Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich nach der Sommerpause und hoffe, daß Sie sich gut erholt haben.
Zu Beginn unserer ersten Sitzung nach der Sommerpause möchte ich ganz herzlich Herrn Vizepräsident Klein gratulieren, der am 11. Juli seinen 60. Geburtstag feierte. Ich spreche ihm die Glückwünsche unseres Hauses aus.
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Auch dem Kollegen Claus Jäger, der am 20. Juli seinen 60. Geburtstag feierte, gratuliere ich nachträglich sehr herzlich.
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Nun verlese ich die folgende amtliche Mitteilung: Der Kollege Peter Zumkley hat am 3. Juli 1991 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Frau Thea Bock am 4.Juli 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.
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Heute hat zum ersten Mal rechts hinter mir unser neuer Direktor beim Deutschen Bundestag, Herr Dr. Rudolf Kabel, Platz genommen.
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Ich möchte ihn von hier aus nochmals herzlich begrüßen und wünsche ihm eine glückliche Hand für sein verantwortungsvolles Amt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992
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- Drucksache 12/1000 -
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1991 bis 1995
- Drucksache 12/1001 Überweisung: Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Aussprache nach der Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen bis gegen 13 Uhr dauern. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Monat feiern wir den Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Dieses historische Ereignis, die Überwindung der Grenzen zwischen Ost und West und der Sieg von Freiheit und Demokratie bestimmen die entscheidenden Ziele und Aufgaben unserer Politik. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist in diesem Zusammenhang an zentraler Stelle gefordert.
Die dramatischen Ereignisse in der Sowjetunion in der vorletzten Woche unterstreichen die große Verantwortung, die wir mit der Wiedervereinigung für uns selbst, aber auch für die demokratische Welt jenseits unserer Grenzen übernommen haben.
Hätte der russische Präsident Boris Jelzin in der vorletzten Woche gezögert, sich den noch einmal erhebenden Protagonisten des reaktionären kommunistischen Apparats entgegenzustemmen, wäre die Entwicklung zu Demokratie und Freiheit in Europa vielleicht um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Ebenso wäre die deutsche Einheit möglicherweise für immer vertan, wenn wir aus Angst vor möglichen Belastungen und Risiken im letzten Jahr nicht mit der Wirtschafts- und Währungsunion den Weg zur deutschen Einheit freigemacht hätten.
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Wir haben zugepackt und die einmalige historische Chance ergriffen. Wir haben gehandelt, als andere zögerten und zauderten, für Umwege plädierten und Irrwege predigten.
Die jüngsten Ereignisse in der Sowjetunion zeigen, wie richtig und konsequent dieser Weg war. Nach dem Scheitern des Putsches besteht jetzt, trotz aller Unsicherheiten des Übergangs, die Chance für den endgültigen Durchbruch von Demokratie, Föderalismus und Marktwirtschaft in der Sowjetunion.
Der Schlüssel zum wirtschaftlichen und politischen Neubeginn in der Sowjetunion liegt in der Klärung der politischen Strukturen, vor allem in der Form der Zusammenarbeit zwischen den nach Selbständigkeit strebenden Republiken.
Ich verstehe das Mißtrauen der Republiken gegenüber der Zentrale, von der auch der Putsch ausging. Es wäre aber weder im Interesse der Menschen in der Sowjetunion noch im Interesse der westlichen Staaten, wenn es zu einer totalen Zersplitterung käme.
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Das Streben nach Autarkie, die Errichtung von Zollgrenzen und die Schaffung einer Vielzahl von Kleinstaaten würden den wirtschaftlichen Neubeginn nicht erleichtern. Das wird auch von den politisch Verantwortlichen in der Sowjetunion zunehmend erkannt - wobei diese Bemerkung nicht für die völlig andere Situation im Baltikum gilt.
Zur Übernahme der marktwirtschaftlichen Ordnung: Erst wenn die marktwirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen, werden westliches Kapital und westliches Wissen in die Sowjetunion fließen,
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werden Milliarden investiert, werden Arbeitsplätze geschaffen, wird die sowjetische Wirtschaft modernisiert und werden die Menschen endlich mit dem Notwendigen versorgt werden können; und das ist die Voraussetzung wirksamer Hilfe für die Sowjetunion.
Dazu gehört auch die Bereitschaft für die in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen, insbesondere für die Kredite und Bürgschaften, einzustehen. Eine gemeinsam mit IWF und Weltbank auszuarbeitende und anzuwendende makroökonomische Anpassungsstrategie, die vor allem die Stabilität des Geldwertes und der öffentlichen Finanzen sicherstellt, ist ebenfalls erforderlich.
Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, stellt sich die Aufgabe, im Kreis der westlichen Industrienationen über wirksame Hilfe zur Selbsthilfe zu sprechen. Doch wenn dies geschieht - und die Sowjetunion ist auf dem Wege dahin - , dann ist der Westen auch gefordert. Insofern stellt sich das, was wir in London und zuvor gesagt haben, als richtig heraus, war unsere Strategie nicht überstürzt, sondern die richtige Antwort auf die Vorgänge in der Sowjetunion und in Osteuropa.
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Dabei allein - auch darüber müssen wir uns klar sein - kann es nicht bleiben. Konkret werden wir sehr schnell Vorbereitungen für eine koordinierte Nahrungsmittelhilfe treffen. Wir wollen den Menschen in der Sowjetunion auch bei der medizinischen Versorgung helfen.
Rasche Fortschritte der Sowjetunion auf dem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft entsprechen unserem nationalen Interesse. Die Bundesrepublik steht deshalb bei der Unterstützung der UdSSR und der anderen mittel- und osteuropäischen Staaten an der Spitze. Über die Hälfte aller westlichen Hilfen an die UdSSR in Form von Zuschüssen, Krediten und Bürgschaften wird von uns bereitgestellt. Durch die Zahlungen für den Truppenabzug und weitreichende Wirtschaftshilfe leisten wir über unser rein nationales Interesse hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Festigung von Demokratie und Marktwirtschaft in ganz Europa.
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Deshalb habe ich schon frühzeitig in allen Gesprächen mit unseren Partnern, zuletzt in London beim Weltwirtschaftsgipfel, in der G 24 und auf EG-Ebene, die Notwendigkeit einer globalen Lastenteilung unterstrichen. Das wiedervereinigte Deutschland ist zu seiner größeren Mitverantwortung in der Welt bereit. Zur größeren Mitverantwortung aber gehört eine gerechte globale Lastenteilung in allen Teilen der Welt, auch in Osteuropa und gegenüber der Sowjetunion.
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Ich werde bald nach Moskau reisen, um in persönlichen Kontakten selber festzustellen, was wir tun können, damit westliche Hilfe auf fruchtbaren Boden fällt. Mein Kollege Lamont und zuletzt Premierminister Major haben bereits erste Gespräche in Moskau geführt. Aus dem Kreis der G 7 werden in Kürze weitere Finanzminister Einladungen nach Moskau folgen.
Wir bedanken uns bei der britischen Regierung für die wichtige Rolle, die sie bei der Koordinierung der Gespräche und Verhandlungen mit der Sowjetunion gespielt hat. Als Gastgeber des kommenden Wirtschaftsgipfels 1992 in München werden wir ebenfalls alles tun, um im Prozeß der Hilfe für die Sowjetunion Fortschritte zu erzielen.
Der Beitritt der Sowjetunion zum Internationalen Währungsfonds soll zunächst über den in London vereinbarten speziellen Status ohne Zeitverzögerung angestrebt werden. Angesichts der länger dauernden Verfahren, die zur Vollmitgliedschaft führen, ist der vorgesehene Sonderstatus der richtige Weg, eine Zusammenarbeit zwischen dem IWF und der Sowjetunion zu ermöglichen.
Bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung setzen wir uns für die Aufhebung der bisher bestehenden Begrenzung der Kreditvergabe an die Sowjetunion ein. Es macht auf die Dauer keinen Sinn, einer solchen neu gegründeten Bank nur die Möglichkeit zu geben, der Sowjetunion Kredite in der Höhe zu gewähren, wie sie selber Einlage geleistet hat. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir uns da weiter für eine Änderung der Statuten einsetzen.
Die Sowjetunion steht angesichts der aktuellen Ereignisse im Mittelpunkt. Aber wir werden auch die anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, insbesondere diejenigen, die den Prozeß der WiedervereiBundesminister Dr. Theodor Waigel
nigung nachhaltig unterstützt und geebnet haben, nicht vergessen.
Unsere Strategie gegenüber den ehemaligen Ostblockländern war richtig. Unsere bisherige Strategie bei der Hilfe an die Sowjetunion war von dem Prinzip geprägt: Leistung und Gegenleistung. Der größte Teil der deutschen Leistungen zur Unterstützung des Reformprozesses in der Sowjetunion steht unmittelbar im Zusammenhang mit der Verwirklichung der deutschen Einheit. Die von der Bundesregierung gewährten Hermes-Bürgschaften erfolgten zu einem erheblichen Teil zur Förderung der Exporte ostdeutscher Unternehmen, die damit Beschäftigung aufrechterhalten konnten. Die Auszahlung der Mittel im Rahmen des Überleitungsabkommens erfolgt tranchenweise je nach Fortschritt des Truppenabzuges.
Durch die Wiedervereinigung und die gewaltigen internationalen Aufgaben ist die Finanzpolitik täglich neu gefordert. Die Zusammenführung zweier bisher völlig gegensätzlicher Wirtschaftssysteme und die Bewältigung der Neuordnung Europas sind auch finanzpolitisch einmalige Aufgaben, für die es in den Lehrbüchern keine Rezepte oder Handlungsanweisungen gibt. Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.
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- Ich bedanke mich herzlich für diesen Beifall. Ich nehme an, daß Sie in diesen Beifall nicht die Berner-kung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten von gestern einschließen, ich hätte ihm, wenn die Mittel für die Strukturhilfe in die Ostländer umgeschichtet werden, 200 Millionen DM gestohlen. Denn heute muß man sich bei der Frage „Wo ist mein Nächster?" doch überlegen, ob mein Nächster, mein Mitbürger in Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern ist oder ob er nicht auch in den neuen Bundesländern ist und ob diese Mittel nicht dort hingehören, wo die Menschen sie wirklich brauchen.
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- Ich bedanke mich, Herr Kollege Vogel, für den Beifall auch zu dieser Bemerkung zur Solidarität unter den Deutschen. Er hätte bei Ihnen allerdings etwas stärker aufkommen dürfen.
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- In der ersten Reihe sind Sie hier immer in einem gruppendynamischen Prozeß, Herr Kollege.
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Wir brauchen die Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gemeinwohl. In diesem Zusammenhang müssen wir alle Optionen einer Bündelung der nationalen Kräfte prüfen.
Meine Damen und Herren, hier stellt sich wirklich die Frage, ob bei den Zusammenkünften beim Bundeskanzler mit den Tarifpartnern und mit den Ministerpräsidenten nicht nur über die Fragen, die in den neuen Bundesländern anstehen, diskutiert wird, sondern ob wir wie früher in einer konzertierten Aktion auch darüber nachdenken: Was ist allgemein gemeinwohlverträglich? Auf was müssen wir alle verzichten, um die Probleme der nächsten Jahre finanzpolitisch bewältigen zu können? Dazu gehört auch die Frage, wie Lohnentwicklungen in den nächsten Jahren stattfinden sollen, damit sie gemeinwohlbedingt und für uns alle finanzierbar sind.
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Eine gesunde Wirtschaft und geordnete öffentliche Finanzen sind die entscheidenden Grundlagen für die Bewältigung der gewaltigen nationalen und internationalen Herausforderungen. Wir dürfen hier kein Risiko eingehen. Wer durch undisziplinierte Forderungen diese Grundlagen gefährdet
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und sich auf stabilitätspolitische Lippenbekenntnisse beschränkt, handelt letztlich verantwortungslos gegenüber der Gemeinschaft und den uns anvertrauten Bürgern.
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Wir haben bisher unseren finanzpolitischen Kurs erfolgreich durchgesetzt.
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- Hätten Sie Ihre Haushaltspolitik über 1982 hinaus fortsetzen können, dann hätten wir die finanzpolitischen Grundlagen für die Wiedervereinigung nicht gehabt.
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Wir haben auch in den letzten Jahren unsere Ausgabenansätze eingehalten. Der Solidaritätszuschlag wird, wie angekündigt, am 30. Juni 1992 auslaufen. Im letzten Jahr haben wir - wie in den vergangenen Jahren - die zur Verfügung stehenden Kreditermächtigungen nicht ausgeschöpft.
In diesem Jahr ist bei sparsamer Ausgabengestaltung eine Haushaltsentlastung von voraussichtlich 6 bis 7 Milliarden DM zu erwarten. Davon wollen wir 5 Milliarden DM der Bundesanstalt für Arbeit über einen Nachtragshaushalt zur Verfügung stellen. Die veranschlagte Nettokreditaufnahme wird nicht überschritten.
Durch dieses Verfahren werden zugleich die Fortführung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - vor allem im Beitrittsgebiet - gesichert und die angekündigte Beitragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung um 0,5 % ab 1992 ermöglicht.
Wir haben uns trotz aller Herausforderungen nicht zuviel zugemutet.
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- Ob ich für Sie eine Zumutung bin oder nicht, das haben Sie nicht zu entscheiden.
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- Nein, Herr Kollege Wieczorek, Sie waren es nicht. Ein so dummer Zwischenruf kommt von Ihnen nicht. Er war zwei Reihen weiter hinten. Sie brauchen nicht zu erschrecken, wenn ich zufällig in Ihre Richtung sehe.
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- Was eine Zumutung ist, das wird sich erst anschließend herausstellen, wenn Sie wieder in Blau auftreten.
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- Entschuldigung, das war als Kompliment gedacht.
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Bei allem Verständnis für die Diskussion über die Kosten der Einheit sollten wir uns einmal fragen, was wir wirklich wollen.
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Wir haben die deutsche Einheit gefeiert. Wir haben uns in der vorletzten Woche gefreut, als die Putschisten in der Sowjetunion jämmerlich scheiterten. Wir freuen uns auch über die wiedergewonnene Souveränität der baltischen Staaten. Aber dann gehen viele zur Tagesordnung über und klagen - Sie an der Spitze - über die angeblich zu hohen Belastungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie sollten sich lieber den Ratschlag eines französischen Philosophen vor Augen führen, der einmal gesagt hat: Schweigen ist die zweckmäßigste Haltung für den, der sich selbst nicht sicher fühlt.
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Wir müssen uns entscheiden: War uns die Nachkriegsordnung, die scheinbare Idylle starrer politischer und gesellschaftlicher Strukturen, lieber als Frieden, Freiheit und Sicherheit in ganz Europa? Wäre es uns lieber, zusätzliche Milliardenbeträge in Rüstung investieren zu müssen, als jetzt unseren östlichen Nachbarn zu helfen, neue marktwirtschaftliche und demokratische Ordnungen zu errichten?
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Neuordnung Europas haben ihren Preis. Dabei hat das
- politisch notwendige - hohe Tempo der Integration die Finanzierungslasten noch erhöht. Für eine Übergangszeit steigen Löhne, Gehälter und Sozialleistungen schneller als die Produktivität. Diese Entwicklung wäre nur vermeidbar gewesen, wenn wir die von den Menschen aufgerissenen Grenzen wieder geschlossen hätten.
Wir sorgen mit unserer Politik für die gerechte Verteilung der Lasten aus der deutschen Einheit. Wir gehen einen klaren Weg zur finanzpolitischen Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgaben. Wir haben, wie es alle Fachleute fordern, auf der Ausgabenseite Einsparungen vorgenommen. Wir haben bis jetzt Entlastungsmaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 60 Milliarden DM beschlossen. Auch im Haushaltsentwurf 1992 konnten die Ansätze gegenüber dem Vorjahr um 10 Milliarden DM zurückgeführt werden.
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1992 wird der Ausgabenanstieg auf 3 % begrenzt. Bis 1995 sollen die Ausgaben wiederum nur um 2,3 % im Jahresdurchschnitt ansteigen.
Das in den Koalitionsvereinbarungen festgelegte Ausgabenmoratorium muß immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Es gibt keinen Spielraum für zusätzliche ausgabenerhöhende Entscheidungen. Wer an einer Stelle mehr fordert, muß gleich hohe Einsparungs- oder Umschichtungsvorschläge präsentieren.
Wir dürfen den Deckel auf den Ausgaben um keinen Millimeter lockern. Die Größenordnung der nationalen Finanzierungsaufgaben darf nicht zu einem Milliardenrausch verleiten. Im Gegenteil, auch wenn es immer wieder um Milliarden geht: Wir müssen gerade in diesen Tagen jede Mark zweimal umdrehen und uns fragen, ob alles, was wir finanzieren, unbedingt nötig und vordringlich ist.
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In diesem Jahr wird die Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte insgesamt mit 5,5 % des Bruttosozialprodukts vorübergehend deutlich höher ausfallen als in den letzten Jahren. Wir überschreiten mit dieser Verschuldungsquote jedoch nicht den Durchschnitt der europäischen Länder.
Ab 1992 wird sowohl die Kreditaufnahme des Bundes als auch die des öffentlichen Gesamthaushalts schrittweise zurückgeführt. Im nächsten Jahr wollen wir mit 50 Milliarden DM, 1995 mit 25 Milliarden DM Kreditaufnahme auskommen.
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- Das entscheidet der Wähler, nicht Sie!
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Wir haben uns dem Wähler seit 1983 mehrfach gestellt.
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- Lieber Herr Kollege Vogel, Sie waren jedesmal auf der Seite der Unterlegenen, und das wird sich auch fortsetzen.
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Mangels eigener Konzeption greift die SPD wieder einmal zum Mittel der Diffamierung. Der Begriff „Lüge " wird als Totschlagsargument mißbraucht, um die eigene Konzeptionslosigkeit mühsam zu verdekken.
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Ich wiederhole: Es war im letzten Jahr und ist auch heute noch unmöglich, alle Erblasten der sozialistischen Kommandowirtschaft und alle Folgekosten der zentralistischen Planwirtschaft abzuschätzen.
Wir haben im Bundeshaushalt 1992 und in der Finanzplanung bis 1995 die Finanzierungsbereiche berücksichtigt, die erkennbar und quantifizierbar sind. Darüber hinaus bestehen gewisse Risiken. Ich nenne beispielsweise die Neufestsetzung der EG-Eigenmittel ab 1993, die Kriegsfolgengesetzgebung und die Hilfe für Osteuropa. Das größte Risiko bleibt die Erblast des Sozialismus. Ich habe überhaupt keine Veranlassung, die sich in diesem Zusammenhang möglicherweise einstellenden Zukunftsbelastungen zu verheimlichen oder zu verharmlosen. Wir verschieben nichts in Schattenhaushalte.
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- Es liegt alles offen.
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- Selbstverständlich! Wenn Sie Haushalte nicht lesen können, dann ist das nicht unsere Schuld.
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Die öffentlichen Finanzen und alles, was damit im Zusammenhang steht, liegen offen auf dem Tisch. Wir alle wissen: Der Zustand der Reichsbahn erfordert noch Milliardeninvestitionen. Die Atomwirtschaft, der Braunkohlenbergbau und andere Produktionsbereiche haben im Beitrittsgebiet bisher gewaltige Umweltschäden verursacht, deren Beseitigung kaum abschätzbare Mittel beanspruchen wird.
Die frühere DDR hat uns erhebliche Finanzschulden hinterlassen, die im Kreditabwicklungsfonds bestimmt, geordnet und auf die verschiedenen staatlichen Ebenen aufgeteilt werden müssen. Die Regelung des Transferrubelsaldos mit den früheren Ostblockstaaten wird noch für einige Zeit offenbleiben.
Wir müssen auch noch für viele Jahre den Kapitaldienst für den Fonds Deutsche Einheit leisten, der nach dem gemeinsamen Willen von Bund und Ländern in den Anfangsjahren die Finanzierung der Haushalte der neuen Länder sicherstellt. Wir können und müssen offen über alle Risiken sprechen.
Ich wehre mich jedoch mit allem Nachdruck dagegen, wenn die Opposition versucht, alle nur denkbaren Belastungen allein dem Bund anzulasten. Vielfach geht es - wie z. B. bei der Treuhandanstalt - um Verpflichtungen, die eindeutig, auch in der objektiven Darstellung des Statistischen Bundesamtes, dem privaten Unternehmenssektor zuzurechnen sind.
Bei anderen Aufgaben, insbesondere beim Fonds Deutsche Einheit und beim Kreditabwicklungsfonds, stehen die öffentlichen Haushalte in der gemeinsamen Verantwortung. Der Bund hat für mögliche Risiken im Finanzplan globale Vorsorge getroffen.
Im übrigen ergeben sich in den kommenden Jahren bei einigen Ausgabenblöcken, insbesondere bei den Verteidigungsaufwendungen, bei der Berlin- und Zonenrandförderung sowie bei der sozialpolitischen Übergangsfinanzierung in den neuen Bundesländern, gewisse Entlastungen.
Wenn sich in den kommenden Jahren zusätzlicher Handlungsbedarf oder die Notwendigkeit zur Intensivierung bestimmter Maßnahmen ergibt, müssen wir vor allem versuchen, durch weitere Ausgabenkürzungen Spielräume zu schaffen. Das Kapitel Ausgabenkürzungen ist mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 1992 und der laufenden Subventionsabbaurunde nicht abgeschlossen.
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Die jetzt von manchem geforderte, über den Beschluß der Bundesregierung hinausgehende weitere Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 % steht nicht zur Diskussion. Ein zweiter Prozentpunkt Mehrwertsteueranhebung kann angesichts der erheblichen Nachteile für die Preisstabilität nur als eiserne Reserve angesehen werden,
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wenn unvorhersehbare große Zusatzaufgaben auch bei äußerster Anstrengung nicht durch zusätzliche Ausgabeneinsparungen aufzufangen sind.
Die bereits seit Februar dieses Jahres angekündigte und von der Bundesregierung beschlossene Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt von 14 auf 15 % ist die angemessene Lösung. Auch im Rahmen der EG-Steuerharmonisierung ist die Anpassung um einen Prozentpunkt unvermeidlich, wenn wir den Abbau der Steuergrenzen für einen für uns tragbaren Kompromiß bei den indirekten Steuern voranbringen wollen.
Der Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion gegen unseren Mehrwertsteuervorschlag wird zunehmend unverständlich. Ich kann meiner Kollegin aus Schleswig-Holstein, Frau Simonis, nur zustimmen - ({34})
- Einen kleinen Moment! Lassen Sie uns doch zunächst zu unserer gemeinsamen Freundin Simonis kommen.
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- Ich wußte noch gar nicht, daß Heiner Geißler Ihr Freund ist.
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- Da muß ich ihn zunächst fragen, ob die Liebe auch auf seiner Seite vorhanden ist. Aber lassen Sie mich Frau Simonis zitieren. Sie sagt wörtlich:
Es ist finanzpolitisch schädlich, wenn sich die Opposition darauf beschränkt, zu allen Vorschlägen der Bundesregierung grundsätzlich nein zu sagen.
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Inzwischen wird die Beschlußlage der Sozialdemokraten zum Thema Mehrwertsteuererhöhung immer komplizierter. Die Sozialdemokraten seien nicht primär gegen eine höhere Mehrwertsteuer - so ihr Parteivorsitzender am gestrigen Montag. Allerdings trete die SPD für ein prinzipiell anderes Herangehen ein, das mehr Geld in die Kassen bringe.
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Ein etwas komplizierter Satz, der volks- und finanzwirtschaftlich wohl noch etwas erläutert werden muß.
In den vergangenen Wochen hatten sich bereits mehrere SPD-Ministerpräsidenten für unsere Mehrwertsteuervorschläge ausgesprochen. Zu der von der Opposition immer wieder behaupteten unsozialen Verteilungswirkung wird es nicht kommen. Wir haben durch die Beibehaltung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % für Güter des täglichen Lebensbedarfs die Belastung der unteren Einkommensschichten in engen Grenzen gehalten.
Der frühere Bundesfinanzminister Hans Apel hat am 21. April 1977 im Deutschen Bundestag zur Mehrwertsteuererhöhung klipp und klar festgestellt:
Eines akzeptiere ich allerdings keineswegs, nämlich daß die Mehrwertsteuer eine unsoziale Steuer sei. Die Mehrwertsteuer trifft alle Bürger unseres Landes, . . .
Soweit Hans Apel.
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Mancher hat sich angewöhnt, den seit neun Jahren andauernden Aufschwung als selbstverständlich hinzunehmen. Tatsächlich sind aber die außerordentlich guten Wachstumsergebnisse, vor allem des letzten und des laufenden Jahres, das Ergebnis langjähriger Anstrengungen zur Verbesserung der Wachstumsvoraussetzungen, vor allem auch durch die Begrenzung des Staatssektors.
Meine Damen und Herren, hätten wir nicht seit Ende 1982 konsequent Konsolidierungspolitik, Verringerung der Staatsquote und Verringerung der Abgaben- und Steuerlast betrieben, dann hätte sich nie und nimmer die längste Wachstumsphase der deutschen Volkswirtschaft seit 1949 ergeben.
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Darum ist es wichtig, festzustellen: Wir werden Investoren aus unseren Nachbarländern, aus den Vereinigten Staaten oder aus Japan nur gewinnen, wenn wir die Steuerbelastung dem internationalen Standard anpassen. In den meisten europäischen Staaten ist die ertragsunabhängige Besteuerung der Betriebe
deutlich geringer als in Deutschland. Dies hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das nicht gerade als ideologisch besonders nahe zur CDU/CSU oder FDP eingeschätzt werden kann, in einer Untersuchung aus dem Jahre 1989 eindeutig festgestellt.
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Wenn wir durch die steuerliche Entlastung der Betriebe und Arbeitsplätze künftiges Wachstum erreichen, geschieht das in erster Linie im Interesse der Arbeitssuchenden in Ost und West. Von einer unsozialen Umverteilungspolitik kann schon deshalb keine Rede sein. Darüber hinaus sollten die in Denkschablonen von gestern verharrenden Steuerpolitiker der SPD zur Kenntnis nehmen: Die wachstumsfördernden Steuersenkungen in einer Größenordnung von fast 7 Milliarden DM werden fast vollständig durch den Abbau von Steuersubventionen und die Rückführung der degressiven Abschreibung auf Wirtschaftsgebäude gegenfinanziert. Es ist unzulässig und falsch, diese notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen im europäischen Bereich mit der Mehrwertsteuer in Verbindung zu bringen. Die Gegenfinanzierung erfolgt aufkommensneutral durch den Abbau von Steuersubventionen. Das ist die Wahrheit, und das ist die richtige Sicht der Dinge.
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Die Familien werden durch die Verbesserung des Familienlastenausgleichs um fast 7 Milliarden DM entlastet. Durch den auf rund 4 100 DM erhöhten Kinderfreibetrag und das um 20 DM verbesserte Erstkindergeld wird künftig das Existenzminimum der Kinder steuerfrei. Nachdem die SPD in ihrer Regierungszeit den Kinderfreibetrag auf Null zurückgeführt hatte, ist das - vor allem angesichts der gewaltigen Finanzierungsaufgaben der letzten Jahre und der Gegenwart - ein bemerkenswerter Erfolg der Steuerpolitik und der Familienpolitik dieser Bundesregierung.
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Es bleibt unser Ziel, die Steuerbelastung der Bürger und der Betriebe in Grenzen zu halten. Auch im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung sollen die normalen Sparer nicht schlechtergestellt werden. Ich weiß, meine Damen und Herren, wir alle stehen vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Ich halte mich dabei an den Rat eines österreichischen Finanzexperten, der mir gesagt hat: „Es muaß was gscheng, aber es derf nix passiern. "
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Wir sind zur Zeit dabei, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und die ab 1993 notwendigen Folgerungen im einzelnen zu prüfen. Drei Eckpunkte sind jedoch heute schon klar:
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Wir wollen den Sparerfreibetrag von zur Zeit 600 DM für Ledige und 1 200 DM für Verheiratete deutlich anheben.
Das Vertrauensverhältnis zwischen Anlegern im In- und Ausland zu den deutschen Kreditinstituten soll erhalten bleiben.
Der deutsche Kapitalmarkt muß auch in Zukunft günstige Rahmenbedingungen für die Finanzierung privater Investitionen bieten können.
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Ich bin den Banken und Instituten dankbar, daß sie nicht nur vor dem einen oder anderen gewarnt haben, sondern selber Vorschläge gemacht haben. Diese Vorschläge und auch andere Gedanken werden wir uns eingehend ansehen und dann Ende dieses Monats oder Anfang Oktober unsere Vorschläge dem Parlament zuleiten.
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- Dann passiert das Richtige.
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Eines ist ganz sicher, lieber Kollege Walther: Wenn Ihre Vorstellung von Kontrollmitteilungen durchkäme, dann würden Milliarden aus Deutschland abziehen, und genau das wollen wir nicht,
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denn genau die brauchen wir für unseren Kapitalmarkt, um die Probleme dieses Jahres lösen zu können.
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Die soziale Verantwortung, die Sorge um die Familien, um die Arbeitslosen und die wirtschaftlich Schwachen in unserer Gesellschaft stehen im Mittelpunkt unserer Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik. Wenn in diesem Jahr mit 145 Milliarden DM ein Drittel der Bundesausgaben für den Bereich der sozialen Sicherung zur Verfügung steht, ist das ausschließlich der erfolgreichen Wachstumspolitik der vergangenen neun Jahre zu verdanken. Im Jahr 1992 sollen die Ausgaben für die soziale Sicherung noch einmal um 7 % wachsen.
Das Sozialhilfeniveau im Beitrittsgebiet liegt inzwischen bei 90 bis 100 % des Westniveaus. Ein erheblicher West-Ost-Transfer wird darüber hinaus im Rahmen der Sozialversicherung geleistet.
Trotz gegenteiliger Behauptungen der Opposition: Die soziale Vereinigung ist eher noch weiter vorangekommen als die Integration im wirtschaftlichen Bereich. Das haben wir getan, um den Menschen in den Beitrittsländern gerecht zu werden.
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Gegenüber 1989 sind die Realeinkommen im Beitrittsgebiet nach einer Untersuchung des If o-Instituts
bei einem Vierpersonenhaushalt mit einem Verdiener um 33 %, bei einem Rentnerhaushalt sogar um 45 % gestiegen. Die Wiedervereinigung hat so - wie wir es vorhergesagt haben - auch schon kurzfristig erhebliche Vorteile gebracht. Dieser Realeinkommensgewinn und nicht der Vergleich mit den Verhältnissen in den westlichen Bundesländern ist der richtige Maßstab, um die Fortschritte seit der Wiedervereinigung zu messen. Ein vergleichbarer Zuwachs an Wohlstand konnte in keinem früheren Ostblockland erzielt werden.
Allerdings muß sich die Schere zwischen produktiver Leistungskraft und Einkommen in den neuen Bundesländern so rasch wie möglich schließen.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten unmißverständlich zu dem entscheidenden Faktor für die künftige wirtschaftliche Entwicklung im Beitrittsgebiet Stellung bezogen. Es heißt dort wörtlich:
Es ist eine Illusion zu glauben, der Staat könne durch Löhne und Produktsubventionen über einen langen Zeitraum in einer ganzen Region die Arbeitsmarktbelastung in Grenzen halten. Er wäre damit überfordert, weil die Aufrechterhaltung so hoher Transfers von West nach Ost eine nachhaltige Dämpfung der Leistungsanreize sowohl hier als auch dort zur Folge hätte.
Die Bundesregierung hat alle notwendigen Anstrengungen unternommen, um die Verwüstungen des Sozialismus zu beseitigen. Durch umfassende Investitionshilfen, Zuschüsse, Kredite und Bürgschaften, durch die im Steueränderungsgesetz 1991 beschlossenen steuerlichen Vergünstigungen, durch Beratung und vielfältige andere Hilfestellung haben wir entscheidend zu Existenzgründungen und Investitionen deutscher und ausländischer Betriebe im Beitrittsgebiet beigetragen.
Im Mittelpunkt steht das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost mit einem Volumen von insgesamt 24 Milliarden DM in den Jahren 1991/1992. Nach der von mir gerade vorgelegten Zwischenbilanz sind die für 1991 vorgesehenen Mittel bereits zu über 50 % in konkrete Aufträge geflossen. Die beschäftigungswirksame Verwendung nahezu aller Mittel bis zum Jahresende ist gesichert. Ich halte das für einen großen Erfolg, weil doch eine zeitlang berechtigte Fragen bestanden, ob das wirklich in Investitionen umgesetzt werden kann. Das ist ein großer Erfolg für uns, aber auch für die in den neuen Beitrittsländern, die sich mit großem Engagement um die Verwirklichung dieser Projekte gekümmert haben.
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Im Bereich der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur finanzieren wir praktisch alles, was innerhalb vorgegebener Zeiträume zu verwirklichen ist. Allein im Verkehrsbereich haben wir bis 1995 die Ansätze um 30 Milliarden DM auf 215 Milliarden DM aufgestockt. Von den zusätzlich bereitgestellten Mitteln fließt die Hälfte in die neuen Bundesländer. Im ganzen Bundesgebiet soll der öffentliche Personennahverkehr durch zusätzliche Zuweisungen an die Gemeinden von 1,5 Milliarden DM 1992 und 3 Milliarden DM 1993 spürbar verbessert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt im Bundeshaushalt 1992 ist die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz einschließlich des Sonderrahmenplans stehen 1992 zusätzlich 730 Millionen DM für agrarstrukturelle Maßnahmen im Beitrittsgebiet bereit. Im Bereich der alten Bundesländer werden vor allem die Ausgaben für die Agrarsozialpolitik deutlich, nämlich um 6 %, zunehmen. Darüber hinaus ist mit 1,4 Milliarden DM Vorsorge getroffen, damit die 1991 auslaufende 3-%-Umsatzsteuerregelung in ganz Deutschland gleichwertig ersetzt werden kann. Wir werden damit dem gerecht, was wir der Landwirtschaft in dem Zusammenhang in einer schwierigen Situation zugesagt haben. Der soziostrukturelle Einkommensausgleich wird mit einem Volumen von 660 Millionen DM über 1992 hinaus weiter gewährt.
Nun wird natürlich die Opposition nicht müde, uns zu späte und unzureichende Hilfe und Unterstützung für das Beitrittsgebiet vorzuwerfen. Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre des Deutschlandberichts der OECD vom Juli dieses Jahres. Die bekanntermaßen sehr auf ihre Unabhängigkeit und Objektivität bedachte, hochangesehene Organisation der führenden westlichen Industriestaaten schreibt:
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Bundesregierung in einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne ein beachtliches Volumen an finanziellen und menschlichen Ressourcen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Integration der beiden Teile Deutschlands mobilisiert hat. In den ostdeutschen Ländern wurden die für das reibungslose Funktionieren einer Marktwirtschaft nötigen Institutionen geschaffen. Dieser Prozeß vollzog sich ohne Gefährdung der gesamtwirtschaftlichen Stabilität in Westdeutschland.
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Soweit ein Urteil aus dem Ausland, das wohl niemand bestreiten wird.
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Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vereinigung auch makroökonomisch gemeistert. Wir liegen beim Wachstum in diesem Jahr hinter Japan an zweiter Stelle der bedeutenden Industrienationen. Im zweiten Quartal dieses Jahres ist das reale Bruttosozialprodukt wieder um 4,8 % kräftig gestiegen.
Bei der Preissteigerung liegen wir unter dem internationalen Durchschnitt, obwohl eine Zahl über 4 natürlich immer auch Anlaß zur Frage und zur Besorgnis ist. Es besteht aber kein Anlaß, Inflationsgefahren zu dramatisieren oder von nachlassendem Stabilitätsbewußtsein zu sprechen.
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Im August 1991 ist die Preissteigerungsrate wieder von 4,4 % auf 4,1 % zurückgegangen. Das spricht für ein weiterhin ruhiges Preisklima nach Auslaufen des Einmaleffekts durch die Verbrauchsteuererhöhung.
Wir haben im westlichen Bundesgebiet in diesem Jahr einen Beschäftigungszuwachs von fast 800 000 Menschen zu verzeichnen.
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Der beste Beweis für die Effizienz unserer finanzpolitischen Strategie ist die gelassene Reaktion der Kapitalmärkte auf die gestiegene öffentliche Kreditnachfrage. Wir haben den Fonds „Deutsche Einheit" und den Kreditabwicklungsfonds für dieses Jahr praktisch schon finanziert; der Bedarf des Bundes bei der Kreditaufnahme ist zu zwei Dritteln gedeckt. Anspannungen an den Kreditmärkten haben sich nicht gezeigt.
Das Vertrauen der Kreditmärkte in unsere Finanzpolitik zeigt sich auch in den unveränderten Realzinsen. Es ist der stabilitätsorientierten Geldpolitik, aber auch unserer stetigen Finanzpolitik zu verdanken, wenn die jüngste Anhebung der Leitzinsen bei der Rendite der langfristigen Anlagen eher eine Bewegung nach unten zur Folge hatte.
Bundesbank und Bundesregierung arbeiten - wie bisher - bei der Verteidigung der inneren und äußeren Währungsstabilität eng zusammen. Wir sind bei den internationalen Konferenzen, G 7 und Internationalem Währungsfonds, gemeinsam und überzeugend aufgetreten. Ich habe erst am letzten Donnerstag beim Zentralbankrat ein sachliches und fruchtbares Gespräch über die gemeinsamen Zielsetzungen und die Verwirklichung einer glaubwürdigen Stabilitätspolitik geführt.
Im Mittelpunkt der ökonomischen Neugestaltung des Übergangs zur Marktwirtschaft steht die Arbeit der Treuhandanstalt. Die zentrale Aufgabe der Treuhandanstalt ist die Herstellung marktwirtschaftlicher Strukturen als Grundlage des freien Wettbewerbs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch an dieser Stelle sagen: Wir werden, auch wenn es schon einige Monate her ist, die Arbeit von Detlev Rohwedder nicht vergessen und uns seiner immer wieder dankbar erinnern.
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Der Treuhandanstalt sind mit dem Einigungsvertrag auch eine Reihe von Aufgaben übertragen worden, die außerhalb der unmittelbaren Privatisierungs-
und Sanierungsarbeit liegen. So soll die Treuhandanstalt auch die Strukturanpassung der Wirtschaft, die originäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik des Bundes und der Länder ist, fördern helfen.
Später wurde das Engagement der Treuhandanstalt bei der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Neugestaltung der neuen Bundesländer noch erweitert. Ich nenne beispielhaft die Finanzierung von Sozialplänen, die Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften, die Bereitstellung von Mitteln für die Landwirtschaft, die Übernahme der Risiken aus ökonomischen Altlasten und die unentgeltliche Überlassung beträchtlicher Vermögenswerte an Kommunen und öffentliche Einrichtungen.
Vor allem bei den großen Sanierungsvorhaben - Schiffbau, Chemie, Metall - sind allerdings strengste finanzielle Maßstäbe anzulegen. Im Interesse des
wirtschaftlichen Aufschwungs dürfen alte, durch Autarkie und Prestigestreben entstandene Strukturen - bei allem Bemühen um sozial verträgliche Lösungen - nicht unkritisch erhalten werden.
Nur in der Verbindung schneller Sanierung und Privatisierung kleiner werdender Betriebe und äußerster Kostendisziplin ist die Restrukturierung der Unternehmen finanziell verkraftbar. Ich werde weiterhin mit Nachdruck für eine äußerste Kostenbegrenzung der Treuhandarbeit eintreten. Niemand kann heute voraussehen, was in der Schlußbilanz der Treuhandanstalt nach 10 oder 15 Jahren stehen wird. Zu gegebener Zeit müssen in eine solche Schlußbilanz auch die erheblichen positiven gesamtwirtschaftlichen Wirkungen eingestellt werden, die aus der Privatisierungs- und Sanierungsarbeit resultieren. Die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt von heute wird sich in einer leistungsfähigen, modernen Volkswirtschaft von morgen rechtfertigen.
Die Finanzierung des Vereinigungsprozesses ist von den Finanzmärkten und den realwirtschaftlichen Belastungen her, wie die Erfahrungen der letzten 20 Monate zeigen, verkraftbar. Schwierigkeiten wird es nur geben, wenn einzelne Institutionen und Haushaltsebenen überproportionale Aufgaben- und Ausgabenverpflichtungen auf sich nehmen müssen.
Die Vereinigung Deutschlands ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Ich danke den westlichen Bundesländern für ihr verstärktes Engagement, das sie zuletzt durch ihre Zustimmung zur Neuverteilung der Umsatzsteuer unter Beweis gestellt haben. Ich bitte die Länder aber, angesichts der ab 1992 im Beitrittsgebiet bestehenden Probleme bei der Finanzierung der öffentlichen Haushalte um weitere Unterstützung.
Bis zur Neuregelung des Finanzausgleichs 1995 brauchen die neuen Bundesländer aller Voraussicht nach eine weitere Stärkung ihrer Einnahmebasis. Der Bund hat hierzu sein Angebot unterbreitet: Wenn die alten Bundesländer der Umlenkung der Mittel aus dem Strukturhilfegesetz - 2,45 Milliarden DM - von West nach Ost zustimmen, ist der Bund bereit, weitere Finanzmittel in gleicher Höhe zur Verfügung zu stellen und außerdem einen Sonderbeitrag von 1 Milliarde DM zu leisten. Insgesamt könnten so die Einnahmen der neuen Länder 1992 um fast 6 Milliarden DM erhöht werden. Für die Jahre ab 1993 müssen wir mit den Ländern nach weiteren Verbesserungen suchen.
Für 1991 werden wir für die Finanzierung begonnener Projekte in den alten Bundesländern zusätzlich 600 Millionen DM zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sollen die Länder Saarland und Bremen im Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen für 1992 und 1993 einen verbesserten Sondervorabbetrag erhalten. Für das Saarland stünden dann 150 Millionen DM, für Bremen 100 Millionen DM Sondervorabbetrag zur Verfügung.
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- Wir tun das nicht aus Freundschaft den Regierungen dort, sondern den Menschen gegenüber.
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Ich habe schon eingangs die notwendige Bemerkung zu dem gemacht, was Ministerpräsident Scharping gestern sagte. Wenn man sagt, ich hätte ihm 200 Millionen DM gestohlen, dann frage ich mich, wie man jemandem etwas stehlen kann, was ihm verfassungsrechtlich gar nicht mehr zusteht. Ich glaube, daran muß man endlich einmal erinnern.
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- Ich befürchte, Frau Kollegin Matthäus-Maier, hier beginnt wieder das gleiche Spiel, das Sie und andere im vorigen Jahr bei der Landtagswahl in NordrheinWestfalen auch schon betrieben haben: Auf der einen Seite beschwören Sie die deutsche Einheit, und auf der anderen Seite rechnen Sie dann jeder Stadt vor, wenn ein Kindergarten wegen der deutschen Einheit und unserer Politik nicht gebaut werden darf.
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Dabei konnte der Kollege Schleußer in den Düsseldorfer Haushaltsberatungen stolz über die Finanzierung von 20 000 Kindergartenplätzen in NordrheinWestfalen berichten. Es ist schon ein starkes Stück, im Wahlkampf zu sagen, man könne das wegen der Kosten der deutschen Einheit nicht bauen, und dann zu sagen, 20 000 Kindergartenplätze habe man wieder fertiggestellt, das sei doch eine großartige Leistung.
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Die Bundesregierung unterstreicht ihren Willen zur Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden durch die Bereitschaft, den Truppenabzug der alliierten Streitkräfte und der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte sowie die Truppenreduzierung bei der Bundeswehr finanziell zu flankieren. Wir bieten an, ein Sonderprogramm innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" - Laufzeit bis 1997 - sowie zusätzlich ein Städtebauförderungsprogramm - Laufzeit bis zum Jahre 2001 - aufzulegen.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung die verbilligte Abgabe von Liegenschaften des Bundes erheblich erweitert. Preisnachlässe von 50 % werden bei der Verwendung von Grundstücken im sozialen Wohnungsbau und im Studentenwohnraumbau gewährt. In den neuen Ländern sind Preisnachlässe bis zu 75 möglich, wenn die Grundstücke unmittelbar für Verwaltungszwecke benötigt werden. Ich finde, es ist ein großartiges Angebot des Bundes, das ein wirklich wichtiger Beitrag auch zum sozialen Wohnungsbau und zur Bewältigung der strukturellen Probleme in den Städten und Gemeinden ist.
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Es wäre angesichts der realen Entspannung unserer Zeit allerdings falsch, die nationale Verteidigungsfähigkeit und die NATO grundsätzlich in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Kein Instrument und keine Gemeinschaft hat sich als so wirksam erwiesen wie die NATO, gerade auch wieder in den letzten Monaten und Jahren. Der Golfkrieg, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Jugoslawien, aber auch der Versuch der sowjetischen Putschisten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, haben die Notwendigkeit des westli2990
chen Bündnisses unter Beweis gestellt. Vor allem die NATO kann in der jetzigen Phase stürmischer Umwälzungen militärische Sicherheit garantieren.
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- Entschuldigung, das sind zwei verschiedene Dinge. Die Ungarn, die Polen und auch andere wären froh, wenn sie im Moment in der NATO sein könnten.
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Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, NATO und KSZE gegeneinander auszuspielen. Beide sind notwendige Instrumentarien für den Frieden in Europa und in der Welt.
Mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität ist das vereinigte Deutschland gleichberechtigtes, aber auch gleichverantwortliches Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft. Deshalb haben unsere Partner kein Verständnis, wenn wir unter Hinweis auf umstrittene Rechtsbestimmungen den Einsatz unserer Bundeswehr unter dem Dach internationaler Institutionen verweigern. Wer dies ablehnt, stellt mittelfristig auch die europäische Politische Union mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik in Frage.
Die Welt braucht ein einiges Europa als weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Stabilitätsfaktor. Der Neuaufbau im Osten wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen und von lang andauernder Unsicherheit geprägt sein. Wir setzen auch in Zukunft auf die Wertegemeinschaft der westlichen Welt. In dieser Gemeinschaft muß Europa künftig noch stärker seine Verantwortung wahrnehmen.
Wir sind bereit, den Weg zur europäischen Währungsunion konsequent zu Ende zu führen. Wir arbeiten daran, den neuen europäischen Vertrag auf dem Gipfel in Maastricht Anfang Dezember 1991 fertigzustellen.
Doch wichtiger als Termine ist die Qualität des neuen Vertrages. Wir bekennen uns zu einer einheitlichen europäischen Währung. Diese darf jedoch der D-Mark an Stabilität nicht nachstehen. Wir würden es unseren Bürgern in Deutschland nicht verständlich machen können, wenn eine europäische Währung weniger stabil wäre, weniger auf Stabilität ausgerichtet wäre, als die D-Mark es ist. Eine künftige europäische Währung muß so stabil sein wie die Deutsche Mark und die Währungen der Stabilitätspartner um uns herum.
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Dazu ist es notwendig, daß die zukünftige europäische Zentralbank Zinsen und Geldumlauf uneingeschränkt kontrollieren können muß. Der der Regierungskonferenz vorliegende Entwurf für das Statut einer europäischen Zentralbank ist dafür eine gute Grundlage. Ich möchte mich auch hier bei dem früheren Bundesbankpräsidenten Pöhl, der daran als Vorsitzender maßgeblich mitgearbeitet hat, herzlich bedanken.
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Die Haushaltspolitik darf diese Aufgabenstellung nicht unterlaufen. Der Vertrag muß alle an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Länder auf eine Haushaltspolitik verpflichten, die nicht im Widerspruch zur Geldwertstabilität steht.
Die Teilnehmer an der Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion müssen sich durch entsprechende Konvergenz bei den Haushaltsdefiziten, der Preisstabilität und den Zinsen qualifizieren. Weil wir unserer eigenen Bevölkerung keine schlechtere Währung als heute zumuten, darf uns die stabilitätspolitische Verantwortung nicht durch geldpolitische Grauzonen aus der Hand genommen werden.
Eine auf dauerhaften Bestand angelegte Wirtschafts- und Stabilitätsgemeinschaft erfordert auch die Herstellung einer Erfahrungsgemeinschaft im Rahmen einer politischen Union. Wirtschafts- und Währungsunion und politische Union müssen parallel vorankommen. Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ist deshalb für uns unabdingbar.
Die Schaffung einer politischen Union darf nicht gleichgesetzt werden mit dem Ziel, in der Gemeinschaft großflächige Umverteilungsmechanismen zu schaffen. Vor allem die Dynamik des großen Wirtschaftsraums ohne Währungsgrenzen wird den entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft leisten.
Meine Kolleginnen und Kollegen, der Umbruch in Europa, die Wiedervereinigung Deutschlands, die friedlichen Revolutionen in den Staaten Ost- und Südosteuropas und der Vormarsch der freiheitlichen Ideen in der Sowjetunion haben sich in einem Tempo vollzogen, das bei vielen Menschen Angst und Beunruhigung hervorgerufen hat. Jahrelang fest im Be, wußtsein verankerte Feindbilder haben ihre Grundlage verloren. An die Stelle der strikten Abgrenzung der Systeme sowohl im Geistigen wie auch im Physischen tritt nun die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Der Westen öffnet sich und bietet die Hand zur Zusammenarbeit. Der Osten verwirft das Denken in marxistischen Kategorien und übernimmt statt dessen die Denk- und Verhaltensmuster des demokratischen Staates mit seiner offenen Gesellschaft und seiner dezentralen Marktwirtschaft.
Was für die Neuordnung Europas allgemein gilt, das gilt für die Ausgestaltung der Einheit unseres Vaterlandes im besonderen. Während es in der praktischen Arbeit von der betrieblichen Zusammenarbeit über den Aufbau von Kontakten im Bereich der gesellschaftlichen Vereine und der wissenschaftlichen Institutionen bis hin zur Integration im Sport rasch zu Fortschritten gekommen ist, gibt es im Bewußtsein der Menschen immer noch Berührungsprobleme, Hemmschwellen und Zukunftsängste. Der notwendige Umdenkungsprozeß stellt die Menschen vor große geistige Herausforderungen. Viele im Westen müssen sich nach den erfolgreichen Revolutionen im Osten und nach der Auflösung des Warschauer Paktes von alten Feindbildern trennen. Andere werden sich mit dem Untergang des Sozialismus als konkreter Alternative zum politischen und wirtschaftlichen System des Westens abfinden müssen.
Im Osten müssen sich die Menschen verstärkt marktwirtschaftlichen Denkkategorien zuwenden.
Die einstmals von den kommunistischen Parteien betreuten Staatsuntertanen müssen Selbstverantwortung und Eigeninitiative entwickeln. Der Zusammenbruch des Sozialismus als Instanz der Sinngebung hinterläßt dabei bei vielen idealistischen Anhängern der alten Systeme Lücken, deren Beseitigung vor allem die Kulturschaffenden in Ost und West vor große Aufgaben stellt.
Wer jedoch die Geschwindigkeit und die Kosten der Neuordnung Europas einschließlich der Probleme der Bewußtseinsveränderung beklagt, der sollte sich klarmachen, welche historischen Fortschritte in nur wenigen Jahren erzielt wurden. Unser Vaterland ist wiedervereinigt; das verbrecherische SED-Regime ist beseitigt; Mauer und Stacheldraht sind weg; mit der größten Solidaraktion in der Geschichte des deutschen Volkes werden die ökonomischen und ökologischen Altlasten der ehemaligen DDR aufgearbeitet und die Lebensverhältnisse in Deutschland schrittweise angeglichen. Die Ära des Kalten Krieges ist zu Ende.
Bei den Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und sicherheitspolitische Zusammenarbeit wurde in den zurückliegenden Jahren ein historischer Durchbruch erzielt. Die Angst vor einem militärischen Ost-West-Konflikt nimmt ab. Der Warschauer Pakt als Symbol der Bedrohung des Westens wurde aufgelöst. Die über ein Drittel des Erdballs umfassende Vormachtstellung des Kommunismus mit seiner stalinistischen Zentrale in Moskau ist nach dem gescheiterten Putschversuch zusammengebrochen. Die Ideen der Freiheit und Demokratie, die Prinzipien der Marktwirtschaft und der offenen Gesellschaft werden sich in Gesamteuropa durchsetzen.
Diese historische Neuordnung Europas bietet den kommenden Generationen Chancen, von denen die beiden Nachkriegsgenerationen nicht träumen konnten. Die Erschließung neuer Märkte im Osten, die Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft und die Entwicklung einer neuen sicherheitspolitischen Kooperation bieten Chancen, die wir jetzt alle zusammen mutig und entschlossen ergreifen müssen.
Die Neuordnung Europas verursacht neben den genannten geistigen Herausforderungen auch Kosten im ökonomischen Bereich. Für die Bürger im Westen bedeutet dies eine zeitlich begrenzte Belastung
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zur finanziellen Unterstützung der Reformprozesse im Osten. Dem stehen erheblich höhere Kosten im Osten gegenüber, die sich aus dem Übergang zur Marktwirtschaft und den damit verbundenen Umstellungsprozessen in Form steigender Arbeitslosigkeit und zunächst sinkender Realeinkommen ergeben.
Wer leichtfertig oder zynisch die diesbezüglichen ökonomischen Kosten als „Milliarden-Spiel" abtut, der hat offensichtlich die historische Dimension des gegenwärtigen Umbruchs in Europa nicht begriffen.
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Der Umbruch in Europa kann nur gelingen, wenn beide Seiten, Ost und West, die erforderliche Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag zum Gelingen des Umbruchs leisten.
Nach zwei Weltkriegen, nach Hitler und Stalin, nach der Spaltung des alten Kontinents in zwei Macht- und Militärblöcke und nach dem jahrelangen Rüstungswettlauf stehen wir jetzt vor der großen Chance, den Frieden sicherer zu machen, vom Gegeneinander zum Miteinander zu gelangen und die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit aller Staaten vom Atlantik bis zum Ural im Interesse der Menschen positiv zu gestalten.
Die Geschichte wirft nicht alle Tage das große Los. Deshalb ist es unsere politische Aufgabe, die große Chance unserer Zeit mit Mut und Entschlossenheit, mit Verantwortungsbewußtsein, aber auch mit dem erforderlichen Augenmaß aufzugreifen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind froh, daß der Putsch konservativer Kräfte in der Sowjetunion gescheitert ist.
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Wir gratulieren dem russischen Volk und seinen mutigen Politikerinnen und Politikern, die durch ihren entschlossenen Widerstand die demokratische Entwicklung unumkehrbar gemacht haben. Heute steht hoffentlich fest: Freiheit und Demokratie haben auch in Osteuropa gesiegt.
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Die Entwicklung in der Sowjetunion hat auch für uns Konsequenzen. Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren habe ich in der damaligen Haushaltsdebatte hier am Pult gesagt:
Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, daß die Reformpolitik in Osteuropa gelingt. Glasnost und Perestroika in den Ländern des Ostens bedeuten viel mehr Sicherheit in ganz Europa, als ein 100-Milliarden-Kampfflugzeug es je bringen kann.
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Auch deshalb wäre es besser, auf den Jäger 90 zu verzichten und statt dessen die Reformpolitik in Osteuropa zu unterstützen.
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Heute ist dieser Gedanke nicht weniger aktuell als vor zwei Jahren.
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Er bedeutet: Der Westen muß der Sowjetunion schnell und unbürokratisch helfen.
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Diese Hilfe darf aber nicht allein und nicht in erster Linie aus Geld bestehen. Was die Sowjetunion jetzt braucht, sind außer einer Nahrungsmittelhilfe vor allem die Vermittlung von marktwirtschaftlichem, technischem und wissenschaftlichem Know-how, die Unterstützung beim Aufbau eines modernen Banken- und Finanzsystems, die Öffnung unserer Märkte für Produkte aus Osteuropa und die Mitgliedschaft der Sowjetunion im Währungsfonds und in der Weltbank.
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Soweit es auch um finanzielle Hilfe geht, steht fest, daß den Hauptanteil der umfangreichen bisherigen Finanzhilfen für die Sowjetunion die Bundesrepublik Deutschland geleistet hat und daß nun erst einmal die Japaner, die Amerikaner und die übrigen Europäer am Zuge sind, die sich bisher bei finanzieller Hilfe in sehr vornehmer Weise zurückgehalten haben.
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Kein Verständnis habe ich dafür, daß, kaum daß wir uns über die Niederschlagung des Putsches so richtig freuen konnten, Politiker aus CDU und FDP die Menschen mit dem Vorschlag der Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 Punkte zur Finanzierung der Hilfen für Osteuropa verschreckten. Offensichtlich gibt es in dei Koalition Politiker, denen jeder Vorwand, mal der Golfkrieg, mal die Osteuropahilfe, recht ist, um an der Steuerschraube zu drehen, meine Damen und Herren.
({8})
Dieses widerspricht im übrigen auch unserem nationalen Interesse. Ein solches Vorpreschen würde die anderen westlichen Industrieländer aus ihrer Pflicht zu einer verstärkten Hilfe entlassen und die Verhandlungsposition der deutschen Bundesregierung bei den bevorstehenden internationalen Gesprächen schwächen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges heißt jetzt das Gebot der Stunde Abrüstung. Die Sowjetunion muß ihre gigantische Kriegsmaschinerie abbauen. Aber auch bei uns muß beim Verteidigungshaushalt kräftig gespart werden.
Der Bundeskanzler hat vorige Woche in der Frankfurter Paulskirche darauf hingewiesen, daß bisher in dem Verteidigungshaushalt gebundene Gelder nun für eine friedliche Nutzung frei werden. Dies begrüßen wir Sozialdemokraten. Aber, Herr Bundeskanzler, wir fragen: Warum senken Sie dann nicht endlich die Verteidigungsausgaben, die bei Ihnen im nächsten Jahr genauso hoch sein sollen wie in diesem Jahr.
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Erneut 52,5 Milliarden DM, genausoviel wie in diesem Jahr! Gegenüber ihrer letzten Finanzplanung vom März hat die Bundesregierung für die nächsten drei Jahre die Verteidigungsausgaben sogar um 4,4 Milliarden DM heraufgesetzt.
Ein Symbol für den mangelnden Willen zum Sparen bei dem Verteidigungshaushalt ist nun mal der unsinnige Jäger 90.
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Bisher sollte ein einziges Flugzeug dieser Art 70 Millionen DM kosten; jetzt kostet es schon 100 Millionen DM, und es wird sicher noch teurer. Zum Vergleich: Für das Geld, das ein einziger Jäger 90 kostet, könnten 1 000 Sozialwohnungen gebaut werden, meine Damen und Herren. Diese brauchen wir doch angesichts der Wohnungsnot viel dringender.
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Die Lage der Staatsfinanzen in der Bundesrepublik Deutschland ist besorgniserregend.
({12})
Da hilft es auch nichts, daß der Bundeskanzler, fern jeder Realität, gesagt hat: Unser Markenzeichen - für seine Koalition - ist, daß wir keine Schulden machen. Der Bundesfinanzminister behauptet unentwegt, die Lage der Staatsfinanzen sei gesund, und er habe alles unter Kontrolle.
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Wissen Sie, das kommt mir so vor wie das berühmte Pfeifen im Walde: Je unsicherer man ist, um so lauter muß man pfeifen.
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Angst und bange kann einem wirklich werden, wenn man Ihre Staatsfinanzen anschaut. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors, einschließlich Bahn, Post, Treuhand, staatlicher Wohnungssektor in der ehemaligen DDR und der verschiedenen Schuldentöpfe, lag Ende 1990 bei 1,3 Billionen DM. Meine Damen und Herren, eine Billion sind 1 000 Milliarden, eine Billion ist eine 1 mit 12 Nullen.
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Diese Staatsverschuldung ist etwa doppelt so hoch wie bei der Wende 1982.
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Nicht nur in diesem Jahr, auch in den kommenden Jahren, bis 1995, werden wir Jahr für Jahr annähernd 200 Milliarden DM neue Schulden hinzubekommen. Die Folge ist: In den fünf Jahren bis 1995 werden die öffentlichen Schulden um eine weitere Billion, von jetzt 1,3 auf dann 2,3 Billionen DM, steigen.
Ich frage Sie, Herr Bundesfinanzminister: Wie wagen Sie es eigentlich noch, angesichts dieser dramatischen jährlichen Zunahme der Staatsschulden davon zu sprechen, daß Ihre Neuverschuldung nur vorübergehend so hoch sei! Dabei sind doch die beängstigenden Haushaltsrisiken noch nicht berücksichtigt, die Ihnen Graf Lambsdorff erst neulich im Detail vorgeIngrid Matthäus-Maier
rechnet hat: bei den Bürgschaften, bei der Treuhand, beim Kreditabwicklungsfonds, bei der Europäischen Gemeinschaft oder beim steuerlichen Grundfreibetrag, von dem doch jeder weiß, daß er dringend erhöht werden muß.
Nur nebenbei: Stellen wir uns doch einmal gemeinsam vor, wie Sie über uns herfallen würden, wenn Sozialdemokraten nur annähernd soviel Schulden machten, wie Sie sie dauernd machen.
({17})
Diese ausufernde Staatsverschuldung sehen wir Sozialdemokraten wie auch unsere Bürger, unsere Wirtschaft und die Bundesbank mit größter Besorgnis. Sie schlagen leider alle Mahnungen in den Wind. Die Folgen dieser enormen Staatsverschuldung sind für die öffentlichen Haushalte verheerend. Bereits in diesem Jahr muß der gesamte öffentliche Sektor einschließlich der Sondervermögen und Schuldentöpfe allein 111 Milliarden DM für Zinsen zahlen. Das sind 304 Millionen DM Zinsen Tag für Tag. Allein während Ihrer Rede, Herr Bundesfinanzminister, mußten die öffentlichen Hände etwa 14 Millionen DM Zinsen zahlen.
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In den nächsten Jahren wird das noch schlimmer: 1992 werden es schon 123 Milliarden DM Zinsen sein - übrigens, meine Damen und Herren, alles Zahlen aus dem Finanzministerium. Bis 1995 steigen die Zinsverpflichtungen der öffentlichen Hand auf 175 Milliarden DM an. Da bleibt doch für die eigentlichen öffentlichen Aufgaben viel zuwenig übrig.
Die Ausgaben, die allein im Bundeshaushalt 1992 für Zinsen veranschlagt sind, sind höher als die gesamten Ausgaben für die Bundesministerien für Gesundheit, Umwelt, Frauen und Jugend, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft und Wohnungsbau.
({19})
Der Staat braucht immer mehr Steuern allein dafür, daß er seine Zinsen bezahlen kann. Bereits heute muß jede sechste Steuermark für Zinsen ausgezahlt werden, 1995 wird es bereits jede fünfte Steuermark sein. Das kann doch nicht so weitergehen. Politiker, die diese Entwicklung so weitertreiben lassen, handeln unverantwortlich zu Lasten nicht nur unserer Kinder, sondern auch unserer Enkel.
({20})
Daß die deutsche Einheit viel Geld kostet, war uns immer bewußt. Dieses Geld für den Aufbau der neuen Länder aufzubringen waren wir bereit und sind wir bereit. Das haben wir im Unterschied zu Ihnen vor der Bundestagswahl gesagt.
Versuchen Sie bitte nicht länger, Ihre enorme Staatsverschuldung allein auf die deutsche Einheit zu schieben.
({21})
Dieser Schuldenberg ist in erheblichem Umfang auch
das Ergebnis Ihrer verfehlten Politik. Nur Beispiele:
Sie haben die sogenannte Steuerreform auf Pump
finanziert. Sie haben sich jahrelang gewehrt, den Verteidigungshaushalt zu kürzen. Sie haben jahrelang an unsinnigen und teuren Großprojekten wie Wackersdorf und dem Schnellen Brüter festgehalten.
({22})
Sie haben sich bei der Zinsbesteuerung nicht an das Gesetz gehalten und dadurch großen Steuerhinterziehern Milliarden geschenkt.
({23})
Sie haben durch Ihr Zaudern und Zögern bei der wirtschaftlichen Flankierung der Währungsunion mehr Menschen arbeitslos werden lassen, als es nötig gewesen wäre, und die deutsche Einheit damit unnötig teuer gemacht.
({24})
Sie waren beim Ausbruch des Golfkrieges voll und ganz damit beschäftigt, hier in Bonn gerade Minister- und Staatssekretärsposten zu verteilen.
({25})
Um Ihr außenpolitisches Versagen wieder auszugleichen, haben Sie anschließend eine peinliche Scheckbuchdiplomatie betrieben, die unsere Steuerzahler teurer zu stehen kommt. 17 Milliarden DM für den Golfkrieg, ohne daß wir nur im mindesten mitreden können, meine Damen und Herren!
({26})
Sie haben beim Sparen und beim Subventionsabbau versagt. Ihre angeblichen Sparerfolge bestehen überwiegend aus Abgaben- und Gebührenerhöhungen. Den Bürgern aber Geld aus der Tasche zu holen, das ist kein Sparen.
({27})
Sie haben schließlich seit 1983 Bundesbankgewinne in Höhe von 80 Milliarden DM kassiert.
({28})
Statt mit dem Geld den Haushalt zu konsolidieren, haben Sie es leider mit vollen Händen ausgegeben.
({29})
- Das haben wir nicht gemacht, Herr Faltlhauser. Denn wir haben in 13 Jahren nur 13 Milliarden DM Bundesbankgewinne und Sie in neun Jahren 80 Milliarden DM kassiert, ohne damit zu konsolidieren.
({30})
Mit Ihrer Schuldenpolitik und Ihren Steuererhöhungen ist ein Anstieg der Inflationsrate auf über 4 % verbunden. Zu Recht hat der ehemalige Bundesbankpräsident Pöhl bei seiner Abschiedsrede in der Frank2994
furter Paulskirche diese Inflationsrate ausdrücklich als hausgemacht bezeichnet; denn weltweit gehen die Inflationsraten zurück.
Die von der Politik genährte Inflationserwartung beschädigt aber die Grundlagen unserer Volkswirtschaft, und dies untergräbt das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark im In- und Ausland. Ich hoffe nicht, daß der Finanzminister darauf spekuliert, daß mit steigender Inflation die drückende Schuldenlast des Staates leichter wird. Ich kann nur davor warnen, diesen unsozialen und wirtschaftspolitisch verhängnisvollen Weg in die Inflation weiterzugehen.
Die Folge Ihrer Schuldenpolitik ist auch ein viel zu hohes Zinsniveau. Weltweit gehen die Zinsen zurück; bei uns aber steigen sie. Die Bundesbank hat die Zinsen doch nicht aus Jux und Dollerei erhöht. Die Zinsbeschlüsse der Bundesbank waren vor allem auch ein Warnsignal an diese Bundesregierung.
Die hohen Zinsen schaden unserer Wirtschaft, für die das Investieren nun teurer geworden ist. Sie schaden auch dem Aufbau in den neuen Ländern. Schon ein Anstieg der Zinsen um nur einen Prozentpunkt kostet die Wirtschaft rund 14 Milliarden DM. Dies belastet sie weit mehr als die ganze Vermögensteuer und die ganze Gewerbekapitalsteuer, über die Sie dauernd lamentieren. Ich sage Ihnen: Von einer soliden Finanzpolitik, die zu niedrigen Zinsen führt, hat die Wirtschaft mehr als von unbezahlbaren Steuervergünstigungen.
({31})
Die hohen Zinsen schaden auch dem Wohnungsbau. Sie bringen viele Eigenheimbesitzer in eine ausweglose Notlage, weil diese die mehrere hundert Mark zusätzliche Zinsbelastung im Monat für ihr Häuschen nicht mehr bezahlen können.
Statt nun aber Ihre Politik zu ändern und endlich zu sparen, fahren Sie fort, die Lage der Staatsfinanzen schöner zu malen, als sie ist. Sie sagen z. B., die Neuverschuldung des Bundes würde bis 1995 auf 25 Milliarden DM zurückgehen. Schon diese 25 Milliarden DM stehen angesichts der Milliardenrisiken nur auf dem Papier. Außerdem verschweigen Sie die vielen Milliarden DM an Schulden, die Sie in den kunstvoll konstruierten Schattenhaushalten, Sondervermögen und Schuldentöpfen auslagern. Ich nenne nur den Fonds Deutsche Einheit, den Kreditabwicklungsfonds und die Treuhand. Sie verschweigen zugleich, daß die Verschuldung der Länder und Gemeinden vor allen Dingen im Osten dramatisch hochgeht. Hören Sie doch endlich auf mit dieser Schönfärberei! Die Wahrheit wird Sie auch an dieser Stelle einholen.
({32})
Mit Ihrer heutigen Rede, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie leider wieder die Chance vertan, einen ehrlichen und ungeschminkten Kassensturz vorzunehmen. Wie recht hatte doch die Zeitschrift „Die Zeit" , als sie in der letzten Woche unter der Überschrift „Verdrängte Wahrheiten" für die heutige Debatte vorhersagte:
Doch zu dieser Stunde der Wahrheit wird es in der Parlamentsdebatte über den Bundeshaushalt 1992 nicht kommen. Statt dessen wird der Bürger aus dem Munde des Bonner Kassenchefs ein weiteres Mal hören, daß die Regierung alles im Griff habe und die Finanzpolitik auf Kurs sei.
({33})
Der Finanzminister bleibt - so „Die Zeit" ein Gefangener seiner Steuerlüge vom vergangenen Jahr.
({34})
„Die Zeit" fährt fort:
Danach kostet die Einheit den Bürger ({35}) nichts, und der Bürger ({36}) kann mit einem schnellen Aufschwung rechnen. Indes: Es ist der schlimmste Fehler Waigels, in den 28 Monaten seiner Amtszeit, die Bevölkerung nicht auf die Belastungen der Einheit vorbereitet zu haben und auch jetzt noch die Haushaltsprobleme zu verdrängen.
({37})
Der andere schlimme Fehler ist, daß die Bundesregierung einfach nicht ernst macht beim Sparen. Das hat doch zuletzt das Theater in der Sommerpause um den angeblichen Subventionsabbau gezeigt. Das Ziel eines Subventionsabbaus um 10 Milliarden DM wurde weit verfehlt. Ich zitiere nur einige Zeitungskommentare. Dort heißt es: „Mogelpackung", „Augenwischerei", „Luftbuchungen" , „Flickwerk" , „Ratlose Milliardenjongleure", „Papiertigerparade", „ohne große finanzpolitische Professionalität", „Massive Buchungstricks" ,
({38})
„Mölles großer Bluff", „Subventionslüge". - Meine Damen und Herren, ich würde gar nicht wagen, solche Worte zu gebrauchen, denn es sind ja Beleidigungen, aber große Zeitungen haben das über Sie geschrieben.
({39})
Ich füge nach diesen Zeitungskommentaren hinzu: Ihre Art von Subventionsabbau ist ökonomisch unvernünftig und sozial eine Zumutung. Ich nenne nur ein ganz konkretes Beispiel: Sie wollen 560 Millionen DM bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose kürzen. Die gleichen 560 Millionen DM geben Sie aber für das sogenannte Dienstmädchenprivileg für Spitzenverdiener aus, das Sie sogar noch weiter aufstocken wollen. Warum schaffen Sie nicht das Dienstmädchenprivileg ab und helfen statt dessen den Langzeitarbeitslosen? Dann haben Sie das Geld.
({40})
Ich hoffe im übrigen auch, daß Wirtschaftsminister Möllemann seine Absicht aufgibt, bei der Kohlehilfe entgegen den bestehenden Verträgen zu kürzen. Es kann doch keine Rede davon sein, daß sich der Bergbau notwendigem Strukturwandel verschließt. Da werden doch bereits Jahr für Jahr Arbeitsplätze abgebaut. Aber der notwendige Strukturwandel darf doch nicht dazu führen, daß ganze Regionen ins Abseits geraten und bestehende Verträge ausgehebelt werden, meine Damen und Herren.
({41})
Daß die Bundesregierung in dieser Situation der öffentlichen Haushalte mit der Senkung der Vermögensteuer und der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sogar noch neue Steuervergünstigungen einführt,
({42})
schlägt dem Faß den Boden aus.
({43})
Diese neuen Steuergeschenke sind wirtschaftspolitisch unvernünftig. Mit Arbeitsplätzen hat das nichts zu tun, denn hier wird nicht das Investieren gefördert, sondern der Besitz von Vermögen und Kapital.
({44})
Auch der Mittelstand hat nichts davon.
({45})
Wegen der hohen Freibeträge sind nämlich die meisten kleinen und mittleren Unternehmen von der Gewerbekapitalsteuer befreit.
({46})
Daß sie hier erneut eine Politik zugunsten der Großunternehmen betreiben, hat mittlerweile auch die Mittelstandsvereinigung der CDU bemerkt, die mit uns zusammen gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist.
({47})
Wie auch immer man es dreht und wendet: Sie greifen der großen Masse der Bürger in die Tasche durch höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge, durch die Ergänzungsabgabe, durch die Anhebung der Mineralölsteuer, die Anhebung der Tabaksteuer, die Anhebung der Versicherungsteuer, durch die Einführung der Telefonsteuer. Da ist doch Ihre Absicht, gleichzeitig die Vermögensteuer zu senken und die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen, eine glatte Zumutung.
({48})
Meine Damen und Herren, in den Programmen aller Parteien des Bundestages steht, daß zu den großen ungelösten Problemen unserer Wirtschaftsordnung die ungleiche Einkommens-und Vermögensverteilung gehört. Ja, wie kann man denn dann auf die Idee kommen, diesen Fehler, dieses Problem noch dadurch zu verstärken, daß man die Vermögensteuer senkt?
Nein, meine Damen und Herren, die Unbelehrbarkeit, mit der diese Bundesregierung die Senkung von Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer betreibt, erschreckt mich. Wir hatten doch nach dem letzten Vermittlungsverfahren alle erwartet, daß diese Ihre Schnapsidee mittlerweile vom Tisch ist. Wir haben in unserem Lande doch wahrlich andere, dringlichere Probleme zu lösen.
({49})
Ich frage Sie: Warum widmen Sie angesichts von 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen nicht die gleiche Energie, mit der Sie dauernd die Vermögensteuersenkung wollen, der Bekämpfung der Wohnungsnot?
({50})
Oder warum setzten Sie sich nicht endlich mit der gleichen Energie für die Einführung einer Pflegeversicherung für ältere Menschen ein? Da liegen doch die Probleme.
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Herr Bundeskanzler, Sie sind zugleich Parteivorsitzender der CDU. Aber ich sage Ihnen: Eine Partei, die sich mit dieser Intensität um Steuersenkungen in Höhe von 6,4 Milliarden DM für Spitzenverdiener und Großunternehmen bemüht, gleichzeitig aber die Probleme der wachsenden Wohnungsnot und der Pflegebedürftigkeit von Millionen Menschen vernachlässigt, hat nicht mehr das Recht, sich eine Volkspartei zu nennen.
({52})
Besonders schlimm ist, daß Sie für die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die Mehrwertsteuer erhöhen wollen. Da Ihnen das so unangenehm ist - das hat ja auch Herr Geißler festgestellt, und Herr Dregger hat klargemacht, daß es auch bei Ihnen rumort - , sagen Sie, das würden Sie durch den Subventionsabbau finanzieren. Aber, meine Damen und Herren, wie soll man denn mit Luftbuchungen 6,4 Milliarden DM Steuersenkungen finanzieren? Das nimmt Ihnen doch kein Mensch ab.
({53})
Nein, Sie brauchen dazu die Anhebung der Mehrwertsteuer, und eine solche Anhebung der Mehrwertsteuer ist wirtschaftspolitisch verfehlt.
({54})
Noch vor wenigen Tagen hat Bundesbankpräsident Schlesinger die wirtschaftspolitischen Bedenken gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zusammengefaßt. Insbesondere - so führt er aus - führe ein solcher Schritt zu einem weiteren Anstieg des Preisniveaus, und davon seien auch Bund, Länder und Gemeinden als Nachfrager bei ihren Ausgaben betroffen. Deswegen bringe im Endergebnis fiskalisch die Mehrwertsteuererhöhung übrigens lange nicht das, was man sich von ihr verspreche. Darüber hinaus
werde sich eine Mehrwertsteueranhebung in höheren Lohnforderungen niederschlagen, und damit seien erneut Gefahren für die Preisstabilität verbunden. - So die ernste Besorgnis des Bundesbankpräsidenten Professor Schlesinger.
Auch die Präsidenten der Verbände von Handel und Handwerk lehnen die Mehrwertsteuererhöhung als mittelstandsfeindlich ab. Sie haben doch recht: Die Schwarzarbeit wird noch weiter zunehmen.
Schließlich trifft die Mehrwertsteuererhöhung - da können Sie herumreden, solange Sie wollen, und wen auch immer zitieren - in erster Linie die kleinen Leute, die Arbeitnehmer mit kleinem Einkommen, die Familien mit Kindern, die Rentner und die Arbeitslosen, sehr viel mehr als die Bezieher hoher und höchster Einkommen. Dabei sieht doch jeder: Die Grenze der Belastbarkeit der Mehrheit unserer Bürger mit Steuern und Abgaben ist erreicht, bei vielen schon überschritten.
Sie reden immer von Verzicht bei den Lohnerhöhungen. Das haben Sie auch heute morgen wieder gemacht, Herr Bundesfinanzminister. Ich sage Ihnen: Verzichten Sie auf die Senkung von Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer, dann können Sie, wenn Sie zusätzlich sparen, auf die Mehrwertsteueranhebung verzichten, und dann müssen nicht die Gewerkschaften das bei den Lohnerhöhungen wieder hereinholen.
({55})
Wie belastet die kleinen Leute mit Steuern sind, sieht man an Ihrer Ergänzungsabgabe. Denn diese Ergänzungsabgabe hat keine Einkommensgrenze. Das war ein großer Fehler. Schon vor der Einführung Ihrer Ergänzungsabgabe wurde in unserem Lande das Existenzminimum verfassungswidrigerweise besteuert. Schon aus diesem Grund hätte die Ergänzungsabgabe mit einer Einkommensgrenze verbunden sein müssen, damit kleine und mittlere Einkommen freigestellt werden.
Sie schließen daraus, wir hätten etwas gegen Besserverdienende. Das ist Unsinn. Es sind vor allem zwei Gründe, die dafür sprechen, daß die Bürger mit den höheren Einkommen stärker zur Finanzierung der neuen Länder beitragen.
Der eine Gedanke ist der des Lastenausgleichs. Nach dem Kriege war es selbstverständlich, daß die große und teure Aufbauleistung in erster Linie von den Bürgerinnen und Bürgern mit den starken Schultern finanziell getragen wurde. Warum soll dieser Gedanke nicht auch für die große Aufbauleistung der deutschen Einheit wieder zum Tragen kommen?
Außerdem muß daran erinnert werden, daß - das ist der zweite Grund - bei der sogenannten Steuerreform 1990 allein 10 Milliarden DM Steuersenkung an Einkommen über 100 000 DM gegangen sind. Nachdem dieses Geld fehlt - denn Sie haben die Steuern auf Pump gesenkt - , ist es nur ein Gebot der Gerechtigkeit, dieses fehlende Geld bei den hohen und höchsten Einkommen herauszuholen und nicht bei den kleinen Leuten. Bei diesen ist durch Ihr massives Steuer- und Abgabenerhöhungspaket die Belastung ohnehin zu hoch und hat die gesamte Steuerentlastung der letzten Jahre zunichte gemacht. Das renommierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat Ihnen das unter der Überschrift „Umverteilung der Einkommen von unten nach oben" im einzelnen nachgewiesen.
Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist nicht auf Kurs, allenfalls auf Schlingerkurs. Dem Finanzminister laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder, und der Kapitän - sprich: der Bundeskanzler - kümmert sich gleich gar nicht um die Staatsfinanzen. Der kleinere Koalitionspartner FDP steuert zwar kräftig mit ins Abseits, hat aber schon die Rettungsboote fest im Auge.
({56})
- Herr Faltlhauser, es ist so ermüdend, wenn Sie immer dazwischenrufen. Stellen Sie doch einfach einmal eine Zwischenfrage.
Meine Damen und Herren, wenn das Ruder nicht endlich herumgerissen wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann das Schiff der Staatsfinanzen auf ein Riff laufen wird. Was wir brauchen, ist ein Kurswechsel in der Finanzpolitik.
Unsere Alternativen liegen Punkt für Punkt auf dem Tisch:
Erstens. Statt der Schönfärberei muß ein ehrlicher Kassensturz erfolgen.
({57})
Zweitens. Die Bundesregierung muß auf ihr unsinniges Vorhaben verzichten, für Großunternehmen und Spitzenverdiener die Vermögensteuer zu senken und die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Dann stehen 6,4 Milliarden DM zur Verfügung.
({58})
Drittens. Es muß endlich ernsthaft gespart werden, statt immer wieder die Steuern zu erhöhen. Wir können uns einen Verteidigungshaushalt wie zu Zeiten des kalten Krieges nicht mehr leisten.
({59})
Viertens. Die notwendige Sparsamkeit muß auch bei geringeren Beträgen wieder zum Zuge kommen. Die kleinste Recheneinheit darf doch nicht länger die Milliarde sein. Weder brauchen wir 81 Minister und Staatssekretäre
({60})
- 81! -, noch brauchen wir 450 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Der Bundesnachrichtendienst braucht auch keine 10 Millionen DM mehr.
({61})
Außerdem brauchen wir nicht zusätzliche Millionen für die Vertriebenenverbände.
({62})
- Also, daß Sie die Geschichte - das kann ich ja verstehen - mit dem BND angesichts des Durcheinander
- ich nenne nur die Namen Schalck-Golodkowski, Strauß, März usw. - sehr ängstigt und aufregt, kann ich wohl verstehen, meine Damen und Herren. Aber deswegen brauchen die nicht mehr Geld.
({63})
Wir brauchen auch nicht zusätzliche Millionen für die Vertriebenenverbände. Auch bei den Weltraumprojekten kann abgespeckt werden. Und daß jetzt Soldaten mit 48 Jahren in den Ruhestand versetzt werden sollen, obwohl ihre Fähigkeiten an anderer Stelle im öffentlichen Dienst dringlich benötigt werden, versteht doch kein Mensch.
({64})
Meine Damen und Herren - jetzt werden vielleicht nicht viele klatschen -, für mich ganz persönlich füge ich hinzu: Mein Vorschlag, die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf 500 zu begrenzen, den ich seit langem mache, hat für mich nicht nur etwas mit der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und der Stärkung der Position des einzelnen Parlamentariers, sondern auch etwas mit Sparen zu tun.
({65})
Fünftens. Es müssen endlich Subventionen auf allen Ebenen abgebaut werden - unsere Vorschläge liegen seit langem auf dem Tisch - , vom Dienstmädchenprivileg über die Bewirtungsspesen bis zum Flugbenzinskandal. Aber, meine Damen und Herren, Subventionen müssen auch in der Europäischen Gemeinschaft abgebaut werden, bei der wir ja schließlich die Hauptzahler sind.
({66})
Dem Bürger ist nun wirklich nicht verständlich zu machen, warum mit unseren Steuergeldern aus der Europäischen Gemeinschaft 100 000 t Rindfleisch für 1 DM pro Kilo nach Brasilien exportiert werden,
({67})
obwohl die Europäische Gemeinschaft das Kilo 6 DM kostet und wir damit außerdem noch die Exportmärkte für die Dritte Welt kaputtmachen. Das ist das Schlimme, meine Damen und Herren.
({68})
Allein durch diese sehr konkreten Einsparvorschläge und den Verzicht auf die Steuersenkung bei der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer haben wir Sozialdemokraten ohne jede Steuererhöhung ein
gleich großes Finanzvolumen zur Verfügung wie die Bundesregierung mit ihrer Mehrwertsteuererhöhung.
({69})
- Herr Faltlhauser, das finde ich jetzt langsam unhöflich: entweder fragen oder ein bißchen leiser sein. Im übrigen, Herr Uldall, ist es mit den Zwischenrufen so: Erst informieren, dann nachdenken und dann erst Zwischenrufe machen.
({70})
Sechstens. Statt der Mehrwertsteuererhöhung der Bundesregierung will die SPD die Freistellung der kleineren und mittleren Einkommen von der Ergänzungsabgabe, ihre Umstellung in einen Zuschlag zur Lohn- und Einkommensteuer, so daß auch die Gemeinden und Länder davon etwas abbekommen, und ihre Befristung auf vier bis fünf Jahre - übrigens etwas, was wir vor der Bundestagswahl im Unterschied zu Ihnen alles bereits angekündigt hatten.
Siebtens. Es muß Schluß damit sein, daß man bei angeblich hehren politischen Vorhaben nicht über das Geld reden darf. Das war so beim Golfkrieg, wo Sie mit der Begründung internationaler Solidarität voreilig und zuviel überwiesen haben. Das muß auch für alle anderen Entscheidungen gelten. Mit ihrem eigenen Geld können Politiker ja umgehen, wie sie wollen, aber nicht mit dem Geld der Steuerzahler.
({71})
Achtens. Bevor man immer nach neuen Steuererhöhungen ruft, muß der Staat dafür sorgen, daß die Steuern, die ihm zustehen, auch tatsächlich hereinkommen. Eine Politik, die sehenden Auges hinnimmt, daß die Hinterziehung großer Steuerbeträge stattfindet, hat kein Recht, die ehrlichen Steuerzahler mit immer neuen Steuererhöhungen zur Kasse zu bitten.
({72})
Unser Vorschlag zur Zinsbesteuerung liegt seit zwei Jahren auf dem Tisch, nämlich die Befreiung der Millionen Normalsparer von der Zinsbesteuerung durch eine kräftige Anhebung der Sparerfreibeträge auf 3 000 DM für Alleinstehende und 6 000 DM für Verheiratete und ein Stichprobenverfahren, das das Bankgeheimnis wahrt.
Neuntens. Eine gerechte Steuerpolitik muß wieder Aufgabe der Bundesregierung sein. Es muß Schluß damit sein, Herr Finanzminister, daß die Bundesregierung zur Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten immer erst vom Bundesverfassungsgericht gezwungen wird.
({73})
Das war so beim Kindergeld, das war so bei der Zinsbesteuerung, das war so beim Finanzausgleich und in Kürze auch beim Grundfreibetrag.
Zehntens. Leere Kassen dürfen keine Ausrede sein, um notwendige Reformen zu verhindern. Ref ormpoli2998
tik muß nicht unbedingt zusätzliches Geld kosten, wenn in den öffentlichen Haushalten intelligent umgeschichtet wird. Statt der Anhebung der ungerechten Kinderfreibeträge durch diese Bundesregierung, durch die ein Spitzenverdiener fast dreimal so viel erhält wie ein Niedrigverdiener, fordern wir Sozialdemokraten ein einheitliches Kindergeld von 230 DM vom ersten Kind an. Diese Reform ist aufkommensneutral finanzierbar durch eine Ersetzung dieses sehr bürokratischen und ungerechten Systems von Kinderfreibeträgen, Kindergeld, Einkommensgrenzen und Kinderzuschlag und durch eine maßvolle Reform des Ehegattensplitting.
Meine Damen und Herren, dazu nur ein Satz: Daß nach dem geltenden Recht ein Ehepaar, auch wenn es keine Kinder hat, einen Splittingvorteil im Jahr von bis zu 22 842 DM erhält, und das jedes Jahr immer wieder, während eine Familie mit niedrigem Einkommen für ein Kind in 18 Jahren insgesamt nur eine Förderung von 21 168 DM erhält, also in 18 Jahren weniger als die Spitzenverdienerfamilie ohne Kinder in einem Jahr, das versteht doch kein Mensch. Ich fordere Sie hier auf, Herr Geißler und die Arbeitnehmervertreter: Warum machen Sie nicht endlich bei uns mit, dies zu ändern?
({74})
Wir fordern elftens als konkrete Alternative zu Ihrer Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, von der Beamte, Minister, Abgeordnete und Selbständige nicht betroffen sind, die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe, bei der die genannten Personengruppen mitbezahlen.
Zwölftens. Die Finanzpolitik muß endlich zu einer bedarfsgerechten Finanzausstattung der Länder und Gemeinden führen, die doch für die deutsche Einheit auch erhebliche finanzielle Beiträge erbringen. Es muß Schluß damit sein, daß sich die Bundesregierung selber zusätzliche Einnahmen verschafft und gleichzeitig den Ländern und Gemeinden sogar noch Steuereinnahmen wegnimmt. Die Bundesregierung muß auch ihre Zusage an die Länder für ein Sonderprogramm zur Abfederung der Streitkräftereduzierung einhalten. Daß Finanzminister Waigel die Strukturhilfe fast übergangslos streichen will, verstößt, Herr Waigel, gegen alle Absprachen. Sie wissen, daß die Strukturhilfe 1988 eingeführt wurde,
({75})
um die Länder bei den enormen Kosten Ihrer Steuersenkungspolitik zu entlasten. Wenn Sie das jetzt streichen, dann sage ich Ihnen: Dann kommt der Vorschlag wieder auf den Tisch des Hauses, daß sich der Bund endlich zur Hälfte an den Sozialhilfeausgaben der Gemeinden beteiligt.
({76})
Ich fasse zusammen: Unser Land braucht einen Kurswechsel in der Finanzpolitik. Dazu gehört ein ehrlicher Kassensturz. Dazu gehört der Verzicht auf die Senkung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer. Dazu gehört insbesondere kräftiges Sparen, damit die D-Mark nicht zu Schaden kommt. Dieser Kurswechsel ist längst überfällig. Er darf keinen Tag länger verschoben werden.
({77})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kollege Borchert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des Bundeshaushalts 1992 und der Finanzplan bis 1995 nehmen die erfolgreich praktizierte Konsolidierungspolitik der 80er Jahre wieder auf und schaffen damit gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die im Westen Deutschlands die Wachstumsaussichten stabiliseren und im Osten Deutschlands den Aufschwung einleiten und ermöglichen.
Die Haushaltspolitik ist durch folgende Punkte gekennzeichnet:
Erstens. In den Jahren 1990 und 1991 wurden die notwendigen Vorleistungen erbracht, um den Umbruch im Osten unseres Vaterlandes von der sozialistischen Planwirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft zu realisieren. Die Grenze des durch die öffentliche Hand, insbesondere durch den Bund, Machbaren ist aber erreicht. Jede weitere Ausdehnung des Ausgabevolumens gefährdet das Wirtschaftswachstum.
Zweitens. Die vorübergehende Erhöhung der Abgabenbelastung ist nur dann wachstumsunschädlich, wenn im mittelfristigen Zeitraum eine Reduzierung vorgenommen wird. Deshalb hält die CDU/CSU-Fraktion an den gefaßten Beschlüssen fest, den Solidaritätszuschlag zum 30. Juni 1992 auslaufen zu lassen und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 1992 zu senken.
Drittens. Die Vorstellung, alle Altlasten der ehemaligen DDR werden sozialisiert, d. h. vor der Tür des Staates abgeladen, die Vorteile jedoch privatisiert, muß die öffentliche Hand auf Dauer überfordern. Alle am Wirtschaftsprozeß Beteiligten müssen bei ihren Entscheidungen die eingetretenen veränderten Rahmenbedingungen in Deutschland berücksichtigen, auch die Tarifpartner. Die Tarifpolitik ist von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Wachstumschancen in den neuen, aber auch in den alten Bundesländern.
Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik der vergangenen zwei Jahre stand ganz im Zeichen der Wiedervereinigung. Vieles mußte rasch umgesetzt werden. Das Tempo der Politik wurde durch die Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses in Deutschland bestimmt und nicht umgekehrt.
Heute haben alle erkannt, daß dieses Tempo richtig war und daß Bundeskanzler Helmut Kohl die Chance zur Wiedervereinigung entschlossen wahrgenommen hat.
({0})
Ich frage: Wie sähe es heute aus, wenn der Bundeskanzler die Chancen nicht so entschlossen wahrgenommen hätte?
Während die monetäre Integration Ostdeutschlands rasch vorangeschritten ist und vergleichsweise reibungslos ablief, sind die realwirtschaftlichen Anpassungsprozesse mit ihren schmerzhaften Folgen bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Beseitigung der Altlasten einer 40jährigen sozialistischen Mißwirtschaft und die abrupte Umstellung der ostdeutschen Wirtschaft von einem weitgehend geschlossenen Zentralverwaltungssystem auf eine Soziale Marktwirtschaft, die der internationalen Konkurrenz voll ausgesetzt ist, erfordern Zeit.
Ziele der Haushalts- und Steuerpolitik dieser beiden Jahre waren es deshalb, die unvermeidlichen Anpassungsprobleme, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, durch Transferzahlungen sozial abzufedern. Außerdem wurden umfangreiche staatliche Hilfen beschlossen, um einen Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern in Gang zu bringen.
Für die öffentlichen Haushalte bedeutet das eine außergewöhnliche Belastung. Das Resultat war eine sprunghafte Zunahme der Staatsausgaben, ohne daß durch den erfolgten Gebiets- und Bevölkerungszuwachs das Bruttosozialprodukt entsprechend zugenommen hat. Nimmt man Bund, Länder und Gemeinden zusammen, so wird die sogenannte Staatsquote - der Anteil der Ausgaben der Gebietskörperschaften am Bruttosozialprodukt - 1991 über 50 % liegen, eine Quote, die bereits 1982 - allerdings bei ganz anderen wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen - erreicht worden ist.
1989 lag dieser Anteil dank unserer Konsolidierungspolitik wieder bei 45 %. Wir sind aber noch weit von dem Wert von 1969 entfernt gewesen, als er bei 39 % lag. Eine Erhöhung des Staatsanteils von 39 auf über 50 % war das Ergebnis der Politik der SPD in den 70er Jahren.
({1})
Wer aus der jetzigen Konstellation - der Anteil der Ausgaben des Staates am Bruttosozialprodukt wird 1991 voraussichtlich so hoch sein, wie er 1982 war - den Schluß zieht, die wirtschaftliche Situation heute sei mit der von 1982 vergleichbar, nimmt aber die objektiv feststellbaren Fakten nicht zur Kenntnis. Die Opposition tut dies, obgleich sie weiß, daß gravierende Unterschiede bestehen. Die desolate wirtschaftliche Situation zu Beginn der 80er Jahre war die logische Folge einer verfehlten Haushalts- und Steuerpolitik sozialdemokratischer Bundeskanzler und ihrer Finanzminister.
({2})
Die Rede von Frau Matthäus-Maier heute zeigt, daß die SPD aus den Fehlern von damals bis heute nichts gelernt hat.
({3})
In den 70er Jahren lautete in der Wirtschaftspolitik die Devise: die Belastbarkeit der Wirtschaft testen. Die sozialdemokratischen Bundeskanzler sind an dieser Politik gescheitert. Letztlich konnten die sozialistischen Versprechen nicht mehr bezahlt werden. Auch die SPD mußte lernen: Man kann jeden Kuchen nur einmal essen.
Heute wie damals verpackt die SPD diese Politik in die auf den ersten Blick populäre These: Die Starken sollen mehr schultern als die Schwachen. Dabei läßt die SPD aber offen, wen sie selbst zu welcher Gruppe rechnet.
({4})
In der Opposition fordert die SPD, die Schwachen zu entlasten. Aber was macht sie in den Bundesländern, wo sie in der Regierung ist? In Nordrhein-Westfalen will die SPD auf Kosten der Schwächsten, auf Kosten der Behinderten und Gebrechlichen sparen. Nordrhein-Westfalen will das Betreuungsgesetz, das am 1. Januar 1992 in Kraft treten sollte, fünf Jahre auf Eis legen.
({5})
Der SPD-Finanzminister bereitet eine entsprechende Initiative im Bundesrat vor.
({6})
Das neue Gesetz regelt die sogenannte Entmündigung und betrifft Menschen, die unter Vormundschaft und Pflege stehen. Das kostet Geld. Aber dieses Geld will die SPD auf Kosten der Schwächsten sparen. Und diese - wie eine Zeitung schreibt - ,,Unsozialdemokraten" wollen uns vorwerfen, wir würden die schwachen Schultern belasten!
({7})
Die 70er Jahre haben gezeigt, daß dauerhafte Solidarität nur möglich ist, wenn die Haushalts- und Steuerpolitik solche gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen schafft, die wirtschaftliches Wachstum ermöglichen; denn erst Wachstum schafft und sichert Wohlstand.
Die Politik der SPD in den 70er Jahren brachte das genaue Gegenteil. Das reale Bruttosozialprodukt schrumpfte, die Beschäftigung sank, die Arbeitslosenzahlen stiegen, die Preise explodierten, und die Investitionen kamen praktisch zum Erliegen.
Sozusagen als Spiegelbild zum schrumpfenden privaten Sektor unserer Volkswirtschaft explodierte aber damals der Staatssektor. Der Staatsanteil stieg auf über 50 %. Die öffentlichen Ausgaben wuchsen im Jahresdurchschnitt um fast 9 %. Das Defizit der öffentlichen Hand erreichte 1981 mit 76 Milliarden DM eine neue Rekordmarke. Der Anteil der Neuverschuldung am Bruttosozialprodukt kletterte auf über 5 %. Gleichzeitig hat es die SPD damals nicht versäumt, die Steuern mehr als zwanzigmal zu erhöhen.
({8})
Das ist die kurzgefaßte Chronik der Mißerfolge der einzigen sozialdemokratisch geprägten Zeitepoche in
der Geschichte der Bundesrepublik. Wir werden alles tun, daß es bei dieser einmaligen Epoche bleibt.
({9})
Das es dabei bleibt, spricht sich auch in Ihren Reihen herum. Denn nicht umsonst hat der Ministerpräsident von Brandenburg, Herr Stolpe, darauf hingewiesen, daß dank der erfolgreichen Politik Helmut Kohl auch 1994 die Wahl gewinnen wird.
({10}) Zumindest an dieser Stelle hat Herr Stolpe recht.
({11})
Verteilungspolitik verliert in einer Sozialen Marktwirtschaft ihren Handlungsspielraum dann, wenn die Starken, durch deren Arbeit die Hilfe erst möglich wird, die Lust an der Arbeit verlieren. Verteilungspolitik mit einem hohen Grad an Zustimmung ist deshalb nur möglich, wenn nur ein Teil des wirtschaftlichen Zuwachses verteilt wird und gleichzeitig der andere Teil denen verbleibt, die maßgeblich für den wirtschaftlichen Aufschwung verantwortlich sind. Das sind nicht die Millionäre, meine Damen und Herren von der SPD. Das sind in unserer Sozialen Marktwirtschaft vor allem die Facharbeiter, die Handwerker und die Freiberufler.
Die Akzeptanz für Verteilungspolitik wird darüber hinaus aber auch dadurch bestimmt, daß die Leistungen, die den Schwachen zufließen, sowohl nach oben als auch nach unten als angemessen empfunden werden.
({12})
1982 mit der Regierungsübernahme durch Bundeskanzler Helmut Kohl kehrte in der Haushalts-, Finanz- nd Steuerpolitik eine Wende ein. Angesichts der Hinterlassenschaft der SPD war die Konsolidierung der Staatsfinanzen, d. h. die Rückführung der Staats- nd Abgabenquote und die Verringerung der Defizite, die vordringlichste Aufgabe. Von 1982 bis 1989 hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung dabei gute Arbeit geleistet. Das Wachstum der öffentlichen Ausgaben wurde drastisch beschränkt. Der Bund war mit etwa 2,5 % ein Vorbild. Das Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte wurde von 76 Milliarden DM auf 26 Milliarden DM 1989 zurückgeführt. Die Zinsquote blieb in etwa konstant. Die Staatsquote sank um über 5 Prozentpunkte. Gleichzeitig wurden die Steuern in drei Stufen um rund 50 Milliarden DM vermindert.
Das Ergebnis waren gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen wie aus dem volkswirtschaftlichen Lehrbuch mit dem Erfolg, daß die Wirtschaft wieder wuchs. Die reale Zunahme des Bruttosozialprodukts betrug im Jahresdurchschnitt knapp 3 %; die Zahl der Beschäftigten stieg; die Zahl der Arbeitlosen sank. Gleichzeitig blieben die Preise stabil; die Bruttoanlageinvestitionen nahmen zu. Die Steuereinnahmen stiegen, im wesentlichen wachstumsbedingt, trotz der Steuerreform in Höhe von 50 Milliarden DM von
379 Milliarden DM im Jahre 1982 auf 535 Milliarden DM im Jahre 1989.
({13})
- Aber natürlich.
Durch die solide Haushalts- und Steuerpolitik der Bundesregierung in den 80er Jahren war Deutschland auf die Wiedervereinigung bestens vorbereitet. Aber die deutsche Wiedervereinigung schaffte einen immensen Finanzbedarf. Für eine kurze Übergangszeit ist die Finanzierung dieser zusätzlichen Ausgaben über eine höhere Nettokreditaufnahme vertretbar. Das galt für 1990, und das gilt, wenn auch in abgeschwächter Form, auch für dieses Jahr.
Defizite in dieser Größenordnung können auf längere Sicht nicht aufrecht erhalten werden, ohne daß daraus Risiken für die innere Stabilität der D-Mark und letzten Endes Risiken für das wirtschaftliche Wachstum insgesamt entstehen. Dies ist auch die Einschätzung der Deutschen Bundesbank. Die Erhöhung der Leitzinsen signalisiert: Die Bundesbank wird alles tun, damit die D-Mark ihren Wert behält. Die Politik muß ihrerseits alles tun, um die Bundesbank auf diesem Weg zu unterstützen.
Die Bundesregierung stellt mit diesem Haushalt die Weichen in diese Richtung. Zeitlich befristet, für ein Jahr, wird ein Solidaritätsbeitrag auf die Einkommensteuer erhoben. Dieser Beitrag dient maßgeblich dazu, die Nettokreditaufnahme des Bundes in diesem und im nächsten Jahr auf ein gesamtwirtschaftlich vertretbares Maß zu begrenzen. Dieser für ein Jahr erhobene Solidaritätsbeitrag hat nur begrenzte konjunkturdämpfende Impulse. Infolge der Gewißheit, daß der Solidarbeitrag am 30. Juni 1992 ausläuft, werden die langfristig angelegten Investitionsentscheidungen der Unternehmer nicht wesentlich berührt.
({14})
Genau aus diesem Grund ist es unverantwortlich, wenn die Opposition den Eindruck zu erwecken versucht, wir würden diesen Beschluß revidieren.
Was die Bürger von einer SPD-geführten Bundesregierung erwarten können, das wissen wir: Steuererhöhungen und die Festschreibung des Solidaritätsbeitrages. Wenn man sich die verschiedenen Initiativen der SPD in bezug auf Steuererhöhungen ansieht, dann stellt man fest, daß der SPD in den vergangenen Jahren außer ständig neuen Vorschlägen für Steuererhöhungen kaum etwas Neues eingefallen ist. Beim fünfzigsten Steuererhöhungsplan habe ich aufgehört, weiter mitzuzählen. Die SPD ist und bleibt die Steuererhöhungspartei Deutschlands.
({15})
Ihre Steuererhöhungsvorschläge würden das Wachstumin den alten Bundesländern ernsthaft gefährden. Wir werden dies verhindern.
Wir werden gleichzeitig die Ausgaben im Bundeshaushalt begrenzen. Bis 1995 sollen die Ausgaben
lediglich um 2,3 % zunehmen. Damit liegen die Ausgabensteigerungen deutlich unter dem erwarteten Wachstum des Bruttosozialprodukts. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, da wir alle wissen, daß Ausgeben immer leichter fällt als Sparen.
,Dies zeigt sich auch an den Vorschlägen der SPD. Während hier kritisiert wird, wir würden nicht deutlich genug sparen, fordert gleichzeitig die Forschungsexpertin der SPD eine deutliche Erhöhung des Forschungsetats ({16})
jeder so, wie es gerade eine betreffende Gruppe hören will: mal sparen, mal neu fordern.
({17})
Mit der strikten Begrenzung der staatlichen Ausgaben schaffen wir die Voraussetzungen für den Abbau der Haushaltsdefizite. Dies ist eine schwierige Aufgabe. Aber wir werden es wie in der Vergangenheit schaffen. Wir haben dabei in der Vergangenheit in allen Bereichen, auch im Verteidigungshaushalt, verantwortlich gekürzt. Dieser Haushalt ist solide finanziert. Wir haben ausreichend Vorsorge für mögliche Risiken getroffen.
Aber es ist ja nicht neu, wenn die SPD auch heute wieder die Risiken herausstellt und kritisiert, wir hätten unzureichend Vorsorge getroffen.
({18})
Seit der Regierungsübernahme 1982 hören wir dieses Lied in jedem Jahr. In jedem Jahr erklärt die SPD, die Risiken seien im Haushalt nicht ausreichend berücksichtigt, und der Haushalt sei so nicht finanzierbar. In jedem Jahr sind die Ist-Zahlen deutlich unter den SollZahlen.
({19})
Eigentlich müßte die SPD seit 1983 daraus gelernt haben, daß jeder Haushalt solide finanziert war und daß auch in den schwierigen Jahren 1990 und 1991 die Ist-Zahlen deutlich unter den Soll-Zahlen bleiben.
({20})
Aber ich habe es heute aufgegeben, an die Lernfähigkeit der SPD zu glauben.
({21})
Die einigungsbedingten Lasten trägt zur Zeit im wesentlichen der Bund. Von 1990 bis 1995 errechnet sich die Belastung des Bundes auf rund 370 Milliarden DM. Die alten Bundesländer tragen eine Last von gut 50 Milliarden DM. Die Belastung des Bundes beträgt somit ein Vielfaches.
Ich will diesen Zustand nicht beklagen. Der Bund ist verantwortlich für die Schaffung annähernd gleicher Lebensverhältnisse in Deutschland. Nur, die Belastbarkeit des Bundeshaushalts hat ihre gesamtwirtschaftlichen Grenzen. Wie verheerend die Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft sind, wenn
der Bund auf Dauer über seine Verhältnisse lebt, haben die 70er Jahre gezeigt.
({22})
Da aber Bund, Länder und Gemeinden im volkswirtschaftlichen Kreislauf eine Einheit darstellen, muß der Sparwille bei allen öffentlichen Haushalten durchgesetzt werden.
({23})
Der Bund wird mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf und dem verabschiedeten Finanzplan seiner Vorbildfunktion gerecht. Würde man rechnerisch den Bundeshaushalt um die einigungsbedingten Ausgaben und Einnahmen bereinigen, so läge der jahresdurchschnittliche Zuwachs unter 1 %. Die Nettokreditaufnahme würde deutlich sinken; sie läge bei etwa 5 Milliarden DM.
Die konsequente Ausgabenbegrenzung ist auch eine Aufgabe für alle Bundesländer. Ich meine, insbesondere die alten Bundesländer würden mit einer konsequenten Ausgabenbegrenzung einen substantiellen Beitrag zum Aufschwung in den neuen Bundesländern leisten.
Was aber geschieht in den alten Bundesländern? In Niedersachsen z. B. wird im kleinen die SPD-Politik der 70er Jahre wiederholt. Die Ausgaben des Landeshaushalts steigen in diesem Jahr um rund 9 %.
({24})
Das Defizit im Landeshaushalt beträgt 7 % der Ausgaben. In Hessen, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein, überall dort liegen die Ausgabenzuwachsraten deutlich über dem im Finanzplanungsrat gemeinsam festgelegten Zielwert von 3 %
({25})
und dies ohne tiefgreifende Belastungen durch die Wiedervereinigung. Ist dies der Beitrag der SPD-regierten Länder zum Aufbau in den neuen Bundesländern? Ich finde, diese Politik ist zutiefst unsolidarisch.
({26})
Die SPD-Ministerpräsidenten wissen genau, daß diese Ausgabenexplosion nur auf Kosten privater Investitionen und auf Grund höherer Steuern und Preise finanzierbar ist. Die CDU/CSU-Fraktion fordert deshalb die Bundesregierung auf, bei den im Herbst zu führenden Gesprächen über die Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern hart zu bleiben.
Dazu gehört, daß die Mittel aus dem Strukturhilfegesetz, die allein den alten Bundesländern außer Hessen und Baden-Württemberg zufließen, ab 1992 ersatzlos gestrichen werden.
({27})
Frau Matthäus-Maier hat dies kritisiert. Zu diesem Konflikt schreibt heute eine Zeitung - ich will es gern zitieren - :
({28}) hat Waigel zwar die politisch stichhaltigeren Argumente,
({29})
am längeren Hebel aber sitzen diejenigen, die rund ein Jahr nach der deutschen Einigung immer noch in einer geradezu beschämenden Weise um jede Mark Finanzzuweisungen feilschen. In diesem Zusammenhang sogar von einer „finanzpolitischen Kriegserklärung" ({30}) des Bundes zu sprechen, ist ein einzigartiger Affront für die von schweren Finanznöten gebeutelten neuen Länder und zeugt von einem politischen Fingerspitzengefühl, das man allenfalls einem Elefanten zutrauen würde.
So weit die „Süddeutsche Zeitung" vom heutigen Tag. Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen.
({31})
Es bedarf wohl keiner zusätzlichen Expertisen, um festzustellen,
({32})
daß die strukturschwachen Gebiete im Osten Deutschlands liegen. Auch die Aussage der Finanzministerin von Schleswig-Holstein: „Die Schwachen können nicht den Schwachen helfen! " kann doch an dieser Tatsache nichts ändern: Durch die Wiedervereinigung Deutschlands ist die Trennungslinie zwischen arm und reich, zwischen Schwachen und Starken, verändert worden. Gehörte in der alten Bundesrepublik Schleswig-Holstein zu den finanzschwachsen Ländern, so gehört heute Schleswig-Holstein in dem wiedervereinigten Deutschland zu den Starken, die sich an der Finanzierung beteiligen müssen.
({33})
Das müssen auch die Finanzministerin des Landes Schleswig-Holstein und der Ministerpräsident zur Kenntnis nehmen.
Zur Frage, ob es denen bessergeht: Herr Kollege, wollen Sie die Frage der Belastung der Wiedervereinigung immer mit der Frage beantworten: Geht es denen besser? Wenn wir nicht alle gemeinsam bereit sind, Lasten zu übernehmen, dann wird die innere Wiedervereinigung an einer solchen Frage sicher scheitern.
({34})
Der Bundesfinanzminister hat einen Sparhaushalt mit einer Steigerung der Ausgaben um 3 % vorgelegt. Gegenüber dem Vorjahr liegt der Zuwachs unter der prognostizierten Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts.
Herr Kollege Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Herr Kollege Borchert, mein Zwischenruf eben ist im allgemeinen Lärmgetümmel hier wohl nicht richtig verstanden worden. Ich will ihn daher präzisieren: Glauben Sie, daß die Einnahmesituation von Schleswig-Holstein heute besser ist, als sie es vor zwei Jahren war, nur weil dieses Land nicht mehr am Ende der Skala steht, sondern einen Mittelfeldplatz einnimmt, weil es schlechtere gibt?
Nein, aber ich habe deutlich gesagt, daß die Trennungslinie zwischen denen, die helfen können, und denen, denen geholfen werden muß, durch die Wiedervereinigung neu gezogen worden ist. Wer vor der Wiedervereinigung am Ende der Rangskala lag, liegt heute in der Mitte. Für Schleswig-Holstein bedeutet dies, daß es nicht Forderungen an andere hat, sondern selber mit helfen muß.
({0})
Die wichtigste Forderung an die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die verbessert werden müssen, ist mit der Vorlage des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung erfüllt worden. Beim Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen wurde mit dem Haushalt 1992 ein weiterer Schritt getan. 1990 und 1991 wurden erste Schritte vollzogen. Mit diesem Haushalt werden die Maßnahmen fortgesetzt und erweitert.
Wer gegenüber der Regierungsvorlage Änderungen wünscht, kann dies nur mit Aussicht auf Erfolg vertreten, wenn er gleichzeitig Finanzierungsvorschläge mitliefert.
({1})
Die Koalitionsfraktionen sind in der Frage des Abbaus der Subventionen und Steuervergünstigungen nicht auseinanderzudividieren;
({2})
anders, als dies bei der SPD geschieht. In Bonn fordert die SPD Sparen, in den Ländern und Gemeinden aber fordert sie neue zusätzliche Ausgaben.
({3})
Die Widersprüche der SPD werden immer größer, nicht nur in diesem Bereich. Bei den notwendigen Hilfen gegenüber Osteuropa fordert der wirtschaftspolitische Sprecher Wolfgang Roth ein internationales Hilfsprogramm von mehr als 100 Milliarden DM.
({4})
- Ich habe „international" gesagt, Herr Vogel.
- Nur, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Rudi Walther, erklärt gleichzeitig, die Sowjetunion sei ein Faß ohne Boden, d. h. man sollte Hilfe unterlassen.
In der Steuerfrage ist die SPD zerstritten.
({5})
- Wir sind nicht zerstritten.
({6})
Beide Koalitionsfraktionen sind sich in der Frage völlig einig, während sich im Gegensatz dazu bei Ihnen etwa der Ministerpräsident Lafontaine und die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion zusammenfinden - ein ungewohntes Bild. Ministerpräsident Schröder, aber auch andere Ministerpräsidenten halten dagegen in der Frage der Mehrwertsteuererhöhung wenig von einer harten Konfrontation.
({7})
Der Parteivorsitzende Engholm wartet ab; ein klares Profil ist auch nach der Meldung von gestern nicht zu erkennen.
({8})
Die Rolle der Opposition, meine Damen und Herren, ist schwieriger geworden, seitdem die SPD-geführten Länder im Bundesrat die Mehrheit haben. Allein Neinsagen reicht nicht mehr aus. Gefordert ist von der SPD jetzt Oppositionspolitik in nationaler Verantwortung, eine reine Barackenideologie reicht heute nicht mehr.
({9})
Nicht nur die Haushaltspolitik kann hier beispielhaft erwähnt werden. Auch in den Fragen des Asylrechts haben gestandene SPD-Kommunalpolitiker eine den Realitäten näherstehende Auffassung als die Spitzen von Fraktion und Partei.
Sparsamkeit ist auch noch aus einem anderen Grunde gefordert. Durch die Vereinigung Deutschlands haben der Bund, die Länder und die Kommunen Verpflichtungen aus der Konkursmasse der alten DDR übernommen, die wir alle gemeinsam zu tragen haben. Im Einigungsvertrag sind zur Abwicklung dieser Altlasten bestimmte Fonds vorgesehen: der Fonds Deutsche Einheit, der Kreditabwicklungsfonds und die Treuhandanstalt. Diese drei Fonds haben klar definierte Aufgaben - Aufgaben, die völlig außerhalb des bisher üblichen Rahmens staatlicher Aufgaben liegen.
Die Wiedervereinigung Deutschlands ist ein historisch einmaliger Vorgang. Deswegen brauchen wir heute Sonderregelungen. Politisch wichtig für das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger ist aber, daß diese Fonds einer permanenten politischen Kontrolle unterliegen.
Die entscheidende Frage der Haushalts- und Finanzpolitik ist, ob der Kapitalmarkt die Kreditnachfrage ohne Zinssteigerungen und ohne Gefahr für die Stabilität der D-Mark verkraften kann. Bisher absorbiert der Kapitalmarkt die Kreditnachfrage - die private wie die öffentliche - ohne große Zinssprünge. Unser Kapitalmarkt ist leistungsfähig. Im vergangenen Jahr bildeten die inländischen nichtfinanziellen Sektoren in den alten Bundesländern mit gut 430 Milliarden DM rund 115 Milliarden DM mehr Geldvermögen als ein Jahr zuvor.
Das Vertrauen in die D-Mark ist groß, nur dürfen wir dieses Vertrauen nicht überfordern. Deshalb ist es
notwendig, dem Kapitalmarkt durch die Haushaltspolitik zu signalisieren: Im mittelfristigen Zeitraum werden wir die Defizite deutlich reduzieren. Die schnelle Rückführung der Defizite im Bundeshaushalt ist in den nächsten Jahren die wichtigste, aber auch schwierigste Aufgabe der Haushalts- und Finanzpolitik.
Die Konjunkturprognosen für die Wirtschaft im Westen Deutschlands sind zur Zeit ambivalent. Um so wichtiger ist es, daß der Staat seine in der Haushaltsund Steuerpolitik festgelegten Eckwerte einhält. Das schafft Vertrauen - Vertrauen, das notwendig ist, um eine mögliche Gefährdung der Konjunktur zu verhindern.
Die Zeichen im Osten, in den neuen Bundesländern, stehen dagegen gut. Die Schlagzeilen lauten: Im Osten geht es aufwärts! Konjunkturmotor Bauwirtschaft springt an! Im Dienstleistungssektor und in Teilen des Handwerks ist eine kräftige Expansion zu erkennen. Im März 1991 sind in den neu gegründeten Betrieben bereits rund 600 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Treuhandanstalt hat rund 3 000 Betriebe privatisiert. Das Ifo-Institut sieht Licht am Ende des Tunnels, genauso wie die Deutsche Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht. Das RWI berichtet positiv über die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern. Alles spricht dafür, daß durch die Haushalts- und Steuerpolitik die richtige Strategie eingeschlagen wurde.
Untrennbar verbunden mit dieser Strategie ist jedoch, die mittelfristige Konsolidierungsphase bei den öffentlichen Haushalten konsequent durchzuhalten. Diese Erfolgsmeldungen in den neuen Bundesländern haben heute schon Herrn Stolpe zu der richtigen Einsicht geführt, daß Helmut Kohl, daß die Koalitionsfraktionen die Bundestagswahl 1994 gewinnen werden.
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Je schneller der Aufschwung im Osten gelingt, desto früher wird sich die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in den Büchern von Bund, Ländern und Gemeinden niederschlagen. Die Sozialtransfers reduzieren sich, die Einnahmen erhöhen sich. Dies ist die Erwartung, die Prognose; dies ist noch nicht Realität.
Die Politik darf aber in dieser Lage nicht der Versuchung erliegen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Damit hier keine falschen Erwartungen aufkommen: Zukünftig entstehende Handlungsspielräume stehen grundsätzlich nur zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zur Verfügung. Der Haushaltsentwurf 1992 und der Finanzplan bis 1995
({11})
setzen die richtigen gesamtwirtschaftlichen Signale. Der Bund erfüllt damit seine Vorbildfunktion für die anderen Gebietskörperschaften.
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- Gucken Sie sich die Länderhaushalte an, dann werden Sie mir zustimmen!
Ziel der Haushaltsberatungen wird es sein, das Ausgabenvolumen durch weitere Einsparungen zu reduzieren, kurzfristig notwendige zusätzliche Ausgaben durch Umschichtungen zu finanzieren und damit letztlich die Kreditaufnahme weiter zu senken.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.
Herr Präsident, auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 60. Geburtstag.
Meine Damen und Herren! Nach Ende der Parlamentsferien können sich jetzt die Sommerlochfüller aller Couleur wieder in ihre tatsächliche Bedeutungslosigkeit zurückziehen. Fahrradsteuer, Luxussteuer, Hundesteuer nach Hubraum oder Beißkraft, das alles gehört jetzt in die Sommerlochvergangenheit. Das Parlament nimmt mit der heutigen Debatte seine Sacharbeit wieder auf und seine Aufgaben wieder wahr.
Wir beraten in erster Lesung den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 1992, den das Bundeskabinett am 10. Juli verabschiedet hat und der sich in den Rahmen der finanzpolitischen Vorgaben der Koalition, die wir im Zusammenhang mit der deutschen Einigung definiert haben, einfügt.
Das ins Auge gefaßte Wachstum der Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 3 % auf ein Volumen von ca. 422 Milliarden DM ist maßvoll. Ich darf hier sagen: Der Herr Kollege Borchert hat an dieser Stelle ganz besonders recht gehabt. Wer die Ausgabenseite der Haushalte ansieht, der sieht, wo tatsächlich geordnete Finanzpolitik stattfindet. Da scheut der Bundeshaushalt keinen Vergleich mit irgendeinem anderen Etat.
({0})
Die Kollegin Matthäus-Maier hatte übrigens nur an einer einzigen Stelle recht. Die Geschichte mit dem Export von Rindfleisch nach Brasilien spottet wirklich jeder Beschreibung.
Die Nettokreditaufnahme soll unter 50 Milliarden DM sinken, und der Finanzplan weist auch die vorgesehene weitere Rückführung der Nettoneuverschuldung auf.
Alles bestens? Leider nein. Denn die Gesamtsituation ist schwieriger, als es der Etatentwurf deutlich macht.
({1})
Spielräume sowohl bezüglich möglicher Risikoabsicherung als auch bezüglich politischer Handlungsfähigkeit sind außerordentlich klein geworden. Es ist eigentlich schade, daß die Bundesregierung die Chance notwendiger struktureller Veränderungen
- mehr Privatisierung und mehr Deregulierung - nicht im wünschenswerten Umfang genutzt hat. Wir hatten das in der Koalitionsvereinbarung noch festgelegt. Aber an dieser Stelle ruht der See leider etwas
- sicherlich auch wegen Arbeitsüberlastung, aber nicht nur. Es wäre, meine Damen und Herren, schon
wünschenswert gewesen, wenn in den neuen Bundesländern in der Frage privaten Handelns eine echte Vorreiterrolle unterstützt und finanziert oder hierbei geholfen worden wäre. Das ist, wie gesagt, bisher nicht in wünschenswertem Umfang in Gang gekommen.
({2})
Zusätzlich machen aber Entwicklungen außerhalb unserer Grenzen deutlich, daß die Anforderungen erheblich steigen könnten. Die Gratwanderung zwischen dem finanz- und auch wirtschaftspolitisch Vertretbaren und den unabweisbaren Notwendigkeiten wird immer schwieriger. Unser Bundesvorsitzender, Graf Lambsdorff, hat dankenswerterweise zu einem frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, daß sich die FDP der Verantwortung stellt, dieser Herausforderung gerecht zu werden, aber daß auch die Verantwortung der anderen, der Partner, angemahnt wird.
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Bequem ist es in dieser Situation nicht, Bundesfinanzminister und in dieser Eigenschaft federführend und für die Finanzlage hauptverantwortlich zu sein. Theo Waigel ist hierum also nicht zu beneiden. Trotzdem muß es unsere Aufgabe sein, ihn immer und immer wieder dazu aufzufordern, das praktische politische Handeln der Regierung in jedem Punkt der erkannten Problemlage anzupassen und entsprechend zu gestalten.
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- Möllemann kommt noch, Herr Kollege. Ich kann nicht immer alle von uns loben, die gut sind,
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aber ein paar schon. Sie können durchaus damit rechnen, daß Möllemann noch kommt.
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- Persönlich kommt er sicher auch irgendwann.
Der Finanzminister hat dafür nicht immer die wünschenswerte Hilfe. Es ist schade, daß selbst in der jetzigen Sondersituation fast kein Politikbereich davon Abstand nimmt, erfolgreiches Handeln durch Erhöhung von Ausgaben dokumentieren zu wollen. Dieser Satz ist auch als ein Appell an die Kollegen in den Fachausschüssen zu verstehen. Wir haben während der Beratung im Haushaltsausschuß - wenn ich mich recht erinnere - noch nie kostensparende Vorschläge von den Kollegen aus den Fachausschüssen bekommen, sondern es sind eigentlich fast immer dicke Bündel zusätzlicher Ausgabenwünsche zu uns gekommen. Vielleicht könnte man in der Sondersituation des Jahres 1991 und mit Blick auf das Jahr 1992 zurückhaltender sein.
Eine rühmliche Ausnahme - das ist ja von der SPD schon angemahnt worden - kann eigentlich nur der
Dr. Wolfgang Weng ({7})
Bundeswirtschaftsminister Möllemann für sich in Anspruch nehmen.
({8})
Sein vehementes Eintreten für die Reduzierung von Subventionen hat nicht nur einen deutlichen Einsparerfolg erbracht, sondern auch das öffentliche Bewußtsein für die Notwendigkeit des Subventionsabbaus wieder geschärft.
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Die Bereitschaft zu konsequenter Sparsamkeit scheint schon wieder ein wenig zu sinken. Deshalb muß die Forderung erfüllt werden, daß wenigstens das Volumen des vom Kabinett beschlossenen Subventionsabbaus unverändert bleibt, auch wenn einzelne Maßnahmen nach erneuter Überprüfung nicht wie geplant vollzogen werden können. Die Debatte in den Fraktionen hierüber ist ja, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.
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In der Frage der Finanzpolitik können wir im Augenblick das Verhalten anderer Gebietskörperschaften nicht unerwähnt lassen, weil das, was die Bundesbank gesagt hat, ja für alle öffentlichen Haushalte insgesamt gilt. Ich stelle heute erneut fest, daß das Verhalten des Bundes wesentlich besser ist als das der alten Bundesländer und daß sich ein Teil der Gebietskörperschaften, nämlich die wohlhabenden Gemeinden in der alten Bundesrepublik, außerordentlich rücksichtslos verhält. Meine Damen und Herren, nicht alle Gemeinden in der alten Bundesrepublik sind wohlhabend - das weiß ich auch - , aber unter dem Mantel, daß es einigen eben nicht gutgeht, verhalten sich andere, denen es gutgeht, gesamtwirtschaftlich wirklich rücksichtslos. Ich kann nicht verstehen, warum vielerorts für eine gewisse Zeit nicht die gebotene Zurückhaltung bei öffentlichem Konsum, aber auch bei öffentlichen Investitionen, oft mit entsprechenden Folgelasten, geübt wird. Beim Studium von Gemeinderatsbeschlüssen hat man manchmal den Eindruck, daß dort gerade jetzt die Stimmung aufkommt, es müsse besonders hektisch gehandelt werden.
Leider ist gerade dort das von mir vorhin erwähnte Signal der Deutschen Bundesbank nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Bundesbank wollte mit ihrem Warnschuß, einer Gott sei Dank leichten Erhöhung der Leitzinsen, ja gerade verhindern, daß einerseits die Inflationsschraube weitergedreht wird - die Inflation in diesem Jahr ist, das sei zugegeben, auch durch die Steuererhöhungen verursacht worden -, aber sie wollte andererseits darauf hinwirken, daß sich die auf Grund ihrer Schulden zinsabhängigen öffentlichen Haushalte hin zu einer sparsameren Ausgabenpolitik bewegen. Wir fordern insbesondere die angesprochenen Kommunen zu mehr gesamtstaatlicher Verantwortung auf.
Die FDP-Fraktion bleibt bei der Meinung, daß die Geldwertstabilität für die Wohlfahrt unserer Bürger von allererster Bedeutung ist. Sie wird ihre Politik auch weiterhin in konsequenter Anlehnung an die Vorgaben der Deutschen Bundesbank gestalten. Es wäre unvorstellbar, welche zusätzlichen Probleme bewältigt werden müßten, wenn das internationale Vertrauen in die Stabilität der Deutschen Mark und damit in unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik schwinden und wenn die Mark in ihrer Funktion als Leitwährung Einbußen erleiden würde. Dies, meine Damen und Herren, würde unsere Probleme wesentlich vergrößern. Das darf nicht passieren.
Die Deutsche Bundesbank hat auch eine klare Aussage zu den Tarifabschlüssen dieses Jahres gemacht. Die Tarifabschlüsse waren wirtschaftspolitisch nicht vertretbar. Dies gilt um so mehr unter dem Aspekt der schnelleren Angleichung des Einkommensgefüges in den neuen Bundesländern, mit all den Risiken, die für die dort Betroffenen damit verbunden sind. Wenn der sonstige wirtschaftliche Gleichstand nicht hergestellt ist, besteht ja immer die Gefahr, daß die Arbeitslosigkeit auf einem höheren Niveau bleibt, wenn die Anpassung zu schnell vollzogen wird.
Ich fordere aber hier und heute mit Blick auf einen Teil der Verantwortung, die der Bund ganz besonders hat - ich meine seine Verantwortung als öffentlicher Arbeitgeber -, daß der Bund, daß die öffentlichen Arbeitgeber insgesamt als Tarifpartner nicht wieder eine Leitfunktion für volkswirtschaftlich zu hohe Abschlüsse übernehmen dürfen.
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Hier wird mit Blick auf die Gesamtverantwortung härter verhandelt werden müssen, wenn die Verantwortlichen auf der Seite der Gewerkschaft keine Einsicht zeigen.
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Zum Regierungsentwurf gibt es natürlich eine Reihe positiver Anmerkungen, die ich nicht verschweigen will. Die notwendige Finanzierung des gewünschten Aufschwungs in den neuen Bundesländern entsprechend den Beschlüssen des vergangenen Jahres wird konsequent und ja auch erfolgreich fortgesetzt. Es bleibt die erste und zentrale nationale Aufgabe auch des kommenden Jahres, die Lebensumstände der durch die Wiedervereinigung zu uns gekommenen Bürger zum westlichen Wirtschaftsniveau hin zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, der Wert der gewonnenen Freiheit darf nicht auf längere Zeit durch den Frust von Untätigkeit und Hoffnungslosigkeit verringert werden. Daß dies fast zwangsläufig gewisse Einschränkungen im Westen bedeutet, war von Anfang an klar. Die Größe der Einschränkungen konnte natürlich niemand beziffern, weil die Größe der Aufgabe zwar zu sehen, aber der tatsächliche Kostenrahmen selbstverständlich nicht festzulegen war. Er kann auch heute noch nicht festgelegt werden. Das ist klar; es bleibt ja alles eine Aufgabe, die Schritt für Schritt
Dr. Wolfgang Weng ({13})
erledigt werden muß. Es ist sicher eine Aufgabe eher für Jahrzehnte als eine kurz- und mittelfristige.
Die FDP-Fraktion ist der Auffassung: Die jetzt gegebene Belastung für die Bürger ist vertretbar, auch für die Bürger in den alten Bundesländern. Läuft auch vieles im Osten noch nicht optimal, so gehen doch die notwendigen Dinge ersichtlich voran. Hier spielt die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition eine wesentliche Rolle. Der Aufbau der Verwaltung macht deutliche Fortschritte. Bei der Finanzverwaltung, Herr Staatssekretär Carstens, wäre es wünschenswert, wenn es noch ein bißchen besser und schneller gehen könnte, auch wegen der Einnahmenseite des Bundesetats.
Die Investitionen im infrastrukturellen Bereich laufen planmäßig, und in einer ganzen Reihe von Branchen geht es auch mit den Investitionen mit Blick auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze deutlich aufwärts.
Daß der Weg der Umstrukturierung der dortigen Volkswirtschaft kein kurzer ist, ist uns bewußt. Er wird natürlich zusätzlich erschwert durch strukturelle Veränderungen, auf die wir keinen Einfluß haben. Es sind die Veränderungen, die im gesamten östlichen Wirtschaftssystem stattgefunden haben. Daß die wesentlichen Abnehmerländer der früheren DDR-Wirtschaft große Probleme mit ihrer Zahlungsfähigkeit haben, erschwert den Übergang natürlich ganz enorm. Ich glaube auch, mit einem solchen Zusammenbruch dieser Strukturen konnte zu Beginn des Einigungsprozesses nicht gerechnet werden.
Diese Schwierigkeit gilt insbesondere für die Situation in der Sowjetunion. Dort werden der Demokratisierungsprozeß und die staatliche Neustrukturierung leider von einem massiven Rückgang des Sozialprodukts begleitet. Das ist außerordentlich bitter. Dieses ist natürlich nicht Schuld derer, die die neue Entwicklung dort in Gang gebracht haben, sondern Schuld der Vorgänger. Aber auch hier ist es wie so oft: Derjenige, der die Lasten zu tragen hat, muß hierfür geradestehen, auch wenn er sie selber nicht verursacht hat. In dieser Entwicklung in der UdSSR liegt auch eines der großen Risiken, die die deutsche Wirtschaft und eigentlich auch der Haushalt tragen müssen und die auf uns zukommen könnten.
Natürlich kommen wir auch mit dem Haushalt 1992 entsprechend dem Regierungsentwurf allen Verpflichtungen nach, die wir im Zusammenhang mit den Zwei-plus-Vier-Verträgen eingegangen sind. Aber diese Leistungen allein werden nicht ausreichen, um den notwendigen Neuaufbau in der Sowjetunion zum Erfolg zu führen. Hierzu bedarf es z. B. zusätzlich wirtschaftlicher Großprojekte, die die Reichtümer der Sowjetunion erschließen helfen und deren Nutzung direkt mit massiven Investitionen verbinden. Ich stelle mir etwas Ähnliches vor wie das frühere Erdgas-Röhren-Geschäft, in vielleicht noch größeren Dimensionen. Für die genannte Entwicklung wird nicht nur deutsche Hilfe, sondern auch zusätzliche Unterstützung gebraucht.
Ich kann zwar menschlich verstehen, meine Damen und Herren, daß unsere westlichen Verbündeten eine nicht ganz identische Interessenlage haben wie wir, vielleicht auch deswegen, weil sie nicht ganz so nahe dran sind, und sie durchaus gerne sehen, daß wir zunächst einmal Vorreiter sind. Das müssen und wollen wir auch sein. Ich meine jedoch, daß gerade der Gott sei Dank erfolglose Putsch in der Sowjetunion verdeutlicht hat, wieviel Schlimmeres hätte passieren können als die Notwendigkeit der Unterstützung wirtschaftlichen Aufbaus.
({14})
Ich will mir und damit Ihnen Schreckenszenarien ersparen, die man aufbauen könnte, wenn man sich vorstellt, daß nicht engagierte Demokraten und eine sich ihrer Rechte bewußt gewordene Bevölkerung den Putsch abgewehrt hätten. Den wohlwollenden Worten müssen jetzt Taten folgen, und zwar auch Taten unserer Alliierten.
Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik ist gut. Das wirtschaftliche Wachstum auf der einen Seite und die Arbeitsmarktsituation in den alten Bundesländern auf der anderen Seite sind sehr günstig. Die genannte Zahl von nahezu 800 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen ist beeindruckend. Ich bin sicher, daß sich die zeitweilige Schwäche im Exportbereich schnell wieder verändern wird, wenn der Nachholbedarf auf dem Binnenmarkt erst einmal gedeckt ist und wenn sich die Wirtschaft dann wieder um die etwas schwierigeren internationalen Märkte in gleicher Weise bemüht, wie sie es vor der deutschen Einigung in vorbildlicher Weise getan hatte. Die große Zahl der zusätzlichen Arbeitsplätze sorgt natürlich auch für eine Entlastung unseres Haushalts und ermöglicht damit ohne einschneidende Wohlstandseinbuße für unsere Menschen - die manche vorausgesagt haben - ein öffentliches Haushalten beim Bund.
Wir sind auch in der Lage - das beinhaltet der Entwurf der Bundesregierung - , die geplante Entlastung der Familien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie die Verbesserung der steuerlichen Bedingungen für die Wirtschaft zum Erhalt unserer Arbeitsplätze in der Finanzplanung zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, die Kollegin Matthäus-Maier hat in der Frage der Entlastung der Familien angemahnt, daß man sich über lange Jahre rechtswidrig verhalten hätte.
({15})
Da sich sämtliche Regierungen der Vergangenheit in der Überzeugung rechtlichen Handelns in gleicher Weise verhalten haben, die jetzige Koalition aber
({16})
die tatsächliche Situation so gut gestaltet hat, wie sie noch nie vorher gewesen war, meine ich, daß diese Bemerkung der Frau Matthäus-Maier besonders doppelzüngig gewesen ist.
({17}) Man könnte fast von einer Maier-Lüge reden.
({18})
Dr. Wolfgang Weng ({19})
Bei allem notwendigen Sparen müssen zukunftsträchtige Dinge weiterhin finanziert werden können. Ich will ein kleines Beispiel geben. Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler nicht schlecht beraten ist, wenn er in Gesprächen mit den Länderchefs eine gewisse - wenn auch sparsame - Unterstützung für die Olympiade in Berlin oder für die Expo 2000 in Hannover signalisiert. Unser Bild nach außen kann weltweite Imagepflege nach der deutschen Einigung durchaus gut gebrauchen.
Meine Damen und Herren, wenn der Bundesfinanzminister der eigenen Predigt auch zukünftig die konsequente Praxis folgen läßt, sind wir auf einem guten Weg. Der Haushalt des Bundes kann in der jetzigen Sondersituation nach der deutschen Einheit in einer Phase vor kurzem unvorstellbarer Umwälzungen in unserer direkten Nachbarschaft kein Füllhorn aller Wünsche sein. Unsere Arbeitsgruppe im Haushaltsausschuß wird sich an den gegebenen Notwendigkeiten orientieren und den Entwurf der Bundesregierung - sicher in der gewohnt guten Kooperation mit dem Koalitionspartner, den Kollegen der CDU/CSU - sorgfältig nach Einsparmöglichkeiten untersuchen. Ich hoffe sehr und bin überzeugt, daß wir dem Plenum des Deutschen Bundestages zur zweiten Lesung einen verbesserten Haushalt präsentieren können
({20})
und daß wir damit unseren Beitrag zu einer weiteren guten Entwicklung unseres Landes, für seine Bürger, für unsere Menschen leisten.
({21})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Bundeshaushalts 1992 findet in einer Zeit atemberaubenden politischen Umbruchs statt. In dieser Umbruchssituation sind wir tiefbefriedigt darüber, daß die Politik der Staatsstreichkräfte in der UdSSR gescheitert ist.
({0})
Panzer gegen die Bevölkerung, Panzer gegen ein demokratisch gewähltes Parlament können niemals Mittel der Politik demokratischer Sozialisten sein.
({1})
Die Bundesrepublik ist, insbesondere durch den vollzogenen Anschluß der DDR, maßgeblich und vielfältig am Umbruch der Gegenwart beteiligt. Wer aber nun glaubt, daß die Bundesregierung ihrer Verantwortung auch wirtschaftlich und auch mit den Mitteln des Bundeshaushalts Rechnung tragen will, der täuscht sich. Auch der Haushalt 1992 ist ein Dokument der Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung. Der damit verbundene Schlingerkurs der Bundesregierung droht die Staatsfinanzen gänzlich zu ruinieren.
Der Feind ist abhanden gekommen, der Rüstungshaushalt bleibt unverändert hoch. Mehr als 52 Milliarden DM sollen auch im Jahre 1992 für Rüstung ausgegeben werden. Jede Mark, die dafür ausgegeben wird, ist zuviel. Sie wird dringlich für die ökologische und soziale Umkehr im Lande benötigt.
Im Osten der Bundesrepublik bahnt sich derweil eine perspektivlose Beschäftigungskatastrophe an. Von der Bundesregierung wird nach wie vor beschäftigungspolitisch gekleckert und nicht geklotzt.
({2})
Die Not in der sogenannten Dritten Welt nimmt weiter zu - deshalb diskutieren wir ja über das Asylrecht - , und das reiche Deutschland steigert seine Entwicklungshilfe nach dem Entwurf für 1992 nicht einmal in dem Maße, wie die Preise wohl auch im Jahre 1992 steigen werden.
Geklotzt wird dagegen im Bereich Verkehr, vor allem mit dem Ziel, im Osten gleiche Voraussetzungen für die Autowahngesellschaft - Autowahngesellschaft! - zu schaffen wie im Westen.
Geklotzt wird bei Forschung und Technologie, um der im Geld schwimmenden Wirtschaft weitere Milliarden zukommen zu lassen,
({3})
Milliarden für Spitzentechnologien, die eben nicht selten die Umwelt gefährden bzw. Arbeitsplätze zerstören oder zwar raffiniert, aber ohne rechten Nutzen für die Menschen sind.
Nicht geklotzt wird dagegen im Wohnungsbau. Die Menschen in den Ballungsgebieten, die wachsende Zahl der Obdachlosen, sie werden also weiter vergebens auf erschwinglichen Wohnraum warten müssen.
Geklotzt wird dagegen bei der Bundesschuld. Die Verschuldungsorgie der Regierung Kohl und seines Finanzministers Waigel geht weiter.
Nein, dieser Haushalt und auch die mittelfristige Finanzplanung zeugen von der vielfach bekannten und belegten Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung. Die welthistorische Herausforderung des politischen Umbruchs in Osteuropa hat die Bundesregierung nicht dazu veranlaßt, energisch und mit einer klaren Konzeption für finanzpolitische Stabilität und nun endlich auch für eine dem Reichtum dieser Gesellschaft angemessene Versorgung der Bevölkerung bei dringlichen grundlegenden Voraussetzungen zu sorgen. Die Schlingerbewegung - ich habe es eben schon gesagt - der Politik der Bundesregierung hält an. Die finanzpolitischen Risiken gehen nicht zurück, sie steigen.
Nur in einem bleibt sich die Bundesregierung treu - in einem! - : Zahlen sollen die Mittel- und Geringverdienenden, und weitere Vorteile sollen erhalten die Wirtschaft und die Reichen und Superreichen. Vehement wird insbesondere von der FDP das Dienstmädchen-Privileg verteidigt. Reiche Leute sollen sich zu Lasten der Staatskasse wieder Dienstboten und
Dienstmädchen halten können; gesellschaftspolitisch soll auch damit das Rad zurückgedreht werden.
Dagegen weigert sich die Bundesregierung, der Treuhandanstalt eine wirkliche Beteiligung an Beschäftigungsgesellschaften im Osten zu ermöglichen, an Beschäftigungsgesellschaften, wie sie zu Recht von den Gewerkschaften gefordert werden, an Beschäftigungsgesellschaften, die zumindest im Ansatz im Zusammenhang mit Qualifizierungs- und Industriepolitikmaßnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Abwendung der Dauerbeschäftigungskatastrophe im Osten leisten könnten.
({4})
Die Treuhandanstalt ist überhaupt das Paradestück der Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung.
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Die Bundesregierung hat kein Konzept für eine aktive Industriepolitik, im Osten nicht und auch im Westen nicht. Das ist übrigens wohl auch einer der Gründe für die steigende Preissteigerungsrate. Hätte die Bundesregierung über die Treuhand systematisch im Osten Arbeitsplätze geschaffen, durch planmäßige Förderung, Anregung und Schaffung entsprechender Produktionskapazitäten, so hätte die Wirtschaft im Westen nicht angesichts zunehmender Nachfrage aus dem Osten und steigender Kapazitätsauslastung im Westen die Kosten der Überbeanspruchung in den Preisen weitergeben können. Die Bundesbank hätte dann wiederum nicht die Leitzinsen auf das höchste Niveau der letzten Jahre heraufdrücken müssen, und Herr Waigel müßte nicht inzwischen, einschließlich der Schattenhaushalte, weit über 100 Milliarden DM allein für den Kapitaldienst ausgeben. Die dadurch ebenfalls in die Höhe gedrückte interne Verzinsung der Unternehmen würde nicht vor weiteren Investitionen im Osten abschrecken usw.
Wie wir sehen, der zentrale Fehler ist das Fehlen einer industriepolitischen Konzeption für den Osten, einer energisch in die Tat umgesetzten Perspektive auf seiten der Bundesregierung. Statt dessen läßt die Bundesregierung zu, daß im Osten inzwischen über 2,7 Millionen Menschen arbeitslos sind oder kurzarbeiten, zumeist mit null Stunden. Die Arbeitslosigkeit im Osten hat damit bereits jetzt ein Ausmaß erreicht, wie es im Westen nie dagewesen ist. Für den Westen würde dieses Ausmaß etwa 6 Millionen Arbeitslose bedeuten. Wir sind im Westen zum Glück nie über etwa 3,5 Millionen Arbeitslose, einschließlich der stillen Reserve am Arbeitsmarkt, hinausgekommen.
Was bietet die Bundesregierung in dieser Situation an? 5 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, angesichts von 2,7 Millionen Arbeitslosen allein im Osten! Angesichts von annähernd 5 Millionen Arbeitslosen in Gesamtdeutschland werden Mittel bereitgestellt, die lediglich ca. 200 000 Arbeitsplätze, nein Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen erlauben. Ein Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein, mehr nicht!
Auch im Westen nichts Neues für den Arbeitsmarkt.
({6})
Im Gegenteil, Umschichtung von Mitteln in den Osten und damit noch größere Perspektivlosigkeit, insbesondere für die weiter wachsende Zahl von Langzeitarbeitslosen im Westen.
Nehmen wir die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsschutz insgesamt. Sie werden von 1992 bis 1995 von 15,15 Milliarden DM auf 14,15 Milliarden DM zurückgeführt. Der Anteil für diesen Bereich an den Gesamtaufwendungen geht damit von 3,6 % auf 3,15 % zurück. Angesichts der Tatsache, daß allein im Osten in diesem Winter weitere 600 000 Kündigungen kommen, ein wahnwitziges Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft oder einfach absolute soziale Kälte.
Da, wie im Kapitalismus üblich, die sozial Schwächsten, die sozial Schwachen zuerst aus den Betrieben gedrängt werden, trifft es vor allem Frauen. Die Bundesregierung könnte allerdings einen Teil dieser Schwächen beheben, z. B. wenn sie Mittel für Kinderkrippen und ähnliches zur Verfügung stellt. Die läßt sie jedoch ganz bewußt im Osten kaputtgehen, weil es in ihr gesellschaftspolitisches Bild der Politik paßt, die Frau zurück an den häuslichen Herd zu bringen. Wir unterstützen daher die Forderung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Bund solle sich mit 20 bis 30 % an den Aufwendungen für entsprechende Programme der Erhaltung und Ausweitung dieser Einrichtungen in den neuen Bundesländern beteiligen.
Wie geht die Bundesregierung mit dem anderen großen Problem der Menschen im neuen Deutschland, der Wohnungsnot, um? Von 1992 bis 1995 sollen jedes Jahr 2,76 Milliarden DM, ohne Wachstumsrate, für Finanzhilfen an den sozialen Wohnungsbau vergeben werden. Damit können jedes Jahr ca. 55 000 Wohnungen mit jeweils 50 000 DM gefördert werden, in vier Jahren also ganze 220 000, und es fehlen derzeit bereits ca. eine Million Wohnungen, u. a. weil die von Ihnen gehätschelten Gutverdienenden weiter Wohnungen luxusmodernisieren.
Der Anteil der Förderung des sozialen Wohnungsbaus an den Gesamtausgaben geht von 1992 bis 1995 von 0,65 To der Gesamtausgaben auf 0,61 % zurück. Allein für die Weltraumfahrt und Luftfahrtforschung dagegen werden 1992 fast 2 Milliarden DM bereitgestellt. Während aber die Mittel für den sozialen Wohnungsbau Menschen in sozialer Not zugute kommen würden, kommen die Weltraum- und Luftfahrtforschungsmittel einer kleinen Zahl großer Konzerne zugute, an der Spitze der Daimler-Benz-Konzern, der derzeit 10 Milliarden DM als vagabundierendes Kapital in seinen Kassen hat.
({7})
So sozial ausgewogen ist die Politik dieser Bundesregierung!
Aber es kommt noch besser: auf der Einnahmenseite Verbrauchsteuererhöhungen, insbesondere die
Erhöhung der Mehrwertsteuer - zunächst um einen Punkt -, bei gleichzeitigem Festhalten an den geplanten Steuersenkungen für die Wirtschaft. Hier liegt ein Schlüssel für die ökonomische Fehlanlage der Regierungspolitik: Sie kassiert bei den Mittel- und Geringverdienenden und insbesondere den sozial Schwachen in der Masse ab, begünstigt die reiche Wirtschaft und verschärft nicht nur die sozialen Widersprüche, sondern auch die ökonomischen Widersprüche. Diese ökonomischen Widersprüche sind jetzt und in der Zukunft die typischen Widersprüche des hochentwickelten industriellen Kapitalismus. Der Brutto-Cash-Flow der Wirtschaft z. B. betrug im Jahre 1990 über 1 000 Milliarden DM. Nur etwa die Hälfte wurde für Anlageinvestitionen benötigt. In der Restgröße stecken insbesondere riesige Beträge, die als vagabundierende Kapitalien an die internationalen Geld- und Kapitalmärkte gelenkt bzw. als direkte Investitionen im Ausland - übrigens ganz überwiegend in den westlichen Industrieländern mit hohem Lohnniveau, nicht so sehr in der Dritten Welt - angelegt werden. Das sind übrigens Mittel, die auch recht gut im Osten hätten angelegt werden können, wenn die ökonomische Rationalität das nicht unterbunden hätte. Nur: Dann, wenn die privatwirtschaftliche Profitmacherei die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigt, dann ist die Bundesregierung eben gefordert, gefordert mit entsprechenden Auflagen, Geboten, Anreizen, Strukturprogrammen, Hilfen sonstiger Art: Beratung, Expertisen usw.
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Deshalb fordern wir - und werden wir immer wieder fordern - : Legen Sie Programme auf, die die Möglichkeit geben, ökologisch und sozial sinnvolle Arbeitsplätze zu schaffen! Unterstützen Sie Eigeninitiativen von Belegschaften, von Frauenprojekten, von alternativen Produktionen in Handwerk, Industrie und Landwirtschaft! Schaffen Sie dafür den entsprechenden Rahmen! Stellen Sie entsprechende Fonds bereit! Sie können damit mehr soziale Probleme lösen als dadurch, daß Sie hochkapitalintensive High-TechIndustrieansiedlung fördern, die geradezu aus naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhängen heraus mit riesigen Investitionen nur relativ wenige Arbeitsplätze schaffen kann und mit der zudem die ökologischen Bedingungen häufig noch stärker als bisher gefährdet werden.
Wir brauchen eine Umkehr in nahezu allen Bereichen der Haushalts- und Finanzpolitik. Wir fordern Sie auf, den gesellschaftlichen Reichtum dort abzuschöpfen, wo er im Überfluß vorhanden ist, in der Wirtschaft. Wir fordern Sie auf, den Druck auf die sozial Bedürftigen, die Niedrigverdienenden, die Randgruppen der Gesellschaft, die Asylanten und Asylantinnen aufzugeben und statt dessen den Bedürftigen die notwendigen und die - angesichts des Reichtums dieser Gesellschaft - möglichen Mittel zukommen zu lassen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser an Haushaltsdebatten reichen Zeit besteht die Befürchtung, daß die Debatte um den Haushalt 1992 zum Ritual verkommt, mehr von Routine als von Kreativität getragen wird.
Aber die Zeiten sind nicht danach. Zwischen der Einbringung des Haushaltsentwurfs 1992 und der Verabschiedung des Haushalts 1991 liegt zwar nur die parlamentarische Sommerpause. Aber ich denke, von diesen beiden Monaten wird mehr in Erinnerung bleiben als der geistreiche Vorschlag einer Fahrradsteuer.
Dramatische Veränderungen kennzeichnen die Rahmenbedingungen des Haushalts 1992. Ich nenne nur Stichworte: Bürgerkrieg auf dem Balkan, Putsch und demokratisch-nationale Revolution in der Sowjetunion, die Hilflosigkeit Westeuropas angesichts beider Herausforderungen, weitere Deindustrialisierung und Anstieg der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern.
Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer allmählichen, aber unübersehbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, eines Rückgangs der Auslandsnachfrage, einer exorbitant hohen Staatsverschuldung und der Verschärfung des Zinsklimas. All das begründet außerordentliche Anforderungen an den Bundeshaushalt 1992 und an die Politik der Bundesregierung. Doch statt diese Herausforderungen anzunehmen, demonstriert die Bundesregierung Selbstzufriedenheit und unterschätzt oder verschleiert die vor uns liegenden Probleme.
Die Höhe der Staatsverschuldung und die Dekkungslücken im Haushalt haben ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Zwar weist der Entwurf 1992 eine Verringerung der Neuverschuldung von 16,7 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr aus, doch beruht dies auf einer bewußten Fehlkalkulation. Sie wird bei den jetzt schon absehbaren Belastungen unter keinen Umständen zu halten sein.
Tatsache ist: Die alte Bundesrepublik hat seit Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Allein die ausgewiesene Verschuldung des Bundes wird sich in diesem Jahr auf 658 Milliarden DM erhöhen. Damit steigen die Zinsausgaben im Bundesetat auf etwa 60 Milliarden DM bis 1995, d. h. die Zinsquote klettert von rund 10 % auf über 14 %. Der Schuldendienst kostet den Staat dann mehr, als er zur Zeit an Hilfe für den Osten aufbringt.
Glaubt man der Bundesregierung und folglich dem Haushaltsentwurf, dann müßte 1992 der Aufschwung Ost erreicht sein; denn im kommenden Jahr soll das Gemeinschaftswerk auslaufen. Doch außer aufgebauschten Erfolgsmeldungen, die kleine branchenspezifische oder regionale Inseln betreffen, deutet nichts darauf hin. Noch bricht mehr zusammen, als neu aufgebaut wird. Noch schreitet in erster Linie die Deindustrialisierung voran. Der Glaube, daß es mit einer Anschubfinanzierung - die im übrigen auch noch viel zu spät kommt - getan sei, erweist sich als Trugschluß.
Die bittere Wahrheit ist: Um den Strukturumbruch zu überwinden, sind die neuen Bundesländer für viele Jahre auf einen Kapitaltransfer in dreistelliger Milliar3010
Werner Schulz ({0})
denhöhe aus dem Westen angewiesen. Eine solche gewaltige Aufgabe wird nicht nur von einer Generation bezahlt werden können. Die Solidarität der alten Bundesländer bleibt auf dem Prüfstand und wird sich bei der notwendigen Umlenkung der Strukturhilfe nach Ostdeutschland zeigen.
Die Finanzausstattung der neuen Bundesländer bleibt auf längere Sicht ein Problem. Es ist nicht zu erkennen, daß in absehbarer Zeit die Steuereinnahmen der Ostländer die erforderlichen Ausgaben dekken. Wann endlich wird die Bundesregierung ein langfristiges Konzept zur Finanzierung der deutschen Einheit vorlegen?
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- Es wäre schön. Ich sehe das nirgendwo. Sie meinen doch nicht etwa diese Eckwerte bis 1995, die Sie vorgelegt haben?
({2})
Bei den Subventionen gilt es, im Westen kräftig zu jäten und im Osten vorsichtig zu säen. Aber was tut die Regierung? Der medienbeherrschend angekündigte Subventionsabbau von 10 Milliarden DM jährlich wird zum Milliardenwindei, zum Flop des Jahres.
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Zwar wurden für die nächsten Jahre 33 Milliarden DM Kürzungen ausgewiesen, doch kommen weit weniger für die reale Finanzlage zur Geltung. Im Haushaltsjahr 1992 werden für den Bund lediglich 3,1 Milliarden DM kassenwirksam.
Beim Abbau der Finanzhilfen trifft es oft die Falschen. High-Tech und Großforschung werden subventioniert, strukturschwachen Gebieten wird die unverzichtbare Umstrukturierungshilfe entzogen.
Wenig Bedenken scheinen der verkappte Sozialabbau und die Gefährdung von Arbeitsplätzen auszulösen. Völlig unannehmbar ist die Kürzung des Fördersatzes bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, was zur Folge hat, daß jede fünfte ABM-Stelle in den alten Bundesländern nicht mehr zu halten sein wird. So wächst der Frust von West nach Ost.
Statt eine Arbeitsmarktabgabe für Selbständige und höher verdienende Beamte - die dazu finanziell sehr wohl in der Lage wären - zu erheben, rechnet die Bundesregierung eher heimlich damit, die Erhöhung der Arbeitslosenversicherung nicht wie versprochen zum 1. Januar 1992 zurückzunehmen. Es wäre bekanntlich nicht das erste Versprechen, das diese Regierung bricht. Wir sind gespannt darauf.
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Die aufregenden Ereignisse der letzten Wochen lassen erahnen, daß der Umbruch in Osteuropa wesentlich mehr an Solidarität verlangt, als wir im Moment aufbringen. Die Bundesrepublik Deutschland ist bei der Umwandlung des vermeintlichen Sozialismus zur Sozialen Marktwirtschaft weit über die Grenzen der neuen Bundesländer hinaus gefragt.
Aber auch Westeuropa muß bei der fälligen großzügigen Hilfe für die sowjetischen Republiken endlich die Zurückhaltung ablegen. Es reicht nicht aus, wenn die Bundesregierung beklagt, daß sie die Hauptlast der Hilfe für die Sowjetunion und Osteuropa trage. Die Solidarität ganz Westeuropas wird jetzt zur Schicksalsfrage der europäischen Einigung. Es geht nicht mehr allein um eine westeuropäische Währungsunion. Das europäische Einigungswerk steht auf dem Spiel.
Überdies kommt es billiger, durch Marktöffnung, Wirtschafts- und Finanzhilfe Osteuropa den Weg zum Wohlstand zu ermöglichen, als abzuwarten, bis die Menschen aus Verzweiflung ihre Sachen packen und den Marsch in den Westen antreten.
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Jetzt darf kein eiserner Wirtschaftsvorhang entstehen.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf enthält keine Reserven für zusätzliche Belastungen. Unberücksichtigt bleiben die binnen- und außenwirtschaftlichen Bürgschaften des Bundes. Allein wenn die Sowjetunion ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, sind 2 Milliarden DM fällig.
Unberücksichtigt bleiben auch die Entschädigungen für Enteignungen und erlittenes Unrecht in der ehemaligen DDR. Was da vorgesehen ist, ist skandalös niedrig und allenfalls als symbolisch zu verstehen.
Unberücksichtigt bleiben die Finanzhilfen im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 218 und die unsichere Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt. Es fehlen Mittel für das angekündigte Konversionsprogramm und für einen verfassungsgerechten Familienlastenausgleich. Es gibt Mindereinnahmen, Stichwort: steuerlicher Grundfreibetrag; der „Spiegel" rechnet hier mit bis zu 30 Milliarden DM jährlich. Es fehlt auch ein realitätsgerechtes Wohnungsbauprogramm.
Meine Damen und Herren, wir müssen simultan die Anstrengungen zur ökologischen und wirtschaftlichen Sanierung Ostdeutschlands und zur schnellen Angleichung der Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland fortsetzen, womöglich sogar intensivieren. Wir müssen die Reformprozesse bei unseren osteuropäischen Nachbarn tatkräftig und nachhaltiger als bisher unterstützen, insbesondere durch Offnen unserer Märkte. Auch die wirtschaftliche Zukunft Ostdeutschlands hängt entscheidend davon ab.
Wir müssen der Sowjetunion oder den Staaten, die jetzt aus ihr hervorgehen, mit schnellen, energischen und wirksamen Hilfsmaßnahmen über den Winter und darüber hinaus helfen.
Wir dürfen dies alles schließlich nicht auf Kosten der Dritten Welt tun, die zumindest auf kurze Sicht zum großen Verlierer der Ost-West-Annäherung zu werden droht.
Wie soll das alles gleichzeitig gehen? Wie soll ein relativ kleines, wenn auch wirtschaftlich starkes Land das alles leisten? - Nicht zufällig mehren sich die Stimmen, die davor warnen, wir könnten die Grenzen
Werner Schulz ({6})
unserer Leistungsfähigkeit überschreiten. Doch mir scheint, daß wir lange vor der Grenze unserer Leistungsfähigkeit leider die Grenze unserer Bereitschaft zum Teilen erreichen.
Der vorgelegte Haushalt bedarf vor dem Hintergrund der skizzierten Anforderungen erheblicher Korrekturen. Einige Punkte sollen hier angedeutet werden: Die Höhe des Verteidigungshaushalts ist eine Provokation. Wir haben nicht die Zeit und die Unbegrenztheit der Mittel, uns einen allmählichen, unmerklichen Ausstieg aus dem Wettrüsten zu leisten. Wir verlangen neben einer deutlichen Kürzung des Ansatzes eine mittelfristige Planung mit dem Ziel einer Halbierung des Rüstungsetats bis 1995.
Wir vermissen auf der Einnahmeseite vor allem ein Mindestmaß an sozialer Balance und ökologischer Vernunft. Wir verlangen, daß die einseitige und ungerechte Belastung niedrigerer Einkommen ein Ende hat und daß sich die Regierung dazu durchringt, auch den Gutverdienenden und den Reichen ihren Beitrag abzuverlangen. Sie könnte dies hier und da längst tun, ohne erst vom Bundesverfassungsgericht mit der Nase darauf gestoßen zu werden. Wir fordern, daß Herr Schalck-Golodkowski keine weiteren BND-Streicheleinheiten erhält, sondern kräftig ausgequetscht wird.
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Vielleicht werden nebenbei noch einige KoKo-Reserven liquid.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich habe noch einen Satz, Herr Präsident.
Noch eine nicht unwesentliche Kleinigkeit zum Schluß: Wir erwarten eine deutliche Minderausgabe bei allen hauptsächlich der Repräsentation dienenden Ausgaben. Mag sein, daß das nicht viel bringt, aber viele Bürgerinnen und Bürger können die Selbstbedienungsmentalität deutscher Abgeordneter und Beamter beim besten Willen nicht mehr verstehen, und sie haben damit recht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich mit ein paar Bemerkungen zum Beitrag Theo Waigels kurz fassen. Die Überzeugung des Bundesfinanzministers, abgeleitet von seinem Vornamen, ein Geschenk Gottes zu sein, hat ihn heute wieder zu einem grandiosen Selbstlob veranlaßt, das leider mehr kaschiert und weniger erklärt. Ich habe den Eindruck, daß alte Schlagworte eher eine Fortschreibung der Probleme bedeuten, vor denen wir tatsächlich stehen.
Vor allen Dingen muß sich jemand, der sich zum Wächter von Haushalt und Finanzen aufwirft, einmal fragen lassen: Wer war es denn eigentlich, der den
Vertrag über 15 Milliarden DM, die an die Sowjetunion gehen sollen, unterzeichnet hat? Es geht dabei um Gelder, die in eine ganz falsche Richtung laufen. Dem Kollegen Möllemann wurde hinterher Gelegenheit gegeben, sich in Moskau als Nachbesserer zu profilieren,
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weil der Finanzminister vergessen hatte, die deutsche Industrie mit einzubeziehen.
Wer hat den Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet, bei dem wir wissen, welche Kritik die Bundesbank angebracht hat?
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Wer hat das Paket sehr schnell über die Runden gebracht, als es nach dem Golfkrieg darum ging, die westlichen Partner von der deutschen Verteidigungsbereitschaft zu überzeugen? Das ging im Hauruckverfahren, ohne daß hier parlamentarische Gremien allzusehr beteiligt wurden.
Ich verstehe ja, daß der Finanzminister das alles machen muß, um den Mantel der Geschichte zu ergreifen.
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Ich verstehe auch, daß der Bundeskanzler andere gerne dort vorschiebt, wo es um Zahlungen geht, damit seine Unterschrift nicht darunter erscheint.
Aber ich frage trotzdem eines: Ist es nicht letztlich eine Unwahrhaftigkeit gegenüber den Bürgern, wenn ein Solidaritätsgesetz vorgelegt und beschlossen wird, bei dem jeder meint, wir helfen den Menschen in den neuen Bundesländern, im anderen Teil Deutschlands, während in Wirklichkeit im Gesetz etwas ganz anderes steht, nämlich Zahlungen für den Golfkrieg und Zahlungen zum Erhalt und zur Bewahrung der Demokratie in Ost- und Südosteuropa, und wenn dann erst die Solidarität für andere Deutsche kommt?
Herr Kollege Lowack, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit darf ich, Herr Präsident, mit Ihrer - so hoffe ich - freundlichen Genehmigung, zum letzten Satz kommen. Ich darf festhalten: Die Haushaltsdebatte beginnt leider nicht mit der notwendigen Haushaltswahrheit und -klarheit. Es ist eine geschönte Wahrheit, die uns vorgetragen wird. Es ist Unklarheit, und es sind leider auch zu viele politische Austauschmanöver, die ich festzustellen habe.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 4. September 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.