Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich nachträglich der Frau Kollegin Dr. Wisniewski, die am 23. September ihren 65. Geburtstag feierte, die herzlichen Glückwünsche des Hauses aussprechen und ihr für die Arbeit danken.
({0}) Sie ist heute nicht da.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, sind zwei Wahlen erforderlich. Frau Kollegin Dr. Lucyga legt ihr Amt als Schriftführerin nieder. Die Fraktion der SPD benennt als Nachfolgerin Frau Kollegin Burchardt.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist Frau Kollegin Burchardt als Schriftführerin gewählt.
Das frühere Mitglied des Bundestags Dr. Herbert Czaja verzichtet auf seine stellvertretende Mitgliedschaft im Kontrollausschuß des Bundesausgleichsamts. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/ CSU den Kollegen Jagoda vor.
Sind Sie auch damit einverstanden? - Damit ist der Kollege Jagoda als stellvertretendes Mitglied in den Kontrollausschuß des Bundesausgleichsamts gewählt.
Ich rufe Punkt 5 a bis e der Tagesordnung und den Zusatzpunkt 2 auf:
5. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Tieren vor Mißbrauch durch Aggressionszüchtung und Aggressionsdressur
- Drucksache 12/977 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes
- Drucksache 12/1059 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Rechtsausschuß
c) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Vollendung des Binnenmarktes: ein Raum ohne Binnengrenzen
- Drucksache 12/705 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung EG-Ausschuß
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1991 bis 1994 ({4})
- Drucksache 12/895 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({5})
Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr
Haushaltsausschuß
e) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur europäischen Automobilpolitik
- Drucksache 12/956 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({6})
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Werner Schulz ({7}), Vera
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wollenberger und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Mitgliedschaft der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN in Enquete-Kommissionen
- Drucksache 12/1177 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 12/1177 soll jedoch abweichend von dem in der Tagesordnung aufgeführten Überweisungsvorschlag an den Ältestenrat überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 12/895 soll außerdem an den Ausschuß für Verkehr überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 6 kommen, habe ich folgendes mitzuteilen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Einsetzung eines Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" auf Drucksache 12/1187 zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Damit ist es so beschlossen.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/1194 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Bitte, Frau Bläss. Sie haben drei Minuten Redezeit.
Dann rufe ich diesen Zusatztagesordnungspunkt 3 sofort auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP
Einsetzung des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens"
- Drucksache 12/1187 Petra Bläss ({8}): Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten der PDS/Linke Liste sind selbstverständlich davon ausgegangen, daß die Beratungen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs federführend dem Ausschuß für Frauen und Jugend übertragen werden. Als sich abzeichnete, daß es hierfür keine Mehrheit geben wird, war uns klar, daß ein Sonderausschuß dafür gebildet werden muß.
Daß für den Sonderausschuß aber nicht einmal eine neutrale Bezeichnung vorgeschlagen wird, erschreckt. Wir finden es äußerst problematisch, daß diese so tendenziös ist, daß eine umfassende Debatte über die Dimension der Neuregelung des Abtreibungsrechts schon im Vorfeld verhindert wird.
Die bereits im Titel hervorstechende embryozentrierte Sichtweise unterschlägt, welche Leistungen Frauen erbringen, bevor ein Kind geboren werden kann, und degradiert damit die Frauen zum embryonalen Umfeld. Im übrigen ist bei einem solchen Ansatz anzunehmen, daß die beiden zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen eingebrachten Gesetzentwürfe zur ersatzlosen Streichung des § 218
Frau Bläss, reden Sie bitte zum Änderungsantrag!
- das ist die Begründung dafür - vom Bündnis 90/GRÜNE und von der PDS/Linke Liste von vornherein unter den Tisch fallen.
Da wir es für unverzichtbar halten, die Achtung der Persönlichkeit und Menschenwürde der Frau im Rahmen der Beratungen des Sonderausschusses in angemessenem Maße zu berücksichtigen, stellen wir den Antrag auf dessen Umbenennung, der zugleich die Aufforderung an die Fraktionen enthält, für diesen Ausschuß nur Frauen zu benennen.
Ich beantrage hiermit getrennte Abstimmung der beiden Punkte des Änderungsantrags.
Danke.
({0})
Frau Schenk, Sie haben um das Wort gebeten. Wozu? Das ist hier oben nicht klar geworden.
Frau Präsidentin, ich möchte ebenfalls einen Antrag auf Änderung des Namens des Sonderausschusses einbringen.
Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hiermit beantrage ich, den im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP vorgesehenen Namen des Sonderausschusses zu ändern in: Sonderausschuß zur gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen.
Der Name, den sich die CDU/CSU und die FDP und - das war für mich wirklich nicht zu fassen - leider auch die SPD für diesen Sonderausschuß ausgedacht haben, läßt Schlimmes befürchten. Er stellt den Versuch der Vorwegnahme der Ergebnisse der Arbeit im Sonderausschuß dar und signalisiert, daß es hier ganz offenbar nicht mehr um einen offenen Diskussionsprozeß gehen soll, vor allen Dingen nicht mehr um die Belange von Frauen.
Mit der Zustimmung zu diesem Namen begibt sich auch die SPD-Fraktion - ich muß das leider so feststellen - weit weg von der Frauenbewegung und weit weg von den Deklamationen, die wir auch von dieser Partei auf gemeinsamen Demonstrationen immer wieder gehört haben.
Die Benennung des Sonderausschusses in: Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" ist Bestandteil eines Propagandafeldzugs gegen Frauen, die Schwangerschaften abbrechen wollen oder dies bereits getan haben, Teil einer Kampagne, die sich gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen wendet.
Der von mir vorgeschlagene Name hingegen ist neutral und wird dem Verhandlungsgegenstand gerecht.
({0}) Ich bitte daher um Zustimmung.
Ich schlage vor, daß wir erst über den Änderungsantrag der PDS/Linke Liste abstimmen - das sind zwei Punkte - , dann über den Änderungsantrag des Bündnisses 90/ GRÜNE und dann über die Drucksache 12/1187.
Wir stimmen also zuerst über den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1194 ab, und zwar zunächst über die Ziffer 1.
({0})
- Ich lese es noch einmal vor, damit es klar ist. Es geht um den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste, und zwar um die Ziffer 1: „Die Bezeichnung des Ausschusses lautet: ,Neuregelung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Schwangerschaftsabbruchs'." Es handelt sich also um die Änderung des Titels.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Damit ist die Ziffer 1 dieses Antrags bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Ich komme zur Ziffer 2 des Antrags der PDS/Linke Liste: „Die Fraktionen werden aufgefordert, für diesen Ausschuß Frauen als Mitglieder und Stellvertreterinnen zu benennen. " Wer stimmt für diese Ziffer 2? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist auch die Ziffer 2 dieses Änderungsantrags bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den soeben mündlich vorgetragenen Änderungsantrag des Bündnisses 90/ GRÜNE ab. Dabei geht es ebenfalls um die Änderung des Titels.
Wer stimmt für den Antrag des Bündnisses 90/ GRÜNE? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen aus der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE und einigen Enthaltungen abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den interfraktionellen Antrag auf Drucksache 12/1187 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit einigen Gegenstimmen und Enthaltungen mehrheitlich angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 a bis h auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ({1})
- Drucksache 12/551 -
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Klaus Feige, Ingrid Köppe und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit von Frauen beim Umgang mit ungewollten Schwangerschaften
- Drucksache 12/696 -
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des werdenden Lebens durch Förderung einer kinderfreundlichen Gesellschaft, durch rechtlich gewährleistete Hilfen für Familien und Schwangere sowie zur Sexualerziehung und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches ({2})
- Drucksache 12/841 -
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Petra Bläss, Jutta Braband, Ulla Jelpke, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und zur Sicherung von Mindeststandards für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch
- Drucksache 12/898 -
e) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Lebens
- Drucksache 12/1178 ({3}) -
f) Erste Beratung des von den Abgeordneten Herbert Werner ({4}), Monika Brudlewsky, Claus Jäger, Norbert Geis, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder
- Drucksache 12/1179 -
g) Beratung des Antrags der Gruppe PDS/Linke Liste
Sicherung unentgeltlicher Bereitstellung von Schwangerschaftsverhütungsmitteln
- Drucksache 12/490 -
h) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur freiwilligen Schwangerschaftsunterbrechung
- Drucksache 11/6895 Bevor wir mit der Aussprache beginnen, gebe ich einige Hinweise zum Ablauf der Debatte. Interfraktionell wurde folgendes vereinbart:
Für die Aussprache ist keine zeitliche Begrenzung vorgesehen. Zunächst soll jeder Gesetzentwurf begründet werden. Dafür erhalten die Fraktionen jeweils 20 Minuten, die Gruppen sowie die Unterzeichner von Gruppen-Gesetzentwürfen jeweils 10 Minuten Redezeit.
Anschließend, etwa ab 10.30 Uhr, wird die Aussprache in Zwei-Stunden-Blöcke unterteilt. Für die ZweiStunden-Blöcke gilt unsere übliche Redezeitaufteilung.
Von 13.00 bis 14.00 Uhr soll die Sitzung für eine Mittagspause unterbrochen werden.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich frage Sie: Sind Sie mit diesen Vorschlägen zum Ablauf einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Wir können so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste hat die Abgeordnete Uta Würfel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen, liebe Kolleginnen! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute mit einem sehr ernsten Thema, das an die Empfindungen und die Gefühle sehr vieler Menschen rührt. Ich möchte uns daher ermuntern, jedem Debattenredner mit dem Verständnis und der Toleranz entgegenzukommen, die jeder von uns für sich selber gerne hätte.
({0})
Wir beschäftigen uns mit den elementaren Fragen des Lebensschutzes unter dem Aspekt ungewollter Schwangerschaften und deren Folgen. Wir sprechen also über Frauen in tragischen Konfliktsituationen.
Frauen sind geborenes erwachsenes Leben. Sie sind wie alle anderen Menschen eine Einheit aus Seele, Geist und Körper, mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten, mit der Eigenschaft, sich nach einem Partner zu sehnen, zu begehren, zu lieben und zu empfangen. Durch den zuletzt genannten Umstand unterscheiden sie sich von der anderen Hälfte der Menschheit.
Frau zu sein heißt also auch, schwanger werden zu können. Schwanger sein kann als ein ebenso großes Glück wie auch als ein tiefes Unglück empfunden werden; unter Umständen auch von ein und derselben Frau unter verschiedenen Lebensumständen, zu verschiedenen Zeiten.
Eine festgestellte Schwangerschaft läßt sich im Gefühl als „Endlich hat es geklappt, wie herrlich" , aber auch als „O mein Gott, was nun" ausdrücken. Eine Schwangerschaft betrifft eine Frau in der Gesamtheit ihres Fühlens, ihrer Empfindungen, ihres Denkens und ihrer Körperlichkeit. Ihre Reaktion richtet sich nach den Lebensumständen, unter denen sie lebt.
Eine maßgebliche Rolle spielt dabei der Mann, von dem sie Leben empfangen hat. Ihre erste Frage ist: Wie reagiert der Partner, wie reagiert der Mann darauf? Ist er zur Übernahme von Verantwortung bereit? Ist er zur Übernahme von Pflichten bereit? Wird er sie weiter lieben? Bleibt er Partner? Wird er Vater? Was wird sein, wenn er dies alles nicht sein möchte? Wo soll sie leben; denn das Kind braucht Raum zur Entfaltung und zum guten Gedeihen? Wovon sollen sie leben, sie beide und das Kind?
Eine unvorbereitet, ungewollt und ungeplant schwangere Frau kennt ihre Bedürfnisse. Sie weiß, daß sie Liebe braucht, daß sie Fürsorge braucht, daß sie Zuspruch braucht, daß sie Angenommensein durch die Mitwelt und durch die Umwelt braucht und daß sie vor allem eines braucht: Wohnung und Einkommen.
Frauen in Konfliktsituationen schätzen ihre Lage ein. Sie prüfen ihre Umwelt; sie wägen ab.
Hunderttausende von ihnen in Deutschland kommen zu dem Ergebnis, daß sich ihre Lebensumstände
zur gewaltigen Verantwortung des Austragens und Erziehens eines Kindes eben nicht eignen. Tausende von Frauen sind vor allen Dingen dann hilflos, wenn sie vom Partner verlassen werden. Sie sind dieser Lebenssituation ohne Partner meist nicht gewachsen.
In anderen Fällen ist die Frau zu jung. Sie ist entweder in der Ausbildung, oder sie hat gar keine Ausbildung. Die Eltern der jungen Frau stehen nicht dazu. Sie wollen die Verantwortung nicht mittragen.
Ältere Frauen mit Kindern sind von der Familienarbeit oder der Doppelbelastung durch Familienarbeit und Erwerbstätigkeit erschöpft und ausgelaugt. Sie haben keine Kraft mehr für das Austragen und das Aufziehen eines weiteren Kindes.
Die Wohnungsprobleme dürfen wir nicht unterschätzen. Entweder sind die Wohnungen für ein weiteres Kind zu klein, oder die Wohnungen sind zu teuer. Das Einkommen ist zu gering; ohne Berufstätigkeit geht es nicht; die Frau trägt zum Familieneinkommen entscheidend bei. Oder es gibt einfach keine Wohnung in einer adäquaten Umgebung, um dort das Kind aufziehen zu können. Oder Wohnung und Arbeitsplatz liegen sowieso schon weit auseinander, und es gibt in der Umgebung überhaupt keine Tageskinderstätte, keine Kinderkrippe, keine Tagesmutter, die sich um das Kind kümmern könnte, während die Mutter erwerbstätig ist.
Überhaupt spielt das Fehlen qualifizierter Einrichtungen zur Betreuung von Kindern eine ganz bedeutende Rolle. Wo sind denn die Tagesmütter, wo sind denn die Kindertagesstätten, und wo gibt es ausreichend Kindergartenplätze?
Es sind auch andere Fälle denkbar: Der Ehemann ist krank, er ist arbeitslos, oder er ist unter Umständen Alkoholiker; er hat seinen Arbeitsplatz verloren und hat das mit seinem Selbstwertgefühl nicht verkraften können. Vor allem in solchen Situationen empfinden es ungewollt schwangere Frauen als völlig aussichtslos, ein Kind großzuziehen.
Auch der Bezug von Sozialhilfe etwa 15 Jahre lang wird von Frauen in solchen Situationen als keine Perspektive zum Austragen empfunden. In vielen Fällen kommen noch andere Aspekte hinzu, oder mehrere Faktoren treffen aufeinander.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen: Frauen in Konfliktlagen schätzen ihre Lebenswirklichkeit richtig ein. Sie stellen fest, daß die Rahmenbedingungen, unter denen sie leben, ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden und sie eben nicht ermutigen, auszutragen und sich dann dem geborenen Leben, dem Kind, zu stellen. Diese Frauen befinden sich in einem ungeheuren Konflikt zwischen ihrem Wunsch, austragen zu wollen, und den Lebensbedingungen, die sie teilweise als abschreckend empfinden. Ich kann Ihnen sagen: Jede Frau empfindet diese Lebenssituation als tragisch, weil sie sie persönlich als ausweglos empfindet.
Jetzt komme ich zu den Fakten der Untersuchungen. In sechs von sieben Fällen hoffen Frauen in einer solchen Konfliktsituation vergeblich auf die Hilfe ihres Partners. Diese ungewollt schwangeren Frauen können auf die Männer nicht zählen. Statt auf FürUta Würfel
sorge und Verantwortungsbereitschaft treffen sie auf Ablehnung, Unverständnis und Verantwortungslosigkeit. Der Partner reagiert mit Liebesentzug und Druck auf die Frau, die Schwangerschaft abzubrechen. Sechs von sieben Frauen erleben voll Bitterkeit, daß der Mann, dem sie vertraut haben, den sie geliebt haben, sie und das gezeugte Leben einfach im Stich läßt.
Die Frau kann auch gar nicht selten nicht auf ihre Mitwelt, ihre Umwelt, ihre Mitmenschen zählen. Denn diese - sagen wir es doch, wie es ist - lassen sie in den meisten Fällen ebenso im Stich wie der Partner. Gestehen wir es uns doch ruhig ein: Der Staat kann in sehr vielen Fällen überhaupt keine echte Perspektive bieten,
({1})
um die Frau zu ermutigen, Leben auszutragen. Es ist sogar so, daß der Staat all diejenigen Frauen, die sich nach reiflicher Überlegung nicht zum Austragen des gezeugten Lebens entscheiden können, mit Strafe bedroht.
Die FDP-Fraktion stellt sich der Lebenswirklichkeit dieser Frau. Sie stellt sich der Realität. Die FDP-Fraktion orientiert sich an der Realität. Denn 15 Jahre Erfahrung mit der Indikationenregelung haben uns gezeigt, daß das Strafrecht das werdende Leben nicht in ausreichendem Maß schützen kann.
({2})
Es gibt sogar Stimmen, die sagen: Allein das Vorhandensein der Strafbewehrung hat eine Alibifunktion gehabt, ummaßgebliche Kräfte in der Gesellschaft einfach davon abzuhalten, eine kinderfreundliche und damit auch frauenfreundliche Gesellschaft zu schaffen.
({3})
Die FDP-Fraktion legt einen fundierten Gesetzentwurf vor, der sowohl der staatlichen Aufgabe des Lebensschutzes nachkommt als auch den Belangen von Frauen in Konfliktsituationen gerecht wird. Unser Entwurf dient dem Schutz des Lebens und der Förderung einer kinderfreundlichen und damit auch frauenfreundlicheren Gesellschaft. Wir bedrohen die Frauen nicht länger mit Strafe, es heißt nicht länger „Strafe statt Hilfe", sondern es heißt in Zukunft „Hilfe statt Strafe".
({4})
Wir Freien Demokraten haben erkannt, daß wir nur mit wirksamen sozialen Maßnahmen das Klima in der Gesellschaft schaffen können, das eine ungewollt, unvorbereitet, ungeplant schwangere Frau benötigt, um ermutigt zu sein, auszutragen und sich auf ein Kind zu freuen.
Ich stelle diese Maßnahmen jetzt nicht im einzelnen dar. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind sehr umfangreich, und sie entsprechen den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.
Jede Frau in einem Schwangerschaftskonfliktf all benötigt Hilfe. Sie benötigt vor allem eine fundierte,
gesicherte Entscheidungsgrundlage - für ihre Entscheidung, mit der sie ein Leben lang zurechtkommen soll. Diese Entscheidungsgrundlage bietet unsere Schwangerschaftskonfliktberatung, eine Schwangerschaftskonfliktberatung durch Fachkräfte, die der Frau und, wenn sie es will, auch dem Partner die Möglichkeit gibt, sich umfassend über die vom Staat bereitgestellten Hilfen zu informieren, die die Möglichkeit zu einem Dialog in vertrauensvoller, offener Atmosphäre anbietet.
Wir wollen keinen Darlegungszwang, wir wollen keinen Rechtfertigungszwang, und wir wollen schon gar nicht eine Niederschrift über ein derartiges Schwangerschaftskonfliktgespräch.
({5})
Wir wollen auch keine Indikation, sondern wir stellen uns vor, daß dieses Gespräch in eine vertiefte Lebensberatung einmünden kann, wenn die Frau dies will. Wir werden auch Nachsorge-Gesprächsmöglichkeiten bereitstellen.
Die FDP-Fraktion strebt eine qualitative und quantitative Ausweitung der Beratungsmöglichkeiten an. Sie trägt damit auch zu einem effizienteren Schutz des Lebens bei. Der verpflichtende Charakter unserer Beratung und die hohen Anforderungen an die Qualität der Beratung bedeuten in der rechtlichen Ausgestaltung den entscheidenden Unterschied zur DDR-Fristenregelung, wie es sie gab, und zu der vom Bundesverfassungsgericht 1975 verworfenen Regelung.
Ein weiterer Schwerpunkt wird von uns auf die Aufklärung gelegt. Aufklärung heißt doch nichts anderes, als daß man dort für Klarheit sorgt, wo sie offenbar vonnöten ist.
Natürlich müssen wir uns fragen, wie es denn möglich ist, daß in einer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren Hunderttausende von Frauen Jahr für Jahr ungewollt, ungeplant und unvorbereitet schwanger werden.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ich möchte sie nicht im einzelnen ausführen; dafür reicht die Zeit nicht. Aber wir müssen uns der Tatsache stellen, daß vor allem unsere Jugendlichen in einem hohen Grad unaufgeklärt in allen Fragen der Sexualität und auch in den Fragen technischer Verhütungsmittel und deren Anwendung sind. Wir müssen uns auch eingestehen, daß viele Frauen in der Lebensmitte nie zu einem unverkrampften, unvoreingenommenen und unverklemmten Umgang mit der Sexualität gefunden haben.
Wir haben doch die Erkenntnis, daß es in anderen Ländern, in denen dieses Tabu nicht so besteht wie bei uns und ein freierer Umgang mit der Sexualität möglich geworden ist, zu einem drastischen Rückgang ungewollter Schwangerschaften gekommen ist. Also muß Aufklärung viel mehr sein als die Vermittlung medizinisch-biologischen Wissens. Was wir brauchen, ist eine andere Sexualethik,
({6})
eine andere Sexualkultur. Jeder erwachsene Mensch
muß befähigt sein, mit dem Thema Sexualität partner3624
schaftlich und präventiv umzugehen. Jeder erwachsene Mensch muß doch die Folgen vor allem eines risikoreichen Verhaltens entsprechend bedenken können. Deshalb liegt der Schwerpunkt bei uns auf der Aufklärung und dort auf Partnerschaft und Prävention.
Die Aufklärungskampagne, die wir vorhaben, muß natürlich auch die Männer betreffen, - die Männer, die sich ihrer Verantwortung entziehen und die von Partnerschaft keine blasse Ahnung haben. Partnersein, Partnerschaft bedeutet doch auch Teilhaber sein, das heißt Teilhaber an der Freude, das heißt Teilhaber an den Nöten der Frau und das heißt auch Teilhaber an der Verantwortung für das gezeugte Leben.
Sexualaufklärung bedingt in diesem Fall, wenn wir es ernst meinen, natürlich auch, daß die zuständigen Landesminister eindringlicher und häufiger als bisher die Themen Sexualität und Partnerschaft als Unterrichtsfach zulassen und Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit geben, in der Schule zu lehren.
Unverzichtbar erscheint uns auch der Zugang von Jungen und Mädchen ab der Pubertät zur individuellen Beratung in der ärztlichen Praxis oder in anderen Einrichtungen, und zwar unabhängig von der Krankenkasse der Eltern. Die Inanspruchnahme verschriebener kostenloser Verhütungsmittel ist ein wirksames Instrument zur Senkung der Rate ungewollter Schwangerschaften.
Wir wollen also einen verantwortungsbewußten offenen und partnerschaftlichen Umgang mit der Sexualität. Deshalb legen wir auf die Aufklärung entscheidenden Wert.
Für uns als FDP-Fraktion und als Rechtsstaatspartei ist es selbstverständlich, daß wir einen Gesetzentwurf vorlegen, von dem wir überzeugt sind, daß er verfassungskonform ist. Unser Vorschlag der modifizierten Fristenregelung mit obligatorischer Beratung ist verfassungsgemäß.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist demnach während der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft straffrei, wenn eine Beratung wahrgenommen wurde. Die von uns angestrebte Neuregelung ist in der Lage, einen effizienten Lebensschutz zu bewirken. Unser Ziel ist es, werdendes Leben in Zukunft besser schützen zu können als bisher.
Politik hat sich an der Lebenswirklichkeit, hat sich an der Realität zu orientieren. Die Maßnahmen zur Behebung gesellschaftlicher Mißstände und zur Veränderung unbefriedigender gesellschaftlicher Situationen müssen zielführend und effizient sein. Ein Kurieren an Symptomen geht an der Realität vorbei und wird dem Schutz werdenden Lebens nicht gerecht.
Lassen Sie uns also gemeinsam ohne Scheuklappen, ohne Ideologie und ohne Zwang um die beste Lösung miteinander ringen. Lassen Sie uns vor allem nicht die Chance vertun, endlich die Lebensbedingungen für Kinder, für Frauen und für Familien gemeinsam entscheidend zu ändern.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir mit der heutigen Debatte über die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ein Dauerthema der deutschen Politik wieder in diesem Hause einführen, hätte es Sinn, Geschichte, gesellschaftlichen Hintergrund und Wandel der unterschiedlichen Strafdrohungen ausführlicher darzulegen. Manches wie ewig aussehende Dogma ist erst jüngeren Datums. Mancher Streiter für Dogmen könnte veranlaßt werden, über seine Positionen noch einmal nachzudenken, vielleicht auch nur den Ton zu dämpfen.
Ich erinnere nur daran, daß der Schwangerschaftsabbruch nicht immer als Straftat beurteilt wurde und daß die Strafverfolgung in hohem Maße gesellschaftsgebunden war. Erst im 19. Jahrhundert hat sich die strenge Auffassung in der katholischen Kirche endgültig durchgesetzt, daß Leben ohne Rücksicht auf die Beseelung des Embryos von Anfang an strafrechtlich zu schützen sei; sie ist damit der evangelischen Kirche gefolgt. Die Erklärung der Menschenrechte hingegen ging davon aus, daß jeder frei über seinen Körper verfügen könne, und der Fötus wurde als Teil des Körpers der Frau angesehen.
Heute ist eigentlich nur noch die katholische Kirche dogmatisch der Meinung, daß keine Konfliktsituation den Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen könne. Die Rechtsauffassung des Volkes war immer von den Erfahrungen der Betroffenen geprägt. Selbst Katholiken fordern in ihrer Mehrheit seit Jahren eine andere Lösung. Entsprechend wird das Offizialdelikt „Schwangerschaftsabbruch" in den seltensten Fällen verfolgt. Selbst zu den Zeiten, als es mit Todesstrafe bedroht war, war die Strafverfolgung zufällig und willkürlich.
Ich habe die Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs in Erinnerung gerufen, weil ich meine: Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß anders als bei anderen sogenannten Straftaten gegen das Leben, die allgemein und von allen, auch von den Tätern, als Straftaten akzeptiert werden, dies beim Schwangerschaftsabbruch nicht so ist. Auch im Vergleich mit verschiedenen gegenwärtig geltenden Regelungen in verschiedenen Ländern müssen wir feststellen: Es gibt Länder mit liberalen, offenen Regelungen und sehr niedrigen Abbruchzahlen und andere Länder, in denen hohe Strafen drohen und in denen die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche dennoch hoch ist. Offensichtlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen einem strafrechtlichen Schutz und dem tatsächlichen Schutz werdenden Lebens.
({0})
Wir können auch - unabhängig davon, ob Strafe droht oder nicht - festhalten, daß die weit überwiegende Mehrheit der Frauen einen Schwangerschaftsabbruch als schweren persönlichen Konflikt erlebt. Das bedeutet für uns: Wenn wir werdendes Leben schützen wollen, dann können wir das nicht mit dem Strafrecht tun.
Nachdem wir als Folge der deutschen Einheit neu über die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nachdenken müssen, sollten wir mit den Betroffenen sehr sorgsam umgehen.
Die in den Ländern der alten Bundesrepublik geltende Indikationsregelung hat zu sehr unterschiedlicher Praxis geführt. Sie hat durch die als willkürlich empfundenen Prozesse in Bayern und Rheinland-Pfalz Frauen, Ärztinnen und Ärzte verunsichert. Deshalb hat das Europäische Parlament von der Bundesrepublik Deutschland eine Regelung angemahnt, die dem veränderten Bewußtsein der Menschen entspricht und davon ausgeht, „daß Frauen in der gesamten Europäischen Gemeinschaft das Recht auf Selbstbestimmung über das eigene Leben zugestanden werden muß, also auch das Recht, sich zwischen der Mutterschaft und der Unterbrechung einer unerwünschten Schwangerschaft zu entscheiden". Dabei hat das Europäische Parlament den Abtreitungstourismus aus der Bundesrepublik Deutschland gegeißelt.
Die SPD stützt ihren Entwurf darauf, daß das Strafrecht kein geeignetes Mittel zur Lösung von Schwangerschaftskonflikten ist.
({1})
Ziel unseres Gesetzentwurfs ist der wirksame Schutz des werdenden Lebens. Er muß nach Art. 1 unseres Entwurfs unter Anerkennung der Verantwortung und des Selbstbestimmungsrechts der Frau gewährleistet werden. Wir wollen vor allem Lebensverhältnisse schaffen, in denen sich Frauen nicht zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen sehen. Frau Würfel hat bereits darauf hingewiesen: Soviel Glück ein Kind für eine Frau auch immer bedeuten kann, so steht doch auch fest, daß ein Kind das Leben seiner Mutter für 14, 16 Jahre oder länger von Grund auf verändert, während der Vater - wenn man von wenigen Ausnahmen absieht - zwar einige Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, im Idealfall auf einige „Freuden" verzichtet, ansonsten aber sein Leben ungestört fortsetzt.
({2})
Selbst die neueste Untersuchung von Benard und Schlaffer zum Thema „Neue Väter" fragt zu Recht: „Sagt uns, wo die Väter sind. " Auch die neuen Väter wollen zwar anders sein als ihre Väter, vermeiden aber die alltäglichen Arbeiten und übernehmen fast nie die normale erzieherische Mitverantwortung.
({3})
Nach wie vor ist ihnen berufliche Anerkennung allemal wichtiger als ihre Kinder. Ihre Flucht aus der Familie bekommt den Ehen natürlich nicht. Eine Frau, die ein Kind erwartet, weiß, daß sie sich auf eine Versorgung durch den Vater nicht verlassen kann.
({4})
Ein Drittel aller Ehen in der Bundesrepublik Deutschland wird geschieden. In den neuen Bundesländern sind es fast 40 %. Die Unterhaltszahlungen sind verzweifelt gering und werden von den Vätern ermüdend bestritten. Von den ledigen Müttern erhält
nur die Hälfte Unterhalt. Von den Vätern, die zahlen, tun dies viele unregelmäßig. Bis heute haben wir die sozialen Hilfsmöglichkeiten, über die nach geltendem Recht die Beratungsstellen informieren sollten, nicht geschaffen.
Was die schwangere Frau heute wie vor 15 Jahren erwartet, ist der Verlust ihres Arbeitsplatzes, weil weder Kinderkrippen noch eine ausreichende Zahl von Kindergärten zur Verfügung stehen, für eine begrenzte Zeit Erziehungsgeld und Sozialhilfe, die jedoch von den Eltern zurückverlangt wird, und, falls sie je wieder die Chance zur Aufnahme einer Berufstätigkeit erhält, erhebliche Nachteile im Beruf oder minderqualifizierte Teilzeitarbeit und: im Alter eine Minirente.
Das A und O einer Entscheidung für ein Kind sind ausreichende Betreuungsmöglichkeiten bis weit in das Schulalter hinein. Wenn der Unionsentwurf die Versorgung mit Kindergartenplätzen hinausschiebt, die Kinderkrippen hintanstellt und die Verantwortung den Ländern zuschieben will, dann vernachlässigt er den Schutz werdenden Lebens sträflich!
({5})
Wenn Sie die Kindergartenversorgung bis 1997 aussetzen, warum setzen Sie dann, Herr Waigel, in der gleichen Logik nicht auch die Strafregelungen aus?
({6})
Wer für vieles Geld hat, nur für den Schutz werdenden Lebens nicht, der erzeugt die Notlagen selbst, für die hinterher der Schwangerschaftsabbruch als Ausweg großmütig zugelassen wird.
Frauen bringen mit der Entscheidung für ein Kind immer ein Opfer, oder, positiv formuliert, sie lassen sich auf ein unabsehbares Abenteuer ein. Aber etwas Planbarkeit brauchen auch sie. Wir müssen ihnen wenigstens die Chance geben, mit Arbeit sich und ihre Kinder zu ernähren. Die Bedingungen dafür sind schlechter, nicht besser geworden, weil mit veränderten Familien- und Wohnstrukturen die Kinderbetreuung durch Großmütter, Tanten und Nachbarn entfällt.
Die Geburtenprämie der Union von 1 000 DM und die Almosen der Stiftung „Mutter und Kind" müssen jeder Frau wie Hohn vorkommen.
({7})
Frauen brauchen eine Lebensperspektive und keine Almosen! Wenn es einen Grund gibt, die Steuern zu erhöhen, dann ist es der Schutz der Mütter und Kinder.
({8})
Jedenfalls können wir die Kosten des Lebensschutzes nicht den Ländern aufhalsen.
Eine bekannte Illustrierte hat Frauen vorgestellt, die sich infolge der Beratung im Schwangerschaftskonflikt für ein Kind entschieden hatten. Angesichts der Lebensumstände, in denen sie mit ihren Kindern
leben mußten, erklärten die meisten von ihnen, sie würden sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, wenn sie noch einmal entscheiden könnten, und dies, obwohl sie oder weil sie ihre Kinder liebten. Ich habe das als tief deprimierend empfunden - und als Versagen der Politik!
({9})
Was wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als positiven Lebensschutz vorschlagen, ist kein Optimum. Es erreicht weder die Leistungen, die früher in den jetzt neuen Ländern üblich waren, noch die Leistungen anderer europäischer Länder. Es ist ein absolutes Minimum, wenn unsere Reden zum Schutz werdenden Lebens nicht als bloße Lippenbekenntnisse entlarvt werden sollen.
({10})
Neben die umgehende Verwirklichung des Rechts auf einen Kindergartenplatz, nach Bedarf ganztags, muß die bessere Absicherung Alleinerziehender treten. Seit Jahren muß die Zahl der Kinder den vorhandenen Wohnungen angepaßt werden und können die meisten Menschen nicht ihre Wohnung der Zahl ihrer Kinder anpassen. Auch das ist eine Notlage, die die Gesellschaft geschaffen hat.
Unsere Vorschläge zu einer frauen- und kinderfreundlichen Politik werden in den Ausschußberatungen im einzelnen erörtert. Sie können ihre Wirkungen nur entfalten, wenn sie im wesentlichen ungeschmälert angenommen werden und wenn sie von einer aktiven Gleichstellungspolitik im Berufsleben, in der Ausbildung und im Rentensystem begleitet werden.
({11})
Wir müssen loskommen von einem Frauenbild, das Frauen immer zu Abhängigen macht. Der alte § 218 als Machtinstrument einer von Männern bestimmten Gesellschaft ist untauglich geworden und menschenunwürdig.
({12})
Selbst wenn wir alles tun, um aufzuklären und ungewollte Schwangerschaften zu verhüten, wissen wir, daß dennoch Konfliktsituationen entstehen können, in denen schwangere Frauen keinen anderen Ausweg sehen, als sich im Konflikt zwischen ihrem eigenen Leben und dem in ihnen wachsenden Leben gegen das werdende Leben zu entscheiden, oft, weil sie wissen oder glauben, mit den Anforderungen und Belastungen nicht fertig werden zu können, weil sie Angst davor haben, von Stund an vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und in eine Welt des Privaten eingeschlossen zu werden, weil sie Angst haben, Partner, Ansehen und Anerkennung zu verlieren, weil die Belastung mit den vorhandenen Kindern schon so groß ist, daß eine zusätzliche Belastung die letzte Kraft erschöpfen würde.
Was ist eine Notlage, und was ist keine? Was die eine trägt und stärkt, kann eine andere Frau aus der
Bahn werfen. Wo eine Frau ohne Partner ein Kind aufzieht, eine Ausbildung abschließt und erfolgreich berufstätig wird, weil sie stark ist, sich glückliche Umstände, einsichtige Verwandte und Freunde so fügen, bricht eine andere trotz Partner zusammen, scheitern Ehen und Beziehungen, wirft das ungewollte Kind eine Dritte völlig aus der Bahn.
Die meisten Frauen entscheiden sich für die Kinder, trotz der Belastungen und obwohl sie wenig Hilfe zu erwarten haben. Und: Die meisten Frauen, die nach sorgfältiger Abwägung mit guten Gründen oder auch in Panik einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, hatten vorher oder später Kinder mit anderen Partnern, zu anderen Zeiten.
Wer soll entscheiden, unter welchen Umständen eine Frau was aushalten kann, wann eine Notlage gegeben ist und wann nicht, wenn nicht die Frau selber?
({13})
Sie kann sich in der Einschätzung ihrer Kraft, ihrer Möglichkeit und ihrer Chancen irren; aber jeder andere irrt sich wahrscheinlich gründlicher. Der Zwang, einen Dritten von der eigenen Notlage überzeugen zu müssen, kann auch in einen fatalen Zugzwang führen, der die Frau die eigene Entscheidung nicht mehr überdenken läßt.
Wir sind deshalb überzeugt: Nur die Frau kann den Konflikt in eigener Verantwortung entscheiden. Und sie sollte das so früh wie möglich tun, nämlich bis zur zwölften Woche. Dabei wollen wir ihr alle Beratungs- und alle Informationsmöglichkeiten zuteil werden lassen, die sie braucht. Unser Ziel ist der Schutz des werdenden Lebens, und unser Ziel ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wir wollen eine freiwillige Beratung, weil wir damit dem Schutz des werdenden Lebens eine größere Chance geben wollen.
Wenn die Erfahrungen der Beraterinnen und Berater sagen, wir brauchen die Offenheit der freiwilligen Beratung: dann frage ich mich, ob wir nur um eines 16 Jahre zurückliegenden Verfassungsgerichtsurteils willen zur Zwangsberatung kommen müssen.
({14})
Auch Verfassungsinterpretation ist für Erfahrungen und gesellschaftlichen Wandel offen.
Viele fragen nun: Warum lenkst Du da nicht ein? Das geht ruck zuck; die Frauen lassen sich den Beratungsschein geben, und im Zweifel stellen sie ihre Ohren auf Durchzug. Ich will keine Farce! Ich will, daß Frauen sich in aller Offenheit ohne Protokoll, ohne Bescheinigung, ehrlich beraten lassen.
({15})
In der Frage des Schwangerschaftsabbruchs haben Frauen so viel lügen müssen; sie kommen auch mit einer Pflichtberatung klar. Aber dürfen wir das wollen?
Als ich 1970 auf dem Marktplatz von Göttingen für die Fristenlösung geworben habe, haben mir
70-, 80jährige Frauen mit Tränen in den Augen Erfolg gewünscht,
({16})
weil sie das Elend der Lügerei, dieses Versteckspiel, diese Erniedrigung der Frauen endlich beenden wollten.
({17})
- Ich brauche keine Schamröte, ich habe in dieser Frage ein sehr reines Gewissen!
Wir wollen die Straffreiheit der Frau. Warum muß eine Frau, die sich in einer so schwierigen Konfliktlage für den Schwangerschaftsabbruch entscheidet, bestraft werden? Ist sie nicht schon durch die Entscheidung genug gestraft? Warum müssen die Frauen nach den Entwürfen von CDU/CSU und FDP noch früher bestraft werden als nach dem bestehenden Recht der alten Bundesrepublik?
Unser Gesetzentwurf geht davon aus, daß der Schutz des werdenden Lebens anders als durch das Strafrecht erfolgen muß.
({18})
Deshalb wollen wir die Regelungen aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen und in ein besonderes Familien- und Schwangerengesetz aufnehmen. Ich denke, dafür gibt es gute Gründe, die auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben können.
({19})
Die Frau hat ein Grundrecht auf den Schutz ihrer Würde und ihrer Person.
({20})
Und: Wir wollen das werdende Leben schützen. Gegenüber Dritten gilt das allemal uneingeschränkt. Wir wissen aber - die evangelische Kirche hat das auch ausdrücklich bestätigt - : Das werdende Leben kann nicht gegen die Frau geschützt werden.
({21})
Der Staat darf keine bestimmte Lebensführung gebieten.
Im unversöhnlichen Konflikt zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Frau und dem Schutz werdenden Lebens kann es keinen Kompromiß in der Sache, sondern nur in der Zeit geben. Wir können der Frau auferlegen, sich so früh wie möglich zu entscheiden, ihr zumuten, ihr Lebensrecht gegen den Embryo nur in den ersten Wochen durchsetzen zu können.
({22})
Wir haben heute eine andere Ausgangslage als vor 16 Jahren. Wir haben zwei Staaten mit unterschiedlichen Rechtsentwicklungen vereinigt. Wir haben mit den Reformen der letzten 20 Jahre Erfahrungen in verschiedenen Ländern sammeln können, und wir können feststellen: Das Strafrecht verhindert keinen Schwangerschaftsabbruch. Der Sinn und Zweck der Strafnorm wird nicht erfüllt. Wir müssen andere Wege gehen!
Ich darf Walter Wallmann zitieren:
Was aber ist die Folge, wenn ein Gesetz beschlossen wird, von dem man von vornherein weiß, daß es die verfolgten Ziele verfehlt? Ein Gesetzgeber, der so handelt, verletzt seine elementaren Pflichten. Es muß der Eindruck entstehen, daß den Menschen etwas vorgegaukelt wird, um irgendwelche Gruppen oder Institutionen zufriedenzustellen. Über die Wirkungen, die damit hervorgerufen werden, sollten sich die Politiker nichts vormachen. Unaufrichtiges Handeln verletzt die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen und damit den demokratischen Staat selbst.
Ich zitiere weiter:
Politische Parteien können ihr Programm und Handeln auf moralische Überzeugungen gründen. Der moderne Staat muß auf den bestehenden Wertepluralismus Rücksicht nehmen. Er kann und darf gültige Moralvorstellungen nicht stiften. Die Annahme, was der Staat nicht unter Strafe stelle, sei damit auch sittlich erlaubt, ist ein grundlegender Irrtum. Hinter dieser Meinung verbirgt sich letztlich jene Haltung, die dem Staat eine höhere Vernunft zutraut als dem einzelnen.
Wenn sich die Unionsfraktion dieser Staatsauffassung anschließen könnte,
({23})
wenn wir uns darauf verständigen könnten, daß ein weltanschaulich neutraler Staat nicht der weltliche Arm zur Durchsetzung kirchlicher oder religiöser Verhaltensnormen sein kann, fänden wir vielleicht über Parteigrenzen hinweg einen gemeinsamen Weg aus der schwierigen Lage.
({24})
Als nächste hat die Abgeordnete Maria Michalk das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon in der zu Ende gehenden DDR zeichnete sich ab, daß die Frage des Schwangerschaftsabbruchs zu einem schwierigen Thema beim Vereinigungsprozeß werden würde. Es stellte sich auch heraus, daß es innerhalb der scheinbar so geschlossenen DDR einen enormen Diskussionsbedarf zu diesem Thema gab. Es konnte jetzt endlich eine Diskussion nachgeholt werden, wie sie öffentlich weder vor der schnellen Einführung der Fristenlösung im Jahre 1972 noch danach möglich war. Daß die Meinungen nicht einheitlich waren, konnte man auch daran erkennen, daß es bei der Verabschiedung des Gesetzes Gegenstimmen und Stimmenthal3628
tungen von der Ost-CDU geben durfte; ein Vorgang, der sich meines Wissens bis zur Wende im Jahre 1989 nicht wiederholt hat.
Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns damals in den Fraktionen einigen konnten - das wurde mit großer Mehrheit so beschlossen -, lautete: Wir wollen das Recht haben, die Diskussion, die wir in der DDR nie so gründlich führen durften, nachzuholen. Diese Möglichkeit ist jetzt gegeben.
Es kam dann zu der salomonischen Festlegung, bis zum Jahre 1992 sowohl in den alten Bundesländern als auch im sogenannten Beitrittsgebiet die jeweilige Rechtssituation und -praxis beizubehalten. Gleich war und ist offenbar trotz so unterschiedlicher Regelungen die schmerzliche Feststellung, daß die Häufigkeit der Abbrüche in beiden Rechtsgebieten nahezu gleich hoch ist, und zwar zu hoch.
Die Inkaufnahme einer Schwangerschaft mit der Absicht, innerhalb einer bestimmten Frist die Tötung des Kindes vornehmen zu können, ist unter rechtlichen und moralischen Gesichtspunkten unannehmbar.
({0})
Dies ist die einheitliche Meinung der Union. Deshalb heißt unser erster Grundsatz: ungewollte Schwangerschaften vermeiden und Bewußtsein für das Lebensrecht des ungeborenen Lebens schaffen, nicht des werdenden Lebens, sondern des ungeborenen Lebens, das Kind und Mensch und Leben von Anfang an ist.
({1})
Die Kenntnis über und die Einsicht in die Tragweite eines Schwangerschaftsabbruches dürfen nicht erst in einer konkreten Konfliktsituation geweckt und vermittelt werden. Erforderlich ist die ganzheitliche Erziehung, die von der gemeinsamen Verantwortung von Frau und Mann ausgeht - da sind wir uns hier wohl einig - und dies auch immer wieder betont.
In dieser Hinsicht kommt nicht allein der flächenübergreifenden Unterrichtung in den Schulen Bedeutung zu, sondern auch der positiven Vorbildwirkung der Eltern, der Geschwister, der Freunde. Vom frühesten Kindesalter an prägen die Einstellung zur Sexualität und die Achtung vor dem anderen das Menschsein und die Achtung vor dem Leben überhaupt.
Kinder beobachten und bekommen prägende Antworten für sich selbst auf solche Fragen: Wie gehen die Eltern miteinander um? Wie verhalten sich Jugendliche z. B. in der Nachbarschaft? Wie wird die Familie in den Medien dargestellt? Wird der alte Mensch genauso behandelt wie der junge, oder gibt es da Unterschiede?
Den Schutz des ungeborenen Lebens werden wir um so besser erreichen, je mehr es dem Staat und der Gesellschaft gelingt, die Wertebildung positiv zu beeinflussen. Es muß bereits bei den Kindern und Jugendlichen das Bewußtsein geweckt werden, daß ein Schwangerschaftsabbruch kein Ersatz für unterlassene Empfängnisverhütung ist, weil jeder Abbruch heißt: Tötung eines Kindes.
({2})
Wie die falsche Wahl des Begriffes auch im Bewußtsein zur falschen Wertebildung geführt hat, das zeigt die Erfahrung in den neuen Bundesländern, wo der Begriff „Schwangerschaftsunterbrechung" im Volksmund gang und gäbe ist, als ob dieselbe Schwangerschaft später fortgeführt werden könnte. Oberflächlichkeit an dieser Stelle ist mehr als fatal für eine Gesellschaft.
Die Entscheidung darüber, wie bei einer ungewollten Schwangerschaft die damit verbundenen Auswirkungen auf die zukünftige Lebensplanung der Frau zu behandeln sind, kann nicht ausschließlich der Frau überlassen bleiben. Die Würde der Frau zu achten bedeutet, ihren durch die ungewollte Schwangerschaft entstehenden Konflikt anzunehmen und ernstzunehmen und alle Bemühungen darauf zu richten, diesen ganz individuell aufzulösen.
Daß es dabei Grenzen gibt, die immer subjektiver Natur sind, wissen wir. Dieser Grundsatz liegt unserer Entscheidung zugrunde, wenn wir neben der medizinischen die psycho-soziale Indikation aufgenommen haben.
Die Vielfalt und Kompliziertheit des Lebens stellt uns - es wäre lebensfremd, das Gegenteil zu behaupten - vor eine Reihe von Ausnahmefällen, die in keine Schablone preßbar sind. Deshalb entspricht es unserem christlichen Grundsatz, sich jedem einzelnen Konfliktfall zuzuwenden und nach Lösungen zu suchen. Dazu brauchen wir die Partner der werdenden Mütter, die Beraterinnen und Helfer in den Beratungsstellen und die Ärzte.
Die Union hat sich, wie Sie wissen, dem Auftrag aus dem Einigungsvertrag, für ganz Deutschland eine einheitliche Regelung zu schaffen, die dem Schutz des ungeborenen Kindes besser nachkommt, als dies die beiden jetzt gültigen Regelungen ermöglichen, sehr ausführlich und intensiv gewidmet. In unserer Diskussion sind die Erfahrungen der Beratungsstellen, die Erlebnisse der Mütter, die abgetrieben haben, die Ungenauigkeiten, die sich mit der Zeit eingeschlichen haben, was das Einhalten der jetzigen gesetzlichen Regelung angeht, ebenso eingeflossen wie die Forderung nach mehr konkreten Hilfen im Konfliktfall und nach besserer sozialer Absicherung für das Leben mit Kindern, aber auch die Erkenntnis, das Umfeld besser in die Problemlösung einzubeziehen.
Lassen Sie mich jetzt noch konkret auf ein paar Regelungen, in unserem Gesetzentwurf eingehen, von denen wir überzeugt sind, daß sie den besseren Schutz des ungeborenen Kindes bewirken werden. Nach unserem Art. 1 - ich möchte auf die Reihenfolge aufmerksam machen - hat jede Frau einen Rechtsanspruch auf personale und soziale Beratung. Aufgabe der Beratung ist, die Frau zu einer verantwortungsvollen Entscheidung hinzuführen, sie zum Ja für das Kind zu ermutigen.
Wir werden eine qualitative und quantitative Ausweitung der Beratungsmöglichkeiten ebenso vornehmen wie ein flächendeckendes Netz verschiedener Träger vor allem in den neuen Bundesländern aufbauen. Die Verlängerung der Dauer der Zahlung des Erziehungsgeldes auf 24 Monate sowie die Ausweitung des Erziehungsurlaubes auf drei Jahre stellen
besonders für junge Frauen eine wichtige Verbesserung ihrer Entscheidungssituation dar.
({3})
Das Unterhaltsvorschußgesetz, bei uns geregelt in Art. 5 und 6, wird durch die Verdoppelung der Leistungsdauer auf 72 Monate und die Anhebung des Höchstalters von sechs auf zwölf Jahre ab 1993 verändert. Wir bringen damit zum Ausdruck, daß es hier um ein Kind geht, egal, ob ehelich oder nicht ehelich. Alleinstehende Mütter brauchen zusätzliche Hilfe, weil sie mit den täglichen Dingen eben allein fertigwerden müssen.
({4})
Wer sich für ein Kind entscheidet, der sollte sich - das wünsche ich allen - mit Freude darauf vorbereiten können. Aber wir wissen auch, daß dies mit Belastungen verbunden ist. Diese gilt es gerecht zu verteilen.
Ein weiterer Punkt ist die Ausgestaltung der Leistungen in der Sozialhilfe. Der Rechtsanspruch soll in erster Linie die Träger der Sozialhilfe zu einem Tätigwerden von sich aus veranlassen, wenn sie im Rahmen ihrer allgemeinen Aufgabenerfüllung von einer Konfliktsituation im Zusammenhang mit einer unerwünschten Schwangerschaft Kenntnis erlangen. Der Schwangeren soll die Hilfe nicht aufgedrängt werden, wenn sie diese Hilfe nicht will; das gibt es auch.
Eher ist es aber in der Praxis so, daß die Frau auf die ihr zustehenden Hilfen aufmerksam gemacht werden muß, und dies muß organisiert werden. Vor allem in den neuen Bundesländern haben wir da noch sehr viel zu tun. Auch die Erhöhung des Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende von 20 auf 30 % kommt nicht von ungefähr.
Der Hilfsfonds für schwangere Frauen in den neuen Bundesländern ist eine positive Erfahrung. Für das Jahr 1991 und 1992 wird der Hilfsfonds jährlich mit 40 Millionen DM aufrechterhalten. Ab 1993 erfolgt eine Überleitung der Stiftung auf das Beitrittsgebiet. Die Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens", in unserem Gesetz in Art. 8 verankert, hat in den zurückliegenden Jahren unzähligen Frauen in Not helfen können.
Wir wissen, daß oftmals die Erstausstattung - vor allem bei sehr, sehr jungen Mädchen und Frauen - ein Problem ist. Ein Großteil der Stiftungsmittel fand in der Vergangenheit dafür Verwendung. Diese Erfahrung und auch die positive Erfahrung in den neuen Bundesländern hinsichtlich der Auszahlung von 1 000 DM zur Geburt eines Kindes, aufgeschlüsselt in Auszahlungstermine vor und nach der Geburt in differenzierter Höhe, sowie die Entlastung der Stiftung und damit die Rückführung auf ihren eigentlichen Stiftungszweck haben uns darin bekräftigt, das Familiengeld einzuführen. An dieser Maßnahme, die nur in unserem Gesetz steht - es ist ungerecht und unfair, dies als „Gebärprämie" abzuwerten -,
({5})
sehen Sie deutlich, daß die Union das Zusammenwachsen der Teile Deutschlands auch auf sozialem Gebiet nicht bürokratisch regelt, sondern gute Erfahrungen miteinander verbindet.
Ein weiterer Schritt: Eltern werden künftig zur Pflege kranker Kinder entlastet, und zwar durch eine jährliche Freistellung von zehn Tagen, für Alleinerziehende von 20 Tagen. Heraufgesetzt wurde die Altersgrenze. Auch die Dauer des Bezugs von Krankengeld wurde verlängert.
Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis zum Schuleintritt ein erheblicher Fortschritt eingeleitet.
({6})
Ich möchte ausdrücklich betonen: Wir werden sehen, wie das vor Ort geklärt und gelöst werden kann. Wir haben schon sehr gute Beispiele. In Sachsen ist dieser Rechtsanspruch schon geregelt. Die Länder müssen ja nicht bis 1997 warten.
({7})
Ich will den Katalog der Maßnahmen nicht abschließend aufzählen. Er ist nachzulesen. Wir haben in den Ausschußberatungen Gelegenheit genug, uns um die einzelnen Punkte zu streiten und hoffentlich fair zu diskutieren.
Die genannten Maßnahmen sind mit einem beträchtlichen Kostenaufwand für Bund und Länder verbunden. Im Gegensatz zu anderen, bereits eingebrachten Gesetzentwürfen zu diesem Thema haben wir, die Union, für unseren Gesetzentwurf eine solide Finanzierungsbasis erarbeitet. Das ist ein entscheidender Punkt für die Glaubwürdigkeit unserer Familienpolitik. Das möchte ich ausdrücklich benennen.
({8})
Die Mißachtung der unantastbaren Würde des Menschen und die Freigabe des strafrechtlichen Schutzes ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
({9})
Jeder Schwangerschaftsabbruch ist Unrecht. Deswegen regelt der dritte Teil unseres Entwurfs, unter welchen Voraussetzungen Frau und Arzt einen Abbruch straffrei vornehmen können. Mit der Aufnahme der psychosozialen Indikation gehen wir auf die besondere Konfliktlage der Frau ein. Es wird der subjektiven Verantwortung der Schwangeren Rechnung getragen. Die Neuregelung des strafrechtlichen Teils hat folgende Verbesserungen. Ich möchte sie ausdrücklich benennen.
Der abbrechende Arzt darf sich nicht mehr primär auf das Urteil eines anderen verlassen. Er muß selbst mit der Schwangeren ein Gespräch führen und sich ein Bild von ihrer Notlage machen.
({10})
Zweitens. Die Beratung muß in einer anerkannten Beratungsstelle drei Tage vor der Indikationsstellung stattfinden. Das nach geltendem Recht mögliche zeitliche Nacheinander der Beratung ist dem Grundanspruch nicht gerecht geworden. Indikationsstellung
und Abbruch müssen von einem Gynäkologen, einem Facharzt, vorgenommen werden.
({11})
Der Arzt muß sich nach seinem Ermessen eine eigene Erkenntnis verschaffen, daß eine psychosoziale Notlage vorliegt. Die Entscheidung wird damit von der Frau und dem Arzt getroffen. Unser Entwurf sieht nicht, wie behauptet, eine Protokollierung durch den Arzt vor, sondern fordert vom Arzt lediglich das Festhalten der ärztlichen Beurteilung entsprechend dem geltenden Standesrecht.
({12})
Ich wünsche für unsere bevorstehenden Beratungen, daß wir uns von dem Grundsatz leiten lassen, der da heißt: Verurteile keinen, ehe du in seiner Lage warst.
({13})
Ich wünsche, daß die bevorstehenden Beratungen mit Ernst und Würde geführt werden. Die Ehrfurcht vor dem Leben, geboren oder ungeboren, gebietet nicht, so meine ich, Vorgänge der Schöpfung anmaßend und vordergründig unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu beurteilen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme aus der DDR, und ich habe in den vergangenen Jahren den intensiven Kampf, den die westdeutsche Frauenbewegung seit ihrer Entstehung gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs geführt hat und immer noch führt, eher mit beiläufigem Interesse verfolgt. Denn das Problem, daß Frauen von Staats wegen das Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen, die ihren Körper, ihr Leben betreffen, verwehrt wird, hatten wir in der DDR nach 1972 zumindest in diesem Punkt und in dieser Schärfe nicht mehr.
Die deutsche Vereinigung hat vieles von dem vernichtet, was den hohen gesellschaftlichen Status von Frauen in der DDR bestimmt hat. Das ist hier schon des öfteren diskutiert worden. In Fortsetzung der Anschlußpolitik ist es das erklärte Ziel der Regierungskoalition, die im Beitrittsgebiet noch geltende Fristenregelung, die das Recht auf Abtreibung wenigstens in den drei Schwangerschaftsmonaten garantiert, zu beseitigen.
In Ostdeutschland begann - vor allem in der Frauenbewegung - eine intensive Auseinandersetzung mit den Bedingungen, denen westdeutsche Frauen ausgesetzt sind, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen wollen, sowie mit den Argumentationsmustern, mit denen diese frauenfeindlichen und inzwischen auch im europäischen Rahmen - Frau Wettig-Danielmeier hat das hier schon genannt - obsolet gewordenen Bestimmungen von Teilen des konservativ-klerikalen Spektrums verteidigt bzw. sogar noch verschärft werden sollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle eine kurze persönliche Bemerkung einfügen. Das Bemerkenswerte an der in der letzten Zeit ja mit einiger Heftigkeit geführten Debatte ist für mich nicht so sehr die Tatsache, daß es verschiedene Standpunkte gibt, daß es sogar sehr, sehr konträre Standpunkte gibt. Es ist vielmehr die Tatsache, daß mit militanter Selbstverständlichkeit klerikalistische Kreise, Lebensschützer und rechtslastige Politiker die Meinungsführerschaft gerade in dieser Frage, in der Frage des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften, beanspruchen. Hier wird in für mich erschreckender Weise
({0})
- hören Sie einmal zu - ein totalitärer Herrschaftsanspruch deutlich, der sich von dem der SED kaum unterscheidet.
({1})
Mit autoritärer Arroganz wird hier versucht, Auffassungen, die ausschließlich aus einem bestimmten Weltverständnis - für das ich durchaus Verständnis habe und auch Toleranz aufbringe - ableitbar sind, Menschen mit anderen Weltanschauungen aufzuzwingen.
({2})
Das ist angesichts des hier immer wieder reklamierten Niveaus des Demokratieprozesses, des Demokratiezustandes durchaus eine Analyse wert.
({3})
Zurück zum Thema. Eine Frage, die ich insbesondere im Beitrittsgebiet von Frauen und Männern immer wieder höre, ist: Warum wird an einer strafrechtlichen Verankerung so krampfhaft festgehalten, wo doch der internationale Vegleich und insbesondere auch der zwischen der DDR und der Alt-BRD zeigt, daß die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche, die verringern zu wollen man ja vorgibt, von ganz anderen Faktoren wie z. B. Liberalität im Umgang mit Sexualität und vor allem Ausmaß an sexueller Aufklärung abhängt? Strafrechtliche Bestimmungen verhindern Abbrüche nicht - ich weiß nicht, wie oft man das hier noch sagen soll -; sie legen nur die Bedingungen fest, unter denen Frauen Abtreibungen vornehmen lassen müssen, falls sie sich dazu entschlossen haben.
Eine zweite Frage ist: Wieso werden Frauen dazu gezwungen, ihren Wunsch nach Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft vor fremden Menschen zu begründen? Niemand außer der Schwangeren selbst kann ihre Situation erfassen und verstehen. Allein die schwangere Frau kann für sich selbst entscheiden, ob sie ein Kind möchte oder nicht, und, wenn sie es möchte, ob sie in der gegebenen Situation in der Lage ist, die Verantwortung für das Kind wahrzunehmen. Das Schlimme an der ganzen Geschichte ist, daß Frauen bei dieser erzwungenen Rechenschaftslegung
noch nicht einmal die Sicherheit haben, daß ihre Situationsdarstellung als Indikation für den Abbruch anerkannt wird.
Eine dritte Frage lautet: Was soll die Festlegung einer Frist? Sie basiert auf der Unterstellung, daß die Frauen nicht selbst dazu in der Lage sind, die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Sie basiert auf der Unterstellung, daß sie nicht von sich aus ein elementares Interesse daran haben, den beabsichtigten Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft so früh wie möglich vornehmen zu lassen.
Fazit: Der vorgebliche Zweck der §§ 218 und 219 des westdeutschen Strafgesetzbuches wird verfehlt.
({4})
Dennoch haben die restriktiven Bestimmungen einen Sinn: Sie transportieren mit absoluter Klarheit das Frauenbild dieser westdeutschen Gesellschaft: Verantwortlich und autonom handelnde Frauen mit eigenständigen Lebensentwürfen kommen darin nicht vor. Frauen sind in diesem Bild per se unmündig, unwissend und vor allem unfähig, sie selbst betreffende Fragen zu entscheiden.
({5})
Genau aus diesem Blickwinkel heraus wird Frauen das Recht auf Selbstbestimmung verweigert.
Die Transportation genau dieses Frauenbildes und die Entmündigung und Demütigung von Frauen sind die einzige Aufgabe dieser Schandparagraphen.
({6})
Noch eine weitere ideologiegeprägte Zumutung taucht in der Debatte um eine Neufassung der gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch immer wieder auf: Das ist der Tötungsvorwurf gegenüber abtreibenden Frauen. Er beruht auf der Fiktion, daß es sich bei der Leibesfrucht der Frau um einen eigenständigen Menschen handelt.
({7})
Dazu ist festzustellen: Solange die Schwangerschaft andauert, ist die Leibesfrucht Teil des Körpers der Frau. Die Frau schafft den neuen Menschen unter Einsatz ihres Körpers, ihres Lebens. Die Leibesfrucht ist menschliches Leben, dessen Entwicklung in Symbiose mit der Frau erfolgt.
({8})
Die Weigerung einer Frau, diese symbiotische Beziehung zur Leibensfrucht einzugehen bzw. fortzusetzen, kann deshalb mit Mord und Totschlag nicht verglichen werden. Der Schwangerschaftsabbruch ist nicht die Zerstörung eines selbständigen Anderen,
sondern die Weigerung, einen Anderen im eigenen Leib herzustellen.
({9})
Wer vom Schutz des Ungeborenen spricht, dabei aber meint, der Embryo sei ein eigenständiger Mensch, der vor der Frau, in der er sich befindet, geschützt werden müsse, hat das Ungeheuerliche schon getan: Frauen grundsätzlich als potentielle Mörderinnen zu sehen. Deutlicher, denke ich, kann die Inkompetenz der Vertreter dieser Auffassung in diesen Fragen nicht unter Beweis gestellt werden. Bezeichnenderweise - das ist der Witz - insistieren dieselben Leute darauf, daß diese potentiellen Mörderinnen ihre Schwangerschaft möglichst in jedem Fall austragen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf einen anderen Aspekt eingehen, der von höchster Brisanz ist, aber nichtsdestoweniger bisher kaum Erwähnung fand. Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zwingt Frauen dazu, sich jahre-, vielleicht sogar jahrzehntelang der Wirkung potentiell gesundheitsgefährdender, vermeintlich sicherer Verhütungsmittel auszusetzen.
({11})
Die derzeit allgemein zugänglichen Schwangerschaftsverhütungsmittel sind mit einer Ausnahme für die Anwendung durch Frauen konzipiert. Damit werden Frauen sowohl die Verantwortung für die Verhütung von Schwangerschaften als auch die mit der Anwendung verbundenen gesundheitlichen Schädigungen zugemutet. Gegenwärtig ist die Situation so, daß Verhütungsmethoden und Verhütungsmittel, deren Anwendung gesundheitlich unschädlich ist, unsicher sind und die als sicher geltenden Verhütungsmittel Gefahren für die Gesundheit von Frauen mit sich bringen.
Die Erfahrungen von Frauen zeigen, daß die Anwendung hormoneller Antikonzeptiva verbunden ist mit erhöhten Risiken bezüglich Herzinfarkt, Thrombose, Brustkrebs, Lebertumoren usw. und auch verbunden sein kann mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
({12})
- Machen Sie sich doch sachkundig!
({13})
Angesichts dieser Situation widersprechen wir der in der Diskussion um die Abtreibung immer wieder geäußerten Behauptung, das Schwangerschaftsabbrüche kein Mittel zur Geburtenkontrolle sein dürfen. Im Klartext: Es bedeutet für Frauen ein weitaus geringeres gesundheitliches Risiko, natürliche Verhütungsmethoden anzuwenden und Abtreibungen, die infolge der Fehlerquote notwendig werden können, in Kauf zu nehmen, als sich jahrelang der Wirkung eben beschriebener potentiell gesundheitsgefährdender Antikonzeptiva auszusetzen. Voraussetzung ist natürlich, daß Abtreibungen zu einem frühen Zeitpunkt und mittels schonender Methoden durchgeführt werden. Das ist klar.
Nun zu dem hier vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit von Frauen beim Umgang mit ungewollten Schwangerschaften, der - die Meinung bedeutender Teile der Frauenbewegung in Ost und West widerspiegelt und auch aus feministischen Diskussionszusammenhängen heraus entstanden ist. Dieser Entwurf, eingebracht von der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN, wird inhaltlich von der im Text namentlich genannten Minderheit dieser Bundestagsgruppe getragen. Ich sage das nur, damit hier keine Irritationen auftreten.
Der Gesetzentwurf regelt, wie im Titel ausgedrückt, ausschließlich den Umgang mit ungewollten Schwangerschaften. Soziale Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang bewußt nicht diskutiert, da der Wunsch, eine Schwangerschaft abzubrechen, nicht primär eine Frage der sozialen Situation ist. Entsprechende Statistiken belegen das. Die Verkoppelung von Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch mit sozialen Hilfen geht am Problem vorbei. Ungewollte Schwangerschaften wird es immer geben, so verschiedenartig die gesellschaftlichen und damit auch die sozialen Verhältnisse sein mögen.
Die Kernpunkte dieses Gesetzentwurfes: Er beinhaltet erstens die Legalisierung der eigenständigen Entscheidung von Frauen zum Schwangerschaftsabbruch, verzichtet zweitens auf eine Fristfestsetzung, fordert drittens die Länder auf, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Schwangerschaftsabbrüche unter medizinisch optimalen Bedingungen stattfinden können, fixiert viertens einen Rechtsanspruch auf umfangreiche Beratung und Aufklärung zur Verhinderung von ungewollten Schwangerschaften und verpflichtet schließlich fünftens die Kassen zur Kostenübernahme für Abbrüche und Verhütungsmittel aller Art.
Schwangerschaft, Geburt und das Leben mit Kindern verändern die Lebenssituation und Lebensperspektive einer Frau grundlegend. Ausschließlich sie selbst ist in der Lage zu ermessen, welche Bedeutung und Auswirkung das für sie hat. Es ist ein konstitutives Moment der Selbstbestimmung der Frau, die Entscheidung darüber treffen zu können, ob sie ein Kind gebären will oder nicht. Daher ist es erforderlich, Frauen einen Rechtsanspruch auf Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft einzuräumen.
Die Entscheidung einer Frau über den Abbruch ihrer Schwangerschaft verdient grundsätzlich den gleichen Respekt wie die Entscheidung, sie auszutragen. Grundsätzlich kann weder aus der einen noch aus der anderen Entscheidung auf das Maß an Verantwortungswahrnahme geschlossen werden, wie das hier zum Teil in demagogischer Weise passiert.
Ich komme zum Schluß. An dem Recht, über den Abbruch oder die Fortsetzung einer Schwangerschaft selbst entscheiden zu können, manifestiert sich letzten Endes, welche Entscheidungsfreiheit Frauen hinsichtlich der Gestaltung ihres Lebens von der Gesellschaft zugebilligt wird.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herbert Werner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mensch ist von Anfang ein unverwechselbares Wesen, ausgestattet mit eingeborener Würde und mit unveräußerlichem Recht auf Leben. Und für den Christen ist er Gottes Ebenbild.
({0})
Das Recht auf Leben ist e i n Höchstwert in unserer Verfassung. Deswegen ist der Staat des Grundgesetzes verpflichtet, dieses Rechtsgut zu schützen. Die Qualität unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, hängt davon ab, wie wir mit den Schwächsten umgehen. Es ist deswegen ein Armutszeugnis für diesen Staat und für diese Gesellschaft, wenn wir über 300 000 Tötungen pro Jahr in unserer Wohlstandsgesellschaft feststellen müssen.
({1})
Es ist, meine Damen und Herren, auch eine Folge des Zeitgeistes, des Sich-Ausleben-Müssens und der sogenannten Selbstverwirklichung der Frau, daß in zunehmendem Maße Gefälligkeitsindikationen gestellt werden,
({2})
was in Anbetracht fehlender Nachprüfbarkeit um so leichter ist.
Ein fundamentaler Fehler ist es, das Selbstbestimmungsrecht der Frau dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes als gleichwertig gegenüberzustellen.
({3})
Das Lebensrecht des Kindes hat zunächst Vorrang. Das Kind ist nicht frei verfügbarer Besitz der Schwangeren, und das geborene Kind ist auch nicht frei verfügbarer Besitz der Eltern und der Familie.
({4})
Wichtig ist, daß wir, meine Damen und Herren, das Maßnahmenbündel von Aufklärung an den Schulen, Jugend- und Familienberatung, von Schwangerschaftsberatung und Hilfen für Familien und Alleinstehende von allem Anfang an auf eine ganz neue Stufe mit ganz neuer Qualität heben. Notwendig ist aber auch eine neue Form des Umgangs mit diesem schwierigen Problem in der Öffentlichkeit und in den Medien.
({5})
Diese Hilfen, von denen heute schon gesprochen wurde, sind in unserem Entwurf identisch mit denen des Entwurfs der CDU/CSU; wir haben sie gemeinsam erarbeitet. Ich möchte aber nachdrücklich darauf hinweisen, daß Schwangere zur Bejahung ihrer Lebenssituation Langzeitperspektiven brauchen, und hier müssen wir noch vieles leisten. Ich denke insbesondere an das Kindergeld und, im allgemeinen, an
eine drastische Erhöhung des Familienlastenausgleichs.
({6})
Denn, meine Damen und Herren - ich will es hier sagen -: Die familienpolitische Sicherung unserer Zukunft sollte uns in letzter Konsequenz doch genauso viel wert sein wie die militärische Sicherung nach außen.
({7})
In den Beratungen werden wir die Vorschläge für eine Obhutspflicht für alle Kinder, die im Augenblick der Geburt nicht angenommen werden können, mit in die Diskussion einbringen.
({8})
Ebenfalls mit einbringen werden wir die Frage der sogenannten Amtspflegschaft für Ungeborene. Denn, meine Damen und Herren - wir sagen es deutlich - : Auch eine Behinderung kann zunächst einmal kein rechtfertigender Grund für die Beseitigung des Lebensrechts des ungeborenen Menschen sein.
({9})
Wir begrüßen nachdrücklich die Pflichtberatung, die in einfühlsamer Form
({10})
zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen soll, die ermutigen soll, auch in einer schwierigen Konfliktsituation ein Ja zur Austragung des Kindes zu sagen. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Hier wird von Konflikten gesprochen. Doch der Konflikt geht der Schwangerschaft meist schon ursächlich voraus. Es zeigt sich, daß der eigentlich zugrunde liegende Konflikt dann erst im Falle einer unerwünschten Schwangerschaft zum Vorschein kommt.
({11})
Denn es sind meist Partnerschaftskonflikte oder andere schwerwiegende Fragen, die dieser schwierigen Situation zugrunde liegen.
({12})
Unser aller Auftrag, meine Damen und Herren, muß lauten: Helfen und schützen ist besser als töten!
({13})
Denn das ungeborene Kind ist das schwächste Glied in unserer Gesellschaft. Deswegen hat auch das Verfassungsgericht von dem Schutz des Strafrechts als Ultima ratio gesprochen. Dieser Schutz erstreckt sich über die ganze Zeit der Schwangerschaft. Deswegen lehnen wir jede Form einer Fristenregelung ab; denn sie würde für die Schwangere ein Sonderrecht schaffen. Sie würde die rein subjektive Entscheidung, die das Verfassungsgericht ausdrücklich verworfen hat,
in den Mittelpunkt stellen - an Stelle einer Güterabwägung, die geboten und notwendig ist.
({14})
Ein Recht auf Abtreibung kann es in einem Staat, der Achtung vor dem Menschenrecht und dem Lebensrecht hat, nicht geben.
({15})
Wir haben - deswegen haben wir unseren Entwurf eingebracht - auch Bedenken gegen den Entwurf der CDU/CSU. Uns ist die Darlegung der psychosozialen Indikation zu schwammig. Wir sind der Auffassung, daß eine Notlage tatsächlich vorhanden sein muß, nachprüfbar sein muß, daß der Arzt sich zumindest darum bemühen muß, sich der tatsächlichen Not zu vergewissern.
Der Arzt darf - das sagt auch der Mehrheitsentwurf der Union - nicht wider besseres Wissen handeln. Aber er stellt dort seine Indikation im Rahmen des Standesrechts, wie es der Neuausdruck noch einmal deutlich macht.
Auch an dieser Stelle unterscheiden wir uns mit dem Minderheitenentwurf entscheidend, weil wir dort die schriftliche Darlegung der Beweggründe, die den Arzt zu seiner Indikationsstellung führen, haben wollen.
Wir sprechen und plädieren für die Objektivierung der Voraussetzungen für eine Tötungshandlung. Um eine Tötungshandlung handelt es sich bei einem jeden Schwangerschaftsabbruch und bei einer jeden Abtreibung, wie Sie es auch nennen mögen.
({16})
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß wir vor dem Hintergrund der Bewußtseinsbildung die Abtreibung als das benennen müssen, was sie ist: Tötung eines ungeborenen Kindes.
({17})
Diese Tötungshandlung steht zunächst prinzipiell unter Strafandrohung. Diese Strafandrohung richtet sich zunächst vom Grundsatz her sowohl gegen die Schwangere als auch gegen den Arzt. Aber sie wird zurückgenommen bei Vorliegen einer schweren besonderen Bedrängnis der Frau, bei medizinischer Indikation und bei Einhaltung eines festgelegten Verfahrens, in welchem der Arzt, wie bereits gesagt, sich des Vorhandenseins der tatsächlichen Notlage vergewissern muß!
Es versteht sich von selbst, daß davon zunächst die sogenannte vitale Indikation betroffen ist. Straflosigkeit halten wir darüber hinaus auch für geboten, wenn für die Schwangere die Gefahr einer schwerwiegenden und dauerhaften Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes besteht, die auf eine andere zumutbare Weise nicht abgewehrt werden kann. Diese Gefährdung - ich wiederhole es - muß tatsächlich vorliegen und darf nicht nur aus der Darlegung der Frau hervorgehen.
Herbert Werner ({18})
Meine Damen und Herren, es ist nur recht und billig, von dem Arzt zu verlangen, daß er die Frau bei der Tatsachen- und Wahrheitsermittlung um Mithilfe bittet, denn die Frau kann ja nicht automatisch davon ausgehen, daß sie eine Indikation von diesem Arzt in jedem Fall gestellt bekommt.
Dieser Arzt muß seine Indikation und die dafür entscheidenden Gesichtspunkte schriftlich festhalten. Er muß dies tun, denn er handelt hier in letzter Konsequenz als Richter und Herr über Leben und Tod.
({19})
Er tut hier etwas, was - wenn überhaupt - in letzter Konsequenz nur dem Staat zustehen kann. Deswegen ist eine Verobjektivierung auch nach Meinung des Verfassungsgerichts im Jahre 1975 notwendig.
({20})
Wir sind, meine Damen und Herren, keine blinden Fundis, wie man uns darzustellen versucht hat.
({21})
Wir sind allerdings der Auffassung, daß die Tötung eines ungeborenen Menschen nur die allerletzte Maßnahme sein kann, nämlich dann, wenn auf keine andere wirklich zumutbare Weise eine Abhilfe der Not und eine Abwendung des Konflikts geschaffen werden kann.
({22})
Deswegen ist das, was wir vorschlagen, ein zusätzlicher Schutz für Frau und Kind. Unser Ansatz ist es, die Gesamtzahl der Hilfen für Schwangere und Kinder zu verbessern. Aber unser Ziel ist es damit auch, diesem massenhaften Töten ungeborener Kinder in unserer Wohlstandsgesellschaft ein Ende zu bereiten.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat die Abgeordnete Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Streitpunkt öffentlicher Diskussionen ist er ja nun schon monatelang - der berühmt-berüchtigte und zutiefst frauenfeindliche § 218. Für und Wider prallt unversöhnlich aufeinander, und selbsternannte Lebensschützer lassen keine Peinlichkeit aus, die anstehenden Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Mit ihnen wird übrigens sehr großzügig umgegangen. Unangefochten können sie direkt vor der Tür des Bundeshauses ihre Propagandablättchen an Frau und Mann bringen, während ich mich mit der Bundestagsverwaltung darüber herumstreiten muß, ob ich unter dem Mercedesstern im Bonn-Center von meinem Bürofenster aus die von vielen Frauen erhobene Forderung nach Streichung des § 218 deutlich sichtbar werden lassen kann.
({0})
Mit der heutigen Debatte ist die parlamentarische Runde eröffnet, die insofern schon ungewöhnlich ist, weil es im Vorfeld erbitterte Auseinandersetzungen quer zu den üblichen Fraktions- und Parteistrukturen sowie vielfältigste Versuche gegeben hat, einen mehrheitsfähigen Kompromiß zusammenzuschustern.
Nach langem Tauziehen in der CDU/CSU und monatelangem Geschiebe hinter den Kulissen liegen dem Parlament nun sechs Gesetzentwürfe zur Beratung vor, darunter der der PDS/Linke Liste, den ich in seinen Grundzügen vorstellen will.
Bei dieser heutigen Debatte geht es einmal mehr um existentielle Fragen. Es geht darum, welcher Platz Frauen zukünftig in dieser Gesellschaft zugewiesen werden soll. Wird ihnen endlich das Recht zuerkannt, selbstbestimmt zu leben? Können sie zukünftig ohne Druck entscheiden, ob sie mit Kindern oder ohne Kinder leben wollen? Wird hier heute endlich die Voraussetzung geschaffen, daß Frauen ihr grundgesetzlich garantiertes Recht auf ein Leben in Würde wirklich leben können, indem patriarchalische Bevormundung aus den Gesetzen verschwindet, oder will der Staat weiterhin in die Lebensplanung der Frauen hineinregieren, den Zugriff auf den intimsten Bereich, den weiblichen Körper, gesetzlich fixieren und damit unterstreichen, daß in dieser Gesellschaft weiterhin über Frauen verfügt wird und dies sogar die Ausbeutung ihrer Gebärfähigkeit einschließt?
Die Abgeordneten der PDS/Linke Liste wollen dies alles nicht. Nach unserer Auffassung läßt sich an der unseligen 120jährigen Geschichte des § 218 leicht nachweisen, daß dieser immer dazu benutzt wurde, Frauen zu entmündigen, sie zu demütigen und zu Objekten übergeordneter Interessen, etwa der Bevölkerungspolitik, zu machen.
Aus diesen Gründen geht es in dem von der PDS/ Linke Liste eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches zuallererst um Wohl und Würde der Frau. Wir fordern die grundsätzliche Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches und schlagen dafür ein Gesetz vor, das einen Rechtsanspruch der Frau sichert, und zwar auf drei unterschiedlichen Ebenen.
Erstens fordern wir die ersatzlose Streichung der §§ 218 bis 219d aus dem Strafgesetzbuch und der §§ 153 bis 155 aus dem entsprechenden Gesetzbuch der ehemaligen DDR.
Zweitens wollen wir, daß Art. 2 des Grundgesetzes um einen 3. Absatz erweitert wird, in dem die Entscheidungsfreiheit der Frauen über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft verfassungsrechtlich geschützt ist.
Drittens soll nach unserer Auffassung ein Gesetz geschaffen werden, das neben dem Rechtsanspruch der Frauen auf Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft Mindeststandards einer medizinischen Versorgung flächendeckend sichert.
Allein durch die Streichung der §§ 218 ff. aus dem Strafgesetzbuch ist nach unserer Überzeugung nicht zwangsläufig ein frauenfreundlicher Rechtsstatus hergestellt. Es entsteht damit lediglich ein rechtsfreier Raum und damit die Gefahr, daß dieser durch verPetra Bläss
waltungs- oder gesundheitsrechtliche Vorschriften - z. B. auf Länderebene, wie es teilweise auch jetzt Praxis ist - so ausgefüllt wird, daß Schwangerschaftsabbrüche erschwert, verhindert bzw. schlicht unzumutbar werden.
Außerdem steht zu befürchten, daß angesichts neuer eugenischer Tendenzen Frauen zum Schwangerschaftsabbruch genötigt werden, z. B. Behinderte, Sucht- oder Aidskranke, Ausländerinnen oder jene, die vermutlich ein behindertes Kind erwarten. Um all dem vorzubeugen, enthält unser Gesetzentwurf flankierende Maßnahmen zur ersatzlosen Streichung.
Die zentrale Forderung ist dabei die Verankerung des Rechts auf Entscheidungsfreiheit in der Verfassung. Deklaratorisch wollen wir hier die Einheit zwischen Frau und ihrer Leibesfrucht festgeschrieben wissen. Dazu veranlaßt uns die Grundgesetzauslegung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil von 1975 gegen die Fristenregelung. Aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat die Mehrheit der Verfassungsrichter abgeleitet, daß das sich im Mutterleib entwickelnde Wesen ein selbständiges Rechtsgut sei, und hat damit eindeutig für den Lebensschutz der Leibesfrucht und gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen entschieden. Mit einer solchen gedanklichen Trennung von Frau und Embryo wird die fatale Vorstellung verknüpft, die Leibesfrucht könne vor der oder gegen die schwangere Frau geschützt werden; naheliegend auch dann, Frauenrechte einzuschränken. Dem Fötus Rechte und Eigenschaften zuzuschreiben ohne die Abhängigkeit von der schwangeren Frau zu berücksichtigen, stützt die Position von Lebensschützern, Frauen zum embryonalen Mutterschiff herabzuwürdigen.
Meine Damen und Herren, um gleiche und vor allem gute Bedingungen für Frauen zu schaffen, wollen wir mit der Einführung eines Gesetzes zur Sicherung von Mindeststandards beim Schwangerschaftsabbruch positive Maßstäbe im Interesse der Frauen setzen. Frauen sollen selbstverständlich und selbstbewußt die optimalsten Bedingungen einfordern können. Deshalb werden in unserem Gesetzentwurf die Landesbehörden verpflichtet, flächendeckend Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch stationär und ambulant bereitzustellen. Gerade auf dem Gebiet der alten Bundesländer gibt es gravierende regionale Unterschiede, und wie in vielen anderen Fragen ist es sicher nicht falsch, auch hier von einem Nord-SüdGefälle bei der Infrastruktur zum Schwangerschaftsabbruch zu sprechen.
Besonders vernachlässigt wurde das Angebot an ambulanten Einrichtungen. Dies gilt auch für das Gebiet der ehemaligen DDR, wo ausschließlich die Möglichkeit zu stationärer Behandlung mit einem medizinisch völlig überflüssigen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt bestand.
Daß in allen Einrichtungen die schonendste Behandlungsmethode angewendet werden muß, ist auch Bestandteil unseres Gesetzentwurfes. Gegen den Willen einer Frau sollen Schwangerschaftsabbrüche selbstverständlich nicht stattfinden.
({1})
Sie muß ihre Einverständniserklärung persönlich erteilen. Damit wird ein Schutzmechanismus gegen die zur Zeit besonders aktuelle Trennung in schutzwürdiges und weniger schutzwürdiges werdendes Leben installiert; siehe das Festhalten an der eugenischen Indikation bei den Lebensschützern.
Im Interesse bevölkerungspolitischer Überlegungen darf keine Frau unter Druck gesetzt werden. Fremdbestimmung von Frauen vollzieht sich bei schwangeren Frauen vor allem über das Mittel der Beratung. Daher sieht unser Gesetzentwurf vor, eine Zwangsberatung auszuschließen. Die Entscheidung der Frau ist zu akzeptieren. In dieser höchstpersönlichen und intimen Frage hat die Beratung durch fremde Personen eine nachgeordnete Funktion.
({2})
Die Frau kennt ihre Lebensumstände und Wünsche und kann die Konsequenzen sehr wohl allein abschätzen.
({3})
Sie ist in dieser Situation vielmehr auf Verständnis und Unterstützung angewiesen. Aus eben diesem Grund setzen wir uns für ein breit gefächertes und neutrales Beratungsangebot ein, das von jeder Frau freiwillig und natürlich kostenlos wahrgenommen werden kann. Ein diesbezüglicher Bedarf besteht ganz sicher in den neuen Bundesländern; denn auch dort waren Sexualität und Schwangerschaftsabbruch tabuisiert, so daß viele Frauen auf mehr Information und Offenheit hoffen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch ein Wort darüber sagen, warum in unserem Gesetzentwurf nichts zur notwendigen Sexual- und Verhütungsmittelberatung ausgesagt wird. Wir sind der Auffassung, daß es sich dabei um eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe handelt, die nicht mit der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs zu verknüpfen ist.
Ungewollt schwangere Frauen sind nicht per se Adressatinnen von Aufklärungsangeboten. Wir denken, daß es dazu ebenso wie zur kostenlosen Bereitstellung von Verhütungsmitteln eines eigenen Gesetzes bedarf. Den entsprechenden Antrag haben wir im übrigen bereits eingebracht, und er steht heute zur Debatte.
Auf eine Fristenregelung ist in unserem Entwurf bewußt verzichtet worden, weil nach meiner tiefen Überzeugung weder medizinische noch moralische Gründe einen so schwerwiegenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau rechtfertigen.
({4})
Alle Erfahrung beweist, daß Frauen sehr problem- und verantwortungsbewußt mit der Frage Fortsetzung oder Abbruch einer Schwangerschaft umgehen. Wenn ihnen das demütigende und in der Regel auch höchst verlogene Prozedere um die Verordnung einer Indikation zu betteln, abgenommen wird, werden sie auch so früh wie möglich die Schwangerschaft abbrechen. Alle anderen Vorwürfe sind Ideologie und be3636
Petra Blass
wußte Diffamierung und haben wenig mit dem wirklichen Frauenleben zu tun.
Ich denke, daß wir mit unserem Gesetzentwurf nicht nur dazu beitragen, daß sich die BRD in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs endlich europäischen Standards anpaßt.
({5})
und nicht länger durch besonders repressive Regelungen glänzt. Unser Gesetzentwurf trägt auch veränderten Moral- und Wertvorstellungen Rechnung. Er geht von dem mündiger werdenden Individuum aus, das sich seines eigenen Verstandes bedient und selbständig in der Lage ist, sich an sozialen und humanen Maßstäben zu orientieren und dabei auf staatliche Bevormundung zu verzichten. Wer den Verstand des Individuums durch den Staatsanwalt meint ersetzen zu müssen, greift tief in die Persönlichkeitsrechte des Individuums ein und macht sich eines längst überholten Paternalismus schuldig. Das Selbstbestimmungsrecht ist unteilbar.
Wir haben mit der Forderung nach Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs die Anliegen vieler Frauen in Ost und West aufgegriffen. Die Ergebnisse einer landesweit geführten und von einem breiten Bündnis gegen den § 218 mitgetragenen Unterschriftensammlung wird meine Kollegin Barbara Höll heute noch übergeben.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Da mein Platz gestern abend bei den vor dem Berliner Roten Rathaus gegen den § 218 protestierenden Frauen und Männern war, möchte ich schon vorab, sozusagen taufrisch, der Frauenministerin Merkel die während dieser Protestkundgebung eingegangenen Unterschriften übergeben. Vor dem neuen Domizil des Berliner Senats wurde an uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier appelliert, uns hier im Bundestag für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs einzusetzen, die der Würde und dem Wohl der Frau entspricht.
In diesem Sinne: Kein § 218 in Ost und West!
({6})
Die Abgeordnete Bläss weiß, daß sie das Parlament nicht als Ort für Demonstrationen benutzen darf.
({0})
Sie hat der Ministerin die Unterschriften gegeben, und diese hat sie entgegengenommen.
({1})
- Wenn die Meinung besteht, ich hätte nur gesehen, daß sie sie angenommen hat - ({2})
- Ich regle das gleich; Ihre Unruhe wird sich dann legen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Heiner Geißler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bekenne offen, daß ich bei diesem Thema als Mann nicht so gerne das Wort ergreife.
({0})
Ich möchte das, was Frau Würfel und andere Frauen über die Konfliktsituationen gesagt haben, in die Frauen bei einer Schwangerschaft kommen können, nicht in Frage stellen. Das sind Konfliktsituationen, die diejenigen gar nicht beurteilen können, die sich in diesen Konfliktsituationen nie befunden haben.
({1})
Dies gilt in bezug auf die Wohnung, auf die Einsamkeit, auf den fehlenden Partner.
Die Kritik, die an den Männern geübt worden ist, ist ja nicht ganz unberechtigt. Die Angst, die sozialen Notlagen, die Möglichkeit, sogar ein behindertes Kind auf die Welt bringen zu müssen, die Situation nach einer Vergewaltigung - das sind Konfliktsituationen, die wir als psychosoziale Notlagen bezeichnen, die oft ein subjektiver Befund sind und objektiv vielleicht gar nicht so aussehen. Aber darauf kommt es ja nicht an. Es kommt darauf an, wie die Frau mit dieser Konfliktsituation fertig wird. Deswegen anerkennt die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Gesetzentwurf die psychosoziale Notlage und ist der Auffassung, daß es eben nicht strafbar sein soll, wenn das Ergebnis dieser Notlage eine Abtreibung ist. Dies ist die eine Seite.
Vor 100 Jahren hat der Papst Leo XIII. die Enzyklika „Rerum novarum" erlassen. Es war die - das will ich gerne zugeben - verspätete Antwort auf die alte soziale Frage: die Arbeiterfrage. Das war eine Frage, die in der Ausbeutung schutzloser Menschen, der Arbeiter, der Frauen, begründet war. Es gab die Kinderarbeit und andere verfehlte soziale Entwicklungen zu Beginn der Industrialisierung. Das Kommunistische Manifest hat - mit verheerenden Folgen - ein Problem richtig erkannt, aber eine falsche Antwort gegeben. Das ist die Situation.
Die alte soziale Frage, die Arbeiterfrage ist gelöst.
({2})
- Sie ist im wesentlichen in Westdeutschland gelöst. Es wäre wirklich ein schlimmes Urteil für die Arbeit der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften, wenn dies nicht so wäre. Das muß ich aber nun wirklich sagen.
({3})
Niemand kann doch bestreiten, daß es neue soziale Fragen gibt. Die neuen sozialen Fragen, die wir beurteilen, haben eben ihre Begründung in der Tatsache, daß Menschen, die keine oder nur eine schwache Lobby haben, nicht über Droh- und Störpotentiale verfügen, um ihre Interessen gegen machtvolle Organisationen durchsetzen zu können.
Daß auch diese Menschen Hilfe brauchen - die neue soziale Frage in diesem Sinne ist bis heute nicht gelöst - , ist eine Frage, die die Christlich Demokratische Union schon in den 70er Jahren aufgeworfen hat. Frauen brauchen auch heute eine Lobby; das haben wir heute morgen schon gehört. Kinder brauchen eine Lobby, aber - ich füge hinzu - auch ungeborene Kinder brauchen eine Lobby.
({4})
Für mich ist es auch zutiefst eine soziale Frage, die wir hier miteinander erörtern. Die ungeborenen Kinder können sich nun einmal nicht selber schützen. Deswegen ist das, was wir hier tun, auch ein Appell an alle, die Verantwortung tragen, natürlich an die Frauen und an die Mütter. Wir wollen hier doch nicht den Eindruck erwecken, als müsse oder solle das ungeborene Kind gegen die Frau selber geschützt werden. Ich glaube, die Frauen können die stärksten Lobbyistinnen für das Kind sein, aber wir müssen es den Frauen ermöglichen, diese Aufgabe zu erfüllen.
({5})
Natürlich spielt dabei eine Rolle, wann das Leben überhaupt beginnt. Beginnt das Leben gleich nach der Zeugung, ist das Kriterium die erstmalige Verkörperung des besonderen genetischen Programms? Ich glaube, es ist müßig, darüber zu debattieren. Entscheidend ist die Frage des personellen, individuellen Lebens. Die Frage ist bis heute nicht beantwortet. Man kann lange Debatten darüber führen, wann personales Leben beginnt; punktuell wird es niemand sagen können. Aber im dritten Monat einer Schwangerschaft ist das mit Sicherheit der Fall. Da sehen Sie die Hilflosigkeit des Strafrechts; das gilt für die SPD, das gilt sogar für die PDS, das gilt aber auch für die Freien Demokraten und für uns. Diese Hilflosigkeit des Strafrechts ergibt sich aus der Tatsache, daß es in allen Parteien unter bestimmten Bedingungen als rechtlich zulässig angesehen wird, wenn die Abtreibung am letzten Tag der 12. Woche straflos sein soll, aber auch bei SPD, PDS und FDP am ersten Tag der 13. Woche strafbar.
({6})
Dies zeigt die Hilflosigkeit des Strafrechts. Deswegen gebe ich - mit Ausnahmen, ich weiß es; außerdem kann man medizinisch noch nicht einmal feststellen, ob es der erste Tag der 13. Woche oder der letzte Tag der 12. Woche ist - dringend die Empfehlung, die strafrechtliche Frage dorthin zu tun, wo sie hingehört,
({7})
nämlich zu den Nebensachen, als die zweite und die dritte Frage.
({8})
Ich glaube, nur weil das so ist, weil das Strafrecht so hilflos ist und weil das mit dem ersten Tag der 13. Woche und dem letzten Tag der 12. Woche wohl auf keinen Widerspruch stößt, sind wir in der Union zu der Auffassung gekommen, daß diese Frage, diese schwierige Problematik nicht allein unter zeitlichen Gesichtspunkten beurteilt werden kann.
Wir sind der Auffassung, daß der mindeste Schutz für Kinder, die noch nicht auf der Welt sind, doch darin bestehen muß, daß eine eventuelle Abtreibung im Gespräch mit demjenigen, der die Abtreibung vornehmen soll, wenigstens begründet wird. Das ist unsere Position. Aber ich sage: Das ist noch nicht einmal für die Frauen entscheidend. Wenn eine schwangere Frau die Röteln bekommt, dann muß sie - heute läßt sich dies in der Vordiagnose ohne weiteres feststellen - möglicherweise damit rechnen, daß sie ein behindertes Kind erwartet. Das ist eine Konfliktsituation, die niemand beurteilen kann, der das noch nicht erlebt hat.
In meiner Zeit als Sozialminister sind mir solche Fälle vorgetragen worden. Ich persönlich habe das Gott sei Dank nie erleben müssen. Die dramatische Konfliktsituation, die sich in einer solchen Familie bei einer solchen Aussicht entwickeln kann, kann man - ich wiederhole es - von außen nicht beurteilen.
Wer glaubt, daß in einer solchen Situation das Strafrecht auch nur das mindeste dazu beitragen könnte, die Eltern dazu zu veranlassen, das Kind auf die Welt zu bringen, der täuscht sich einfach in der Lebenswirklichkeit.
({9})
Dagegen wird es für das Kind, wenn es auf die Welt kommt, doch viel entscheidender sein, ob die Mutter und der Vater - oder eben die Mutter allein - davon überzeugt sein können, daß es in eine behindertenfreundliche Gesellschaft hineingeboren wird,
({10})
in eine Gesellschaft, in der dieses Kind Lebenschancen hat, eine Betreuung hat und eine Erziehung ermöglicht bekommt. Vor allem müssen die Eltern davon überzeugt sein, daß für dieses Kind auch dann gesorgt ist, wenn es erwachsen ist und es die Eltern nicht mehr gibt. Diese Voraussetzung müssen wir doch schaffen, wenn wir ein Kind schützen wollen.
({11})
Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Diese Position vertreten wir in der Union in der überwiegenden Mehrheit.
Das heißt, für mich steht eindeutig fest: Wenn wir den Frauen und den Kindern helfen wollen, dann sind die frauen- und kinderfreundlichen Hilfen die Hauptsache und das Strafrecht ist die Nebensache.
({12})
Frau Wettig-Danielmeier, Sie haben vorhin gesagt, das harte Strafrecht Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre hätte möglicherweise den Ausbau von so3638
zialen Hilfen verhindert. Diese Einsicht hätte der SPDFraktion schon in den 70er Jahren kommen können.
({13})
Für die SPD - die Freien Demokraten klammere ich jetzt einmal aus Freundschaftsgründen aus ({14})
war damals die Liberalisierung des Strafrechtes die Hauptsache. Was war denn damals eigentlich mit den Hilfen für die Frauen los? Der Schwangerschaftsabbruch war zur Pflichtleistung der Krankenkassen geworden - was ich nicht kritisieren will, im Gegensatz zu anderen in meiner Fraktion. Sie haben damals alle unsere Anträge auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub mit Ihrer Mehrheit abgelehnt.
({15})
Sie haben das Mutterschaftsgeld über vier Monate für berufstätige Frauen eingeführt. Aber was war eigentlich mit der Arbeiterin, die schon ein Kind hatte und die bei dem Kind geblieben war? Was war mit der Handwerkerfrau, der sogenannten Nur-Hausfrau? Was war mit der Bäuerin und vielen anderen?
({16})
Diese Frauen waren damals, als Sie das alles hätten ändern können, Menschen zweiter und dritter Klasse. Dies ist die Wahrheit, auf die man hinweisen muß, wenn wir über diese Fragen reden:
({17})
Null Erziehungsgeld, null Erziehungsurlaub, null Mark Steuerfreibetrag, null Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, minus beim Kindergeld. Sie haben die arbeitslosen Jugendlichen aus dem Kindergeld und der Krankenversicherung der Eltern herausgenommen. Dies ist die Wahrheit.
({18})
Herr Kollege Dr. Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau von Renesse?
Nein. - Ich lese in einer Kleinen Anfrage der SPD-Fraktion folgenden Satz:
Nach den vom Bundesverfassungsgericht auf gestellten Grundsätzen besteht der begründete Verdacht, daß auch die Regelungen über den Familienlastenausgleich der Jahre 1986 bis heute verfassungswidrig sind.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, wenn Verfassungswidrigkeit strafbar wäre, dann hätte man damals, als Sie die Regierungsverantwortung hatten, beim Gerichtsgefängnis in Karlsruhe einen großen Anbau errichten lassen müssen, damit alle hineingepaßt hätten, die damals hineingehörten.
({0})
- Herr Vogel, Sie waren damals Bundesminister; nun seien Sie einmal friedlich.
({1})
- Nein, es ist nicht unwürdig, sondern es ist die reine Wahrheit. Wir haben das als Angriffe auf die Christlich Demokratische Union gehört.
Wir haben, seitdem wir in der Regierungsverantwortung sind, zusammen mit den Freien Demokraten die Weichenstellungen für die Familien, für die Frauen und für die Kinder entscheidend verbessert und eine erfolgreiche Familienpolitik in Gang gebracht.
({2})
Für damals 4,5 Millionen berufstätige Frauen - heute, im vereinten Deutschland, sind es zwischen 6 und 7 Millionen - haben wir den Kündigungsschutz eingeführt. Wir haben aufgeräumt mit der damaligen Alternative Kind oder Arbeitsplatz. Diese haben wir beseitigt.
({3})
Der Erziehungsurlaub wird auf drei Jahre verlängert.
({4})
Nun zum Erziehungsgeld. Eine alleinstehende Mutter in Bonn - ich sage es, damit es jeder weiß - bekommt heutzutage 18 Monate lang - ab 1993 sind es zwei Jahre - monatlich 600 DM Erziehungsgeld, 493 DM Sozialhilfe - Sie sprachen vorhin ja von den Problemen alleinstehender Frauen -, 260 DM für das Kind und einen 20%igen Mehrbedarfszuschlag, den wir durch das neue Gesetz auf 30 % erhöhen wollen. Das sind monatlich etwa 1 480 DM netto. Es kommt noch die Miete hinzu. Das bedeutet für die alleinstehende Mutter ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1 800 und 1 900 DM. Das haben wir veranlaßt, nicht Sie!
({5})
Am Ende Ihrer Regierungszeit war der Familienlastenausgleich, was die Kaufkraft angeht, gesunken. Von 1982 bis heute ist der Familienlastenausgleich, die Hilfe für Frauen und Kinder, von insgesamt 27,4 Milliarden DM um das Doppelte auf 55,6 Milliarden DM angestiegen. Das sind die Hilfen der Christlich Demokratischen Union, der Bundesregierung seit 1982, für Frauen und Kinder. Wenn Sie es mit Ihrem Sozialkatalog, den Sie im übrigen ja nicht bezahlen können, ernst meinen, dann empfehle ich Ihnen, führen Sie dort, wo Sie an der Regierung sind, in den SPD-geführten Ländern nämlich, das Landeserziehungsgeld ein, wie es z. B. in Baden-Württemberg bereits geschehen ist.
({6})
Ich empfehle Ihnen, Landesstiftungen auszubauen
({7})
und in allen von Ihnen regierten Bundesländern das zu tun, was Ihre Pflicht ist, nämlich in Ihren Kindergartengesetzen einen entsprechenden Rechtsanspruch zu verankern, wie es die CDU in Rheinland-Pfalz bereits getan hat.
({8})
Die Bundesstiftung „Mutter und Kind" ist schon angesprochen worden. Ich wünschte, sie würde nicht so charakterisiert, wie es eben der Fall gewesen ist. Über 500 000 Frauen haben diese Hilfe in Anspruch genommen. Ich bitte Sie, die Institutionen, auf die Sie Einfluß nehmen können - pro familia und Arbeiterwohlfahrt - nun endlich dahingehend zu beraten, daß diese Hilfen dort auch an die ratsuchenden Frauen vermittelt werden. Denn sie helfen doch!
({9})
Ich glaube, diese Debatte kann ein Gewinn sein, wenn wir uns dazu entschließen, die Lebensbedingungen für Frauen und Kinder in einem edlen Wettstreit gemeinsam zu verbessern.
({10})
Wenn uns dies gelänge, dann wäre diese Debatte ein Gewinn. Lassen wir doch die Streiterei über das Strafrecht!
({11})
Das Strafrecht ist eine Nebensache. Für uns, die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union, ist soziale Hilfe für Kinder und Familien die Hauptsache - jetzt und in der Zukunft.
({12})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Gegenstand der heutigen Beratung betrifft Grundgegebenheiten menschlicher Existenz und ragt deshalb aus der Fülle unserer parlamentarischen Geschäfte deutlich heraus.
({0})
Denn bei den Vorlagen, die wir heute behandeln, geht es um Grundelemente unserer Daseinsordnung, nämlich um menschliches Leben, um menschliche Verantwortung und um menschliche Würde. Es geht um die Beziehung, in der diese drei Grundelemente zueinander stehen. Hier ist jeder und jede einzelne von uns im Gewissen gefordert. Wir müssen uns nach unserem Gewissen entscheiden. Das heißt, wir müssen dem folgen, was uns unsere innere Stimme als verpflichtend aufgibt, wobei ich mir bewußt bin, daß auch das Gewissen irren kann. „Im Gewissen gefordert", bedeutet aber auch: Für Koalitionsrücksichten und auch für Fraktions- und Gruppenrücksichten ist bei der Beratung und Abstimmung über die Vorlagen kein Platz.
({1})
Das bezieht sich auf alle Teile der Vorlagen, auf die strafrechtlichen ebenso wie auf diejenigen, die die Hilfsansprüche regeln. Beides greift ineinander und ist schlechterdings nicht voneinander zu trennen.
({2})
Geboten ist wechselseitiger Respekt. Wer sich selber auf sein Gewissen beruft, muß respektieren, daß ein anderer seinem Gewissen folgend, zu einem anderen Ergebnis kommt. Der Respekt erfordert allerdings nicht, unwahre Behauptungen unwidersprochen im Raum stehenzulassen.
({3})
Ich muß sagen, Herr Kollege Geißler: Zu Beginn Ihrer Rede dachte ich: Das ist ein neuer Geißler. Aber schon nach wenigen Minuten wurde deutlich: Das ist unverändert der alte Geißler.
({4})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie hier so lebhaft Beifall spenden, dann drängt sich allerdings die Frage auf, warum ein so fabelhafter Mann als Generalsekretär davongeschickt worden ist.
({5})
Der Respekt gebietet also nicht, unwahre Behauptungen stehenzulassen. Die Wahrheit ist, daß die Union während unserer Regierungszeit soziale Verbesserungen immer wieder abgelehnt und sich dagegen gestellt hat.
({6})
Die Wahrheit ist, um bei Ihrem Gefängnisbeispiel aus Karlsruhe zu bleiben, Herr Kollege Geißler, daß der CDU-Trakt in diesem Gefängnis inzwischen mehrfach überfüllt wäre, wenn Sie die Entscheidungen von Karlsruhe berücksichtigten.
({7})
Ich selbst habe mich seit nahezu 20 Jahren immer wieder für eine gerechte, dem Leben helfende Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Schutz des vorgeburtlichen Lebens und der Eigenverantwortung der Frau eingesetzt. Heute bin ich stärker noch als in den siebziger Jahren davon überzeugt: Der Staat kann die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses nicht erzwingen; aber er kann sie unter Beachtung seines Auftrages zur Lebensbewahrung fördern und unterstützen. Deshalb muß diese Auflösung dem Prinzip „Hilfe statt Strafe" folgen.
({8})
Sie muß der einmaligen und besonderen Verbindung gerecht werden, die zwischen der werdenden Mutter und dem Leben besteht, das sie in sich trägt.
Niemand - kein Arzt, kein Berater, kein Gericht und kein Gesetzgeber - kann der Schwangeren vor der Instanz ihres Gewissens die Entscheidung und damit
auch die Verantwortung dafür abnehmen, ob sie dieses Leben annimmt oder ob sie glaubt, dem in ihrer besonderen Lage nicht gewachsen zu sein
({9})
und Gründe für die Beendigung der Schwangerschaft zu haben, die stärker wiegen als die Bestimmung des schon gezeugten Lebens.
Das Leben, von dem ich rede, kann nicht gegen den Willen der Mutter wirksam geschützt werden. Polizei und Staatsanwaltschaft sind nicht die Instanzen und das Strafrecht ist nicht die Kategorie, von denen wirksame Hilfe zu erwarten ist. Ein Gericht mag viele Sachverhalte zutreffend beurteilen können. Aber den Schwangerschaftskonflikt einer Frau nachzuvollziehen, die für sie entscheidenden Lebensumstände zu erkennen und zu bewerten, im Widerstreit der Motivationen die letztlich bestimmende Motivation herauszufinden, das kann ein Gericht nicht; das übersteigt sein Vermögen.
({10})
Die Strafandrohung geht schon deshalb an dem vorbei, was die Gesellschaft tatsächlich zur Bewältigung des Konflikts beizutragen vermag.
Außerdem war die Gefahr, eine Frage für gelöst zu halten, weil das Strafrecht sie beantwortet, auf diesem Gebiet seit jeher besonders groß. Es ist hoch an der Zeit, diese bequeme und verlockende Illusion, eine Sache sei geregelt, weil es eine Strafrechtsnorm gebe, ein für allemal aufzugeben.
({11})
Hilfe für das vorgeburtliche Leben muß von anderer Seite kommen, zumal von seiten des Sozialrechts, das umfassende Rechtsansprüche für die werdende Mutter und - nach seiner Geburt - für das Kind vorsehen muß. Hilfe muß auch von seiten der Gesellschaft kommen, die ihre Kinderfreundlichkeit nicht durch Worte, sondern durch Taten unter Beweis stellen muß. Und auch von seiten des Mannes und des sozialen Umfeldes, dessen Mitverantwortung viel stärker ins Bewußtsein treten muß.
Der Entwurf, den ich zusammen mit vielen Mitgliedern meiner Fraktion unterstütze, trägt dem Rechnung. Er normiert Hilfen in einem Umfang, der weit über den bisherigen Zustand hinausgeht, und er betont auch die Bedeutung der Sexualaufklärung und -erziehung sowie der Empfängnisverhütung.
Ich weiß, dies erfordert Milliardenbeträge und auch eine entsprechende Verbesserung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern; das kann nicht alles einseitig den Ländern auferlegt werden. Aber das ist auch ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit all dessen, was über den Schutz des vorgeburtlichen Lebens gesagt worden ist.
({12})
Eine Strafandrohung beizubehalten oder gar zu verschärfen ist leicht und kostet nichts. Wer hingegen
bereit ist, für Hilfsansprüche Milliarden D-Mark aufzubringen und zu diesem Zweck auch Steuern zu erhöhen oder Steuersenkungen zu unterlassen, der meint es ernst. Wir sind dazu bereit.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch ein sehr persönliches Wort an die Kirchen richten, insbesondere an die, der ich selbst angehöre. Beide Kirchen haben die bisherige Diskussion intensiv begleitet und unser Gewissen geschärft; die evangelische mit differenzierten Argumenten und Positionen, die katholische Kirche mit einer außerordentlich strikten Wertung, die für Differenzierungen kaum Raum läßt und mit einer eher noch strengeren Position in der Frage der Empfängnisverhütung einhergeht. Diese Position überschattet auch das Thema, über das wir heute reden.
Jeder gläubige Katholik hat sich deshalb damit auseinanderzusetzen, was nach der Lehre seiner Kirche erlaubt und was verboten, also sündhaft ist. Nicht wenige hat das schon in bedrückende Konflikte gestürzt und wird es auch weiter tun. Eine zwingende Folgerung für die weltliche Regelung läßt sich daraus aber nicht herleiten.
({14})
Diese Regelung bleibt in unserer Verantwortung.
Sicher gilt unverändert das Wort, das Frau Kollegin Funke im Jahre 1974 bei der Beratung der damaligen Reform gesprochen hat; und ich würde mir wünschen, daß der Geist dieses Wortes diese Debatte von Rechthaberei und Tönen, die nicht hierher gehören, freihält. Sie hat gesagt, daß keiner aus dieser Beratung - wie immer er sich auch entscheiden möge - ohne Schuld hervorgehen werde. Ich nehme meinen Teil dieser Schuld auf mich, weil ich überzeugt bin, daß die von mir unterstützte Regelung die Chance für das Leben und für die Freude, die mit dem geborenen Kind ja auch verbunden ist, nicht mindert, sondern erhöht.
({15})
Das ist gerade auch deshalb so, weil sie der Eigenverantwortung der Frau Raum gibt.
({16})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhart Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß wir hier heute diskutieren, verdanken wir der deutschen Einheit. Uns ist aufgegeben, die gegenwärtige Rechtslage zu verbessern. Alle wollen wir sie verbessern, Herr Geißler, wir sind uns im Bereich der sozialen Verbesserungen in der Richtung einig. Wir werden hier Entscheidendes tun.
Aber ich bin nicht der Meinung, daß das Strafrecht, das die Frau heute in eine unzumutbare, sehr schwierige und bedrückende Situation bringt, eine Nebensache ist. Wir müssen uns auch dem Strafrecht offen stellen. Diese strafrechtlichen Regelungen in beiden
Teilen Deutschlands haben versagt. Sie haben dem Lebensschutz nicht gedient.
({0})
Die Indikationsregelung, die wir hier in der Bundesrepublik haben, hat keinen effektiven Lebensschutz bewirkt.
({1})
Die Fristenregelung, die wir in der ehemaligen DDR haben, hat keinen effektiven Lebensschutz bewirkt. Wir sind einer hohen Zahl von illegalen und legalen Abtreibungen ausgesetzt. Diese Situation wollen wir ändern. Die strafrechtliche Verfolgung ist ein reiner Zufall, meine Damen und Herren. Die Situation in den neuen Bundesländern kann doch nicht dadurch geändert werden, d. h. die Frauen in den neuen Bundesländern können wir doch nicht dadurch enttäuschen, daß wir eine Regelung, die sich bei uns nicht bewährt hat, jetzt einfach auf die neuen Bundesländer übertragen. Wir müssen etwas Neues finden.
({2})
Wir, die Freie Demokratische Partei, haben eine neue Konzeption vorgelegt. Sie unterscheidet sich von dem, was 1974 beschlossen worden ist, fundamental dadurch, daß wir eine kinderfreundlichere, eine familienfreundlichere Gesellschaft und eine Beratung für die Frau wollen.
Wir setzen uns für eine verfassungskonforme modifzierte Fristenregelung ein. Das ist keine isolierte Verengung auf das Strafrecht, sondern es sind entschiedene Maßnahmen für eine kinderfreundlichere Gesellschaft. Aber am Ende dieses Prozesses muß die Frau das Recht haben, eigenverantwortlich zu entscheiden.
({3})
Wir wollen durch diese Änderung - um gar kein Mißverständnis aufkommen zu lassen - nicht die Abtreibung erleichtern, sondern die Entscheidung für das Kind erleichtern. Heute gewinnen viele Frauen den Eindruck, daß der Staat zwar durch die Strafdrohung das werdende Leben zu schützen versucht, daß aber der Staat, die Gesellschaft, das Interesse verliert, sobald das Kind geboren ist.
({4})
Herr Kollege Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jäger?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Wir werden also eine ganze Reihe von Verbesserungsmaßnahmen durchzusetzen versuchen. Wir sind für eine Verbesserung der Aufklärungs- und Verhütungsberatung. Wir wollen, daß die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel von den Krankenkassen übernommen werden. Das ist eine wichtige Regelung, die sich in den Niederlanden, wo sie eingeführt ist, bewährt hat. Wir stellen klar, daß die Krankenversicherung wie bisher auch die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche trägt.
Wir setzen uns für eine qualitativ hochwertige Beratung ein. Die Frau muß die Chance haben, in der Nähe ihres Wohnortes unter Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung Rat zu suchen.
({0})
Wir wollen die Rahmenbedingungen für die Familien verbessern. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Ich nenne nur den Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Das ist eine Forderung an die Länder, die aber auch den Bund im Rahmen des Finanzausgleichs berühren wird.
({1})
Im Kern unserer Überlegungen zur Änderung des Strafrechts steht die Einsicht, daß die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch „in Tiefen der Persönlichkeit getroffen wird, in die der Appell des Strafgesetzes nicht eindringt". Wir sind der Meinung, daß das Schutzobjekt, die Leibesfrucht, am wirksamsten durch die Mutter selbst geschützt wird und daß deren Bereitschaft zum Austragen der Leibesfrucht durch Maßnahmen verschiedenster Art gestärkt werden kann. Die Strafsanktionen haben versagt. Die geeigneten Mittel zur Abhilfe liegen im sozialen und im gesellschaftlichen Bereich.
Wir folgen mit diesen Einsichten den Minderheitsvoten der Richter von Brünneck und Simon im Urteil von 1975. Wir folgen aber auch der Meinung der Mehrheit der Richter, die festgestellt haben, daß eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Strafen nur als Ultima ratio, als letztes Mittel in Betracht kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 die Fristenlösung nicht schlechthin abgelehnt, sondern diese nur unter den damaligen Umständen.
({2})
Das Urteil hält strafrechtliche Regelungen ausdrücklich nur im äußersten Falle für geboten, nämlich „wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden kann".
Meine Damen und Herren, wir wollen durch die gesetzliche Regelung sicherstellen, daß die selbstverantwortliche Entscheidung der Frau nicht losgelöst vom Schutz des ungeborenen Lebens erfolgen kann. Dieses Ziel kann nur durch die Verbindung der Fristenregelung mit einer Beratung erreicht werden. Wir meinen, daß eine Beratung, die lediglich ein Beratungsangebot vorsehen und auf dessen freiwillige Inanspruchnahme durch die Schwangere abstellen würde, vor diesen Grundsätzen der Verfassung keinen Bestand haben würde. Deshalb sieht das FDP-Modell für die Beratung einen verpflichtenden Charakter vor.
Wir knüpfen dabei an den Alternativentwurf zum Strafgesetzbuch vom Anfang der 70er Jahre an, der unter maßgeblicher Beteiligung liberaler Rechtslehrer, nämlich der Professoren Baumann und Maihofer, erarbeitet worden ist und schon damals aus guten
Gründen eine obligatorische Beratung vorgesehen hat.
({3})
- Wir sind eben frei, Herr Jäger, unter neuen Umständen ein neues Gesetz zu beschließen. Klammern wir uns doch nicht an ein altes Urteil des Verfassungsgerichts! Sagen wir unsere Meinung!
({4})
Ich finde es gut, daß das Gericht die Klagen von Bayern und Baden-Württemberg bisher nicht entschieden hat, sondern die Entscheidung dieses frei gewählten Parlaments abwartet. Diese müssen wir so schnell wie möglich treffen.
({5})
Durch unsere Formulierung des § 218 und durch das Verbleiben dieser Vorschrift im Strafrecht wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, wonach grundsätzlich die rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs zum Ausdruck kommen muß. Meine Damen und Herren, das sind Punkte, in denen sich unser Entwurf von dem der Sozialdemokratischen Partei unterscheidet.
Wir unterscheiden uns vom Mehrheitsentwurf der CDU/CSU dadurch, daß wir die eigenverantwortliche Entscheidung der Frau zum Maßstab machen und keinen anderen entscheiden lassen wollen. Es gibt keinen dritten Weg zwischen diesen beiden Polen. Hier muß man sich entscheiden. Sie haben sich anders entschieden, und deshalb gibt es auf dieser Ebene zwischen uns keine Gemeinsamkeit.
Wir haben auch Fragen an Ihren Entwurf: Wer soll eigentlich, wenn es sich um eine höchst subjektive, in die Tiefen der Persönlichkeit reichende Entscheidung handelt, hinterher objektiv und obligatorisch überprüfen, ob diese Voraussetzungen vorgelegen haben.
({6})
Das ist doch bei einer zutiefst subjektiven Entscheidung gar nicht möglich.
Herr Göhner, nach Ihrem Entwurf muß der Arzt das Ergebnis des Gespräches und die ärztlichen Elemente festhalten. Das heißt, sie sind gerichtlich überprüfbar.
({7})
So geht es wirklich nicht.
Sie schaffen mit Ihren Definitionen, beginnend mit der Definition „psychosoziale Notlage ", völlig ohne Not neue Rechtsunsicherheiten.
({8})
Sie werden die Frauen nicht erreichen, die zur Abtreibung geneigt sind und die man vielleicht in einer
Beratungsstelle noch erreichen könnte. Wenn sie wissen, daß sie keine Entscheidungsfreiheit haben, werden sie im Zweifel gar nicht dorthin gehen, sondern in das Ausland fahren.
({9})
In Europa, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, gilt fast überall liberaleres Recht, auch in den katholischen Staaten Südeuropas.
({10})
In unserem Modell steht die Frau nicht unter einem Rechtfertigungsdruck. Sie bleibt, wenn sie es wünscht, auch anonym. In unserem Modell ist die Beratung nicht Bevormundung, sondern Hilfe in einer Konfliktlage. Unser Gesetz verschließt schließlich auch den Weg für die Bundesländer, Konzessionen für ambulante Schwangerschaftsabbrüche zu versagen. Wir wollen auch keinen Einblick des Staates, Zufallsfunde in Patientinnenkarteien; dazu gibt es eine Vorschrift. Wir sind der Meinung - das haben auch schon andere gesagt - : Das ist eine die Menschen zutiefst bewegende ethische Frage. Wir haben Respekt vor jedem, der hier eine andere Meinung zum Ausdruck bringt.
Wir werden allerdings für unseren Gesetzentwurf kämpfen. Er ist, meine ich, ein gutes Angebot für alle, die eine Veränderung in Richtung auf eine Fristenlösung wollen. Für uns ist dieser Gesetzentwurf ein untrennbares Ganzes. Die Gewissensentscheidung betrifft alle Teile.
Heribert Prantl schrieb vor einiger Zeit in der „Süddeutschen Zeitung" :
man darf davon ausgehen, daß das Bundesverfassungsgericht einen parteiübergreifenden Konsens auf der Basis des FDP-Entwurfs nicht in die Luft sprengen wird. Lange genug hat der § 218 die Gesellschaft zerrissen.
Er weist auch auf ein Zitat des vor kurzem verstorbenen katholischen Sozialwissenschaftlers Oswald von Nell-Breuning hin, der schon vor 20 Jahren vor einer Überschätzung der strafrechtlichen Norm gewarnt hat, die, wir er sagt, „nur die Vorstellung nährt, mit der strafrechtlichen Sanktion stehe und falle auch die sittliche Norm" . Von Nell-Breuning fordert die Kirchen auf, „ihre Gläubigen zu lehren, ohne die Krücke des staatlichen Strafgesetzes dem Gesetz Gottes nachzuleben" .
Ich kann als Liberaler nur sagen: Er hat den entscheidenden Punkt getroffen.
({11})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Vera Wollenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine offene Debatte, wie sie heute geführt wird, sollte es in diesem Hohen Haus öfter geben. Mir gefällt, daß die Auseinandersetzungen um den § 218 die starren Koalitionsund Fraktionsgrenzen aufgebrochen hat. Alle Fraktionen haben sich schwergetan, ihre Entwürfe vorzuleVera Wollenberger
gen. Sie mußten wieder und wieder umgeschrieben werden.
Es ist auch selten der Fall, daß wie hier eine breite öffentliche Diskussion Druck auf die Politiker ausübt. Auf wessen Schreibtisch häuften sich nicht die Briefe, die Unterschriftensammlungen, die Resolutionen aus dem Lager der Befürworter und der Gegner des § 218? Viele von uns haben immer wieder Einladungen zu Veranstaltungen über § 218 bekommen. Zumindest wir Politikerinnen wurden von verschiedenen Zeitschriften immer wieder aufgefordert, Stellung zu beziehen. Wann hat es das schon einmal gegeben, daß sich ein Dutzend normalerweise miteinander konkurrierender Frauenzeitschriften zusammengetan haben im Kampf für eine Fristenregelung ohne Zwangsberatung? In allen politischen Parteien gibt es Befürworter und Gegner des § 218. Der Riß geht quer durch die Gesellschaft. Es gibt auf allen Seiten richtige Argumente, denen man sich nicht verschließen kann.
Es ist zweifellos richtig, daß Leben bereits mit der Empfängnis beginnt, und es ist genauso richtig, daß der Fötus nur in Symbiose mit der Mutter existieren kann. Es ist richtig, daß jede Frau das Recht auf Selbstbestimmung hat und dieses Recht nicht beschränkt werden darf. Es ist aber ebenso richtig, daß keine Frau nur über ihren eigenen Bauch entscheidet, sondern über das Leben eines anderen, wenn sie eine Schwangerschaft abbricht.
({0})
Als mir auf einer Veranstaltung der GRÜNEN ein junges Mädchen sagte, sie sei ein ungewolltes Kind gewesen und wäre abgetrieben worden, wenn es eine legale Möglichkeit dafür gegeben hätte, und sie sei deshalb gegen Schwangerschaftsabbrüche, konnte ich ihr nur antworten, daß ich ihre Haltung verstehe und respektiere. Nicht akzeptieren kann ich dagegen die jungen männlichen Lebensschützer, die ab und zu Menschenrechtsveranstaltungen besuchen mit Transparenten wie: „Mädchen, laßt das Morden sein, Frauen sollen Mütter sein."
Ebensowenig akzeptieren kann ich aber auch Äußerungen von militanten Gegnerinnen des § 218, die um jeden gefällten Baum trauern, nicht aber um ihre abgetriebene Leibesfrucht.
({1})
Meine Damen und Herren, die Diskussion über den § 218 bringt einen Riß zum Vorschein, der durch jeden einzelnen Menschen geht.
Ich bin entschieden für Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen, ich bin nicht einmal davon überzeugt, daß die Frist dafür unbedingt auf zwölf Wochen beschränkt sein muß, wo doch die Frist für die Abtreibung behinderter Kinder auf 22 Wochen festgelegt wurde. Mir wird bei solchen Unterscheidungen unwohl.
({2})
Ich wünsche mir aber, daß sich jede Frau und jeder Mann darüber klar sind, daß mit der Abtreibung über das Leben eines anderen entschieden wird. Ich habe selbst drei Kinder und habe jedes einzelne gewollt,
obwohl sie nicht alle Wunschkinder gewesen sind. Ich bin jetzt Ende 30, und ich würde es als eine Zumutung empfinden, daß fremde Menschen darüber entscheiden sollen, ob ich ein viertes Kind bekommen soll oder nicht. Wenn es ein entsprechendes Gesetz gäbe, dann käme ich ganz bestimmt in die Situation, Gesetzesbrecherin zu werden.
Mir ist aber auch klar, daß es Frauen gibt, die Beratung und Hilfe dringend brauchen. Es muß also dringend Beratungsstellen geben.
Von meinen Vorrednerinnen ist schon viel über die notwendigen Verbesserungen, die geschaffen werden müssen, gesagt worden. Ich will das hier nicht alles wiederholen. Ich möchte dagegen auf ein paar Punkte eingehen, die mir in der bisherigen Debatte gefehlt haben.
Herr Geißler hat vorhin gesagt, daß Kinder eine Lobby brauchen. Ich bin derselben Meinung und kann nur hoffen, daß das der Anfang eines kompromißlosen Einsatzes für das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und Leben ist. In allen Diskussionen über das Für und Wider der Abtreibung wird auch von den Lebensschützern ein Thema extrem vernachlässigt: die Gefährdung des ungeborenen und des geborenen Lebens durch die schleichende chemische Vergiftung. Die Belastung der Kinder mit Schadstoffen beginnt heute schon im Mutterleib. Bei Kindern nehmen in besorgniserregender Weise Allergien, Atemwegerkrankungen, Organschäden, Hirnleistungsstörungen, Neurodermitis, Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität und immer mehr unspezifische Krankheitssymptome zu. In vielen Teilen unseres Landes gehört Krebs bei den Kindern zur zweithäufigsten Todesursache.
Diese Gefährdung unserer Kinder ist keineswegs nur ein Problem von besonders bedrohten Ballungsräumen oder ökologischen Krisengebieten. Sie sind ein Problem auch in ökologisch noch scheinbar intakten Lebensräumen. Giftstoffbelastete Kindergärten und Schulen, verseuchte Spielplätze und permanent überschrittene Grenzwerte für Schadstoffbelastungen in Lebensmitteln, Trinkwasser und Atemluft gibt es überall.
Bisher gibt es nur einige wenige Betroffeneninitiativen, die auf solche unhaltbaren Zustände hinweisen. Die Presse hat sich dieses Problems gerade erst angenommen. Die Politiker schweigen dazu bisher zum größten Teil. Das muß sich dringend ändern. Ich wünsche mir, daß in Verbindung mit der Debatte um den § 218 endlich auch darüber debattiert wird, daß wir in der Verfassung ein ökologisches Grundrecht für Kinder verankern müssen.
Ich möchte noch auf etwas eingehen, was mir bisher gefehlt hat. In fast allen Beiträgen ist immer wieder auf die Belastung hingewiesen worden, die Kinder mit sich bringen. Für meinen Geschmack ist das überbetont worden.
({3})
Es ist zuwenig gesagt worden, daß Kinder Glück, ein
Zugewinn an Lebensqualität und vor allem ein Ge3644
winn in unserem Leben sind. Ich denke, das müßte den Mittelpunkt unserer Debatte bestimmen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Hannelore Rönsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wünsche mir, daß bei der Beratung der Gesetzentwürfe die Argumente aller ernst genommen werden, daß sie gewertet werden und daß man sie abwägt. Ich wünsche mir auch, daß vorliegende Gesetzentwürfe nicht verzeichnet wiedergegeben werden, um anderen damit ein wenig angst zu machen und um gerade den Frauen, die sich in Konfliktsituationen befinden, vielleicht einen Weg zu verschließen, den sie sich selber mit Beratung eröffnet hatten.
({0})
Ich meine, daß diese Debatte kein Streit um ein politisches Ziel ist. Ich verstehe sie als ein gemeinsames Ringen um den besten, den hilfreichsten Weg, ungeborenes Leben im vereinten Deutschland zu schützen.
Mir hat die Diskussion in den vergangenen Wochen und Monaten verdeutlicht, daß schon die Auseinandersetzung mit dem Problem dazu beitragen kann, in der Bevölkerung das Bewußtsein für die Notwendigkeit des Lebensschutzes zu vertiefen. Ich bin darüber sehr froh. Gleichzeitig ist deutlich geworden, wie schwierig es ist, individuelle Betroffenheit, öffentliche Normansprüche und ethische Grundsätze in einer solchen Lebensfrage miteinander in Einklang zu bringen.
Ich bin jedoch tief davon überzeugt, daß wir einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens erst dann erreicht haben, wenn werdende Mütter auch darauf vertrauen können, von unserer Gesellschaft in einer für sie ausgesprochen schwierigen Situation angenommen zu werden. Das, so meine ich, gelingt uns nur, wenn wir bereit sind, von Männern und Frauen, von Eltern und Lehrern, von Arbeitgebern und Vermietern, aber auch von Ärzten Verantwortung für das Leben einzufordern.
Selbstverständlich müssen jede Gemeinde, jedes Land und der Bund auch hier ihren verantwortlichen Beitrag leisten. Männer und Väter müssen zu ihrer Verantwortung im Bereich von Sexualität und Zeugung stehen. Kann es wirklich sein, daß ein Mann seiner schwangeren Frau sagt und sie mit der Bernerkung allein läßt: Das ist allein deine Sache, ob du das Kind austrägst oder nicht. - Ich meine auch, es ist der verkehrte Weg, wenn ein Kollege aus der SPD-Fraktion in einem Rundbrief uns alle auffordert, diese Beratung zu § 218 zum Schutz des ungeborenen Lebens allein als Frauensache zu erklären.
({1})
Ich meine: Auch die Männer müssen stärker in die
Verantwortung genommen werden. Es hat mich ein
wenig bedrückt, daß sich dieser Kollege gerade als Arzt dieser Verantwortung entziehen will.
({2})
Von Eltern dürfen wir erwarten, daß sie ihren Töchtern auch dann beistehen, wenn die Schwangerschaft ihnen selbst, nämlich den Eltern, viele Pläne durcheinanderbringt. Der Erziehungsauftrag von Lehrern muß es sein, Kinder und Jugendliche über die Entwicklung des vorgeburtlichen Lebens aufzuklären und ihnen auch die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens nahezubringen.
Arbeitgeber, die eine junge Frau abweisen und ihr eine Stelle versagen, weil sie schwanger ist, handeln verantwortungslos,
({3})
ebenso Wohnungsvermieter, die Schwangere und Alleinerziehende als Mieter zurückweisen.
Die Politik in Bund, Ländern und Kommunen muß dazu beitragen, daß einer schwangeren Frau auch in einer schwierigen Situation Möglichkeiten eröffnet werden, sich für ihr Kind zu entscheiden. Es ist heute schon gesagt worden, daß sich die Sozialdemokraten an den Stellen, wo sie unmittelbare Regierungsverantwortung haben, dieser Aufgabe doch bewußt werden sollten und z. B. den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in den Bundesländern, wo sie die Möglichkeit dazu haben, endlich verwirklichen sollten.
({4})
Die Familienpolitik in der Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren hierzu schon ihren entscheidenden Beitrag geleistet, die Weichen gestellt, insbesondere mit der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs sowie mit der Anerkennung der Erziehungszeiten im Rentenrecht. Heiner Geißler hat heute morgen schon ausführlich darüber gesprochen, weil er zum großen Teil auch der Urheber war. Ich meine, daß das ein wichtiger Durchbruch war, auch gerade für die Frauen, und daß uns damit auch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelungen ist. Wer hätte denn noch vor zehn Jahren geglaubt - Sie nicht, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten und wir eigentlich auch noch nicht so ganz - , daß für Kinder, die ab 1992 geboren werden, bereits drei Jahre Erziehungsurlaub und drei Jahre Erziehungszeiten in der Rentenversicherung in Anspruch genommen werden können.
({5})
Als ganz besonders wichtige Leistung werte ich auch die in unserem Gesetzentwurf vorgesehene Einführung des Familiengeldes. Ich sehe darin eine entscheidende Hilfe zu einem entscheidenden Zeitpunkt.
({6})
Sie sollten auch an dieser Stelle noch einmal Ihre Position bedenken. Gerade die Männer und Frauen aus den fünf neuen Bundesländern sollten einmal überprüfen, wie hilfreich doch das Geld, das in den
Hannelore Rönsch ({7})
vergangenen Jahren in der alten DDR für junge Mütter gezahlt wurde, gewesen ist.
({8})
Ich muß gestehen, ich bin auch ein wenig darüber erstaunt, daß Kritik aus den Reihen der Opposition kommt. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie Sie einen Rechtsanspruch auf Leistungen gefordert haben, die die Bundesstiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" 1986 Schwangeren angeboten hat. Jetzt schaffen wir diesen Rechtsanspruch auf eine Leistung, die bis heute die Frauen in Notlagen aus der Bundesstiftung erhalten haben, nämlich eine einkommensabhängige finanzielle Hilfe für die Ausgaben im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. Machen Sie sich doch selbst einmal die Widersprüchlichkeit in Ihrer Argumentation deutlich.
({9})
Ich freue mich jedenfalls als Familienministerin, nicht nur für das Erziehungsgeld und für die Bundesstiftung, sondern auch für das Familiengeld verantwortlich sein zu können.
Frauen, die an einen Schwangerschaftsabbruch denken, befinden sich in der schwierigsten Bedrängnis, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sie brauchen eine sachkundige, eine verständnisvolle Beratung. Wie Untersuchungen gezeigt haben, gibt es viele Frauen, die ihre Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch später sehr bereuen und gerne rückgängig machen möchten, weil sie zu schwer an dieser Entscheidung, die sie allein getroffen haben, tragen. Deshalb liegt für mich eine verantwortungsbewußte Politik darin, die Frauen vorher über jede nur denkbare Alternative, die Staat und Gesellschaft bieten und die sie wahrnehmen können, zu informieren. Das kann nur gelingen, wenn wir die Frauen auch verpflichten, das Hilfs- und Beratungsangebot in den Beratungsstellen anzunehmen. Hilfen und Beratung sind der eigentliche Weg zum Lebensschutz, obgleich in der öffentlichen Diskussion jetzt leider der Eindruck erweckt wird, von der Ausgestaltung des Strafrechts hänge alles ab. Gleichwohl halte ich es für notwendig, daß das Strafrecht auch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft als flankierende Maßnahme eingesetzt wird. Es ist ein wichtiges staatliches Mittel, um deutlich zu machen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Frau keinen Vorrang vor dem Leben des ungeborenen Kindes hat.
({10})
Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Handlung, die für einen bestimmten Zeitpunkt ohne jegliche staatliche Einbindung zugelassen werden kann. Es geht um die Tötung eines ungeborenen Kindes.
Ich teile die Auffassung, daß insbesondere die psychosoziale Notlage subjektive Elemente enthält, die nicht auf Grund objektiver Kriterien ermittelt werden können. Gerade deshalb halte ich es aber auch für unverzichtbar, daß für das Vorliegen einer solchen Notlage die Betroffenen Verantwortung übernehmen. Betroffen ist aber nicht nur die Frau, betroffen ist auch der Gynäkologe. Da er derjenige ist, der den Abbruch
durchführt, ist er in die Entscheidung notwendig mit eingebunden und notwendigerweise auch mit verantwortlich. Er trägt die Verantwortung des Handelnden, und darüber können wir nicht hinwegdiskutieren. Es kann doch nicht sein, daß der Arzt nicht mehr verpflichtet wäre, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der von ihm erwartete Schwangerschaftsabbruch auch vor unserem Grundgesetz, vor unserer Rechtsordnung, vor dem ärztlichen Standesrecht und nicht zuletzt vor seinem Gewissen vertretbar ist. Das gehört schließlich auch bei anderen schwierigen Entscheidungen zum Beruf des Arztes.
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Für mich ist der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion der richtige, für mich der einzige Weg zum verbesserten Lebensschutz. Er weist die Verantwortlichkeiten der betroffenen und einbezogenen Personen richtig zu, er trägt den ethischen Grundsätzen ebenso Rechnung wie den besonderen Anliegen und den Erfordernissen der schwangeren Frauen in Not. Lassen Sie uns die nächsten Wochen, wenn wir die Gesetzentwürfe beraten, dazu nutzen, uns vielleicht einander zu nähern, aber auf alle Fälle dazu nutzen, die Argumente des anderen anzuhören, zu werten und sie bitte nicht in der Öffentlichkeit zu verzeichnen.
({12})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Hans de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages verpflichtet den Deutschen Bundestag - ich zitiere einmal wörtlich -,
spätestens bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen, vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche auf Beratung und soziale Hilfen, besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist.
Erfüllen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verpflichtung nicht, dann gilt das Vier-Inchkationen-Modell der alten Länder ebenso weiter wie die Fristenregelung der vormaligen DDR, jedoch mit der sehr wahrscheinlichen Folge, daß auf Antrag sehr rasch die Fristenregelung drüben für verfassungswidrig erklärt wird. Und was passiert dann? Dann steht der Deutsche Bundestag erneut vor der Frage - vor dem Dilemma, sage ich -, entweder den § 218 wirklich neu im Sinne einer Reform zu ordnen oder - und das wäre für mich die fatalste Alternative - einfach die hier bestehende Vier-Indikationen-Regelung nach drüben zu erstrecken.
Für uns Sozialdemokraten steht es außer Frage, daß die nur für die Übergangsperiode bis 31. Dezember 1992 gedachte Fristenregelung in den Ländern der vormaligen DDR nicht akzeptiert werden kann und deswegen nicht Dauerrecht werden darf, schon deswegen nicht, weil diese Regelung drüben auch als Instrument der Familienplanung - so heißt es dort - konzipiert war.
Die aus dem Jahre 1976 stammende Vier-Indikationen-Regelung in den alten Ländern - das sage ich hier sehr prononciert - weist jedoch Mängel auf, die auch diese Regelung überholungsbedürftig machen in dem Sinn, wie der Einigungsvertrag - den Passus habe ich gerade zitiert - es von uns verlangt.
Ich appelliere deswegen an uns, an uns Verpflichtete im Deutschen Bundestag, dem Einigungsvertrag wirklich zu folgen und die Reform bis zum 31. Dezember 1992 zu vollenden. Denn manch einer oder manch eine könnte sonst auf den Gedanken kommen, „die da oben" arbeiteten mit einem Hintergedanken, um eine Reform zu blockieren. Wir werden uns einigen müssen, soll nicht der Bundestag, soll nicht das vorgeburtlich wachsende Leben, sollen nicht die Frauen Schaden leiden.
Ziel und Weg der Sozialdemokraten finden wir in Art. 1 unseres Entwurfs niedergelegt. Ich darf ihn noch einmal zitieren:
Ziel dieses Gesetzes ist der wirksame Schutz des vorgeburtlich wachsenden Lebens. Er wird unter Anerkennung der Verantwortung und des Selbstbestimmungsrechtes der Frau durch die folgenden Vorschriften gewährleistet.
Bei der Einbringung des Fristenentwurfes der SPD 1973 habe ich Ziele und Wege ähnlich definiert, aber doch in einer wesentlichen Nuance anders. Ich habe damals ausgeführt:
... Werdendes Leben ist grundsätzlich geborenem gleichzuachten; das ist wesentlich und wichtig.
... Wegen des untrennbaren Zusammenhangs des werdenden Lebens mit dem der Mutter ist es jedoch gerechtfertigt und notwendig, die Verantwortung der Mutter mehr als bisher einzubeziehen und deshalb den strafrechtlichen Schutz für das werdende Leben anders zu gestalten als für das geborene.
({0})
Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich überzeugt - ich hoffe, mit mir viele andere -, daß ohne volle Einbeziehung und damit ohne Anerkennung der Verantwortung und des Letztentscheidungsrechts der Schwangeren das gemeinsame Ziel nie und nimmer erreicht werden kann.
({1})
Denn niemand ist dem werdenden Leben näher, und niemand ist sein ganzes Leben lang mehr vom Kind berührt als die Mutter. Wir Männer werden noch so viel Verständnis haben können: Können wir die letzte Bindung, können wir die letzte Verzweiflung wirklich kennen?
Schon 1975 hat deswegen - fast schon wieder vergessen - das Bundesverfassungsgericht gesagt:
Achtung vor dem ungeborenen Leben und Recht der Frau, nicht über das zumutbare Maß hinaus zur Aufopferung eigener Lebenswerte im Interesse der Respektierung dieses Rechtsguts gezwungen zu werden, treffen aufeinander. In einer
solchen Konfliktlage, die im allgemeinen auch keine eindeutige moralische Beurteilung zuläßt und in der die Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft den Rang einer achtenswerten Gewissensentscheidung haben kann, ist der Gesetzgeber zur besonderen Zurückhaltung verpflichtet.
({2})
Wenn wir dann noch bedenken, daß die massiven Strafdrohungen des totalen Abtreibungsverbots über 100 Jahre hinweg und die seit nunmehr 18 Jahren immer noch bestehende deutliche Strafdrohung der Vier-Indikationen-Regelung nicht wirklich geholfen haben, dann, meine ich, ist es an der Zeit, die Systematik, den Weg zum Ziel, entsprechend zu ändern. Die Abbruchrate ist zu hoch. Und wir sagen auch: Die Prozesse von Memmingen und die Vorgänge an der deutsch-niederländischen Grenze dürfen sich nicht wiederholen.
({3})
Wir Sozialdemokraten drehen deshalb die Parameter um: Die Unterstützungsmaßnahmen für die Schwangere, das Kind und die Familie - bisher eher Beiwerk - treten an die erste Stelle. Die Strafnormen - bisher das Wesentliche - nehmen einen Nachrang ein. Konsequenterweise streichen wir daher alle Strafnormen des § 218 aus dem Strafgesetzbuch, lassen die Frau als Betroffene straffrei, bestrafen aber in jedem Falle die „Engelmacherin" und den den Abbruch vornehmenden Arzt nur nach den ersten zwölf Wochen und im übrigen, wenn er eine beschriebene Indikation nicht stellen kann.
Unserer Fristenregelung zugeordnet ist eine als Rechtsanspruch für die Frau ausgestaltete und, wie ich sagen möchte, umfangreiche Beratung, die sie allerdings nicht annehmen muß, sondern annehmen kann. Die Beratung ist bei uns unterteilt in eine solche für die Information und eine weitere zur Bewältigung der Konfliktlage der Frau.
Wir gehen davon aus, daß durch den Wegfall der Strafdrohung für die Frau dieser eine Barriere weggenommen wird bei der Frage, ob sie zur Beratung geht oder nicht. Wir gehen davon aus, daß sich die Frau, von der Drohung, kriminelles Unrecht getan zu haben, befreit, leichter löst.
Wir haben deshalb auch nicht dem Arzt die Androhung einer Ordnungswidrigkeit oder gar einer Strafe auferlegt, wenn er den Abbruch ohne Nachweis der Beratung vornimmt. Es soll auch über den Arzt kein Druck auf die Schwangere ausgeübt und damit der Weg zur Beratung erschwert oder als notwendig zu duldender - ich füge hinzu: aber auch bloß einseitig denkbarer und damit formaler - Vorgang abgewertet werden.
Ich verhehle nicht, daß es dazu unterschiedliche Auffassungen in der SPD-Fraktion gab. Eine Minderheit, zu der auch ich gehört habe, wollte, daß kein Arzt einen Abbruch sollte vornehmen können, ohne daß er sich über die Informationsberatung vergewissert hatte. Das sollte für den Arzt durch Androhung einer Ordnungswidrigkeit gesichert werden. Frei bleiben
sollte aber auch für die Minderheit die Verantwortung
das soll betont werden - für die Letztentscheidung der Frau, so daß sie unter gar keinen Umständen gehindert wird.
Im Beratungsbereich unterscheiden wir uns damit auch von der FDP, Herr Kollege Baum, die die Schwangere nur dann straffrei sein läßt, wenn sie den Abbruch nach Beratung von einem Arzt vornehmen läßt. Dieser Weg - noch viel weniger jener der Union
- stellt für uns nicht ausreichend sicher, daß die Möglichkeiten zur Beratung wirklich - soweit dies überhaupt möglich ist - ausgeschöpft werden.
Nun wird als Hauptargument gegen unseren Entwurf eingewandt, und zwar unter Hinweis auf drohende größere Abbruchzahlen und das Bundesverfassungsgericht, es fehle das strafrechtlich gedeckte Unwerturteil.
({4})
Bis 1974 haben die katholischen Bischöfe erklärt, es gebe eine jährliche Abbruchzahl von 360 000. Schon durch die Änderung 1974 ist mit einiger Sicherheit diese Rate gesenkt worden.
({5})
- Auf jeden Fall ist sie nicht höher geworden. - Damit wurde die Strafdrohung zurückgenommen. Wenn wir uns heute darüber beklagen, wie hoch die Abbruchrate ist, dann muß doch jeder erkennen: Die Strafdrohung hat in keinem Fall das geleistet, was sich viele von ihr versprochen haben.
({6})
Werfen wir einen Blick auf das Ausland, so stellen wir fest, daß es dort nicht anders ist.
Darüber hinaus haben wir „um die Schwangere herum" für Strafdrohungen gesorgt: für die Engelmacherin und für den Arzt in den genannten Ausnahmefällen.
Ich darf noch einmal das Bundesverfassungsgericht zitieren, das gesagt hat:
Der Gesetzgeber kann die grundsätzlich gebotene rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck bringen als mit den Mitteln der Strafdrohung. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet.
Wer daraufhin unseren Entwurf unvoreingenommen liest, muß sehen, daß es wohl kaum einen Entwurf gibt, der eine solche „Gesamtheit" zusammengefügt hat.
Ich habe 1989 ein Schlußwort zu einer Debatte über § 218 gesprochen. Diese Debatte ist nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Ich darf meine damaligen Ausführungen hier als Appell wiederholen: Wir sind von unterschiedlichem Herkommen und unterschiedlichen Auffassungen. Und es gibt kaum einen verletzlicheren Bereich als den der Regelung und Beurteilung eines Schwangerschaftsabbruchs. Die es angeht
- das sind jetzt wir -, sollten sich deshalb bewußt sein, daß Schuld menschlichem Urteil unterliegt und Fehlurteile menschlich sind, der Gerichteten, aber auch der Richtenden.
Vielen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Monate waren von einer intensiven, harten und von Vertretern der katholischen Kirche teilweise aggressiv geführten Auseinandersetzung
({0})
über die bevorstehende Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs geprägt, die der Sache nicht immer dienlich gewesen ist.
Jetzt liegen sechs Gesetzentwürfe auf dem Tisch, die von einer Verschärfung der derzeit in Westdeutschland geltenden Indikationsregelung über eine Fristenregelung mit freiwilliger oder obligatorischer Beratung bis zur grundsätzlichen Legalisierung jeder Abtreibung ohne Beratung und Fristsetzung reichen
- ein weites Spektrum, das die unterschiedlichen Ausgangspositionen, besonders die rechtspolitischen, juristischen Positionen, deutlich macht, aber auch die sehr differenzierte Einschätzung des Instruments Strafrecht aufzeigt: seine Bedeutung, seine Wirkung, seine Funktion und auch seine Grenzen in einer pluralistischen Gesellschaft. Hier prallen die Gegensätze aufeinander, hier ruhen die Ursachen von Emotionen, und deshalb lassen Sie mich hierzu einige grundsätzliche Anmerkungen machen.
Das Strafrecht als Ausdrucksform moralischer Wertentscheidung, das Strafgesetzbuch als Mittel zur Bildung des Rechtsbewußtseins? Bedeutet eine drastische Strafandrohung für den Schwangerschaftsabbruch ein deutliches Bekenntnis zum Leben, das Nein zum Strafrecht ein deutliches Bekenntnis gegen das Leben?
({1})
Wird ein Handeln, das rechtlich nicht verboten wird, damit zum ethisch erlaubten? Muß, was moralisch zu mißbilligen ist, notwendigerweise Gegenstand des Strafgesetzbuchs und damit mit strafrechtlichen Sanktionen belegt sein? - Fragen, die in ihrer Gegensätzlichkeit alle mit Nein beantwortet werden müssen und uns vor Augen führen, daß Strafbarkeit, Strafandrohung, Strafverfolgung und Strafverurteilung Instrumente des Staates sind, die ein bestimmtes Verhalten erzwingen oder verbieten sollen. Zur Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen greifen sie schon lange nicht mehr. Jeder in Westdeutschland weiß, daß es nach wie vor zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt, die nach dem geltenden Recht, der Indi3648
kationsregelung, nicht erlaubt sind. Der Staat setzt also seinen Strafanspruch größtenteils nicht durch.
Heißt die Konsequenz daraus: grundsätzliche Legalisierung jeder Abtreibung ohne Einschränkung? Auch diese Frage kann nur mit einem deutlichen Nein beantwortet werden.
({2})
Zwei in der Konfliktlage einer ungewollten Schwangerschaft in Widerstreit stehende, schützenswerte Rechtsgüter, das sich entwickelnde Leben und das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frau, besonders in der Form der Ausgestaltung ihres Selbstbestimmungsrechts, lassen keine absolute Antwort zugunsten des einen oder des anderen Rechtsguts zu. Das ungeborene Leben kann nicht gegen den Willen der Frau geschützt werden. Die Frau kann nicht durch den Staat zur Fortsetzung der Schwangerschaft gezwungen werden. Die Frau und das sich entwickelnde Leben bilden eine Einheit. Die Verantwortung kann der Frau nicht abgenommen werden; sie kann auch auf niemanden übertragen werden, auch nicht auf den Arzt.
Damit sind Verpflichtungen des Staates und auch seine Grenzen aufgezeigt. Verpflichtung heißt, alles zu tun, um Abtreibungen zu reduzieren, am besten überflüssig zu machen. Das beginnt bei der Aufklärung, der Information über Empfängnisverhütung und der Abgabe ärztlich verordneter Verhütungsmittel auf Krankenschein. Das ist für uns eine unverzichtbare Forderung in dem Gesamtkomplex unseres Vorschlags. Dazu gehören umfassende Familienberatung, Hilfen zur Familienplanung, Hilfen für die Frau und die Familie, die länger wirken als ein einmaliger Geldbetrag für den Kauf eines Kinderwagens.
({3})
Verpflichtung heißt auch, sich in der rechtsgestaltenden Ordnung für den Schutz des ungeborenen Lebens auszusprechen. Der Schutz des ungeborenen Lebens muß in der Rechtsordnung als zu schützendes Gut verankert sein, der Abbruch mißbilligt werden. Die FDP hat dies in einer sehr differenzierten Ausgestaltung in ihrem Gesetzentwurf ausgearbeitet. Verpflichtung des Staats beinhaltet aber auch die Achtung des Persönlichkeitsrechts der Frau. Dies bedeutet, anzuerkennen, daß eine ungewollte Schwangerschaft eine schwere Konfliktlage ist. Dies bedeutet die Verpflichtung des Staates zu Hilfen bei der Entscheidung und führt damit konsequenterweise zu einer verpflichtenden Beratung, die ein offenes Gespräch sein muß, das das Eingehen auf Probleme und Nöte der Frau umfassen muß.
({4})
Eine obligatorische Beratung kann in den Fällen helfen, in denen z. B. der Partner Druck auf die Frau ausübt, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Sie kann dann ein Gegengewicht und eine Unterstützung für die Frau bei ihrer eigenen Entscheidung schaffen. Sie kann die Entscheidung der Frau bilden helfen, sie bestätigen oder vielleicht auch nachträglich beeinflussen. Sie muß frei von psychischem Druck
sein, vertraulich und ohne drohende gerichtliche Überprüfung.
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Wenn das zusammenkommt, ist sie nicht diskriminierend, keine Zumutung für die Frau und keine Mißachtung ihrer eigenen Entscheidungskompetenz, sondern Hilfe zur eigenverantwortlichen, nur dem eigenen Gewissen unterworfenen Entscheidung.
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Die Bewertung dieses Handelns, der Entscheidung für oder gegen einen Abbruch, steht jeder Person, jedem in unserer Gesellschaft frei. Aber erwarten Sie als einzelner nicht, daß Ihre Maxime zum Maßstab des Handelns des Gesetzgebers erhoben wird. Wertepluralität heißt auch, daß der Staat keine immer und für alle gültigen Moralvorstellungen vorgeben und in Gesetzen verankern kann.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile jetzt das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Barbara Höll.
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Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um den § 218, dessen Beibehaltung, Verschärfung oder Streichung, bewegte in den letzten Monaten auch unsere Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste und meine Organisation, den Demokratischen Frauenbund e. V., sehr stark. Es herrscht Konsens, daß die §§ 218, 219 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden müssen. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, tatsächlich darüber zu diskutieren, was ein Schwangerschaftsabbruch im Leben einer Frau bedeutet, wie und unter welchen Bedingungen er erfolgt und welchen Einfluß ein Staat darauf haben sollte oder nicht.
Für sinnlos halte ich in diesem Zusammenhang eine weitere Diskussion, ob die Streichung der §§ 218, 219 aus dem Strafgesetzbuch als ersatzlose Streichung zu verstehen ist oder nicht. Nur durch eine solche Streichung der angegebenen Paragraphen kann gewährleistet werden, daß das Denken und Handeln einer Frau, welche für sich das Austragen einer Schwangerschaft tatsächlich in Frage stellen muß, entkriminalisiert wird.
Mit der Fristenlösung in der ehemaligen DDR war eine entsprechende gesetzliche Regelung gegeben, die gewährleistete, daß die Frau stets straffrei blieb, wenn sie sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschloß.
Die in der ehemaligen DDR verfochtene Regelung der Fristsetzung von zwölf Wochen bedeutete für den Arzt, daß er sich, wenn er später einen Schwangerschaftsabbruch durchführte, eine Ordnungswidrigkeit zuschulden kommen ließ.
Unbedingte Voraussetzung, das Problem des Schwangerschaftsabbruchs zu diskutieren, ist meines Erachtens, den tatsächlich auftretenden Konflikt anzuerkennen. Es ist richtig und notwendig, das Recht der Frau auf Selbstbestimmung über ihren Körper, über ihre Schwangerschaft und ihre Entscheidung einzuklagen. Genauso richtig ist es, daß die Frau ein Recht auf Selbstbestimmung auch über ihre Schwangerschaft tatsächlich nur wahrnehmen kann, wenn sie auch als Person insgesamt selbstbestimmt leben kann; das heißt, diese Diskussion erhält nur dann tatsächlichen Sinn, wenn die Frau die Entscheidung für oder gegen ein Kind aus sich heraus treffen kann. Dies setzt meines Erachtens unbedingt das verwirklichte Recht der Frauen auf ökonomische Selbständigkeit und Unabhängigkeit im gesellschaftlichen Leben voraus. Die Frau muß durch die Gesellschaft solche Bedingungen erhalten, daß sie tatsächlich das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft verwirklichen kann. Jede Frau sollte selbst entscheiden können, ob sie ein Leben mit Kindern - wenn ja, mit wie vielen - führen will und wann sie diese Kinder zur Welt bringen möchte. Das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ist der Frau zu gewährleisten.
Wie jüngste soziologische Untersuchungen im Osten beweisen, würden sich im Falle einer ungewollten Schwangerschaft die meisten Frauen für das werdende Leben entscheiden, insbesondere dann, wenn sie sich ohnehin einmal ein Kind wünschen und die Partnerbeziehung auf Liebe beruht. Die ostdeutschen Frauen wollen über eine Schwangerschaft selbst bestimmen und erwarten eine gesetzliche Regelung, die ihre Freiheit in dieser Frage nicht beschneidet.
Das ist seit langem bekannt, und dieser Standpunkt hat sich auch noch gefestigt: 89 °A, der Männer und 95 % der Frauen sehen es als normal an, daß auch künftig die Schwangere selbst über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft entscheiden soll. Vor allem: Keine der Frauen mit der gelebten Erfahrung der in der ehemaligen DDR praktizierten Fristenlösung sehnt sich nach fremd- oder mannbestimmten Verhältnissen.
Herr Präsident, gestatten Sie mir, im Anschluß an diese Rede dieses Votum der Ost-Frauen für die ersatzlose Streichung der §§ 218 und 219
({0})
- hören Sie doch bitte zu, was ich sage - zu bekräftigen, indem ich nahezu 25 000 Unterschriften für diese Forderung übergebe,
({1})
die von den Frauen in den neuen Bundesländern gesammelt wurden. Das können wir noch weiter diskutieren.
Gemeinsam mit den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern dieser Forderung sehe ich in den auf uns überkommenen Verhältnissen die Notwendigkeit, dieses Recht auf Abbruch einer Schwangerschaft als
selbständiges, herausgelöstes Recht der Frau gesetzlich zu verankern,
({2})
weil die gesellschaftlichen Gegebenheiten nun einmal so sind, wie sie sind: männerdominiert, frauenund kinderfeindlich.
Ich halte es für notwendig, die Frage der Schwangerschaft und eines möglichen Abbruchs der Schwangerschaft zugleich als einen tatsächlichen ethischen Konflikt zu begreifen. Daß im Körper der Frau Leben entsteht, ist eine biologische Tatsache. Wann dieses Leben befähigt ist, selbständig zu leben, hängt von den gegebenen medizinischen, sozialen und anderen Bedingungen ab. Kinder haben tatsächlich unterschiedliche Überlebenschancen. Es ist ein großer Unterschied, ob sie in einem hochentwickelten Industriestaat in einem hochspezialisierten Krankenhaus oder in einem unterentwickelten Land zur Welt kommen.
Die Definition, wann das entstehende Leben Leben ist und für sich selbständig Rechte anzumelden hat, ist sicher schwierig. Es ist Tatsache, daß dieses entstehende Leben unter entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen immer frühzeitiger auch selbständig, von der Mutter getrennt, überlebensfähig ist. Es geht nicht darum, den Embryo von der Mutter zu trennen und die Mutter nur als „embryonales Umfeld" zu betrachten. Aber es kann genausowenig angehen, allein den Körper der Mutter zu betrachten und dem entstehenden Leben ein eigenständiges Recht abzuerkennen.
Das werdende Leben zu schützen, ihm sowohl in der Phase seiner Entstehung als auch in den Jahren der kindlichen und jugendlichen Entwicklung beste Bedingungen zu gewährleisten, sollte Verpflichtung des einzelnen und der Gesellschaft sein. Eine abgetrennte Diskussion jedoch, die nur den Schutz des ungeborenen Lebens zum Gegenstand hat, ist unehrlich und heuchlerisch. Ich möchte hier nur an den langen Prozeß der Unterzeichnung und Ratifizierung der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes erinnern, wo die Bundesrepublik zu den letzten Staaten der Welt gehört. Die Frau und ihr Embryo bilden eine untrennbare soziale und körperliche Einheit. Die Frau ist nicht auf eine Funktion als „embryonales Umfeld" zu reduzieren.
Die Annahme, daß es hier um einen tatsächlichen ethischen Konflikt geht, gestattet dann allerdings die gemeinsame Suche von Menschen, in diesem Konflikt einen bestimmten Kompromiß zu finden. Ich sehe diesen Kompromiß in einer gesetzlich fixierten Fristenlösung, d. h. einer Frist, innerhalb der es auf breiter gesellschaftlicher Basis akzeptiert wird, daß das Selbstbestimmungsrecht der Frau vorrangig ist, einer Frist, in der die Frau unter medizinisch geringem Risiko sich dazu entschließen kann, die Schwangerschaft abzubrechen, und andererseits das entstehende Leben noch nicht eine solche Entwicklung erreicht hat, daß es fähig wäre, selbständig und unabhängig von der Mutter zu existieren.
Eine Fristsetzung - ob zehn oder zwölf Wochen - ist auch aus der Erfahrung der Handhabung der Fristenlösung in der ehemaligen DDR aus verschiedenen
Gründen zu befürworten: Erstens. Es ist eine Entscheidungshilfe für jede Frau, daß ein Rahmen gesetzt ist, bis zu dessen zeitlichem Ende sie normalerweise ihre Entscheidung getroffen haben muß, ob sie ein Kind gebären möchte oder nicht. Das heißt nicht, daß Frauen nicht selbständig in der Lage wären, diesen Konflikt zu entscheiden.
Zu behaupten, jede Frau sei selbst interessiert daran, ihre Schwangerschaft möglichst zeitig abzubrechen und, wenn sie sich einmal dazu entschlossen habe, diesen Abbruch auch durchzuführen, geht meines Erachtens jedoch etwas an der Realität vorbei. Nachgewiesenermaßen erfolgt die Mehrzahl der Schwangerschaftsabbrüche erst nach der 10. Schwangerschaftswoche.
Eine zweite wesentliche Prämisse möchte ich hier noch anfügen: Weil ich den Prozeß der Schwangerschaft als etwas Besonderes im Leben begreife, als einen Prozeß, in dem neues Leben entsteht, ist für mich der Abbruch tatsächlich nur eine letzte Möglichkeit, eine Notbremse, die gezogen werden kann. Aber diese Möglichkeit muß jede Frau haben.
Den Vorrang hat für mich und für viele meiner Wählerinnen und Wähler die rechtzeitige, sachgemäße und humanistischen Maßstäben verpflichtete Sexualaufklärung und Verhütung. Da die PDS/Linke Liste Familienplanung und Verhütung ungewollter Schwangerschaft als ein gesellschaftliches Problem ansieht, halten wir die gesellschaftliche Lösung desselben für unerläßlich. Als einen ersten, kurzfristig realisierbaren Schritt erwarten wir von der Regierung die bundesweite Sicherung unentgeltlicher Bereitstellung von Schwangerschaftsverhütungsmitteln.
In unserem vorliegenden Antrag Drucksache 12/490 fordern wir die Bundesregierung auf, im Haushalt 1992 die Erstattung der Kosten für die unentgeltliche Verabreichung von hormonalen Kontrazeptiva in allen Bundesländern vorzusehen und für 1993 eine Einbeziehung in das Sozialgesetzbuch V vorzunehmen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, als nächste Rednerin hat das Wort Frau Abgeordnete Ursula Männle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Es gibt das moralische Ungenügen der Politik, es gibt aber auch das politische Ungenügen der Moral. Politik muß ethischen Maßstäben unterstellt werden, sie ist aber nicht auf Ethik reduzierbar. Alle politischen Fragen haben eine moralische Relevanz. Sie können aber nicht allein durch moralische Anstrengung gelöst werden.
Bernhard Sutor beschreibt meines Erachtens in diesen Sätzen treffend das diffizile und spannungsreiche Verhältnis von Ethik und Politik.
Dies gilt insbesondere in der Frage des Schutzes ungeborenen Lebens. Die vor allem im außerparlamentarischen Raum geführten Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate gehören sicherlich nicht zu den Sternstunden politischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Die zahlreichen Appelle, in einem rationalen Diskurs eine verfassungskonforme und den individuellen Konfliktsituationen von Frauen angemessene Regelung zu erarbeiten, nach vertretbaren Antworten auf ein moralisch-politisches Dilemma zu suchen, haben leider keinen großen Erfolg gezeigt. Im Gegenteil: es herrscht vielerorts eine Stimmung ideologischer Mobilmachung. Wenn wir draußen die Trillerpfeifen hören und wenn wir hier die politischen Happenings mit dem Überreichen von Unterschriften erleben, dann glaube ich, daß dieses Verhalten der Ernsthaftigkeit des Problems nicht gerecht wird.
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- Da stimme ich Ihnen zu, Herr Dr. Vogel. Das gilt für jedwede Couleur.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Unionsparteien lehnen Fristenregelungen, offene oder verkappte, ab. Ein Recht auf Abtreibung, d. h. ein Recht auf Tötung ungeborener Kinder,
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zeitlich unlimitiert, wie von der PDS/Linke Liste und vom Bündnis 90/GRÜNE gefordert, oder ein uneingeschränktes Entscheidungsrecht der Frau während der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft, wie von SPD und FDP vorgeschlagen, hieße, das Lebensrecht ungeborener Kinder zur Disposition des einzelnen oder der einzelnen zu stellen. Mit der gleichen Radikalität, mit der für das Existenzrecht des Waldes gestritten, für effektiven Tierschutz plädiert wird, mit der gleichen Radikalität wird für ein unlimitiertes Selbstbestimmungsrecht der Frau, aber gegen die Eigenwertigkeit und gegen den Rechtsschutz ungeborenen Lebens votiert. Ist dies ein Beitrag zur Glaubwürdigkeitskrise unserer Gesellschaft? frage ich Sie.
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Ich möchte auch zu bedenken geben: Unbegrenztes Selbstbestimmungsrecht heißt auch alleinige Entscheidungsverantwortung der Frau, heißt, daß sich Gesellschaft und Politik ihrer Mitverantwortung für den Schutz des ungeborenen Lebens entziehen könnten. Damit entledigten wir uns der von der Verfassung auferlegten Pflicht, Leben zu schützen.
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Unsere Antwort muß vielmehr mit den Grundwerten unserer Verfassung - Schutz von Menschenwürde und Leben - in Einklang stehen. Sie muß aber auch der Lage von schwangeren Frauen in Konflikt- und Notsituationen Rechnung tragen.
Die Wertordnung unseres Grundgesetzes verpflichtet uns in dreifachem Sinne: erstens zu einer klaUrsula Männle
ren Entscheidung für den Vorrang des Lebensrechts vor dem Selbstbestimmungsrecht,
({4})
zweitens zu einem verantwortlichen Freiheitsgebrauch des einzelnen - d. h. Recht auf freie Entfaltung der Person unter Beachtung der Rechte anderer; das Recht auf freie Entfaltung enthält keinen Absolutheitsanspruch -,
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und drittens zu größtmöglicher Hilfe für die in einer
Konfliktsituation befindlichen Frauen, d. h. Wahrnehmung unserer Verantwortung für den Lebensschutz.
Leitgedanke des Vorschlags der CDU/CSU-Fraktion ist, diesen Grundsätzen folgend, der Vorrang helfender, präventiver und das Rechtsbewußtsein stützender sozialer Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, der Entschluß zu einer Abtreibung ist in den meisten Fällen Folge einer schwierigen, auf unterschiedlichen Ursachen beruhenden Konfliktsituation der Betroffenen. Frauen entscheiden sich nicht - wie von einigen gerne unterstellt - leichtfertig gegen ihr Kind.
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Nicht selten sind es materielle Gründe, wie schlechte Wohnsituation, unzureichendes Familieneinkommen, Arbeitslosigkeit oder hohe Verschuldung. Jede Abtreibung auf Grund einer bedrückenden materiellen Situation ist auch eine Bankrotterklärung des Sozialstaates. Die finanziellen Hilfen, die die Gesellschaft schwangeren Frauen in Konfliktsituationen bietet, sowie die familienpolitischen Maßnahmen sind deshalb nicht nur Zeichen praktischer Solidarität, eines gerechten gesellschaftlichen Lastenausgleichs, sie sind auch Test für die Ernsthaftigkeit unseres Bemühens um wirksamen Lebensschutz. Ja zum Leben heißt zugleich Ja zur Hilfe.
Wie Berichte der Beratungsstellen zeigen, sind es aber auch und vor allem persönliche Gründe: das Drängen des Partners, sich gegen das Kind zu entscheiden, fehlende Unterstützung oder gar Druck der Eltern, ausweglose familiäre Situationen, berechtigte Ängste vor erheblichen beruflichen Nachteilen.
Pauschale Verurteilungen von Frauen, die abtreiben, sind daher fehl am Platze. Nicht selten werden in Diskussionen Beispiele des Mißbrauchs der bisherigen sozialen Indikation erwähnt, werden Frauen des Egoismus und Hedonismus bezichtigt. Von denjenigen, die Frauen zur Abtreibung drängen, sie nötigen, von den Männern, die auf ihre Karriere schielen, Freizeit höher bewerten als familiäre Verpflichtungen, sich ihrer Verantwortung für ihre ungeborenen Kinder entziehen wollen, ist leider nur am Rande die Rede.
({7})
Frauen sind somit die doppelten Opfer: Opfer ihrer Entscheidungen - leider für die Abtreibung - und gleichzeitig auch Opfer dieses Drucks.
Frauen in einer schwierigen Konfliktsituation umfassende Hilfe, Information und praktische Unterstützung zu bieten ist vorrangiges Ziel einer unverzichtbaren Beratung. Beratung hat eine doppelte Funktion: Hilfe für Frauen in Schwangerschaftskonflikten und Interessenvertretung für diejenigen, die ihre Interessen nicht selber vertreten können, d. h. die Kinder.
Abtreibung ist - ich sage es sehr deutlich, weil heute schon x-mal davon die Rede war - kein Frauenrecht, keine reine Frauenfrage. Betroffen sind Frauen, Männer und vor allem Kinder. Es ist gefährlich, Beratung zum Leben als Freiheitsbegrenzung, als Entmündigung, als Bevormundung, als Diktat zu diffamieren. Diese Argumentation sieht nicht das Lebensrecht des ungeborenen Kindes, den Embryo als eigenständiges Rechtssubjekt. Die Fraktion der CDU/ CSU lehnt Beratung mit erhobenem Zeigefinger, Beratung als moralische Unterweisung, ebenso ab wie Beratung, die sich auf das bloße Registrieren von Einwänden gegen eine Schwangerschaft und auf Kurzinformationen beschränkt.
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Ich betone nochmals: Abtreibung ist Tötung von Leben. Die Verantwortlichen votieren für eine bestimmte Qualität ihres Lebens, indem sie sich gegen das Leben eines anderen aussprechen. Beratung für das Leben bedeutet daher umfassende Hilfe zur Verbesserung der Lage von Frauen, damit ein menschenwürdiges Leben für beide, für Mutter und Kind, möglich ist. Ich betone nochmals: Für die Unionsparteien ist Leitlinie der Vorrang präventiver, das Rechtsbewußtsein stützender, die Lebenssituation von Frauen, von Familien in unserer Gesellschaft verbessernder Maßnahmen, nicht die Bestrafung von Frauen.
Es gehört leider zu den Paradoxien unserer Gesellschaft, daß wir einerseits die ethisch-moralische Erneuerung fordern, dem Staat in immer mehr Bereichen normsetzende Funktion zuordnen, aber andererseits in der Frage des Schutzes ungeborenen Lebens staatliche Zurückhaltung, ja, staatliche Abstinenz einklagen.
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Pluralität von Wertvorstellungen und Streit um die richtige Auslegung von Verfassungswerten dürfen nicht dazu führen, daß wir uns faktisch von der Verfassung und den darin enthaltenen Grundwerten verabschieden
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und uns nur nach Belieben auf sie berufen. Die Werteordnung der Verfassung, der fixierte Grundkonsens unserer Gesellschaft - als dies sehe ich sie an - verpflichtet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Recht ist wertende Norm, ist Handlungsregulativ, ist Maßstab erlaubten und unerlaubten Handelns. Unser Ziel muß größtmögliche Übereinstimmung von praktischem Verhalten und ethischen Prinzipien der Verfassung sein, nicht Revision des Rechts angesichts abweichender Praxis.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Der von uns vorgelegte Entwurf stellt einen vernünftigen, rechtsgüterabwägenden Kompromiß dar. Recht als wertende Norm wird, wie Radbruch einmal formulierte,
nur dann eine wirkende Macht, wenn die realen Lebensbedingungen kinderfreundlicher, familienfreundlicher und frauenfreundlicher gestaltet werden. Die tragende Säule unseres Gesetzentwurfes ist der helfende, soziale Rechtsstaat, der die Wertordnung der Verfassung achtet.
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Meine Damen und Herren, ich erteile nun der Abgeordneten Christel Hanewinckel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche heute nicht nur für den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, sondern ich spreche auch als Vertreterin Tausender von Frauen, die in den neuen Ländern auf die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchrechtes warten, für Tausende von Frauen, die andere Erfahrungen mit einem Abbruchrecht haben als die Frauen in den alten Bundesländern.
Seit März 1972 galt in der DDR die Fristenlösung. Die schwangere Frau traf in einem Informationsgespräch mit dem Arzt oder der Ärztin die Entscheidung darüber, ob sie die Schwangerschaft austragen wollte oder nicht. Auf das Informationsgespräch hatte sie einen Rechtsanspruch. Daß dieses Informationsgespräch kein Beratungsgespräch war, möchte ich hier deutlich unterstreichen. Ein Abbruch war ohne Strafe und medizinisch abgesichert möglich. Es gab ein flächendeckendes Netz von Schwangeren-Beratungsstellen, in denen medizinische, soziale und psychologische Hilfen angeboten werden konnten. Daß diese Angebote nicht ausreichten, möchte ich ebenfalls unterstreichen.
Meine größte Kritik an der Regelung, wie sie in der DDR galt, ist folgende: Sie wurde getroffen ohne eine breite Diskussion in unserem Land, ohne daß Frauen und Männer, Väter und Mütter, ihre Vorstellungen für ein solches Gesetz hätten einbringen können. Nur den Kirchen war es damals vereinzelt möglich, Widerspruch anzumelden.
Die Abbruchzahlen konnten durch die Freigabe des Schwangerschaftsabbruches, nachdem sie erst relativ hoch waren, im Laufe der Jahre gesenkt werden. Sie haben sich dann etwa auf der gleichen Höhe wie in vergleichbaren europäischen Ländern eingependelt. Die Dunkelziffer, also der illegale Schwangerschaftsabbruch, konnte fast ganz aufgehoben werden.
Trotzdem ist dies keine befriedigende Lösung gewesen. Ich denke, nicht nur der Einigungsvertrag gibt uns auf, eine Neuregelung zu schaffen, sondern auch das Leben selbst. Es hat uns eingeholt und macht deutlich, daß sowohl in Ost als auch in West, in den neuen und in den alten Bundesländern, eine Neuregelung ansteht.
Ein Schwerpunkt der Debatte und auch ein Diskussionspunkt, um den es immer wieder hin und her geht, ist die Frage der Beratung als Pflichtberatung oder nicht. Innerhalb der DDR gab es keinen Beratungszwang, und es gab kein ausreichendes Beratungsangebot. Konfliktberatungsangebote für Schwangere gab es vorwiegend oder eigentlich nur im Rahmen der
evangelischen Kirche durch entsprechende Beratungsstellen und durch die Krankenhausseelsorge.
({0})
- Bei der katholischen Kirche ebenfalls, aber in einem sehr verminderten Maße und auch nicht ausreichend. Die Ausbildung der katholischen Beraterinnen und Berater erfolgte mit durch die evangelische Kirche.
Die Frauen in den neuen Bundesländern haben aber im Moment noch ein ganz anderes Problem. Sie betrachten nämlich die Art und Weise der bisherigen Diskussion um die Verschärfung bzw. die Beibehaltung des § 218 und die damit befürchtete Abschaffung der Fristenregelung, die bisher in der DDR galt, als einen Schlag ins Gesicht und als eine Verletzung ihrer Würde.
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Sie haben die Sorge, dann auch hier die Verliererinnen der Einheit zu sein und einseitig Lasten tragen zu müssen.
Sie wissen alle, daß die Arbeitslosenquote bei den Frauen in den neuen Bundesländern wesentlich höher liegt als die der Männer. Junge Frauen finden wesentlich schwerer einen Ausbildungsplatz. Wenn die Frauen Arbeit haben, ist es in der Regel eine weniger qualifzierte oder aber eine minder bezahlte Arbeit, obwohl die Qualifikation der Frauen gleich gut oder aber sogar besser ist. In Leitungsstrukturen von Politik und Wirtschaft sind Frauen prozentual sehr gering vertreten. 86 % der Frauen in den neuen Ländern wollen weiterhin berufstätig sein.
Die Frauen sind in der Familienplanung innerhalb der DDR die Verantwortlichen gewesen und geblieben. Das heißt, sie sind auch jetzt die Aktiven. Das bedeutet, sie sind die finanziell Betroffenen. Seit es die Pille oder das Intrauterinpessar bzw. andere Verhütungsmittel nicht mehr auf Rezept gibt, müssen sie zahlen. Jugendliche Mädchen sind vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Die Frauen haben den Eindruck, daß weiterhin über sie von Männern befunden wird und daß Gesetze gemacht werden, die die Lebenswirklichkeit der Frauen nicht achten und nicht respektieren.
Umfragen zeigen, daß weit über die Hälfte der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland für die Einführung der Fristenregelung ist. Deshalb, denke ich, sind wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber gut beraten, des Volkes Stimme zu hören und zu respektieren.
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- Was ist des Volkes Stimme? Sie werden sie sicherlich aus Veranstaltungen in Ihrem Wahlkreis kennen. Wenn Sie mit den betroffenen Frauen reden, stellen Sie fest, daß sie Ihnen sehr konkret sagen können, welche Vorstellungen sie haben. Arbeiten wir diese Vorstellungen nicht mit ein, ist meine Sorge sehr groß, daß die Politikverdrossenheit in den neuen BundesChristel Hanewinckel
ländern noch größer wird. Das, denke ich, kann nicht in unserem Interesse und nicht im Interesse dieses Volkes liegen.
Ich weiß, daß die Frauen bereit sind, ihren Anteil an der Last der Neugestaltung des Lebens in den neuen Bundesländern und damit in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen. Sie haben die Hoffnung, daß sie das auch tun können. Aber die Konditionen müssen gerecht sein.
Der Begriff „Selbstbestimmung der Frau" ist im Zusammenhang mit der Diskussion über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs kaum noch zu gebrauchen, weil ihm nämlich immer wieder zu viel Negatives unterstellt wurde.
Selbstbestimmung heißt eben nicht, daß sich die Frau gegen alles andere selbst behauptet. Es bedeutet auch nicht die Durchsetzung gegen alle anderen menschlichen Interessen. Selbstbestimmung heißt ebenfalls nicht verantwortungsloses Handeln. Es bedeutet auch nicht Eigennützigkeit gegen Kind, Mann und Familie und schon gar nicht - Frau Männle hat es ebenfalls gesagt - leichtfertiges Entscheiden. All das wird durch die tagtägliche Realität in den alten und neuen Bundesländern widerlegt.
In der DDR war - ich vermute, auch in den alten Bundesländern war das der Fall; so habe ich es mir jedenfalls sagen lassen - die Erziehung der Kinder von Geburt an bis zum zehnten Lebensjahr Sache der Mütter und Frauen. In der DDR nahm meistens die Mutter das Babyjahr in Anspruch, nicht weil sie sich unbedingt für geeigneter hielt, sondern weil sie in der Regel den geringeren Verdienst hatte. Die Krippenerzieherinnen waren und sind zu 100 % Frauen, Kindergärtnerinnen sind zu 99,9 % Frauen; in der ehemaligen DDR gab es einen Kindergärtner. In den ersten vier Schuljahren unterrichten zu 85 % Frauen.
Das alles heißt doch, daß Frauen offenbar verantwortungsvolle Geschöpfe sind, wenn man ihnen die Kinder während dieser für sie so wichtigen Jahre anvertrauen kann und wenn man ihnen zumuten kann, daß sie mit Liebe und Verständnis die Bedürfnisse ihrer Kinder erspüren und entsprechend handeln.
Das heißt also: Die Frau und Mutter hat ihre Selbstbestimmung nicht an die erste Stelle gesetzt. Sondern sie war und ist - da liegt der gleiche Befund für die DDR und die Bundesrepublik vor - letztendlich durch die Bedürfnisse von Kind, Mann und Familie fremdbestimmt.
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Ich denke, es ist an der Zeit, daß erstens eine positive Selbstbestimmung an diese Stelle gesetzt wird, die nicht gegen jemanden - gegen das Kind oder gegen die Familie - , sondern mit der Frau und mit dem Mann für Kind und Familie ist.
Zweitens heißt das auch, daß die Frau nicht die Verantwortungslose und Leichtfertige ist, sondern die, der viel Verantwortung und Liebe zugetraut, zugemutet und abgefordert wird.
Drittens ist sie deshalb diejenige, die verantwortlich und verantwortungsbewußt entscheiden kann, ob sie eine ungewollte Schwangerschaft, die sie in eine einmalige und nur für sie typische Konfliktsituation bringt, abbricht oder sich für das Kind entscheidet.
Meine Erfahrungen mit Frauen, die im Schwangerschaftskonflikt Beratung gesucht haben - ich habe 13 Jahre als Klinikseelsorgerin und Beraterin auf diesem Gebiet gearbeitet - haben mir gezeigt, daß die Frauen das Gefühl haben, allein verantwortlich zu sein, und daß sie das Gefühl haben, so oder so schuldig zu werden oder versagt zu haben. Der Schwangerschaftskonflikt ist nicht vergleichbar mit anderen Krisen- und Konfliktsituationen. Ich denke, deshalb ist Beratung eine ganz notwendige flankierende Maßnahme, und zwar ein breit gefächertes Beratungsangebot. Aber: Beratung kann nie eine Pflichtübung sein, denn sie würde dann die Entscheidungsfähigkeit und -möglichkeit der Betroffenen nicht fördern, sondern einengen.
({4})
Beratung wird durch Freiwilligkeit, gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz und Achtung der Entscheidung der Betroffenen konstituiert.
In allen Gesetzentwürfen, die uns heute vorliegen, ist das Ringen um eine lebens- und menschenwürdige Entscheidung zu spüren. Mehr oder weniger ist die Akzeptanz der Selbstbestimmung der Frau zu spüren. In allen Entwürfen aber wird deutlich, daß es vorläufige Regelungen sind und verbesserte Rahmenbedingungen für Familien und Frauen nicht ausreichen, sondern eine grundsätzliche Veränderung des Frauen-, Familien- und Kinderbildes in unserer Gesellschaft nötig ist. Solange sich Frauen bei der Arbeitsplatzsuche fragen lassen müssen, ob sie schwanger sind oder die Absicht haben, Kinder zu bekommen, solange Wohnungen mit der Bedingung „ruhige Mieter ohne Kinder und ohne Haustiere" vergeben werden, können wir nicht von einer familien- und kinderfreundlichen Gesellschaft reden.
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Unsere Aufgabe ist größer als die sogenannte „Neuregelung des Abbruchs". Deshalb sind wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber aufgerufen, durch Förderung einer kinderfreundlichen Gesellschaft, durch rechtlich gewährleistete Hilfen für Familien und Schwangere, durch Sexualerziehung und zuletzt auch durch die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ohne Pflichtberatung und ohne Strafrecht in den alten und neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland alles zum Schutz des werdenden Lebens zu tun.
Danke schön.
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte etwas zur Geschäftslage sagen. Wir wollen noch vor der Mittagspause folgende Kolleginnen und Kollegen hören: Herrn Dr. Menzel, Frau Dr. Süssmuth, Frau Dr. Niehuis, Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink, Herrn Norbert Geis und Frau Monika Brudlewsky. Zum Teil handelt es sich dabei um Fünfminutenbeiträge. Deswegen verzögert sich der Beginn der Ältestenratssitzung bis 13.15 Uhr.
Vizepräsident Helmuth Becker
Ich erteile jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Bruno Menzel das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion der letzten Wochen und Monate um die Neuregelung des § 218, um den Schutz des ungeborenen Lebens hat bedauerlicherweise oft das gebotene Maß an Sachlichkeit vermissen lassen und war häufig von Emotionen bestimmt, die dieser Problematik nicht gerecht wurden. Nur aus dieser Sachlage heraus ist es überhaupt zu verstehen, daß Fragen aufgeworfen werden können in dem Sinne, ob noch ein Grundkonsens hinsichtlich des Schutzes des Lebens vorhanden wäre. Ich denke, es braucht hier in diesem Hohen Hause nicht näher ausgeführt zu werden, daß der Schutz des Lebens oberstes Gebot ist und daß Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes für uns unverzichtbar sind.
Unter dieser Prämisse hat die FDP einen Gesetzentwurf eingebracht, um dem anstehenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers nach dem Einigungsvertrag Rechnung zu tragen. Ich denke, wir sind uns auch darin einig, daß das Nebeneinander zweierlei Strafrechts innerhalb eines Staates so schnell wie möglich beendet werden muß. Dieser Zwang zum Handeln, der im Einigungsvertrag festgeschrieben ist und der dem gesamtdeutschen Gesetzgeber die Pflicht auf erlegt, bis spätestens 31.Dezember 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz des vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist, bringt die Chance, eine Neuregelung zu treffen, die den Schutz des ungeborenen Lebens insgesamt besser gewährleistet.
({0})
Die uns bekannten Zahlen von Schwangerschaftsunterbrechungen - sowohl in der ehemaligen Bundesrepublik als auch in der früheren DDR - bringen ja wohl eindeutig zum Ausdruck, daß sowohl Strafandrohung als auch völlige Freigabe der interruptio keinen ausreichenden Schutz des werdenden Lebens gewährleistet. Daraus ergibt sich für meine Begriffe die Forderung nach einer schnellstmöglichen Neuregelung der Problematik, die sowohl der staatlichen Aufgabe des Lebensschutzes als auch den Belangen von in einer Konfliktlage befindlichen Frauen gerecht wird.
Der dem Gesetzentwurf der FDP zugrunde liegende Beschluß beginnt bewußt mit dem Satz:
Die FDP setzt sich für den Schutz des ungeborenen Lebens ein. Dabei ist gemäß dem Fristenlösungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 vom Vorrang des Lebensschutzes auszugehen, so daß nicht das Ob, sondern nur das Wie Ausgangspunkt aller Überlegungen sein kann.
({1})
Die grundsätzliche Zielstellung, nämlich der Lebensschutz und die Wahrnehmung der Interessen der
Schwangeren, darf kein unüberbrückbarer Gegensatz sein.
({2})
Dabei sind wir davon überzeugt, daß werdendes Leben nur in Übereinstimmung mit der Schwangeren geschützt werden kann, auf gar keinen Fall gegen sie.
({3})
Am untauglichsten, meine Damen und Herren, ist die Strafandrohung.
({4})
Ich denke, es besteht auch darüber Einigkeit, daß Strafandrohung zu keiner Zeit Schwangerschaftsunterbrechungen verhindert hat.
Herr Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jäger?
Bitte sehr.
Herr Kollege Menzel, wie verträgt sich das von Ihnen soeben Vorgetragene mit dem auch im Gesetzentwurf Ihrer Fraktion enthaltenen Strafanspruch des Staates, wenn der Abbruch der Schwangerschaft erst nach der 12. Woche erfolgt ist? Das heißt, daß nach der Auffassung Ihrer Fraktion das Leben des Kindes gegen die Frau geschützt werden kann, wenn diese einen Abbruch in der 14. oder 15. Woche erwägt. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie soeben gesagt haben?
Sie haben diese Frage hier ja schon wiederholt gestellt. Wir müssen ja irgendwo einen entsprechenden Zeitpunkt setzen. Selbst der Herr Geißler, der hier vorhin vorgetragen hat, hat das in entsprechender Weise dargelegt. Wenn Sie unseren Gesetzentwurf ganz genau durchlesen, dann werden Sie sehen, aus welchem Grunde wir diese Einteilung vorgenommen haben und warum wir diese Zäsur machen. Das steht dort eindeutig und ganz genau.
({0})
Deutliche Kritik wurde in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch an der damaligen Beratungsregelung geübt. Insbesondere hat das Gericht eine Regelung vermißt, wonach die Beratungsstellen so ausgestattet werden können, daß sie in der Lage sind, unmittelbare Hilfe zu leisten. Herausgehoben wird in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch, daß der Schutz des ungeborenen Lebens, der Leitgedanke des Vorrangs der Prävention vor der Repression und die Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen, Vorrang hat. Man kann, glaube ich, feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht mit dieser Bewertung die Fristenregelung nicht schlechthin für verfassungswidrig erklärt hat, sondern nur die 1974 beschlossene Gesetzesfassung. Jede Neuregelung des § 218 wird an der Wirksamkeit des Lebensschutzes und der Verfassungskonformität gemessen werden.
Wir meinen, daß eine modifizierte Fristenregelung mit obligatorischer Beratung dieser Forderung Rechnung trägt. Sie setzt voraus, daß alle notwendigen sozialpolitischen und fürsorgerischen Mittel zum Schutz des Lebens eingesetzt werden. Zum anderen muß durch die gesetzlichen Regelungen auch sichergestellt werden, daß die selbstverantwortete Entscheidung der Frau nicht allein durch das Selbstbestimmungsrecht und losgelöst vom Schutz des werdenden Lebens erfolgen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, halten wir die Fristenregelung mit obligatorischer Beratung für geboten.
Herr Geißler hat vorhin sehr eindrucksvoll ausgeführt, daß die Feststellung der psychosozialen Notlage eine Berechtigung zur Interruptio wäre. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Sie selber haben Ärzte in Ihrer Fraktion. Haben die Ihnen nicht gesagt, daß ein Arzt, noch dazu ein Gynäkologe, völlig überfordert ist, wenn er in einer einzigen Beratung eine psychosoziale Notlage feststellen soll?
({1})
Meine Damen und Herren, haben Sie sich überlegt, daß Sie mit dieser Forderung das Verhältnis zwischen Arzt und Patient konterkarieren? Er ist nicht mehr der Helfende, der Beratende; er ist der Untersuchende, der Richtende.
({2})
Damit wird eine grundlegende Voraussetzung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient empfindlich gestört. Dem kann man nicht zustimmen.
({3})
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich habe bis zum heutigen Tage 33 Jahre als Internist gearbeitet. Ich denke, ich war nicht der Allerschlechteste. Aber ich traue mir nicht zu, eine solche Entscheidung zu treffen, und ich wäre auch nie und nimmer bereit, dies zu tun.
({4})
Gestatten Sie mir noch eine Frage: Sie haben in Ihren Reihen Abgeordnete aus den neuen Bundesländern. Ich kann mich erinnern, daß auch Abgeordnete der CDU/CSU im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten sind, das für Ihre Wählerinnen durchzusetzen, was diese von Ihnen erwarten, nämlich keine Verschlechterung des § 218.
({5})
Dies wird jetzt von uns eingefordert. Da können wir uns drehen und wenden, wie wir wollen. Wir alle sind dazu aufgerufen, diese Forderungen in ein Gesetz einfließen zu lassen, das allen Berechtigten und Beteiligten gerecht wird.
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- Nein, auch nicht mit Ausnahme des Kindes.
Wir sind jedenfalls überzeugt, daß nur mit dieser von uns vorgeschlagenen Regelung erreicht werden kann, daß sich die Frau durch eine ihr helfende und sie nicht bevormundende Beratung in ihrer Konfliktlage, wenn überhaupt, für das Kind entscheiden kann.
Durch die im Gesetzentwurf der FDP vorgeschlagene Fassung des § 218 Abs. 1 des Strafgesetzbuches kommt die Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs zum Ausdruck. Es wird der irrigen Annahme eine Absage erteilt, daß es ein Recht auf Abtreibung gebe. Auch das sage ich hier ganz deutlich.
Wenn die von mir erwähnten sozialpolitischen Maßnahmen, die Sexualberatung und die Aufklärung über Verhütungsmittel verbessert sind und bundesweit qualifizierte Beratungsstellen eingerichtet sind, wird die Zahl der ungewollten Schwangerschaften und natürlich auch der Interruptiones deutlich abnehmen; davon gehen wir aus.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Die Fürsorge und Liebe, die wir von der Frau und dem Mann dem werdenden Kind gegenüber erwarten müssen, müssen wir, d. h. die Gesellschaft, auch der Frau zuteil werden lassen.
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Die Fürsorge und Liebe der Mutter, die aus dem Embryo ein Kind, ein neues Mitglied unserer Gesellschaft, werden lassen, das unsere christlichen Wertvorstellungen akzeptiert, müssen wir auch der Frau gewähren. Dies beinhaltet für mich die Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen für Kind und Frau, letzten Endes für eine kinderfreundliche Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich erteile der Frau Abgeordneten Dr. Rita Süssmuth das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wenn wir heute hier erneut über Frauen im Schwangerschaftskonflikt und den Schutz des ungeborenen Lebens sprechen, dann erwarten diejenigen, von denen und für die wir sprechen, daß ihnen durch das, was wir zu verbessern suchen, mehr Hilfe zuteil wird und weniger Konfliktsituationen zugemutet werden.
Deswegen denke ich, daß es eine große Übereinstimmung unter uns gibt, daß wir geborenes wie ungeborenes Lebens schützen wollen, und daß wir uns nur über das Wie streiten.
Wir müssen auch wissen - Dr. Vogel hat vorhin ein Wort von Frau Funcke zitiert - , daß am Ende dieses Prozesses nicht Lösungen aus dem neuen Gesetz hervorgehen, sondern allenfalls Regelungen, um die wir miteinander gerungen haben. Es gibt für diesen existentiellen Konflikt keine Lösung,
({0})
und es gibt auch nicht die Abwendung von Schuld;
denn in diesem existentiellen Konflikt ist dies zugleich
angelegt. Das Nichtalleinlassen der Frauen betrifft diejenigen Frauen, die im Konflikt stehen und nach Auswegen ohne Abbruch suchen, wie diejenigen Frauen, die einen Abbruch vollziehen mußten oder vollzogen haben und oft früher oder später schmerzvoll darunter leiden; sie können aus unserer Sorge ebensowenig entlassen werden.
Wenn wir uns diesem Tatbestand stellen, möchte ich einen zweiten nennen. Nach meiner festen Überzeugung kann ein Schwangerschaftsabbruch nur in einer bedrängenden und für die Frau nicht anders lösbaren Notlage gerechtfertigt sein.
({1})
Das habe ich heute in vielen Beiträgen gehört.
Ich denke auch: Eigentlich müßten wir das genauso wie unsere europäischen Nachbarn, ob Belgien, Frankreich oder Italien, in das Gesetz schreiben können. Denn damit würden wir zugleich aussagen: Niemand handelt anders als in einer Notlage.
Davon zu unterscheiden ist die grundsätzliche rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs. Denn ob christlich oder nicht christlich, an der Tatsache, daß es Leben von Anfang an ist, ändert kein Einwand etwas.
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Wenn wir dies sagen, füge ich aber hinzu: Zu meiner festen Überzeugung gehört auch, daß das Strafrecht nicht in der Lage ist, diese Konflikte zu lösen oder zu bewältigen.
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Es wird gesagt, wir würden die Lage verschärfen, indem wir neben der medizinischen die psychosoziale Notlage einführten. Man kann über die Schwerfälligkeit des Begriffs streiten, und jeder ist aufgefordert, eine bessere sprachliche Bezeichnung zu suchen. Es geht darum, daß wir mit dem Tatbestand Ernst machen, daß die Unverfügbarkeit über das Leben das eine ist, und das andere, daß es Situationen gibt, in denen dem einzelnen nicht das zumutbar ist, was der andere sich zumutet.
({4})
Auch das ist heute morgen schon gesagt worden. Hier sind die Situationen für Frauen individuell sehr verschieden. Es trifft auch zu: Je größer die Unterstützung durch den Mann und das Umfeld ist, desto weniger sehen sich Frauen in den Abbruch getrieben.
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Das heißt doch - ich hoffe, auch hier sind wir einer Auffassung - , die Tatsache, daß ein Kind geschädigt ist, ist in sich noch kein Grund für den Schwangerschaftsabbruch.
({6})
Genauso habe ich immer gesagt, daß das Risiko eines aidsinfizierten Kindes nicht das Recht mit sich bringt, die Frau zu zwingen, das Kind abzutreiben. Dies gehört alles in einen Zusammenhang.
({7})
Auch hier gilt die Entscheidung der Frau. Das steht auch unter dem Gesichtspunkt: Sie hat zu entscheiden, einzuwilligen.
({8})
Wenn wir dies sehen, dann geht es darum, bei der nicht-medizinischen Notlage gerade die subjektiven Momente ganz ernst zu nehmen, und dann ist es eine Überforderung, anzunehmen, dies sei nach objektiven Kriterien festlegbar und überprüfbar.
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Wenn wir das wissen, müssen wir daraus Konsequenzen ziehen und können wir nicht sagen, auf einem Umweg sei es überprüfbar. Wir können die Einhaltung der Verfahren und den offenkundigen Mißbrauch prüfen. Ich gehe davon aus, daß niemand hier im Hause will, daß ein Abbruch vorgenommen wird, weil ein Junge gewünscht wird, aber ein Mädchen unterwegs ist. Das kann kein Grund sein.
({10})
Wenn wir dieses ganze Spektrum hier hineinnehmen, geht es darum, wie ernst wir die Verantwortung der Frau und des Arztes nehmen. Ich führe zwei Punkte an, die mir wichtig sind.
Das, was wir über das Vertrauen im Beratungsgespräch gesagt haben, muß auch für die vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Arzt/Ärztin und Frau gelten. Es ist für die Mehrheit der Ärzte selbstverständlich, daß sie mit der Frau ein Gespräch führen. Ich denke, wir können davon ausgehen, daß kein Abbruch ohne ein Gespräch stattfindet und daß in diesem Gespräch die Frau ihre Gründe darlegt.
Ich habe aber immer gesagt: Die Letztentscheidung kann der Frau niemand abnehmen. Dabei bleibe ich.
({11})
Denn es kann nicht anders sein, als daß sie, die die Hauptbetroffene ist, sich in ihrer Entscheidung durch niemanden vertreten lassen kann.
({12})
Sie kann Menschen um Hilfe bitten. Sie kann die Gesichtspunkte der Beraterin, der Ärztin, des Arztes hören. Aber die Entscheidung kann ihr niemand abnehmen, auch der Arzt nicht.
({13})
Umgekehrt war mir hier heute morgen zu wenig vom Arzt und der Ärztin die Rede. Auch sie müssen ihrerseits eine verantwortungsvolle Entscheidung fällen,
({14})
bei der sie mit sich im Einklang sein müssen.
({15})
- Wir reden über Regelungen. Deswegen gehört hier
dazu, daß der Arzt von uns nicht ausgegrenzt wird, sei
es, daß wir über dieses Gespräch gar nicht mehr reden, weil wir es tabuisieren, sei es aber, daß wir ihm eine Verantwortung zuschreiben, die er gar nicht wahrnehmen kann.
Das ist der Vorbehalt der Ärzte: daß sie es nicht besser wissen können als die Frauen,
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daß sie entschieden bereit sind, ärztlich verantwortlich zu handeln, daß sie das auch nach Standesrecht festhalten wollen, daß sie aber diesen Tatbestand nicht zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung machen können.
({17})
Das müßten wir einwandfrei ausschließen, zumal da wir - auch darauf möchte ich hinweisen - in der Begründung des Mehrheitsgesetzentwurfs der CDU/ CSU klar gesagt haben, daß der Arzt weder Ermittler ist, noch ein Protokoll führt. Aber die Entsprechung im Gesetzestext fehlt noch.
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Frau Süssmuth, was sind die ärztlichen Gesichtspunkte, die der Arzt festhalten muß, wenn er eine psychosoziale Notlage festgestellt hat? Was sind die Kriterien, wie es in Ihrer Begründung steht? Wir haben den Gesetzentwurf bedauerlicherweise erst heute morgen zur Kenntnis bekommen, so daß wir uns schlecht darauf einstellen konnten. Was sind also die ärztlichen Gesichtspunkte einer psychosozialen Notlage?
Ich denke, das ist in der Richtung zu beantworten, Frau Würfel, daß der Arzt auch bisher nach ärztlichem Ethos und Standesrecht die Punkte niedergeschrieben hat. Es geht um den Sachverhalt, daß die von der Frau dargelegten Gründe für ihn die Grundlage seines Urteils sind. Er hat auch bisher schon niedergeschrieben, daß nach dem Gespräch mit der Frau für die Frau - das ist ein ganz wichtiger Punkt - eine Notlage vorliegt, die anders als durch einen Abbruch nicht abgewendet werden kann.
({0})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Frau Süssmuth, das heißt, der Arzt hält nicht die medizinischen Gesichtspunkte fest, sondern seine ethisch-moralischen Überlegungen, die ihm als Arzt gekommen sind?
({0})
Sie haben mich nach der Notlage gefragt. Der andere Punkt ist die medizinische Seite. Der Arzt ist verpflichtet, bevor er einen Eingriff vornimmt, die Frau auf die medizinischen Konsequenzen aufmerksam zu machen. Das alles gehört in den Bereich des Standesrechts.
({0})
- Darüber streiten wir. Das ist dem Ausschuß vorbehalten. Wenn wir nicht wollen, daß der Inhalt gerichtlich überprüfbar ist, dann müssen wir das in den Ausschußberatungen entsprechend vorsehen.
({1})
Frau Dr. Süssmuth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?
Wenn es mir nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Das wird es nicht, Frau Präsidentin.
Frau Kollegin Süssmuth, ich habe hier zum einen den Entwurf Ihrer Fraktion nach dem Stand vom 20. September 1991 und zum anderen den Entwurf in der neuen Fassung, wie er jetzt eingebracht ist. Der Unterschied ist im § 218 a, daß nach der alten Fassung der Arzt die wesentlichen ärztlichen Gesichtspunkte schriftlich festhalten soll, nun aber, nach der neuen Fassung, seine ärztliche Beurteilung. Können Sie uns den Unterschied einmal erläutern? Was soll der Arzt festhalten und was nicht?
In Präzisierung dessen, was ich gerade zum Haupttatbestand gesagt habe, was er festhalten soll, ist dieser Begriff „ärztliche Gesichtspunkte" deshalb umformuliert worden, weil sehr stark die Befürchtung aufkam, dies stünde in der Nähe eines Protokolls. Um Klarheit zu schaffen, ist die andere Formulierung aufgenommen worden.
In jedem Fall, also auch zu der Zwischenfrage, verweise ich auf Ihren Gesetzentwurf, wo Sie ja am Schluß auch auf das ärztliche Standesrecht Bezug nehmen und festhalten, daß der Arzt im Rahmen dieses Standesrechtes niederlegen muß, wieso er diesen Eingriff verantwortet. Es ist Teil des Standesrechtes.
Ich möchte, da mir nur noch ganz wenig Zeit bleibt,
({0})
- ich weiß - , abschließend noch ein Wort zur Beratung sagen. Wenn wir uns auseinanderdividieren in diejenigen, die für die Beratung sind, und diejenigen, die dagegen sind, dann möchte ich auch hier meinen Standpunkt sagen. Ich teile die Frauen nicht in entscheidungsreife und entscheidungsunfähige Frauen ein. Aber ich denke, daß die Beratung eine Verpflichtung gegenüber dem Schutz des Lebens ist
({1})
und daß sie zugleich eine Verpflichtung des Staates gegenüber der Frau im Schwangerschaftskonflikt und in der Nachsorge ist, gerade in der Frage, welche Hilfen wir ihr zuteil werden lassen.
Wenn wir gemeinsam der Auffassung sind, daß die helfende und aufklärende Arbeit das Entscheidende ist, dann kommt es darauf an, daß wir in der weiteren Beratung dies in den Mittelpunkt unseres Tuns stellen,
({2})
wissend allerdings auch, daß es - ich unterstreiche das noch einmal - in diesem Bereich kein Selbstbestimmungsrecht im Sinne des Verfügungsrechts über das menschliche Leben gibt.
({3})
Somit gibt es auch kein Recht der Frau, ihr Recht gegen anderes durchzusetzen. Sie hat eine komplizierte Gewissensentscheidung zu treffen, die ihr niemand abnehmen kann.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Edith Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Süssmuth! Ich denke, vieles von dem, was Sie gesagt haben, ist unserem Entwurf sehr viel näher als dem Entwurf der CDU/CSU. Aber an einer Stelle bitte ich Sie, doch noch einmal nachzusehen.
Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, die Frau habe beim CDU/CSU-Entwurf die Entscheidung in dem Arztgespräch, dann ist das schlichtweg falsch. In Ihrer Fassung steht: Der Arzt gelangt nach Darstellung der Schwangeren zu der Erkenntnis - der Arzt gelangt zu der Erkenntnis - , daß eine psycho-soziale Notlage vorliegt. Das ist bei Ihnen eindeutig: Nach Ihrer Formulierung entscheidet der Arzt.
({0})
Ich denke, die Frauen haben an dieser Stelle gerade von uns Frauen verdient, daß wir hier nicht so wakkeln, sondern ganz deutlich sagen, was wir meinen.
({1})
Schließlich sind es ja die Frauen, die von dieser Frage besonders betroffen sind. Das ist hier heute mehrmals betont worden. Sie sind betroffen, weil sie diejenigen sind, die das Leben in sich tragen, und weil es eine Entscheidung ist, die das Leben der Frau maßgeblich beeinflussen und verändern wird. Diese Feststellung ist unumstritten.
Dennoch weigern sich einige, aus dieser Feststellung die politische Konsequenz zu ziehen. Die einzige politische Konsequenz aus der besonderen Betroffenheit und der besonderen Verantwortung der Frau kann doch nur sein, daß die Entscheidungsbefugnis über Schwangerschaftsabbruch bei der Frau liegt.
({2})
Doch einige - damit meine ich nicht nur Herrn Jäger,
Herrn Werner und Herrn Geis; ich meine sehr viele
mehr - scheinen ihre ganze Kraft darein zu legen,
sich zu überlegen, wie man gerade verhindern kann, daß letzten Endes die Frau entscheidet.
({3})
Ich habe das Gefühl, daß es hier nach wie vor um ein negatives Frauenbild geht, das immer noch in einigen Köpfen vorherrscht. Dies führt in dieser ganz wichtigen Frage, Herr Jäger - gut, daß Sie stehen - , zu einer falschen politischen Front. Mit einem Appell an christliche und allgemein humane Werte versuchen die Gegner einer liberalen Lösung - wie z. B. Sie -, allen weiszumachen, hier gehe es um die Frage, ob Leben schützenswert sei. Es geht nicht um die Frage des Ob, es geht immer noch um die Frage des Wie.
({4})
Frau Dr. Niehuis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Nein, ich möchte ihm jetzt selbst noch einiges sagen. - Das, was mich an dieser Geschichte erbost, ist, daß Sie in dieser Frage immer nur dann anfangen zu reden, wenn es um die liberale Lösung geht. Das heißt, Sie trauen Frauen nicht zu, daß sie von sich aus werdendes Leben schützen. Das ist eine Unterstellung, die ich zurückweise.
({0})
- Ich bin selbst Mutter; über Mütter brauchen Sie mit mir überhaupt nicht zu reden.
({1})
Ich meine, Sie verstecken sich hier hinter Werten und geben sich nicht einmal die Mühe, zu fragen: Wie kann man denn werdendes Leben wirklich schützen? Man kann nicht häufig genug sagen, daß man das mit dem Strafrecht nicht kann, und darum gehört die Frau nicht strafverfolgt.
({2})
- Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.
({3})
- Ja, da konnte ich Sie schön ansehen.
({4})
- Entschuldigung.
({5})
Für die Strafandrohung wird immer wieder ins Feld geführt - auch heute ist das mehrmals geschehen -, sie fördere das Unrechtsbewußtsein. Ich glaube, an Hand der internationalen Statistiken kann man das
nicht beweisen. Was mich aber an diesem Argument, Strafe fördere das Unrechtsbewußtsein, im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch besonders stört, ist die Tatsache, daß Sie damit unterstellen, daß Frauen im Hinblick auf das werdende Leben nicht in der Lage sind, abzuwägen, daß Frauen im Hinblick auf das werdende Leben nicht zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, schlicht: Über die sittliche Kategorie entscheiden können.
({6})
Es ist eine ungeheuerliche Unterstellung, die Frau habe im Hinblick auf das werdende Leben kein ausgebildetes zuverlässiges Gewissen, und darum müsse diese Entscheidung der Frau mit einem Ersatzgewissen ergänzt werden. Als Ersatzgewissen bezeichne ich schlichtweg die Strafandrohung, die erzwungene Beratung und insbesondere die Indikationsstellung durch Dritte, wie es im CDU/CSU-Entwurf vorgesehen wird.
({7})
Daran gibt es nichts zu deuteln. Ich bin Herrn Dr. Menzel sehr dankbar für das, was er aus der Sicht des Arztes sagte. Schon der Familienministerin Rönsch ist auf dem 94. Deutschen Ärztetag ganz deutlich gesagt worden, daß die Ärzte diese Entscheidung nicht wollen. Auf dem 94. Deutschen Ärztetag war es die Mehrheitsentscheidung, daß Notlagenindikationen - ich zitiere die Ärzte - mit Mitteln ärztlicher Erkenntnis nicht feststellbar sind.
({8})
und daß es demgemäß nicht Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit sein kann, Notlagen zu konstatieren, die beim besten Willen nicht objektivierbar sind. Das ist die Aussage der Ärzte.
({9})
Ich denke, in dieser Feststellung der Ärzte steckt etwas Grundsätzliches. Die Feststellung von Indikationen durch Dritte macht die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch nicht objektiver. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Scheinobjektivität, die nur dazu dient, das Gewissen all jener zu beruhigen, die auf keinen Fall dem Gewissen der Frau vertrauen wollen. Das ist nicht in Ordnung.
({10})
Die Frage der Beurteilung und der Möglichkeit der Überprüfung hat verheerende Konsequenzen. Nach den Erfahrungen mit Memmingen haben Sie damit für die Ärzte die Hürde so hoch gelegt mit der Folge, daß dann die Hürde und der Hürdenlauf für die Frauen in dieser Frage unerträglich werden, sofern sich Ärzte überhaupt zur Verfügung stellen.
({11})
- Herr Präsident, können Sie mal klären, wer gerade redet, ich oder alle anderen?
Meine Damen und Herren, wir verständigen uns darauf, daß überwiegend Frau Dr. Niehuis das Wort hat.
({0})
Die achtenswerte Gewissensentscheidung der Frau, die das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Zusammenhang erwähnt hat, ist in unserem Grundgesetz schon längst geregelt. Unser Grundgesetz regelt in Art. 4 eindeutig, daß jeder Bundesbürger - und ich betone: auch jede Bundesbürgerin - die freie Gewissensentscheidung garantiert bekommt.
({0})
- Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden! - Wir Abgeordnete pochen darauf, daß wir nach unserem Gewissen entscheiden können. Und wenn es in dieser Frage wirklich eine wahre Gewissensentscheidung gibt, dann ist es die Gewissensentscheidung der Frau, wenn sie vor der Frage steht, werdendes Leben auszutragen oder nicht. Das ist die wahre Gewissensentscheidung in dieser Frage!
({1})
Es ist doch, Kollegen und Kolleginnen von der CDU/ CSU, wirklich widersprüchlich, daß Sie sich bei vielen Debatten hier hinstellen und immer wieder an die aufopfernde Bereitschaft der Frau erinnern, die Verantwortung für Kinder und Kindererziehung in dieser Gesellschaft zu übernehmen, aber in dem Fall, in dem es um Schwangerschaftskonflikt geht, eben dieser Frau ihre Bereitschaft zur Verantwortung für Kinder absprechen. So zwiespältig kann man mit Frauen nicht umgehen!
({2})
Die Frauenministerin sagte am 24. September in einem Interview mit der „Ostsee-Zeitung" , sie teile nicht die Auffassung, daß das Recht der Mutter auf Selbstbestimmung in einem Schwangerschaftskonflikt Vorrang habe. Wir haben heute - dies nun an die Adresse der Ministerin - sehr viel über Selbstbestimmung geredet. Ich wende mich energisch gegen all die, die hier behaupten, Selbstbestimmung sei das gleiche wie Gewissenlosigkeit, sei das gleiche wie Verantwortungslosigkeit, sei das gleiche wie leichtfertiger Umgang mit Leben.
({3})
Das ist nicht Selbstbestimmung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbruch. Wer das behauptet, hat sich noch nie mit der schwierigen psychischen Situation der Frau beschäftigt.
({4})
Dr. Edith Niehuis - Viele!
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Frau Dr. Niehuis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Werner?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
({0})
- Herr Jäger, nun regen Sie sich doch nicht auf! Lassen Sie mich doch einmal reden.
({1})
Was das Frauenbild betrifft, so gilt ähnliches nach wie vor wohl auch für die Beratungspflicht, die die FDP vorsieht. Im Grunde weiß auch die FDP, daß eine Beratung nur dann gut ist, wenn sie freiwillig ist und ein offenes Gespräch stattfinden kann. Das aber ist mit einer Beratungspflicht nicht in Einklang zu bringen. Daher muß sie in dem FDP-Entwurf entfernt werden.
({2})
Mir gefällt nicht, wenn Sie sich in diesem Zusammenhang immer hinter dem Verfassungsgericht verstecken. Ich habe Herrn Baum daher sehr gern zugehört, der gesagt hat, wir sollten uns als das verstehen, wozu wir gewählt wurden, nämlich als parlamentarische Gesetzgeber und nicht als Anhängsel des Bundesverfassungsgerichts.
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Ich bin fest davon überzeugt, daß das Bundesverf assungsgericht hier lernfähig sein wird, und meine, daß sich das Bundesverfassungsgericht eine kritische Selbstdisziplin in dieser Frage auferlegen muß. Denn ich habe meine Zweifel, ob es so zusammengesetzt ist, wie Art. 3 unseres Grundgesetzes es ganz gerne hätte: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. " In unserem Bundesverfassungsgericht sitzen in beiden Senaten sieben Männer und nur eine Frau.
({4})
Die kritische Öffentlichkeit muß, sofern das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, daher überprüfen, ob hier Männerjustiz am Werke war oder eine Justiz, die wirklich alle das Leben betreffenden Fragen behandelt hat.
({5})
Das Licht vor mir leuchtet auf; ich muß also aufhören.
Ich bin fest davon überzeugt - auch wenn Sie nicht so überzeugt zu sein scheinen -, daß der Entwurf der SPD für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft der Entwurf ist, der jetzt schon nicht nur die
deutsche Öffentlichkeit überzeugt, sondern auch hier im Haus überzeugend sein und nachher jeder gerichtlichen Überprüfung standhalten wird.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Funke-Schmitt-Rink.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Die gegenwärtige Praxis der Indikationsregelung von 1975 galt Liberalen immer als höchst ärgerlich, mußte aber als Kompromiß - gewissermaßen mit der geballten Faust in der Tasche - hingenommen werden. Erst der Skandal von Memmingen machte vielen Frauen und Männern in der Bundesrepublik den Abgrund zwischen Rechtsnormen, Rechtsprechung und Rechtsbewußtsein deutlich. Er zeigte, daß die Memminger Auslegung des geltenden § 218 für weite Teile der Bevölkerung nicht annehmbar ist.
Die Situation einer schwangeren Frau ist mit keiner Situation im Leben eines Mannes vergleichbar. Deshalb bezieht sich der § 218 auch auf einen einzigartigen Straftatbestand, nicht vergleichbar mit anderen im Strafgesetzbuch.
Die Grundfrage, vor der wir jetzt bei der Neuregelung des § 218 stehen, lautet also: Ist diese Rechtsnorm glaubwürdig und damit zweckmäßig, nämlich durchsetzbar, eine Norm, die erkennbar dem Rechtsbewußtsein der großen Bevölkerungsmehrheit widerspricht, eine Norm also, deren Verletzung auch in der Zukunft in der Regel straffrei bliebe? Wann und wie weit muß sich der Staat einmischen, wann nicht?
Seit der Entstehung des modernen Verfassungsstaats stehen sich zwei Bereiche - teils deckungsgleich, teils konfligierend - gegenüber: einerseit die politische Welt, in der allgemeinverbindliche Rechtsnormen gesetzt und durchgesetzt werden, andererseits die moralische Welt, in die religiöse und weltanschauliche Überzeugung gehören, die nur mehr private Geltung beanspruchen können.
Die gegenwärtige Abtreibungsdebatte leidet unter der Verquickung von Moral und Recht. Bei allem Respekt beispielsweise vor kirchlichen Standpunkten in der Abtreibungsfrage: In einem weltanschauungsneutralen Staat haben sie keinen Anspruch, zur Gesetzesnorm verallgemeinert zu werden. Nach Hobbes hat der moderne Staat den Individuen die rechtliche Unterwerfung abgerungen, indem er sie moralisch freigesetzt hat. Der Staat würde den inneren Frieden in Gefahr bringen, wenn er hinter diesen Stand zurückfiele. Der moderne Verfassungsstaat ist nicht mehr das weltliche Schwert der Kirche, er ist nicht der Vormund und nicht der Sittenwächter der Nation.
({0})
Die Strafnormen verlangen, wenn sie konsequent durchgesetzt werden sollen, die Zustimmung der Mehrheit jener, die ihnen unterworfen sind. Einen solchen Konsens gibt es bei der vorgeschlagenen VerDr. Margret Funke-Schmitt-Rink
schärfung der Indikationsregelung mit Sicherheit nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1975 optimistisch geglaubt, daß sein Urteil, das Mehrheitsvotum, im allgemeinen Bewußtsein als gerecht und sozial angenommen werden würde. Wir wissen heute, daß diese Erwartung falsch war.
Der moderne Staat kann und darf die Moralvorstellungen einzelner Gruppen nicht als allgemeine Norm oktroyieren. Er hat nach Karl Popper keine höhere Vernunft, keine tiefere Einsicht als die Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger.
({1})
Diese Mehrheit will die Fristenregelung mit oder ohne Beratungspflicht, keine verschärfte Indikationsregelung. Dem trägt der Gesetzentwurf meiner Partei Rechnung.
Für die FDP heißt deswegen das Ziel der Neuregelung: Hilfe statt Strafe. Was wir gemeinsam aufbauen müssen, ist eine kinderfreundliche Gesellschaft. Eine kinderfreundliche Gesellschaft bedeutet langfristig einen sozialen Umbau unserer Gesellschaft. Eine positive Entscheidung für einen solchen sozialen Umbau wäre ein Test für die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit all derer, die in Bund, Ländern und Gemeinden dem Schutz des ungeborenen und des geborenen Lebens erste Priorität geben wollen.
Von gleicher Wichtigkeit sind das Recht auf Beratung und Präventionshilfen, z. B. die Pille auf Krankenschein, damit es erst gar nicht zu unerwünschten Schwangerschaften kommt.
Fazit: Der Gesetzentwurf der FDP ist als einziger der vorliegenden Entwürfe in der Lage, sowohl einen effektiven Lebensschutz zu bewirken als auch der Frau in ihrer Konfliktlage Hilfe zu geben, um sie damit in die Lage zu versetzen, eine verantwortungsbewußte Gewissensentscheidung zu treffen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in einer wichtigen Phase der Entscheidung, in der unser Handeln daran gemessen werden wird, was wir früher zu diesem Thema gesagt haben. Diese Entscheidung trifft unsere Rechtskultur in einem entscheidenden Punkt. Es geht nämlich um die Frage, wie wir mit den Schwächsten, die sich selbst noch nicht artikulieren können, umgehen, und es geht um die Frage, wie wir es mit der Menschenwürde halten, zu der sich das Grundgesetz gerade auf Grund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in einer so eindeutigen Weise bekennt.
Ich glaube nicht, daß man sich in dieser Frage allein auf soziale Hilfen verlegen kann, wiewohl diese Hilfen sehr notwendig sind, und ich glaube auch nicht, daß man allein die Beratung in den Vordergrund stellen kann, wiewohl die Beratung bei dem Kampf um den Schutz des ungeborenen Kindes eine ganz ausschlaggebende Rolle spielt. Ich meine, wir kommen an der Frage nicht vorbei, ob sich nicht der Staat mit allen Mitteln, auch mit den Mitteln des Strafrechts, schützend vor das Kind stellen muß.
({0})
Dieser entscheidenden Frage versagen sich die FDP und die SPD im Grunde genommen nicht. Sie setzen ja ebenfalls das Strafrecht ein und halten es für das gebotene Mittel, um ungeborene Kinder zu schützen, nur nicht in den ersten drei Monaten. Das ist das Dilemma, das ausweglose Dilemma derer, die die Fristenregelung befürworten; denn die Fristsetzung allein schon führt die Fristenregelung ad absurdum.
({1})
Es gibt keinen vernünftigen Grund, zu sagen, nach den ersten drei Monaten solle das Strafrecht gelten, vorher nicht. Was machen wir denn kurz vor Ablauf der Frist und kurz danach? Es gibt keinen logischen Grund für diese Überlegung.
Deswegen ist dies ein auswegloses Dilemma, und weil dieses Dilemma so ausweglos ist, verlegt man sich auf die Formulierung, man müsse es der Frau, der Verantwortung der Frau überlassen; das Strafrecht könne in diesem Fall keine Rolle spielen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist Allgemeingut, daß das Strafrecht in einer säkularisierten Gesellschaft - um Spaemann zu zitieren - eine ganz ausschlaggebende Rolle in der Bewußtseinsbildung, in der Wertebildung einer Gesellschaft spielen muß und auch spielen wird.
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Daran halten wir uns ja auch in allen übrigen Fällen, nur nicht in diesem hier vorliegenden Fall - etwas, was ich mir nicht erklären kann und wofür ich keine Logik finden kann.
({3})
Da sagt man, die Frau müsse die Verantwortung tragen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frau hat - daran kann niemand vorbei - die wichtigste und erste Verantwortung für das Kind, aber doch für das Leben des Kindes und nicht auf den Tod hin.
({4})
Man sagt, man müsse die Entscheidung der Gewissensfreiheit der Frau überlassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können es doch in unserer Rechtsordnung nicht zulassen, daß es der Gewissensfreiheit von irgend jemandem überlassen bleibt, ob ein anderer leben darf oder nicht leben darf.
({5})
Das wäre eine inhumane Rechtsordnung! Sie sollten sich mit diesen Überlegungen stärker beschäftigen; dann kommen Sie vielleicht darauf, daß Ihre ganze Argumentation wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Es kann auch nicht so sein, daß wie gesagt wird, die Frau und dann vielleicht der Arzt die Entscheidung zu
fällen habe oder daß Frau und Arzt zusammen die Entscheidung zu fällen hätten,
({6})
Meine Damen und Herren, unsere Rechtsordnung hat die Entscheidung darüber zu fällen. Niemand sonst kann eine Entscheidung darüber fällen, ob jemand leben kann oder nicht leben kann. Unsere Rechtsordnung hat dies zu tun. Wir tun dies ja auch in allen anderen Fällen. Wir regeln hier die kleinsten Kleinigkeiten per Gesetz, und ausgerechnet in dieser Frage, bei der es um Leben oder Tod geht, verabschieden wir uns von unserer Rechtsordnung.
({7})
Was ist das, meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine unerträgliche Logik?
({8})
- Das ist eine unerträgliche Logik. Wir können nicht sagen: Wir verabschieden uns in einer Frage, in der es um Leben oder Tod geht, von unserer Rechtsordnung und überlassen es der privaten Beurteilung meinetwegen von Frau und Arzt; aber in anderen, viel kleineren unwichtigeren Fällen versuchen wir, alles per Gesetz zu regeln.
({9})
Hier geht es nicht mehr nur um die Frage des ungeborenen Kindes, sondern auch um die Frage der Glaubwürdigkeit von Parlament und Staat.
Damit kein Zweifel aufkommt: Ich trete für eine Indikationsregelung ein, weil ich der Auffassung bin, daß der Staat mit den Mitteln des Strafrechts sehr wohl an seine Grenzen geraten kann.
({10})
Es hieße das Strafrecht überfordern, wenn man glaubte, man könne schwierige Situationen mit dem Strafrecht lösen. Das wäre wirklichkeitsfremd. Deswegen trete ich für eine Indikationsregelung ein, aber für eine Indikationsregelung ein, die vom Gesetz umschrieben ist, die von unserer Rechtsordnung umschrieben ist und die gerichtlich nachprüfbar sein muß, weil wir sonst den Anforderungen unseres Sozialstaates, unseres Rechtsstaates nicht gerecht werden würden. Deswegen trete ich für den Gesetzentwurf der Gruppe um den Abgeordneten Werner ein, weil ich meine, daß hier am konsequentesten dieser Grundgedanke verfolgt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mag dieser Gesetzentwurf durchaus auch im Augenblick keine Chance haben, die Mehrheit zu finden, so ist doch zu beachten: 300 000 Kinder werden jährlich in der Bundesrepublik Deutschland durch Abtreibung getötet. Dies ist ein furchtbares Unrecht. Dieses Unrecht schreit zum Himmel. Dieser Schrei wird von immer mehr Menschen gehört werden.
Danke schön.
({11})
Meine Damen und Herren, es folgt der letzte Redebeitrag vor der Mittagspause. Das Wort hat Frau Abgeordnete Monika Brudlewsky.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich bin eine Ostfrau. Nachträglich, verehrte Frau Höll von der PDS: Ich verbitte mir energisch, daß Sie mit Ihren Ausführungen alle Frauen bei uns in der ehemaligen DDR vertreten wollen.
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Ich erhebe diesen Anspruch auch nicht.
Ich gehöre zu den Unterzeichnern des Entwurfs der Initiativgruppe um Herrn Werner. Als Frau und Mutter aus einem der fünf neuen Bundesländer ist es mir ein besonderes Anliegen, daß die Menschen bei uns wieder zu den Werten finden, aus denen die Menschengeschichte lebt. Wir müssen wieder klarstellen: An erster Stelle steht eben nicht das Selbstbestimmungsrecht, und sei es noch so wichtig. An die erste Stelle gehört das Recht auf Leben, das ureigenste Menschenrecht überhaupt, und das ohne Abstriche.
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Die kommunistischen Machthaber wollten die Welt beherrschen. In ihrer Gier und um ihre Ziele zu erreichen, haben sie bei Bedarf diese Werteskala auf den Kopf gestellt. Sie haben auch die ganze Welt damit infiziert.
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Was war das Leben bei uns in der DDR wert? Schauen wir uns doch die Kreuze an der Berliner Mauer an!
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Gehen wir in die Altersheime dort, und fragen wir in den psychiatrischen Anstalten nach. Selbst die Frau wurde bei uns in ihren höchstpersönlichen Angelegenheiten zum Objekt des Staates degradiert. Das wurde ihr als Freiheit verkauft. Schwangere und kurzarbeitende Mütter paßten nicht in den Produktionsablauf. Wir hatten damals Arbeitskräftemangel. Und hauptsächlich deshalb wurde 1972 die Verfügung über das ungeborene Leben, die Fristenregelung, als ein Mittel der Geburtenregelung freigegeben. Die Frau war nun angeblich völlig frei und konnte allein entscheiden. War es wirklich so? Zu einem sehr großen Teil war die Frau gar nicht so frei. Vielmehr war sie erpreßbar, weil das Gesetz bestand. Ich brauche Ihnen das sicher nicht zu erklären.
Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich möchte nicht auf Zwischenfragen antworten. Jeder hat nachher die Gelegenheit, selber zu sprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, niemand von der CDU will die Frauen verurteilen. Was soll das Gerede von helfen statt strafen? Wer wollte denn straMonika Brudlewsky
fen, statt zu helfen? Wir nicht! Helfen vor strafen sollte der eigentliche Slogan sein.
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Mit dem Strafrecht sollen doch die Frauen nicht vor den Richter gezerrt werden, wie es die Gegner unseres Vorschlags gern behaupten. Wir wollen mit dem Strafrecht einen Grenzpfeiler setzen, wirklich als letztes Mittel, um dem Mißbrauch zu wehren. Das Strafrecht wird zum Schutz jedweden Eigentums und zum Schutz der Tiere und der Umwelt akzeptiert. Das finden alle in Ordnung, nicht wahr? Bei all diesen Problemen hat das Strafrecht unbedingt auch schützenden Charakter. Gerade heute haben wir doch ein Gesetz zum Schutz von Tieren vor Mißbrauch überwiesen. Haben Sie das schon vergessen?
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- Ja. Genau das ist ja das Schlimme.
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Wir wollen diesen Grenzpfeiler setzen, damit nicht übersehen wird, daß das Leben von Anfang bis Ende nicht verfügbar ist. Wir von der Initiativgruppe vertreten mit unserem eindeutigen Entwurf die vielen Menschen im Land, die zu unserer Diskussion schweigen oder den Kopf schütteln. Dazu gehören auch die alten Menschen in den fünf neuen Bundesländern, die mir erzählen, wie schwer sie es seit 1945 hatten und wie bitter damals die vierte oder fünfte Schwangerschaft war. Aber dann kommt oft ein Leuchten in die Augen und der Satz: Es ist dann aber unser Bestes gewesen.
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Wir vertreten auch die jungen Menschen, die zwar noch unerfahren im Leben sind, die es aber nicht begreifen können - wenn sie es denn erfahren - , daß ihr Geschwisterchen getötet wurde. Sie erschrecken furchtbar bei dem Gedanken, daß es genauso sie hätte treffen können.
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Das Vertrauen in die Eltern wird schwer erschüttert.
Wir vertreten die Behinderten in diesem Land, die fragen, ob ihr Leben nun wirklich unwert sei. Auch die Behinderten gehören zu unserer Menschheitsfamilie!
Schließlich vertreten wir hier und heute die Stummen, die keiner sehen kann, die nicht zu hören sind. Sie sind das schwächste Glied in der Menschenkette. Es sind Tausende! Wird uns das noch bewußt?
Zum Abschluß möchte ich Ihnen an diesem denkwürdigen Tag einen ebenso denkwürdigen Satz nicht vorenthalten. Es ist die Herrnhuter Losung des heutigen Tages. Meine evangelischen Freunde hier im Saal werden diese Losung heute früh sicher auch gelesen haben. Sie lautet: „Wer dem Geringsten Gewalt tut, lästert dessen Schöpfer."
Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
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Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich erteile der Abgeordneten Frau Merkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz des ungeborenen Lebens ist ein Thema, das Frauen in ganz besonderem Maße betrifft. Sie sind es, die schwanger werden und das Kind zur Welt bringen; sie sind es, die zumeist für die Erziehung des Kindes die Verantwortung und die Mühe tragen; sie sind es auch, die, wenn es dazu kommen sollte, einen Schwangerschaftsabbruch und seine seelischen Folgen verkraften müssen. Deshalb habe ich mich als Frauenministerin intensiv in diese Diskussion und in den Prozeß des Gesetzgebungsverfahrens eingeschaltet.
Frauen gehen verantwortungsvoll mit ungeborenem Leben um. Es ist gut, daß die heutige Debatte um den § 218 und die vorgelagerte Diskussion anders verlaufen, als dies vor 20 Jahren der Fall war. Heute ist es eigentlich überall unbestritten, daß es sich bei den Ungeborenen um Leben handelt, um Leben, das einen Anspruch auf Schutz hat. Das bedeutet, daß es auch einen Anspruch auf Schutz durch unsere Rechtsordnung hat.
Gestatten Sie mir gerade auch deshalb ein Wort, das ich als eine Frau aus der ehemaligen DDR sagen möchte: Es macht mich betroffen, wenn die Entscheidung, die wir zu treffen haben, mit dem Schießbefehl an der Mauer gleichgesetzt wird. Ich vermute, daß sich auch die allermeisten katholischen Christen, die sich um eine vernünftige und sachgerechte Lösung bemühen, in dieser Frage bei einem solchen Vergleich mißverstanden fühlen.
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Als Frauenministerin trete ich für den Gesetzentwurf der CDU/CSU ein. Ich denke, er verbessert das geltende Recht im Sinne der Frauen und im Sinne des ungeborenen Lebens ganz entscheidend.
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Insbesondere - das ist heute vielfach berücksichtigt und betont worden - ist es wichtig, daß er das beinhaltet, was auch für mich ausschlaggebend ist: daß letztlich nur die Verbesserung der sozialen Situation von Müttern und Vätern mit Kindern die Frage entscheiden kann, ob es uns in absehbarer Zeit gelingt, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken.
Wir haben einen ganzen Katalog von Maßnahmen vorgeschlagen. Wir werden in den parlamentarischen Beratungen darüber sprechen und sind uns über die Fraktionsgrenzen hinweg auch einig, daß dies so ist.
Besonders wichtig für mich als Jugendministerin ist natürlich der Ausbau der Kindergartenbetreuung. Wir wollen, daß bis zum 1. Januar 1997 jedes Kind ab drei Jahren das Recht hat, einen Kindergartenplatz in Anspruch zu nehmen.
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- Auch ich empfinde dies als ein sehr spätes Datum. Aber immerhin: Wenn wir uns - auch im Bundesrat - darauf einigen könnten, wäre dies ein festes Datum. Sie wissen genauso wie ich, daß die Länder eine Übergangszeit hinsichtlich der Plätze, aber auch hinsichtlich der Ausbildung von Erzieherinnen brauchen.
Jedem Bundesland ist es natürlich unbenommen
- vier haben es schon geschafft - , innerhalb ihrer Landesregelungen einen Rechtsanspruch festzulegen. Trotz all dieser Maßnahmen wird es immer Frauen geben, die sich in Notlagen befinden. Auch dem wird unser Entwurf gerecht.
Die vorgeschriebene qualifizierte Beratung ist ein wesentlicher Bestandteil des CDU/CSU-Entwurfs. Sie ist keine Bevormundung, wie hartnäckig aber fälschlicherweise immer wieder behauptet wird, sondern sie ist eine Hilfe für die Frauen. Sie eröffnet Freiraum in Konfliktsituationen. Ich verstehe die Beratung als das letzte von der Gesellschaft angebotene Mittel zur Auflösung des jeweils individuellen Konfliktes der Frau mit Angeboten, insbesondere sozialen Hilfen. Ich wünsche mir, wie es schon heute morgen gesagt wurde, daß alle Beratungsstellen diese Angebote auch wirklich unterbreiten.
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Trotzdem, denke ich, ist es wichtig, noch einmal zu betonen, daß das ungeborene Leben unter einem besonderen Schutz steht und nicht beliebig verfügbar ist. Deshalb muß aus meiner Sicht der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich von der Rechtsordnung mißbilligt werden. Trotz dieser grundsätzlichen Mißbilligung wissen wir, daß es schwerwiegende Konfliktlagen gibt, in denen Frauen keinen anderen Ausweg sehen als einen Schwangerschaftsabbruch. In diesem Konflikt müssen wir ihnen auch als Gesellschaft zur Seite stehen.
Lassen Sie mich ein Wort dazu sagen, welche Aufgabe denn das Strafrecht in diesem Zusammenhang haben soll und haben kann. Das von uns vorgeschlagene Strafrecht kann und will nur den groben Mißbrauch verhindern und das Verfahren der Konfliktauflösung sichern. Es soll nicht mehr sein, aber es soll auch nicht weniger sein.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion orientiert sich an der besonderen Konfliktsituation der Schwangeren. Wir wissen aus der Arbeit der Beratungsstellen, daß der innere seelische Zustand der Frau bei ihrer Entscheidung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Arzt darf deshalb den Abbruch nur dann vornehmen, wenn die Frau so von ihrem inneren Konflikt bestimmt wird, daß ihr eine andere Möglichkeit der Konfliktauflösung nicht möglich erscheint. Damit, meine Damen und Herren, sind einer denkbaren gerichtlichen Überprüfbarkeit eindeutig Grenzen gesetzt, zum Schutz der Frau und zum Schutz des Arztes. Ich denke, es ist dem Thema nicht angemessen, wenn in dieser Debatte ständig mit Unterstellungen und falschen Behauptungen argumentiert wird. Wir sollten uns wirklich an der Realität orientieren.
Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion geht davon aus, daß natürlich nur die Frau entscheiden kann, ob eine Notlage für sie so schwerwiegend ist, daß nur ein Schwangerschaftsabbruch für sie als Lösung in Frage kommt.
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Sie entscheidet, ob sie die Darlegung bei dem Arzt vornimmt, daß sie sich in einer Konfliktsituation befindet, die für sie so schwer wiegt, daß der Konflikt nicht anders zu lösen ist.
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Dieses muß sie dem Arzt darlegen.
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Der Arzt muß sich in diesem Gespräch - nun warten Sie doch ab! - über die Konfliktlage der Frau ein Bild machen, und er muß sie als eine solche erkennen.
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Das ist nach seinem Standesrecht sowieso die Verpflichtung des Arztes; denn er muß auch standesrechtlich immer eine Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Schutz der Mutter vornehmen; er ist nach seinem Standesrecht zum Erhalt von Leben verpflichtet.
Die von der Opposition beklagte Verantwortung des Arztes könnte auch von einer Fristenlösung im Grunde nicht beseitigt werden. Ich denke, auch Sie wollen nicht, daß Ärzte verantwortungslos Entscheidungen treffen.
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Ich kenne das aus der DDR-Zeit noch sehr gut. Auch dort gab es eine Reihe von Ärzten, die sich nicht bereit erklärt haben, Schwangerschaftsabbrüche in bestimmten Lagen durchzuführen. Es kann kein Arzt zum Abbruch gezwungen werden,
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und es wird sich jeder verantwortungsvolle Arzt ein Bild über die Notlage der Frau machen.
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Deshalb ist es so, daß natürlich die Frau über ihre Notlage entscheiden muß und daß natürlich der Arzt darüber befinden muß, ob er einen Abbruch durchführt.
Gestatten Sie mir abschließend noch ein Wort als Frauenministerin an die Männer. Auch die Väter tragen selbstverständlich Verantwortung. Wer eine Frau zwingt, einen Abbruch vorzunehmen, wer sie in eine solche Situation drängt - das gibt es leider sehr häufig - , muß strafrechtliche Konsequenzen erwarten. Auch dies sieht unser Entwurf vor. Die Beratung darf sich daher nicht nur an Frauen wenden. Sie sollte die Väter einbeziehen, und sie sollte die Verantwortung der Väter stärken.
Meine Damen und Herren, der Schutz des ungeborenen Lebens gehört unter ethischen Gesichtspunkten zu den wesentlichen Fragen unserer Zeit. Der Gesetzgeber ist deshalb hier in aller Ernsthaftigkeit gefordert. Wir haben eine Entscheidung zu fällen, die für die soziale und moralische Verfassung unseres Gemeinwesens von sehr zentraler Bedeutung ist. Wir sollten uns alle gemeinsam dazu in der Lage sehen, dies auch in der angemessenen Weise zu tun. Ich denke, wir sind uns einig, daß wir trotz aller anderen Divergenzen unsere politischen Prioritäten für die Familie, für das Leben mit Kindern in dieser Gesellschaft setzen sollten.
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Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Becker-Inglau.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Salto mortale rückwärts oder Pirouetten auf dem glatten Eis der Parteipolitik hat uns soeben die erste Frauenministerin eines geeinten Deutschlands vorgeführt.
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Sie hat mit bemerkenswerter Schnelligkeit die überwiegenden Vorstellungen der Frauen in der ehemaligen DDR einfach über Bord geworfen. Und welchen Preis hat sie nun dafür gezahlt!
Ich habe in den Ausführungen vermißt, wie Sie diese fundamental abweichenden Regelungen gegenüber dem in den neuen Bundesländern noch geltenden Recht vertreten wollen, Frau Merkel. Es ist der größte frauenpolitische Rückschritt, den eine Frauenministerin hierzulande uns Frauen beschert hat.
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Ich als Sozialdemokratin halte unseren Entwurf für den entschieden besseren. Nach dem Motto, aller guten Dinge sind drei - möge diese symbolische Zahl diesmal ein gutes Omen sein - , wollen wir einen neuen Versuch starten.
Zum drittenmal in der deutschen Geschichte des Parlaments setzen sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit ganzer Kraft für eine grundlegende Reform des § 218 ein. Drei völlig unterschiedliche Gesetzentwürfe - 1920, 1973 und 1991 - wiederholen sich allerdings in der Kernaussage, die bis heute nicht realisiert ist: Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb einer bestimmten Frist. Andere Inhalte sind nicht identisch. An ihnen werden eben auch die Fortentwicklung unserer Gesellschaft, die Weiterentwicklung unseres Denkens und Entscheidens und die Auswirkungen unserer Erfahrungen sichtbar.
So wurde als neuer Gedanke die Prävention als eine wesentliche Säule unseres Gesetzes aufgenommen. Die Erkenntnis, daß präventive Maßnahmen eine Verminderung, vielleicht sogar eine Verhinderung ungewollter und unerwünschter Schwangerschaften sind, haben uns nationale und internationale Studien des Max-Planck-Institutes gezeigt.
Wir müssen einfach lernen, mit unserer Sexualität natürlich, offen und verantwortungsvoll umzugehen, weg von Mißbrauch, Verklemmtheit und Tabus. Sexualaufklärung und Sexualerziehung für Mädchen und Jungen, für Frauen und Männer müssen so angelegt sein, daß sie die Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln in Sexualität und Partnerschaft stärken, und helfen, diese Fähigkeit zu erlernen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Prävention ist damit für uns ein unverzichtbarer und nicht wegzudenkender Beitrag zum Lebensschutz. Den präventiven Maßnahmen messen wir eine erhebliche Bedeutung bei, so daß sich hierfür ein nennenswerter Posten im Ausgabevolumen unseres Gesetzentwurfs wiederfindet. Dazu müssen ärztlich verordnete Verhütungsmittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.
So wichtig und unverzichtbar Prävention auch ist, so wissen wir doch, daß wir damit nur einen Teilaspekt der Gesamtproblematik zufriedenstellend lösen können. Denn trotz aller präventiven Maßnahmen wird es immer wieder Konfliktsituationen und Schwangerschaftsabbrüche geben, und dies aus den unterschiedlichsten Gründen.
Genau für diese Konfliktsituationen sind wir als Politiker und Politikerinnen, als politisch Verantwortliche, gefordert, zumutbare verfahrensrechtliche Regelungen zu entwickeln. Dabei sind die Vorgaben unseres Grundgesetzes, wie die Würde des Menschen und die Persönlichkeitsrechte der Frau, mit den moralisch-ethischen Grundüberzeugungen respektabel zu vereinen.
Wir sollten uns hüten, in der Diskussion um die Ausgestaltung der künftigen Neuregelung ureigenste persönliche Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch zum Maßstab einer politisch-rechtlichen Regelung zu machen.
Ich respektiere die Haltung Andersdenkender, die etwa sagen, für sie käme unter keinen Umständen und niemals ein Schwangerschaftsabbruch in Betracht. Doch eine solche persönliche Einstellung kann und darf nicht allgemeingültiger Verhaltenskodex oder Inhalt eines Gesetzes sein.
Kein Gesetz kann die menschlichen Probleme lösen, die einem Schwangerschaftskonflikt zugrunde liegen - dies hat uns die Vergangenheit gezeigt. Wohl aber können und müssen wir Hilfen anbieten, um die äußeren Lebensumstände der Schwangeren so zu gestalten, daß sie in der Lage ist, das werdende Leben anzunehmen.
Für die Beibehaltung oder gar eine Strafverschärfung plädieren in Zuschriften, die ich täglich erhalte, überwiegend Männer, während fast alle Frauen eine Liberalisierung des geltenden Rechts fordern. Es macht mich betroffen, wenn Männer über die Bestrafung von Frauen in einem Konflikt sprechen, dessen Nöte und Ängste sie persönlich nie tangieren oder allenfalls nur mittelbar berühren.
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Betroffen macht mich auch die dahinterstehende
männliche Arroganz, den Frauen zwar die Verant3666
wortung für Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche zuzuweisen, ihnen aber gleichzeitig eine Entscheidungsfähigkeit abzusprechen und dazu noch Strafe anzudrohen, wenn sie diese Entscheidung allein treffen wollen.
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Die politische Antwort meiner Fraktion lautet daher: Eine Frau bleibt in einem Schwangerschaftskonflikt stets von Strafe frei. Für Frauen in Notsituationen wollen wir Hilfen statt Strafe - Hilfen, zugeschnitten auf typische Konfliktsituationen, beispielsweise in bezug auf Wohnung, Einkommen und Arbeit und unter besonderer Berücksichtigung der Alleinerziehenden. Dieses Sozialpaket macht den Kern unseres Gesetzentwurfs aus. Familien- und kinderbezogene Leistungen sind selbstverständlich nicht zum Nulltarif zu haben. Doch sind sie unverzichtbar. Mit diesem neuen Schwerpunkt entfernen wir uns inhaltlich von unserem 1974 gescheiterten Gesetzentwurf und folgen damit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vorbeugende sozialpolitische und fürsorgerische Mittel anstelle von Strafbewährung als für den Lebensschutz wirksam billigt.
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Der Erfolg der von uns vorgelegten gesetzlichen Regelung hängt entscheidend von der Akzeptanz der Frauen ab - in den alten wie in den neuen Bundesländern. Aus zahlreichen Veranstaltungen mit Frauen auch außerhalb meiner Partei weiß ich, daß sie Straffreiheit, ergänzende Hilfen für die Familien und verfahrensrechtliche Regelungen bejahen, bei denen sie verantwortlich und eigenständig entscheiden können.
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Der grundlegende Mangel einer jeden Indikationsregelung besteht letztlich nämlich darin, daß ein Arzt zum Richter der Frau in einem Schwangerschaftskonflikt wird. Dies kann und darf nicht die Antwort auf die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht und der Eigenverantwortung der Frau sein. Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie den von der Fraktion der SPD heute eingebrachten Gesetzentwurf!
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Nun hat der Abgeordnete Eimer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich ist die Abtreibung nicht eine Frage der Selbstbestimmung der Frau, da es dabei nicht allein um sie geht. Nur 50 % der Gene eines werdenden Kindes stammen von der Frau. Bei der Abtreibung geht es vor allem um das werdende Leben. Die befruchtete Eizelle ist nach unserer Rechtsprechung erbfähig und wird im Grundgesetz als Individuum betrachtet, das alle Grundrechte besitzt.
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Für mich ist Abtreibung Töten werdenden Lebens. Ein Recht auf Abtreibung gibt es nicht.
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Ich habe, wie Sie sehen, sehr strenge Vorstellungen zur Frage der Abtreibung. Aber ich bin trotzdem für die Fristenregelung. Nach meiner Auffassung kann ich meine strengen Vorstellungen nicht anderen aufdrängen. Die eigenen Vorstellungen zur Moral müssen oder sollten immer strenger sein als die, die ich über Gesetze anderen zumuten will.
Ich will und ich kann auch nicht in das Herz einer Frau schauen und erkennen, ob sich dort Not, Zweifel und Verzweiflung abspielen, oder die Vorstellung, daß die Abtreibung nur eine andere Form der Geburtenregelung ist, das kann ich ebenfalls nicht akzeptieren. Ich traue mir nicht zu, darüber zu urteilen und zu richten. Für mich ist dies ein Problem, dessen Lösung sich einem menschlichen Richterspruch entzieht. Wir sollten alle etwas bescheidener sein und zugeben, daß wir nicht oder zumindest nicht immer die Einflüsterung eines obersten Richter haben. Hier täte etwas weniger moralischer Rigorismus und etwas mehr Bescheidenheit gut.
Aus diesem Grunde kann ich auch keine Begründung für die Fristenregelung akzeptieren, die von der Selbstbestimmung der Frau ausgeht und sagt: Mein Bauch gehört mir. Es geht hier nicht um den Bauch, sondern es geht um das Kind. Die einzige Rechtfertigung für die Fristenregelung ist die, daß alle anderen Regelungen schlechter sind und daß wir zugeben müssen, daß wir hier nicht richten können.
Ich halte die Indikationsregelung vom moralischen Standpunkt aus für verwerflicher, weil wir so tun, als dürfe man unter bestimmten Bedingungen abtreiben.
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Der Indikationskatalog wird so zum Persilschein für Frauen zur Entlastung des Gewissens durch den Staat. Ich meine, es ist moralisch strenger und ehrlicher, wenn wir sagen: Es ist verboten abzutreiben; aber ich als Gesetzgeber werde keine Strafe vorsehen, weil ich um die Begrenztheit meiner Urteilskraft weiß und weil ich weiß, daß es in diesem Bereich für Frauen unauflösbare Konflikte gibt, die schwer genug sind; aber ich werde versuchen zu helfen, wo es möglich ist, und deswegen den Schwerpunkt auf die soziale Hilfe legen.
Der Vorschlag des Kollegen Werner ist von meinen Vorstellungen meilenweit entfernt, aber ich meine, er ist logischer als der Indikationskatalog und die Vorstellungen der Union.
Den Frauen helfen heißt aber nicht nur: im sozialen Bereich helfen und beraten. Das haben andere schon ausführlich angesprochen. Es wird sicherlich auch noch von Rednern nach mir angesprochen werden. Ich kann mich dem nur uneingeschränkt anschließen. Helfen bedeutet auch aufklären, und zwar besser aufklären als heute. Ich muß immer wieder feststellen, daß viele Frauen nicht wissen, daß es bei einer sogenannten Panne eine „Pille danach" gibt, die selbst jeder Sonntagsdienst verschreibt und die manch eine Abtreibung verhindern könnte.
Helfen könnte hier auch eine Pille, die in Frankreich zugelassen ist, aber bei uns nicht, die sogenannte RU 486, bei uns besser bekannt unter dem Namen Abtreibungspille. Wenn sie in der Zeit bis zur EinNorbert Eimer
nistung verwendet wird - dabei rechnen Juristen heute bis zum zwölften Tag -, ist dies nach dem heutigen Recht nicht einmal strafbar. Je länger man aber mit einer Abtreibung wartet, desto problematischer wird es vor allem vom moralischen Standpunkt aus. Ich kann deshalb nicht verstehen, warum diese Pille bei uns nicht zugelassen wird bzw. warum dazu bei uns kein Antrag gestellt wird.
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Für mich ist es schon ein Unterschied, ob die Einrüstung des Eis verhindert wird oder ob über chirurgische Maßnahmen ein Kind in der zehnten Woche abgetrieben wird.
Bei Gesprächen mit Frauenärzten wurde mir immer wieder gesagt, daß vor allem bei jungen Mädchen eine Welle von ungewollten Schwangerschaften festzustellen ist, wenn in irgendeiner Zeitung über die Schädlichkeit der Pille berichtet wird. Nun gibt es aber bisher keine zuverlässigere Methode als die Pille, gerade für junge Mädchen.
Die gleichen Frauenärzte glauben feststellen zu können, daß dann, wenn im Biologieunterricht Lehrer sogenannte alternative Methoden propagieren, die Zahl der ungewollten Schwangerschaften ebenfalls ganz deutlich nach oben geht.
Leider wird in dem ganzen Bereich Empfängnisverhütung oft mit einer sehr zweifelhaften Moral argumentiert.
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So glaube ich, daß die Verdammung der RU-Pille durch die damalige Gesundheitsministerin Frau Dr. Süssmuth dazu beigetragen hat, daß diese Pille nicht auf dem deutschen Markt ist.
Ich frage mich auch: Welche Moral herrscht in unserer Gesellschaft, die eine Abtreibung in manchen Kreisen als unproblematisch, ja, als eine andere Art der Geburtenregelung betrachtet, die aber eine Frau, die ihr Kind austrägt und anschließend sofort zu einer Adoption freigibt, als Rabenmutter anprangert?
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Ich will auch eine Frage an die katholische Kirche richten. Die Verwendung von Verhütungsmitteln ist nach ihrer Aussage eine Sünde, die Abtreibung ebenfalls. Was soll nun ein armer Sünder tun? Wenn er verhütet, muß er dies oft machen; er begeht also oft eine Sünde. Verhütet er nicht, dann muß er vielleicht irgendwann einmal abtreiben, weil die zugelassenen Methoden nur sehr unzuverlässig funktionieren.
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Herr Abgeordneter Eimer, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Nein, die Zeit ist sehr knapp.
Wenn die Verhütung keine Sünde mehr ist, dann wird es die Sünde Abtreibung nicht mehr so oft geben.
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Ich meine, all diejenigen, die heute so sehr mit moralischen Argumenten gegen eine Neuregelung des § 218, insbesondere gegen eine Fristenregelung, polemisieren, vergessen, daß die Fristenregelung die Abtreibung nicht vorschreibt, ja, sie sogar verbietet. Sie geht nur etwas gnädiger mit Frauen um. Etwas mehr Gnade, Demut, Verständnis, Nachdenklichkeit, Vergebung und Hilfe täten manchen Christen gut.
Ich meine also, daß nach alledem, was ich aufgeführt habe, nur festgestellt werden kann: Das Strafrecht kann nur eine untergeordnete Rolle spielen, wenn wir die Zahl der Abtreibungen verringern wollen. Das Wichtigste sind mehr Beratung und Hilfe für die Betroffenen, also für Frauen und Kinder, und etwas weniger rigorose Moral. Wir müssen aber auch erkennen, daß die Hauptmaßnahmen in anderen Bereichen liegen: im Bereich der Beratung, des Helfens und in der Änderung unserer Einstellung. Dazu will ich noch ein paar Sätze sagen.
Wir wollen die Pflicht zur Beratung. Abgesehen davon, daß wir glauben, daß der Entwurf der SPD die Hürde der Verfassung nicht nehmen wird,
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kann man bei aller Güterabwägung zugunsten der Freiheit der Frau das Lebensrecht des Kindes nicht ganz vergessen. Das Hinweisen auf diese Konflikte und das Aufzeigen von Hilfe, auch materieller Hilfe, für Frauen und Kinder gerade in einer Situation, in der sich Frauen sehr oft alleingelassen fühlen - und es wohl auch meistens sind -, sollte bei der Beratung nicht als Last, sondern als Entlastung angesehen werden.
Wenn wir uns bemühen, ein neues Gesetz zu schaffen, so wird das nach meiner Überzeugung sicher kein optimales Gesetz. Wir können aber versuchen, ganz schlechte Lösungen zu verhindern. Ich hoffe, daß wir dabei in aller Bescheidenheit zu einer Fristenregelung kommen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frauen! Was wir in den letzten Wochen und heute morgen hier erleben durften, ist meiner Meinung nach ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die gegen den § 218 sind. Es sollte vielleicht auch hier einmal zur Kenntnis genommen werden: Das ist immerhin die Mehrheit der Frauen in Ost und West.
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- Dazu gibt es Umfragen. Das müßten eigentlich auch Sie wissen.
Für Millionen von Mark wurden uns in den vergangenen Wochen Glanzbroschüren, die zerstückelte Embryos zeigen, Videobänder, ja sogar Platikembryos als Anschauungsmaterial zugeschickt.
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Die organisierten Abtreibungsgegner aus Kirche, Lebensschutzorganisationen und Politik haben eine Kampagne durchgeführt und uns Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche gemacht haben - auch ich gehöre dazu; das bekenne ich an dieser Stelle -, als Mörderinnen und unmündige Wesen dargestellt, diskriminiert und wollen uns kriminalisieren. Das menschen- und frauenverachtende Bild,
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das hier Lebensschützer, Politiker und leider auch Frauen von sich geben, soll politisch und ideologisch zum einzigen Wertmaßstab in unserer Gesellschaft werden.
Welch doppelte Moral hier eine Rolle spielt, werden wir mit Sicherheit in den nächsten Wochen sehen können, wenn es wieder einmal um die Beschlüsse des Haushaltes geht, wenn es wieder einmal darum geht, Milliarden - ich sage noch einmal: Milliarden - für Rüstungsausgaben zu beschließen, z. B. für den Jäger 90. Dies steht in keinem Verhältnis zu dem, was Sie von seiten der CDU/CSU, für die Familienpolitik tun.
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Welch doppelte Moral hier eine Rolle spielt, werden wir ebenfalls sehen können, wenn Sie den Finger für den Haushalt erheben und mit deutschen Waffen Menschen nicht nur im Golf, sondern inzwischen auch in Jugoslawien getötet werden.
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Leider ist mir bis heute kein einziger Brief von den Lebensschützerorganisationen zugegangen, der darauf aufmerksam macht und wirklich existierendes Leben schützen will.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil - natürlich aus dem Minderheitenvotum - zitieren, wo damals die Richterin Rupp-von Brünneck folgendes sagte:
Die Weigerung der Schwangeren, die Menschwerdung ihrer Leibesfrucht in ihrem Körper nicht zuzulassen, ist auch rechtlich etwas wesentlich anderes als die Vernichtung selbständig existierenden Lebens. Schon deswegen verbietet es sich von vornherein, die Abtreibung im ersten Stadium der Schwangerschaft mit Mord oder vorsätzlicher Tötung prinzipiell gleichzustellen.
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Auch das Bundesverfassungsgericht, dessen Urteil in vier der sechs vorliegenden Entwürfe immer als Grundlage genannt wird, hat sich in diesen Fragen nicht festgelegt, auch wenn inzwischen von vielen Seiten in der Öffentlichkeit dieser Eindruck erweckt werden soll. Es ist ja für uns Frauen - insbesondere für die Frauen im Westen - nichts Neues, daß die katholische Kirche, die Lebensschützer und Teile der CDU/CSU Abtreibung - selbst bei sozialer Indikation - nicht respektieren, sondern moralisch verurteilen und damit natürlich auch die Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen.
Entscheidend für die Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs als völlig verwerflich ist für die Lebensschützer, daß es sich hierbei um menschliches Leben handeln soll. Inzwischen sprechen sie sogar von ungeborenen Kindern.
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Um die Argumentation zu untermauern und zu verdeutlichen, werden pseudowissenschaftliche Erkenntnisse aus Forschung und Medizin bemüht,
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wobei auf die Möglichkeit der präzisen Darstellung der einzelnen Entwicklungsstadien eines Fötus und dessen hundertfacher Vergrößerung zurückgegriffen wird. Danach soll das nur wenige Millimeter kleine Zellklümpchen fast menschliche Züge bekommen. Dadurch soll Abtreibung als zunehmend brutaler werdender Akt erscheinen, wodurch gleichzeitig der gesellschaftlichen Stigmatisierung, moralischer Verurteilung von Abtreibung Vorschub geleistet wird. Damit wird außerdem ein Bild von der Frau als kaltblütiger Hexe konstruiert, die mit ihrem Zerstörungswillen kleine Kinder auf grausamste Art und Weise angeblich vernichtet. Die Folgen davon haben wir bereits in Memmingen gesehen, wo Prozesse gegen Frauen und Ärzte durchgeführt wurden.
So wird die Abtreibungsproblematik auf die unzulässige Frage reduziert: Bist du für oder gegen den Schutz des menschlichen Lebens? Eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gründen für die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch ist dann nicht mehr nötig. Es kann verurteilt werden, es kann Zwangsmutterschaft mittels Zwangsberatung erzwungen werden. Der Staat befiehlt, was die Kirche verlangt, und straft notfalls.
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Damit wird nicht das Leben, sondern das Patriarchat geschützt.
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Das traditionelle Frauen- und Familienbild soll weiter zementiert werden. Freiheit und Selbstbestimmung für Frauen wird ausgeschlossen. Diejenigen, die eine Abtreibung überhaupt erwägen, werden zu kleinen, dummen, unmündigen halberwachsenen Geschöpfen degradiert. Die anderen Frauen, die sich notgedrungen mit der Schwangerschaft abfinden oder sich für eine Fortsetzung entscheiden, sind demUlla Jelpke
gegenüber verantwortungsvoll, ernst zu nehmende Mütter und Frauen. Sie entsprechen auch dem gesellschaftlich-kulturellen, besser dem patriarchalischen Ideal der Mutter, die immer bereit ist, Leben zu schenken. Darin kommt das Frauenbild, auf dem die CDU/ CSU ihre Familienpolitik aufbaut, deutlich zum Ausdruck. Es ist das Bild der Frau, die als Erfüllung ihrer Wünsche das Mutterglück, die Kindererziehung und die Versorgung ihres lieben Mannes anzusehen hat,
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denn eine solche Frau kann man - wirtschaftspolitisch gesehen - am besten handhaben. Erstens. Wie wir gerade auch in den neuen Ländern sehen, entlasten sie auf dem Arbeitsmarkt die Arbeitslosenstatistik, womit eine Politik fortgesetzt wird, die in den alten Bundesländern nicht neu ist, die in den neuen Bundesländern aber erst noch durchgesetzt werden muß: Frauen als Reservearmee in einer kapitalistischen Gesellschaft.
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Zweitens. Im Sozialstaat lassen sich staatliche Leistungen, die in der Familie unentgeltlich übernommen werden, reduzieren oder streichen. Ich nenne z. B. Krankenpflege, Altenpflege usw. Wenn es nicht mehr ganz ohne Geld durchsetzbar ist, wird Erziehungsgeld bei gleichzeitigem Verbot von Berufstätigkeit gezahlt. Nichts gegen Erziehungsgeld - das möchte ich hier betonen -, aber nur in Verbindung mit sogenanntem Erziehungsurlaub belohnt, erzwingt es den Ausstieg und ist billiger als qualitativ gute und ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten in jeder Kommune.
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Drittens. Im ideologischen Sinne dient dieses Frauenbild dazu, gegen Existenzunsicherheit und Zukunftsangst Schutz in der Familie zu garantieren. Damit wäre gleichzeitig die alte Ordnung gerettet: der Mann als der Ernährer und die Frau als das Herz der Familie.
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Die Rückführung der Frau zu ihrer natürlichen Bestimmung durch die Aufwertung der Rolle der Mutter beschränkt die Frau auf ein Dasein in Familie und in Abhängigkeit vom Mann. Das wollen wir nicht.
Die Lebensmöglichkeiten von Frauen werden dadurch reduziert. Daraus folgt, daß Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, verstärkt gesellschaftlich Sanktionen ausgesetzt und einer Abtreibung verdächtigt werden. So wird Mutterschaft in dieser Gesellschaft zur unabdingbaren Forderung, die alle Frauen ohne Kinder zu sozialen Abweichlerinnen abstempelt. Moralische Verurteilungen führen aber genausowenig wie strafrechtliche Maßnahmen zu dem immer wieder genannten Ziel, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern.
Die Geschichte der Abtreibungsparagraphen ist dadurch charakterisiert, daß nicht Frauen selbst, sondern Fremde über sie entscheiden. Sind es Ärzt/Innen, Jurist/Innen oder Politiker/Innen - Frauen wird das Recht abgesprochen, eine eigene innere Instanz als Maßstab für ihre Entscheidung zu haben, solange sie dies nicht als patriarchalische Doppelmoral verinnerlicht haben. Sie werden in den Zustand von Rechtsunmündigen versetzt, für die vor allem Männer stellvertretend entscheiden. Damit wird ihnen die Eigenschaft, ein Gewissen zu haben und Entscheidungen treffen zu können, abgesprochen.
Das Abbruchverhalten von Frauen ist wesentlich von ihrer eigenen Lebenssituation und den Bedingungen abhängig, die sie erwarten, wenn sie eine Schwangerschaft austragen und einem Kind das Leben schenken. Kein Partner, kein Psychologe, kein Arzt und kein Berater kann ihr die Entscheidung abnehmen. Diese kann sie nur von ihrer eigenen Lebensbedingung abhängig machen; sie selbst kann es nur beurteilen.
Wesentlich dabei sind ihre emotionalen Fähigkeiten, ihre Angst und ihr Mut, ihr Zögern und ihre Entschlossenheit, die bestimmen, wozu sie sich in der Lage sieht. Entscheidungen sind an eigene Wünsche, Vorstellungen, Phantasien und Lebenserfahrungen gebunden. Deshalb fordern wir, zusammen mit der Frauenbewegung, daß dieses Selbstbestimmungsrecht endlich von allen Frauen akzeptiert wird.
Auf dieser Grundlage kann es nur eine Entscheidung geben: die ersatzlose Streichung der §§ 218 ff.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland muß ein kinderfreundlicheres Land werden. Darüber sind wir uns alle einig.
({0})
Viele Redner haben dazu sehr engagiert gesprochen.
Wenn sich der Bundestag nun seiner großen Aufgabe stellt, zum Schutz des ungeborenen Lebens bessere Regelungen zu treffen, als sie derzeit gelten, so sollte ihm aber auch bewußt sein, daß er sich mit den ethischen Wurzeln unserer Rechtsordnung befaßt.
Die alles beherrschende Frage unserer Zeit ist die Frage nach dem Selbstwert des Menschen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben unter dem Eindruck entsetzlicher Barbarei am Beginn unserer Verfassung grundlegend und verbindlich festgestellt:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.... Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Das Recht auf Leben und die Würde des Menschen bestehen aus sich und sind unantastbar auch dann, wenn sich der Mensch ihrer nicht bewußt, wenn er hilflos und von anderen Menschen gänzlich abhängig ist. Der Schutz des Lebens ist unteilbar.
Im Mittelpunkt unserer Debatte steht die Frau mit ihrer Würde, ihren Rechten und ihrer Not. Ich kritisiere dies nicht. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß
es bei einer Abtreibung ganz unmittelbar um zwei weitere Menschen geht: um den abbrechenden Arzt und das Kind.
Die Naturwissenschaft hat eine alte Streitfrage eindeutig geklärt, auch wenn dies noch nicht bis zur PDS durchgedrungen ist:
({1}) Das ungeborene Kind ist Mensch von Anfang an.
({2})
Mit 12 Wochen ist sein Körper schon ausgebildet; Gehirn und Nervensystem, Organe und Kreislauf haben ihre Funktionen aufgenommen. Es reagiert auf Reize von außen und empfindet Schmerz. Das ungeborene Kind ist ein individueller Mensch; sein Leben ist deshalb unverfügbar.
Das Recht auf Leben kann grundsätzlich nicht zur Disposition einer freien Entscheidung, auch nicht der schwangeren Frau, gestellt werden.
({3})
Die Rechtsordnung muß die Tötung menschlichen Lebens eindeutig mißbilligen und kann dabei auch auf das Strafrecht nicht verzichten.
Der Schwangerschaftsabbruch wird durch den Eingriff des Arztes vorgenommen. Ärztliches Handeln - das gilt ganz allgemein - bedarf der Indikation, aus der die Therapie folgt. Nur wenn der ärztliche Heilauftrag die vorgesehene Indikation und Therapie umfaßt, geschieht ärztliches Handeln nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Für den Arzt darf es keine Patientenautonomie geben, die ihn nur zum Handlanger des Patientenwillens macht.
({4})
Es ist gewiß so, daß in Teilen der Gesellschaft ein pragmatisches Denken vordringt, das sich vom Prinzip des unteilbaren Lebensschutzes entfernt hat. Das Leben ungeborener, behinderter oder sterbender Menschen erscheint weniger schützenswert. Die Tötung weniger wertvoll erscheinenden menschlichen Lebens könne in Abwägung gegen andere Interessen, etwa zugunsten unbeeinträchtigter Lebensgestaltung, und mit Rücksicht auf materielle oder berufliche Nachteile hingenommen werden.
Der Arzt habe beim Vollzug eine Dienstleistungsfunktion, die ihm grundsätzlich eröffnet werden müsse. Hier stellt sich die Frage, ob die Ethik des Arztes zu seiner Privatangelegenheit werden kann, die sich dem öffentlichen Interesse und damit staatlicher Regelung entzieht. Dies wäre die zwingende Folge, wenn der Verfassungs- und Gesetzgeber den Grundsatz vom unteilbaren Lebensschutz aufgäbe.
Die Freigabe der elterlichen Verfügung über das Lebensrecht des Ungeborenen, also die Fristenregelung, und das Auftreten des Arztes als Handwerker des Tötens würden folgerichtig auch die Diskussion über anderes lebensunwertes Leben und über die Euthanasie nach sich ziehen. Das Bild des Arztes als Helfer und Beschützer des Lebens würde tief beschädigt.
({5})
Der große Arzt Christoph Wilhelm Hufeland brachte die arztethische Grundposition auf diese Formel:
Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate; denn ist einmal die Linie überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Notwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweiser Progressionen, um den Unwert und folglich die Unnötigkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden.
Soweit das Zitat.
Arztethos und Rechtsordnung können nicht hinnehmen, daß Ärzte die käufliche Dienstleistung des Tötens ungeborener Kinder innerhalb einer Frist zu beliebigem Gebrauch anbieten. Der Arzt hat dem Leben zu dienen und Leben zu erhalten. Er darf nicht Herr über Leben und Tod sein, der darüber entscheidet oder sich ohne eigene Prüfung und Erkenntnis der Entscheidung anderer darüber anschließt, was lebenswert und lebensunwert ist. Sein Eingriff muß nach ärztlicher Erkenntnis als unabwendbar indiziert sein. Die Frau kann und darf dem Arzt nicht vorschreiben, wie er zu handeln hat.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU folgt diesen Grundsätzen. Er ist eine klare Gegenposition zu den Entwürfen der Fristenregelung. Die medizinische Indikation zur Abwendung einer Lebensgefahr für die Frau ist unstrittig. Daneben sieht der Gesetzentwurf die psychosoziale Notlagenindikation vor, d. h. die Indikation im Falle einer unabwendbaren seelischen Konfliktsituation, die so schwer wiegt, daß die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht zugemutet werden kann.
Es ist hier schon mehrfach dargestellt worden, daß der Beginn einer Schwangerschaft für die Frauen mit tiefgreifenden emotionalen und körperlichen Belastungen verbunden sein kann. Niemand - und insbesondere kein Mann - soll dies leichthin abtun. In unzähligen Fällen braucht die Schwangere Hilfe durch Dritte, insbesondere wenn sie von den Menschen ihres unmittelbaren Lebensumfeldes alleingelassen wird. Unser Gesetzentwurf legt seinen Schwerpunkt deshalb auf Beratung und soziale Hilfe. Wir schlagen nicht vor, die Strafe, mit der das geltende Recht die Frau bedroht, zu verschärfen. Die Frau soll straffrei sein, wenn sie sich beraten läßt, und hierin unterscheiden wir uns, Frau Würfel, nicht von der FDP. Wir wollen sie für eine offene Beratung gewinnen, um das Kind zu retten.
Wir müssen aber erkennen, daß es unbehebbare seelische Notlagen gibt. Die ausweglose seelische Not kann, wie wir von den Beraterinnen und Beratern wissen, aus einer panikartigen emotionalen Sackgassensituation hervorgehen. Sie kann sich in schweren depressiven Zuständen, in nicht behebbaren Neurosen bis hin zur Suizidgefahr äußern. Die Ursachen dafür sind nur teilweise nachprüfbare Belastungen wie Schulden, Trunksucht des Mannes oder Wohnungsnot. In der Regel handelt es sich um schwere zwiDr. Paul Laufs
schenmenschliche Beziehungsnöte, Ablehnung des Kindes durch den Mann und seine Abwendung von der Frau, Feindseligkeit der nächsten Angehörigen.
Die seelische Verfassung der Frau läßt sich nicht an Hand objektiv nachprüfbarer Tatbestände feststellen und bemessen. Allein entscheidend ist die anders nicht behebbare seelische Bedrängnis der Frau. Sie kann vom Facharzt im Gespräch mit der Frau festgestellt werden, ohne daß beim Sozialamt oder im Wohnumfeld nachermittelt wird. Denn es gibt keinen kausal reproduzierbaren Zusammenhang zwischen objektiv nachmeßbaren Sachverhalten und der inneren Konfliktsituation der Frau. Der Facharzt kann im Gespräch mit der Schwangeren zu einem eindeutigen ärztlichen Urteil nach den Regeln der ärztlichen Kunst kommen. Er ist dabei verpflichtet, sein ganzes vorhandenes Wissen über den Einzelfall zu berücksichtigen. Wenn Zweifel bleiben, darf er keine Indikation stellen. Er muß seine ärztliche Beurteilung schriftlich festhalten. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU stellt auf die ungeteilte ärztliche Verantwortung des Facharztes für den Eingriff ab.
({6})
Hier stellt sich die Frage nach den Mißbrauchsmöglichkeiten. Es ist wahr: Die Indikation einer seelischen Notlage ist nur bedingt einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Offensichtlicher Mißbrauch kann ohne weiteres geahndet werden. Mit Sicherheit wird es deshalb Schnellverfahren mit bis zu 100 Abtreibungen pro Arzt und Tag nicht mehr geben können.
({7})
Ich glaube jedoch, rechtswidriges Handeln läßt sich durchgängig nur verhindern und ahnden, wenn wir uns auf die enge medizinische Indikation beschränken. Das ist aber nicht machbar.
Was wir mit unserem Gesetzentwurf leisten wollen, ist, soweit das möglich ist, Frau und Arzt in ihre persönliche Verantwortung und den Staat in seine Pflicht zu nehmen, damit möglichst viele, am besten alle ungeborenen Kinder am Leben bleiben.
Ich bedanke mich.
({8})
Nunmehr spricht die Abgeordnete Frau Renate Schmidt.
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Neulich konnte ich im „Bayernkurier" nachlesen, wie ich angeblich Bayern umkrempeln wolle. Dazu beabsichtigte ich, die Tötung ungeborener Kinder zu erlauben und möglichst viele Wirtschaftsflüchtlinge ins Land zu lassen. Ich habe nicht vor, mich auf ein derartiges Niveau zu begeben. Jede Partei leistet sich das Parteiorgan, das sie verdient.
({0})
Aber ich habe die herzliche Bitte, daß wir aufhören, in
dieser ernsten Frage mit Unterstellungen zu arbeiten
und Emotionen zu schüren, deren wir irgendwann nicht mehr Herr werden.
({1})
Diese Bitte richtet sich auch an namhafte Vertreter insbesondere der katholischen Kirche wie Herrn Kardinal Wetter, der es für richtig gehalten hat, einige der Gesetzentwürfe, über die wir heute debattieren, mit dem Schießbefehl an der Mauer zu vergleichen, und andere, die es für richtig halten, die Frage des Schwangerschaftsabbruchs mit dem Holocaust zu vergleichen und damit zu implizieren, daß Mütter in Konfliktsituationen mit Nazischergen zu vergleichen wären. Das ist ein Beitrag zur politischen Unkultur, gegen den wir uns alle wehren sollten.
({2})
Ich unterstelle Ihnen, die Sie teilweise Verschärfungen des § 218 fordern, nicht, daß Ihr einziges Ziel sei, Frauen zu unterdrücken, weil ich weiß, daß das nicht Ihr Ziel ist. Ich lasse uns, die wir andere, bessere Wege als den bisherigen zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wollen, nicht laufend unterstellen, unser Ziel seien möglichst viele Abtreibungen. Wir sollten endlich gegenseitig akzeptieren, daß es allen darum geht, dem Ziel, weniger Schwangerschaftsabbrüche als bisher zu erreichen, näherzukommen.
({3})
Dies ist eine sehr vorsichtige Formulierung. Sie ist so vorsichtig, weil ich weiß, daß sich manche Probleme politischen Patentlösungen entziehen und daß wir mit Unvollkommenheit zu leben endlich akzeptieren müssen.
Keiner der hier vorliegenden Gesetzentwürfe - auch unserer nicht - bietet die Garantie, daß es nach seinem Inkrafttreten tatsächlich weniger Abtreibungen gibt.
({4})
Aber es gibt Erfahrungen in anderen vergleichbaren Ländern - und darum lohnt sich der Versuch - , die uns lehren, daß Restriktionen, Gängelung von Frauen und Strafe nicht weniger, sondern mehr Schwangerschaftsabbrüche zur Folge haben.
Wir versuchen deshalb mit unserem Entwurf, so gut dies eben durch Gesetze möglich ist, der Einmaligkeit dieses Konflikts gerecht zu werden - der Einmaligkeit, daß zwei Leben so untrennbar miteinander verbunden sind - und der Tatsache gerecht zu werden, daß die Möglichkeit, sich für Nähe oder Distanz zum Kind zu entscheiden, für die Mutter nicht gegeben ist, daß sich ihr Leben in jedem Fall grundlegend ändert, während sich der Mann sehr wohl entscheiden kann, wieviel Nähe zu seinem Kind er will und wieviel Veränderung seines Lebens er akzeptiert.
({5})
Herr Kollege Laufs, wir sehen natürlich auch - und ich sehe in keinem Gesetzentwurf etwas anderes 3672
Renate Schmidt ({6})
den Konflikt des Arztes. Sie argumentieren unlauter, wenn Sie uns unterstellen, daß wir diesen Konflikt nicht sähen und irgendeinen Arzt, wie Sie es formuliert haben - und auch damit tragen Sie zur Emotionalisierung bei -, zum „Handwerker des Tötens" machen wollten. Es ist seine freie Entscheidung, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder nicht - nach allen vorliegenden Gesetzentwürfen. Er kann dazu nicht gezwungen werden.
({7})
Er kann dazu nicht gezwungen werden. Darauf lege ich Wert. Aber wir lehnen es ab, daß der Arzt Entscheidungen fällen soll, die zu fällen er nicht in der Lage ist.
({8})
Wir versuchen mit unserem Gesetzentwurf nicht, persönliche, ethische und moralische Vorstellungen oder religiöse Überzeugungen anderen aufzuzwingen. Ich weiß aus den gut 30 Jahren meines Erwachsenenlebens, daß ich selbst keine Schwangerschaft abbrechen kann. Ich weiß aber genauso, daß nahezu identische Lebenssituationen einer anderen Frau als ausweglos erscheinen können und es für sie auch sind. Menschen, die man liebt und von denen man wiedergeliebt wird, Zuversicht, Optimismus, Selbstvertrauen und Sicherheit kann kein Gesetzgeber dieser Welt verordnen.
({9})
Deshalb sollten wir uns gerade bei diesem Problem davor hüten, gesetzgeberischen Machbarkeitswahn zu verfallen. Unser Gesetzentwurf ist deshalb - so verstehe ich ihn - darauf angelegt, mehr tatsächlichen Lebensschutz zu erreichen. Wir wollen dazu beitragen, daß es weniger ungewollte Schwangerschaften gibt. Wir setzen also auf mehr und bessere Aufklärung. An dieser Stelle versagen die Entwürfe der Union vollständig. Wir sind auch der Meinung, daß vom Arzt verordnete Verhütungsmittel, die die Krankenkassen bezahlen, allemal besser sind als ein Schwangerschaftsabbruch.
({10})
Wir setzen auf Information und Beratung. Wir halten sie für sinnvoll und richtig. Wir werden deshalb, wie es alle Gesetzentwürfe vorsehen, die Zahl der Beratungsstellen erweitern, ein plurales Angebot sichern und die Beratungsstellen besser als bisher ausstatten.
Was wir kategorisch ablehnen, sind vorgegebene Beratungsziele. Sie führen Beratung ad absurdum. Das machen wir nicht mit.
({11})
Wir bitten gemeinsam darüber nachzudenken - diesbezüglich auch dem Sachverstand von Beraterinnen und Beratern wirklich zuzuhören - , ob eine Pflicht zur Beratung tatsächlich notwendig ist, in dem Sinn von „Not wenden" . Wir haben uns in unserem Gesetzentwurf für ein Beratungsangebot und gegen eine Beratungspflicht entschieden, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens. Wir wissen von Beraterinnen aus einer umfassenden Umfrage, daß die erdrückende Mehrheit von ihnen eine Pflicht zur Beratung für die betroffene Frau und für das Beratungsgespräch für schädlich hält. Das Ziel, daß sich die Frau in einem solchen verpflichtenden Gespräch über ihre Situation klarwerden kann und eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann, wird nach deren Ansicht nicht besser, sondern schlechter erreicht. Damit wird eventuell auch die Chance, sich für das Kind zu entscheiden, verschlechtert.
Der zweite Grund: Eine vom Gesetzgeber aufgegebene Pflicht muß Sanktionen für den Fall zur Folge haben, daß sie nicht eingehalten wird. Ihre Befolgung muß kontrolliert werden. Mit Pflichten, die sanktionslos und unkontrollierbar auf dem Papier stehen, machen sich der Gesetzgeber und auch die Gesetzgeberin lächerlich. Deshalb sehe ich momentan hierzu keine vernünftige Lösungsmöglichkeit, wenn wir nicht die Neuauflage von Memmingen in anderer Variation wollen. Wir haben uns bei dieser Entscheidung auch mit dem Argument auseinandergesetzt, daß viele Frauen von ihren Partnern - der Kollege Jäger ({12}) hat das heute häufig fragen wollen; ich kann darauf eingehen - unter Druck gesetzt werden, die Schwangerschaft abzubrechen, und deshalb eine Beratungspflicht auch eine Möglichkeit für die Frau sein könne, sich diesem Druck zu entziehen. Ich glaube und wir glauben allerdings nicht, daß gerade in dieser schweren Konfliktsituation die Frau die Gelegenheit finden kann, ihre Emanzipation zu erreichen, und daß in einem Beratungsgespräch das, was bisher ihr Leben bestimmt hat, grundlegend verändert werden kann.
Bei Abwägung aller Umstände kommen wir zu dem Ergebnis, daß umfassende Beratungs- und Informationsangebote dem Finden einer eigenverantwortlichen Entscheidung und damit dem Schutz des Lebens am besten gerecht werden.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir wollen weniger das Umsetzen persönlicher Moralvorstellungen, die jeder nach wie vor so erfüllen kann, wie er oder sie es für richtig hält, in Gesetzesmaterie, sondern, wie ich gerade sagte, mehr tatsächlichen Lebenssschutz. Dazu gehören verbesserte Rahmenbedingungen für Kinder, Mütter und Väter, und dazu gehören Rechtsansprüche und nicht Almosen.
Dazu nur einige grundsätzliche Bemerkungen. Wir müssen dafür sorgen, daß Mutterschaft nicht länger mit Opfer und Verzicht gleichgesetzt wird. Mütter müssen wie Väter die Chance haben, ihre Lebensvorstellungen zu verwirklichen. Mütter und Kinder brauchen zwar auch Fürsorge, vor allem aber Eigenständigkeit. Deshalb - an Herrn Dr. Geißler und seinen Redebeitrag von heute morgen gerichtet - ist es in
Renate Schmidt ({13})
meinen Augen zynisch, Alleinerziehende immer wieder auf die Sozialhilfe zu verweisen.
({14})
Es geht auch darum, Müttern nicht länger ein schlechtes Gewissen einzureden, wenn sie nicht ganz für ihr Kind da sind, sondern ihnen endlich die Sicherheit zu geben, ihre Kinder gut versorgt zu wissen. Deshalb ist der in allen Gesetzentwürfen postulierte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz richtig; aber dessen Verwirklichung muß sofort in Angriff genommen werden, wenn wir ihn in fünf Jahren wirklich erfüllt haben wollen. Dieser Rechtsanspruch wird Makulatur bleiben, wenn der Bund nicht dazu beiträgt, Länder und Gemeinden in die Lage zu versetzen, diesen Rechtsanspruch auch zu erfüllen.
({15})
Auch hier an Herrn Dr. Geißler: Wir sollten es doch mit etwas mehr Ehrlichkeit versuchen. Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt es bisher in den Landesgesetzen der neuen Bundesländer. Sie von der Union haben als Erblast in Niedersachsen und Schleswig-Holstein neben Bayern die niedrigsten Versorgungsgrade mit Kindergartenplätzen hinterlassen, und es gibt diesen Rechtsanspruch weder in Baden-Württemberg noch in Bayern. Eine Aufforderung an andere, ohne selber tätig zu werden, hat einen etwas faden Beigeschmack.
({16})
Bei den Verbesserungsvorschlägen für eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft gibt es viel Gemeinsames, aber auch gravierende Unterschiede. Wir sind nicht bereit, auf die Herausforderungen, die die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bedeutet, unangemessen zu reagieren. Deshalb wollen wir Rechtsansprüche und Veränderungen von Gesetzen, weil wir Mütter und Väter nicht zu Bittstellern und Bittstellerinnen und Almosenempfängern und Almosenempfängerinnen degradieren wollen. Deshalb sind die Regelungen, die wir und andere fordern, ein Maßstab für unseren ernsten Willen, Leben tatsächlich besser zu schützen als bisher. Es muß Schluß sein mit dem Alibi des Strafrechts. Wir müssen gemeinsam andere Prioritäten setzen: Politik für Kinder und ihre Familien nicht als Resteverwaltung eventuell übriger Mittel, sondern als ersten Tagesordnungspunkt in unserer Demokratie. Halten wir es mit Olof Palme und fragen wir uns bei allen Entscheidungen: Nützt das dem Frieden, nützt das den Kindern? - Versuchen wir, diese Frage zu bejahen, und verschaffen wir damit der Liebe, der Zuversicht und dem Mut zu Kindern neue Chancen!
({17})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Pohl.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich hier im wesentlichen darauf beschränken, Ihnen einen Vorteil des Gesetzentwurfs meiner Fraktion, der nicht genug hervorgehoben werden kann, vor Augen zu führen, und zwar ganz besonders als Frau, als Ärztin und Abgeordnete aus dem neuen Bundesland Thüringen.
Nach dem Einigungsvertrag ist der gesamtdeutsche Gesetzgeber aufgefordert, bis spätestens zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zum Schutz vorgeburtlichen Lebens und zur verfassungskonformen Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen zu schaffen, eine Regelung also, die auch die strafrechtliche Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs auf dem Gebiet der neuen Bundesländer mit umfaßt.
Die FDP hat sich für die modifizierte Fristenlösung mit obligatorischer Beratung entschieden, und dies, so meine ich - auch mit Blick auf den bisherigen Rechtszustand im Beitrittsgebiet - , aus gutem Grund. Nach dem Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik über Unterbrechung der Schwangerschaft vom 9. März 1972 sind Schwangere im Beitrittsgebiet derzeit nach ihrer freien Entscheidung berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn, ohne einer Beratungspflicht nachkommen zu müssen, zu unterbrechen - eine Regelung, die einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht standhielte, da sie dem Schutz werdenden Lebens nicht ausreichend Rechnung trägt.
Aber, meine Damen und Herren - und hier bitte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit - : Es wäre dennoch politisch fatal, wenn wir die neuen Bundesländer im jetzigen Entscheidungsverfahren an den Rand drängen würden.
({0})
Der FDP-Entwurf bietet da klare Lösungsmöglichkeiten. Denn er ist von einem solchen Liberalisierungsgrad geprägt, daß er auch von den Frauen in den neuen Bundesländern getragen werden kann.
({1})
Darum darf es in der Sache auch keinen Schritt zurück geben. Nur so kann auf die gesellschaftliche und sozialpolitische Akzeptanz auch in der Bevölkerung der neuen Bundesländer gezählt werden.
({2})
Auch dazu verpflichtet uns die Wiedervereinigung.
Die Alternative heißt eben nicht „Kind oder Selbstbestimmung der Frau" , sondern besteht darin, eine Lösung zu finden, in der Strafrecht, Familienrecht und Sozialrecht eine Einheit bilden mit dem gemeinsamen Ziel, die Zahl der Tötungen ungeborener Kinder auf ein Minimum zu reduzieren.
({3})
Wir von der FDP-Fraktion setzen da die richtigen Prioritäten. Bei uns steht Schwangerschaftsverhütung vor Schwangerschaftsabbruch.
All dem, so meine ich, trägt der FDP-Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfegesetzes Rechnung.
Verhütungsmittel auf Krankenschein - darauf wurde hier heute schon mehrfach hingewiesen - sind in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel - wenngleich zentraler Punkt - unserer Forderungen.
An alle Abgeordneten richtet sich mein Appell, nach dieser ersten Lesung zusammen mit der FDP einen gemeinsamen Entwurf zu entwickeln und einzubringen. Für außerordentlich begrüßenswert halte ich den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD sowie meiner Fraktion, zu diesem Thema einen Sonderausschuß einzusetzen. Ich fordere Sie alle zu konstruktiver Mitarbeit bei der Schaffung einer konsensfähigen Lösung auf.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Frau Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier noch kurz zu drei Aspekten, zu drei Komplexen sprechen, die in der Debatte immer wieder eine Rolle spielen und die auch mit sehr vielen Mißverständnissen behaftet sind. Das sind die Pflichtberatung, die Fristfestsetzung und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975.
Meine Damen und Herren, es ist hier der Versuch unternommen worden, die sogenannte Pflichtberatung als behutsames Gespräch, als helfendes Gespräch darzustellen. Das stellt vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Frauen gerade hier in Westdeutschland mit solchen vorgeschriebenen Gesprächen machen, deren Intention von vornherein festliegt, eine unglaubliche Verharmlosung dar.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz entschieden gegen den Beratungszwang wenden, der in den Gesetzentwürfen von CDU/CSU und FDP entahlten ist.
({0})
Die Vorstellung der CDU/CSU, die in der Formulierung ihres Gesetzentwurfs zum Ausdruck kommt, wonach die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen muß, ist in dieser extremen Einseitigkeit für mich völlig indiskutabel.
Frau Abgeordnete Schenk, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffacker zu gestatten?
Nein, gestatte ich nicht.
Dieses darf nicht dazu verleiten, vor dem Hintergrund eines möglichen Kompromisses in diesem Hause in bezug auf eine Neuregelung im Umgang mit ungewollten Schwangerschaften den von der FDP vorgesehenen Beratungszwang zu bagatellisieren.
Meine Damen und Herren, der Begriff „Pflichtberatung" ist ein Kunstwort, das in der Realität keine Entsprechung hat. Beratung ist ein Gespräch, das ausschließlich auf der Grundlage von Freiwilligkeit stattfinden kann und das darauf angelegt ist, den eigentlichen Motiven und Wünschen desjenigen oder derjenigen, der oder die Beratung sucht, auf die Spur zu kommen. Davon kann bei den Vorstellungen der FDP keine Rede sein. Zumindest die Formulierung im Gesetzentwurf beweist das. Sie lautet: „Die Beratung dient dem Lebensschutz. "
({0})
Im Klartext gesagt: Sie dient nicht der Frau, die die Beratung über sich ergehen lassen muß, sondern sie hat zum Ziel, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft, die die Frau gerade abbrechen möchte - sonst wäre sie ja nicht in der Beratungsstelle -, zu bewegen. Die Beratungsstelle hat also nach dem Vorschlag der FDP erklärtermaßen die Aufgabe, die Frau von ihrem ursprünglich gefaßten Beschluß abzubringen:
({1})
einerseits durch angebotene Hilfen, von denen wir alle wissen, daß sie in dem hier diskutierten Zusammenhang keine sind, und andererseits durch die Verbreitung von Angst und Schrecken.
Abtreibungswilligen Frauen, die sich nach Meinung der Verfasser des FDP-Entwurfs von vornherein und in jedem Fall in einer schweren Konfliktlage befinden, was ja so nicht zutreffend ist - das muß hier auch einmal gesagt werden -,
({2})
soll mit pseudowissenschaftlichen Behauptungen Angst vor psychischen und physischen Schäden gemacht werden, die nach einer Abtreibung angeblich drohen.
Meine Damen und Herren, ich sage im Klartext, was das ist: Gehirnwäsche, nichts anderes als Gehirnwäsche. Um wieder ein wenig zu den Fakten zurückzukehren: Das Risiko eines Schwangerschaftsabbruchs ist geringer als das Risiko, das eine Frau bei einer Geburt eingeht. Was die angeblichen psychischen Schäden anlagt: Kein Mensch kümmert sich um die psychischen Schäden von Frauen, die gegen ihren Willen Kinder gebären, kein Mensch kümmert sich um die psychischen Schäden, die ungewollte Kinder auf Grund ihrer Situation erleiden.
({3})
Die von der FDP vorgeschlagene Zwangsberatung, auch noch verbunden mit einer klaren Zielsetzung, ist eine Zumutung für Frauen. Deswegen, denke ich, werden sich viele Frauen, genauso wie das jetzt schon der Fall ist, dagegen sträuben, eine solche Beratung über sich ergehen zu lassen. Der Beratungszwang wird also dazu führen, daß es weiterhin Prozesse wie in Memmingen gegen Frauen sowie gegen Ärztinnen und Ärzte gibt.
({4})
Die Frauen vom Unabhängigen Frauenverband und deren Abgeordnete im Bundestag werden einer Fristenregelung mit Zwangsberatung à la FDP auf keinen Fall zustimmen. Das möchte ich hier mit aller Deutlichkeit sagen.
({5})
Wir haben in unserem Gesetzentwurf einen Rechtsanspruch auf umfassende Beratung über Sexualität und Geburtenregelung festgeschrieben und dabei explizit gefordert, daß Ratsuchende zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung wählen können. Die Realität in Ostdeutschland ist davon weit entfernt. Pluralität ist nicht gegeben. Ich denke, da haben Bund und Länder ihre Verantwortung erst noch wahrzunehmen.
Ich komme zur Frage der Frist. Ich denke, das ist eine Sache, die mit sehr vielen Unterstellungen, sehr vielen Schwierigkeiten und Mißverständnissen behaftet ist. Es wird zuweilen gesagt, daß man der Frau eine Grenze setzen müsse, bis zu der sie sich überlegt haben muß, was sie will. Wir meinen - davon gehen wir auch in unserem Gesetzentwurf aus - : Frauen haben von sich aus ein ganz elementares Interesse, eine ungewollte Schwangerschaft zum frühestmöglichen Zeitpunkt abbrechen zu lassen, nämlich möglichst in dem Zeitraum, in dem noch schonende Methoden anwendbar sind.
Ich denke schon, daß es bezeichnend ist, wenn in vier der vorgelegten sechs Gesetzentwürfe angenommen wird, Frauen wüßten das nicht.
Eine Fristfestsetzung hat zudem unbestreitbar negative Folgen. Zum einen kann sie zu einem Zeitdruck führen, der für eine reifliche Überlegung, die hier ja immer wieder eingefordert wird, eben keinen Raum mehr läßt. Zum anderen bleibt mit einer Fristfestsetzung die Kriminalisierung der Abtreibung bestehen.
Zur Frage des Zeitdrucks: Normalerweise werden Schwangerschaften so früh entdeckt, daß sie, wenn sie unerwünscht sind, lange vor der Zwölfwochenfrist abgebrochen werden können, vorausgesetzt, der Staat macht dies nicht durch eine Reihe von vorgeschriebenen Hürdenläufen durch verschiedene Instanzen unmöglich. Bei Frauen, die ihre Schwangerschaft erst viel später entdecken, handelt es sich meist um sehr junge oder ältere Frauen, deren Menstruation noch nicht oder nicht mehr regelmäßig ist. In solchen Fällen kann die 12-Wochen-Frist, deren Einführung in Gesamtdeutschland von verschiedenen Seiten angestrebt wird, für eine reifliche Überlegung zu kurz sein.
Zudem ist die Festlegung jeglicher Frist, die kürzer ist als die, nach deren Ablauf die Leibesfrucht außerhalb des Körpers der Frau lebensfähig ist, willkürlich und nicht zu begründen. Nicht umsonst gibt es in Europa sehr verschiedene Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch, die auch unterschiedliche Fristen festsetzen.
Zu dem nach unserem Gesetzentwurf theoretisch möglichen Abbruch zu einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft möchte ich noch folgendes sagen,
da es gerade hier immer wieder Irritationen gibt. Nach dem Zeitpunkt, zu dem die Leibesfrucht außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähig ist, kann der Abbruch einer Schwangerschaft, wenn das Leben der Frau nicht gefährdet werden soll, nur durch die künstliche Einleitung des Geburtsvorganges vorgenommen werden. Die Nichtversorgung oder gar die Tötung einer außerhalb des Körpers lebensfähigen Leibesfrucht gilt als Tötungsdelikt und wird durch entsprechende Paragraphen des Strafgesetzbuches erfaßt. Also auch dieser Fall muß nicht im Rahmen eines Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch geregelt werden. Wir gehen selbstverständlich davon aus - es ist schlimm, daß man das überhaupt sagen muß - , daß es sich bei einem solchen Vorgang der frühen Einleitung einer Geburt und der Überlassung des Kindes zur Entwicklung oder medizinisch-stationären Betreuung um außerordentlich tragische Grenzfälle handelt, die meines Erachtens, wenn überhaupt, extrem selten vorkommen. Ein solcher Vorgang wäre mit dem Vorgang der Abgabe von Kindern zur Adoption vergleichbar, weil die Eltern nicht fähig oder nicht willens sind, mit ihnen zu leben. Aber ich denke, man muß bei einer Neufassung der gesetzlichen Regelung auch zur Kenntnis nehmen, daß sich Eltern-Kind-Beziehungen zu keinem Zeitpunkt per Gesetz erzwingen lassen.
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Die politische Ablehnung der gesetzlichen Fristenregelung bedeutet nicht, daß Abbrüche zu einem späten Zeitpunkt etwa angestrebt oder bejaht würden. Wenn Frauen nicht durch bürokratische Hürdenläufe gehindert würden, ungewollte Schwangerschaften selbstbestimmt und unter medizinisch optimalen Bedingungen so früh wie möglich abbrechen zu lassen, dann würde sich, so wie das in den Ländern der Fall ist, in denen bereits heute liberale Regelungen gelten, auch in der Bundesrepublik Deutschland ganz von selbst eine Zeitspanne einstellen, innerhalb deren Abbrüche vorgenommen werden, die viel kürzer ist als die per Gesetz vorgesehene 12-Wochen-Frist.
Der zweite negative Aspekt, den ich im Zusammenhang mit der Fristsetzung sehe, ist der, daß die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen damit noch immer möglich bleibt. Wenn Abbrüche nach Ablauf einer bestimmten Frist verboten sind, können Staatsanwaltschaften im Prinzip nach jedem Abbruch Ermittlungen darüber anstellen, ob das innerhalb der erlaubten Frist oder nach der Frist stattgefunden hat. Solange also Schwangerschaftsabbrüche nicht vollkommen legalisiert sind, können Denunziationen und Schikanen gegen Frauen oder Ärzte und Ärztinnen nicht wirksam verhindert werden. Ich denke, die Vorgänge an der deutsch-holländischen Grenze sind ihnen noch in Erinnerung.
Noch ein letztes Wort zu einem Phänomen, das sich offensichtlich in den Köpfen insbesondere westdeutscher Politiker und Politikerinnen zu einem Phantom, ja, zu einem regelrechten Denkverbot auswächst: dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975. Das Urteil dieses Gerichts ist in sich widersprüchlich. Seiner Logik folgend, nach der die Leibesfrucht ab dem 15. Tag grundgesetzliche Rechte genießt, dürfte eine Schwangerschaft außer im Falle der Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Frau in keinem Fall
abgebrochen werden. Entgegen dieser Logik werden jedoch im gleichen Urteil drei Gründe genannt, aus denen das Recht der Leibesfrucht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zugunsten anderer Belange eingeschränkt werden kann, vorausgesetzt, daß diese nicht ausschließlich die der Frau sind.
({6})
Aus der Tatsache, daß die Karlsruher Richter und Richterinnen kein totales Abtreibungsverbot forderten, sondern in ihren Augen berechtigte Gründe für den Abbruch einer Schwangerschaft durchaus zuließen, muß geschlossen werden, daß es sehr wohl - also auch aus dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts von damals heraus - einen Unterschied bedeutet, ob sich die Leibesfrucht noch in Symbiose mit dem Körper der Frau befindet oder ob diese Symbiose per Geburt bereits aufgelöst worden ist und die Leibesfrucht zwar nicht selbständig, aber doch eigenständig existiert. Damit ist klar, daß es in Karlsruhe bei der Verwerfung der Reformen von 1974 im Grunde genommen nicht um das Recht auf Leben, sondern um die Einschränkung des Rechts von Frauen ging, innerhalb einer 12-Wochen-Frist selbstbestimmt darüber zu entscheiden, ob sie die Entwicklung der Leibesfrucht in ihrem Körper zulassen wollen oder nicht.
Frau Abgeordnete, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit schon deutlich überschritten ist.
Ich komme zum Schluß.
Das mittlerweile 16 Jahre alte Urteil kann angesichts des Schadens, den die daraus folgende westdeutsche Indikationsregelung an Frauen verursacht hat - Abtreibung zu einem späten Zeitpunkt, Abtreibung mit veralteten Methoden, unnötige stationäre Aufenthalte, Zwangsberatung, Angst, Druck, Reisezwang, Schauprozesse, Datenschutzskandale, Zwangsuntersuchung an der Grenze, schließlich Gebärzwang -, nicht mehr die Grundlage für die heutige Gesetzgebung sein. Ich halte es in höchstem Maße für spekulativ, eine Neuregelung des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften durch die Optik des Karlsruher Urteils von 1975 zu sehen. Diese ist ganz zweifellos nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
({0})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hüppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es zeugt schon, glaube ich, von einem seltsamen Demokratieverständnis, daß die PDS hier soeben 26 000 Unterschriften für die Freigabe der Abtreibung abgegeben hat und gleichzeitig behauptet, das wäre die Mehrheit der Bevölkerung.
({0})
Ich darf an dieser Stelle sagen, daß im letzten November 360 000 Unterschriften von verschiedenen Lebensrechtgruppen hier abgegeben wurden, die gegen
eine Freigabe der Abtreibung unterschrieben haben. Wenn wir von Demokratie sprechen, sollten wir alle Zahlen nennen.
({1})
Ich halte es angesichts der Tatsache - das muß ich sagen -, daß wir hier über Hunderttausende von Kindern reden, die jedes Jahr sterben müssen, für wenig angemessen, wenn die PDS dies auf dem Niveau von T-Shirts und Luftballons tut.
({2})
Meine Damen und Herren, wir stehen im Begriff,
({3})
zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik eine Gruppe von Menschen vom Lebensschutz auszunehmen. Zum erstenmal wird die Tötung von Menschen davon abhängig gemacht, ob ein anderer dies mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Niemand kann mir hier und heute erklären, warum etwas bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft nicht objektivierbar ist, das Gericht aber einen Tag nach der zwölften Woche plötzlich alles überprüfen kann.
({4})
Geben Sie mir darauf eine Antwort.
({5})
Jeder muß sich bewußt machen, daß wir hiermit Tür und Tor für andere Diskussionen öffnen. Muß es uns nicht nachdenklich machen, wenn Herr Singer an deutschen Universitäten wieder darüber reden darf, daß auch neugeborene behinderte Kinder getötet werden dürfen? Müssen wir nicht fragen, nachdem Holland schon lange die Fristenregelung hat - vielleicht soll inzwischen sogar die Euthanasie freigegeben werden - , ob wir aus diesen Erfahrungen nicht lernen sollten? Ich denke, hierüber sollten alle die nachdenken, die eine Fristenregelung wollen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bin ein noch junger Abgeordneter,
({7})
aber ich möchte nicht in wenigen Jahren hier stehen müssen, um über Alte und Behinderte in bezug auf Fristen und Indikationen zu sprechen.
({8})
Meine Damen und Herren, alle reden von Bewußtseinsänderung. Allerdings sagt nur der Antrag der Initiativgruppe zum Schutz des ungeborenen Kindes wirklich, worum es geht. Es geht um die Tötung von ungeborenen Kindern. Warum drücken sich eigentlich alle vor der Wirklichkeit? Warum darf man plötzHubert Hüppe
lich nicht mehr sagen, worum es geht? Gibt es tatsächlich ein Recht auf Unwissenheit?
({9})
Wir wissen doch, daß Herr Kinkel von der FDP einen Maulkorb bekommen hat, weil er, als er die Frist von zwölf Wochen auf zehn Wochen heruntersetzen wollte, genau wußte,
({10})
daß die Kinder sehr wohl Schmerzen empfinden,
({11})
wenn ihnen die einzelnen Teile bei einer Abtreibung abgerissen werden.
({12})
Auch das muß man einmal sagen. Ich weiß, daß Sie das nicht hören wollen, aber vielleicht gewöhnen Sie sich auch einmal daran, nicht nur das Recht auf Leben zu gewährleisten, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Meine Damen und Herren, unser Antrag nimmt die Männer am stärksten in die Verantwortung.
({13})
Wir haben die Nötigung zur Abtreibung als besonderen Straftatbestand aufgenommen. Wir wollen, daß sich Frauen gegen den Druck der Männer wehren können. Wir wollen, daß sich Männer nicht wegstehlen können. Wir wollen, daß Männer über Verhütung nachdenken und sich nicht davonstehlen, wenn das Kind schon da ist.
({14})
Aus meiner früheren Tätigkeit beim Jugendamt und beim Sozialamt weiß ich sehr wohl, daß es Problemlagen gibt, die für andere kaum nachzuvollziehen sind, wie sicherlich in allen Fällen, in denen Straftatbestände erfüllt werden, das Motiv kaum nachvollziehbar ist; das gilt für Drogenkriminalität, aber auch für alle anderen Bereiche. Ich bin aber der Meinung, daß diese Gesellschaft nicht so weit kommen darf, daß die Probleme dadurch beseitigt werden, indem die Kinder beseitigt werden.
({15})
Ich wünsche mir, daß wir Ja zum Leben und damit Ja zum Helfen und Ja zu unserer Gesellschaft sagen.
Vielen Dank.
({16})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Schmude das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Über eines sollten wir uns schon am Beginn der Gesetzesberatung zur Familienhilfe und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs klar sein, daß es nämlich am Ende des Beratungsprozesses wirklich zu einer gesetzlichen Neuregelung kommt. Sie zu erreichen ist uns durch den Einigungsvertrag aufgegeben. Die Menschen in ganz Deutschland erwarten ein Ergebnis unserer Beratungen.
Taktische Überlegungen, von denen man schon gelesen hat, daß man nämlich durch eine bestimmte Wahl des Abstimmungsverfahrens alle Entwürfe zum Scheitern bringen kann, dürfen da gar nicht erst aufkommen. Sie würden uns unser Ziel verfehlen lassen; sie würden die Bürgerinnen und Bürger enttäuschen; sie würden das Ansehen des Bundestages schädigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, so wenig wie in der Vergangenheit werden Rechtsnormen zum Schutz des vorgeburtlichen Lebens ausreichen. Auch die verbesserten sozialen Hilfen werden allein nicht ausreichen. Die intensive und dauerhafte Schärfung des Bewußtseins in der Gesellschaft, daß es beim Schwangerschaftsabbruch nicht nur um die Veränderung eines Zustandes, sondern um das Sein oder Nichtsein von Leben geht, ist mindestens so wichtig wie das Gesetzesrecht.
({0})
Kirchen und Religionsgemeinschaften, aber auch andere gesellschaftliche Gruppen und Institutionen werden sich dieser Aufgabe weiterhin annehmen müssen.
Allein gesetzlich läßt sich zwar manches regeln, vieles aber nicht erreichen. Nichts ist gewonnen, wenn sich der Gesetzgeber darauf einläßt, bestimmten Ideen Ausdruck zu geben, obwohl er weiß, daß sie in Wirklichkeit nicht greifen und daß die Praxis einen anderen Verlauf nimmt. Die Geschichte des Abtreibungsrechts kennt viele Beispiele für ein solches Auseinanderfallen von Norm und Praxis. Das darf sich jetzt nicht fortsetzen.
Herr Dr. Schmude, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis zu beantworten?
Wie steht es mit der Anrechnung auf meine Zeit?
Ich rechne Ihnen das selbstverständlich nicht an.
Dann bitte schön.
Herr Dr. Schmude, können Sie mir dann sagen, weshalb Sie von der SPD den Einsatz des Schutzes durch das Strafrecht ab dem dritten Monat sehr wohl zulassen, nicht aber in den ersten drei Monaten? Sehen sie da nicht - so wie ich - eigentlich eine logische Inkonsequenz?
Das kann ich Ihnen hier nicht in aller Ausführlichkeit darlegen. Aber ich erinnere Sie an Ihr Wissen darum, daß ab dem dritten Monat im personalen Bezug des ungeborenen Kindes zur Mutter und auch in der Annäherung an die Le3678
bensfähigkeit eine Qualitätsveränderung vor sich geht. Diese Frist, die wir seit langem kennen, ist doch nicht zufällig da. Sie ist auch Ihnen in ihrer Bewährung bekannt.
({0})
- Aber ich möchte weitere Zwischenfragen nicht zulassen; sonst komme ich vom Text ab.
Das ist Ihr gutes Recht.
({0})
Mit einer irreführenden und fehlgehenden gesetzlichen Regelung tun wir auch denen keinen guten Dienst, die aus Glaubens- und Gewissensgründen ein enges und strafrechtlich scharfes Gesetz von uns verlangen. Auch solche Glaubensentscheidungen müssen sich zu ihren tatsächlichen Grundlagen in Beziehung setzen und so überprüfen lassen. Ist es denn richtig, daß das vorgeburtlich wachsende Leben dem geborenen menschlichen Leben in vollem Umfang gleichzusetzen ist? Wer von Mord oder gar Massenmord spricht, der will das wohl geltend machen; aber angemessen kann diese Einschätzung nicht sein. Keiner der heute vorliegenden Entwürfe und auch keine der bisherigen Rechtslagen entspricht ihr.
Zur Wahrnehmung der Tatsachen, die es ethisch und rechtlich zu bewerten gilt, gehört, daß dieses vorgeburtlich heranwachsende Leben in dem Stadium, über das wir hier sprechen, keine selbständige Lebensfähigkeit hat.
Herr Dr. Schmude, ich unterbreche Sie nur ungern. Aber ich möchte Sie fragen, ob Ihre Bemerkung bezüglich weiterer Zwischenfragen eben eine generelle war.
Das war erstmal eine generelle.
Danke schön, dann haben wir uns richtig verstanden. Bitte sehr!
Solche Lebensfähigkeit kann nicht erhalten, sie muß vielmehr erst erreicht werden. Daß sie erreicht wird, kann nur die Mutter und sonst niemand gewährleisten.
({0})
Dieser einzigartige Entwicklungsprozeß, an dessen Ende die Lebensfähigkeit erreicht wird, zeigt, daß die verschiedentlich gezogenen Parallelen zum behinderten Leben - wir haben das heute wieder exzessiv hier erlebt - und seiner angeblichen Bedrohtheit nicht gegeben sind.
({1})
Bei behinderten Menschen geht es um die Erhaltung einer schon erreichten Lebensfähigkeit, zu der im Bedarfsfall einzelne Menschen und die Gesellschaft helfen können.
({2})
Die unlösbare Bindung an das Schicksal eines ganz bestimmten Menschen gibt es nicht.
({3})
Mit solchen Überlegungen tun Sie behinderten Menschen einen sehr schlechten Dienst.
({4})
- Hören Sie sich doch noch die nächsten Sätze an! Denn auch die engste, strafrechtlich breit abgestützte Regelung läßt Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Umständen zu. Sollen denn auch insoweit Parallelen für die Behandlung schwerbehinderter Menschen zulässig sein?
({5})
Keinesfalls. Kein Umstand rechtfertigt den Eingriff in das Leben behinderter Menschen. Sie müssen solchen Überlegungen entzogen bleiben. Ihre unbedingte Schutzwürdigkeit muß fraglos bleiben.
({6})
Die bis zur Geburt unlösbare Schicksalsverbindung zwischen vorgeburtlich wachsendem Leben und der schwangeren Frau ist es,
({7})
der wir in dem neuen Gesetz eindeutig und klar Rechnung tragen müssen, indem wir der Frau das Recht zur letzten und maßgeblichen Entscheidung über den Abbruch oder Fortbestand der Schwangerschaft einräumen.
An dieser Stelle einen heftigen Streit um die Begriffe der Fristen- oder Indikationenregelung auszufechten, ist wenig sinnvoll. In beiden Regelungsmodellen ist der Abbruch nur innerhalb einer bestimmten, begrenzten Frist zulässig. In beiden Fällen muß ein Mensch über den Abbruch entscheiden, ein fremder, der sich in die Lage der Frau hineinzuversetzen sucht, oder eben die in dieser Lage lebende Frau selbst. In beiden Fällen sind gewichtige Gründe und eine sonst nicht lösbare Konfliktlage Voraussetzung für den Abbruch, natürlich auch beim Entscheidungsrecht der Frau, es sei denn, man spricht ihr trotz der Schwere des Schrittes zum Abbruch und der damit verbundenen Belastungen die Ernsthaftigkeit des Entscheidens ab. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der Frauen auf diese Weise in manchen Argumentationen herabgewürdigt werden, finde ich anstößig.
({8})
Nein, sehr geehrte Damen und Herren, wir schulden schwangeren Frauen die allein sachgemäße Regelung, daß ihnen die letzte Entscheidung eben nicht nur über das vorgeburtliche Leben, sondern zugleich über ihr eigenes Schicksal von niemandem weggenommen wird.
({9})
Weil der SPD-Entwurf dieser Forderung am klarsten entspricht, möchte ich ihn für die Mehrheit des Bundestages und auch für mich selbst annehmbar machen. Dazu muß er nach meiner Überzeugung um eine wichtige Regelung ergänzt werden. Hier kommt ein Unterschied zu manchen Rednern meiner Fraktion. Mit dem Letztentscheidungsrecht der Frau müssen nämlich Vorkehrungen dafür verbunden werden, daß die Belange des vorgeburtlich heranwachsenden menschlichen Lebens in dem Entscheidungsprozeß möglichst umfassend bedacht und gewürdigt werden.
Dies ist nicht immer ohne weiteres gegeben. Zu unterschiedlich sind die Einzelfälle, zu unterschiedlich ist der Erfahrungsstand der Frauen, ist ihr Wissen über rechtliche und finanzielle Handlungsmöglichkeiten.
Für mich hat das die Konsequenz, daß man Frauen in einer solchen drangvollen Entscheidungslage nicht ohne Zuspruch lassen darf, und ebenso, daß man das ungeborene Leben nicht ohne Fürsprecher lassen darf. Da geht es nicht um Beeinflussung, nicht um Überredung oder Bevormundung. Aber es geht um das in aller Ruhe geführte, mit einer erfahrenen Beraterin oder einem erfahrenen Berater geführte Gespräch. Dort muß das Wissen um Hilfsangebote und -möglichkeiten vermittelt werden. Dort muß die schwangere Frau Gelegenheit haben, nachzufragen, sich auszusprechen und die Überredung in eine gründliche Beratung ihrer individuellen Situation überzuleiten - wenn sie es will.
Wenn sie es nicht will, darf es keinen Darlegungszwang, keinen Rechtfertigungszwang geben. Es handelt sich hier um ein Angebot und um eine Einladung, nicht um mehr.
Dem sollten wir auch in der Begriffssprache Rechnung tragen, indem wir nicht von einer Beratungspflicht, sondern von einer Informationspflicht und einem Informationsgespräch sprechen. Ich halte das für erforderlich. Es sollte verbindlich zur Voraussetzung eines Schwangerschaftsabbruchs gemacht werden.
Ich hoffe für die Schlußabstimmung auf einen Entwurf, der diese Informationspflicht mit den Vorteilen des SPD-Entwurfs verbindet. Welcher Fraktion dann letztlich die Prägung eines solchen Entwurfs zugeschrieben wird, ist weniger wichtig. Entscheidend ist, daß wir über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam die Kraft aufbringen, ein solches Gesetz zu beschließen.
({10})
Nun spricht die Abgeordnete Frau Dr. Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte zu § 218 ist oft die Rede von der freien Gewissensentscheidung. Die Abgeordneten nehmen Stellung zu dem Thema Schwangerschaftsabbruch in Kenntnis der vielschichtigen Problematik aus persönlicher Sicht der Dinge. Das erfordert von allen Respekt und die Achtung vor den Meinungen und Argumenten, die oft mit den eigenen nicht im Einklang stehen. Die Debatte zeigt, glaube ich, daß uns das auch weitgehend gelingt.
Meine Meinung vorweg: Nur der FDP-Entwurf entspricht der Verfassung.
({0})
Nur der FDP-Entwurf genügt der Auslegung des Verfassungsgerichts in seiner Entscheidung über die Fristenlösung.
({1})
Nur der FDP-Entwurf verdient das Etikett „Reform". Er ist eine Reform des § 218.
Der Schutz des werdenden Lebens ist der Mutter anvertraut. Können Staat und Gesellschaft in diese biologisch und seelisch enge Lebensgemeinschaft überhaupt einwirken? Inwieweit darf und muß der Staat die Aufgabe, werdendes Leben zu schützen, gegen die Frau wahrnehmen?
In der Fristenregelung, die die FDP vertritt, wird die Schutzpflicht des Staates auch in den ersten Monaten des sich entwickelnden Lebens bejaht; sie wird nicht geleugnet. Aber sie wird behutsam wahrgenommen, in den Bahnen der helfenden und stützenden Maßnahmen, in Richtung Sozialpolitik und nicht in den Kategorien des Strafrechts.
Die geforderte Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs kann diese Konfliktlage nicht verbessern. Das Fehlen einer solchen Mißbilligung heißt nicht, daß dem Staat die Obhut über die Rechtsgüter genommen ist. Diese Obhut wird ihm vom Grundgesetz abverlangt.
Es wird dem Staat nach dem liberalen Entwurf also nicht leicht gemacht. Seiner Fürsorge anvertraut sind Frau und Kind, nicht das Kind gegen die Mutter.
Wie ist nach unserer liberalen Rechtsauffassung nun die freie Gewissensentscheidung der Mutter, das Kind nicht auszutragen, zu bewerten? Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis für diejenigen in der CDU/CSU-Fraktion, die jegliche Abtreibung - auch die auf Kosten der körperlischen Unversehrtheit oder des Lebens der Frau - ablehnen, in der ethischen Grundüberzeugung, daß der Mensch das nicht darf und nicht rechtfertigen kann.
Unverständlich bleibt mir aber, warum es richtig sein soll, die Gewissensentscheidung der Frau als nicht ausreichend zu bewerten und sie nur anzuerkennen, wenn sie die Zustimmung anderer, völlig fremder, unbeteiligter Personen wie des behandelnden Arztes findet. Ist die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen, anerkennungsfähig, dann wird sie nicht besser, dann wird sie nicht verantwortlicher, meine Damen und Herren, durch Hinzutreten anderer Beurteilungen - und sie ist es nach unserer Rechtsordnung auch nicht.
Damit komme ich zu den Kernpunkten des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/CSU. Es herrscht ja ein gewisses Dämmerlicht über dem CDU/CSU-Entwurf,
({2})
und zwar nicht nur deswegen, weil wir ihn erst heute bekommen haben.
Frau Dr. Babel, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Norbert Geis zu beantworten?
Nein, ich versuche ja gerade, auf die CDU einzugehen. Deswegen werde ich keine Zwischenfragen beantworten, sondern lieber selbst Fragen stellen.
Darf die Frage nun allein entscheiden? Entscheidet auch der Arzt? Kann er sich entziehen? Ich glaube, es ist in diesem Fall richtig und angemessen, ich zitiere wörtlich - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten. Es heißt in Ihrem Entwurf auf Seite 53:
Die psychosoziale Notlagenindikation stellt darauf ab, daß eine persönlich vertretbare Entscheidung von dem Arzt und der Schwangeren zu treffen ist. Objektiv überprüfbar bleibt in strafrechtlicher Hinsicht, ob .. .
- der Arzt sich im Gespräch mit der Schwangeren überhaupt eine eigene ärztliche Erkenntnis verschafft hat,
- die Indikation wider besseres Wissen erfolgt ist oder
- die Voraussetzungen einer Indikation offensichtlich nicht vorlegen haben, also eine unvertretbare Entscheidung erfolgte.
Meine Damen und Herren, deutlich und unwidersprochen bleibt, daß sich der Arzt überzeugen muß. Also ist es nicht allein die Frau, die die Entscheidung trifft,
({0})
sondern es sind die Frau und der Arzt. Ich bin der Meinung, daß man das sehr deutlich sagen muß.
({1})
Da Sie immer wieder auf das ärztliche Standesrecht verweisen, frage ich mich, seit wann ärztliches Standesrecht Bestandteil des deutschen Strafrechts ist.
({2})
Meine Damen und Herren, für Sie ist die Entscheidung für oder gegen das Leben durch Hinzutreten einer ärztlichen Entscheidung annehmbar, obwohl alle Ärzte Ihnen aus ihrer tiefen ärztlichen und beruflichen Überzeugung sagen, daß sie nicht in der Lage sind, eine solche Entscheidung zu treffen. Ich denke, Sie sollten dann redlicherweise sagen, Sie gehen davon aus, daß sich Ärzte als überfordert dieser Anforderung entziehen werden und die Frauen keine Angebote haben werden.
({3})
Es liegt mir daran, noch etwas zu der Bemerkung von Herrn Hüppe zu sagen, die er in Richtung des Herrn Bundesjustizminister Kinkel gemacht hat. Meine Damen und Herren, der Herr Justizminister kann nicht reden, weil hier nur Abgeordnete sprechen. Ohne Mandat kann er sich diesen Anwürfen also nicht entgegenstellen. Ich möchte Ihnen aber folgendes sagen: Seine Äußerungen in der Presse zu der Frage, welche Frist angemessen ist, beziehen sich gerade auf ärztliche Erkenntnis, auf die Sie angeblich so viel Wert legen. Er sagte, diese sollten wir ernst nehmen und unsere Entscheidung in einer Anhörung noch einmal überprüfen. Dies ist in engster Abstimmung mit der FDP-Fraktion geäußert worden. Es ist ganz klar, daß wir hierzu noch Überlegungen anstellen werden.
Auf der Begründung, Seite 101, steht noch ein sehr erhellender Satz:
Nach Nr. 2
- das ist die soziale Indikation; Sie haben ja nur noch zwei muß der Arzt auch Umstände berücksichtigen, die ihm schon vor dem Gespräch mit der Schwangeren bekannt sind:
({4})
Nun frage ich mich: Welche Umstände sind denn dem Arzt bekanntzugeben, die ihm schon vor der Aussprache mit der Schwangeren in ihrer Notlage sagen, das könne nicht sein?
Meine Damen und Herren, das alles deutet darauf hin, daß Sie weder die Notlage der Frau ernst nehmen noch den Arzt in seinen eigentlichen Pflichten richtig erfassen.
({5})
Hier geht es um Schnüffelei, und hier geht es nicht um das, was im Grunde auch mit ärztlicher Schweigepflicht völlig ohne Protokoll zu schützen ist, meine Damen und Herren.
({6})
Ich komme zum zweiten Moment. Der Gesetzentwurf der FDP sieht eine Beratungspflicht vor, weil wir glauben, nur mit einer Beratungspflicht neben den flankierenden Maßnahmen nimmt der Staat seine Aufgaben ernst, werdendes Leben zu schützen. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß diese Beratungspflicht die Frau überfordert, sondern ich denke, daß sie das Angebot wahrnehmen kann; es ist ihr zuzumuten.
({7})
Ich denke, es ist für die Gewissensentscheidung hilfreich.
Ich stelle fest: Unser Entwurf mit den beiden Momenten der freien Gewissensentscheidung, die die CDU nicht anerkennt, und der Beratungspflicht, mit der die SPD ihre Mühe hat, stellt eine Reform dar und entspricht zugleich den Geboten der Verfassung.
Ich werbe sehr um die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der FDP.
Ich bedanke mich.
({8})
Nunmehr spricht die Abgeordnete Frau Wolf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Wir streiten und diskutieren heute über viele Gesetzentwürfe. Wir setzen uns auch kritisch mit ihnen auseinander. Das möchte ich ebenfalls tun, natürlich ganz besonders mit dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion. Ich sage hier auch, daß ich mich mit dem Entwurf der Gruppe Werner nicht mehr auseinandersetze,
({0})
da ich empört und beleidigt bin und daß ich auch Angst habe angesichts der frauenverachtenden Aussagen, die Sie hier heute gemacht haben. Herr Hüppe hat zum Schluß noch eins draufgesetzt.
({1})
Ich beginne mit einem Zitat von Frau Ministerin Merkel. Sie ist nicht hier. Ich habe ihren Beitrag, der reduziert war, schon auch ein bißchen als Ausdruck von Ratlosigkeit gegenüber dem Entwurf der CDU/ CSU empfunden. Aber das ist meine eigene Wahrnehmung.
In einem Punkt hat sie sich jedoch heute bestätigt. Sie hat nämlich gesagt: Die Unionsfraktionen sind nie davon ausgegangen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Frau die Grundlage für eine Neuregelung des § 218 ist.
Deutlicher hätte man es wirklich nicht sagen können. Das Selbstbestimmungsrecht, die Grundlage eines demokratisch-humanistischen Gemeinwesens, will die Union den Frauen vorenthalten.
({2})
Damit sind Sie, meine Herren und Damen von den C-Parteien in direkter Kontinuität mit den alten Theologen, die nämlich darüber disputierten, ob die Frau überhaupt eine Seele, also ein Gewissen, habe.
({3})
Sie sprechen der Frau die Eigenschaft ab, aus sich heraus und ohne nachdrückliche Beeinflussung ein moralisches Wesen zu sein,
({4})
das fähig ist, Konflikte in Übereinstimmung mit seinem Gewissen zu entscheiden. Ihr Gesetzentwurf kommt einem Frauenentmündigungsgesetz gleich.
Eine solche Geisteshaltung kann nur aus einer Fraktion kommen, die u. a. auch den niedrigsten
Frauenanteil in diesem Parlament hat. Sie ist zutiefst patriarchalisch.
({5})
- Das ist eine Tatsache; das können Sie nachrechnen.
({6})
- Na ja, wenn Sie sich diese Herrenquote anschauen, dann kommen Sie, glaube ich, zu einem Urteil, daß die Qualität hier strittig ist.
Ich komme zur Zwangsberatung. Es ist heute sicherlich schon x-mal betont worden. Trotzdem möchte ich aber noch einmal darauf eingehen.
Wer benutzt in unserem Lande heute Beratungsangebote, eine Eheberatung, Verbraucherberatung, Gesundheitsberatung, Erziehungsberatung oder Schulberatung? Es sind in erster Linie Frauen. Sie fühlen sich verantwortlich für das Wohl primär von anderen. Sie sind es und nicht die Männer, die es genauso angeht.
In dem Bereich, in dem ihre eigene Situation fundamental berührt ist, da sollen Frauen plötzlich keine Beratung in Anspruch nehmen wollen? Sie glauben, sie dahin zwingen zu müssen. Zwangsberatung gibt es außer im § 218 nur noch im Strafvollzug.
Die Qualität der Beratung ist entscheidend, und diese spricht sich unter Frauen rasch herum. Die Qualität der von Ihnen vorgesehenen Beratung ist jedoch sehr fragwürdig;
({7})
denn das Beratungsziel steht ja schon vorher fest. Eine Beratung mit festgelegtem Beratungsziel aber ist für Frauen im Konflikt von vornherein wertlos. Das ist keine Beratung, das ist Manipulation.
({8})
- Sie brauchen gar nicht aufzustehen, Herr Jäger. Ich möchte meine Rede hier halten. Sie haben heute schon genug Unsinn erzählt. Ich möchte das nicht noch einmal.
({9})
- Überhaupt nicht. Ich fühle mich hier vorne sehr sicher.
Meine Damen und Herren, das Niveau der Debatte war bis jetzt sehr ordentlich. Ich wäre dankbar, wenn das so bleiben könnte. Das gilt für alle: Redner und Zwischenrufer.
Zu Ihrem Sozialpaket. Das praktische Wort von der ausgabenneutralen Haushaltspolitik haben Sie so wörtlich genommen, daß Sie die Kosten gleich wieder den Frauen und Kindern selbst aufbürden. Sie geben den Frauen eine erniedrigende
Gebärprämie und ziehen ihnen das Taschengeld hinterher wieder ab.
({0})
Die Erziehungsgelderhöhung bleibt aus, es gibt Einsparungen bei BAföG, und Verhütungsmittel müssen selbst bezahlt werden.
Mit Ihrem Gesetzentwurf haben Sie die große Chance vertan, wirklich etwas für Kinder zu tun, ihnen z. B. durch Kindergärten ein erweitertes soziales Umfeld zu schaffen. Wo stehen denn bei Ihnen die Kinder, die jungen und die alten Menschen überhaupt im Mittelpunkt? Bei den Streichungen stehen sie immer an erster Stelle. Schauen Sie sich Ihren neuesten Haushalt doch an.
Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ist es, die Abtreibungszahlen zu senken. Glauben Sie etwa, Ihr Gesetzentwurf senke Abtreibungszahlen?
Erstens. Sie drohen den Frauen Strafe an. Wir wissen aber seit 120 Jahren - so lange gibt es nämlich diesen Schandparagraphen schon - , daß dies Abtreibungszahlen nicht senkt.
Zweitens. Sie winken mit einem abgespeckten Sozialpaket, von dem jede Frau, die ihren Haushalt ausrechnet, weiß, daß das direkt in die Sozialhilfe führt. Damit bieten Sie den Frauen nicht die Sicherung an, die sie wünschen und brauchen. Auch das senkt keine Abtreibungszahlen.
Drittens. Der von Ihnen bei der Regierungserklärung groß angekündigte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist auf den Tag verschoben, an dem die Kinder fast groß sind. Auch das senkt keine Abtreibungszahlen.
In Ihrem Konzept sind weder Rechtsansprüche noch annähernd hinreichende Sozialmaßnahmen, weder Verhütungsmöglichkeiten noch Sexualaufklärung vorgesehen. Wir wissen aber, daß ein Schwangerschaftskonflikt viel komplexer ist und viel tiefer geht, als daß er mit ein paar Scheinen zuzudecken wäre. Es gibt die verschiedensten Gründe, aus denen Frauen die Fortsetzung einer Schwangerschaft unmöglich ist. Diese Gründe müssen wir respektieren.
Wir wollen keine Abtreibung. Deswegen wollen wir vor allem keine unerwünschten Schwangerschaften. Neben vielen Rechtsansprüchen, die unser Gesetzentwurf vorsieht, setzen wir deshalb viel früher an. Um den Schwangerschaftsabbruch nicht zum Mittel der Verhütung werden zu lassen, verbessern wir die Verhütung. Abgesehen davon, daß es Verhütungsmittel kostenlos geben soll, darf die Verhütung nicht zu Lasten der Gesundheit von Frauen gehen.
Es geht uns um Beratung, Aufklärung und offenen Umgang miteinander. Unsere Vorstellung von Beraten ist eingebettet in eine Beratungskultur, in der Sexualberatungszentren ihren selbstverständlichen Platz haben, die zeitnah aufklären - sei es in Schulen, Jugendfreizeitzentren, bei Partnerschaftsberatungen. Schwangerschaftskonfliktberatung wäre dann nur ein kleiner Teil der Tätigkeit dieser Sexualberatungszentren. Sie wären offen für jeden Mann, jede Frau, jedes Mädchen und jeden Jungen.
Durch Sexualberatung, Aufklärung und verantwortlichen Umgang mit Sexualität können wir die Abtreibungszahlen wie in vergleichbaren europäischen Ländern senken. Aber um Aufklärung geht es Ihnen gar nicht. Sexualität ist insbesondere für die bayerische CSU ein schmutziges Wort. Darüber spricht man nicht, allenfalls im Komödienstadl. Gerade diese Tabuisierung führt aber zu mehr ungewollten Schwangerschaften als nötig.
({1})
- Sie können das ja nachlesen, wenn Sie jetzt nicht alles verstanden haben.
Ich bin Abgeordnete aus Bayern.
({2})
- Hören Sie einmal zu: Sie werden gleich merken, warum ich das sage.
Ich bin hinsichtlich dieses Themas wirklich besonders sensibilisiert und komme in der Beurteilung Ihres Gesetzentwurfes zu der Feststellung: Es ist das Memminger Modell. Die Ärzteverbände haben das sofort erkannt und wehren sich vehement dagegen. Die Ärzte sollen bei Ihnen für die Frau entscheiden, obwohl eine Notlage nur subjektiv, also ausschließlich von der Frau, bewertet werden kann. Die Ärzte sollen für die Frau entscheiden, obwohl sie nur eine fachmedizinische und nicht die sozialpsychologische Ausbildung haben. Die Ärzte sollen Aufzeichnungen führen. Wozu? Sie können sich doch ausrechnen, daß sie notfalls gerichtlich belangt werden sollen, und sie werden auch mit Strafe bedroht. All das ist in Memmingen geschehen.
Es gibt kaum noch ein öffentliches Krankenhaus in Bayern, bei dem ein Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Die derzeitige Rechtsunsicherheit wollen Sie jetzt mit einer Verschärfung beantworten. Wenn kein Arzt und keine Ärztin es mehr wagen wird, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, dann ist die Frau mit ihrem existentiellen Problem allein. Das ist Gebärzwang. Dazu lassen sich Frauen heutzutage nicht mehr nötigen. Sie werden Wege finden: Sie werden entweder ins Ausland reisen, oder Sie gehen zu Engelmacherinnen.
Deswegen nenne ich Ihren Gesetzentwurf und die Diskussion darüber nackten Zynismus.
Meine Damen und Herren von der Union, hätten Sie jemals so leidenschaftlich wie um das ungeborene Leben um das geborene Leben gestritten,
({3})
dann hätten wir eine andere Welt auch eine kinderfreundlichere Welt.
({4})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Hoffacker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten wir hier zur sachlichen Auseinandersetzung zurückkehren;
({0})
denn der Auftrag des Einigungsvertrages ist die Ausgangslage für unsere Beratung im Gesetzgebungsverfahren, nicht aber die Beschimpfungen und Unterstellungen von Frau Wolf.
Wir haben eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen - so steht es im Einigungsvertrag - , die den Schutz des ungeborenen Lebens vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen eher gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich bemüht, diesem Auftrag zu entsprechen mit dem Ziel, die Fristenregelung, wie sie in den neuen Bundesländern noch bis 1992 besteht, zu verhindern. Meine Fraktion hat einen Entwurf vorgelegt, der entscheidende Verbesserungen vor allem beim Ausbau der sozialen Hilfen und bei der Beratung enthält.
({1})
Trotz dieser Verbesserungen, für die ich mich mit Nachdruck eingesetzt habe, ist dieser Entwurf von dem was ich mir persönlich erhofft hatte, in Teilen weit entfernt. Dies zu erfahren mag bitter sein, aber diese Erfahrung darf nicht zu politischer Handlungsunfähigkeit führen.
Es galt und gilt, das Schlimmste zu verhindern, nämlich die Fristenregelung, wie sie von der Opposition und der FDP gefordert wird.
({2})
Die Erreichung dieses Ziels, nämlich die Verhinderung der Fristenregelung, darf aber auch nicht um jeden Preis geschehen. Deshalb, so meine ich, war es Verpflichtung für jeden, der mitgearbeitet hat und mitarbeitet - das gilt auch für mich - , ernsthaft zu prüfen, wie weit man in diesem Entscheidungsprozeß gehen durfte, ohne unverzichtbare Grundsätze aufzugeben.
Zu Beginn dieses Jahres hatte ich meine persönliche Position in Form von Eckpunkten dargelegt. So bin ich z. B. in der Frage der Feststellung der sozialen Notlage und in bezug auf die Abschaffung der Finanzierung von Abtreibung durch die Krankenkassen für eine Gutachterkommission eingetreten.
Nun fragt sich: Warum unterstütze ich den Entwurf meiner Fraktion, obwohl er diese Elemente nicht enthält? Ich tue dies allein auf Grund der Tatsache, daß dieser Entwurf die einzige politische Möglichkeit ist, eine Fristenregelung überhaupt zu verhindern. Ich betone, daß ich meine persönliche Position weiterhin vertrete, aber den Entwurf meiner Fraktion im Interesse der Verhinderung eines größeren Übels - dies ist für mich die Fristenlösung - mittrage.
Um jeder Irritation vorzubeugen: Meine politischen Gegner in dieser Frage sind alle, die der Fristenregelung das Wort reden, weil sie nicht nur das Lebensrecht des ungeborenen Kindes mißachten, sondern
auch den Frauen und Müttern in Konfliktsituationen keine Perspektive aufzeigen.
({3})
Worauf kommt es jedenfalls mir bei diesem Gesetzentwurf an? Zunächst kommt es auf die sozialen Hilfen an. Wir haben ein beeindruckendes Paket geschnürt, das allen Frauen und Müttern vielfältige Hilfen gibt und Zukunftsperspektiven aufzeigt.
Die SPD-Opposition, die noch weitergehende Forderungen stellt, muß sich die Äußerungen des Vorsitzenden Engholm entgegenhalten lassen, der unlängst meinte, man könne es sich angesichts der Kassenlage nicht mehr leisten, das soziale Netz weiter auszudehnen und soziale Wohltaten unter das Volk zu bringen.
Ein Zeugnis der Unglaubwürdigkeit für die SPD ist das Kindergartengesetz in Nordrhein-Westfalen,
({4})
wo noch immer kein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gesetzlich verankert ist. Und Sie, Frau Schmidt, reden hier von Rechtsanspruch.
({5})
Ich darf Sie erinnern, meine Damen und Herren, an die für mich jedenfalls wenig überzeugende, um nicht zu sagen: heuchlerische, Einlassung - so muß ich es heute sagen - , die Sie bei der Debatte um das Kinder- und Jugendhilferecht hier dauernd vorgetragen haben.
Wenn Herr Rau nicht in der Lage ist, mit der Mehrheitsfraktion in Nordrhein-Westfalen einen Kindergartenanspruch gesetzlich zu verankern, muß ich ihm das Recht versagen, hier die Kritik zu üben, daß dies bei uns noch nicht geschehen ist.
({6})
Es wird ja noch schöner: In Nordrhein-Westfalen wird so getan, als wenn das Land große Zuschüsse für die Anschaffung und den Ausbau von 100 000 Kindergartenplätzen leistete.
({7})
Was ist die Wirklichkeit? Nicht einmal das Papier, auf dem das geschrieben ist, hält stand; denn die Eltern sollen in Zukunft bis zu 240 DM monatlich an Kindergartenbeiträgen zahlen. Das ist die Wirklichkeit, und das ist die soziale Seite dieser Opposition.
({8})
Meine Damen und Herren, das tut Ihnen weh - das weiß ich - , und das soll es auch; denn wenn Sie sich hierhin stellen und uns kritisieren und glauben, uns als diejenigen darstellen zu müssen, die kein Herz für soziale Hilfen haben, dann müssen Sie sich die Fakten in Ihrem eigenen Land, dem größten, entgegenhalten
lassen. Das tue ich, wo ich gehe und stehe - damit dies deutlich ist.
({9})
Wir freuen uns natürlich, Frau Würfel, daß jetzt die FDP die obligatorische Beratung für die Frauen und Mütter einsetzt. Ich muß Sie ganz besorgt angucken
- ich tue das fast kritisch -; denn wir hätten uns einen Teil dieser Debatte sparen können, wenn die FDP das Beratungsgesetz, welches wir zweieinhalb Jahre wollten, nicht unentwegt festgehalten hätte.
({10})
- Die Situation in Bayern, Frau Dr. Babel, war kein Dämmerlicht - Sie haben es ja bisweilen mit dem Dämmerlicht - , sondern war ganz klar: Die Bayern wollten eine klare, mit der CDU übereinstimmende Lösung. Wir waren auch im Gespräch mit Frau Würfel
- das wird sie wissen. - Dies ist letztlich an der FDP gescheitert.
({11}) Dies bedaure ich.
Ich hoffe, daß wir jetzt unsere Vorstellungen durchsetzen können - ich denke, Frau Würfel, mit Ihrer Hilfe -; denn was wir immer gefordert haben, ist in diesem Gesetzentwurf in der Beratung enthalten: ein Rechtsanspruch auf Beratung, die Beratung zum Leben hin, die Teilnahme des Vaters an der Beratung, weil auch der Vater für das Kind verantwortlich ist, was, meine ich, immer geflissentlich unterschlagen wird. Beide sind an der Erzeugung des Kindes beteiligt, beide sind dafür verantwortlich.
({12})
Wir erreichen mit diesem Beratungsgesetz ein bedarfsgerechtes Beratungsangebot, verbindliche Richtlinien für die Arbeit und die Anerkennung, gleiche Rechte und Pflichten aller Beratungsstellen. In Zukunft darf es nicht mehr so sein, daß sich eine Beratungsstelle weigern kann, soziale, finanzielle Hilfen zu vermitteln, wie das in der Vergangenheit bei Pro familia und anderen gestattet war. Dies geht auf Dauer nicht. Gleiches Recht, gleiche Pflichten - dies wollen wir hier einsetzen.
Mit diesen Regelungen, meine ich, erhalten alle Beratungsstellen eine solide gesetzliche Grundlage für ihre verdienstvolle Arbeit.
Ich möchte einen besonderen Dank an alle Beraterinnen aussprechen, die auch schon in der Vergangenheit Anwälte der ungeborenen Kinder und ihrer Mütter gewesen sind.
({13})
Wenn hier, Frau Schmidt, Frau Wolf und Frau Becker-Inglau, meine Kirche mit angesprochen worden ist, dann weise ich das zurück und stelle dem entgegen, was an Leistungen durch die Kirchen im Beratungswege für die Mütter und Frauen in Konfliktsituationen geleistet worden ist.
({14})
Wenn Sie dauernd von der katholischen Kirche sprechen und hier einige möglicherweise unpassende
Ausdrücke zitieren, dann tun Sie alle den Frauen, die sich jahrelang für diese Arbeit aufopferungsvoll und mit ganzer Kraft einsetzen, unrecht, und dies weise ich zurück.
({15})
({16})
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Alle noch so guten sozialen Hilfen und rechtlichen Regelungen helfen nicht weiter, wenn es uns nicht gelingt, unsere auseinanderstrebende pluralistische Gesellschaft wieder im Kern zu einigen. Die Qualität einer Gesellschaft hängt entscheidend davon ab, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern - und das sind die ungeborenen Kinder - umgeht. Deshalb wünsche ich mir im Beratungsprozeß dieser Gesetzentwürfe ein Höchstmaß an Sensibilität für das ungeborene Kind.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Dr. Friedrich-Adolf Jahn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die kontroverse Debatte läßt es nützlich erscheinen, daß wir uns auf die Maßstäbe besinnen, die das Bundesverfassungsgericht uns als Gesetzgeber für den Schutz des ungeborenen Lebens gesetzt hat. Wer da sagt, sie würden heute nicht mehr gelten, den warne ich; denn das Bundesverfassungsgericht hat auch heute, auch wenn es in anderer Besetzung tagt, das Grundgesetz als Maßstab für den Schutz des ungeborenen Lebens zu werten.
Unser Grundgesetz geht von einer wertgebundenen Ordnung aus, die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt seiner Regelung stellt. Dem liegt, wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen, selbständigen Wert besitzt, der die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen unabdingbar fordert und der es deshalb ausschließt, solches Leben ohne rechtfertigenden Grund zu vernichten.
Die Schutzpflicht des Staates ist also umfassend. Sie verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen. Das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen zu bewahren. Diese Schutzpflicht muß um so ernster genommen werden, je höher das Rechtsgut ist. Das Rechtsgut Leben ist unser höchstes Rechtsgut, das zu schützen ist.
Das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit umfaßt nach dem Grundgesetz die Handlungsfreiheit und auch die Selbstverantwortung der Frau, sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden.
Dieses Selbstbestimmungsrecht wird aber von unserer Verfassung nicht uneingeschränkt gewährt. Die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung, das Sittengesetz begrenzen so gesagt das Selbstbestimmungsrecht. Ein Ausgleich, der sowohl den LebensDr. Friedrich-Adolf Jahn
schutz des Ungeborenen gewährleistet als auch der Schwangeren die Freiheit des Schwangerschaftsabbruchs beläßt, ist tatsächlich nicht möglich, da Schwangerschaftsabbruch immer Tötung des ungeborenen Lebens bedeutet.
Bei der deshalb erforderlichen Abwägung sind beide Verfassungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde zu sehen. Bei der Orientierung an der Menschenwürde muß die Entscheidung, so das Bundesverfassungsgericht, zugunsten des Vorrangs des Lebensschutzes für die Leibesfrucht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren fallen.
Nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen muß nach dem Bundesverfassungsgericht dem Lebensschutz des Ungeborenen der Vorzug gegeben werden, und dieser Vorrang gilt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft und darf auch nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.
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Mit dieser Begründung wird die Fristenregelung abgelehnt. Das Selbstbestimmmungsrecht darf nicht als Entscheidungsfreiheit über das ungeborene Kind und als Ausfluß der Gewissensfreiheit verstanden werden. Die Gewissensfreiheit schützt allein die Freiheit, dem absolut zwingenden Gebot des eigenen Gewissens zu folgen, findet aber ihre selbstverständliche Grenze am Lebensrecht des anderen. Daraus ergibt sich, meine Damen und Herren: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit kann das Grundrecht des noch nicht geborenen Menschen auf Leben nicht verdrängen.
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Diese Grundsatzposition verkennt nicht, daß es Konfliktsituationen gibt, bei denen der Gesetzgeber bei der Tötung menschlichen Lebens zu Recht von Strafe absieht. Bei der Tötung eines geborenen Menschen kann als Rechtfertigung beispielsweise die Notwehr gegeben sein. Hier wird alles objektiviert. Ein unabhängiger Dritter entscheidet, ob die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes gegeben sind. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens muß deshalb geklärt werden, ob die Indikation, die zur Nichtstrafbarkeit eines Schwangerschaftsabbruchs führt, subjektiviert werden kann und darf. Die Frau hat die eigenverantwortliche Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch meiner Meinung nach aber nur unter der Voraussetzung, daß zuvor die Indikation festgestellt wird. Der Arzt darf nicht straflos ausgehen, wenn er die Fakten für die Indikationsentscheidung allein auf die Darlegungen der Schwangeren stützt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stärkung des Wertebewußtseins ist Grundvoraussetzung für einen wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens. Für mich ist es deshalb eine sittliche Pflicht, dafür zu werben, daß das Bewußtsein von Recht und Unrecht von der Werteordnung unserer Verfassung und nicht vom wechselnden Zeitgeist geprägt wird.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Göhner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir streiten über den besten Weg für den Schutz des ungeborenen Lebens, für ein Ziel also, von dem ich hoffe, daß wir es alle teilen. Wir sind uns, denke ich, alle darin einig, daß dieses Ziel vorrangig durch Hilfen, Beratung und soziale Ansprüche gewährleistet werden muß. Aber die Frage ist: Kann sich der Staat auf diese Förderung, auf diese Hilfe, auf dieses Angebot beschränken?
Bei Lichte besehen beinhaltet die Antwort der CDU/ CSU, der SPD und der FDP übereinstimmend: nein. Denn als flankierende Maßnahme sehen auch SPD und FDP strafrechtliche Regelungen vor, freilich erst ab zwölf Wochen oder unter bestimmten Bedingungen innerhalb dieser zwölf Wochen nicht.
Es geht um Tötung. Die Frage ist, ob der Staat auf eine grundsätzliche rechtliche Mißbilligung einer Tötung verzichten kann. Wir akzeptieren, daß es schwerwiegende Konfliktsituationen der Schwangeren geben kann, für die Frauen aussichtslose Situationen. Aber die Frage ist, ob man die Ausnahmen von der grundsätzlich erforderlichen auch strafrechtlichen Mißbilligung einer Tötung zeitlich befristen darf oder ob diese zusätzlich eben an solche aussichtslosen Konfliktsituationen gebunden sein sollen.
Solche Konfliktsituationen können natürlich höchst unterschiedlicher Art sein, z. B. der Druck des Vaters oder der Familie, die Furcht vor einer Gefährdung der Partnerbeziehung oder ein Zerwürfnis mit den Eltern wegen eines unerwünschten Kindes der Tochter, das ohnmächtige Gefühl der Schwangeren, psychisch und physisch der Betreuung weiterer Kinder nicht gewachsen zu sein, z. B. auf Grund ihrer familiären Situation. Die Beispiele ließen sich ergänzen. Das Gemeinsame solcher Situationen ist aber doch die innere Not der Betroffenen, der wir zunächst einmal helfen wollen. Das Strafrecht kann natürlich den Schutz des ungeborenen Lebens nicht erzwingen. Aber diese Aussage gilt für solche Konfliktsituationen, denen gemeinsam ist, daß sie von Dritten, vom Arzt oder gar von einem Gericht, nur äußerst begrenzt, in Wahrheit kaum überprüfbar sind.
Frau Präsidentin Süssmuth hat heute vormittag gesagt, es müsse der offensichtliche Mißbrauch unterbunden werden können. Sie nannte das sicher bewußt extrem gewählte Beispiel, daß etwa eine Schwangere, die einen Buben erwartet und sich ein Mädchen gewünscht hat, einen Schwangerschaftsabbruch möchte. Daß dies ein Mißbrauch wäre, dem, hoffe ich, werden auch diejenigen nicht widersprechen, die eine Fristenlösung vertreten. Die Frage ist, ob das Strafrecht nicht den Anspruch aufrechterhalten muß, in einer solchen Situation einen solchen offensichtlichen Mißbrauch unterbinden zu können.
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Das ungeborene Kind ist abhängig von der Mutter, die es in sich trägt. Deshalb ist ein wirksamer Schutz des ungeborenen Lebens nur mit der Frau und nicht gegen sie zu erreichen. Schon deshalb darf sich das Strafrecht nicht primär gegen die Schwangere richten. Hilfen anbieten, zum Leben hin beraten, soziale Ansprüche verbessern, das wollen wir den betroffenen Frauen bieten. Damit nicht aus Angst vor Strafe, auch nicht aus unbegründeter Furcht vor Ermittlun3686
gen oder Überprüfungen die Annahme dieses Angebotes verweigert wird, hat die CDU/CSU in Anlehnung an das geltende Recht und übrigens in vollständiger Übereinstimmung mit der FDP vorgesehen, daß die Schwangere selber unter drei Voraussetzungen beim Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt, nämlich wenn erstens der Abbruch durch einen Arzt vorgenommen worden ist, zweitens vorher eine Beratung erfolgt ist und drittens höchstens zwölf Wochen nach Empfängnis. Hier haben wir identische Regelungsvorschläge. Ich wundere mich darüber, daß gelegentlich in der öffentlichen Diskussion der Vorwurf erhoben wird, die CDU/CSU-Fraktion wolle das Strafrecht verschärfen.
Die Unterschiede beginnen da, wo es um die Verantwortung des Arztes geht. Zunächst einmal völlig unabhängig vom Strafrecht: Der Arzt ist nach seinem Eid, seinem Standesrecht, seinem Berufsethos - ich zitiere wörtlich aus der Berufsordnung - grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten. Ich unterstelle einem verantwortlichen Arzt, daß er von diesem ärztlichen ethischen Grundsatz, unabhängig vom Strafrecht wohlgemerkt, nur dann abweicht, wenn aus seiner Sicht angezeigt ist, daß sich die Frau in einer so schwerwiegenden Notlage befindet. Genau das aber ist, völlig unabhängig vom Strafrecht, daß Wesentliche einer Indikation.
Abweichend von der geltenden Indikationsregelung verbessern wir das Verfahren, und wir beschränken die objektive Überprüfbarkeit auf das, was Frau Kollegin Babel vorhin vorgetragen hat, auf Verstöße gegen das vorgesehene Verfahren, auf Indikationen wider besseres Wissen, beispielsweise wenn ein Arzt, weil er die Frau seit langem kennt und behandelt hat, Umstände zugrunde legt, von denen er weiß, sie sind gar nicht so, oder den offensichtlichen Mißbrauch. Ich verweise auf das extreme Beispiel von Frau
Herr Kollege Göhner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Elmer?
Nur wenn die Fraktion mir zusätzliche Zeit für die Beantwortung geben könnte.
Sie kriegen es nicht angerechnet - wie alle anderen.
Auch die Antwort nicht, Frau Präsidentin?
Auch die Antwort nicht.
Dann gerne.
Bitte.
Herr Göhner, auch Sie sprachen wie fast alle Ihre Kolleginnen und Kollegen in diesem Zusammenhang wieder vom „ungeborenen Kind". Ist Ihnen klar, daß Sie, wenn Sie das wirklich durchhalten wollen, in Ihrem Gesetz auch die Spirale als Verhütungsmittel verbieten müßten, weil dadurch befruchtete Eizellen daran gehindert werden, sich in der Gebärmutter einzunisten? Ist Ihnen auch klar, daß Sie - und ich nehme an, Sie verstehen sich als Christ, wie ich - vor der Problematik stehen, daß der Schöpfer die Natur offenbar so geschaffen hat, daß zwei Drittel aller „Kinder" , wie Sie das nennen, schon in den ersten Tagen sterben müssen, weil es nur etwa 30 % schaffen, sich einzunisten?
Herr Kollege, die Antwort ist relativ einfach. Ich verweise Sie auf § 219 unseres Entwurfes, in dem wir genau diese Frage geregelt haben. Aber daß menschliches Leben von Anfang an existiert und daß wir es als ungeborenes Kind akzeptieren, ist etwas, was uns offensichtlich - das ist mir heute morgen schon aufgefallen - , auch in der Diktion, zu meiner Überraschung übrigens, unterscheidet. Ich habe sehr aufmerksam der für mich beeindruckenden Rede des Kollegen de With gelauscht, der ebenfalls ausdrücklich von den „ungeborenen Kindern" gesprochen hat. Ich finde, alles andere ist eine Selbsttäuschung.
Das Dilemma, in dem wir uns befinden - auch wir, die wir eine Indikationenregelung vertreten - , ist dies, daß wir sagen, in schwerwiegenden Konfliktsituationen soll innerhalb einer Frist und unter der Voraussetzung der Einhaltung eines bestimmten Verfahrens der Schwangerschaftsabbruch selbst straffrei bleiben, unabhängig von der grundsätzlichen Straffreiheit der Schwangeren. Zu dem verbesserten Indikationsverfahren, das wir vorschlagen, gehört, daß zwischen dem abbrechenden Arzt und der Schwangeren ein Gespräch stattfinden muß und der Arzt sich nicht primär auf das Indikationszeugnis eines anderen Arztes verlassen kann wie nach geltendem Recht. Zu den Verbesserungen gehört, daß die Beratung vor der Indikation erfolgen muß und nicht, wie nach geltendem Recht möglich und in der Praxis tatsächlich vorkommend, nach einer Indikationsfeststellung. Der Arzt muß in der Tat selber zu der Erkenntnis gelangen, daß eine psycho-soziale Notlage im Sinne unserer gesetzlichen Definition vorliegt. Das bedeutet, daß ein Arzt, wenn er Zweifel hat, ob diese Notlagensituation vorliegt, nach seinen ethischen Verpflichtungen - ich denke, schon heute - nicht zu dem Ergebnis einer Indikation eines Schwangerschaftsabbruchs kommen kann. Aber bei der Frage, was davon wiederum überprüfbar ist, etwa justitiabel wäre, meine Damen und Herren, ziehen wir ehrlich die Konsequenz und sagen: Objektiv überprüfbar bleibt nicht ein innerer Zweifel etwa des Arztes, objektiv überprüfbar ist auch nicht die Notlage selbst, sondern letztlich der Verfahrensverstoß, eine etwaige Entscheidung wider besseres Wissen oder der offensichtliche Mißbrauch.
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Meine Damen und Herren, ein Wort zur verfassungsrechtlichen Seite dieser Diskussion. Ich hoffe zunächst einmal, daß es dem Bundestag gelingen wird, eine verfassungskonforme Lösung zu finden. Es wäre für die Rechtskultur und für das Vertrauen der Bürger in Gesetzgeber und Rechtsstaat nicht gut, wenn in einer so zentralen Frage ethischer, grundsätzlicher Bedeutung dem Gesetzgeber zum zweitenmal
innerhalb von zwei Jahrzehnten gesagt werden müßte, daß er den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Lebens verletzt hat.
Herr Göhner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nicht im Moment. - Ich will hier nicht darüber spekulieren, inwieweit die verschiedenen Entwürfe unserer Verfassung standhalten werden; aber es wäre eine äußerst riskante Spekulation, eine Entscheidung für eine Fristenlösung mit der Hoffnung zu verbinden, daß das Bundesverfassungsgericht schon seine Meinung ändern werde.
Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist natürlich auch die Ausgestaltung der Beratung, der Beratungspflicht und vor allem der Beratungsziele von großer Bedeutung. Hier möchte ich für die weitere Diskussion doch darauf hinweisen, daß sich der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zur Definition der Beratungsziele an den insoweit ausdrücklichen Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts orientiert, die FDP eine davon etwas abweichende Position in ihrem Entwurf formuliert
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und die SPD eine gegensätzliche Position. Deshalb unterscheiden sich gegensätzliche Positionen beim Ziel des Lebensschutzes. Ich glaube deshalb, daß bei der weiteren Diskussion nicht nur über die Frage der Indikationen- und der Fristenlösung gesprochen werden muß, sondern auch über die Frage der Beratungsziele im Sinne einer verfassungsrechtlich bestandskräftigen Lösung.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zu den Konfliktsituationen, in denen sich schwangere Frauen oft sehen, gehört auch und vor allem die Situation der unverheirateten Mutter. Dies ist eine Frage, die zum Teil jenseits jeder Gesetzgebung liegt. Die immer noch anzutreffende gesellschaftliche Diskriminierung einer nicht verheirateten Mutter ist etwas, was einer aufgeklärten Gesellschaft fremd sein sollte.
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Jede unverheiratete Mutter, die ihr Kind in Liebe aufzieht, verdient größte Anerkennung und Respekt, weil sie es wirklich schwerer hat als andere.
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Daraus ziehen wir in unserem Gesetzentwurf eine gesetzgeberische Konsequenz, um deren Unterstützung ich ausdrücklich SPD und FDP bitten möchte. Wir verbessern nämlich in einem besonderen Artikel den Betreuungsunterhaltsanspruch der unverheirateten Mutter, der nach geltendem Recht auf bis zu einem Jahr nach der Entbindung begrenzt ist. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren.
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Der geschiedene Ehemann beispielsweise ist selbstverständlich verpflichtet, auch über diesen Jahreszeitraum hinaus Betreuungsunterhalt zu leisten. Das muß,
meine Damen und Herren, auch für den Vater eines Kindes einer unverheirateten Mutter gelten. Deshalb schlagen wir hier die Verlängerung auf bis zu drei Jahren vor. Ich wundere mich ein bißchen darüber, daß wir hier noch keine Unterstützung aus den anderen Reihen bekommen haben.
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Im Vorgriff auf die notwendige, in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Reform des Nichtehelichenrechts müssen wir an einem solchen Punkt einmal deutlich machen, daß wir als Gesetzgeber dieser Diskriminierung der unverheirateten Frau entgegentreten.
Herr Kollege Göhner, kommen Sie bitte zum Schluß. Sie haben sowieso schon großes Glück gehabt, weil die Uhr vorhin stehengeblieben ist.
Meine Damen und Herren, die weitere Beratung hier im Bundestag und in den Ausschüssen sollte von der ernsthaften Suche begleitet sein, eine verfassungskonforme Lösung der Konfliktsituationen zu finden. Eine Indikationenregelung mit einem verbesserten Verfahren und einer begrenzten Überprüfbarkeit sollte auch für diejenigen der Überlegung wert sein, die das verfassungsrechtliche Risiko einer Fristenlösung ausdrücklich nennen.
Herr Kollege Göhner, kommen Sie jetzt bitte zum Schluß!
Vielen Dank.
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Als nächster hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei einer Reihe von Argumenten, die heute hier schon ausgetauscht worden sind, muß ich mich doch sehr wundern.
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Es ist ja wohl eindeutig, daß wir - um es vorsichtig zu formulieren - in einer männerdominierten Gesellschaft leben, und das seit vielen Jahrhunderten.
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- Ja, Sie können es schon daran sehen. - Wer ist denn eigentlich bei Ihnen Vorsitzender? Da finde ich unseren immer noch besser. Aber das ist jetzt ein anderes Thema.
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Lassen Sie mich jetzt im Ernst etwas dazu sagen: Wir hatten und haben ein Patriarchat. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, in dieser Zeit hätten dennoch die Männer die Kinder bekommen. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß es je einen § 218 gegeben hätte.
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Er hätte überhaupt nie zur Diskussion gestanden.
Andererseits vergessen Sie einen ganz wichtigen Zusammenhang, der hier überhaupt noch nicht ausgesprochen worden ist: Es gibt nämlich zwischen der Tatsache, daß die Frauen die Kinder bekommen, und der Tatsache, daß die Männer die Gesellschaft dominieren und regieren,
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einen ganz engen Zusammenhang. Deshalb ist jeder Wunsch, das Selbstbestimmungsrecht der Frau diesbezüglich zu beschneiden oder gar nicht erst zuzulassen, eben auch ein Wunsch, diese herrschenden gesellschaftlichen Strukturen zu erhalten. Sie verhindern damit, daß sich Frauen gleichberechtigt in das gesellschaftliche Leben einbringen können, weil Sie nämlich zum Ausdruck bringen, daß die Frau - im Unterschied zu den Männern - für die einfache und erweiterte Reproduktion der Bevölkerung zuständig ist, und da wollen Sie schon entscheiden, wie die läuft oder nicht läuft, und die Frauen aus der Entscheidung heraushalten.
Und dann will ich Ihnen noch etwas sagen: Ich kenne ja auch noch die Zeit in der DDR, bevor es die Fristenregelung gab. Sowohl für die ehemalige DDR als auch insbesondere für hier gilt natürlich eins: Nicht wenige von den Männern, die mit besonders erhobenem Zeigefinger für eine Regelung des § 218 StGB sind, waren stets jene, die für ihre eigenen Frauen und Freundinnen noch immer Lösungen gefunden haben - mit und ohne § 218.
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Das finde ich daran schon ziemlich heuchlerisch. Denn es geht in aller Regel zu Lasten gerade jener Frauen aus jenen sozialen Schichten, die am wenigsten Chancen haben, andere Lösungen zu finden, wenn man das Strafrecht umgehen will.
Lassen Sie mich noch zu einer anderen Frage Stellung nehmen. Worum geht es denn eigentlich? - Die Diffamierung besteht doch z. B. darin, daß so getan wird, als ob jene Frauen und Männer, die für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sind, deshalb für Schwangerschaftsabbrüche sind. Das ist aber einfach unwahr. Sie sind nur dafür, daß die Frauen selbständig darüber entscheiden können, und treten dafür ein, daß möglichst solche Bedingungen gestaltet werden, daß sich sowenig Frauen wie möglich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Das ist die Voraussetzung, die zu schaffen ist.
Das heißt, es geht eigentlich nicht darum, ob man für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch ist, sondern es geht darum, ob man für die Anwendung des Strafrechts ist oder nicht. § 218 ist eine Strafbestimmung. Die Formulierung „strafrechtlich begleiten" halte ich für eine Verharmlosung des Strafrechts. Was heißt hier denn „begleiten"? Es bedeutet einfach, ein bestimmtes Verhalten unter Strafe zu stellen und damit den Staatsanwalt und das Gericht bei einem
Verhalten zu bemühen, bei dem das Strafrecht überhaupt nicht angebracht ist.
Sie wissen, auch in unserer Fraktion gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob eine Regelung mit oder ohne Fristen die bessere sei.
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Im Grunde genommen betrifft das die Frage, welche Bedeutung man dem Recht beimißt, ob man sagt, daß sich das Recht in diese Dinge positiv oder negativ gestaltend unbedingt einmischen muß, oder ob man sagt: Wir können uns da als Staat auch einmal heraushalten und davon ausgehen, daß die Frauen sehr selbstbewußt und verantwortungsbewußt ihre Entscheidungen treffen werden - wenn ein Schwangerschaftsabbruch überhaupt sein muß, natürlich so früh wie möglich und nicht so spät wie möglich -; mit den Mitteln des Rechts werden wir uns auch im Zusammenhang mit Fristen nicht einmischen.
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Darin liegt der eigentliche Unterschied. Da ich gegen jeden Rechtsfetischismus bin, bin ich dafür, so wenig wie möglich, aber natürlich das Notwendige rechtlich zu regeln.
Im Zusammenhang mit dem Recht stellt sich auch noch folgende Frage. Sie sprechen vom ungeborenen Kind. Das machen Sie ja absichtlich, damit jene, die für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs eintreten, als solche dastehen, die praktisch ungeborene Kinder - aber immerhin Kinder - töten wollen.
(Dr. Friedrich-Adolf Jahn [Münster] [CDU/
CSU]: So ist es ja auch! Wie sehen Sie es
denn?
Sie müssen auch einmal versuchen, konsequent zu sein. Dann machen Sie nämlich aus der Schwangeren und dem Embryo zwei verschiedene Rechtssubjekte.
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- Lassen Sie mich doch einmal aussprechen! - Wenn dem so ist, brauchen Sie Ihren ganzen § 218 nicht, denn dann würden alle anderen Strafbestimmungen, bei denen es um den Schutz des Lebens geht, gelten. Dann ist Ihr ganzer Entwurf auch in sich inkonsequent. Sie können das doch gar nicht voneinander trennen. Auch das Strafprozeßrecht der Bundesrepublik sieht - selbstverständlich in Ausnahmefällen - vor, daß z. B. auch Schwangere in Haft genommen werden können. Wenn Sie die eben angeführte Meinung ernsthaft durchhalten, frage ich Sie: Wieso kann dann das Kind mit in Haft gehen? Es hat ja noch gar nichts gemacht.
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Was sind denn das für alberne Rechtskonstruktionen, die Sie hier bieten? Wenn es gegen die Schwangere geht, dann sind Sie für die Einheit, aber wenn es
um die Entscheidung der Schwangeren geht, dann machen Sie daraus plötzlich getrennte Rechtssubjekte. Was Sie da vorhaben, halten Sie rechtlich niemals durch, wenn Sie damit auch nur beginnen. Da kann ich Ihnen noch viele andere Beispiele nennen.
({10})
- Das ist die einzige Ausnahme. Ich bin auch dafür, daß man Ausnahmen regelt. Aber dann sollten Sie von der Ausnahme sprechen und nicht davon, daß es sich um ein ungeborenes Kind handelt. So wird es nämlich auch im BGB nicht genannt. Nach dem BGB beginnt die Rechtsfähigkeit normalerweise mit der Geburt, mit dieser einzigen Ausnahme.
({11})
- Nein. Wir haben jetzt beide versucht, juristisch zu argumentieren. Ich stelle fest: Es fällt Ihnen schwer. Wir können versuchen, das intern zu wiederholen.
Dann sage ich Ihnen noch etwas: Die Heuchelei in der Debatte, das ist das, was mich stört. Warum haben die Männer, die gegen den Abbruch sind, die sich also diesbezüglich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen aussprechen - das räumen Sie ja ein - , nicht ein Grundgefühl und sagen: Selbst wenn ich dagegen bin, vielleicht ist es doch ein Thema, bei dem ich mich einfach einmal zurückhalten muß, weil ich selbst nie in diese Situation kommen kann?
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Das wäre doch wohl ein Minimum dessen, was man erwarten kann.
({13})
Ich bin ja für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen.
Das nächste, was ich Ihnen sagen will - ich erinnere an die Debatte von gestern - :
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Alles, was Sie gesagt haben, gilt weltweit. Sie haben keine Kriterien genannt, die etwa nur in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung finden würden. Sie haben vom Schutz des ungeborenen Kindes gesprochen, und alle Kriterien, die Sie dafür genannt haben, gelten in Brasilien oder in China gleichermaßen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Das scheint ja auch Ihre Auffassung zu sein, daß Sie sich dafür weltweit einsetzen würden, soweit Ihr Einfluß eben reicht.
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- Das ist eine andere Frage. Aber Ihre Argumente sind so ausgerichtet, und da sage ich Ihnen: Da wird es
eben heuchlerisch, wenn Sie gestern hier eine Debatte führten, in der Sie gegen einen angeblichen Mißbrauch des Asylrechts auftreten, in der Sie gegen Wirtschaftsflüchtlinge sind, in der Sie bei der internationalen Konvention für die Rechte der Kinder extra die ausländischen Kinder ausnehmen und sagen: „Die können da in der Dritten Welt elendiglich sterben; hier in die Bundesrepublik kommen sie nicht herein! " und gleichzeitig erklären, Sie wollten sich um jeden bisher nicht geborenen Embryo kümmern. Das ist einfach verlogen; es tut mir leid: Das ist verlogen!
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Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Wenn Sie das Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht verwirklichen, verwirklichen Sie letztlich auch nicht das Selbstbestimmungsrecht der Männer. Das heißt, Sie leisten damit einen Beitrag gegen die Emanzipation des Menschen überhaupt. Ich glaube, wir müssen uns in die Richtung entwickeln, mehr Emanzipation für die Menschen zu erreichen, und dazu gehört zunächst einmal, daß die Frauen selbstbestimmt und selbstverantwortlich über sich und damit auch über ihre Schwangerschaft entscheiden können.
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- Das ist Humanismus und nicht Inhumanität. ({18})
- Inhuman ist es, die Kinder im Stich zu lassen, nachdem sie geboren sind; das ist inhuman!
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Als nächster hat der Kollege Gerhard Scheu das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die wir heute und demnächst weiter erörtern, betreffen auch die Grundlagen der Verfassung, einer Verfassung, die in bewußter historischer Zäsur - und insoweit anders als in anderen Staaten - aus der deutschen Geschichte besondere Maßstäbe bezieht. Diesem Vorverständnis haben sich alle vorliegenden Gesetzentwürfe zu stellen.
Der Entwurf der SPD ist sich bewußt, daß sein genereller Lösungsansatz eine „sinngleiche" Neuauflage der 1975 außer Kraft gesetzten Fristenregelung darstellt. Das Gericht hat ausdrücklich erklärt, „veränderte Ordnungsvorstellungen" oder „gesellschaftliche Anschauungen" allein könnten insoweit eine andere Bewertung auf der Ebene der Verfassung nicht ermöglichen.
({0})
Der Entwurf hat wohl keine Chance, Gesetz zu werden. Graf Lambsdorff hat ihn als „himmelschreiend verfassungswidrig" erklärt.
({1})
Die PDS/Linke Liste will nicht nur die §§ 218 ff. ersatzlos streichen, sondern das Grundgesetz mit einem Rechtsanspruch auf fristlose Tötung ungeborener Kinder - theoretisch bis zur Geburt - in sein Gegenteil verkehren und den Staat zur flächendeckenden Abtreibungshilfe verpflichten.
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Nichts anderes gilt für den Entwurf des Bündnisses 90/GRÜNE, der das ungeborene Kind nicht als menschliches Wesen betrachtet, sondern ihm in seinem § 224 bis zur Geburt den gleichen Stellenwert einräumt wie etwa einem wichtigen Körperglied oder dem neu entdeckten Rechtsgut „sexuelle Empfindungsfähigkeit".
Bedeutend bemühter als die SPD geht der Entwurf der Fraktion der FDP, die sozusagen fraktionell gesammelte Gewissensentscheidung der Liberalen, vor. Richtig ist der Ansatz, ein sehr viel breiteres Spektrum von sozialpolitischen, fürsorgerischen und aufklärefischen Maßnahmen zum Schutz ungeborener Kinder einzusetzen. Diesen Ansatz teilen wir, und er kostet Milliarden.
Die Feststellung, die 1975 eingeführte Regelung habe effektiven Lebensschutz nicht voll zu bewirken vermocht, ist nicht völlig unzutreffend. Sie erlaubt aber nicht den Schluß, nur eine Fristenregelung mit obligatorischer Beratung erreiche dies. Die Indikationenregelung hat ihr Ziel deshalb verfehlt, weil die Gesetzgebung - spätestens, als die Mängel offenkundig geworden waren - ihrer Nachbesserungspflicht infolge auch der Haltung der Fraktion der FDP nicht nachkommen konnte. Konkrete Verbesserungen wären mit der Fraktion der CDU/CSU jederzeit möglich gewesen, und sie sind es noch heute.
Aber Sie sind ja nicht einmal bereit, mit uns zu vereinbaren, der demnächst überfälligen Entscheidung Karlsruhes zur Normenkontrollklage Bayerns und Baden-Württembergs nicht vorzugreifen. Sagen Sie nun bitte nicht, damit würden politische Sachen Karlsruhe überantwortet, weshalb das Gericht sagen dürfe, die Politik möge doch zuerst das ihre tun. Die Fragen des § 218 sind und bleiben ein klassisches Problem auch des Verfassungsrechts. Nicht die Politik, das Leben hat in Karlsruhe um Rechtsschutz nachgesucht.
Der Entwurf der FDP sieht seinen „entscheidenden" Unterschied zu der 1975 verworfenen Fristenregelung in einer obligatorischen Beratung. Auch dieser Ansatz ist im Prinzip richtig. Obligatorisch ist die Beratung indirekt schon bisher. Allerdings ist der Schluß außerordentlich kühn, durch eine Beratung, wie sie der Entwurf der FDP ausgestaltet, sei „gewährleistet, daß die schwangere Frau ihre Entscheidung in vollem Bewußtsein der durch die Verfassung vorgegebenen Grundentscheidung für den Schutz des werdenden Lebens verantwortlich trifft". Nach § 219 des Entwurfs „soll" die Beratung die Frau über die Folgen der Abtreibung und über die möglichen Hilfen „informieren". Ein Beratungsziel, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt, auch zur Achtung des Lebensrechts zu mahnen und zu ermutigen, ist weder vorgegeben, noch, wie Frau Kollegin Würfel betont, gewollt, damit keinerlei „Schwellenängste" entstehen.
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Es ist zwar richtig, daß die Beratung vermeiden muß, in bedrängender Weise zu belehren. Wie aber sollen Rat und Hilfe möglich sein, wenn die Schwangere nicht einmal gehalten sein soll, „die Gründe für eine Indikationsstellung darzulegen", der Beratende also nicht einmal wissen muß, worin ihre „schwere Konfliktlage" besteht? Außerdem darf die Beratung anonym bleiben, was Personenverschiedenheit zwischen Beratenden und Bescheinigenden erlaubt. Damit bleibt dem Beratenden die Peinlichkeit erspart, zu bescheinigen, es habe sich eine dialogische „Beratung" und nicht bloße Formalität ereignet, bezüglich der nach dem Entwurf der FDP sich nur mit Gewißheit sagen läßt, daß nicht lediglich „eine Informationsschrift übergeben worden ist. " Wenn die Frau - „wenn sie es denn will" , sagt Frau Würfel - keine weiteren Fragen hat als: „informieren Sie mich bitte im Sinne von § 219 Abs. 1 Satz 2 StGB" , so heißt das dann: Vorlesen der Informationsschrift genügt.
Wie der Entwurf von dieser Beratung sagen kann, damit und mit den angebotenen Hilfen sei es „sichergestellt, daß die selbstverantwortete Entscheidung der Frau nicht allein auf einem Selbstbestimmungsrecht beruhen und nicht losgelöst vom Schutz des werdenden Lebens erfolgen kann", vermögen wir nicht mehr nachzuvollziehen. Die „Chance", wie es an anderer Stelle der Begründung sehr viel bescheidener heißt, daß sich die Frau dann für das Kind entscheidet, ist im Zeithorizont immer gegeben. Aber eine Kausalität zwischen solcher Formalberatung, wie sie der Entwurf gestattet, und der Entscheidung für das Leben läßt sich nach den seit 1975 gemachten Erfahrungen schlechthin nicht belegen.
Ebenso eigenartig mutet die Begründung des FDP-Entwurfs zu § 218 Abs. 5 StGB an. Danach soll die Tötung ungeborenen Lebens innerhalb der ersten zwölf Wochen nach vorgängiger Beratung „den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ausschließen", also ein „strafrechtlicher Unrechtstatbestand" in diesen Fällen von vornherein gar nicht gegeben sein. Die von Bundesjustizminister Kinkel in diesem Zusammenhang für erforderlich gehaltene Verkürzung der Frist auf zehn Wochen, weil nach neuesten medizinischen Erkenntnissen „das Gehirn des Embryos mit Abschluß der zehnten Woche wohl als funktionsfähig gelten kann", zeigt an, daß der Entwurf der FDP damit die makabere Frage über den Beginn menschlichen Lebens erneut und in nun deutlicher Verfassungsbedenklichkeit wieder eröffnet hat.
Insoweit geht es nicht mehr um die Frage der Geeignetheit der vom Staat zum Schutz des ungeborenen Lebens einzusetzenden Mittel - über die ja sich streiten läßt - , sondern darum, ob vor der zehnten oder zwölften Woche gleichwertiges menschliches Leben als ein selbständiges unter dem Schutz der Verfassung stehendes Rechtsgut vorhanden ist. Die erwähnte Bemerkung ist mir logisch nur so verständlich, daß in Analogie zum Gehirntod des voll entwickelten Menschen der Beginn der Schutzwürdigkeit des Embryos von der Funktionsfähigkeit seines Gehirns
abhängig gemacht werden soll. Nur dann könnte man sagen, es fehle bereits am „Tatbestand" der Abtötung vorgeburtlichen menschlichen Lebens und „infolgedessen" seien auch die Absätze 1 bis 4 des § 218 „nicht anzuwenden". Juristen wissen, was damit ausgesagt ist.
Wollen Sie ernstlich den verfassungsrechtlichen Grundkonsens auf diese beunruhigende Weise aufwühlen? Ich teile ja nun wirklich nicht die fundamentalistische Kritik, die auch unser Gesetzentwurf erfährt. Aber solche Kritik würde begründet, wenn sich die Gesetzgebung das Recht der Entscheidung darüber anmaßen wollte, welche menschlichen Wesen Subjekte von Lebensrechten sein sollen oder nicht. Wollen Sie dieses nicht, so bleiben Sie mit der Tatsache konfrontiert, daß Ihr Entwurf innerhalb der ersten zwölf Wochen dem Arzt die folgenlose Tötung menschlichen Lebens gestattet, ohne daß irgendein Grund vorgetragen und nach vertretbarer Erkenntnis des Arztes gegeben sein muß, der im Sinne einer Unzumutbarkeit vor der Wertordnung des Grundgesetzes Bestand haben kann.
Selbst in den Fällen, in denen der FDP-Entwurf, wie bei der medizinischen und kindlichen Indikation nach der 12. Woche, beim System der jetzigen Indikationenregelung verbleiben will, sind seine Absichten nicht zu verkennen. So soll die Befugnis, Zulassungen für Einrichtungen für ambulante Abtreibungen generell zu verweigern, entfallen, und so sollen gelegentlich einer aus anderen Gründen angeordneten Durchsuchung beim Arzt aufgefundene Beweismittel über unerlaubte Tötungshandlungen nicht mehr gegen die Patientin verwertet werden dürfen. Damit wird nicht ein schutzwürdiges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin, sondern das Legalitätsprinzip empfindlich gestört.
Der Entwurf der FDP ist unter Anlegung seiner eigenen Maßstäbe weder geeignet, den Lebensschutz zu verbessern, noch wird er den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht.
Meine Damen und Herren, sozial verträglicher und dem Grundgesetz gemäßer ist in der Summe kein anderer Vorschlag als derjenige der Mehrheit unserer Fraktion. Alle anderen Entwürfe begegnen nach unserer Überzeugung durchgreifenden Bedenken. Die Fristenregelungen von SPD und FDP halten den Maßstäben der Entscheidung vom 25. Februar 1975 nicht stand. Deshalb bitten wir alle auf dem Boden des Grundgesetzes stehenden Fraktionen, sich bei den anstehenden Beratungen unter Hintanstellung politischer Zweckmäßigkeitserwägungen auf verfassungskonforme Grundsätze zu verständigen.
Es ist mißlich - ich bedaure das -, daß jetzt entgegen aller Bekundungen, man wisse um seine eingeschränkte Tauglichkeit, dem Strafaspekt wieder dominierende Bedeutung beigemessen wird. Verantwortlich dafür sind alle, die einen Systemwechsel wollen. Das Strafrecht kann lediglich evidente Schutzlücken schließen, nicht aber generell das ungeborene Leben schützen. Eine reine Lehre, die in den Köpfen, Herzen und Gewissen vieler Menschen schwer zu realisieren ist, bringt den Lebensschutz kein Stück weiter. Nur um diesen, auf das unbedingt notwendige Mindestmaß zurückgenommenen Restschutz und nicht um die
Bestrafung der auch in unserem Entwurf weitestgehend straffrei gestellten Frau geht es.
Vor allem muß endlich wieder mehr als bisher im Bewußtsein verankert werden, daß Kinder Glück und Zukunft für die Familien und für uns alle bedeuten.
({4})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Konrad Elmer das Wort.
Grundsätzlich sind wir uns alle einig, daß es sich bei der befruchteten Eizelle um menschliches Leben, also von Anfang an um menschliches werdendes Leben handelt. Aber da uns zum wiederholten Male die Tötung von Kindern vorgeworfen wurde, möchte ich folgendes sagen: Der Begriff des Kindes impliziert so etwas wie personales Sein, das hier schon vorhanden ist. Auch Herr Geißler hat heute früh angedeutet, daß man davon in diesem Stadium noch nicht reden kann, sondern erst später.
Wir müssen uns im Ausschuß darüber verständigen, daß es in der Entwicklung Qualitätsveränderungen gibt, die eine unterschiedliche Bewertung und auch eine andere Begrifflichkeit nötig machen, als Sie sie verwenden. Auch Sie geben ja, wie ich in Ihren Vorschlägen für § 219a und § 219b lese - das betrifft die Zeit von der Befruchtung einer Eizelle bis zur Einrüstung - , die Tötung von Kindern frei, weil Sie sonst die Spirale verbieten müßten. Auch das ist eine Inkonsequenz, die man nur lösen kann, indem wir die Diskussion im Ausschuß führen, wie es mit der Qualitätsveränderung menschlichen Lebens vom vorpersonalen zum personalen menschlichen Leben steht. Wir meinen, daß der Abbruch eines vorpersonalen Lebens eben ein geringeres Übel als der Abbruch eines personalen Lebens ist und daß deswegen eine Fristsetzung, etwa vor diesem Übergang, eine sehr sinnvolle Sache in diesem Zusammenhang ist.
Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Geis das Wort. Dann ist vorläufig Schluß mit den Kurzinterventionen.
Zu der von Herrn Scheu angeführten Überlegung, daß es sich um menschliches Leben von Anfang an handelt und daß es bei der Abtreibung um die Tötung menschlichen Lebens geht. Man kann dabei aber nicht den Unterschied machen, wann eine Person beginnt und wann nicht. Wenn wir diesen Unterschied machen wollten, wüßten wir nicht, wann überhaupt das personale Sein beginnt. Dann müßten wir uns darüber unterhalten, was Person bedeutet. Wenn Personsein, Empfinden, Reaktion, Fähigkeit zur gegenseitigen Inachtnahme und Aufmerksamkeit bedeutete, müßten Sie zu dem Ergebnis kommen, daß Personsein erst bei einem zwei- oder dreijährigen Kind ansetzt. Genauso wird aber argumentiert. Es gibt ja in der Literatur bereits Überlegungen - denken Sie nur an Hörster, denken Sie an Singer - , die genau darauf Bezug nehmen. Wenn Sie aber mit diesen Überlegungen beginnen, dann müssen Sie konsequenterweise sagen, daß man ein Kind eigentlich auch ein Jahr nach der Geburt töten kann.
Ich meine, daß man bei der Frage der Frist, die hier in der ganzen Debatte eine entscheidende Rolle gespielt hat, auf die Frage abstellen muß, ob grundsätzlich die Möglichkeit zum Personsein besteht, und nicht darauf, wann das Personsein einsetzt, weil Sie nämlich dann so weit kommen müssen zu sagen, daß ein schwerkranker Mensch, der überhaupt nicht in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, der nicht mehr in der Lage ist, über sich selbst Herr zu sein, in dem Sinne schon nicht mehr Person wäre. Sie müssen bei der Frage ansetzen, ob die Möglichkeit, die Potentialität des Personseins gegeben ist. Dann kommen Sie nicht umhin zu sagen, daß die von Anfang an gegeben ist.
Das Wort hat die Kollegin Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Männer aus der Fraktion der CDU/CSU, die hier gesprochen haben, haben hier die Töne eines Tribunals anklingen lassen. Ich sage: Ich weise solche Töne als Beleidigung für die Frauen in diesem Hause und auch als Beleidigung der Frauen bei uns in Deutschland zurück.
({0})
Diese Töne gehören nicht in eine solche Debatte. Ich füge hinzu: Wenn hier Frauen so über Männer sprächen, dann hätte ein Aufstand im Deutschen Bundestag schon längst begonnen.
Der Streit, der hier mit 20 Jahre alten und noch älteren Argumenten und Fronten ein weiteres Mal ausgetragen wird, auch heute in dieser Diskussion, hat etwas seltsam Anachronistisches. Aber patriarchalische Elemente überleben auch in modernen Gesellschaften, sie überleben nicht nur in den Köpfen von Männern, sie überleben in Parteien. Sie überleben, wie die heutige Diskussion zeigt, auch in den Köpfen mancher Frauen.
Aber in dieser Diskussion in dieser Legislaturperiode wollen die Frauen in Deutschland es jetzt endlich wissen. In diesem Jahr, dem 120. Jahr der unrühmlichen Existenz dieses § 218, muß er jetzt endlich fallen, muß endlich die Strafandrohung gegen die Frauen weg.
({1})
Das sind wir allen Frauen schuldig, die in dieser Geschichte in seinem Namen diskriminiert, verfolgt, verurteilt oder in die Hände von Kurpfuschern getrieben worden sind.
({2})
Das sind wir denen schuldig, denen in seinem Namen Schuldgefühle eingebleut wurden. Das sind wir denen schuldig, die bereits vor 70 Jahren im Deutschen Reichstag die Fristenlösung beantragt haben. Das sind wir denen schuldig, die sich Ende der 60er Jahre für das gleiche Recht der Frauen auf lustvolle Sexualität wie für die der Männer engagierten. Das sind wir denen schuldig, auch in der Frauenbewegung, die in
den frühen 70er Jahren auf den Straßen für die Fristenlösung demonstriert haben, und das sind wir denen schuldig, die sie 1972 beschlossen haben. Wenn die Frauen entscheiden könnten in Deutschland, auch in diesem Deutschen Bundestag, dann wäre dieser § 218 und dann wäre die Strafandrohung gegen die Frauen längst weg.
({3})
Im § 218 mit seinem Zwang zum Gebären
({4})
steckt seit seiner Entstehungsgeschichte Gewalt gegen Frauen. Es steckt darin Herrschaft von Männern über Frauen. Während des Nationalsozialismus hat der § 218 die Frau mit der Todesstrafe bedroht. Gewalt wird aber auch gegen die Sexualität von Frauen ausgenützt. Es wird vor allem Sexualität von Frauen mit doppelten Standards bewertet. Diese Strafandrohung des § 218, diese doppelten Standards bei der Bewertung von Sexualität, auch die Tatsache, daß das Schicksal geborener Kinder in unserer Gesellschaft viel weniger interessiert, dies alles wirkt weit bis in die sexuellen Beziehungen hinein, und damit betreffen sie alle Frauen, nicht nur Schwangere und nicht nur Mütter.
Die Verantwortung für Verhütung wird automatisch denen zugewiesen, die mit strafrechtlichen Konsequenzen und mit schwerwiegenden Folgen für den weiteren Ablauf ihres Lebens zu rechnen haben: den Frauen.
Wer von Ihnen, liebe Kollegen, sage ich, von der CDU/CSU-Fraktion, die Sie den Frauen die Entscheidung über sich selbst und über viele existentielle Fragen vorenthalten wollen, ist in seinem Leben bereit gewesen, auf seine eigene Lebensplanung, auf seinen eigenen Beruf um eines Kindes willen zu verzichten? Das verlangen Sie aber von den Frauen.
({5})
Wer von Ihnen kann nachfühlen, wie es ist, wenn wir als Parlamentarierinnen von angeblichen Lebensschützern Plastiken von Föten zugeschickt bekommen? Diese Leute erwecken ja den Eindruck, als seien Frauen Monster, als müsse man das Embryo vor der Mutter schützen. Lassen Sie doch die widerwärtige Verteufelung von Frauen.
({6})
Die Wahrheit ist: Es gibt keinen sichereren Ort für das Embryo als den Bauch der Mutter, und zwar der Frauen wegen und nicht der Lebensschützer wegen. Das muß ja wohl jeder wissen.
({7})
Es gibt doppelte Standards bei der Sexualität: Sexualität sei für Männer Lust und für Frauen Last. Diese immer noch vorhandene Einstellung hat ihren Ursprung im Zwang zum Gebären. Die jetzige Indikationsregelung hat öffentliche Diskriminierungen
und Verurteilungen, hat Schauprozesse wie Memmingen möglich gemacht,
({8})
hat zu Zwangsuntersuchungen an der deutsch-niederländischen Grenze geführt. Solche Methoden sind eines zivilisierten Landes nicht würdig. Damit muß es ein Ende haben.
({9})
Wenn dem ein Ende gesetzt wird, muß die Eigenentscheidung der Frau beim Schwangerschaftsabbruch endlich verwirklicht werden. In sehr patriarchalischem Verständnis wird hier von der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion einer äußeren Autorität, den Ärzten - nur nicht der Frau; im übrigen ist die Mehrzahl der Ärzte Männer - , eine Entscheidung zugeschoben, die eigentlich die Frauen selber treffen müssen. Zum Glück, sage ich - neue Welt, neue Situation -, verweigert aber die Ärzteschaft diese Zuschiebung der Verantwortung. Daran sieht man, daß sich in diesem Land in 20 Jahren vieles geändert hat.
Gehen Sie einmal in eine Schwangerschaftsberatungsstelle. Sie werden dort von Frauen zwischen 25 und 35 Jahren hören, die vielleicht ein Kind oder mehrere Kinder haben und sich einem weiteren nicht mehr gewachsen fühlen. Das ist in unserer Gesellschaft übrigens kein Zeichen von Schwäche. Die übergroße Mehrheit des sogenannten starken Geschlechtes fühlt sich bekanntlich keinem einzigen Kind gewachsen, wie sich spätestens bei der Scheidung herausstellt.
({10})
Es ist schon erstaunlich, wie verbissen eine männlich dominierte Gesellschaft auf ihr Mitspracherecht dort beharrt, wo sie keine Verantwortung tragen muß. Nach der Geburt ist die Bereitschaft, das Kind der Mutter ganz allein zu überlassen, bedeutend größer geworden.
({11})
Noch immer wird ideologisch die Gegnerschaft zu Kinderkrippen damit begründet, daß solche Einrichtungen die wichtige Rolle der Mutter schwächen könnten. Es ist wohl kein Zufall, daß ihr die Verantwortung in dem Moment feierlich übertragen wird, in dem Kinder anfangen, Arbeit zu machen - und ich sage: in unserer Gesellschaft Arbeit machen, die von Frauen unbezahlt geleistet wird. Wenn Sie etwas tun wollen, frauenfreundliche und kinderfreundliche Verhältnisse zu schaffen, tragen Sie endlich dazu bei, daß solche Arbeit und die Erziehung von Kindern in dieser Gesellschaft angemessen berücksichtigt und auch finanziert werden.
({12})
Wenn Sie eine frauenfreundliche Gesellschaft schaffen wollen, tragen Sie dazu bei, daß in den Ballungszentren Frauen, die allein zwei oder drei Kinder erziehen, eine Wohnung bekommen, in der sie leben können.
({13})
Mit der Strafandrohung - so ist meine Analyse gegenüber Jahrzehnten des Patriarchats in bezug auf den § 218 - gegenüber der Frau entzieht sich „Vater" Staat der Pflicht, eine kinderfreundliche und frauenfreundliche Gesellschaft zu schaffen und sie auch zu finanzieren.
Anachronistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eben diese 218-Diskussion, weil unsere Gesellschaft trotz überkommener patriarchalischer Strukturen längst ein neues Frauenbild hat, weil in den letzten Jahren, ja, Jahrzehnten die Frauen ein völlig neues Selbstbewußtsein gewonnen haben, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie Hausfrau, ob sie berufstätig, ob sie jung oder alt sind, und weil auch viele Männer - Gott sei Dank - ein neues, auf Partnerschaft angelegtes Bewußtsein haben.
Demgegenüber mutet die CDU/CSU-Diskussion wie der letzte Versuch an, diesem neuen Selbstbewußtsein die alten Zügel anzulegen. Der § 218, wie er war, wie er heute ist und wie er nach der Vorstellung der Union auch bleiben soll, ist Ausdruck des Patriarchats, das sich je nach Situation und gesellschaftlicher Konjunktur mal väterlich-gönnerhaft, mal hart und streng gibt.
({14})
- Herr Kollege, ich habe mir angewöhnt, das zu bewerten und das zu sagen, was ich selbst für richtig halte. So wie ich heute bei Ihrer Kollegin Frau Süssmuth geklatscht habe, habe ich vorhin auch bei Herrn Gysi geklatscht. Ich denke, es tut uns gut, wenn wir die Menschen nicht immer in Töpfe einsortieren, sondern wenn wir sie danach bewerten, was sie sagen.
({15})
Ich werde es mir jedenfalls angewöhnen.
Wir sind es leid, darüber zu streiten, mit welchen Mitteln über Frauen verfügt wird. Wir wollen die Bevormundung beenden. Zur Gleichberechtigung gehört, daß wir das Selbstbestimmungsrecht der Frau anerkennen. Der § 218 muß aus dem Strafgesetzbuch verschwinden. Der Schwangerschaftsabbruch muß für die Frau straffrei bleiben. Ich bin davon überzeugt, wir werden im Deutschen Bundestag eine Mehrheit von Frauen und Männern finden, die die Eigenverantwortung, die Eigenentscheidung der Frau und die Fristenlösung mit uns unterstützen werden und die dieser neuen Entwicklung damit eine Chance geben.
({16})
Das Wort hat der Kollege Dieter-Julius Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich heute hier spreche, so - das gestehe ich
Dieter-Julius Cronenberg ({0})
offen - ist es das erstemal, daß ich mich an diesem Pult nicht in Übereinstimmung mit meiner Fraktion befinde.
Zunächst möchte ich allerdings eine Richtigstellung vornehmen, da eine Bemerkung des Kollegen Dr. Hoffacker möglicherweise ein Mißverständnis ausgelöst hat. Die Behauptung, in der letzten Legislaturperiode sei das Beratungsgesetz an der FDP-Fraktion gescheitert, ist so nicht richtig. Da ich selber an den Beratungen teilgenommen habe - ({1})
- Nein, Herr Kollege Scheu, es ist daran gescheitert, daß die CSU - also sind Sie besonderes betroffen - verlangte, Sonderregelungen sollten auf Länderebene möglich sein. An der Frage der Einheitlichkeit des Rechtes im Beratungsbereich ist diese Lösung gescheitert.
({2})
Ich halte diese Richtigstellung für die Hygiene der Diskussion für ganz wichtig.
({3})
- Ja, natürlich, das bedeutet konkret, daß es in Bayern eine andere Lösung gibt als in Hamburg. Das, glaube ich, ist für dieses Rechtsgebiet alles andere als angemessen.
Ich hoffe, daß die Ernsthaftigkeit der Debatte, die nach meiner Beurteilung im großen und ganzen gewahrt worden ist, auch für den Rest der Debatte aufrechterhalten werden wird. Ich bemühe mich - und will mich bemühen - um eine offene Diskussion. „Offen" heißt für mich Zuhören, Offensein für Argumente in der Sache. Ich wünsche dem Kollegen Eylmann und dem Kollegen Werner aus der Unionsfraktion, daß sie in ihrer Fraktion die gleiche Toleranz, den gleichen Respekt erfahren, den ich - dafür bedanke ich mich - in meiner Fraktion erfahren durfte.
Wir können hier heute nicht über letzte Wahrheiten streiten. Vielleicht besitzen wir sie auch gar nicht. Aber wir dürfen - ich meine sogar, wir müssen - für unsere Überzeugung streiten. Und das will ich auch von diesem Platz aus tun. Es sind sicherlich subjektive, sehr menschliche Überzeugungen. Aber für mich müssen diese Überzeugungen erkennbar getragen sein von dem Willen, Lösungen zu finden, die dem Konflikt, um den es geht, gerecht werden. Ich hoffe, ich meine, sie verdienen gegenseitigen Respekt.
Der Konflikt besteht doch in unserer verfassungsmäßigen Pflicht, das Leben des Ungeborenen zu schützen und zugleich Auswege aufzuzeigen, wo die Schwangere keine mehr sieht, jedenfalls keine, die nicht das Lebensrecht des Ungeborenen beeinträchtigen würden.
Meine eigene Überzeugung ist von folgenden Grundsätzen geprägt und bestimmt: Erstens. Ob die Konfliktlösung zu Lasten des Ungeborenen erfolgt, kann keine Frage des Alters des Ungeborenen sein. Eine reine Fristenlösung ist mit unserer Verfassung und mit meinem Gewissen nicht zu vereinbaren. Ich vermag auch nicht zu erkennen, daß das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Schutz
des Ungeborenen heute anders einstuft oder einstufen kann als 1975.
({4})
Zweitens. Ich bin davon überzeugt, daß es beim Grundsatz der Strafbarkeit bleiben muß. Zu Recht wird im Umweltrecht, für Kindesmißhandlung und für Mißhandlungen von Ehefrauen, um nur einige Beispiele zu nennen, nach neuen Straftatbeständen gerufen. Dort soll die Gesellschaft ihr Unrechtsurteil sogar noch verschärfen. Nach der Effektivität wird nicht oder so gut wie nicht gefragt. Gleichzeitig aber wollen wir die gewaltsame Beendigung wachsenden Lebens nicht mehr als strafrechtliches Unrecht ausweisen. Damit werde ich so nicht fertig.
({5})
- Aber nicht in genügendem Umfang.
Unsere Rechtsordnung muß den Schwangerschaftsabbruch meines Erachtens mißbilligen. Das ist die Aufgabe der Strafbestimmungen. Das muß nicht bedeuten, daß dadurch irgendein Schwangerschaftsabbruch zusätzlich verhindert oder die Konfliktlösung für die Schwangere erleichtert wird; dessen bin ich mir leider - so muß ich sagen - bewußt; das weiß ich.
Nur, dieses Problem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir bei einer Vielzahl von Strafbestimmungen. Das Strafrecht kann nun einmal nicht mehr tun, als namens einer demokratischen Mehrheitsentscheidung ein Unwerturteil über eine bestehende Verhaltensweise abzugeben. So Fromm in der „FAZ".
({6})
Drittens. Nur über die Pflicht zur Beratung kann die Gesellschaft bei der Konfliktlösung ernsthaft helfen. Nur so bekommen flankierende Maßnahmen einen wirklichen Stellenwert, den wir ihnen zumessen wollen. Ich verhehle nicht: Nach meiner Meinung sollte die Beratung auf die Annahme des Kindes durch die Mutter zielen.
Zielgerichtete Beratung darf dabei nicht Überreden bedeuten. Man darf nicht mit Drängen überzeugen. Das wäre nach meiner Auffassung keine Hilfe im Konfliktfall.
Das sind für mich drei prinzipielle Kernpunkte, von denen ich meine Entscheidung bei der Endabstimmung abhängig machen muß und möchte.
Daneben gibt es graduelle Punkte. Ich denke an die Frage, wie der Gesetzgeber typisierte Konfliktfälle in Form einer Indikation beschreibt oder wie das ärztliche Feststellungsverfahren aussehen soll, wie Beratungsangebote konkret ausgestaltet werden sollen und wie wir die damit verbundenen Finanzierungsprobleme in den Griff bekommen. Dafür gibt es die Ausschußberatungen.
Dort - dessen bin ich mir sicher - werden auch die Wege abgeklopft werden, wie wir im Konfliktfall zugunsten der Schwangeren die Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten optimal ausgestalten können. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die optimale AusgestalDieter-Julius Cronenberg ({7})
tung dieser Hilfsmöglichkeiten uns am Schluß alle wieder zusammenführt.
Herzlichen Dank.
({8})
Bevor ich als nächstem dem Kollegen Horst Eylmann das Wort erteile, äußere ich die Bitte um Ihre Zustimmung, daß wir, wie es interfraktionell vereinbart worden ist, Redebeiträge zu Protokoll geben können. Es sind bereits neun Redebeiträge zu Protokoll gegeben worden. Das bedeutet nicht die Aufforderung, daß jetzt alle so verfahren mögen; aber es erleichtert dem Stenographischen Dienst die Arbeit. Ich bitte also um Ihre Zustimmung. - Diese ist hiermit gegeben.
Nun hat der Kollege Horst Eylmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede verantwortungsbewußte Gesetzgebung muß mit einer Analyse der gegenwärtigen Situation beginnen. Wir haben zur Zeit ein Indikationenmodell mit einem faktischen letzten Entscheidungsrecht der Frau.
Beim Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen spielt das Strafrecht, von Ausnahmefällen wie Memmingen abgesehen, praktisch keine Rolle. Der Beweis ist einfach zu führen. Im Jahr 1989 sind 700 000 Straftäter in Deutschland verurteilt worden, davon acht wegen eines Verstoßes gegen § 218: sechs Männer und zwei Frauen. Möglich war dies - das wissen wir alle - durch einen massenhaften Mißbrauch oder eine massenhafte Ausweitung der sozialen Indikation.
Ich mag den Begriff „Fristenlösung" nicht, weil er ungenau ist, weil er als Waffe in der politischen Auseinandersetzung mißbraucht wird und sein Inhalt sehr schwankt. Wenn man aber als Fristenlösung eine strafrechtliche Regelung versteht, die es einer Frau ohne größere Schwierigkeiten erlaubt, selber zu entscheiden, ob eine Indikation vorliegt, und infolgedessen auch selber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen will, dann haben wir in den alten Ländern der Bundesrepublik zur Zeit eine Fristenlösung.
Die Folge kennen wir alle: Nach der Schätzung des Deutschen Ärztetages noch im Mai dieses Jahres gibt es in den alten Ländern 200 000 bis 250 000 Abtreibungen jährlich.
Ich möchte diese Zahl verringern. Die Verringerung dieser Zahl ist für mich überhaupt das einzige, was mich interessiert. In diesem Ziel bin ich mit meiner Fraktion völlig einig. Ich stimme mit ihr auch insoweit überein, als dies in erster Linie durch andere als strafrechtliche Maßnahmen erreicht werden muß.
Meine abweichende Auffassung beginnt dort, wo es um eine ergänzende Aufgabe des Strafrechts geht. Wenn man vorhat, mit Hilfe des Strafrechts die Zahl der Abbrüche zu senken, geht das nur in der Weise, daß man die Entscheidung, ob eine Indikation vorliegt, justitiabel macht, also der richterlichen Nachprüfung unterwirft. Das ginge z. B. durch ein Kommissionsmodell. Die Frau muß sich einer Kommission stellen, in die ein Arzt, ein Richter und ein Sozialarbeiter gehören. Es ist konsequent, was mein Kollege Dr. Jahn hier vorgetragen hat.
Ich sage Ihnen sehr einfach: Ein solches Modell ist in der Gesellschaft der Bundesrepublik nicht durchsetzbar, und es ist in einem Europa mit offenen Grenzen nicht durchsetzbar.
({0})
Auch dies ist in meiner Fraktion wohl die herrschende Meinung.
Die Union geht wegen der Nichtdurchsetzbarkeit eines solchen Modells einen anderen Weg. Sie will den Richter durch den Arzt, durch den Facharzt ersetzen, der den weißen Kittel mit der schwarzen Robe des Richters vertauschen soll.
({1})
Der Facharzt soll entscheiden, ob eine sogenannte psychosoziale Notlage vorliegt. Von offensichtlichen Mißbräuchen abgesehen, soll seine Entscheidung vom Richter nicht nachprüfbar sein.
Gegen diese Lösung habe ich schwerwiegende Bedenken. Ich nenne nur die beiden wichtigsten Gründe.
Die Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik müssen dem Statistischen Bundesamt gemeldet werden. Im Jahr 1990 haben die deutschen Ärzte ca. 78 000 Abbrüche gemeldet. Sie haben ca. 88 000 über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet. Die tatsächliche Schätzung liegt zwischen 200 000 und 250 000. Diese Zahlen brauche ich nicht zu kommentieren. Sie sprechen für sich.
Ich kann aber nicht verstehen, wie man angesichts dieser Zahlen ernstlich hoffen kann, durch eine Übertragung der Entscheidungsgewalt auf den Arzt könne man die Zahl der Abbrüche verringern. Wenn der Entwurf der Union Gesetz wird, wird sich nicht das geringste an dem gegenwärtigen Zustand ändern. Wir können zwar hoffen, die Beratung und die sozialen Hilfen können die Zahl der Abbrüche verringern. Dies von den Ärzten zu erwarten ist aber eine Illusion.
Eine zweite Bemerkung. Der Facharzt soll entscheiden, ob eine Notlage vorliegt, die für die Frau einen so schwerwiegenden Konflikt darstellt, daß von ihr die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt und auch auf andere für sie zumutbare Weise nicht abgewendet werden kann. Dafür soll er die Verantwortung übernehmen.
Das kann ein Facharzt nicht, der noch nicht einmal wie ein Hausarzt die häuslichen Verhältnisse kennt. Wie soll er denn die sozialen Verhältnisse beurteilen?
({2})
Er kann Ermittlungen anstellen; aber er braucht es nicht. Wie lange dauert denn in der Praxis ein Gespräch mit dem Frauenarzt? Zehn Minuten, 20 Minuten? Eine halbe Stunde ist schon viel. Dann verlangen
wir von ihm auch noch, daß er seine zweifelsfreie ärztliche Erkenntnis zu Protokoll gibt. Das ist eine Verleitung durch den Staat zur Falschbeurkundung.
({3})
Das darf der Staat mit einer Berufsgruppe nicht machen. Er darf das auch nicht augenzwinkernd tun. Ich weiß doch, daß viele sagen: Die Ärzte werden das schon richten, und wir nehmen das alles nicht so wichtig. Aber das darf der Staat nicht machen.
Mein Zwischenergebnis: Erstens. Der Abbruch in den ersten zwölf Wochen ist nicht justitiabel. Zweitens. Die Entscheidung darüber kann den Ärzten billigerweise nicht zugemutet werden.
Es bleibt also nur die Konsquenz, diese Entscheidung den Frauen zu übertragen.
({4})
Das ist für mich keine Notlösung, sondern die Zeit ist reif für eine solche Entscheidung. Wir müssen doch anerkennen, daß sich die allermeisten Frauen bei dieser Entscheidung außerordentlich schwertun, und daß das ein langer, ein qualvoller Entscheidungsprozeß ist,
({5})
ein Entscheidungsprozeß, den die Männer nur begrenzt nachempfinden können;
({6})
wir können ja nicht ungewollt schwanger werden.
Kollege Eylmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gern.
Es wird nicht angerechnet.
Herr Kollege Eylmann, Sie sagten, der Schwangerschaftsabbruch sei in den ersten zwölf Wochen nicht justitiabel. Können Sie mir einen Grund nennen, weshalb er nach Ablauf von zwölf Wochen justitiabler sein soll?
Ich will mich - das kann ich auch - auf das beziehen, was der Herr Kollege Schmude hier gesagt hat.
({0})
- Nein, das war nicht sehr dünn. Für jedermann ist klar - es ist aber außerordentlich schwer in Worte zu fassen - , daß es einen großen Unterschied macht, ob ich einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate oder innerhalb der ersten sechs Monate vornehme. Das ist ein großer Unterschied, und
das empfindet jeder Mensch. Es ist außerordentlich schwer, das logisch zu begründen.
({1})
- Dann dürfte hier überhaupt nicht von zwölf Wochen die Rede sein. Wenn das die Konsequenz wäre, dann paßt das ja wohl nicht zu dem Entwurf, den die Union vorgelegt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen meine Meinung nicht vorenthalten. Ich sage erstens: Ein Schwangerschaftsabbruch ist moralisch zu mißbilligen. Der Staat darf sich in dieser Frage nicht indifferent verhalten.
({2})
Alles andere wäre auch verfassungswidrig.
Ich sage zweitens: Wenn eine Frau in einer besonderen Konfliktsituation - deshalb halte ich am Indikationen-Modell fest - eine Schwangerschaft abbrechen will, dann muß sie sich beraten lassen. Wie kann sie eigentlich für sich beanspruchen, dieser Verantwortung gerecht zu werden, wenn sie sich nicht beraten läßt? Das Wort „Zwangsberatung" ist eine politische Kampfvokabel, und zwar eine sehr böse. Sie sollte verschwinden.
({3})
Drittens. Wenn eine Frau auch nach der Beratung, nach dem Ausloten aller Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden, sagt, ich will es aber trotzdem, dann muß sie die letzte Entscheidung haben.
({4})
Natürlich weiß ich: Sie ist betroffen. Aber nirgendwo haben wir eine so enge existentielle Verbindung zwischen zwei Rechtsgütern: dem Leben der Frau und dem noch ungeborenen Leben. Das läßt sich nicht trennen.
({5})
Ich gestehe, ich bin nicht immer dieser Auffassung gewesen. Im Laufe der Jahre bin ich zu dem heutigen Standpunkt einer genauen und vorurteilsfreien Beobachtung der Wirklichkeit in unserem Land gekommen.
({6})
Mein Standpunkt ist auch nicht - das räume ich ein - , gesinnungsethisch, sondern verantwortungsethisch im Sinne der Trennung von Max Weber begründet, die ich immer noch für richtig halte. Ich muß nämlich sehen, was nachher aus den Gesetzen in diesem Lande wird.
({7})
Ich lasse mich in diesem Hause von niemandem in dem Willen übertreffen, die Zahl der Abtreibungen zu vermindern. Ich weiß aber auch - ich zitiere ein Wort aus der gemeinschaftlichen Erklärung der Kirchen - : „Auf keine Weise, auch nicht durch die Rechtsordnung, läß sich der Schutz des ungeborenen Lebens erzwingen. "
Ich hoffe, wenn die Drohung mit dem Strafrecht erst einmal vom Tisch ist - es ist ja eine Pseudo-Drohung, die wir gar nicht mehr ernst nehmen - , dann könnte sich vielleicht eine neue Sensibilität für das Leben entwickeln.
Wir brauchen keine Strafen, sondern ein stärkeres Gefühl dafür, daß es zwar ungeheuer schwer und verantwortungsvoll ist, ein Kind aufzuziehen - wir Männer überlassen das ja normalerweise den Frauen -, aber das auch eine der schönsten Erfahrungen ist, die es auf dieser Welt gibt.
({8})
Meine Damen und Herren, ich bin in dieser Woche zum erstenmal Großvater geworden.
({9})
Herzlichen Glückwunsch!
Das war natürlich ein Trick, um Beifall von allen Seiten zu bekommen.
Ich sage Ihnen aber: Sogar Großvater zu werden - welche Freude!
Vielen Dank.
({0})
Dies, Kollege Eylmann, kann Ihnen Großmutter Schmidt nachempfinden.
({0})
Nun hat der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.
Ich lasse Sie alle weit im Schatten: Ich bin sechsfacher Großvater.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt weniger, aber zeitweise sehr stark bestand für mich in dieser Debatte Anlaß, in Erinnerung zu rufen, welcher Auftrag hinter uns steht, wenn wir diese Debatte führen. Es ist der Auftrag einer vom Einigungsvertrag festgelegten Rechtsangleichung innerhalb von zwei Jahren, die wir zustande bringen müssen; da kann ich dem Kollegen Schmude nur zustimmen.
Das ist aber eine Rechtsangleichung nicht nur zwischen den alten und den sogenannten neuen Ländern, sondern - darauf weise ich mit Nachdruck hin - eine Beseitigung eines im Strafgesetzbuch selber enthaltenen Widerspruchs zwischen altem und neuem Recht.
Das alte Recht ist der § 218 StGB, der Schwangerschaftsabbruch generell als kriminellen Tatbestand kennzeichnet. Das neue Recht steht bereits im Strafgesetzbuch, nämlich als § 218a, ein Recht, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Ost und West bis auf geringfügige Differenzen in den Fristenbegrenzungen entspricht, das freilich in den alten Bundesländern durch das weitere Vorhandensein des § 218 in tiefes Zwielicht geraten ist.
Unrealistisch und weltfremd erscheinen gegenüber diesem klaren Tatbestand alle Versuche, die Rechtsangleichung im Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität durch mehr oder weniger klarer Rückkehr zum alten Recht des § 218 zu verwirklichen.
Nun, meine Herren Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion - so muß ich in diesem Zusammenhang sagen - : Ich kann einfach nicht fassen, was Sie uns hier in schrecklichen Reden gegenüber Leuten vorführen, die Kritik am § 218 üben; Sie reden über Kindestötung, Kinderbeseitigung. Was haben Sie denn in Ihr Gesetz, in § 218a, geschrieben? Das, was Sie hier an Schreckensszenarien entwerfen, trifft doch alles darauf zu. Ich möchte Sie zur Zwangsberatung in Sachen Logik schicken.
({1})
Ich würde die Beratungsziele dabei genau kennen.
Diese Versuche der Restauration obsolet gewordenen Rechts werden auch nicht dadurch realitätsnäher, daß katholische Bischöfe ihre Glocken statt zum Gebet zu Zwecken der Agitation läuten lassen,
({2})
und daß finanziell gut ausgestattete protestantische Fundamentalisten aufhetzende Videos verschicken, die für mich auf dem Niveau von Pornos stehen.
({3})
Was ist dieses alte Recht? Es ist ein archaischer Rest alttestamentalischen Sexualstrafrechts, das über das mittelalterliche Kirchenrecht dem allgemeinen Recht inkorporiert worden ist, aber seit der Durchsetzung eines von uns allen bejahten autonomen Vernunftsund Menschenrechts sukzessive seine normative Kraft verloren hat. Das können Sie doch nicht rückgängig machen.
({4})
Wollen wir das Recht nach Genesis 38, Exodus 21, Leviticus 18 reformieren - lesen Sie bitte nach, was da steht - oder nach dem, was gemeinsame Überzeugung über Menschenrecht und Menschenwürde ist? Oder um es so konkret wie der Kollege Eylmann zu sagen: Unser Ziel ist, die Zahl der Abtreibungen zu verringern.
Zur Menschenwürde gehört auch die physische Würde der Frau. Ein Blick auf die Auslagen des näch3698
sten beliebigen Zeitungskiosks zeigt, wie mit ihr umgegangen wird. Wäre ich Frau, dann würde mich heiße Angst überfallen. Ein Kind, das ich bekäme, könnte ja ein Mädchen sein, mit dem dann so umgegangen wird, wie diese Gesellschaft mit der Frau umgeht.
Dazu käme für mich noch ein ganz anderer Anlaß der Angst. Das sage ich denen, die ständig den Staat beauftragen, Schützer des ungeborenen Lebens zu sein.
({5})
Meine Damen und Herren, waren Sie gestern nicht bei dieser Debatte hier, die wir über Gewalttätigkeiten geführt haben? Das ist der Staat, der hilflos und tatenlos zusieht, wie nicht nur in Hoyerswerda, sondern auch auf dem Dresdner Hauptbahnhof Rohlinge und Schläger Jagd machen auf Sinti und Roma, Frauen und ihre wehrlosen Kinder. Ich hätte Angst, ein Kind in diese Welt zu bringen, wenn ich eine Sinti- und Roma-Frau wäre.
Wollen Sie in der Beratung auch sagen: Wir ändern das Asylrecht; dann brauchst du keine Angst mehr zu haben?
Ich denke, hier ist wirklich Leidenschaft angebracht, auch wenn wir gemeinsam einen Gesetzentwurf zustande bringen müssen. Wir müssen - darin hat die Kollegin Wieczorek-Zeul einfach recht - einen neuen Schritt im Verständnis der Gewissensfreiheit tun.
Nach 1945 war es nötig - das Grundgesetz hat diesen gewagten Schritt vollzogen - , das Recht der Gewissensfreiheit im Kriegsdienstbereich einzuführen. Es ist fällig, das Recht der Gewissensfreiheit für die Frau im Hinblick auf die Zukunft des Lebens durchzusetzen.
({6})
Das kann nur heißen: Jede Frau hat das Recht, zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.
Meine Damen und Herren von der Rechten, ich warne Sie, diesen Satz als eine Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs zu interpretieren. Wer das tut, dem prophezeie ich: Ich werde ihm noch zeigen, welch ein Bild der Frau dahintersteht.
Dagegen habe ich volles Verständnis für die verfassungsrechtlichen Bedenken, die etwa der Kollege Klein geäußert hat. Das muß man ernsthaft durchdenken, und man kann es. Ich denke, zwischen dem § 218a und dem, was der Verfassungsentwurf des Kuratoriums hier sagt, liegen die Möglichkeiten von Kompromissen sehr deutlich, natürlich in der Fristenregelung.
Wer sagt, das Leben sei damit im Sinne des Grundgesetzes nicht genügend geschützt, der soll doch erst einmal beweisen, daß der Gesetzentwurf der CDU/ CSU das Leben genügend schützt. Ich streite mit ihm, wenn es sein muß, bis nach Karlsruhe.
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Ich sage noch einmal: Es ist doch naiv, von dem Staat, dem es nicht gelingt, mit den Mafiosi und den Dresdner Schlägern fertigzuwerden, zu glauben, er könne das ungeborene Leben schützen. Ich kann nur sagen: Sancta simplicitas!
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Haben Sie nicht miterlebt, wohin es führt, wenn sich der Staat in dieses Recht der Gewissensfreiheit der Frau hinsichtlich zukünftigen Lebens einmischt? Haben Sie von den Zwangsschwangerschaften im Rumänien Ceausescus nichts gehört?
({9})
Haben Sie von den Zwangssterilisationen in der Volksrepublik China nichts gehört?
Das kann doch nicht unser gemeinsames Ziel sein. Aber das ist das Ergebnis, wenn man dem Staat das Recht gibt und überhaupt die Möglichkeit sieht, in diesem Bereich menschlichen Lebens tätig zu werden.
Die Priorität des Lebens muß in der Gesellschaft durchgesetzt werden. Es war interessant, daß der Herr Kollege Cronenberg von der Beratung durch die Gesellschaft gesprochen hat. Ich fand das ganz richtig. Nur, Kollege Cronenberg, wie kann denn die Gesellschaft beraten? Ich glaube, sie kann es nicht auf dem Wege der Zwangsvorführung, die hinterher auf einem Schein beglaubigt wird. Das ist nicht die Gesellschaft. Das ist der administrierende Staat.
({10})
Der hat dort nichts zu suchen.
Wir müssen in der Gesellschaft die Priorität des Lebens durchsetzen. Das wird ganz gewiß nicht durch das Strafrecht gelingen. Es bedarf dazu der Praxis und eines neuen Lebens. Wir sind noch weit davon entfernt, das durchzusetzen. Das weiß ich so gut wie Sie.
Aber indessen sollten wir als gute Christen oder als diejenigen, die beten, uns der fünften Vater-unserBitte erinnern. Diejenigen, die nicht beten, können immerhin an die bekannte Geschichte von jener Männerversammlung denken, die gerade ein Opfer männlicher Begierde zu steinigen im Begriff war und von Jesus die sehr einleuchtende und, wie ich denke, auch sehr aktuelle Warnung bekam: Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!
({11})
Da wir ein gemeinsames Gesetz zustande bringen müssen, ist es nicht gut, wenn man sagt: nur der Entwurf der FDP oder allein der Entwurf der CDU, wahrlich auch nicht allein der Entwurf von Bündnis 90/ GRÜNE - das sei gerne eingeschlossen. Gemeinsam müssen wir etwas zustande bringen. Wie man das machen kann, haben meine zwei Vorredner sehr deutlich gezeigt.
Dr. Wolfgang Ullmann Danke.
({12})
Das Wort hat der Kollege Ortwin Lowack.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach meinen Vorrednern kann ich nur mit ganz großem Bedauern feststellen, daß ich leider kein Großvater bin. Aber ich habe immerhin den Grundstock gelegt, es eines Tages werden zu können.
Das menschliche Leben muß geschützt werden. - Sehr wahr. Das haben alle Redner gesagt. Aber einige stellen die Perspektive wieder so schlecht dar, daß ich fast den Eindruck habe, sie meinen das Gegenteil.
Könnten wir uns nicht alle darauf einigen, daß es insgesamt notwendig ist, eine weit positivere Einstellung gegenüber unseren Kindern zu dokumentieren, die mit einer anderen Auffassung aufwachsen sollen, nicht nur mit Ängsten? Haben wir nicht in der Vergangenheit vielleicht den großen Fehler gemacht, daß wir das Eltern-Kind-Verhältnis zu sehr auf die Frage reduziert haben, wie die Rechte der einen und die Rechte der anderen Seite aussehen sollen, meistens unter dem Aspekt, daß Eltern eher den Eindruck haben, sie würden vom Gesetzgeber bestraft?
Die Kinderfeindlichkeit ist leider eine unübersehbare Krankheit unserer Gesellschaft. Es hat überhaupt keinen Sinn, das wegzudiskutieren. Es darf doch nicht wahr sein, daß heute immer noch eine Familie mit Kindern oder eine junge Frau mit einem Kind oder zwei Kindern ganz große Schwierigkeiten haben, akzeptiert zu werden, und daß es wirklich einfacher ist, mit einem Hund ein Mietverhältnis zu bekommen als mit einem Kind.
Hier hat nicht nur die Gesellschaft versagt, sondern, wie ich fürchte, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Politik. Es reicht eben doch nicht, wenn Pluralismus nur verwaltet wird und wenn die Politik keine Antwort auf die Ängste und Sorgen der Menschen zu finden weiß.
Ich frage mich auch: Wo ist eigentlich unsere Regierungsspitze bei einer solchen Diskussion? Es kann ja wohl nicht ausreichen, daß man diskutieren läßt, aber selber keine Perspektiven gibt. Was kommt eigentlich über, was strahlt eigentlich auf die Menschen aus, an der Spitze deren politischen Systems man steht?
Die Art, wie wir menschliches Leben vor der Geburt schützen - was übrigens auch eine große zivilisatorische Leistung sein könnte - , spiegelt sicher die Art wider, wie wir nach der Geburt menschliches Leben schützen und schätzen. Insoweit wird diese Diskussion ganz bestimmt nur eine von sehr vielen Diskussionen sein, die wir im Deutschen Bundestag noch zu führen haben.
Die Frage ist: Was ist im Augenblick machbar? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde gern ein bißchen mehr auf die geltende Regelung zurückkommen, die nämlich nicht so schlecht ist, wie sie oft dargestellt wird, und die eine Reihe von durchaus positiven Aspekten hat und gute Ansätze bringen könnte.
Sie ist mit dem Bundesverfassungsgericht abgestimmt. Wir wissen, daß sie so akzeptiert wird.
Wer das Leben bedingungslos verteidigt und vertritt, wird zu einem Indikationenmodell ja sagen müssen, zu dem, was die Rechtsprechung schon seit den 20er Jahren Stück für Stück entschieden und entwikkelt hat, mit sehr viel Erfahrung, die dahintersteckt.
Ich greife gern das auf, was Dr. Menzel und andere ausgeführt haben. Die Entscheidung, die bei uns in § 218 a Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz vom Arzt verlangt wird - zu beurteilen, welche Gründe aus dem sozialen Bereich eventuell noch dafür sprechen könnten, daß die Indikation, die er annimmt, noch beseitigt werden könnte - , kann der Arzt als Mediziner nicht treffen.
Ich möchte deswegen als eine Art Alternative für die Gespräche, die in der Kommission zu führen sind, vorschlagen, daß man diesen Halbsatz streicht. Damit möchte ich nicht seine grundsätzliche Berechtigung in Zweifel stellen. Natürlich darf der Schwangerschaftsabbruch nur dann vorgenommen werden, wenn er die einzige Möglichkeit zur Gefahrenabwehr ist. Aber weitere Probleme kann ich nicht auf den Arzt abwälzen. Wir würden damit in der Praxis eine Reihe von Verbesserungen erreichen können. Die Entscheidung läge dann sicher etwas mehr bei der Frau, ein Ergebnis, zu dem man sich in dieser Diskussion sicher durchringen kann.
Danke.
Als nächster hat der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer über Strafrecht redet, sollte sich vor Übereifer und auch davor hüten, persönliche oder gewiß achtenswerte religiöse Bekenntnisse mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu vertreten. Unsere Verfassung ist nicht wertneutral, aber sie ist weltanschauungsneutral. Strafrecht dient dem Rechtsgüterschutz. Es muß deshalb nüchtern und rational geprüft werden, ob ein Straftatbestand wegen Schwangerschaftsabbruchs überhaupt geeignet ist, werdendes Leben zu schützen. Hier treffe ich mich mit vielem, was der Kollege Eylmann vorhin ausgeführt hat.
Moralische Entrüstung ist ein schlechter Ratgeber. Wenn alles strafbar wäre, was unmoralisch ist, z. B. die mündliche oder schriftliche Lüge in oder außerhalb von Wahlkämpfen, hätte mancher Politiker ein langes Strafregister.
({0})
Ich möchte als Strafrechtler in der Form von Empfehlungen auf drei Aspekte eingehen, die in der bisherigen Diskussion etwas kurz gekommen sind.
Meine erste Empfehlung lautet: Wer die Weitergeltung oder gar die Verschärfung des geltenden Strafrechts befürwortet, sollte sich zunächst genau mit dem geltenden Recht - es ist übrigens weltweit das kom3700
Dr. Jürgen Meyer ({1})
plizierteste Strafrecht gegen Schwangerschaftsabbrüche ({2})
und vor allem seiner Anwendung vertraut machen. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die strafrechtliche Ahndung von Abtreibungen äußerst selten sei. Es ist richtig, daß es in der Bundesrepublik beispielsweise im Jahre 1985 nur zehn Verurteilungen wegen Abtreibung gegeben hat und im Jahre 1989 nur acht. Das entspricht der Rechtswirklichkeit in vergleichbaren westeuropäischen Ländern. So ist in der Schweiz trotz ähnlicher Gesetzeslage seit sechs Jahren überhaupt keine Verurteilung wegen Abtreibung mehr registriert worden, in Schweden sogar seit 15 Jahren und im benachbarten Luxemburg seit 20 Jahren keine mehr.
Um so größer war die Überraschung der Kriminalstatistiker, als sich die bundesrepublikanische Verurteilungszahl im Jahre 1988 sprunghaft vervielfachte und auf 153 Verurteilte anstieg, davon allerdings 145, also etwa 95 % , in Bayern. Wir wissen, daß dies nicht auf einen plötzlichen Sittenverfall im südlichsten Bundesland zurückzuführen war; ursächlich war vielmehr der ungewöhnliche Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft in Memmingen, die allein im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen einen Arzt 894 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 156 Anklagen erhoben hat. Sie berief sich dabei auf das Legalitätsprinzip.
In der hitzigen öffentlichen Diskussion ist das eigentliche Ärgernis im Vorgehen der Staatsanwälte völlig übersehen worden. Diese hätten nämlich nach geltendem Recht in jedem Fall, in dem sie den Verdacht eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs bejahten, auch gegen den männlichen Partner der Schwangeren ermitteln müssen. Nach Rechtsprechung und Literatur hat der Erzeuger eines Kindes eine sogenannte Garantenstellung aus enger persönlicher Verbundenheit bereits für die Leibesfrucht. Als Beschützergarant macht er sich schon dann strafbar, wenn er den Kopf in den Sand steckt und den illegalen Schwangerschaftsabbruch trotz bestehender Einwirkungsmöglichkeiten tatenlos geschehen läßt. Die Rechtslage ist ganz klar; aber Ermittlungsverfahren oder gar Anklagen gegen Männer wegen Schwangerschaftsabbruchs durch Unterlassen sind bis heute nicht bekannt geworden.
({3})
Wird das Abtreibungsstrafrecht, so frage ich, also nur oder fast nur gegen Frauen eingesetzt?
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Die Zahlen von 1988 sprechen dafür; in jenem Jahr wurden in der Bundesrepublik 133 Frauen und nur 20 Männer wegen Schwangerschaftsabbruchs oder der Beteiligung daran verurteilt, von den Frauen alle bis auf zwei in Bayern.
Damit steht aber auch fest, daß die Möglichkeiten des geltenden Strafrechts in der Strafverfolgungspraxis bisher bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Brauchen wir deshalb neue und noch schärfere Ge setze, die dann womöglich erst recht nicht angewandt werden? Oder sollten wir nicht statt dessen das geltende Recht überprüfen, weil es den Überzeugungen der Rechtsgemeinschaft und der Rechtsanwender offensichtlich zuwiderläuft?
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Mit meiner zweiten Empfehlung wende ich mich gegen die Bestrafung von Frauen wegen Schwangerschaftsabbruchs, also gegen die Strafbarkeit der sogenannten Selbstabtreibung. Bekanntlich verzichtet der SPD-Entwurf eines Familien- und Schwangerenhilfegesetzes ganz auf die Bestrafung der Schwangeren. Er enthält Strafandrohungen nach dem Fristenmodell ausschließlich für die Fremdabtreibung. Die SPD beruft sich dabei auf entsprechende Regelungen in anderen westeuropäischen Ländern wie etwa in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und faktisch auch in England und Wales, alles Rechtsstaaten, aber auch auf eine breite Strömung der europäischen Rechtskultur, in der die physische und psychische Ausnahmesituation der Frau vielfach als Grund für eine strafrechtliche Privilegierung anerkannt wird.
Das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist ein in modernen Verfassungen noch hinzugekommener wesentlicher Gesichtspunkt. Wer ihm nicht folgen will, muß sich vor allem diese Frage stellen: Warum eigentlich führt unser geltendes Strafrecht mit seinen massiven Strafdrohungen gegen Frauen nur selten - von bayerischen Verhältnissen einmal abgesehen - zu Verurteilungen wegen Selbstabtreibung?
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Ist das, so frage ich, eine Folge massiver Rechtsbeugung?
So einfach ist die Antwort nicht. Zunächst einmal enthält bereits der geltende § 218 einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Frauen, die in den ersten 22 Wochen seit der Empfängnis nach Beratung den Abbruch durch einen Arzt vornehmen lassen. Es ist schwer verständlich, daß CDU/CSU und leider auch die FDP in ihren Entwürfen die Strafdrohung gegen Frauen nach Ablauf einer Dreimonatsfrist gegenüber dem geltenden Recht deutlich verschärfen wollen.
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Wichtiger für das Leerlaufen der gesetzlichen Strafdrohung gegen Frauen in der Rechtswirklichkeit ist nach meiner Überzeugung aber etwas anderes. Ich meine das weit ausgefächerte System von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen, die unser gesamtes Strafrecht charakterisieren und ein wesentliches Stück unserer Rechtskultur sind. Beispielsweise ist es keine Besonderheit des geltenden § 218 Abs. 3 Satz 3, sondern ein in vielen Einzelvorschriften anerkannter Strafrechtsgrundsatz, daß Täter, die in besonderer Bedrängnis handeln, nicht bestraft werden.
Ich will hier nur noch den Grundsatz der Pflichtenkollision als allgemein anerkannten übergesetzlichen
Dr. Jürgen Meyer ({8})
Entschuldigungsgrund erwähnen. Der angesehene frühere Heidelberger Strafrechtslehrer Wilhelm Callas hat es einmal so formuliert - ich zitiere - :
Die Rechtsordnung kann die seelische Einstellung eines Täters nicht mißbilligen, der in einer Situation, die nur noch Raum für eine persönliche Entscheidung läßt, diese Entscheidung nach gewissenhafter Prüfung trifft.
Ich frage Sie: Wollen wir wirklich für diese Fälle eine Überprüfung der Gewissensentscheidung von Frauen durch den Staat? Überfordern wir nicht die Richter, die das im Strafverfahren leisten müssen?
({9})
Meine dritte Empfehlung geht dahin, die wichtigste Einsicht zu beachten, die wir durch eine etwa zehnjährige rechtsvergleichende und empirische Forschungsarbeit am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht gewonnen haben. Sie lautet: Das Strafrecht ist ein wenig geeignetes Mittel zum Schutz des werdenden Lebens.
({10})
Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den von uns untersuchten europäischen und außereuropäischen Ländern ist weitgehend unabhängig davon, ob in einem Land ein strenges oder ein liberales Strafrechtsmodell gilt. Ein liberales Strafrecht in Verbindung mit einem familienfreundlichen Sozialrecht kann werdendes Leben wesentlich besser schützen - das wollen wir doch alle - als noch so scharfe Strafdrohungen.
({11})
Weil die Freiburger Untersuchungen allgemein zugänglich sind, will ich nur in Erinnerung rufen, daß es in Ländern mit deutlich liberalerem Strafrecht als in der Bundesrepublik teilweise deutlich geringere Abbruchszahlen gibt als in Westdeutschland.
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Das gilt z. B. für die Niederlande, aber auch für so unterschiedliche Länder wie Frankreich und Polen.
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Auch die sogenannte Zwangsberatung ist wohl kein Mittel zur Senkung der Abbruchszahlen, wie die trotz obligatorischer Beratung relativ hohen Abbruchszahlen in den meisten osteuropäischen Ländern zeigen.
Ich komme zum Schluß. Wer es mit dem Schutz des werdenden Lebens ernst meint, sollte sich vor allem um eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft bemühen.
({14})
Eine bessere Sozial- und Familienpolitik ist wichtiger und glaubwürdiger als der wirklichkeitsfremde Streit um das Strafrecht.
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Das Strafrecht ist beim Schutz des vorgeburtlich wachsenden Lebens nach allem, was wir wissen, keine Hilfe. Nur Ideologen können das heute noch anders sehen.
Ich danke Ihnen.
({16})
Als nächstes hat der Kollege Claus Jäger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Beim Verfolgen der Debatte ist mir aufgefallen, daß sehr viel - großenteils mit Recht - von der Not der Frau im Schwangerschaftskonflikt gesprochen wurde. Aber es ist nur von wenigen, vor allem nicht von den Vertretern der Fristenregelungsgesetzentwürfe, die entsetzliche Not, die Todesnot der 350 000 Kinder erwähnt worden, die in Deutschland jährlich im Mutterleib sterben müssen.
({0})
Diese Not muß Inhalt unserer Beratungen sein. Über sie muß gesprochen werden. Wenn wir feststellen müssen, daß eine so große Zahl von Menschen im vorgeburtlichen Stadium ihres Lebens sterben müssen, dann hat der Gesetzgeber, dann hat unsere Gesellschaft, dann haben Väter und Mütter, dann haben Großeltern, dann hat die Umwelt, dann haben alle, die an diesem Tatbestand Mitverantwortung tragen, vor dieser Lebenswirklichkeit versagt. Das muß uns alle außerordentlich nachdenklich machen.
Wer ist der Mensch, um den es da geht? Meine Damen und Herren von der PDS, das ist kein Zell-klumpen. Dieser Mensch sieht in der zwölften Schwangerschaftswoche, um die es hier geht
({1})
- regen Sie sich nicht auf, sondern schauen Sie lieber genau her - , so aus wie das Modell, das ich hier in Händen halte. Dieser Mensch hat schon sämtliche Gliedmaßen, ein bereits arbeitendes Gehirn; er hat Schmerzempfindungen.
({2})
Dieser Mensch ist ein Mensch im Sinne unserer ethischen Vorstellungen.
Ich kann es nur mit dem bei Ihnen bereits zur Gewohnheit gewordenen Zynismus einer Schießbefehl- und Mauer-Partei erklären,
({3})
daß Sie in der Art und Weise, wie Sie hier in diesem
Parlament darüber geredet haben, zur Frage des un3702
geborenen Kindes sprechen. Das ist unwürdig, und es ist eine Schande für dieses Haus,
({4})
wie Sie sich über das ungeborene Kind hier ausgelassen haben.
({5})
Herr Kollege Jäger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ullmann?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen.
Meine Damen und Herren, die massenhafte Tötung dieser Kinder ist immer noch - und auch darüber reden Sie so ungern - mit einer grauenvollen Zerstückelung der Kinder verbunden. Diese grauenvolle Zerstückelung der Kinder muß uns allen wiederum die Frage nahebringen: Können wir das weiterhin so verantworten, können wir das so treiben lassen?
({0})
Im Gegensatz zu einigen Rednern, die hier gesprochen haben, sage ich auch noch einmal mit großem Nachdruck: Auch den Hunderttausdenden Frauen, die ja die Abtreibung in sehr vielen Fällen nicht freiwillig, sondern unter dem Druck von Partnern, von Eltern, von anderen Personen aus ihrer Umgebung durchführen, wird unsägliches und unermeßliches Leid zugefügt. Viele dieser Frauen leiden bis zu ihrem Lebensende darunter und können mit der dadurch bei ihnen entstandenen Schuld nicht fertigwerden.
({1})
Wer so leichtfertig, wie es hier in einigen Beiträgen geschehen ist, über die Folgen des Schwangerschaftsabbruchs für die Frau spricht, der versündigt sich an den Frauen, nicht nur an den ungeborenen Kindern.
({2})
Unser wohlhabendes Land, unser Sozialstaat muß andere Möglichkeiten haben als die Tötung, um den Schwangerschaftskonflikt zu lösen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deswegen zum Schluß eine Initiative, die unsere Gruppe in die Diskussion einbringen wird - sie steht noch nicht in dem Gesetzentwurf, aber wir wollen sie in die Diskussion einbringen - anführen, nämlich die, daß der Staat allen Frauen in Not- und Konfliktsituationen anbieten soll, ihre Kinder in eine Pflegeobhut zu geben, und zwar mit der Möglichkeit, sie wieder von dort zurückzuholen,
({3})
wenn sich die Mutter nach der Geburt doch noch für das Kind entscheidet.
({4})
Es gibt heute Tausende von Ehepaaren, die nur darauf
warten, die Möglichkeit einer Adoption zu erhalten; in
allen anderen Fällen kann die Frau dieses Kind zu sich zurückholen. Ich meine, das ist fernab von einem Strafrecht ein Angebot, das lächerlich zu machen sich nur der erlauben kann, für den Schwangerschaftsabbruch nicht eine bittere Notlage, sondern offenbar ein Mittel zur Regelung gesellschaftlicher Konflikte ist.
Vielen Dank.
({5})
Als nächstes hat die Kollegin Ulrike Mascher das Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Art und Weise, wie hier von Herrn Jäger mit der Not von Frauen in einer schwierigen Entscheidungssituation umgegangen wird, ist an Zynismus, glaube ich, nicht mehr zu überbieten.
({0})
Sie erinnert mich an die Haltung, die auch die Prozesse von Memmingen mit der Verfolgung von Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hatten, möglich gemacht haben. Ich glaube, das ist nicht der Diskussionsstil und keine Grundlage, um zu einem gemeinsamen Gesetz zu kommen, das den Schwangerschaftsabbruch vermeiden und Frauen in Not eine bessere Lebenssituation verschaffen soll.
Ich denke, wir sollten heute darüber beraten, wie die Lebenssituation von Frauen aussieht. Wir sollten ein Gesetz entwerfen, daß der Lebenssituation und der Lebensrealität von Frauen gerecht wird. Ich meine, daß sich der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion dadurch auszeichnet, daß er von dieser Lebensrealität der Frauen ausgeht, daß er die Erfahrungen, die andere Länder mit der gesetzlichen Regelung eines Schwangerschaftsabbruchs gemacht haben, aufnimmt und daß er den Rahmen, der durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist, auch ausschöpft.
Alle Statistiken und alle Untersuchungen zeigen: Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, sind junge Frauen, es sind aber auch 40jährige Frauen, es sind alleinlebende Frauen, es sind unverheiratete Frauen mit einem Partner, es sind verheiratete Frauen, Frauen, die bereits Kinder haben, ausländische Frauen, Frauen in Ausbildung, erwerbstätige und nichterwerbstätige Frauen.
Für alle bedeuten die Schwangerschaft, die Geburt und die Erziehung eines Kindes eine ganz entscheidende Veränderung ihrer Lebenssituation, eine Veränderung ihrer Lebensplanung, aber auch eine Veränderung ihrer existentiellen, materiellen Situation. Die Ausbildung muß unterbrochen, möglicherweise abgebrochen werden; das befristete Arbeitsverhältnis läuft aus, ohne daß der gesetzliche Mutterschutz wirksam wird; ohne zuverlässige Kinderbetreuung muß die Erwerbsarbeit aufgegeben werden; der Lebensunterhalt für die Mutter und das Kind muß von der Sozialhilfe bestritten werden; in der zu kleinen Wohnung wird das Zusammenleben mit dem Kind eine große Belastung, und eine angemessene Wohnung ist unbezahlbar oder auch wegen der AbUlrike Mascher
lehnung von Familien mit Kindern durch die Vermieter nicht zu bekommen. Wo gibt es die Teilzeitarbeit für Frauen mit Kindern, wo die Kindergärten und Ganztagsschulen, die es einer Mutter mit Kindern ermöglichen, das Leben mit einem Kind und eine Erwerbsarbeit zu verbinden?
({1})
Das, was ich hier kurz skizziert habe, ist keine Schwarzmalerei, sondern der ganz normale Alltag, der es Frauen schwer oder unmöglich macht, in ihre Lebensplanung, in ihr Zusammenleben mit einem Partner oder in ihre Familiensituation noch eine Schwangerschaft aufzunehmen.
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Unser Gesetzentwurf hat versucht, für typische Schwangerschaftskonflikte soziale Hilfen gesetzlich festzuschreiben und darüber hinaus mit Hilfen für Mütter und Kinder die Rahmenbedingungen zu schaffen, die z. B. einer alleinerziehenden Frau die Chance geben, ein Leben mit ihrem Kind eigenverantwortlich aufbauen zu können und nicht durch die häufig entwürdigende Prozedur des Kampfes um Sozialhilfeleistungen fristen zu müssen. Es geht um spürbare finanzielle Verbesserungen beim Erziehungsgeld, beim Wohngeld, bei der Sozialhilfe. Wir wollen, daß schwangere Alleinerziehende sowie junge und kinderreiche Familien bei der Wohnungsvergabe vorrangig berücksichtigt werden; wir wollen Verbesserungen beim Arbeitsförderungsgesetz; wir wollen ein Recht auf einen Kindergartenplatz, oder, um es in der Sprache unseres Gesetzentwurfs präzise zu sagen: Jedes Kind in Deutschland hat einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung.
({3})
Wir wollen für Alleinerziehende darüber hinaus einen Anspruch auf Tagesbetreuung ihrer Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr.
Wir wissen, das kostet viel Geld; aber wir gehen davon aus, daß nicht das Strafrecht als vergleichsweise kostengünstige Lösung das werdende Leben, den Fötus, am besten schützt, sondern gute soziale Rahmenbedingungen für Frauen und Kinder zu diesem Schutz beitragen können.
Es ist unredlich, wenn der CDU/CSU-Entwurf aus Finanzierungsgründen die Einführung eines Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz auf das Jahr 1997 verschiebt - der Vorsitzende der Jungen Union spricht vom Sankt-Nimmerleins-Tag - , aber die strafrechtlichen Sanktionen natürlich nicht gleichermaßen bis 1997 aussetzt. Eine Gesellschaft, die nicht alles ihr Mögliche leistet, um die Lebensbedingungen für Kinder und ihre Mütter besser als bisher zu gestalten und damit deutlich zu machen, welchen Wert sie Kindern in unserer Gesellschaft zumißt, ist unglaubwürdig, wenn sie durch die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches vorgibt, das ungeborene Leben wirksam zu schützen.
Die SPD will den Frauen in Schwangerschaftskonflikten die Chance eröffnen, in einer offenen Gesprächs- und Beratungssituation ohne die Strafandrohung des bisherigen § 218 ihre schwere Entscheidung zu treffen. Bei einer Pflichtberatung steht die Frau unter dem psychologischen Druck, ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen. Sie kann - das zeigen die Erfahrungen mit der bisherigen Zwangsberatung - nicht offen über ihre oft widersprüchlichen Überlegungen und Empfindungen sprechen. Ersparen Sie den Frauen und den Beraterinnen und Beratern diese Zwangssituation, und geben Sie den Raum frei für ein offenes Beratungsgespräch.
Wir wollen mit unserem gesetzlich verankerten Angebot sozialer Hilfen die alltägliche Lebenssituation von Schwangeren und Kindern so verbessern, daß das Zusammenleben mit einem Kind in all den unterschiedlichen Lebenssituationen von Frauen, die ich zu Beginn geschildert habe, erleichtert wird, und ich hoffe als bayerische Abgeordnete, daß wir im Bundestag ein Gesetz schaffen, das die entwürdigenden Fahrten von schwangeren bayerischen Frauen in andere Bundesländer, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, endlich beendet,
({4})
ein Gesetz, das Prozesse wie in Memmingen ausschließt. Wir wollen Frauen nicht bestrafen!
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Deswegen muß die Regelung des Schwangerschaftsabbruches endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Wir vertrauen auf die verantwortliche Entscheidung von Frauen.
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Als nächste hat die Kollegin Frau Gerda Hasselfeldt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz menschlichen Lebens und das Bekenntnis zum Schutz der Menschenwürde hängen nicht von Fristen ab. Das Schutzgebot gilt unbefristet. Deshalb sind auch alle Fristenregelungen nicht verfassungskonform.
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Aber, meine Damen und Herren, was noch viel gravierender ist: Weder lösen sie einen Schwangerschaftskonflikt noch helfen sie den Betroffenen. Und dies, nämlich den Betroffenen zu helfen, ist doch das mindeste, was man von uns in dieser Situation verlangen kann und verlangen muß.
({1})
Wer Frauen wirklich helfen will, der muß sie im Schwangerschaftskonflikt beraten, muß sie begleiten, muß mit ihnen gemeinsam die Verantwortung tragen, auch und gerade dann, wenn nur noch ein Schwangerschaftsabbruch als letzter Ausweg erscheint.
Dabei ist die ärztliche Mitverantwortung bei der Indikationsstellung zu einem Schwangerschaftsabbruch wahrlich keine „Fremdbestimmung" , wie es gelegentlich heute zum Ausdruck kam. Sie wirkt nicht über den Kopf der Schwangeren hinweg. Sie ist viel3704
mehr eine für die Frauen unverzichtbare Hilfestellung bei ihrer schwierigen Entscheidungsfindung.
Dieser besonderen ärztlichen Verantwortung trägt der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktions-Mehrheit auch Rechnung, indem er die Indikationsstellung und die Durchführung des Abbruchs den Frauenärzten vorbehält. Außerdem muß es eine Arztin oder ein Arzt sein, der die Indikation stellt und den Schwangerschaftsabbruch ausführt. Damit liegt die ärztliche Verantwortung nicht nur ungeteilt in einer Hand; sie ist immer auch an die hohe berufliche, fachärztliche Qualifikation gebunden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dabei noch ein Wort zur Verantwortung des Arztes sagen. Wir alle kennen auch die Berufsordnung der Ärzte. Darin enthalten ist ihr Auftrag, ihre Verpflichtung, Leben zu erhalten. Ich frage uns: Wo besser als im Schwangerschaftskonflikt kann er diesen Auftrag, Leben zu erhalten, ausüben, wo besser als gerade bei der Hilfe und Beratung in diesen Fällen?
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Obwohl die Verfechter der Fristenregelung immer wieder behaupten, daß ihr Vorschlag den Frauen klare und einfache Hilfestellung gäbe, ist dies natürlich falsch. Im Schwangerschaftskonflikt schafft dies tatsächlich keine gesetzliche Vorschrift. Deshalb behaupte zumindest ich nicht, daß die Anwendung einer gesetzlichen Indikationsregelung Schwangerschaftskonflikte in jedem Fall lösen kann. Aber sie wird den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu allen Fragen des Lebensbeginns und vor allen Dingen dem Konfliktfall der ungewollten Schwangerschaft weitaus eher gerecht. Sie setzt an der individuellen, an der persönlichen Konfliktsituation an. Im Mittelpunkt des Ganzen steht die in der Konfliktsituation in Bedrängnis geratene Schwangere mit ihrem ungeborenen Kind, im Mittelpunkt steht ihre ganz persönliche, individuelle Situation. Die Indikationenregelung macht deutlich, daß nicht Wochen oder Monate Maßstab für die Entscheidung sind, sondern daß die individuell empfundene Konfliktsituation der Frau Maßstab der Entscheidung ist. Deshalb ist auch in unserem Entwurf das Kernstück die Beratung.
Nun kann und muß man sich fragen: Welche Verantwortung hat der Staat, welche Verantwortung hat die Politik dabei? Wie ist es mit dem alleinigen Entscheidungsrecht der Frau? - Das Grundgesetz verpflichtet uns alle, Leben, und zwar geborenes und ungeborenes Leben, zu schützen. Allein daraus ergibt sich, daß das Recht auf Leben Vorrang hat und daß sich Gesellschaft und Politik ihrer Verantwortung für das Recht auf Leben nicht einfach entziehen können, sondern daß sie diesem auch durch Hilfe, durch Beratung, durch entsprechende Verfahren, gerecht werden müssen, aber auch durch eine entsprechende Regelung im Strafrecht
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wohl wissend, daß das Strafrecht in diesem Gesamtkonzept nur einen flankierenden Teil abdeckt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit schon einmal deutlich darauf hinweisen - es ist schon mehrfach gesagt, aber immer wieder von Rednern der Opposition in Frage gestellt worden - , daß unser Entwurf eben nicht eine Verschärfung, sondern eine Verbesserung, eine bessere Hilfe für die Frau, eine eindeutige Regelung und Straffreiheit für sie bedeutet.
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Nun ist es unser gemeinsames Ziel, Abtreibungen zu verhindern. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Pille auf Krankenschein ins Gespräch gebracht. Diese Diskussion darf nicht dazu führen - darum möchte ich bitten -, daß die komplexen Zusammenhänge, daß die komplizierten Partnerschaftsbeziehungen, die oft zu den ungewünschten und ungewollten Schwangerschaften führen, verkannt werden. Sie darf auch nicht dazu führen, daß die Verantwortung für die Empfängnisverhütung allein den Frauen zugewiesen wird,
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so wie häufig die Verantwortung für die Erziehung nur den Frauen zugewiesen wird.
In diesem Zusammenhang darf auch nicht außen vor gelassen werden, daß die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln nicht unbedingt zu weniger ungewollten Schwangerschaften führt. Man braucht nur z. B. in das Gebiet der ehemaligen DDR zu sehen, wo wir trotzdem sehr viele Schwangerschaftsabbrüche gehabt haben.
Wirkliche Erfolge bei der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften sind nur durch bessere Sexualaufklärung, durch selbstbewußtere Frauen, vor allem aber auch in einer partnerschaftlicheren Gesellschaft zu erreichen. Wirkliche Hilfen im Schwangerschaftskonflikt sind Verbesserungen der sozialen Hilfen. Wir alle wissen aus der Arbeit der Beratungsstellen und aus unserer eigenen Arbeit, daß soziale Konfliktlagen vielfach deshalb entstehen, weil sich Frauen und Familien mit ihren Belastungen und Schwierigkeiten alleingelassen fühlen. Sie brauchen Hilfen bei der Wohnungssuche, in der Ausbildungssituation, vor allem aber bei der Kinderbetreuung und nicht zuletzt bei der Bewältigung der Vereinbarung von Familie und Erwerbstätigkeit.
Da helfen keine Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip, sondern da ist es notwendig, auf Grund der Situation in der Beratung gezielt helfen zu können. Wir alle werden mit Sicherheit daran gemessen, daß wir dort, wo jeder von uns Verantwortung trägt, wo jeder von uns auch im Einzelfall helfen kann - in den Fällen der Wohnungssuche und der Verbindung von Arbeit und Beruf, in den existentiellen Fällen -, unsere Hilfe anbieten.
Unser Gesetzentwurf trägt auch diesem Anliegen mit einem umfangreichen Hilfspaket ganz wesentlich Rechnung, das zudem auf einer soliden finanzpolitischen Grundlage steht. Damit sind deutliche Signale für die Zukunft gesetzt: ein Nein zur Abtreibung und zur Fristenregelung und ein deutliches Ja zu den ungeborenen Kindern durch praktische Hilfen für die Betroffenen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Michael Habermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von zentraler Bedeutung für die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchrechtes ist die Stellung der Beratung. Ein flächendeckendes Angebot mit qualifizierten Beraterinnen und Beratern ist eine unerläßliche Voraussetzung für ein adäquates Hilfsangebot in dieser Republik. Der Entwurf meiner Fraktion unterstreicht dies, indem er die Einrichtungen und den Betrieb der Beratungsstellen als öffentliche Aufgabe ansieht. Das heißt, alle Träger von Beratungsstellen haben Anspruch auf eine öffentliche Förderung, und die Länder müssen ein plurales Beratungsangebot sicherstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen, die das Beratungsangebot in Anspruch nehmen wollen, müssen in einer für sie zumutbaren Entfernung eine Auswahl an Beratungsstellen unterschiedlicher Träger erreichen können. Da haben wir nicht nur einen Aufbaubedarf in den neuen Ländern, sondern mir scheint, wir haben auch einen Nachholbedarf in einzelnen alten Ländern.
Unser Umgang mit Frauen, die ungewollt schwanger sind, spiegelt das Vertrauen unserer Gesellschaft in die Kompetenz, das Verantwortungsbewußtsein und in die Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Frauen wider. Nach der bis heute in den alten Ländern gültigen Regelung vertrauen der Staat, unsere Gesellschaft mehr den einzelnen Beraterinnen, die die Beratungsbescheinigung ausstellen, vertrauen Staat und Gesellschaft mehr dem einzelnen Arzt, der die Indikationsfeststellung trifft und den Abbruch der Schwangerschaft nochmals begutachtet und befürwortet. Erst dann kann ein anderer Arzt den Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Wir vertrauen nicht den betroffenen Frauen - ein Mißtrauen, das sich heute nur schwer rechtfertigen läßt, ein Mißtrauen, das diskriminiert und das unserer Gesellschaft unwürdig ist.
({0})
15 Jahre dieser Regelung haben bewiesen, daß die Verfahrensregelung - Beratungspflicht, Indikationsstellung und behandelnder Arzt - es nicht erreicht hat, daß die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zurückgegangen ist. Erreicht wurde nur ein Abbruchtourismus von Süd nach Nord, von Deutschland über die Grenzen in die Nachbarstaaten. Dies gilt es mit einer Neuregelung zu verhindern.
Wir als SPD-Fraktion wollen auf Helfen und nicht auf Kontrollieren setzen; das sind die Schwerpunkte unserer Neuregelung. Diesen Gedanken verfolgt der Gesetzentwurf meiner Fraktion, indem er eine Beratung nicht mehr verpflichtend macht. Eine Beratung, die nicht freiwillig nachgefragt wird, ist keine Beratung. Sie kann es nicht sein, weil zu einer Beratung mindestens zwei gehören, die das wollen und nicht zwei, die das müssen.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation kennt, als betroffene Frau, auch als betroffener Mann, wenn die Vermutung zur Gewißheit wird, wenn statt Freude plötzlich Angst und Entsetzen die Gedanken ergreifen, wenn ganze Tage und ganze Nächte voller Beklemmung und innerer Unruhe sind und wenn dann allmählich bei der Frau und bei dem Mann eine Auseinandersetzung mit
dem Umstand der Schwangerschaft einsetzt. Es wird vermutet, daß man schwanger ist, oder, besser gesagt, es wird befürchtet, daß man schwanger ist. Nur mit Vorsicht nähern sich Frau und Mann der Vorstellung, die eine irreversible Entscheidung zur Folge haben kann: Lebensplanungen werden hinterfragt, weil sie vor der Veränderung, die eintreten kann, fragwürdig werden. Dies ist eine Krise, die die ganze Person erfaßt. Sie bestimmt Tage und Wochen das Leben. Schon der Verdacht der Schwangerschaft führt zu diesem Insichgehen, führt zu Auseinandersetzungen mit der möglichen neuen Situation und den Konsequenzen. Oftmals vergehen noch Wochen bis zu einem Beratungstermin in einer Beratungsstelle.
Bis dahin - das ist die Erfahrung unserer Beraterinnen und Berater - ist in der Regel die Entscheidung für die Familie, für die Frau schon gefallen. Am Anfang steht die Vermutung über das, was kommen könnte. Noch wird nicht an Beratung gedacht. Die Frau sucht Hilfe und Rat beim Lebenspartner, bei Eltern, bei Freunden. Nicht viele werden in der Regel mit diesem Problem konsultiert. Erste zaghafte Versuche der Nachfrage nach dem gültigen Verfahrensweg werden unternommen. Es besteht die Angst vor dem Arzt, dem Arzt, der die Schwangerschaft feststellt, dem Arzt, dem die Frau womöglich offenbaren will, daß sie das Kind nicht will, und die Furcht vor dessen Reaktion, vor dem Zurückgewiesenwerden, vor dem Alleingelassenwerden. Was ist zu tun, wenn mir nicht weitergeholfen wird? Das sind die Fragen, die sich eine Frau stellt, wenn sie in einem Schwangerschaftskonflikt ist.
Viele Frauen und Männer haben nur ein begrenztes Wissen über die heute gültigen Verfahrensregelungen nach dem § 218 StGB. Unsicherheit und neue Ängste werden wach. Die Frage, was wo zu erledigen ist, macht plötzlich die Hürden sichtbar, die Frauen zu überwinden haben. Einen wesentlichen Stellenwert nimmt die Beratung ein. Ein Beratungsschein als Dokument für die Erstellung einer ärztlichen Indikation, damit frau auf die Suche nach einem Arzt gehen kann, läßt der Beratung eine weitere neue Bedeutung zukommen.
Viele Frauen leben in der Angst: Die Beratung ist nicht Hilfe, die Beratung ist Kontrolle, Kontrolle meiner Entscheidung. So und nicht anders erleben die in Not geratenen Frauen heute die Hilfen, die wir damals um den § 218 StGB gruppiert haben.
Von der ersten Vermutung über die Schwangerschaft bis zur möglichen Beratung vergehen in der Regel Wochen. Es sind keine Wochen des gedanklichen Stillstands. Das ganze Geflecht der sozialen Beziehungen kommt zum Tragen. Selten, ganz selten bleibt eine Frau mit ihrem Problem allein für sich. Dafür ist der Druck zu groß, dafür ist die Außergewöhnlichkeit der Situation zu groß.
In diesen Wochen fällt die Entscheidung über den Weg, den die Frau, das Paar oder die Familie gehen will. Nur die allerwenigsten Frauen suchen in einer professionellen Beratung, in dem jetzigen Beratungsangebot eine Entscheidungshilfe. So wird Beratungspflicht heute zum Rechtfertigungsgespräch. Das Beratungsgespräch wird von Frauen oftmals als demütigend erlebt. Von Beraterinnen und Beratern als ver3706
längertem Arm des Gesetzes ist es aber mehr als eine Pflichtübung.
So ist die erste Handlung der Beraterinnen und Berater in einer Beratungsstelle, den Frauen die Angst zu nehmen, sich den Frauen anzunehmen und offen zu sein für die Not der Frauen. Beraterinnen und Berater wissen über die Grenzen ihrer Beratungsmöglichkeiten, wissen über die Ausgangssituationen der Frauen.
Die Vorstellungen der Frauen über die Beratung reichen bis hin zum Tribunal,
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vor dem sie ihre Entscheidungsgründe offenlegen müssen. Verpflichtende Beratung, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird selten als Hilfe empfunden.
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- Das ist so in den Beratungsstellen. Ich glaube, Sie sind noch nicht oft genug in diesen Beratungsstellen gewesen.
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Beratung muß freiwillig sein, Beratung kann nicht hilfreich und erfolgreich sein, wenn die zu Beratende die Beratung nicht will. Beratung geht ins Leere, wenn die Beraterin auf Beratungsziele festgelegt wird.
Manche unserer Mitmenschen glauben, daß durch die Beratungspflicht eine Hilfsmöglichkeit für Frauen eröffnet wird, die zum Abbruch der Schwangerschaft gedrängt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch eine solche Erwartungshaltung an die Beratung wird diese zu sehr überfrachtet. Sollen in einer Zeitspanne von 45 Minuten soziale Prozesse einer Familie analysiert und neugestaltet werden, die sonst in Monaten oft nicht gelöst werden? Wir müssen uns als Gesetzgeber hüten, die Erwartungshaltung an das Beratungsergebnis zu hoch zu schrauben.
Mit der Frage ja oder nein zum Kind wird schonungslos die Lebensqualität in unserer Gesellschaft auf den Prüfstand der Entscheidungsfindung gestellt. Die Attraktivität des Kinderlos- oder bestenfalls Kinderarmbleibens überwiegt derzeit noch die Anziehungskraft des Zusammenlebens mit Kindern. Daran ändert auch die Beratungspflicht nichts.
Eine Frau, die schwanger ist, ein Paar, das sich plötzlich in der Situation wiederfindet, Vater und Mutter zu werden, wird sich schon bald nach den ersten möglichen Anzeichen einer Schwangerschaft mit dieser neuen Situation auseinandersetzen. Sie brauchen dann einen Staat, der hilft, und nicht einen Staat, der kontrolliert. Sie brauchen dann eine Gesellschaft, die ermutigt, und nicht eine Gesellschaft, die disqualifiziert. Sie brauchen dann verläßliche soziale Infrastrukturen, die Hilfen anbieten, und nicht ein System kurzfristiger Leistungen, die sich an Geburt und Kleinkindphase orientieren.
Beratung ist ein hilfreiches Angebot für die, die es in Anspruch nehmen wollen. Beratung kann entlasten, kann klären, kann helfen, kann Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Beratung kann Perspektiven geben.
Beratung kann dies aber nur, wenn sie auf der Basis der Freiwilligkeit geschieht.
Meine Fraktion weiß, wie wichtig ein ausreichendes Beratungsangebot ist. Beratung darf aber vor allem nicht erst dann einsetzen, wenn die Not am größten ist. Die Beratung muß dann einsetzen, wenn ungewollte Schwangerschaften noch verhindert werden können.
Wer Beratung als Hilfe für ungewollt schwangere Frauen haben will, der darf sie nicht verpflichtend machen; denn so ist Beratung keine Hilfe.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Frau Kollegin Dr. Sabine Bergmann-Pohl. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl die Auseinandersetzung über die Frage der Abtreibung und des Lebensrechtes in den Massenmedien seit geraumer Zeit geführt wird, muß dort leider ein außerordentlicher Mangel an wirklicher Information und die weitgehende Reduzierung dieser Auseinandersetzung auf den Abtausch von oberflächlichen Schlagworten festgestellt werden.
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In dem überwiegend ideologisch geführten Streit zwischen Indikations- und Fristenregelung wird häufig die Tatsache übersehen, daß die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Ost und West, bezogen auf die Bevölkerungszahl, beinahe identisch war. Diese Zahlen sind alarmierend: 200 000 bis 250 000 in der ehemaligen Bundesrepublik und ca. 80 000 in der ehemaligen DDR. Der Einigungsvertrag zwingt uns zum Handeln. Ich sehe dies insbesondere als Chance, durch verschiedene Maßnahmen endlich einen wirksameren Lebensschutz zu erreichen. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß das Strafrecht allein letztlich keine Abtreibung verhindert, jedoch die rechtliche Mißbilligung unverzichtbar ist.
Da die meisten Argumente zu diesem späten Zeitpunkt der Debatte bereits genannt worden sind, möchte ich mich schwerpunktmäßig mit der Rolle des Arztes auseinandersetzen.
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- Ich wäre sehr dankbar, wenn die SPD-Kollegen zuhören würden, weil sie gerade die Rolle des Arztes angeprangert haben.
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Inhalt ärztlichen Handelns und Selbstverständnisses ist es, Krankheiten zu heilen, Leiden zu mindern und Leben zu bewahren. Ich zitiere aus dem Gelöbnis, das für jeden Arzt gilt:
Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen.
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- Bitte hören Sie zu; ich zitiere lediglich aus geltenden Unterlagen
Daraus folgt § 5 der Berufsordnung. Ich zitiere:
Der Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten. Der Arzt kann nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
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Meine Damen und Herren, Sie mögen an diesen Zitaten erkennen, daß es neben der oft zitierten Konfliktsituation der Frau eine weniger diskutierte Konfliktsituation des Arztes gibt. Repräsentative Untersuchungen mittels Fragebogen haben ergeben, daß die Ärzte wissen, sie töten einen Menschen. Die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs stellt für die Ärzte einen schweren professionell-persönlichen Konflikt und eine schwere persönliche Belastung dar.
Das entscheidende Motiv des Arztes zum Schwangerschaftsabbruch ist seine Verpflichtung gegenüber seiner Patientin. Die moralische Rechtfertigung für sein Tun sieht er in seiner Verantwortung für die Beziehungsnot der Frau. Daraus folgt für mich zweierlei.
Erstens. Vorrangiges Ziel der ärztlichen Tätigkeit muß es auch in der Situation des Schwangerschaftskonfliktes sein, die Tötung ungeborenen Lebens nur als Ultima ratio zuzulassen.
Zweitens. Das Gespräch, das sich zwischen Arzt und Frau ergibt, nachdem die Schwangere ihre psychosoziale Notlage dargelegt hat, hilft beiden, mit dem jeweiligen Gewissenskonflikt besser fertig zu werden.
Am Ende dieses Gesprächs, in dem der Arzt die Frau selbstverständlich auch über die Risiken eines Abbruches unterrichtet hat, steht die gemeinsame Entscheidung der beiden Hauptbetroffenen für oder gegen den Abbruch. Unter dem Bewußtsein der Verantwortung kann ich mir kaum vorstellen, daß es eine Entscheidung gegen die Frau geben wird.
Geradezu als grotesk empfinde ich in diesem Zusammenhang die Äußerung von Standesvertretern - wir haben es heute auch von unserem Kollegen Menzel gehört - , Ärzte seien nicht in der Lage, eine psychosoziale Notlage festzustellen. Psychosomatische und psychosoziale Erkenntnisse sind aber in ärztliches Handeln immer einzubeziehen!
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Bei der Argumentation gegen das Psychotherapeutengesetz nahmen die gleichen Standesvertreter für sich in Anspruch, gerade diese Aspekte ärztlichen Handelns allein zu beherrschen.
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Als Ärztin erlaube ich mir das Urteil: Wer dies nicht kann, hat seinen Beruf verfehlt.
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- Ich glaube nicht, daß Sie sich unbedingt immer in die Rolle eines Arztes versetzen können, eher in die Rolle eines Patienten.
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Verzeihung, Frau Kollegin, darf ich einmal eine geschäftsleitende psychologische Äußerung zu dieser Debatte machen:
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Meine Damen und Herren, wir behandeln heute einen Gegenstand von besonders weitreichendem Ernst. Ich finde, alle Kolleginnen und Kollegen, die hier ihren Standpunkt vertreten, welchen Standpunkt sie auch immer haben, tun das aus ihrer Verantwortung und aus ihrer Kenntnis heraus.
Normalerweise gehören auch Lebendigkeit, Zwischenrufe und Heiterkeit zu einer Debatte. Nur kann ich nicht finden, daß zu dieser Debatte Heiterkeit paßt. Ich würde also darum bitten - ich meine es jetzt nicht nur auf diese Rede bezogen -, auch im Blick auf die vielen Betroffenen draußen, daß wir uns den gegenseitigen Respekt erweisen, den wir uns schuldig sind.
Bitte fahren Sie fort.
Mein Eindruck, daß sich einige gar nicht erst die Mühe gemacht haben, sich ernsthaft mit unserem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen, zeigt sich in den Aussagen über die angebliche Protokollpflicht des Arztes. Die Dokumentationspflicht des Arztes ergibt sich aus der Berufsordnung. Ich zitiere wiederum aus § 11:
Der Arzt hat über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangt der Gesetzentwurf.
Meine persönliche Auffassung ist, daß die Frage der psychosozialen Notlage, die eine schwere innere Konfliktsituation der Frau darstellt, mit ihren heute bereits genannten vielseitigen Ursachen nicht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein kann. Das hat mein Kollege Dr. Göhner in seinen Ausführungen bereits deutlich belegt.
Neben diesen meiner Meinung nach notwendigen Klarstellungen der Rolle des Arztes möchte ich noch zwei wesentliche Aspekte zur Lösung des zu Beginn meiner Rede dargestellten Ziels der Reduzierung der Zahl der Abtreibungen ansprechen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um möglichst viele unerwünschte Schwangerschaften zu vermeiden.
Was ist konkret zu tun? Wir brauchen eine frühe Erziehung der Kinder und Jugendlichen zum verantwortlichen Umgang mit ihrem Körper und der Sexualität. Die Heranwachsenden brauchen Informationen über den Verlauf vorgeburtlichen menschlichen Lebens und - ganz wichtig - über Fragen der Empfängnisverhütung.
Solange Kinder in Deutschland nicht den ihnen gebührenden Stellenwert haben, d. h. als unser kostbarstes Gut erkannt werden, solange wir keinen gesellschaftlichen Wandel endlich hin zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft erreichen, solange also der Schutz des geborenen Lebens keine höchste Priorität erhält, solange wird der Schutz des ungeborenen Lebens immer unzureichend bleiben müssen.
Neben der Prävention sind daher die sozialen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. Der Frau muß eine Perspektive für ein lebenswertes Leben mit ihrem Kind nicht nur für die ersten drei Jahre nach der Geburt aufgezeigt werden. Zahlreiche Verbesserungen sind in unserem Entwurf enthalten. Angesichts der angespannten Finanzlage gleich das Optimum zu fordern ist irreal. Ich bin aber sicher, daß die Hilfen für Familien und Alleinerziehende stufenweise weiter verbessert werden.
Zum Schluß möchte ich die Frauen und Männer der anderen Fraktionen auffordern, unseren Entwurf nicht pauschal abzulehnen, sondern sich vielmehr intensiver mit ihm zu beschäftigen. Sie werden dann erkennen, daß es uns gelungen ist, neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch der bundesdeutschen Realität Rechnung zu tragen. Ich bin gern zur Diskussion bereit.
Danke schön.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Uta Würfel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade die Ausführungen von Frau Dr. Bergmann-Pohl und auch die von Frau Hasselfeldt haben mich veranlaßt, jetzt doch noch einmal ein paar Bemerkungen zu diesem Thema machen zu wollen. Es ist richtig, daß wir uns erst jetzt mit dem auseinandersetzen können, was Sie in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben; denn wir haben ihn bedauerlicherweise erst heute morgen bekommen.
Ich denke, daß es für all diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die heute hier nicht bei uns sind und vielleicht am Fernsehschirm in ihren Büros sitzen, da sie mit etwas anderem beschäftigt sind, notwendig ist, noch einmal ein paar Gesichtspunkte, ein paar Kenntnisse festzuhalten, die die Kolleginnen und Kollegen zu ihrer Entscheidungsfindung eigentlich brauchen, wenn sie bei der dritten Lesung namentlich abstimmen sollen. Denn bei diesem hochsensiblen Thema kann jeder nur in Kenntnis aller Fakten abstimmen. Manchmal habe ich den Eindruck, daß wir uns noch gar nicht genug über alles, was der einzelne weiß und wissen müßte, ausgetauscht haben.
Bedenken Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Bereits in ihrem Minderheitenvotum 1975 haben zwei Verfassungsrichter das vorausgesehen, was in Memmingen eingetreten ist. Sie waren ziemlich hellseherisch. Sie haben nämlich in ihrem Minderheitenvotum festgehalten, daß das Schwierigste bei der Regelung, die vom Bundesverfassungsgericht in dem Mehrheitenvotum getroffen worden war, sein würde, daß einmal der Zeitpunkt einträfe, daß mit juristischem Sachverstand nachgeprüft werden würde, was Arzt und Frau gemeinsam in einer Schwangerschaftskonfliktlage festgestellt haben. Also bereits damals, 1975, haben diese beiden Verfassungsrichter überlegt, daß das wohl der Punkt ist, der am meisten angreifbar sein würde.
Nachdem das eingetroffen ist, in Memmingen nämlich, nachdem tatsächlich mit juristischem Sachverstand in Hunderten von Fällen nachgeprüft wurde, was der Arzt und die Frau gemeinsam entschieden hatten, müßte doch eigentlich jeder, der sensibel ist, heute zu dem Schluß kommen, daß sich das, was in Memmingen geschehen ist, nicht wiederholen darf.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Geis, vielleicht später. Kann ich jetzt erst einmal meine Gedanken im Zusammenhang ausführen?
Wir haben uns als FDP-Fraktion damals gesagt: Memmingen darf sich nicht wiederholen. Wir müssen Veränderungen am materiellen Recht dahingehend vornehmen, daß im Rahmen eines Steuerfahndungsverfahrens bei einem Arzt die Patientinnenkartei nicht mehr daraufhin durchforstet werden kann, wer und in welchem Rahmen Schwangerschaftsabbrüche gemacht hat.
Ich bitte all diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich mit diesem Thema noch nicht intensiv beschäftigen konnten, zur Kenntnis zu nehmen, daß gerade die Vorgänge um Memmingen dazu geführt haben, daß in der Bundesrepublik immer weniger Ärzte bereit sind, eine Indikation auszustellen, d. h. die Feststellung über die Erlaubnis eines Schwangerschaftsabbruchs zu treffen, und daß immer weniger Ärzte bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen.
Vor diesem Hintergrund bitte ich den Koalitionspartner, noch einmal zu überdenken, was Sie in Ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben. Da heißt es beispielsweise, daß die Darlegungen der Schwangeren dazu führen müssen, daß der Arzt die Erkenntnis erlangt, daß eine psychosoziale Notlage vorliegt.
Vorher findet das Beratungsgespräch durch Fachkräfte in der Beratungsstelle statt. Bereits dort erfolgt die Darlegung der Gründe; denn dort tritt eine Frau zuerst in das Gespräch ein. Wir wollen ja nicht, daß die Beratungsstellen und die dort tätigen Fachkräfte lediglich Informationen weiterreichen, also nur über staatliche Hilfen informieren. Auf Grund ihrer Qualität sind sie vielmehr sehr gut geeignet, ein Beratungsgespräch über psychosoziale Fragen zu führen. Dort also tritt eine Frau in der Darlegung ihrer Gründe zum erstenmal vor einen fremden Menschen.
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Dann heißt es bei Ihnen weiter, der Arzt müsse bei seiner Meinungsbildung auch Umstände berücksichtigen, die ihm schon vor dem Gespräch mit der Schwangeren bekannt sind. Es ist mir wirklich unerfindlich, was Sie damit meinen. Was sollen das für Umstände sein? Daß die Frau ein Lotterleben führt?
Daß sie in den letzten Monaten drei verschiedene Partner hatte? Was für Umstände meinen Sie damit? Das kann doch unmöglich ärztliche Erkenntnis sein. Es muß sich vielmehr um andere Tatbestände handeln, die Sie in diesem Fall zur Meinungsbildung herangezogen haben wollen.
Es heißt auf Seite 101 des Gesetzentwurfes der CDU/CSU-Fraktion - das sage ich für jeden, der das nachschlagen möchte - : Strafrechtlich ist die Entscheidung des Arztes daraufhin überprüfbar, ob er eine Indikation wider besseres Wissen ausgestellt hat. Das heißt doch nichts anderes, als daß er gezwungen ist, justiziabel, also gerichtsfest, festzulegen, was ihm dargelegt worden ist, damit er im Falle des Falles vor Gericht beweisen kann, daß man ihm das gesagt hat und daß er auf Grund dieser Faktenlage dann zu dem Urteil gekommen ist, daß die Schwangerschaft abgebrochen werden kann.
Es heißt in Ihrem Entwurf weiter: Strafrechtlich „ist die Entscheidung des Arztes daraufhin überprüfbar, ob die Voraussetzungen einer Indikation offenkundig nicht vorgelegen haben". - Sie sichern das also noch einmal doppelt ab. Dann können Sie aber nicht sagen, Frau Bergmann-Pohl, daß das, was der Arzt auf Grund des Standesrechts gezwungenermaßen machen muß, nicht über das hinausgeht, was Sie hier festgelegt haben. Es geht darüber hinaus! Er muß Fakten berücksichtigen, die ihm vor dem Gespräch bekannt sind.
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Für welchen Fall der Fälle muß er die Darlegungen der Frau festhalten, wenn nicht zum Zwecke einer Überprüfung? Wenn wir nun sehen, daß die bisherige Indikationsregelung schon angreifbar genug ist, daß sich die Ärzte schon jetzt in diesem Dunstkreis nicht wohlfühlen, sondern das Gefühl haben, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, dann können Sie doch nicht bereit sein, diese Regelung noch zu verschärfen.
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen, daß sich die Ärzte schon heute weigern, Indikationen zu bescheinigen, daß die Ärzte sich weigern, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, und daß die Frauen auf Grund dieser Tatsache mehr und mehr ins Ausland fahren, wo sie u. U. einen Schwangerschaftsabbruch unter sehr entwürdigenden Umständen vornehmen lassen, dann können Sie doch nicht billigend in Kauf nehmen, daß dieses Recht jetzt noch verschärft wird, was Sie ja tun.
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- Frau Michalk, Sie können das zwar immer wiederholen, aber es ist doch so. Die Ärzte sagen es Ihnen doch auch. Die Bundesärztekammer hat es in einem Mehrheitsvotum gesagt. Der Bundesverband der Gynäkologen hat es gesagt. Ich frage Sie, wieso Sie diese Faktenlage nicht zur Kenntnis nehmen.
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Ich kann auch nicht verstehen, wieso Sie glauben, daß ein guter Operateur - das verlange ich von
einem Gynäkologen - besonders befähigt sein soll, die Seelenlage der Frau zu erforschen und eine psycho-soziale Notlage zu bescheinigen. Wieso ausgerechnet der Gynäkologe? Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß das Bundesverfassungsgericht ganz besonderen Wert darauf gelegt hat, daß nicht ein und derselbe Arzt die Feststellung treffen und den Schwangerschaftsabbruch vornehmen soll? Wieso setzen Sie sich über diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hinweg?
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Das Bundesverfassungsgericht hat damals zu Recht Feststellungen getroffen. Es hat gesagt: Den Ärzten wurde immer schon Gewinnstreben unterstellt. Gerade bei einem Schwangerschaftsabbruch wollte man dies nicht mehr haben. Das ist der Grund dafür, weshalb man gesagt hat: Das darf nicht ein und derselbe Arzt tun. Die Ärzte haben auch von sich aus gesagt: Wir möchten nicht, daß wir die Feststellung treffen sollen, daß ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt ist, und daß wir danach den Schwangerschaftsabbruch vornehmen sollen. Sie wissen das. Deswegen muß schon die Frage erlaubt sein, warum Sie in der von Ihnen vorgelegten Regelung jetzt vorsehen, daß ausgerechnet derselbe Arzt, der die Feststellung zu treffen hat, auch den Schwangerschaftsabbruch auszuführen hat.
Frau Kollegin, sind Sie jetzt bereit, die Frage des Kollegen Geis entgegenzunehmen?
Herr Geis, gehe ich recht in der Annahme, daß es sich um die Frage handelt, die Sie schon allen anderen Kolleginnen und Kollegen gestellt haben?
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Nein, Frau Kollegin. Ich habe die Frage, die Sie meinen, zwei Kollegen gestellt; ich stelle Ihnen eine andere Frage.
Sie sagten, Sie wollten Memmingen verhindern, Frau Kollegin. Ist Ihnen bekannt, daß der Prozeß gegen den Memminger Arzt deshalb begonnen wurde, weil er die Beratungspflicht verletzt hat, die jetzt auch im Gesetz vorgesehen ist, und ist Ihnen klar, daß dann, wenn Ihr Gesetz mit Beratungspflicht Gesetzeskraft erlangt, Memmingen eben in diesem Sinn nicht verhindert werden könnte, wie Sie es wollen?
Herr Geis, ich habe mich vielleicht mißverständlich ausgedrückt. All das, was Sie soeben wiederholt haben, ist mir bekannt. Dennoch ist es so , daß Memmingen für mich dafür steht, daß mit juristischem Sachverstand nachvollzogen wurde, was einen Arzt und eine Frau bewogen hat, zu einem Schwangerschaftsabbruch zu kommen. Das haben diese beiden Richter auch vorhergesagt.
Nun habe ich noch eine Frage an meine eigenen Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, die sagen, hier sei eine Gewissensentscheidung zu treffen: Wie eigenverantwortlich schätzen Sie im Fall der Fälle das Handeln Ihrer eigenen Ehefrauen, Freundinnen,
Schwestern oder Töchter ein? Hat sich eigentlich jeder der Herren, der heute hier gesprochen hat, schon einmal vorgestellt, was es eigentlich bedeuten würde, wenn sich Menschen aus dem persönlichen Umfeld - erst einmal vor einem Berater, später dann vor einen Arzt - einem derartigen Rechtfertigungs- und Darlegungszwang unterwerfen müßten? Für wie eigenverantwortlich in ihrem Handeln schätzen Sie Ihre eigenen Ehefrauen oder Freundinnen ein?
Die nächste Frage, die ich Ihnen stellen möchte und die ich - nachher, wenn Sie zu einem Urteil kommen - zu berücksichtigen bitte: Was halten Sie von den Ärzten in Ihrem persönlichen Umfeld? Glauben Sie wirklich, daß das, was Sie jetzt in Ihrem Gesetzentwurf verankert haben, was über das Standesrecht hinausgeht, notwendig ist? Oder ist Ihr Meinungsbild von den Ärzten und deren Gewissen vielleicht doch nicht das, was wir alle haben sollten? Was halten Sie von diesem Berufsstand im allgemeinen?
Meine Meinung ist eine andere: Ich gehe davon aus, daß jeder Arzt entsprechend seinem Standesrecht handelt und sein Gewissen genügend erforscht, wenn eine Frau zu ihm kommt und einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchte.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rudolf Krause.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche als Vater - auch als einer, der es werden wollte - oder, wie Heiner Geißler sagte, als Lobby für die ungeborenen Kinder.
Frau Michalk und auch Frau Süssmuth haben gesagt: Ungeborene Kinder sind Leben von Anfang an. In den meisten vorliegenden Gesetzentwürfen finden sich zwar viele Hinweise auf das Recht der Frauen auf Abtreibung, aber wenig Hinweise auf das Recht des ungeborenen Lebens, auf Adoption, auf Heime, wenn keine Familie aufgebaut werden kann, und, wie ich als ehemaliger DDR-Bürger wohl sagen kann, auf Großeltern. Es gibt viele Eltern, die Kinder gerne adoptieren wollen. Die Wartezeiten belaufen sich auf mehrere Jahre.
Zur Lebensdefinition: Wann beginnt personales Leben? Frau Dr. Bergmann-Pohl hat dies gesagt; ich brauche es nicht noch einmal zu wiederholen.
Als Tierarzt habe ich mich bemühen müssen, Leben bis zur Geburt zu erhalten. Ein Embryo beim Transfer ist ein von der natürlichen Mutter und von der Ammenmutter unabhängiges und sehr wertvolles Wesen. Für dieses Wesen werden viele 1 000 DM bezahlt.
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Ein menschliches Leben darf einer Gesellschaft niemals weniger wert sein als ein hochbezahltes Tier; das wollen wir doch einmal klarstellen.
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Wir brauchen Kenntnisse über Vorgänge bei der Abtreibung. Zur Sexualerziehung und Aufklärung
gehört auch, daß Jungen und Mädel wissen, was diesem kleinen Embryo mit Kopf, Augen und Füßchen passiert, wenn er auseinandergerupft wird: Ist es nur eine Beendigung des Zustandes bei der Mutter? Wie spielt sich die Tötung eines menschlichen Lebens in einem Augenblick ab? - Erst dann kann verantwortlich entschieden werden.
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Zur Strafbewehrung: Selbstverständlich muß der Schutz des Lebens auch Strafbewehrung umfassen; das wurde schon ein paarmal angedeutet. Nur deshalb, weil Haftstrafen Diebstahl nicht verhindern können, kann ich doch nicht den Diebstahl und die Korruption freigeben. Das ist doch wohl klar.
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Zur Frauenfeindlichkeit: Erhalt menschlichen Lebens, auch vorgeburtlichen, ist an sich niemals frauenfeindlich. Das stimmt einfach nicht!
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Wir Väter sind doch nicht frauenfeindlich, wenn wir darauf bestehen, daß unsere Kinder in einer gesunden Familie zur Welt kommen.
Zur materiellen Indikation: 1970, nach dem Studium, hatten wir sehr wenig Geld: unter 600 Mark. Wir wären aber nie auf die Idee gekommen, eines unserer drei Kinder nicht haben zu wollen. Vielmehr mußten wir sie noch mit ärztlicher Hilfe erhalten. Das haben auch meine Freunde so gemacht. Wir wollten Kinder, obwohl es uns schlecht ging. Wer heute sagt, es sei für eine Frau nicht möglich, ein Kind zu ernähren oder durchzubringen: Was war denn im oder nach dem Krieg?
Ein ungeborenes Kind ist schutzbefohlen. Die Frau ist für sein Leben hauptverantwortlich;
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es ist aber nicht ein Sklave, den man bei Bedarf töten darf. In unseren Entwürfen ist enthalten, daß Väter, Eltern nicht darauf drängen dürfen, daß ein Kind getötet wird.
Bürgerliche Rechte des ungeborenen Lebens: Wenn ein Kind sein Erbmaterial zusammenhat,
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wenn es also eingebettet wird, dann hat es ein Erbrecht. Es hat ein Alimentationsrecht, und der Vater hat Vaterpflichten. Es hat darüber hinaus, wenn es keine Familie haben darf, auch ein Recht, adoptiert zu werden. Das ist ein Lebensrecht.
Diese Rechte kann das Kind nur wahrnehmen, wenn wir ihm - ob die Mutter oder der Vater das will oder nicht - das Lebensrecht erhalten. Ich wiederhole noch einmal: Es darf nicht Gewissensentscheidung eines einzelnen sein, ob jemand leben darf oder nicht. Fragen wir doch unsere Kinder, ob sie abgetriebene Geschwister haben wollen! Zeigen Sie ihnen doch mal die Bilder von zerstörten Embryonen! Ich glaube, daß unsere Kinder ein empfindlicheres Gewissen haben als viele der Abtreibungsbefürworter.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir Väter haben uns auf unsere Kinder gefreut, auch als es uns
Dr. Rudolf Karl Krause ({7})
materiell nicht gutging, und wir werden uns auch auf unsere Enkelkinder freuen.
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Frau Kollegin Dr. Dobberthien, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs berührt mehr als jedes andere Thema die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Wie in einem Vergrößerungsspiegel wird beim § 218 das in unserer Gesellschaft noch immer vorhandene Ausmaß von Frauenunterdrückung und Frauenverachtung sichtbar.
In der Geschichte war der § 218 immer ein Paragraph des Blutes und der Tränen. Dem Lebensschutz hat er nicht gedient, wohl aber der Heimlichtuerei, Demütigung, Gesundheitsschädigung und Angst. Damit muß nun endlich einmal Schluß sein!
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Der § 218 war stets geprägt von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Frau, dem Zweifel an ihrer Moral, an ihrem Gewissen und an ihrem Verantwortungsbewußtsein. Bis heute werden der Frau Leichtfertigkeit bei der Entstehung einer ungewollten Schwangerschaft und Leichtfertigkeit bei ihrer Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch unterstellt, wie Herr Jäger das hier z. B. vorgetragen hat. Darum sollen Kommissionen, Ärzte, Beratungsstellen aufpassen und überreden, indizieren, kontrollieren und protokollieren.
Wenn eine Frau es nun aber nicht schafft, fremde Menschen von der eigenen Notlage zu überzeugen, oder wenn sie es gar wagt, den Konflikt ohne Beachtung des von der CDU/CSU gewollten kräfte- und zeitraubenden Instanzenweges zu beenden, macht sie sich strafbar und wird zur Kriminellen.
Die Logik des § 218 in dieser Auffassung beruht auf der Annahme, Frauen seien nicht in der Lage, verantwortlich zu entscheiden. Sie seien blutrünstige Megären, die nur darauf warten, sich das werdende Leben aus dem Leib zu reißen.
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- Hören Sie mal zu! Nun kommt die wundersame Wandlung: Dank Strafrecht, Bevormundung, Kontrolle wird aus eben derselben Frau, die eben noch potentielle Kindsmörderin war, eine liebende Mutter. Eine solche Logik schützt zwar kein Leben, hat aber zweifelsohne zwei Vorteile: Erstens spart der Staat Milliardenausgaben für soziale Hilfen, wie Herr Waigel sich freute, denn die werden schließlich für andere Dinge benötigt: die Vermögensteuersenkung oder den Jäger 90. Der zweite Vorteil: Der Erzeuger einer Schwangerschaft wird aus dem Blickfeld gerückt. Manchmal scheint es, als hätten Frauen sich selber geschwängert.
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Wenn aber zu jeder Schwangerschaft ein Erzeuger gehört, fragt frau sich, warum im Falle eines Abbruchs niemand den Mann bezichtigt, er habe sein Kind töten lassen. Nein: Der Mordvorwurf trifft immer nur die Frauen. Hier zeigt sich die ganze Frauenverachtung einer solchen Argumentation.
Um aber in der Logik der Strafbefürworter zu bleiben: Stellen Sie sich einmal vor, eine fahrlässige Schwängerung gegen den Willen der Frau würde als Straftatbestand der Körperverletzung gewertet.
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Ich bin sicher, es wären mehr Männer kriminell, als Frauen je abgetrieben haben.
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Aber das ist ja auch keine Lösung.
Statt lebenslang Verantwortung bei Verhütung und Kindererziehung zu übernehmen, lieben manche Männer bequemere Rollen: als Rächer und Richter, als Moralisten und Ankläger. Es fällt auf, daß unter den selbsternannten sogenannten Lebensschützern besonders viele Männer sind. Der strafverschärfende Gesetzentwurf der Gruppe um Werner ist z. B. von 44 Männern und nur zwei Frauen unterschrieben.
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Und es fällt auf, wie wenig Frauen aus der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion heute geredet haben. Schämen Sie sich etwa Ihrer eigenen Gesetzentwürfe?
Es gibt Fundamentalisten und Eiferer unter den Lebensschützern, die geradezu einen Kreuzzug gegen Frauen führen, alle Moral für sich reklamieren und Frauen nichts mehr übriglassen. Die Grobschlächtigkeit und geradezu alttestamentarische Unerbittlichkeit, der Mangel an Verständnis für Not und Konfliktlagen der Frau, die Verweigerung der Nächstenliebe, die ja schließlich auch für Frauen gelten dürfte, sie erschrecken mich zutiefst.
Wer wie der Papst 1991 den Schwangerschaftsabbruch mit dem Holocaust vergleicht, verharmlost nicht nur die nationalsozialistischen Verbrechen, sondern verhöhnt auch noch Opfer und Überlebende. Das grenzt an geistige Umweltverschmutzung.
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So sind katholische Kirchenmänner mitschuldig an der Verdammung der Abtreibung und damit an der Verurteilung der Frauen. Der Codex Juris Canonici, für rund 800 Millionen Katholiken in der Welt gültig, macht deutlich, daß keine Tat, sei es Kriegshetze oder Massenmord, so schwer wiegt wie der Schwangerschaftsabbruch. Denn wer einen Menschen tötet, erhält dafür eine relativ milde Kirchenstrafe. Die Ermordung eines Priesters oder gar Bischofs wiegt schon etwas schwerer. Die höchste Strafe
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folgt nur auf zwei Delikte: den Papstmord und die Abtreibung. Welche Mißachtung der Frauen!
Doch es gibt in der Kirche in Fragen zu § 218 auch Andersdenkende, besonders unter den Frauen, die dem Leben und seinen Gefährdungen oft näher sind. Auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es Mutige und Beherzte, wie wir heute gehört haben, die Anstoß nehmen an falschen und faulen Kompromissen. Ihnen bieten wir jederzeit das Gespräch.
Lassen Sie mich noch einige verfassungsrechtliche Anmerkungen machen. Den Schwangerschaftsabbruch zu verweigern kommt in der Konsequenz faktisch einem Gebärzwang gleich - ein unerträglicher Gedanke. Doch eine solche Gebärpflicht kann nicht verfassungskonform sein, denn sie verletzt, wie die Rechtsprofessorin Monika Frommel feststellt, „die moralische Autonomie". Sie ignoriert den Kern der verfassungsrechtlich garantierten personalen Identität.
Die verfassungsrechtlichen Normen, auf die wir uns bei der Ablehnung eines Gebärzwanges stützen, sind die Menschenwürde nach Art. 1 des Grundgesetzes
- denn Menschenwürde kennt kein Geschlecht -, die Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 und der Grundsatz der Gleichberechtigung nach Art. 3 Abs. 2 GG. Letzterer wird durch § 218 verletzt, weil er nur den Frauen
- und zwar ausschließlich ihnen - eine rechtliche Sonderpflicht zumutet, nämlich die mit Strafandrohung versehene Gebärpflicht.
Da der Gesetzgeber den Konflikt zwischen Frau und werdendem Leben nicht zu lösen vermag, wäre es für ihn folgerichtig, wenn er sich jeder Regelung über die Entscheidung des Konflikts enthielte. Schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es, Regelungen zu treffen, die objektiv und in allen Fällen ungeeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen. Der Gesetzgeber hat sich darauf zu beschränken, die äußeren Rahmenbedingungen zu verbessern, wenn es ihm darauf ankommt, daß sich die Frau für die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheidet.
Zu den Voraussetzungen verfassungsrechtlicher Zulässigkeit einer strafbewehrten Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gehört, daß der Staat zu dem härtesten ihm zu Gebote stehenden Mittel, der Strafe, erst dann greifen darf, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben. Die Rechtsprofessorin Ursula Nelles hält es deswegen für illegitim, Strafvorschriften zu normieren, wenn noch nicht einmal versucht wurde, ein soziales Problem mit anderen, milderen, also sozialstaatlichen Mitteln zu lösen. Dies hat der Gesetzgeber bisher unterlassen.
Grundlage jeder verfassungsrechtlichen Prüfung einer Neuregelung ist im übrigen nicht das Urteil von 1975, sondern die Verfassung selbst. Deshalb ist die Behauptung, eine Beratungspflicht sei stets zwingend vorgeschrieben, doch sehr fragwürdig. Entscheidend ist vielmehr, ob die Gesamtheit aller Maßnahmen dem Lebensschutz dient. Diesen Versuch unternimmt der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion.
Als ich 1971 zu den Selbstanzeigerinnen im „Stern" gehörte, die sich erstmals öffentlich der Abtreibung bezichtigten,
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um eine Reform-Diskussion in Gang zu setzen, hätte ich nie geglaubt, daß ich mich 20 Jahre später immer noch und schon wieder mit dem uralten Schandparagraphen 218 würde befassen müssen. Helfen Sie alle mit, das unwürdige Kapitel § 218 endlich zu beenden!
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Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Renate Hellwig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heiner Geißler hat es heute morgen schon gesagt: Die im CDU/CSU-Gesetzentwurf enthaltenen sozialen Verbesserungen sind die Hauptsache beim Schutz des ungeborenen Lebens. Die gleichzeitige Änderung des Strafrechts ist die Nebensache. Das war bisher schon der entscheidende Gesichtspunkt, und er wird es auch in Zukunft sein.
Ich war fünf Jahre lang als Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz für die Schwangerenberatungsstellen zuständig und pflegte mit ihnen vierteljährlich einen intensiven Erfahrungsaustausch. Die ganz konkrete Konfliktlage ungewollt schwangerer Frauen sollte noch viel mehr die öffentliche Diskussion beherrschen. Wir alle würden dann noch mehr unser aller Mitverantwortung dafür erkennen, daß Frauen in dem Kind, das sie erwarten, mehr den Berg an Problemen für ihre persönliche Lebensführung sehen als die Freude an dem neuen Leben, das ins Dasein drängt.
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Dennoch müssen wir uns auch der Auseinandersetzung mit dem Strafrecht stellen. Der heutige Tag zeigt es ja deutlich. Ich bin als engagierte Europäerin daran interessiert, daß wir den Blick über die Grenzen werfen und sehen, wie in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft diese Konfliktlage geregelt ist.
Nur in Irland besteht ein generelles Verbot der Abtreibung, wobei ein Verstoß dagegen sowohl für den Arzt als auch für die Frau mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet wird. Von den übrigen Mitgliedstaaten haben fünf, nämlich die Niederlande, Griechenland, Belgien, Frankreich und Dänemark, eine Fristenregelung und die anderen fünf, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Portugal und Spanien, eine Indikationsregelung.
Fast überall gilt als zeitliche Grenze für eine Änderung des Strafrechtsanspruchs die Zwölfwochenfrist, innerhalb derer die Abtreibung entweder ganz straffrei ist, wie in den Niederlanden und Griechenland, oder nur an eine Beratungspflicht gekoppelt ist, wie z. B. in Belgien, oder es gilt die betreffende Indikationsregelung. Man mag die Zwölfwochenfrist als irDr. Renate Hellwig
rational bezeichnen, aber die Tatsache, daß sie in fast allen Mitgliedstaaten gilt, läßt ja doch erkennen, daß hier sozusagen grenzüberschreitende Überlegungen eine Rolle spielen.
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Lediglich in Großbritannien ist die sehr lange Frist von 24 Wochen für eine Abtreibung nach einem sehr weit gefaßten Indikationsmodell gegeben.
Wie sind die Indikationsregelungen bei unseren Nachbarn definiert? In Großbritannien gelten neben der medizinischen Indikation die eugenische und, ganz generell, die seelische Beeinträchtigung der Mutter oder ihrer bereits existierenden Kinder als Grund für die Straffreiheit.
In Italien ist die Abtreibung bei eugenischer und kriminologischer Indikation sowie bei einer sehr weit gefaßten medizinisch-sozialen Indikation straffrei. Es bedarf keiner förmlichen Feststellung durch den Arzt. Die Letztentscheidung liegt also bei der Frau.
In Luxemburg entscheidet die Frau über die Indikation, und zwar, ob sie den mit dem Kind verbundenen psychischen Belastungen gewachsen ist oder nicht. Der Arzt stützt seine Indikationsfeststellung auf die Aussage der Frau.
In Spanien muß der Facharzt die medizinische Indikation feststellen. Bei der eugenischen Indikation bedarf es des Gutachtens zweier Fachärzte, und bei der kriminologischen Indikation erfolgt der Nachweis durch die gestellte Strafanzeige.
In Portugal gilt eine erweiterte medizinische Indikation, die dann vorliegt, wenn ein schwerer Schaden von der Mutter abgewendet werden muß. Das Attest erteilt der Arzt in seiner Verantwortung.
In den Ländern mit Fristenregelung greifen weit gesteckte Indikationsmodelle nach der Zwölfwochenfrist.
Das ist das Umfeld, in dem wir heute die Neuregelung unseres Strafrechts diskutieren. Wir sollten uns dessen bewußt sein, daß wir stärker davon berührt sind, als es hier und heute in der Debatte zum Ausdruck kommt. Mit der Europäischen Politischen Union streben wir eine EG-Bürgerschaft an, verbunden mit einem gemeinsamen Wahlrecht, mit der Freizügigkeit, dem Wegfall der Grenzen, einer gewissen Angleichung der Lebensverhältnisse.
Dennoch wird Europa schon auf Grund seiner Sprachgrenzen seine kulturelle Vielfalt behalten, so wie diese Vielfalt auch in den vergangenen 40 Jahren des Zusammenwachsens in der Europäischen Gemeinschaft erhalten geblieben ist. Ich widerspreche hier all den Pessimisten, die von einer Totalnivellierung sprechen. Aber: Diese Entwicklung des engeren Zusammenschlusses in Westeuropa vertieft natürlich den gegenseitigen Erfahrungsaustausch, und dieser beeinflußt nicht nur unser Reise- und Konsumverhalten, sondern natürlich auch unsere Wertvorstellungen. Ich stelle heute hier fest, daß außer in Irland in keinem Land der Europäischen Gemeinschaft mehr die Tötung ungeborenen Lebens der gleichschweren Strafandrohung unterliegt wie die Tötung geborenen Lebens. Dies entspricht übrigens auch einer Feststellung in dem heute so viel zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich feststellt, daß hier keine gleiche Strafandrohung erfolgen muß.
Zum anderen stelle ich fest, daß in den letzten 20 Jahren ausnahmslos in allen Mitgliedstaaten, in denen eine Änderung des Strafrechts erfolgte, dies zu einer Rücknahme des Strafanspruchs und nicht zu einer Verschärfung des Strafanspruchs geführt hat. Wenn ich persönlich die Aufrechterhaltung der Indikationsregelung gegenüber einer reinen Fristenregelung bevorzuge, so deswegen, weil das Bewußtsein von dem Konflikt zwischen zwei Lebensrechten, dem des Kindes und dem der Frau, erhalten und in manchen Bereichen der Öffentlichkeit noch gestärkt werden muß. Aber: Die Letztentscheidung in diesem Konflikt ist und bleibt für mich am besten bei der schwangeren Frau selbst aufgehoben.
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Wir haben im CDU/CSU-Entwurf als Voraussetzung für die Straffreiheit der Frau nur die Erfüllung der Pflicht zur Beratung vorgesehen - wie übrigens im FDP-Entwurf. Der Unterschied liegt bei uns in der Strafbarkeit des Arztes, der dann strafbar ist, wenn keine Indikation, also keine psycho-soziale Notlage, vorliegt. Für mich ist es wichtig, daß der Arzt in dieser Frage auf die Darlegung der Frau vertrauen kann und nicht zu eigenen Nachprüfungen verpflichtet ist. Diese Entscheidung muß abschließend zwischen der Schwangeren und dem Arzt getroffen werden, ohne nachträglich von einem Gericht wieder aufgerollt werden zu können. Wenn Arzt und Frau in dieser Frage damit gemeinsam die Letztverantwortung tragen, so entspricht dies auch am besten der heutigen Lebenswirklichkeit. Ich weiß nicht, warum das Vertrauen in meiner Umgebung so groß ist, daß ich in meinem Privatkreis schon von sehr, sehr vielen Fällen erfahren habe. Aber ich kenne keine Fälle - weder bei denen, wo abgetrieben worden ist, noch bei denen, wo es dann doch zur Geburt kam - , in denen vorher nicht schwere Gewissensentscheidungen, schwere Abwägungen stattgefunden haben. Dies betraf auch das Gespräch mit dem Arzt.
Ich bin deswegen zuversichtlich, daß wir in dieser Frage vielleicht doch noch - über die Parteigrenzen hinweg - zu gemeinsamen Lösungen kommen.
Vielen Dank.
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Frau Abgeordnete Dr. Fischer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An dieser Stelle würde ich sehr gern Frau Minister Hasselfeldt und Frau Dr. Bergmann-Pohl ansprechen. Sie haben sehr viel von der Verantwortung des Arztes geredet. Sie haben beide eine sehr engagierte Rede gehalten. Allerdings könnte ich mit sehr lebhaft vorstellen, daß viele Ärztinnen und Ärzte nicht gerade begeistert sind, wenn ihnen eine Verantwortung zugeschoben wird, die sie gar nicht tragen wollen - ich denke dabei auch an den Ärztetag in Hamburg - , es sei
denn, sie begreifen sich gleichzeitig als Richter, besser gesagt: als Schnellrichter. Denn in zwölf Wochen eine psychosoziale Notlagenindikation nachzuweisen, halte ich für sehr problematisch. Ich kann meinen Kolleginnen und Kollegen Gynäkologen jedenfalls nur empfehlen, sich da nicht mißbrauchen zu lassen.
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Die gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches greift in erster Linie in die Lebensweise, das Lebensgefühl und die Lebenschancen von Frauen ein. Daß Männer als Partner und künftige Väter davon nicht unberührt bleiben, sei anerkannt. Die Frage „Will ich ein Kind austragen oder nicht?" stellt sich jede schwangere Frau jeweils in einer konkreten Lebenssituation und Partnerschaft, in konkreten sozialen Verhältnissen hinsichtlich der künftigen Lebensbedingungen für sich und ihr Kind. Sie erwägt die Möglichkeiten und Defizite einer Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit der Fürsorge und der Verantwortung für ein Kind.
Diese Frage ist in der Geschichte nicht neu, sondern begleitet die Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft seit Jahrtausenden. Die Frau als nach der Legende Zweitgeborene hat seit jeher hinnehmen müssen, daß der Mann als von der Natur nicht Aufgehaltener ihren Platz definiert. Dabei ist zu beobachten, daß sich die jeweilig herrschende Macht der Frau bedient, um den eigenen Entwurf von der Theorie in die Praxis umzusetzen. Nach diesem Prinzip wurde seit mehr als 120 Jahren in Deutschland bzw. wird in den Altbundesländern mit dem § 218 StGB der Abbruch einer Schwangerschaft noch immer kriminalisiert bzw. die Frau, die einen Abbruch wünscht, zur Beratung gezwungen.
Diese Paragraphen wurden und werden vom Staat als Instrument des rechtlichen Drucks, der sozialen Kontrolle, der öffentlichen moralischen Verurteilung und der persönlichen Entmündigung von Frauen gehandhabt. Die Hexenprozesse von Memmingen beweisen, daß dieses Instrumentarium in den Altbundesländern nach wie vor funktioniert und für Frauen ihr Menschenrecht auf Selbtbestimmung dort negiert, wo es um ihre ureigenste Angelegenheit geht, nämlich um ihren Körper, ihre Psyche, ihre Leibesfrucht und ihre Bereitschaft, ein Kind zu gebären, dieses Kind zu behüten und für dieses Kind zu sorgen.
Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung ist in diesem Land tatsächlich männlichen Geschlechts; denn kein Paragraph verbietet dem Mann, ein Kind zu zeugen. So nimmt es nicht wunder, daß Frauenbewegungen seit Jahren das Selbstbestimmungsrecht der Frau einklagen und die ersatzlose Streichung der §§ 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch fordern. Seit mehr als 120 Jahren erweist sich täglich aufs neue, daß die Strafandrohung und Zwangsberatung in keiner Weise geeignete Mittel sind, um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden.
Vielmehr hat diese Rechtspraxis Frauen zur Abtreibung unter entwürdigenden Bedingungen veranlaßt und treibt sie heute außer Landes, um in Nachbarländern oder möglicherweise auch in der ehemaligen DDR, wo mit der Fristenlösung noch DDR-Recht gilt,
unter legalen Bedingungen ihre selbstbestimmte Entscheidung eines Schwangerschaftsabbruches zu realisieren.
Angesichts dessen, daß Frauen heute im zivilisierten Europa - ich bin Frau Hellwig sehr dankbar, daß sie das so ausführlich referiert hat - eine Strafandrohung wegen Schwangerschaftsabbruches zugemutet wird und daß diese mittelalterliche Rechtspraxis von konservativen Kräften nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten letztendlich im Zuge der Rechtsangleichung den Frauen in der ehemaligen DDR, in der die Fristenlösung galt und noch gilt, aufgezwungen werden soll, ist eine den Interessen der Frauen entsprechende gesetzliche Neuregelung dringend erforderlich. Ich plädiere dafür, daß per Gesetz jeder Frau das Recht einer freien Entscheidung über die Austragung des Kindes oder den Abbruch ihrer Schwangerschaft garantiert wird, und gehe davon aus, daß die Mehrheit der Frauen ihr Kind austragen will.
Aber diejenigen, die sich für einen Abbruch entscheiden, sollten unbedingt einen Rechtsanspruch auf Beratung ohne Beratungszwang haben. Das entbindet nicht von ärztlicher Aufklärungspflicht, sondern schließt auf Wunsch der Frau eine weitergehende und natürlich nicht nur ärztliche Beratung ein.
Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen sollte in stationären und ambulanten Einrichtungen, in denen auch die notwendige medizinische Nachbehandlung gewährleistet ist, erfolgen.
Ich hatte gedanklich sehr viele Probleme in bezug auf die ambulante Behandlung, weil ich das nicht gewohnt bin; ich habe da auch große Bedenken, weil ich als Ärztin schon Komplikationen erlebt habe.
Die oberste Landesbehörde sollte per Gesetz verpflichtet werden, ein flächendeckendes Netz solcher Einrichtungen sicherzustellen. Die medizinischen Einrichtungen, in denen Abbrüche durchgeführt werden, sind hinsichtlich des qualifizierten Personals, der medizinischen Ausrüstung, des baulichen Zustandes und der Zusammenarbeit mit einem nahegelegenen Krankenhaus so auszustatten, daß Notfallsituationen bewältigt werden können.
Darüber hinaus halte ich es für erforderlich, im Gesetz festzuschreiben, daß keine medizinische Einrichtung aus der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen Gewinn erzielen kann.
Als Ärztin kann ich nur solch einem Gesetz zustimmen, das jeder Frau für den Fall eines Schwangerschaftsabbruchs die schonendste Behandlungsmethode garantiert. Zugleich möchte ich mich eindeutig nur für einen so frühzeitig wie möglich ausgeführten Schwangerschaftsabbruch positionieren, weil nur auf diese Weise unnötige Belastungen der Frau und Komplikationen vermeidbar sind.
In diesem Zusammenhang muß ich die Frage stellen, weshalb sich die Bundesregierung so vehement gegen die Anwendung der schonendsten, vor allem nicht-chirurgischen Methode, gegen den Einsatz des Anti-Gestagens RU 486, der sogenannten Abbruchpille, stellt. Ich fordere die Bundesregierung an dieser Stelle auf, die Erprobung der medizinischen WirksamDr. Ursula Fischer
keit und der Verträglichkeit nicht weiter zu verhindern.
Ja, ich bin für eine Fristenlösung, die für mich eine ersatzlose Streichung der §§ 218 und 219 darstellt.
Wer wie ich oft genug im Kreißsaal stand, mit Frauen um das Leben des noch Ungeborenen bangte, hat mit Sicherheit eine andere Einstellung zu dieser Problematik entwickelt. Nein, ich denke nicht daran, mich beeinflussen zu lassen, auch von Ihnen nicht.
Ich muß den Stand der Auseinandersetzung mit mir selbst auch annehmen und meinen Standpunkt bestimmen können.
Aus meiner Sicht muß es unter den gegebenen Verhältnissen eine Regelung geben, die Ärztinnen und Ärzten - natürlich auch dem beteiligten mittleren medizinischen Personal - , die sich entscheiden, Interruptiones durchzuführen, auch den nötigen rechtlichen Rahmen gibt. Sonst ist trotz positiver Einstellung der Selbstbestimmung der Frauen die Gefahr groß, daß durch massive Einmischung von zum Teil fanatischen Vertretern der Strafverfolgung von Frauen sowie Ärztinnen und Ärzten Tür und Tor geöffnet wird.
Für mich ist die zwölfte Schwangerschaftswoche eben kein willkürlich gewählter Zeitpunkt. Die Komplikationsrate für die Mutter steigt nach diesem Zeitpunkt stark an. Ich - das betone ich - würde mich zunächst immer für das Leben der Mutter entscheiden müssen. Aus diesen Gründen werden meine Kollegin, Frau Dr. Barbara Höll, die die gleiche Auffassung wie ich vertritt, und ich dem von der PDS eingebrachten Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir hatten selbst einen Gesetzentwurf entwickelt, der sich nicht durchgesetzt hat. Darüber bin ich aber nicht sehr traurig, denn die SPD hat einen ganz ähnlichen Gesetzentwurf vorgelegt, dem ich eigentlich mehr zuneige.
Ich empfinde diese Debatte, die aus guten oder schlechten Gründen, wie auch immer, sehr emotionalisiert ist, oft auch als sehr heuchlerisch. Solange nicht mit gleicher Vehemenz für das geborene Leben gestritten wird, halte ich viele andere Diskussionen für sehr wenig hilfreich.
Ich erkenne das Selbstbestimmungsrecht der Kinder, Frauen und Männer an, bin für eine ersatzlose Streichung der §§ 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch und für eine Fristenlösung ohne Beratungszwang.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat im Zuge der Debatte Kollege Werner den Gesetzentwurf der Initiativgruppe begründet, und andere Kollegen haben vor allen Dingen die Unterschiede, die in unserem Gesetzentwurf zu dem unserer Fraktion hinsichtlich der strafrechtlichen Neuregelungen bestehen, betont. Ich möchte mich als einer
der Mitzeichner des Entwurfs der Initiativgruppe vor allen Dingen mit den Gemeinsamkeiten beschäftigen, die in unserer Fraktion insgesamt bestehen, und dabei vor allen Dingen noch einmal herausstellen, welche familienpolitischen Maßnahmen in der Vergangenheit und auch jetzt im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von uns vorgesehen sind, und die Bedeutung dieser Maßnahmen für unseren Lösungsansatz herauszuarbeiten versuchen.
Das eine ist: Wir haben in der Vergangenheit Erziehungszeiten im Rentenrecht eingeführt. Sie von der SPD haben jahrelang davon gesprochen; Sie haben es nie getan, als Sie an der Regierung waren und es hätten tun können.
Wir haben Erziehungsgeld über die bloß berufstätigen Frauen hinaus für alle Frauen eingeführt; Sie haben sich auf die berufstätigen Frauen beschränkt. Für unsere Entscheidung war die familienpolitische Sicht maßgebend.
Wir haben den Erziehungsurlaub eingeführt, und wir verlängern ihn. Wir verlängern ihn genauso, wie wir die Bezugszeit für Erziehungsgeld ab 1993 verlängern.
Mit den materiellen Verbesserungen im Familienlastenausgleich - Erhöhung des Kinderfreibetrages auf über 4 000 DM ab 1. Januar und auch Erhöhung des Erstkindergeldes - , mit den Freistellungen von Eltern bei Erkrankung von Kindern, mit der Ausdehnung des Unterhaltsvorschußgesetzes, mit der Einführung des Familiengeldes verbessern wir die materiellen Rahmenbedingungen entscheidend, so daß wir, von dieser Seite her gesehen, den Auftrag, den uns der Einigungsvertrag gegeben hat, erfüllen - gemeinsam, die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Vorschlag genauso wie wir mit unserem Vorschlag der Initiativgruppe. Wir verstärken auch die Möglichkeiten der ergänzenden außerfamilialen Betreuungseinrichtungen.
Daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erst zum 1. Januar 1997 erfüllt sein muß, ist kein Nachteil. Kein Land ist gehindert, vorher das zu tun, was in diesem Feld nötig ist. Es ist heuchlerisch, heute so zu tun, als ob die Realisierung zum 1. Januar 1997 einer vorzeitigen Erfüllung dieses Rechtanspruches entgegenstünde.
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Handeln Sie in den Ländern, liebe Damen und Herren von den Sozialdemokraten, und es wird gehen.
Mit diesen und den weiteren sozialpolitischen Hilfen, die wir schaffen, werden wir Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, die jedenfalls im materiellen Bereich die Notlagensituation erheblich seltener vorkommen lassen werden. Deshalb ist es folgerichtig, wenn wir das tatsächliche Vorliegen einer Notlage in unserem Gesetzentwurf klarer festgestellt wissen wollen. Nicht die bloße Darlegung der Schwangeren, sondern die Vergewisserung über die zu Grunde liegenden Tatsachenbehauptungen ist für uns wie bei der medizinischen Indikation Voraussetzung dafür, daß bei auf andere Weise nicht behebbarer Notlage die Tötung des ungeborenen Kindes überhaupt in Betracht gezogen werden kann.
Dabei gilt: Es geht nicht um das Selbstbestimmungsrecht der Frau; es geht um das Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Deshalb kann nicht die Willensentscheidung der Frau allein maßgebend sein; im Interesse des Kindes muß vielmehr sorgfältig geprüft werden, ob tatsächlich die Eingriffsvoraussetzungen vorliegen.
Wir alle wissen - wir alle hier im Saal und auch die übrigen Kolleginnen und Kollegen - , daß der Schutz der Ungeborenen nicht durch das Strafrecht allein herbeigeführt werden kann. Die Beratung im Konfliktfall ist genauso wichtig wie die Information über alle bestehenden Hilfen. Hilfen sind wesentlich - und das war der Hauptpunkt für unseren Gesetzentwurf -, weil der, der das Ja zum Leben von anderen einfordert - und das tun wir als Gesetzgeber -, die Rahmenbedingungen dafür schaffen muß, daß dieses Ja auch möglich ist.
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Wenn wir, meine Damen und Herren, in diesem Sinne die breit geäußerte Bereitschaft zur finanziellen Besserstellung der Familien in der Zukunft auch dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir in den Haushaltsentscheidungen die notwendigen Prioritäten anders und zugunsten der Familien setzen, dann - dessen bin ich sicher - werden wir auch im Rahmen der weiteren Beratungen dieser Gesetzentwürfe für die Familien, für die ungeborenen Kinder die richtigen Lösungen für die Zukunft finden.
Vielen Dank.
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Frau Kollegin Regina Kolbe, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie sehen mir nach, daß ich etwas aufgeregt bin, denn es ist meine erste Rede.
Ich will Ihnen an dieser Stelle nicht nur meine Auffassung nahebringen, sondern ich möchte auch Jugendliche aus Eilenburg, meiner Heimatstadt, zu Wort kommen lassen.
Eine Frau ist schwanger, welch freudiges Ereignis. Doch das ist es nicht für sie. Sie will das Kind nicht.
Mit diesen Worten beginnt eine Schülerin der elften Klasse einen Aufsatz - Reizthema Abtreibung.
Beim Lesen dieser Worte bin ich sehr nachdenklich geworden; in ihnen kommen z. B. soziale Ängste zum Ausdruck:
Gerade jetzt, wo die Arbeitslosigkeit so rapide steigt, sollte es jeder Frau selbst überlassen bleiben, ob sie abtreibt.
Fragen zur Umweltpolitik werden gestellt. Ich zitiere wieder:
Wenn man das Leben erhalten will, darf man dabei nicht nur die Menschen ins Auge fassen, sondern auch alles andere, alles Leben. Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt, sondern die Natur. Der Mensch ist nur ein Teil davon. Er zerstört seine Umwelt und vor allem: das schon existierende Leben. Was meiner Meinung nach besonders zu schützen wäre. Man soll Leben erhalten, das ist klar. Aber warum tun wir das nicht konsequent? Es werden junge Männer in den Krieg geschickt. Fragen, die ich an Politiker stelle.
In diesen Aufsätzen kommen wir als Politiker nicht gerade gut weg. Ein weiteres Zitat wird das belegen:
Der überwiegende Teil der Politiker setzt sich für die Durchsetzung des § 218 ein. Dieselben Leute beschlossen die Zuzahlungspflicht für Verhütungsmittel. Auf einen Nenner gebracht, bedeutet das einen Anstieg der Geburtenrate. Die Frauen sollen zu Gebärmaschinen werden.
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Ich finde es unverschämt, daß die Politiker über die Köpfe der Frauen hinweg entscheiden. Im Bundestag sind fast nur Männer vertreten. Für mich sind die in dem Fall inkompetent.
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Die Frage nach der Doppelmoral wird gestellt. Der Schüler bezieht sich auf eine Fernsehsendung und schreibt:
Da geschah es, daß ein solch kleiner Wicht die Geburt nicht überlebte. Es wurde gezeigt, daß die Neugeborenen gewogen und gemessen und später gesondert weggeschafft wurden. Es stellte sich heraus, daß die Kinder eine bestimmte Größe und Masse erreicht haben müssen, um ein eigenes Grab zu erhalten. Die Untergewichtigen legte man in einen Erwachsenensarg als Beigabe.
Das ist übrigens gängige Praxis, auch in katholischen Krankenhäusern. Aber die Würde des Menschen ist unantastbar.
Ein anderer Schüler schreibt:
Die Würde des Menschen heißt es, nicht die Würde des Embryos oder Fötus. Hat denn der kleine Fötus mehr Würde als eine ungewollt werdende Mutter? Warum soll sie wie eine Kriminelle behandelt werden? Heißt es nicht werdendes Leben und werdende Mutter? Also warum nicht auch werdende Würde? Warum will der Staat seine Gewalt so ausnutzen? Das ist fast so wie im Mittelalter die Hexenverbrennung. Es ist eine moderne Inquisition, welche im Moment massiv betrieben wird. Leider beteiligt sich daran nicht nur die Kirche, sondern auch der Staat, der Frauen und Ärzte aburteilt. Mir erscheint der Schritt in die Jahrhunderte zurück, als Frauen sich in ihrer Not an sogenannte Engelmacherinnen wandten, nicht mehr allzu groß.
Und heute? - Ein weiteres Zitat:
Das Gesetz ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie versucht wird, die Emanzipation der Frau zu hintergehen. Mehr Schein als Sein, und das in einem scheinbar demokratischen Rechtsstaat.
Ist Ihnen bewußt, wie sehr diese Widersprüche in der Politik bei der jungen Generation das Verständnis von diesem Staat belasten?
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das heißt z. B. auch, daß ein Bürger dieses Staates eine lebensnotwendige Blutspende verweigern kann. Derjenige, der diese Blutspende dringend gebraucht hätte, ist in dieser Situation in seinem Lebensrecht akut bedroht. Weigert sich der potentielle Spender aber doch, so hat das keinerlei Konsequenzen. Man kann ihn moralisch verurteilen, mehr nicht.
Eine Blutspende ist für mich ein kleines Opfer. Von einer Frau verlangt man weitaus größere Opferbereitschaft. Die Frau soll gezwungen werden, eine ungewollte Schwangerschaft neun Monate lang auszutragen, ein Kind unter Schmerzen zu gebären und es über viele Jahre hinweg aufzuziehen. Ganz abgesehen davon, daß eine Schwangerschaft und eine Geburt nicht unbedingt einfach sind. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin Mutter zweier Kinder.
Eine Frau spendet Leben, die Blutspende erhält Leben. Aber nur die Frau soll per Gesetz gegen ihren Willen gezwungen werden. Mit welchen Maßstäben messen wir eigentlich?
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Dort die verweigerte Blutspende. Hier eine verweigerte Schwangerschaft. Dort allenfalls eine moralische Verurteilung. Für die Frau dagegen strafrechtliche Konsequenzen - siehe Memmingen.
Meine Damen und Herren, es ist illusorisch zu glauben, daß wir dieses Problem in seiner Vielschichtigkeit voll erfassen können. Es gibt Argumente pro und kontra. Was wir tun können und müssen, ist, einen Rahmen zu schaffen, einen Rahmen mit sozialen Maßnahmen, der Frauen ermöglicht, ein Kind anzunehmen. Das ist der entscheidende Punkt. Ich denke z. B. an den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Den hatte die Regierungskoalition im Frühjahr versprochen und jetzt auf 1997 vertagt. Als ehemalige DDR-Bürgerin sage ich Ihnen: Ich hatte diesen Rechtsanspruch. So war es mir möglich, Mutter und auch berufstätig zu sein.
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- Einen sehr guten!
Das soziale Paket, das in dem Gesetzentwurf der SPD enthalten ist, wird viel Geld kosten. Nun habe ich Stimmen aus dem CDU-Lager gehört, man müsse sehen, was machbar sei. Ich sage Ihnen: Ein Staat, der für einen Krieg 16 Milliarden DM bereitstellen kann, muß auch für das vorgeburtliche Leben sorgen. Er sollte auch das Geld bereitstellen, was dafür notwendig ist.
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Ich glaube, nein, ich weiß: Wirkungsvolle soziale Maßnahmen unterstützen den Wunsch und die Bereitschaft von Frauen nach Kindern. 1986 wurde in der alten BRD das Erziehungsgeld eingeführt. In diesem Jahr sind die Geburtenzahlen zum erstenmal wieder gestiegen.
Auch in der ehemaligen DDR gab es laut Geburtenstatistik 1974 ein absolutes Tief. Danach stiegen die Geburtenzahlen wieder. Damals wurde nämlich das Babyjahr eingeführt.
In den Gesetzentwürfen der FDP-Fraktion bzw. der CDU/CSU ist u. a. eine Zwangsberatung oder sorgar eine Letztentscheidung durch den Arzt vorgesehen. Damit unterstellt man Frauen, daß sie nicht in der Lage sind, diese Entscheidung eigenverantwortlich und bewußt zu fällen.
Und noch etwas, das Entscheidende für mich: In den Herbsttagen 1989 sind viele Menschen im Osten Deutschlands auf die Straße gegangen. Ziel dieser Demonstration war es u. a. auch, mündiger Bürger zu werden.
Was den Schwangerschaftsabbruch betrifft, ist die ehemalige Bürgerin der DDR seit 1972 mündig.
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Ich fordere diese Mündigkeit für alle Frauen in der neuen, ganzen Bundesrepublik. Mündigkeit ist das genaue Gegenteil von Bevormundung; das kann für manche in diesem Hause nicht oft genug wiederholt werden. Eine Zwangsberatung bedeutet für mich jedoch Unmündigkeit. Aber: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Ich danke Ihnen.
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Frau Abgeordnete Maria Eichhorn, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich mir die heutige Debatte vor Augen halte, so stelle ich fest: Es ist viel Bedenkenswertes gesagt worden, aber es sind auch Sätze gefallen, die mich erschauern ließen, auch wenn ich das bedenke, was meine Vorrednerin gerade gesagt hat.
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Wenn es heute z. B. geheißen hat, die Erniedrigung der Frau müsse endlich aufhören oder die Strafe müsse endlich fallen, dann frage ich: Von welchem Frauenbild gehen denn diese Frauen eigentlich aus? Sehen sie sich wirklich nur als Geknechtete und Unterdrückte? - Ich sehe mich als Frau und Mutter, als ein Mensch, der froh und glücklich ist, zwei Kinder haben zu dürfen. Ich fühle mich nicht geknechtet und erniedrigt. Dies nur als Vorbemerkung.
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Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben sich sicher etwas dabei gedacht, als sie den Schutz der Menschenwürde und das Recht auf Leben an den Anfang unserer Verfassung stellten. Unser Grundgesetz gebietet dem Staat, Leben zu schützen. Auch das ungeborene Kind obliegt voll dem Schutz des Grundgesetzes. Es ist eigenständiges menschliches Leben von Anfang an.
In seinem Urteil von 1975 hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt, daß das Leben des ungeborenen Kindes nicht im Rahmen einer bestimmten Frist
in Frage gestellt werden darf. Danach und auch als
Christ ist für mich eindeutig: Abtreibung ist Tötung.
Das Leben des Menschen ist das höchste Gut, das es zu schützen gilt. Daher muß der Staat auch die Signalwirkung des Strafrechts einsetzen, um dem Lebensschutz Nachdruck zu verleihen. Strafrecht schafft Rechtsbewußtsein. Warum sonst wohl wird von einer Verschärfung des Umweltstrafrechts gesprochen?
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Es geht nicht darum, Frauen durch das Strafrecht zu diskriminieren. Es geht darum, Wertvorstellungen und Verhalten von Frauen und Männern zu beeinflussen. Als Mitglied der Kommission zum Schutz des ungeborenen Lebens der CDU/CSU-Fraktion befasse ich mich seit Monaten sehr ausführlich mit diesem gesamten Thema. Ich habe mir die Arbeit nicht leichtgemacht und viele Gespräche geführt. Je mehr Gespräche ich führte, um so bewußter wurde mir, daß soziale Hilfen unabdingbar sind. Daher begrüße ich ausdrücklich das große Paket an sozialen Hilfen, das der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vorsieht.
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- Es ist eine große Hilfe; das müssen auch Sie zugeben.
Wir kümmern uns nicht nur um die ungeborenen, sondern auch um die geborenen Kinder. Ich bin der Meinung, daß das vorgelegte Maßnahmenpaket für Schwangere, Alleinerziehende und Familien echte Verbesserungen bringt.
Ein ganz wichtiger Punkt in der Frage der Abtreibung ist die Beratung. Pflichtberatung heißt nicht nur, daß sich jede Schwangere beraten lassen muß, wenn sie an Abtreibung denkt. Pflichtberatung bedeutet auch eine Chance für all jene Frauen, die von außen unter Druck gesetzt werden und allein nicht in der Lage sind, sich diesem Druck zu widersetzen.
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Oft wollen die Frauen ihr Kind nicht abtreiben, aber der Partner, das soziale Umfeld drängen sie dazu. Daher hat die Beratung eine ganz große Bedeutung. Sie hat nach unserem Gesetzentwurf zu Recht die Aufgabe, die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und öffentliche und private Hilfen zu vermitteln.
Darüberhinaus ist die Schwangere bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind und bei der Fortsetzung der Ausbildung zu unterstützen. Des weiteren gehört dazu, die personale und soziale Hilfe nach der Geburt bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Damit können Mütter, die in schwierigen Partnerschaftsverhältnissen leben, auch nach der Geburt des Kindes begleitet werden. Dies sind wesentliche Verbesserungen, die mir auch von den Beraterinnen immer genannt worden sind. Auch der Vater und andere Personen aus dem sozialen Umfeld können auf Wunsch am Beratungsgespräch teilnehmen. In Bayern haben wir schon ein qualifiziertes Beratungsgesetz. Beraterinnen, die ihre Aufgabe ernst nehmen, bestätigen, daß die sogenannte Beratungspflicht auch für diejenigen Frauen, die zunächst nur gezwungenermaßen kommen, oft eine große Erleichterung darstellt, weil sie sich aussprechen können und Hilfe erfahren.
Es ist leider eine Tatsache, daß in den alten Ländern der Bundesrepublik fast 90 % aller gemeldeten Abtreibungen wegen einer schweren Notlage erfolgen. Dies kann und darf in unserem Wohlfahrtsstaat so nicht hingenommen werden. Deshalb ist eine verbesserte Regelung zum Schwangerschaftsabbruch dringend erforderlich. Auch nach dem jetzigen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion bleibt die Schwangere - wie nach dem geltenden Recht - nach der Beratung straffrei. Dies ist wichtig, da die Frauen sonst nicht mehr zur Beratung gehen würden. Diejenigen, die so tun, als würde unser Gesetzentwurf Frauen entwürdigen, gehen schlicht an den Tatsachen vorbei.
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In Zukunft soll es nur noch zwei Indikationen geben, die medizinische und die psychosoziale; letztere umfaßt auch die eugenische und die kriminologische Indikation. Die von der CSU verabschiedete Ansbacher Erklärung wurde in diesem Punkt völlig mißverstanden. Durch die Abschaffung der selbständigen eugenischen Indikation wird zum Ausdruck gebracht, daß die Schädigung eines ungeborenen Kindes nicht schon der Grund einer Abtreibung sein muß. Es gibt durchaus Frauen, die bereit und in der Lage sind, dieses behinderte Kind anzunehmen.
Wenn eine Frau dies aber nicht schafft, wird sie auch in Zukunft, wenn die Notlage so groß ist und ihre psychische Konfliktlage so schwer wiegt, abtreiben können.
Wesentliche Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Strafrecht sind - ich wiederhole sie, weil mir das so wichtig ist - : Nur ein Facharzt kann in Zukunft die Indikation feststellen. Der abbrechende Arzt kann sich nicht auf die Indikationsfeststellung eines anderen Arztes verlassen. - Daß hier in der Vergangenheit viel falsch gemacht worden ist, das wissen wir. - Der Arzt muß selber zu der Erkenntnis gelangen, daß eine Notlage vorliegt. Wider besseres Wissen darf er eine Indikation nicht stellen; sonst macht er sich strafbar.
Der Tatbestand der Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch wird in Zukunft unmittelbar mit dem § 218 genannt. Damit wird ein Signal gesetzt, um dem Vater des Kindes und dem Umfeld der Schwangeren ihre Verantwortung zu verdeutlichen.
Gegen den Gesetzentwurf der CDU/CSU gibt es Kritiker von links und von rechts. Er ist nicht das, was ich persönlich mir vorgestellt hatte. Aber ich stehe zu dem Gesetzentwurf, weil ich der Meinung bin, daß dieses Gesetz gegenüber geltendem Recht wichtige Verbesserungen bringt; denn damit wird verhindert, daß das ungeborene Kind in den ersten zwölf Wochen schutzlos preisgegeben wird.
Abtreibung ist nicht nur Tötung. Abtreibung kann auch schwere psychische Schäden bei den Betroffenen hervorrufen. Daher ist es falsch zu glauben, eine generelle Freigabe der Abtreibung in den ersten zwölf Wochen diene den Frauen, weil sie dann allein entscheiden könnten. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade eine Schwangere in ihrer speziellen Gemütslage bedarf des Rates sowie der besonderen Hilfe und UnterMaria Eichhorn
Stützung, wenn sie sich in einer Konfliktsituation befindet. Auch dies ist ein Grund, warum ich mich für eine verbesserte Indikationenlösung einsetze.
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Ich möchte das ungeborene Kind schützen, aber auch Frauen in echten Konfliktsituationen helfen.
Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hohen Hauses, die so denken wie ich, sich für eine verbesserte Indikationenregelung im Sinne der CDU/ CSU mit einzusetzen und sich dafür zu entscheiden.
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Frau Kollegin Ulla Burchardt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Bundestagsabgeordnete bin ich in meinen Entscheidungen vor allem meinem Gewissen verpflichtet. Meine Wählerinnen und Wähler in meinem Wahlkreis trauen mir zu, Verantwortung zu tragen, nicht nur für die Geschicke meines Wahlkreises, sondern auch für die des ganzen Landes.
In den vorliegenden Gesetzentwürfen der Union werden mir jedoch - wie jeder Kollegin hier im Haus - als Frau gerade diese Fähigkeiten, nämlich verantwortungsvoll und dem Gewissen verpflichtet entscheiden zu können, abgesprochen. Vielleicht, Kollegin Dobberthien, ist das der Grund, warum so wenige Kolleginnen aus der Union an dieser Debatte teilgenommen haben.
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Wie früher - das ist die praktische Konsequenz der Vorschläge aus Ihren Entwürfen - werden Frauen Objekte fremder Bewertungen und Entscheidungen von Ärzten und Strafrichtern bleiben. Ich bin ganz sicher, die große Mehrheit der Frauen empfindet so wie ich die Vorschläge, die aus Ihren Reihen gekommen sind - das, was wir heute in einem Großteil der Wortbeiträge haben hören dürfen, bestätigt diese Interpretation eigentlich nur -, als einen Versuch, ein antiquiertes Frauenbild zu restaurieren und alte Abhängigkeiten zu zementieren.
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Wir alle wollen werdendes Leben besser schützen, als das bislang in Ost und West geschehen ist. Ich glaube, dieses Motiv sollte niemand einem anderen hier absprechen.
({2})
- Es sollte niemand jemandem dieses Motiv absprechen. Ich denke, das ist doch die mindeste gemeinsame Basis, mit deren Feststellung wir hier heute herausgehen sollten.
({3})
Das Beste ist es - und das ist eine schlichte Lebensweisheit - , Schwangerschaftskonflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb muß alles getan werden,
um unerwünschte Schwangerschaften zu verhindern. In der Bundesrepublik ist leider fast jede zweite Schwangerschaft unerwünscht. Offensichtlich ersetzt viel nackte Haut auf Titelblättern von Illustrierten und ersetzen Soft-Pornos via Fernsehen keine umfassende und partnerschaftliche Sexualerziehung und Aufklärung über Empfängnisverhütung. Der Gesetzentwurf meiner Fraktion fußt deshalb auf der Grundüberlegung: Vorbeugen ist allemal besser als Strafen. Der Anspruch auf Sexualerziehung und Aufklärung, ergänzt um die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln für Pflichtversicherte, ist deshalb für uns ein unverzichtbarer und wesentlicher Schwerpunkt in unserem Reformpaket.
({4})
Wenn ich einen Blick in Ihre Entwürfe werfe, so stelle ich fest: Prävention spielt bei Ihnen keine Rolle.
({5})
- Ja, da wird der Frau, wenn sie in der Schwangerschaftskonfliktberatung sitzt, angeboten, daß sie sich auch über Empfängnisverhütung informieren lassen kann.
({6}) Das ist schon fast Satire.
({7})
Und das ist, meine Damen und Herren, die vorläufig letzte Szene in der konservativen Tragikomödie, die man mit dem Titel „Sexualerziehung und Aufklärung " überschreiben könnte.
Deren erster Akt begann Ende 1982. Die Union setzte an, die Bundesrepublik geistig-moralisch zu wenden - sehr einseitig und tendenziös, wie Sie gleich feststellen werden.
({8})
Hauptdarsteller war Familienminister Geißler. Er verfügte: 80 000 Exemplare des Medienpaketes „Betrifft Sexualität", Mitte der 70er Jahre von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung herausgegeben, sind einzustampfen.
Pädagogen aus der schulischen und außerschulischen Jugendbildung - ich gehörte damals mit dazu und kann deshalb aus eigener Praxis noch etwas darüber schildern - verloren damit eine phantasievolle und von Jugendlichen akzeptierte Arbeitsgrundlage, die sich in der breiten Praxis der schulischen und außerschulischen Bildung bewährt hatte.
Zweiter Akt: Ende 1985 erkannte Frau Ministerin Süssmuth - da hatte die Person auf dem Ministersessel gewechselt - , daß in Sachen Sexualität offensichtlich doch Aufklärungsbedarf besteht. In ihrem Auftrag wurden dann am Dortmunder Institut für Sozialpädagogik gemeinsam mit Praktikerinnen und Praktikern aus der Jugendarbeit erneut umfangreiche Materialien erarbeitet. Sie wurden von Sachverständigen aus Jugendverbänden, Hochschulen und Kirchen mehrfach redaktionell verändert und schließlich für gut befunden. Das Ergebnis: Dieses 1,5 Millionen DM
teure Projekt liegt bis heute in den Schubladen des zuständigen Ministeriums.
({9})
Offensichtlich fehlte nach Protestbriefen aus lebensfremden Kreisen, denen alles, was mit Sexualität zu tun hat, anscheinend ohnehin ein Greuel ist, der Mut zur Veröffentlichung. Denn allzu fadenscheinig, meine Damen und Herren, ist die offizielle Begründung für die Unterlassung der Veröffentlichung dieser Materialien. Denn sie lautet, das Copyright für die Comics sei nicht eingeholt worden.
({10})
Nun zum dritten Akt. Im Rahmen des genannten Dortmunder Projekts entstand auch eine Aufklärungsbroschüre für Jugendliche unter dem Titel „Liebe". Sie wurde 1988 fertiggestellt. Wieder einmal hinzugezogene Sachverständige, darunter wieder auch Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche, der Soziallehre, fanden auch hieran nichts Anstößiges. Da gab es jedoch einen Bischof, den Bischof Lehmann, der in einem Brief forderte, dieses ganze Projekt „Liebe" doch einzustellen. Und dieser Brief veranlaßte dann wohl die nun zuständige Ministerin, Frau Professor Lehr, zum Eingreifen. Die Broschüre wurde zur Bearbeitung ausschließlich einem katholischen Moraltheologen überlassen.
({11})
- Dann können wir uns auch darüber unterhalten, wie es mit dem Anspruch auf eine pluralistische Gesellschaft ist.
Eine Kostprobe seines Arbeitsergebnisses - nur eine - : Sollte vorher ein Kapitel über Verhütungsmittel informieren, die - ich zitiere - „vor allem für Jugendliche geeignet sind", so heißt es danach schon fast diskriminierend: „Verhütungsmittel für Jugendliche, die nicht bereit sind, auf Geschlechtsverkehr zu verzichten".
({12})
Dies dürfte, wie Umfragen und die Erfahrungen der Praktiker in der Jugendarbeit wissen, nur für den kleineren Teil der heutigen Jugendlichen zutreffen. Aber selbst dieses Werk, ein Dokument von Weltfremdheit und Ignoranz gegenüber den realen Bedürfnissen und Wünschen auch junger Leute, selbst dieses Werk über Liebe ist bis heute noch immer nicht erschienen.
Fast zehn Jahre Enthaltsamkeit der Bundesregierung, meine Damen und Herren, sind für das noch immer bestehende Aufklärungs- und Beratungsdefizit mit verantwortlich. Es läßt sich nicht ausrechnen, wieviel ungewollte Schwangerschaften vielleicht ein bißchen hätten vermieden werden können, wenn man denn einmal vernünftige Dinge weitergetrieben hätte.
({13})
Wer aber von Lebensschutz spricht und gleichzeitig nichts unternimmt oder sich nicht traut und deshalb nichts unternimmt, um unerwünschte Schwanger schaften zu verhindern, der ist schlicht und ergreifend unglaubwürdig.
({14})
- Da Sie in Zweifel ziehen, was ich gesagt habe, versichere ich Ihnen: Es ist gut recherchiert.
Ebenfalls ausgeblendet aus der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche wird das Schicksal der Kinder, die unerwünscht auf die Welt kommen. Eine von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Ende der siebziger Jahre veranlaßte Langzeitstudie - auch diese ist übrigens nie offiziell veröffentlicht worden ({15})
belegt erschreckend deutlich, daß unerwünschte Kinder mehrfach benachteiligt sind. Sie sind Opfer von unbewußtem Risikoverhalten der Mütter während der Schwangerschaft; sie erkranken öfter; sie leiden deutlich häufiger an Verhaltensstörungen; sie werden von ihren Eltern häufiger mißhandelt, und ihr Scheitern im späteren Leben ist schon vorprogrammiert.
Meine Damen und Herren, die Sie immer den Eindruck erwecken, als wüßten sie allein und ausschließlich, was denn für den Schutz des Lebens und der Kinder notwendig ist, was muß eigentlich noch alles an traurigen und erschreckenden Beweisen angeführt werden -
Verzeihung, Frau Kollegin, darf ich Sie für eine Sekunde mit einer ungewöhnlichen Intervention unterbrechen? Bei Ihnen leuchtet jetzt das gelbe Licht; Sie hätten also noch eine Minute. Ich wollte Ihnen aber sagen: Reden Sie ruhig zu Ende, und nehmen Sie sich Zeit. Denn von der SPD ist kein Redner mehr gemeldet. Die CDU/ CSU-Fraktion hingegen hat noch zehn Redner auf der Liste.
({0})
Ich werde also mit Ihnen äußerst großzügig verfahren.
({1})
Meine Damen und Herren, was muß eigentlich alles noch als trauriger und als erschreckender Beweis angeführt werden, damit auch Sie auf Ihrer Seite wirklich zu der Erkenntnis kommen, daß weder durch Strafandrohung noch durch Pflichtberatung mit vorgegebenem Ziel Mutter- oder Elternliebe wachsen kann?
Auch Geld, sei es nun eine einmalige Gebärprämie oder wie man es auch immer bezeichnen mag oder eine einmalige Leistung aus den Mitteln der Stiftung „Mutter und Kind", die übrigens je nach Antragszeitpunkt sehr unterschiedlich ausfallen kann - wenn die Kassen im Herbst leer sind, dann hat die ungewollt Schwangere Pech gehabt; ich habe am Dienstag noch mit Vertreterinnen von Beratungsstellen, auch von kirchlichen Beratungsstellen gesprochen; diese haben mir dás bestätigt -, lassen aus unerwünschten
Schwangerschaften noch keine Wunschkinder hervorgehen. Diese gibt es nur, wenn sich Frauen frei und ohne Bevormundung und Angst entscheiden können.
Politik und Gesetzgebung können die Entscheidung für Kinder nur fördern, indem sie das Zusammenleben mit Kindern erleichtern und die ganze Gesellschaft kinderfreundlich gestalten.
({0})
Kinderfreundlichkeit muß auch in anderen Politikbereichen, in der Umwelt-, in der Friedens-, in der Wirtschafts- und in der Arbeitsmarktpolitik, bewiesen werden. Zum Wohle der Kinder, der Frauen und der gesamten Familien sind einschneidende und umfassende Maßnahmen notwendig. Der vorliegende Entwurf meiner Fraktion wird ihnen am weitesten gerecht.
Von uns vorgesehene materielle Hilfen und soziale Maßnahmen sind keine Eintagsfliegen. Unser Beratungskonzept beruht auf Freiwilligkeit und Langfristigkeit. Wir ersetzen die Androhung von Strafe und Zwang durch den Anspruch auf Verhütung und Vorbeugung. Mit unserem Gesetzentwurf können alle Frauen, die Verkäuferin, die Technikerin, die Hausfrau und die Abgeordnete, eine eigenverantwortliche Gewissensentscheidung treffen. Unser Entwurf trägt dem Schutz des Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau Rechnung.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nur noch Wortmeldungen der CDU/ CSU-Fraktion vorliegen. Nach der Ankündigung, daß zwei Kollegen ihre Reden zu Protokoll geben wollen, sind es noch zwölf.
Als nächster hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Uelhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin meiner Fraktion sehr dankbar, daß sie nach den vielen Kolleginnen der CDU/CSU, die hier gesprochen haben und hier im Saale anwesend sind - anders, als das meine Vorrednerin gesehen und gehört hat - , nun einmal einem Kollegen aus der Fraktion die Möglichkeit des Wortes gibt.
Ich bin der Meinung, die Frage des § 218 und des Schutzes des Lebens ist eine, die Männer und Frauen in gleicher Weise berührt und betrifft. Wir diskutieren heute ein Thema, das für die Zukunft unseres Landes von unvergleichbar größerer Bedeutung ist als alle Entscheidungen über die deutsche Einheit, die Sicherung unserer Freiheit und den Frieden mit unseren Nachbarn.
Bei der Frage des Lebensschutzes geht es letztlich um den Frieden mit uns selbst und den verantwortlichen Umgang mit der Freiheit des anderen und das Leben des Menschen. Dies ist die Voraussetzung, daß sich seine Freiheit überhaupt entfalten kann. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit, nachdem über viele wichtige Details auch hier schon gesprochen worden
ist, auf die ethischen Grundlagen unseren gesellschaftlichen Zusammenlebens richten, wie sie im Grundrechtskatalog unserer Verfassung ihren rechtlichen Ausdruck finden.
Ich halte es für unsere Pflicht als Parlamentarier, durch unsere Gesetzgebung die Wertordnung deutlich zu machen, auf der unser Grundgesetz beruht. Dies sind vor allem die vor- und überstaatlichen Menschenrechte, die der Staat nicht gewährt, sondern die er zu garantieren hat, vor allem Freiheit und das Leben.
Bei der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes haben wir uns vor wenigen Monaten in diesem Haus mit großer Mehrheit zu dieser Verantwortung des Gesetzgebers bekannt. Wir haben die naturwissenschaftliche Erkenntnis über den Beginn des menschlichen Lebens in die Rechtsform eines Gesetzes gebracht. Wir haben die Entwicklungsfähigkeit und folglich die Schutzwürdigkeit der befruchteten menschlichen Eizelle bereits auf 24 Stunden nach der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle festgelegt. Wir haben uns mit großer Mehrheit dazu bekannt, daß zu diesem Zeitpunkt, 24 Stunden nach der Verschmelzung, menschliches Leb en vorhanden ist.
({0})
Angesichts dessen muß es schon erstaunen, daß diese Erkenntnis bei der weiteren Entwicklung der befruchteten Zelle bis zum Ende des dritten Monat nicht mehr gelten soll. Wer dem Embryonenschutzgesetz zugestimmt hat und sich jetzt zur Fristenlösung bekennt, begibt sich auf den schizophrenen Weg der intellektuellen Unredlichkeit.
({1})
Wir erregen uns mit Recht über Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen, über Vergiftung von Boden, Luft und Wasser, über Klimaveränderungen, über Vernichtungspotentiale weltweiter Waffenarsenale, über Probleme des Straßenverkehrs mit ca. 10 000 Toten im Jahr und über die Mißachtung tierischen Lebens, z. B. bei Tierversuchen. Warum erregen wir uns nicht in mindestens gleicher Weise über die Gefährdung des menschlichen Lebens im Mutterleib.
Manche behaupten, der Abtreibungsentschluß ist eine Gewissensentscheidung, die niemand der Mutter abnehmen kann. Ich halte die Wertordnung unseres Grundgesetzes dagegen. Sie gewährt keine Entscheidungsfreiheit der Mutter gegenüber ihrem ungeborenen Kind. Die Gewissensfreiheit schützt vielmehr allein die Freiheit, dem absolut zwingenden Gebot des eigenen Gewissens zu folgen, und findet ihre selbstverständliche Grenze am Lebensrecht des anderen. Das Recht irgendeines Menschen ist nicht vom Gewissen irgendeines anderen Menschen abhängig.
({2})
Als Parlament dürfen wir uns nicht hinter einem angeblich geänderten Lebensgefühl verstecken. Wir haben als Parlamentarier die ethische Pflicht, durch unsere Gesetzgebung Richtung zu weisen und deutlich zu machen: Was entspricht der Wertordnung un3722
serer Verfassung, und was ist damit nicht vereinbar?
Ich möchte mit einer provozierenden Frage schließen, nicht um irgend jemanden zu verletzen, wohl aber, um zum Nachdenken anzuregen: Woher nehmen wir eigentlich die Befugnis, sehr viel für behinderte Mitbürger zu tun, dabei aber zwischen denen, die die Chance hatten, geboren zu werden, und solchen, die möglicherweise behindert noch geboren werden müssen, zu unterscheiden?
In der nachlesenswerten ökumenischen Denkschrift „Gott ist ein Freund des Lebens" werden wir alle, auch die vielen Sozialdemokraten, die eben den Raum verlassen haben, gefragt: Haben wir ein Bild vom Menschen, das über Vitalität, Gesundheit und Erfolg hinausreicht? Können wir unser Leben trotz Schwäche und Gefährdung nicht auch als Geschenk betrachten? Ich bitte Sie alle, meine Damen und Herren, darum, bei den kommenden Beratungen der verschiedenen Gesetzentwürfe zum Schutz des Lebens über diese Frage nachzudenken.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Erika Reinhardt. Frau Kollegin Reinhardt, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat von Albert Schweitzer beginnen: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will." - Dieser Satz sagt sehr deutlich aus, was ich persönlich, Mutter von zwei Kindern, empfinde und was mir am Herzen liegt, nämlich der Schutz des ungeborenen Lebens, den ich nur erreichen kann, wenn ich das Bewußtsein in unserer Gesellschaft für das Kind und für die Familie wieder stärke.
In Art. 2 des Grundgesetzes wird jedem Bürger das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert. Dieses Recht auf Leben steht allen Menschen zu, ganz besonders aber den kleinsten, den schwächsten, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, nämlich den ungeborenen Kindern.
Als wir - damit meine ich meinen Mann und mich - 1958 unser erstes Kind erwarteten, hatten wir keine Wohnung, ein sehr kleines Einkommen, und ich hatte einen Beruf, den ich über alles liebte. Es geht also um genau die Dinge, die, wie man immer sagt, die Voraussetzungen sind, um sich kein Kind leisten zu können. Wir haben uns ein Kind geleistet, und wir waren sehr froh darüber. Wir persönlich haben zwar auf vieles verzichten müssen. Wir haben diesen Verzicht gerne hingenommen, denn wir haben viel Freude und Liebe dafür empfangen dürfen.
({0})
Aus diesen Erfahrungen heraus begrüße ich sehr, daß der vorliegende Gesetzentwurf der CDU/CSU ein Paket ist; ein Paket, das Beratung und Hilfe in den Vordergrund stellt und damit auch zur Bewußtseinsbildung beiträgt. Ich verkenne überhaupt nicht die Situation, in der sich eine Frau befindet, wenn sie ungewollt schwanger wird und ihr Partner oder ihre Eltern sie im Stich lassen. Aber gibt uns das das Recht,
ein ungeborenes Kind zu töten? Ich sage nein. Aber ich sage ja dazu, daß diese Frau in Not nicht alleingelassen werden darf. Wir müssen ihr Beratung und Hilfen anbieten, die ihr das Ja zum Kind erleichtern. Wir müssen ihr Hilfsangebote machen, die auch über die Geburt hinausgehen müssen.
Wichtig und notwendig ist aber auch eine verstärkte und verbesserte Sexualaufklärung, um das Verantwortungsbewußtsein der jungen Frauen und Männer zu stärken. Nur wer vorher verantwortungsbewußt handelt, kommt später nicht in die Lage, Verantwortung auf andere Schultern abzuwälzen.
({1})
Die Bewußtseinsbildung hin zum Kind innerhalb unserer Gesellschaft sollte nicht ohne die Einbeziehung des Partners in die Beratung erfolgen. Deshalb sieht das Gesetz der CDU/CSU auch vor, den Partner dort, wo die Frau es wünscht und es ihr notwendig erscheint, einzubeziehen. Die Verantwortung für eine Schwangerschaft darf nicht allein die Frau tragen. In diesem Zusammenhang war für uns in der Kommission die Aufnahme des Straftatbestandes der Nötigung in den Gesetzentwurf notwendig und wichtig, denn häufig sind es nicht die Frauen, die das Leben ablehnen, sondern sie werden oft von ihren Partnern dazu getrieben.
Das Selbstbestimmungsrecht der Frau, das so hochgeschätzt wird, wird in diesem Entwurf nicht in Frage gestellt. Die Ermutigung zum Leben ist keine Bevormundung, sondern ein notwendiges Angebot. Frau und Arzt stehen gemeinsam in der Verantwortung. Bei dem, was wir vorschreiben wollen, ist auch der Gynäkologe gefordert; denn er ist aus seiner Erfahrung mit der Psyche der Frau vertraut.
Meine Damen und Herren, das ungeborene Leben durch Bewußtseinsbildung mit einem wesentlich verbesserten Beratungsangebot und staatlichen Hilfen zu schützen, ist unsere Aufgabe. Ich bin überzeugt, daß der von der Kommission erarbeitete Vorschlag schwangeren Frauen die Chance bietet, sich auch in Konfliktsituationen für das ungeborene Leben zu entscheiden.
Ich bedauere sehr, daß die Kolleginnen der SPD jetzt nicht mehr hier sind. Sie haben vorher gesagt, die CDU solle sich wegen dieses Entwurfes schämen. Vielleicht können Sie ihnen ausrichten: Ich schäme mich nicht. Ich bin stolz, der CDU und der CSU anzugehören, die eigentlich die einzigen sind, die das ungeborene Leben wirklich schützen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Engelmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in einfachen Worten, ohne Juristendeutsch und Paragraphenauslegung, meine Gedanken zum heutigen Thema aussprechen: Ich bin gegen die Abtreibung, gegen Tötung menschlichen Lebens, gegen Fristenregelung jeglicher Art und gegen vielerlei Indikationslösungen. Nur bei Gefahr für das Leben der MutWolfgang Engelmann
ter gebe ich der medizinischen Indikation meine Zustimmung.
Gemeinsam mit mir teilen viele Burger, gerade auch viele Frauen, in meiner Heimat im Erzgebirge diese Meinung - trotz anderslautender Äußerungen von Abgeordneten aus den neuen Ländern. In zahlreichen Begegnungen und Vorträgen, die ich auch in kirchlichen Kreisen halte, wurde mir dies öfter bestätigt.
Als praktizierender Christ der Evangelisch-Lutherischen Freikirche muß ich seit Jahren mit tiefer Betroffenheit erfahren, wie sorglos und unwürdig mit dem ungeborenen Leben umgegangen wird. Ohne Aufklärung, ohne Beratung, ohne Reglements kann jedes Mädchen, jede Frau bis zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben. Per Gesetz und auf Krankenschein wird leider immer noch getötet.
Sie haben kürzlich von der Vereinigung Kahleb ein Schreiben und eine exakte Nachbildung eines 10 Wochen alten Babys erhalten. Verehrte Damen und Herren, das ist doch Leben. Wir können als Christen nicht tatenlos zusehen, wenn dieses Leben vorzeitig beendet wird. Die Abgeordneten tragen eine hohe Verantwortung vor dem Volk und der Zukunft.
Gegenwärtig finden heftige Debatten um die Pflegeversicherung statt, weil nicht vorauszusehen ist, wer die ansteigenden Kosten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für die Alten und Gebrechlichen bezahlen soll, weil der Lebensbaum immer dünner wird, da bekanntlich zuwenig Menschen geboren werden. Und warum? Die jetzige Generation sorgt durch Gesetz dafür, daß die Geburtenraten zurückgehen.
Wir Parlamentarier sind gefordert, ein CDU-regiertes Land ist gefordert. Wie werden unglaubwürdig, wenn wir Christen einer Gesetzgebung zustimmen, die unserem Glauben entgegensteht. Wer gibt uns eigentlich das Recht, willkürlich und nach einer Art Privatmoral die schwächsten und hilflosesten Geschöpfe, die Ungeborenen, leben oder sterben zu lassen?
Ich verstehe, daß manche Sorgen und Nöte bei Schwangeren auftreten. Konfliktsituationen können Frauen schwer belasten. Hier wollen und müssen wir helfen, schon vorher durch Aufklärung, Beratung, durch eine gesunde Erziehung unserer Kinder im Elternhaus, in der Schule, in der Kirche und durch ein sauberes, ehrliches Vorleben der Erwachsenen. Wir sollten unsere Bürger so überzeugen, daß sie Ehrfurcht vor dem Leben haben, vor ungeborenem und geborenem. Ich bin aber auch der Auffassung, daß der Staat und die Gesellschaft die Schwangeren mit sozialen Hilfen begleiten sollten, damit sie ein freudiges Ja zum Kinde sagen.
({0})
Weiterhin bin ich der Meinung, daß in unserer wohlstandsorientierten Bundesrepublik nur in seltenen Fällen durch eine soziale Situation die Schwangere nicht in der Lage ist, ihr Kind auszutragen. Vielfach steht das eigene materielle Denken im Vordergrund. Ein Kind aufzuziehen bedeutet, Opfer zu bringen, Einschränkung der persönlichen Freiheit. Wenn
unsere Mütter und Großmütter so gedacht hätten, säßen einige der Anwesenden nicht hier.
({1})
Das Lebensrecht eines Kindes ist nicht davon abhängig, wie gut oder schlecht die Sozialpolitik eines Staates ist. Das Lebensrecht des Ungeborenen besteht von Anfang an, und wer dieses Recht verletzt, kann sich einer Strafe nicht entziehen.
Unterstützen Sie den Entwurf für eine Initiativgruppe „Schutz des ungeborenen Kindes"!
Herr Kollege, würden Sie bitte zum Schluß kommen; Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wir Parlamentarier haben durch die Verfassung eine Schutzfunktion für das Leben übernommen. Stellen wir uns als Abgeordnete dieser Aufgabe!
Ich danke Ihnen.
({0})
Als nächster hat der Herr Kollege Wolfgang Zöller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der heutigen Debatte wird man den faden Beigeschmack nicht los, als läge das Hauptproblem nur im Strafrecht. Bei fairer Betrachtungsweise muß man doch eigentlich eingestehen, daß sich 19 Artikel mit familienpolitischen Maßnahmen und nur ein Artikel mit dem Strafrecht befassen.
Aus diesem Grunde möchte ich auch nochmals ganz deutlich unterstreichen: Der wirkungsvollste Schutz des ungeborenen Kindes sind geeignete sozial- und familiengerechte Hilfen. Wenn uns diese Umsetzung gelingt, verlieren allein über 80 % der zur Zeit vorgenommenen Abtreibungen ihre sogenannte Berechtigung.
Eine weitere wichtige Aufgabe sehe ich darin, inwieweit jeder einzelne von uns bereit ist, mit seinen Möglichkeiten das Notwendige zu veranlassen um das gesamte Umfeld kinder- und familienfreundlicher zu gestalten.
Kirchliche Organisationen, die eine Frau, weil sie ein uneheliches Kind zur Welt bringt, nicht weiter beschäftigen, werden ihrer Verantwortung ebensowenig gerecht wie Vermieter, die ein Ehepaar mit Hund einer Familie mit Kindern bevorzugen.
({0})
In meiner Heimatgemeinde werden z. B. kinderreichen Familien Baugrundstücke zur Verfügung gestellt. Die ortsansässigen Banken gewähren Sonderkonditionen. Dies führt dazu, daß sich diese Familien mit einer Belastung, die einer Miete entspricht, ein eigenes familiengerechtes Heim schaffen können. Wie wäre es z. B., wenn sich kirchliche, karitative oder andere Organisationen bereit erklärten, nicht gewollten Kindern nach der Geburt Obhut zu gewähren? Da kann ich nicht dieses Lachen von heute nachmittag verstehen. Ich glaube, das hat gezeigt, wie ernst man
es mit dem Schutz des Lebens meint. Wenn ein Angebot, ungewollte Kinder in Obhut zu nehmen, ins Lächerliche gezogen wird, dann zeigt das die Wertigkeit dieser Regeln.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn diese Debatte dazu beitragen sollte, daß wir alle mit diesen Problemen etwas bewußter und ehrlicher umgehen, ich glaube, dann hat sich diese Debatte gelohnt.
Da nur im Zusammenwirken von sozialen, bewußtseinsbildenden und rechtlichen Maßnahmen ein wirksamer Schutz des Kindes erreicht wird, kann auch aus Gründen der Bewußtseinsbildung auf eine strafrechtliche Regelung nicht verzichtet werden. Mit einer sauberen strafrechtlichen Regelung können wir auch beweisen, wie ernst wir es wirklich mit dem Schutz der ungeborenen Kinder meinen.
Wenn von der Gegenseite immer wieder das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Vordergrund geschoben wird, um uns quasi zu unterstellen, als wollten wir das einschränken, so sage ich Ihnen ganz deutlich: Die Frau hat ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht für ihren Körper, das aber ganz eindeutig dort endet, wo das Lebensrecht des Kindes beginnt.
({2})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber auch darauf hinweisen, daß die Verantwortung des Mannes wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt werden müßte.
Zur Bewußtseinsbildung wird auch eine klare Bezeichnung beigetragen. Ich finde es schon sehr seltsam, wenn eine SPD-Abgeordnete bei der Beratung über Tierversuche äußerte, daß ihr es widerstrebe, von Tierversuchen zu reden. Dies sei Tötung von Tieren. Um wieviel mehr müßte sie sich dafür einsetzen, daß wir nicht von Abtreibung, sondern von Tötung ungeborener Kinder reden.
({3})
Abtreibung ist Tötung. Das muß in unserem Rechtsempfinden unmißverständlich zum Ausdruck kommen. Jede Fristenlösung ist für mich die Anmaßung einer Entscheidung über Leben und Tod. Für den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder spreche ich mich aus, da er unmißverständlich jede Tötung ungeborener Kinder als Unrecht bezeichnet und die Tötung beim Namen nennt.
({4})
Als nächster Redner ist hier der Kollege Rainer Eppelmann gemeldet. Da ich ihn im Moment nicht sehe, gehe ich davon aus, daß sich das erledigt hat.
Als nächster hat dann der Kollege Joachim Graf von Schönburg-Glauchau das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Neuling, der seit heute morgen um 9 Uhr allen Beiträgen sehr aufmerksam gehorcht hat, ist es für mich ein bißchen enttäuschend, daß vieles von
dem, was ich direkt entgegnen wollte, keinen Adressaten mehr hat.
({0})
Mein Verständnis für Demokratie beinhaltet, daß wir ein gewisses Zwiegespräch führen. Ich bin dankbar, daß drei Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei und Sie, verehrte gnädige Frau von der Freien Demokratischen Partei, die Stellung halten. Ich weiß aber nicht, ob Sie das überbringen können. Ich will kurz versuchen, ein paar Dinge, auf die ich eingehen wollte, doch noch zu sagen.
Ich wollte auch der Frau Wollenberger ein großes Kompliment machen. Denn sie hat sehr viel von dem gesagt, was ich sonst an ihrer Stelle gesagt hätte. Mich hat auch Herr Dr. Meyer sehr beeindruckt. Denn ich teile mit ihm die Meinung, daß das Strafrecht das ungeborene Kind nicht wirksam schützen kann. Aber das gilt auch in vielen anderen Fällen.
Ich habe in meinem Leben in den verschiedensten Ländern und unter den verschiedensten Rechtssystemen gelebt. Ich habe auch in Ländern gelebt, in denen der außereheliche Verkehr mit Steinigung bestraft wurde. Er ist trotzdem nicht unterbunden worden; glauben Sie mir.
({1})
Es reicht eben nicht aus, etwas zu verbieten. Nur - das zu sagen ist auch wichtig, glaube ich - ist es für das Bewußtsein dafür, was erlaubt oder verboten oder was schlimm oder weniger schlimm ist, seit den alten Assyrern oder seit wem auch immer so, daß das weniger Schlimme weniger schlimm strafbedroht ist und das Schlimmere schlimmer. Bei uns wissen schon die Schulkinder, wenn sie ein Moped haben, was wieviel Punkte in Flensburg bringt. Sie wissen genau, daß falsches Parken relativ milde ist und das Überfahren einer roten Ampel dicke bestraft wird.
Da widerstrebt es mir, daß das Ausnehmen eines Nestes mit Finkeneiern schwerer bestraft werden soll, als ein ungeborenes Kind zu töten.
({2})
Ich kann nicht anders. Ich wünsche mir, daß keine Frau bestraft wird. Ich wünsche mir sehr verständige Richter, die irgendeine besondere Notlage erkennen. Aber ich wünsche mir - diese Möglichkeit gibt unser Entwurf - , daß meine Kollegen, meine Mitverführer, alle die, die ein Mädchen dazu bringen könnten abzutreiben, vor den Richter gezogen werden. Das müssen wir erreichen.
({3})
Mein Gott, ich bin sechsfacher Großvater. Ich weiß, wie es in der Welt zugeht. Ich bin zum zweitenmal verheiratet. Ich bin auch deswegen gar nicht befugt, als verlängerter Arm von irgendwelchen Bischöfen und Prälaten zu gelten.
({4}) - Natürlich nicht.
Ich habe auch meine eigene Meinung zur Empfängnisverhütung und zur Sexualerziehung.
Nur, eines, was ich hier sagen wollte, ist ganz wichtig. Es bezieht sich auf die Eigenverantwortlichkeit der Frau. Auch angesichts der Erfahrungen mit meinen Töchtern, Freundinnen, Frauen
({5})
- entschuldigen Sie, aber es ist so - kann ich nur eines sagen: Es ist gemein, es ist ganz gemein, es ist frauenverachtend, das auf die Frau alleine abladen zu wollen.
({6})
Die braucht in so einem Moment irgendwo eine Stütze, sie braucht auch die Stütze der Gemeinschaft, der rechtsetzenden Gemeinschaft, um zu wissen, was notwendig ist.
Bitte, tun Sie keiner Frau das Unrecht an, ihr alleinige Verantwortung zu übergeben, gar nicht, nicht vor der Geburt und nicht nachher; denn die schlimmen Fälle von Kindsmißhandlung durch Väter und Mütter - leider auch Mütter - , die immer wieder vorkommen, sind zwar nicht die Regel - , zeigen aber doch, daß allein die Herrschaft der Frau über das Kind nicht ausreichend ist, wenn wir nicht noch den Schutz der Allgemeinheit dazutun.
({7})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Auch sympathische Reden haben irgendwann ihr Ende.
Ja. - Darf ich noch einen Satz sagen?
Einen Satz, ja.
Das Wichtigste ist, glaube ich, daß wir gute Lebensverhältnisse herstellen. Im Idealfall wünsche ich jeder jungen Mutter ein Häuschen mit Garten. Auch das würde noch nicht reichen. Aber da würde die Haushaltssachverständige sagen, daß unsere Währung kaputtgehe. Aber wir können das miteinander Jahr für Jahr verbessern. Es ist nicht das Häuschen mit Garten alleine, sondern es soll auch noch Frieden sein und eine heile Umwelt und eine Gesellschaft, die das trägt. Ich meine, wir sollten miteinander im demokratischen Streitgespräch auf dieses Ziel hingehen und sollten versuchen, diese Verhältnisse zu schaffen.
Danke schön, Frau Präsidentin.
({0})
Als nächster hat der Kollege Dr. Friedbert Pflüger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht uns allen ja um den Schutz des ungeborenen Lebens. Ich habe heute keinen Debattenredner gehört, der es sich damit nicht wirklich schwergemacht hätte. Niemand hat, jedenfalls nach meinem Gefühl, verantwortungsloser Beliebigkeit das Wort geredet.
({0})
Wer der heutigen Debatte gefolgt ist, kann bei allen Emotionen und Zwischenrufen doch wahrlich nicht zu dem Ergebnis kommen, die Abgeordneten des Bundestages hätten die Ehrfurcht vor dem Leben verloren. Ich finde, das gilt im Grunde für alle Fraktionen.
({1})
Wir alle haben in letzter Zeit engagierte Briefe von Bürgern und Initiativen erhalten, die uns zu einer rigoristischen Position im Sinne einer Drohung mit dem Strafrecht auffordern. Ich streite den meisten dieser Menschen ihre aufrichtige ethische Grundhaltung, eine in Erfahrung gewachsene ethische Überzeugung natürlich nicht ab. Aber ich wehre mich entschieden dagegen, wenn ich z. B. in solchen Briefen lese: Fristenlösung ist die Endlösung. - Jeder Vergleich dieser Art sollte nach meinem Gefühl von allen Seiten des Hauses mit aller Entschiedenheit abgelehnt werden.
Ich wehre mich auch dagegen, wenn einige für sich in Anspruch nehmen, die alleinseligmachende Bibelinterpretation zu kennen. Es gibt unter Christen sehr unterschiedliche Auffassungen über den besten Weg zum Lebensschutz. Es hat für mich wenig mit gelebtem Christentum zu tun, wenn jemand glaubt, aus der Bibel ein Rezeptbuch für den politischen Alltag machen zu können.
({2})
Jürgen Busche, der am Ende zu einem anderen Ergebnis kommt als ich, hat treffend in der „Süddeutschen Zeitung" vom 13. Juli festgestellt:
Moral beweist sich immer nur am einzelnen. Kampagnen für die Massen, das Eifern einer Majorität schadet dem Ansehen von Moral empfindlich. Eine häßliche Kampagne kann ein moralisches Gut ins Gegenteil verkehren. Als bewahrende oder gestaltende Kraft im Leben ist Moral das, was sich von selbst versteht, oder sie ist Privatmeinung.
Ich will alles tun, um werdendes Leben zu schützen. Die Frage aber ist, ob Strafandrohung Abtreibungen wirklich verhindert. Es ist nicht erkennbar, daß der § 218 bisher zum Lebensschutz beigetragen hätte. Auch eine normative Wirkung auf die Gesellschaft kann ich im Gegensatz zu meinem Vorredner nicht erkennen. Wer erklärt, die Strafdrohung müsse erhalten bleiben, um die gesellschaftliche Moral zu prägen, der kann sich jedenfalls nicht auf die Lebenswirklichkeit in den letzten 20 Jahren berufen.
({3})
Wieso sollte sich das nun eigentlich ändern? Wenn wir dennoch eine Regelung verabschieden, die dem Strafrecht eine wesentliche Rolle beim Lebensschutz zuweist, wie glaubwürdig sind wir dann eigentlich? Ein Gesetzgeber handelt nicht sehr eindrucksvoll, wenn er eine hehre Moral ins Strafgesetzbuch schreibt, aber nicht willens oder nicht in der Lage ist, die verfolgten Ziele dann auch durchzusetzen. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr säkularisiert. Wir haben unterschiedliche
Friedbert Pflüger
Lebensstile und Werthaltungen. Man mag das bedauern. Manche mögen das für ihren engeren Lebenskreis sogar als Bedrohung empfinden. Aber ein Zurück gibt es nicht.
Friedlich zusammenleben können wir heute und morgen nur, wenn wir den anderen leben lassen und der Staat sich mit der Einmischung zurückhält. Jeder soll seine Wertüberzeugung haben und dafür auch kämpfen; aber darf er sie vorschreiben? Muß der moderne, aufgeklärte Staat mündiger Bürger nicht Rücksicht nehmen auf den Pluralismus der Werte?
In der jungen Gegneration entwickelt sich eine zunehmende Sensibilität für ökologische Zusammenhänge. Wer das Leben in kleinen Biotopen im heimatlichen Dorf schützt, in der Freizeit Nistkästen säubert oder Tunnel für Kröten baut, bei dem darf man auch hoffen, daß er oder sie Einsicht in den Wert von ungeborenem menschlichen Leben hat oder entwickelt. Vielleicht stören wir ja als übereifriger Gesetzgeber diese Bewegung zu mehr Respekt vor dem Leben.
Ich vertraue auf die verantwortliche Entscheidung der Frau. Kaum eine Frau wird es sich leichtmachen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir werdendes Leben gegen den Willen der Mutter wirklich schützen wollen.
({4})
Das hat wirklich nichts mit der Formel „mein Bauch gehört mir" zu tun. Es hat etwas mit der Entscheidungsfreiheit zur Mutterschaft zu tun.
Ich habe neulich mit einer Frau in meinem hannoverschen Wahlkreis diskutiert. Für sie sei Mutterschaft das Schönste auf der Welt, erzählte sie mir. Dies sei deshalb der Fall, weil sie sich frei entschieden habe, ein Kind zu haben und austragen zu wollen. Hätte sie das Kind austragen müssen, so sagte sie mir, dann hätte sie persönlich den eigentlichen Wert der Mutterschaft mit all ihren Pflichten und Lasten gar nicht so richtig abschätzen können.
Ich komme zum Schluß. Wer aus der Schutzpflicht des Staates eine Strafpflicht machen will, der nimmt der Frau einen Teil der Verantwortung und damit auch die Freiheit zu verantwortungsvoller Mutterschaft. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist mit so weitgehenden Pflichten verbunden, daß sie letztlich nur freiwillig übernommen werden kann.
Ich bin vom Arbeitskreis für junge Frauen in der Frauenunion der CDU Niedersachsen aufgefordert worden, mich standhaft dafür einzusetzen, daß die letzte Gewissensentscheidung in den verantwortungsbewußten Händen der Frau liegen soll,
({5})
auch wenn die CDU/CSU-Fraktion in Bonn anderer Meinung sein sollte. Dieser Bitte bin ich aus voller Überzeugung soeben nachgekommen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als nächster hat der Kollege Dr. Wolf Bauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Gestatten Sie auch mir noch ein paar Ausführungen. Zunächst darf ich natürlich auch mein Bedauern darüber ausdrücken, daß wir jetzt praktisch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion alleine sind mit Frau Würfel und drei Vertretern der SPD.
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- Da sitzt auch noch einer. Aber das ist natürlich ein sehr mageres Ergebnis. Es ist ja für eine Debatte wichtig, daß man einen Ansprechpartner hat. Insofern kann man jetzt viele Bemerkungen nicht mehr in der entsprechenden Form vorbringen.
Eines möchte ich allerdings sagen, und da freue ich mich, daß Frau Würfel da ist. Sie hat ja vorhin gefragt, ob wir uns bisher alle die Frage gestellt und alle geprüft hätten, ob wir hinter dem stehen, was wir hier tun. Nun, Frau Würfel, ich kann nur eines sagen, ich kenne sehr, sehr viele Eltern und Erwachsene, die sich schlicht und einfach zum Leben bekennen, ohne Wenn und Aber einfach dazu stehen; davon gibt es sehr viele; das ist also keine Ausnahme.
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Es ist heute öfters gefragt worden, warum hier immer Männer sprechen. Nun, ich sehe in dem Hohen Haus jetzt nur noch drei Frauen. Es wäre natürlich schön, wenn die Frauen alle noch anwesend wären.
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- Entschuldigung!
Ich kann die Frage aus meiner Sicht aber noch viel einfacher beantworten. Daß ich hier spreche, liegt einfach daran, daß meine Frau nicht Abgeordnete ist, hier also nicht sprechen kann. Wenn sie nämlich die Möglichkeit hätte, hier zu sprechen - das hat sie mir mehrmals bestätigt - , würde sie hier im Haus etwas viel Schärferes sagen als das, was ich hier formuliere.
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Eine kurze Bemerkung zu Herrn Pflüger. Gesetz soll doch Leitlinie sein. Ich kann doch nicht alle Möglichkeiten und jede Art der Wirklichkeit einsammeln und darum herum ein Gesetz bauen. Das kann einfach nicht Sinn und Zweck eines Gesetzes sein.
Sie sprachen davon, man müsse den anderen leben lassen. Da haben Sie vollkommen recht. Da haben Sie unsere Unterstützung. Wir wollen das ungeborene Kind leben lassen. Das ist unsere Grundaussage.
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In unserer Gesellschaft sind alle möglichen und unmöglichen Tatbestände strafbewehrt. In mehr als einem halben Dutzend Abschnitten des Strafgesetzbuchs werden Eigentums-, Wirtschafts- und Vermögensdelikte unter Strafe gestellt. Es ist doch ein Armutszeugnis für uns, wenn wir verschiedenste Tatbestände bis ins kleinste festlegen - vor allem auch vor dem Hintergrund des Unrechtsgehalts - , aber bei einer so essentiellen Frage wie der des Schutzes des ungeborenen Kindes dieses Unrechtsbewußtsein mehr oder weniger bewußt zur Seite schieben.
Ein Tierarzt darf ein gesundes Tier nicht töten. Insofern darf es einfach nicht wahr sein, daß unsere Gesellschaft z. B. gegenüber einem gesunden oder auch gequälten Tier ein größeres Rechtsbewußtsein entwickelt als gegenüber einem ungeborenen Kind.
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Die Priorität muß doch eindeutig auf dem Schutz des ungeborenen Kindes liegen.
Meine Damen, meine Herren, das hat doch nichts mit „Gebärzwang" und ähnlichem zu tun. Wer diese Vokabeln braucht, dokumentiert damit doch nur, welche Verachtung er gegenüber dem ungeborenen Leben hat.
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Mit anderen Worten: Wenn wir das ungeborene Kind anderen Sachverhalten gegenüber schlechter stellen, stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Das ist etwas, was auch heute oft eingefordert worden ist.
Ich hoffe, Sie erinnern sich alle noch an die Begründung zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach der Tiere nicht mehr bloße Sachen, sondern - da schmerzempfindende Kreaturen - Mitgeschöpfe sind. Und wie halten wir es mit den ungeborenen Kindern? - Diese Frage stelle ich hier dem Hohen Haus.
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Fristenregelungsurteil eine grundsätzlich gebotene Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruches zum Ausdruck gebracht. Die geltende strafrechtliche Regelung und die Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und FDP leisten der Auffassung Vorschub - diesen Vorwurf mache ich Ihnen -, daß ethisch unbedenklich und erlaubt ist, wofür Straffreiheit zugebilligt wird.
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Durch Formulierungen wie „Schutz des ungeborenen Lebens" wird suggeriert, daß es sich um Leben ganz allgemein handelt, also nicht ganz speziell um menschliches Leben. Nun wird der Begriff „ungeborenes Leben" dem Tatbestand des sich in Entwicklung befindenden menschlichen Lebens in keiner Weise gerecht.
In der letzten Legislaturperiode - darauf möchte ich noch hinweisen - haben wir ein Embryonenschutzgesetz verabschiedet. In diesem Gesetz wird - ich zitiere - „jede Verwendung eines menschlichen Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck ausnahmslos strafrechtlich verboten". Hier werden Embryonen als menschliches Leben angesehen. Und: Embryonen sind nicht verfügbar.
Ich mache Sie alle darauf aufmerksam, daß nunmehr der Versuch unternommen wird, genau das Gegenteil zu tun.
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Denn ich kann in keiner Weise erkennen, wie die Forderung nach dem rechtlichen Schutz eines Embryos und die Forderung nach Straffreiheit bei der Tötung eines ungeborenen Kindes auf einen Nenner zu bringen ist.
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Meine Damen, meine Herren, wer das versucht, unterliegt der Perversion des Denkens - Copyright, wenn ich mich recht erinnere, bei Egon Bahr.
Herr Kollege, würden Sie bitte zum Ende kommen.
Ich bin sofort fertig. Darf ich den Gedanken noch kurz ansprechen? - Es wurde in der heutigen Debatte öfters angesprochen, in welcher Form der Arzt in die Indikationsstellung einbezogen wird. Was den Arzt betrifft, halte ich folgende Frage für viel entscheidender: Dürfen wir einen Arzt eingedenk seines ärztlichen Auftrags, ausschließlich dem Leben zu dienen, in eine Situation drängen, ein gesundes und lebensfähiges ungeborenes Kind zu töten? Ich meine: Nein. Ich habe gestern abend noch mit Ärzten gesprochen, die mich gebeten haben, auf diesen Fakt hinzuweisen.
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Meine Damen, meine Herren, ich bitte Sie alle in der weiteren Beratung um Unterstützung des Antrags der Initiativgruppe Werner.
Ich bedanke mich.
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Als nächstes hat Herr Kollege Dr. Wolfgang Götzer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause alle darüber einig, daß es kein wichtigeres Thema als den Schutz des Lebens gibt und daß es die erste Aufgabe des Staates ist, für den optimalen Schutz des Lebens in jedem Lebensabschnitt zu sorgen. Deshalb hat der Staat auch eine Schutzpflicht für das ungeborene Kind.
Das in der Verfassung verbürgte Recht auf Leben ist auch der Maßstab, an dem jede Neuregelung der §§ 218 ff. zu messen ist. Geschütztes Rechtsgut im Rahmen dieser Vorschrift ist nicht etwa das so oft propagierte Selbstbestimmungsrecht der Frau, sondern einzig und allein das Lebensrecht des ungeborenen Kindes.
Bei einer geschätzten Zahl von weit über 300 000 Abtreibungen im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland ist es offensichtlich weder durch die geltenden Bestimmungen in den alten Ländern noch durch die von der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der neuen Bundesländer übernommenen Fristenregelung gelungen, das Lebensrecht der ungeborenen Kinder ausreichend zu schützen. Notwendig ist deshalb eine Neuregelung, die sowohl den Schutz des ungeborenen Kindes sicherstellt, als auch Konfliktsituationen schwangerer Frauen berücksichtigt.
Zunächst muß allerdings begriffliche Klarheit hergestellt werden:
Dr. Wollgang Götzer
Meine Damen und Herren, wer von „Schwangerschaftsabbruch" redet, verharmlost und verdrängt.
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Abtreibung ist die vorgeburtliche Tötung eines Menschen. Deshalb sind Abtreibungen grundsätzlich Unrecht. Und deshalb kann es auch kein „Recht auf Abtreibung" geben, wie es das verbrecherische Regime der DDR gewährte.
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Weil jede Tötung grundsätzlich Unrecht ist, muß der Staat diese strafrechtlich sanktionieren.
Sicherlich ist der strafrechtliche Aspekt nicht der einzige und allein entscheidende bei der Frage, wie das Leben der ungeborenen Kinder am besten geschützt werden kann.
Für uns, meine Damen und Herren, gehören der Schutz des ungeborenen Kindes und die Hilfe für die schwangere Frau untrennbar zusammen. Schutz des ungeborenen Kindes und Hilfe für die Schwangere sind für uns die beiden Säulen einer Neuregelung.
Deshalb legt die Union im Rahmen der Neuregelung der §§ 218 ff. auch einen beispiellosen Katalog familien- und sozialpolitischer Maßnahmen vor, wie es sie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Aber der Schutz des Lebens ungeborener Kinder bliebe unvollständig ohne seine strafrechtliche Absicherung. Mit dieser können freilich nicht die Probleme gelöst werden, aber das ist auch nicht die Aufgabe des Strafrechts. Das Strafrecht hat die Aufgabe, Unrecht bewußt zu machen und damit zur Bewußtseinsbildung beizutragen, Unrecht zu kennzeichnen, zu verhindern und gegebenenfalls Sanktionen zu ermöglichen.
Wer den bestmöglichen Schutz für die ungeborenen Kinder will, der muß sich darüber im klaren sein: Der Lebensschutz kann nicht „für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden". Meine Damen und Herren, das Recht auf Leben kennt keine Fristen. Eine Fristenregelung ist mit dem Ziel des „besseren" Schutzes ungeborener Kinder - so lautet der Auftrag des Einigungsvertrags - nicht vereinbar. Die Fristenlösung ist darüber hinaus nicht nur verfassungswidrig, sondern auch für jeden Christen inakzeptabel.
Nur eine Indikationsregelung wird dem Problem gerecht.
Wir Unterzeichner des Entwurfs der Initiativgruppe „Schutz der ungeborenen Kinder" sind allerdings der Auffassung, daß die jetzige Regelung in § 218 Abs. 3 Satz 2 nicht so bleiben kann. Auf Kosten des Lebens ungeborener Kinder wurde hier hunderttausendfach Mißbrauch getrieben.
Außerdem genügt es unserer Auffassung nach nicht, wenn die Schwangere dem Arzt eine Notlage lediglich „dargelegt" hat. Wir halten es vielmehr für geboten, daß die entscheidende Voraussetzung für die Straflosigkeit nicht nur schlüssig behauptet wird, sondern objektiv vorliegen und somit auch grundsätzlich gerichtlich überprüfbar sein muß.
Ich hoffe, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, daß es in diesen zwei
Punkten innerhalb der Union im Interesse des Themas doch noch zu einer Einigung kommen wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. In unserer Zeit wird so oft und bei vielen Gelegenheiten - auch heute oft genug - vom Recht auf Leben und insbesondere vom Recht auf Selbstbestimmung gesprochen. Warum sollte dies eigentlich nicht für das ungeborene Kind gelten?
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Als nächstes hat der Kollege Dr. Franz-Hermann Kappes das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen Ende dieser ersten große Aussprache über die vorliegenden Gesetzentwürfe möchte ich Ihnen einige Eindrücke vortragen, die ich heute gewonnen habe.
Erstens - und dies empfinde ich zunächst einmal als positiv - gibt es offenbar eine sehr große Mehrheit in diesem Haus für eine Verbesserung des sozialen und auch materiellen Umfeldes im Sinne der Annahme und gegen die Tötung ungeborener Kinder. Ich hoffe nur, daß all die schönen Worte auch wirklich so gemeint waren, und ich halte es für unerläßlich, daß wir uns auch in Zukunft bei den vielen praktischen Fragen der Alltagspolitik selbst oder gegenseitig daran erinnern.
Zweitens allerdings hatte ich den Eindruck, daß zwar viel davon die Rede war, die Politik müsse sich an der Lebenswirklichkeit, wie es hieß, an der Realität, wie gesagt wurde, orientieren, oder die Grundgegebenheiten unserer gesellschaftlichen Existenz seien zu beachten, tatsächlich jedoch von vielen Kolleginnen und Kollegen naturwissenschaftlich heute eindeutig feststehenden Tatsachen einfach negiert werden. Es ist doch nun einmal so, daß der Mensch schon wenige Wochen nach seiner Zeugung gewissermaßen fertig ist, daß alle seine Organe vorhanden sind, und es ist doch nun einmal Realität, daß dieses eigenständige Leben seine Tötung bereits im Mutterleib nur mit Angst und Schmerzen erleidet. Die angeblich so fortschrittlichen Anhänger sogenannter Fristenlösungen befinden sich vielfach ganz offenkundig auf einem Wissensstand, den man im 19. Jahrhundert oder teilweise auch noch vor wenigen Jahrzehnten besaß. Demgegenüber gehen die hier vorgeschlagenen Indikationsmodelle, so verbesserungsbedürftig sie im einzelnen auch noch sein mögen, von den realen modernen Erkenntnissen der Naturwissenschaften aus.
Drittens wurde hier immer wieder ein Zusammenhang zwischen Strafandrohung und Schutz des sogenannten werdenden Lebens geleugnet. Zugegeben, daß bei einer zum Schwangerschaftsabbruch konkret entschlossenen Frau mit dem Strafrecht im allgemeinen kaum etwas auszurichten ist; und natürlich ist das Strafrecht nicht in der Lage, ernsthafte Schwangerschaftskonflikte zu lösen. Aber darauf kommt es eben nur sehr eingeschränkt an. Entscheidend ist doch - es wurde heute mehrfach gesagt -, daß der Staat die von unserem Grundgesetz anerkannte Wertordnung und damit die prinzipielle Mißbilligung der Tötung menschlichen Lebens in den Köpfen, meine Damen
und Herren, der Bürgerinnen und Bürger bewußt halten muß. Dazu reichen noch so großzügige materielle Hilfen nicht aus. Nach meiner persönlichen Überzeugung gibt bei unserem Wohlstand in sehr vielen Fällen die finanzielle Seite ohnehin nicht den Ausschlag.
Für den unerläßlichen Ausdruck der staatlichen Mißbilligung gibt es, auch im Hinblick auf die Strafbarkeit der Verletzung viel niedriger zu bewertender Rechtsgüter als das menschliche Leben, keine wirkliche Alternative. Der Mann oder die Frau auf der Straße würden den Verzicht auf die Strafandrohung für eine bestimmte Frist zweifellos so verstehen, als habe der Staat des Grundgesetzes gegen die Tötung ungeborener Kinder in den ersten Monaten grundsätzlich keine schwerwiegenden Einwände mehr.
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Viertens, meine Damen und Herren, muß in diesem Sinne auch einmal klargestellt werden, daß die Wertordnung unseres Grundgesetzes zumindest in der Frage des menschlichen Lebens jenen Wertpluralismus, von dem auch Sie, Herr Pflüger, eben gesprochen haben und von dem hier heute mehrmals die Rede war, nicht zuläßt. Unsere Verfassung ist zwar in gewisser Weise weltanschaulich neutral; aber an den von ihr als bindend anerkannten obersten Werten des menschlichen Zusammenlebens darf und kann auch vom Deutschen Bundestag nicht gerüttelt werden.
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Dabei geht es überhaupt nicht darum, daß nun etwa die Christen in unserem Lande - auch das klang gelegentlich an - den immer zahlreicheren Nichtchristen ihre Auffassungen aufzwingen wollten. Aber unsere Verfassung beginnt aus gutem Grunde mit den Worten: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ...". Natürlich geht es uns allen um die Menschen; aber von Gott muß dabei zwangsläufig ebenso die Rede sein, und da gilt grundsätzlich: Du sollst nicht töten!
Fünftens schließlich hat mir unsere Aussprache in einer Reihe von Beiträgen erschreckend bewußt gemacht, wie gering manche in diesem Hause die Autorität unseres obersten Gerichtes zu achten scheinen. Formulierungen wie, der Bundestag sei kein Anhängsel des Bundesverfassungsgerichts, und ähnliche lassen eine höchst bedenkliche Einstellung zum Rechtsstaat erkennen, ganz abgesehen davon, daß eine Art laufender Anpassung der Rechtsprechung unseres obersten Gerichts an jeweils zeitgemäße Anforderungen oder gar an einen fortschreitenden Wertewandel das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in Recht und Gerechtigkeit grundlegend erschüttern müßte.
Ich komme zum Schluß. Deshalb spreche ich auch so schnell, um mit meinem Manuskript fertig zu werden.
Schließlich: Ich hoffe sehr - das ist mir sehr wichtig, und ich bin als Mitunterzeichner des Entwurfs der „Initiativgruppe für den Schutz des ungeborenen Kindes" in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eigentlich auch guten Mutes -, daß sich die zwei hier vorgeschlagenen Indikationslösungen noch zusammenführen lassen. Ich meine, im Kern wird es dabei darum gehen, die in dem Fraktionsentwurf angelegte erhebliche Möglichkeit des Mißbrauchs durch eine gewisse - wenn auch nur sehr begrenzt mögliche - Objektivierung zu erschweren. Dies sollte bei gutem Willen aller Beteiligten möglich sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ganz so schnell wäre es nun nicht notwendig gewesen.
Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen vorliegen. Wie ich gehört habe, sind die beiden Kollegen nicht mehr anwesend. Ich möchte mich jetzt nur vergewissern, daß die beiden Kollegen tatsächlich nicht da sind. - Die Kollegen Gerhard Pfeffermann und Georg Brunnhuber sind beide nicht anwesend. Damit sind wir am Ende unserer Rednerliste heute angekommen, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen.
Ich bedanke mich bei Ihnen allen. Wir können uns bei uns selbst bedanken, daß wir heute, glaube ich, eine gute erste Beratung zu einem komplizierten Sachverhalt hatten.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/551, 12/696, 12/841, 12/898, 12/1178 ({0}), 12/1179, 12/490 und 11/6895 zur federführenden Beratung an den Sonderausschuß „Schutz des ungeborenen Lebens" und zur Mitberatung an den Ausschuß für Frauen und Jugend, an den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, an den Ausschuß für Familie und Senioren und an den Ausschuß für Gesundheit zu überweisen.
Des weiteren ist interfraktionell vereinbart, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/551, 12/696, 12/841, 12/898, 12/1178 ({1}) und 12/1179 außerdem an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zu überweisen. Darf ich dazu um Ihr Einverständnis bitten? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; somit liegt es vor. Dann verfahren wir so.
Daneben sollen die Vorlagen auf den Drucksachen 12/551, 12/841, 12/1178 ({2}) und 12/1179 auch noch an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 12/6895 soll zusätzlich dem EG-Ausschuß überwiesen werden. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen langen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. September 1991, 9 Uhr ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen einen schönen Abend.