Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/25/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt: 1. Vereinbarte Debatte über ausländerfeindliche Ausschreitungen 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Werner Schulz ({0}), Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mitgliedschaft der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Enquete-Kommissionen - Drucksache 12/1177 Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett u. a. mit dem Gesetzentwurf zum Abkommen mit der Sowjetunion über die Seeschiffahrt befaßt hat. Ich erinnere an unsere Regeln, nach denen im Anschluß an diese Thematik Fragen zu anderen Bereichen gestellt werden können. Ferner hat die Bundesregierung mitgeteilt, daß der Bundesminister für Verkehr berichtet. Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Herr Professor Dr. Günther Krause.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat heute dem Entwurf des Einführungsgesetzes zu dem bereits am 7. Januar 1991 in Bonn unterzeichneten deutsch-sowjetischen Seeschiffahrtsabkommen zugestimmt. Den entscheidenden Anstoß dafür, daß die Unterzeichnung nach nahezu 13jähriger Verhandlungsdauer erfolgen konnte, haben die Vereinigung Deutschlands sowie der zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR im November 1990 geschlossene Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit gegeben. Mit der grundlegend veränderten politischen Lage und den tiefgreifenden Wirtschaftsreformen in Osteuropa wurden die Voraussetzungen für eine neue Qualität auch in den bilateralen Verkehrsbeziehungen geschaffen. So bedarf der Übergang zu Marktwirtschaft und Wettbewerb auch in der Seeschiffahrt einer tragfähigen rechtlichen Grundlage. Das vorliegende Seeschiffahrtsabkommen trägt diesem Erfordernis Rechnung. Neben technischen Regelungen für einen reibungslosen Reiseverkehr und Warenaustausch zwischen beiden Ländern über See erleichtert das Abkommen u. a. die Weiterführung der Gemeinschaftsliniendienste im bilateralen Verkehr, die Einbindung des sowjetischen Drittlandverkehrs über deutsche Häfen in das deutsch-sowjetische Seeverkehrsverhältnis und die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen. Den Stellenwert der deutschsowjetischen Seeschiffahrtsbeziehungen verdeutlicht ein Gütervolumen von mehr als 9 Millionen t. Diese Zahl bezieht sich allerdings auf das bisherige Bundesgebiet und auf das Jahr 1989. Die Bedeutung des Schiffahrtsvertrages wird durch eine Reihe von regelmäßigen Seeverkehrsverbindungen unterstrichen. Das zeigt die unlängst zwischen Kiel und St. Petersburg eröffnete Fährschiffslinie. Neben den langjährigen regelmäßigen Gemeinschaftslinien zwischen Hamburg, Rostock und St. Petersburg soll im Dezember dieses Jahres auch der Fährverkehr zwischen Lübeck und Königsberg aufgenommen werden. Das vorliegende Seeschiffahrtsabkommen ordnet sich ein in eine Reihe der seit kurzem mit anderen ost- und mitteleuropäischen Staaten abgeschlossenen Schiffahrtsverträge. Im Hinblick auf die Eröffnung des Main-Donau-Kanals - voraussichtlich im September 1992 - wurden Binnenschiffahrtsabkommen mit den Donauanliegern Ungarn, CSFR, Bulgarien, Jugoslawien, Rumänien und Sowjetunion abgeschlossen bzw. paraphiert. Das Abkommen mit der Sowjetunion soll so bald wie möglich nach Abschluß des innerstaatlichen Verfahrens durch die UdSSR unterzeichnet werden. Danke schön.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wer hat eine Frage? - Herr Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich begrüße sehr die Tatsache, daß hier nach langer Vorarbeit etwas Vernünftiges fertiggestellt wurde, möchte die Bundesregierung aber fragen, ob sie angesichts der neuen Situation im Baltikum in Verbindung mit der völkerrechtlichen Anerkennung dreier Staaten Überlegungen nähertreten wird, in Vertragsverhältnisse auch mit diesen Staaten einzutreten, und ob sie eine Einschätzung abzugeben in der Lage ist, was die Bereitschaft dieser Staaten zu einem solchen Schritt angeht.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Ich denke, daß sich die Verhandlungen zum Vertrag mit der Sowjetunion durch die völkerrechtliche Anerkennung der Staaten des Baltikums nicht erübrigen, sondern daß daraus die Notwendigkeit erwächst, daß wir über die Fragen der Seeschiffahrt getrennt neu mit diesen Staaten verhandeln.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Richter, eine weitere Frage.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Manche der wichtigen Probleme der Seeschiffahrt sind bilateral nicht lösbar. Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sie angesichts der Bedeutung der Seeschiffahrt für eine Handelsnation wie die Bundesrepublik und angesichts der gleichzeitig abnehmenden realen Bedeutung von Tiefseebergbauaktivitäten einmal dem Gedanken nähergetreten ist, im Hinblick auf die inzwischen eingetretenen Veränderungen eine Annäherung an das UNO-Seerechtsübereinkommen erneut zu bewerten?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wer antwortet für die Bundesregierung? - Herr Minister Krause.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Auch diese Frage ist vor allem in Verbindung mit der völlig veränderten politischen Situation in Europa neu auf die Tagesordnung zu setzen. Ich möchte hier nur zwei Aktivitäten erläutern. Wir haben eine Veranstaltung zur Binnenschiffahrt sehr unterstützt, die vor kurzem in Budapest stattgefunden hat und deren Zielsetzung darin bestand, die Binnenwasserstraßen in ganz anderer Form, auch in Vorbereitung multinationaler Verträge, neu zu organisieren. Als zweites haben wir im Auge, daß der Anteil der Seeschiffahrt auch zur Entlastung beispielsweise der die Alpen querenden Verkehre in der Europäischen Gemeinschaft eine andere Bedeutung erlangen muß. Vielleicht sei mir noch gestattet, auf folgendes hinzuweisen: Es wird immer viel über die Schiene diskutiert, aber die Schiffahrt ist zum einen der umweltfreundlichste Verkehrsträger und zum anderen auch derjenige Verkehrsträger, der zur Zeit noch die größten freien Ressourcen hat.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gibt es weitere Fragen? - Herr Abgeordneter Küster.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage die Bundesregierung, inwieweit sie die Häfen Rostock und Mukran in das Konzept für die Personenschiffahrt und den Güterverkehr mit einbezogen hat.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Krause.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Die Häfen Rostock und Mukran sind einerseits in den Verhandlungen mit der Sowjetunion von Bedeutung. Sie sind aber vor allem von Bedeutung im Hinblick auf die Neuordnung der Skandinavienverkehre. Wir haben beispielsweise in Finnland Gespräche mit der Zielsetzung geführt, daß gegebenenfalls der breitspurfähige Hafen Mukran auch zukünftig für Fährverbindungen nach Finnland genutzt wird, so daß wir davon ausgehen können, daß der maritime Anteil der Ostsee, den die ehemalige DDR durch die deutsche Einheit eingebracht hat, bei der Neuordnung der europäischen Verkehrssysteme mit berücksichtigt wird. Im übrigen sind wir zur Zeit gerade in Verhandlungen darüber, wie wir eine neue Ordnung, vielleicht auch eine andere gesellschaftsrechtliche Lösung für den Hafen Mukran vorsehen. In den nächsten Tagen sind bei uns im Ministerium sowohl der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Reichsbahn als auch die DSR und der Hafen Mukran zu diesem Thema vertreten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich offene Fragen zu anderen Themenkomplexen auf. Wünscht dazu jemand das Wort? - Bitte schön.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich habe eine Frage an die Vertreterin des Auswärtigen Amtes. In der letzten Woche haben deutschfranzösische Konsultationen stattgefunden. Mich würde interessieren, welche Position das Auswärtige Amt bezüglich der von Frankreich beabsichtigten Neuaufstellung von atomaren Kurzstreckenraketen vertritt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Danke, Herr Augustinowitz. - Frau Ministerin, bitte schön.

Not found (Gast)

Nach meinen Informationen denkt die französische Regierung nicht daran, diese von Ihnen genannten Waffensysteme zu dislozieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage, Herr Augustinowitz.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber es ist doch in der Presse zu lesen, daß diese Raketen zumindest eingelagert werden sollen. Daher meine Zusatzfrage: Ist über dieses Thema in dem vor drei Jahren eingerichteten deutsch-französischen Sicherheitsrat schon einmal diskutiert worden? Denn diese Raketen mit einer Reichweite von ca. 400 km können fast ausschließlich deutsches Territorium erreichen. Auf Grund der veränderten Situation und auch vieler Dinge, die hier hinzukommen, ist es sicherlich an der Zeit, sich auch mit der französischen Regierung hierüber einmal zu unterhalten.

Not found (Gast)

Herr Kollege, dies war Gegenstand der Gespräche. Grundsätzlich möchte ich dazu sagen, daß der Außenminister gerade in letzter Zeit vermehrt darStaatsministerin Ursula Seiler-Albring auf gedrängt hat, daß Waffensysteme dieser Art, vor allen Dingen mit der von Ihnen genannten Reichweite, grundsätzlich abgeschafft und vernichtet gehören.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Letzte Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, könnten Sie dem Parlament bitte sagen, mit welchem Ergebnis die Konsultationen auf diesem Gebiet in der letzten Woche geendet haben?

Not found (Gast)

Ich sagte es bereits, Herr Kollege. Nach unseren Informationen beabsichtigt die französische Regierung nicht, die vorgesehene Dislozierung dieser Waffensysteme vorzunehmen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Otto, bitte.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich habe eine Frage an die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 1989. Hat das Bundeskabinett heute einen Beschluß gefaßt, der die Zeichnung dieses Übereinkommens befürwortet?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wer antwortet? - Herr Lintner.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Das im Europarat verabschiedete Fernsehübereinkommen ist bereits von 17, darunter allen größeren europäischen Staaten gezeichnet worden. Die Bundesregierung, die sich mit den Ländern nachdrücklich für dieses Übereinkommen eingesetzt hatte, kann erst jetzt über die Zeichnung für Deutschland beschließen, nachdem nunmehr Brandenburg als letztes Land das im Hinblick auf die Lindauer Absprache erbetene Einverständnis erteilt hat. Die Unterzeichnung soll jetzt auf der dritten europäischen Ministerkonferenz über Massenmedienpolitik am 9. und 10. Oktober dieses Jahres in Nikosia erfolgen. Damit wird dem vom Europarat geäußerten Wunsch Rechnung getragen, daß zeichnungsbereite Mitgliedstaaten wegen der besonderen Öffentlichkeitswirkung ihre Zeichnung auf dieser Konferenz vornehmen sollen. Ziel des Übereinkommens ist die Sicherstellung des freien Empfangs und der ungehinderten Weiterverbreitung von Fernsehsendungen in den Vertragsparteien. Reicht Ihnen das?

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vorerst ja. Herr Staatssekretär, meine nächste Frage: Sieht die Bundesregierung einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf oder, genauer gesagt, einen Handlungsbedarf im Bereich der Rundfunkstaatsverträge, wenn dieses Übereinkommen für Deutschland ratifiziert wird? Gibt es Anpassungsnotwendigkeiten?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Diese Frage kann ich Ihnen aus dem Stegreif nicht beantworten. Ich biete Ihnen an, daß Ihnen die Antwort schriftlich zugeht.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Weitere Fragen zu anderen Komplexen? - Wenn das heute nicht der Fall ist, frage ich die parlamentarischen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen, ob eine Unterbrechung bis zur Fragestunde stattfinden soll oder ob wir weitermachen sollen. Jedenfalls schließe ich die Befragung der Bundesregierung. Herzlichen Dank. Ich unterbreche kurz die Sitzung, damit die Fraktionen prüfen können, ob die Fragesteller da sind. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir haben gerade beraten und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir doch bis 13.35 Uhr warten müssen; denn sonst kommen die Fragesteller und Fragestellerinnen nicht zu ihrem Recht.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, darf ich einen Vorschlag unterbreiten? Es ist ja keine ungewöhnliche Situation: Die Regierungsbefragungen dauern öfter nicht so lange, wie es vorgesehen ist. Sofern Fragesteller da sind, können wir deren Fragen vorziehen. Dadurch gewinnen wir Zeit. Dies rege ich an.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Dann muß ich die Geschäftsführer fragen, ob sie damit einverstanden sind. - Bis das geklärt ist, unterbreche ich die Sitzung wiederum für einige Minuten. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksachen 12/1175, 12/1180 Ich rufe als erstes die dringliche Frage 1 des Abgeordneten Hans Wallow zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf: Sind die von der US-Regierung ausgesprochenen Androhungen von Militäraktionen gegen Ziele im Irak im Einverständnis mit der UNO erfolgt, oder handelt es sich dabei um eine bilaterale Androhung von Kriegshandlungen?

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Präsident der Vereinigten Staaten hat am 18. September 1991 im Zusammenhang mit der Weigerung Iraks, Hubschraubern der UN-Sonderkommission zur Abrüstung des Irak den Überflug über sein Territorium zu gestatten, erklärt, daß er - ich zitiere wörtlich - „von Herrn Saddams Widerstand gegen die VN-Inspektionen die Nase voll" habe. Er hat angekündigt, daß er die US-Luftwaffe autorisiert habe, die UN-Hubschrauber bei ihren Inspektionen im Irak zu begleiten. Gleichzeitig hat er betont, daß er nicht glaube, daß ein Einsatz gegen irakische Streitkräfte notwendig werde. Er hat die Erläuterung hinzugefügt, daß es sich hierbei nicht um eine Drohung handele, sondern um den Ausdruck amerikanischer Entschlossenheit, eine erfolgreiche Arbeit des Inspektionsteams sicherzustellen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage? - Bitte.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, sollte der Irak den mittlerweile ultimativen Forderungen nach Bewegungsfreiheit der Rüstungsinspektoren nicht nachkommen, tritt dann die Bundesregierung für eine erneute Anwendung von Gewalt ein?

Not found (Gast)

Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihnen zunächst den ganz aktuellen, sich heute ergebenden Sachstand vortrage? ({0}) Die irakische Regierung hat einen Brief an den Sicherheitsrat geschickt, in dem der Irak die Annahme der Resolution 687 und anderer einschlägiger Resolutionen, d. h. auch der Resolution 707, erklärt. ({1}) - Ohne Bedingungen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Hans Wallow auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, daß die der UNO für die Inspektionsteams im Irak zur Verfügung gestellten drei Bundeswehrhubschrauber einschließlich Besatzung bei den von der US-Regierung dem Irak angedrohten Militäraktionen gefährdet sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege Wallow, bis heute liegt noch kein konkreter Beschluß der Sonderkommission vor, die drei ihr von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Hubschrauber bei einer bestimmten Inspektion einzusetzen. Die Hubschrauber befinden sich unverändert auf türkischem Hoheitsgebiet. Die Bundesregierung kann daher keine Konsequenzen irgendwelcher Art ziehen, da sich die drei Hubschrauber nicht im Irak befinden und folglich nicht gefährdet sein können.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Wallow.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, wird die Bundesregierung denn, falls es zu einem militärischen Geleitschutz kommen sollte, den Einsatz der Hubschrauber weiter befürworten?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Diese Frage werden wir dann prüfen, wenn sie sich stellt. Wir haben nicht die Absicht, unsere Hubschrauber in militärische Einsätze hineinzubringen. Dies schließt unsere Verfassung aus, Herr Kollege.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie noch einmal nach der innerstaatlichen Rechtsgrundlage befragen, auf deren Basis sich die Hubschrauber dort aufhalten?

Not found (Gast)

Dies ist im Rahmen der Zusagen erfolgt, die wir gemacht haben, um einen Erfolg der Friedensmission bzw. die Sicherung des Waffenstillstandes und die in den verschiedenen Resolutionen geforderte Vernichtung des Waffenpotentials zu erreichen. ({0}) - Darf ich Ihnen die genaue Antwort schriftlich zukommen lassen, Herr Kollege?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, da die Spannungen im Irak auch dadurch entstanden sind, daß die Inspektoren umfangreiches Material sichergestellt haben, das der Irak für die Produktion von A-Waffen nutzen wollte, und da sich nach Presseberichten darunter auch Anlagen deutscher Provenienz und deutschsprachige Unterlagen befinden, möchte ich Sie fragen, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um die Namen der dort beteiligten deutschen Firmen festzustellen, damit sich nicht das Risiko, in das UNO-Inspektoren und andere gebracht werden, in Zukunft durch ähnliche Rüstungstransfers wiederholen kann.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung ist wirklich bemüht, die Firmen, die sich hier, wie Sie sagen, laut Presseberichten entsprechend betätigt haben, festzustellen. Wir haben bei der Sonderkommission einen offiziellen Antrag in bezug auf die Feststellung dieser Firmen gestellt. ({0}) - Darf ich kurz nachfragen? - Im August dieses Jahres.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nun sind ja die neuesten Informationen nur zwei Tage alt.

Not found (Gast)

Sie werden durch diesen Antrag, Herr Kollege Gansel, selbstverständlich mit abgedeckt.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es nicht -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Gansel, Sie haben keine weiteren Fragen. ({0})

Not found (Gast)

Da kann ich Ihnen nur beipflichten, Herr Kollege Gansel. Frau Präsidentin, ich darf darum bitten, daß ich die Frage des Abgeordneten Wallow zur rechtlichen Situation noch beantworten kann, weil ich die entsprechenden Unterlagen zugereicht bekommen habe.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bitte, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Herr Kollege Wallow, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über den Streitkräfteeinsatz, die in Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes enthalten sind, stehen der Erfüllung dieser Verpflichtung nicht entgegen. Die für die UNSCOM in den Irak abgestellten Soldaten erbringen keine militärtypischen Beiträge, sondern einen abrüstungsspezifischen Beitrag durch wissenschaftlich-technische sowie logistische Unterstützung dieser im Rahmen der Vereinten Nationen durchgeführten Tätigkeiten. Die Mitwirkung von Bundeswehrangehörigen im Irak ist insofern mit dem Beitrag zu vergleichen, den Soldaten der Bundeswehr seit mehreren Jahren bei der Verifikation von Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung im europäischen Ausland auch über den NATO-Bereich hinaus leisten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage zu dieser zweiten dringlichen Frage.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, welchen Rechtsstatus haben die Soldaten, falls es zu Gewaltanwendungen kommt? Das kann man ja in einer Krisenregion nicht ausschließen. Haben sie Kombattantenstatus, oder welchen Status haben sie dort?

Not found (Gast)

Diese Soldaten haben den gleichen Status wie ihre Kollegen aus anderen Ländern, die an diesen Missionen beteiligt sind: Sie sind UN-Beamte.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Jungmann, eine Zusatzfrage.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, Sie haben gerade gesagt, daß deutsche Soldaten im Rahmen von internationalen Verträgen Verifikationsaufgaben außerhalb der NATO und außerhalb des Vertragsgebietes der KSZE wahrgenommen haben. Können Sie sagen, in welchen Ländern das war?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Ich habe nicht gesagt: außerhalb des KSZE-Gebietes, Herr Kollege Jungmann, sondern ich habe gesagt: über den Rahmen der NATO hinaus.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsminister, tragen die Bundeswehrsoldaten, die in den Irak entsandt worden sind oder entsandt werden sollen - und denen wir glückliche Heimkehr wünschen, nachdem sie ihren Auftrag erfüllt haben - , Bundeswehruniform oder die von UNO-Beauftragten in besonderen Einsätzen üblicherweise besonders vorgesehene Kleidung?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, die deutschen Bundeswehrsoldaten tragen bei ihren Einsätzen Zivil.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Damit ist dieser Komplex mit dem Fragereservoir erschöpft. Danke schön, Frau Staatsministerin. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Ortwin Lowack auf : Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Fehler im Einigungsvertrag zu korrigieren, wonach auf Besatzungs-,,Recht" beruhende Enteignungen im Gebiet der früheren SBZ nicht mehr rückgängig zu machen wären, nachdem diese Regelungen nach Angaben der Bundesregierung auf Forderungen des Generalsekretärs der KPdSU beruhen sollen, die KPdSU zwischenzeitlich aber in vielen Bereichen der Sowjetunion verboten und der Generalsekretär zurückgetreten ist? Es antwortet Herr Staatssekretär Funke.

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Der Restitutionsausschluß bei Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 6. Oktober 1949 stellt keinen Fehler im Einigungsvertrag dar, wie Sie es mit Ihrer Frage unterstellt haben. Die Bundesregierung hatte seinerzeit nicht die Wahl, eine anderslautende Regelung zu treffen. Denn die Sowjetunion - und nicht, wie Sie es mit Ihrer Frage unterstellen, die KPdSU - hatte wiederholt mit Nachdruck betont, daß sie die Unantastbarkeit der unter ihrer Besatzungshoheit vollzogenen Enteignungen als unverzichtbare Voraussetzung für die Klärung der äußeren Aspekte des Einigungsprozesses ansehe. Sie hat am 17. August 1990 den Entwurf einer abschließenden völkerrechtlichen Regelung in bezug auf Deutschland vorgelegt, der die Anerkennung der Legitimität und der Unumkehrbarkeit dieser Enteignungen vorsah. Die Sowjetunion hat sich von ihrer Forderung, diese Passage in den Zwei-plusVier-Vertrag aufzunehmen, nur deshalb abbringen lassen, weil die Gemeinsame Erklärung beider deutscher Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen inzwischen Bestandteil des Einigungsvertrages geworden war. Sie bestand aber gleichwohl auf einer förmlichen Mitteilung, die in Gestalt des Gemeinsamen Briefes der beiden deutschen Außenminister im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages erfolgte. Ohne den Verzicht auf die Rückgängigmachung der Enteignungen zwischen 1945 und 1949 wäre die Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 nicht zustande gekommen. Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, diese Entscheidung zu korrigieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage, Herr Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Nachdem Sie selbst gesagt haben, daß die Bundesregierung damals nicht in der Lage gewesen wäre, etwas anderes durchzusetzen, sollte das nicht eigentlich den Schluß nahelegen, daß angesichts des himmelschreienden Unrechts, das mit dieser Regelung gegenüber den Berechtigten zum Ausdruck gekommen ist - was auch Gegenstand verschiedener Verfassungsbeschwerden wurde -, ein Nachdenken und eventuell eine Überprüfung stattfinden kann, zumal sich in der Sowjetunion in der Zwischenzeit gewaltige Veränderungen ergeben haben, die durchaus den Schluß zulassen, daß auch in der sowjetischen Führung heute eine andere Auffassung vertreten wird als früher? ({0})

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Kollege, die Ungerechtigkeit, die Sie hier ansprechen, war Gegenstand von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen. Diese sind Ihnen bekannt. Die Entscheidung datiert vom 23. April 1991. Die Regelungen im Einigungsvertrag sind als verfassungsgemäß bezeichnet worden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich darf vielleicht ergänzend darauf hinweisen, daß das Verfassungsgericht auch angesprochen hat, daß die Betreffenden entschädigt werden sollen und daß die Art der Entschädigung durchaus einen gewissen Spielraum offenläßt. Liegt es nicht nahe, daß die Bundesregierung selbst angesichts der nicht besonders rosigen Haushaltslage eine Zurückübereignung von Eigentum erwägen könnte und nicht den Weg geht, den Sie anscheinend vorzeichnen möchten?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Kollege, es ist Ihnen bekannt, daß Entschädigungsregelungen nicht im Bundesjustizministerium, sondern im Bundesfinanzministerium vorbereitet werden. Ihnen ist aber sicherlich auch bekannt, daß die Eckdaten einer möglichen Entschädigung im Bundesfinanzministerium nunmehr im Prinzip festgelegt worden sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon einmal erwogen, auf die Möglichkeit zuzusteuern - die auch das Völkerrecht immer wieder eröffnet - , daß man wegen der veränderten Verhältnisse mit dem Vertragspartner in Gespräche eintritt, um gegebenenfalls Verbesserungen früherer, unter dem Zwang der damals bestehenden Verhältnisse getroffener Absprachen zu erreichen? Dies würde hier konkret bedeuten: Hat sich die Bundesregierung schon an die jetzige, neue Regierung in Moskau gewandt und einmal sondiert, inwieweit Bereitschaft bestünde, durch eine nachträgliche Änderung oder Verbesserung dieser damaligen Vereinbarungen wenigstens die gröbsten Ungerechtigkeiten zu beseitigen?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Herr Kollege Jäger, der Vertrag ist noch nicht allzu alt. Es bestand also überhaupt noch keine Veranlassung, hier an die Sowjetunion heranzutreten. Die Unterstellung, daß es sich hier um besonders grobe Ungerechtigkeiten handelt, weise ich zurück. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu das Richtige gesagt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jungmann.

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es eigentlich üblich, daß kurzfristig zustande gekommene völkerrechtliche Verträge bei Wechsel der Regierung ({0}) wieder zur Disposition gestellt werden?

Rainer Funke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000624

Das ist mir nicht bekannt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Funke, bedanke ich mich für Ihre Auskünfte. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 2 des Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in den neuen Bundesländern Kriegsversehrte jetzt mitunter schon mehr als acht Monate auf ihre Kriegsopferrente warten müssen?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Dr. Brecht, vorab möchte ich darauf hinweisen, daß die Zuständigkeit für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes bei den Ländern liegt. Was die Bundesregierung angeht, so kann ich Ihnen jedoch versichern, daß sie alles in ihren Kräften Stehende getan hat und auch weiterhin tut, damit die Kriegsopfer endlich die ihnen zustehenden Entschädigungsleistungen erhalten. Dies - so unterstelle ich einmal - werden auch die beteiligten neuen und alten Bundesländer für sich in Anspruch nehmen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat dementsprechend bereits Mitte des vergangenen Jahres die Initiative ergriffen und mit den westlichen Bundesländern Konzepte für eine partnerschaftliche Hilfe zum Aufbau der in den neuen Ländern bis dahin nicht existierenden Versorgungsverwaltungen entwickelt. Bis heute werden vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wichtige Koordinierungsaufgaben wahrgenommen und finanzielle Hilfen bei der Schulung der neuen Mitarbeiter gewährt. Im Haushalt 1991 stehen dafür immerhin 15 Millionen DM bereit. Erst kürzlich hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bei den Länderarbeitsministern noch einmal mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß die Länder ihre bereits erheblichen Anstrengungen noch weiter verstärken, um im Interesse der betagten Berechtigten den Antragsstau möglichst rasch abzubauen. Dies gilt insbesondere für den Bereich des versorgungsärztlichen Dienstes. Was die Tatsache betrifft, daß die Personalausstattung der Behörden noch immer nicht ausreicht - hier sehe ich die HauptursaParl. Staatssekretär Horst Günther che dafür, daß es nicht schneller vorangeht -, weise ich darauf hin, daß die Personalhoheit bei den Bundesländern liegt. Der Bund hat auch hier keine Aufsichts- oder gar Weisungsbefugnis; er kann sich lediglich immer wieder mit Appellen an die Länder wenden. Bis Ende August dieses Jahres waren in den neuen Ländern rund 280 000 Anträge auf Kriegsopferversorgung registriert. Bis zum gleichen Zeitpunkt gab es über 50 000 Zahlungsbescheide. Rund 100 Millionen DM sind damit bereits an die Berechtigten ausgezahlt. Angesichts dieser Zahlen habe ich allerdings volles Verständnis für die Ungeduld der Betroffenen, die mehr als 40 Jahre auf eine angemessene Kriegsopferversorgung haben warten müssen. Vier Jahrzehnte können jedoch - dafür bitten wir um Verständnis - nicht in wenigen Monaten aufgeholt werden. Dennoch müssen die Versorgungsverwaltungen der Länder mit aller Kraft an dem dringend notwendigen Abbau des Antragsstaus arbeiten. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird nicht nachlassen, an die Länder zu appellieren, ihre Anstrengungen in diesem Bereich zu intensivieren. Ich füge hinzu: Ich werde auf der kommenden Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Länder am 10. und 11. Oktober in Berlin dies ganz persönlich noch einmal thematisieren.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Brecht, eine Zusatzfrage.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre Ausführungen. Würde die Hilfeleistung der Bundesregierung so weit gehen, daß sie kurzfristig - ich betone: kurzfristig - durch einen Beamtentransfer den Aufbau der entsprechenden Versorgungsämter beschleunigen könnte?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Ich denke, daß wir personell, Herr Kollege Dr. Brecht, hier überfordert sind. Auch die Kapazität, was die Qualität und die Bearbeitungsmöglichkeiten angeht, ist bei den Ländern viel stärker angesiedelt. Deshalb haben wir ja mit den Ländern gemeinsam diese Partnerschaften entwickelt. Wir haben, glaube ich, personalkapazitätsmäßig auch nicht die richtigen Leute, um hier kurzfristig einzuspringen. Ich werde, weil wir alles versuchen, was hilft, dennoch dies noch einmal prüfen lassen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die bei der ehemaligen Sozialversicherung der DDR bereits vorhandenen Unterlagen, die zur Gewährung der Kriegsopferrente vorliegen müssen, akzeptiert werden sollten, um das Verfahren der Anerkennung zu beschleunigen?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Das Verfahren der Anerkennung ist reine Ländersache. Die entsprechenden Vorschriften müssen beachtet werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gansel, eine Zusatzfrage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da die meisten Ansprüche der Kriegsopfer, die ja schon anhängig sind, nicht dem Grund nach strittig sind, sondern nur der Höhe nach strittig sein werden, frage ich die Bundesregierung, ob sie bereit ist, die Versorgungsämter anzuweisen, großzügig von der Möglichkeit des Sozialgesetzbuchs Gebrauch zu machen, Vorschüsse zu zahlen.

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Herr Kollege Gansel, ich werde prüfen, ob diese Anweisung möglich ist. Ich werde auch das in die Besprechung mit den Landesministern Anfang Oktober einbeziehen. ({0}) - Ja, gern; selbstverständlich.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Da nach meiner Kenntnis nicht nur die Höhe der auszuzahlenden Beträge noch strittig ist, hätte ich gern nachgefragt, ob die Bundesregierung nicht auf dem gleichen Weg Möglichkeiten eines vereinfachten Anerkennungsverfahrens sieht - denn es ist nach fast 50 Jahren ziemlich schwierig nachzuweisen, daß man z. B. in diesem und jenem Schützengraben den Arm verloren hat -, ob beispielsweise eine eidesstattliche Erklärung genügen könnte.

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Herr Kollege Dr. Seifert, ich kann das nur aufgreifen und mit den Ländern besprechen. Ich habe schon soeben in diesem Zusammenhang gesagt, daß ich das gern tun werde.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es weitere Zusatzfragen zu diesem Themenbereich? - Das ist nicht der Fall. Herr Staatssekretär Günther, ich bedanke mich für die Beantwortung. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Hintze erschienen. Es wird um schriftliche Beantwortung der Frage 3 der Abgeordneten Renate Schmidt gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Regina SchmidtZadel auf: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor über Art und Umfang der Aktivitäten von Sekten und Jugendsekten auf dem Gebiet der fünf neuen Bundesländer seit dem 3. Oktober 1990? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Präsident! Frau Kollegin! Amtliche Erkenntnisse über Art und Um3558 fang der Aktivitäten der Jugendsekten liegen der Bundesregierung nicht vor. Aus Kreisen der Beauftragten für Sekten und Weltanschauungsfragen der Kirchen ist der Bundesregierung aber bekannt, daß Jugendsekten seit dem 3. Oktober 1990 in zunehmendem Maße versuchen, in den neuen Bundesländern ihre Interessen zu verfolgen. Sie machen sich dabei die Tatsache zunutze, daß die Bevölkerung in den neuen Bundesländern in der Vergangenheit mit dem Problembereich der Jugendsekten noch nicht konfrontiert war. Insbesondere die Scientology Church e. V. und die sogenannte Vereinigungskirche e. V. - es handelt sich hierbei um die Mun-Sekte - entfalten wachsende Aktivitäten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Regina Schmidt-Zadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Ihnen bekannt ist, daß diese Sekten in den neuen Ländern Aktivitäten entfalten, dann frage ich Sie: Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um dieses Übels Herr zu werden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten zahlreiche Informationsveranstaltungen in den neuen Bundesländern gefördert, um die Bevölkerung über den Problembereich der Jugendsekten sowie über die Organisationsstrukturen, Praktiken und Ziele der betreffenden Gruppierungen aufzuklären. Teilnehmer dieser Veranstaltungen waren vorrangig Pädagogen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Jugendhilfe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage.

Regina Schmidt-Zadel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werden Mittel von der Bundesregierung bereitgestellt, um dieser Situation zu begegnen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung hat die von mir beschriebenen und begonnenen Maßnahmen aus den Mitteln des Bundesjugendplans gefördert. Sie wird solche Maßnahmen und Projekte auch in Zukunft aus Mitteln des Bundesjugendplanes weiter fördern.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage.

Martin Göttsching (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000702, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es gibt in den neuen Bundesländern neben den von Ihnen erwähnten Sekten auch noch eine japanische Bewegung, und zwar die Yamagishi-Bewegung, die nicht unter dem Begriff Sekten, sondern unter dem Begriff „Neureligionen" einzuordnen ist. Können Sie dazu etwas sagen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, ich kann zu der von Ihnen angesprochenen Gruppierung nichts sagen. Ich wollte auch mit der Benennung der beiden Gruppen, die ich soeben angeführt habe, nicht sagen, daß es sich ausschließlich um Aktivitäten dieser Gruppen handelt. Uns ist aus Gesprächen mit den Beauftragten der Kirchen für Weltanschauungsfragen bekannt, daß eine Vielzahl von Gruppen und Gruppierungen hier arbeiten. Deswegen begrüßt es die Bundesregierung auch ausdrücklich, daß der Bundestagsausschuß für Frauen und Jugend eine Anhörung zu der gesamten Problematik durchführen wird, von der wir uns auch wichtige Erkenntnisse für unsere eigene Arbeit versprechen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Niehuis zu einer Zusatzfrage.

Dr. Edith Niehuis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001609, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich, daß Sie sich freuen, daß der Ausschuß gut arbeitet. Aber ich denke, es wäre doch viel besser, wenn Sie schon mehr Erkenntnisse hätten. Sie haben gesagt, es sind Mittel eingestellt und verwendet worden. Darum ganz konkret die Frage: Ich hätte gern gewußt, wieviel Mittel aus dem Haushalt denn dafür zur Verfügung gestellt wurden und welche Maßnahmen damit gefördert wurden.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, ich kann Ihnen jetzt die Aufstellung im einzelnen nicht beziffern. Aber ich stelle sie Ihnen gern schriftlich zu.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der mißverständliche Ausdruck Sekten, der in diesem Zusammenhang gebraucht wird und der sich ja herkömmlicherweise auf religiöse Kleingruppen - aber mit echtem religiösen Hintergrund - bezieht, lieber ersetzt werden sollte durch Ausdrücke, die die kriminellen Methoden kennzeichnen, mit denen diese hier gemeinten Vereinigungen junge Menschen ihrer freien Willensbestimmung berauben und sie sich gefügig und hörig machen, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, hier würden religiöse Gruppierungen verfolgt? Hier sollen kriminelle Machenschaften verhindert werden.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen voll darin überein, daß wir deutlich zwischen dem ganzen Themenfeld, das hier zu besprechen ist, und der Glaubens- und Religionsfreiheit unterscheiden müssen, die in unserem Grundgesetz in Art. 4 verankert ist und die natürlich weder in Frage gestellt noch Gegenstand kritischer Auseinandersetzung sein kann. Es ist klar, daß es um die von Ihnen beschriebenen Praktiken geht. Ich habe den Terminus verwendet, der auch von der Fragestellerin verwendet wurde. Ich bin gerne bereit, hier mit in Überlegungen einzutreten, wie man auch sprachlich deutlich machen kann, um was für ein Phänomen es hier geht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Frau Kollegin Steen.

Evelin Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000550, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fischer, Entschuldigung.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung, Frau Fischer,

Evelin Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000550, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung eventuell die Jugendverbandsstruktur vernachlässigt, Evelin Fischer ({0}) weil jetzt diese Sekten so massiv in die ehemalige DDR einbrechen können?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, im Gegenteil. Die Bundesregierung ist mit aller Kraft bemüht, den Aufbau einer pluralen Jugendverbandsstruktur in den neuen Bundesländern zu fördern. In den Haushalt dieses Jahres sind bereits entsprechende Mittel für den Bundesjugendplan eingestellt worden. Alle unsere jugendpolitischen Aktivitäten zielen auf einen solchen Aufbau hin. Daß solche Gruppierungen hier Fuß fassen können, hat, denke ich, folgende Gründe: Mit dem Wegbrechen des alten Systems ist für manche Menschen ein Vakuum entstanden. Es ist für sie neu, mit solchen Praktiken umzugehen, die sie nicht kennen. Deswegen zielt unsere Arbeit auf zweierlei: zum einen auf den Aufbau tragfähiger und pluraler Jugendverbandsstrukturen - diese Aufgaben werden natürlich in Eigenverantwortung erfüllt - und zum anderen auf die Organisation einer vernünftigen und flächendeckenden Schulung all derer, die über Jugendämter, pädagogische Arbeit, Erziehungsarbeit als Multiplikatoren mit den entsprechenden Fragestellungen zu tun haben, um die Menschen möglichst schnell im Hinblick auf dieses Thema zu sensibilisieren. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, verzeihen Sie noch einmal die Verwechslung; ich habe Sie soeben mit einer elf Jahre jüngeren Kollegin verwechselt. ({0}) Keine weiteren Zusatzfragen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich danke Ihnen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe, Sie werden um das Vergnügen der Beantwortung kommen, da die Fragestellerin der einzigen Frage zu Ihrem Geschäftsbereich nicht anwesend ist. Frage 5 der Abgeordneten Gudrun Weyel wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Frage 6 des Abgeordneten Klaus Harries soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Auch die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Josef Grünbeck zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen sodann zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Staatsministerin Ursula Seiler-Albring zur Verfügung. Ich rufe Frage 9 des Kollegen Hubert Doppmeier auf: Trifft ein Bericht der „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 12. September 1991 zu, daß der russische Präsident Boris Jelzin am Tag des Putsches in Moskau versucht hat, telefonisch die Bonner Regierung von seinem weiteren Vorgehen in Kenntnis zu setzen, Bonn aber, ich zitiere die FAZ, „nicht zu sprechen war"? Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, Präsident Boris Jelzin hat zu keiner Zeit die Hilfe der deutschen Botschaft in Moskau zur Herstellung einer Telefonverbindung mit der Bundesregierung erbeten. Auch über einen anderweitigen Versuch, Verbindung mit Bonn zu dieser Zeit aufzunehmen, ist der Bundesregierung nichts bekannt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Doppmeier, Sie haben theoretisch zwei Zusatzfragen, aber das war eine befriedigende Antwort. ({0}) - Damit ist die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Hubert Doppmeier ebenfalls erledigt: Welche Erklärung hat die Bundesregierung für ihr Verhalten, falls die obigen Darlegungen der FAZ zutreffen? Ich rufe Frage 11 der Kollegin Ingrid Walz auf: Inwieweit überlegt die Bundesregierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kambodscha, um den eingeleiteten Friedensprozeß zu unterstützen? Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die Bundesregierung ist seit November 1990 mit einer Schutzmachtvertretung in Phnom Penh präsent, die im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit eingerichtet wurde. Schutzmacht ist Ungarn. Der Leiter der Schutzmachtvertretung wird den Geschäftsverkehr mit dem Obersten Nationalrat aufnehmen, sobald dieser seinen Sitz in Phnom Penh genommen hat. Die Bundesregierung erwägt in Abstimmung mit ihren europäischen Partnern die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, nachdem der Friedensvertrag unterzeichnet ist. Der Friedensprozeß hat in den letzten Monaten entscheidende Fortschritte gemacht. Es bestehen Aussichten, daß die Pariser KambodschaKonferenz - wie vorgesehen - Ende Oktober 1991 einberufen wird und am 31. Oktober mit der Unterzeichnung eines Friedensvertrages abgeschlossen wird. Der Oberste Nationalrat unter Prinz Sihanouk will sich zum 14. November definitiv in Phnom Penh niederlassen. Eine Reihe von Staaten - darunter auch Frankreich und die ASEAN-Staaten - beabsichtigen dann die Entsendung von diplomatischen Vertretern zum Obersten Nationalrat.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Walz, eine Zusatzfrage? Dann rufe ich Frage 12 der Abgeordneten Ingrid Walz auf: Erwägt die Bundesregierung, Schritte einzuleiten, um Kambodscha, als einem der ärmsten Länder der Welt, nicht nur kurzfristig durch die Bewilligung von Geldern zur humanitären Hilfe ({0}), sondern auch durch eine bilaterale wirtschaftliche Hilfe langfristig in der Entwicklung zu unterstützen - wie offensichtlich im Falle Afghanistans?

Not found (Gast)

Die zweite von Ihnen eingebrachte Frage beantworte ich wie folgt. Voraussetzung für die Aufnahme bilateraler wirtschaftlicher Zusammenarbeit sind diplomatische Beziehungen. Wie in der Antwort auf Frage 11 ausgeführt, erwägt die Bundesregierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, nachdem der Friedensvertrag unterzeichnet ist. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist die Bundesregierung bereit, mit anderen Gebern aktiv an einem Wiederaufbauprogramm für dieses geschundene Land mitzuwirken und sich an Reintegrationsprogrammen für die große Zahl kambodschanischer Flüchtlinge zu beteiligen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Haben Sie dazu eine Zusatzfrage?

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich habe eine Zusatzfrage. Es geht um die humanitären Hilfen, die bisher nur über multilaterale Organisationen geleistet wurden und bisher nur in die Lager entlang der thailändischen Grenze gingen. Aber das Land ist total ausgeblutet. Es wären jetzt dringend humanitäre Hilfen nötig.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Walz, im Bundeshaushalt sind für diese Dinge Mittel vorhanden. Sie werden, wenn wir entsprechende Schritte eingeleitet haben, für diese Zwecke auch zur Verfügung gestellt werden können.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Frage 13 des Abgeordneten Stiegler wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt: Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Claus Jäger auf: Wie viele Fälle von Artillerie- oder Luftangriffen der jugoslawischen Bundesarmee gegen Ziele im Bereich der zivilen Bevölkerung in Kroatien sind der Bundesregierung bekannt, und wie viele Zivilpersonen sind diesen Angriffen einschließlich derer der serbischen Tschetnik-Verbände nach den Erkenntnissen der Bundesregierung bisher zum Opfer gefallen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung liegen zuverlässige Angaben weder über die Zahl der Angriffe mit schweren Waffen noch über die Zahl der zivilen Opfer auf kroatischer Seite vor. Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der Opfer des Konflikts in Kroatien auf mehrere hundert Tote.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Jäger, eine Zusatzfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, hat die Regierung der Republik Kroatien der Bundesregierung über diese Folgen des von der jugoslawischen Bundesarmee und den Tschetniks in Kroatien geführten Kriegs noch keinerlei Mitteilungen zukommen lassen? Das würde mich wundern.

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, die kroatische Regierung ist in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt. Entsprechende Mitteilungen dieser Seite liegen vor. Sie sind in unsere Schätzungen mit einbezogen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, ist die Bundesregierung bereit, über diese Zahlen, die ja schließlich für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Belang sind, bei der Regierung der Republik Kroatien Erkundigungen einzuziehen und mir diese Zahlen dann auf schriftlichem Wege mitzuteilen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, ich will gern veranlassen, daß Ihnen Zahlen über diesen Konflikt zur Verfügung gestellt werden, die so konkret wie möglich sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Claus Jäger auf: Wann ist mit der diplomatischen Anerkennung der Republiken Slowenien und Kroatien als souveräne Staaten seitens der Bundesregierung zusammen mit anderen europäischen Regierungen zu rechnen, und welche Sanktionen gegen die serbische Aggression erwägt die Bundesregierung, um auf ein Ende des Blutvergießens in Kroatien hinzuwirken?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung unterstützt die Haager Friedenskonferenz und die Bemühungen des EG-Vermittlers Lord Carrington. Im Falle eines Scheiterns der Friedenskonferenz wird die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft die Frage einer Anerkennung Sloweniens und Kroatiens prüfen. Zusammen mit Frankreich werden wir uns um ein geschlossenes Vorgehen der Gemeinschaft bemühen. Die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, daß diejenigen, die die Aggression fortsetzen, mit einer völligen wirtschaftlichen und politischen Isolierung rechnen müssen. Ich darf der Aktualität halber hinzufügen, daß morgen abend unter dem Vorsitz von Lord Carrington wieder in Den Haag getagt und dann darüber befunden wird, ob die Friedensmission in dieser Art fortgesetzt werden kann. Darüber hinaus hat die Arbeitsgruppe der Westeuropäischen Union zu Beginn dieser Woche in Bonn wie vorgesehen ihre Arbeit aufgenommen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, nachdem es ja den Anschein hat, daß die jugoslawische Bundesarmee und die serbische Regierung mit einem Katz-und-Maus-Spiel von kurzfristigen Waffenstillständen, die dann ebenso kurzfristig wieder gebrochen werden, die europäischen Regierungen auf Trab halten und diese im Grunde zu gar keinen Entschlüssen kommen lassen, weil man immer wieder die Hoffnung hat, es werde sich vielleicht doch eine Beruhigung ergeben, darf ich fragen, ob die Bundesregierung die von ihr mehrfach geäußerte Auffassung jetzt in die Tat umsetzen wird, daß bei einer Fortdauer des Krieges die völkerrechtliche Anerkennung der Staaten, die sich für unabhängig erklärt haben, unausweichlich ist.

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, ich habe das bereits vorhin zu beantworten versucht. Die Bundesregierung hat mehrfach deutlich gemacht, daß dieses Ziel nicht ausgeschlossen werden kann, sondern wahrscheinlich am Ende dieses Prozesses steht. Aber auf der anderen Seite sind wir dringend darum bemüht, dieses gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu tun.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsminister, bedeutet diese und die schon in Ihrer vorherigen Antwort enthaltene Aussage, wonach sich die Bundesregierung um eine gemeinsame Haltung aller EG-Mitgliedstaaten bemühen wird, daß die Bundesregierung nur in diesem Sinne handeln wird, wenn sämtliche EG-Staaten zum Mitmachen bereit sind? Oder bedeutet dies, daß sich die Bundesregierung vorbehält, zusammen mit einem Teil der EG-Staaten den Schritt der Anerkennung zu tun, wenn die politische Lage dies zwingend macht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung wird nicht sagen, daß nur alle EG-Staaten gemeinsam dieses beschließen werden. Aber bitte ersparen Sie mir, jetzt eine Zahl zu nennen; ich kann im Moment tatsächlich nicht sagen, wie viele notwendig sein werden, um einem solchen Beschluß dann die nötige Wirkung zu verleihen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gansel, bitte.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer ersten Antwort auf die Frage des Kollegen Jäger wirtschaftliche und politische Sanktionen in Aussicht gestellt. Die UNO entscheidet dagegen nur über ein Waffenexportembargo gegenüber Jugoslawien. Ich frage Sie deshalb, welche Initiativen die Bundesregierung in der Europäischen Gemeinschaft ergreifen wird, um endlich auch bei anderen Einfuhren in das Kriegsgebiet dafür zu sorgen, daß der Kriegsapparat nicht länger z. B. Treibstoff erhält und daß auch andere wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen die Friedensstörer vorgenommen werden.

Not found (Gast)

Herr Kollege, Sie sprechen die Vereinten Nationen an. Das ist richtig; die Bundesregierung hat sich seit Wochen für eine Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit diesem Thema ausgesprochen, da allein die Vereinten Nationen verpflichtende Maßnahmen mit allgemeiner Geltung beschließen können. Möglich wären hier z. B. Maßnahmen zur politischen Isolierung der Aggression, aber auch wirtschaftliche Sanktionen. Zum Bereich der EG kann man sagen, daß die Europäische Gemeinschaft weitere einseitige Schritte unternehmen kann; denkbar wäre eine Suspendierung bzw. Kündigung des Kooperationsabkommens der Europäischen Gemeinschaft mit Jugoslawien vom 2. April 1980. Ein solcher Schritt würde ein Handelsembargo ermöglichen und die Fortsetzung des Handelsaustausches mit den kooperationswilligen Republiken erlauben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, aus welchen Quellen die kriegführenden Parteien in Jugoslawien ihren Nachschub erhalten? Sieht sie Möglichkeiten, diesen Nachschub über Sanktionen abzuschneiden?

Not found (Gast)

Angaben über Quellen sind mir nicht bekannt, Herr Kollege Schily.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es zu dieser Frage Zusatzfragen? Das ist nicht der Fall. Für die Fragen 16, 17 und 18 ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Norbert Gansel auf: Welche Angaben hat die sowjetische Seite gegenüber der Bundesregierung und insbesondere gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, bei seinem letzten Moskaubesuch zu der Frage gemacht, ob sich bei den sowjetischen Truppen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik weiterhin Atomwaffen befinden, und decken sich diese Angaben mit den der Bundesregierung zugänglichen Erkenntnissen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, am 31. August 1991 hat der sowjetische Verteidigungsminister, Marshall Schaposchnikow, gegenüber dem deutschen Botschafter in Moskau erklärt, daß sich auf deutschem Boden keine sowjetischen Nuklearwaffen mehr befinden. Diese offizielle Mitteilung bildete auch den Gegenstand einer Verlautbarung des sowjetischen Verteidigungsministeriums vom gleichen Tag. Der sowjetische Verteidigungsminister hat diese Erklärung in einem Gespräch mit Bundesminister Genscher vom 11. September 1991 erneut bekräftigt. Der Bundesregierung liegen keine abweichenden Erkenntnisse vor.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel?

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welches Vertrauen setzt die Bundesregierung in diese Erklärung, nachdem sich schon in der Vergangenheit Erklärungen der Sowjetunion dahin gehend, daß sich in der DDR bzw. in der ehemaligen DDR keine Atomwaffen befänden, als falsch erwiesen haben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, ich habe keinen Anlaß, an dem Wahrheitsgehalt der Aussage des neuen sowjetischen Verteidigungsministers zu zweifeln.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche Sicherheit hat die Bundesregierung, daß sowjetische Atomwaffen tatsächlich aus den neuen Bundesländern abgezogen worden sind, nachdem der sowjetische Außenminister Bessmertnych im Frühsommer dieses Jahres die Existenz von taktischen Atomwaffen bei den sowjetischen Truppen in der ehemaligen DDR nicht ausgeschlossen hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, der deutschsowjetische Aufenthalts- und Abzugsvertrag vom 12. Oktober 1990 bietet keine rechtliche Handhabe, den Abzug von Waffen und Material innerhalb der den sowjetischen Truppen zugewiesenen Liegenschaften zu überprüfen. Man kann daran denken, die Besichtigung geräumter Kernwaffenlager in Betracht zu ziehen. Die Bundesregierung behält sich vor, das bei Bedarf einzuleiten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das war Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Gansel. Jetzt kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat denn die Bundesregierung, Frau Staatsministerin, irgendwelche Vorkehrungen getroffen oder Maßnahmen in die Wege geleitet, um den Wahrheitsgehalt der Erklärungen der sowjetischen Seite zu überprüfen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Schily, das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion und ihren Teilrepubliken ist von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Ich sehe, wie ich vorhin bereits gesagt habe, zur Zeit keinen Anlaß, dieses Vertrauen in Frage zu stellen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Noch Zusatzfragen zu dieser Frage? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 20 des Abgeordneten Norbert Gansel auf: Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Björn Engholm aufzunehmen, mit der sowjetischen Seite zu vereinbaren, den mehrfach als vollzogen verkündeten Abzug der sowjetischen Atomwaffen aus Ostdeutschland durch unabhängige Inspekteure kontrollieren zu lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, für eine Vereinbarung mit der sowjetischen Seite, den Abzug der sowjetischen Atomwaffen durch unabhängige Inspekteure kontrollieren zu lassen, sieht die Bundesregierung nach den genannten offiziellen Erklärungen der sowjetischen Regierung keinen Anlaß.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich darf vorausschicken: Ich rate dazu, sich dort, wo Sie etwas offenlassen wollen, Frau Minister, lieber nicht festzulegen, weil die Sache zu ernst ist. Das schicke ich meiner Frage voraus. Decken sich die offiziellen Erklärungen, die die Bundesregierung über die Nichtexistenz von Atomwaffen bei den sowjetischen Truppen in den Gebieten der einstigen DDR hat, mit Erkenntnissen, die die Bundesregierung aus anderen Quellen hat, die sonst für das Regierungshandeln auch nicht ganz unbeachtlich sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, zu diesen Quellen habe ich keinen Zugang und muß deshalb bei meiner Darstellung bleiben, daß ich - unter Hinzuziehung der Informationen, über die ich verfüge - keinen Anlaß habe, an der offiziellen sowjetischen Darstellung zu zweifeln.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da die Existenz von taktischen Atomwaffen bei den sowjetischen Truppen in den neuen Bundesländern - insbesondere im Fall von politischen Turbulenzen, die auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden können - ein erhebliches, ja existentielles Risiko für die Bundesrepublik darstellen kann, da sich offizielle Erklärungen der sowjetischen Seite über diese Waffen in der Vergangenheit als falsch erwiesen haben und Sie für Ihre Haltung offenbar nur die offiziellen Erklärungen der sowjetischen Seite als Grundlage nehmen, frage ich Sie, ob Sie bereit wären, die von uns gewünschten und von uns auch gewollten besonderen Hilfen für die Sowjetunion daran zu knüpfen, daß die sowjetische Seite auch ihrerseits den elementaren Bedürfnissen der Bundesrepublik Rechnung trägt, und zwar in einer Form, die es uns ermöglicht, daß wir uns - so wie der Kollege Engholm es vorgeschlagen hat - gegebenenfalls durch unabhängige Inspekteure davon überzeugen können, daß unsere Sicherheit durch den Abzug dieser Waffen nicht gefährdet werden kann.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gansel, Sie gehen da von einer Hypothese aus, die Sie bereits vorhin eingeführt haben. Ich sage noch einmal, daß die Bundesregierung keinen Anlaß hat, an den Darstellungen der sowjetischen Seite zu zweifeln und deshalb für einen Vorschlag der Art, wie Sie ihn vorgetragen haben, keinen Anlaß sieht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatsministerin, da Sie offenbar nur einen begrenzten Zugang zu Informationen haben und uns als Antwort auch nicht mehr bieten können als Ihr freundliches Vertrauen in die Erklärung der sowjetischen Seite, können Sie uns vielleicht in Aussicht stellen, daß in der nächsten Fragestunde, in der diese Frage vielleicht noch einmal aufzunehmen wäre, der Herr Bundesaußenminister persönlich uns die Ehre gibt und dem Parlament auf Grund der ihm sicherlich besser zugänglichen Quellen - man könnte sich zum Beispiel vorstellen, daß der BND Erkenntnisse hat - dann die notwendigen Antworten gibt.

Not found (Gast)

Herr Kollege Schily, ich verfüge nicht über den Terminplan des Bundesministers des Auswärtigen. Ich werde ihm aber selbstverständlich gern Ihr Petitum vortragen. Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, daß der Bundesaußenminister hier in der Öffentlichkeit Erkenntnisse des BND darstellen wird. Es gibt sicherlich im Rahmen der dafür vorgesehenen parlamentarischen Gremien genügend Möglichkeiten, diese Dinge, sofern sie vertraulich und geheim sind, darzustellen. Wenn ich über diese Erkenntnisse verfügen würde, was bedauerlicherweise nicht der Fall ist - ich habe keinen Zugang zu den Quellen des BND, die ich hier auch nicht vortragen würde - , würde ich das also ins Auge fassen. Vor dem Hintergrund dessen, was ich weiß, kann ich Ihnen keine andere Auskunft geben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann, Frau Staatsministerin, bedanke ich mich für Ihre Auskünfte. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner erschienen. Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Detlev von Larcher auf: Wie begründet die Bundesregierung die Regelung, wonach bei aktiven Helfern des Technischen Hilfswerks die 6monatige Probezeit nicht auf die 8jährige Dienstzeit angerechnet wird? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Die Antwort lautet: Die vom Wehrdienst befreiende Verpflichtung eines Helfers nach § 8 Abs. 2 des Gesetzes über den erweiterten Katastrophenschutz setzt voraus, daß der Helfer einer der im erweiterten Katastrophenschutz mitwirkenden Hilfsorganisation angehört. Die Aufnahme des Helfers in die Organisation bestimmt sich nach dem jeweiligen Organisationsrecht. Nach dem zur Zeit noch geltenden Helferrecht der Bundesanstalt THW wird ein Helfer erst nach Ablauf einer halbjährigen Probezeit in das THW aufgenommen. Da - wie ausgeführt - die Verpflichtung nach § 8 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes erst nach Aufnahme in das THW abgegeben werden kann, ist eine Anrechnung der Probezeit auf die achtjährige Verpflichtung zur Zeit nicht möglich.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Kollege von Larcher.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gibt es das auch noch in anderen Bereichen, daß ein halbes Jahr Diensttun letztendlich auf die Dienstzeit nicht angerechnet wird?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Da bin ich überfragt, Herr Kollege.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Detlev von Larcher auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, daß mit Inkrafttreten der „Verordnung über die Mitwirkung der Helfer im Technischen Hilfswerk„ ({0}), hier: § 7 - Anrechnung der Probezeit auf das Dienstverhältnis -, dieser Zustand beendet wird, oder treffen Informationen zu, wonach § 7 nur aktive Helfer betreffen soll, die nach Inkrafttreten der Verordnung ihren Dienst antreten? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Die Antwort auf die Frage 22 lautet: Mit Inkrafttreten der dem Bundesrat zur Zeit vorliegenden Verordnung über die Mitwirkung der Helfer im Technischen Hilfswerk wird die Rechtskonstruktion für die Aufnahme in das THW geändert. Nach § 7 der Verordnung beginnt das Helferverhältnis - im Gegensatz zum geltenden Helferrecht - bereits mit der Probezeit; es kann bei Nichtbestehen ohne Angabe von Gründen aufgelöst werden. Diese Rechtskonstruktion ermöglicht es in Zukunft, die Probezeit im THW auf die achtjährige Verpflichtung nach § 8 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes anzurechnen. Die Neuregelung kann nicht auf bestehende Helferverhältnisse erstreckt werden, da die zu einem bestimmten Datum erfolgte Aufnahme in das THW nicht nachträglich vorverlegt werden kann.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr von Larcher.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß auf Grund dieser Ungerechtigkeit große Verbitterung zumindest bei denjenigen herrscht, die eben nicht einsehen, daß sie nun, weil sie früher angefangen haben, nicht in den Genuß der Neuregelung kommen sollen, obwohl sie jahrelang einen wichtigen Dienst für die Allgemeinheit getan haben? Eduard Lintner, Parl Staatssekretär: Mich würde es wundern, wenn in der Tat eine solche Stimmung vorhanden wäre; denn die Unterscheidung ist erstens sachgerecht. Zweitens ist das den Bewerbern seinerzeit, als sie sich verpflichtet haben, ausdrücklich mitgeteilt worden. Niemand kann sich deshalb nachträglich auf Unkenntnis berufen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr von Larcher, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen zu dieser Frage. Jetzt kann ich also die nächste aufrufen, falls niemand anders im Saal zu dieser Frage noch eine Zusatzfrage stellen will. ({0}) - Pardon!

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Abgesehen davon, daß man auch etwas als Ungerechtigkeit empfinden kann, was man vor zehn Jahren vielleicht formal hätte besser wissen können - ({0}) - Nein, es sind zehn. Aber, na gut, vor acht Jahren. Gibt es auch nicht die Möglichkeit für einen, der jetzt beim THW ist, wenigstens auf Antrag nach Inkrafttreten der Verordnung, sechs Monate früher aus dem Dienstverhältnis auszuscheiden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, das geht deshalb nicht, weil die Anrechnung erst ab Verpflichtung beim THW erfolgt, wie ich in der ersten Antwort ausgeführt habe, und deshalb die acht Jahre nicht erfüllt werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich rufe die Frage Nr. 23 der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink auf: Vizepräsident Hans Klein Unternimmt die Bundesregierung Anstrengungen, den Konflikt zwischen der Leitung der Villa Massimo und den Künstlern und Künstlerinnen beizulegen, und wie sehen die Überlegungen der Bundesregierung für die Ausgestaltung des zukünftigen Konzepts aus? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Frau Kollegin, die Antwort lautet: Der Bundesminister des Innern hat ein großes Interesse daran, daß in der Villa Massimo bald wieder eine den Zielsetzungen dieser Einrichtung entsprechende Atmosphäre hergestellt wird. Er wird daher allen anstehenden Fragen mit Sorgfalt nachgehen und die Gespräche mit den Beteiligten fortsetzen. Diese Gespräche sollen auch dazu dienen, Grundlagen für Überlegungen zu schaffen, wie Organisation und Förderungsstruktur in Zukunft ausgestaltet werden könnten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000625, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wann denken Sie denn, wann dieses Konzept auch den einzelnen Ausschüssen vorgestellt werden könnte?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Wir wollen diese Angelegenheit zügig bearbeiten. Es ist daran gedacht, ein Symposium zu veranstalten, insbesondere mit den früher Geförderten in der Villa Massimo. Ich könnte mir vorstellen, daß im nächsten Jahr ein solches Konzept erläutert werden kann.

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000625, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es würde auch die Änderung der Personalsituation mit einschließen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Schließt es möglicherweise mit ein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lintner, ich freue mich darüber, daß Sie heute etwas substantiellere Auskünfte erteilen. Sie wissen, wir hatten das in der vorigen Fragestunde auch -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Schily, stellen Sie doch eine Frage.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich stelle eine Frage. Meinen Sie, daß es sich künftig auch ermöglichen läßt, diese Auskünfte, die Sie heute erteilt haben, eine Woche früher zu erteilen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Schily, das ist eine rein theoretische Frage. Ich glaube, in dem Fall war es nicht möglich, einfach deshalb, weil wir auch der Sorgfalt Rechnung tragen wollten. Sie hätten sicherlich letzte Woche auf eine sachgerechte, sorgfältige Antwort gerechnet. Die konnte man Ihnen angesichts des Sachstandes, der damals gegeben war, nicht geben. Deshalb halte ich es eigentlich für richtig, Ihnen heute Rede und Antwort zu stehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Proteste und Demonstrationen gegen die Olympiabewerbung Berlins, die dazu immer kritischer werdenden Stimmen in der Bevölkerung, die Vorwürfe Willi Daumes zur mangelnden Professionalität in der Werbung und die notwendig werdenden Olympiainvestitionen in Anbetracht der zwingend notwendigen finanziellen Verpflichtungen in Sachen Hauptstadtwerdung und die nicht auszuschließenden Verkehrsprobleme im Hinblick auf eine erfolgreiche Bewerbung Berlins für die Olympiade im Jahr 2000, und was gedenkt sie zu tun bzw. zu investieren, um den Wunsch Berlins, erneut Olympiastadt zu werden, Wirklichkeit werden zu lassen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Beucher, die Antwort lautet: Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen Berlins, Olympische Spiele durchzuführen, als ein bedeutendes Symbol für Frieden und Freiheit in der Welt. Die Bewerbung um Olympische Spiele ist primär eine Angelegenheit der sich bewerbenden Stadt Berlin und des Nationalen Olympischen Komitees. Es ist deshalb nicht Sache der Bundesregierung zu Protesten und Demonstrationen gegen die Olympia-Bewerbung Berlins, zu kritischen Stimmen in der Bevölkerung, zu Vorwürfen des Präsidenten des NOK für Deutschland über mangelnde Professionalität in der Werbung sowie über mögliche Verkehrsprobleme Berlins Stellung zu nehmen. Der Bund wird sich an den Kosten der Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele 2000 beteiligen, indem er einzelne Projekte im Rahmen eines Gesamtkonzepts finanziell bezuschußt. Er stützt sich dabei auf eine Entschließung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages vom 28. Februar 1985 und einen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 28. März 1985. Im Jahre 1991 stehen hierfür 2 Millionen DM zur Verfügung. Weitere Beträge sind für die Jahre 1992 und 1993 vorgesehen. Bis zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees im Jahre 1993 über die Durchführung der Olympischen Spiele 2000 wird sich der Bund an Olympiainvestitionskosten nicht beteiligen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Kollege Beucher.

Friedhelm Julius Beucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es im Hinblick auf den Erfolg der Bewerbung nicht unwichtig ist, wenn sich die Bundesregierung rechtzeitig neuen Herausforderungen stellt und in diesem Zusammenhang auch überlegt, ob es sinnvoll ist, diese Bewerbung in der vorgesehenen Art zu unterstützen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Das Konzept liegt noch nicht vor, so daß die Bundesregierung dies gar nicht abschließend beurteilen kann. Wir sind deshalb im Moment nicht in der Lage, ja oder nein zu sagen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Friedhelm Julius Beucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich teile die Befürchtung - deshalb frage ich da nach -, daß beim jetzigen Stand die Erfolglosigkeit im Herbst 1993 vorFriedhelm Julius Beucher programmiert sein könnte, und glaube, daß sich dann, wenn wir nicht wollen, daß die Olympischen Spiele nicht nach Deutschland kommen, die Bundesregierung neuen Herausforderungen, auch hinsichtlich des Standortes, stellen kann.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Beucher, ich wehre mich ein bißchen dagegen, daß nun die Bundesregierung die Verantwortung für etwas übernehmen soll, was im augenblicklichen Stadium allein bei der Stadt und dem Land Berlin und dem NOK liegt. Wir können an dieser Situation nichts verändern. Wir haben unsere ideelle Unterstützung erklärt; wir haben die nötigen Gelder für Projekte, die jetzt anstehen, zur Verfügung gestellt. Mehr kann eine Bundesregierung in einem solchen Stadium nicht tun.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung auch eine Meinung haben und einen guten Rat erteilen darf: Teilt sie meine persönliche Auffassung, daß Berlin mit seinen neuen Aufgaben als künftige Bundeshauptstadt seine Möglichkeiten weitaus überdehnt, wenn es jetzt zusätzlich die Olympischen Spiele veranstalten will, und daß die Tragfähigkeit insbesondere der Bevölkerung dabei überschätzt wird?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Schily, wir pflegen uns die Ratschläge unter Freunden natürlich in aller Stille zu geben, nicht in der Öffentlichkeit des Plenums. Die Bundesregierung hat durch ihre grundsätzliche Äußerung bereits zu erkennen gegeben, daß sie der Bewerbung Berlins wohlwollend gegenübersteht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, falls es keine weiteren Fragen dazu gibt - das scheint nicht der Fall zu sein - , bedanke ich mich für die Beantwortung und schließe hiermit die Fragestunde. *) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte über ausländerfeindliche Ausschreitungen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache mit Fünf-Minuten-Beiträgen, wie bei einer Aktuellen Stunde, durchgeführt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist der Fall. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Johannes Gerster das Wort.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen, sollen und müssen ein ausländerfreundliches *) Die nicht erledigten Fragen sind schriftlich beantwortet. Die Antworten sind als Anlagen abgedruckt. Land bleiben. Rechtsextremismus und Gewalt dürfen bei uns keinerlei Chancen haben. ({0}) Wenn, wie jetzt in Hoyerswerda, mit Gewalt gegen Asylbewerber vorgegangen wird, beweist dies natürlich nicht, daß gerade dort eine Hochburg der Gewalt und des Rechtsextremismus besteht. Ähnliche schlimme Ausschreitungen erleben wir leider auch anderswo, im übrigen nicht nur im Bereich der neuen Bundesländer, sondern auch im Westen unseres Landes. Allerdings haben wir in Hoyerswerda einen Höhepunkt an Eskalation erlebt. Mit besonderer Sorge ist zu betrachten, daß die Ausschreitungen dort zum Teil mit Beifall von Teilen der Bevölkerung begleitet wurden. Diese Ereignisse zeigen, daß alle demokratischen Kräfte aufpassen und ihre Verantwortung voll wahrnehmen müssen. Politischer Handlungsbedarf besteht. ({1}) Dabei ist neben polizeilichen Maßnahmen insbesondere eine geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus, insbesondere mit dem Rechtsextremismus nötig. Dazu ist bei verschiedenen Faktoren anzusetzen, die Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern begünstigen. Da hier dazwischengerufen wird: „besonders bei der CDU" , sage ich Ihnen: Wir sollten uns hüten, hier heute gegenseitige Schuldzuweisungen zu praktizieren. ({2}) Wir würden genau das machen, was die Rechtsextremisten wollen, was sie begünstigt. Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, wenn Ihre Kollegin Däubler-Gmelin heute schreibt, wer Art. 16 ändert, macht einen Kniefall vor Rechtsextremisten, ({3}) finde ich es bemerkenswert, daß Sie damit Ihre Kollegen Rappe, Bernrath und andere zu Rechtsextremisten machen. ({4}) Wir sollten bei der Frage, wie wir ein ohnehin vorhandenes Problem, den Mißbrauch des Asylrechtes, lösen, die jeweilige Lösungsform, um die wir ringen, nicht einfach in Richtung Rechtsextremismus oder sonstigen Extremismus rücken. Vielmehr sollten wir gemeinsam den besten Weg suchen und nicht Leute in eine bestimmte Ecke stellen. Das wird besonders peinlich, wenn Sie das mit Ihren eigenen Parteifreunden machen. Es ist überhaupt keine Frage, daß es gerade in den neuen Bundesländern, nachdem der Druck weg ist - übrigens eine Erfahrung, die wir auch nach dem Johannes Gerster ({5}) Druck auf die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen gemacht haben - , in einer größeren Freiheit Eskalation bis hin zur Gewalt gibt. Ich selbst habe das als Jugendlicher einer westdeutschen Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Gerade in der besonderen Situation der neuen Bundesländer ist es doch keine Frage, daß dort, wo es angeblich einen antifaschistischen Staat gab und deswegen jede Art von Rechtsextremismus geleugnet wurde, dieser rechtsextremistische Bodensatz herauskommt. Viele Menschen in der früheren DDR, die sich zwar international gab, in Wirklichkeit aber geschlossen war, tun sich natürlich sehr schwer, mit Ausländern und mit Fremden zurechtzukommen. Das heißt, es gibt einen sehr wichtigen, DDR-spezifischen Grund, weshalb wir es auch und gerade dort mit Rechtsextremismus zu tun haben. Wir müssen uns diesen Fragen stellen, zumal Rechtsradikale aus dem Westen hier ein breites Agitationsfeld sehen. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch sehen, daß die Ursachen darin liegen, daß sich die Menschen oft überfordert fühlen. Sie fühlen sich überfordert, weil sie glauben - und dies zu Recht - , daß unser Asylrecht mißbraucht wird. Dies ist der Fall, wenn rund zwei Drittel aller Asylbewerber weder politisch verfolgt sind noch durch die Genfer Flüchtlingskonvention oder aus sonstigen humanitären Gründen vor Abschiebung geschützt werden. Dennoch kommen sie hierher und bleiben hier. Deshalb liegt es in der Verantwortung der Politiker, einen Weg zu finden, der das Asylrecht ehrlicher und letztlich wieder funktionsfähig macht. Das heißt, wir müssen die geistige Auseinandersetzung suchen. Aber wir müssen ganz eindeutig auch bestehende Defizite in diesem Bereich auffüllen. Es gibt natürlich den Grundsatz: Die körperliche Unversehrtheit und den Schutz vor jeder Art gewalttätiger Bedrohung müssen wir für jeden Menschen in unserem Lande, auch für den Asylbewerber, garantieren. Um so wichtiger ist es, daß wir mit einem Ausländerrecht und einem Asylverfahrensrecht, das die Menschen insgesamt akzeptieren, ein Stück Ausländerfeindlichkeit abbauen und daß wir dazu beitragen, daß diese Ausschreitungen zu Ende gehen. Wir sind in großer Sorge, wir sind in sehr großer Sorge, aber wir sind der Meinung: ({6}) Wenn wir das Thema nicht polemisch behandeln, wie Sie es mit Ihren Zwischenrufen jetzt wieder versuchen, sondern ganz nüchtern, werden wir den besten Beitrag leisten, damit diese Radikalen keine Chance in diesem Lande haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Tagen wurde in meiner Heimatstadt Saarlouis ein Brandanschlag auf ein Asylantenheim verübt. Ein Mensch aus Ghana, der in Deutschland Schutz suchte, verbrannte. ({0}) Ich will aus zwei Nachrufen zitieren, die ihm deutsche Freunde geschrieben haben: Alle Menschen sind Ausländer, fast überall. Samuel Yeboah 1964 bis 1991 Nicht nur Trauer, nicht nur Fassungslosigkeit bewegen uns zutiefst. Wer kann den sinnlosen Anschlag und die Ermordung unseres Freundes je verstehen? Sven Asbach, Traudel Asbach, Dominik Weiland, Familie Asbach In einem anderen Nachruf heißt es: Tief erschüttert bin ich über die Nachricht vom qualvollen Tod eines wundervollen Mitmenschen und ... Freundes. Tief beschämt bin ich, zu sehen, wie in unserer Gesellschaft ein wiedererstarkter Nationalismus den Weg ebnet für menschenverachtende Greueltaten an Mitmenschen anderer Rasse, Religion oder Herkunft. In Gedenken an Samuel Yeboah Wie konnte es geschehen, meine Damen und Herren? - Niemand leugnet, Herr Kollege Gerster, daß es in nicht wenigen Kommunen in Deutschland Wohnungs- und andere Probleme gibt. Niemand kann aber auch bestreiten - damit bin ich bei meinem Punkt -, daß die CDU und die CSU, führende Vertreter ihrer Parteien, um kleiner parteitaktischer Vorteile willen in der Asyl- und Ausländerthematik eine Politik der verbrannten Erde treiben, die völlig unverantwortlich ist. ({1}) Sie schüren und fördern bewußt nationalistische Stimmungen. Sie wecken Erinnerungen an die finstersten Kapitel deutscher Vergangenheit. ({2}) Ich habe mir die deutsche Einheit, über die ich mich sehr gefreut habe, nicht so vorgestellt, daß sich inzwischen Menschen in Deutschland hinstellen und voller Stolz verkünden, ihre Stadt sei ausländerfrei. Es hat in früheren Jahrzehnten Menschen gegeben, die voller Stolz gesagt haben, ihre Stadt sei judenfrei. Wo ist da noch der Unterschied? ({3}) Mit Schlagworten wie „Das Boot ist voll" oder jenem schmutzigen Satz Ihres Generalsekretärs Rühe „Jeder Asylant ist nunmehr ein SPD-Asylant" ({4}) wird um kleiner parteipolitischer Münze wegen eine Stimmungsmache installiert, die jetzt die ersten Menschenopfer gekostet hat. ({5}) Ich sage Ihnen: Auch Schreibtischtäter sind Täter. ({6}) Meine Damen und Herren, die politischen und rechtlichen Schwierigkeiten mit dem Asylgrundrecht beruhen nicht auf Versehen oder Versagen der Väter und Mütter des Grundgesetzes, sondern auf der Unermeßlichkeit menschlichen Leides, das dieser Verfassungsgrundsatz zu mildern versucht. Dieser Satz stammt von Professor Otto Kimminich, der meines Erachtens Mitglied der CDU ist. Er ist in der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" veröffentlicht worden. Warum kann man sich eigentlich nicht vorstellen, daß dieser Satz, der auf die Unerschöpflichkeit menschlichen Leides hinweist, von einem führenden Vertreter der CDU/CSU gesprochen sein könnte? Warum kann man sich nicht vorstellen, daß der nächste Satz, den ich zitieren möchte, von einem Vertreter der CDU/CSU gesprochen worden ist oder gesprochen wird? Ich zitiere: Wir wollen auf gar keinen Fall dieses Grundrecht einengen. Darum sehen wir die Hauptaufgabe eigentlich in der Sorge, die Bereitschaft der Menschen in unserem Land zu erhalten, Fremde aufzunehmen, solange es nur geht, und jede Fremdenfeindlichkeit zu vermeiden. ({7}) Dieser Satz stammt von Bischof Karl Lehmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Warum ist es nicht vorstellbar, daß solche Sätze von führenden Vertretern der konservativen Parteien im Deutschen Bundestag geäußert werden? ({8}) Warum ist das nicht vorstellbar? Ich habe seit 1980 vier Wahlkämpfe als Kandidat mitgemacht. Ich habe seit 1980 keinen einzigen Wahlkampf erlebt, in dem das Asylthema von Ihnen nicht als Waffe gegen die SPD erhoben worden wäre. ({9}) Der nunmehr seit Monaten anhaltende Mißbrauch der Asylthematik durch die CDU/CSU zeigt sich erst recht daran, daß bis zur Stunde kein Vorschlag der Bundesregierung zur Lösung dieses Problems vorliegt. Die Regierung ist nicht handlungsfähig und mißbraucht dieses Thema seit Monaten gegen die SPD. Sie mißbraucht die Ausländer insgesamt und trägt daher massiv zur Schürung von Ausländerfeindlichkeit bei. ({10}) Wenn Sie auch nur einen Bruchteil der Zeit, die Sie für politische Agitation verschwendet haben, dazu genutzt hätten, um über die Fluchtursachen und ihre Bekämpfung nachzudenken, wären wir ein gutes Stück weiter. Warum zitieren Sie nicht jenen Satz, der vor über 100 Jahren in die Enzyklika Rerum novarum geschrieben worden ist - ich zitiere - : Niemand würde sein Vaterland gegen ein fremdes Land eintauschen, wenn es seinen Kindern genug gäbe, um in angemessenen Verhältnissen leben zu können. Warum geben wir in Deutschland für Militär zwanzigmal mehr aus als für Entwicklungspolitik? ({11}) Wo liegen die Gründe dafür? Warum bleibt die Bundesrepublik Deutschland weit hinter den entwicklungspolitischen Vorgaben der Vereinten Nationen? 0,7 % des Bruttosozialprodukts sollen wir danach dafür ausgeben. Wir geben aber nur 0,39 % aus. Das ist etwas mehr als die Hälfte dessen, was uns die Vereinten Nationen abfordern. ({12})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Schreiner, darf ich Sie bitten, trotz Ihres Engagements zum Ende zu kommen?

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. ({0}) Warum wirkt die Bundesregierung nicht auf die Türkei ein, einen NATO-Staat, einen KSZE-Staat, in dem massenhaft Menschen gefoltert werden, wo Menschen von Staats wegen zu Tode kommen? Warum wird der Türkei nicht bedeutet: Ihr kriegt von uns keine Hilfe mehr, solange diese unmenschlichen Zustände in diesem Land anhalten? ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Schreiner, kommen Sie bitte zum Ende.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich fordere Sie nachdrücklich auf, Ihre Kampagne zur Schürung von Ausländerfeindlichkeit einzustellen. Denken Sie an den Satz von Bert Brecht, der aktueller denn je ist: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächste hat das Wort Frau Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen. Ich darf nochmals daran erinnern, daß wir vereinbart haben, nach den Regeln für eine Aktuelle Stunde zu verfahren.

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Kollegen! Ich habe mich eben gefragt, ob Ihnen der Kollege Niggemeier zugehört hat. Am Dienstag letzter Woche, am 17. September, begannen ausländerfeindliche Aktivitäten im Zentrum der Stadt Hoyerswerda. An den folgenden Tagen eskalierten die Ausschreitungen. Bis Sonntag, so wird berichtet, waren die Gemeindepolitiker in Hoyerswerda nicht bereit, mit der Polizei über die Krisensituation zu sprechen. Wir haben alle gelesen, daß die Ausschreitungen Volksfestcharakter angenommen haben. Die Ultima ratio war der Abtransport. Die Bilder gestern abend in den Fernsehnachrichten haben mich zutiefst erschreckt. ({0}) Da standen am Rande die Menschen und haben gerufen: Ausländer raus!, - und nichts ist passiert. ({1}) - Ich hoffe, das wird mir nicht von meiner Redezeit abgezogen. Vielleicht könnten Sie mir freundlicherweise wieder zuhören. Wir sollten uns davor scheuen, pharisäerhaft mit dem Finger auf Sachsen zu zeigen. Denn auch in Saarlouis, in Freiburg, in Hamburg und anderen Städten hat es Ausschreitungen gegeben. Aber, meine Kollegen und Kolleginnen, hier ist eine andere Dimension erreicht worden. Hier haben 10- bis 14jährige Kinder in Gruppen Ausländer beleidigt, angespuckt und körperlich angegriffen. Hier haben sogenannte brave Bürger Beifall geklatscht, Beifall für Gewalt. Es ist ein Ansporn für Rechtsbrecher, wenn hier nichts passiert. Es hat Verletzte gegeben. Wir müssen uns fragen: Wären nicht auch Tote in Kauf genommen worden? Ich weiß, daß es bei Problemen immer zwei Seiten gibt. Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die Bürgermeister und Landräte haben, wenn sie Asylbewerber unterbringen müssen. Ich übersehe auch nicht, daß sich Bürger beeinträchtigt fühlen können. Aber wo kämen wir hin, wenn für jede Schwierigkeit, die sich momentan auftut, Molotowcocktails als Lösung angeboten würden? Das können wir uns überhaupt nicht vorstellen. ({2}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich bin nicht bereit und die Freie Demokratische Partei ist nicht bereit, die Schwierigkeiten in den neuen Ländern, die es unbestritten gibt, als Entschuldigung hinzunehmen - als Erklärung vielleicht, aber als Entschuldigung nicht. ({3}) Die hohe Zahl von Ausländern? Davon kann hier doch überhaupt keine Rede sein. Das Argument, die Ausschreitungen kämen zustande, weil die Jugendlichen ohne Perspektive seien, halte ich für ein hochgefährliches Argument. Erstens sind keineswegs alle dieser jungen Leute ohne Arbeit, und zweitens diffamiert man damit gleich diejenigen Arbeitslosen, die anständig sind und sich schämen würden, solche Dinge zu tun. Das sind natürlich beileibe nicht alles Neonazis. Es gibt, wie Bernd Wagner in einem Interview des „Tagesspiegel" - Abteilung Staatsschutz für die fünf neuen Länder - gesagt hat: Es gibt eine gewaltbereite „amorphe Masse sehr junger Leute". Ich denke, gerade diese jungen Leute spüren sehr gut, wenn Verantwortliche gegenüber gewalttätigen Ausschreitungen halbherzig reagieren. ({4}) Die Kommentare in den ausländischen Zeitungen sind verheerend. Meine Kolleginnen und Kollegen, es hilft überhaupt nichts, wenn wir sagen: Es gibt auch woanders Fremdenfeindlichkeit. Darauf dürfen wir nicht rekurrieren. Wir gehen auf sehr dünnem Eis. Das haben wir wieder einmal gemerkt. ({5}) 46 Jahre nach Adolf Hitler gehen wir auf sehr dünnem Eis. Wir müssen das politisch aufarbeiten. Ich bin mir dessen bewußt, daß das nicht über Nacht geht. Aber ich will hier auch ganz offen sagen: Den Vorschlag des Ministerpräsidenten von Sachsen, Herrn Biedenkopf, hier keine Ausländer mehr aufzunehmen, halte ich für das falsche Signal. ({6}) Das muß doch als ein Einknicken, als ein Zurückweichen vor der Gewalt verstanden werden. Mehr noch, es schafft innerhalb der Bundesrepublik neue Feindbilder: Westdeutsche gegen Ostdeutsche. Wir haben gemeinsame Herausforderungen, die wir gemeinsam lösen müssen. ({7}) Ich bin ganz sicher: Es gibt mehr Leute, die sich schämen und die Anstand haben, als diejenigen, die Beifall spenden. Ich komme zum Schluß. In der gegenwärtigen Debatte dürfen wir Asyl einerseits und die Behandlung der Leute hier andererseits nicht durcheinandermischen. ({8}) - Ich schaue überhaupt nicht nur nach einer Seite, Herr Kollege Bohl. ({9}) Ich komme dazu in meinem Schlußsatz. Wenn es einen Konsens der Demokraten gibt, dann hier. Wer hier Parteipolitik betreibt, der versündigt sich wirklich an den Betroffenen. ({10}) Wer hier differenziert und augenzwinkernd die eine Gewalt gegen die andere aufrechnet - sozusagen hie Startbahn West und da Hoyerswerda -, der hat schon verloren. Aber lassen Sie mich auch das sagen: Weltoffenheit und gutnachbarschaftliches Verhältnis haben nicht nur etwas mit offenen Märkten und freiem Handel zu tun; das hat auch sehr viel mit Toleranz gegenüber den Leuten, die anders aussehen als wir und eine andere Hautfarbe und Religion haben, zu tun. Ich bedanke mich. ({11})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich weiß, daß es schwierig ist, zu einem solchen Thema in fünf Minuten das Notwendige zu sagen. Wir haben uns aber auf Fünf-Minuten-Beiträge geeinigt. Bisher hat diese Vereinbarung noch keiner eingehalten. Ich bitte also, dies künftig zu tun. Als nächstes hat das Wort der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Jahrestag der deutschen Einheit kochen Ausländerhaß, rechtsradikale Gewalttaten von der Saar bis an die Oder hoch. Nicht unerwartet, aber erschreckend unvorbereitet wird das vereinte Deutschland, werden Staat und Gesellschaft mit diesem Ausbruch konfrontiert. Humanität und Rechtsstaatlichkeit drohen an einer Welle von Haß, Beschränktheit und Opportunismus zu ersticken. Ich finde die Reaktionen von Verantwortlichen in Bonn, in Sachsen und im Landkreis Hoyerswerda peinlich und empörend. ({0}) Ich denke an einen Innenminister, der sich darauf beschränkt, festzustellen, daß es sich hier offenbar um ein politisches Problem handelt, anstatt seine eigenen Dienstpflichten wahrzunehmen. Gerade die Unfähigkeit der sächsischen Polizei, ein von den Bürgern gefordertes Maß an innerer Sicherheit zu garantieren, hat den rechtsextremen Gruppen dort quasi zu einer Akzeptanz als Bürgerwehr verholfen. Deutlicher kann das Versagen des Staates gar nicht ausfallen, als wenn man radikalen Gewalttätern de facto staatliche Aufgaben überläßt. Es ist etwas faul im Staat, wenn die politische Prominenz in Bonn, vor dem Reichstag oder in der Paulskirche das Hohelied der Rechtsstaatlichkeit singt und in Hoyerswerda die Straße der Gewaltszene und einer überforderten Polizei überläßt. ({1}) Tagelang hat sich dort kein einziger verantwortlicher Politiker sehen lassen. Wo waren die Akteure der Sommerdebatte: Herr Schäuble, Herr Stoiber, Herr Lambsdorff, die Bischöfe Lehmann und Kruse? Ich will auf drei Dinge hinweisen, die zu der explosiven Situation beigetragen haben. Erstens. Die Bundesregierung ist mit ihrer Ausländerpolitik in eine Sackgasse geraten. ({2}) Stichwort: multikulturelle Gesellschaft; Stichwort: Einwanderungspolitik. Selbst Frau Funke war nicht mehr bereit, den von der Bundesregierung beschrittenen Weg mitzugehen, und hat ihr Amt als Ausländerbeauftragte resigniert zurückgegeben. ({3}) Die Regierung leistet sich eine in Teilen demagogische und in der Form überflüssige Asyldebatte und schüttet damit Öl ins Feuer derjenigen, die den Flächenbrand proben. ({4}) Asylbewerber, Einwanderer, Flüchtlinge, alle werden pauschal in einen Topf geworfen. ({5}) Da wird von „Asylantenflut" oder „Flüchtlingsströmen" gesprochen, als würden Naturkatastrophen über uns hereinbrechen, und werden unnötige Ängste und Aggressionen geschürt. ({6}) Es ist schon so weit gekommen, daß der Bonner Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen das Niveau der deutschen Asyldebatte kritisieren mußte: „Flüchtlinge sind in erster Linie keine Gefährdung, sondern gefährdet", sagte er, und er führte weiter aus: Kurz nach dem Krieg, in schwierigen Zeiten, war es den westlichen Aufnahmestaaten möglich, ein Abkommen zu unterzeichnen, das sich die Sicht des Flüchtlings zu eigen machte. Was damals möglich war, sollte heute nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Ist es nicht beschämend, daß sich die demokratischen Musterknaben Europas das sagen lassen müssen? Zweitens. Das Thema Jugend und Gewalt ist nicht neu. Ich habe mich kundig gemacht, und denen, die Werner Schulz ({7}) schon länger die Bänke dieses Hohen Hauses drükken, ist es vielleicht noch vage in Erinnerung: Anfang der 80er Jahre hat es eine Enquete-Kommission zu diesem Problem gegeben, deren weitreichende und sinnvolle Empfehlungen bisher unberücksichtigt blieben. ({8}) Drittens. Rechtsradikalismus, auch in den alten Bundesländern, ist ein psychosozialer Defekt. Wir müssen den Ost/West-spezifischen Ursachen nachgehen. Wirkliche Veränderungen können aber nur durch die Verbesserung des soziokulturellen Umfelds entstehen. Soziale Sicherheit, ein Ausbildungs- und Arbeitsplatz, eine Perspektive für die Lebensplanung und Sinnfindung sind die besten Therapeutika. Wer hier spart, nimmt das soziale Spannungspotential und die Gewaltentladung billigend in Kauf. Was ist jetzt zu tun? Wie können wir alle - und da schließen wir uns ein - diesem Angriff auf eine humane demokratische Gesellschaft begegnen? Mit einer Stunde Debatte, mit parteipolitisch geführten Schuldzuweisungen werden wir der Problematik nicht gerecht, ({9}) sondern zeigen wir eher eine erschreckende Konzeptionslosigkeit. Wir brauchen keine Zäune um Ausländerwohnheime, sondern Menschen, Politiker, Bundestagsabgeordnete, couragierte Bürger, die bereit sind, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dort zu verteidigen, wo sie angegriffen werden, in Hoyerswerda, in Saarlouis. ({10}) Warum übernehmen nicht Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Kommunalpolitiker Sicherheitspartnerschaften? Ich führe hier bewußt diesen politischen Begriff in die Diskussion ein, weil wir damit gute Erfahrungen beim gewaltlosen Umbruch im Herbst 1989 gemacht haben. Warum übernehmen Politiker nicht „Sicherheitspartnerschaften" für bedrohte Ausländerwohnheime, organisieren sozialen Schutz und sind selber am Ort, wenn es an der Zeit ist? Wo nichts anderes hilft, muß wirksamer Polizeischutz für die Bedrohten garantiert werden. Der Bundesinnenminister antwortete auf unsere Kleine Anfrage zu den fremdenfeindlichen Übergriffen in den neuen Bundesländern vor einem Monat: „Zur Bekämpfung von fremdenfeindlichen Übergriffen bieten das Polizei- und Strafrecht hinreichende Möglichkeiten. " Warum werden sie dann nicht angewendet, Herr Innenminister? ({11}) Am Freitag findet ein Parteiengespräch über das Asylrecht im Bundeskanzleramt statt. Abgesehen davon, daß die illustre Runde besser an die Brennpunkte des Geschehens gehen sollte - Bündnis 90/DIE GRÜNEN wurden nicht eingeladen. Ist das ein Versäumnis? Oder ist das der vom Herrn Bundeskanzler angekündigte andere Umgang mit unserer Gruppe? Doch wie wollen Sie eine aktive Auseinandersetzung fiber Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit führen, wenn Sie offensichtlich Demokraten ausgrenzen und nicht willens sind, mit uns darüber zu reden? Der Umgang mit Minderheiten, mit Menschen ist d a s Kriterium für Demokratie und Kultur einer Gesellschaft überhaupt. Sorgen wir für ein Deutschland, das Menschen vielerlei Kulturen Heimat bietet, und nicht für eines, das in ordentlicher Biedermeierlichkeit alles Fremde fürchtet und Fremde das Fürchten lehrt! ({12})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächstes hat das Wort der Kollege Ulrich Klinkert.

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So ehrenhaft es gerade für einen ehemaligen DDR-Bürger ist, an diesem Pult vor diesem Hohen Haus zu sprechen, so traurig ist für mich persönlich der Anlaß, dies heute tun zu müssen. In Hoyerswerda scheint die Gewalt zu eskalieren. ({0}) In meiner Heimatstadt, in meinem Heimatkreis gibt es Straßenschlachten zwischen Rechtsradikalen, Polizisten und Autonomen. Ist deswegen Hoyerswerda eine rechtsradikale Stadt, wie der Herr Schreiner von der SPD das hier aussagen wollte? ({1}) Ich kann Ihnen, Herr Schreiner, bescheinigen: Mit Ihren Aussagen überholen Sie auf der linken Seite selbst noch die PDS. ({2}) Wollen wir doch die Polemik besser beiseite lassen. Ich wollte nur zeigen, daß wir es auch können. ({3}) Wollen wir doch die Polemik lieber beiseite lassen und vernünftig zunächst einmal nach den Ursachen forschen, um dann an der Beseitigung eventuell sogar zusammenzuarbeiten, meine Damen und Herren. ({4}) Die Saat für diese Gewalttätigkeiten ist nicht jetzt entsprungen, sondern bereits im real existierenden Sozialismus gelegt worden. ({5}) Verdeutlichen Sie sich doch bitte einmal mit mir die Lage, in der die Hoyerswerdaer jetzt sind. Wen hat man denn dort am Wochenende angetroffen? Ich war da. Da waren zunächst Schaulustige. Sie waren angestachelt durch die Medien. Es waren ca. 500 Menschen, die in Hoyerswerda zusammenkamen und die genauso in jeder anderen deutschen Stadt auf Grund dieser Anlässe ebenfalls in dieser Anzahl zusammengekommen wären. Dann haben wir die sogenannten Rechtsradikalen - vierzig bis fünfzig Jugendliche, ({6}) die in auffälliger Kleidung und mit kahlgeschorenen Köpfen - nach ihren eigenen Aussagen - dort hingekommen sind, um - ich nehme einmal die Begriffe dieser Jugendlichen - Neger aufzuklatschen; so haben die Leute gesprochen. ({7}) Wer sind eigentlich diese Leute mit den kahlen Schädeln? Blicken Sie einmal in die Gesichter. Es sind z. T. noch kindliche Gesichter. Es sind 14-, 15- und 16jährige, die durch die Schule des Sozialismus gegangen sind und die bereits als Einjährige jeden Morgen um 6 Uhr in der Kinderkrippe abgegeben worden sind ({8}) und die natürlich auch einen sozialistischen Kindergarten ganztags mitgemacht haben. ({9}) - Ich weiß, das paßt nicht in Ihre Polemik. Aber man muß den Ursachen auf den Grund gehen. ({10}) - Meine Damen und Herren, wollen wir darüber sprechen oder nicht, oder wollen Sie, von der SPD, hier nur herumbrüllen, weil das besser in Ihr Konzept hereinpaßt? ({11}) Wer sind die Schaulustigen, die dort gestanden haben? Es sind Menschen, die nicht erst seit einem Jahr mit Ausländern zusammenwohnen. Die Ausländer sind Menschen, die aus anderen Kulturen kommen, die andere Lebensideale haben und die, von mir aus, sogar andere Begriffe für Ordnung haben. Diese Menschen, diese Ausländer, dürfen im Moment nicht arbeiten. Infolgedessen haben sie einen völlig anderen Tagesrhythmus. In diesen Betonblökken, in denen die Menschen mit Ausländergruppen Tür an Tür zusammenwohnen, genügen kleinste Anlässe, um Unverständnis und Aggressivität zu erzeugen. Mit einem Kofferradio können Sie in diesen Blökken ein ganzes Haus beschallen. Wenn diese Leute eben nicht um 20 Uhr schlafen gehen und statt dessen etwas Musik hören, dann erzeugt das auf Dauer Aggressivität. ({12}) - Das ist gewiß nicht die einzige Ursache, das ist mir wohlbekannt. Dazu kommen alte Widersprüche, die bereits da waren, als beispielsweise Mosambikaner oder andere Ausländer gegenüber DDR-Bürgern privilegiert waren, weil sie eben einen Reisepaß hatten, mit dem sie jederzeit und zu jeder Stunde nach West-Berlin konnten und durch die Geschäfte des Reisens mehr verdient haben als mancher DDR-Bürger im ganzen Monat. ({13}) Hoyerswerda ist keine rechtsradikale Stadt. Die Mehrheit der Hoyerswerdaer ist sehr besonnen und hat sich ordentlich verhalten. Ich stelle mich bewußt vor die Bürger von Hoyerswerda. ({14}) Ich stelle mich bewußt vor die Kommunalvertreter. Frau Schmalz-Jacobsen, hier unterliegen Sie einem Irrtum der Medien. Diese Leute waren vor Ort. Ich war selber dabei. Sie haben das Mögliche getan. Ich möchte ganz bewußt den einzelnen Polizisten danken, die trotz für sie widriger Umstände und unter nicht einfachen Bedingungen dort gearbeitet haben. ({15}) Welche Alternativen gibt es? Ich glaube, wir kommen an einer Grundgesetzänderung nicht vorbei. ({16}) Bevor wir uns darüber verständigen, ist es notwendig, die Praxis des Anerkennungsverfahrens für Asylanten zu beschleunigen und dann, wenn ein negativer Bescheid gegeben wurde, auch die rigorose Abschiebung vorzunehmen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß!

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es sind bauliche Voraussetzungen in der Stadt Hoyerswerda zu schaffen. Lassen Sie mich zum Schluß eine Bitte an die Bundesregierung aussprechen: Entwickeln wir ein Städtebauprogramm zur Vermenschlichung der sozialistischen Architektur, ({0}) weil darin auch eine der wichtigen Ursachen der Eskalation der Gewalt in Hoyerswerda zu suchen ist! ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat der Kollege Dr. Dietmar Matterne das Wort.

Dr. Dietmar Matterne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001435, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bedrückenden Geschehnisse in der sächsischen Stadt Hoyerswerda sind leider nicht zufällig. Sie sind sicher noch nicht beendet und nicht auf diese Stadt beschränkt. In dieser absolut künstlichen Stadt des Sozialismus, gele3572 gen am „Tal der Ahnungslosen" - für die vielleicht hier anwesenden Ahnungslosen aus den westlichen Gebieten: so wurden Gebiete genannt, in denen Westfernsehen und -rundfunk relativ schwach empfangen werden konnten - , unweit der polnischen Grenze gelegen, kumuliert vieles, was Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit begünstigt. In einer seit jeher strukturarmen Gegend, abseits vom Reiseverkehr und abgeschnitten von jeglicher Kommunikation mit dem Westen, hatte der SED-Staat Monokulturen zur Blüte getrieben: dominierende einseitige Braunkohlewirtschaft, z. B. im Gaskombinat „Schwarze Pumpe" ; uneffektive Landwirtschaft auf kargen Böden; dafür ein konzentriertes Militärpotential und eine nun kaum noch marktfähige Glas- und Textilindustrie. 90 % der Bevölkerung wohnen in den bekannten trostlosen Betonsilos. Die Infrastruktur sowie das hierfür erforderliche mittelständische Gewerbe sind stark unterentwickelt. Auch dies begünstigt Fehlverhalten, schafft Aversionen, wie sie uns in diesen Tagen in den Medien vor Augen geführt wurden. Verschärft wird die Situation durch die Perspektivlosigkeit weiter Teile der Bevölkerung. Der angekündigte Wegfall von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die verstärkte Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und die falsche Finanzpolitik der Bundesregierung haben Sachsens Bürger hart getroffen. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor für die Ausschreitungen gegen ausländische Mitbürger ist schließlich auch die Überforderung der örtlichen Polizeikräfte, die alles in ihren Kräften Stehende getan haben. Aber offensichtlich war auch der sächsische Innenminister total überfordert, denn er brauchte ja Hilfe von seinem Ministerpräsidenten. ({0}) Seit der Vereinigung hat die Kriminalität im Osten Deutschlands drastisch zugenommen. Diebstähle, Körperverletzungen, Umweltdelikte und Verkehrsrowdytum sind an der Tagesordnung. Die schon rein zahlenmäßig viel zu schwach ausgestattete Polizei steht dem hilflos gegenüber. In der Bevölkerung wird diese Hilflosigkeit der Polizei, für Recht und Ordnung zu sorgen, mit wachsender Unruhe zur Kenntnis genommen. Wo Recht und Ordnung nicht durchgesetzt werden können, steigt die Kriminalitätsrate, wird Selbstjustiz geübt und randaliert. Ausländerfeindlichkeit in dieser Dimension könnte aus der Perspektive der westlichen Bundesländer als Krankheit begriffen werden. Behandeln wir die Symptome, brauchen wir mehr Polizei. Die Bundesregierung ist gemäß Einigungsvertrag verpflichtet, die neuen Länder bei der Ausstattung mit einer funktionierenden Polizei zu unterstützen. Wollen wir aber die Ursachen der Ausländerfeindlichkeit bekämpfen, so ist viel mehr zu tun: Erstens. Begreifen wir, daß dort nicht nur ein politisches, sondern auch und in erster Linie ein wirtschaftliches Krisengebiet existiert! Zweitens, Kommunikation, Kultur und Bildung sind nach 40 Jahren Vernachlässigung überproportional zu entwickeln. Drittens. Beheben wir die extreme Perspektivlosigkeit in der Arbeitswelt durch Schaffung qualifizierter Ausbildungs- und Arbeitsplätze! Viertens. Die Stadt Hoyerswerda zwingt sich geradezu als Modellfall auf: Aus einer tristen Betonsilolandschaft des real praktizierten Sozialismus ist eine menschenfreundliche und den sozialen Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht werdende Wohnlandschaft zu schaffen. Es muß darauf geachtet werden, daß an unserer östlichen Grenze nicht eine ganze Region vernachlässigt wird, daß hier die deutsche Einheit nicht ein paar Jahre später kommt oder sich gar ein dauerhaftes Zonenrandgebiet entwickelt. Hoyerswerda darf nicht zum Signal für weitere böse Taten werden. Die schnelle Lösung der Asylfrage ist sicher dringend erforderlich und eine vorrangige Aufgabe. ({1}) Hiermit untrennbar verbunden ist die Notwendigkeit, Bürger zur Toleranz im Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen zu überzeugen. Die Sorgen und Nöte der Bürger dürfen kein Ventil in der Ausländerfeindlichkeit finden. Vielmehr muß den Menschen im Osten eine Perspektive gegeben werden. Ich appelliere an die Bundesregierung, auf das Gesamtproblem sensibel, rasch und effektiv zu reagieren. Danke schön. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man diese Debatte hört, hat man den Eindruck, daß der Vorschlag unserer früheren Kollegin Frau Vollmer, wir sollten doch einmal nach Hoyerswerda fahren und uns den Leuten vor Ort stellen, um uns zu überzeugen, was dort eigentlich passiert ist, gar nicht so schlecht ist. ({0}) Jedenfalls sollte die Debatte nicht zu dem Ergebnis führen, daß wir uns gegenseitig vorwerfen, die eigentlichen Schuldigen an den Pogromen zu sein. Herr Kollege Klinkert, wofür auch immer die Pogrome in Anspruch genommen werden und womit sie entschuldigt werden: Wir wollen jedenfalls unsere Bereitschaft, politisch Verfolgte aufzunehmen, nicht zur Beute von Gewalttätern werden lassen. ({1}) Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie löst keine politischen Probleme. Gewalt gegen Minderheiten und - wie hier - gegen Ausländer ist ein Rückfall in die Barbarei. Die Massivität dieser Pogrome, die Vielzahl der Sympathisanten in der sogenannten normalen Bevölkerung, die offenkundige Unfähigkeit der örtlichen Verwaltung mögen einzigartig sein. Aber man muß es offen und schonungslos sagen: Ausländerfeindlichkeit gibt es nicht nur in Hoyerswerda, sondern auch in anderen Teilen der Bundesrepublik. ({2}) Es handelt sich dabei um kleine radikale Minderheiten, aber sie existieren. Das ist nicht nur eine innerdeutsche Angelegenheit, sondern führt in zunehmendem Maße zu Fragen in Israel, bei unseren Nachbarn und bei den Ländern, aus denen die Ausländer gekommen sind. Diese Fragen sind berechtigt. Ich frage mich, ob die Täter und ihre Sympathisanten nun annehmen können, Erfolg zu haben. Ausländer raus aus Hoyerswerda - das ist nun vollzogen worden. Die Entscheidung der sächsischen Landesregierung, die dort lebenden Ausländer anders zu verteilen, kann ja wohl nicht alles sein, womit der Staat auf diese Brutalität reagiert. Das geht so nicht. Wie ist der Stand der Verfahren? Wann werden sich die Täter vor Gericht wiederfinden? Bleibt Hoyerswerda nun ein ausländerfreier oder ein rechtsfreier Raum, wie es einmal hieß? ({3}) Was wird mit dem selbstzufriedenden Landrat? Soll sich dieses beschämende Schauspiel wiederholen, weil es ja mit Erfolg aufgeführt wurde? Der sächsische Justizminister Heitmann hat über die Ursachen der Pogrome kluge Worte gesagt: eine miese Ausländerpolitik, die zur Isolierung geführt hat, die fehlende Gewöhnung der dortigen Bevölkerung, mit Ausländern umzugehen, und die besonderen sozialen Verhältnisse. Das sind Erklärungen, das ist aber nicht die Antwort auf die Frage, was geschehen soll. Pogrome beginnen im Kopf. ({4}) Ich erinnere Sie an die noch vor einem Jahr bis zur Hektik gesteigerte Ausländerdiskussion in der Bundesrepublik, an die miesen Türkenwitze, an die sich ereifernde Diskussion darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, an das unglaubliche Wort von einer durchrassten Gesellschaft. ({5}) Ich erinnere Sie an die tatsächlich erfolgreichen Prozesse, ob man eine Ausländerunterkunft in einem Wohngebiet dulden müsse. Man muß auch daran erinnern, daß das Wort „Asylant" erst Ende der 70er Jahre in Deutschland auftauchte, und zwar als ein politischer Kampfbegriff, mit dem man Asylanten aus der Türkei und aus Pakistan unterscheiden wollte von Flüchtlingen aus Osteuropa, die man natürlich als Flüchtlinge bezeichnete. Die Ausdrücke „Asylantenflut", „Asylantenströme", „Dämme gegen Asylanten" , „Springflut", „Zeitbombe" sind sprachliche Bilder, in denen eine Entfremdung gegenüber Flüchtlingen, ihre Entmenschlichung nicht nur zum Ausdruck kommt, sondern mit denen diese auch geschaffen wird. ({6}) Das verfälschende Wort „Wirtschaftsflüchtlinge" gehört in diese Reihe. ({7}) Wir wissen, daß die Ursache solcher Stimmungen nicht nur Egoismen, Bequemlichkeit und die Lust sind, Sündenböcke zu suchen. Ihre Ursachen sind ungelöste politische Probleme. Ursache ist auch, daß gerade sozial Schwache in den Fremden zuerst einen Wettbewerber um Wohn- und Arbeitsplatz, um die Zukunft sehen. Die Politik macht sich natürlich mitschuldig, wenn sie Probleme liegenläßt; aber auch dann, wenn sie versucht, sich diese Angst zunutze zu machen, um eine politische Auseinandersetzung auf dem Rücken von Minderheiten auszutragen, ({8}) auch dann, wenn sie den Menschen einfache Lösungen vorgaukelt, die es nicht geben kann, ({9}) wenn sie den Glauben bestärkt, unsere ausländischen Mitbürger wären eine Belastung, während sie uns helfen, wenn sie die Illusion bestärkt, wir bekämen eine stabilere Welt, wenn wir unsere Türen vor dem Elend verschließen. ({10}) Wenn wir diesen Menschen, die bei uns bessere Lebenschancen suchen, diese bei uns nicht bieten können, dann wird uns niemand davor schützen, daß wir diesen Menschen in ihrer Heimat Lebenschancen verschaffen oder uns selbst in einer Festung einmauern müssen. Jeder Politiker ist schuld an den Pogromen von Hoyerswerda und anderswo, der nicht den Mut hat, seinen Mitbürgern diese schlichte Wahrheit zu verkünden, bis sie sie verstanden haben. ({11})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was mich so besonders erschüttert, ist, wenn man die Zeitungen liest und auch wenn man einige Politiker hört: Es fehlt eigentlich die Scham, und es fehlt der Aufschrei. ({0}) - Es ist Ihnen wirklich unbenommen, mich als Inkarnation alles Bösen auf dieser Welt hinzustellen, aber Sie werden es nicht schaffen, mich zum Symbol der Ausländerfeindlichkeit zu machen. Das werden selbst Sie nicht hinbekommen. ({1}) Ich will Ihnen sagen: Was hier in diesem Land fehlt, ist ein Aufschrei. In Frankreich wurden jüdische Friedhöfe geschändet, und anschließend gab es eine Demonstration hunterttausender französischer Bürgerinnen und Bürger mit Präsident Mitterrand an der Spitze. ({2}) Ich frage mich: Weshalb ist es so unvorstellbar, daß hier nach einem solchen Ereignis eine Solidaritätsdemonstration für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, eine Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und Neofaschismus, an der Spitze mit dem Herrn Bundespräsidenten, mit der Frau Bundestagspräsidentin und mit dem Bundeskanzler stattfindet? ({3}) Das ist völlig undenkbar. Das sagt eine Menge aus über das Klima in diesem Land. Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen: Die Debatte und die Art der Debatte über das Asylrecht, über die Vorstellungen zur Änderung des Grundgesetzes, die Vokabeln von „Das Boot ist voll" , „Scheinasylanten", „Wirtschaftsflüchtlinge" bis hin zur „vermischten und durchrassten Gesellschaft", einer Vokabel von Herrn Stoiber, das alles nährt Ausländerfeindlichkeit, das alles verschlimmert diese Probleme enorm. Ich finde es ziemlich unerträglich, mit welch unterschiedlichem Maß gesprochen wird. ({4}) - Hören Sie auf dazwischenzurufen, dann lernen Sie auch, mal zuzuhören! An der Ausländerpolitik der SED habe ich eine Menge auszusetzen und auch schon immer auszusetzen gehabt. Trotzdem kriegen Sie das so billig nicht hin. Sie lebten damals immerhin noch sicherer als heute. ({5}) Das ist eine Tatsache. Ich füge hinzu: Sie können der SED ja viel vorwerfen, aber in Saarlouis und in Münster hat sie nun einmal nicht regiert. Das wäre mir völlig neu. Da haben Sie gleiche und ähnliche Ausschreitungen gegen Ausländer. So einfach werden Sie sich aus dieser Sache nicht herausreden können. Ich finde es auch einfach zu billig, weil es mit der Lösung der Probleme nichts zu tun hat. Was mich noch mehr erschüttert, ist: Wenn es solche gewalttätigen Ausschreitungen gibt, dann wird die Lösung darin gesucht, daß man sagt: Ja, es sind wirklich zu viele, da muß endlich was weg, da muß man helfen. - Das ist eine Argumentationsschiene, die bei der CDU/CSU sonst nicht gilt. Ich kann mich an riesige Demonstrationen gegen Atomenergie und ähnliches erinnern. Ich habe nie gehört, daß gesagt worden ist: Dann müssen wir sie eben abschalten. Vielmehr wurde da gesagt: Wir werden die Gegner mit polizeilichen Mitteln schon zurückhalten. ({6}) Und ich füge hinzu: Schon wenn man in dieser Frage auch nur die Andeutung des Nachgebens rüberbringt, wenn man anfängt, mit Kofferradios und ähnlichem zu entschuldigen, wenn man sagt, Ausländer hätten ein anderes Verhältnis zur Ordnung, schon wenn man das nur so ausspricht, leistet man jeder Fremdenfeindlichkeit Vorschub - bewußt oder unbewußt. Und das halte ich für kreuzgefährlich. ({7}) Ich will auch noch folgendes sagen: Es erschüttert mich tief, daß die ganze Diskussion auf einer falschen Schiene stattfindet. Sie ist nicht nur deshalb so falsch, weil sie Ausländerfeindlichkeit schürt; das ist schon ein großes Problem. Aber das andere große Problem ist - und das finde ich wirklich gefährlich - , daß sie Illusionen weckt. Sie führen hier eine Debatte, als ob Sie über Grundgesetzregelungen, über Visabestimmungen das Elend der Dritten Welt von dieser Welt fernhalten können. ({8}) Das ist eine Illusion. Wenn man der SED diesbezüglich etwas vorwerfen kann, dann dies: daß sie 40 Jahre Abschottungspolitik betrieben hat, die letztlich zu einer Katastrophe geführt hat. Ich warne Sie vor Ihren Vorstellungen von Abschottungspolitik. Es wird nicht aufgehen. Und wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern auch noch einreden, dann wären sie das Problem los, dann wecken Sie auch noch riesige Illusionen - neben dem Schüren von Ausländerfeindlichkeit. ({9}) Machen Sie sich doch bitte einmal folgenden Gedanken: Was passiert denn an dem Tage, an dem an unseren Grenzen 500 000 oder 600 000 Menschen stehen? Sagen Sie schon hier und heute, was Sie dann zu tun gedenken! Mit Visabestimmungen werden Sie dieses Problem dann mit Sicherheit nicht lösen. Ich glaube, die Menschen in diesem Land haben ein Recht auf Antwort darauf.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, Frau Präsidentin. Ich finde auch, daß eine Debatte von einer Stunde völlig unzureichend ist. Ich bin der Meinung, wir müßDr. Gregor Gysi ten uns hier im Bundestag einen ganzen Tag damit beschäftigen. Ich bin weiter der Meinung, wir brauchen jetzt eine Kampagne - von der Bundesregierung finanziert, ähnlich wie die Anti-Aids-Kampagne - gegen Rassismus, Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ein Letztes: Ich finde, wir Politikerinnen und Politiker sollten hier mutig und nicht populistisch voranschreiten. Bilden wir doch einmal einen Schutzschild vor einem solchen Wohnheim und sagen den Bürgerinnen und Bürgern in diesem. Land: Wir lassen es nicht zu, daß Gewalt gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger angewandt wird - von wem auch immer! ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat das Wort der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zu dieser Debatte machen, an der niemand Freude haben kann, die für uns alle Anlaß zu großer Sorge und auch ein ganzes Stück weit zu Scham ist. Die Bundesregierung verurteilt alle Anschläge auf Wohnheime von Ausländern und Asylbewerbern und alle Gewalttaten auf das schärfste. Ich finde, wir müssen diesem generellen Anliegen und dieser Grundbefindlichkeit auch in dieser Debatte ein Stück weit Rechnung tragen. Nicht alle, die bis jetzt geredet haben, sind, wenn Sie mir diese Bemerkung in aller Zurückhaltung erlauben, dieser Anforderung - die sie alle ausgesprochen haben - selbst gerecht geworden. Es fällt schon schwer, in einer Rede von fünf Minuten auf der einen Seite die Art von Kritik an den zuständigen Behörden des Bundes - der da gar nicht zuständig ist - , des Landes und der Kommunen zu hören und auf der anderen Seite den Hinweis, daß das keineswegs ein Problem ist, das sich nur auf Sachsen oder Hoyerswerda konzentriert. Nur das eine oder andere kann richtig sein. Ich finde, wenn man beides miteinander sieht, kommt man zu einem verantwortlicheren Umgang. Wir haben seit Beginn dieses Jahres in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 63 Brandanschläge auf Wohnheime von Ausländern und Asylbewerbern gehabt, davon 20 in Nordrhein-Westfalen. Herr Kollege Schreiner, das einzige, was mir an Ihrer Rede gefallen hat, war, daß sie, wie ich finde, ein Stück selbstkritisch zu Recht damit begonnen haben, daß es den ersten Toten -- das ist so schrecklich wie das, was in Hoyerswerda war - in Saarlouis gegeben hat, was gegen Saarlouis so wenig spricht wie gegen Hoyerswerda. Das aber sind die Vorgänge dieser Tage. Aber das eine und das andere muß dann konsequenterweise zum Ausdruck gebracht werden. Ich finde auch bei aller Leidenschaft der Debatte, daß niemand das Recht haben kann, aus den Sorgen, die sich viele unserer Mitbürger zu Recht über die wachsende mißbräuchliche Berufung auf das Grundrecht auf Asyl machen, nun abzuleiten, daß man Anlaß zu Gewalttätigkeiten habe oder daß man auch nur stillschweigend die Gewalttaten billigen könne. Dazu hat, so ernsthaft diese Debatte auch geführt werden muß, niemand irgendeinen Anlaß. ({0}) Ich will ausdrücklich sagen, daß es auch mich mit Sorge erfüllt, daß sich die für die innere Sicherheit in Hoyerswerda Verantwortlichen nach sicherlich sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte zu der Entscheidung gezwungen gesehen haben, die Ausländer und Asylbewerber aus Hoyerswerda herauszuverlegen. ({1}) - Herr Kollege Gysi, ich komme gleich zu Ihnen. Aber reizen Sie mich nicht, damit es nicht noch unfreundlicher wird. - Ich will sagen: Die Abwägung, auf der einen Seite die Sicherheit der Menschen in Hoyerswerda nicht mehr garantieren zu können, aber auf der anderen Seite mit dieser Entscheidung natürlich ein Stück weit zur Sorge Anlaß zu geben, daß man mit Gewalt erreichen könne, was man anders nicht erreichen kann, ist eine problematische Entscheidung. ({2}) Deswegen sage ich: Wir sollten dieses Problem, aber auch die Not derjenigen sehen, die diese Entscheidung zu treffen hatten. ({3}) - Lassen Sie mich doch das reden, was ich gerne sagen möchte! Ich möchte gerne die Bemerkung anfügen, daß auch der Verzicht auf die Unterbringung von Asylbewerbern in den neuen Bundesländern - es ist zum Teil auch mir vorgeworfen worden, daß das der Fehler gewesen sei - kein Beitrag zur Lösung der Problematik ist; denn wenn wir das Problem in allen Bundesländern, in den alten wie in den neuen, haben, dann kann dieser Ansatz das Problem auch nicht lösen. ({4}) Im übrigen, Herr Kollege Gysi, glaube ich Ihnen schon, daß Sie persönlich für das einstehen, was Sie hier gesagt haben. Aber Sie sind, wenn ich es richtig weiß, noch immer der Vorsitzende der Partei, die noch vor kurzem SED hieß und die heute PDS heißt. Es ist ja nun schon wahr, was der Kollege Klinkert gesagt hat. Darum habe ich Ihre Reaktion darauf wirklich nicht verstanden, zumal der Kollege Matterne anschließend dasselbe gesagt hat. ({5}) - Ja sicher, aber es wird doch etwas nicht dadurch richtig oder falsch, daß es nun ein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion oder der SPD-Fraktion sagt. Die beiden Kollegen aus Sachsen haben darauf hingewie3576 sen, daß eine der Ursachen der Vorfälle in Hoyerswerda natürlich schon eine scheußliche Behandlung von Ausländern zu Zeiten der alten DDR und der alten SED gewesen ist. ({6}) Daran kann ja wohl kein Zweifel sein. Das sollten Sie bei Herrn Klinkert nicht als Verharmlosung kritisieren, wenn es Ihr Kollege aus Ihrer eigenen Fraktion genauso sagt. ({7}) - Aber natürlich, so ist es gewesen! Im übrigen finde ich, daß die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen - das gilt nicht nur für Hoyerswerda und den Freistaat Sachsen, sondern für alle Bundesländer - natürlich die Pflicht haben, sich darum zu kümmern, daß solche Vorkommnisse nicht passieren oder möglichst rasch beendet werden. ({8}) Aber ich sage auch: So sehr es wichtig und notwendig ist, daß wir diese Diskussionen in dem Wissen um die Gefahren, die daraus entstehen, behutsam führen, so sehr, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es unverzichtbar, daß wir den Menschen das Gefühl geben, wir nähmen ihre Sorgen und Ängste auch ernst und wir würden als Politiker nicht nur reden, sondern auch handeln. Es ist eben wahr, daß immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die überhaupt nichts mit Ausländerfeindlichkeit, Gewalttätigkeiten, und Extremismus oder Rechtsradikalismus zu tun haben, die Sorge und die Angst haben, daß diese Bundesrepublik Deutschland, in der fünf Millionen Ausländer friedlich als Mitbürger unter uns leben, nicht mehr in der Lage ist, die Politik der Zuzugsbegrenzung, die wir seit der Regierung Schmidt in der Bundesrepublik Deutschland einvernehmlich durchgesetzt und durchgeführt haben, jetzt auch wirklich einzuhalten. Das ist doch der entscheidende Punkt, daß die Menschen den politisch Verantwortlichen zunehmend nicht mehr zutrauen, mit dem Problem fertig zu werden. ({9}) Deswegen, Herr Conradi, kommt zu der Notwendigkeit der behutsamen Diskussion auch die Verpflichtung zum verantwortlichen Handeln hinzu. Wer das verantwortliche Handeln vermissen läßt, wird am Ende Ausländerfeindlichkeit ernten; darauf haben wir seit Jahr und Tag hingewiesen. ({10}) - Wir verursachen doch überhaupt keine Angst, sondern wir sagen seit Jahr und Tag, daß es auf Dauer nicht hinzunehmen sein wird, daß das Grundrecht auf Asyl bei politischer Verfolgung immer mehr zum Tor wird, bei dem die Politik der notwendigen Zuzugsbegrenzung in der Bundesrepublik Deutschland unterlaufen wird. ({11}) Wer den Menschen eine Antwort auf ihre Sorgen verweigert, macht sich genauso schuldig wie derjenige, der in seinem Reden die Folgen seines Redens nicht bedenkt. ({12}) Aber hören wir doch mit der Schuldzuweisung auf. Es war ja wohl, wenn schon aufgerechnet wird, der Kollege Wedemeier - immer noch Regierungschef eines Bundeslandes - , der mit der Diskussion begonnen hat, indem er gesagt hat, er nehme keine Asylanten mehr auf. ({13}) Jeder muß vor der eigenen Tür kehren. Es hat keinen Sinn, hier solche Reden zu halten, wenn wir nicht bereit sind, vor den eigenen Türen zu kehren. ({14}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie versuchen, mich hier am Reden zu hindern. Ich habe nun wirklich versucht, einen Beitrag zum behutsamen Umgang zu leisten. Deswegen ist der letzte Punkt, den ich Ihnen noch gern sagen möchte: Wenn wir wollen - ich will das und habe das immer gesagt, und ich bin dafür immer mit Wort und Tat eingetreten - , daß diese Bundesrepublik Deutschland ein ausländerfreundliches Land bleibt, dann müssen wir bessere Antworten auf die Probleme der Menschen finden, als es uns bis heute gelungen ist. ({15}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Gespräch der Parteien und Fraktionen am Freitag so wichtig; aber ({16}) nicht das Gespräch als solches. Es muß jetzt zu einem gemeinsamen Handeln der demokratischen Kräfte kommen. ({17}) Wenn wir dazu nicht fähig werden, machen wir uns alle schuldig. Es ist nicht nur behutsames Handeln und behutsames Reden, sondern noch mehr ist verantwortungsvolles Handeln gefordert, wenn diese Bundesrepublik Deutschland, wie wir es wollen, ein ausländerfreundliches Land bleiben soll. ({18})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit langem machen wir leidvolle Erfahrungen mit Gewalttätigkeiten von Rechtsextremisten gegen Ausländer, zumal gegen Asylsuchende. Es handelt sich um relativ wenige Täter, trotz der Zahlen, die wir vom BundesinnenminiDr. Jürgen Schmude ster gehört haben. Sie stehen am Rande der Gesellschaft, haben keine wesentlichen Bevölkerungsgruppen hinter sich und treffen immer wieder auf scharfe Ablehnung und Verurteilung. Das war das bisherige Bild. Aber nun müssen wir es korrigieren und ergänzen. Es mag ja sein, daß die haßerfüllten und verblendeten Schläger für uns Randerscheinungen sind - für uns. Für die Opfer sind sie eine schreckliche, lebensbedrohende Gefahr. Inzwischen sind mehrfach Asylsuchende bei Brandanschlägen umgekommen oder auf andere Weise umgebracht worden; ich denke an den Fall in Dresden, wo ein Asylsuchender aus der Straßenbahn geworfen wurde und dabei starb. Von gewalttätigen Ausschreitungen rechtsextremistischer Jugendlicher gegen Ausländer hören wir inzwischen fast täglich, vor allem aus den östlichen Ländern der Bundesrepublik. Da breitet sich eine abscheuliche Kriminalität aus. Sie läßt sich nicht herunterspielen, schon gar nicht nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda. Daß dort alles mit einem Überfall der Rechtsextremisten auf Vietnamesen auf dem Marktplatz begonnen hat, ist schon kaum noch der Rede wert. Fine ausgedehnte Belagerung des Ausländerwohnheims folgte, der wiederholte Versuch, das Heim zu stürmen. Brandflaschen und andere Wurfgeschosse wurden dabei verwendet. Getötet wurde dort glücklicherweise noch niemand, anders als in Saarlows, wo etwa gleichzeitig ein Asylbewerber nach einem Anschlag auf ein Wohnheim verbrannte. Also nicht nur in den östlichen Ländern geschehen diese Verbrechen, und doch erregt Hoyerswerda. durch die Unverschämtheit und Ausdauer der kriminellen Aktionen und durch die Gruppen von Bürgern, die sich auf die Seite der Gewalttäter stellen und sie ermuntern, besondere Aufmerksamkeit. Gewiß kann man in diesem Zusammenhang den Hintergrund der sozialen Spannungen in der Stadt und vielleicht sogar Ungeschicklichkeiten bei der Zuweisung und der Unterbringung der angegriffenen Ausländer diskutieren; unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Willfried Penner ist heute in Hoyerswerda, um sich vor Ort damit zu befassen. Verständlich machen oder rechtfertigen aber läßt sich mit diesen Dingen nichts. ({0}) Die Verbrechen sind nicht entschuldbar; sie müssen öffentlich und eindeutig verurteilt, ihnen muß mit staatlicher Gewalt entgegengetreten werden. Es geht um den Schutz bedrohter Menschen, die sich nicht selber schützen und die auch nicht ohne weiteres ausweichen können. Die Opfer sind schwach und fast hilflos; sie genießen als Fremde wenig Sympathie in der Bevölkerung. Um so schlimmer ist es - hier muß ich das Thema doch noch einmal aufgreifen -, daß die von konservativen Politikern während der Sommermonate angefachte Asylrechtskampagne Ansehen und Stellung dieser Außenseiter weiter geschwächt hat. ({1}) Wenn Menschen mit primitiver Denkweise und erheblicher Gewaltbereitschaft hören, daß die von ihnen ohnehin verabscheuten Ausländer unser Land überfluten, so daß unser Boot voll ist, wenn sie von massenhaftem Mißbrauch des Asylrechts lesen ({2}) und von der Notwendigkeit, die Eindringlinge wieder loszuwerden, ohne daß es dafür sofort wirkende Mittel gibt ({3}) - die haben Sie nicht, Herr Bötsch, die hat auch Herr Schäuble nicht genannt -, dann ist es bis zum eigenmächtigen Losschlagen dieser Leute nicht mehr weit. ({4}) Daß die Gewalt heute schwache und hilflose Ausländer trifft, ist beschämend für unser ganzes Land. Wir haben das einheitliche Deutschland im Zeichen von Demokratie und Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde gebildet. Auf dieses Bild fallen Schatten, die größer werden. Wir brauchen nicht erst die sorgenvollen Anfragen unserer Freunde im Ausland abzuwarten, um Grund zur Scham zu haben. Herr Geißler hat in diesen Tagen - oder war es heute? - gesagt, es gebe keinen Zweifel daran: Die Deutschen müßten lernen, mit Ausländern zu leben. Das hätte ich hier gern von der Bundesregierung, das hätte ich gern vom Bundeskanzler gehört. ({5}) Wiederholt haben wir es gemeinsam, gesellschaftliche Gruppen, Kirchen, Politiker und andere, geschafft, den Stempel der Unanständigkeit und. Unmoral auf jegliche Ausländerfeindschaft zu erneuern und solches schäbige Denken und Handeln zu ächten. Kompromißlose, deutliche Sprache und ein energisches Handeln über alle sonstigen Meinungsunterschiede hinweg sind dazu geboten. Die Meinungsunterschiede über Asylrecht können wir an anderer Stelle austragen, aber hier ist klare Stellungnahme und eindeutige Parteinahme zugunsten der Schwachen und Gefährdeten geboten. ({6}) Lassen Sie uns das entschieden tun! Es dient dem Schutz der ausländischen Menschen in unserem Land. Es dient allen Bürgern. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Steinewerfer und Schläger sind eine schlimme Sache. Genauso schlimm sind Sympathisanten, die der Gewalt Beifall zollen. Das Grundgesetz gilt in ganz Deutschland. Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte gilt in ganz Deutschland. Wir wollen und wir erwarten, daß alle Bürger dieses Grundrecht in ganz Deutschland respektieren und akzeptieren. Unsere Aufgabe, die Aufgabe des Deutschen Bundestages, ist es, die offenbar notleidende Akzeptanz des Grundrechts auf Asyl zu erhöhen, indem wir die mißbräuchliche Berufung auf das Asylrecht, soweit das möglich ist, einschränken. Darüber muß gesprochen werden. Darüber muß in der offenen Demokratie auch öffentlich gesprochen und, wenn nötig, gestritten werden. Wer unter Hinweis auf Gewalttäter das Ende der Debatte verlangt, erweist der Sache keinen Dienst und zeigt ein seltsames Verständnis von Demokratie. ({0}) Meine Damen und Herren, das Problem Asylrecht ist entgegen dem, was Sie behaupten, nicht herbeigeredet. Wir hatten 1988 103 000 Asylsuchende, 1989 121 000, 1990 193 000 und in diesem Jahr voraussichtlich 250 000 Asylsuchende. Diese Zahlen und die daraus folgenden Probleme sind nicht herbeigeredet. Das sind Fakten, die eine politische Entscheidung des Deutschen Bundestages verlangen und unumgänglich machen. ({1}) Ich meine, bei der Diskussion darüber sollten trotz der heutigen, zum Teil, muß ich sagen, üblen Debatte ({2}) die Gemeinsamkeiten zwischen CDU/CSU, FDP und SPD nicht übersehen werden und untergehen. Ich will auf folgendes hinweisen: Erstens. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß das Asylrecht für wirklich politisch Verfolgte nicht zur Disposition steht. Zweitens. Bei allem Verständnis für die Menschen, die nicht verfolgt sind, sondern sich auf das Asylrecht berufen, um bedrückender und oft hoffnungsloser Armut zu entfliehen, besteht jedenfalls bis heute Obereinstimmung auch darüber, daß das Problem der Armut in der Welt nicht über das Asylrecht des Art. 16 gelöst werden kann. Drittens. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß wir wirksamere gesetzliche Regelungen und praktische Maßnahmen brauchen, um diejenigen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen, in möglichst kurzer Zeit festzustellen und in ihre Heimatländer zurückschicken zu können. Viertens. Es besteht Übereinstimmung darin, daß das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren bei offensichtlich unbegründeten Anträgen auf das verfassungsrechtlich Mögliche verkürzt werden muß. Dazu kann auch die Unterbringung in Lagern beitragen. Diesen Weg hätten übrigens auch die SPD-regierten Länder, die das jetzt fordern, schon seit langem beschreiten können; denn kein Gesetz hindert sie daran. Wer allerdings behauptet, das alles sei geeignet, das Verfahren über Asylanträge auf sechs Wochen zu verkürzen, der hat entweder keine Ahnung, oder er streut den Leuten Sand in die Augen. ({3}) Aber es gibt natürlich auch Unterschiede. Lassen Sie mich zum Schluß zwei nennen: Wir wollen als CDU/CSU, daß Asylbewerber aus Staaten, in denen keine politische Verfolgung herrscht, ohne Verwaltungsverfahren und ohne Gerichtsverfahren an den Grenzen zurückgeschickt werden können. ({4}) Und wir wollen, daß Entscheidungen anderer EG-Staaten über dort gestellte Asylanträge auch bei uns verbindlich sind mit der Folge, daß z. B. ein in Frankreich abgelehnter Bewerber bei uns nicht erneut Asyl beantragen kann. Darüber müssen wir sprechen; darüber muß auch öffentlich diskutiert und gesprochen werden. Es muß aber in der Öffentlichkeit sachlich diskutiert werden, was man von der heutigen Debatte weiß Gott nicht immer sagen kann. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn wir eine breite Mehrheit für eine vernünftige Lösung des Asylproblems finden und diese Mehrheitsentscheidung dann in Gesetze und in die Praxis umsetzen, leisten wir den allein entscheidenden Beitrag, um Rechtsradikalen und dem Fremdenhaß in Deutschland endlich begegnen zu können. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Graf.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Blens, dem, was Sie zuletzt ausführten, kann man sicherlich in einigen Punkten zustimmen. Ich denke, uns allen wäre sehr daran gelegen, die Debatte zu versachlichen. Aber vergessen wir bitte nicht, daß die zunehmenden rechtsradikalen Ausschreitungen am vergangenen Wochenende ein weiterer, und zwar sehr trauriger, Höhepunkt gewesen sind. Nach den heftigen Ausschreitungen rechtsextremistischer Straftäter sah sich die CDU-geführte Landesregierung von Sachsen in Hoyerswerda außerstande, die Ausländer vor weiteren Angriffen zu schützen. Sie kapitulierte vor den radikalen Kräften und verlegte die Ausländer und Asylbewerber in andere Unterkünfte. Hoyerswerda ist damit die erste „ausländerfreie" Stadt in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine bedrückende Tatsache, wie ich meine. ({0}) Eine solche Vorgehensweise ist eines Rechtsstaates nicht würdig. ({1}) Anstatt mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln die Gewalt zu bekämpfen, entzieht man sich der politischen Verantwortung nicht nur auf der Landes-, sondern auch auf der Bundesebene. Die Bundesregierung sieht dem Geschehen hilf- und tatenlos zu. Lösungsvorschläge werden von ihr nicht unterbreitet. Ich denke, es hätte dem guten Ruf des Bundesinnenministers nicht geschadet, wenn er an Ort und Stelle Flagge gezeigt hätte. Kolleginnen und Kollegen, nichts ist geschehen. Man hat es wieder einmal der Polizei vor Ort überlassen, für die Politiker die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Gerade hier, wo das Handeln der Bundesregierung gefragt war, hat sich diese völlig passiv verhalten. Lieber überläßt die Bundesregierung das Feld den Scharfmachern in den Reihen der CDU/CSU, welche das explosive Thema - darauf ist mehrfach hingewiesen worden - zum Instrument ihrer Parteipolitik machen, indem sie ständig mit der stets populistisch wiederholten Forderung nach seiner Änderung des Asylrechts argumentieren. ({2}) Anstatt die notwendigen sicherheits- und sozialpolitischen Maßnahmen zu treffen, um Ausländer und Asylanten zu schützen, läßt es die Bundesregierung damit bewenden, verbal jede Art von Gewalt gegen Ausländer zu verurteilen und im übrigen dem Schutz dieses Personenkreises unter Berufung auf Art. 30 des Grundgesetzes in die Zuständigkeit der Länder zu verweisen. Damit versucht sich die BundesregIerung aus ihrer politischen Mitverantwortung zu stehlen. Die Bundesregierung hat es im vergangenen Jahr versäumt, den neuen Bundesländern beim Aufbau einer demokratischen Polizei die erforderliche Hilfe zukommen zu lassen. Sowohl die personelle als auch die materielle Ausstattung der Polizei in den neuen Bundesländern ist katastrophal. Am Beispiel Hoyerswerda kann dies ganz deutlich gemacht werden. Die Stadt Hoyerswerda zählt 70 000 Einwohner. Für diese 70 000 müssen Sicherheit und Ordnung von 14 Polizeibeamten mit drei Fahrzeugen Tag und Nacht gewährleistet werden, und dies noch in den alten SED-Uniformen, die bekannterweise bei der Bevölkerung Mißtrauen erwecken. Bei einer solchen Besetzung können Ausbildung oder Fortbildung, die dringend notwendig sind, nicht stattfinden. Ich denke, Kolleginnen und Kollegen, daß diese Beispiele zeigen, mit welchen Problemen die Polizei in den neuen Bundesländern zu kämpfen hat. Nun sollen diese schlecht oder gar nicht nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgebildeten, mangelhaft ausgerüsteten und gering bezahlten Beamten den Kopf für die Versäumnisse der CDU-geführten Landes- und Bundesregierung hinhalten. ({3}) Die Unterlassungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit wiegen um so schwerer, als die sich verschärfende Gewaltbereitschaft auf der rechtsradikalen Seite bei realistischer Einschätzung der Lage vorhersehbar war. ({4}) - Hören Sie mal zu, Herr Gerster. Über das, was Sie hier sagen, können wir uns im Innenausschuß noch einmal ein bißchen näher unterhalten. ({5}) Die Bundesregierung hat trotz stetiger Warnungen durch die SPD nicht reagiert. Sie versteckte das gesamte Problem hinter der Asyldebatte. Ihr CDU-Generalsekretär Rühe spielt zusätzlich mit dem Feuer, indem er von SPD-Asylanten spricht. Das, meine Damen und Herren, ist politische Brandstiftung, wie es unser Fraktionsvorsitzender gesagt hat. ({6}) Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal ausdrücklich unterstreichen, daß auch mit einer besser ausgestatteten und besser ausgebildeten Polizei das Problem der Ausländerfeindlichkeit nicht zu lösen ist. ({7}) Die Polizei kann mit ihren Einsätzen die Situation im Einzelfall allenfalls kurzfristig befrieden. Neben der Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit und des Rechtsextremismus mit polizeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen bedarf es vor allem aller demokratischen Kräfte, um die soziale, die wirtschaftliche und politische Stabilität insbesondere in den neuen Bundesländern zu fördern. Wer aber Haß gegen Ausländer schürt, Angst und Hysterie vor Asylanten und Ausländern verbreitet und dadurch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates untergräbt, der trägt nicht zur Lösung der Probleme bei, der verschärft sie nur. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Belle das Wort.

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Graf, ich war von einem Teil Ihrer Ausführungen ein bißchen enttäuscht, weil ich Sie im Innenausschuß als sachgerechten und fachgerechten Debattierer und Mitstreiter kennengelernt habe. Ich habe ein bißchen mehr erwartet. Aber zurück zum eingentlichen Thema. Einig sind wir uns in diesem Hohen Hause, meine Damen und Herren, in der Verurteilung der extremistischen Ausschreitungen gegen Ausländer in Hoyerswerda und anderswo. Der aufkeimende Extremismus von rechts und von links muß an seinen Wurzeln bekämpft werden. Dabei stehen natürlich die rechtsextremistischen Aktionen in der Bekämpfung im Vordergrund. Aber auch auf dem linken Auge - auch das muß gesagt werden - dürfen wir nicht ganz blind sein. Ich sage das bewußt, ({0}) nachdem in meinem ländlichen Wahlkreis in der Nacht zum Dienstag die Kreisgeschäftsstelle der CDU durch Steinwürfe und durch Besprühen mit entsprechenden Parolen beschädigt wurde. Ich spreche aus eigener Erfahrung. ({1}) Untersuchen wir die Ursachen, können wir zwei Feststellungen treffen: Erstens. Die ausländerfeindlichen Aktionen sind nur auf der Grundlage einer vorhandenen Fremdenfeindlichkeit möglich, die wir wirklich nicht wegdiskutieren können. Diese Feindlichkeit wird durch die besonders schwierige wirtschaftliche Lage in den fünf neuen Ländern noch verstärkt. Fremdländisches Aussehen, Eindruck und Verhalten führen bei vielen unserer Bürger zu Unsicherheit. ({2}) Aus der Unsicherheit erwachsen Angst und Intoleranz. Oft führt das zur Feindschaft, und Feindschaft provoziert Aggressionen. Meine Damen und Herren, dieser Teufelskreis muß unterbrochen werden. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind aufgerufen, hier zusammenzuarbeiten und zum gegenseitigen Kennenlernen und Verständnis beizutragen, auch Sie, Herr Ullmann. Zweitens. Die in den letzten Monaten extrem gestiegenden Asylbewerberzahlen führen zu höheren Zuweisungen von Asylbewerbern an die Städte und Gemeinden. Durch die allgemeine Wohnungsnot sind die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten in den Kommunen erschöpft. Hallen, Schulen und Jugendräume sind belegt. Bürgermeister und Gemeinderäte debattieren oft im Kreis. Gegen das Aufstellen von Wohncontainern gibt es Widerstände aus der betroffenen Nachbarschaft. Es formieren sich Bürgeraktionen gegen die ungeliebten Nachbarn. Mit der täglichen Frühstückslektüre in der Lokalzeitung werden diese Probleme hautnah serviert. Der Bürger fühlt sich alleingelassen. Es entsteht der Eindruck: In der Politik wird nur geredet, nicht gehandelt. Ich folgere: Zur Lösung des Asylbewerberprobiems, des Zugangsproblems, ist die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien erforderlich. Es kann und darf nicht sein, daß der Rechtsstaat vor Steinwürfen zurückweicht. Brutale Gewalt darf niemals zu Erfolg, auch nicht zum Teilerfolg führen. Ich appelliere dringend an uns und an die Verantwortlichen aller unserer demokratischen Parteien: Tragen wir alle dazu hei, daß bei den Gesprächen und Verhandlungen der nächsten Tage Dein; Bundeskanzler und auch in den Fachkonferenzen sachgerechte Lösungen im Interesse der Burger und des Rechtsfriedens in unserem Lande gefunden werden! ({3}) Ein altes Sprichwort lautet: Der eine wartet, daß die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt. Meine Damen und Herren, die Zeit zum Handeln ist da. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Steinbach-Hermann.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Mensch" und „die Menschlichkeit" - es gibt kaum zwei Begriffe, die vom Wortstamm her so eng verwandt sind und inhaltlich so unendlich weit auseinanderliegen. Der Blick nach Hoyerswerda, aber auch der Blick zurück in eine blutige Menschheitsgeschichte zeigt, daß humanes Handeln eines jeden einzelnen Utopie war, Utopie ist und leider Gottes, so befürchte ich, auch Utopie bleiben wird. Das mögen wir beklagen, das mögen wir auch bedauern und verurteilen; aber - man muß kein Prophet sein - es wird leider unverändert so bleiben. Weil das so ist, tragen alle Politiker, tragen wir alle ein besonderes Maß an Verantwortung. Wir tragen Verantwortung dafür, daß eine Politik betrieben wird, die Aggressionen den Boden entzieht, daß eine Politik betrieben wird, die nicht niederen Instink ten zum Durchbruch verhilft, daß eine Politik betrieben wird, die befriedend wirkt. ({0}) Hoyerswerda macht überdeutlich, daß in der Asylfrage für uns Politiker die Sturmglocken läuten müssen. Wir können diesem Thema nicht ausweichen. Wer hier die Ohren verschließt, wird schuldig in vielfältiger Form. Der Herr Bundesinnenminister hat vorhin bereits darauf hingewiesen. Die erschreckende Tatsache, daß brave Bürger - ich setze das Wort „brave" noch nicht einmal in Anführungszeichen, dann würde man sich das nämlich zu leicht machen -- den Ausschreitungen gegen Asylbewerber nicht mehr hinter vorgehaltener Hand applaudieren, sondern ganz offen Applaus geben, offenbart uns doch, daß der Mißbrauch des Asylrechts von unseren Bürgern weitgehend nicht mehr mitgetragen wird. ({1}) Meine Damen und Herren, wer nicht will, daß Hoyerswerda überall ist, muß bereit sein, den massenhaften Mißbrauch unseres Asylrechts auf Dauer zu verhindern. Ein Wort zu denen, die glauben, man könne die Asylbewerberbewältigungsfrage allein über Lagerhaltung von Menschen lösen: Ich meine, der irrt. Das damit dauerhaft und sinnvoll zu lösen wird nicht möglich sein. Wer nach Hoyerswerda schaut, mag das bestätigt sehen. An solchen Orten wird Unmut immer und immer wieder inhuman kumulieren, und zwar von beiden Seiten: seitens der Bevölkerung, aber auch seitens der Menschen, die in einer solchen Gemeinschaft zusammenleben müssen. Auch dort wird es Unmut geben; machen wir uns doch nichts vor. Der Applaus jedes einzelnen Bürgers zu solchen Ausschreitungen ist eine Ohrfeige für uns Politiker - darüber müssen wir uns doch im klaren sein -, weil wir ein konkretes Problem nicht gelöst haben. Auch deshalb sind solche Ausschreitungen möglich. Da die Bundesregierung allein in die Pflicht zu nehmen wird dem nicht gerecht. Dieses Haus hier ist gefragt. Wir alle in diesem Hause sind gefragt. Eine Veränderung ist nur durch das Parlament insgesamt möglich. Deuten wir doch nicht mit moralischem Finger auf unsere Bürger. Nicht die Bürger sind die Schuldigen; die Politiker tragen die Verantwortung insgesamt. ({2}) - Wir sind aufgerufen, eine Lösung herbeizuführen. Wir müssen doch Stimmungen aufnehmen. ({3}) - Meine Damen und Herren, wir machen keine Stimmung. ({4}) Aber wenn Sie die Bodenhaftung zu den Menschen dieses Staates verloren haben, dann ist das Ihre Schuld und nicht unsere. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wenn diese Debatte für Toleranz sorgen soll, dann sollte dies auch im Stil seinen Niederschlag finden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich daran hielten.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich appelhere an alle Fraktionen und an alle Parteien dieses Hauses, gemeinsam mit uns das Grundgesetz in der Frage des Asyls sinnvoll zu verändern. ({0}) Nur so wird der Friede in diesem Lande bewahrt werden können. ({1}) Nur so wird das Asylrecht in seiner Substanz auch im Bewußtsein der Bürger - darauf kommt es doch an - erhalten werden können. Wir müssen doch allesamt wollen, daß jeder einzelne Bürger dieses Landes das Asylrecht auch innerlich mitträgt, ({2}) nicht nur oktroyiert von uns. ({3}) Deshalb müssen wir den Mißbrauch dieses Rechts verhindern. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich die Debatte beende, erteile ich dem Abgeordneten Dr. Matterne das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Dietmar Matterne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001435, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine kurze Erklärung von mir, die für einen ehemaligen DDR-Bürger wesentlich ist: Herr Minister Schäuble, Sie erwähnten mich als PDS-Mitglied. ({0}) - Als Kollegen der PDS. ({1}) Herr Minister, ich habe 40 Jahre erfolgreich verhindert, Mitglied dieser Partei, der SED/PDS, zu werden. ({2}) Es ist Ihnen sicher ein Irrtum unterlaufen. Aber es wird gewiß im Protokoll stehen. ({3}) Deshalb sage ich es hier. Danke. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Briefs, Sie haben das Wort nicht. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Ich kann die Behandlung dieses Tagesordnungspunkts beenden. Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf: 3. Aktuelle Stunde Sicherheit der Atomanlagen Kozloduj/Bulgarien - Deutsche Ersatzteillieferungen aus dem Atomkraftwerk Greifswald durch Vermittlung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Gruppe PDS/Linke Liste hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Zunächst erteile ich der Abgeordneten Frau Braband das Wort. ({0})

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Glauben Sie, Herr Präsident, daß noch Zeit ist, zu warten, bis es sich hier beruhigt hat?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich werde Ihnen dies nicht auf Ihre Redezeit anrechnen, und ich werde vorher für die nötige Ruhe sorgen. Meine Damen und Herren, das Anliegen der Rednerin ist berechtigt. Wer den Saal verlassen will, den bitte ich, dies jetzt zu tun, damit die nötige Ruhe im Plenum hergestellt wird. - Frau Abgeordnete Braband, ich glaube, Sie können jetzt beginnen.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil der Umgang der Bundesregierung, namentlich des Bundesumweltministers, mit dem Sicherheitsrisiko von Atomanlagen auch außerhalb dieses Landes für mich unerträglich und, ich denke, auch mehr als fragwürdig ist. Worum ging es Herrn Minister Töpfer bei seinen Sommerreisen nach Bulgarien? Die Reaktoren in Kozloduj haben erhebliche Sicherheitsmängel; sie sollten deshalb stillgelegt werden, und zwar auch mit Hilfe der Bundesrepublik, sagt der Bundesumweltminister. Richtig. Dem können wir nur zustimmen. Atomreaktoren sind ein erhebliches Sicherheitsrisiko. In der Tat, der Sicherheitszustand der Kozlodujer Reaktoren ist sogar katastrophal. Auch Nachrüstungen mit westlicher Technik können nach Meinung von Expertinnen und Experten auch aus Bulgarien die grundsätzlichen Sicherheitsmängel des Reaktortyps WWER440/230 nicht beheben. Was Minister Töpfer nicht, zumindest nicht laut, sagt, ist dies: Die Blöcke I und II, die ältesten und unsichersten der Anlage, sollen nach Ansicht der bulgarischen Regierung Anfang 1992 wieder ans Netz genommen werden. Dies soll nun offenbar mit Hilfe der Bundesregierung und der EG geschehen. Die Sicherheitsrisiken in Kozloduj sind jedoch so gravierend, daß sie sich weder mit Ersatzteilen aus Greifswald, noch mit teuren und aufwendigen Nachrüstmaßnahmen beheben lassen. Eine seit Anfang Juli der Internationalen Atomenergiebehörde vorliegende Studie sowjetischer Wissenschaftler beweist, daß das Risiko eines Super-GAUs, eines - ich sage es unabgekürzt auf Neudeutsch - , nicht beherrschbaren, Größten Anzunehmenden Unfalls, mindestens um den Faktor 55 höher liegt als der entsprechende Wert für westliche Anlagen. Es kann nur heißen: Kozloduj muß sofort, und zwar endgültig, stillgelegt werden. ({0}) - Sicher. Aber auch Sie haben ganz bestimmt etwas mit dieser Angelegenheit zu tun. Der Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Birkhofer, bezifferte die Kosten der Nachrüstung des Reaktortyps WWER-440 auf westeuropäischen Standard auf bis zu 2 Milliarden DM. Das ist ein Grund, weshalb der baugleiche Reaktor in Greifswald jetzt endgültig stillgelegt wurde, da der Weiterbetrieb als sicherheitstechnisch und wirtschaftlich nicht verantwortbar angesehen wurde. Ganz anders argumentiert die Bundesregierung und allen voran Minister Töpfer im Falle Kozloduj. Es ist doch wohl keine Frage: Wenn wir hier in unserem eigenen Land etwas nach unseren Bestimmungen nicht zulassen können, dann können wir es ebensowenig in einem anderen Land mit eigener Hilfe zulassen. ({1}) - Ja, aber wir müssen nicht dazu beitragen, daß dort eine Anlage erhalten wird, die hier nicht in Betrieb gehen oder bleiben könnte. ({2}) Den Greifswalder Reaktortyp hält die Bundesregierung also in Bulgarien für vertretbar. Noch am 5. Juli betonte Umweltminister Töpfer, daß die versprochene deutsche Hilfe nicht dazu dienen dürfe, die Reaktoren weiterzubetreiben. Ziel müsse vielmehr sein, die Reaktoren in abgeschaltetem Zustand sicherzuhalten. Hierzu sollen angeblich Ersatzteile aus Greifswald dienen, die Bulgarien zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein Blick auf die Liste der gewünschten Ersatzteile ergibt jedoch: Es werden Teile nachgefragt, die dem Weiterbetrieb dienen. Sogar Brennelemente stehen auf der Wunschliste. Ich frage deshalb die Bundesregierung: Hält sie den Weiterbetrieb von Kozloduj nun für vertretbar oder nicht? Und welche Ersatzteile sollen nach Kozloduj geliefert werden? Wenn trotz des Wissens um die akute Gefährdung durch Kozloduj Ersatzteile aus Greifswald für einen Weiterbetrieb geliefert werden und diverse Firmen mit diesen Reaktoren ihre Geschäfte machen, wirft dies ein bezeichnendes Licht auf die hierfür Verantwortlichen, also auch auf Herrn Töpfer. Es sind die gleichen Leute, die uns in der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß die Atomkraftwerke in westlichen Ländern sicherer seien, weil sie, die Verantwortlichen, verantwortungsvoller damit umgingen. Natürlich muß das auch bei uns sattsam bekannte Märchen, daß die Lichter in Bulgarien ausgehen würden, wenn die Reaktoren nicht weiterliefen, als Begründung für den Weiterbetrieb herhalten. Greenpeace-Recherchen und darauf beruhende Berechnungen zeigen: Bulgarien könnte auch ohne Kozloduj über den Winter kommen. ({3}) Stromexporte ins Ausland wären dann allerdings nicht mehr drin. Fazit: Ginge es der Bundesregierung, der EG sowie der bulgarischen Regierung tatsächlich nur um die Sicherstellung der Energieversorgung, dann könnte mit den 19 Millionen DM für Ersatzteile aus Greifswald und den 11,5 Millionen ECU aus dem EGPHARE-Programm Sinnvolleres angefangen werden; für Sofortmaßnahmen in Energieeinsparmaßnahmen, Verbesserung der Leittechnik, Optimierung der konventionellen Kraftwerke sowie Ablösung der Stromexportverträge, die Bulgarien eingegangen ist. Mit der Lieferung von Steinkohle aus der nationalen Kohlereserve wäre Bulgarien mehr geholfen als mit der Finanzierung fragwürdiger Nachrüstprogramme, die nur eine indirekte Finanzierung von Siemens, Nukem und Framatom bedeutet - oder vielleicht gerade deshalb durchgeführt wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Braband, Sie wissen, daß ich bei der Aktuellen Stunde sehr auf die Zeit zu achten habe. Sie bringen mich in arge Verlegenheit.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Okay. Der letzte Satz. Ich frage noch einmal: Welche Rolle spielt die Bundesregierung, speziell Herr Töpfer, in diesem dubiosen Geschäft? ({0}) Geht es der Bundesregierung um die Vermittlung von Aufträgen für die bundesdeutsche Atomindustrie oder um die Gesundheit und Sicherheit der Menschen in Europa? Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Kahl.

Dr. Harald Kahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal hat sich die PDS zum Thema Sicherheit in östlichen Kernkraftwerken zu Wort gemeldet. ({0}) Es mutet dabei schon sehr seltsam an, daß ausgerechnet die Nachfolgepartei der SED hier ihre Stimme erhebt; denn Schuld an den beklagenswerten Zuständen in den osteuropäischen Kernkraftwerken hat eindeutig die völlig verfehlte Atomenergiepolitik der früheren sozialistischen Machthaber, deren Erbe sie angetreten hat. ({1}) Wenn hier gar der Versuch gemacht wird, ({2}) die Bundesrepublik und Umweltminister Professor Töpfer mit Schmutz zu bewerfen, indem man Halbwahrheiten und unzulässige Unterstellungen verbreitet, so zeigt das wieder einmal sehr deutlich, daß Vergangenheitsbewältigung für Sie von der PDS ein Fremdwort ist und daß Sie nicht lernfähig sind. ({3}) Tatsache ist doch folgendes: Bulgarien deckt gegenwärtig 35,6 % seiner Stromerzeugung mit Kernenergie. Dabei stützt sich das Land am Standort Kozloduj auf zwei Blöcke von Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart einer ersten Baureihe aus den 60er Jahren mit 440 MW sowie zwei Blöcke moderneren Typs einer Baureihe aus den 70er Jahren. Ein weiterer Block mit nahezu westlichem Containment und einer Leistung von 1 000 MW ist seit 1988 in Betrieb; ein Block VI gleichen Typs steht kurz vor seiner Inbetriebnahme. Die ältesten beiden Blöcke sind abgeschaltet worden. Block IV wurde im Beisein von Vertretern der IAEO nach Wartungsarbeiten inzwischen wieder in Betrieb genommen. Block III soll in wenigen Wochen wieder ans Netz gehen. Der bulgarische Präsident hat bei seinem letzten Besuch der Bundesrepublik gegenüber dem Bundeskanzler deutlich gemacht, daß Bulgarien unter keinen Umständen auf den Standort Kozluduj verzichten kann; dazu gebe es gegenwärtig keine vernünftige Alternative. ({4}) Aber die politische Lage in Osteuropa eröffnet uns allen die große Chance, im Prozeß der Energieversorgung und der Verbesserung der Sicherheitsstandards der Staaten Osteuropas aktiv zu werden. Die Bundesregierung hat auch hier frühzeitig die Initiative ergriffen. So hat Bundesumweltminister Töpfer bei der IAEO ein Projekt „Sicherheit älterer Reaktoren" initiiert. In einer gemeinsamen Erklärung der Bundesrepublik mit Belgien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich setzen sich die Länder dafür ein, osteuropäische Kernreaktoren auf ein in den westeuropäischen Ländern übliches Sicherheitsniveau zu bringen. ({5}) Diese Position wurde auch auf dem deutsch-französischen Gipfel am 20. Mai 1991 unterstrichen. Es war ebenfalls Umweltminister Töpfer, der die Initiative zu der am 7. September 1991 in Wien durchgeführten Kozloduj-Konferenz ergriff, in der die bulgarische Regierung u. a. dazu aufgefordert wurde, die Blöcke I und II abzuschalten. Unter Mitwirkung der IAEO, der Weltbank und des Weltverbandes der Kernkraftbetreiber wurde ein Soforthilfeprogramm mit einem Umfang von 11,5 Millionen ECU aufgelegt. Im Rahmen dieses international abgestimmten Programms beteiligt sich die Bundesrepublik mit der Lieferung von Ersatzteilen, die aus nicht mehr benötigten Beständen des Kernkraftwerks Greifswald bestehen. Hierbei handelt es sich eindeutig um neue Ersatzteile wie Pumpen und Dichtungen. Diese Ersatzteile im Wert von 19 Millionen DM werden entgegen anderen Behauptungen kostenlos abgegeben und keineswegs mit Gewinn verkauft. ({6}) Sie dienen ausschließlich der sicheren Verwahrung der Blöcke I und II. Außerdem wird anlagenvertrautes Personal Hilfe leisten. Das alles geschieht im abgestimmten Vorgehen westeuropäischer Länder mit dem Ziel, schnelle und wirksame Hilfe zu leisten, nicht etwa in einem deutschen Alleingang. Im übrigen war es die bulgarische Regierung selbst, die sich hilfesuchend an die Bundesregierung gewandt hat. Ihr allein obliegt es natürlich, die Entscheidung darüber zu treffen, wie ihre künftige Energiepolitik auszusehen hat. ({7}) Wir sollten unser Augenmerk allerdings nicht allein auf Kozloduj richten. ({8}) Von zahlreichen Anlagen gleichen Typs in Osteuropa geht ein ähnliches Gefahrenpotential aus. Auch wenn es sich bei den Druckwasserreaktoren nicht um den Typ von Tschernobyl handelt, der von der UdSSR nicht exportiert wurde, gilt es auch hier zu helfen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wird es in Zukunft darauf ankommen, die östlichen Länder mehr und mehr in ein gesamteuropäisches Energiekonzept einzubinden, bei dem eine möglichst rasche Abschaltung veralteter Kraftwerke vordringliches Ziel sein muß. So sehr die Bundesrepublik und die anderen westeuropäischen Staaten hier gefragt sind, eines steht fest: Ohne Mithilfe der betroffenen Länder wird hier nichts zu machen sein. Gegenwärtig kann Ziel unserer Politik nur sein, dafür zu sorgen, daß die Sicherheit in den östlichen Kernkraftwerken verbessert wird, um ein Mindestversorgungsniveau zu garantieren. Dies muß durch eine parallele Strategie unterstützt werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Kahl, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

Dr. Harald Kahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluß. Bei den Aktivitäten der Bundesrepublik im Falle Kozloduj geht es also nicht um Atommülltourismus oder gar um Profit, ({0}) sondern schlechthin um Hilfe zur Verbesserung der Sicherheit der Blöcke I und II.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich komme jetzt in arge Verlegenheit. In der Geschäftsordnung sind fünf Minuten vorgesehen. Sie sind jetzt fast bei sieben Minuten.

Dr. Harald Kahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der PDS, die Hilfe des geschmähten Klassenfeinds bei der Sanierung östlicher Kraftwerkstechnik sollten Sie als Nachfolger der Verursacher deshalb befürworten und eher dankend anerkennen, als sie zu verteufeln. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Weis ({0}) das Wort. ({1}) - Das ist eine Bemerkung des Abgeordneten Schäfer, aber nicht eine des amtierenden Präsidenten.

Reinhard Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002457, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die internationale Atomenergiebehörde IAEO nannte vor einem Monat den Zustand des Atomreaktors Kozloduj in Bulgarien besorgniserregend. ({0}) Ich befürchte, daß diese Beschreibung reichlich untertrieben ist. Das Atomkraftwerk in Kozloduj ist eine Zeitbombe. Man muß sich fragen, wann sie hochgeht. ({1}) Meine Damen und Herren, einige von Ihnen mögen mir Panikmache vorwerfen. Aber nachdem ich inzwischen weiß, welche Ersatzteile aus dem soeben erst auf Grund von Sicherheitsmängeln stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald nach Bulgarien geliefert wurden bzw. werden, muß ich zu dieser Schlußfolgerung kommen; denn ich nehme nicht an, daß Herr Kollege Töpfer aus lauter Jux und Tollerei zentrale Bestandteile für einen kontrollierbaren Betrieb eines Kernkraftwerks aus Greifswald nach Kozloduj verfrachten läßt. Ein sicherer Betrieb ist ohnehin in dieser Anlage nicht realisierbar, ({2}) weshalb ja bei uns das typengleiche Atomkraftwerk Greifswald stillgelegt wurde. Ich muß Sie ernsthaft fragen, ob Sie sich vorstellen können, was es bedeutet, wenn ein in Betrieb stehendes Atomkraftwerk z. B. einen Hauptabsperrschieber für den Primärkreislauf oder drei Havariespeisepumpen aus Greifswald als Ersatzteile benötigt. Oder können Sie mir versichern, Herr Minister, daß die 55 gelieferten oder zu liefernden ARK-Antriebe für Regelkassetten und Neutronenflußmeßeinrichtungen, mit deren Hilfe man überhaupt erst in der Lage ist, das Ausmaß der Kernreaktion in einem Reaktor zu regeln, nur prophylaktisch an die Bulgaren geliefert werden? Wurde mit ihrer vorgesehenen Lieferung der drinReinhard Weis ({3}) gende Bedarf erfüllt? Oder haben wir nur geliefert, was in Greifswald gerade einmal vorhanden war? Abgesehen von der möglicherweise bereits eingeschränkten Qualität der Bauteile - auf Grund möglicherweise jahrelanger Zwischenlagerung in Greifswald werden sie ja nicht fabrikneu geliefert - halte ich diese Maßnahme für schlichtweg fahrlässig und unverantwortlich. ({4}) Wenn aber außer diesen Anlagen noch Kernbrennstoff nach Bulgarien geliefert wird, wofür es offensichtlich bulgarische Wünsche gibt, muß ich das Verhalten als nahezu kriminell bezeichnen. ({5}) Um es klar zu sagen: Ein Atomkraftwerk, das nicht nur von seiner baulichen Konzeption, sondern auch von seiner technischen Verfassung her in einem Zustand ist wie Kozloduj, gehört sofort ohne Wenn und Aber abgeschaltet. ({6}) Ich ahne, was Sie einwenden möchten - mein Vorredner tat es ja auch schon - : Die Entscheidung über die Abschaltung muß Bulgarien fällen. Kann es nicht aber auch sein, daß die Bundesregierung eine solche Entscheidung durch die Art ihrer „Hilfe" sogar hinauszögert? Ich hoffe, solches passiert nicht bewußt. Es kommt ein Zweites hinzu. Nach den Antworten auf die von mir in den letzten Wochen an die Bundesregierung gerichteten Fragen scheint es weder eine Koordination zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesumweltminister über die Hilfen für die bulgarische Energieversorgung zu geben, noch scheint sich wenigstens der Bundeswirtschaftsminister darüber auszukennen, von wem und wie überhaupt Hilfe geleistet wird. So war die Bundesregierung beispielsweise nicht in der Lage zu sagen, wer im einzelnen die Akteure und Nutznießer des von der Bundesregierung mitgetragenen und in Bulgarien für Kozloduj eingesetzten europäischen Phare-Hilfsprogramms sind. Ich muß daher auch bezweifeln, daß die Bundesregierung überhaupt einen Überblick darüber besitzt, von wem und wie derzeit finanzielle oder materielle Leistungen zur Sicherung der Energieversorgung nach Bulgarien fließen. Das einzige, was sie bekanntgibt, ist die Annahme, daß die bulgarische Energieversorgung auf Kozloduj angewiesen sei, und diese Annahme begründet anscheinend ihre ganze Politik in dieser Richtung. Ich muß hier die Bundesregierung eines Besseren belehren. Aus konventionellen Kraftwerken - Wasser, Kohle, Öl - ließen sich über 7 000 Megawatt Leistung erbringen. In diesem Sommer hatte Bulgarien einen Bedarf von ca. 3 000 Megawatt, für den Winter werden bis zu 5 000 Megawatt erwartet. Selbst bei einem großzügig angenommenen Bedarf und angesichts der Probleme der konventionellen Kraftwerke in Bulgarien zeigt sich also, daß Kozloduj nicht nur dringend abgeschaltet werden muß, sondern auch abgeschaltet werden kann, ohne Energieprobleme zu schaffen. ({7}) Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, umgehend den in Sachen Kozloduj falsch eingeschlagenen Weg zu verlassen. Statt dessen sollte sie mit den Mitteln, die sie jetzt in Kozloduj in den strahlenden Sand setzt, der konventionellen Energiewirtschaft in Bulgarien auf die Beine helfen. Ein Letztes: Ich hoffe nicht, daß es die Angst vor der Macht der europäischen und speziell der bundesdeutschen Strom- und Kraftwerkswirtschaft ist, die die Bundesregierung an einer solchen dringend gebotenen Korrektur ihres einseitig beschränkten Engagements für das marode AKW Kozloduj hindern wird. Berichte über gute Geschäfte diverser einschlägig bekannter Firmen mit dem bulgarischen Himmelfahrtsreaktor nähren hier zumindest Befürchtungen, und wir werden der Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage Gelegenheit geben, diese offenen Fragen befriedigend zu beantworten. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ganschow.

Jörg Wolfgang Ganschow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000629, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tschernobyl war eine Katastrophe. Das bulgarische Kozloduj könnte auch ein Tschernobyl werden. Die Internationale Atomenergieorganisation empfahl schon vor gut zwei Monaten die Stillegung der vier veralteten Reaktoren dieses sowjetischen Typs WWER 440 auf Grund einer ganzen Reihe von sicherheitsrelevanten Mängeln. Die Liste liest sich etwa wie das Drehbuch eines Horrorstücks: Bedienungsfehler auf Grund fehlender oder falscher Armaturbeschriftungen, ungesicherte Kabel, undichte Ölleitungen, brüchige Schweißnähte. Die Dampferzeuger drohen zu versagen, Druckbehälter und Primärkreisläufe sind in bedenklichem Zustand. Die bulgarische Bedienungsmannschaft kennt die technische Ausstattung so gut wie gar nicht, da die Sowjetunion beim Bau keine Konstruktionspläne mitgeliefert hat. Die sowjetischen Fachleute sind längst abgereist, weil Bulgarien keine Devisen mehr zu ihrer Bezahlung hatte. Äußerst riskant ist die Unwissenheit der Mannschaft über die Belastungsgrenze der Reaktoren. Wird der Reaktor zu schnell auf die Höchstlast gefahren, besteht die Gefahr einer gefährlichen Überhitzung und damit der Kernschmelze. Dieser Kernschmelze steht bei den Reaktoren I bis IV nicht einmal ein Stahlmantel entgegen. Was jetzt jedem als logische Konsequenz erscheinen mag, nämlich das sofortige Abschalten des ge3586 samten Kraftwerks, kann sich Bulgarien aber einfach nicht leisten, ({0}) zumal der Winter vor der Tür steht. Man muß wissen, daß Bulgarien etwa ein Drittel seines Stroms in Atommeilern erzeugt. Der Stromimport aus dem Westen - darüber sollten Sie sich auch informieren - scheitert an technischen Hürden. Es gibt nur eine einzige Kopplungsstelle zwischen den verschiedenen Systemen in Ost und West, die sich auf Grund von Netzführung und Frequenz erheblich voneinander unterscheiden. Diese befindet sich in Österreich, zwischen Österreich und der Tschechoslowakei, und ist zu 100 % ausgelastet. Ebenso ist das bei der Verbundleitung zwischen Bulgarien und der Sowjetunion sowie der Türkei. Damit bleibt eine Stromlücke von ca. 1 300 Megawatt. Nach Aussage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Bulgariens wäre es ein größeres gesellschaftspolitisches Risiko für die neue wirtschaftliche Entwicklung, den Reaktor abzuschalten, als ihn herunterzufahren. ({1}) Es erscheint mir reichlich anmaßend von Ihnen, nur die Stillegung zu fordern und Bulgarien dann mit dem Problem alleinzulassen. ({2}) Ich denke, es wäre schon vernünftig, die freigewordenen Kapazitäten an Ersatzteilen des stillgelegten, aber typengleichen Kraftwerks in Greifswald für die vorläufige Sicherung des Kraftwerks in Kozloduj zur Verfügung zu stellen. Die Treuhand hat diese Ersatzteile unter Verzicht auf 19 Millionen DM Buchwert bereits freigegeben. Ich meine, genauso wichtig wäre es, daß eine Mannschaft von Ingenieuren aus Greifswald, die auf diesen Reaktortyp spezialisiert sind, über das Winterhalbjahr das bulgarische Bedienungspersonal unterstützt. ({3}) Die Personalkosten schiebe ich zum Umweltminister, der als erster die Abschaltung gefordert hatte. Diese Vorschläge sind kein Rückzug von der Forderung nach der endgültigen Abschaltung der KozlodujBlöcke. Es soll durch technische Nachrüstung und Beratung eine Übergangskapazität geschaffen werden, um den Strombedarf Bulgariens im Winter zu decken. ({4}) Darüber, wie man Bulgarien helfen kann, zu anderen sicheren Möglichkeiten der Stromerzeugung zu kommen, sollten schnellstmöglich Überlegungen angestellt werden. ({5}) Ebenso erscheint es mir erforderlich, im gesamteuropäischen Verbund eine Lösung zu finden, um die Netze in Ost und West miteinander zu verbinden, da Kozloduj nicht die einzige Zeitbombe in Osteuropa ist, die es zu entschärfen gilt. ({6}) Gleichzeitig müssen Lösungen gefunden werden, die rechtzeitigen und ausreichenden Ersatz schaffen, da auch die Kohlekraftwerke in Osteuropa nur einen äußerst geringen Wirkungsgrad haben und in den meisten Fällen ausgesprochene Dreckschleudern sind. Wenn die Demokratisierung in Osteuropa Erfolg haben soll, muß sich auch die Wirtschaft in diesen Ländern entwickeln können, und dazu bedarf es eines vernünftigen Energiekonzepts. Ich denke, hier hat Europa eine Chance, sich zu beweisen. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollenberger.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Mal habe ich in diesem Haus sagen hören, diese oder jene Entwicklung in Osteuropa sei nicht voraussehbar gewesen. Verwunderlich finde ich das schon; denn Politiker sollten ihrer Zeit vorausdenken können, um sich anbahnende gefährliche Entwicklungen für die Gesellschaft zu erkennen und ihnen zu begegnen, oder sie sollten ihren Beruf aufgeben. Das gilt für Regierungsmitglieder mehr als für Parlamentarier. Zuvörderst gilt das für den Umweltminister, der in Anbetracht der sich anbahnenden ökologischen Gefahren eine besondere Verantwortung für die Welt hat, die wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, jeder von Ihnen hat sich das Video angesehen, das der Hamburger Geschäftsmann Theodor Werner den Mitgliedern des Deutschen Bundestages geschickt hat, und die beigelegten Fragen beantwortet. Das ist ein Unternehmer, der weder den GRÜNEN nahesteht noch alternativer, weltfremder Ideen verdächtigt werden will, der sich aber nach dem Fernsehbericht über die möglichen Folgen eines Atomunfalls in Biblis gedrängt sieht, die Parlamentarier des Deutschen Bundestages auf ihre Verantwortung, den Ausstieg aus der Atomenergie nachdrücklich zu betreiben, hinzuweisen, und weder Kosten noch Mühe dafür scheut. Dies zeigt, wie groß die berechtigten Besorgnisse über die Folgen der Atomwirtschaft in der Bevölkerung sind. Um auf meinen Anfangssatz zurückzukommen: Was sich jetzt in Bulgarien zusammenbraut, ist in seinen Folgen absehbar, wenn es in Kozloduj zu einem Unfall kommt. Wir kennen das Szenario seit Tschernobyl genau. Wir wissen, daß ein solcher Unfall wieder Hunderttausende Opfer kosten wird. Wir wissen, daß ein GAU in Kozloduj jederzeit möglich ist, weil in diesem AKW jahrelang furchtbar geschlampt wurde und die Anlagen verrottet sind. Überdies wurden die Reaktoren in einem Gebiet errichtet, das immer mal wieder von Erdbeben heimgesucht wird. Selbst die Atombehörde in Wien ist zu der Erkenntnis gekommen, das Kozloduj geschlossen werden muß, weil der Schrottreaktor im jetzigen Zustand eine Gefahr für die Menschheit darstellt. Auch Minister Töpfer hat sich dieser Forderung angeschlossen. Er hält es aber nach eigenen Aussagen nicht für einen Widerspruch, aus anderen Schrottreaktoren in Greifswald, die nach einer quälenden Debatte endlich abgeschaltet werden mußten, weil ihr Weiterbetrieb eine akute Gefährdung darstellte, Ersatzteile nach Kozloduj zu schicken. Minister Töpfer würde sicherlich niemals in ein Schrottauto steigen, das mit den Bremsbelägen eines Unfallwagens ausgestattet worden ist, mit dem flotten Spruch auf den Lippen, daß die Entscheidung darüber, ob der Wagen fahrbereit sei, schließlich beim Besitzer liege. Es würde ihm sicher nicht im Traum einfallen, zu behaupten, die ausgewechselten Bremsbeläge hätten das Schrottauto sicherer und damit seinen vorläufigen Weiterbetrieb möglich gemacht. Aber als Politiker hat er keine Hemmungen, einerseits die Reaktoren in Greifswald aus Sicherheitsgründen stillegen zu lassen und andererseits mit der unsicheren Greifswalder Technik zur Risikominderung, wie er das nennt, in Kozloduj beitragen zu wollen. ({0}) Er hat sich damit seine Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln selbst abgesprochen und sollte daraus die Konsequenzen ziehen. Es ist unwürdig, sich mit dem Hinweis, die Entscheidungen würden schließlich von anderen getroffen, aus der Verantwortung stehlen zu wollen. Verantwortlich dagegen wäre es, endlich dafür einzutreten, daß die Entscheidungen über Gefahrenquellen von internationalem Ausmaß, wie das AKW Kozloduj sie darstellt, nicht mehr von den jeweiligen nationalen Regierungen allein getroffen werden dürfen. Die potentiell Betroffenen eines GAUS müssen ein Mitspracherecht haben. Bündnis 90/GRÜNE fordert Sie, Herr Minister Töpfer, deshalb auf, sich sofort dafür einzusetzen, daß alle Atomkraftwerke bis zu ihrer Abschaltung unter UNO-Kontrolle gestellt werden. ({1}) Ein ähnlicher Vorschlag ist bereits in den 50er Jahren von den USA gemacht, aber nie verwirklicht worden. Zweitens sollte der Gefahrenreaktor in Kozloduj letzter Anlaß sein, den Ausstieg aus der Atomenergie unverzüglich zu beginnen. Das Video „Die Todeszone " hat eindrücklich gezeigt, daß der gepriesene westliche Sicherheitsstandard keineswegs vor einem eventuellen GAU mitten in Deutschland schützt. Wir sollten es nicht so weit kommen lassen! Ein Argument für den Weiterbetrieb von Kozloduj ist die Sicherung der Energieversorgung in Bulgarien. Tatsache ist aber, daß der Zusammenbruch der bulgarischen Elektrizitätsversorgung im letzten Winter geschah, obwohl genug Kraftwerke technisch zur Verfügung standen. Die Ursache lag vielmehr in einem desolaten Management. ({2}) Hier könnte schnell viel wirkungsvollere Hilfe geleistet werden. ({3}) Etliche der fossil betriebenen Kraftwerke Bulgariens haben Probleme mit Ersatzteilen. Hier könnte die Verfügbarkeit der Kraftwerke durch entsprechende Unterstützung sehr schnell erhöht werden. ({4}) Sogar die in der Öffentlichkeit diskutierte Forderung nach Energielieferungen von Westeuropa nach Bulgarien ist angesichts der installierten Leistungen im Lande überflüssig. Es dürfte wesentlich leichter sein, bei Engpässen in der Rohstoffversorgung durch die Lieferung von Brennstoff für bestimmte konventionelle Kraftwerke zu helfen. Ich will allerdings nicht bestreiten, daß durch Ersatzteillieferungen nach Kozloduj auch „wirkungsvolle Hilfe" geleistet wird. Mit den Sanierungsbemühungen wird der Atomindustrie geholfen, ihr angeschlagenes Image aufzubessern. Gleichzeitig wird mittelfristig Bulgariens Abhängigkeit von der Atomindustrie und auch die Abhängigkeit der Gebiete Osteuropas, in denen ähnliche Reaktoren stehen, verstärkt. Wenn im nächsten Jahr festgestellt wird, daß Nachrüstung teurer wird als Neubau ({5}) - ja! - , steht ein angeblich so sicheres Siemens-Kraftwerk bestimmt bereit. ({6}) Aber, Herr Minister Töpfer -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Wollenberger, Sie und die anderen Damen machen es mir heute wirklich schwer.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin jetzt erst auf Null, ich habe die Redezeit noch nicht überschritten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nein!

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist auch mein letzter Satz: Herr Minister Töpfer, indem Sie der Atomindustrie helfen, handeln Sie gegen das Interesse der Menschen, die jederzeit zu Atomflüchtlingen werden können, solange der Schrottreaktor in Kozloduj und alle anderen Reaktoren in der Welt nicht abgeschaltet sind. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat der Abgeordnete Wittmann ({0}) das Wort.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Horrorszenarien, die heute von der PDS, von der SPD und vom Bündnis 90/GRÜNE verkündet wurden, helfen uns nicht sehr viel weiter. Das, was wir brauchen, ist Sicherheit, und zwar möglichst bald, möglichst sofort und soweit wie möglich im Rahmen der souveränen Entscheidung der Regierung Bulgariens. Darum geht es letztlich. Wenn wir das machen, was Sie wollen, nämlich zuwarten, nicht helfen, damit sich Bulgarien über die nächsten Monate hinwegretten muß, dann gefährden wir uns letztlich selbst und gefährden auch die Bürger unseres Landes. Wir müssen mit den Möglichkeiten, die wir haben, da helfen, wo wir jetzt helfen können. Ich glaube, daß hier gerade unter der Federführung unseres Ministers Töpfer einiges eingeleitet wurde, der bereits im Rahmen der EG eine ganze Menge unternommen hat, von der Energiestudie bis zum Einsatz des Sachverstandes der Fachleute. Obwohl wir wollen, daß der Reaktor möglichst bald abgeschaltet wird, geht es in dieser Situation darum, daß wir das Risiko der nuklearen Gefährdung zumindest partiell und in kleinen Schritten sofort senken, wenn wir die große Lösung nicht sofort haben können. Die Haltung der Bundesregierung ist doch eindeutig. Sie haben Greifswald angesprochen. Greifswald ist ja ganz bewußt nicht mehr ans Netz gegangen, beziehungsweise es sind die ersten Blöcke vom Netz genommen worden. Das beweist doch die Position der Bundesregierung, und das beweist, daß wir bereit sind und daß wir wissen, worum es hier geht. Wir halten die Kernkraftwerke sowjetischer Bauart allgemein für gefährlich und meinen, daß sie Anlaß zur Sorge geben. Wir haben Greifswald insgesamt vom Netz genommen. Unser Minister hat ganz deutlich gemacht: Alle Greifswalder Reaktoren bleiben dauerhaft außer Betrieb. Ich glaube, es ist kein besserer Beweis möglich. Wenn Sie die Nachrichten gestern verfolgt haben, dann haben Sie gesehen, daß unser Bundesfinanzminister bei Gesprächen in der Ukraine hat feststellen können, daß auch Tschernobyl bis 1996 vom Netz gehen wird. Vielleicht ist das - das ist meine Ansicht - noch zu lange hin, aber immerhin werden wir auch hier mit unserer Hilfe, mit dem Sachverstand unserer Leute eine Lösung finden, um diese Gefahr für ganz Europa und darüber hinaus beseitigen zu können. ({0}) Die Ersatzteillieferungen aus Greifswald sind ja das Thema dieser Aktuellen Stunde. ({1}) Diese Ersatzteillieferungen dienen auch und vor allem der Gewährleistung eines sicheren Abschaltzustandes und der Abdichtung von Lecks. Es sind insgesamt 400 Positionen, die in den mehr als 19 Millionen DM enthalten sind. Von den 400 Positionen kann man natürlich einzelne herausgreifen und sagen, daß man das Kernkraftwerk damit auch sicherer weiterbetreiben kann. Aber es geht auch darum, daß wir bei der Abschaltung weiterhin einen bestimmten Sicherheitsstandard brauchen. Wenn sich die PDS und auch andere ein bißchen intensiver mit der Kernkraft auseinandergesetzt hätten und sie nicht ständig bloß verteufelt hätten, dann wüßten auch sie, daß es in bezug auf ein Kernkraftwerk, das abgeschaltet werden muß und abgeschaltet ist, noch eines hohen Sicherheitsstandards bedarf, um die Menschen letztlich zu schützen. ({2}) Es geht auch - und ich darf ein Beispiel für das bringen, was u. a. geliefert wird - um ein Lecküberwachungssystem, das kleine Leckagen vorzeitig orten kann und dann eine rechtzeitige gefahrlose Abschaltung ermöglicht, wenn solche Leckagen festgestellt werden. Das ist gerade bei den Kozloduj-Anlagen besonders wichtig, weil sie zum großen Teil über kein Containment verfügen. Ich glaube deshalb, daß wir, daß die Bundesregierung auf dem richtigen Weg ist, hier die Hilfe so schnell wie möglich zu leisten mit der langfristigen Perspektive, die Anlagen dort eines Tages abschalten zu können. Bulgarien muß entscheiden, ob es bereit ist, hier mitzumachen. Wir wollen ganz bewußt nicht die Verteufelung der Kernkraft bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sondern konkrete Hilfe, weil sie uns und unseren Bürgern auch mehr Sicherheit bietet. Ich bedanke mich. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr spricht die Abgeordnete Frau Klemmer.

Siegrun Klemmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die Öffentlichkeit über die ganze Bedeutung der Verbindung - ich bin fast geneigt, nicht Verbindung, sondern Connection zu sagen - Greifswald-Kozloduj zu informieren, ist es nötig, diesen Vorgang vor dem Hintergrund einer Energieversorgung für Osteuropa insgesamt zu betrachten. Dabei wird deutlich, daß es hier nicht nur um die Notlösung eines akuten Problems geht, sondern darum, eine Weichenstellung für die Zukunft zu setzen, um eine Planung, in der die Kernenergie eine bedeutende Rolle für die Energieversorgung Osteuropas spielen soll, und zwar auf Kosten der Sicherheit ganz Europas. Da ist zunächst das Phare-Programm, über das unter Koordination durch die EG-Kommission Gelder für die wirtschaftliche Umgestaltung in Osteuropa bereitgestellt werden. Im Juli dieses Jahres wurden 11,5 Millionen ECU für Kozloduj bewilligt. Das ist übrigens nur die erste Tranche; weiteres Geld wird folgen. Die EG-Kommission könnte - und die Bundesregierung wäre dazu verpflichtet - darauf hinwirken, daß eine Verwendung der Gelder geschieht, die ein Betreiben des Reaktors in Kozloduj überflüssig machen würde. ({0}) Erst kürzlich hat Österreich gegenüber der CSFR vorgemacht, daß auch eine kostenlose Stromlieferung kein Luxus ist, wenn im Gegenzug dafür ein Risikoreaktor abgeschaltet wird. ({1}) Statt dessen macht die geplante Verwendung der Phare-Gelder es wahrscheinlich, daß die bulgarischen Behörden für ein weiteres Betreiben des Schrottreaktors instruiert werden sollen Weiterer Eckpfeiler für eine zukünftige Energieversorgung Europas wird die geplante europäische Energie-Charta sein, an deren Vollendung fieberhaft gearbeitet wird. Erst Anfang des Jahres bestätigten die Regierungen der Bundesrepublik, Belgiens, Frankreichs und Großbritanniens in einer gemeinsamen Erklärung die Rolle der Kernenergie für die zukünftige Energieversorgung Europas. Die Länder Mittel- und Osteuropas - so heißt es in der Erklärung - sollen bei der Ertüchtigung ihrer kerntechnischen Anlagen auf ein EG-vergleichbares Sicherheitsniveau unterstützt werden. Damit es keine Mißverständnisse gibt: Solange Kernkraftwerke arbeiten, müssen sie natürlich den höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechen. Aber, meine Damen und Herren, die Lieferung aus Greifswald bringt Kozloduj wohl kaum auf EG-vergleichbares Sicherheitsniveau. ({2}) - Ein bißchen besser, Herr Kollege Baum? Ein bißchen ist in diesem Fall wohl völlig daneben. ({3}) Hier orientiert sich die Bundesregierung eher an Aussagen der Konservativen im EG-Parlament, wonach Osteuropa nicht mit sogenannten übermäßigen, westlich geprägten Ansprüchen im Umweltbereich überfordert werden soll. ({4}) Deutsche und französische Firmen beweisen uns zur Zeit mit einem gemeinsamen Projekt eines Kernkraftwerkes in Ungarn, wie wir uns eine zukünftige Verbundwirtschaft im Energiesektor zwischen West- und Osteuropa vorzustellen haben. Neben dem Phare-Projekt und der Energie-Charta wird schließlich eine international verbindliche Sicherheitskonvention für die zukünftige Energieversorgung Bedeutung haben. Sie soll 1992/93 von den Vereinten Nationen verabschiedet werden. Für das „Anspruchsprofil" - Zitat - dieser Sicherheitskonvention sah Bundesumweltminister Töpfer den Bericht, den die Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu Block 5 in Greifswald erstellt hat, als richtungsweisend an. Dieser Bericht zeigt in dem Block aber erhebliche Mängel auf. Dennoch soll nun auch für diesen Block vorgesehenes Material in Kozloduj zum Einsatz kommen. ({5}) Das deutet doch wohl eher darauf hin, daß sich nach den Vorstellungen des Bundesumweltministers eine zukünftige international verbindliche Sicherheitskonvention an einem Reaktor orientieren soll, der hier in der Bundesrepublik gerade erst abgeschaltet werden mußte. ({6}) Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch, wenn der Bundesumweltminister, wie vor zehn Tagen passiert, für sich ein Interesse an einem energiepolitischen Konsens in Anspruch nimmt. Dieses Interesse wird vielmehr nur vorgetäuscht. Der Bevölkerung wird weisgemacht, daß ohne ihre Zustimmung die Kernenergie nicht mehr weiterverfolgt wird. Im Gegenteil: Es wird geradezu ihr Ausbau forciert, wenn auch außerhalb unserer Grenzen. Daß es ökologische Grenzen nicht gibt, wissen wir spätestens seit Tschernobyl. Die SPD ist der Meinung, daß das Geld, das im Rahmen zukünftiger Energieversorgung für Kernkraft ausgegeben werden soll, anders angelegt werden muß: z. B. für eine umweltverträglichere Energieproduktion auf Basis von Kohle und Öl, wie sie bei den zur Zeit vorherrschenden technischen Bedingungen in Osteuropa noch vorzufinden ist. Auch in Bulgarien gibt es Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke, die nachgerüstet werden könnten und müßten, um das Risiko eines neuen Tschernobyl zu vermeiden. ({7}) Das Geld muß des weiteren dafür ausgegeben werden, daß Energie gespart, entsprechend produziert, privat verbraucht wird, daß endlich alternative Energieträger entsprechend erforscht, entwickelt und angewendet werden. So, wie sie vor kurzem den ostdeutschen Markt unter sich aufgeteilt haben, möchten sich deutsche Energiekonzerne ganz offensichtlich auch an der Einverleibung des osteuropäischen Marktes beteiligen - allerdings mit der sehr viel schneller profitableren Kernenergie, profitabler jedenfalls, solange es die osteuropäischen Staaten sein müssen, die eines Tages für die immer noch völlig ungeklärte Entsorgung und Endlagerung wie auch für den möglichen Abriß der Kraftwerke aufzukommen haben. ({8}) Den Ausbau der Kernkraft in Mittel- und Osteuropa noch dazu zu einem Zeitpunkt zu fördern, in dem wir ziemlich hilflos vor einer kriegerischen Situation in eben dieser Region stehen und in der ähnliche Konflikte in Zukunft nicht auszuschließen sind, erhöht auf unverantwortliche Weise das Sicherheitsrisiko nicht nur der dort lebenden Menschen. ({9}) Meine Damen und Herren, Kozloduj als trojanisches Pferd für den Ausbau der Kernkraft in Osteuropa - so ist ein energiepolitischer Konsens jedenfalls mit der SPD nicht zu haben. Der ökonomische Umbruch in Osteuropa verlangt auch nach einem ökologischen Neuanfang. ({10}) Die Bundesregierung ist verpflichtet, auch in Kenntnis, daß es keine ökologische Integrität gibt - Herr Kollege Baum, das ist an Sie auf Ihre Bemerkung hin gerichtet: Es gibt keine ökologische Integrität; insofern dürfen wir uns dort einmischen -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Klemmer, wenn Sie noch weiter überziehen, sind Sie Spitzenreiterin in dieser Debatte, was das Überziehen anbelangt.

Siegrun Klemmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001125, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesregierung ist verpflichtet, diesen Neuanfang tatkräftig zu unterstützen, nicht zuletzt deshalb, um später nicht für entstandene Opfer und Kosten mitverantwortlich zu sein. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Harries. ({0})

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erst dann, wenn Sie umdenken, Herr Kollege. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesregierung und Bundesumweltminister verdienen Dank und Anerkennung dafür, wie sie gehandelt haben und daß sie gehandelt haben. Sie haben durch ihre Initiative die Sicherheit nicht nur in Bulgarien, sondern auch in der Bundesrepublik und in anderen anliegenden europäischen Ländern verbessert. Der Bundesumweltminister hat die Politik fortgesetzt, die er erstmals mit Erfolg nach Tschernobyl begonnen hat. ({0}) Da waren die Bundesregierung und der Bundesumweltminister die ersten, die sich um ein Sicherheitsabkommen mit der Sowjetunion, um den Austausch von Informationen, von Daten bemüht haben. Dieser Austausch wurde, wie Sie wissen, zu einem Abkommen verdichtet. Dieser Vertrag blieb nicht nur auf die Bundesrepublik und auf die Sowjetunion beschränkt, sondern deckt inzwischen im Grunde die Zusammenarbeit aller Länder ab, die sich weiterhin und auch für die Zukunft zur Kernenergie bekennen. Der Bundesumweltminister hat weiter gehandelt, als er in den neuen Bundesländern seine klare Entscheidung zu Greifswald und Stendal getroffen hat. Er hat auch jetzt durch das, was in Bulgarien eingeleitet worden ist, wieder gezeigt, daß er die Zeichen erkennt. Meine Damen und Herren, ich will jetzt auf einen Gesichtspunkt eingehen, der noch nicht angesprochen worden ist. Die Opposition plädiert, wie wir wissen, weiterhin für den Ausstieg aus der Kernenergie. ({1}) Noch ist diese Aussage nicht zurückgenommen. Noch sollen die Vorstellungen der SPD-Bundestagsfraktion in den 90er Jahren verwirklicht werden. Es gibt zwar erste Zeichen dafür, daß man nicht mehr an eine Zehnjahresfrist denkt, sondern daß man bereit ist, auf Grund sachlicher Notwendigkeiten und der bestehenden Realität diese Frist zu erweitern. Aber diese ersten Anzeichen genügen überhaupt nicht. Man entzieht sich mit dieser andauernden Aussteigepolitik nicht nur einem Konsens bei der Bewältigung des Energieproblems für die Zukunft. Darüber hinaus gilt: Nur dadurch, daß die Bundesrepublik weiter Kernenergie vorhält und betreibt, hatten wir die Möglichkeit, dieses Vertragswerk europaweit abzuschließen und in Gang zu bringen sowie zu einer europäischen Zusammenarbeit auf diesem wichtigen Gebiet zu kommen. Dadurch, daß wir anerkanntermaßen den höchsten Sicherheitsstandard haben, daß wir anerkanntermaßen über hervorragende Forschungsergebnisse - solche Ergebnisse sind auch weiterhin zu erarbeiten - bei dieser Technologie verfügen, die wir einbringen können, sind wir überhaupt in der Lage, die Tür für Gespräche mit den Staaten zu öffnen - das hat Bulgarien gezeigt -, wo Not am Mann ist und wo eben geholfen werden muß. Diese Tür kann niemand öffnen, der nicht selbst über Kernenergie verfügt, der nicht über den Wissensstandard verfügt, der nicht über Forschungsergebnisse verfügt und der nicht diesen Sachverstand einbringen kann. So etwas schafft Vertrauen in dem Dialog mit anderen Mächten. Das hat überhaupt erst bewirkt, daß wir als erster in Bulgarien die Weiche für einen besseren Sicherheitsstandard stellen konnten. Ich plädiere ausdrücklich dafür, daß wir auf Grund dieser größeren Kenntnis auf dem Gebiet der Kernenergie alles tun, um den Sicherheitsstandard in den östlichen Ländern - genauso, wie Sie das vorgeschlagen haben - zu verbessern. Das können wir aber nur auf der Grundlage dieses Standards, den wir erreicht haben, auf Grund unserer wirtschaftlichen Kraft und auf Grund unserer Kenntnisse in der Kernenergie. Das schafft Vertrauen bei anderen Ländern. Das ermöglicht es uns, zu den Lösungen zu kommen, wie sie jetzt in Bulgarien völlig richtig eingeleitet sind. Deswegen muß dieser Weg fortgesetzt werden. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gerhart Rudolf Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kozloduj ist nur Teil eines Gesamtproblems; das ist schon angeklungen. In Mittel- und Osteuropa arbeiten Kernkraftwerke, die nicht den internationalen Sicherheitsstandards entsprechen, übrigens auch Anlagen der nuklearen Versorgung und Entsorgung, die dieses Urteil verdienen. Das Gefahrenpotential ist erheblich. Erst durch die Veränderungen in Osteuropa ist die Möglichkeit für den Westen eröffnet worden, Einfluß zu nehmen, die Lage zu analysieren und Abhilfe in die Wege zu leiten. Die Kooperationsbereitschaft der osteuropäischen Länder muß genutzt werden; sie wird auch genutzt. Es ist zu hoffen, daß durch den Drang nach Selbständigkeit der osteuropäischen Staaten diese Kooperationsbereitschaft nicht etwa dadurch sinkt, daß man durch Nuklearenergie autonom werden will. Die Industriestaaten des Westens, die Europäische Gemeinschaft und wir müssen helfen. Wir handeln auch in unserem eigenen Sicherheitsinteresse. Dies ist eine der neuen Prioritäten, die mit den grundlegenden Veränderungen in Osteuropa verbunden sind. Vor dieser Aufgabe verblassen manche anderen Aufgaben und Diskussionen hier. Sie müssen zurücktreten, meine ich. Die Bundesregierung hat die Probleme frühzeitig aufgegriffen sowie bilateral und multilateral behandelt. Die Bundesregierung war in vielen Fällen die treibende Kraft, so bei der Internationalen Atomenergieagentur. Dort hat sie die sofortigen Inspektionsmaßnahmen initiiert. Die Nachrüstung in Kozloduj ist in die Wege geleitet. Ich möchte hier das wiederholen, was andere schon gesagt haben: Wir sind nicht das bulgarische Parlament; die Bulgaren entscheiden für sich. Wir haben in der Tat eine Pflicht zur Einwirkung, wenn es Gefahren gibt. Aber wir haben keine Möglichkeit der eigenen Entscheidung. Wir sollten auch nicht so tun, als ob wir sie hätten. Ich kann die Bundesregierung nur loben, wenn sie unter diesen Umständen das tut, was einzig vernünftig ist, nämlich wenn sie den Sicherheitsstandard verbessert - für eine Übergangszeit. Wir alle sind der Meinung - auch für den Bundesminister trifft das zu - , daß Kozloduj auf Dauer nicht weiterbetrieben werden kann und daß einige der Blöcke sofort stillzulegen bzw. nicht mehr in Betrieb zu nehmen sind. Wir üben nach unseren Möglichkeiten Einfluß aus. Die Kooperation mit Osteuropa läuft. Auf verschiedenen internationalen Konferenzen ist dies deutlich geworden. Ich erwarte, Herr Bundesminister, daß auf der G7-Ebene, d. h. bei den Industriestaaten noch mehr geschieht. Es bedarf einer internationalen Anstrengung. Wir können dieses Gesamtproblem nicht alleine lösen. Wir können im übrigen auch das Problem Tschernobyl - ich bin angesichts von Meldungen, die ich über angebliche Zusagen von Herrn Waigel gelesen habe, etwas mißtrauisch geworden - nicht alleine lösen; das übersteigt bei weitem unsere Kraft. Das alles geht nur international. Wir brauchen eine internationale Solidarität. Eine ganze Reihe von Anlagen in Osteuropa muß abgeschaltet werden. Aber das bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich, weil es ganze Regionen gibt, die auf die in diesen Kraftwerken erzeugte Energie angewiesen sind. Es gibt keinen Verbund. Wir brauchen eine europäischen Energiepolitik. Dabei müssen wir Osteuropa mit einbeziehen. Herr Kollege Schäfer, ich wäre daran interessiert, eine Frage von Ihnen beantwortet zu bekommen: Was machen Sie, wenn Sie die Frage entscheiden sollen, entweder Kozloduj weiterzubetreiben oder für eine Übergangszeit Strom aus sicheren Kraftwerken, auch aus Atomkraftwerken, der Bundesrepublik zu liefern? Was machen Sie, wenn Sie vor einer solchen Entscheidung stehen? ({0}) Übrigens macht dieser Fall sehr deutlich, wie weit fortgeschritten wir in der Reaktorsicherheit in der Bundesrepublik sind. Daran haben alle Regierungen ihren Anteil. Es handelt sich also auch um ein energiepolitisches Problem. Es handelt sich aber auch um das Problem, daß man den osteuropäischen Staaten bei der Einsparung von Energie, bei der besseren Nutzung von Energie und bei der Erreichung eines höheren Effizienzgrades der konventionellen Kraftwerke helfen muß. Es ist also eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West notwendig. Die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet hat besondere Priorität. Denn die Sicherheitssituation ist beunruhigend und außerordentlich besorgniserregend. Hier sind wir zur Zusammenarbeit aufgefordert. Das haben die westlichen Staaten erkannt. Ich meine aber, es muß noch mehr geschehen. Ich erwarte, daß die Bundesregierung weiter in dieser Richtung tätig ist. Die Völkergemeinschaft muß handeln. Es gibt keine Alternative zu dieser notwendigen Kooperation mit Osteuropa. Sonst wird die Akzeptanz der Kernenergie auch bei uns in Frage gestellt werden. ({1}) - Herr Kollege Schäfer, wir brauchen die Kernkraft zumindest für eine Übergangszeit. ({2}) Wir müssen unsere Bevölkerung auch weiterhin davon überzeugen, daß sie verantwortbar ist. Sie ist bei uns verantwortbar; dafür stehen wir; dafür steht diese Bundesregierung, und dafür standen auch frühere Bundesregierungen. ({3}) - Wir lassen uns nicht in Panik treiben, Frau Kollegin. Eine nüchterne Betrachtung der Tatsachen hilft mehr als eine allgemeine Panikmache. Die Situation in Osteuropa und die Lage in Bulgarien sind besorgniserregend. Aber mehr, als die Bundesregierung getan hat, ist nicht zu tun gewesen. Es war absolut vernünftig, hier mit Ersatzteilen aus Greifswald einzuspringen und wenigstens eine Verbesserung des Sicherheitsstandards zu erreichen. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema ist sicherlich viel zu ernst, um hier zu polemisieren oder zu emotionalisieren. Dieses Thema ist wirklich eines der zentralsten und schwierigsten, denen wir uns weltweit gegenübersehen. Ich will Ihnen die Dimensionen nur einmal etwas verdeutlichen. Wir haben gegenwärtig in den Staaten Mittel- und Osteuropas zehn Kraftwerksblöcke des Typs WWER 440/230. Vier davon stehen in Kozloduj. Das sind die Blöcke des älteren Greifswald-Typs. Wir haben 14 Kernkraftwerksblöcke des Typs WWER 440/213; das ist der neuere Greifswald-Typ. Wir haben 16 Anlagen des Typs WWER 1000; das ist die Anlage, die in Stendal gebaut werden sollte, aber nicht weiter gebaut wird. Wir haben darüber hinaus in der Sowjetunion 15 RBMK-Reaktoren; das sind die Tschernobyl-Reaktoren. Dort befinden sich ferner zwei Brutreaktoren. Auch das sollte man vielleicht nicht vergessen. Das ist die Dimension, und in dieser Dimension ist Kozloduj ein Punkt. Gehen Sie bitte davon aus, daß alles, was wir tun, darauf gerichtet sein muß, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Das können und werden wir nie alleine, sondern, wenn überhaupt, dann nur im Zusammenwirken mit allen Staaten der industrialisierten Welt bewältigen können. Das ist die Situation. Ich möchte Ihnen gern noch dazusagen, wie viele weitere Kernkraftwerke in der Sowjetunion und in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas im Bau sind. Ich müßte Ihnen auch dazusagen, daß der sich in der Zwischenzeit als souverän erklärte Staat Armenien mit der Frage an uns herangetreten ist, ob wir ihn beraten könnten, das dort abgeschaltete Kernkraftwerk wieder ans Netz zu nehmen, ({0}) weil er sonst keine Chance sehe, die Energieversorgung sicherzustellen. ({1}) - Meine Antwort fällt mir sehr schwer. Sie wäre vordergründig-moralisch ganz leicht zu geben, wie alles das, was Sie sich hier ganz leichtmachen. Natürlich würde ich von allen eine viel bessere Schlagzeile bekommen, wenn ich mich hier im fernen Bonn, von diesen Dingen weit entfernt, zurücklehnen und sagen würde: Sind das unsere Probleme? Haben wir sie verursacht? Nein. - Jeder würde sagen: Wir haben bei uns gehandelt. Greifswald ist stillgelegt und wird nie mehr ans Netz gehen. Was eigentlich sollte uns dazu bringen? Dann sagen andere, da seien Geschäfte zu machen. Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen wirklich, sich einmal die wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Staaten vor Augen zu führen. Wer dann von Geschäften spricht, hat schlicht und einfach die Realitäten nicht verstanden oder will sie nicht verstehen. Es geht hier nicht um Geld oder etwas dergleichen. Nicht eine Mark wird für die Ersatzteile aus Greifswald fließen, ganz im Gegenteil. Durch den Einsatz von Mitarbeitern werden wir noch Zusätzliches zu zahlen haben. Damit Sie sehen, daß wir durch unser Handeln nicht etwa ein Kernkraftwerk weiterbringen: Es ist Ihnen vielleicht gar nicht aufgefallen, daß bisher noch nicht ein einziges Ersatzteil von Greifswald dorthin geliefert worden ist, daß aber in der Zwischenzeit der Block IV des Kraftwerks in Kozloduj wieder ans Netz gegangen ist. ({2}) - Sogar auch ohne Zustimmung des Bundesumweltministers. Sie haben mich nach dieser Zustimmung gar nicht einmal gefragt. - Natürlich geht demnächst auch der Block III wieder ans Netz. Ob wir Ersatzteile hinschicken oder nicht - er wird ans Netz gehen. Es ist geradezu beeindruckend, wenn Sie annehmen, wir würden uns nur auf die Angaben der Bulgaren verlassen, was die Energiebilanz betrifft. Wir haben uns darüber selbst sachverständig gemacht. Gegenwärtig ist eine entsprechende Arbeitsgruppe der Weltbank in Bulgarien, die das aufnimmt. Herr Kollege Weis ist nicht mehr da; es erinnert an - ich sage es ganz vorsichtig - nicht ganz hinreichende Informationen, wenn man ein Kohlekraftwerk gegebenen Zustandes auf die maximale Leistungs- und Ausnutzungsfähigkeit hochrechnet und dann sagt, 7 000 MW könnten geliefert werden. Das ist für jeden, der sich auch nur ein bißchen damit beschäftigt, keine Diskussionsgrundlage. Die Weltbank ist also dort. Ein deutscher Experte, den wir darum gebeten haben, ist mit dort. Die EG wird selbst eine entsprechende Kommission nach Bulgarien schicken, um die gesamte Energiebilanz dieses Landes aufzuarbeiten und herauszufinden: Wie können wir mittel- und langfristig dazu kommen, daß die Kernkraftwerke in Kozloduj vom Netz gehen können? Sie reden hier dauernd vom WWER 440/230. Da stehen noch zwei Tausenderblöcke. Das ist Ihnen gar nicht aufgefallen. Wir sind weit davon entfernt, zu glauben, wir könnten sie irgendwie geradezeichnen. Das ist genau dasselbe Problem. Wenn Sie so etwas machen, dann bitte ich Sie ganz herzlich - allein deswegen, weil diese Emotionen eine unglaubliche Rückwirkung auf die Sorgen und Ängste von Menschen haben - , sich zu informieren und nicht vordergründig zu polemisieren. Das ist doch die Situation. ({3}) Es macht in besonderer Weise stutzig - lassen Sie mich auch das hinzufügen -, von wem diese Aktuelle Stunde beantragt worden ist: Wäre es nach Ihnen gegangen, wäre nämlich die deutsche Einheit nicht gekommen, und Greifswald wäre noch am Netz. ({4}) Die deutsche Einheit hat das Abschalten von Greifswald ermöglicht. ({5}) Das ist die Situation. Ich will Ihnen dazu ein Weiteres sagen, damit das ganz klar wird. Wir haben natürlich nicht eine wie auch immer geartete Anstrengung gemacht, um ein Kernkraftwerk am Netz zu halten. Wir sind der festen Überzeugung: Kozloduj I bis IV muß so schnell wie möglich vom Netz. Das ist unsere klare Ausssage. Wir haben sogar erreicht, daß die beiden älteren Blöcke I und II zumindest für ein halbes Jahr vom Netz gehen. Wir werden alles tun, um die Bulgaren davon zu überzeugen, daß sie sie auf Dauer vom Netz lassen. ({6}) Aber auch dann sind Ersatzteile nötig, damit sie abgeschaltet in einem sicheren Zustand sind. Auch diese Lektion lernen wir doch auf Dauer in Greifswald. Es ist doch nicht so, daß man das Werk abstellt, und dann ist die Sache geregelt. Wir werden Milliarden aufzuwenden haben, um dieses Kraftwerk auf Dauer abschalten zu können und hinterher entsprechend sicher zurückgebaut zu bekommen. Wir sind diejenigen gewesen - ich bedanke mich bei denen, die das richtigerweise aufgegriffen haben - , die bei der IAEO eine entsprechende Initiative ergriffen haben. Ohne unsere Initiative hätte es die Sicherheitsanalyse für Kozloduj gar nicht gegeben. Ohne unsere Initiative hätte es im Juli in Wien die Konferenz über das Kraftwerk nicht gegeben. Ich bin auf Ministerebene der einzige gewesen, der überhaupt da war. Lesen Sie einmal „Nucleonics Week" und andere Zeitschriften durch. Dort wird die Auffassung vertreten, wir seien diejenigen, die das falsch bewerten, die viel zuviel auf die Sicherheit setzen. Ich sei von meinen anderen Kollegen, die gar nicht erst hingekommen sind, diskreditiert worden, weil sie mich in dieser Situation nicht unterstützen können. Das ist die Situation. Sie haben gesagt - ich weiß nicht, wer es war -, das sollte unter die Obhut der UN gestellt werden. Ist Ihnen wenigstens bewußt, daß die IAEO, die Internationale Atomenergiebehörde, in Wien die UN-Behörde für die Atomenergie ist? Das ist doch der Fall. Dann können Sie doch beim allerbesten Willen nicht so etwas fordern. ({7}) - Ich freue mich darüber, daß Sie es zugeben. Ich habe es auch gar nicht kritisch gemeint. ({8}) - Ja, selbstverständlich. Ich realisiere immer, was in Ihrer Umgebung passiert, Herr Kollege Schäfer. Davon gehen Sie bitte aus. Deshalb werde ich mich davon an dieser Stelle auch nicht absentieren. Wir sind es gewesen, die die Konferenz beantragt haben. Ich habe selbst wiederum die Präsidentschaft übernehmen müssen. Wir haben diese internationale Sicherheitskonferenz, die eine Woche lang stattgefunden hat, doch gemacht, weil es unser Ziel war, eine völkerrechtlich verbindliche Konvention zu schaffen, damit wir Mindestsicherheitsanforderungen für Kernkraftwerke bekommen. Dies haben wir glücklicherweise hinbekommen. Wir hoffen, daß wir diesen Weg weitergehen können. Die anschließende Konferenz in Wien hat es noch einmal bestätigt: Wir möchten dazu beitragen, daß sich die Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Brasilien im Juni nächsten Jahres auch mit der Frage der Kernenergiesicherheit beschäftigt. ({9}) Das sind die Zusammenhänge, aus denen heraus wir, so glaube ich, eine vernünftige und nachvollziehbare Politik betreiben. Wer dann behauptet, dadurch, daß wir Ersatzteile liefern, ermöglichten wir den Betrieb dieses Kraftwerks, der muß, wenn er sich nur etwas objektiv mit den Dingen beschäftigt, zugeben, daß dies eine geradezu unerträgliche Verdrehung der Tatsachen ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Bundesminister, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß, wenn Sie Ihre Redezeit überschreiten, nach unseren Regeln die Debatte eröffnet wird. Es liegt mir fern, Ihnen Belehrungen zu erteilen. Ich will Ihnen auch nicht das grundgesetzliche Recht zum Reden nehmen. Aber vielleicht ist der genannte Aspekt Ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Deshalb weise ich Sie darauf hin.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident, ich danke Ihnen sehr herzlich für diesen Hinweis. Es würde mich natürlich außerordentlich reizen, die Diskussion zu verlängern, und zwar einfach deswegen, weil eine dringliche Notwendigkeit besteht, hier wirklich einmal die Fakten darzulegen. Ich habe mich darum bemüht - und ich bin ganz sicher, daß das auch geschieht -, eine Politik zu machen, die nicht nur bei uns, sondern in Europa und weltweit als die verantwortliche Politik auf diesem Gebiet angesehen wird. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat der Abgeordnete Kubatschka das Wort.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Töpfer, mich wundert eigentlich, daß Sie nach den Erfahrungen von Tschernobyl von einem „fernen Bonn" sprechen. ({0}) Haben Sie denn nicht aus Tschernobyl gelernt, daß es kein fernes Bonn und kein fernes Armenien geben kann, sondern daß wir da sehr schnell Betroffene sind? ({1}) Wenn Sie die Hand dazu reichen sollten, ein stillgelegtes Kernkraftwerk wieder in Gang zu setzen, dann handeln Sie noch leichtsinniger als im Fall Kozloduj. Dann wird es eigentlich Zeit, daß Ihnen die Kernkraftlobby in den Arm fällt; denn Sie sind ja dann eine Gefahr für sie. Ein weiteres Tschernobyl, auch wenn es im nach Ihrer Definition fernen Armenien stattfindet, wird die Bevölkerung bei uns hier nicht mehr hinnehmen. Das sollten Sie sich doch ins Stammbuch schreiben. Meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich zum forschungspolitischen Gesichtspunkt des Problems Kozloduj sprechen. Kurzfristig könnte man ja sagen: Das ist bei uns kein Problem. In Deutschland gibt es keinen Reaktor der WWER-Reihe mehr. Was wollen wir dann eigentlich noch erforschen? - Aber wir müssen den gesamteuropäischen Aspekt einbringen. Dann wird es für uns wieder interessant. In Mittel- und Osteuropa werden 52 Reaktoren vom WWER-Typ betrieben. Dies sollte uns beunruhigen. Aber es kommt noch schlimmer: 35 weitere sind im Bau. Für bundesdeutsche Kernkraftwerke wird die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Kernschmelzunfalls mit einmal pro 33 000 Betriebsjahren angegeben. Wir haben also wahrlich sichere Kernkraftwerke. Ich hoffe bloß, das Kernkraftwerk in meinem Wahlkreis weiß, daß es so sicher ist. Laut sowjetischen Wissenschaftlern gilt für den WWER-440-Typ ein Zeitraum von 180 Betriebsjahren. Theoretisch müßte eigentlich schon ein Kernschmelzunfall eingetreten sein. Seit Tschernobyl wissen wir: Entfernungen schützen nur relativ. Hat es bei einem Verhältnis von 33 000 zu 180 Jahren überhaupt noch Sinn, Sicherheitsforschung zu betreiben? Ist eine höhere Sicherheit überhaupt erreichbar? Ich fürchte: bei diesem Verhältnis wohl kaum. Trotzdem sollte geprüft werden, ob eine Verbesserung, eine höhere Sicherheit möglich ist. Dabei geht es mir nicht etwa um den Faktor 2 oder 3. Auch ein theoretischer Kernschmelzunfall pro 360 Betriebsjahren sollte uns nicht ruhiger schlafen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das hilft nicht weiter. Ich befürchte: Der Typ ist überhaupt nicht nachrüstbar. Sicherheitsforschung über diese Reaktorlinie muß uns aber auch Kenntnisse liefern, um beim Abschluß von internationalen Rahmenvereinbarungen mitreden zu können. Eine Kooperation mit der UdSSR auf diesem Gebiet muß angestrebt werden. ({2}) Dazu brauchen wir Kenntnisse. Deswegen müssen wir weiter forschen. Des weiteren müssen wir forschen, wie Kernkraftwerke so sicher abgestellt werden können, daß die Umgebung wirklich geschützt ist. Auch die Forschung über die direkte Endablagerung muß für diesen Typ weiter vorangetrieben werden. Wenn wir über Forschungen über den Typ WWER sprechen, fällt uns natürlich der Name Rossendorf ein: das Zentralinstitut für Kernforschung der ehemaligen DDR. Was sagt der Wissenschaftsrat über die Sicherheitsforschung an diesem Institut? Ich zitiere: „Das Institut hat in vielfältiger Weise Beiträge zur Sicherheitsforschung für den WWER-Reaktor geleistet. " Deshalb wird empfohlen, 70 Wissenschaftler in der Sicherheitsforschung weiter zu beschäftigen. Tschernobyl war ein Menetekel. Diese Schrift ist aber leider verblaßt. In Kozloduj blinken die Warnlichter - wie bei mir am Pult. Wir dürfen sie nicht übersehen. Was würden Sie, meine Damen und Herren, als Autofahrer tun, wenn Sie feststellen, daß Sie bereits auf der Leinwand fahren und kein Profil mehr auf dem Reifen haben? Nach der Beschreibung des Kollegen Ganschow vorhin fahren wir auf den Felgen. Würden Sie auf der Autobahn, ein Auto, das auf den Felgen fährt, auf der Autobahn mit Tempo 130 benutzen? Auf diese Idee käme niemand. ({3}) - Ich habe bloß wiedergegeben, was Sie beschrieben haben. Sie haben ja ein Horrorgemälde entworfen. Diese Erkenntnis hatte auch schon das Bundesumweltministerium. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 3. Juli 1991 steht: Im Bundesumweltministerium wurde betont, daß es bei einer deutschen Hilfe nicht darum gehen könne, das bulgarische Kernkraftwerk weiter zu betreiben, sondern nur darum, die dortigen Reaktoren im abgeschalteten Zustand sicherzuhalten. Vor mir hier blinkt es genug. Ich danke fürs Zuhören. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete Seesing das Wort.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe: Mir wäre entschieden wohler, wenn die Blöcke I bis IV des Kernkraftwerks Kozloduj tatsächlich abgeschaltet und nie wieder in Betrieb genommen würden, ({0}) handelt es sich doch um Druckwasserreaktoren ältester Serie, die schon in den 60er Jahren konzipiert wurde. Selbst nach Abschaltung muß noch viel geschehen, damit sie nicht im Laufe der Zeit wegen der Schwäche des Materials zur ständigen Bedrohung der Menschen werden. ({1}) Denn das, was wir als Gründe für die Abschaltung der Kernkraftwerkblöcke vom baugleichen Typ in Greifswald angeführt haben, muß naturgemäß auch für Kozloduj gelten. Sie entsprechen zumindest nicht unseren Vorstellungen von der Sicherheit eines Kernkraftwerkes. Wenn man jedoch weiß, daß Bulgarien 35,9 % seines Stromes aus diesem Kernkraftwerk beHeinrich Seesing zieht, dann muß man unter Umständen - das macht mir eben Sorge - andere Maßstäbe anlegen. ({2}) Man glaubt, wenn ich es richtig verstanden habe, daß die Blöcke III und IV in begrenztem Umfang nachgerüstet werden können. Wenn das so ist, dann sollten die Bulgaren die Blöcke I und II nicht mehr nachrüsten und statt dessen ganz aus dem Betrieb nehmen. Wir müssen also helfen, daß es zu solchen Entscheidungen kommt. Nach meiner Auffassung sollten jetzt alle helfen, die moderneren Blöcke V und VI dauerhaft zur Verfügung zu halten und mittelfristig auch die Blöcke III und IV abzuschalten. Wenn in diesem Kernkraftwerk noch Strom produziert werden soll, dann sollten wir auch Hilfe geben, soweit es geht. Ich finde es ganz gut, daß wir Ersatzteile, die in Greifswald bei der üblichen reichlichen Lagerhaltung am Ort zweifellos vorhanden sind, den Bulgaren schenken; das aber nur dann, wenn es in einem internationalen Programm für richtig angesehen wird. Dabei kann es natürlich nicht bleiben. Wie in ganz Ost- und Südosteuropa muß es zu einer Neustruktur der Energieversorgung auch in Bulgarien kommen. Dabei wird auch in Zukunft nach meiner Auffassung die Kernenergie eine herausragende Rolle spielen. Ich verweise hier auf die Tschechoslowakei und Ungarn. Weltweit arbeiten zu diesem Zeitpunkt über 400 Kernkraftwerke. Derzeit sind weltweit 97 Kernkraftwerke im Bau. Für 17 weitere liegen schon Bestellungen vor. Wenn ich dann noch die Notwendigkeit sehe, weltweit die Verbrennung von Braunkohle, Steinkohle, Öl, Gas und Holz der Zukunft der Erde wegen sogar stark einzuschränken, dann müssen auch wir uns auf eine Neubewertung der Kernenergie einstellen; denn, was hilft es, wenn wir 20 Kernkraftwerke bei uns abstellen und in nächster Nachbarschaft werden im gleichen Zeitraum 40 neue Anlagen errichtet? Was hilft es uns, wenn dann diese Kernkraftwerke nicht nach unserer Sicherheitsphilosophie gebaut werden, sondern mehr oder weniger unter unseren Anforderungen liegen? Was hilft es uns, wenn wegen unserer Energiekosten neue Fabriken mit deutschem Kapital im Ausland gebaut werden? Aber beruhigen Sie sich, Herr Schäfer, gucken Sie nicht so böse, ({3}) ich bin natürlich weit davon entfernt, das mit Kernenergie allein regeln zu wollen. Wir schaffen es schon durch Ankündigungen von neuen Steuern, Gesetzen, Abgaben, Verordnungen, Erlassen und Verfügungen, daß das Klima im Industriestandort Deutschland nicht besser oder wärmer wird, sondern erkaltet. Ich meine, wir brauchen zunächst alle Kräfte, um gerade die umweltzerstörende Energiewirtschaft nicht nur im deutschen Osten, sondern auch in den Ländern Ost- und Südosteuropas hin zu dem umzubauen, was wir von einer Energieversorgung erwarten, daß sie uns nämlich sicher, ausreichend, preisgünstig und umweltschonend Energie liefert. Was uns recht ist, darf Bulgarien billig sein. Ich spreche mich dafür aus, Bulgarien noch mehr zu helfen als nur mit der Bereitstellung von Ersatzteilen und vielleicht auch von Personal. Hilfen für eine neue Energiepolitik dürfen es nach meiner Auffassung ruhig schon sein. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat als letzter der Abgeordnete Dr. Friedrich das Wort.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schäfer, ich komme gleich auf Sie zu sprechen. Vielleicht beginnen wir sogar gleich mit Ihnen. Herr Schäfer, wir haben, glaube ich, bei dieser Diskussion heute gemeinsam noch einmal festgestellt, daß die Sicherheit der Kernenergie oder die Abwendung der Risiken der Kernenergie ein internationales Problem ist, das wir national nicht lösen können. Das hat zur Konsequenz, daß wir unsere nationale Politik in den internationalen Rahmen einfügen müssen. Deshalb meine ich, Kollege Schäfer, daß Sie ihr Kernenergieabwicklungsgesetz noch einmal überdenken müssen, weil Sie, vereinfacht ausgedrückt, die falschen Reaktoren abschalten wollen. Sie setzen die falschen Prioritäten. Ihre Kollegin, die neben Ihnen sitzt, hat uns geraten - es gibt technische Probleme, ist dann gesagt worden -, zumindest, ({0}) wenn die Probleme überwunden sind, von Westeuropa Richtung Osten Strom zu liefern. Herr Kollege Schäfer, wenn wir Ihr Kernenergieabwicklungsgesetz bei uns anwendeten - wir müßten es natürlich vorher beschließen, und ich nenne auch das Stichwort Frankreich - , würde uns das zu der von Ihrer Kollegin geforderten Hilfe unfähig machen. Stromlieferung läuft dann nicht mehr. Frau Kollegin Wollenberger, ich habe großen Respekt vor ihrer Rolle und Leistung in den letzten eineinhalb Jahren, aber mit den Problemen der Kernenergie haben Sie sich ernsthaft wohl noch nicht beschäftigt. Wer hier an dieser Stelle den Reaktor in Biblis mit den russischen Risikoreaktoren in einen Topf wirft, der kann sein Unwissen nur damit entschuldigen, daß er sich solche Filme angeschaut hat, wie Sie sie hier erwähnt haben. ({1}) - Das hat sicher noch zur Desinformation beigetragen. Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Ich war ebenso wie einige Kollegen hier in diesem Saal drei Jahre lang Mitglied eines Untersuchungsausschusses. Der Kollege Harries war mit mir der Meinung: Der Störfall von Biblis muß untersucht werden; aber im internationalen Rahmen ist das doch ein „Problemchen". Im Osten und hier im Westen wäre man froh, wenn man es nur mit solchen „Problemchen" zu tun hätte. Ich habe mich heute aber auch gefreut. Herr Minister, die Kollegin Braband hat sich in ihrer Rede auf den Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission berufen. Beim Zeitunglesen in den letzten Monaten stelle ich fest, daß sich selbst Greenpeace auf die Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission beruft, wenn es um die Beurteilung der Reaktoren im Ostblock geht. Die Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission seien - das habe ich hier immer wieder gehört - Mitglieder einer verschworenen Nukleargemeinschaft, abhängig von der Nuklearindustrie. Ich freue mich, daß bei Ihnen ein Sinneswandel einsetzt, daß Sie die Leute neu einschätzen, so wie wir sie immer schon eingeschätzt haben. Sie sollten diesen Denkprozeß mit einer Entschuldigung für einige Entgleisungen der letzten Jahre an dieser Stelle beenden, meine Damen und Herren. ({2}) Gestatten Sie mir noch eine letzte Anmerkung. Die Außenpolitiker sind sich nach einigen Entwicklungen in der Welt, die man nicht näher beschreiben muß, einig geworden, daß das Prinzip des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten nicht mehr uneingeschränkt gelten soll. Sie sind sich einig, daß es Ausnahmen im Bereich der Menschenrechte gibt. Auch die Abwendung nuklearer Katastrophen gehört meines Erachtens zu den existentiellen Interessen der Völkergemeinschaft. Deshalb, Herr Minister, begrüße ich es, begrüßt es unsere Fraktion, daß Sie sich zwar im Ton moderat, aber in der Sache massiv in die Debatte um die Sicherheit der Kernenergie in Osteuropa einmischen. ({3}) Wir meinen - das haben Sie auch zum Ausdruck gebracht -, daß die ersten vier Reaktoren in Bulgarien, aber auch noch viele andere Reaktoren baldmöglichst abgeschaltet werden müssen. Herr Kollege Schäfer, ich füge aber hinzu: Ein Ausstiegsminister, etwa aus Österreich, würde als Ratgeber in Osteuropa nicht gehört. Jemand, der nur moralisiert und nicht gleichzeitig Hilfe anbietet, würde auch nicht als Gesprächspartner akzeptiert. Deshalb ist es meines Erachtens unerträglich, daß Sie versuchen, unseren Bundesumweltminister in die Verantwortung für die Schrottreaktoren im Osten zu nehmen. Nach dieser Logik wäre unser Entwicklungshilfeminister für alle Seuchen in Afrika verantwortlich, wenn er Entwicklungshelfer nach Afrika schickt. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich muß mich zunächst einmal korrigieren. Ich habe Dr. Friedrich als letzten Redner aufgerufen. Aber die SPD hat noch einen Redner nachgemeldet, und das ist auch korrekt. Ich möchte jedoch die Gelegenheit wahrnehmen, die Geschäftsführer darauf aufmerksam zu machen, daß sie bei einer Aktuellen Stunde alle Redner melden mögen, damit ich geschäftsordnungsmäßig korrekt für Rede und Widerrede sorgen kann. Das wird mir bei diesem Verfahren unmöglich gemacht. Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben das Wort.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich jetzt niemanden zur Widerrede provoziere. Ich will vier kurze Feststellungen treffen. Die erste Feststellung ist allgemeiner Natur. Auch diese Debatte hat - bei allem, was uns trennt - gezeigt, daß wir in eine internationale Risikogemeinschaft und - davon abgeleitet - letztlich auch in eine internationale Verantwortungsgemeinschaft hineinwachsen müssen. Es hat wenig Sinn, wenn wir uns wechselseitig Verantwortung dafür zuschieben, was in jeweils anderen Regionen geschieht, denn wir haben in der Tat nur noch die eine Welt. Wir wissen, daß wir uns - ob es um die CO2-Problematik oder um die Folgen eines nuklearen GAUS geht - national nicht mehr vor weltweiten Gefahren schützen können. Als zweites möchte ich folgendes sagen. Ich bin etwas verwundert, manchmal betroffen, daß wir erst 1986 im Zusammenhang mit Tschernobyl oder auch jetzt, im Jahre 1991, erkennen, welche sicherheitstechnischen Risiken und Defizite bei den Nuklearreaktoren existieren, zumal in Ost- und Mitteleuropa. ({0}) Das ist für Sachkenner nichts Neues. Ich habe bis vor Tschernobyl nirgendwo eine warnende Stimme beispielsweise von seiten der Internationalen Atomenergie-Organisation gehört, die meines Erachtens aber notwendig gewesen wäre. Ich denke, wir sollten die Debatte auch nicht nach dem Motto führen: Unsere Reaktoren sind die guten, die anderen sind die Schrottreaktoren. Wahr ist, daß unser Sicherheitsstandard besser ist; wahr ist, daß auch bei uns in Westeuropa das, was man Restrisiko nennt, nicht absolut auzuschließen ist. Da sind wir einer Meinung, Herr Töpfer. Seien Sie nicht betroffen, wenn ich einmal mit Ihnen einer Meinung bin. Das muß ja nicht falsch sein. Ich komme zum dritten Punkt. Wir streiten heute darüber, wie wir darauf reagieren. Wir haben den Eindruck - das kann man auch mit dem belegen, was Herr Dr. Friedrich gesagt hat -, daß Ihre Zielrichtung ist - da unterstellen wir Ihnen die ernsthafte Absicht -, die Sicherheit der Reaktoren dort zu erhöhen, dies gleichzeitig aber auch als Einstieg in eine weltweite Renaissance der Atomenergie zu benutzen. Diesen Weg halten wir für falsch. Es steht völlig außer Frage, daß wir helfen wollen und helfen müssen. Aber wir wollen den Weg einer dezentralen Energieversorgung gehen, einer tatsächlichen Energieeinsparung und einer Strategie der rationellen Energieverwendung. Wir wollen aber nicht weiter auf die Atomenergie setzen, weil wir dies als einen Irrweg ansehen. Das ist, wenn Sie so wollen, ein politisch-strategischer Unterschied. Ich will noch folgende Bemerkung anfügen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten auch den Mut haben zu sagen, daß das, was die internationale Nuklear Community - es gibt kaum einen Bereich, der international so eng verwoben ist - seit den 70er Jahren landauf, landab gepredigt hat, nämlich daß die Sicherheit allemal Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit hat, nicht zu halten ist. Die Reden aus den Reihen der Koalition und von Herrn Töpfer in dem konkreten Fall Harald B. Schafer ({1}) des bulgarischen Kernkraftwerks haben eben dies bestätigt. Aus ökonomischen Gründen wird die Sicherheit nachrangig behandelt. ({2}) - Ich erhebe gar keinen Vorwurf, sondern treffe nur eine Feststellung. Ich will nur eine Feststellung treffen, ohne jeden Vorwurf. Sie haben wahrhaftig die Situation in Bulgarien nicht zu verantworten. Es wäre töricht, wenn ich auf die Idee käme, so etwas zu sagen. Wir sind doch hier nicht alle von der Kappe. Es gibt auch vernünftige Leute, Herr Friedrich, auch wenn das nicht jeder unter Beweis stellt. Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf das Kernenergieabwicklungsgesetz. Ich nehme ernst, was Sie gesagt haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen internationalen Beitrag zu leisten, damit die ökologische Verantwortungsgemeinschaft konkret greifbar wird. Wir sind aber nicht der Nabel der Welt. Wir können doch nicht überall befehlen, wie souveräne Staaten ihre Politik zu gestalten haben. Wir können aber ein Beispiel geben. Wir halten die dauerhafte Nutzung der Kernenergie auch als weltweite Energieerzeugungsart für falsch. Dies wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland durch unser Kernenergieabwicklungsgesetz unter Beweis stellen. Es ist für mich ein Beispiel für Glaubwürdigkeit, wenn man zu Hause mit dem beginnt, was man weltweit für notwendig hält. Ich komme zu meiner Schlußbemerkung, auf Sie, Herr Harries, eingehend. Sie haben die zehn Jahre angesprochen, die ich, wie Sie meinen, relativiert habe. Ich will über den aktuellen Anlaß hinaus folgendes sagen. Wir Sozialdemokraten sind zu einem energiepolitischen Konsens bereit, aber es müssen Bedingungen eingelöst werden. Ich will diese Bedingungen noch einmal nennen. Der erste Punkt ist: Es soll in der Bundesrepublik Deutschland keinen Neubau und keinen Ersatzbau von Kernkraftwerken geben. Das zweite ist: Wir wollen uns gemeinsam auf ein Energieeinsparprogramm verständigen können. Ich weiß, daß wir bezüglich der Einschätzung dieser Notwendigkeit ähnlicher Meinung sind. Drittens. Wir wollen heute den massiven Einstieg in das Solarzeitalter vollziehen, um morgen das Atomzeitalter überwinden zu können. Ob wir dann in 10 oder in 15 Jahren das letzte Kernkraftwerk in der Bundesrepublik abschalten, ist sodann für uns nicht mehr die entscheidende Frage. Wer ernsthaft einen Konsens will, muß sich auch bewegen. Das wollte ich zum Schluß noch gesagt haben dürfen. Herr Präsident, ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Großzügigkeit. Es war für mich ein Genuß. Herzlichen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich diese Aktuelle Stunde schließe, gebe ich nach § 30 unserer Geschäftsordnung der Abgeordneten Wollenberger das Wort.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Friedrich, Sie haben sich vorhin in abfälliger Weise darüber geäußert, daß ich mir Videos angucke. Ich wollte an dieser Stelle noch einmal sagen, daß das ein Video war, das ein Hamburger Unternehmer jedem Mitglied des Deutschen Bundestages mit der Bitte zugeschickt hat, sich dieses Video anzusehen und den Fragebogen auszufüllen. Ich finde, es ist eine Schande, wie Sie sich über die Initiativen solcher besorgter Bürger lustig machen. Ich finde es eine Schande, daß Sie dann auch noch von den Politikern Ihrer Fraktion Beifall dafür kriegen. Ich hoffe, daß die Wähler das registrieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Aktuelle Stunde mehr als 70 Minuten gedauert hat. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich klarstellen, daß, nachdem ich mir das Protokoll durchgelesen habe, völlig klar ist, daß der Bundesminister Schäuble den Abgeordneten Dr. Matterne nicht als PDS-Mitglied bezeichnet hat. Ich glaube, das dient der Klarstellung, und damit ist diese Angelegenheit auch erledigt. Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 4 a und 4 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Claudia Nolte, Norbert Geis, Dr. Maria Böhmer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink, Detlef Kleinert ({0}), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen ({1}) - Drucksache 12/1106 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 12/1165 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Helmrich Dr. Hans de With b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Nolte, Dr. Maria Böhmer, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margret Funke-SchmittRink, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Eva Pohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fristverlängerung zur Antragstellung auf Aufhebung von Zwangsadoptionen - Drucksachen 12/763, 12/1165 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Helmrich Dr. Hans de With Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Zum Gesetzentwurf - das muß ich dem Haus mitteilen - liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/ Linke Liste vor. Für die Aussprache schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann kann ich das als beschlossen feststellen. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Luther. Ich mache das Haus noch darauf aufmerksam, daß die vorgesehene Debattenzeit nicht ein Muß, sondern eine Begrenzung nach oben hin ist.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß so schnell und unkompliziert der sich abzeichnende Tatbestand, die adoptionsrechtlichen Fristen bei Zwangsadoptionen zu verlängern, von der Bundesregierung aufgegriffen und ein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet wurde, daß dieser Entwurf von den Kollegen des Deutschen Bundestages so schnell bearbeitet wurde und eine fast unstrittige Ausschußempfehlung erstellt werden konnte. Zur Begründung der Notwendigkeit der Fristverlängerung wurde sehr viel gesagt. Deshalb möchte ich auf einige Punkte eingehen, die mir für den weiteren Umgang mit diesem Gesetz wichtig erscheinen. Dieses Gesetz wurde notwendig, weil 40 Jahre DDR eine solche Menge Unrecht hinterlassen haben, daß es mit dem normalen Menschenverstand kaum faßbar ist. So ist dieses Gesetz der Ausdruck für den Zeitgewinn, der für die Erfassung, die Aufarbeitung dieses Stücks trüber deutscher Geschichte notwendig ist, welche von einem menschenverachtenden System inszeniert wurde. Auf mich wirkt es dann schon eigenartig, wenn wir, wie bei der Einbringung dieses Gesetzes geschehen, von Vertretern der Erbpartei dieses Unrechtsstaates darüber belehrt werden, uns vor politischem Mißbrauch bei der Anwendung dieses zu verabschiedenden Gesetzes und damit vor der Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu hüten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Beschäftigung mit diesem Gesetz wurden mir zwei Dinge deutlich. Lassen Sie mich den ersten Gedanken in folgendes Bild fassen: Wenn ein Kunstwerk zerstört wurde, erfordert es sehr viel Wissen, Können und Fingerspitzengefühl, um es einigermaßen zu restaurieren. Der Staat DDR und seine Verantwortlichen - da sollte man auch schon Namen nennen, z. B. Frau Honecker - hatten Unrecht angeordnet, und das Ausmaß ist erst nach und nach zu erkennen. Familien sind zerstört worden, obwohl von ihnen viel geredet wurde, von ihrer Förderung, von der Stellung der Frau in der Gesellschaft und daß das Wohl unserer Kinder in der Mitte stehe. Die Folgen dieser scheinbar humanistischen Politik haben wir heute zu bewältigen. Auf der einen Seite gibt es Eltern, die von ihren Kindern getrennt wurden, und es ist ihr Recht, dieses Unrecht benennen zu dürfen. Auf der anderen Seite sind Familien mit adoptierten Kindern, die - das ist anzunehmen - familiäre Bindungen aufgebaut haben, die für die gesunde Entwicklung der Kinder notwendig sind. Weiterhin sind da die Interessen der erwachsenen Kinder, die im Falle der ungerechtfertigten politischen Adoption ein Recht auf ihre Vergangenheit haben. Letzteres bedeutet für die Kinder einen psychologischen Druck, der gerade im Jugendalter für die Kinder sehr bedenkliche Folgen für ihre Weiterentwicklung haben kann. Deshalb appelliere ich an die betroffenen Instanzen, mit den betroffenen Menschen sorgsamst umzugehen und Humanitas vor das rechtlich Mögliche zu stellen. Hier ist eine Zusammenarbeit von Juristen, Psychologen und Seelsorgern wünschenswert. So war für mich die Initiative von Frau Rönsch sehr begrüßenswert, am 10. September dieses Jahres eine Fachtagung zum Thema „Zwangsadoptionen in der DDR" einzuberufen. Es wurde deutlich, daß eine eingehende fachliche Beratung, Begleitung und Unterstützung der betroffenen Menschen im Mittelpunkt stehen müssen. Diese Hilfen haben sich auf die unmittelbar und mittelbar betroffenen Menschen zu erstrecken. Dazu zählen auch die Kinder, die nach der Klärung ihrer Identität suchen. Die nun gegebene gesetzliche Möglichkeit der Überprüfung aller ohne Einwilligung der Eltern erfolgten Adoptionen auf politische Motivation durch den Staat darf nicht dazu führen, daß alle Adoptionen plötzlich als offen gehandelt werden. Wenn man sich vor Augen führt, daß bei über 7 000 Adoptionen 1989 allein in der alten Bundesrepublik 326mal die Adoption ohne Einwilligung der Eltern erfolgte, dürfte klar sein, daß auch die Adoptionen in der ehemaligen DDR in ihrer übergroßen Mehrheit rechtsstaatlichen Prüfungen standhalten. Das wollte ich hier zur Sicherheit für die Familien sagen, die sich durch die heutige Debatte verunsichert fühlen und sich Sorgen um ihre Familie machen. Nochmals zu meinem Bild des zerstörten und renovierungsbedürftigen Kunstwerkes: Der Ausgangszustand ist nicht mehr erreichbar. Es ist hier viel Mühe und Kleinarbeit erforderlich: der Eheleute, die Leid durch politisch motivierte Zerstörung erfahren haben, der Kinder, die die Wahrheit über ihre Eltern beanspruchen dürfen, und der Adoptiveltern, die eventuell unwissend in dieses Dilemma hineingezogen wurden. Dieses Leid ist zwar nicht reparabel, aber es muß gelindert werden. Es zeigt sich ganz deutlich, daß die begonnene Diskussion vom 10. September aktuell fortgeführt werden muß. Ich möchte noch einen zweiten Gedanken äußern: Der Unrechtsstaat DDR muß aufgearbeitet werden; die Verantwortlichen müssen bestraft werden. Ich hoffe, daß die Untersuchungen im Zusammenhang mit der Zwangsadoption ihren Beitrag zur Schuldfeststellung liefern. Diese genannte Aufgabe ist für einen Rechtsstaat kaum zu bewältigen. Werden aber die Schuldigen - ich meine als Beispiel nicht die Mauerschützen, sondern Honecker, Mielke, Wolf und wie sie alle heißen - nicht bestraft, dann weiß ich nicht, wie ich den Menschen in meiner Heimatstadt Zwickau erklären soll, was Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit ist. ({0}) Um eine Vergangenheitsbewältigung kommen wir alle nicht herum. Diese Vergangenheitsbewältigung holt uns täglich ein: sei es heute im Bundestag durch das behandelte Thema der Zwangsadoption, sei es durch das Problem des Umgangs mit Stasi-Akten und ihren Folgewirkungen in der Öffentlichkeit, sei es durch die mangelnde Sensibilität der Menschen in den neuen Bundesländern bei der Bewältigung der Probleme, beim Zusammenleben und bei der Integration von Asylbewerbern und Ausländern. Niemand kann sich dieser Aufgabe verschließen. Das ist unser aller Problem. Ich wünsche mir, daß dies auch als gesamtdeutsches Problem erkannt und angenommen wird, unabhängig z. B. von Zugehörigkeit zu Parteien. Es ist für mich wohltuend festzustellen, daß es zumindest bei diesem Gesetz gelungen ist, Sachlichkeit vor Parteienzwist zu stellen. Ich empfehle für meine Fraktion die Annahme des Gesetzes in dieser Form. Danke. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pick.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gegenstand der heutigen Beratung ist Teil des Kapitels „Wiedergutmachung von SED-Unrecht" ; dabei ist es gleichzeitig eines der dunkelsten. Dunkel deshalb, weil es sich wohl um die widerwärtigste Form des Eingriffs in den Familienverband unter dem SED-Regime handelt, zum anderen, weil wir einfach nicht informiert sind über die Zahl der Zwangsadoptionen. Wir kennen auch nicht die dahinter stehenden menschlichen und familiären Schicksale. Ich bin froh, daß auch mein Vorredner differenziert und gesagt hat, daß es hier um die Zwangsadoptionen aus politischen Gründen geht. Sie sind in der Tat Unrecht, sie sind in tiefstem Grunde inhuman und menschenverachtend. Aber wir wissen, daß es neben den politisch motivierten Zwangsadoptionen eine Reihe von anderen Fällen gab, die nicht so deutlich politisch geprägt waren. Es geht um bestimmte Straftatbestände, die den Eltern vorgeworfen wurden und die die Grundlage für die Zwangsadoptionen geboten haben, beispielsweise Republikflucht, Spionage, ja sogar Asozialität, wie es auch bei der von Ihnen angesprochenen Veranstaltung deutlich geworden ist. Daneben gab es eine Fülle von Adoptionen gegen oder ohne den Willen der Eltern, weil sich diese - wie das in jeder Gesellschaft vorkommt - nicht um ihre Kinder kümmerten oder sogar ihr Sorgerecht mißbraucht haben. Angesichts des sehr unterschiedlichen Befundes verbietet sich auch eine generalisierende Betrachtungsweise. Jeder einzelne Fall muß für sich beurteilt werden. Dies ist nach unserem Verständnis Aufgabe der unabhängigen Justiz in Form der Vormundschaftsgerichte. Es gibt keine Automatik. Die Gerichte haben stets den besonderen Sachverhalt zu prüfen, und sie haben eine Abwägung zu treffen, nämlich dahingehend, ob das Kindeswohl im Einzelfall eine Aufhebung erfordert oder nicht. Dies kann zu der auf den ersten Blick unverständlichen Konsequenz führen, daß selbst in ganz eindeutigen Fällen politisch motivierter Zwangsadoption eine Aufhebung nicht gerechtfertigt sein kann, weil mittlerweile in Jahren oder sogar Jahrzehnten eine echte Eltern-Kind-Beziehung entstanden ist, wie das in einer „normalen" Familie üblicherweise der Fall ist. Sicherlich ist festzuhalten, daß wohl in den meisten Fällen auch die Adoptiveltern gutgläubig gewesen sind und nicht im einzelnen informiert worden sind über den Grund der Entziehung des Sorgerechts der leiblichen Eltern. Das führt mich auch zu der Mahnung, daß wir den betroffenen leiblichen Eltern nicht einreden, daß Zwangsadoptionen in jedem Fall rückgängig gemacht werden müßten oder könnten. Dies hat mein Vorredner dankenswerterweise auch schon so betont. Schließlich wissen wir auch, daß gerade die leiblichen Eltern nicht immer den Wunsch haben, die ihnen aufgezwungene staatliche Entscheidung der Zwangsadoption zu revidieren. Vielen kommt es auch darauf an, daß sie selber rehabilitiert werden; denn sie sind ja häufig kriminalisiert worden, und sie haben nicht die Möglichkeit gehabt, sich rechtsstaatlich zu verteidigen. Sicherlich wird es manchem auch darauf ankommen, einfach zu erfahren, was aus seinen Kindern geworden ist, umgekehrt, was aus den leiblichen Eltern geworden ist. Auch hier haben wir die Aufgabe, diesen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen. Ich finde, das ist die mindeste Form der Wiedergutmachung, die wir leisten können. Ich bin etwas skeptisch, ob die Verlängerung der Antragsfrist um die zwei Jahre, um die es jetzt geht, dazu führen wird, daß mehr Anträge auf Überprüfung gestellt werden. Das kann noch niemand absehen. Aber ich denke, daß wir im Interesse der Überprüfungsmöglichkeit diese Frist verlängern sollten. Ich sage aber auch ganz deutlich: Nach Ablauf dieser Frist - das gilt auch in Fällen, in denen diese Frist ohne Verschulden versäumt worden ist, also mit Ende des 2. Oktober 1993 - müssen alle Beteiligten davon ausgehen können, daß sämtliche Adoptionen, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erfolgten, dann auch bestandskräftig sind. Dies fordert einerseits der Rechtsfrieden, andererseits das Vertrauen auf die gewachsene Eltern-Kind-Beziehung. Das heißt, hier muß die Einzelfallgerechtigkeit - so schwer das im konkreten Fall dann auch sein mag - hinter dem Grundsatz des Rechtsfriedens zurückstehen. Unter diesen Voraussetzungen, meine Damen und Herren, hat die SPD-Bundestagsfraktion dieses Gesetzgebungsverfahren begleitet; sie wird diesem Gesetzentwurf auch zustimmen. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun spricht die Abgeordnete Frau Funke-Schmitt-Rink.

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000625, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Sehr zügig haben die mit diesem Gesetzentwurf befaßten Ausschüsse ihre Beratungen durchgeführt und Beschlüsse gefaßt. Es gibt keinen Zweifel an der Notwendigkeit und Richtigkeit dieses Gesetzentwurfs, der die Verlängerung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Aufhebung einer Zwangsadoption um zwei Jahre - nämlich bis zum 2. Oktober 1993 - verlängert. Schon zweimal hatten wir hier Gelegenheit, uns mit diesem sehr dunklen Kapitel aus der Familienpolitik der ehemaligen DDR zu befassen; und ich glaube - das habe ich ja auch gerade gehört -, wir sind uns alle in der Bewertung von Zwangsadoptionen aus politischen Gründen einig. Im Interesse der leiblichen Eltern, gegen deren Willen und ohne deren Einverständnis Kinder zur Adoption weggenommen wurden, wurde die Frist auf zwei Jahre verlängert. Und im Interesse der Kinder und zum Wohl der Kinder, die von Dritten adoptiert worden sind, wurde die Fristverlängerung auf zwei Jahre begrenzt. Erlittenes Unrecht in der ehemaligen DDR soll wiedergutgemacht werden können, aber im Mittelpunkt und an erster Stelle jeder Entscheidung muß das Kindeswohl stehen. Alle Beteiligten müssen in besonderer Verantwortung handeln. Das ganze Ausmaß menschlicher Schicksale und Familientragödien - verursacht durch das SED-Unrechtsregime - werden wir wohl nie erfassen können. Vielen Dank.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte erneut betonen, daß die Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste jeglichen politischen Mißbrauch des Adoptionsrechts in der ehemaligen DDR verurteilt. Die Verlängerung der Frist zur Überprüfung jener Fälle, die nachweislich auf einer politisch-mißbräuchlichen Ersetzung elterlicher Einwilligung zur Adoption begründet sind, wird von uns als notwendig erachtet, weil jeder Fall aus meiner Sicht schon einer zuviel ist. Ich weiß wovon ich rede; ich war bei Adoptionen indirekt beteiligt. In jedem der bislang bekannten sechs Fälle, bei denen es sich um bereits volljährige Adoptivkinder handelt, sollte eine Aufhebung des Annahmeverhältnisses nur mit deren Zustimmung erfolgen. Wir wenden uns jedoch mit aller Entschiedenheit dagegen, daß mit der Fristverlängerung für Aufhebungsanträge von politisch mißbräuchlich begründeten Annahmeverhältnissen zugleich einer gesetzlichen Infragestellung aller in der ehemaligen DDR ohne elterliche Einwilligung vorgenommenen Adoptionen Tor und Tür geöffnet wird, wie Herr Kinkel es hat durchblicken lassen. Ein solches Vorgehen widerspricht meiner Meinung nach der Würde von Adoptiveltern und Adoptierten, nebenbei auch Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Es ist hinlänglich bekannt, daß die adoptionsrechtlichen Regelungen in der Mehrheit der europäischen Staaten analog zu § 1747 Abs. 4 BGB festgelegt sind und praktiziert werden. Auch in der Altbundesrepublik sind elterliche Einwilligungen gemäß diesem Paragraphen ersetzt worden, ohne daß deren Wirkung aufgehoben werden könnte. Die gesamte gesetzliche Palette der Ersetzung elterlicher Einwilligung zur Adoption für die ehemalige DDR nunmehr außer Kraft zu setzen würde auf ungerechtfertigte Weise über Jahre herausgebildete stabile Familienbeziehungen erschüttern, Menschen verunsichern und obendrein deren humanistisches Handeln diskreditieren. Wir fordern die Respektierung der Adoptionsregelung, die - international ist es ähnlich - elterliche Einwilligung als ersetzbar ansieht, wenn Eltern dauernd abwesend und außerstande sind, eine Einwilligungserklärung abzugeben. Deshalb drängen wir auf eine eindeutige Definition des Grundes für die Aufhebung von Annahmeverhältnissen als nachweislich politischen Mißbrauch des Adoptionsrechts. Es geht uns darum, auszuschließen, daß alle diese in der DDR vorgenommenen Adoptionen in Frage gestellt bzw. Adoptiveltern und Adoptierte politischer Diskriminierung ausgesetzt werden können. Unser Anliegen ist es, erstens politisch Unrecht und Rechtsbeugung zu beseitigen, zweitens einen garantieren Schutz der auf gesetzlicher Grundlage eingegangenen Annahmeverhältnisse zu gewährleisten und drittens jede Form einer politisch-rechtlichen Demontage der Würde von Bürgern und Bügerinnen der ehemaligen DDR zu verhindern. Wir plädieren nachdrücklich dafür, daß nachweislich politisch mißbräuchlich begründete Annahmeverhältnisse innerhalb von drei Jahren aufgehoben werden können. Ich hätte mir dazu eine Änderung des Antrags gewünscht. Wir werden aber auch ohne Annahme dieser Änderung zustimmen. Alle Adoptionen, die im Interesse des Kindes liegen und lagen, müssen unangetastet bleiben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Eymer.

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die politisch bedingte Zwangsadoption in der ehemaligen DDR gehört zu den schrecklichsten Hinterlassenschaften des SED-Regimes. Ich denke, wir sind uns in diesem Hohen Hause einig: Nur weil Menschen eine andere politische Vorstellung hatten als das Regime und ihr Land verlassen wollten, nahm man Müttern und Vätern ihr ureigenstes Recht, für ihre Kinder zu sorgen. Den Kindern nahm man das Recht, von den leiblichen Eltern behütet und versorgt zu werden. Wir haben heute die Chance, dieses Unrecht, wenigstens in Grenzen, wieder zu beheben. Gegen den Willen der Eltern wurden in der ehemaligen DDR seit 1973 5 693 Kinder auf Grund von KlaAnke Eymer gen zur Adoption freigegeben. Das elterliche Erziehungsrecht wurde in 1 660 Fällen durch Klageverfahren den betroffenen Eltern entzogen. Diese anonyme Statistik wiegt schwer, weil auch nach einem Jahr intensiver Arbeit nicht feststeht, in wieviel dieser insgesamt 7 353 Fälle Kinder von ihren Eltern, von ihrer Familie allein aus politischen Gründen getrennt wurden. Die Aufarbeitung der Adoptionsakten gestaltet sich schwierig, vor allem deswegen, weil seit dem Jahreswechsel 1975/76 eine geschicktere Vorgehensweise der Behörden zu verzeichnen ist. Presseberichte, die politisch bedingte Zwangsadoption in der ehemaligen DDR angeprangert hatten, waren der Grund für diesen Wandel. Außerdem wurden alle Adoptionen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften durchgeführt. Sie sonnen sich auch jetzt noch in dem trügerischen Schein der Rechtmäßigkeit. Kaum eine der zuständigen Behörden und kaum eines der Gerichte der ehemaligen DDR war darum verlegen, die gesetzlichen Vorschriften nach Bedarf, nach politischer Opportunität auszulegen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was heißt eigentlich „zum Wohl des Kindes"? Für das SED-Regime und sein Rechtsverständnis war gerade eine solche Generalklausel ein geeignetes Einfallstor, um über menschliches Unrecht den Mantel des Rechts zu stülpen. Die sachfremde und mißbräuchliche Auslegung dieser Klausel des § 70 Abs. 1 des Familiengesetzbuchs der DDR war ein leichtes, um die politische Zwangsadoption durchzusetzen. Wer sich darauf berufen will, es könne nicht Unrecht sein, was gestern noch Recht war, erkennt nicht: Müttern und Vätern die Kinder zu nehmen kann überhaupt nur in engumgrenzten Ausnahmefällen rechtmäßig sein. Dort, wo Recht aus politischer Opportunität heraus gebeugt wird, war schon immer Unrecht. Die in drei der neuen Bundesländer eingerichteten Clearingstellen stehen heute vor der schweren Aufgabe, die zunehmenden Anfragen über Zwangsadoptionen zu bearbeiten. Eine gerechte und wahrheitsgetreute Arbeit ist hier zu leisten. Gerechtigkeit kostet Zeit. Bereits 50 Anfragen sind bisher an die Berliner Clearingstelle gerichtet worden. In sechs bearbeiteten Fällen erhärtete sich der Verdacht einer politisch motivierten Zwangsadoption. Das Land Sachsen-Anhalt hat alle Landkreise und kreisfreien Städte zur Überprüfung der Adoptionsakten seit 1970 angehalten. Schon jetzt haben sich in 15 Fällen erhebliche Verdachtsmomente gebildet. Sie sehen, meine verehrten Damen und Herren, welch schwere Hinterlassenschaft es aufzuarbeiten gilt. Die im Oktober endende Frist zur Aufhebung politischer Zwangsadoptionen ist ein bedeutender Scheitelpunkt, bedeutend für uns alle, weil mit ihm die Chance verstreichen würde, fair einen Teil deutscher Vergangenheit aufzuarbeiten, Justizunrecht zu beseitigen, das vielen Menschen ein schweres Schicksal beschied, ihnen eine menschliche Last aufbürdete, nur weil sie anderes dachten, als es das Regime von ihnen erwartete. Eine Aufarbeitung ist unerläßlich. Sie ist bedeutend für jeden einzelnen Betroffenen, weil nur eine Verlängerung der Frist ihm die Chance gibt, die eigene Identität zu finden. Dabei kann man nicht generelle Lösungsmöglichkeiten suchen, sondern nur eine sensible Einzelfallprüfung gibt den Betroffenen ihren Leumund zurück, als Mutter oder Vater das Beste für das Kind gewollt zu haben. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das heute von uns zu verabschiedende Gesetz zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen stellt ein Mosaiksteinchen der Bemühungen dar, geschehenes Unrecht des totalitären sozialistischen Systems rückgängig zu machen oder wenigstens zu mildern. Viele Anliegen, die mir in Bürgersprechstunden angetragen werden, basieren darauf, daß der damalige Unrechtsstaat Bürgerrechte mit Füßen trat, angefangen beim Schutz des Eigentums über das Recht auf Bildung unabhängig von der Weltanschauung bis zur Verweigerung von Kriegsopferentschädigungen. Ich bin immer wieder erschrocken, wenn Betroffene berichten, wie sie zu Handlungen erpreßt wurden bzw. daß sie keine Möglichkeiten des Einklagens ihrer Rechte hatten. Wir werden lange daran zu tragen haben, DDR-Geschichte aufzuarbeiten. Es muß alles getan werden, dem Vergessen, was die Strukturen und Handlungsweisen eines totalitären Systems betrifft, entgegenzuwirken. Zwangsadoptionen - sei es, weil die Eltern als asozial eingestuft wurden, oder offensichtlich politisch motiviert - stellen mit eines der düsternsten Kapitel der DDR-Willkür dar. Wir kommen hier zu der Problematik, die uns auf dem Weg, den Rechtsstaat auch in den neuen Bundesländern aufzubauen, immer wieder begegnet: In welcher Weise kann Wiedergutmachung erfolgen, kann Unrecht rückgängig gemacht werden, ohne neues Unrecht zu schaffen? Uns berühren die menschlichen Schicksale, das Leid, das Eltern und Kindern bei der Zwangstrennung zugefügt wurde. Aber wir müssen auch sensibel genug bei der Aufhebung von Zwangsadoptionen sein. Es ist richtig, hierbei dem Wohle des Kindes Priorität einzuräumen. Den Vormundschaftsgerichten kommt dabei eine neue schwierige Aufgabe zu. Ich wünsche mir, daß es uns mit diesen und anderen Gesetzen gelingt, geschehenes Unrecht ein Stück weit wiedergutzumachen und der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Göhner das Wort.

Dr. Reinhard Göhner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000697

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal namens der Bundesregierung den beteiligten Ausschüssen, insbesondere dem Rechtsausschuß, für die außerordentlich und auch unüblich kurzfristige Beratung, die hier heute zur Verabschiedung des Gesetzentwurfs führen kann, sehr herzlich danken. Dadurch können wir gewährleisten, daß noch vor Ablauf der geltenden Frist die Verlängerung adoptionsrechtlicher Fristen beschlossen werden kann. Die politisch motivierten Zwangsadoptionen des SED-Regimes gehören - das haben alle betont - zu den schlimmsten und abscheulichsten Hinterlassenschaften des SED-Regimes. Obwohl wir bei Abschluß des Einigungsvertrages keine gesicherten Erkenntnisse darüber hatten, in wieviel Fällen und mit welchen Begründungen Zwangsadoptionen geschehen sind, haben wir diese Problematik in den Einigungsvertrag aufgenommen. Eltern, deren Kinder durch die Behörden der ehemaligen DDR z. B. nach einer geglückten oder versuchten sogenannten Republikflucht wegadoptiert worden sind, können diese Adoptionen durch das zuständige Vormundschaftsgericht überprüfen lassen. Dabei, Frau Kollegin Dr. Fischer, geht es um Einzelfallprüfungen, wobei das Kindeswohl im Vordergrund steht. Es geht - das hat der Bundesminister der Justiz entgegen dem, was Sie hier vorgetragen haben, mehrfach betont - um die Anfechtungsmöglichkeiten bei Adoptionen wegen politischer Mißliebigkeit der Eltern. Hier verlängern wir die Antragsfrist auf drei Jahre. Gerade in einer Familie und insbesondere zwischen Eltern und Kindern bestehen engste Beziehungen. Hier darf und kann in der Tat nicht stur und formelhaft vorgegangen werden; vielmehr muß jeder Einzelfall geprüft werden. Herr Professor Pick hat das Notwendige dazu gesagt. Opfer sind nicht nur die Eltern, denen ihr Kind weggenommen worden ist; Opfer ist natürlich vor allem das Kind, das nunmehr zwischen zwei Familien stehen könnte. Opfer sind auch die Adoptiveltern, die das adoptierte Kind lieben gelernt haben. Diese Eltern wußten zum Teil gar nicht, daß ihr angenommenes Kind den leiblichen Eltern aus politischen Motiven weggenommen worden war. Deshalb muß in der Tat die oberste Maxime sein - wie auch Frau Kollegin Nolte vorhin gesagt hat - : Neues Leid darf nicht entstehen. Wir gingen beim Abschluß des Einigungsvertrages davon aus, daß eine einjährige Frist ausreichend sein würde. Wir dachten, alle betroffenen Eltern könnten in dieser Zeit die entsprechenden Fakten sammeln und eine Überprüfung des unrechtmäßig begründeten Annahmeverhältnisses beantragen. Aber Aktenfunde in der jüngsten Zeit drängen den Verdacht auf, daß der Einfallsreichtum des DDR-Regimes viel größer war, als wir uns jemals vorstellen konnten. So haben sich inhaftierte Eltern, denen die Einwilligung in die Adoption ihres Kindes abgenötigt worden war, an die Öffentlichkeit gewandt. In vielen Fällen war der Entzug des elterlichen Sorgerechts Folge einer vorangegangenen politischen Kriminalisierung. Junge Mütter wurden wegen angeblicher Verletzung der Arbeitspflicht zu Freiheitsstrafen verurteilt. Ihnen wurde dann das Sorgerecht für das Kind entzogen. Auch dies sind Fälle von Zwangsadoptionen. Aber gerade weil die tatsächlichen Grundlagen und die tatsächlichen Formen der Zwangsadoption unklar sind, ist die ursprünglich vorgesehene einjährige Frist zur Überprüfung zu kurz. Mit der Verlängerung der Antragsfrist auf drei Jahre soll diesem Umstand Rechnung getragen werden, wobei völlig dahingestellt sein mag, ob es deshalb mehr Anträge auf Überprüfung geben wird. Auch hier stimme ich dem, was die Vorredner gesagt haben, ausdrücklich zu. Jetzt müssen auf Antrag die Adoptionen sorgfältig herausgefunden werden, in denen die politische Mißliebigkeit der Eltern ausschlaggebend war. Das SED-Regime hat uns mit diesen Adoptionen eine besonders abscheuliche Erblast hinterlassen. Dieses Gesetz soll dazu beitragen, dieses Stück des Unrechts aufarbeiten zu können. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit kann ich die Aussprache schließen. Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung. Zunächst einmal empfiehlt der Rechtsausschuß auf Drucksache 12/1165, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP unverändert anzunehmen. Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1191 vor. Ich lasse erst einmal über den Änderungsantrag abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Wer stimmt nunmehr für Art. 1 des Gesetzentwurfs? - Das ist einstimmig. Damit ist Art. 1 angenommen. Ich rufe Art. 2, Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Auch Art. 2 ist einstimmig angenommen. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache 12/1106 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Damit kann ich feststellen, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist. Der Rechtsausschuß empfiehlt außerdem unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 12/763 für erledigt zu erklären. Wer dieser BeVizepräsident Dieter-Julius Cronenberg schlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Auch das ist wohl einstimmig. Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. September 1991, 9 Uhr ein und wünsche Ihnen einen angenehmen und erholsamen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.