen DDR beurteilen, können wir im Fall China keinen anderen Maßstab anlegen.
Von uns Politikern erwarten die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land Glaubwürdigkeit. Dies gilt vor allem in meiner mit dieser Tugend bislang nicht gerade verwöhnten östlichen Landeshälfte.
Zur Glaubwürdigkeit tragen auch die öffentlichen Auseinandersetzungen einiger Koalitionspolitiker über eine deutsche Beteiligung an einer „peace keeping mission" in Jugoslawien wenig bei. Zudem nahm ich an, daß ein außenpolitisch so lang tätiger Kollege wie Herr Lamers weiß, wie sensibel unsere südost- und westeuropäischen Nachbarn auf den Wunsch nach einer deutschen Beteiligung an einer solchen Blauhelm-Mission in Jugoslawien reagieren werden.
Besonders peinlich wirkt dieser Eifer, wenn sich das Bundesfinanzministerium - wir sprechen ja über den Haushalt - gleichzeitig nicht in der Lage sieht, die von der UNO erbetenen 2 Millionen DM bereitzustellen, die für eine sechsmonatige Verlängerung der ONUCA-Mission erforderlich gewesen wären. Wie kann es angehen, daß auf Grund von Pannen in der Kommunikation einerseits eine Blauhelm-Aktion zur Überwachung des zentralamerikanischen Friedensabkommens gefährdet wird, während andererseits in der Öffentlichkeit gerade von der CDU nach einem stärkeren deutschen Engagement bei Blauhelm-Aktionen sogar für UN-Aktionen nach Kap. 7 der UN-Charta gerufen wird! So kann die vielbeschworene deutsche Verantwortung des vereinigten Deutschland doch wohl nicht aussehen. Wenn die Koalition glaubwürdig sein will, wird sie dafür sorgen müssen, daß die Kluft zwischen erklärten Ansprüchen und ihrem Handeln geschlossen wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir das Budget der Außenpolitik des vereinigten größeren Deutschland beraten, steht natürlich die Diskussion über die größere Verantwortung dieses Landes auf der Tagesordnung. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Ich möchte es noch etwas weiterführen, weil ich in der Tat glaube, daß Regierungshandeln und parlamentarische Auseinandersetzung noch manches zu leisten haben, um in unserem gesamten Land einschließlich der neuen fünf Bundesländer einen ausreichenden Grundkonsens über das zu festigen, was diese Verantwortung beinhaltet und Linie unserer Politik sein sollte. Es ist um so nötiger, weil es natürlich auch Geld kostet, für das ja auch immer wieder genügend anderer Bedarf in diesem Hause angemeldet wird.
Ich hatte in der Vergangenheit manchmal den Eindruck, daß die Diskussion über den Inhalt dieser Verantwortung deutscher Außenpolitik allzu schnell in operationale Fragen - „out of area"-Einsätze und dergleichen - überging, so daß dann sehr schnell der Verdacht kam, als sei es unser besonderer Ehrgeiz, irgendwo auf dieser Welt Schutztruppen auszusenden. Sie kennen auch die absichtsvollen Verdächtigungen aus serbischem Munde, die uns der Großmachtsucht auf dem Balkan zeihen. Was auch immer hier absichtsvoll ist und zurückgewiesen werden kann und muß, so bleibt es doch unsere Aufgabe, hier deutlich zu sagen, wofür wir stehen.
Dr. Volkmar Köhler ({0})
Das ist um so nötiger, weil es ja einen sehr kurzen Traum gab, nach Ende der Ost-West-Konfrontation und der Aufhebung der Teilung unseres Landes seien alle Probleme gelöst. Wir haben lernen müssen, daß nach der Erstarrung der Welt auf den Linien von Jalta wir plötzlich in unruhige Nachbarschaft geraten sind und wahrscheinlich geraume Zeit mit ihr leben müssen.
In dieser Situation, meine ich, verdienen einige Dinge der Hervorhebung. Lassen Sie mich zunächst einmal zwei, drei Bemerkungen über sichere Konstanten machen, die wir bewahren und bewahren sollten. Da ist zuerst unser unverrückbares Eintreten für den Frieden. Ich beziehe mich auf das, was Kollege Vogel in diesem Zusammenhang gesagt, um Zeit zu sparen.
Das zweite ist der Gesichtspunkt, daß Sicherheitspolitik in einer unruhigen Umgebung natürlich weiter eine Rolle spielen muß. Auch weiterhin bleibt Wachsamkeit der Preis der Freiheit. Nur sie eröffnet uns die Chance, die Fundamente der Freiheit weiterhin politisch zu sichern. So ist das NATO-Bündnis eine der Konstanten unserer Politik.
({1})
Frieden bedarf der Friedensordnung, der sich alle unterwerfen. Damit sind wir bei einer ganz entscheidenden Konstante unserer Politik, nämlich der Idee des vereinigten Europa. Diese großartige Idee, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, darf in der Diskussion nicht verschlissen werden, die wir über viele unendlich wichtige Einzelheiten auch führen müssen, ob es Marktordnungen oder Freihandelsregelungen oder die Rechte der Institutionen sind. Darum bemühen wir uns ja zäh.
({2})
Aber wir müssen dabei auch immer wieder auf Kernideen zu sprechen kommen. Eine davon ist ganz gewiß die historische Lehre, daß Europa keine Hegemonie verträgt, weder einmal die spanische noch die französische noch die deutsche noch irgendeine andere denkbare.
({3})
Dieser Erkenntnis unterwirft sich das größere Deutschland, auch in Zukunft.
({4})
Dies sollte sicher stehen. So sind aus Nachbarn Freunde geworden.
({5})
Das heißt nicht nur, daß wir Toleranz üben wollen und einfordern und den anderen ertragen, sondern daß wir den anderen wollen, daß wir aus der Vielfalt die Einheit realisieren wollen.
Dies hat Konsequenzen für die Minoritätenpolitik im gesamten Europa. Wer in Europa wohnen will, der darf eben nicht in großrussischen, großserbischen, großrumänischen oder irgendwelchen sonstigen ,,Groß"-Träumen denken. Vielmehr ist ihm eine Gestaltungsaufgabe für das Zusammenleben und nicht nur purer Legalismus abverlangt.
({6})
Darüber müssen wir um so mehr reden, als wir ja nicht nur von EG-Europa und nicht nur von der Verschiebung der Armutsgrenze nach Osten reden. Wir haben die unglaubliche Chance, wieder zu realisieren, daß Prag - z. B. in der Zeit Karls IV. - einmal das Herz Europas war.
({7})
Wir können an die Worte von Sir Edward Grey denken, der 1914 sagte: In Europa gehen jetzt die Lichter aus. Es wird sehr, sehr lange dauern, bis sie wieder leuchten. - Für uns ist diese Hoffnung wieder sichtbar geworden. Aber das, meine Damen, meine Herren, ist auch das einzige, was wir noch an Gedanken an 1914 haben sollten. Wer glaubt, auf die damaligen Spannungsverhältnisse wieder zurückgehen zu können, und wer jetzt meint, über Revision von Pariser Vorortverträgen usw. reden zu können, ist nicht Gestalter der Zukunft, sondern Schöpfer neuer Zwistigkeiten.
({8})
Die durchgängige Ratio, die uns für unsere Politik abverlangt wird, kann meines Erachtens nur die Anwendung der Prinzipien sein, die uns zu dem großen Glück der Wiedervereinigung unseres Landes verholfen haben, nämlich Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und eine Wirtschaftsform, die die Fähigkeiten des einzelnen entfesselt. Wenn wir dies vertreten, dann vertreten wir nicht irgendeine spezifisch deutsche Position, sondern wir vertreten die besten Prinzipien z. B. aus der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Und wir vertreten genau die geistigen Grundlagen der Vereinten Nationen, die zum Zwecke der Realisierung dieser Ideen geschaffen worden sind. Daran müssen und können wir unsere Tätigkeiten gegenüber der übrigen Welt meines Erachtens ausrichten.
Und hier ist es mein Wunsch, daß wir Bestand aufnehmen, daß manche Schichtung und Lagerung aus vergangenen Jahrzehnten von uns geprüft wird. Ich denke z. B. an die Allokation unserer Entwicklungshilfe, die aus vielen Begründungszusammenhängen so entstanden ist, die wir aber jetzt prüfen sollten, ob sie nicht unter solchen Gesichtspunkten neue Akzente erfahren sollte. Ich begrüße die ersten Schritte, die Minister Spranger in dieser Richtung getan hat, ausdrücklich. Ich bitte herzlich darum, daß die beteiligten Ressorts und das Parlament in engem Zusammenwirken darauf hinarbeiten, daß wir uns, Herr Brecht, nicht mehr über Glaubwürdigkeitsprobleme unterhalten müssen. Die sachlichen Gegensätze zwischen Außenwirtschafts-, Außenpolitik, Entwicklungspolitik und anderen Politiken wird es immer geben. Aber unsere große Aufgabe ist, herauszufinden, wie wir dies zu einem konsistenteren Bild deutscher auswärtiger Beziehungen auffüllen können. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten. Denn ich glaube, daß wir damit gerade auch der jungen Generation
Dr. Volkmar Köhler ({9})
unseres Landes die Möglichkeit einer anderen und stärkeren Identifikation mit diesem Staat und mit der Zukunft geben, die sie gestalten soll.
Entwicklungspolitik und auswärtige Kulturbeziehungen sind gegenüber einem großen Teil der Welt die tragenden Säulen unserer Außenbeziehungen. Deswegen habe ich soeben dieses Plädoyer für Entwicklungspolitik gehalten. Deswegen schließe ich mich fast allen Vorrednern an, die einen qualitativen und quantitativen Sprung in der auswärtigen Kulturpolitik für die Zukunft eingefordert haben. Ich bin genau der gleichen Auffassung.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über viele Jahrzehnte hat der OstWest-Konflikt unseren Blick auf die große Gefahr eines großen Krieges - die Gefahr eines Atomkrieges - fixiert. Das hat uns den Blick auf andere, nichtmilitärische Risiken versperrt.
Welche moralischen, ökonomischen und ökologischen Verwüstungen der Kommunismus in seinem Machtbereich angerichtet hat, wird erst jetzt richtig deutlich, nachdem der Eiserne Vorhang fortgezogen worden ist. Schon hört man Stimmen, wo man sie nie erwartet hätte, die sich nach dem stabilen Eis des Kalten Krieges zurücksehnen. Jetzt taut alles auf. Alles ist in Bewegung. Es gibt sogar Feuerzeichen. Aber alles wäre noch schlimmer geworden, wenn das kommunistische System länger gehalten hätte. Zusammenbrechen mußte es.
({0})
Der Wettlauf der Systeme, die ökonomische Hochrüstung im Norden, die davon beeinflußte Unterentwicklung des Südens, die rücksichtslose Ausbeutung der Natur und die Zerstörung der Umwelt haben die Gefahr einer weltweiten Klimakatastrophe erhöht. Hunger, Armut und rasantes Bevölkerungswachstum in den früher als „Dritte Welt" bezeichneten Regionen, Nationalismus und religiöser Fundamentalismus, Hegemonialstreben, konventionelle und atomare Aufrüstung, Kriege und Bürgerkriege, Flüchtlingsbewegungen - das sind nicht nur regionale, sondern vielmehr globale Risiken.
Ich habe den Eindruck, daß das Bewußtsein für diese Gefahren überall wächst. Die Folgerungen sind unterschiedlich. Die einen - mehr auf der konservativen Seite angesiedelt - neigen zur Abschottung, als ob es in der Festung Europa für unsere Kinder noch Sicherheit gäbe. Diese Festung könnte aber zur Falle werden. Die anderen - eher auf der Linken zu finden - neigen dazu, Lösungen nur auf der globalen Ebene zu suchen. Dabei wissen wir, daß dazu Zeit erforderlich ist und daß wegen der inneren Dynamik dieser Risiken nichts knapper ist als die Zeit. Wer die Beschleunigung des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt oder die Klimaverschlechterung analysiert, muß geradezu zu dem Ergebnis kommen, daß wir - so formulierte es mein Kollege Michael Müller - in einer Zeitfalle stecken. Weder Festungsdenken noch die Vertröstung auf globales Handeln stellen einen Ausweg aus diesem Dilemma dar. Wir haben nur wenig Zeit für neues Handeln und noch weniger Zeit für ein neues Denken.
Unser Bewußtsein muß sich in zwei entscheidenden Bereichen ändern. Erstens. Die klassischen Ziele und Instrumente der Außenpolitik von Nationalstaaten oder Bündnissen sind obsolet geworden. Wir brauchen ein Bewußtsein von Weltinnenpolitik. Die großen Probleme dieser Welt können wir nur noch gemeinsam lösen.
({1})
Zweitens. Die ökonomischen, die ökologischen und die sozialen Zusammenhänge und Auswirkungen der globalen Risiken müssen in gleicher Weise zu einem Bewußtsein von Weltinnenpolitik führen. Vor allem die innere Politik der großen Industriestaaten hat weltpolitische Bedeutung. Wenn wir den ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft nicht bewältigen, ist die ganze Welt zu einer ökologischen Katastrophe verurteilt.
({2})
Das gilt nicht nur für unsere Industriegesellschaft, sondern auch für unsere Agrargesellschaft, auch in der Bundesrepublik. Der Bundeskanzler hat heute mittag von der GATT-Runde gesprochen. Richtig ist: Die Entwicklungsländer haben nur die Chance zur Selbsthilfe, zur Entwicklung einer Eigenversorgung und zum Export, wenn die Preise auf den Weltmärkten nicht länger durch massive Subventionen und durch eine durch die chemische Industrie hochgeputschte Produktivität der europäischen und der nordamerikanischen Landwirtschaft ruiniert werden.
({3})
Der Kanzler hat das Problem erkannt. Doch hat er den für unsere Gesellschaft notwendigen Schluß - Maßnahmen, die dazu führen müssen, daß wir nicht ausschließlich an Produktivität orientierte Leistungsentgelte zahlen und Subventionen abbauen, sondern den Landwirten direkte Einkommenshilfen geben, damit sich bei uns eine bäuerliche Struktur bei einem geringeren Einsatz von Chemie erhalten kann - noch nicht ziehen können. Dieser Schluß ist aber nötig, in dem Bewußtsein, daß Weltinnenpolitik auch Innenweltpolitik ist.
({4})
Wenn wir heute einen Bundeshaushalt verabschieden, dann müssen wir uns klarmachen, daß mit den Etats für Wirtschaft, Technologie und Forschung, Umwelt, Landwirtschaft und Verkehr in der internationalen Politik wahrscheinlich mehr verändert wird als durch die Verabschiedung des Etats eines klassischen Auswärtigen Amtes. Sozialdemokratische Außenpolitik versteht sich deshalb im Unterschied zur Außenpolitik dieser Bundesregierung als eine integrative Funktion nationaler und internationaler Verantwortung.
({5})
Nach der Rede des Kollegen Köhler habe ich den Eindruck, daß sich auch in der Union etwas bewegt. Das kann der großen Aufgabe ja nicht schaden.
({6})
Weil wir mit großen regionalen und globalen Risiken konfrontiert sind und weil die Zeit so knapp ist, hat das Handeln in und mit den vorhandenen internationalen Organisationen Priorität.
Erstens. Wir sind zunächst für die Vertiefung und dann für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft. Zusammen bedeutet das: Europa-Innenpolitik.
Wenn es auf dem Gipfel von Maastricht allerdings keine substantiellen Verbesserungen gibt, ist die Ratifikation der Europaverträge im Bundestag gefährdet. Die Bundesregierung, nein Europa braucht eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Für Europa ist sie gewährleistet, aber nicht für faule Kompromisse, die zu Verhandlungserfolgen der Bundesregierung hochgejubelt werden.
({7})
Wenn Maastricht scheitert, wird darüber nachgedacht werden müssen, nicht die Regierung, sondern eine verfassunggebende Versammlung mit der Schaffung der vereinigten Staaten von Europa zu betrauen, wie es das Europäische Parlament vorgeschlagen hat. Aber viel kostbare Zeit würde dadurch verlorengehen, und Zeit ist knapp.
Zweitens. Zeit und Chancen sind schon auf dem NATO-Gipfel in Rom vor zwei Wochen vertan worden. Die NATO hat nicht die Kraft gefunden, beispielgebend auf die Stationierung taktischer Atomwaffen in Europa und auf die Androhung des nuklearen Erstschlages zu verzichten. Es ist aber ein Fortschritt, daß die NATO auf ihrem Gipfel der Zusammenarbeit in der KSZE Raum gegeben hat. Die Regierungschefs der NATO vertreten dabei Auffassungen, für die die Sozialdemokraten lange gekämpft haben. Die Formulierungen zur gemeinsamen Sicherheit gehen Ihnen heute so leicht über die Lippen wie früher nur Egon Bahr.
({8})
Wir wollen eine NATO, die sich bei Wahrung der Sicherheit und Stabilität in Europa so verändern kann, wie sich die KSZE zu einem System kollektiver Sicherheit entwickelt. Wir fordern den Bundesaußenminister auf, sich dafür einzusetzen, daß sich das zweite Außenministertreffen der KSZE in Prag im Januar zu dieser Perspektive bekennt.
({9})
Wir fordern die Schaffung einer KSZE-Agentur für Konversion im Rüstungsbereich. Auch die Atomkraftwerke im Osten müssen ein Thema der KSZE bleiben.
Drittens. Die Bundesrepublik, die EG, die NATO und die KSZE müssen sich in die Weltinnenpolitik einordnen. Die neue Weltordnung, die wir wollen, ist nicht die Sache der Vereinigten Staaten, sondern der Vereinten Nationen. Jetzt, nach dem Ende des OstWest-Konflikts, brauchen wir eine UNO der zweiten Generation. Die SPD-Fraktion wird deshalb in den nächsten Wochen im Bundestag einen umfassenden Vorschlag zur Reform der UNO vorlegen, den mein Kollege Günter Verheugen initiiert hat. Wir wollen damit die UNO für die globalen Risiken rüsten. Das ist eine Form von Rüstung, die die Welt braucht.
({10})
Zu den gefährlichen Risiken in Europa gehören die zivilen, aber auch die militärischen Risiken, die sich aus der Unterdrückung von Minderheiten, aus Nationalitätenkonflikten und aus Grenzstreitigkeiten, möglicherweise mit militärischen Mitteln ausgetragen, ergeben können.
Wir Sozialdemokraten sind traditionell entschiedene Verfechter des Selbstbestimmungsrechts der Völker und entschiedene Gegner jeder Form von Nationalismus. Auf dieser Basis gilt es, praktische Politik zu machen.
Erstens. Wir verlangen von jedem alten und von jedem neuen Staat die Respektierung der Rechte der in ihrem Staat lebenden Menschen und Minderheiten.
({11})
Zweitens. Wir verlangen von jedem alten und jedem neuen Staat Respekt vor Grenzen, die nur auf demokratischer Basis und nur durch Verhandlungen verändert werden können.
Drittens. Den verantwortlichen Politikern, aber auch den Völkern, die in ihren neuen Demokratien für ihre Politiker jetzt Mitverantwortung tragen, muß unmißverständlich klargemacht werden, daß jede Hilfe eingestellt wird, wenn diese ersten beiden Grundsätze nicht eingehalten werden.
({12})
Und diese Botschaft, Herr Außenminister, ist noch wichtiger als die Entsendung von Botschaftern.
Auf gut deutsch: keine müde Mark für einen Staat, der seine demokratische Geschichte mit der Unterdrückung von Menschen- und Minderheitenrechten beginnt und seine Grenzen mit Gewalt verändern will. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung dem zustimmen könnte. Das könnte dazu beitragen, eine Jugoslawisierung der Sowjetunion zu verhindern.
Es gibt bedrohliche Vorzeichen. Es gibt großrussische Ansprüche. In den baltischen Staaten entwickelt sich eine nationalistische Staatsbürgerdoktrin. Zwischen Aserbaidschan und Armenien stehen die Zeichen auf Krieg. Die Ukraine will sich eine Armee zulegen, die weit über ihre Sicherheitsbedürfnisse hinausgeht. Ich bin zutiefst skeptisch, ob es gelingen wird, die sowjetischen Atomwaffenarsenale, insbesondere die Arsenale der taktischen Atomwaffen, unter Kontrolle zu halten. Ich erlebe zuviel Schönrednerei und zuviel Vertrauen in die Erklärungen sowjetischer Politiker, deren Zukunft wir nicht kennen.
Ich weiß, daß die Bundesrepublik auf das alles nur begrenzt einwirken kann. Wenn wir das versuchen, ist das keine illegitime Einmischung. Schließlich mischt
sich auch der ein, der hilft. Das gilt für neue, aber auch für alte Partner, und das muß auch für die Türkei gelten.
Zwischen den Türken und den Deutschen gibt es traditionell gute und freundschaftliche Beziehungen. Ich habe nicht vergessen, daß nicht wenige Sozialdemokraten nach 1933 in die Türkei gegangen sind und dort praktisch Asyl gefunden haben: z. B. Fritz Baade, mein Vorgänger in meinem Kieler Wahlkreis, oder auch Ernst Reuter.
({13})
Wir sind also nicht nur durch das Grundgesetz verpflichtet, auch Verfolgten aus der Türkei bei uns Asyl zu geben. Wer es aber mit einer präventiven Flüchtlingspolitik ernst meint, wer die Ursachen von Wanderungsbewegungen bekämpfen will, der muß vom türkischen Staat die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte verlangen, auf die er sich als Mitglied des Europarats und der KSZE und als NATO-Mitglied besonders verpflichtet hat.
({14})
Die Unterdrückung der kurdischen Minderheit in der Türkei ist notorisch.
Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren an die Türkei Leistungen im Wert von vielen Milliarden DM im Rahmen der Entwicklungshilfe, der NATO-Verteidigungshilfe und der Rüstungssonderhilfe erbracht. Die militärischen Leistungen werden von der SPD-Fraktion seit vielen Jahren abgelehnt, und wir haben auch diesmal ihre Streichung beantragt.
Die Türkei ist als NATO-Mitglied von außen nicht bedroht, sie bedroht sich selbst von innen, weil sie die Rechte der kurdischen Minderheit nicht respektiert. Es gibt einen Teufelskreis von polizeilicher und militärischer Gewalt und terroristischen Aktionen der PKK, der mit Angriffen auf irakisches Territorium nun auch schon die Grenzen der Türkei überschritten hat. Die Bundesrepublik darf dazu nicht mit Waffenlieferungen beitragen.
({15})
In diesen Tagen ist in der Türkei eine neue Regierung mit Beteiligung der Sozialdemokratischen Volkspartei gebildet worden. Die Folterpraxis soll beendet werden, freie Gewerkschaftsarbeit und ein freies Universitätswesen sollen gewährleistet werden. In den Koalitionsvereinbarungen ist festgelegt worden - ich zitiere -, „daß jeder seine Muttersprache, Kultur, Folklore und Religion studieren, pflegen und entfalten kann".
Das ist eine hoffnungsvolle Ankündigung für die Kurden, für die Türkei und für das deutsch-türkische Verhältnis.
({16})
Die SPD-Fraktion ist bereit, sich für eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe für die Türkei einzusetzen, wenn diese Ankündigungen verwirklicht werden.
({17})
Die Jugoslawien-Krise ist ein entsetzliches Beispiel dafür, was geschieht, wenn nichts geschieht, solange noch Zeit ist. Die Bundesregierung und der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft haben zu lange und zu langmütig auf die Fiktion eines geeinten Jugoslawiens und auf das postkommunistische Regime in Belgrad gesetzt. Was danach getan wurde, war meist richtig, aber geschah zu spät. Und daraus muß gelernt werden.
Der Präsident von Bosnien-Herzegowina hat vor einer Woche im Auswärtigen Ausschuß vorgeschlagen, UN-Friedenstruppen in seiner Republik jetzt zu stationieren, damit es gar nicht erst zum Ausbruch von Feindseligkeiten kommt. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich dafür rechtzeitig, d. h. unverzüglich in der UNO einzusetzen.
In Kroatien wird das Morden andauern, solange ein Waffenstillstand nicht durch Blauhelme gesichert werden kann. Mit der Zeit für diplomatische Verhandlungen verrinnt Lebenszeit für Menschen.
Am Freitag vor einer Woche haben wir im Bundestag in einem der seltenen interfraktionellen Anträge gemeinsam beschlossen - ich zitiere -, „daß sich die Frage der Entsendung von UN-Friedenstruppen auf der Basis eines UN-Mandats mit besonderer Dringlichkeit stellt".
Als Außenminister Genscher die Einberufung des UN-Sicherheitsrats forderte, haben ihn führende Unionspolitiker an diesem Wochenende böse attakkiert. Sie verlangten die Beteiligung der Bundeswehr an einem UNO-Blauhelmeinsatz in Jugoslawien. Davon war aber in der gemeinsamen Resolution des Bundestages ausdrücklich und aus guten Gründen nicht die Rede gewesen.
({18})
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Lamers, erklärte, Genscher wolle nur von der eigenen schizophrenen Lage ablenken; sein Verhalten sei absurd. Dieser Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.
Erstens. Wer die Formulierung, die der CDU-Politiker für seine eigene Regierung benutzt, nämlich „schizophren" und „absurd", wörtlich nimmt, muß eigentlich den Eindruck haben, diese Bundesregierung sei ein Irrenhaus. Manchem mag jetzt klarwerden, warum Unionspolitiker immer wieder verlangen, die Bundesrepublik müsse sich wie ein normaler Staat verhalten.
({19})
Zweitens. In den Unionsparteien gibt es Disziplinprobleme. Ob der neue Fraktionsvorsitzende Schäuble sie allerdings ausgerechnet in der Jugoslawien-Frage lösen kann, muß zweifelhaft erscheinen, denn Herr Schäuble hat vor 14 Tagen militärische Mittel gegen die - ich zitiere - „anscheinend unbelehrbaren Serben" verlangt. Ich zitiere Schäuble weiter: „Das muß sehr wohl in einer internationalen Streitmacht unter Beteiligung der Bundeswehr geschehen." - Der Bundeskanzler hat das, wenn ich ihn
heute mittag richtig verstanden habe, als Akt der Unvernunft bezeichnet, und das ist richtig.
({20})
Drittens. Man muß aber den Eindruck haben, daß Politiker, die sich so äußern - ich habe das militärische Aufdringlichkeit genannt - , weniger die Lösung der entsetzlichen Jugoslawien-Krise als vielmehr die Instrumentalisierung dieser Krise für ihr Ziel im Sinn haben, die Verfassung oder die Verfassungspraxis der Bundesrepublik so zu ändern, daß der Einsatz der Bundeswehr zu anderen Zwecken als denen der Verteidigung möglich wird.
Viertens. In Jugoslawien muß es aber um den Frieden und nur um den Frieden gehen. Wir haben in unserer gemeinsamen Bundestagsresolution die Bereitschaft der serbischen Seite begrüßt, einer Entsendung von UN-Friedenstruppen zuzustimmen. Es ist jetzt Sache des Sonderbeauftragten der UNO, des ehemaligen amerikanischen Außenministers Vance, die Zusammensetzung und die Stationierungsmodalitäten zu klären. Die Zeit drängt, denn jeden Tag sterben Menschen, und täglich nimmt die Gewalt des Krieges zu. Wer dem UN-Beauftragten ins Handwerk pfuscht, verlängert den Krieg. Die Jugoslawien-Krise verlangt unsere Einmischung. Wer aber Serbien die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen aufdrängen will, kann fahrlässig oder vorsätzlich die notwendige Zustimmung Serbiens zur UN-Friedenstruppe überhaupt gefährden.
Meine Damen und Herren, auf die Außenpolitik der Bundesregierung und auf die Nebenaußenpolitik der stärksten Regierungspartei, die diese Bundesregierung trägt, ist kein Verlaß. Sie verdient kein Vertrauen. Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab.
({21})
Nun hat der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aussprache mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und festgestellt, daß die Opposition die deutsche Außenpolitik in deren grundlegenden Anliegen entweder unterstützt oder Dinge fordert, die wir schon tun, oder Erwartungen hegt, die wir bereits erfüllen. Gleichwohl nehme ich zur Kenntnis, Herr Kollege Waltemathe, daß Sie sich von einer allgemein als erfolgreich anerkannten Politik in den dritten acht Jahren etwas entfernen wollen. Das ist eine bemerkenswerte Selbstbeschränkung.
({0})
- Überraschend daran ist nur, wieviel Zeit Sie sich für
die Opposition vorgenommen haben. Aber da müssen
Sie durch, Herr Kollege Waltemathe. Da können wir Ihnen nicht helfen.
({1})
Ich glaube, daß es richtig war, daß sich viele der Redner heute mit der Rolle des vereinigten Deutschland befaßt haben. Daran, ob man das Wort Normalität in diesem Zusammenhang verwenden sollte, habe ich meine Zweifel, wie ich überhaupt immer Zweifel habe, wenn normales Verhalten verlangt wird, weil sich derjenige, der derlei Maßstäbe anlegt, in der Regel zum Richter über andere erhebt. Aber wir haben die Verantwortung eines Staates zu übernehmen, der sich nun - frei von der Belastung der Teilung - der Verantwortung seiner Geschichte, seines Gewichts und seiner geographischen Lage in Europa und in der Welt stellt. Das werden wir in den Vereinten Nationen mit allen Rechten und Pflichten eines Mitglieds tun, und wir werden es in Europa tun. Es ist vielleicht deshalb auch gut, daß wir diese Positionsbestimmung nicht in einem nationalstaatlichen Sinne vornehmen, sondern vielmehr in unsere Verantwortung im gesamten Europa einordnen. Hier wird es wichtig sein, daß wir allen unseren Partnern im Westen deutlich machen, daß der Wegfall der Mauer von jedem Land verlangt, das eine Europa zu akzeptieren. Dem gemeinsamen Schicksal des ganzen Europa kann kein Staat entfliehen, weder im Osten noch im Westen.
({2})
Es wird - das lernen wir aus der inneren Vereinigung Deutschlands - im Westen auf Dauer nicht gutgehen, wenn es im Osten auf Dauer schlechtgeht, ökonomisch, ökologisch und sozial.
({3})
Deshalb darf man die Einheit Europas nicht nur als Chance empfinden, die man nutzen kann, aber nicht nutzen muß. Vielmehr ist die Einheit Europas eine Realität. Sie ist eine historische Notwendigkeit, und niemand kann sich ihr entziehen.
Das verlangt erstens, daß die Politik der wirtschaftlichen Reformen im Osten unterstützt wird, denn die Reformer, die Demokraten östlich von uns, haben nicht soviel Zeit, daß sie ohne westliche Hilfe die Reformprozesse durchführen können. Akute Notsituationen, wie sie in diesem Winter voraussehbar in der Sowjetunion auftreten, verlangen zusätzliche Hilfeleistungen.
Zweitens. Die Völker Mittel- und Ost- und Südosteuropas brauchen eine umfassende europäische Perspektive.
Eine Renationalisierung der Politik in Mittel-, Ost- und Südosteuropa wäre eine große Gefahr für ganz Europa, und diese Gefahr ist nicht nur eine Befürchtung, sie ist, wie wir in Jugoslawien beobachten können, eine Realität.
Wer kann diese Perspektive eröffnen? Das westliche Bündnis, Herr Kollege Gansel, hat mit seiner Entscheidung - es war übrigens ein deutsch-amerikanischer Vorschlag - der Zusammenarbeit mit den früBundesminister Hans-Dietrich Genscher
heren Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts einen entscheidenden Schritt getan, um ein Sicherheitsvakuum östlich von uns zu vermeiden. Wenn am 19. und 20. Dezember in dem neu berufenen Nordatlantischen Rat die Außenminister der NATO mit den Außenministern der früheren Warschauer-Paktstaaten zusammenkommen, dann macht das mehr als alles andere deutlich, was sich in Europa tatsächlich verändert hat und daß wir daraus auch die Konsequenzen ziehen.
Der Europarat hat sich gestern im Ministerkomitee der Herausforderung gestellt, eine Art Marshallplan des Rechtsstaats durchzuführen. Kollege Kinkel hatte hier nach Bonn die Justizminister aus den mittel- und osteuropäischen Staaten und aus den Republiken der Sowjetunion eingeladen. Wir wissen, daß entscheidend für die Stärkung der Demokratie und auch für die marktwirtschaftlichen Reformen Rechtsstaat und Rechtssicherheit sind. Gerade wir Deutschen können aus der Erfahrung der inneren Vereinigung hier etwas bieten. Das ist deutsche Verantwortung, die wir zu erfüllen haben.
({4})
Wir erleben, daß eine jahrzehntelange Bevormundung und Unterdrückung das Bewußtsein nationaler Identität nicht beseitigt hat, im Gegenteil gestärkt hat. Der Wegfall des Druckes birgt die Gefahr der Übersteigerung in sich. Darauf müssen wir antworten. Was ist die Antwort? Die Antwort der Europäischen Gemeinschaft an die Staaten Mittel- und Osteuropas muß es sein, ihnen das Tor zur Gemeinschaft zu öffnen. Nun wissen wir, daß sie nicht in einem Entwicklungsstand sind, wo sie dieses Tor durchschreiten könnten. Aber mit der Assoziierung den Weg zur Mitgliedschaft zu bereiten und zu ebnen, das ist die Verantwortung der Europäischen Gemeinschaft.
({5})
Ich sage das auch im Blick auf die Entwicklung im früheren Jugoslawien.
Es ist zu kurz gegriffen, nur von der Anerkennung zu sprechen, wenn man anschließend diejenigen, die anerkannt worden sind, in einen nationalstaatlichen Weg alter Prägung entlassen will. Es ist notwendig, daß wir erwarten, daß diejenigen, die eine Anerkennung durch uns wollen, alle Grundsätze der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris akzeptieren.
({6})
Wir wissen, daß der Schutz der Minderheitenrechte gerade angesichts der Lage im früheren Jugoslawien eine zentrale Forderung ist. Das macht aber die anderen Forderungen nicht weniger wichtig.
Aber das allein zu verwirklichen würde nicht ausreichen, und das nicht nur wegen der Schrecken des Krieges. Deshalb treten wir dafür ein, daß denjenigen, die sich zum Friedensprozeß bereit erklären, die Assoziierung mit der Perspektive der Mitgliedschaft in der Erwartung angeboten wird, daß sie diejenigen Bedingungen, die sie mit der EG schaffen, sich auch gegenseitig eröffnen. Damit können wir zu neuer Verbindung beitragen, ohne daß wir einem staatlichen Modell die Unterstützung geben, das von den Völkern abgelehnt wird.
Übrigens haben wir, Herr Kollege Gansel, die Forderung nach Unabhängigkeit von dem Tage an unterstützt, an dem sich die Republiken für unabhängig erklärt haben. Das war der 25. Juni. Sie vorher zu unterstützen wäre eine vorauseilende Entscheidung gewesen, die ich mit dem Respekt vor den souveränen Entscheidungen dieser Republik nicht hätte verantworten können. Aber von diesem Tage an haben wir es getan.
({7})
- Nein, am 25. Juni haben beide in ihren Parlamenten ihre Souveränität erklärt. Ich weiß das genau, weil ich an diesem Tage mit dem Bundespräsidenten in Italien war. Ich habe mit meinem italienischen Kollegen den jugoslawischen Außenminister angerufen und ihm gesagt: Wir wissen, welche Entscheidungen heute getroffen werden; wir möchten ausdrücklich davor warnen, diese Entscheidungen mit militärischem Einsatz zu beantworten. - Da war noch kein Panzer marschiert.
Aber warum, so müssen Sie die Frage erheben, sind sie marschiert? - Weil wir es mit einer Armee zu tun haben, an deren Spitze Persönlichkeiten stehen, die nicht nur altem Denken verhaftet sind, sondern die von einem Großserbien träumen, das sie an der Schwelle der 90er Jahre mit Waffengewalt glauben herstellen zu können.
Gegenüber dieser Brutalität muß es eine geschlossene Antwort der Weltgemeinschaft geben. Deshalb haben wir, so wie es auch der Bundestag für richtig gehalten hat, die Vereinten Nationen angerufen. Wenn wir dafür eintreten, daß UN-Friedenstruppen nach Jugoslawien entsandt werden, dann wollen wir damit auch erreichen, daß in den Gebieten, in denen der Krieg noch nicht tobt, die Kriegsmaschine gar nicht erst beginnen kann.
Aber gerade darüber, wo stationiert wird, gehen ja die Diskussionen mit dem früheren amerikanischen Außenminister Vance. Das zeigt, daß die eine Seite in Jugoslawien erwartet, mit der Stationierung von Friedenstruppen eine Anerkennung gewaltsamen Gebietserwerbs zu erreichen.
({8})
Da muß klar sein, daß niemand darauf rechnen kann, daß jemals gewaltsamer Gebietserwerb anerkannt werden wird.
({9})
Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Gansel, ganz zu, daß in dem Europa von heute unter Beachtung der Grundwerte der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris nicht mehr Grenzveränderungen die Antwort auf die Probleme unserer Zeit sind, sondern Verwirklichung der Menschenrechte, des Selbstbestimmungsrechts und der Minderheitenrechte. Wer heute in Südosteuropa darangehen würde, die Grenzen neu in Frage zu stellen, stellte mehr als Grenzen in Frage. Er stellte die Grundlagen der nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnenen Stabilität in Europa in Frage.
Die Europäische Gemeinschaft hat am 10. Oktober durch die niederländische Präsidentschaft für den politischen Prozeß eine Frist von einem, höchstens zwei Monaten gesetzt. Diese Frist läuft am 10. Dezember ab. Deshalb ist die Bundesregierung der Auffassung, daß alle diejenigen Republiken, die ihre Unabhängigkeit wollen, die sich zu den Grundsätzen der Schlußakte von Helsinki und der Charta von Paris bekennen und insbesondere die Minderheitenrechte einräumen, wie sie dort vorgesehen sind, Anspruch darauf haben, ihre Anerkennung zu bekommen. Wir hoffen, daß sich unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft - wünschenswert sind alle - dieser Auffassung anschließen werden.
Meine Damen und Herren, der Wille zur gänzlichen Überwindung der Spaltung Europas verlangt das Zusammenwachsen in allen Bereichen. Es wird viel über wirtschaftliche Hilfe gesprochen, aber zuwenig über eine gesamteuropäische Infrastruktur. Auch hier lernen wir wieder aus dem deutschen Vereinigungsprozeß, daß der Aufbau einer modernen Verkehrsstruktur und einer modernen Telekommunikationsstruktur sowie die Schaffung eines Ökologieraumes dringend geboten sind, wenn auch die wirtschaftliche Entwicklung ausreichend gefördert werden soll. Das ist für ganz Europa notwendig, und es hat Vorteile für alle Europäer: für den Osten durch die immer stärkere Einbindung in die wirtschaftliche Entwicklung und für den europäischen Westen durch die Sicherung seiner Versorgung mit Energie und Rohstoffen.
Die KSZE, die in der Vergangenheit erhebliche Fortschritte beim Zusammenwachsen Europas vorausgeschaffen und schließlich erreicht hat, muß eine neue Aufgabe im vereinten Europa bei der Schaffung des ganzen Europa gewinnen. Deshalb geht es darum, die KSZE und ihre Institutionen zu stärken und das Konsensprinzip der KSZE in einem neuen Sinne anzuwenden, nämlich den Konsens auch gegen denjenigen, gegen den ein Einschreiten zur Wahrung der Demokratie und der Handlungsfähigkeit seiner demokratischen Organe notwendig erscheint, also ohne seine Stimme - Konsens minus eins - durchzusetzen. Hier ist Einmischung geboten, so wie sie im Sinne der Sicherung der Demokratie in Jugoslawien geboten ist.
Meine Damen und Herren, es ist heute dankenswerterweise von allen Seiten dieses Hauses - nicht ganz von allen Seiten - unterstrichen worden - - Die Handbewegung ging links an Ihnen vorbei, Herr Duve.
({10})
- Von hier aus gesehen links. Aber wenn Sie gerne halbrechts sitzen wollen, Herr Gansel, darüber kann man vielleicht reden.
({11})
Die Europäische Gemeinschaft steht in Maastricht wirklich auf dem Prüfstand. Es hat viele Europäische Räte mit Entscheidungen gegeben, die man als historisch bezeichnet hat. Ich bin nicht sicher, ob das für
alle zutreffend war. Bei diesem hier gilt das wirklich, nämlich deshalb, weil diese Europäische Gemeinschaft mit ihrer Entwicklung, so wie wir es für die Politische Union und für die Wirtschafts- und Währungsunion gewünscht haben, nicht nur ihre Verantwortung für sich, für ihre Mitgliedstaaten, zu erfüllen hat, sondern vor allen Dingen ihre Handlungsfähigkeit zu schaffen hat, damit wir das eine Europa unter Einschluß aller Europäer auch tatsächlich erreichen können.
Wenn die Frage nach der Verantwortung des vereinigten Deutschlands gestellt wird, so möchte ich sie vielleicht so beantworten: Wir Deutschen haben im Jahre 1990 die Chance der deutschen Einheit wahrgenommen, und wir werden unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß Europa im Jahre 1991 und danach seine Chance zur Einheit des ganzen Europa wahrnimmt.
({12})
Wenn wir das tun, dann können wir ohne große Worte sagen: Wir haben unsere historische Verantwortung als vereinigtes Deutschland erfüllt.
Danke schön.
({13})
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache über den Einzelplan 05.
Ich lasse zunächst einmal über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1648 abstimmen. Wer für den Änderungsantrag der SPD ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich lasse über den Einzelplan 05 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Dann ist der Einzelplan 05 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 12/1414, 12/1600 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Müller ({0}) Kurt J. Rossmanith
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Weng ({1})
Horst Jungmann ({2})
Rudi Walther
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksachen 12/1428, 12/1600 -
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Zum Einzelplan 14 liegen Änderungsanträge der SPD vor. Ich weise darauf hin, daß über die Änderungsanträge und über den Einzelplan 14 gegen 21.30 Uhr - also wenn alle namentlichen Abstimmungen stattfinden sollen - abgestimmt wird. )
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann die Debatte eröffnet werden.
Zunächst hat der Abgeordnete Jungmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden am Schluß dieser Debatte über den zweitgrößten Einzeletat, der natürlich auch erhebliche außenpolitische Wirkungen haben wird. Die Entscheidung über die Mittel für die Streitkräfte, die eine Größenordnung von 52,13 Milliarden DM ausmachen, sollte auf einer Grundlage getroffen werden, die die Abgeordneten in die Lage versetzt, den Aufbau der Streitkräfte und die Aufgaben der Bundeswehr für die Zukunft zu erkennen. Wenn dies nicht zu erkennen ist, ist es für eine Oppositionspartei natürlich schwierig, diesem Haushalt zuzustimmen. Seit dem Abrüstungsprozeß und der Wiedervereinigung hat sich die sicherheitspolitische Situation - das ist heute hier im Hause schon mehrfach festgestellt worden - grundlegend verändert. Wir warten aber immer noch auf ein ausgereiftes Konzept für die Aufgaben der Streitkräfte, der Bundeswehr, innerhalb der NATO.
Herr Minister, wir wissen, daß die Bundeswehr, die politische und militärische Führung, bei der deutschen Einheit eine der schwierigsten Belastungsproben in der Geschichte der Bundeswehr zu bestehen hat: Die Nationale Volksarmee war aufzulösen. Ein Teil der Soldaten war oder ist noch in die Bundeswehr zu integrieren. Die Bundeswehr ist auf Grund der Vereinbarung im Kaukasus zwischen Kohl und Gorbatschow vom 16. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1994 auf insgesamt 370 000 Soldaten zu reduzieren.
Aber über die Personalstruktur, über die Streitkräftestruktur insgesamt und über das, was die zivile Verwaltung anbetrifft, gibt es kein eindeutiges Konzept.
Die Motivation der Bediensteten innerhalb der Streitkräfte - im militärischen und zivilen Bereich - leidet darunter. Sie wissen über ihre Perspektiven, über ihre berufliche Zukunft nicht genau Bescheid. Für diese Versäumnisse tragen Sie, Herr Minister, die Verantwortung.
({0})
s) Siehe Seite 5102 A
- Das ist sein Problem. Er hört öfter nicht zu. Deswegen trifft er auch öfter Fehlentscheidungen, Herr Kollege. Das ist so bei diesem Minister.
({1})
Anstatt die Chance zu nutzen, die Sicherheitspolitik fortzuentwickeln, werden die Verhältnisse einfach auf reduzierten Zahlen fortgeschrieben, ohne daß sich dabei eine Veränderung der Aufgaben der Streitkräfte erkennen läßt.
Ich nehme nur das Beispiel Jäger 90, gegen den zunehmender Widerstand auch in den Koalitionsparteien besteht. Sie, Herr Minister und liebe Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion, haben sicher gerade die ddp-Meldung gelesen, daß bei der Abstimmung um 21.30 Uhr aus den Reihen der FDP-Fraktion mit acht Ablehnungen zu rechnen sein wird.
({2})
Ich begrüße das ausdrücklich; denn die Begründung, die die FDP-Kollegen abgeben - Gerhart Baum und Burkhard Hirsch sind die Sprecher - kann ich voll unterstreichen:
({3})
Der Jäger 90 sei zwar kostspielig, aber nicht kostbar. Sie hätten kein Zutrauen zur realen Entscheidungsfreiheit des Bundestages, wenn die Entwicklung des Flugzeuges einmal abgeschlossen sein werde. Es sei zu befürchten, daß dann die sogenannten Sachzwänge so groß sein werden, daß mit der Produktion begonnen werde. Armutsbekämpfung müsse Vorrang vor Militäroptionen haben.
Ich glaube, da haben die Kollegen unsere volle Zustimmung. Es würde dem Hause gut tun, seine Eigenständigkeit zu beweisen, wenn sich mehrere Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dieser Argumentation anschließen würden.
Aber nicht nur der Jäger 90 mit 820 Millionen DM an Entwicklungskosten, sondern die Forschung und Entwicklung im militärischen Bereich insgesamt wird auf den alten Grundlagen fortgesetzt, ohne daß sich Änderungen absehen lassen.
Sie haben verschiedene Beschaffungsprogramme fortgesetzt. Ich nenne da z. B. das Führungssystem Eifel, das zwar in der Entwicklung mit der Firma Dornier abgebrochen wird, aber mit Siemens fortgesetzt wird. Bei dem Führungssystem des Heeres sind in der Vergangenheit mehrere hundert Millionen DM verschleudert worden, ohne daß eine Entwicklung zum Abschluß gebracht worden ist, die erfolgreich ist. Dafür gibt es noch mehrere Beispiele.
Noch für über zwei Milliarden DM werden nach dem Zusammenbruch, nach der Auflösung des Warschauer Paktes und der Einbeziehung der osteuropäischen Staaten in die NATO Munition beschafft. Wenn man diese Beschaffung einmal durchleuchtet, hat es den Anschein, als stünde der Krieg kurz vor der Tür. Dabei brauchen wir Geld für viele andere Auf gaben, die heute hier schon genannt worden sind. Jugoslawien, die Türkei, die Entwicklungshilfe, osteuropäische Staaten, aber auch die Probleme in den neuen
Horst Jungmann ({4})
Bundesländern bedürfen vieler Mittel. Die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen haben sich erdreistet, von diesen 1,9 Milliarden DM ganze 20 Millionen DM zu streichen.
Ähnlich ist es bei der Panzerbeschaffung. Weitere 900 Millionen DM werden in die Panzerbeschaffung investiert. 1,6 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigung für die zukünftigen Jahre sind vorgesehen.
Meine Damen und Herren, wer soll eigentlich noch Vertrauen in eine bestimmte Politik haben, die die überkommenen Dinge einfach nur auf einem niedrigen Niveau fortschreibt, ohne die Konsequenzen aus der Veränderung der sicherheitspolitischen Lage zu ziehen?
({5})
Im Bereich der wehrmedizinischen Forschung sind zwar in Kapitel 14 21 nur 13 Millionen DM insgesamt veranschlagt - die Kolleginnen und Kollegen Berichterstatter aus den Koalitionsfraktionen haben dankenswerterweise 900 000 DM gestrichen - , aber wenn man den Bericht des Bundesrechnungshofs einmal liest, dann stellt man fest, daß hier überhaupt keine Koordination der Forschungsvorhaben zwischen Forschungs-, Gesundheits- und Innenministerium stattfindet, daß auf Deubel komm raus geforscht wird, ohne die Ergebnisse miteinander abzustimmen
- im großen und ganzen eine Geldverschleuderung ohne Kontrolle und ohne politische Zielsetzung.
({6})
Eine Milliarde DM werden weiterhin für den Stör- und Täuschsender Zerberus im Bereich der Entwicklung ausgegeben. Das Projekt heißt heute nicht mehr „Zerberus", weil es mit einer Affäre belastet ist, bei der der Verteidigungsminister noch einmal kurz an einem Untersuchungsausschuß vorbeigeschrammt ist, sondern ist in „TSPJ 90" umbenannt.
({7})
- TSPJ 90, ein neuer Name. Als ich über den neuesten Skandal der Hardthöhe in den Zeitungen las - die Überschriften lauteten „Rüstungsbeamte und BND verschieben Panzer nach Israel" -, da kam mir das Zerberus-Geschäft wieder in den Sinn.
({8})
Meine Damen und Herren, bei genauem Hinsehen entpuppten sich die Panzer nämlich nicht als Panzer, sondern als Kettenfahrzeuge für das sowjetische Radarsystem ZSU und SA 6. Sie sollten angeblich zu wissenschaftlichen und Forschungszwecken im militärischen Bereich nach Israel geschafft werden. Aber die Israelis besitzen diese Geräte bereits seit langem. Laut einem Bericht der Hardthöhe aus dem Jahre 1988, zuletzt bestätigt durch den Bundesrechnungshof in 1991, ist der Stör- und Täuschsender Zerberus 1988 genau mit diesen Geräten in Israel geprüft und erprobt worden. Diese Geräte sollen angeblich schon lange in Israel sein.
Ich frage mich: Was sollte dann eigentlich dieses Tarn- und Täuschmanöver mit den neuen Panzergeräten, die nach Israel gebracht werden sollten. Es muß doch etwas anderes dahinterstecken. Herr Minister, Sie und Ihre politische Leitung haben im Haushaltsausschuß und im Verteidigungsausschuß mehrfach Besserung bei der Information des Parlaments versprochen. Leider ist es nicht so.
Der Bundesrechnungshof und das Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr haben übrigens bei diesem Stör- und Täuschsender, für den in Zukunft nochmals fast 1 Milliarde DM ausgegeben werden soll, festgestellt, es sei eine unsinnige Ausgabe. Beenden Sie endlich solche unsinnigen Ausgaben!
({9})
Beweisen Sie Entscheidungsfreude und Entscheidungsfähigkeit, und sparen Sie im Verteidigungshaushalt!
Die Mängelliste ließe sich noch weiter fortführen. Aber diese Beispiele müßten eigentlich schon genügen, um die Fragwürdigkeit des Haushalts zu belegen. Dieser Haushalt wird mit Sicherheit auch in Zukunft noch manche Überraschungen für uns bergen. Denn die Übersichtlichkeit bei den Beratungen war ja nicht gerade parlamentsfreundlich. Häufig habe ich den Eindruck gehabt, als produziere man Vorlagen über Vorlagen und meterweise Akten, um die Parlamentarier zu verunsichern und ihre Kontrollmöglichkeiten zu erschweren. Es wäre in Zukunft besser, wenn der Verteidigungsetat dem Parlament als Entwurf vorgelegt würde und wenn im Haushaltsentwurf auch etatreife Vorlagen und nicht nur Wunschvorstellungen der Militärs realisiert würden.
({10})
Am letzten Wochenende hat ja eine Planungskonferenz stattgefunden, und am 20. Dezember soll eine zweite folgen. Die Arbeiten werden also so aufgeteilt: Erst soll das Geld vom Parlament bewilligt werden, und dann planen wir, was wir damit machen. So nicht, Herr Minister. Wir werden diesem Haushalt nicht zustimmen.
({11})
- So ist es eben; dieses Pech haben Sie. Vielleicht wird das ja auch bei Ihnen, wenn Sie sich den Verteidigungsetat im Detail ansehen, Herr Kollege, und nicht die Zeitung lesen, einmal zum Nachdenken führen.
({12})
- Dazu komme ich gleich noch, Herr Kollege.
Wie sollen Abgeordnete diesem Haushalt guten Gewissens zustimmen, wenn die Begründungen für Beschaffungen Woche für Woche wechseln? Ich will ja das Beispiel für die Beschaffung, auf Grund dessen sich der Kollege Koppelin aus Schleswig-Holstein, der dem Verteidigungsausschuß angehört, in der „Zeit" gerühmt hat, daß er so durchsetzungsfähig ist, hier gar nicht anführen. Aber wenn eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 2,5 Milliarden DM überhaupt nicht belegt ist, wenn der Haushalt dem Parlament vorgelegt wird, dann zeigt das doch die SchlamHorst Jungmann ({13})
pigkeit der Arbeit. Dafür ist der Minister verantwortlich.
({14})
Mein Kollege Norbert Gansel, der Kollege Klaus Rose und andere Kollegen haben die Situation in der Türkei, was die Menschenrechte betrifft, angesprochen. Der Haushaltsausschuß - diesen Eindruck hatte ich am letzten Mittwoch, als ich wegen des Feiertages einmal eine Ruhepause zu Hause einlegen wollte - hatte sich nämlich erdreistet, 25 Millionen DM für eine Panzerlieferung in die Türkei qualifiziert zu sperren. Unter dem Eindruck der Bombardierung kurdischer Dörfer, dem Tod von Frauen, Kindern und Männern, hat sich der Haushaltsausschuß auf eine parlamentarische Regel besonnen, die besagt, hier müsse man die Regierung in ihrer Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der alten türkischen Regierung unterstützen. Nichts mehr und nichts anderes steht dahinter, wenn wir diese qualifizierte Sperre ausgesprochen haben.
({15})
Sie richtet sich nicht gegen das türkische Volk, sondern sie hat sich gegen die menschenverachtende Politik unter Staatspräsident Özal gerichtet.
({16})
Die neue türkische Regierung Demirel und Inönü hat sich verpflichtet, Menschen- und Minderheitenrechte zu beachten und dem kurdischen Bevölkerungsteil mehr kulturelle Eigenständigkeit zu ermöglichen. Wenn diesen Ankündigungen Taten folgen, wird es kein Problem sein, im Haushaltsausschuß die qualifizierte Sperre aufzuheben und die gute Zusammenarbeit mit der Türkei fortzusetzen. Mein Kollege Norbert Gansel hat ja deutlich gesagt, daß unser Schwerpunkt nicht im militärischen Bereich liegt, sondern im Bereich der Entwicklungshilfe.
({17})
Meine Damen und Herren, 800 000 Menschen sind direkt oder indirekt durch die Neuorganisation und Umstrukturierung der Streitkräfte betroffen. 101 228 Soldaten sollen bis zum 31. Dezember 1994 abgebaut werden, darüber hinaus bis zum Jahre 1998 40 229 zivile Arbeitsplätze.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Diederich zu beantworten?
Wenn mir das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Das werde ich nicht tun, wenn Frage und Antwort in der gebührenden Kürze erfolgen.
({0})
Aber trotzdem stiehlt er mir die Zeit. - Herr Kollege, Herr Professor, selbstverständlich.
Herr Kollege, ich komme auf die gesperrten 25 Millionen DM zurück: Wie beurteilen Sie den Versuch türkischer Generalkonsulate, in einer massierten Aktion die Mitglieder des Haushaltsausschusses zu beeinflussen und sie zu einer Änderung ihres heutigen Votums zu bringen?
Ich hatte gestern Gelegenheit, mit dem Gesandten der türkischen Botschaft zu sprechen, habe ihm die Position des Haushaltsausschusses deutlich gemacht und ihm klar gesagt, daß es für uns bisher noch keinen ersichtlichen Grund gibt, innerhalb der Beratung des Einzelplans 14 diese Sperre wegzunehmen. Wenn die Ankündigungen der Regierung Realität werden, sind wir gerne bereit, darüber mit uns reden zu lassen. Die Regierung wird dann eine Vorlage machen. Ich denke aber, es hat in der Vergangenheit bei keiner politischen Entscheidung im Haushaltsausschuß eine derartig massive Einwirkung von Diplomaten auf Abgeordnete gegeben.
({0})
Man sollte das nicht übertreiben. Ich denke, daß der Haushaltsausschuß, wie das alle Kollegen hier gesagt haben, seine Gründe gehabt hat.
Ich möchte jetzt bei der Reduzierung der Streitkräfte fortfahren. Ich hatte gerade die zu reduzierende Zahl der Soldaten der Bundeswehr und der zivilen Mitarbeiter genannt. Die Bundesrepublik Deutschland wird nämlich in ihrem alten Teil durch die Reduzierung um 260 000 alliierte Streitkräfte militärisch sehr stark entlastet werden. Herr Minister, wir alle gemeinsam in diesem Parlament begrüßen diese Abrüstungsschritte und haben Sie immer ermuntert, sie durchzuführen. Nur eines kann ich nicht verstehen. Bei der Standortfestlegung - das habe ich Ihnen schon im Haushaltsausschuß und im Verteidigungsausschuß gesagt - hat es Entscheidungen gegeben, die nicht dazu führen, im Bundeshaushalt bei den Betriebskosten erhebliche Einsparungen zu bewirken. Betriebskosten und Personalkosten umfassen 75 % des Gesamthaushalts. Wenn Sie dort sparen wollen, Herr Minister, müssen Sie das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Haushaltsrechts konsequent anwenden und auch eine Kosten-NutzenAnalyse bei der Erhaltung von Standorten machen. Sie wollten es aber mit Ihrer Politik jedem Kollegen aus Ihrer eigenen Fraktion möglichst recht machen. Das Ergebnis ist, daß z. B. die Standortverwaltung Essen, die nach dem ursprünglichen Konzept im Bereich der territorialen Wehrverwaltung aufrechterhalten werden sollte, weil nämlich dort die Truppenteile stärker behalten werden als in Wuppertal, jetzt aufgelöst wird und dort, wo in Zukunft kaum noch Bundeswehr ist, eine Standortverwaltung bleibt. Die Ferne der Verwaltung zur Truppe wird immer größer. Ich könnte Ihnen das an Beispielen von Schleswig-Holstein deutlich machen.
Eines, Herr Minister, muß ich Ihnen deutlich sagen: Sie haben überall, wo Sie öffentlich aufgetreten sind, angekündigt, Sie würden die Kommunen mit den Problemen, nämlich der Reduzierung der Steuereinnahmen und der Schlüsselzuweisungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen, nicht alleinlassen. Das, was die
Horst Jungmann ({1})
Bundesregierung als Hilfe für die Standortkonversion anbietet, muß von den Betroffenen als Zynismus aufgefaßt werden.
({2})
Es sind 250 Millionen DM im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und 250 Millionen DM für städtebauliche Sanierungsmaßnahmen, insgesamt also 500 Millionen DM - aber nicht in einem Jahr, sondern in fünf Jahren. Das entspricht 100 Millionen DM in einem Jahr für zig Standorte. In einem Jahr gibt diese Regierung 500 Millionen DM für Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit aus. Das ist ein Mißverhältnis, das die Menschen draußen überhaupt nicht mehr verstehen.
({3})
Ich fordere Sie auf, sich in dem Sinne, wie Sie es in Schleswig-Holstein den Kommunen versprochen haben, Herr Stoltenberg, für einen wirtschaftlichen Ausgleich der Verluste einzusetzen, die durch den Truppenabzug entstehen. Dann finden Sie uns an Ihrer Seite.
Ich denke, es gilt, den Soldaten der Bundeswehr und den Mitarbeitern im zivilen Bereich für das zu danken, was sie im Rahmen der Zusammenführung der beiden Teile Deutschlands, der Auflösung der NVA und der Eingliederung einiger tausend Soldaten geleistet haben.
Nur, Herr Minister: Die Einheit Deutschlands ist am 3. Oktober 1990 vollzogen worden. Das war nach Adam Riese vor gut einem Jahr. Wenn man mit Soldaten der ehemaligen NVA spricht, die eine Verpflichtungszeit von zwei Jahren haben, und diese einem mitteilen, wie die administrativen Abläufe sind, dann kann man manchmal an der Leistungsfähigkeit der Bundeswehrverwaltung und der Verwaltung der Streitkräfte zweifeln. Wenn Familienvätern - Portepee-Unteroffizieren und -offizieren - in den neuen Bundesländern Mitte November per Schreiben vom Wehrbereichsgebührnisamt mitgeteilt wird, daß sie die ihnen zustehenden Bezüge leider nicht am 1. Dezember, sondern erst am 15. Dezember bekommen, dann ist das ein Armutszeugnis. Hier wird etwas auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die das nicht zu verantworten haben. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({4})
Sie wollen eine Bundessicherheitsakademie schaffen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür - unabhängig davon, wie ich die Errichtung dieser Bundessicherheitsakademie beurteile - , wenn sich die Besetzung des Postens des zukünftigen Präsidenten einzig und allein danach richtet, daß ein ausgeschiedener Generalinspekteur mit der Besoldungsgruppe B 10 diese Position bekommen soll. Suchen Sie nach neuen, geistig frischen Kräften, damit eine neue Sicherheitspolitik eingeführt werden kann.
({5})
- Ich brauche kein Angebot. Ich bin von meinen Wählern in den Deutschen Bundestag gewählt worden und erfülle hier meinen Auftrag. Ich suche nicht nach neuen Betätigungsfeldern für Nebenverdienste.
Meine Damen und Herren, der Verteidigungsminister hat in der Vergangenheit seine „Entscheidungsfreude" nach außen deutlich gemacht. Wenn man den Pressemitteilungen und Berichten aus dem Ministerium Glauben schenken will - ich tue dies - , dann hat die Bundeswehr einen Minister verdient, der entscheidungsfreudiger ist, der die Nöte der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter berücksichtigt und nicht jedes Problem wochen- und monatelang vor sich herschiebt. Herr Bundeskanzler, in dieser schwierigen Situation braucht die Bundeswehr einen neuen Minister!
Schönen Dank.
({6})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Strube das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit der Entspannung. Dies bedeutet, daß der Bedarf an Waffen und Gerät aller Art rapide schrumpft. Das ist für uns Christdemokraten eine begrüßenswerte Tatsache.
({0})
Schließlich haben wir lange genug davon geredet, daß wir Frieden mit immer weniger Waffen schaffen wollten. Nun wird unser Erfolg deutlich.
Aus diesem Grund ist der Anteil der Verteidigungsausgaben am gesamten Bundeshaushalt 1992 weiter gesunken.
({1})
Er beträgt nach den Empfehlungen des Haushaltsausschusses 12,3 %.
({2})
Das ist der niedrigste Anteil seit 1956.
({3})
Wir haben jetzt ein Rekordtief erreicht.
({4})
Mit Blick auf die Verkleinerung der Bundeswehr sind in den kommenden Jahren weitere stetige Senkungen in Milliardenhöhe vorgesehen.
({5})
Der Verteidigungshaushalt 1992 umfaßt insgesamt 52,5 Milliarden DM. Immerhin rund die Hälfte des Verteidigungsetats, nämlich 26,28 Milliarden DM, wird für die Personalausgaben verwendet. Die Verringerung der Zahl der Soldaten wird langfristig weitere
Mittel freisetzen. Die Friedensdividende kommt also.
In zwei Bereichen haben wir 1992 massive Mehrkosten. Da ist zum einen die Entsorgung von Hunderttausenden von Tonnen Munition verschiedener Art und die Vernichtung von Wehrmaterial. Es handelt sich um Altlasten der ehemaligen Nationalen Volksarmee, die uns ein schwieriges Erbe hinterlassen hat.
({6})
Für die Beseitigung besteht ein Mehrbedarf von 93 Millionen DM. Es zeigt sich, daß auch Abrüstung leider nicht zum Nulltarif zu haben ist.
({7})
Abrüstung kostet zunächst einmal viel Geld.
Wir wollen die Entsorgung von Munition so schnell wie möglich, einmal aus Sicherheitsgründen und dann wegen der Kosten der Lagerung und Bewachung.
Zugelegt haben wir auch bei den Bewachungskosten, und zwar um 135 Millionen DM. Damit wollen wir die Bewachung von Munitions- und Gerätelagern in den neuen Bundesländern auf gewerbliche Bewachung umstellen.
Das Verhältnis der Betriebsausgaben zu den Investitionen hat sich gegenüber dem Etat des Vorjahres nochmals deutlich verändert. Der Anteil der Betriebsausgaben - dazu gehören auch die Lohnkosten - ist auf 74,8 To gestiegen. Der Anteil der Investitionen ist auf 25,2 % gesunken. Der Investitionsanteil wird also immer geringer.
Die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung gehen stark zurück. Daher ist für neue Vorhaben faktisch kein Spielraum vorhanden. Wir können aber laufende Entwicklungen weiterführen.
Bei den militärischen Beschaffungen müssen neue Schwerpunkte gesetzt und die Stückzahlen bei vielen laufenden Vorhaben verringert werden.
Die Ansätze für die Materialerhaltung haben wir knapp gehalten, so daß die Abstände bei der Instandsetzung verlängert und bei der Beschaffung von Ersatzteilen gestreckt werden müssen.
Einen sehr hohen Stellenwert besitzt für uns die dringende Verbesserung der Kasernen in den neuen Bundesländern. Die Sanierung der Duschräume und Toiletten, der Küchen und Speisesäle duldet keinen Aufschub. In vielen Heizungsanlagen wird noch die schwefelreiche Braunkohle genutzt. Es gibt hohe Energieverluste wegen fehlender Wärmedämmung. Das ist extrem umweltschädigend und unwirtschaftlich.
Diese Verbesserung der Infrastruktur wird mit einem Sofortprogramm von 625 Millionen DM finanziert. Davon stammen 20 Millionen DM aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Sollte die Baukapazität im Osten schneller als geplant erweitert werden können, können zusätzliche Mittel bis zu 1 Milliarde DM in die neuen Bundesländer fließen. Die Bundeswehr hat sich übrigens durch das Bauprogramm zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor im Osten Deutschlands entwickelt.
Meine Damen und Herren, zum Glück ist Deutschland heute nur noch von Demokratien umgeben. Aber die Hauptaufgabe unserer Streitkräfte bleibt auch in einer Zeit der Entspannung bestehen: die Fähigkeit und Bereitschaft zur Verteidigung. Dieser Auftrag ist in Art. 87 a des Grundgesetzes festgeschrieben.
In Europa gelten zwar neue sicherheitspolitische Bedingungen, aber wir brauchen auch in Zukunft eine kleinere, jedoch leistungsfähige Bundeswehr. Halbherzige Lösungen würden den Sicherheitsauftrag nicht genügend ernst nehmen. Leistungsfähig sein heißt, daß auch eine entsprechend moderne technische Ausstattung und Ausbildung gegeben sein müssen.
Auch wenn wir es gerne hätten: Unsere Welt ist leider keineswegs völlig konfliktfrei und risikolos geworden. Die Stabilität ist in vielen Gebieten der Erde gefährdet. In der ersten Lesung des Haushalts 1992 hat der sozialdemokratische Kollege Kolbow zu Recht darauf hingewiesen, daß Europa als Ganzes oder regional möglicherweise auch künftig Risiken, Konflikten und Gefährdungen ausgesetzt sein wird,
({8})
die eine militärische Vorsorge angeraten scheinen lassen. Ich meine: Wo der Kollege Kolbow recht hat, da hat er recht.
({9})
Für eine ethisch verantwortbare internationale Sicherheitspolitik brauchen wir daher aus vielen Gründen eine geeignete defensive Luftverteidigung,
({10})
damit wir im Ernstfall unsere Bevölkerung und lebenswichtige Einrichtungen wirksam schützen können. Das geht auf Dauer nicht mit Uraltflugzeugen wie der Phantom, die in einigen Jahren schrottreif sein werden und ausgemustert werden müssen.
({11})
Diese Überlegungen waren die Grundlage dafür, ein europäisches Jagdflugzeug zu planen.
({12})
Es sollte eine lange Lebensdauer haben, flexibel und zeitgemäß sein und bei jedem Wetter verwendbar sein. Fachleute wissen, daß der sogenannte Jäger 90 keine Angriffswaffe ist. Bis heute haben wir für dieses gemeinsame europäische Flugzeug allerdings nur die Entwicklungsphase beschlossen.
({13})
Die Verträge wurden vor drei Jahren unterzeichnet. An dem Projekt beteiligen sich Großbritannien, Italien und Spanien. Wir werden jetzt, bevor weitergehende Beschlüsse gefaßt werden, alle Alternativen gewissenhaft untersuchen.
({14})
Wir Parlamentarier sollten mit den Parlamentariern unserer Partnerstaaten deren aktuelle Einstellung zum Jäger 90 erörtern.
Die sowjetische MiG 29 könnten wir theoretisch übernehmen und wir könnten weitere Flugzeuge dieses Typs kaufen. Die Bundeswehr hat die MiG 29 getestet. Sie hat sich als leistungsfähiges Flugzeug erwiesen.
({15})
Die MiG 29 ist aber im laufenden Betrieb nicht wirtschaftlich. Der Wartungsaufwand bei den Triebwerken ist relativ hoch. Die Versorgung mit Ersatzteilen kann zu Schwierigkeiten führen.
Flugzeuge im Ausland zu kaufen macht volkswirtschaftlich wenig Sinn. Sollte das gemeinsam entwikkelte Jagdflugzeug in der Bundesrepublik produziert werden, so fließt in Form von Steuern und Abgaben eine erhebliche Summe wieder dem Bundeshaushalt zu.
({16})
Es gibt, meine Damen und Herren, nach Ansicht der Union, sehr wohl vernünftige Gründe, die auch für den Jäger 90 sprechen. Holzschnittartige Formeln und Schlagworte ersetzen bei diesem Thema keine vernünftige Diskussion.
({17})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen. Die Bundeswehr hat neue und erweiterte Aufgaben übernommen. Z. B. war sie in der Kurdenhilfe tätig, und Soldaten haben bei Naturkatastrophen geholfen.
Zu den erweiterten Aufgaben gehört es auch, daß die Bundeswehr auf die berechtigten Forderungen des Umweltschutzes reagiert. Verteidigungsfähigkeit und Umweltschutz müssen miteinander verknüpft werden. Umweltsünder können auch durch die Bundeswehr bekämpft werden.
({18})
Die Industrie muß ebenfalls ihren Beitrag für eine umweltfreundlichere Bundeswehr leisten. Es muß eine Selbstverständlichkeit sein, nur noch umweltverträgliche Produkte und gesundheitlich unbedenkliche Stoffe zu verwenden.
Ein Beitrag zu einem ökologischen Verhalten sind auch Manöver an Computersimulatoren. Im Umweltschutz kann die Bundeswehr auch ein Vorreiter sein. Aus diesem Anlaß finden in einem sechsmonatigen Modellversuch Fahrtests mit Biokraftstoff in der Wehrtechnischen Dienststelle in Trier statt. Lastwagen und Panzer werden mit Rapsöl-Methylester betrieben. Für die Versuche werden 1992 Kosten in Höhe von 1,8 Millionen DM erwartet. Bei positiver Bewertung sollten die Fahrzeuge der Bundeswehr mittelfristig mit Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden.
({19})
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Wir haben mit dem Verteidigungshaushalt ein Zahlenwerk vorgelegt, mit dem wir und die Bundeswehr leben können. Mein Dank gilt der Zuarbeit des Ministeriums und meinen Mitberichterstattern für die gute Zusammenarbeit. Weil wir Christdemokraten auch weiterhin eine gut ausgebildete und technisch gut ausgerüstetete und motivierte Bundeswehr brauchen, stehen wir zu diesem Haushalt. Die nachdenklichen und verantwortungsbewußten Kollegen der Opposition fordere ich auf, mit der Regierungskoalition gemeinsam die Sicherheits- und Verteidigungspolitik fortzuführen und dem Haushalt 1992 zuzustimmen.
Ich bedanke mich.
({20})
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Lederer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mein spätes Kommen zu entschuldigen. Das ist auch so eine kleine Benachteiligung der Gruppen, daß sie im Untersuchungsausschuß „Kommerzielle Koordinierung" immer erst am Schluß das Fragerecht kriegen.
({0})
Ich komme zum Thema.
({1})
- Wollen Sie mal vielleicht kurz zuhören und bei der Sache bleiben, ganz ruhig; ich habe noch gar nicht angefangen.
Der Entwurf des Einzelplans 14 - der Militärhaushalt - soll angeblich auf die entspannte internationale Lage zugeschnitten sein. Bei manchen Äußerungen könnte man annehmen, die Bundeswehr stünde vor dem Aus. Daß dem nicht so ist, wissen wir aus dem sicherheitspolitischen Bekenntnis der Bundesregierung.
Drei Aspekte kennzeichnen diesen Haushalt:
Erstens. Die behauptete Reduzierung des Etats ist keine.
Zweitens. Zahlreiche Kosten für Militärisches sind zur Kaschierung des wahren Umfangs in andere Haushalte ausgelagert.
Drittens steht der Etat für die militärpolitischen Ziele der Bundesregierung, nämlich für den weltweiten Einsatz einer modernisierten Bundeswehr.
Zum ersten Aspekt. Eine nominelle Reduzierung des Militärhaushaltes von sage und schreibe 35 Millionen DM - das macht 0,06 % aus - ist angesichts des völligen Wegfalls der behaupteten Bedrohung aus dem Osten ein schlechter Witz. Dieser Betrag dürfte wohl kaum den Kosten für die Tragflächen auch nur eines einzigen Jäger 90 entsprechen.
Mit dem zweiten erwähnten Charakteristikum des Haushalts soll vor allem die Öffentlichkeit für dumm verkauft werden. Was sich an Militärkosten in harmlos klingenden anderen Haushaltstiteln verbirgt, ist die nächste Provokation. Zum Beispiel befinden sich die Kosten für den Golfkrieg wieder im Einzelplan 60
unter dem irreführenden Titel „Allgemeine Finanzverwaltung" . Für die sogenannte Ersatzbeschaffung für Bundeswehrmaterialien wird gegenüber dem Vorjahr fast der doppelte Betrag angesetzt. Insgesamt leistete die Bundesrepublik den drittgrößten Beitrag zu diesem Krieg. Die sogenannte zivile Verteidigung soll 954 Millionen DM kosten. Auch das ist Vorbereitung auf den Kriegsfall. Die Kosten für militärisch relevante Forschung sind im Einzelplan des BMFT zu finden. Und wollen wir wetten, daß es noch einen Nachtragshaushalt im nächsten Jahr geben wird!
Ich komme aber zum dritten Charakteristikum dieses Haushalts, und das ist das gefährlichste. Der Haushalt orientiert sich bereits jetzt auf die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr „out of area". Dazu gehört z. B. die Umrüstung der Boeing 707 zum Tankflugzeug.
Ich komme zum Lieblingsspielzeug der Regierung, dem Wahnsinnsprojekt des Jäger 90. Dieses Flugzeug, das bis heute nur den eigenen Preis in die Höhe jagt und die politischen Entscheidungsträger hinterherhecheln läßt, sollte ja auch eine Antwort auf die Bedrohung aus dem Osten sein. Der Einzelpreis für einen Jäger 90 beträgt nach neueren Berechnungen schlanke 135 Millionen DM. Nun, die Bedrohung ist weg, aber Politiker und Militärs versuchen, zu retten, was jedenfalls aus rational nachvollziehbaren Gründen nicht zu retten ist.
830 Millionen DM sind nächstes Jahr für die Erforschung des Jäger 90 vorgesehen. Stellen wir doch jetzt dem einmal das gegenüber, was beispielsweise die neue Ausländerbeauftragte für die Arbeit in ihrem Bereich erhält, der die öffentliche Diskussion derzeit in Atem hält: Da wird gefeiert, daß dieser Etat von 100 000 DM auf 500 000 DM heraufgesetzt wird und sie künftig mit 16 Mitarbeitern den Rassismus in diesem Land bekämpfen soll. Der Göttinger Ausländerbeirat z. B. muß mit nur 70 000 DM in einem Jahr auskommen. Und zehn Flugblätter einer örtlichen Initiative gegen Fremdenhaß kosten rund 5 000 DM, die in der Regel nur durch Spenden aufgebracht werden können. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, die 830 Millionen DM Forschungsgelder für den Jäger 90 im Jahre 1992 würden der Arbeit gegen Rassismus und der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen zugute kommen. Ich bin überzeugt, wir hätten hier ziemlich schnell eine andere Situation. Aber zu solchen Schritten soll es eben nicht kommen.
Die Bundeswehr steht vor der größten Umstrukturierung seit ihrer Gründung; sie selbst bezeichnet es als größte Herausforderung. Der Kollege Lamers hat ja gerade erst wieder mit unerfreulicher Deutlichkeit gesagt, worum es ihm und seinen Gesinnungsgenossen geht.
({2})
Er will, daß die Bundeswehr auch in Jugoslawien eingesetzt wird, und sieht keine Hinderungsgründe - nicht einmal historische.
Nein, was uns hier als Kosten für die Umstrukturierung der Bundeswehr verkauft wird, ist nichts anderes als die Kosten für eine Modernisierung, die die Bundeswehr in die Lage versetzen soll, international einzugreifen. Das deutsch-französische Korps ist als möglicher Kern einer weltweit operierenden Eingreiftruppe gedacht.
({3})
Herr Klose hat bereits heute morgen nachgefragt, welche Aufgaben dieses Korps übernehmen soll. Die Antwort ist bislang ausgeblieben.
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Die Bestrebungen, solche Bundeswehreinsätze über die WEU oder andere internationale Organisationen zu ermöglichen, die Vorstöße, den Vertrag über die Politische Union zugleich als Freiticket für Outof-area-Einsätze der Bundeswehr zu nutzen, sprechen Bände. So meint doch Herr Lamers, die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische Politische Union werde das Problem lösen. Der Verteidigungsbegriff des Vertrages orientiere sich nämlich an der UN-Charta und nicht an der Einschränkung des Grundgesetzes.
Was dieser Verteidigungsbegriff allerdings beinhaltet, wurde uns zu Beginn dieses Jahres in aller Brutalität und Grauenhaftigkeit vor Augen geführt. „Je mehr ihr schwitzt, um so weniger blutet ihr im Kriege", so General Schwartzkopf zu seinen Jungs im Golfkrieg. Das ist der finstere, aber reale Kern dessen, was sich hinter all den schönen Worten von „europäischer Sicherheitsarchitektur", „europäischen NATO-Pfeilern" und „institutionalisierter Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas" verbirgt.
Es wäre sinnvoller, den Einzelplan 14 in einen Konversionsplan umzuwidmen, Gelder für eine sozialverträgliche Konversion auszugeben. Unter einer derartigen Konversion ist aber nicht zu verstehen, daß die Bundeswehr „humanitäre Aufgaben" übernimmt. Dieser Vorschlag wurde von den dafür zuständigen Organisationen zu Recht mit wenig Begeisterung aufgenommen. Wozu zivile Aufgaben an das Militär übertragen, wenn es doch mehr als genug zivile Organisationen gibt, die sich um solche Aufgaben kümmern und die froh wären, wenn sie mehr finanzielle Unterstützung bekommen würden? Da also diese Infrastruktur bereits existiert, könnte man Gelder aus dem Einzelplan 14 abziehen und diesen Organisationen zuführen. Dann könnten diese Menschen für ein vernünftiges Einkommen arbeiten. Soziale Tätigkeiten sollten jedoch keineswegs unter militärische Kuratel gestellt werden; denn wer hilft, hilft lieber freiwillig und hat auch das Recht, davon leben zu können.
Die Bevölkerung in diesem Lande, insbesondere in den neuen Bundesländern, würde tiefgreifende Einsparungen im Rüstungshaushalt nicht nur mittragen, sondern auch begrüßen. - Es ist ja immer eines Ihrer Argumente, daß Sie sagen, das werde nicht mitgetragen. In diesem Fall stimmt es auf keinen Fall.
Die Streichungsanträge der SPD gehen sicherlich in diese Richtung, wenn auch aus unserer Sicht nicht weit genug. Wir sind allerdings auch der Auffassung, daß die Anträge der SPD nur dann glaubwürdig sein
können, wenn in der politischen Debatte nicht gleichzeitig ganz andere Töne mitschwingen.
Jetzt wurde den Blauhelmtruppen das Jawort gegeben. Die gesamte Friedensbewegung hat prognostiziert, daß es dabei nicht bleiben wird.
Ich frage nur einmal nach: Trifft es zu, was Herr Engholm sagt, nämlich daß die Stimmung in der SPD zugunsten eines Ja zu UNO-Kampfeinsätzen mit deutscher Beteiligung langsam wächst?
({5})
Und ist die Äußerung Ihres frischgewählten Fraktionsvorsitzenden Klose Signal, wonach die vorbehaltlose Unterschrift bei der Begründung der UNO-Mitgliedschaft auch zur Beteiligung an allen UNO-Einsätzen berechtige? Wir fragen nur nach, weil wir ein Interesse daran haben, genau diese Entwicklung mit Ihnen zu verhindern.
({6})
Meine Damen und Herren, auf der einen Seite das Wort „Frieden" in den Mund zu nehmer - das betrifft die Bundesregierung - und auf der anderen Seite die eigene Kriegsbefähigung vorzubereiten, auf der einen Seite Abrüstungsparolen fernsehgerecht zu verbreiten und auf der anderen Seite am Projekt Jäger 90 verbissen festzuhalten, sich auf der einen Seite angeblich um den Frieden in der Welt verdient zu machen und auf der anderen Seite gleichzeitig Rüstungsexporte nicht nur nicht einzudämmen, sondern durch die eigenen Geheimdienste sogar noch zu befördern, das nennt sich wirklich Unglaubwürdigkeit.
Wir lehnen den Einzelplan 14 wie auch all die Haushaltsposten ab, die mit Militär zu tun haben.
Ich bedanke mich.
({7})
Nun hat der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele das Wort.
Lieber Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal betonen, daß ich mich auf eine lebhafte Auseinandersetzung gefreut hatte. Aber nachdem ein großer Teil der Haushaltsausschußmitglieder der SPD gerade bei diesem Thema den Raum verlassen hat, wird das wahrscheinlich nicht der Fall sein.
({0})
Auf Grund der Wortmeldung der Kollegin Lederer möchte ich diese Gelegenheit nutzen, erst einmal der Bundeswehr für ihren friedlichen Einsatz den Dank auszusprechen.
({1})
Denn die Bundeswehr war im Gegensatz zu der NVA defensiv ausgerichtet - nicht offensiv - , ebenso wie die NATO im Gegensatz zum Warschauer Pakt. Ich wäre Ihnen dankbar, Frau Kollegin Lederer, wenn Sie auch dies zur Kenntnis nehmen könnten.
({2})
Nach den vorbereiteten Berichterstattergesprächen im Bundesministerium der Verteidigung war mir klar, daß die SPD den Etat des Verteidigungsministers in dieser ersten Lesung für den Versuch nutzen würde, sich gegenüber der Koalition zu profilieren. Es soll in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, daß die SPD die Zeichen der Zeit besser erkannt hätte und friedliebender als die Koalition wäre; denn anders sind die teilweise äußerst unseriösen Sparvorschläge in einer Größenordnung von nicht 4 Milliarden DM, Herr Kollege Jungmann, sondern von 3,3 Milliarden DM überhaupt nicht zu erklären.
({3})
- Gegen Zwischenfragen habe ich nichts einzuwenden.
Lassen Sie mich beispielhaft nur auf einen Punkt eingehen. Im Haushaltsplan sind an Entwicklungskosten für den Jäger 90 - ({4})
- Ich glaube, Herr Jungmann möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Abgeordneter, dann haben wir Sie mißverstanden. Sind Sie also bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Ja.
Herr Kollege Thiele, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ausgaben für militärische Beschaffung nicht nur in Einzelplan 40, sondern auch in Einzelplan 60 etatisiert sind?
({0})
- Aber wahrscheinlich hat Herr Thiele den Antrag nicht richtig gelesen. Denn dort stehen immer noch 500 Millionen DM - 120 Millionen DM haben Sie ja Gott sei Dank gestrichen; aber auch das ist zuwenig. Und wenn Sie 3,5 Milliarden und 0,5 Milliarden zusammenzählen, dann kommen 4 Milliarden heraus.
Herr Kollege Jungmann, ich wollte das eben beantworten. Ich habe mir diese beiden Anträge der SPD sehr genau angesehen. Da ist zum einen der Antrag zum Jäger 90, zum anderen der Gesamtantrag, der u. a. auch den Ansatz des Jäger 90 enthält.
({0})
- Aber nein, im ersten steht er nicht. Dazu komme ich gleich.
({1})
- Daran kann ich doch nichts machen. Ich stimme dem aber nicht zu, Herr Horn.
Jetzt möchte ich aber die Zwischenfrage beantworten. Ich habe die Zahlen Ihres Antrages addiert. Ich komme auf 2,83 Milliarden DM plus - das ist der
Ansatz für den Jäger 90 - 830 Millionen DM; das sind in der Summe 3,663 Milliarden DM.
({2})
- Mir liegt Ihr Antrag vor; da steht es drin. Ich habe die Zahl Ihres Antrages nachgerechnet.
({3})
Die Koalitionsfraktionen haben im Haushaltsausschuß Einsparungen in einer Größenordnung von 376 Millionen DM vorgeschlagen. Wenn Sie diese berücksichtigen, dann bringt Ihr Ansatz - den können Sie nicht mit dem Regierungsansatz vergleichen; vielmehr müssen Sie das nehmen, was im Parlament beschlossen werden wird - gegenüber dem Ansatz, der hier beschlossen werden wird, eine Einsparung in Höhe von 3,287 Milliarden DM. Insofern klingen 4 Milliarden zwar flotter, gehen aber leider an der Sache vorbei.
Ihre Ausführungen zum Jäger 90 gehen ohnehin an der Sache vorbei. Darauf komme ich jetzt noch. Denn wie wollen Sie mir erklären, man könne momentan aus dem Projekt aussteigen, ohne auch nur eine Mark bezahlen zu müssen? Das ist mir unbegreiflich. Denn Verträge sind zu halten; das ist allgemeine Rechtsgrundlage und im politischen Bewußtsein dieses Hauses verankert. Ich bin sehr überrascht darüber, daß sich die SPD in dieser Diskussion von dem erwähnten Rechtsgrundsatz entfernt.
({4})
Eine weitere Zwischenfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Horn.
Herr Kollege, Sie schneiden ein wichtiges Thema an. Aber sind Sie nicht der Auffassung, daß sich eine Partei oder eine Fraktion, die lange vor diesem Projekt gewarnt hat, nicht durch eine einseitige Entscheidung der Regierung, die dieses Projekt durchgeboxt hat, ins Obligo nehmen lassen kann, wenn man sieht, daß dieses eine Fülle von Problemen finanzieller Art nach sich zieht, die kaum noch zu bewältigen sind?
Herr Horn, ich hatte ja gestern die Freude, Sie persönlich kennenzulernen.
({0})
- Ja, das war eine Freude, weil Herr Horn ausdrücklich der Privatisierung von Wohnungen in den neuen Bundesländern zugestimmt hat. Das hatte ich gefordert. Insofern war das eine einzige Freude.
({1})
Ich möchte Ihnen sagen: Ich habe Verständnis dafür, daß Sie sich nicht ins Obligo nehmen lassen wollen. Aber haben Sie bitte auch Verständnis dafür, daß ich dann sagen muß: Solange die Verträge geschlossen sind, können Sie zwar deklaratorisch sagen, daß Sie das lieber nicht hätten, aber Sie sind wohl nicht in der Lage zu sagen, daß wir dafür keinen Haushaltsansatz bräuchten.
Ich könnte mir durchaus vorstellen: Da die Entwicklung fast am Ende ist, ist derzeit ein Ausstieg aus der Entwicklung möglicherweise sogar teurer als ein Fortführen der Entwicklung.
({2})
Dazu gibt es entsprechende Gutachten des Bundesrechnungshofes. Die habe ich mit.
({3})
- Gut, aber wir haben zumindest dahingehend einen Konsens, daß auch Sie der Auffassung sind, daß man diese Streichung zwar deklaratorisch fordern kann, daß man aber faktisch das Geld dennoch bezahlen muß. Insofern wäre ich erfreut, wenn die SPD das auch in dieser Deutlichkeit sagen könnte.
({4})
Für die FDP möchte ich an dieser Stelle erklären, daß wir die positiven Veränderungen in der Welt, die durch die deutsche Einheit hervorgerufen wurden, begrüßen. Wir sehen diese Veränderungen als glückliches Ergebnis einer von der sozialliberalen Koalition - zunächst unter Außenminister Walter Scheel und dann fortgeführt von Hans-Dietrich Genscher - eingeleiteten Entwicklung einer Öffnung der Grenzen zum Osten. Nach meiner innersten Überzeugung muß unsere Politik - und gerade die Sicherheitspolitik - derzeit aber eine vorsichtige Ostöffnung unter Beibehaltung unserer Westbindung unternehmen.
Wie Sie wissen, haben wir auf unserem Bundesparteitag in Suhl ausführlich über die Wehrpflicht debattiert. Angesichts der nahezu täglichen Veränderungen in der Welt haben wir es für richtig gehalten, die Diskussion zu diesem Thema zunächst parteiintern weiterzuführen und dabei die Veränderungen, die sich derzeit in einem rasanten Tempo in der Welt vollziehen, zu beobachten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle alle davor warnen, kurzfristig Festlegungen zu treffen; denn es könnten auch Festlegungen in eine falsche Richtung sein.
({5})
Der Anteil der Verteidigungsausgaben ist zunächst von der Regierung gemäß der Koalitionsvereinbarung um 1,5 Milliarden DM abgesenkt worden. Durch die hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst für die Lohnrunde 1991 sind die Kosten - die Hälfte davon sind Personalkosten - in diesem Etat um fast 1,5 Milliarden DM gestiegen. Der Regierungsentwurf sah deshalb einen sinkenden Ansatz von „nur" 35 Millionen DM vor. Durch die Arbeit des Haushaltsausschusses wurde - vorbehaltlich der Zustimmung dieses Hauses, die ich vermute - eine Reduzierung um weitere 376 Millionen DM und damit um mehr als 400 Millionen DM erreicht.
Ohne Berücksichtigung der Mehrkosten für die Lohnrunde 1991 würden damit die Verteidigungsausgaben um 3,6 % sinken. Damit sinkt der Gesamtanteil der Verteidigungsausgaben - gemessen an den gesamten Bundesausgaben, wie Herr Kollege Strube das
auch schon dargestellt hat - gegenüber 1991 von 12,8 auf 12,3 %. Meine Damen und Herren, ich habe den festen Eindruck, daß in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt ist, daß dies der niedrigste Anteil eines Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt seit 1956 ist.
({6})
- Ich habe ja auch bestätigt, daß der Herr Kollege Strube das gemacht hat. Da Sie dem zustimmten, Herr Jungmann, freue ich mich, daß die SPD das wohl ähnlich sieht.
Kurzfristig wird schon Mitte der 90er Jahre der Anteil des Verteidigungshaushalts an dem Gesamtetat auf unter 10 To sinken.
Lassen Sie mich nun zu dem Etat des Verteidigungsministers einige Punkte konkret ansprechen. Als ich am 1. und 2. Oktober dieses Jahres zu dem Berichterstattergespräch auf der Hardthöhe war, wurde unter Kapitel 1418 - Schiffe und Marinegerät - die beabsichtigte Beschaffung von U-Booten angesprochen, die in dem Regierungsentwurf nicht enthalten ist. Während die Begründung für die Beschaffung der U-Boote gegeben wurde, war an den Gesichtern der Inspekteure für das Heer und die Luftwaffe unschwer zu erkennen, daß zumindest diese Teilstreitkräfte mit dem neuen Beschaffungsvorhaben - um es gelinde zu sagen - erhebliche Bauchschmerzen hatten.
({7})
Wir haben uns dann während der Berichterstattergespräche darauf geeinigt, daß der Verteidigungsminister diesen Punkt zunächst zurückstellen, ihn im eigenen Haus abklären und dann mit einer Vorlage, die mit dem Finanzminister abgestimmt ist, wieder in den Haushaltsausschuß kommen sollte.
Im Rahmen der Vorbereitung des Haushalts innerhalb unserer Fraktion wurde dieser Punkt dann von uns Haushältern angesprochen. Die FDP-Fraktion beschloß daraufhin, für 1992 keine Mittel für die Beschaffung eines solchen U-Bootes bereitzustellen, weil zu diesem Zeitpunkt die Planung über die zukünftige Rolle der Bundeswehr noch nicht abgeschlossen war. Sie ist auch heute noch nicht abgeschlossen.
Ich hatte diese Position innerhalb unserer Fraktion damit begründet, daß der Verteidigungsetat schon jetzt Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 16,7 Milliarden DM enthalte; davon entfielen allein auf den Beschaffungstitel Schiffe 2,9 Milliarden DM.
Durch eine Hereinnahme der Mittel für U-Boote wäre diese Verpflichtungsermächtigung nur in diesem Teil um das Doppelte gestiegen. Das hätte meiner Ansicht nach den Handlungsrahmen des Verteidigungsministers für die Zukunft bei der Überlegung, wie die neue Bundeswehr aussieht, in unzulässiger Weise eingeschränkt. So argumentierte ich seinerzeit.
In der Vorbereitung der Bereinigungssitzung erhielten wir dann entsprechende Papiere seitens des Verteidigungsministers, die vorsahen, die Mittel für
Minenjagdboote aus dem Einzelplan 14 herauszunehmen und in den Einzelplan 60 einzustellen. Ferner sollten Personalausgaben um weitere 120 Millionen DM reduziert werden. Hierdurch wäre etwas Luft entstanden, und diese Luft sollte für die U-Boote genutzt werden.
Bei der Vorbereitung durch die Koalitionsabgeordneten wurde dann beschlossen, für die U-Boote keinen Baransatz für 1992 einzustellen und lediglich eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 2,5 Milliarden DM aufzunehmen. Diese Verpflichtungsermächtigung wurde dann allerdings noch qualifiziert gesperrt.
Als kurz vor der Sitzung des Haushaltsausschusses der Antrag der Haushaltsgruppe von CDU/CSU und FDP als 41. Ergänzung zu der Ausschußdrucksache 12/500 vorlag, stellte ich fest, daß trotz einer Hereinnahme von 2,5 Milliarden DM als zusätzliche Verpflichtungsermächtigung der Ansatz der Verpflichtungsermächtigungen um 91 Millionen DM, also um fast 100 Millionen DM, reduziert war.
Mir leuchtete nicht ein, daß man eine zusätzliche Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 2,5 Milliarden DM in den Haushalt hineinnimmt und im Ergebnis trotz dieser Hereinnahme ein Weniger von rund 100 Millionen DM in den Verpflichtungsermächtigungen zu finden war. Üblicherweise hätte ich erwartet, daß diese Ungereimtheit auch den Vertretern der Regierung aufgefallen wäre. Ich gehe allerdings auch davon aus, daß den Vertretern der Regierung diese Ungereimtheit zu diesem Zeitpunkt bekannt war.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich auf die Gewaltenteilung innerhalb unseres Staates und die besondere Rolle des Haushaltsausschusses gegenüber der Bundesregierung eingehen. Die Regierung hat Entscheidungen des Parlamentes vorzubereiten und getroffene Entscheidungen des Parlamentes auszuführen.
({8})
Vor allem ist es die Pflicht der Regierung gegenüber den Abgeordneten, wahrheitsgetreue Vorlagen zu fertigen.
Ich habe dann diesen Punkt im Haushaltsausschuß angesprochen. Zunächst wurden blumige und weitschweifende Erklärungen über irgendwelche Zusammenhänge abgegeben. Nachdem aber weiter gebohrt wurde, gab der Haushaltsdirektor des Finanzministeriums nach einem längeren Zeitraum ehrlicherweise zu, daß man sich verrechnet habe.
({9})
Auf Grund dessen sei eine Verpflichtungsermächtigung im Haushalt von etwa 2,5 Milliarden DM enthalten gewesen, die nicht im Haushaltsplan hätte enthalten sein dürfen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, Herr Jungmann, daß Fehler gemacht werden können. Gerade wer als Abgeordneter, der mit dem Haushalt zu tun hat, erlebt, mit welchen Vorlagen man kurzfriCarl-Ludwig Thiele
stig kommt und was die Verwaltung auch leisten muß, der hat Verständnis für Fehler. Völlig klar.
Ich habe diesen Punkt dem Deutschen Bundestag allerdings deshalb vorgetragen, um deutlich zu machen, daß es nach meinem Selbstverständnis als Parlamentarier nicht hinzunehmen ist, daß dann, wenn die Regierung einen Fehler in dieser Größenordnung entdeckt - es handelt sich immerhin um 2,5 Milliarden DM - , dieser nicht zugegeben und nicht im vorhinein gegenüber uns Abgeordneten klargestellt wird, sondern daß dieser Fehler mühsam gegen Widerstände erfragt und aufgearbeitet werden muß.
({10})
Ein solches Verhalten ist nach meiner Auffassung nicht dazu angetan, das Vertrauen des Parlamentes gegenüber der Regierung und in diesem Fall gegenüber dem entsprechenden Ministerium zu festigen.
({11})
Sehr verehrte Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem es einen Dissens zwischen dem Verteidigungsminister und der FDP-Fraktion gibt. Dieser Punkt bezieht sich auf die Reduzierung der Bundeswehr und auf die Frage des „Wie". Daß die Bundeswehr reduziert wird, ist ausdrücklich zu begrüßen und von uns allen gewollt. Dieser mutige Schritt des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers - wir erinnern uns: in der ersten Phase der KSE-Verhandlungen wurde gesagt, wir können eventuell auf 420 000 heruntergehen; im Kaukasus wurde dann von beiden erklärt, wir sind bereit, eine Vorleistung zu bringen und freiwillig auf 370 000 Mann zu reduzieren - war ein entscheidender Punkt für das Zustandekommen der Zustimmung zu der deutschen Einheit. Insofern ist das nur zu loben.
({12})
In der Frage, wie der Personalhaushalt der Bundeswehr reduziert werden soll, gibt es allerdings Unterschiede zwischen der FDP-Fraktion einerseits und dem Bundesverteidigungsminister andererseits. Zum Haushalt 1991 hat der Haushaltsausschuß einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen, den der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Rudi Walther, jüngst als „Thiele-Papier" bezeichnet hat.
Dieser Entschließungsantrag beschäftigte sich im wesentlichen mit drei Elementen; zum einen mit der Frage: Wie soll innerhalb der reduzierten Bundeswehr das Verhältnis zwischen Berufs- und Zeitsoldaten einerseits und Wehrpflichtigen andererseits aussehen? Der Entschließungsantrag hatte zum anderen die Frage zum Gegenstand: Wie soll der zukünftige Stellenkegel innerhalb der Bundeswehr aussehen? In dem Entschließungsantrag wurde schließlich die Frage gestellt: Wie soll das Verhältnis zwischen Soldaten zu Zivilbeschäftigten zukünftig aussehen?
({13})
Auch wenn dieser Beschluß des Haushaltsausschusses kurzfristig entstand und wirklich in der Eile - das muß ich ausdrücklich einräumen - formuliert
wurde, so ist er immer noch hervorragend geeignet, auf der Grundlage der erwähnten drei Elemente die Frage nach der zukünftigen Struktur der Bundeswehr zu erörtern. In unseren fraktionsinternen Beratungen, die wir daraufhin vorgenommen haben, wurde festgestellt, daß dieser Antrag des Haushaltsausschusses die dringend erforderliche Verbesserung der Führungs- und Ausbildungsstruktur der Bundeswehr nicht enthielt.
Der Beschluß wurde dann in einer Arbeitsgruppe, der die Kollegen Nolting und Hoyer angehörten - für die Arbeit in dieser Arbeitsgruppe möchte ich mich an dieser Stelle bei den Kollegen ausdrücklich bedanken - , mehrfach so geändert, daß die sogenannte Führerdichte, d. h. ein besseres Verhältnis von Ausbildern zu Auszubildenden, in diesen Beschluß aufgenommen wurde.
({14})
- Herr Jungmann, hören Sie doch bitte zu, was ich sage, was natürlich schlecht geht, wenn man sich zwischendurch unterhält.
({15})
Da die wesentlichen Kritikpunkte des Verteidigungsministers von der FDP berücksichtigt wurden, hoffe ich, daß wir in dieser Frage zu einem Konsens in der Koalition auf der Basis des FDP-Papieres gelangen.
Für die FDP-Fraktion möchte ich dem Deutschen Bundestag ausdrücklich empfehlen, diesem Etat zuzustimmen.
Ich bedanke mich.
({16})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Jungmann das Wort.
Herr Kollege Thiele, sind Sie bereit, unseren Änderungsantrag zur Hand zu nehmen und zu bestätigen, daß auf Seite 4 dieses Antrags gefordert wird, in Kap. 6007 die Ausgaben in Tit. 554 01 auf 64 Millionen DM herabzusetzen, und daß dort nicht gefordert wird, die entsprechenden Ausgaben um 64 Millionen DM zu kürzen? Das heißt von 500 Millionen DM soll um 436 Millionen DM auf 64 Millionen DM gekürzt werden. Die Rechnung, wie wir dann auf 4,033 Milliarden DM kommen, kann ich Ihnen ja draußen einmal aufmachen.
Nun erteile ich dem Abgeordneten Kolbow das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Jungmann hat überzeugend dargelegt, daß der Entwurf des Verteidigungshaushalts für das Jahr 1992 ein Dokument der Führungsschwäche ist. Daran konnten auch die bedächtigen Ausführungen des Kollegen Strube und die bemühten und teilweise sehr interes5070
santen Ausführungen des Kollegen Thiele nichts ändern;
({0})
denn dieser Entwurf wird den tiefgreifenden Veränderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht gerecht. Er läßt nicht einmal, Herr Bundesminister, ansatzweise Antworten auf die Fragen nach der Zukunft der Bundeswehr erkennen.
Noch viel weniger liegt ihm ein längerfristiges ausgewogenes Konzept für die Streitkräfte der Jahrtausendwende zugrunde. Dabei wissen wir alle, wie dramatisch sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen geändert haben.
({1})
Dabei darf - Sie sind doch immer mit dabei, Herr Kollege Nolting - eben nicht mehr nur verwaltet und Bestehendes fortgeschrieben werden, sondern es müssen neue Akzente und Schwerpunkte gesetzt werden. Es darf nicht nur eine Schrumpfkur vorgenommen werden, sondern die Devise muß lauten: Reform, ja Neubegründung unserer Streitkräfte.
({2})
Der Verteidigungsetat 1992 und dieser Minister garantieren beides nicht. Die politische Führung der Hardthöhe hat offensichtlich nicht mehr die Kraft, notwendige Richtungsentscheidungen zu fällen. Sie hat versagt. Die Entwicklung einer neuen Sicherheitspolitik und Militärstrategie in Deutschland, in Europa und im Bündnis, die drastische Verringerung der Umfangszahlen der Streitkräfte, deren Neustrukturierung für die gegenwärtigen und künftigen Aufgaben, die Bewältigung der Abrüstungsfolgen, die Standorte und Rüstungskonversion werden im Haushaltsentwurf gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Auch das hat Kollege Jungmann überzeugend dargelegt.
Im Gegenteil: An den bisherigen Rüstungs- und Ausrüstungsprogrammen wird im wesentlichen unverändert festgehalten.
({3})
Der zu Recht historisch genannte positive Umbruch in Europa darf nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion eben nicht spurlos am Verteidigungsetat und an den deutschen Streitkräften vorübergehen.
({4})
Den meisten Bürgerinnen und Bürgern geht es eben nicht in den Kopf, daß der Verteidigungsetat trotz Wegfalls der konkreten massiven Bedrohung der zweitgrößte Einzelhaushalt bleiben soll. Da ändern auch die Verhältnisrechnungen, die Sie anstellen, nichts; denn eine Mark dafür ist weiterhin eine Mark, und 52,5 Milliarden DM bleiben 52,5 Milliarden DM.
({5})
Wir behaupten, daß man durch gezielte, die Sicherheit nicht ein Jota berührende Maßnahmen sofort über 4 Milliarden DM sparen und die Verteidigungsausgaben unter 50 Milliarden DM senken könnte. Unser Entschließungsantrag stellt darauf ab. Sie sind herzlich eingeladen, sich zu korrigieren und dabei mitzuwirken, auch auf Grund der in diesem Teil interessanten Ausführungen des Kollegen Thiele.
({6})
- Wie immer freue ich mich - auch weil es mir die Möglichkeit gibt, länger hier zu verweilen - , den Kollegen Nolting mit einer Zwischenfrage zu hören.
Dann wollen wir einmal hören, was er fragt.
Herr Kollege Kolbow, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß im Einzelplan 14 ca. 50 % für Personalausgaben, ca. 25 % für Betriebsausgaben ausgewiesen sind, daß in diesem Haushalt mehr als 2 Milliarden DM sachfremde Ausgaben ausgewiesen sind, und wären Sie bereit, auch das noch einmal zu bestätigen, was Herr Kollege Thiele erwähnt hat, daß die Gehaltserhöhung für 1991 mit 1,3 Milliarden DM ausgewiesen ist?
Ich bin nicht nur bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr würde uns dies zusammengenommen - das war auch unsere gemeinsame Bemühung im Verteidigungsausschuß, was die sachfremden Ausgaben angeht - erlauben, netto zu noch geringeren als den von mir gerade dargelegten Summen zu kommen. Daran wollen wir weiter arbeiten. Aber Sie müssen auch bei uns in der Richtung, wie ich es gerade ausgeführt habe, mithelfen. Da ist Ihnen noch ein bißchen Nachhilfeunterricht zu erteilen.
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Dies gilt natürlich auch in Richtung des Bundesministers der Verteidigung; denn, Herr Dr. Stoltenberg, mit Methoden der 50er Jahre sind die Herausforderungen am Ende dieses Jahrhunderts natürlich nicht zu bewältigen. Diese Erkenntnis bricht sich auch in der Fraktion der CDU/CSU mehr und mehr Bahn, in der einige Kollegen versucht haben, das politische Vakuum auf der Hardthöhe mit eigenen Vorstellungen und Vorschlägen zu füllen. Ganz offensichtlich ist auch Ihre Geduld, meine Damen und Herren, mit dem Verteidigungsminister am Ende,
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so daß Sie Anfang Oktober die Notwendigkeit sahen, mit einem umfassenden Themen-, Thesen- und Forderungspapier zur Zukunft der Bundeswehr im nächsten Jahrzehnt an die Öffentlichkeit zu gehen. Dies zeigt Ihre tiefe Unzufriedenheit über die Untätigkeit des eigenen Verteidigungsministers.
Bei dieser Haltung sind die Leidtragenden in erster Linie die Soldaten. Auf die Fragen nach dem Sinn ihres Dienstes bleiben sie weitgehend ohne Antwort, wie auch der Wehrbeauftragte in der Debatte über seinen Jahresbericht 1990 kürzlich feststellte. Die fehlende Marschrichtungszahl, die er genannt hat, sei Ihnen noch einmal ins Gedächtnis gerufen.
Die SPD hat den Verteidigungsminister seit langem - leider erfolglos - aufgefordert, den Auftrag für die Streitkräfte neu zu bestimmen, die Rolle von Streitkräften im geeinten Deutschland neu festzulegen
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und das Berufsbild des Soldaten neu zu beschreiben. Nichts von alledem ist bislang geschehen.
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Was soll man aber auch von einem Minister erwarten, dessen Maxime „Nichtwissen ist Macht" zu sein scheint? Denn unter dieser Überschrift ließe sich die Affäre um die ungenehmigten Waffenlieferungen nach Israel wohl am besten zusammenfassen.
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Wie gut, daß es Medien gibt, damit der Minister wenigstens erfährt, was in der Bundeswehr geschieht.
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- Das ist, wie schon vorhin, sein Pech. Aber wir sind es ja vom Herrn Bundesminister gewöhnt, daß er, wenn es darauf ankommt, nicht unbedingt aufmerksam ist.
Welche Auswirkungen die derzeitige Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft der Streitkräfte hat, zeigen
- da werden Sie mir alle zustimmen - die weiter sinkenden, unzureichenden Freiwilligen-Zahlen; sie sind ein deutliches Warnsignal. Wenn nicht bald entscheidend entgegengesteuert wird, verliert die Bundeswehr mehr und mehr an Akzeptanz in der Bevölkerung.
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Diese Entwicklung erfüllt uns mit Sorge. Denn wie groß und wie ausgerüstet sie auch immer sein mögen: Wir werden weiterhin Streitkräfte zur Verteidigung und zur Sicherung unserer Politik- und Bündnisfähigkeit brauchen, Streitkräfte, die wir in die zukünftigen europäischen Sicherheitsstrukturen, in ein gesamteuropäisches kollektives Sicherheitssystem als unseren Beitrag einbringen können. Das, Herr Kollege, ist sogar Programm der SPD. Aber das lesen Sie ja wie so vieles andere nicht. Deswegen fordere ich Sie noch einmal auf, Ihre Pflichtstudien zu absolvieren.
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Die neuen Aufgaben der Bundeswehr kann man aber nicht in erster Linie oder ausschließlich an der Frage von militärischen Einsätzen out of area - sei es im Rahmen der WEU oder unter der Flagge der Vereinten Nationen - festmachen, wie es die Regierungskoalition gar zu gerne tut. Dazu hat mein Fraktionsvorsitzender heute morgen die notwendigen Ausführungen gemacht. Auch die lohnt es sich nachzulesen.
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Dazu ist auch in der außenpolitischen Debatte etwas gesagt worden.
Ich muß aber in diesem Zusammenhang den Kollegen Wittmann als Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses ansprechen. Sie haben am 14. November gemeint, gegen Millionen Flüchtlinge aus dem Osten helfe nur eine einzige Organisation, nämlich die Bundeswehr,
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- ich zitiere - , „die bedauerlicherweise keinen Kampfauftrag hat".
({10})
Diese abenteuerlichen Vorstellungen schaden den Streitkräften sowohl im Inland als auch im Ausland.
Diese Ansicht haben Sie bei einer Buchbesprechung und bei einer Podiumsdiskussion in Anwesenheit des Kollegen Verheugen zum Ausdruck gebracht. Der Kollege Irmer war auch dabei.
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Dies nur zur Verdeutlichung von Positionen, die wir nicht hinnehmen können und gegen die wir auch im Plenum des Deutschen Bundestages sehr deutlich Stellung beziehen wollen.
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- Bitte schön, Herr Kollege Wittmann.
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich das nicht in einem Zusammenhang so gesagt habe, wie Sie das jetzt darstellen, nämlich in einem Satz?
({0})
Es waren zwei verschiedene Sätze. Würden Sie also zur Kenntnis nehmen, daß ich gesagt habe, daß die Bundeswehr in Zukunft nicht nur einen Kampfauftrag haben wird, sondern auch diesen humanitären Auftrag? Dann stimmt es nämlich.
Herr Kollege Wittmann, Sie werden uns sicherlich Gelegenheit geben, die Aussagen, die Sie gemacht haben, im Gesamtzusammenhang zu würdigen. Wenn der Gesamtzusammenhang so ist, wie Sie ihn jetzt darstellen, würde ich mich sehr freuen. Denn dann entfiele bei mir eine wesentliche Grundlage für Besorgnisse. Dann würde ich mich bei Ihnen in aller Form entsprechend äußern.
({0})
- Nein, da sind Sie nicht mehr auf dem laufenden. Ich
bin Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, Herr
Kollege Rose. Ich habe die Pflicht, das aufzunehmen,
was meiner Meinung nach an falschen und bedenklichen Aussagen gemacht wird.
({1})
Herr Abgeordneter Kolbow, Sie sind bereit, auch die Frage des Abgeordneten Schwarz zu beantworten? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Kolbow, wären Sie bereit, uns mitzuteilen, ob Sie sich auf eine gewissenhafte Quelle, etwa ein Manuskript, ein Tonband oder sonst etwas, stützen können, und glauben Sie, wenn das nicht der Fall ist und Sie das so, wie dargestellt, vom Kollegen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses entgegennehmen, daß Sie Ihren Fraktionskollegen Verheugen dazu bewegen können, sich für diese ziemlich unglaubliche Äußerung zu entschuldigen?
Das ist keine unglaubliche Äußerung. Ich habe hier ein Blatt Papier mit der entsprechenden Meldung. Das werde ich dem Kollegen Wittmann dann übergeben. Ich habe keinen Anlaß gehabt, an dieser Meldung zu zweifeln. Ich werde das dann so regeln, wie ich das gerade dem Kollegen Dr. Wittmann vorgeschlagen habe.
({0})
Dann kann der Kollege Wittmann diese mir schriftlich vorliegende Quelle entsprechend behandeln. Wir können das noch in dieser Sitzung mit einer entspechenden Erklärung von ihm regeln. Ich habe aber keinen Anlaß gehabt, an dieser
({1})
- nein, nein, beruhigen Sie sich - Quelle zu zweifeln.
({2})
Wenn Sie mir jetzt die Gelegenheit geben, meine Rede zu vollenden, darf ich Ihnen in aller Deutlichkeit meine Position dazu darlegen.
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- Das hat der Herr Präsident sicherlich nicht gehört.
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Aber ich habe es gehört.
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Wir kämen sicherlich zu einer neuen Bewertung, wenn hier Äußerungen aus dem Zoo oder offensichtlich aus der bayerischen Stammtischpolitik gebraucht würden.
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Ich glaube, diese Angelegenheit ist mit der Entschuldigung erledigt. Ich bitte, in der Rede fortzufahren.
Ich will in der mir verbleibenden Zeit noch kurz auf die Problematik des Jägers 90, die zu Recht angesprochen worden ist, eingehen. Ich will Ihnen ganz einfach sagen, daß Sie mit der deklaratorischen Argumentation, die Sie von 1988, vom Eintritt in die Entwicklungsphase - allerdings mit der für uns verbindlichen Forderung, die Entwicklungsphase überhaupt nicht einzuleiten - bis heute verfochten haben, recht haben. Aber ich sage Ihnen auch aus der Erfahrung des Tornado-Untersuchungsausschusses von 1981 - hier sitzen einige, die dort mitgemacht haben - , bei dem ich Berichterstatter war, daß die Kollegen Hirsch, Baum und andere ihrer Fraktion völlig recht haben, wenn sie sagen, sie hätten kein Zutrauen in die reale Entscheidungsfreiheit des Bundestages, wenn die Entwicklung des Flugzeuges einmal abgeschlossen sein werde. Es sei zu befürchten, daß der sogenannte Sachzwang so groß sein werde, daß mit der Produktion begonnen werde. Armutsbekämpfung müsse Vorrang vor Militäroptionen haben. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Etatentwurf ablehnen. Wir meinen, daß er keine dem revolutionären Umbruch adäquate Antwort ist.
({1})
Er ist Ausdruck mangelnden Realitätssinns. Wir meinen, der Verteidigungsetat ist völlig umzubauen, und bringen dazu unsere Anträge in zweiter und dritter Lesung ein.
Die Ziele sind: Zweckmäßigkeit für die Auftragserfüllung der Streitkräfte, politische Wirksamkeit durch Sicherstellen der Bündnisfähigkeit und öffentliche Akzeptanz. Diese Herausforderung müssen der Bundesminister der Verteidigung und die neue militärische Führung - der ich für ihre Aufgabe, wo immer sie sie zu erledigen hat, alles Gute und viel Glück wünsche - annehmen, wenn unsere Streitkräfte - Sie haben ja jetzt Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, Herr Bundesminister - nicht bleibenden Schaden nehmen sollen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})
Zu einer Kurzintervention erteilte ich dem Abgeordneten CarlLudwig Thiele das Wort.
Herr Kolbow, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich auf die Zwischenfrage von Herrn Horn erklärt habe, daß das Motiv, welches er vorgetragen hat, von mir anerkannt wird, daß es aber trotzdem nicht richtig ist, zu dem Ergebnis zu kommen, daß die Ansätze für die EntCarl-Ludwig Thiele
wicklung des Jäger 90 tatsächlich gestrichen werden können, weil einfach Verträge bestehen?
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben bisher viel Kluges, aber auch weniger Kluges zu diesem Haushalt gehört.
({0})
Zu dem weniger Klugen war die letzte Rede zu zählen.
Ich will zwei Dinge aufgreifen, zunächst die Sperre für die Militärhilfe an die Türkei. Wir haben sie nach langer Diskussion gemeinsam im Ausschuß beschlossen. Aber wir stehen nicht an, wenn die neue Regierung in der Türkei die entsprechenden Erklärungen abgibt, die 25-Millionen-Sperre nach Vorlage der Regierung wieder aufzuheben. Es hat eine Menge diplomatischer Initiativen gegeben. Welche türkischen Generalkonsuln sind in den letzten Tagen nicht alle bei uns gewesen? Insofern ist das, was wir erreichen wollen, durchaus schon eingetreten. Lassen Sie uns das also in aller Ruhe in absehbarer Zeit entsprechend korrigieren.
Zum zweiten: Ich will zu der ganzen Diskussion über den Jäger 90 etwas aus meiner ganz persönlichen, privaten Sicht sagen. Ich bin sicher, daß viele Kollegen das genauso sehen.
Erstens. Es ist doch unbestritten, daß wir Ende der 90er Jahre ein neues Flugzeug brauchen.
({1})
Zweitens. Mich ärgert gerade aus den Reihen des Haushaltsausschusses immer wieder die blöde Rechnerei von den 100 Milliarden DM, die das kosten würde.
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Das ist genauso, als wenn Sie sich einen Gebrauchtwagen für 25 000 DM kauften und sagten, er koste 150 000 DM. Wenn Sie ihn zehn Jahre fahren, die ganze Verzinsung und alle Betriebskosten, Öl und ähnliches, hinzurechnen, kommen Sie auf 150 000 DM.
So rechnen Sie die 100 Milliarden DM zusammen. Das ist unseriös, insbesondere bei Haushältern. Das muß Ihnen so einmal gesagt werden!
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Zum dritten haben wir hier eine 4-Länder-Vereinbarung.
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Meines Wissens sind die anderen Länder nicht bereit, da auszusteigen; das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen.
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Als letztes will ich Ihnen ein industriepolitisches Argument sagen, das zumindest mich überzeugt hat. Wie können wir zukünftig an unseren Universitäten noch Ingenieure in den Flugzeugwissenschaften ausbilden, wenn wir in Europa keine Flugzeuge mehr bauen?
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Für mich ist das ein Argument.
Lassen Sie mich jetzt ein paar Bemerkungen zum Personal in diesem Haushalt machen. Seit anderthalb Jahren bemüht sich die Hardthöhe, die Kaukasus-Beschlüsse umzusetzen, nämlich die Zielgröße von 370 000 Soldaten bis 1994 zu erreichen. Es ist kein falsches Pathos, wenn ich hier sage: Das ist die größte Herausforderung, die die Bundeswehr seit ihrem Aufbau vor mehr als drei Jahrzehnten zu bewältigen hat.
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Es stellen sich vier Aufgaben, die ich kurz auflisten will.
Zum einen ist es die Umgliederung auf neue Strukturen, die mit einem erheblichen Abbau in den alten Bundesländern einhergeht.
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Wer - auch von der Opposition - ist nicht alles in den letzten Monaten auf der Hardthöhe vorstellig geworden, um die Bundeswehrstandorte zu erhalten!
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Da haben doch plötzlich Leute ihr Herz für die Bundeswehr entdeckt, die wirklich überhaupt nichts mit der Truppe am Hut haben.
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Politiker aus meinem Bundesland, die man in Mutlangen noch hat wegtragen müssen,
({11})
waren plötzlich die glühendsten Verfechter der Bundeswehr.
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Ich verstehe auch nicht die Tränen, die hier über das angeblich mangelhafte Konversionsprogramm vergossen werden. Der Kollege Jungmann - ich sehe ihn jetzt nicht ({13})
hat völlig übersehen, daß wir die zahllosen Liegenschaften, die jetzt dort frei werden, mit Haushaltsvermerken verbilligen, gerade für die Ortschaften, in denen es Standorte gibt. Das ist die größte Verbilligungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Das alles trägt doch zur Überwindung dieser Konver5074
Hans-Werner Müller ({14})
sionslasten mit bei. Aber das alles wird hier nicht gesagt. Salopp ausgedrückt, bleibt bei der Bundeswehr derzeit kein Stein auf dem anderen.
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Zum zweiten will ich hier sagen, daß wir die Bundeswehr Ost mit 50 000 Soldaten einzugliedern haben. Die Standorte werden im Augenblick eingerichtet.
Zum dritten ist das Zivilpersonal, dessen Altersstruktur - die nicht besonders gut ist - wir durch viele Gutachten kennen, in seiner Größenordnung entsprechend anzupassen. Dies ist eine gewaltige Aufgabe.
Letztlich bringt es die gewachsene politische Bedeutung der Bundesrepublik mit sich, daß wir schon Überlegungen anstellen müssen, unter welchen Bedingungen deutsche Soldaten eventuell auch außerhalb unseres Territoriums einzusetzen sind.
({16})
Meine Damen und Herren, es wäre schon gut, wenn bei der Bewältigung dieses Aufgabenkatalogs, der sicher nicht vollständig ist, wir Politiker gemeinsam der Truppe zur Seite stehen würden. Sicherheit und Perspektive für unsere Soldaten und für die Zivilbediensteten sind jetzt gefordert. Je mehr wir das in diesem Hause gemeinsam erarbeiten, um so besser wird es sein.
Ich will die paar Parameter, die ich angesprochen habe, hier kurz erläutern. Zunächst einmal zu der Summe: Wir hatten in den Plänen für 1992 52,6 Milliarden DM vorgesehen. Die Eingliederung der NVA hat 1991 4,3 Milliarden DM gekostet. Wenn wir die IstAusgaben für die Verteidigung in Ost und West addieren, kommen wir für 1990 auf 62,3 Milliarden DM. Das heißt, daß der Etat für 1992 um mehr als 10 Milliarden DM geringer ist als die Ist-Ausgaben des Jahres 1990, mehr als 10 Milliarden geringer!
({17})
Die schnelle Mark ist bei der Verteidigung nicht zu machen. Aber diese 10 Milliarden sind ein derartig deutliches Ergebnis, daß wir es hier immer wieder betonen müssen. Letztlich ist es das Ergebnis der Entspannungspolitik unserer Bundesregierung.
({18})
In diesen Beträgen sind die Kosten der Lohnrunde mit 1,4 Milliarden DM schon eingerechnet. Auch dies muß gesehen werden.
Die einen sagen, es ist viel zu knapp, und die anderen sagen, es ist viel zuviel. Deswegen will ich jetzt auch etwas zu dem Entschließungsantrag der SPD sagen.
({19})
Daß dieser Antrag eine Pflichtübung von Ihrer Seite ist, ist uns klar; denn hinter vorgehaltener Hand wird uns immer wieder gesagt: Na ja, das müssen wir ja machen. Es ist hier schon vom Kollegen Strube gesagt
worden: Diejenigen, die sich intensiv damit befassen,
wissen, daß dieser Plafond sehr knapp bemessen ist.
({20})
Für eine schlagkräftige Armee brauchen wir eine ausreichende Ausstattung. Zum investiven Teil ist hier schon einiges gesagt worden.
Meine Damen und Herren, wir haben für 1992 Einigkeit über die Abbauschritte erzielt. Kollege Thiele hat hier ausführlich zu den Diskussionen, die wir auch koalitionsintern geführt haben, Stellung genommen.
Wie es jetzt weiter verläuft, werden wir in Kürze innerhalb der Koalitionsfraktionen beraten; wir werden dann ein Konzept vorlegen. Ich will nicht verhehlen, daß es hier noch Abstimmungsbedarf gibt. Wir werden ihn aufarbeiten und dann ein Ergebnis vorlegen. Das Ziel einer solchen Konzeption muß aber sein, eine klare - dies ist unsere Absicht - Verbesserung der Personalstruktur für Berufs- und Zeitsoldaten sowie für das Zivilpersonal zu schaffen, damit Planungssicherheit gewonnen wird und die Attraktivität der Laufbahnen in einer verkleinerten Bundeswehr erhalten bleibt. Dies gilt auch für die zivile Verwaltung.
Ich hatte mir bei der Debatte zum Haushalt 1991 erlaubt, salopp festzustellen: Wenn auch die Zahl der Indianer zurückgeht, brauchen wir in der Relation dazu eine erhöhte Anzahl von Häuptlingen. Das müssen wir jetzt auch so organisieren.
Die logische Konsequenz daraus ist, daß dieser Haushalt die Qualitätsverbesserungen aufweist, die wir schon beim Haushalt für das Jahr 1991 in Gang gebracht haben:
({21})
1 400 Hebungen für Berufsunteroffiziere vom Hauptfeldwebel bis zum Oberstabsfeldwebel zur Realisierung des Laufbahnziels Stabsfeldwebel für den Berufsunteroffizier.
Meine Damen und Herren, ich will hier eine ganz klare Bitte an das Ministerium formulieren - wir haben das auch im Ausschuß gesagt - : Die Beseitigung der vorhandenen Strukturverwerfungen in der Laufbahn der Hauptfeldwebel soll ausdrücklich denen zugute kommen, die, wie man das so schön ausdrückt, über längere Stehzeiten verfügen. Wir haben zu Protokoll gegeben, daß wir meinen, die älteren Hauptfeldwebel sollten befördert werden.
Wir haben auch für den zivilen Bereich 455 Verbesserungen eingebaut.
({22})
Die Milderung der vorhandenen Strukturprobleme wird damit weiterverfolgt.
Ich will hier noch einmal betonen: Die Rückführung der Streitkräfte einerseits und die Steigerung der Attraktivität andererseits sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander, wenn wir eine verteidigungsfähige und verteidigungsbereite Truppe auch in Zukunft erhalten wollen.
Das, was wir hinsichtlich des Abbaus besprechen, muß im Rahmen der geltenden Bestimmungen des
Hans-Werner Müller ({23})
Soldatengesetzes und der Beamtengesetze sozialverträglich, aber auch zumutbar sein. Wir haben in den letzten Wochen intensive Diskussionen darüber geführt. Wir haben vor gut zehn Tagen hier die beiden Gesetze, das Personalstärkegesetz und das Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz, verabschiedet.
Meine Damen und Herren, ich will hier noch einmal sagen: Ich bin über die Wortwahl „Personalstärkegesetz" besonders unglücklich.
({24})
Wir hätten es besser z. B. „Abrüstungsfolgegesetz" genannt.
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Das ist zwar ein Problem der Semantik; wir müssen uns aber zukünftig schon etwas besser überlegen, wie wir diese Dinge formulieren.
Ein sozial verträglicher Rückbau ist - darüber wird hier wohl Einvernehmen bestehen - der Zahl nach strukturgerecht im Bereich der Berufssoldaten jetzt nicht möglich. 6 800 Berufssoldaten, die ihren Lebensinhalt als Soldat bei der Bundeswehr gesehen haben, müssen die Bundeswehr in den nächsten Jahren vorzeitig verlassen. Dem dienen die bekannten Regelungen des Personalstärkegesetzes.
Ähnlich ist die Situation bei den zivilen Mitarbeitern. Die erforderliche Fluktuation und der normale Ruhestand greifen nicht überall dort, wo sie organisatorisch notwendig wären. Dies gilt insbesondere da, wo Dienststellen völlig geschlossen oder auch drastisch verringert werden.
Wie gesagt, meine verehrten Damen und Herren, vor wenigen Tagen haben wir diese Gesetze verabschiedet. Aber wenn wir sie verabschiedet haben, müssen sie sich in den politischen Hintergrund einbinden lassen, daß wir auf der einen Seite abbauen und bei anderen Dienststellen neu aufbauen; ich spreche von der Gauck-Behörde und den Bediensteten, die sich mit den Asylantenfragen befassen. Sozialverträglichkeit ja, Zumutbarkeit andererseits muß hier in Rechnung gestellt werden.
Es muß also auch Umsetzung und Aufnahme anderer Tätigkeiten als Beamter zur Erhaltung des Gemeinwohls möglich sein. Wir müssen versuchen, das miteinander in Einklang zu bringen. Das sind wir schlicht und ergreifend dem Steuerzahler schuldig.
Wir haben im Einzelplan des Innenministers bei der sogenannten Gauck-Behörde eine Sperre angebracht, die wir, wie etwa bei der Türkei-Hilfe, wiederum aufheben können. Dies hat ja einen erheblichen Wirbel in der Presse verursacht. Das ist lediglich ein Hinweis an die Bundesregierung, daß sie in dem von mir geschilderten Zusammenhang - Abbau einerseits und Aufbau andererseits - die notwendigen, vom Parlament gewünschten Anstrengungen unternehmen muß.
({26})
Ich wollte das hier in der gebotenen Kürze ausführen. Alles in allem möchte ich zu diesem Haushalt
sagen: Er ist vernünftig. Es ist ein guter Haushalt. Er ermöglicht, daß unser Staat bündnisfähig bleibt.
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Eine verantwortliche Außenpolitik kann gemacht werden. Damit können wir zum Weltfrieden beitragen.
Ich bedanke mich dafür, daß Sie mir zugehört haben.
({28})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich muß eine kleine informatorische Bemerkung machen, vor allem auch an die Kollegen, die erst später wieder dazustoßen werden, die das aber in ihren Büros hören.
Wir sind inzwischen mit unserer Redezeit so weit gediehen, daß die Sitzung bis über Mitternacht hinaus dauern wird. Alle diejenigen, die an einem etwas beschleunigteren Verlauf interessiert sind, bitte ich daher, bei Zwischenfragen oder Kurzinterventionen und ähnlichen die Debatte verlängernden Beiträgen Zurückhaltung zu üben.
({0})
- Die Abstimmungen - vor allem die über diesen Haushalt, aber auch die anderen - sollen nach interfraktioneller Vereinbarung um 21.30 Uhr gemeinsam erfolgen.
Aber zunächst erteile ich dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Gerhard Stoltenberg, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Selbstverständnis der Bundeswehr und die Begründung für ihren Auftrag in einer sich rasch wandelnden Welt sind schon heute vormittag in der Generaldebatte kurz angesprochen worden. In der Tat - Herr Kollege Müller hat es eben hervorgehoben -, unsere Streitkräfte stehen im einschneidensten Strukturwandel seit ihrem Aufbau. Naturgemäß ist die grundlegend veränderte politische Lage in Europa dabei ein entscheidender Ortientierungspunkt für ihre künftige Organisation, für Stationierung und Ausbildung. Wer - ich muß das einigen Kollegen von der SPD sagen - in tibetanischer Gebietsmühlenart immer wieder behauptet, wir hätten daraus keine Folgerungen gezogen,
({0})
der verschließt die Augen vor den grundlegenden Entscheidungen, die wir im vergangenen Jahr getroffen haben.
({1})
Wer freilich meint, die bisher genannten Gründe für die Existenz einer modernen Bundeswehr seien generell in Frage gestellt, der verfehlt die Wirklichkeit, Streitkräfte sind unverzichtbar für einen souveränen Staat, der außenpolitisch handlungsfähig sein will, der
bündnisfähig sein will, und der die Verantwortung für die Sicherheitsvorsorge ernst nimmt. Ich halte es allein von dieser Prämisse her für abwegig, der Bundeswehr eine Legitimationskrise aufreden zu wollen.
({2})
- Ich komme noch zu Ihnen, Herr Jungmann. Heben Sie sich Ihre emotionale Reaktion auf. Ich werde mich mit Ihnen noch besonders auseinandersetzen.
({3})
Dies alles sollte ja relativ unstrittig sein.
Manche haben hier freilich in jüngster Zeit wieder umdenken müssen: Krieg ist in Europa leider erneut eine schreckliche Realität geworden.
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Die Tragödie in Jugoslawien zeigt, daß militärischer Machtmißbrauch auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann und - was in Deutschland wenig gesagt und geschrieben wird - in extremen Situationen nur durch Verteidigungsfähigkeit, durch Verteidigungsbereichtschaft und durch angemessene militärische Gegenmacht verhindert oder überwunden werden kann. Das kommt mir ein bißchen zu kurz.
In der Verurteilung dieses Schreckens sind wir uns alle einig. Welche Lehren daraus gezogen werden, das ist aber die Frage, über die man weiter diskutieren muß.
Wir alle haben Schwierigkeiten, das zu verstehen, was dort geschieht, und es richtig zu bewerten. Wir habe auch Schwierigkeiten, wirksam zu reagieren; dabei soll man es sich mit der Kritik nicht zu leicht machen.
Darüber hinaus gibt es aber auch eine gewisse Sprachlosigkeit. Mich stört schon, daß im Januar und Februar Hunderttausende für die sogenannte Friedensbewegung gegen die Allianz am Golf, die auf Grund von Beschlüssen der Vereinten Nationen für das verletzte Völkerrecht antrat, demonstrierten, daß genau das im Moment aber überhaupt nicht stattfindet.
({5})
Dabei vollzieht sich dieser Völkermord dicht an unserer Grenze.
({6})
- Herr Gansel, das können Sie mit dem Außenminister und anderen austragen.
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Ich nehme mir die Legitimation, dies zu sagen, ohne
mich von Ihnen in Frage stellen zu lassen. Es ist ja so,
Herr Kollege, daß sich die Hoffnungen, die vor zwölf
oder 15 Monaten nach den gewaltigen Fortschritten in den West-Ost-Beziehungen bei manchen bestanden, nämlich daß die Beziehungen im neuen Europa von morgen konfliktfrei und harmonisch sein würden, leider als eine Illusion erwiesen haben.
Die Politik für Kooperation, für Friedenssicherung, für Konfliktschlichtung, die wir vertreten, einerseits und angemessene militärische Sicherheitsvorsorge andererseits sind eben keine Alternative, sondern zwei Elemente einer friedensfördernden und zugleich verantwortungsvollen Sicherheits- und Außenpolitik.
({8})
Wir nutzen die Chance, die sich aus dem Abbau der jahrzehntelangen militärischen Konfrontation im Herzen Europas ergibt. Es geht nicht nur um die erhebliche Reduzierung des Umfangs der Bundeswehr im jetzt vereinten Deutschland; wir verbinden damit eine grundlegende Neuorientierung, eine völlig veränderte Stationierung, eine starke Verringerung der Zahl voll präsenter Verbände und ein neues strategisches Konzept, für das Anfang dieses Monats die Staats- und Regierungschefs der NATO die wesentlichen Eckpunkte beschlossen haben.
Wenn Sie, Herr Kollege Jungmann, sagen - das habe ich schon oft gehört - , daß hier die Strukturen einfach fortgeschrieben würden, dann frage ich mich, wo Sie in diesem Jahr eigentlich gewesen sind.
Erstens. Wir haben im Frühjahr entschieden, Feldheer und Territorialheer zu fusionieren.
Zweitens. Wir haben entschieden, die drastisch verringerte Zahl der Divisionsstäbe mit den Wehrbereichskommandos zu fusionieren.
Drittens. Wir haben entschieden, auch bei den anderen Teilstreitkräften die Zahl der Stäbe erheblich zu verringern - darüber ist im Verteidigungsausschuß im einzelnen berichtet worden - und die Zahl der bei den Kommandobehörden und Stäben vorhandenen Planstellen in dem neuen Konzept um etwa 25 bis 30 % zu verringern. Dies kann man anders betrachten; allerdings müssen Sie dann Argumente bringen und hier nicht den Eindruck erwecken, als ob dies alles nicht stattgefunden hätte.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jungmann?
Ja.
Herr Stoltenberg, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mich in diesem Teil mit den Beschaffungen beschäftigt habe und gesagt habe, daß sich bei den Beschaffungsvorhaben in den Strukturen nichts geändert hat, sondern daß nur die Zahlen teilweise etwas reduziert worden sind? Ich habe nicht über die neue Struktur des Heeres, der Marine und der Luftwaffe gesprochen. Dazu habe ich kein Wort verloren.
Sie haben eine etwas allgemeiner angelegte Bemerkung gemacht; aber wir können auf Ihre
Darlegungen morgen beim Nachlesen des Protokolls gern noch einmal zurückkommen.
Ich möchte gleich etwas zur Beschaffung sagen, zunächst aber folgendes ausführen: Bis Ende 1994 soll der Umfang der Bundeswehr in Westdeutschland auf 300 000 Soldaten zurückgeführt werden. 1989 waren es noch fast 490 000 Soldaten. Seit dem 3. Oktober 1990 bauen wir in den neuen Bundesländern die Bundeswehr auf. Ende des Jahrzehnts werden dort 70 000 Soldaten stationiert sein. Die Weichen dafür sind in diesem Jahr gestellt worden, und wir sind stolz auf das, was seit dem Tag der deutschen Einheit von den dort stationierten Soldaten, den zivilen Mitarbeitern, aber auch den Verantwortlichen in der Führung geleistet wurde.
Wir werden auch die Struktur unserer Bundeswehrverwaltung straffen und die Zahl unserer Mitarbeiter um mehrere zehntausend verringern. Hier steht jetzt nach längerer Zeit der Anhörung und Diskussion über das Ressortkonzept die abschließende Entscheidung an.
Allerdings: Wir haben wieder bei den Forderungen und Stellungnahmen vieler Sozialdemokraten erlebt, daß sie, die ja eine weitaus drastischere Reduzierung der Bundeswehr fordern, die zum Teil einen Kahlschlag betreiben wollen, indem sie die finanziellen Grundlagen für die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter in Frage stellen, vor Ort kräftig gegen die Aufgabe oder eine spürbare Reduzierung von örtlichen Dienststellen polemisieren.
({0})
Hier, meine Damen und Herren Kollegen, werden die Konzeptionslosigkeit und die Doppelzüngigkeit zu vieler Funktionäre und auch Abgeordneter der SPD in einer unerfreulichen Weise sichtbar.
({1})
Herr Kollege Jungmann, es hat mich schon überrascht, jetzt von Ihnen den Vorwurf zu hören, wir hätten die Standortfestlegung nicht genügend an den Betriebskosten orientiert.
({2})
- Ich will es nur sagen. Ich habe aber über Monate den massivsten Druck erfahren, vor allem von SPD-geführten Landesregierungen, regionale Interessen und Wünsche viel stärker zu berücksichtigen, als wir das im Endergebnis tun konnten.
({3})
- Ich spreche z. B. von der sozialdemokratischen Landesregierung in Kiel - damit wir einmal in unserem Heimatland bleiben - und von vielen anderen.
({4})
Insofern stelle ich hier einfach fest, daß natürlich Gesichtspunkte der militärischen Konzeption und auch der Wirtschaftlichkeit eine wesentliche Rolle gespielt haben, daß wir aber auch, wie es von allen Fraktionen dieses Hauses erwartet wurde, regionale Gesichtspunkte in der Güterabwägung nicht vernachlässigt haben.
({5}) Nur soviel will ich dazu sagen.
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Herr Jungmann, Sie haben Kritik geübt an den flankierenden Maßnahmen durch die Bundesregierung. Dazu will ich Ihren Worten nur hinzufügen: Ich glaube, Sie wissen, daß dieses Thema der Vereinbarung über die endgültigen Leistungen der Bundesregierung - richtiger gesagt: des Bundes - für Garnisonsgemeinden in strukturschwachen Gebieten, die empfindlich getroffen werden, in das Vermittlungsverfahren zu allgemeinen Problemen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eingeht.
Soweit ich höre - ich bin in dieser Sache in der Regierung nicht unmittelbar zuständig - , geschieht dies jetzt auch im Konsens, jedenfalls mit den sozialdemokratisch geführten Bundesländern. Ich hoffe also, daß noch in diesem Jahr ein endgültiges Ergebnis erreicht werden kann.
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- Ich wollte es nur sagen.
Lassen Sie mich einige Sätze zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Thiele hinzufügen; schon ein bißchen mit Blick auf die Uhr. Ich begrüße es, daß Herr Kollege Thiele wie auch Herr Müller und andere nachdrücklich darauf hingewiesen hat, daß man den Verteidigungsetat ohne die Wirkungen der Besoldungs- und Tarifrunde nicht fair bewerten kann. Bei Ihnen und in der öffentlichen Debatte kommt folgendes zu kurz: Die Tarifrunden kosten uns zur Zeit, je nachdem, wie sie ausfallen, zwischen 1,1 und 1,5 Milliarden DM pro Jahr. Alles, was hier an Mehraufwendungen entsteht, muß an anderer Stelle eingespart werden.
Ich werde, Herr Kollege Thiele, Ihre Ausführungen über die Vorgeschichte bestimmter Vorlagen im Ausschuß nicht weiter vertiefen, auch aus Zeitgründen. Ich lege nur Wert auf folgende Feststellung. Wir haben die zweite ergänzende und in gewisser Weise alternative Beschaffungsvorlage unter Einbeziehung der U-Boote bereits jetzt gemacht, nachdem der Verteidigungsausschuß mit deutlicher Mehrheit, auch mit Sympathie bei einigen Vertretern der Sozialdemokratie, dies von uns gewünscht hat.
Es entspricht schon meinem Parlamentsverständnis, daß ein Votum des für uns unmittelbar zuständigen Ausschusses auch in dem, was wir abschließend mit den Berichterstattern besprechen, seinen Nieder5078
schlag findet. Deshalb will ich hier zu anderen Gesprächen gar nicht Stellung nehmen, sondern dies einfach zu Protokoll geben. Dafür werden Sie als Kollege auch Verständnis haben.
({8})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?
Bitte sehr.
Herr Minister, dafür habe ich volles Verständnis. Wir haben es letztlich auch noch nicht abgelehnt. Wir haben eine entsprechende Verpflichtungsermächtigung ausgebracht. Wofür ich kein Verständnis hatte -
Herr Kollege Thiele, entweder eine Frage oder gar nichts!
Haben Sie denn Verständnis dafür, daß eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 2,5 Milliarden DM im Beschaffungstitel Marine ausgebracht war, ohne daß zu diesem Zeitpunkt eine Belegung - wie auch immer - vorhanden war?
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Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich diesen Sachverhalt zum Zeitpunkt der Regierungsvorlage nicht übersehen habe. Ich habe ihn später erkannt. Daraus wurden ja bestimmte Folgerungen für die Behandlung gezogen.
Ich will hier allerdings einen zweiten Punkt auch ansprechen, in dem wir einen Dissens haben: Ich begrüße zunächst einmal, daß sich in der Erkenntnis, daß die Bundeswehr bei den Berufs- und Zeitsoldaten eine deutlich bessere Personalstruktur braucht als bisher, eine Annäherung Ihrer Position bzw. der der FDP und der Position ergibt, die ich hier vertrete. Nur widerspreche ich der Aussage, daß die noch verbliebene und zu klärende Differenz ein Dissens mit dem Verteidigungminister sei; denn ich weiß mich in meiner Position einig mit der Fraktion der Christlich Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union.
Ich sage auch, weil es hier angesprochen worden ist, daß wir, beginnend im August und September - das ist Ihnen bekannt - , mittlerweile auch mit dem Finanzminister über die angestrebte Personalstruktur im wesentlichen Einvernehmen erzielt haben. Auch das soll hier zu Protokoll gegeben werden, nachdem Sie es angesprochen haben. Nun ist es in den kommenden Wochen unsere Aufgabe, die noch verbleibende Differenz miteinander zu klären. Ich möchte hier nur nicht stehenlassen, daß das ein Thema des Verteidigungsministers mit der FDP sei. Es ist mittlerweile ein breiterer Konsens erreicht - oder im wesentlichen erreicht.
Meine Damen und Herren, dies ist ein entscheidender Punkt. Wir brauchen aus einer Reihe von Gründen eine bessere Personalstruktur. Richtig ist - ich widerspreche dem nicht -, daß die Zahl der Freiwilligenmeldungen zurückgegangen ist. Manches, was über die Bundeswehr geredet wird und hier gefordert wird, ist dabei auch zu erwähnen. Aber natürlich spielt für Westdeutschland auch eine Rolle, daß die beruflichen Chancen qualifizierter junger Männer heute unvergleichlich besser sind als vor zehn Jahren und daß die Bundeswehr von daher wegen einer erfreulichen Entwicklung eine wesentlich schwierigere Wettbewerbssituation hat.
({0})
Meine Damen und Herren, wir brauchen für die sozialverträgliche Umsetzung der weitreichenden Entscheidungen der letzten 18 Monate jetzt verläßliche Rahmen- und Planungsdaten für die kommenden Jahre. Sonst würden wir der Verantwortung für die Soldaten und Mitarbeiter und dem Auftrag unserer Bundeswehr nicht gerecht. Lippenbekenntnisse zur Bundeswehr bei feierlichen Anlässen genügen nicht. Hier im Deutschen Bundestag, auch in den Abstimmungen, wird erkennbar, wer nur redet und wer bereit ist, auch die erforderlichen Mittel für die Streitkräfte bereitzustellen.
Dieser Etat ist äußerst knapp finanziert. Ich weiß, daß auch manche von Ihnen dies in internen Diskussionen nicht anders sehen. Die Sozialdemokratie will nun bei den Bauinvestitionen im Kap. 14 12 100 Millionen DM streichen. Wir benötigen 16 Milliarden DM
- auch die Zahl ist von Herrn Kollegen Strube genannt worden - , um in den neuen Bundesländern gegenüber den Verhältnissen in Westdeutschland vergleichbare Unterkünfte für Soldaten und zivile Mitarbeiter zu schaffen und um die schlimmsten Umweltschäden auf unseren Liegenschaften zu beseitigen.
Wer die unerträglichen, unzumutbaren Kasernen der ehemaligen NVA gesehen hat - das gilt auch für manche Kollegen aus Ihren Reihen - , der kann über einen solchen Antrag nur bestürzt sein; denn wir werden jetzt in Westdeutschland dringend erforderliche Modernisierungen auch bei Küchen und Unterkünften weitgehend zurückstellen, um den noch dringenderen Notwendigkeiten in den neuen Ländern Rechnung zu tragen. Das hat Priorität! Dazu brauchen wir eine ganze Reihe von Jahren. Bis dahin werden dort Soldaten unter miserablen Bedingungen ihren Dienst tun. Da kommen Sie und wollen Bauinvestitionen um 100 Millionen DM kürzen. Das ist ein Zeichen Ihrer Unglaubwürdigkeit und eines unsozialen Verhaltens.
({1})
- Ich möchte jetzt der Aufforderung des Präsidenten folgen
({2})
- ich habe ja nun zwei Zwischenfragen beantwortet - und bald zum Abschluß kommen.
({3})
- Das ist auch schon anders herum passiert.
Sachverständige sozialdemokratische Kollegen wissen genau, daß es bei den Mitteln für die Entwicklung des Jagdflugzeuges 90 im nächsten Jahr um die Finanzierung bereits eingegangener rechtlicher Verpflichtungen geht. Ich beziehe mich auf das, was Herr Kollege Thiele und Herr Müller ({4}) hierzu vollkommen zu Recht gesagt haben. Aber ich will das noch ein Stück konkretisieren:
Wenn wir jetzt aus den internationalen Verträgen mit Großbritannien, Italien und Spanien ausstiegen, müßten wir über 4 Milliarden DM - mehr als 4 Milliarden DM! - sowohl an unsere staatlichen Partner, die dieses Projekt fortführen werden, als auch auf Grund der Kontrakte mit den beteiligten Firmen zahlen. Deshalb ist es eine grobe Täuschung, so zu tun, als ob man bei einem Abbruch 830 Millionen DM im nächsten Jahr einsparen könne.
({5})
Ich habe Ihren Dialog verfolgt, Herr Kollege Horn, auch Ihr Argument. Dann wäre es konsequent, einen Entschließungsantrag einzubringen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, das Vorhaben abzubrechen.
Aber den Eindruck zu erwecken, Sie könnten trotz der klaren Vertragslage 830 Millionen DM einsparen, ist eine Täuschung. Ich will das hier ausdrücklich wiederholen. Sie können das nicht widerlegen. Es zeigt die ganze Unseriösität Ihres Auftretens.
({6})
Wir haben uns in der Koalition - und auch darauf ist von Herrn Kollegen Strube einmal hingewiesen worden - darauf verständigt, daß wir die Entwicklung zum Abschluß bringen wollen. Wir untersuchen zugleich sehr sorgfältig, ob und in welcher Weise es sinnvolle Varianten - ({7})
- Nein, nicht seit Jahren. Wir haben diese Vereinbarung in diesem Jahr getroffen, dies sorgfältig zu untersuchen.
({8})
- Nein, diese Vereinbarung.
({9})
- Aber, Herr Kollege Jungmann, das weiß ich nun besser als Sie. Mit sachverständigen Kollegen beider Koalitionsfraktionen analysieren wir jetzt einmal sehr ernsthaft, ob es für die Beschaffungs- oder Produktionsphase sinnvolle Varianten oder Alternativen zum jetzigen Entwicklungskonzept gibt. Dies stammt vom Januar diesen Jahres. Nehmen Sie es doch so, wie ich es sage. Eine Entscheidung darüber steht eher für die zweite als die erste Jahreshälfte 1992 an.
Die von der SPD ferner geforderte Streichung der wichtigsten Erhaltungs-, Entwicklungs-und Beschaffungsvorhaben von Heer und Marine bedeutet im Grunde eine Absage der Opposition an eine angemessen ausgebildete und ausgerüstete Bundeswehr. Sie sind die Gefangenen Ihrer eigenen Propaganda geworden, ohne ein glaubwürdiges Konzept für die Zukunft der Streitkräfte und die sicherheitspolitischen Aufgaben zu haben. Das ist meine Bilanz.
Herr Kolbow, wenn Sie sagen, Armutsbekämpfung hat den Vorrang vor bestimmten Rüstungsaufgaben - ({10})
- Ja, wenn Sie dies zustimmend sagen, dann spreche ich auch Herrn Hirsch mit Ihnen zusammen an. Dann will ich Ihnen sagen, man muß mit solchen Formeln etwas behutsam umgehen. Es könnte ja jemand auch auf die Idee kommen, uns - und ich sage dies auch als Abgeordneter des Deutschen Bundestages - zu sagen, Armutsbekämpfung hat den Vorrang vor der Besoldung der Abgeordneten. Ich halte diese Formeln in jeder Weise, wenn wir über ernsthafte staatliche Aufgaben reden, für einen nicht sachdienlichen, sondern für einen negativ emotionalisierenden Beitrag, im einen Fall wie im anderen Fall.
Meine Damen und Herren, wir werden, um dies noch zu sagen, den Bundeswehrplan Anfang nächsten Jahres neu formulieren. Dies gehört zu den Aufgaben der nächsten Zeit. Wir werden auf Grund der veränderten sicherheitspolitischen Lage und der Knappheit der Mittel einer Reihe bis jetzt geplanter Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben zu streichen haben.
({11})
Wir werden diese Entscheidungen treffen. Warten Sie nur in Ruhe ab. Es ist jetzt nicht mehr eine Sache von langer Zeit.
Zu den Aufgaben der nächsten Zeit gehört auch die Umsetzung der Beschlüsse zur Strategie, die die Staats- und Regierungschefs getroffen haben, in militärische Planung. Dies werden wir natürlich im Verbund des Bündnisses machen, wie ich erwarte, schon im Dezember in Brüssel. Wir wollen in den nächsten Monaten ein neues Reservistenkonzept entwickeln. Ich nehme an, daß wir es Ihnen spätestens im Frühjahr auch in den Ausschüssen vorstellen können. Schließlich müssen wir auch den Bedarf an Truppenübungsplätzen neu bestimmen, wo wir Diskussionen in den neuen Ländern haben. Aber man kann nicht auf der einen Seite sagen, die Bundeswehr soll weniger im freien Gelände üben, und andererseits sagen, sie darf keine Truppenübungsplätze haben.
Meine Damen und Herren, dies alles sind große Themen. Die heutige Debatte hat erneut gezeigt, daß wir in wichtigen Fragen der Bundeswehr und der Verteidigungspolitik gegenwärtig keinen Grundkonsens haben, den wir zwischen 1960 und 1980 hatten.
({12})
Das ändert nichts an unserer Bereitschaft zum Dialog, aber es ändert auch nichts an unserer Entschlossenheit, für unsere Bundeswehr und die Sicherheitsvorsorge im Land das zu tun, worauf wir in unserer Verantwortung verpflichtet sind.
({13})
Mein Appell von vorhin hat nicht viele Früchte getragen, sowohl was die Zwischenfragen als auch was die Wortmeldungen zu einer Kurzintervention anbetrifft.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Erwin Horn.
Schönen Dank, Herr Präsident.
Abgesehen davon, daß der Herr Minister völlig unrecht hat mit seinem Hinweis auf den sicherheitspolitischen Konsens von 1969 bis 1982, möchte ich darauf hinweisen: Es ist vollkommen falsch, daß Sozialdemokraten auf der einen Seite Abrüstung verlangen und auf der anderen Seite gegen Standortauflösungen seien. Im Gegenteil.
({0})
Ich kann Ihnen sagen, Herr Minister: Wir reduzieren 720 Standorte um 24 Standorte. Das andere sind 66 Dienststellen, die Sie einbeziehen in die 90. Im Ergebnis heißt dieses: Wir nehmen bis 1994 eine Personalreduzierung um 36 % und eine Reduzierung der Standorte um 3,3 % vor.
Ich gebe dem Bundeswehrgeneral recht, der kürzlich gesagt hat: Dies ist ein Mißverhältnis. Die Bundeswehr frißt sich so selber auf. Hier fehlen die echten Investitionsmittel; wir geben sie durch Fehlplanung als Betriebsmittel aus.
({1})
Herr Bundesminister, wünschen Sie, das Wort zur Erwiderung zu nehmen? ({0})
Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung finden die Abstimmungen zum Einzelplan 14 um 21.30 Uhr statt. Wir stimmen deshalb jetzt nur über den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 35 ist angenommen.
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 15 zu Petitionen
({3}) - Drucksache 12/451 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
({4})
- Wenn Sie nicht so viele Zwischenfragen stellen, wird es vermutlich kürzer.
Es erhebt sich dagegen kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Siegrun Klemmer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Fraktionen von CDU/CSU und FDP bis heute auf alle parlamentarischen Initiativen gegen die Weiterentwicklung des Jagdflugzeuges 90 nach dem Motto „Augen zu und durch!" reagiert haben, erheben nun Bürgerinnen und Bürger ihre Stimmen.
({0})
Sie erweisen damit dem ganzen Volk einen großen Dienst; denn offensichtlich ist es notwendig, das Instrument der Petition zu bemühen, damit auch die Damen und Herren der Regierungskoalition das zunehmend rauhe soziale Klima in unserem Land zur Kenntnis nehmen
({1})
und - obwohl meine Skepsis groß ist - ihre Politik möglicherweise doch noch an Realitäten ausrichten.
({2})
- Die kommen noch, haben Sie nur ein bißchen Geduld!
Seit Jahren schon bemüht sich die Fraktion der SPD, z. B. dem Kostenargument Gehör zu verschaffen. Frühere Beispiele sollten uns warnend vor Augen stehen. Etwa 15 Millionen DM sollte der Systempreis des Tornados einmal betragen. Am Schluß waren es 104 Millionen DM, also das Siebenfache. Mit dem Jäger 90 werden die Erfahrungen nicht prinzipiell anders sein
- nur daß die Höhe dieser Kosten endgültig astronomische Dimensionen annehmen wird.
({3})
Auch die Sicherheitsargumente sind bereits oft genug genannt worden.
({4})
Aber bis heute weigert sich die Regierung, aus den veränderten Realitäten für Mammutprojekte wie z. B. den Jäger 90 die Konsequenzen zu ziehen. Grundlage gerade dieses Vorhabens war ein schon früher unrealistisches Bedrohungsszenarium, das heute erst recht jeden Realitätsgehaltes entbehrt.
({5})
Ein krasseres und vor allem teureres Beispiel von Realitätsverlust auf seiten der Regierungskoalition läßt sich kaum denken.
Meine Damen und Herren, all diese Argumente sind bereits an früherer Stelle hier vorgetragen worden,
({6})
nur sind sie heute noch viel dringlicher als zuvor. Die tatsächlichen Kosten für den Jäger 90 übertreffen die einst prognostizierten bereits erheblich. Viel größer aber ist heute vor allem der Mittelbedarf, der sich aus der deutschen Einheit ergibt. Dies weiter auszuführen dürfte hier eigentlich nicht nötig sein.
({7})
Offensichtlich ist es aber doch nötig, da die Regierung Kohl nicht gewillt ist, immer sinnlosere Finanzgräber wie das für den Jäger 90 zuzuschütten, um mit den gesparten Mitteln wenigstens einen Teil des Zusatzbedarfs zu decken. Man fragt sich, welche Mauer in den Köpfen so mancher Regierungsvertreter hier die Einsicht verhindert.
({8})
Auch die Sicherheitsargumente gegen den Jäger 90 haben im Laufe der Auseinandersetzung stetig an Bedeutung gewonnen. Aktuelle Beispiele in diesem Jahr, so im Nahen Osten, in Osteuropa, in der übrigen Welt, beweisen, daß militärische Mittel zur Lösung von Konflikten untauglich sind. Sie lösen weder die Probleme der Unterernährung in der Dritten Welt noch etwa die Nationalitätenkonflikte in Südosteuropa.
({9})
Für Projekte wie den Jäger 90 aber bietet der im Osten entstehende Flickenteppich auf der Landkarte noch weit weniger eine Grundlage, als die Bedrohungsszenarien es waren, die seinerzeit bei Existenz der noch kompletten Sowjetunion entwickelt wurden.
({10})
- Also, Ihren Zuruf „Fragen Sie einmal die Kroaten! " finde ich mit Blick auf die Sterbenden und Verwundeten dort, mit Blick auf die in den Lazaretten und Krankenhäusern liegenden Männer, Kinder und Frauen ziemlich zynisch. Ich glaube, das ist an dieser Stelle völlig daneben.
({11})
All dies, meine Damen und Herren, sind gute Gründe gegen das Milliardengrab Jäger 90.
Nun haben wir einen Bundeskanzler,
({12})
der im Land pausenlos davon redet, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die anstehenden Probleme im Gefolge der deutschen Einheit zu lösen;
({13})
einen Bundeskanzler, der nach Moskau fährt bzw. hier in Bonn den russischen Präsidenten Jelzin empfängt und ihm verspricht, auch bei der Bewältigung seiner - nun wirklich gigantischen - Probleme zu helfen;
({14})
einen Bundeskanzler, der gar bis ans Ende der Welt, nach Brasilien, fährt,
({15})
um dort der ganzen Welt kundzutun, daß Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Lösung der globalen Umweltkrise leisten wird.
({16})
Alles hehre Ziele; der Unterstützung durch die SPD-Fraktion können Sie versichert sein.
({17})
Anders aber als Sie und anders als die Regierung sagt die SPD allerdings auch, woher das Geld für solche Vorhaben kommen kann.
({18})
Die Regierung dagegen degradiert z. B. durch ihr Festhalten am Jäger 90 ihre eigenen Beteuerungen zu hohlen Phrasen, weil es ihr an Mitteln und somit an Realitätsnähe fehlt.
({19})
Welche Argumente werden von seiten der Regierungskoalition für die Weiterentwicklung des Jäger 90 genannt? Da wird vor allem darauf hingewiesen - soeben haben wir es von Herrn Minister Stoltenberg noch einmal gehört -,
({20})
der Ausstieg aus dem Vertrag mit den Partnerländern sei mit hohen Kosten verbunden. Ein armseliges Argument!
({21})
- Hören Sie zu! Ich werde versuchen, es Ihnen zu erklären. Ich bin nicht sicher, daß Sie es verstehen.
({22})
Erstens stellt sich die Regierung damit selbst ein Armutszeugnis allererster Güte aus.
({23})
Denn wie konnte sie bei einem derart kostenintensiven Vorhaben so miserable Bedingungen vereinbaren, die ein Aussteigen aus dem Projekt angeblich fast unmöglich machen?
({24})
Zweitens wird das Argument der hohen Ausstiegskosten nun schon seit Jahren vorgeschoben.
({25})
Mit jedem weiteren Jahr begibt sich die Regierung
dadurch selbst eines Stücks Freiheit zu vernünftigem
Handeln. Das aber war von vornherein klar und be5082
weist, daß das Argument der Ausstiegskosten ein Scheinargument war, hinter dem sich die Regierung versteckt.
({26})
Welch ein beschämender Vorgang, welch eine Frechheit gegenüber der Pflicht jeder Regierung, ihr Handeln vor dem Volk wahrheitsgemäß zu verantworten!
({27})
- Sie sind Gott sei Dank noch nicht die Regierung.
({28})
Drittens kann nicht oft genug betont werden, daß die Kosten eines Ausstiegs immer noch billiger kommen als die einer fortgesetzten Rüstungsspirale.
Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, das alles wissen Sie natürlich sehr genau. Sie wissen auch, daß das Projekt Jäger 90 vom Volk, wenn es denn darüber zu entscheiden hätte, in der Luft zerrissen und sofort beendet würde.
({29})
Viel zuviele Menschen in den neuen, zunehmend aber auch in den alten Bundesländern leiden nämlich unter sozialem Abstieg, unter Arbeitslosigkeit, unter Wohnungsnot, unter steigenden Kosten für die soziale Sicherheit.
({30})
Leider hatte von den Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition bislang nur eine ganz kleine Minderheit den dafür offenbar nötigen Mut, zumindest Zweifel an der Notwendigkeit des Projekts Jäger 90 zu äußern,
({31})
wenn auch die wenigen FDP-Abgeordneten dann, wenn es zum Schwur kam, die entsprechenden Anträge der SPD - zumindest bisher - mit niedergestimmt haben. So mogeln Sie sich von Debatte zu Debatte
({32})
und lügen sich mit dem Argument, daß Entwicklung ja noch nicht zwingend Anschaffung bedeute, in die Tasche.
({33})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, was Sie dem Parlament und dem ganzen Volk bislang zugemutet haben, war ein jämmerliches Schauspiel.
({34})
Heute haben Sie noch einmal Gelegenheit, diesem Schauspiel durch Unterstützung unseres Antrages zu einem immerhin noch relativ glimpflichen Ende zu verhelfen. Seien wir uns der großen Verantwortung bewußt, die uns die Probleme in Deutschland, in einem veränderten Europa und in der übrigen Welt auferlegen! Während wir hier nämlich über Milliardensummen für militärische Großprojekte diskutieren ({35})
- Sehr richtig! - , verschärfen sich die Gefahren, die aus dem wachsenden Elend in den Ländern der Dritten Welt entstehen.
Frau Kollegin gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolbow?
Bitte!
Frau Kollegin, teilen Sie meine Auffassung, daß es angesichts des Themas und der Qualität Ihrer Rede dem Minister gut angestanden hätte, nicht jetzt schon in den Feierabend zu gehen?
(Zustimmung bei der SPD]
Herr Kollege, ich hatte den Eindruck, daß der Herr Minister schon durch Ihre und die Beiträge der anderen Kollegen aus unserer Fraktion überfordert war. Möglicherweise hätte er auch das, was ich hier vorzutragen habe, gar nicht richtig verstanden.
({0})
Auf das, was ich eben bezüglich der Situation in der Dritten Welt ausgeführt habe, hat heute vormittag unser Fraktionsvorsitzender Hans-Ulrich Klose schon hingewiesen. Die deutsche Einheit konnte auch deshalb wiederhergestellt werden, weil die Welt zu Recht von uns erwartet, daß von deutschem Boden Frieden ausgeht und von uns ein angemessener Beitrag zur Lösung globaler Probleme geleistet wird.
Das Milliardengrab Jäger 90, dessen Produkte man nicht zuletzt wegen des Kostendrucks wohl eines Tages leider auf den internationalen Waffenmärkten finden wird, dieses Projekt wird dem Friedensauftrag unserer Verfassung nicht gerecht. Erlaubt sein muß schließlich die Frage, wer eigentlich über die Fortführung des Projektes Jäger 90 entscheidet, an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Mit der Unterstützung der Bevölkerung und zumindest eines großen Teiles der Abgeordneten dieses Hauses können Sie rechnen, wenn Sie aussteigen wollen. Fürchten Sie also möglicherweise den Widerstand der Industrie?
({1})
Anderen Regierungen gegenüber wird in dieser Richtung weit weniger Rücksichtnahme geübt. So verlangen wir alle von der Sowjetunion bzw. von dem, was von ihr übriggeblieben ist, daß sie ihren aufgeblähten militärisch-industriellen Komplex zurückstutzt, weil er ein internationales Sicherheitsrisiko darstellt. Welch eine Anstrengung, die wir da von einem Land verlangen, das an der Grenze zur ökonomischen Katastrophe entlangtaumelt! Und dazu sollte
die Bundesrepublik Deutschland nicht gleichermaßen in der Lage sein? Sollte sie nicht in der Lage sein, einen finanziellen und sicherheitspolitischen Irrsinn wie den Jäger 90 zu beenden, obwohl ihr der Stopp dieses Projektes letztlich nützen würde? Die Bundesrepublik Deutschland sollte nicht in der Lage sein, ein Beispiel für Rüstungskonversion zu geben,
({2})
obwohl sie diese doch anderen Ländern, die sich in viel schwierigerer Lage befinden, abverlangt?
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist jetzt abgelaufen.
({0})
Ich möchte Sie alle, weil ich hier im Namen wachsamer Bürgerinnen und Bürger spreche,
({0})
deren Petition vertrete, noch einmal recht herzlich bitten, unserem Antrag beizutreten.
({1})
Solange der Fraktionsvorsitzende klatscht, kann ich den nächsten Redner nicht aufrufen. - Das Wort hat nun der Kollege Georg Janovsky.
({0})
Herr Präsident, ich will Ihrem Aufruf zu mehr Tempo gerne folgen. Gestatten Sie mir aber trotzdem
Nicht Tempo, sondern Kürze!
({0})
Kürze und Tempo. In der Kürze liegt die Würze.
Gestatten Sie mir eine kurze Eingangsbemerkung zum Verteidigungsetat. Das, was die Opposition mit dem Etat vorhat, hat sie in der heutigen Diskussion erneut gezeigt: Er soll zum Abriß freigegeben werden. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, meinen, Milliardenbeträge aus diesem Etat herausbrechen zu können, dann sagen Sie doch gleich, daß Sie die Bundeswehr abschaffen wollen!
({0})
Denn Sie schlagen die Bundeswehr mit einer solchen Maßnahme finanziell k. o.
({1})
Denn mit ca. 52 Milliarden DM - darin sind 1,4 Milliarden DM aus der Lohnrunde 92 enthalten - hat der
Plafond des Verteidigungsetats 1992 mit 12,4 % der gesamten Bundesausgaben zwar den niedrigsten Wert seit 1956 erreicht, aber auch die Grenze der vollen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Wenn weitere Milliardeneinsparungen von der Opposition gefordert werden, dann muß man sich fragen, wo. Die Opposition meint sicher Einsparungen bei der Entwicklung des Jagdflugzeuges 90.
({2})
Dies geht auch aus Ihrem Antrag zur Petition hervor.
({3})
- Danke für Ihren Beifall, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen. Sie merken, wie gut ich bereits nach einem Jahr Ihre Gefühlslage verstehe.
({4})
Dies ist ein Vorschlag, der erneut beweist: Mit Geld können Sie schlecht umgehen, und von Vertragstreue halten Sie nichts.
({5})
Die Bundesrepublik ist vertraglich gebunden und würde bei einem einseitigen Ausstieg den anderen Vertragspartnern das notwendige Geld zur Verfügung stellen müssen.
Zweitens. England, Italien und Spanien hätten mit dem Entwicklungsabschluß ein Ergebnis, aber wir den technischen Anschluß verpaßt.
({6})
Drittens. Schadenersatzansprüche der deutschen Industrie sind wahrscheinlich. Deshalb sagt die CDU/ CSU-Fraktion: Selbstverständlich wird zu Ende entwickelt. Dies ist ein Signal für Vertragstreue und Zuverlässigkeit der Bundesrepublik bei internationalen Kooperationen,
({7}) aber auch ein Signal an die Arbeitnehmer.
Ob, wann und wie das Jagdflugzeug 90 oder etwas völlig anderes beschafft werden wird, wird eine Kommission zu erarbeiten haben.
({8})
Niemand von uns ist auf das Jagdflugzeug 90 versessen,
({9})
aber eines ist sicher: Wir brauchen ein neues, zeitgerechtes Jagdflugzeug. Die CDU/CSU-Fraktion wird deshalb den Antrag der SPD zu den Petitionen in der Sammelübersicht 15 ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Der Kollege Janovsky hat mit der Kürze wirklich Ernst gemacht.
({0})
Es gab bei einer Rede - ich sage jetzt nicht bei welcher - von einem Parlamentarischen Geschäftsführer - ich sage jetzt nicht von welchem - den Zwischenruf: „Herr Präsident, muß man sich so etwas anhören?" - Meine Damen und Herren - das gilt für alle Seiten - , die Antwort heißt: Ja.
({1})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Günther Friedrich Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie müssen sich auch meine Rede anhören.
({0})
In den vorliegenden Petitionen wird gefordert, daß die Entwicklung des Jäger 90 sobald als möglich abgeschlossen und auf seine Produktion verzichtet wird. Der Petitionsausschuß empfiehlt, die Petitionen den Fraktionen des Bundestages zur Kenntnis zu geben. Dieser Empfehlung stimmt die FDP-Fraktion zu.
({1})
Ich denke, wir sollten die Diskussion - nach dem, was wir hier am heutigen Nachmittag und am frühen Abend gehört haben, dies sage ich speziell in Richtung Opposition - wiede ein bißchen versachlichen.
({2})
Ich will deshalb auf die Geschichte verweisen und damit hier zum Thema sprechen. Das europäische Jagdflugzeug, kurz Jäger 90 genannt, wird seit 1988 gemeinsam von Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland entwickelt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich dabei vertraglich, meine Damen und Herren von der Opposition, d. h. bindend, verpflichtet, in der Entwicklungsphase ein Drittel der gemeinsamen Kosten und Arbeiten zu tragen. Auf Grund dieser bindenden Verträge würde ein vorzeitiges Aussteigen aus der Entwicklungsphase keine Finanzmittel einsparen. Der Kollege Thiele hat an anderer Stelle schon darauf hingewiesen. So müßten wir z. B. die run-down-Kosten der nationalen Industrie tragen. Ebenso müßten wir den Transfer von Produktionsmitteln und Produktionsanlagen aus Deutschland in die Partnerländer und die Kosten für die notwendige Fortführung des Programms bezahlen.
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie davon unterrichten, daß mir der ehemalige Haushaltsdirektor Ruppelt auf meine Bitte eine Ausarbeitung zur Verfügung gestellt hatte, in der es darum ging, was es die Bundesrepublik kosten würde, wenn wir das Projekt des Jäger 90 zu Beginn des Jahres
1991 abbrechen würden? Das Ergebnis war - ein Abbrechen ist möglich, weil es auch vertragsauflösende Bedingungen gibt - , daß es a) möglich ist, daß das b) höchstens die Kosten für die Entwicklung ausmachen würde,
({0})
daß es c) aber sehr wahrscheinlich wäre, daß es sehr viel billiger wäre, wenn man mit der Industrie vernünftig verhandeln würde.
({1})
Frau Kollegin, es gibt verschiedene Berechnungen. Vorhin ist in einem Zwischenruf auch der Bundesrechnungshof angesprochen worden. Von dieser Institution ist auch gesagt worden - und das habe ich hier wiederholt -, daß keine Finanzmittel eingespart werden.
Aber, Frau Kollegin, ich will ein weiteres Argument gleich noch dazusagen,
({0})
warum es nicht richtig wäre, jetzt auszusteigen. Wenn wir nämlich zum jetzigen Zeitpunkt aus dieser Entwicklung aussteigen würden, hätten wir keinen Zugriff auf die Ergebnisse dieser Arbeiten. Und ich will an dieser Stelle in Ihre Richtung dazu noch festhalten: Mehr als 50 % der Entwicklungsanteile des Jäger 90-Programms sind in anderen zivilen Bereichen nutzbar. Auch das gehört dazu.
Daraus ergibt sich für die FDP-Fraktion, die Entwicklungsphase sollte abgeschlossen werden. Dabei wurde von der FDP immer wieder betont - auch von dieser Stelle aus - , daß darin keinerlei Präjudiz für einen Einstieg in die Produktion zu sehen ist.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sage jetzt auch wieder in Richtung auf die Opposition:
({2})
Die Entscheidung über die mögliche Produktion des Jäger 90 muß nach Auskunft der Bundesregierung vom 3. Juli 1990 - ich verweise hierzu auf die Bundestagsdrucksache 11/7533 - nicht vor 1993 gefällt werden. Die FDP hat bereits vor knapp zwei Jahren einen Grundsatzbeschluß gefaßt, in dem wir uns gegen die Produktion des Jäger 90, aber für die Sicherstellung der Luftverteidigung durch eine kostengünstigere Alternative ausgesprochen haben. Ich betone ausdrücklich: für eine kostengünstigere Alternative. Denn wir wollen auch in Zukunft nicht auf eine Luftverteidigung verzichten, was Sie jedoch offensichtlich wollen.
({3})
Sie alle kennen die Koalitionsvereinbarung vom Januar 1991. Darin ist festgehalten worden, daß die Entwicklung beendet und über die Frage der Produktion später entschieden wird. Die Koalition hat dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach heftigem Drängen
durch die FDP endlich ihre Arbeit aufgenommen hat.
({4})
Diese Arbeitsgruppe prüft dieses Vorhaben unter Berücksichtigung der militärischen Entwicklung und der finanziellen Möglichkeiten sowie unter Berücksichtigung der Haltung der anderen an dem Projekt beteiligten Länder. Auch an diese Länder werden wir denken müssen.
({5})
Meine Damen und Herren, auch diese Arbeitsgruppe bezieht Alternativen mit ein. Bevor wir hier im Deutschen Bundestag eine Entscheidung fällen, sollten wir die Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe abwarten. Das entspricht einer sachlichen politischen Arbeit.
Wir können deshalb Ihrem Antrag auch nicht zustimmen; denn hier ist das Parlament gefragt. Sie wollen diesen Antrag der Bundesregierung zur Berücksichtigung überweisen lassen. Die Bundesregierung ist hier der falsche Ansprechpartner.
({6})
Frau Kollegin Klemmer, ich hätte an dieser Stelle gern ein Wort dazu gehört, wie Sie denn in Zukunft zur Luftverteidigung stehen, wie Sie zur Landesverteidigung stehen, und wie Sie überhaupt noch zum Auftrag der Bundeswehr stehen.
({7})
Ich habe da meine Zweifel.
({8})
Sie haben hier nicht eine einzige Alternative aufgezeigt,
({9})
haben nicht ein einziges Mal den eigenen SPD-Antrag angesprochen.
({10})
Und ich will gleich dazusagen,
Herr Abgeordneter Nolting, - Günter Friedrich Nolting ({0}): Herr Präsident, ich komme damit zum Schluß! - dieser Änderungsantrag birgt in seiner Begründung nur Widersprüche. Vor allen Dingen dann, wenn Sie das Ende der Phantom ansprechen, hätte ich ganz gern gewußt, wie denn ein Folgegerät aussehen soll.
({1})
- Das können wir im Ausschuß tun, aber ich hätte es gern auch hier und heute gehört.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch in der 11. Legislaturperiode haben sich mehrere Bürger mit Petitionen an den Deutschen Bundestag gewandt und sich gegen die Weiterentwicklung und den Bau des Jägers 90 ausgesprochen. Sie haben in staatsbürgerlicher Verantwortung auf die enormen - ich sollte sagen: sündhaften - Kosten dieses Projekts hingewiesen. Leider hat sich der Petitionsausschuß nicht entschließen können, ohne Wenn und Aber dem Votum der Bürgerinnen und Bürger zu folgen.
Der Bundesminister der Verteidigung hält das neue Jagdflugzeug nach wie vor für unverzichtbar. Der Jäger 90 sei trotz der sicherheitspolitischen Entwicklung in Europa zur Optimierung der Luftverteidigung erforderlich. Da schlägt seine Argumentation merkwürdige Kapriolen. Die Luftverteidigung, so Herr Stoltenberg einerseits, sei nicht gegen einen Gegner gerichtet und auch nicht ausschließlich von Bedrohungsvorstellungen abhängig. Andererseits wurde der Jäger 90 immer als d i e Antwort auf die sowjetische MiG 29 angepriesen; eine Maschine - so merkwürdig kann Geschichte sein -, die mittlerweile selbst von der Bundeswehr geflogen wird.
So ist das Jagdflugzeug 90 zum absurden Symbol eines ungebremsten Wettrüstens ohne Gegner geworden. Rüstung ohne militärische Bedrohung: Das offenbart die wahren Triebkräfte. Diese ungebremste Aufrüstung ist eine unverantwortliche Geldverschwendung in einer Zeit, in der Abrüstung angesagt ist.
({0})
Es ist eine sicherheitspolitische Fehlentwicklung, die deshalb so fatal ist, weil sie die begonnene Abrüstungsdynamik bremst.
Das Jäger-90-Konzept ist unvereinbar mit den Zielen von Rüstungskontrollverhandlungen, die den Abbau von Offensivfähigkeit und Überraschungsangriffen zum Gegenstand haben. Es soll offenbar Bestrebungen verschleiern, die den Abbau von Quantität durch Modernisierungsschübe zu kompensieren versuchen. Dabei machen doch gerade die gegenwärtigen Veränderungen in Europa die Sinnlosigkeit militärischer Rüstungsperfektion augenfällig. Das nehmen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger so wahr, wie die hier zu behandelnden Petitionen belegen.
Deshalb ist der sofortige Ausstieg aus der Jäger-90Entwicklung die einzige Alternative.
({1})
Es ist unverantwortlich, länger mit dem Ausstieg zu warten und statt dessen erneut 830 Millionen DM in ein Rüstungsfossil zu stecken, das sich längst überlebt hat. Zu Recht zählen uns die Bürger auf, wo dieses Geld sinnvoller zu verwenden wäre.
Ich will nicht zu vermessen sein, meine Damen und Herren, und sagen: statt Jäger 90 Bündnis 90,
({2})
aber wir wüßten mit 830 Millionen DM ganz sicher etwas Besseres anzufangen als Herr Stoltenberg.
Konrad Weiß ({3})
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1644. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den heute morgen auf die Tagesordnung aufgesetzten Zusatzpunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 12/1154, 12/1363, 12/1387,
12/1392, 12/1526, 12/1660 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Vogt ({1})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Herr Kollege Vogt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren des Bundesrates zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch am 25. November 1991 beraten. Der Beschluß des Vermittlungsausschusses ergibt sich aus der Drucksache 12/1660.
Der Vermittlungsausschuß hat mit den Stimmen der Bundestags- und Bundesratsmitglieder von CDU/ CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD-Mitglieder beschlossen:
Erstens. Die Zuzahlung zu Arzneimitteln und Verbandsmitteln, für die ein Festbetrag nicht festgesetzt ist, in Höhe von 15 %, mindestens 1 DM und höchstens 10 DM je Mittel beginnt nicht am 1. Oktober 1992, sondern erst am 1. Juli 1993. Bis zum 30. Juni 1993 bleibt es also bei der Zuzahlung von 3 DM je Mittel, jedoch nicht mehr als die Kosten des Mittels selbst.
Zweitens. Die im Gesetzesbeschluß des Bundestages vorgesehene Regelung, daß in den neuen Bundesländern bis zum 30. September 1992 nur 1,50 DM zugezahlt werden müssen, wird dahin gehend verändert, daß diese günstige Regelung bis zum 30. Juni 1993 verlängert wird.
Alle anderen Vermittlungsbegehren der Bundesratsmehrheit hat die Mehrheit im Vermittlungsausschuß nicht aufgegriffen. Zu einzelnen dieser Vermittlungsbegehren hat sie jedoch deutlich gemacht, daß sie nicht einfach abgelehnt wurden, vielmehr noch im einzelnen überprüft werden müssen.
Die Vermittlungsausschußminderheit, also die Bundestags- und Bundesratsmitglieder der SPD, hat allen Anrufungsbegehren des Bundesrates zugestimmt.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
So weit mein Bericht.
Als Mitglied des Vermittlungsausschusses möchte ich die Entscheidung der Mehrheit zu einigen Punkten ganz knapp begründen. Einige Anrufungsbegehren waren nach unserer Ansicht sachlich nicht gerechtfertigt, eines sogar kontraproduktiv.
Ich nenne das erste Beispiel. Der Bundesrat wollte eine Bestimmung des Gesundheits-Reformgesetzes rückgängig machen, wonach in Zukunft beim medizinischen Dienst nicht nur Beamte, sondern auch Angestellte beschäftigt werden können und der medizinische Dienst freiberuflich Tätige in seinen Dienst aufnehmen kann. Die Bundesratsmehrheit wollte zurück zur Verbeamtung des medizinischen Dienstes. Das wäre ein Schritt zurück gewesen, und diesen Schritt zurück machen wir nicht mit.
Der zweite Punkt. Künftig haben versicherte Kinder Anspruch auf sozialpädiatrische Leistungen, wenn - ich zitiere das Gesetz sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen.
Leistungen, die die gesetzliche Krankenversicherung gewährt, können nicht losgelöst von der Bedingung erbracht werden, daß sie ärztlich verordnet werden. Im übrigen, wären wir dem Begehren des Bundesrates gefolgt, es wäre zu einer überbordenden Ausgabenflut für neue Leistungserbringer gekommen. Ich verstehe nicht, wie sich die SPD dieses Begehren des Bundesrates hat zu eigen machen können.
Meine Damen und Herren, einige Anrufungsbegehren haben wir sehr sorgfältig daraufhin überprüft, ob sie im Vermittlungsverfahren jetzt entschieden werden können. Ich nenne die Begehren betreffend Heil- und Kostenpläne bei zahnärztlicher Behandlung, abrechnungsfähige Materialien beim Zahnersatz, vor allem Großgeräte, ihren Einsatz und das Verhältnis zwischen Großgeräteausschuß und Bundesausschuß. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß es nicht zweckmäßig ist, diese zum Teil komplizierten Fragen im Vermittlungsverfahren endgültig zu entscheiden. Im übrigen haben CDU/CSU und FDP eine Kommission eingesetzt, die sich vor allem mit den Vermittlungsbegehren zu den Punkten 6, 7 und 8 beschäftigen wird.
Es bleibt also bei dem Vorschlag der Änderung der Fristen bei der Zuzahlung. Ich glaube, viele Versicherte werden sich über diese veränderten Fristen freuen, und ich meine, zu Recht. Aber diese veränderten Fristen schaffen der Selbstverwaltung einen größeren zeitlichen Spielraum, um in dieser Zeit noch mehr Arzneimittel in die bewährte Festbetragsregelung einzubeziehen.
Weil das Ergebnis des Vermittlungsausschusses für die Versicherten, aber auch für die Fortentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung und des
Wolfgang Vogt ({0})
Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ein Vorteil ist, bitte ich um Zustimmung zu dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses.
({1})
Dazu der Abgeordnete Dr. Peter Struck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion kann diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen,
({0})
weil wir hier u. a. einen Vorgang erlebt haben, der ein bezeichnendes Licht auf die von der Union regierten Länder, insbesondere auf die neuen Bundesländer, wirft.
Die Bundesländer, die von der Union regiert werden, haben bis auf zwei den Vermittlungsausschuß angerufen. Es gab im Bundesrat ein Ergebnis von 14 : 2 für die Anrufung des Vermittlungsausschusses.
({1})
Leider sind dann alle B-regierten Länder - für die Zuhörer draußen sage ich: Das heißt, leider noch CDU/CSU-regierten Länder ({2})
umgefallen und haben sich den berechtigten Anliegen der Menschen, insbesondere in den neuen Bundesländern, verweigert, was sehr zu beklagen ist.
({3})
Das Anrufungsbegehren des Bundesrates, das die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt, hatte drei politische Kernpunkte: Erstens Verlängerung des einheitlichen Beitragssatzes von 12,8 % in der Krankenversicherung der ostdeutschen Bundesländer, zweitens verbindliche Gestaltung der Planung des Einsatzes von medizinisch-technischen Großgeräten, drittens die Vermeidung der drastischen Erhöhung der Arzneimittelzuzahlung durch die Patienten auf 15 % bzw. höchstens 10 DM je Medikament durch Verankerung eines dreijährigen Moratoriums.
Herausgekommen ist ein kleines Moratorium von nur neun Monaten. Das ist zwar eine kleine Hilfe für die Menschen in den neuen Bundesländern. Aber es ist absolut nicht ausreichend, weil wie jeder Mensch weiß, diese neun Monate nicht ausreichen werden, diese Nöte zu mildern.
Die Argumentation der Koalitionsvertreter, nach der in diesem Zeitraum das Instrument der Festbeträge so ausgeweitet sei, daß es für die Mehrzahl der Medikamente dann endlich zur Anwendung kommen könnte, ist völlig unaufrichtig und erfolgt wider besseres Wissen. Denn wir wissen, daß die Bundesregierung, Frau Kollegin Hasselfeldt, überhaupt nicht in der Lage sein wird, die dann angepeilte Zahl von
80 %, die Sie genannt haben, auch nur annähernd zu erreichen.
({4})
Wir sind ja jetzt noch nicht einmal bei 35 %, Herr Kollege Hoffacker, was Sie mir durch Nicken bestätigen werden.
({5})
Der Beschluß des Vermittlungsausschusses vom vergangenen Montag ist im übrigen auch für Parlamentarier, die durch den Deutschen Bundestag in den Vermittlungsausschuß entsandt worden sind, ein etwas beschämendes Ereignis gewesen, Herr Kollege Vogt. Denn daß sich die Länder, die den Vermittlungsausschuß angerufen haben, anhören müssen, daß der Sprecher der CDU im Vermittlungsausschuß, der von mir sehr geschätzte Kollege Blens, sagt: Ganz egal, was die da im Bundesrat beschlossen haben; die Koalition hat beschlossen, es geht woanders lang, und daß sie das dann schweigend hinnehmen, ist nicht gerade ein Beispiel für das Selbstbewußtsein von CDU-regierten Ländern.
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Deshalb werden wir diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen. Ich teile Ihnen gleichzeitig auch mit, daß sich der Bundesrat in seiner übermorgigen Sitzung mit diesem Ergebnis auch nicht abfinden wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bruno Menzel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Zweiten Gesetz zur Änderung des SGB V beinhaltet als wesentliche Änderung des Originaltextes die Verschiebung der 15%igen Zuzahlung für Nichtfestbetragsarzneimittel bis zum Höchstbetrag von 10 DM je Medikament auf den 1. Juli 1993.
In vier Punkten ist das Gesetz unverändert gegenüber dem Koalitionsentwurf übernommen worden.
Dazu gehört u. a. die Klarstellung des Leistungsanspruches bei sozialpädiatrischer Behandlung. Die vom Bundesrat begehrte Ausweitung der sozialpädiatrischen Leistungen hätte lediglich zu einer Verlagerung der Kosten vom Sozialhilfeträger auf die GKV geführt, ohne daß damit eine Leistungsverbesserung für die betroffenen Kinder verbunden gewesen wäre.
Auch die Verdoppelung der Bezugsdauer beim Krankengeld für die Pflege erkrankter Kinder - bei Alleinstehenden Vervierfachung - unter Heraufsetzung der Altersgrenze von acht auf zwölf Jahre wurde unverändert beibehalten.
Zusätzliche Begehren des Bundesrates wurden vom Vermittlungsausschuß in mehreren Punkten abgelehnt. Dazu gehört insbesondere die Fortschreibung eines einheitlichen Beitrages für die Krankenversi5088
cherungen in den neuen Bundesländern für 1992. Eine solche Fortschreibung wäre aus unserer Sicht ordnungspolitisch verfehlt und würde den möglichen Wettbewerb verhindern. Außerdem haben zahlreiche Kassen bereits verkündet, daß sie 1992 keine Beitragserhöhungen in den neuen Bundesländern beabsichtigen, ja, daß sogar Beitragssenkungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 nicht auszuschließen sind. Dies durch die Beitragsfortschreibung zu verhindern wäre ausgesprochen schädlich, da dadurch eine Senkung der Lohnnebenkosten behindert würde.
Auch einigen weiteren Begehren des Bundesrates, die derzeit Gegenstand der Diskussion in der Koalition sind, wurde nicht gefolgt, da keine zwingende Notwendigkeit bestand, im Eilverfahren eine Gesetzesänderung herbeizuführen, ohne die notwendige gesundheitspolitische Diskussion innerhalb der Koalition beendet zu haben.
Insgesamt, meine Damen und Herren, fällt uns trotz allem die Zustimmung zu dem Vermittlungsvorschlag keineswegs leicht. Letztendlich bedeutet eine Verschiebung des Wirksamwerdens des Arzneimittelzuschlages, daß ein notwendiges Steuerungsinstrument bis zum 1. Juli 1993 hinausgeschoben wird. Dies wiegt um so schwerer, weil daraus eine nicht unbeträchtliche Belastung der GKV resultieren kann. Der Vermittlungsvorschlag bedeutet aber auch, daß sich Bundestag und Bundesrat zu der Notwendigkeit der Arzneimittelzuzahlung bekennen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.
({0})
Frau Abgeordnete Dr. Ursula Fischer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses, die erhöhte Selbstbeteiligung der Patienten an Medikamenten auf den 1. Juli 1993 zu verschieben, verdeutlicht zwar eine gewisse Einsicht in die Problematik, ändert jedoch gar nichts an der Grundtendenz und muß auch nicht nur für den Bundesrat eine Enttäuschung und wie eine Ohrfeige sein.
Wir setzen uns auch weiterhin dafür ein, daß Patienten, also kranke Menschen, von allen möglichen Zuzahlungen auf dem sogenannten Gesundheitsmarkt befreit werden. Auch deshalb lehnen wir den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ab. Diese Form fauler Kompromisse löst bekannterweise weder das Problem der Kostenentwicklung des Gesundheitswesens noch den Arzneimittelverbrauch, abgesehen von der Tatsache, daß die Versicherten - zwar ein bißchen später - noch etwas tiefer in ihre eigene Tasche greifen müssen. Dazu kommen noch die anstehenden Beitragssatzerhöhungen der Krankenkassen und die zu erwartenden Beiträge für die Pflegeversicherung und - da bin ich mir sicher - noch einiges mehr.
Der Sozialstaat BRD nimmt sich jedes Jahr ein wenig mehr aus der Verantwortung für die Gesundheit seiner Bürger und überläßt das Problem Krankheit, Unfall und ähnliches mehr dem privaten Geldbeutel. Unter diesem Aspekt sehe ich auch, daß die Begrenzung des Freistellungsanspruchs trotz Bundesratsempfehlung nicht gestrichen wurde. Diese Regelung ist nicht nur nicht sachgerecht, sondern auch ausgesprochen unsozial, besonders für kinderreiche Familien.
Meine Damen und Herren, dieses Land steuert aus meiner Sicht auf amerikanische Verhältnisse zu.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungen im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen ist. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf:
Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksachen 12/1421, 12/1600 - Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Esters
Werner Zywietz
Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor, über den im Anschluß an die Aussprache gegen 21.30 Uhr namentlich abgestimmt werden soll.
Die interfraktionelle Vereinbarung sieht für die Aussprache eine Stunde vor. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Esters.
Helmut Esters ({0}) ({1}): Ich bedanke mich natürlich zunächst bei den Kollegen aus dem Haushaltsausschuß sehr herzlich für den ausgesprochen freundlichen Empfang, der mir beim Gang zum Podium bereitet worden ist. Ich bedanke mich ebenfalls bei den Mitgliedern aus dem Entwicklungsausschuß, und zwar bei Abgeordneten aus mehreren Fraktionen.
({2})
- Ja, ja.
Wir haben hier den Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu beraten, der in diesem Jahr nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses ein Volumen von rund 8,2 Milliarden DM hat.
Nur zum Vergleich, damit man weiß, welchen Handlungsspielraum das für den ganzen Süden bedeutet: Wir haben an Barleistungen in 1990 und 1991 für die Golfregion rund 9,5 Milliarden DM aufgebracht, und wir bringen im nächsten Jahr - so auch die Zahl des Bundeskanzlers heute morgen - für die
Entwicklung und für die verschiedenen Finanzierungen im Bereich der neuen Länder in diesem Jahr etwas über 140 Milliarden DM auf. Daraus kann man ersehen, welche marginale Größe dieser Etat für den riesigen Bevölkerungsteil auf der südlichen Halbkugel hat.
Wir wissen aber auch - dies ging heute morgen glücklicherweise durch alle Debatten quer durch -, daß andere Politikfelder in wesentlich größerem Umfange auf die Länder und die Bevölkerung der Dritten Welt einwirken, als es dieser Einzelplan 23 überhaupt kann.
({3})
In einer der letzten Ausgaben der „Zeit" hat Erhard Eppler einen lesenswerten Artikel zu diesem Bereich geschrieben, wo er die Entwicklungspolitik in die Dimensionen der Gesamtpolitik treten läßt. Als reine Sonderaufgabe eines einzelnen Ressorts, das zudem noch ständig um Kompetenzen und Zuständigkeiten kämpfen muß, steht sie allerdings auf verlorenem Posten.
Erhard Eppler nennt zwei Beispiele, wie sich andere Politikbereiche auf die Länder der Dritten Welt auswirken. Er sagt: Unsere europäische Agrarpolitik ist eine schlechte Entwicklungspolitik; denn sie veranlaßt viele Länder der Dritten Welt, Futtermittel für das Wachsen der europäischen Fleischberge anzubauen anstatt Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung.
({4})
Die ländliche Bevölkerung in diesen Ländern und die Länder selbst erzielen nämlich höhere Einnahmen - und das noch in Devisen - für den Anbau von Sojabohnen als für das Grundnahrungsmittel schwarze Bohnen.
Als weiteren Punkt nennt Eppler: Unsere Energiepolitik ist schlechte Entwicklungspolitik, wenn sie die Ölpreise durch unsere Nachfrage hochhält oder wenn sie technische Leitbilder schafft, die im Süden verheerend wirken müssen. - Man könnte hier noch eine ganze Menge von Beispielen anführen.
Die Entwicklungspolitik selber mit dem eben genannten Volumen von rund 8,2 Milliarden DM kann die Schäden nicht reparieren, die in anderen Politikfeldern angerichtet werden. Deswegen müssen wir begreifen - das klang heute morgen verschiedentlich schon an -, daß die Entwicklungspolitik bei uns zu Hause anfängt.
({5})
Nur wenn wir selber an den Umbau unserer Industriegesellschaft ernsthaft herangehen, gewinnen die Länder des Südens die Freiheit zur Nachahmung.
Für uns sind weitere Punkte, die in diesem Einzelplan enthalten sind, von besonderer Bedeutung. Wir alle sind uns immer und zu allen Zeiten darin einig gewesen: Wenn es zu entscheidenden Abrüstungsprozessen kommt, dann werden im Zuge der Abrüstungsmaßnahmen entscheidende Mittel für den Bereich der Entwicklungspolitik freiwerden.
({6})
Aus diesem Grund haben wir Ihnen jetzt auch den Antrag vorgelegt, freiwerdende Mittel im Zuge der Umschichtung aus dem Einzelplan der Verteidigung in den Einzelplan der wirtschaftlichen Zusammenarbeit hinübergehen zu lassen.
Ein anderer Punkt ist - da bitte ich vor allen Dingen die Kolleginnen und Kollegen der Koalition, doch endlich einmal tatkräftig mitzuhelfen, daß die Ankündigung des Bundeskanzlers aus der Regierungserklärung vom Jahre 1987 umgesetzt werden kann -, daß die Rückflüsse aus Zinsen und Tilgungen als zusätzliche Mittel für die wirtschaftliche Kooperation zur Verfügung gestellt werden sollten.
({7})
Ich will der Ehrlichkeit halber sagen: Das Bundesfinanzministerium hat uns drei Jahre lang an der Nase herumgeführt.
({8})
Wir sollten nämlich die zusätzlichen Einnahmen bekommen; diese kamen aber nicht. Nun hatten wir das im Haushalt 1991 gerade korrigiert, und was passiert? Rund 150 Millionen DM Mehreinnahmen aus diesem Titel. Da allerdings bin ich jetzt auch den Kollegen der Koalition, Christian Neuling und Werner Zywietz, sehr dankbar dafür, daß sie bereit waren, diese Beträge in den Nachtragshaushalt, der im Laufe dieser Woche ebenfalls zur Beratung ansteht, aufzunehmen und diese Teile so für den Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu retten.
Ich wäre aber schon dankbar, wenn das, was der Bundeskanzler im Jahre 1987 versprochen hat, endlich umgesetzt werden könnte.
({9})
- Ja, natürlich. - Für uns ist das - ich habe das schon einmal beim Finanzminister selbst angemahnt, auch im Haushaltsausschuß - ein ganz wichtiger Punkt.
Ich bin allerdings froh - das sage ich jetzt auch einmal - , daß die Entwicklungspolitiker mit einiger Verspätung den Haushaltspolitikern in einem Punkt gefolgt sind: bei der Veranschlagung der Mittel für die entsprechenden Hilfen der mittel- und osteuropäischen Länder in einem neuen Kapitel, das dann 23 04 heißen könnte, im Einzelplan 23.
({10})
Warum? Wichtig ist, daß die Mittel und die Bewirtschaftung dort veranschlagt werden, wo man das Durchführungsinstrumentarium in seiner ganzen Breite verfügbar hat und zum Einsatz bringen kann.
({11})
Ich lade die Kolleginnen und Kollegen der Koalition dazu ein, wenn es denn jetzt nicht gelingt, mit dafür zu sorgen, daß wir dies dann wenigstens im nächsten Haushalt realisieren können. In dem ganzen Bereich der Durchführungsorganisationen, in dem Bereich der
Verwaltungshilfe verfügt die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung über einen hervorragenden Ruf.
Im ganzen Bereich der technischen Zusammenarbeit, die ja ebenfalls ein wichtiger Punkt ist, haben wir als Instrument die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Eschborn, die entsprechendes Knowhow, das nicht immer im eigenen Hause vorhanden sein muß, auf dem Markt einkaufen und es bündeln kann, damit nicht jedes Ressort eine eigene Spielwiese und eine eigene Durchführorganisation schafft,
({12})
so daß kein Mensch nachher mehr weiß, wo das denn überhaupt noch gebündelt wird. Selbst die klügsten Haushälter
({13})
wissen heute schon nicht mehr ganz genau - da müssen wir uns schon sehr anstrengen, um uns noch zurechtzufinden - , wo denn was etatisiert ist oder wem dann was aus dem Einzelplan 60 zur Durchführung
({14})
überwiesen worden ist.
Uns kommt es, Herr Minister - wir haben dies schon ein paarmal gesagt - auch darauf an - da sind wir ebenfalls nicht auseinander -, daß es uns gelingt, den ganzen Komplex der Länderquoten, die ja ein schrecklich starres Gerippe darstellen, aufzulockern,
({15})
damit wir dann auf jeweils eintretende Entwicklungen besser reagieren können, als das heute der Fall ist.
({16})
Ich warne aber Neugierige. Dies ist eine Sisyphusarbeit, die mit dem Subventionsabbau vergleichbar ist. Wer darüber Näheres wissen will, der erkundige sich bei Jürgen Möllemann; er hat damit schon Erfahrungen gemacht.
({17})
Ich hoffe aber, daß wir diese Erfahrungen hier mit dem Einzelplan 23, Herr Minister, nicht machen müssen.
({18})
Herr Kollege Esters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?
({0})
Aber sicher.
Bitte sehr.
Herr Kollege Esters, ich darf Sie fragen, ob das Thema, das Sie eben sehr überzeugend dargestellt haben, nicht auch Gegenstand eines Gespräches mit dem damaligen Haushaltsausschußvorsitzenden Albert Leicht gewesen ist. Können Sie uns vielleicht kurz über das Ergebnis dieses Gespräches berichten?
({0})
Herr Kollege Struck, so leid es mir tut, ich muß Sie enttäuschen. Denn in der Zeit, als Albert Leicht Vorsitzender des Haushaltsausschusses war, wurde, übrigens einstimmig, die Vertraulichkeit im Haushaltsausschuß eingeführt, die wir auf Grund neuerer Erkenntnisse, die auch uns gekommen sind, jetzt wieder auflockern wollen. Daraus mögen Sie entnehmen, wie lernfähig wir sind, Herr Kollege Struck.
({0})
- Das war überhaupt nicht abgesprochen.
Für uns sind andere Punkte von besonderer Wichtigkeit, nämlich daß wir dort, wo Länder zu Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft übergehen wollen, so etwas wie einen Demokratiebonus geben können, der verschiedenartig ausfallen kann. Wir können damit ein sichtbares Zeichen setzen, daß wir die Instrumente, die wir zur Verfügung haben, jetzt intensiver einsetzen.
Im Bereich des Schuldenerlasses ist es möglich, daß wir diese Länder bevorzugt behandeln, damit die Startchancen für demokratisch gewählte Regierungen besser werden.
({1})
In anderen Bereichen kann es vorkommen, daß wir dort, wo wir im Normalfall Kredite vergeben hätten, in Einzelfällen von der Möglichkeit, Zuschüsse zu vergeben, Gebrauch machen.
({2})
- Wenn Sie genau hingehört haben, Herr Kollege Weng, dann stellen Sie fest, daß das nicht differenziert klingt.
Aus eigenem Interesse sollten wir, wie es heute morgen unser Fraktionsvorsitzender auf einen Hinweis von Uwe Holtz hin formuliert hat, eine präventive Entwicklungspolitik mit dem Ziel betreiben, zumindest auf längere Sicht neue und größere Flüchtlingsströme im Zuge einer erkennbaren Armutswanderung verhindern zu helfen.
Oberstes Ziel in diesem Bereich der Entwicklungspolitik muß es sein, zu einer menschenwürdigen, wirtschaftlich produktiven, sozial gerechten, umweltverträglichen und auf Dauer tragfähigen Entwicklung in
den Ländern der Dritten Welt - und auch im Mittleren und Nahen Osten - beizutragen.
({3})
Neben einer entwicklungsverträglichen Umgestaltung der internationalen Rahmenbedingungen bedarf es dazu auch der Beseitigung interner Entwicklungshemmnisse. Zu diesen Hemmnissen gehören: Diktaturen jedweder Art, politische und soziale Unfreiheit, Rechtsunsicherheit, ineffiziente Verwaltungen, ungeeignete Wirtschafts- und Energiekonzepte sowie ungerechte und ineffiziente Produktions-, Vermögens-, Eigentums- und Einkommensstrukturen.
({4})
Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit müssen Menschenrechtsorientierung, Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe, die Eindämmung des Bevölkerungswachstums,
({5})
Umweltprobleme sowie - ganz allgemein - Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen verstärkt werden.
Für eine in dieser Richtung orientierte Entwicklungspolitik, die sowohl aus humanitären Gründen als auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse geboten ist, muß das Volumen der öffentlichen Haushalte im Lauf der 90er Jahre wesentlich gesteigert werden.
({6})
Es klang heute morgen - auch beim Bundeskanzler und bei den Fraktionsvorsitzenden - durch: Wir alle werden in absehbarer Zeit in diese Richtung gehen müssen, und sei es für viele nur aus Gründen stärkeren Eigeninteresses.
Wir haben Ihnen einen Antrag, der in diese Richtung geht, die ich auszuführen versucht habe, vorgelegt. Wir haben Ihnen gleichzeitig den entsprechenden Deckungsvorschlag aus dem Einzelplan 14 gemacht.
({7})
Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Sie beiden von uns vorgelegten Anträgen zustimmen würden; denn dann könnten auch wir dem Einzelplan 23 unsere Zustimmung geben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile unserem Kollegen Dr. Christian Neuling das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Den Einzelplan 23 zeichnet aus, daß er nicht von einer harten politischen Kontroverse geprägt ist. Es geht im Kern darum, Menschen zu helfen. Dies ist parteiübergeifend und sollte auch fraktionsübergreifend sein.
({0})
Der Unterschied zeigt sich, lieber Kollege Helmut Esters, eher darin, wo man die politische und finanzielle Seriosität ansetzt und wo sie aufhört. Wenn ich mir euren Antrag ansehe, dann stelle ich fest, daß er in vielen Punkten dem entspricht, was wir bei der Beratung des Haushalts in der Bereinigungsrunde selber aus der Koalition heraus verändert haben. Dies gilt z. B. für die Frage der Förderung demokratischer Entwicklungen. Dafür haben Sie 200 Millionen DM angesetzt. Wir haben das bei der Förderung der NGO's, nämlich der Stiftungen und Kirchen - mit 25 Millionen DM umgesetzt. Ähnliches gilt für die FZ.
Kurzum: Wir haben uns an die haushaltspolitische Seriosität gehalten, so wie es eine Regierungskoalition nun einmal machen muß. Das heißt, wir haben das gemacht, was wirklich durchführbar ist. In der Tendenz sind wir gar nicht unterschiedlicher Meinung. Nur, in der Frage der Seriosität entscheiden wir uns eben wirklich auch für eine Berechenbarkeit der öffentlichen Haushaltspolitik. Darum müssen wir diesen Antrag leider ablehnen.
Über den Deckungsvorschlag im Zusammenhang mit dem Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - ist bereits genug gesagt worden. Dazu muß etwas kritischer bemerkt werden, gerade in Richtung dessen, was Sie ausgeführt haben, lieber Herr Kollege Esters: Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten jenen Teil der Diskussion aufgegriffen, der da sagt: 1992 die eine Milliarde im Einzelplan 14 einfach zu streichen, ist nur ein Federstrich, aber nicht seriös, weil gar nicht durchführbar. Dazu muß man stehen und sagen: Solche unseriösen Deckungsvorschläge soll man im Rahmen einer Haushaltsberatung nicht machen.
({1})
Man sollte eine politische Aussage treffen und bekennen: Wir wollen dies tun, können es aber nicht finanzieren.
({2})
Das ist dann glaubwürdig. Das andere ist nicht glaubwürdig. Daher wird dieser Antrag sicher nicht unsere Zustimmung finden.
Ich möchte im Rahmen der Aussprache kurz auf die Eckdaten des Einzelplans 23 eingehen. Ich glaube, es ist gemeinsam gelungen - insofern danke ich Herrn Kollegen Esters für die Anerkennung - , im Einzelplan 23 ebenso wie 1991 auch wieder für 1992 über die Fraktionsgrenzen hinaus Schwerpunkte zu setzen und Weichenstellungen vorzunehmen. Dabei geht es um die deutliche Verstärkung der Finanziellen Zusammenarbeit, um eine deutliche Verstärkung auch im Bereich der Förderung von gesellschaftlichen Veränderungen in den Entwicklungsländern, und es geht auch um eine deutliche Verstärkung der Unterstützung von politischen Prozessen in Osteuropa, auch wenn jeder weiß, daß noch innerhalb der Koalition ausgefochten werden muß, wo diese Förderung res5092
sortiert. Es kann gar kein Zweifel bestehen, daß die Instrumente beim BMZ vorhanden sind und dort genutzt werden sollen und müssen.
({3})
Ich finde, man sollte auch anerkennen - Sie haben dies getan, Herr Kollege Esters - , daß wir, indem wir die Ernährungshilfe gedeckelt und dem Zugriff der Finanziellen Hilfe entzogen haben, dem Bundesminister und seiner Truppe ein Stück mehr Berechenbarkeit bei der Gewährung von finanziellen Hilfen verschafft haben. Ich halte dies für eine ganz wichtige Weichenstellung, denn man kann mit einem ansonsten offenen Titelansatz im Grunde genommen keine Projekte seriös fördern.
Weil sie die Gemeinsamkeit betont haben, Herr Kollege Esters, möchte ich bei dieser Gelegenheit dem Bundesminister und seinen Mitarbeitern anläßlich des 30jährigen Bestehens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Glückwünsche aussprechen. Die Gründung war, wie ich lernen konnte, 1961 eine sogenannte Weltpremiere. Ich möchte diese Glückwünsche mit dem Dank für die geleistete Arbeit verbinden, und zwar nicht nur für die Arbeit in den vergangenen neun Jahren, Herr Bundesminister, sondern in den vergangenen drei Jahrzehnten. Entwicklungspolitik war schwerpunktmäßig immer eine gemeinsame politische Aufgabe. Deswegen gilt der Dank den Leistungen in den vergangenen drei Jahrzehnten.
({4})
Ich möchte nun einige Schwerpunkte unserer Entwicklungspolitik anführen, die nicht strittig sind. Ich nenne zum einen die Armutsbekämpfung. Die Menschen in den Entwicklungsländern müssen durch eine zügige und spürbare Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse eine Perspektive vor Ort erhalten. Ich halte das für eine ganz wichtige Zielrichtung der Entwicklungspolitik. Sie müssen dies unter Beachtung ihrer kulturellen Identität auch dadurch schaffen, daß sie sich eine eigenständige Lebensgrundlage selber erarbeiten können.
Ich glaube, letztlich wird nur auf diesem Wege dem ständig steigenden Strom von Flüchtlingen, einer Völkerwanderung modernster Art am Ausgang des 20. Jahrhunderts, wirksam entgegenwirkt werden können. Es kann nicht strittig sein, daß über 90 % der Asylsuchenden aus überwiegend wirtschaftlichen Motiven in die Industrienation - ich rede jetzt als Beispiel von Deutschland - kommen. Nach meiner festen Überzeugung - auch die Debatte am heutigen Tag hat dies gezeigt - wird nur eine Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes diesen Mißbrauch wirksam eindämmen können.
({5})
Dies ist die politische Handlung, die wir jetzt entscheiden müssen.
Unabhängig davon und parallel begleitend muß es aber auch gelingen, an der eigentlichen Ursache anzusetzen. Den Menschen in diesen Ländern muß es möglich sein, ihre Lebensbedingungen so zu gestalten, daß sie dort bleiben. Es kann doch kein Ziel unserer Politik sein, die Menschen zu entwurzeln. Wir müssen vielmehr unseren Teil dazu beitragen, daß die Menschen in ihrem Heimatland bleiben. Eine entsprechende Förderung muß auch das Ziel der Entwicklungshilfe sein.
({6})
Ein weiterer Punkt betrifft die Bildung und Ausbildung. Ich will das nur ganz kurz streifen. Ich glaube, daß gerade wir mit unserer Berufsausbildung einen wichtigen entwicklungspolitischen Schlager - so möchte ich es einmal nennen - haben. Ich finde, wir sollten auch darauf achten, daß dieser Bereich der beruflichen Ausbildung wesentlich stärker auch in der internationalen Entwicklungspolitik zum Ausdruck kommt; denn nur eine eigene berufliche Ausbildung schafft letztlich die Voraussetzung für eine eigene Lebensbildung.
({7})
Ich sage im Hinblick auf die Bildung, Herr Kollege Esters, weil Sie die Demokratien - wie ich finde, zu Recht - angesprochen haben: Gerade Bildung und Wissen bedeuten mehr Sicherheit und Selbstvertrauen im Umgang mit neuen Herausforderungen und fördern nicht zuletzt die Bereitschaft, sich für politische Veränderungen im Sinn einer Demokratisierung im eigenen Lande einzusetzen.
Das heißt Bildung und Demokratisierung gehen durchaus Hand in Hand.
({8})
Insoweit haben wir eine wichtige Aufgabe, gerade diese gesellschaftspolitische Veränderung und die politische Bildung und berufliche Ausbildung in den Entwicklungsländern selber zu fördern, weil wir so im Kern auch Demokratisierungprozesse fördern bzw. stabilisieren.
({9})
Ich glaube, daß dieser Punkt genauso wichtig wie die berufliche Ausbildung ist.
Der dritte Punkt, der globale Umweltschutz, ist über die Fraktionen hinaus unstrittig. Auch hier eine Zahl: In 1992 ist der Ansatz für diesen Teilbereich - man kann sagen, unbefriedigend, aber es geht nur Stück für Stück - um über 100 % auf ca. 40 Millionen DM gestiegen.
Die Verantwortung für den globalen Umweltschutz ist zu Recht genannt worden. Nur stoßen wir hier, Herr Kollege Esters, letztlich irgendwo an eine Grenze finanzieller Beherrschbarkeit und Machbarkeit.
({10})
Der Etat ist eben auch ein Ausdruck politischer Prioritäten.
({11})
- Ich halte es für völlig falsch, hier immer wieder Jäger 90 gegen irgend etwas zu verrechnen. Ich finde, der Bundesverteidigungsminister hat zu Recht gesagt: In dem Moment, wo ich anfange, einzelne Etatposten gegeneinander zu wichten, komme ich zu einer negativen Emotionalisierung. Dies ist kein positiver AnDr. Christian Neuling
satz. Ich könnte genauso sagen: Jäger 90 gegen Diätenerhöhung oder Erhöhung der Beamtenbesoldung. Das wäre das gleiche. Nein, ich finde, Sie müssen den Etat insgesamt sehen, Sie müssen Prioritäten setzen und ihn nach den Prioritäten sauber finanzieren. Das gegenseitige Ausspielen ist eine negative Emotionalisierung. Ich warne davor. Sie rufen Geister, die Sie dann nicht mehr beherrschen können.
Ich möchte jetzt zu einem Punkt kommen, den Sie, Herr Bundesminister Spranger, wie ich finde, zu Recht in den Vordergrund der entwicklungspolitischen Diskussion gebracht haben, nämlich die Formulierung von Rahmenbedingungen für eine Entwicklungspolitik insgesamt. Ich will diese kurz nennen: Aufbau rechtsstaatlich-demokratischer Strukturen, Schaffung einer marktwirtschaftlichen Ordnung, strikte Achtung der Menschenrechte und deutliche Beschränkung der Rüstungsausgaben.
({12})
Ich meine, daß wir in Zukunft deutlich den Vorteil des Wegbrechens des Ost-West-Konfliktes, des Wegbrechens des Blocksystemdenkens in der Welt nutzen müssen, um weniger erpreßbar, nämlich frei von ideologischen Zwängen, Entwicklungspolitik in den Entwicklungsländern durchführen zu können.
({13})
Dazu gehört, ganz wichtig für mich, daß wir mit den Erkenntnissen, die wir beim Aufbau unseres eigenen Landes gewonnen haben, nicht nur werben, sie nicht nur durchaus zügig hinaustragen, sondern sie auch direkt mit aktiver Entwicklungspolitik koppeln. Es wird keiner gezwungen, deutsche Entwicklungshilfe anzunehmen. Aber wir müssen doch die Erkenntnisse, die wir selber gewonnen haben, wie man Wirtschaftswachstum - ich möchte es an diesem Punkt einmal deutlich machen - wirklich fördern kann, auch in den Entwicklungsländern breit streuen und dafür werben, daß sie entsprechend umgesetzt werden.
Ich glaube auch, daß die Probleme im Zusammenhang mit der Bewältigung des desolaten Erbes der sozialistischen Staaten in Osteuropa - der Hinweis auf die Planwirtschaft und deren Unfähigkeit, Wirtschaftswachstum zu organisieren, hat mir ein bißchen gefehlt, Herr Kollege Esters - und die eigene Erfahrung der Entwicklungsländer weltweit zu der Erkenntnis geführt haben, daß wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand untrennbar verbunden sind mit einer freiheitlichen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung sowie einer sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft.
({14})
Dies ist ein ganz wichtiger Faktor für künftige Entwicklungspolitik.
Ich warne in diesem Zusammenhang auch vor der Ansicht, über Prestigeprojekte Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern stimulieren zu können. Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern wird nicht auf Grund der Realisierung derartiger Prestigeprojekte erfolgen, sondern aus einer wachsenden Fähigkeit resultieren, die Bedürfnisse durch inländische Produktion zu befriedigen.
({15})
Bildlich gesprochen heißt dies: Die durchaus vorhandenen lokalen Märkte müssen zu einem überregionalen Inlandsmarkt entwickelt werden. Ich erinnere an das Wirtschaftswunder in Deutschland. Das Wirtschaftswunder in Deutschland war in erster Linie Ergebnis einer Belebung des inländischen Wirtschaftskreislaufes. Genauso wird es auch in den Entwicklungsländern sein müssen. Wir müssen bei den Kleinstunternehmen ansetzen. Wir müssen motivieren, daß die Menschen anfangen, nicht zu importieren, sondern selber zu produzieren. Wir müssen sie ermuntern, Privateigentum als nicht etwas Verteufeltes zu betrachten, sondern als den Initiator für Wirtschaftswachstum zu akzeptieren.
({16})
Wir müssen die Regierung davon überzeugen, daß es nicht darum geht, analog zu Wandlitz Oligarchien zu stabilisieren, sondern den Menschen zu helfen. Den Menschen hilft man, indem man ihnen Vertrauen gibt, ihr Schicksal selber zu bestimmen. Und auch dies beginnt letztlich nicht nur bei der beruflichen Ausbildung; es endet damit, daß sie bewußt im Wirtschaftsleben stehen, sei es als Selbständiger oder sei es als Angestellter. Kurz: Sie müssen dazu motiviert werden, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Daraus erwachsen Initiative, Selbstbewußtsein und damit insgesamt der Prozeß in den Entwicklungsländern hin zu mehr Demokratie und mehr Wirtschaftswachstum.
Wir müssen akzeptieren, daß der reine Geldtransfer letztlich über die Möglichkeit auch der Industrienationen hinausgeht. Wir werden das Elend und die Armut nur dadurch bekämpfen, daß sie vor Ort bekämpft werden, daß die Menschen ihr Schicksal in die Hand nehmen und wir sie ermuntern und befähigen, dies wirksam zu tun.
({17})
Das ist eine der wesentlichen Erfahrungen auch der letzten Jahre.
Ich fasse zusammen: Entwicklungspolitik - ({18})
- Es tut mir leid, ich bin schon eine halbe Minute über die Zeit. Entschuldigung. Das machen wir nachher.
({19})
- Na gut, man sieht Sie ja beim Bier z. B. Warum denn nicht?
Ich möchte noch einmal folgende drei Punkte zusammenfassend nennen, die, glaube ich, wichtig sind für die Entwicklungspolitik der 90er Jahre:
Die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort müssen zügig und nachhaltig verbessert werden. Wir müssen sie ermuntern, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
Die Einhaltung von Rahmenbedingungen, von denen wir glauben, daß sie für eine positive Entwicklung in
einzelnen Ländern der Dritten Welt eine unabdingbare Voraussetzung ist, muß bei der Entwicklungspolitik strikt beachtet werden. Das heißt, wer diese Rahmenbedingungen nicht umsetzt, muß dies langfristig bei der Entwicklungshilfe merken.
Und drittens finde ich, daß der globale Umweltschutz in den 90er Jahren weiterhin an Bedeutung gewinnen wird.
Insgesamt meine ich, daß Entwicklungspolitik heute mehr denn je geeignet ist, soziale und politische Spannungen weltweit abzubauen und damit dem Frieden in der Welt zu dienen.
Recht herzlichen Dank.
({20})
Der nächste Redner ist unser Kollege Werner Zywietz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vereinte Deutschland nimmt seine gewachsene Verantwortung auch gegenüber den Entwicklungsländern wahr. Dieser Haushalt in der Größenordnung von 8,3 Milliarden DM umfaßt auch die Übernahme der Projekte und Maßnahmen, die zuvor von der DDR durchgeführt worden sind. Sie sind in diesem Haushalt enthalten, der eine Steigerung von 3,8 % aufweist.
Wir von der FDP stehen zu der Entwicklungshilfe, weil wir von der globalen Verantwortung im Sinn einer Weltinnenpolitik ausgehen. Ich habe hier gern zur Kenntnis genommen, daß vor 30 Jahren das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet worden ist, und ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß ein Liberaler der erste Minister dieses Hauses war, nämlich Walter Scheel.
({0})
Das charakterisiert von Beginn an unsere Einstellung zu dieser Aufgabe und unsere Kontinuität in der Arbeit für die Dritte Welt. Die Begründung ist ganz einfach: Wir wissen natürlich aus unserem eigenen Erleben, daß Freiheit ein gewisses Minimum an Auskommen - um es einmal ganz platt zu sagen - voraussetzt. Wer dieses Minimum an Auskommen nicht hat, kann auch keine Freiheit erfahren. Wenn wir diese Freiheit ermöglichen wollen, müssen wir dort, wo sie nicht aus eigener Kraft vom sozialen und materiellen Unterbau her geschaffen werden kann, hilfreich zur Seite stehen. Das tun wir aus voller humaner Überzeugung.
({1})
Wenn man die 30 Jahre des Bemühens, die mit dem Ministerium einhergehen auch nur kursorisch und nicht allzu intensiv betrachtet, kann man feststellen, daß Hilfe eigentlich immer - das hat auch Herr Esters gesagt - Hilfe zur Selbsthilfe sein sollte und sein muß. Das bedeutet aber nach meinem Verständnis, daß - ich darf es einmal etwas derb sagen - die Subvention und die Unterstützung abnehmen müßten,
weil sie Hilfe zur Selbsthilfe, die wachsen müßte, sein sollten.
Aber leider müssen wir feststellen: Die Welt ist nicht so. Entweder haben wir unsere Hilfsmaßnahmen in Qualität und Quantität nicht richtig dosiert und angesetzt, oder die Probleme aus anderen Gründen sind schneller als unsere Hilfsmöglichkeiten gewachsen.
Ich fürchte, darin steckt ein gutes Teil der Wahrheit. Selbstzufrieden sich zurücklehnen kann' man in diesem Bereich wohl nicht. Man wird aber den Bereich der Qualität, glaube ich, noch mehr als den der Quantität überprüfen müssen, was den Hilfsansatz anbelangt. Da bin ich eigentlich der Meinung, daß nach der deutschen Einheit und nach den Veränderungen, die damit in Osteuropa und in anderen Teilen der Welt einhergehen, die Chancen für einen neuen Realismus, möchte ich sagen, in der Entwicklungspolitik deutlich besser geworden sind, weil jetzt kein eilfertiger Wettbewerb mehr in der Frage, welches das bessere System ist, das sozialistische oder die Soziale Marktwirtschaft, auf dem Rücken der Dritte-Welt-Staaten ausgetragen werden muß. Diese Frage ist jetzt entschieden. Die Soziale Marktwirtschaft ist das bessere System. Dieser Wettbewerb der Eitelkeiten zu Lasten anderer Staaten und anderer Menschen muß schlichtweg beendet sein.
Ich kann mich auch daran erinnern, daß ein gutes Teil der Entwicklungshilfe nach dem Motto gelaufen ist: Wenn du nicht die DDR anerkennst, dann gibt es einen kleinen Extrabonus. Diese Phasen hat es gegeben. Es hat auch immer ein Pokerspiel in den Systemen gegeben. Es hat ein sowjetisches, ein kommunistisches, ein sozialistisches System und den Versuch gegeben, den anderen, auf welche Art auch immer, zu überbieten.
Ich sage das jetzt nicht aus einer rückwärts gerichteten Rechthaberei, sondern einfach deswegen, weil wir ganz klar die Schlußfolgerung daraus zu ziehenhaben. Es hat sozusagen Verbiegungen in der Entwicklungshilfepolitik gegeben, maches, was nicht sachgerecht, nicht hilfreich, nicht klar ökonomisch, sondern von anderen Gesichtspunkten überlagert war. Diese Phase ist vorbei.
Wir sollten darum die Beträge, die wir aus dem Steuergeld unserer Bevölkerung bereitstellen können, in eine höhere Effizienz überleiten und die Dinge klarer beim Namen nennen. Diese höhere Effizienz ist nach meiner Sicht ein Stück mehr Marktwirtschaft.
Der Kollege Dr. Neuling hat auch angeführt, daß der Ansatz mehr beim Kleinstgewerbe zu liegen hat. Der Haushalt spiegelt dafür mehrere Möglichkeiten wider. Es sind nicht die Großprojekte, die vielleicht leicht zu handhaben und prestigeträchtig sind, die den Zielen der Dritte-Welt-Politik gerecht werden, die ja konzentriert sind und wohl ganz einfach lauten, die Bevölkerung solle sich selbst ernähren können: Ernährungshilfe, Agrarhilfe; es ist ein Stück Gesundheitshilfe und ist Ausbildungshilfe, alles Unterstützungsmaßnahmen, die Menschen in den Stand setzen können, für sich selber zu sorgen. Diese Direktheit des Mitteleinsatzes müssen wir, glaube ich, in Zukunft mehr im Auge behalten, und zwar in beiden Bereichen, in denen Entwicklungshilfe geleistet wird:
im multilateralen Bereich und im bilateralen Bereich sowohl bei den Finanzzuweisungen als auch im technischen Bereich.
Wenn ich den Haushalt anschaue und verstehe, dann stelle ich fest, daß ein knappes Drittel der Hilfe multilateral gegeben wird. Das ist die IDA, und das sind UNO-Einrichtungen im weitesten Sinne des Wortes und einige regionale Entwicklungsbanken. Ich stelle aber auch fest, daß bei einigen dieser Organisationen die Effizienz nicht so ist, wie sie sein sollte. Wir haben auch Sperrvermerke eingebaut. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Abstimmung zwischen multilateraler und bilateraler Hilfe noch besser werden kann. Ich habe einen gewissen Soupçon, daß die etwas allgemeiner und entfernter gegebene multilaterale Hilfe nicht die Wirkung erzeugt, die wir in Verantwortung für den deutschen Steuerzahler eigentlich erzielen müßten.
({2})
Das Augenmerk ist aber auch auf den bilateralen Bereich zu richten, d. h. dort, wo wir Finanzzuweisungen geben - und das ist nicht ganz wenig - , und dort, wo wir technische Hilfe über die GTZ in einem Bereich, aber auch über viele andere Organisationen leisten, die ich jetzt nicht im einzelnen aufzählen will.
Der Bereich der finanziellen Zuweisungen muß auch ein Stück aus dem Fortschreiben von Finanzzuweisungen an Länder befreit werden, die sich schon sehr daran gewöhnt haben. Es geht um ein Stück Flexibilität und um ein Stück Überprüfung nach heutigen Rahmendaten, wie sich nämlich die Länder im Sinne der Demokratie, der Menschenrechte und des Militäraufwandes verhalten.
Ich füge aus meiner Sicht hinzu: Ich verantworte auch nicht so gern die Vergabe deutscher Steuergelder, die in kleinen Beträgen eingesammelt werden, an Länder, wo in großen Beträgen und Mengen Kapitalflucht begangen wird. Solche Länder lassen sich an einer Hand gar nicht abzählen. Mir fallen da eine ganze Menge ein, von denen man ganz allgemein weiß, daß in ihnen in großem Maßstab, und zwar von den führenden Schichten, Kapitalflucht begangen wird. Es kann nicht im Sinne des Erfinders sein, daß wir das bei unseren Hilfsmaßnahmen außer acht lassen. Auch ein solcher Gesichtspunkt muß in den Kriterienkatalog mit aufgenommen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, wir stimmen aber der Generallinie der Entwicklungspolitik, wie sie vom Ministerium konzipiert worden ist, hinsichtlich ihrer Zielsetzung, ihrer Kriterien und ihrer Dotation für bilaterale und multilaterale Hilfe zu.
Einen letzten Gesichtspunkt möchte ich hier noch ansprechen: Effizienzsteigerung ist für uns kein Lippenbekenntnis. Wir meinen es damit durchaus ernst und wünschen, daß die Effizienz der Durchführungsorganisationen generell auf den Prüfstand gestellt wird. Wir gehen davon aus, daß ernsthaft überprüft wird, ob alles, was an öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt wird, durch staatliche Organisationen
verausgabt werden muß. Wir meinen, daß das Ergebnis der Prüfung nicht einfach ein schlichtes Ja sein kann und daß man es nicht beim Sanktionieren der bisherigen Strukturen belassen darf. Die Überprüfung in Richtung Privatisierung ist ein von uns durchaus ernstgemeinter Gesichtspunkt, um die Effizienz der Entwicklungshilfemittel zu steigern.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile jetzt das Wort der Frau Kollegin Ulla Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einem Volumen von rund 8,1 Milliarden DM macht der Haushalt des BMZ gerade 1,9 % des Gesamthaushaltes aus. Faktisch ist in den letzten Jahren gespart worden.
({0})
Seit 1983 ist die Entwicklungshilfe nämlich zurückgegangen, die 1983 immerhin noch 2,6 % vom Gesamthaushalt ausmachte.
Auch in diesem Jahr wird weiter gespart.
({1})
Entschuldigung, Frau Kollegin Jelpke, eine Minute bitte. - Ich bitte Sie, auch wenn die Zeit schon etwas fortgeschritten ist, soviel Ruhe herzustellen, daß der Redner bzw. in diesem Fall die Rednerin ihre Argumente hier vortragen kann. Vielen Dank.
Sie sollten vielleicht zuhören; denn ich glaube, daß zu diesem Thema doch ein bißchen mehr Opposition angezeigt wäre. - Während der Bundeshaushalt um 3 % steigt, steigt der Haushalt des BMZ nur um 2 %. Gemessen vor allem an den ökonomischen Kapazitäten der BRD sind die Quoten, die für Entwicklungshilfe aufgewendet werden, viel zu gering. Gemessen an den jahrelangen Versprechungen der Bundesregierung, die Forderung der Vereinten Nationen zu erfüllen, wonach reiche Industrieländer 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aufwenden sollten, müßte dieser Haushalt inzwischen um einige Milliarden höher liegen. Nicht zuletzt möchte ich diesen Haushalt daran messen, daß in diesem Hause in den vergangenen Wochen und Monaten von den Regierungsfraktionen im Zusammenhang mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik immer wieder betont wurde, die Ursachen von Krieg, Armut und Elend in den Ländern der Dritten Welt mit beheben zu wollen. Wie leer diese Ankündigungen und Versprechungen waren, zeigen allein die soeben genannten Fakten.
Doch nun zum Konkreten: Welche Länder tatsächlich in den „Genuß" deutscher Entwicklungshilfe kommen, bemißt sich nicht nach deren Bedürftigkeit. Vielmehr zählen andere Kriterien, z. B. wirtschaftspolitische Interessen der Bundesregierung und Kapitalinteressen von deutschen Großkonzernen und Ban5096
ken genauso wie politisch-ideologische Präferenzen und strategische Optionen.
({0})
Meine Damen und Herren, unter den zehn Staaten, die im kommenden Jahr die meiste Finanzhilfe erwarten sollen, befindet sich mit Bangladesch auf Platz acht gerade ein einziges Land der 44 ärmsten Länder. Andererseits werden z. B. mit Israel auf Rang vier und der Türkei an fünfter Stelle Länder finanziell unterstützt, die zwar nicht zu den Ärmsten der Armen gehören, dafür aber Krieg führen: in dem einen Fall gegen das palästinensische, in dem anderen Fall gegen das kurdische Volk.
Meine Damen und Herren, in dieser Situation sollten die Ausgaben für die Entwicklungshilfe weiter konkret gesenkt werden. Seit 1990 sind es nämlich genau 400 Millionen DM im Vergleich zu dem Ansatz von 1992.
Gerade hier wäre eine Mindestanhebung von einer Milliarde DM, die ausschließlich nach dem Kriterium der Bedürftigkeit verteilt werden sollte, ein erster Schritt zur Milderung der Not und des Elends.
Die Zeit reicht leider nicht aus, um Streichungsvorschläge ausführlich zu erläutern. Deshalb bringe ich nur einige Beispiele. Die deutsche Wirtschaft betreibt keine uneigennützige Entwicklungshilfe, sondern sie ist auf der Suche nach günstigen Produktionsbedingungen und Absatzmärkten.
Die in diesem Haushalt für die Wirtschaft vorgesehenen 64 Millionen DM sollten daher der Entwicklungshilfe zukommen. Ebenso sollte man mit den Geldern für die Ausbildung von sogenannten Fachkräften - wie z. B. Atomingenieuren und Technikern - verfahren, die vor allem in die Lage versetzt werden sollen, Deutschlands exportierte Technologie- und Industrieanlagen bedienen zu können.
Meine Damen und Herren, die BRD gehört zu den fünf einflußreichsten Finanziers des Internationalen Währungsfonds. Für 1992 bedeutet das rund 30 Millionen DM. Hinzu kommen 37 Millionen DM für die Mitgliedschaft. Es ist eine altbekannte Forderung, daß die BRD-Regierung hier endlich aussteigen soll.
Wenn die BRD-Regierung die Weltbank verließe, könnte das z. B. dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zugute kommen.
Das wäre sicherlich eine sinnvolle Ausgabe zur Bekämpfung der Hungersnöte.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich nicht versäumen, daran zu erinnern: 1992 jährt sich zum 500. Male der Tag der Entdeckung Lateinamerikas, die im übrigen keine war. Für 75 Millionen Menschen bedeutete die Invasion der Europäer in Lateinamerika einen meist qualvollen Tod.
Für das Gold, den Zucker, den Kaffee und nicht zuletzt die Arbeit, mit denen die Lateinamerikaner und Lateinamerikanerinnen zum Reichtum Europas beigetragen haben, steht ihnen 500 Jahre danach der Erlaß von rund 450 Milliarden Dollar Auslandsschulden zu, und zwar moralisch, aber auch faktisch, weil
sie, anders als ihre Gläubiger, das Geld zum Überleben brauchen.
Danke.
({1})
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahreshaushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist auch für das kommende Jahr wieder kümmerlich geraten. Sparsamkeit ist nicht immer eine Tugend, vor allem dann nicht, wenn sie auf Kosten der Ärmsten geht.
Gerade 0,4 % ihres Bruttosozialproduktes werden die Deutschen für die Entwicklungszusammenarbeit übrig haben; keine 2 % des Bundeshaushaltes. Mehr als die biblischen Brosamen vom Tische des Reichen sind das wahrlich nicht.
Dabei wissen wir alle, wie groß die Not in der Welt ist, die auch durch unseren Wohlstand mitverursacht ist. Ich weiß, es ist nicht populär, das auszusprechen. Aber ebenso weiß ich, daß unseren Kindern morgen ein menschenwürdiges Leben versagt bleiben wird, wenn wir nicht heute teilen.
({0})
Das Menetekel steht seit langem an der Wand geschrieben, unübersehbar. Ich wünschte mir, daß die Bundesregierung es endlich wahrnimmt und daß ihre Politik endlich realistisch wird. Denn Entwicklungspolitik von heute ist Innenpolitik von morgen.
Die finanzielle Zusammenarbeit mit den südamerikanischen Ländern wird 1992 fast verdoppelt, die Mittel für Südasien und Ostasien werden aber gekürzt. Auch die Zuwendungen für die ärmste Region unserer Erde, die Zone südlich der Sahara, wurden um 21 Millionen DM gekürzt.
Generell ist für die LDCs ein Rückgang der absoluten finanziellen Zuwendungen festzustellen, von 1,1 Milliarden DM im Jahr 1990 auf 869 Millionen DM im kommenden Jahr; das ist ein Minus von 243 Millionen DM.
Unter den Hauptempfängern der FZ-Mittel sind weiterhin solche Länder, die permanent die Menschenrechte verletzen. Die durchaus akzeptablen Grundsätze, die der Herr Bundesminister Spranger unlängst mitgeteilt hat, sind im vorliegenden Haushalt nur ungenügend berücksichtigt.
Nach China, wo willkürliche Verhaftungen und Folterungen an der Tagesordnung sind, werden weiterhin großzügig Mittel gepumpt.
Ebenso großzügig fließen Mittel in die Türkei, wo die Kurden noch immer als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Indonesien, Peru und Marokko, Länder also, die auf der Liste der Menschenrechtsverletzungen obenan stehen, erhalten zusammen fast eine Viertel Milliarde DM.
({1})
In diesem Zusammenhang muß ich auf das unerfreuliche Kapitel der militärischen und polizeilichen
Konrad Weiß ({2})
„Entwicklungshilfe" zu sprechen kommen. Diese Ausstattungs-, Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe in Höhe von 196 Millionen DM ist zwar ein Haushaltstitel des Auswärtigen Amtes, kann aber nicht losgelöst von der deutschen Entwicklungspolitik betrachtet werden. Unter den Empfängerstaaten sind auch nach der Herausnahme von Zaire, Malawi, Kamerun und Sambia noch immer solche, die erheblichen Anlaß zu Bedenken geben. Den Sicherheitskräften dieser Empfängerländer wird eine privilegierte Ordnungsfunktion zugesprochen, durch die bestehende undemokratische Machtstrukturen erhalten und gefestigt werden.
So erhält Indonesien zur Ausbildung der Kriminalpolizei und der Verkehrspolizei bis zu 2,2 Millionen DM. Dabei ist doch bekannt, daß die indonesische Polizei ein Teil der indonesischen Streitkräfte ist, jener Streitkräfte, die sich in Osttimor und Westpapua fortwährender Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen schuldig machen. Für mich ist nicht erkennbar, wie die Bundesregierung angesichts des jüngsten Massakers vom 12. November in Dili ihre Einschätzung aufrechterhalten kann, daß sich die Teilnahme einer größeren Zahl von Polizeioffizieren an Lehrgängen in Deutschland positiv ausgewirkt habe.
Oder betrachten wir Mali, dessen Streitkräfte durch Ausstattungshilfe in Höhe von 6 Millionen DM effizienter gemacht werden sollen. Diese Streitkräfte sind für das malinesische Regime bis heute ein Werkzeug zur blutigen Unterdrückung und Verfolgung der Tuareg. Die Ausschreitungen dauern an. Dies alles ist Grund genug, denke ich, daß das Hohe Haus der Bundesregierung die geplanten Mittel für die Militärhilfe für Mali streichen sollte.
({3})
Gerade nach dem katastrophalen Ergebnis, das die bundesdeutsche Ausstattungs- und Ausbildungshilfe für den Irak hatte - Sie werden sich erinnern, daß irakische Offiziere an Bundeswehrhochschulen ausgebildet wurden - , muß das Konzept der Ausstattungshilfe endlich einer kritischen Überprüfung unterzogen werden.
Unbefriedigend ist es auch, wie die Bundesregierung mit den Mitteln aus dem Schuldendienst der Entwicklungsländer verfährt. Für 1992 werden Rückflüsse aus Zinsen und Tilgungen in Höhe von ca. 1,2 Milliarden DM erwartet. Unverändert gegenüber 1991 ist für das kommende Jahr der Wiedereinsatz dieser Mittel wiederum nur in einer Größenordnung von 200 Millionen DM, also gerade 15 % der Einnahmen, vorgesehen. Ich fände es richtig, wenn die verbleibende Milliarde entweder für die weitere Entwicklungszusammenarbeit oder aber als Äquivalent für einen großzügigen Schuldenerlaß zugunsten der ärmsten Länder genutzt würde. Das könnten wir uns selbst in der gegenwärtig angespannten Haushaltslage leisten.
Weitaus stärker als bisher sollten in der Entwicklungszusammenarbeit Projekte gefördert werden, die der schulischen und beruflichen Ausbildung dienen. Deutschland rühmt sich zwar immer des Exports seines dualen Ausbildungssystems, aber nur 13,8 % des
gegenwärtigen Haushalts sind hierfür vorgesehen. Hier sollte die Bundesregierung den Mut zu einer deutlichen Erhöhung haben. Nicht zuletzt könnten dadurch auch Arbeitsplätze für ostdeutsche Ausbilder und Meister geschaffen werden, die vielleicht nicht die neuesten Technologien beherrschen, aber über eine solide Handwerksausbildung und eine hohe Flexibilität und Innovationskraft verfügen. Hier sollten gezielt gewachsene Bindungen zu einigen Ländern und vorhandene Sprachenkenntnisse genutzt werden.
Die Mittel, meine Damen und Herren, die für die osteuropäischen Länder bereitgestellt werden sollen, scheinen mir auch nach der beantragten Erhöhung um 15 Millionen DM völlig ungenügend. Vor allem aber vermisse ich bisher ein Konzept der Bundesregierung, wie diesen Ländern wirkungsvoll geholfen werden soll. Es ist fraglich, ob die bisherigen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit hierfür taugen. Ich denke, erfolgversprechend werden nur solche Konzepte sein, die von einer multinationalen Zusammenarbeit ausgehen und die konsequent auch jene Potenzen und Restpotenzen nutzen, die in den postsozialistischen Ländern ja auch vorhanden sind.
Schließlich werden wir darauf zu achten haben, daß insbesondere in der Sowjetunion auch die kleinen Völker und Nationalitäten berücksichtigt werden. Hier gibt es konkrete Anforderungen und Projekte, die sich unser Ausschuß und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu eigen machen sollten.
Vielen Dank.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war schon mühsam, dem Kollegen Weiß Gehör zu verschaffen. Es spricht jetzt der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, unser Kollege Carl-Dieter Spranger. Ich bitte, doch wirklich dafür zu sorgen, daß wir hier ein Klima herstellen, bei dem der Redner zu hören ist.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, ich werde die Sitzung nach § 40 der Geschäftsordnung unterbrechen, wenn das nicht möglich ist.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Gründung des BMZ vor 30 Jahren erhielt die Entwicklungshilfe weltweit zum erstenmal Kabinettsrang. Dies war Ausdruck des Willens des Parlaments, der Bevölkerung und der Bundesregierung, nach der Hilfe für das eigene Land in den Nachkriegsjahren auch anderen Menschen zu helfen, die sich in Not befinden.
Heute ist das wiedervereinigte Deutschland eine der führenden Industrienationen und eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Damit ist auch dem BMZ in Deutschland eine größere Verantwortung zugewachsen. Es wird zunehmend deutlich, daß die wach5098
senden Probleme der Entwicklungsländer nicht an unseren Grenzen haltmachen. Die weltweiten Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen, Umweltkatastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen führen uns das täglich vor Augen.
Der Zusammenbruch des Sozialismus in der Sowjetunion und in Osteuropa hat tiefgreifende Folgen für die betroffenen Menschen und führte auch zu einem Umdenken in vielen Ländern der Dritten Welt. Viele Länder des Südens sind auf der Suche nach einem neuen marktwirtschaftlich orientierten Weg, der mit dem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Regierungsformen verbunden ist. Dies eröffnet uns neue, große Chancen für kontinuierliche, langfristig angelegte und von ideologischen Maßstäben befreite Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern.
Nie war die Möglichkeit so groß, Entwicklungspolitik zielgerichtet an den drängenden weltweiten Herausforderungen auszurichten und auch effizient umzusetzen.
Die Bundesregierung hat die Weichen gestellt, um diese historische Chance zu nutzen und unsere Entwicklungspolitik neu zu gestalten.
({0})
Die Bekämpfung der Armut, der Schutz der Umwelt, die Förderung der Bildung stehen im Mittelpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Außerdem werden wir Umfang und Struktur der deutschen Hilfe konsequent an den Rahmenbedingungen der Empfängerländer ausrichten.
Ich habe diese grundlegenden Elemente unserer Entwicklungszusammenarbeit in den 90er Jahren am 10. Oktober an dieser Stelle erläutert und bin dankbar für die breite nationale und auch internationale Unterstützung, die ich dafür gefunden habe. Ich glaube, auch die Beiträge des Kollegen Esters, des Kollegen Dr. Neuling und des Kollegen Zywietz von heute zeigen das hohe Maß an Übereinstimmung bei der Entwicklungspolitik der Bundesregierung.
({1})
Der Einzelplan 23 bildet die materielle Grundlage zur Umsetzung dieser Konzeption.
Gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsansatz 1991 soll er im Jahre 1992, so wie er jetzt dem Parlament zur Entscheidung vorliegt, um 3,9 % steigen. Auf der Grundlage des ebenfalls zur Verabschiedung anstehenden Nachtragshaushalts 1991, der einen Ausgabenzuwachs von 150 Millionen DM vorsieht, beträgt der Anstieg 2 %.
Aussagekräftiger ist allerdings der Vergleich mit dem Jahr der deutschen Einigung 1990. In den zwei Jahren 1991 und 1992 steigen die entwicklungspolitischen Leistungen des vereinten Deutschland um eine halbe Milliarde DM; das sind rund 7 %. Damit bestätigt der Haushalt 1992 die Aussage des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung im Januar dieses Jahres: „Wir stehen zu unserer Verantwortung für die Menschen in der Dritten Welt; wir werden als vereintes Deutschland unsere Entwicklungshilfe auch in Zukunft steigern. "
Ich möchte an dieser Stelle dem Parlament, vor allem dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Haushaltsausschuß, herzlich Dank sagen für das Verständnis für unsere Anliegen und für die Unterstützung in den Haushaltsberatungen. Mein besonderer Dank gilt dem Bundeskanzler und den Fraktionsvorsitzenden, die heute in der Debatte die Entwicklungspolitik so deutlich als herausragende Aufgabe der Zukunft dargestellt haben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Bitte sehr, Kollege Hauchler.
Herr Minister, Sie haben angekündigt, daß die Mittel für Entwicklungshilfe in Zukunft erhöht werden. Wie verträgt sich diese Aussage mit der Tatsache, daß die Mittel für neue Zusagen in den vergangenen Jahren um etwa 1 Milliarde DM zurückgefahren wurden?
Herr Kollege Hauchler, das ist nicht zutreffend. Zutreffend ist vielmehr eine Steigerung um 7 % in zwei Jahren, in diesem Jahr um 3,9 %
({0})
Angesichts der riesigen Herausforderungen, die wir in den vergangenen zwei Jahren zu bewältigen hatten, ist das schon ein bemerkenswertes Signal.
Innerhalb des Einzelplans 23 bleibt es dabei: Kern der deutschen Entwicklungspolitik ist die bilaterale Zusammenarbeit. Mit 5,5 Milliarden DM sollen rund zwei Drittel - das sind etwa 67 % - der Ausgaben in diesen Bereich gehen. Ich gehe davon aus, daß uns die für den Haushalt 1992 und den Nachtragshaushalt 1991 vorliegenden Beschlußvorschläge in die Lage versetzen, die in diesem Bereich fälligen Rechtsverpflichtungen bedienen zu können.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie, daß ich Sie einen Moment unterbreche. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine vorgerückte Stunde. Es finden sogleich drei namentliche Abstimmungen statt. Ich weiß das alles. Aber es muß möglich sein, daß dem Redner hier Gehör verschafft wird.
({0})
Wenn das nicht möglich ist, dann drohe ich es nicht nur an, sondern ich mache es: Ich unterbreche die Sitzung nach § 40 unserer Geschäftsordnung. Ich bitte also um Ruhe!
({1})
- §40!
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch wichtiger als der quantitative Zuwachs ist die Verbesserung der Qualität unserer Hilfe durch ihre konsequente Ausrichtung an den bereits vorgestellten Rahmenkriterien und den sektoralen Schwerpunkten. Armutsbekämpfung und Umweltschutz werden 1992 noch stärker ins Zentrum unserer Hilfe rücken. Über die Hälfte der geplanten Projekte dient der Befriedigung von Grundbedürfnissen. Nahezu 10 % der bilateralen staatlichen Hilfe werden für die selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung eingesetzt. Dies bedeutet eine deutliche Akzentsetzung im Kampf gegen die Armut.
Weiterhin hoch bleibt der Anteil für Maßnahmen im Bereich der ländlichen Entwicklung mit 38 %. Umwelt- und Ressourcenschutz bilden den dritten Schwerpunkt mit einem besonders hohen Zuwachs auf zwischenzeitlich fast 28 % gegenüber 19 % im Jahre 1991. Hier sind schwerpunktmäßig Maßnahmen zur Erhaltung des Tropenwaldes mit einem Finanzvolumen von über 300 Millionen DM zu nennen.
Ich weise im übrigen darauf hin, daß wir im Bereich der Bildung in der Zwischenzeit auf eine Quote von 9 % im Vergleich zu 7 % im vergangenen Jahr gekommen sind.
Auf den multilateralen Bereich entfällt mit 2,7 Milliarden DM knapp ein Drittel der vorgesehenen Ausgaben. Es ist mein Ziel, diesen Anteil nicht mehr nennenswert ansteigen zu lassen. Allerdings ist der Gestaltungsspielraum der Bundesregierung hier begrenzt.
Die Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa hat nach den Umwälzungen in der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der baltischen Staaten eine zusätzliche Perspektive gewonnen. Der Übergang zu demokratischen und marktwirtschaftlichen Strukturen kann insbesondere durch Technische Hilfe, Aus- und Fortbildung, Beratung für die Wirtschaft sowie durch Maßnahmen der gesellschaftspolitischen Bildung und Sozialstrukturhilfe gefördert werden. Im Einzelplan 23 sind hierfür bilaterale Mittel in Höhe von 45 Millionen DM sowie Verpflichtungsermächtigungen in gleicher Höhe vorgesehen.
Meine Damen und Herren, der zur Verabschiedung anstehende Haushalt 1992 ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der uns alle unmittelbar betreffenden Aufgabe, einen Ausgleich zwischen Nord und Süd herbeizuführen. Es ist ein wichtiger Schritt, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Es ist richtig, Entwicklungspolitik ist in den Gesamtzusammenhang der Politik eines Landes eingebettet. Richtig ist aber auch: Die gesamte Politik eines jeden Landes in der einen Welt ist aufgerufen, zum Ausgleich zwischen Nord und Süd beizutragen. Alle Politikbereiche werden sich vermehrt daran messen lassen müssen, welchen Beitrag sie zum Erreichen dieses Ziels leisten.
Entwicklungspolitik ist hier von zentraler Bedeutung. Die Schwierigkeiten bei der Steuerung des Haushalts 1991, die u. a. zur Notwendigkeit der Einstellung von Mitteln in den Nachtragshaushalt führten, machen allerdings deutlich, wie eng der Spielraum der deutschen Entwicklungshilfe ist. Das gilt auch für die Kapazität des BMZ. Es sind die Grenzen dessen erreicht, was finanziell und personell verkraftet werden kann. Auf das Jahr 1993 richten sich deshalb Erwartungen und Hoffnungen nicht nur des BMZ und all derer, die sich in Deutschland für die Belange der Dritten Welt einsetzen, sondern vor allem auch der notleidenden Menschen in den Entwicklungsländern, die mehr denn je unsere Hilfe benötigen, um sich selbst helfen zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich zunächst bei allen, die hier gesessen haben und die Ermahnungen angehört haben. Für die jetzt noch Hinzugekommenen will ich sagen: Es ist schwer möglich, dem Redner vor einer Abstimmung hier noch Gehör zu verschaffen. Ich bitte auch für die Folgezeit daran zu denken, daß es jederzeit möglich ist, die Sitzung zu unterbrechen, wenn der Redner sich nicht mehr durchsetzen kann.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1647 zum Einzelplan 23. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das noch nicht abgestimmt hat? Kann ich davon ausgehen, daß wir die Abstimmung schließen können? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich sage Ihnen das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag, sobald die Schriftführer ausgezählt haben.* )
Nun kommen wir zum Einzelplan 14. Dazu hat die SPD einen Änderungsantrag auf Drucksache 12/1649 vorgelegt, über den sie namentlich abgestimmt haben will. Wenn die Urnen wieder besetzt sind, werde ich die Abstimmung zu diesem Änderungsantrag der SPD eröffnen. - Das ist der Fall. Die Abstimmung ist eröffnet.
Es handelt sich um die Abstimmung über den Jäger 90, über den hier verhandelt worden ist. Ich will darauf aufmerksam machen, daß die Kollegin Frau Dr. Gisela Babel, unser Kollege Gerhart Baum, unser Kollege Burkhard Hirsch und unser Kollege Wolfgang Lüder dazu gemäß § 31 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine Erklärung beim Präsidium abgegeben haben.**)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage: Haben alle Mitglieder des Hauses inzwischen ihre Stimmkarten abgegeben? - Darf ich noch einmal bitten, die Türen aufzumachen, damit jeder ungehindert Zugang hat. Noch einmal die Frage: Kann ich die
*) Ergebnis Seite 5100A * *) Anlage 2
Vizepräsident Helmuth Becker
Abstimmung schließen? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Abstimmung geschlossen, und ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.* )
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen einen Augenblick warten, bis wir das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD zum Einzelplan 23 vorliegen haben, weil wir erst dann über den Einzelplan abstimmen können. Ich bitte um einen Augenblick Geduld. -
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich einen Augenblick um Gehör bitten? Wir haben das erste von den Schriftführern ermittelte Abstimmungsergebnis, und zwar zum Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1647 zum Einzelplan 23, Entwicklungshilfe.
Über diesen Antrag ist wie folgt abgestimmt worden: abgegebene Stimmen: 551, ungültige: keine; mit Ja, also für den Antrag der SPD, haben gestimmt: 208, mit Nein haben gestimmt: 342, Enthaltungen: 1.
*) Ergebnis Seite 5102 A
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 550;
davon
ja: 207
nein: 342
enthalten: 1
Ja
SPD
Frau Adler
Andres
Antretter
Bachmaier
Frau Barbe
Bartsch
Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Bock
Dr. Böhme ({1}) Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht
Büchner ({2}) Büttner ({3}) Frau Bulmahn
Frau Burchardt
Bury
Frau Caspers-Merk Conradi
Daubertshäuser
Dr. Diederich ({4}) Diller
Frau Dr. Dobberthien Duve
Ebert
Dr. Eckardt
Dr. Ehmke ({5}) Eich
Dr. Elmer
Erler
Esters
Ewen
Frau Ferner
Frau Fischer ({6})
Fischer ({7})
Frau Fuchs ({8})
Fuhrmann
Frau Ganseforth
Gansel
Gilges
Frau Gleicke Graf
Großmann
Habermann Hacker
Frau Hämmerle Hampel
Frau Hanewinckel
Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann Heyenn
Hiller ({9}) Hilsberg
Dr. Holtz
Horn
Frau Iwersen Frau Jäger Frau Janz
Dr. Janzen Jaunich
Dr. Jens
Jung ({10}) Jungmann ({11})
Frau Kastner Kastning
Kirschner
Frau Klappert Frau Klemmer Klose
Dr. sc. Knaape Frau Kolbe Kolbow
Koltzsch
Kretkowski Kuessner
Dr. Küster
Kuhlwein
Lambinus
Frau Lange von Larcher Leidinger
Lennartz
Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Dr. Lucyga
Maaß ({12}) Frau Marx
Frau Mascher Dr. Materne
Frau Matthäus-Maier
Frau Mattischeck
Frau Mehl
Dr. Mertens ({13})
Dr. Meyer ({14})
Mosdorf
Müller ({15})
Müller ({16})
Müller ({17})
Frau Müller ({18}) Müller ({19}) Müntefering
Neumann ({20}) Neumann ({21})
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Opel
Ostertag
Frau Dr. Otto Paterna
Dr. Penner Pfuhl
Dr. Pick
Reimann
Reuschenbach Reuter
Rixe
Schäfer ({22})
Frau Schaich-Walch Schanz
Scheffler
Schloten
Schluckebier Schmidbauer ({23}) Schmidt ({24})
Frau Schmidt-Zadel
Dr. Schmude Dr. Schnell Dr. Schöfberger
Schreiner
Frau Schröter Schröter
Schütz
Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Frau Simm Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge
Dr. Sperling Frau Steen Dr. Struck Tappe
Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse
Tietjen
Frau Titze Toetemeyer Urbaniak
Vergin
Vosen
Wagner
Wallow
Waltemathe Walter ({25})
Walther ({26}) Wartenberg ({27})
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weis ({28})
Weißgerber Weisskirchen ({29})
Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Wettig-Danielmeier
Frau Dr. Wetzel
Frau Weyel Wieczorek ({30})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
Wimmer ({31})
Dr. de With Frau Wohlleben
Frau Wolf
Frau Zapf
PDS/LL
Frau Bläss Frau Braband
Dr. Briefs
Frau Dr. Enkelmann
Frau Dr. Fischer
Dr. Gysi
Dr. Heuer Frau Dr. Höll
Frau Jelpke Frau Lederer
Dr. Modrow Dr. Riege
Dr. Schumann ({32}) Dr. Seifert
Frau Stachowa
Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige
Poppe
Weiß ({33})
Fraktionslos Henn
Nein
CDU/CSU
Frau Dr. Ackermann
Adam
Dr. Altherr Frau Augustin
Augustinowitz
Austermann
Bargfrede Dr. Bauer Frau Baumeister
Bayha
Belle
Bierling Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Dr. Blüm Börnsen ({34})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Brähmig Breuer
Frau Brudlewsky Brunnhuber
Büttner ({35})
Buwitt
Carstens ({36}) Carstensen ({37}) Clemens
Dehnel
Frau Dempwolf
Deres
Vizepräsident Helmuth Becker
Deß
Frau Diemers
Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehlers Ehrbar Frau Eichhorn
Engelmann
Eppelmann
Eylmann Frau Falk
Dr. Faltlhauser
Feilcke Dr. Fell
Frau Fischer ({38}) Fockenberg
Francke ({39}) Frankenhauser
Dr. Friedrich
Fuchtel
Ganz ({40})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Gerster ({41})
Gibtner Glos
Göttsching
Götz
Dr. Götzer
Gres
Frau Grochtmann
Gröbl
Grotz
Dr. Grünewald
Frhr. von Hammerstein
Harries
Haschke ({42}) Haschke ({43})
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({44})
Hauser ({45}) Heise
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Dr. h. c. Herkenrath
Hörster
Dr. Hoffacker
Hollerith
Dr. Hornhues
Hornung Hüppe Jäger
Frau Jaffke
Dr. Jahn ({46})
Janovsky
Frau Jeltsch
Dr. Jobst Dr.-Ing. Jork
Dr. Jüttner
Jung ({47})
Junghanns
Dr. Kahl Kalb
Kampeter
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Kauder Keller
Kittelmann
Klein ({48})
Klinkert
Köhler ({49})
Dr. Köhler ({50})
Kolbe
Frau Kors
Koschyk Kossendey
Kraus
Dr. Krause ({51}) Krause ({52})
Krey
Kriedner
Kronberg
Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz
Dr. Lammert Lamp
Lattmann
Dr. Laufs
Laumann
Frau Dr. Lehr Dr. Lieberoth Frau Limbach Link ({53})
Lintner
Dr. sc. Lischewski
Frau Löwisch Louven
Lummer
Dr. Luther
Maaß ({54}) Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Frau Marienfeld Marschewski
Dr. Mayer ({55}) Meckelburg
Meinl
Frau Dr. Meseke
Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk Michels
Dr. Mildner Dr. Möller Molnar
Müller ({56}) Müller ({57})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({58}) Nitsch
Ost
Oswald
Otto ({59}) Dr. Päselt
Pesch
Petzold
Pfeffermann Pfeifer
Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla
Dr. Pohler
Frau Priebus Dr. Probst
Dr. Protzner Pützhofen
Frau Rahardt-Vahldieck Raidel
Dr. Ramsauer Rau
Rauen
Reddemann Regenspurger Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik
Dr. Rieder
Dr. Riesenhuber
Rode ({60})
Frau Roitzsch ({61}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({62}) Rother
Dr. Ruck
Dr. Rüttgers Sauer ({63})
Sauer ({64}) Scharrenbroich Frau Schätzle Dr. Schäuble Schemken
Scheu
Schmalz
Schmidbauer Schmidt ({65})
Dr. Schmidt ({66}) Schmidt ({67})
Frau Schmidt ({68}) Schmitz ({69})
Dr. Schockenhoff
Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz
Frhr. von Schorlemer
Dr. Schreiber Schulz ({70}) Schwalbe
Schwarz
Dr. Schwörer Seesing
Seibel
Skowron
Dr. Sopart
Frau Sothmann Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Frau Steinbach-Hermann
Dr. Stercken
Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen
Dr. Stoltenberg Strube
Stübgen
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Vogel ({71})
Vogt ({72})
Dr. Voigt ({73})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke Dr. Warrikoff Werner ({74}) Wetzel
Frau Wiechatzek
Dr. Wieczorek ({75}) Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({76})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({77}) Wonneberger
Frau Wülfing Würzbach
Frau Yzer
Zeitlmann
Zierer
Zöller
FDP
Frau Albowitz
Baum
Beckmann Bredehorn Cronenberg ({78})
Eimer ({79})
Engelhard van Essen Dr. Feldmann
Friedhoff Friedrich Funke
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow
Genscher Gries
Grüner
Günther ({80})
Dr. Guttmacher
Hackel
Hansen
Dr. Haussmann
Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Frau Homburger
Frau Dr. Hoth
Dr. Hoyer Hübner
Irmer
Kleinert ({81})
Kohn
Dr. Kolb Koppelin Kubicki
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff
Frau Leutheusser-Schnarrenberger
Lüder
Lühr
Dr. Menzel Nolting
Dr. Ortleb
Otto ({82})
Paintner Frau Peters Frau Dr. Pohl
Richter ({83})
Rind
Dr. Röhl Schäfer ({84})
Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({85})
Dr. Schmieder
Schüßler
Frau Dr. Schwaetzer
Frau Sehn
Frau Seiler-Albring
Frau Dr. Semper
Dr. Solms Dr. Starnick
Frau Dr. von Teichman Thiele
Dr. Thomae Timm
Türk
Frau Walz
Dr. Weng ({86}) Wolfgramm ({87})
Frau Würfel Zurheide Zywietz
Fraktionslos Lowack
Enthalten
FDP Grünbeck
Vizepräsident Helmuth Becker
Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir können jetzt zur Geschäftslage folgendes feststellen. In der zweiten namentlichen Abstimmung haben wir über den ersten Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1649 abgestimmt; das betraf den Jäger 90. Wir müssen auf dieses Abstimmungsergebnis warten, weil es noch einen zweiten Änderungsantrag der SPD auf der Drucksache 12/1650 gibt, über den wir namentlich abstimmen müssen. Das wird gleich geschehen. Ich bitte also noch einen Augenblick um Geduld; dann werden wir auch die zweite Abstimmung hinter uns haben. Es folgt dann noch eine dritte Abstimmung. Anschließend können wir über den Einzelplan 23 sowie über den Einzelplan 14 abstimmen. - Das wäre mein Vorschlag.
Meine Damen und Herren, es liegt jetzt das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1649, zum Einzelplan 14 - ich sage noch einmal in Klammern: Jäger 90 - vor. Abgegebene Stimmen: 552. Mit Ja haben 225 Kolleginnen und Kollegen gestimmt; mit Nein haben 315 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Enthalten haben sich 12 Kolleginnen und Kollegen.
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 551;
davon
ja: 224
nein: 315
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Nitsch
Frau Pfeiffer
SPD
Frau Adler
Andres
Antretter
Bachmaier
Frau Barbe
Bartsch
Becker ({88}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Bock
Dr. Böhme ({89}) Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht
Büchner ({90}) Büttner ({91}) Frau Bulmahn
Frau Burchardt
Bury
Frau Caspers-Merk
Conradi Daubertshäuser
Dr. Diederich ({92}) Diller
Frau Dr. Dobberthien Duve
Ebert
Dr. Eckardt
Dr. Ehmke ({93}) Eich
Dr. Elmer Erler
Esters
Ewen
Frau Ferner
Frau Fischer
({94}) Frau Fuchs ({95}) Fuhrmann
Frau Ganseforth Gansel
Gilges
Frau Gleicke
Graf
Großmann Habermann
Hacker
Frau Hämmerle Hampel
Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler
Heistermann
Heyenn
Hiller ({96}) Hilsberg
Dr. Holtz Horn
Frau Iwersen
Frau Jäger
Frau Janz Dr. Janzen
Jaunich Dr. Jens
Jung ({97}) Jungmann ({98}) Frau Kastner
Kastning Kirschner Frau Klappert
Frau Klemmer
Klose
Dr. sc. Knaape
Frau Kolbe Kolbow
Koltzsch Kretkowski Kuessner Dr. Küster Kuhlwein Lambinus Frau Lange von Larcher Leidinger Lennartz
Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Dr. Lucyga
Maaß ({99})
Frau Marx Frau Mascher
Dr. Matterne
Frau Matthäus-Maier
Frau Mattischeck
Frau Mehl
Dr. Mertens ({100})
Dr. Meyer ({101})
Mosdorf
Müller ({102})
Müller ({103}) Müller ({104})
Frau Müller ({105}) Müller ({106}) Müntefering
Neumann ({107}) Neumann ({108})
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese Niggemeier
Frau Odendahl Oesinghaus
Opel
Ostertag
Frau Dr. Otto
Paterna
Dr. Penner Pfuhl
Dr. Pick Reimann Reuschenbach
Reuter
Rixe
Schäfer ({109})
Frau Schaich-Walch Schanz
Scheffler Schloten Schluckebier
Schmidbauer ({110}) Schmidt ({111})
Frau Schmidt-Zadel
Dr. Schmude
Dr. Schnell
Dr. Schöfberger
Schreiner Frau Schröter
Schröter Schütz
Dr. Schuster
Schwanhold
Schwanitz Seidenthal Frau Seuster
Sielaff
Frau Simm Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk
Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge
Dr. Sperling Frau Steen Dr. Struck
Tappe
Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse
Tietjen
Frau Titze
Toetemeyer Urbaniak
Vergin
Dr. Vogel
Vosen
Wagner
Wallow
Waltemathe Walter ({112})
Walther ({113}) Wartenberg ({114})
Frau Dr. Wegner
Weiermann Frau Weiler Weis ({115}) Weißgerber Weisskirchen ({116})
Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich
Frau Wettig-Danielmeier
Frau Dr. Wetzel
Frau Weyel Wieczorek ({117})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
Wimmer ({118})
Dr. de With Frau Wohlleben
Frau Wolf
Frau Zapf
FDP
Baum
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow
Gries
Heinrich
Dr. Hirsch Hübner
Koppelin Kubicki
Lüder
Dr. Schmieder
Dr. Thomae Türk
Zywietz
PDS/LL
Frau Bläss
Frau Braband Dr. Briefs
Frau Dr. Enkelmann
Frau Dr. Fischer Dr. Gysi
Dr. Heuer
Frau Dr. Höll Frau Jelpke Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Riege
Dr. Schumann ({119}) Dr. Seifert
Frau Stachowa
Vizepräsident Helmuth Becker Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige
Frau Köppe
Schulz ({120}) Weiß ({121})
Fraktionslos Henn
Nein
CDU/CSU
Frau Dr. Ackermann
Adam
Dr. Altherr Frau Augustin Augustinowitz Austermann Bargfrede
Dr. Bauer
Frau Baumeister
Bayha
Belle
Bierling
Dr. Blank
Frau Blank Dr. Blens
Dr. Blüm
Börnsen ({122})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Brähmig
Breuer
Frau Brudlewsky
Brunnhuber
Büttner ({123})
Buwitt
Carstens ({124})
Carstensen ({125}) Clemens
Dehnel
Frau Dempwolf
Deres
Deß
Frau Diemers Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehlers
Ehrbar
Frau Eichhorn Engelmann Eppelmann Eylmann
Frau Falk
Dr. Faltlhauser Feilcke
Dr. Fell
Frau Fischer ({126}) Fockenberg
Francke ({127}) Frankenhauser
Dr. Friedrich Fritz
Fuchtel
Ganz ({128})
Frau Geiger Geis
Dr. von Geldern
Gerster ({129})
Göttsching Götz
Dr. Götzer
Gres
Frau Grochtmann
Gröbl Grotz Dr. Grünewald
Frhr. von Hammerstein Harries
Haschke ({130}) Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({131})
Hauser ({132}) Heise
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Dr. h. c. Herkenrath Hörster
Dr. Hoffacker
Hollerith
Dr. Hornhues
Hornung
Hüppe
Jäger
Frau Jaffke
Dr. Jahn ({133}) Janovsky
Frau Jeltsch
Dr. Jobst
Dr.-Ing. Jork
Dr. Jüttner
Jung ({134})
Junghanns
Dr. Kahl
Kalb
Kampeter
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Kauder
Keller Kittelmann
Klein ({135})
Klinkert
Köhler ({136})
Kolbe Frau Kors
Koschyk
Kossendey
Kraus
Dr. Krause ({137})
Krause ({138})
Krey
Kriedner
Kronberg
Dr.-Ing. Krüger
Krziskewitz
Dr. Lammert
Lamp Lattmann
Dr. Laufs
Laumann
Frau Dr. Lehr
Dr. Lieberoth
Frau Limbach
Link ({139})
Lintner
Dr. sc. Lischewski
Frau Löwisch
Louven
Lummer
Dr. Luther
Maaß ({140}) Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Frau Marienfeld Marschewski
Dr. Mayer ({141}) Meckelburg
Meinl
Frau Dr. Meseke
Dr. Meyer zu Bentrup
Frau Michalk Michels
Dr. Mildner Dr. Möller Molnar
Müller ({142})
Müller ({143})
Nelle
Dr. Neuling Neumann ({144})
Ost
Oswald
Otto ({145}) Dr. Päselt
Pesch
Petzold
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla
Dr. Pohler
Frau Priebus Dr. Probst
Dr. Protzner Pützhofen
Frau Rahardt-Vahldieck Raidel
Dr. Ramsauer Rau
Rauen
Reddemann Regenspurger Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik
Dr. Rieder
Dr. Riesenhuber
Rode ({146})
Frau Roitzsch ({147})
Dr. Rose
Rossmanith Roth ({148}) Rother
Dr. Ruck
Dr. Rüttgers Sauer ({149})
Sauer ({150}) Scharrenbroich Frau Schätzle Dr. Schäuble Schemken
Scheu
Schmalz
Schmidbauer Schmidt ({151})
Dr. Schmidt ({152}) Schmidt ({153})
Frau Schmidt ({154}) Schmitz ({155})
Dr. Schockenhoff
Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz
Frhr. von Schorlemer
Dr. Schreiber Schulz ({156})
Schwalbe
Schwarz
Dr. Schwörer Seesing
Seibel
Skowron
Dr. Sopart
Frau Sothmann Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Frau Steinbach-Hermann
Dr. Stercken
Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen
Dr. Stoltenberg Strube
Stübgen
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Vogel ({157})
Vogt ({158})
Dr. Voigt ({159})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff Werner ({160}) Wetzel
Frau Wiechatzek
Dr. Wieczorek ({161}) Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({162}) Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({163}) Wonneberger
Frau Wülfing Würzbach
Frau Yzer
Zeitlmann
Zierer
Zöller
FDP
Frau Dr. Babel Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({164}) Eimer ({165})
Engelhard van Essen Friedhoff Friedrich Funke
Genscher Grüner
Günther ({166})
Hackel
Hansen
Dr. Haussmann
Dr. Hitschler
Frau Dr. Hoth
Dr. Hoyer Irmer
Kleinert ({167})
Kohn
Dr. Kolb
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff
Lühr
Dr. Menzel Nolting
Dr. Ortleb
Otto ({168})
Paintner
Frau Peters
Richter ({169}) Rind
Dr. Röhl
Schäfer ({170})
Frau Schmalz-Jacobsen Schüßler
Frau Dr. Schwaetzer
Frau Sehn
Frau Seiler-Albring
Vizepräsident Helmuth Becker
Frau Dr. Semper
Dr. Solms
Dr. Starnick
Thiele
Timm
Dr. Weng ({171}) Wolfgramm ({172}) Frau Würfel
Zurheide
Fraktionslos Lowack
Enthalten
CDU/CSU
Gibtner
Haschke ({173})
FDP
Frau Albowitz
Dr. Feldmann Grünbeck
Dr. Guttmacher
Frau Homburger
Frau LeutheusserSchnarrenberger Frau Dr. Pohl
Schmidt ({174}) Frau Dr. von Teichman Frau Walz
Der Antrag ist also abgelehnt.
Wir kommen nun zur letzten namentlichen Abstimmung. Ich möchte Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß wir dann, wenn die Ergebnisse der letzten namentlichen Abstimmung ausgezählt sind, über die Einzelpläne 23 und 14 abstimmen, aber nicht namentlich.*) Ich eröffne die Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/1650. Meine Damen und Herren, ich darf einmal fragen, ob wir die Abstimmung schließen können oder ob es Proteste gibt. ({175})
Meine Damen und Herren, ich frage noch einmal: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das bisher nicht abgestimmt hat? - Kann ich davon ausgehen, daß ich die Abstimmung schließen kann? - Ich höre und sehe keine Widerspruch. Dann ist diese Abstimmung geschlossen. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, damit wir das Ergebnis über die Abstimmung zu diesem Änderungsantrag der SPD bald vorliegen haben. **)
Ich rufe vor den Abstimmungen auf:
Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 12/1425, 12/1600 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Carl-Ludwig Thiele
Hinrich Kuessner
Nach einer Vereinbarung war eine Stunde Debattenzeit angesetzt. Inzwischen ist mir mitgeteilt worden, daß alle Redner damit einverstanden sind, daß ihre Reden zu Protokoll gegeben werden. ***)
({176})
*) Seite 5108A
**) Ergebnis Seite 5108A ***) Anlage 3
- Darf ich diesem Beifall entnehmen, daß das Haus der Änderung der Geschäftsordnung zustimmt? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache einen weiteren Vorschlag. Wir müssen heute abend noch den Einzelplan 30 beraten.
Ich rufe also auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksachen 12/1424, 12/1600 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dietrich Austermann
Zu diesem Tagesordnungspunkt soll debattiert werden. Die Debattenzeit ist mit einer Stunde angesetzt.
Ich bitte mit folgendem Verfahren einverstanden zu sein. Wir eröffnen jetzt die Debatte. Wenn wir nach Ende einer Rede, das Ergebnis der Abstimmung über den Änderungsantrag zu Einzelplan 14 vorliegen haben, würde ich kurz unterbrechen und über die Einzelpläne 23 und 14 abstimmen lassen. Kann ich davon ausgehen, daß Sie mit dieser Regelung einverstanden sind?
({177})
Das geht natürlich nur, wenn die nötige Ruhe hergestellt ist, damit sich der Redner auch verständlich machen kann.
Als erster hat das Wort zum Einzelplan des Bundesministers für Forschung und Technologie unser Kollege Dr. Emil Schnell. Ihm erteile ich jetzt das Wort. Bitte sehr.
({178})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich befürchte, daß es nicht einfach wird, mit Ihrer Disziplin zurechtzukommen.
Es hat wirklich nur Sinn, daß wir in der Debatte fortfahren, wenn alle so diszipliniert sind, daß der Redner auch sprechen kann. Sonst muß ich die Sitzung so lange unterbrechen, bis die Abstimmungsergebnisse da sind. Ich bitte Sie wirklich um die nötige Aufmerksamkeit - Herr Dr. Emil Schnell, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, wir geben die Reden nicht zu Protokoll. Nachdem mich der Kollege Zywietz und der Kollege Austermann indirekt gebeten haben, das nicht zu tun, machen wir das auch nicht. Ich nehme an, auch der Minister hätte darum gebeten. Ich bin dankbar, daß wir so verfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Regierungen sind wie Teppiche - das ist ein altes, wenn auch etwas abgewandeltes polnisches Stichwort. Sie müssen von Zeit zu Zeit ausgeklopft werden. Bevor ich zu dieser konstruktiven Kritik übergehe, möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMFT für ihre gute Arbeit - besonders auch Zuarbeit - recht herzlich danken. Ich bitte die politische Leitung, das im Hause zu überbringen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesrat hatte mit Sorge festgestellt, daß der Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie gegenüber 1991 um nur rund 820 Millionen DM auf 9,25 Milliarden DM steigt. Er meinte weiter: Der notwendige Neuaufbau der Forschungslandschaft in den neuen Ländern darf nicht zu nachhaltigen Schäden in der Forschungslandschaft in den alten Ländern führen. Dies kann sich die Bundesrepublik Deutschland angesichts der erheblichen Forschungsanstrengungen Japans, der USA und auch Frankreichs sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung nicht leisten.
Das würde ich sofort unterschreiben, aber die große Weisheit des Bundeskabinetts kommt zu der Schlußfolgerung: Wir können und müssen es uns leisten. Die lapidare Antwort lautet: Nach Auffassung der Bundesregierung trägt der Forschungshaushalt 1992 den forschungspolitischen Notwendigkeiten Rechnung. Man verweist dann noch auf die Mittel im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, das bekanntlich 1992 ausläuft.
Nebenbei bemerkt: Die bescheidenen Mittel für die Universitäten und Hochschulen führen vielleicht dazu, daß das eine oder andere sanierungsbedürftige Gebäude in Ordnung gebracht werden kann. Aber um sich an anspruchsvollen Projekten von Forschungseinrichtungen zu beteiligen, um in die Verbundforschung einsteigen zu können, reicht es vorne und hinten nicht. Die Forschung gehört in der Tat zu den Verlierern der deutschen Einheit.
Die Großforschungseinrichtungen - die DFG, die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft -, alle, die in der deutschen Forschung vernünftig argumentieren können, haben massiv auf die Fehlentwicklungen in der deutschen Forschungs- und Technologiepolitik hingewiesen. Niemand von den Verantwortlichen hat es hören wollen.
Ich möchte hier einmal Ihren Freund Lothar Späth anführen, der ja kein Dummer ist. Er sagte in der letzten Ausgabe von „highTech" : Es gibt immer noch den Trend, Forschung und Entwicklung im Westen zu belassen und in Ostdeutschland eher verlängerte Werkbänke aufzubauen. Dagegen gibt es nur ein Rezept, nämlich bei den Forschungsinvestitionen richtig zu klotzen.
({1})
Ich sage Ihnen: Tun Sie es, bevor es zu spät ist.
Nun ist es ja nichts Besonderes, daß man bei anstehenden Stagnationen, also realen Kürzungen der finanziellen Mittel, bei steigenden Preisen und Löhnen nervös wird. Nur: Hier ist es so, daß der Forschungshaushalt unter Berücksichtigung von Lohn- und Preissteigerungen um real 7,2 % niedriger ausfällt als 1982.
({2})
Im Vergleich zu 1982 fällt der Anteil des Forschungshaushalts am gesamten Bundeshaushalt von 2,8 % auf 2,2 %, als hätte es in diesem wichtigen Bereich die deutsche Einheit nicht gegeben.
Ein wesentlicher Grund dafür ist natürlich, daß Schattenhaushalte und heimliche - auch unheimliche - Schuldenberge den Spielraum der Bundesregierung extrem einengen,
({3})
ohne daß man die wirklichen Gründe ehrlich eingesteht. Ehrlichkeit wäre jetzt aber langsam angesagt, meine Damen und Herren.
({4})
Unsere Bevölkerung erträgt dieses Verhalten zum Glück nicht beliebig lange. Da der Mut zur Differenzierung fehlt, wird mit dem Rasenmäher hantiert. Das sind politische Signale, die man sehr ernst nehmen sollte. Unsere Wissenschaftler sollten deshalb ihre Zurückhaltung endlich aufgeben.
({5})
Vergleicht man einmal in Europa den Anteil der öffentlich finanzierten Ausgaben für Forschung und Entwicklung am jeweiligen Haushaltsvolumen, stellt man fest: Diese Quote steigt in Frankreich und Italien kontinuierlich, während sie in Deutschland sinkt. Dem Vergleich mit Japan hält Deutschland erst recht nicht stand. 1989 betrug in Japan der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt über 3%; in Deutschland waren es 2,88 %. Die Differenzen sind heute mit Sicherheit nicht geringer.
Es gilt - und wir fordern das - , Intelligenz zu sparen. Die Regierung hat es in der Hand, die Schwerpunkte dabei zu setzen. Hier gilt in besonderem Maße: An den Taten wird man sie erkennen.
({6})
Diese Übergangsregierung spart aber genau dort, wo es kurzfristig am leichtesten ist,
({7})
ohne die mittel- und langfristigen katastrophalen Folgen auch nur ansatzweise ins Kalkül zu ziehen. Diese Übergangsregierung definiert Forschung und Technologie als Subventionsempfänger.
({8})
Mir fehlt offensichtlich der Humor, diese Möllemannsche Fehlleistung, die vom Kabinett getragen wird, oder seine Rücktrittslügen zu tolerieren.
({9})
Meine Damen und Herren, welch schwarzer Tag für die deutsche Wissenschaft!
({10})
- Übergangsregierung, das brauche ich, glaube ich, nicht zu erklären. Das ist selbstredend klar.
({11})
Die Militärforschung dagegen, meine Damen und Herren, zählt offensichtlich nicht zu den Subventionsempfängern. Seit dem Antritt der Regierung Kohl
- nun hören Sie gut zu - 1982 hat sich der Anteil der Ausgaben für Verteidigungsforschung an den Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Bundes um rund 50 % erhöht,
({12})
von 14 auf 20%, also 1,1 Milliarden DM mehr - , und das bei der internationalen Entwicklung, dem Ende der Konfrontation zweier Militärblöcke und des kalten Krieges.
Ich schlage Ihnen dringend vor, die für die Verteidigung aufgewendeten Forschungsmittel zu überprüfen und schrittweise in den Haushalt des BMFG zu übertragen.
({13})
Die verbleibende Ressortforschung des BMVg sollte einige wenige Prozent - sagen wir einmal: 3 % - der Ausgaben des Bundes für F und E nicht übersteigen. Das heißt auch Anwendung gleicher Kriterien von Effizienz und Nützlichkeit beim verbleibenden Teil der militärischen Forschung, wie es bei der zivilen Forschung der Fall ist.
Ich komme nun zu der Entwicklung in den neuen Ländern: 6 500 in den neuen Ländern übrigbleibende Arbeitsplätze der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen gehen bis 1995 gesamtdeutsch wahrscheinlich wieder verloren. Eine reife Leistung, denke ich! Herr Abgeordneter Christian Lenzer, CDU/CSU, spricht von mehr als 12 000 neuen öffentlich getragenen Arbeitsplätzen. Wahrscheinlich zählt er ABM und ähnliches dazu. Das ist zumindest keine seriös auf geschlüsselte Angabe
({14})
und täuscht über die Realität hinweg. Er soll das einmal aufklären, wenn es geht, hier und heute.
Der Finanzminister jedenfalls rechnet uns 6 081 grundfinanzierte Stellen in Wirtschaftsplänen vor und weitere 481 Bedienstete, finanziert aus Verstärkungsfonds und Drittmitteln.
Ich kritisiere damit nachdrücklich nicht die Arbeit des Wissenschaftsrates, der Länderregierungen und der Fachleute in den Bundesministerien, im Gegenteil, ich danke ausdrücklich. Ich habe im Prinzip auch nichts gegen Experimentalpolitik. Nur ist dieser Verschiebebahnhof ein Ergebnis des fehlenden Stellenwertes von Forschung und Technologie in den Köpfen weniger Minister. Ich vermute, das sind die Minister Waigel und Möllemann, Minister Riesenhuber, der
sich nicht hat durchsetzen müssen oder wollen oder können. Den Rest des Kabinetts betrachte ich als neutrale Masse, die sich im Kleinkrieg um ihre Ressortmittel gegenseitig zu Null ergänzt. Der Bundeskanzler, den es ja auch noch gibt, bedankt sich damit auf seine Weise für den jüngsten Nobelpreis und den bisher noch guten Stand der deutschen Wissenschaftler und Techniker im internationalen Wettbewerb. Das könnte allerdings bald anders aussehen.
Sollte alles klappen, entstehen ab Januar Großforschungseinrichtungen, Blaue-Liste-Einrichtungen, Bundes- und Landeseinrichtungen, Max-Planck-Institute und Fraunhofer-Einrichtungen, in denen die genannten ca. 6 500 Menschen in hochwertiger Beschäftigung bleiben. Doppelt so viele, meine Damen und Herren, und besonders die älteren, haben dagegen wenig Zukunft. Der Beschluß des Forschungsausschusses vom 12. Juni 1991 war sicher ein richtiger und wichtiger Impuls zur Entschärfung der Übergangsprobleme, wurde aber nicht für voll genommen. Das zeigt auch die Durchschlagskraft von Ausschußbegehren und damit die Würdigung der Sacharbeit im Parlament.
({15})
Selbst die Koalitionsfraktionen haben keine Chance, sich in ihrer Regierung durchzusetzen.
({16})
Ein Sonderprogramm zur Einrichtung von zusätzlichen Stellen für ältere Wissenschaftler und Techniker über 50 Jahre, von der SPD vorgeschlagen, wurde von der Koalition abgelehnt.
({17})
Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken. Hier geht es um mehr als um Parteiideologie. Hier geht es um die teilweise Erhaltung von zukunftsfähiger Forschungssubstanz, die wir dringend benötigen.
({18})
Als falsches politisches Signal der Koalition in der schwierigen Übergangs- und Startphase verstehe ich auch den 10%igen kw-Vermerk in den Stellenplänen, auch wenn vorgegeben wird, damit den Anteil älterer Wissenschaftler zu sichern. Eine zusätzliche Verunsicherung der Menschen wird das Ergebnis sein.
Die Überlebenschance der Forschungs-GmbHs ist alles andere als rosig, meine Damen und Herren. Die Versäumnisse der Regierung sind unübersehbar und folgenschwer. Da reicht es nicht aus, die Treuhand oder die Industrie zu beschwören und auf ein angemessenes Engagement zu hoffen. Es hilft uns auch nicht viel weiter, Tag für Tag die angenehmen Pressemitteilungen des BMFT in die Medien zu schieben, die einseitig Positives suggerieren. Das ist Papierverschwendung, behaupte ich.
({19})
Ich behaupte auch einmal: Die Personalausstattungen
und die Investitionsmittel für die dringend benötigten
Forschungsgeräte zur Angleichung der WettbewerbsDr. Emil Schnell
fähigkeit in den neuen Instituten sind so dimensioniert, daß ein Erfolg nicht hinreichend gesichert ist. Mit anderen Worten: Zuviel zum Sterben, zuwenig zum Leben. Ein Konzept für die Großforschungseinrichtungen und Institute in Deutschland fehlt. Die Regierung hat auch hier ganz einfach versagt.
({20})
Was macht die EG-Forschungspolitik mit ihren über 3 Milliarden DM 1992, wovon die Bundesrepublik ca. 25 % finanziert? Dazu die „Wirtschaftswoche" im Telegrammstil: Milliarden ohne Konzept und Kontrolle, wildes Dickicht bei der Forschungsförderung, kaum martkfähige Produkte, Mehrfachforschung ist nicht auszuschließen, übrigens auch nicht bei den Forschungsprojekten verschiedener anderer Ressorts und Bundesministerien,
({21})
die sich gegenseitig nur unzureichend informieren und abstimmen, wie wir es im Haushaltsausschuß feststellen konnten.
({22})
Benachteiligung mittelständischer Unternehmen - Eureka, SB-Projekte - bringen kaum Erfolge, meine Damen und Herren. JESSI ist eine offene Wunde, wo Minister Riesenhuber eingesteht, daß die Struktur nicht stimmt, die konkret abgestimmten Schwerpunktprojekte um den 64-Megabit-Chip herum keine Freudentränen auslösen.
({23})
Die Kosten für einen Esprit am Tag belaufen sich z. B. auf ca. 40 000 DM. Welche kleinen und mittleren Unternehmen können sich das leisten, frage ich Sie? Ist das Ihre mittelstandsfreundliche Politik?
({24}) - Ja, da tun Sie mir sehr leid.
Es muß angenommen werden, daß erhebliche Gelder nicht da ankommen, wo sie eigentlich gewollt waren. Was hat es z. B. für einen Sinn, wenn lobbystarke Großunternehmen in Bereichen, wo sie ohnehin mit weltmarktführend sind, z. B. in der LaserTechnologie, EG-Fördermittel bekommen? Das ist mir völlig unklar.
Abschließend heißt es - einziger Trost für die Forschungsbürokraten in Brüssel - : Viele Firmen haben sich in den acht Jahren EG-Förderung wenigstens einmal kennengelernt. - Ich kann da nur an die Bundesregierung appellieren, in diesen Bereichen für Ordnung und Effizienz zu sorgen. Das sieht mir ganz nach Schlamperwirtschaft aus,
({25}) nach Verschleuderung von Steuergeldern.
Zu einigen Details möchte ich noch kurze Ausführungen machen. Die Story zur globalen Minderausgabe möchte ich jetzt hier nicht genüßlich auftischen. Aber ich möchte hier kurz etwas zu Fragen der Weltraumfahrt sagen.
Wir haben uns in Fragen der Weltraumfahrt klar positioniert. Wir sind hier nicht die Bremser. Internationale Verpflichtungen müssen beachtet werden. Der Finanzrahmen dafür muß allerdings im erträglichen und angemessenen Verhältnis zum Plafond stehen, meine Damen und Herren.
({26})
Das ist bisher nicht der Fall. Die Mittel laufen immer noch dem Phantom einer westeuropäischen Autonomie im Weltraum hinterher. Großprojekte der unbemannten und bemannten Raumfahrt können und sollten in Zukunft aber nur global angegangen werden.
Legen Sie ein vernünftiges Konzept vor! Machen Sie die Hausaufgaben! Gehen Sie vom Plafond auf 15 % oder besser auf noch weniger runter. Dann können wir in diesem Bereich wieder etwas mehr und vernünftiger miteinander gestalten.
({27})
Die Vertagung von wichtigen Entscheidungen zur Weltraumforschung auf der Tagung in München zeigt wiederholt, wie es um Europa steht, auch wenn versucht wird, aus der eigentlichen Misere der europäischen Weltraumfahrt eine Erfolgsstory zu machen. Ich befürchte, die Anstrengungen der europäischen und weltweiten Koordinationen in der Forschungspolitik - speziell in der Weltraumforschung - sind in erheblichem Maße unterkritisch.
Die hilfreichen Ausführungen des Deutschen Industrie- und Handelstages vom 11. November 1991 sollten ernst genommen werden. Sie decken sich in wesentlichen Punkten mit unserer Kritik.
Ich kann hier leider nicht auf alle Versäumnisse, Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen der deutschen und europäischen Forschungspolitik - und damit der Industriepolitik - eingehen. Da bräuchten wir sehr viel Zeit. Aber zum außerordentlich wichtigen Bereich der Informationstechnik möchte ich zum Schluß noch drei Bemerkungen verlieren.
Meine Damen und Herren, verläßliche und damit langfristige Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung, speziell im IT-Bereich, sind erforderlich, werden aber von den offensichtlich schlecht beratenen Politikern nicht installiert, obwohl Minister Riesenhuber - ich zitiere - „mit den fähigsten Köpfen aus Industrie und Forschung" in den Gedankenaustausch tritt.
Die Ursachen der europäischen Wettbewerbsschwäche liegen auch in der zersplitterten Firmenstrategie. Informationstechnik ist wahrscheinlich das für das gesellschaftliche und industrielle Geschehen komplexeste und dynamischste Gebiet der Zukunft und muß deshalb durch besondere Anstrengungen, auch des BMFT, gefördert werden.
({28})
Dazu gehört, alle Gruppen von Anwendern, Forschern, Produzenten und Politikern - ja, einfach alle gesellschaftlichen Gruppen - in das fördernde Gespräch einzubeziehen. Zum Schluß müssen gebündelte Energie, wenigstens eine europäische Strategie,
die auch noch auf das Leben reagieren kann, und gemeinsame langfristige Anstrengungen für den internationalen Wettbewerb sowie ein breiter gesellschaftlicher Konsens bei Zukunftstechnologien herauskommen.
Die Regierung ist diesen Herausforderungen - für jeden nachprüfbar - nicht gewachsen.
({29})
Nach all den vorliegenden Fakten bleibt uns nichts anderes, als den Einzelplan 30 abzulehnen.
({30})
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich herzlich, daß es im Saal einigermaßen ruhig war.
Nun verfahren wir so, wie wir vorhin vereinbart haben. Ich gebe zunächst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD zum Einzelplan 14 auf Drucksache 12/1650 bekannt. Abgegebene Stimmen: 563; ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 214, mit Nein 343 Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich sechs Abgeordnete.
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 560;
davon
ja: 213
nein: 341
enthalten: 6
Ja
SPD
Frau Adler
Andres
Antretter
Bachmaier
Frau Barbe
Bartsch
Becker ({0}) Frau Becker-Inglau Bernrath
Bindig
Frau Bock
Dr. Böhme ({1}) Brandt
Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht
Büchner ({2})
Büttner ({3}) Frau Bulmahn
Frau Burchardt
Bury
Frau Caspers-Merk Conradi
Daubertshäuser
Dr. Diederich ({4}) Diller
Frau Dr. Dobberthien Duve
Ebert
Dr. Eckardt
Dr. Ehmke ({5}) Eich
Dr. Elmer
Erler
Esters
Ewen
Frau Ferner Frau Fischer
({6}) Fischer ({7}) Frau Fuchs ({8}) Fuhrmann
Frau Ganseforth Gansel
Gilges
Frau Gleicke Graf
Großmann
Habermann Hacker
Frau Hämmerle Hampel
Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz
Dr. Hauchler Heistermann Heyenn
Hiller ({9}) Hilsberg
Dr. Holtz
Horn
Frau Iwersen Frau Jäger Frau Janz
Dr. Janzen Jaunich
Dr. Jens
Jung ({10}) Jungmann ({11}) Frau Kastner Kastning
Kirschner
Frau Klappert Frau Klemmer
Klose
Dr. sc. Knaape
Frau Kolbe Kolbow
Koltzsch
Kretkowski Kuessner
Dr. Küster Kuhlwein
Lambinus Frau Lange von Larcher Leidinger
Lennartz
Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Dr. Lucyga
Maaß ({12}) Frau Marx Frau Mascher Dr. Matterne Frau Matthäus-Maier
Frau Mattischeck
Frau Mehl
Dr. Mertens ({13})
Dr. Meyer ({14})
Mosdorf
Müller ({15})
Müller ({16}) Müller ({17})
Frau Müller ({18}) Müller ({19}) Müntefering
Neumann ({20}) Neumann ({21})
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Opel
Ostertag
Frau Dr. Otto Paterna
Dr. Penner Pfuhl
Dr. Pick
Reimann
Reuschenbach
Reuter
Rixe
Schäfer ({22})
Frau Schaich-Walch Schanz
Scheffler
Schloten
Schluckebier Schmidbauer ({23}) Frau Schmidt ({24}) Schmidt ({25})
Frau Schmidt-Zadel
Dr. Schmude Dr. Schnell
Dr. Schöfberger
Schreiner Frau Schröter
Schröter
Schütz
Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Frau Seuster Sielaff
Frau Simm Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge
Dr. Sperling
Frau Steen Dr. Struck Tappe
Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse
Tietjen
Frau Titze Toetemeyer Urbaniak
Vergin
Dr. Vogel
Vosen
Wagner
Wallow
Waltemathe Walter ({26})
Walther ({27}) Wartenberg ({28})
Frau Dr. Wegner
Weiermann Frau Weiler Weis ({29}) Weißgerber
Weisskirchen ({30})
Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich
Frau Wettig-Danielmeier
Frau Dr. Wetzel
Frau Weyel Wieczorek ({31})
Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
Wimmer ({32})
Dr. de With Frau Wohlleben
Frau Wolf
Frau Zapf
PDS/LL
Frau Bläss
Frau Braband Dr. Briefs
Frau Dr. Enkelmann
Frau Dr. Fischer Dr. Gysi
Dr. Heuer
Frau Dr. Höll Frau Jelpke Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Riege
Dr. Schumann ({33}) Dr. Seifert
Frau Stachowa
Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige
Poppe
Frau Schenk Schulz ({34}) Dr. Ullmann
Weiß ({35})
Fraktionslos Henn
Nein
CDU/CSU
Frau Dr. Ackermann Adam
Dr. Altherr
Vizepräsident Helmuth Becker
Frau Augustin
Augustinowitz
Austermann
Bargfrede
Dr. Bauer
Frau Baumeister
Bayha
Belle Bierling
Dr. Blank
Frau Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Börnsen ({36})
Dr. Bötsch
Bohl Bohlsen
Borchert
Brähmig
Breuer
Frau Brudlewsky Brunnhuber
Büttner ({37}) Buwitt
Carstens ({38}) Carstensen ({39}) Clemens
Dehnel
Frau Dempwolf
Deres
Deß
Frau Diemers
Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehlers
Ehrbar
Frau Eichhorn
Engelmann
Eppelmann
Eylmann
Frau Falk
Dr. Faltlhauser
Feilcke
Dr. Fell
Frau Fischer ({40}) Fockenberg
Francke ({41}) Frankenhauser
Dr. Friedrich
Fritz Fuchtel
Ganz ({42})
Frau Geiger
Geis
Dr. von Geldern
Gerster ({43})
Gibtner
Glos Göttsching
Götz
Dr. Götzer
Gres
Frau Grochtmann
Gröbl Grotz Dr. Grünewald
Frhr. von Hammerstein Harries
Haschke ({44}) Haschke ({45})
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser ({46})
Hauser ({47}) Hedrich
Heise
Frau Dr. Hellwig
Helmrich
Dr. Hennig
Dr. h. c. Herkenrath
Hinsken Hörsken Hörster
Dr. Hoffacker
Hollerith
Dr. Hornhues
Hornung Hüppe
Jäger
Frau Jaffke
Dr. Jahn ({48}) Janovsky
Frau Jeltsch
Dr. Jobst Dr.-Ing. Jork
Dr. Jüttner Jung ({49}) Junghanns
Dr. Kahl Kalb
Kampeter Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Kauder
Keller
Kittelmann Klein ({50})
Klinkert
Köhler ({51})
Dr. Köhler ({52}) Kolbe
Frau Kors Koschyk Kossendey Kraus
Dr. Krause ({53}) Krause ({54})
Krey
Kriedner Kronberg Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz
Dr. Lammert
Lamp
Lattmann Dr. Laufs Laumann Frau Dr. Lehr
Dr. Lieberoth
Frau Limbach
Link ({55})
Lintner
Dr. sc. Lischewski
Frau Löwisch
Louven
Lummer Dr. Luther
Maaß ({56}) Frau Männle
Magin
Frau Marienfeld Marschewski
Dr. Mayer ({57}) Meckelburg
Meinl
Frau Dr. Meseke
Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk
Michels
Dr. Mildner
Dr. Möller Molnar
Müller ({58}) Müller ({59})
Nelle
Dr. Neuling
Neumann ({60}) Nitsch
Ost
Oswald
Otto ({61})
Dr. Päselt
Pesch
Petzold
Pfeffermann Pfeifer
Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla
Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen
Frau Rahardt-Vahldieck Raidel
Dr. Ramsauer
Rau
Rauen
Reddemann Regenspurger
Reichenbach
Dr. Reinartz Frau Reinhardt
Repnik
Dr. Rieder
Dr. Riesenhuber
Rode ({62})
Frau Roitzsch ({63})
Dr. Rose
Rossmanith Roth ({64})
Rother
Dr. Ruck Dr. Rüttgers
Sauer ({65})
Sauer ({66}) Scharrenbroich
Frau Schätzle
Dr. Schäuble
Schemken Scheu
Schmalz
Schmidbauer
Schmidt ({67})
Dr. Schmidt ({68}) Schmidt ({69})
Frau Schmidt ({70}) Schmitz ({71})
Dr. Schockenhoff
Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz
Frhr. von Schorlemer
Dr. Schreiber
Schulz ({72})
Schwalbe Schwarz
Dr. Schwörer
Seesing
Seibel
Skowron Dr. Sopart Frau Sothmann
Spilker
Spranger Dr. Sprung Dr. Stavenhagen
Frau Steinbach-Hermann
Dr. Stercken
Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen
Dr. Stoltenberg
Strube
Stübgen
Susset
Tillmann Dr. Uelhoff Uldall
Vogel ({73})
Vogt ({74})
Dr. Voigt ({75})
Dr. Vondran
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke Dr. Warrikoff
Werner ({76})
Wetzel
Frau Wiechatzek
Dr. Wieczorek ({77}) Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({78})
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Wittmann ({79}) Wonneberger
Frau Wülfing
Würzbach Frau Yzer Zeitlmann Zierer
Zöller
FDP
Frau Albowitz
Frau Dr. Babel
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({80}) Eimer ({81})
Engelhard van Essen Dr. Feldmann
Friedhoff Friedrich Funke
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow
Genscher Gries
Grünbeck Grüner
Günther ({82})
Dr. Guttmacher
Hackel
Hansen
Dr. Haussmann
Dr. Hitschler Frau Homburger
Frau Dr. Hoth
Dr. Hoyer Hübner
Irmer
Kleinert ({83})
Kohn
Dr. Kolb
Koppelin
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff
Frau LeutheusserSchnarrenberger
Lüder
Lühr
Dr. Menzel Nolting
Dr. Ortleb
Otto ({84})
Paintner
Frau Peters Frau Dr. Pohl
Richter ({85})
Rind
Dr. Röhl
Schäfer ({86})
Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({87})
Schüßler
Frau Dr. Schwaetzer
Vizepräsident Helmuth Becker
Frau Sehn
Frau Seiler-Albring Frau Dr. Semper
Dr. Solms
Dr. Starnick
Frau Dr. von Teichman Thiele
Dr. Thomae Timm
Dr. Weng ({88}) Wolfgramm ({89}) Frau Würfel
Zurheide
Zywietz
Fraktionslos Lowack
Enthalten
FDP
Heinrich
Dr. Hirsch Kubicki
Dr. Schmieder Türk
Frau Walz
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, nachdem die beiden Änderungsanträge, die die SPD zum Einzelplan 14 gestellt hat, abgelehnt worden sind, können wir nun zur Abstimmung über Einzelplan 14 in der Ausschußfassung kommen. Wer Einzelplan 14 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppen Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen.
({90})
Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Einzelplan 23 ab. Um das noch einmal zu kennzeichnen: Das ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 12/1647 ist, wie wir vorhin festgestellt haben, abgelehnt worden.
({91})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppen Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen.
Wir haben jetzt noch über den Einzelplan 31, den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, abzustimmen. Zu diesem Einzelplan sind die Reden zu Protokoll gegeben worden.
Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist auch dieser Einzelplan mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppen Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste angenommen.
Meine Damen und Herren, wir wollen - ich habe noch eine Reihe von Wortmeldungen - jetzt in der Aussprache fortfahren. Danach kommen wir noch zur Abstimmung über den Einzelplan 30: Forschung und Technologie.
Ich bitte, daß Sie wieder die notwendige Ruhe herstellen, damit ich den nächsten Redner, unseren Kollegen Dietrich Austermann, aufrufen kann.
({92})
- Einen Augenblick noch, Herr Kollege Austermann.
- Alle sind nett und freundlich und befolgen die Ratschläge des Präsidiums.
({93})
Jetzt hat unser Kollege Dietrich Austermann das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann all die verstehen, die soeben den Saal verlassen haben, nachdem sie die Rede von Herrn Schnell gehört haben.
({0})
Denn es ist der Eindruck entstanden, daß Forschung etwas mit Trauer, mit beklagenswerten Zuständen und mit persönlichem depressivem Gefühl zu tun hat.
({1})
Ich möchte einmal uns allen die Frage stellen, wie der Kollege Schnell, wenn er demnächst in einer der drei neuen Großforschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern erscheint oder in einem der 24 neuen „Blaue Liste "-Institute oder in dem neuen Umweltforschungsinstitut in Halle
({2})
oder anderswo auftritt, wohl aufgenommen wird, wenn er den beklagenswerten Sachverhalt vermitteln muß, daß wir in den nächsten fünf Jahren „bloß" 6 Milliarden DM für die Forschung in den neuen Bundesländern bereitstellen. Dann brechen alle in Tränen aus und sagen: So kann es nicht weitergehen.
({3})
Wenn man der Situation ernsthaft gerecht werden will, muß man die Fakten vernünftig darstellen und sagen, wo die Probleme in der Forschung liegen; die will ich überhaupt nicht verniedlichen. Man muß den Bürgern auch sagen, was tatsächlich geleistet wird. Und das ist in der Tat beträchtlich.
({4})
Ich will das an nur wenigen Zahlen kurz deutlich machen: Die Steigerung des Forschungsetats gegenüber dem Jahr 1991 beträgt 9,7 %. Dabei sind die 300 Millionen DM aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und die 180 Millionen DM, die wir zusätzlich für industrielle Forschung ausgeben, nicht mitgerechnet. Eine beachtliche Leistung! Insgesamt umfaßt dieser Einzelplan 9,7 Milliarden DM, während sich der für dieses Jahr auf 8,4 Milliarden DM belief. Wenn das keine bedeutsame Steigerung ist,
({5})
weiß ich nicht, ob die SPD-Kollegen überhaupt noch rechnen können.
({6})
Nörgeln, maulen, miesmachen, lieber Kollege Schnell, ist einfach zuwenig, wenn man sich dem Thema sachgerecht nähern will.
({7})
Ich möchte mich deshalb kurz den Themen widmen, um die es tatsächlich geht.
({8})
Das wichtigste Thema ist sicher die Frage: Wie können wir die Forschungspolitik in den neuen Bundesländern unter Nutzung der dort vorhandenen Besonderheiten und Qualitäten in die Forschungslandschaft der alten Bundesländer einbetten? Wie können wir
- zweitens - die technologischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik insgesamt verbessern? Wie können wir - drittens - Schlüsseltechnologien in der Aufholjagd, die wir mit Amerikanern und Japanern austragen, einen entschiedeneren Impuls geben?
({9})
- Ich werde die Frage gleich beantworten, Herr Vosen, damit Sie etwas mit nach Kalkar nehmen können
- zur eigenen Weiterbildung und zur Information Ihrer Genossen dort. - Wir werden schließlich - viertens - die Frage beantworten müssen, wie wir die Raumfahrt weiter betreiben und wie es - fünftens - mit der Zukunft der Großforschungseinrichtungen aussehen soll.
Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten hängt von der Beherrschung bestimmter kritischer Technologien ab.
({10})
- Ich habe den Eindruck, daß sich viele von Ihnen mit diesen neuen Technologien nur ungern befassen; deshalb muß das hier deutlich gesagt werden.
Das amerikanische Wirtschaftsministerium hat in umfangreichen Untersuchungen neu auftretende Technologien identifiziert, die im Jahr 2000 hohe Beiträge zum Markt leisten können. Etwa die Hälfte des Umsatzes der Zukunft werden neue Materialien, fortgeschrittene Halbleiter, Höchstleistungsrechner, computerintegrierte Fertigung ausmachen.
Eine wesentliche Rolle dürften die Energieforschung, vor allem für erneuerbare Energien und rationelle Energieverwendung, sowie Biotechnologie und nachwachsende Rohstoffe spielen.
Es muß eine Aufgabe der künftigen Forschungspolitik sein, immer wieder neue Themen aufzuspüren und im Wettbewerb mit Japan und den USA mitzuhalten.
Bezüglich der Mikroelektronik läuft Europa Gefahr zurückzubleiben; gleiches gilt für Hochleistungsmetalle und für die Umwelttechnologie im weitesten Sinne.
Internationale Bestandsaufnahmen machen deutlich - dies kann man aus dem Etat des Forschungsministeriums ersehen - , daß Forschungsanstrengungen, vor allen Dingen für anwendungsbezogene Forschung, verstärkt werden müssen, um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu steigern. Dies hilft selbstverständlich gerade auch den Unternehmen in den neuen Bundesländern, die vor allem auf Innovationen setzen und alte Produktionsverfahren nicht fortsetzen können.
Zur Lage der Mikroelektronik in Deutschland ist folgendes zu sagen: Wir wissen, daß sie nicht nur für die Bereiche Datenverarbeitung, Informations- und Kommunikationstechnik eine Schlüsseltechnologie darstellt, sondern auch für wichtige Wirtschaftszweige, wie Maschinen- und Apparatebau sowie Fahrzeugbau.
({11})
- Ich komme dazu.
Das Zukunftskonzept der Informationstechnik der Bundesrepublik aus dem Jahr 1989 muß dringend fortgeschrieben werden; dazu zwingt nicht zuletzt die Wiedervereinigung. Trotz der erheblichen Förderung in den letzten Jahren, die auch die Wissenschaft in diesem Feld ausgebaut hat, müssen wir mehr tun; und wir tun dies.
Jetzt komme ich zu Ihrem Stichwort, Herr Kollege Struck: Wir tun dies, indem wir eine Fülle von Einrichtungen schaffen, die im Verbund gemeinsam die Mikroelektronik voranbringen sollen. Dazu gehört selbstverständlich das neue Institut ISIT in Itzehoe, aber auch SIGAN in Hannover, MATZ in Hamburg und viele andere mehr. Der Verbund der FraunhoferGesellschaft gehört dazu, ebenso das Zentralinstitut für Mikroelektronik in Dresden. Ich glaube, daß der Haushalt des Forschungsministers in diesem Bereich für 1992 deutliche Impulse setzt.
Jeder dritte Arbeitsplatz in den alten Bundesländern hängt vom Export ab und damit von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb sind Innovationen unbedingt erforderlich.
Was haben wir in diesem Jahr tatsächlich getan?
({12})
- Dies kann nur derjenige behaupten, der die Fakten nicht kennt oder der sie nicht sehen will, lieber Kollege.
({13})
600 Millionen DM sind für Projekte in den neuen Bundesländern bereitgestellt worden. Es ist erfreulich, daß sie auch umgesetzt wurden. Eine Überbrükkungsfinanzierung konnte für Projekte industrieller Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern über die Treuhandanstalt, das Forschungsministerium und das Wirtschaftsministerium erreicht werden.
Im Nachtragshaushalt, der in dieser Woche beschlossen wird, werden weitere 50 Millionen DM noch für dieses Jahr für Forschungs-GmbHs bewilligt.
Ich glaube, daß es falsch ist, wenn der Kollege Späth aus anderer Perspektive und anderer Interessenlage von einer „verlängerten Werkbank" redet. Wenn man sich tatsächlich mit den Fakten befaßt - ich sage es noch einmal - , stellt man fest: 3 Forschungseinrichtungen, 24 Blaue-Liste-Institute, viele Einrichtungen, die früher bei der AdW waren und jetzt bei den Hochschulen der Länder sind, viele andere private Institute und die Forschungseinrichtungen, die weiter unterstützt werden - 180 Millionen im kommenden Jahr - , sind programmiert. Technologieorientierte Unternehmensgründungen werden gefördert. Technologie- und Gründerzentren werden mit 40 Millionen DM unterstützt. Dies ist eine gewaltige Leistung, die sich sehen lassen kann, und die man den Landsleuten in den neuen Bundesländern als Zeichen der Hoffnung vermitteln sollte,
({14})
aber nicht mit einem Ton, der den Eindruck erweckt, es wäre soeben ein naher Verwandter gestorben, wie man gerade zur Kenntnis habe nehmen müssen.
({15})
Darüber hinaus muß man feststellen, was unsere Forschungsgesellschaften tun und getan haben. Herausragend ist die Anstrengung der Fraunhofer-Gesellschaft zu nennen, weniger herausragend die der Max-Planck-Gesellschaft.
Immerhin steigen die Mittelzuweisungen an die Fraunhofer-Gesellschaft auf Grund der Investitionen in den neuen Bundesländern im kommenden Jahr um 82 % , bei der Max-Planck-Gesellschaft um lediglich 8,9 %
({16})
Ein weiterer Punkt, den man in diesem Zusammenhang erwähnen muß, betrifft das, was im neuen Jahr neu in Angriff zu nehmen ist. Das ist ein Thema, das weniger mit den neuen Bundesländern als vielmehr mit den alten zusammenhängt. Das ist die Situation der Großforschungseinrichtungen. Wenn wir die Forschung in den neuen Bundesländern generell auf den Prüfstand stellen und dort eine Bewertung durch den Wissenschaftsrat durchführen lassen, muß dies selbstverständlich auch für die Großforschungseinrichtungen in den alten Bundesländern gelten. Das kann aber eben nicht mit der Rasenmähermethode geschehen.
({17})
Man kann nicht sagen: Wir müssen generell sparen. Die Kollegen der Koalition haben im Forschungsausschuß deutlich gemacht - ({18})
- Herr Vosen, ich weiß nicht, ob Sie sich dem angeschlossen hab en - : Di e Großforschungseinrichtungen brauchen mehr Flexibilität und das Handwerkszeug, um den neuen Anforderungen besser gerecht zu werden.
Lassen Sie mich wenige Sätze zum Bereich der Umweltforschung sagen, der einen Schwerpunkt in den neuen Bundesländern bildet. Ich habe bereits das neu zu schaffende Umweltforschungszentrum als Großforschungseinrichtung in Halle/Leipzig mit 400 Mitarbeitern angesprochen. Dies ist ja auch nicht nichts, sondern dies ist ein erster wesentlicher Schritt, um die Versäumnisse der sozialistischen Kommandowirtschaft, d. h. die Sünden im Bereich des Umweltschutzes, auszugleichen.
Auf dem Gebiet der Biotechnologie werden in Jena wesentliche Forschungskapazitäten am IMB und am HKI geschaffen. Ein anderer Schwerpunkt wird in Berlin-Buch mit einer weiteren Großforschungseinrichtung entstehen.
Ich glaube, daß gute Chancen bestehen. Wir müssen sie nur richtig nutzen. Wir dürfen nur nicht denen, die daran beteiligt sind, die davon profitieren sollen und die die geistigen Werte schaffen, die danach in die Wirtschaft fließen, von vorneherein den Mut nehmen.
Lassen Sie mich als letztes Thema die Weltraumforschung ansprechen.
({19})
Die Weltraumforschung hat uns bis in die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses beschäftigt. Die Finanzierung der drei Großprojekte - Ariane 5, Hermes und Columbus - war fraglich geworden, nachdem sich das Projekt Hermes um 40 % teurer darstellte, als dies ursprünglich angenommen wurde. Es schien auch nicht mehr den technologischen Nutzen zu bringen, der ursprünglich in dem ehemals kohärent gedachten Weltraumprogramm vorgesehen war.
({20})
- Der Unterschied zwischen uns beiden ist der, daß wir nach wie vor die Auffassung vertreten, daß diese drei Großprojekte unterstützungswürdig sind,
({21})
während Sie von vorneherein, außer bei der kommunalen Neuordnung und beim Schulwesen, alles, was groß ist, ablehnen.
({22})
Dies geschieht bei Ihnen wahrscheinlich deshalb, weil dies alles eine Größe überschreitet, die zu begreifen Sie nicht mehr in der Lage sind.
({23})
Wir sind zu der Meinung gelangt, daß diese drei Projekte in einem vernünftigen Zeitraum und im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Mittel realisiert werden sollen. Aber die bemannte Raumfahrt darf nicht dazu führen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft leidet und die Forschungsanstrengungen in anderen Bereichen erdrückt werden. Deshalb wird die bemannte Raumfahrt zeitlich gestreckt. Aber immerhin, über 1,5 Milliarden DM sprechen dafür, daß wir uns aus dem internationalen Bereich und aus der europäischen Zusammenarbeit nicht verabschieden wollen.
Ich denke, daß die Zeit der Überlegung bis Ende nächsten Jahres genutzt werden kann, um vernünfDietrich Austermann
tige Entwicklungen voranzubringen und zu klaren Entscheidungen zu kommen. Wir stehen zur Weiterentwicklung der Ariane 5. Wir stehen zum Raumfahrtprojekt Columbus. Wir sind der Meinung, daß das Projekt Hermes technologisch weiter erforscht werden soll.
Die Verbindung von Luft- und Raumfahrt und Umweltschutz drängt sich nach den Erfahrungen der technologischen Möglichkeiten auf. Wir haben deshalb über den Entwurf der Regierung hinaus im Bereich des Umweltschutzes die Entwicklung eines Höhenflugzeugs Strato 2C für den Einsatz in extremen Flughöhen finanziell vorgesehen. Dabei werden neue Wege beschritten, die der Atmosphärenforschung, der Kommunikation, der Erdbeobachtung, dem Katastrophenschutz und dem Krisenmanagement sowie vielen anderen Dingen mehr dienen. Ich glaube, daß sich inzwischen herumgesprochen hat, daß dieses Projekt sinnvoll ist und andere ersetzen soll, die statt dessen vorgesehen waren und die national in dieser Größenordnung nicht zu bewältigen sind, wie z. B. das Projekt Atmos.
({24})
Lassen Sie mich wenige Sätze zur Energiepolitik sagen. Ein Kollege von der SPD hat heute vormittag in der Debatte zum Kanzleretat das Thema Energiepolitik angesprochen. Hans-Ulrich Klose glaubte auch, beklagen zu müssen, wie gewaltig sich die Last durch CO2, vor allem für den südlichen Teil der Erde, darstellt. Eigentlich hätte man annehmen können, daß Herr Klose, nachdem er 1981 als Bürgermeister in Hamburg wegen seiner Position im Bereich der Kernenergie zurücktreten mußte, heute sagt: Deshalb bin ich, Hans-Ulrich Klose - wie wir - , für die konsequente Anwendung der umweltfreundlichen, der sparsamen, der wirtschaftlichen und sicheren Kernenergie.
({25})
Das gleiche hätte ich von Herrn Scheer erwartet, der nach Herrn Klose gesprochen hat.
Wir haben die Mittel für Kernenergie nicht deshalb zurückgeführt, weil wir gegen Kernenergie sind, sondern weil wir die Auffassung vertreten, daß dies jetzt eine Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen ist.
({26})
Die Mittel, die wir dafür bereitstellen, dienen in erster Linie den Forschungsprojekten und der Beseitigung von Altlasten; ein Beitrag, den die Bundesregierung aus den Forschungsprojekten übernommen hat.
Die letzten Anmerkungen sollen der erneuerbaren Energiequellen und den rationellen Energieverwendung dienen. Das, was dort in den letzten Jahren geleistet worden ist, kann sich sehen lassen: Wind, Wasserkraft, Geothermie und vor allem Sonnenenergie können in Breitentests erforscht werden. Windkraftwerke schießen an der Küste wie Pilze aus dem Boden.
({27})
- Obwohl er sich alle Mühe gibt, Wind zu machen.
Sonnenkraft wird in einem 1 000-Dächer-Programm erprobt, Geothermie erhält vor allen Dingen in Mecklenburg-Vorpommern eine Chance.
Ergänzend dazu wollen wir die Chancen der nachwachsenden Rohstoffe nutzen. 50 Millionen DM werden dafür im kommenden Jahr bereitgestellt - nicht nur deswegen, weil wir die gewaltigen Sorgen und Probleme unserer Landwirtschaft sehen. Ich wünsche mir, daß es gelingt, im kommenden Jahr eine Management-Zentrale oder vielleicht eine Stiftung der Energieversorgungsunternehmen zu schaffen, die sich darum kümmert, wie wir nachwachsende Rohstoffe noch stärker umsetzen, wie wir die Vermarktung von der Landwirtschaft in die Industrie besser ausnutzen und organisieren können.
({28})
Zum Schluß bleibt anzumerken, daß anders als früher bei den Abstimmungen über einzelne Titel und Kapitel, Herr Kollege Diederich, weitgehende Übereinstimmung in den Beratungen im Haushaltsausschuß auch mit der Opposition erreicht werden konnte. Es bleibt zu hoffen, daß sich die SPD von ihrer technologiefeindlichen Grundsatzkritik an bestimmten Großprojekten
({29})
und an wichtigen Forschungsgebieten der Zukunft abwendet. Der Forschungshaushalt gibt eine Chance - nicht nur für die neuen Bundesländer.
Ich bedanke mich für das Zuhören.
({30})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Gerhard Riege das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Voranschlag für den Forschungshaushalt enthält ganz gewiß bestimmte höhere Ansätze im Vergleich zu 1991. Aber ich meine, daß die Proportionalität angesichts des Zuwachses durch die fünf neuen Bundesländer nicht gegeben ist und daß in dieser Zeit bevorstehende Personalkosten es uns auch schwermachen werden, mit dem zu haushalten, was an Zuwachs nominell da ist. Meines Erachtens gibt es eine faktische Begrenzung.
Für die institutionelle Förderung in den neuen Bundesländern sind insgesamt 585 Millionen DM ausgewiesen. Ich sehe auch da eine deutliche Dispropor5114
tion, weil im gesamten Bundesgebiet dafür ein mehr als sechsmal höherer Betrag ausgewiesen ist.
({0})
Bezogen auf die Großforschungseinrichtungen, die für die neuen Bundesländer vorgesehen sind, ist die Disproportion noch größer.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir auf folgendes hinzuweisen: drei Großforschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern bei einem 90%igen Förderungsanteil durch den Bund. 24 BlaueListe-Institute sind bei einer Beteiligung von Bund und Ländern von jeweils 50 : 50 vorgesehen. Das heißt, die ohnehin mit finanziellen Schwierigkeiten stark belasteten Länder im Osten haben einen ungünstigeren Finanzierungsschlüssel.
({1})
Insofern kommt eine stärkere Belastung hinzu.
Ich verkenne dabei nicht, daß in diesen Entwicklungen - das gilt ebenfalls für die Blaue-Liste-Institute - natürlich auch neue inhaltliche Möglichkeiten für die Entwicklung der Forschung bestehen, für ein höheres Maß an Modernität und an Effektivität.
Wir haben unter den 24 Blaue-Liste-Instituten nicht eine, die gesellschaftswissenschaftlichen Charakter trägt.
({2})
Ich finde, daß die Entwicklungen, die in diesem Haushalt zu vollziehen sind, auch zu negativen Konsequenzen in den alten Bundesländern führen. Teilung ist hier erforderlich. Sie wird auch in einem bestimmten Maße praktiziert. Ich verstehe, daß es bei den Institutionen in den alten Bundesländern, die sich im Rahmen des begrenzten Haushalts bewegen müssen, auch Unmut gibt. Die hauptsächlichen Reserven würde ich - wie auch mein Vorredner - im Bereich der Militärforschung sehen, die zu reduzieren wäre.
Ich möchte auf folgendes aufmerksam machen. In der Anhörung unseres Ausschusses wurde von verschiedenen Seiten unbestritten festgestellt, daß die Industrieforschung im Bereich der neuen Bundesländer bereits zu 80 % nicht mehr existiert. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein Hauptgrund ist die Privatisierungspolitik der Treuhand. Das hat für die Industrie natürlich Wirkung in die Zukunft hinein, und es hat darüber hinaus auch Wirkung für die Gesellschaft. Ich denke, es sind langfristig negative Wirkungen.
Hier ist das Wort von der verlängerten Werkbank oder von den verlängerten Werkbänken gefallen.
({3})
- Da ist etwas dran. - Ich möchte es modifizieren, nämlich insofern, als mit dem, was an neuen Potentialen in der Industrie aufgebaut wird, auch moderne Produktion verbunden ist. Mir scheint vor allem, daß die eigentliche Innovationskraft, sozusagen das, was die Originalität der wissenschaftlich-technischen Entwicklung ausmacht, in den alten Bundesländern angesiedelt ist und in den neuen Bundesländern nicht in entsprechendem Maße gefördert wird.
({4})
Ich sehe auf Grund dieser Situation auch eine negative Auswirkung auf die Hochschulen. Eine Rückwirkung auf die Lehre ist nicht auszuschließen. Ich habe bei verschiedenen Industriepartnern im Bereich von Wissenschaft und Technik nachgefragt. Sie erklären, daß, soweit Potentiale erhalten sind, in beträchtlichem Maße eine Orientierung hin zu Industriepartnern der alten Bundesländer erfolgt. Das wird auch von der Universität her so gesehen. In den alten Bundesländern werden die Partner gesucht, und zwar vor allen Dingen deshalb, weil die entsprechende Partnerschaft auf dem Gebiet der neuen Bundesländer nicht möglich ist.
Das heißt, daß die noch vorhandenen Ostpotentiale die westlichen Gebiete in einem bestimmten Maße auch stärken und deren Wirtschaft insoweit günstig beeinflussen. Wenn Sie sich im Bereich dessen umschauen, was der Industrieforschung und der Hochschulforschung zuzuordnen war und ist, so müssen wir, soweit ich das habe ermitteln können, feststellen, daß junge, kreative Wissenschaftler angesichts der Bedingungen, die wir gegenwärtig vorfinden, weggegangen sind und daß sie ihren Platz in der Wissenschaft, in der Forschung, in der Technik der alten Bundesländer oder im Ausland gefunden haben.
({5})
- Wir haben gegenwärtig einen größeren Weggang als jemals zuvor in der Entwicklung der DDR auf diesem Gebiet.
({6})
- Diese Bemerkung ist belegbar.
({7})
Wenn Sie sich in den Wissenschaftszentren, die zur Debatte stehen, umschauen, dann werden Sie feststellen, um wie viele hochqualifizierte Fachkräfte es sich handelt.
({8})
- Das ist nicht die Frage. Es geht um die Frage, wo die Potentiale vorhanden sind, wo sie bleiben, wie sie sich bewegen und was der Grund dafür ist.
({9})
Das heißt: Wenn uns so hochqualifizierte Leute verlassen, dann hat das nicht nur in einem quantitativen Maße, sondern auch in einem höheren - qualitiativen - Maße Rückstände in bezug auf das Niveau der Forschung zur Folge. Wir befinden uns in einer Situation, in der das intellektuelle Potential in den WissenDr. Gerhard Riege
schaftszentren auf dem Gebiet der neuen Bundesländer in Frage steht und in der wir uns überlegen müssen, welche Möglichkeiten es gibt, um das zu ändern. Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten, dieses Potential so zu erhalten, daß es unter den Bedingungen, unter denen auch die Industrie wieder mehr Auftraggeber sein kann, wieder vernünftig zum Einsatz gebracht werden kann.
({10})
- Eine Möglichkeit würde, so scheint mir, darin bestehen, die ABM-Stellen - heute ist das Wort von der „Hängematte" verwandt worden - vielleicht gezielter einzusetzen. Ich sehe in der ABM keine für Wissenschafts- und Technikkader besonders günstige Lösung, aber eine Chance.
Wenn man davon ausgeht, daß es im Gebiet der neuen Bundesländer eigentlich vier große Zentren von Wissenschaft und Technik gibt, die historisch gewachsen sind - Berlin, Raum Dresden, Raum Jena und vielleicht Raum Halle/Leipzig - , so könnte ich mir vorstellen, daß es sinnvoll wäre, in diesen Bereichen Konzentrationen vorzunehmen, um entsprechende Potentiale zu erhalten, bis die entsprechenden Möglichkeiten der Industrie, sie zu stimulieren und ihre Leistung aufzunehmen, wieder gegeben ist. Wir sind - so würde ich es sehen - in der Zwangslage, uns um das Erhalten dieses kreativen Potentials zu bemühen.
({11})
Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor. Wir haben in Jena im Moment etwa 20 000 Arbeitslose. Es gibt die offizielle Aussage des Amtes für Arbeit, daß zum 1. Januar 1992 aus dem Bereich von Zeiss, von Akademieeinrichtungen und anderen wissenschaftsintensiven Einrichtungen weitere 20 000 hinzukommen. Das werden bei einer Stadt in einer Größenordnung von rund 100 000 Einwohnern 40 000 Leute sein. Das ist nicht nur ein individuelles Problem, daß ist ein kommunales, ein soziales, ein gesellschaftliches Problem. Dabei handelt es sich um hochqualifizierte Facharbeiter, um Wissenschaftler und Techniker. Hier wird doch die Dimension des Problems deutlich.
Wenn es im Einigungsvertrag heißt, daß es uns um eine ausgewogene Forschungslandschaft gehen sollte, dann muß man diese Fragen sehen und versuchen, Lösungen zu finden, die dieses Potential so erhalten, damit eine Ungleichgewichtigkeit, die jetzt vorhanden ist, nicht weiter erhalten bleibt und sogar noch ausgedehnt wird. Vielleicht - ich bitte das zu bedenken - könnte es möglich sein, solche ABM-Stellen gezielt, sozusagen zweckgebunden für diese Zentren und Regionen einzusetzen.
Dazu würde es natürlich auch einer neuen Sichtweise bedürfen. Wir haben in Diskussionen mit den Vertretern der Ämter für Arbeit, die gut organisiert und auskunftsträchtig sind, z. B. das Argument gehört: Wir können auf diesem Wege nur etwas unterstützen, was arbeitsmarktwirksam ist; wenn das nicht der Fall ist - da kann der wissenschaftliche Gehalt noch so groß sein -, fördern wir nicht. Das ist natürlich ein Effektivitätsmoment, dem ich nicht beipflichten kann. Ich kann es verstehen, aber ich kann es nicht unterstützen.
Dieser Zusammenhang von Entindustrialisierung im Osten und Wissenschaftsentwicklung, Technikentwicklung muß nach meinem Erachten gesehen werden. Er ist anders, als ihn der Ministerpräsident von Thüringen gestern darstellte.
({12})
- Ich habe nicht die Aufgabe, die Rede des Ministerpräsidenten im einzelnen zu beurteilen. Aber die Wirklichkeit in seinem Raum Thüringen, über die er zu sprechen in der Lage gewesen wäre, ist eine andere als die, die gestern in diesem großen Saal, dargestellt worden ist.
Es wäre Zeit und Anlaß, über andere Aspekte des Forschungsplanes zu sprechen. Meine Zeit ist abgelaufen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({13})
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Werner Zywietz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die vielleicht mildernden Umstände der späten Stunde rechtfertigen es nicht, ein so trauriges und tristes Bild über die Forschungslandschaft in den fünf neuen Bundesländern, in der Ex-DDR zu zeichnen. Das geht an der Sache vorbei. Ich fürchte, es könnte darin die Gefahr liegen, daß viel von dem Goodwill, der im Parlament zweifelsohne breit vorhanden ist, eher abgebremst werden und dadurch Schaden entstehen könnte.
Ich habe nachgelesen und stelle fest, daß der Kollege Dr. Schnell bei der zweiten und dritten Beratung des Etats 1991 noch vor der Sommerpause im Juni - er wird sich daran erinnern - in seinen Anmerkungen noch daran gezweifelt hat, ob überhaupt eine Großforschungsanstalt im Gebiet der neuen Bundesländer installiert werden könnte. Er hat sehr skeptische Anmerkungen gemacht.
Jetzt, noch nicht einmal ein halbes Jahr später, sind es drei. Der Wissenschaftsrat hat die sortierende Arbeit, was zukunftsträchtig und zukunftsfähig ist, weitgehend durchgeführt. Es sind etwa 1,6 Milliarden DM für die institutionelle Förderung, für die Projektförderung im Rahmen dieses 9,2-Milliarden-Haushalts vorgesehen; alles Zahlen und Fakten in kurzer Zeit, die man gut darstellen kann.
Ich bin davon entfernt zu sagen: Alles ist in Ordnung. An vielen Ecken und Kanten ist die Verwirklichung der deutschen Einheit noch mit Schwierigkeiten versehen. Es wäre aber kontraproduktiv und schädlich, das alles so beiseite zu wischen und hier abends zwischen 10 und 11 Uhr so ein negatives Bild zu zeichnen. Das trifft die Fakten nicht und schadet nur im weiteren.
({0})
Wenn ich mir diesen Haushalt anschaue, muß ich sagen: Ich bin aus der Sicht der FDP und auch persönlich recht zufrieden damit. Ich will auch sagen, warum.
({1})
- Sie fordern nur 1 Milliarde DM. Aber wenn ich den ganzen Tag der Debatte verfolge, sehe ich, daß Sie überall 1 Milliarde DM mehr fordern, und beim Jäger 90 wollen Sie dann alles einsparen.
({2})
Beim Einzelplan 23, bei der Entwicklungshilfe, 1 Milliarde DM drauf, hier 1 Milliarde DM drauf; das kann man den ganzen Tag über verfolgen. Überall soll 1 Milliarde DM drauf.
Der einzige Antrag zum Einsparen bezieht sich auf den Jäger 90; der finanziert das alles angeblich. Aber so geht es dann doch: Der Kollege Helmut Wieczorek hat die Eingangsrede gehalten und hat das große dramatische Gemälde der Verschuldung gemalt. Aber wenn es auf der anderen Seite darum geht, den Gürtel etwas enger zu schnallen und vernünftig zu sparen
- ich nehme den Begriff des intelligenten Sparens auf - , dann Fehlanzeige. Dann kommt nichts außer einem Klagelied.
({3})
Sie bringen die Enden nicht zusammen. Das ist es.
({4})
- Die habe ich gelesen, jedenfalls soweit es nötig ist.
({5})
- Ich sortiere das Papier immer, soweit es nötig ist.
Nein, das ganze Bild paßt nicht, was Sie zeichnen. Wir von der FDP lassen uns nicht davon anstecken. Dieser 9,2-Milliarden-Haushalt ist kein Haushalt, mit dem man füllhorngleich durch die Forschungs- und Techniklandschaft gehen und den man einfach so fortschreiben kann. Das ist er gewiß nicht. Aber er ist auch kein Haushalt, der so knapp geschneidert ist, daß die Forschungslandschaft zusammenbricht, weder bei uns noch in der Ex-DDR. Daß ein bißchen schlank gemacht wird, daß ein bißchen Ehrgeiz geweckt wird, daß ein bißchen mehr das ökonomische Prinzip - auch im Bereich der hehren Wissenschaft - angewandt wird, das kann überhaupt nicht schlecht sein.
({6})
Ich habe während des Studiums der Betriebswirtschaft gelernt, daß das Mini-Max-Prinzip ein ganz einfaches Prinzip sei. Es bedeutet nämlich, ein vorgegebenes Ziel auf effizienteste Weise zu erreichen. Das gilt auch in der Wissenschaft. Sie ist frei, die Ziele zu definieren, aber sie muß sie möglichst ökonomisch,
geradlinig erreichen. Das ist wohl auch eine Frage, über die diskutiert werden muß und bei der auch andere, außerhalb der Wissenschaft, ein Anrecht haben, diese Kriterien an die Wissenschaft heranzutragen. Das erlauben wir uns auch in einer solchen Debatte.
({7})
- Ich bin schlank genug, und meine Diäten verdiene ich.
({8})
- Lassen wir das; es wird sonst zu bunt.
Ich will auf die Dinge nicht im einzelnen eingehen. Ich stelle nur fest: Der Haushalt paßt in die Situation. Er wird den Ansprüchen der Forschung und Technologie im wesentlichen gerecht und paßt in die haushaltspolitische Landschaft, so wie sie von der Regierung sachgerecht vertreten wird.
({9})
Dem muß man gerecht werden. Man kann nicht einfach nur Show-Anträge stellen und sozusagen ausbrechen wollen, ohne daß es Sinn gibt.
({10})
In der Kürze der Zeit möchte ich noch auf zwei, drei Dinge eingehen: Ex-DDR und Forschungslandschaft sind angesprochen worden. Der weitere Prozeß nach der Vorarbeit des Wissenschaftlichen Rates - er ist in der Tat ein Prozeß des Selektierens und des Dotierens - wird weitergehen. Dieser Prozeß heißt für mich auch durchaus parlamentarischer Lernprozeß. Das ist nicht in einem Jahr erledigt, sondern da wird auch die eine oder andere Nachbetrachtung oder Korrektur vonnöten sein. Es fällt doch niemandem ein Stein aus der Krone, das so zu sehen und auch so zu handhaben.
Aber ich möchte noch auf einen zweiten Bereich zu sprechen kommen, weil auch er einer ist, von dem ich sage: Der Haushalt ist in Ordnung. Er ist in Ordnung, weil er auch viel parlamentarische Einflußnahme zu verzeichnen hat.
({11})
Ich muß sagen, auch das ist gut. Das Haus und der Minister sind selbstbewußt genug, um das zu verkraften. Es wird niemand in Sack und Asche gehen. Aber ein so beweglicher und so bewegender Haushalt wie dieser - ({12})
- Beweglich in dem Sinne, daß es hier keine gesetzlichen Vorgaben gibt, sondern weil durch Stellenplan und Projektmittel sehr viel gestaltet werden kann. Bewegend nach vorn, weil dies natürlich ein Zukunftshaushalt ist - ganz klar - , der Inspiration und Anregung in die Wirtschaft und in die Gesellschaft hinein geben soll. Insofern ist er ein im wahrsten Sinne
des Wortes bewegender Haushalt für diesen Bereich.
Ich komme auf die parlamentarische Handschrift. Die FDP hat in vergangenen Debatten angemerkt, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Förderung der drei Projekte, die angesprochen worden sind, so nicht weitergeführt werden kann. Insofern glaube ich, daß mit Hilfe der Kolleginnen und Kollegen im Fachausschuß und vieler anderer, die sich dieser Sache angenommen haben, eine Trendwende zum Realistischen und zum Finanzierbaren mit mehr Augenmaß für KostenNutzen-Relationen eingeleitet worden ist. Der Haushalt atmet das; das finde ich gut. Das ist eine parlamentarische Handschrift und eine parlamentarische Mitwirkung, auf die die meisten der Anwesenden - sicherlich auch andere - mit Berechtigung durchaus stolz sein können.
Die Handschrift wird aber auch dadurch deutlich, daß wir für eine Einnahmevermehrung gesorgt haben, beispielsweise dadurch, daß eine Uranreserve, die aus energiepolitischen Gründen nicht mehr gehalten wird, etwas schneller und damit einnahmeschaffend veräußert wird. Wir haben auch ein bißchen beim schrittweisen Abbau der globalen Minderausgabe geholfen. Auch das ist ein Zurückführen auf den parlamentarischen Pfad der Tugend, nämlich das Budgetrecht mehr beim Parlament anzusiedeln und der Exekutive nicht so viele Gestaltungsspielräume zu überlassen. Das finde ich in dieser Abfolge durchaus in Ordnung.
Was die inhaltlichen Akzente anbelangt: Wir haben Forschung reduziert dort, wo wir sie mit Anstand reduzieren können: Im Kohleforschungsbereich ist schon so vieles über so viele Jahre - um nicht zu sagen: Jahrzehnte - geschehen. Auch im Nuklearbereich, im Bereich der Kernenergie haben wir reduziert. Das ist nach meiner Meinung voll in Ordnung. Wir haben bei alternativen Energien und bei rationeller Energieverwendung zugelegt. Wir haben auch bei der Umweltforschung zugelegt.
Akzente in der Mikroelektronik - Kollege Austermann hat sie angedeutet - sind durchaus gesetzt worden. In der Raumfahrt sind andere Akzente gesetzt worden: Sie ist schlanker und auf der Zeitachse gestreckt. Das kann ich jetzt nicht weiter ausführen. Das alles ist in Ordnung.
Ich möchte nur noch anmerken: Weil auch über die deutsche Forschungslandschaft gesprochen wurde, möchte ich den Bogen noch weiter spannen und auf die Sowjetunion hinweisen. Ich möchte die Regierung, den Minister bitten, all die Möglichkeiten, die sich aus den erfolgten Veränderungen ergeben, zu sichten, zu sortieren und mit Engagement Kooperationen und Übernahmen zu suchen. Das ist nicht nur eine Aufgabe, die beispielsweise von Frankreich oder den Vereinigten Staaten von Amerika gemacht werden könnte. Auch uns steht sie gut an.
Herr Kollege Zywietz, Sie haben die Redezeit längst überschritten. Aber jetzt hat sich der Kollege Dr. Schnell gemeldet. Er will Sie etwas fragen. Lassen Sie das zu?
Wenn Sie nichts dagegen haben; ich habe nichts dagegen. Wir haben so kollegial zusammengearbeitet, daß das ein Gebot des Anstandes ist.
Dann bitte ich Sie aber, zum Schluß zu kommen.
Bitte sehr.
Stimmen Sie mir nicht zu, daß Wissenschaftler, die man - ich will es einmal brutal ausdrücken - aus dem Verkehr zieht, d. h. von ihrer eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit entfernt, nach mehreren Jahren keine Chance mehr haben, in den wissenschaftlichen Prozeß wieder einzusteigen, und damit jetzt eigentlich ein Riesenpotential verlorengeht, das man nie wieder reaktivieren kann?
Ich sehe das persönliche Problem und auch das Problem - aber das kann ich schwerer einschätzen - der Reaktivierung. Dennoch meine ich, daß es keine gute Politik ist, sozusagen ein ABM-Programm für Akademiker oder Wissenschaftler einzuführen.
({0})
Denn darauf würde das hinauslaufen. Ich wundere mich ein bißchen, daß diese Frage aus den SPD-Reihen kommt. Wenn man den Maßstab der Fairneß oder der Gleichgewichtigkeit anlegen würde, müßte man noch ganz andere Bevölkerungsgruppen mit Programmen bedienen.
({1})
Ich finde das einseitig und nicht fair und deswegen in der pauschalen Art - jedenfalls wie ich das bisher im Haushaltsausschuß verstanden habe - für nicht berechtigt.
Herr Kollege, jetzt noch einen Schlußsatz.
Einen Schlußsatz?
({0})
Ich bin froh, daß wir so viele Akzente aus dem parlamentarischen Raum in den Haushalt gesetzt haben, daß wir die Raumfahrt etwas schlanker gemacht haben
({1})
und das wir die Forschungslandschaft der Ex-DDR in angemessener Weise gefördert haben. Über all das bin ich froh.
Herr Minister, Sie sind schon so oft gelobt worden. Sie sehen es mir vielleicht nach, wenn ich in einem Schlußsatz nicht Sie noch einmal lobend bedenke - obwohl ich auch das gerne täte - , sondern den neben Ihnen sitzenden Parlamentarischen Staatssekretär. Ich habe die Haushaltsberatungen in diesem Jahr als vom Hause besonders gut begleitet empfun5118
den. Es ist seitens der politischen Führung nicht immer nur die Position der Bürokratie vertreten worden, sondern durchaus mit viel Einfühlungsvermögen dort nach Kompromissen gesucht worden, wo es nötig war. Das fand ich in Ordnung.
({2})
Ich habe schon lange nicht mehr solch einen langen Schlußsatz gehört.
Nun hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie, Herr Riesenhuber, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für diese sehr sachliche Debatte. Ich möchte gerne einige Schwerpunkte aufgreifen, die Sie hier gesetzt haben.
Die erste Frage betrifft das Volumen des Haushalts selbst. Es ist ohne Zweifel ein Haushalt, der unter sehr strengen Bedingungen von Sparsamkeit steht, der der Solidität verpflichtet ist, der aber auch die Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, in einer vernünftigen Weise anzugehen erlaubt.
Herr Austermann hat dargestellt, wie dieser Haushalt gewachsen ist, nämlich um 9,7 %. - Der Bundeshaushalt insgesamt ist um knapp 3 % gewachsen. Dies ist ein gutes Ergebnis. Aber die Aufgaben, die wir haben - dies ist völlig zu Recht dargestellt worden -, sind auch außerordentlich groß.
Wenn man noch die Mittel aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost dazunimmt, erreicht man in der Tat die Zahl, die Herr Zywietz genannt hat: Wir haben über 1,6 Milliarden DM zur Verfügung, die wir in diesem Jahr in den neuen Bundesländern einsetzen können. Die Höhe dieses Betrages halte ich für gut. Die Mittel werden in der Strategie, die wir jetzt angelegt haben, auch richtig eingesetzt.
Ich möchte zu vier Punkten sehr kurze Bemerkungen machen, die erste zur Haushaltsstrategie insgesamt, die zweite zu den neuen Bundesländern, die dritte zur Frage des Weltraums und die vierte zu der europäischen Strategie.
Zur Frage der Strategie des Haushalts insgesamt möchte ich sagen: Wir haben Stetigkeit in Bereichen angelegt, wo Stetigkeit auch jetzt noch trägt. Die Grundlagenforschung hat ein hohes Niveau erreicht; sie umfaßt 40 % des Haushalts. Herr Schnell hat hier gefragt: Wie stellt sich insgesamt im internationalen Vergleich unser Haushalt dar? Er hat nach anderen europäischen Staaten gefragt; er hat nach Japan, nach den USA gefragt.
Ich möchte diese Frage hier nur von zwei Seiten angehen: Es gibt kein anderes Land unter den großen Industrienationen, das eine so starke Grundlagenforschung hat wie die Deutschen. Die USA und Japan stecken 12 oder 13 To ihres nationalen Forschungsbudgets in die Grundlagenforschung. Wir liegen um die Hälfte höher: bei 19 %.
Sie haben darüber gesprochen, Herr Schnell, wie groß der Anteil am Bruttosozialprodukt ist. Ich darf
Ihnen auch hierzu einen Vergleich anbieten: Die Ausgaben des Staates - jetzt vergleiche ich nur die Staaten; denn davon sprachen Sie - für zivile Forschung liegen bei den USA und Japan, auch bei Großbritannien und Kanada - Sie können auch andere nehmen - immer um 0,5 To des Bruttosozialproduktes. In Deutschland liegen die Ausgaben der öffentlichen Hand für die zivile Forschung nicht bei 0,5 %, sondern fast bei 1,043/0, genau genommen bei 0,95 %.
({0})
Wir sind hier in einer absoluten Spitzenposition im internationalen Vergleich,
({1})
und zwar mit einer Vielfalt des Systems, das erstens zivile Forschung sehr hochhält und zweitens die dezentrale Arbeit zwischen Bund und Ländern in einer guten Weise ermöglicht. Ich glaube, dies hält auch in diesem Jahr.
Wenn Sie jetzt hier fordern, lieber Herr Vosen, daß wir die Militärforschung einfügen, dann bin ich ganz fasziniert von Ihrem Sinneswandel.
({2})
Ich habe von Ihnen immer eine ganz andere Diskussion erlebt. Ich sage, daß die zivile Forschung, die neue Techniken, neue Wissenschaften, neue Märkte ermöglicht und die Umwelt schützt, in den anderen Nationen gut angelegt, aber bei uns ausgezeichnet angelegt ist.
({3})
Sehen Sie sich die gesamte Strategie an, wie wir die Mittel im Bereich des Umweltschutzes und der Vorsorgeforschung stetig gesteigert haben. Auch in diesem Jahr steigt das Budget für die Gesundheitsforschung um 17 %, das für die Umweltforschung um 15 %. Wir gewinnen hier neues Potential dazu, mit großer Stärke auch in den neuen Bundesländern, und wir werden es für diese Strategie nutzen.
Wir haben in anderen Bereichen zurückgefahren. Es gab eine Diskussion über den Subventionsabbau. Erst da wurde mir wirklich klar - um das einmal mit angemessener Behutsamkeit zu sagen -, mit welchem Rigorismus der Forschungsminister - auch im Vergleich zu dem Gesamtprofil dessen, was in anderen Ressorts möglich gewesen ist - Finanzhilfen insbesondere an mittlere und große Unternehmen abgebaut hat. In einer Zeit, wo hier über Subventionen und dabei über sehr hohe Beträge gesprochen worden ist, sind im Forschungshaushalt die Zuwendungen an Großunternehmen um 60 % zurückgeführt worden, nicht deshalb, weil wir einen Vorbehalt gegen Großunternehmen hätten - genauso wie wir, da hat Herr Austermann recht, auch keinen Vorbehalt gegen Kerntechnik haben - , sondern deswegen, weil wir der Überzeugung sind, daß sie diese Aufgaben aus eigener Kraft erfüllen können, daß es nicht Aufgabe des Staates ist, hier mit Subventionen etwas voranzubringen, daß es Bereiche gibt, wo wir neue Strukturen und Signale und Ziele setzen können, daß es Bereiche hochriskanter und langfristiger Technik gibt, daß wir
aber darauf vertrauen, daß es die Innovationskraft der Unternehmen erlaubt, aus ihren eigenen Erträgen Zukunft und Forschung zu erwirtschaften.
({4})
Wenn wir in diesem Gesamtkonzept die Strategie im einzelnen anlegen, dann ist ein Bereich relevant - auch darauf ist von Herrn Zywietz und Herrn Austermann mit Recht hingewiesen worden - : die Frage, wie wir in diesen Jahren Schlüsseltechniken neu voranbringen. Das ist ein Bereich, der in den letzten Jahren weit überproportional gesteigert worden ist. Wir haben die Mittel dafür in den letzten acht Jahren fast verdoppelt. Hier haben wir einen Bereich, in dem wir auch in den nächsten Jahren wachsende Aufwendungen haben werden.
({5})
- Welche, wird gleich Herr Vosen erfragen.
({6})
Herr Minister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Kollegen Vosen?
Es wird mir eine Ehre sein.
Bitte sehr, Herr Kollege Vosen.
Herr Riesenhuber, Sie wissen ja, da wir uns immer um Sachlichkeit auch in der Ausschußarbeit bemühen. Wenn Sie jetzt hier die heile Welt schildern, können Sie mir dann bitte sagen, warum seit 1982 der Forschungshaushalt im Verhältnis zum Bundeshaushalt immer unterdurchschnittlich gestiegen ist? Ist das eine heile Welt?
Dazu kann ich zwei Bernerkungen hilfreich beitragen.
Die erste ist diese: Der Haushalt 1982 war ein außerordentlich hoher Haushalt. Dies hatte einen Grund: Wir hatten in jenem Jahr noch Schulden von 600 Millionen DM, die eine frühere Regierung, Ihnen eng vertraut, für den Hochtemperaturreaktor und für den Schnellen Brüter hat auflaufen lassen.
({0})
Diese 600 Millionen DM mußte die Bundesregierung mit einem Nachtragshaushalt abtragen. Damit haben wir im Haushalt 1982 einen außerordentlich hohen Plafond gehabt.
Die zweite, lieber Herr Vosen, ist diese: Wir haben 1982 schon gesagt - dies ist unsere Politik - , daß wir es nicht als unsere Aufgabe ansehen, mit wachsenden Zuwendungen an die Unternehmen die Forschung voranzubringen. Wir haben gesagt: Wir fahren die Finanzzuwendungen an die Unternehmen zurück. In der Zeit ist gegen alle Prognosen die Forschungskapazität der Wirtschaft stärker gestiegen, als es irgend jemand vorhergesehen hat, stärker als in igendeinem der vorhergehenden Jahre. Genau das ist die Strategie, die wir angelegt haben: Zurückhaltung des Staates schafft Freiheit für die Unternehmen.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Vosen?
Ja, wenn er sich traut.
Herr Riesenhuber, Sie haben hier zwar eine historische Wahrheit zum Ausdruck gebracht, die ich nicht bestreite. Das ist aber keine Antwort auf meine Frage gewesen. Abgesehen von diesem einmaligen Ereignis 1982, welches ich nicht bestreite, ist aber bis 1990 Ihr Forschungshaushalt seit vielen, vielen Jahren kontinuierlich unterdurchschnittlich gestiegen. Das war meine Frage! Sie können das mit dem Hinweis auf ein einmaliges Ereignis im ersten Haushaltsjahr nicht beantworten.
Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminster für Forschung und Technologie: Also um das jetzt einmal mit einfachen Worten zu sagen, lieber Herr Kollege Vosen:
({0})
Wenn Sie von dem Haushalt 1982 - einschließlich des Nachtragshaushalts - den Nachtragshaushalt abziehen, kommen Sie auf einen Betrag, der um 600 Millionen DM kleiner ist. Wenn Sie es darauf beziehen und dann den Zuwachs von damals auf heute, auf 9,25 Milliarden DM, nehmen, dann bekommen Sie einen Zuwachs, der durchaus in der Größenordnug des Zuwachses des Gesamthaushaltes liegt. Dies ist eine Sache, die ich für durchaus vernünftig halte.
Ich war nie dafür, einen höheren Staatsanteil zu haben. Der Ausweis des Erfolges ist nicht, daß man mehr Geld ausgibt. Der Ausweis des Erfolges ist, daß die Landschaft gut ist.
Ich kann mit Freude feststellen, daß wir nicht nur auf den Weltmärkten außerordentlich erfolgreich sind, einschließlich des Mittelstandes, sondern daß wir seit 1984 in jedem Jahr - mit einer Ausnahme; es gibt auch einmal Lücken - zwei, drei Nobelpreisträger hatten.
({1})
Nun muß ich hinzufügen, daß ich nie gesagt habe, das sei ein Verdienst dieser glanzvollen Bundesregierung, die zweifellos eine gute Bundesregierung ist.
({2})
Aber man wird hier doch noch mit Freude feststellen können, daß uns hier etwas gelungen ist. Wissen Sie, Herr Vosen, es ist ein alter Satz: Es kommt nicht darauf an, daß man ein großes Netz hat. Es kommt darauf an, daß man dicke Fische fängt.
({3})
Wir haben hier also eine Strategie anzulegen, die neben allem, was an gleichmäßiger Entwicklung einer komplexen Forschungslandschaft möglich wer5120
Bundesminster Dr. Heinz Riesenhuber
den muß, auch das Neue mit großer Nachrücklichkeit aufzugreifen erlaubt.
Ich bedanke mich besonders für die Hinweise, die Herr Austermann im Zusammenhang mit Informationstechnik und Mikroelektronik gegeben hat.
({4})
- Zweifellos in einer brüderlichen Verbundenheit in der Sache, der wir alle gemeinsam verpflichtet sind.
Auch Sie, lieber Herr Kollege Fischer, habe ich in der Weltraumdebatte mit großer Freude erlebt. Vielleicht sage ich noch etwas dazu. Die faszinierende Einheitlichkeit, die Herr Schnell hier dargestellt hat, habe ich mit ganz unterschiedlichen Akzenten von Ihrer Fraktion gehört. Es wirkt außerordentlich faszinierend,
({5})
die unterschiedlichen Aussagen verschiedener Kollegen, die wir hier in einer Reihe sehen, miteinander zu vergleichen.
({6})
- Ja, mit einem einzigen Unterschied: Wir fühlen uns der Sache so verpflichtet, daß wir zu offensichtlich deckungsgleichen Ergebnissen kommen,
({7})
beispielsweise in der Informationstechnik, Herr Fischer, und zwar insofern, als wir hier einen Bereich haben, bei dem wir einerseits durchaus der Auffassung sind, daß sich hier die große Dynamik der Unternehmen entfalten muß; andererseits brauchen Sie ein Widerlager. Deshalb haben wir jetzt die vielfältigen neuen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und die neuen Institute in den neuen Bundesländern aufgebaut, die sich mit Kraft entwickeln. Wir werden europäische Projekte voranbringen.
Herr Schnell sagte mit einer sorgenzerfurchten Miene, die uns alle sehr bewegt hat, daß JESSI in einem grauenvollen Zustand sei.
({8})
- Das sind wirklich nicht meine Worte, bei allem Respekt und bei aller Liebe. Ich habe nie von einem grauenvollen Zustand gesprochen, sondern folgendes gesagt: Wir sind mit JESSI in eine erste Vorphase gestartet; diese begann Anfang dieses Jahres. Wir haben betont: Wir wollen in dieser Zeit die Strukturen neu entwickeln.
({9})
- Entschuldigung, wenn ich hier zu verkürzt spreche. JESSI ist ein Projekt, mit dem der 64-Megabit-Chip in europäischer Zusammenarbeit hergestellt werden soll. Wir wollen uns mit allen Europäern zusammensetzen. Wenn uns Amerikaner hilfreich beiseite treten, dann sind sie uns als Partner herzlich willkommen.
Hier entsteht jetzt ein Programm mit einer großen Dynamik, bei dem wir nun die Strukturen neu entwikkeln. Wenn es uns gelingt, Allianzen mit den USA herzustellen, wie sie zwischen zwei großen Firmen jetzt entstehen - ({10})
- Ich sagte „uns". Ich spreche jetzt hier auch als Deutscher. Ist das nicht erlaubt?
({11})
Ich bin hier in der „community" in einer gemeinsamen Verantwortung wie ein Mann aus der Firma oder wie ein Mann aus der Wissenschaft. Wenn wir nicht lernen, komplementär zwischen Staat und Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzuarbeiten, werden wir keine erfolgreichen Strategien entwickeln.
({12})
Insofern spreche ich hier in aller Bescheidenheit von „wir".
Solche Fragen haben wir genauso bei neuen Gebieten anzugehen, wenn wir über die Nanotechnologien und die Biosensoren, wenn wir über Dünnschichttechniken oder über den Eurocomputer reden. Dies sind Bereiche, in die wir neu einzusteigen haben.
Meine lieben Kollegen, ich möchte hier nur einige sehr wenige Bemerkungen zu den neuen Bundesländern machen. Ich kann es deshalb sehr kurz machen, weil die Lage dort von mehreren Kollegen, insbesondere von Herrn Austermann und Herrn Zywietz, durchaus zutreffend dargestellt worden ist. Von A bis Z stimmt es hier offensichtlich.
Ich möchte festhalten: Die Anstrengungen in bezug auf das, war wir einbringen, sind außerordentlich groß. Jetzt könnte man über die Vielfalt der Landschaft sprechen. Wir könnten darüber reden, daß der Wissenschaftsrat mit einem einzigartigen Tempo in begrenzter Zeit seine Entscheidungen getroffen hat. Wir könnten darüber sprechen, daß wir uns alle anstrengen, sämtliche Arbeitsverträge bis zum Jahresende unterzubringen. Wir könnten darüber sprechen, daß wir neue Strukturen entwickeln. Das Umweltforschungszentrum ist ja nicht nur ein Mehr vom Gleichen; es ist eine komplexe und einzigartige Struktur, indem hier über ein Zentrum, das hauptamtlich und dauerhaft arbeitet, Verbünde organisiert werden, die, vom mittelständischen Unternehmer bis zu den Universitätsinstituten, bei wechselnden Allianzen Strategien einbringen.
({13})
Herr Minister, sind Sie bereit, noch eine Zwischenfrage zuzulassen?
Wenn Sie meine Uhr solange anhalten.
Ich halte die Uhr immer an.
Vizepräsident Helmuth Becker
Bitte sehr, Herr Kollege Schnell.
Herr Minister Riesenhuber, Sie haben eben gesagt, daß Sie alle Arbeitsverträge bis zum Jahresende unterbringen wollen. Ich muß Sie ja doch einmal durch eine Frage dazu bringen, daß Sie vielleicht etwas Wichtiges sagen.
({0})
Es ist ja bekannt, daß es wahrscheinlich einige Einrichtungen nicht schaffen werden, bis zum Jahresende ihre Arbeitsverträge unter Dach und Fach zu bringen. Welche Strategie gibt es, um die Überbrükkungen zu finanzieren? Diese Frage habe ich schon im Haushaltsausschuß gestellt und würde nun, da Sie mehrere Wochen Bedenkzeit hatten, gerne wissen, wie das Problem gelöst werden soll.
Lieber Herr Kollege Schnell, ich habe das mit den Ministern aus den neuen Bundesländern besprochen. Ich glaube, daß, wenn nicht alle Arbeitsverträge hinzukriegen sind, doch praktisch in allen Fällen die Einstellungszusagen hinausgehen können. Ich weiß, daß die Mitarbeiter, aber auch die verantwortlichen Wissenschaftler in den Gründungskommissionen die Wochenenden durchtagen, um die Arbeit zu schaffen, daß sich also jeder aufs äußerste anstrengt, das hinzubekommen.
Eines möchte ich allerdings mit aller Entschiedenheit festhalten: Ich habe es immer für falsch gehalten, irgendwelche Überbrückungs- und Verlängerungsstrategien, womöglich noch mit offenem Ende, zu fahren. Herr Kollege Schnell, wenn wir nicht präzise eine Zäsur machen und uns alle daran halten, daß wir es bis zu diesem Zeitpunkt schaffen, bekommen wir eine Hängepartie, die nicht nur für die Institute problematisch ist, sondern vor allem dazu führt, daß die Mitarbeiter noch länger in Ungewißheit sind. Wir müssen zu einer Situation kommen, in der die Mitarbeiter über ihre Arbeit nachdenken können, weil ihre persönliche Situation geklärt ist. Deswegen haben wir auf diese Entscheidung äußersten Druck ausgeübt.
({0}) Dr. Emil Schnell ({1}): Darf ich nachfragen?
Herr Kollege Schnell möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Ich bitte alle, daran zu denken, in welcher zeitlichen Lage wir sind. - Ich halte die Uhr an. Ihre Redezeit wird nicht beschnitten, Herr Minister.
Ich bin da entspannt, Herr Präsident.
Also eine Zwischenfrage des Kollegen Schnell, bitte.
Nachdem es hier so ruhig ist, bin auch ich ganz entspannt. Ich muß nachhaken. Nachdem bekannt ist, daß das z. B. bei der Astrophysik und eventuell auch bei einigen anderen Einrichtungen nicht der Fall sein wird, frage ich noch einmal. Es geht nur um die Übergangsfinanzierung von höchstens einem Monat, weil bis dahin die Einstellungen auf jeden Fall gewährleistet werden können. Was wird passieren, wenn es bis zum Jahresende nicht in Richtung Einstellungen vorwärtsgeht? Ich bitte Sie, das den Mitarbeitern noch vor Weihnachten, bevor es an den Festtagen zu großer Unruhe kommt, zu sagen. Es ist nämlich abzusehen, daß es Probleme geben wird. Sie wissen das auch.
Herr Kollege Schnell, was ich gemacht habe, ist folgendes. Wir sind in der gestrigen Besprechung noch einmal sämtliche Institute durchgegangen, bei denen Zweifel bestehen. Die Probleme liegen, wie Sie wissen, in der Regel nicht beim Bund. Ich möchte das hier mit Behutsamkeit andeuten. Wir haben uns mit den Ländern ins Benehmen gesetzt und haben die zuversichtliche Hoffnung, daß wir es noch hinbekommen. Was ich nicht will, ist, daß eine Sache auseinanderfällt, weil die ganze Geschichte administrativ nicht klappt. Lassen Sie mir die Freiheit, das anzugehen, ohne daß ich jetzt mit Ankündigungen arbeite. Denn das ist ein Stil, der mir nicht liegt.
Ich möchte noch den Punkt aufgreifen, den Herr Professor Riege angesprochen hat. Herr Riege, Sie sprachen von der Frage der ABM. Ich möchte das jetzt nicht vertiefen, kann es hier auch nicht. Es wird Ihnen erinnerlich sein, daß wir mit dem Bundesarbeitsminister eine Struktur von ABMs vereinbart haben, die wir im Frühsommer dieses Jahres bekanntgemacht haben. Ich habe alle eingeladen, damit so schnell wie möglich zu starten. Wir haben Programme zur Gründung von Unternehmen angeboten. Wir haben Beratung beim Übergang in andere Berufe angeboten. Ich spreche jetzt exemplarisch vom AdW-Bereich. Wir müßten ergänzend noch eine ganz andere Diskussion führen.
({0})
- Ich könnte Ihnen einen Vortrag halten, warum es wo nicht lief. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Wir haben mit dem Arbeitsminister eine Regelung vereinbart, die tragfähig ist. Jedem einzelnen Fall werden wir nachgehen. Einen solchen Fall habe ich vor zwei Tagen von einem Kollegen, der hier im Saal ist, auf den Tisch bekommen. Manches, was von den Leuten berichtet wird, die sagen, es werde nichts getan, trifft nicht zu.
({1})
Wenn mir gesagt wird, daß 42 Projekte angemeldet sind, zu diesem Termin beim Arbeitsamt aber nur 4 eingereicht waren, sind wir in einer etwas kuriosen Lage. Das hier auseinanderzunehmen sprengt den Rahmen der Debatte. Wir werden aber jedem Einzelfall nachgehen, damit jeder, der Initiative entfalten will, weiß: Wir wollen seinen Erfolg, und wir wollen ihm helfen, daß er in eine Zukunft durchstarten kann, in der wir ihn brauchen und er uns braucht und wir
gemeinsam für Deutschland etwas erreichen können.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir noch sehr kurze Bemerkungen - dies kann hier alles nur in Stichworten erfolgen - zum Bereich der Weltraumforschung. Die Verhandlungen, die wir in München zu führen hatten, fanden in einer extrem schwierigen Lage statt. Ich bin den Partnern außerordentlich dankbar dafür, daß sie trotz einer vollständigen Änderung der Verhandlungssituation einen Beschluß akzeptiert haben, der meines Erachtens in der Sache völlig richtig ist. Der Herr Bundeskanzler hat mit Präsident Mitterrand die Grundlagen dafür geschaffen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit hat gut gehalten. Aber sie ist natürlich nur in Verbindung mit der Partnerschaft mit den anderen europäischen Nationen tragfähig. Nur das kann die Zukunft für die ESA sein.
({3})
Die Elemente des Konzepts sind folgende: Wir wollen in einem Jahr prüfen, was dann in einer völlig geänderten Weltlage an neuen Koalitionen möglich ist. Wenn der Sowjetblock zusammenbricht, bilden Wettbewerb und Konkurrenz nach wie vor durchaus eine interessante Aufgabe, aber die Möglichkeiten der Kooperation sind größer als je zuvor.
({4})
Es wäre einfach falsch, wenn wir in dieser Situation nicht die Möglichkeit nutzen würden, gemeinsam neue Strategien aufzubauen. Genauso ist es angelegt.
({5})
- Wenn das Ihre bescheidende Art ist, mir zu applaudieren, dann nehme ich das mit Dankbarkeit entgegen. Ich freue mich, daß Sie es hier mit Nachdrücklichkeit unterstützen.
({6})
- Herr Vosen, es war fast unmöglich, eine Politik zu betreiben, die die SPD nicht unterstützt, weil die SPD für jede mögliche Politik massive und deutliche Aussagen gemacht hatte.
({7})
Man mußte sich nur das Entsprechende aussuchen. Sie haben die Strategie so raffiniert angelegt, daß, was immer wir entscheiden, irgend jemand von Ihnen dies schon gesagt hatte. Insofern war das eine ganz vorzügliche Strategie, die ich als außerordentlich hilfreich empfunden habe. Sie hilft uns, eine dynamische Zukunft aufzubauen.
meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist uns gelungen, im Einvernehmen mit den Partnern die Kosten für die Weltraumforschung im nächsten Jahr um bescheidende 5 % zu senken. Dies bedeutet immerhin ein Volumen von einer Viertelmilliarde DM. Wir wollen in dieser Zeit unter den Bedingungen äußerster Sparsamkeit alles so optimieren, daß am Ende des kommenden Jahres über eine dauerhafte und tragfähige Strategie entschieden werden kann. Für die Entscheidung, wie diese Strategie im einzelnen aussieht, brauchen wir die Kompetenz aller hier in Deutschland: der Industrie, der DLR, der Dara; wir brauchen aber auch die Kompetenz der Partner in anderen Ländern.
({8})
- Die SPD ist von einer solchen konstruktiven Mithilfe, daß ich das nur mit Begeisterung aufnehmen kann. Ich bin sicher, daß Sie uns auch im nächsten Jahr als eine außerordentlich hilfreiche Opposition erhalten bleiben werden.
({9})
Wir haben eine außerordentlich faszinierende Arbeit mit völlig unterschiedlichen Aufgaben vor uns. Aber eines ist in den kommenden Jahren die vordringliche Aufgabe: Wir wollen als Deutschland insgesamt erfolgreich sein. Dazu müssen die neuen Bundesländer so schnell wie möglich so stark wie möglich werden. Wir müssen alle Regionen unseres Landes mit ihren Ressourcen ausnutzen, wenn unser kleines Land auf den Weltmärkten nicht nur Konkurrent, sondern auch Partner sein soll.
Wenn Deutschland, mitten in Europa liegend, an der Gestalt des künftigen Europa mitarbeiten soll, mit der Kraft der Wissenschaft, aus der Freiheit der Wissenschaft und aus dem Unternehmungsgeist der Wirtschaft, dann müssen wir in diesen Jahren die Grundlage dafür schaffen: der Staat in seiner Verantwortung, in Respekt vor der Freiheit der Wissenschaft, aber im Vertrauen auf den Unternehmungsgeist der Unternehmer.
Schönen Dank.
({10})
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache über den Haushalt für Forschung und Technologie.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE sowie der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die heutige Sitzung liegen weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. November 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.