Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
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Ich möchte, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, zunächst an die 50. Wiederkehr des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion erinnern. Morgen jährt sich zum 50. Mal der Tag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion. Nach diesen 50 Jahren und nach der Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands wissen wir, von welch unvergleichbarem Wert Demokratie, Freiheit und Wahrung der Menschenrechte bei allen Völkern und Friede unter den Völkern sind.
Wenn wir uns heute an den 22. Juni 1941 erinnern, denken wir zunächst an die Millionen von Menschen, die in diesem Krieg ihr Leben verloren. Die betroffenen Menschen auf beiden Seiten, Soldaten wie Zivilisten, sind es, denen vor allem unser Gedenken gilt. Und wir wissen auch um die Schicksale derer, denen in der früheren DDR im Namen der Bekämpfung von Hitlers Unrecht durch Stalin und seine Helfershelfer neues Unrecht zugefügt worden ist. Zugleich sind uns die weitreichenden Folgen bewußt, die dieser Krieg bis in unsere jüngste Gegenwart hinein hatte: die Spaltung Europas, die 45 Jahre Ost-West-Gegensatz, die ideologische Verkrampfung und die schmerzliche Teilung Deutschlands bis zum 3. Oktober des vergangenen Jahres.
In diesem Jahr hat unser Gedenken eine besondere Bedeutung. Zum erstenmal können wir diesen Tag im Zeichen des Vertrages über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion begehen, der am 9. November 1990 in Bonn von Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Gorbatschow unterzeichnet wurde. Mit diesem Vertrag, mit dem Abkommen der Zwei-plus-Vier-Konferenz, unterzeichnet in Moskau, und mit der Pariser Charta für ein neues Europa ist für die beiden Völker eine neue Ara angebrochen. Und natürlich gehört in diesen Zusammenhang auch der deutsch-polnische Vertrag vom 17. Juni 1991.
Unser Gedenken an den 22. Juni 1941, die Erinnerung an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion, bezieht ihre Glaubwürdigkeit vor allem aus ihrer Wahrhaftigkeit. Nur die Wahrheit über die eigene Vergangenheit macht uns frei, aufrecht in der Gegenwart zu stehen und zusammen mit unseren Nachbarn
und Partnern in Europa eine gemeinsame europäische Zukunft zu bauen.
Zur geschichtlichen Wahrheit gehört es, daß dieser Krieg von den damaligen Machthabern in Deutschland völkerrechtswidrig begonnen wurde. Es gab keine vorherigen Verhandlungen über irgendwelche Forderungen, kein Ultimatum. Es war damals noch keine zwei Jahre her, daß Hitler mit der Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag, den sogenannten „HitlerStalin-Pakt" , auf die Dauer von zehn Jahren geschlossen hatte.
Die meisten Deutschen wußten nichts von der Planung des Gewaltakts. Sie wurden vom Kriegsausbruch ebenso überrascht wie die Menschen in der Sowjetunion. Kriege werden nicht von den Völkern beschlossen, wohl aber müssen die Völker die Folgen tragen.
Gewiß wurde die Sowjetunion damals ebenfalls von einem grausamen Diktator beherrscht, der sein eigenes Volk skrupellos unterdrückte. Gewiß war die Sowjetunion hochgerüstet, und gewiß fürchteten viele, nicht nur in Deutschland, das menschenverachtende Herrschafts- und Unterdrückungssystem, das dort nach 1917 errichtet worden war.
Gewiß erklärte Hitler der Öffentlichkeit, er sei nur einem bevorstehenden sowjetischen Angriff zuvorgekommen, aber das war nur ein Vorwand. Die Aufzeichnungen seiner eigenen Worte im engeren Führungskreis bestätigen das. Und alle späteren Versuche, die These vom Präventivkrieg zu beweisen, sind, wie es der heutige Stand der historischen Forschung zeigt, inzwischen widerlegt worden. Das Motiv war nicht Abwehr, sondern Angriff.
Dieser Krieg war nicht nur als Eroberungs-, sondern auch als Vernichtungskrieg geplant. Auf die Heeresgruppen der Armee folgten dichtauf die Einsatzgruppen des Polizeiapparats. Am 22. Juni 1941 begann auch die systematische Ermordung der Juden, zunächst der sowjetischen, dann der deutschen, der polnischen Juden und bald darauf der Juden aus allen anderen europäischen Ländern.
Das war die grausame Wirklichkeit dieses Krieges: Verfolgung, Vernichtung und Ausrottung in einer Art, wie sie die Geschichte niemals zuvor gekannt hatte. Es ist kaum möglich, auch nur die Gruppen aller Opfer
Zivilisten und Soldaten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, rassisch und politisch Verfolgte. Die Sowjetunion allein hatte 20 Millionen Tote zu beklagen.
Auch Deutschland mußte diesen verbrecherischen Krieg bitter bezahlen. Wir denken heute auch an unsere Toten, an den Verlust der Ostgebiete, an die Vertreibung unserer Landsleute und ihre schrecklichen Leiden. Zur wahrhaftigen Erinnerung gehört auch die Erkenntnis, daß ohne den 22. Juni 1941 ihnen und uns all das erspart geblieben wäre.
Wir wissen, wieviel Bitterkeit, Ablehnung und Verachtung gegenüber den Deutschen in diesem Krieg entstand. Wir bleiben uns immer der Tatsache bewußt, daß der Angriff von Deutschland ausging. Wir empfinden Trauer über das Leid, das den Völkern der Sowjetunion im deutschen Namen und von deutscher Hand zugefügt wurde. Wir betrauern aber auch die Opfer und Leiden, die unserem eigenen Volk aus diesem verbrecherischen Überfall erwuchsen.
Nicht nur Deutschland, ganz Europa hat bis in unsere Tage an den Folgen dieses Krieges zu leiden gehabt. Erst 1955 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion aufgenommen. Nach Konrad Adenauers Moskau-Reise konnten die letzten deutschen Gefangenen heimkehren. Im August 1970 wurde unter Bundeskanzler Brandt der Moskauer Vertrag geschlossen - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Normalisierung unserer Beziehungen. Aber dieser Schritt bedeutete noch keinen Durchbruch zur Demokratisierung, kein Signal zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas.
Mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit haben sich in den letzten fünf Jahren die politischen Verhältnisse in Mittel- und Osteuropa geändert: durch das Bollwerk der Freiheit im Westen, durch die neue Politik Gorbatschows, vor allem aber durch das mutige Eintreten der Menschen in Osteuropa, die auf Demokratisierung drängten.
Noch vor wenigen Jahren wären ein wiedervereinigtes Deutschland, das Ende des Warschauer Paktes und ein Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion undenkbar gewesen. Vor wenigen Wochen, am 25. April dieses Jahres, hat der Deutsche Bundestag dieses in die Zukunft weisende Vertragswerk ratifiziert. Die einmütige Zustimmung, die es in diesem Hause fand, beweist, für wie wichtig und dringlich die Deutschen und alle in diesem Hause vertretenen Parteien ein gutes und zukunftsoffenes Verhältnis zur Sowjetunion halten.
Ich verweise in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Art. 18 des deutsch-sowjetischen Vertrages. Wir haben darin erklärt, „daß die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die den sowjetischen Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, geachtet werden und unter dem Schutz deutscher Gesetze stehen. Das Gleiche gilt für die sowjetischen Kriegsgräber, sie werden erhalten und gepflegt" . Und die Regierung der UDSSR „gewährleistet den Zugang zu Gräbern von Deutschen auf sowjetischem Gebiet, ihre Erhaltung und Pflege".
Lassen Sie mich heute, nach Ratifizierung dieses Vertrages, gleichermaßen die Botschaft wiederholen, die Präsident Gorbatschow am 9. November 1990 dem Vertrag bei seiner Unterzeichnung in Bonn mitgegeben hat:
Wir haben die Herausforderung der Zeit aufgegriffen und sie am Vorabend des neuen Jahrhunderts als Pflicht vor den eigenen Nationen und vor
ganz Europa empfunden.
Die breite Zustimmung zum deutsch-sowjetischen Vertrag signalisiert auch unsere Bereitschaft, einen kräftigen und steten Beitrag zur Stabilität der Sowjetunion zu leisten und mit den Menschen dieses großen Landes so zusammenzuarbeiten, daß sie ihren Weg zu einer freiheitlich und demokratisch gestalteten verfassungsmäßigen Ordnung finden können.
Fast ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis das gestörte Vertrauen zwischen unseren Völkern wiederhergestellt werden konnte. Heute können wir feststellen: Ein neuer Anfang ist gemacht. Wir müssen ihn jetzt gemeinsam mit Leben erfüllen - für eine Epoche dauerhaften Friedens, gegenseitigen Vertrauens, solidarischen Beistands und einer breit angelegten Zusammenarbeit, die ganz Europa nützen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vor Eintritt in die Tagesordnung ein Weiteres tun. Gestatten Sie mir ein paar persönliche Worte an unseren Platzmeister des Deutschen Bundestages, unseren Herrn Regierungsoberinspektor Karl-Heinz Schmitt.
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Karl-Heinz Schmitt gehört seit 41 Jahren zu der Verwaltung des Deutschen Bundestages, 13 Jahre lang war er als Platzmeister in und für unser Parlament tätig. Viele haben den Begriff geprägt: Er ist im Deutschen Bundestag zur Institution geworden, zu einer parlamentarischen Säule.
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Wenn er am 1. Juli seinen wohlverdienten Ruhestand antritt, dann wird er mit seiner sorgfältigen, unauffälligen, aber doch sehr durchsetzungsfähigen Art, seine Aufgabe wahrzunehmen, uns allen fehlen.
Ich hoffe sehr, Herr Schmitt, daß Sie Ihren Stil an die mit Ihnen Arbeitenden weitergegeben haben. Wir danken Ihnen heute ganz herzlich. Ich spreche Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages unseren Dank, unsere Wertschätzung und, ich sage auch: unsere Zuneigung aus.
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- Wer jetzt noch nicht zum Zuge gekommen ist: Ab 11 Uhr wird sich unser Herr Schmitt in der Cafeteria des Wasserwerks verabschieden. Dort haben Sie dann noch einmal Gelegenheit, mit ihm zusammenzutreffen.
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Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
- Frau Schmitt, wir begrüßen auch Sie recht herzlich.
Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, daß auf der Tribüne Abgeordnete aus dem polnischen Sejm, und zwar des Ausschusses für Sozialordnung, Platz genommen haben.
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Die Ausschußvorsitzende ist eine Frau, und das ist im polnischen Sejm eine Ausnahme.
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Ich habe noch einige amtliche Mitteilungen zu verlesen. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, daß in der Haushaltswoche vom 2. bis 6. September 1991 keine Fragestunden, keine Aktuellen Stunden und keine Befragungen der Bundesregierung stattfinden sollen, weil Themen von aktuellem Interesse in der Beratung zum Haushalt angesprochen werden können. Sind Sie mit der Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich teile ferner mit, daß der frühere Kollege Dr. Nöbel aus dem Rundfunkrat des Deutschlandfunks ausscheidet. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Herrn Kollegen Dr. Penner vor. Sind Sie mit diesem Vorschlag ebenfalls einverstanden? ({6})
Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Damit ist der Abgeordnete Dr. Penner für den Rest der Amtszeit in den Rundfunkrat des Deutschlandfunks gewählt.
Ferner soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die verbundene Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
11. Aktuelle Stunde: Hunger und Bürgerkrieg im Sudan
12. Zweite und Dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung einer einjährigen Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992 ({7}) - Drucksachen 12/721 ({8}), 12/821, 12/822 -
13. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Entsendung eines Ersatzbewerbers als Beobachter in das Europäische Parlament - Drucksache 12/828 -
14. Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses: Übersicht 2 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 12/807 -
15. Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 22 zu Petitionen - Drucksache 12/808 -
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfseines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung ({9})
- Drucksachen 12/405, 12/630 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({10})
- Drucksachen 12/786, 12/826 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Heinz Rother
Ulrike Mascher Dr. Gisela Babel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/812 Berichterstatter:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
({12})
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über vorgezogene Regelungen zur Herstellung der Rechtseinheit in der Renten- und Unfallversicherung ({13})
- Drucksache 12/724 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({14})
- Drucksachen 12/786, 12/826 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Heinz Rother
Ulrike Mascher Dr. Gisela Babel
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({15}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/813 Berichterstatter:
Abgeordnete Hans-Gerd Strube Ina Albowitz
Karl Diller
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Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Zum Renten-Überleitungsgesetz liegen ein Änderungsantrag und je ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE vor. Ein weiterer Entschließungsantrag ist angekündigt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Heinz Rother.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion den Entwurf zum Renten-Überleitungsgesetz in der zweiten Beratung begründen zu dürfen.
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz hat die Koalition der Einheit konsequent und zügig eine weitere wichtige Voraussetzung für die Verbesserung der Lebenssituation in den jungen Bundesländern geschaffen.
Lassen Sie mich bitte noch einmal kurz rekapitulieren: Im ersten Schritt sind die Renten mit Datum zum 1. Juli 1990 sowie zum 1. Januar 1991 pauschal um jeweils 15 % angehoben worden. Am 1. Juli dieses Jahres wird eine weitere 15prozentige Erhöhung erfolgen. Ich möchte auch an die Einführung der Kriegsopferversorgung erinnern. Dies waren die ersten, schnellen Maßnahmen, um die Lebenssituation der älteren Mitbürgerinnen und -bürger in den neuen Bundesländern konkret zu verbessern.
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wird nunmehr in einem zweiten Schritt das wegweisende Rentenreformrecht 1992 auf die jungen Bundesländer übertragen. Dabei möchte ich hervorheben, daß das Rentenreformrecht 1992 das Ergebnis der Bemühungen aller damals im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien - außer den GRÜNEN - darstellt. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß dieses Reformwerk mit seinen entscheidenden Merkmalen der Leistungsbezogenheit und der Dynamisierung in seiner konkreten Ausformung als eines der fortschrittlichsten und umfassendsten Rentensicherungssysteme der Welt gelten kann.
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Die Damen und Herren von der SPD, die jetzt polemische Kritik üben, tun gerade so, als ob sie selbst damals nicht das Rentenreformgesetz mitgestaltet hätten. Dieses Alterssicherungssystem wird nunmehr auf die jungen Bundesländer übertragen. Seine Grundprinzipien lauten: Nach 45 Versicherungsjahren erhält ein Durchschnittsverdiener jetzt 70 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens aller Arbeitnehmer.
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Die Rente ist Alterslohn für Lebensleistung.
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Der Rentner in den jungen Bundesländern ist nicht mehr Almosenempfänger der kommunistischen Machthaber von damals. Man muß es deutlich sagen und betonen: Dieses Gesetz beendet die Diskriminierung der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Dieses Gesetz führt zur Verwirklichung der Menschenrechte in den neuen Bundesländern. Dieses Gesetz ist eine konsequente Umsetzung des Sozialstaatsprinzips unserer Verfassung.
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Mit der zügigen Überleitung des Rentenrechts löst die Koalition ein wichtiges Versprechen in der Sozialpolitik ein. Die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse wird nun in einem weiteren Punkt greifbar. Dieses umfassende Gesetzeswerk ist in großer Schnelligkeit bis zur Verabschiedungsreife gebracht worden.
Die historisch einmalige Situation, in der wir uns befinden, verlangte eine effiziente und zügige Arbeit. Meine Damen und Herren, das sind wir doch den Bürgerinnen und Bürgern in den jungen Ländern schuldig.
In diesem Zusammenhang darf ich mich sehr herzlich auch im Namen der Fraktion der CDU/CSU bei all denjenigen bedanken, die mit ihren Vorschlägen im Deutschen Bundestag bei der Diskussion dieses Gesetzeswerkes behilflich gewesen sind. Besonderen Dank auch den Mitarbeitern der Bundesregierung, die hier eine hervorragende Arbeit geleistet haben,
({4})
ebenso wie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Ausschußsekretariats.
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Es wäre kein Zeichen konstruktiver Opposition, wenn die SPD aus machtpolitischen Erwägungen heraus zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger in den jungen Bundesländern hier kleinkarierte Verzögerungsstrategien zu fahren versucht hätte,
({6}) wie es zeitweise den Anschein hatte.
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Wenn sich eine solche Haltung durchgesetzt hätte, so gäbe es am 1. Januar 1992 nur weiteres Stückwerk und kein einheitliches Rentenreformrecht 1992.
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Für ein solches Verhalten hat in den neuen Bundesländern zu Recht niemand Verständnis.
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wird es u. a. auf folgenden Gebieten zu entscheidenden Verbesserungen kommen: erstens zur Schaffung der Verbesserung von Hinterbliebenenrenten. Durch die Übertragung unseres Hinterbliebenenrentenrechts werden in den jungen Bundesländern rund 900 000 Witwenrenten entscheidend verbessert und 150 000 erstmals gezahlt.
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Für diese Verbesserungen werden 1992 rund 4 Milliarden DM aufgewendet. Die Übertragung des Hinterbliebenenrentenrechts ist ein ganz bedeutender sozialpolitischer Schwerpunkt dieses Gesetzes. Nach dem Recht der ehemaligen DDR erhielten viele Frauen nach dem Tod des Ehemannes keine Witwenrente. Der Tod des Ehegatten führte deshalb in der Regel zu einem Einkommensabsturz. Es wäre sozialpolitisch völlig unvertretbar gewesen, an der Hinterbliebenenversorgung der ehemaligen DDR festzuhalten. Ich denke, daß die Koalition gerade mit der Übertragung des Hinterbliebenenrentenrechts besonders deutlich macht, daß der Schutz der sozial schwachen älteren Frauen ein zentraler Punkt ihrer Überlegungen gewesen ist.
Zweitens: zur Herabsenkung der Altersgrenzen. Die Altersgrenzen des westdeutschen Rentenrechts werden vom 1. Januar 1992 an in einem Schritt auch in den jungen Bundesländern gelten. Damit wird insbesondere für Männer, die bisher erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres eine Altersrente beziehen können, der Rentenbeginn in vielen Fällen ab dem 60. Lebensjahr ermöglicht. Dies betrifft 200 000 Versicherte. Das sind Fakten, meine Damen und Herren.
Drittens: zur Verbesserung der Invalidenrenten. Durch die Übertragung des Rechts der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit wird sich die Zahl der Invalidenrenten in den jungen Ländern um etwa 50 erhöhen. Allein hierfür belaufen sich die Aufwendungen auf 1 bis 1,5 Milliarden DM im Jahr.
Wenn teilweise in der Öffentlichkeit von interessierter Seite von einer Diskriminierung der Behinderten gesprochen wird, so ist dies der untaugliche Versuch, Bürgerinnen und Bürger bewußt falsch zu informieren. Soweit die versicherungsrechtlichen oder persönlichen Voraussetzungen des Sozialgesetzbuches VI nicht erfüllt werden, besteht im Rahmen der Vertrauensschutzregelung bei Rentenbeginn bis zum 30. Juni 1995 die Möglichkeit zum Bezug einer Invalidenrente in der nach dem Recht von Dezember 1991 berechneten Höhe.
Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß es uns primär nicht darum geht, Behinderten eine Invalidenrente zu zahlen, sondern wirksam eine Rehabilitation zu erreichen. Behinderte sollen nicht aus dem Berufsleben ausgegliedert werden. Sie sollen vielmehr die Chance haben, sich im Berufsleben zu verwirklichen.
Viertens: zur Übergangsregelung mit Bestands- und Vertrauensschutz. Das Renten-Überleitungsgesetz enthält Übergangsregelungen, nach denen die laufenden Renten eine weitgehende Besitzstandswahrung enthalten. Bei Rentenzugängen zwischen 1992 und 1995 wird das in der ehemaligen DDR geltende Recht da zugrunde gelegt, wenn sich hieraus eine höhere Rente als nach dem neuen Recht ergibt.
Fünftens. Lassen Sie mich zur Beibehaltung des Sozialzuschlags noch einiges sagen. In Anbetracht der Tatsache, daß es in den jungen Bundesländern noch keine funktionierende Sozialhilfe gibt, wird der pauschal auf die Renten zugezahlte Sozialzuschlag bis zum 31. Dezember 1996 beibehalten. Wir lassen es aber nicht zu, wenn die SPD den Sozialzuschlag zu einer Art Grundrente umfunktionieren will. Es muß
dabei bleiben, daß die Rente Alterslohn für Lebensleistung ist. Der Sozialzuschlag darf nicht zum trojanischen Pferd für die Einheitsrente werden.
({10})
Die soziale Grundsicherung wird durch die Sozialhilfe gewährleistet. Wer das vermischt, betrügt die Rentner. Im übrigen müssen wir uns davor hüten, die Sozialhilfe pauschal zu diffamieren. Gerade aus den Reihen der SPD sind solche Diffamierungsversuche in der letzten Zeit häufig zu hören.
Sechstens. Lassen Sie mich zum Finanzverbund zwischen den Rentenversicherungen West und Ost einige Ausführungen machen. Mit der Überleitung des Rentenrechts wird ein Finanzverbund der Rentenversicherungen in Ost und West hergestellt. Dies ist ein sichtbarer Ausdruck gesamtdeutscher Solidarität. Die Rentenversicherung West hat in den zurückliegenden Jahren durch die Beitragszahlungen von Übersiedlern und Pendlern sowie durch den Konjunkturschub, der durch die deutsche Einheit verursacht wurde, erheblich gewonnen. Dieses mehr verdiente Geld muß nun wieder zurückfließen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie müssen schon mit Taubheit oder Blindheit geschlagen sein, wenn Sie diese gewaltigen Verbesserungen leugnen oder herunterspielen wollen.
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Statt dessen reden Sie von positiven Systemelementen des Rentenrechts. Sie wissen genauso gut wie ich, daß diese Systemelemente nicht das Papier wert waren, auf dem sie standen.
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Entscheidend ist, was unter dem Strich an barem Geld herauskommt.
Nun noch einiges zur Behandlung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme : Eine gewaltige und aus verfassungsrechtlicher Sicht äußerst schwierige Aufgabe ist die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in das Rentenreformgesetz 1992. Alle Bürgerinnen und Bürger in den jungen Bundesländern wissen, daß diese Systeme oftmals nichts anderes als die Verlängerung sozialistischer ungerechtfertigter Bereicherung bis hin in das Rentenalter darstellen. Wir wissen aber auch, daß dies nicht auf alle Versorgungssysteme zutrifft.
Die Aufgabe des Deutschen Bundestages bestand nun darin, dieses Problem gerecht zu lösen. Leitsatz bei unseren Entscheidungen, ob und in welchem Umfang die Versorgungssysteme überführt werden sollten, war: Das Unrecht der Vergangenheit darf sich nicht im Rentenrecht der Gegenwart fortsetzen. Das heißt konkret: Für ehemalige Stasi-Angehörige erfolgt eine Begrenzung der Altersleistung auf 802 DM monatlich und ab 1992 auf 70 % der Rente eines Durchschnittsverdieners.
Für Personen, die Leistungen aus den Zusatzversorgungssystemen erhalten, erfolgt eine differenzierte Regelung. So erhalten diese Personen, je nachdem, wie stark sie eine systemfördernde Funktion innehatten, den einfachen bis hin zum 1,8fachen Satz des jeweiligen Durchschnittsrentenniveaus.
Aus unserer Sicht kann es nicht angehen, daß der gesellschaftspolitisch nicht weiter in das Unrechtssystem verstrickte Naturwissenschaftler nunmehr, weil er sich zufällig in einem Zusatzversorgungssystem befindet, benachteiligt werden soll.
Was meint unser eifriger Sozialexperte Herr Dreßler von der SPD dazu?
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Herr Dreßler sagte im Wortlaut gegenüber der „Berliner Morgenpest"
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- „Morgenpost" ! Entschuldigung! -, also gegenüber der „Berliner Morgenpost" :
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Zu denen, die immer noch Renten von Honeckers Gnaden kassieren, gehört der Personenkreis, der im SED-Deutsch als Angehörige der wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Intelligenz bezeichnet wurde.
Ihre Sentenz, die ich eben hier vor dem Hause auszugsweise zitiert habe, läßt mich erheblich zweifeln, was Sie eigentlich wollen. Sie scheren mit dieser Äußerung alle Zusatzversorgungssysteme über einen Kamm.
Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß keine zwei Monate später die SPD einen genau entgegengesetzten Standpunkt einnimmt. Was waren wir von der CDU/CSU-Fraktion doch erstaunt, als gerade aus den Reihen der SPD lautstark gerufen wurde, man sollte keine pauschalen Kürzungen bei den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen vornehmen,
({16})
sondern der Staatssicherheit, der Volksarmee und dem Zoll in umfangreichem Maße die Renten erhalten.
Wortwörtlich forderte die SPD nunmehr - im Gegensatz zu ihrem Sozialexperten Dreßler -, daß die Leistungen aus dem Versorgungssystem für Pädagogen oder der technischen und wissenschaftlichen Intelligenz differenziert betrachtet werden müssen.
({17})
Meine Damen und Herren von der SPD, ich habe zwar Verständnis dafür, wenn man kraft besserer Einsicht in der Lage ist, seine Meinung zu ändern. Hier drängt sich für mich allerdings der Eindruck auf, daß Verwirrungstaktik die Triebfeder Ihres Handelns ist.
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Wie sonst kann man bei einem so ernsten Problem wie dem der Anpassung von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in der von Ihnen gewählten Art und Weise vorgehen. Erst wollen Sie pauschal kürzen, dann wollen Sie die Vorteile aus dem Sonderversorgungssystem weitgehend erhalten. Man gewinnt hier den Eindruck, daß Sie, um dieses Gesetzgebungsvorhaben zu verzögern, diese Einwände angebracht haben.
({19})
Ich möchte es den Bürgerinnen und Bürgern in den jungen Bundesländern überlassen, diese Kehrtwende als Anbiederung bestimmter Personengruppen zu bewerten.
Die SPD behauptet nun vollmundig, daß eine einmalige historische Chance vorhanden sei, die positiven Strukturelemente des DDR-Rentenrechts mit denen des West-Rechts zu kombinieren. Die SPD meint hier vor allen Dingen eine bessere Absicherung der Frauenrentensysteme. Dies hat die SPD im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens zum Anlaß genommen, ein eigenständiges Vorschaltgesetz einzubringen.
Die SPD war doch tatsächlich der Ansicht, daß das Rentenreformwerk 1992 nicht zum 1. Januar 1992 in den jungen Bundesländern in Kraft treten soll. Sie hätten damit den Menschen in den jungen Bundesländern ein umfassendes und ausgewogenes Rentensystem verweigert.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen ganz genau, daß ein weiteres Zuwarten nichts anderes als endlose und unergiebige Diskussionen mit sich bringt, ohne daß positive Ergebnisse erzielt werden.
({20})
Deshalb ist es aus der Sicht der CDU/CSU geboten, jetzt die Rentenreform in allen Bundesländern zu verwirklichen. Es wäre verhängnisvoll, die Rentenüberleitung mit der immerwährenden Aufgabe der Rentensystemverbesserung zu kombinieren. Eine solche Verquickung zweier ganz unterschiedlicher Aufgabenstellungen bringt nur Unsicherheit in die Bevölkerung und Unordnung in das Rentensystem und in die Kassen der Versicherungsträger.
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Im übrigen bleibt festzustellen, daß Ihr Entwurf eines Vorschaltgesetzes vollkommen praxisuntauglich ist.
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Ein solches Vorschaltgesetz führt zur Perpetuierung des derzeit geltenden Mischrechts. Es schafft Ungerechtigkeiten im Verhältnis zu Rentenbeziehern im Westen, die ganz plötzlich erheblich benachteiligt werden.
Ferner verschweigen Sie, daß Ihr Gesetzentwurf zu einer weiteren Mehrbelastung von mindestens 3 Milliarden DM pro Jahr führen würde.
Die Koalition und die SPD haben in einem Entschließungsantrag festgelegt, daß in einem weiteren
Schritt das Rentenreformrecht 1992 fortentwickelt wird. So sind die Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD der Auffassung, daß die Fortentwicklung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frauen möglichst noch in dieser Legislaturperiode angepackt werden soll und bis spätestens 1997 durch konkrete Maßnahmen verbessert werden muß.
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Dabei ist es erklärte Absicht, im Interesse der Frauen das Rentenrecht so zu entwickeln, daß bei der Anerkennung der Familienarbeit nicht nur die Kindererziehung, sondern auch die Pflege von Angehörigen berücksichtigt wird.
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Die Rentenreform 1992 kann und darf nur behutsam und organisch fortentwickelt werden.
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Jetzt wollen wir erst einmal schnelle Verbesserungen und keine rentenideologischen Grabenkriege.
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Wir begrüßen es, meine Damen und Herren, daß die SPD im Rahmen des jetzt erreichten Konsenses nunmehr konsequent die sachlichen Gegebenheiten und Gründe für dieses Gesetz anerkennt und der Überleitung des Rentenrechts, das sie vor zwei Jahren mit gewollt und mitgetragen hat, zustimmen will.
Die Koalition der Einheit schafft die Einheit auch im sozialen Bereich. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen sich dem sicherlich nicht verweigern.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Als nächste hat die Abgeordnete Ulrike Mascher das Wort.
({0})
Nein, Herr Staatssekretär, eine Mascher-Rede.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rother, daß Opposition und Regierungsfraktionen bei der Bewertung von Ergebnissen und in bezug auf den Ablauf der Beratungen zu unterschiedlichen Resultaten kommen, ist sicher normal. Aber über weite Strecken Ihrer Rede habe ich den Eindruck gehabt, daß Sie und ich in verschiedenen Ausschußsitzungen gewesen sind.
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- Obwohl ich auf der linken Seite gesessen habe, kann ich Ihre Bewertung dessen, was in den Ausschußberatungen abgelaufen ist und was die Opposition mit viel Arbeit und Engagement in die Ausschußberatungen eingebracht hat, als Verzögerung wirklich nicht teilen.
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Aber ich denke, daß nach der folgenreichen Entscheidung gestern abend auch heute ein Gesetz zur Beschlußfassung auf der Tagesordnung steht, das für alle Menschen in den fünf neuen Bundesländern unmittelbare und ganz existentielle Auswirkungen hat. Ich wage deshalb die Behauptung: Die heutige Entscheidung steht, wenn sie auch nicht unter dem Scheinwerferlicht aller Fernsehanstalten stattfindet, gleichgewichtig neben der Entscheidung von gestern.
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Lassen Sie sich von dem bürokratisch klingenden Kürzel „Renten-Überleitungsgesetz" nicht täuschen. Hier wird über die Lebenslage von Rentnern und Rentnerinnen und - ich sage es einmal ein bißchen pathetisch - von Witwen und Waisen entschieden. Hier werden die Weichen für die materielle Existenzgrundlage auch derjenigen gestellt, die heute noch Jahre oder Jahrzehnte vor dem Rentenbeginn stehen.
Weil dieses Gesetz den Menschen der ehemaligen DDR ohne Ausnahme unser System der sozialen Sicherung, das sich ohne Zweifel bewährt hat, überstülpt, weil dieses Gesetz höchst komplexe Sachverhalte regelt und weil es auch erhebliche finanzielle Auswirkungen für die Betroffenen, für die Beitragszahler der Sozialversicherung, für den Bund und für die Länder hat, wäre eine sorgfältige inhaltliche und politische Vorbereitung und Diskussion dieses Gesetzes notwendig und angebracht gewesen. Aber eine solche Diskussion braucht Zeit. Wir haben diese Zeit nicht gehabt.
({3})
Das Gesetz wurde dem federführenden Ausschuß am 26. April überwiesen. Wir haben in drei öffentlichen Anhörungen von Sachverständigen und in einer dichten Folge von Sitzungen versucht, trotzdem eine sorgfältige Befassung mit diesem Gesetz zu sichern.
Aber wie eng unser Spielraum dabei war, macht ein Zitat aus der Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger deutlich - ich zitiere - :
Weil andernfalls die rechtzeitige Umsetzung der Neuregelung generell in Frage gestellt wäre, halten wir es für unbedingt erforderlich, daß keine wesentlichen Änderungen zum Inhalt des Gesetzentwurfs mehr vorgenommen werden und daß der Entwurf ohne weitere parlamentarische Hürden verabschiedet wird. Können die vorbereitenden Arbeiten für die Umsetzung der Neuregelung nicht rechtzeitig abgeschlossen werden, wären die Rentenversicherungsträger handlungsunfähig.
Zum Glück haben sich die Opposition und die Koalition davon nicht gänzlich beeindrucken lassen. Wir
haben wesentliche Änderungen des Entwurfs vorgenommen. Ich denke, das war auch notwendig.
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Trotzdem war wenig Raum für die Prüfung, welche der Strukturelemente der Sozialversicherung der ehemaligen DDR für das westdeutsche Rentenversicherungssystem eine wichtige und lange und auch von Teilen der Koalition geforderte Ergänzung gewesen wäre, z. B. die Anrechnung von Zeiten der Pflege von Angehörigen oder - das ist eine Forderung, die wir immer aufgestellt haben - eine Mindestrente, eine soziale Grundsicherung.
Der Versuch der SPD, mit einem Vorschaltgesetz Zeit für Beratung und Zeit für eine konkrete Umsetzung des Gesetzes zu schaffen, wurde von der Koalition abgelehnt.
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So bleibt es auch dabei, daß im Gesetz schon vorsorglich eine Regelung festgeschrieben wird, wie die schon jetzt voraussehbaren Fehlberechnungen von Renten - allerdings erst ab 1994 - überprüft und korrigiert werden können. Ich finde, wir als Gesetzgeber stellen uns damit ein Zeugnis mit der Note „ungenügend" im Hinblick auf die praktische Umsetzung dieses Gesetzes aus.
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Wegen des großen Zeitdrucks haben die Beratungen im Ausschuß zwar die notwendige Vorarbeit geleistet, um deutlich zu machen, daß das Gesetz in der von der Regierungskoalition vorgelegten Fassung unhaltbar ist. Mehrheiten für eine Änderung des Gesetzes mit der SPD wurden im Ausschuß aber nicht gefunden. Die Koalition nutzte ihre Mehrheit ausnahmslos für ihre Vorstellungen. Herr Rother, bis zu diesem Zeitpunkt der Arbeit am Gesetz mag Ihr Diskussionsbeitrag in Ton und Inhalt die Situation richtig wiedergegeben haben, aber außerhalb der Ausschußsitzungen hat die Regierung im Gespräch mit Vertretern der SPD - insbesondere mit unserem Sozialexperten Rudolf Dreßler - dann doch nach Möglichkeiten gesucht, die die zentralen Forderungen der SPD - keine Verschlechterung der eigenständigen Rente von Frauen und keine Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht - aufnehmen.
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Eine solche Öffnung für die Forderungen der Opposition wäre ohne die breite Ablehnung, die besonders die Vermischung von Strafrecht und Sozialrecht im Regierungsentwurf in der Expertenanhörung gefunden hat, und ohne die intensive Beratung von seiten der SPD im Ausschuß nicht möglich gewesen.
({8})
Sie ist aber auch der Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu danken. Die Wählerinnen und Wähler in Hessen und in Rheinland-Pfalz haben insofern einen Solidaritätsbeitrag für die ostdeutschen Länder geleistet.
({9})
Bei der ersten Lesung des Gesetzes habe ich hier festgestellt, daß die Frauen für die Einheit teuer zahlen müssen, daß es für die Frauen in der ehemaligen DDR auf Grund dieses Renten-Überleitungsgesetzes hinsichtlich ihrer eigenen Rentenansprüche erhebliche Verschlechterungen gibt; Verschlechterungen, die nur für wenige Jahre zugunsten der Frauen, die bereits eine Rente erhalten, durch sogenannte Auffüllbeträge aufgefangen werden. Für diejenigen, die ab 1992 in Rente gehen, wäre ein solcher Bestandsschutz nicht gegeben gewesen.
Gleichzeitig werden die Strukturelemente, die für eine eigenständige soziale Sicherung aller Frauen in der Bundesrepublik wichtig sind - uneingeschränkte und erweiterte Anerkennung von Kindererziehungszeiten und von Pflegezeiten; auch ein Anliegen der Koalitionsfraktionen - , erst einmal gestrichen.
Wir haben jetzt auf Grund des Engagements von Frauen der SPD und der FDP einen Schritt nach vorn gemacht. Ich nehme an, daß die Frauen aus CDU und CSU - auch wenn sie heute leider nicht im Plenum sind -, auch wenn es in der Ausschußarbeit nicht erkennbar war, ihren Beitrag dazu geleistet haben.
({10})
- Ich begrüße eine Kollegin der CDU/CSU-Fraktion.
Wir können heute über einen Bestandsschutz bei der eigenen Rente für alle Rentnerinnen und Rentner bis 1996 und über die verbindliche Absichtserklärung beschließen, bis zu diesem Zeitpunkt eine eigenständige soziale Sicherung der Frauen in unserem Rentensystem zu realisieren, die diesen Namen dann auch verdient. Dabei ist es für die SPD unverzichtbar, daß für die Frauen im Osten und im Westen der Skandal der Altersarmut von Frauen endlich wirksam bekämpft wird.
({11})
Denn für diese uralte soziale Frage gibt es immer noch keine Antwort; es gibt immer noch keine angemessene gesetzliche Sicherung des Existenzminimums außerhalb des Sozialhilferechts.
({12})
Im Renten-Überleitungsgesetz werden bis 1996 Sozialzuschläge zur Sicherung des Existenzminimums für rund 640 000 Rentnerinnen und rund 35 000 Rentner übernommen.
Die Frauen, die 1992 und 1993 in Rente gehen, werden ebenso, z. B. als Alleinstehende, mindestens 600 DM erhalten. Dieser Vertrag wird parallel zur Entwicklung der Sozialhilferegelsätze in den neuen Bundesländern angehoben. Er wird also etwa entsprechend der Steigerung der Lebenshaltungskosten
dynamisiert. Wie bei der Hinterbliebenenrente sollen Erwerbseinkommen dann angerechnet werden.
Mit dem Bestandsschutz für die eigenständige Rente von Frauen und dem Ausbau der Sozialzuschläge, der zu 95 % Frauen zugute kommt, wird für einige Jahre, bis 1996, die materielle Existenz von Rentnerinnen in den fünf neuen Bundesländern weitgehend abgesichert. Die SPD wird diese Jahre nutzen, um durch Regelungen für eine uneingeschränkte Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Zeiten der Pflege, durch eine soziale Grundsicherung zum Abbau der Altersarmut und durch eigenständige Rentenanwartschaften von Frauen an Stelle der abgeleiteten Hinterbliebenenrente eine Alterssicherung von Frauen auszubauen, die der gesellschaftlichen Realität und dem gewandelten Selbstverständnis von Frauen entspricht. Ich freue mich schon heute auf einen fruchtbaren Wettbewerb aller Parteien bis 1996, wer denn das beste Konzept für die Frauen entwickeln und durchsetzen kann.
({13})
Ich bin sicher, Herr Staatssekretär Seehofer, daß die SPD hier erfolgreich sein kann.
({14})
Ein besonders schwieriger Abschnitt unserer Beratungen war der Teil des Gesetzes, der durch pauschale Kürzungen und individuelle Aberkennung von Renten aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR das Recht der sozialen Sicherung dafür nutzen wollte, 40 Jahre Unrecht auszugleichen oder abzustrafen, weil das Strafrecht zu langsam, zu schwach oder gar nicht wirksam wird. Hier haben ausnahmslos alle Verfassungsrechtler bei den Anhörungen schwerste grundsätzliche Bedenken angemeldet und damit die Position der SPD bekräftigt.
Zusatzversorgungen gab es in der ehemaligen DDR - nur, um Ihnen eine Anschauung zu geben - für ganz unterschiedliche Berufsgruppen, für die Mitarbeiter des Staatsapparats, für den FDGB, für die Mitarbeiter der LDPD, der CDU und der SED/PDS, aber auch für Ballettmitglieder, für künstlerisch Beschäftigte beim Funk, beim Fernsehen, beim Film und beim Staatszirkus, für Ärzte und Apotheker, für Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, für Direktoren von Kombinaten und landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Wahrscheinlich haben alle Fraktionen Briefe von Vertretern dieser unterschiedlichen Berufsgruppen erhalten, die eine pauschale Verdächtigung als staatserhaltend und systemnah und die daraus folgende Kürzung der Rente, nur weil sie einer bestimmten Berufsgruppe angehörten, der ein eigenes Zusatzversorgungssystem zugeordnet war, als ungerecht empfinden.
Die SPD hat sich, auch wenn sie die Gefahr gesehen hat, nach bekanntem Strickmuster diffamiert zu werden, immer wieder dafür eingesetzt, daß bei aller verständlichen Empörung über Renten für die Stützen des DDR-Regimes verfassungs- und rechtsstaatliche Grundsätze Schranken setzen, die Sozialdemokraten
und Sozialdemokratinnen nicht unterlaufen können und nicht abbauen wollen.
({15})
Sozialrecht darf nicht als Strafrecht mißbraucht werden.
({16})
- Herr Louven, Sie wissen es besser, daß wir dem Honecker die Rente nicht überweisen wollen.
({17})
- Niemand, auch Sie nicht, Herr Louven, kann schlüssig erklären, warum sich die Höhe einer Waisenrente danach unterscheidet, ob der Vater bei der Staatssicherheit oder beim Zoll war.
Ob wir mit dem mühsam gefundenen Ergebnis, das in geänderter Form in Art. 3 als Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen beschlossen werden soll, ein Gesetz beschließen, das bei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, wage ich nicht vorherzusagen. Wir Sozialdemokraten haben versucht, willkürliche und dem Sozialversicherungssystem fremde Eingriffe zu verhindern.
Ein besonders krasser Versuch, sich dieses Gesetzes zur Entlastung der Parteikassen der CDU, FDP und PDS zu bedienen, konnte verhindert werden.
({18})
Die entsprechende Regelung findet sich nicht mehr im Rentenüberleitungsgesetz.
({19})
Es ist aber nicht abschließend geklärt, wer nun auf Dauer für die Kosten der Altersversorgung der Parteimitarbeiter aus der ehemaligen DDR, von CDU, FDP und PDS, aufkommen wird. Hier sollte das Parlament sorgfältig darauf achten, ob und wie dieser Punkt wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Die Arbeit an diesem Gesetz war wegen des Zeitdrucks und der komplexen Sachverhalte für alle schwierig und belastend, für die Abgeordneten und für die Mitarbeiter der Fraktionen, denen ich ganz besonders danke, für den Ausschußvorsitzenden und seine Mitarbeiter, der unsere Arbeit überhaupt erst ermöglicht hat, für die Mitarbeiter in den zuständigen Ministerien, für die Sachverständigen, die sich für unsere Beratungen immer wieder zur Verfügung gestellt haben, und möglicherweise auch für den Minister und den zuständigen Staatssekretär. Ich denke, wir haben ihnen allen Dank abzustatten.
({20})
- Die betrifft nicht Sie, Herr Staatssekretär, die betrifft möglicherweise den Minister.
({21})
Ich hoffe, daß wir heute am Ende der Beschlußfassung sicher sein können, im Interesse der Betroffenen, besonders der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern, ein Gesetz gemacht zu haben, das trotz der für die SPD schmerzhaften Kompromisse eine tragfähige Brücke in die Zukunft baut.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Rentenüberleitung erreicht heute fristgerecht in zweiter und dritter Lesung den Deutschen Bundestag. Keiner hört uns schneller atmen. Aber die Eingeweihten wissen, was es bedeutet, daß dieses Gesetz wie vorgesehen am heutigen Tag beraten wird. Kollege Dreßler hatte es uns - siehe erste Lesung am 26. April 1991 - zumindest noch nicht zugetraut und damit uns und - was noch seltsamer ist - sich selbst enorm unterschätzt.
({0})
Nach all den Sitzungen, Anhörungen, internen und externen Beratungen laufen wir ein wie in einem Marathon: Egal, wie wir aussehen, wir sind am Ziel. Der Einigungsvertrag hatte das Datum gesetzt und die Überführung unserer gesetzlichen Rentenversicherung auf das Beitrittsgebiet, wie es immer heißt - ein unschöner Ausdruck, aber „ehemalige DDR" ist auch nicht so gut -, bis zum 1. Januar 1992 vorgeschrieben. Die Rentenversicherungsträger haben immer wieder gedrängt und uns gebeten, daß mindestens sechs Monate Zeit sein müsse, um die gigantische Operation dieses Rechtstransfers vorbereiten und durchführen zu können. Insgesamt sollen 3 Millionen Rentenbescheide ausgefertigt werden; deswegen auch ihre Mahnung zu pauschalieren, um die Sache computergerecht durchführen zu können.
Das Renten-Überleitungsgesetz ist ein umfangreiches Gesetz, ein kompliziertes und verästeltes Regelwerk. Darüber hinaus birgt es noch in einigen Problemfeldern enormen politischen Sprengstoff.
Daß es uns gelungen ist, nicht allein in der Koalition - das war auch schon schwierig -, sondern auch noch mit der Opposition hier eine Einigung zu erreichen, grenzt an Wunder. Die bewährte Tradition, daß sich im Rentenrecht beide großen Volksparteien CDU und FDP verständigen müssen, weil Fehlentscheidungen weit über die Zeiträume einer Legislaturperiode hinauswirken, konnte auch hier erhalten werden, und zwar - ich möchte das hier anerkennen - dank der geschmeidigen Verhandlungskunst, Zähigkeit,
Zielstrebigkeit und Mut der politischen Sprecher Julius Louven, Julius Cronenberg und Rudolf Dreßler.
({1})
Ich denke, daß wir mit Polemik gerade bei diesem Gesetz sehr wenig ausrichten können. Ich meine, manche scharfe Formulierung ist sicher nicht für dieses Haus und die hier Sitzenden gedacht, sondern mehr für diejenigen, denen man manches an diesen Kompromissen deutlich und verständlich machen muß. Wir sollten das vielleicht etwas locker und sportlich nehmen.
Meine Damen und Herren, über die Vorzüge des Rentenrechts im Westen im Vergleich zum Rentenrecht der ehemaligen DDR ist schon viel gesagt worden. Bei uns richten sich die Beiträge nach dem Lohn, die Rente richtet sich nach den Beiträgen und wächst entsprechend der Lohnentwicklung. Es ist vor allem diese Leistungsbezogenheit, die das Rentenrecht West von dem entsprechenden Recht der ehemaligen DDR unterscheidet. Dort war die Rente in erster Linie ein Versorgungswerk. Es enthielt Mindestrentenregelungen, über die wir politisch in diesem Hause ja sehr unterschiedlich denken. Die FDP hat sich, wie Sie wissen, immer dagegen gewehrt, daß es eine Mindestrentenregelung geben soll.
({2})
Das DDR-Recht verzweigte sich in einen unbeschreiblichen Wust von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Ich kann mir den Schrecken der hochqualifizierten Beamten des Ministeriums gut vorstellen, als sie diesen Schrank öffneten und wahrnahmen, was es alles gab: allein 67 verschiedene Zusatz- und Sonderversorgungssysteme mit und ohne Beitragspflicht, eingerichtet zu völlig unterschiedlichen Zeiten, oft auch nur gedacht als Bonbon in der Tarifrunde, ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Klare Bezüge zu Lohn, Leistung und Beiträgen waren gekappt.
Um nun Bestandsrenten und Rentenanwartschaften für unser Recht passend zu machen, waren mutige Entscheidungen notwendig und Schnitte nicht zu umgehen. Dennoch soll hier kurz noch einmal festgestellt werden, daß im großen und ganzen das westliche Rentenrecht nicht nur mehr Ordnung und Übersichtlichkeit, sondern auch finanzielle Vorteile bringt. Ich nenne diesbezüglich folgende Stichworte: Rentenzeit, für viele - vor allem Männer - günstigere Bedingungen, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrenten an Stelle der Invalidenrenten, Hinterbliebenenrecht, das für rund 900 000 Frauen die Rente verbessert.
Wenn ich mich im folgenden auf die schwierigen Einzelprobleme beschränke und das Grundsätzliche jetzt nur kurz streife, soll das Bild damit nicht verschoben werden. Ich stelle fest: Die Rentner im Osten stehen sich in Zukunft besser als vorher und werden auch die Preisentwicklung bestehen.
Für die FDP gab es auf Grund ihrer Einstellung zu diesem Gesetz und vor allem auch nach den ErkenntDr. Gisela Babel
nissen und Bestätigungen dieser Einstellung in den drei Anhörungen insgesamt vier Probleme, deren Lösung Veränderungen des ursprünglichen Entwurfs erforderte.
Erstes Problem: Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten im Rentenrecht West und Ost; zweites Problem: Zusatzversorgung mit ihrer vorgesehenen generellen Kappung und Begünstigtenverordnung. Wir haben den Grundsatz jetzt umgedreht, so daß die Ausnahme im Gesetz genau bezeichnet wird; drittes Problem: die im Einzelfall vorgesehene Verminderung und Streichung von Renten wegen Verstößen gegen die Menschlichkeit und das dazu gewählte Verfahren nach Art. 4; viertes Problem: Fremdrenten.
Während wir bei diesen vier Problemen etwas verändern wollten - und, wie sich jetzt am Ende herausstellt, auch verändern werden - , galt es, Veränderungen beim fünften Punkt, soweit es ging, zu verhindern, nämlich darauf zu achten, daß mit dem systemfremden Sozialzuschlag nicht unversehens die Straße in Richtung Mindestrentenregelung beschritten wird. Auch das ist - entgegen den Verlautbarungen der SPD - weitgehend gelungen.
Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, in diese Kapitel einsteigen und den Entscheidungsprozeß bei den Frauenrenten darstellen. In der Öffentlichkeit heißt es vielfach: Nicht alles in der DDR war schlecht. Sehen Sie sich die Frauenrenten an. - Der VDR schrieb kürzlich, daß die Frauenrenten im Osten derzeit höher sind als im Westen. Aber das ist keine Nachricht, die zur Besorgnis, sondern eher zur Anerkennung und Befriedigung Anlaß gibt.
Auf der anderen Seite sind Frauen zu zwei Dritteln die Bezieherinnen der Mindestrenten. Auch die günstigen Bestimmungen über Anerkennung der Kindererziehung und Pflege können daran nichts ändern. Maß muß also genau hingucken und differenzieren.
Frauen in der ehemaligen DDR sind in höherem Maße berufstätig gewesen als Frauen bei uns im Westen. Auf Grund dieser Tatsache, also der längeren und nicht unterbrochenen Rentenbiographie, beziehen sie auch nach unserem Recht entsprechend höhere Renten, als die Frauen im Westen es in der Regel können. Das liegt nicht zuletzt an diesem perfekten Netz der Kinderbetreuungseinrichtungen, - perfekt im Sinne des ausreichenden Angebots -. Und daß sie berufstätig waren, war auch notwendig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Anerkennung der Kindererziehung in der Rente - ein Kind wurde mit einem Jahr angerechnet, bei drei Kindern und mehr erhöhte sich der Zeitraum auf drei Jahre pro Kind - ergab einen Betrag pro Kind in Höhe von umgerechnet etwa 6 DM - inzwischen wird dieser Betrag schon gestiegen sein - , während sich ein Jahr Kindererziehungszeit nach unserem Rentenrecht mit 30 DM niederschlägt, und zwar dynamisch.
Das politische Problem, das nun auch für uns im Westen aufbrach, war folgendes: Mit der Überführung des Rentenrechtes ({3}) könnte ja die Kindererziehung als Rentenzeit für die Frauen nur dann anerkannt werden, wenn sie - abgesehen von Tätigkeiten, mit denen sie die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten - daneben nicht gearbeitet haben. Die Frauen fielen also nun praktisch durch den Rost. Sie hätten weder die bescheidenen Zuwendungen nach Ostrecht noch die entsprechenden nach Westrecht beanspruchen können. Dieser Sachverhalt erschien vielen meiner Kolleginnen und Kollegen und mir - die Fraktion hat sich dem angeschlossen - als verbesserungsbedürftig und nicht hinnehmbar.
Es gab zwei Lösungsmöglichkeiten: Die eine war, das Ostrecht unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes weiter aufrechtzuerhalten, also eine Verlängerung der schon bis 1995 hinausgeschobenen Frist vorzusehen, ab der dann abgeschmolzen werden sollte. Das aber steht im Widerspruch zu unserem Bestreben, Rechtseinheit zu schaffen. Die andere Möglichkeit war, das Westrecht zu verbessern und für alle Frauen in Ost und West eine gemeinsam verbesserte Anrechnung der Familienarbeit im Rentenrecht einzuführen.
Die Koalition entschied sich grundsätzlich für den zweiten Weg. Wir erkannten aber, daß die Reform in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeitspanne nicht zu bewältigen war. Auf der anderen Seite konnte man das Hinausschieben insofern verantworten, als bis Ende 1996 kein Abschmelzen dieser Rentenbestandteile vorgesehen ist.
Daher sollte in einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP das Einvernehmen bekundet werden, sowohl die Zeiten für die Pflege von Angehörigen als auch Kindererziehungszeiten neben der Berufstätigkeit noch in dieser Legislaturperiode in einer gesetzlichen Regelung anzuerkennen, und zwar nicht „möglichst", sondern wirklich.
Der Ihnen jetzt vorliegende große Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD erweitert das Reformvorhaben. Bis 1997 sollen auch das Hinterbliebenenrecht und das Problem der Altersarmut Gegenstand neuer Überlegungen im Rentenrecht sein.
Sicher müssen wir angesichts der Belastungen, die unsere sozialen Sicherheitssysteme derzeit aushalten, behutsam und mit Augenmaß weitere Reformen ansteuern. Aber eines ist gewiß: Die Verbesserungen in der additiven Kindererziehungszeit, von der FDP schon lange angestrebt und bislang vergeblich mit dem Koalitionspartner verhandelt, müssen vor Ablauf der Legislaturperiode beschlossen werden.
Ich stehe nicht an zu bemerken, daß uns, der FDP, beim Erreichen dieses Ziels die deutsche Einheit sehr gelegen kam und daß eine solche Regelung ihren Impuls dem Rentenrecht im Osten Deutschlands verdankt.
In diesem Zusammenhang einen Hinweis auf die Alterssicherung der Bäuerinnen. Sie wissen, daß die Alterssicherung der Bäuerinnen in der DDR geregelt war und daß die Bäuerinnen einen Rentenanspruch hatten, während das bei uns nicht der Fall ist. Auch hierzu werden wir Überlegungen anstellen müssen, wie diesen Frauen bei uns im Westen eine adäquate
und entsprechende Versorgung zugute kommen kann.
({4})
Denn auch hier werden wir es aus politischen Gründen und auch unter Gleichheitsaspekten auf die. Dauer nicht aushalten können, daß wir eine Regelung haben, die die Frauen im Osten begünstigt und unsere Frauen mit leeren Händen dastehen läßt.
({5})
Zum Thema der Zusatzversorgung und Sonderversorgung: Im Einigungsvertrag steht, daß die Zusatzversorgungs- und Sonderversorgungssysteme ins Rentenrecht zu überführen und überhöhte Leistungen abzubauen sind.
Dieser Auftrag hat weitreichende Folgen. Ich bin nicht sicher, wieweit sich die Vertragspartner über diese Folgen ganz im klaren waren. Der Gesetzgeber aber muß sich an diese Vorgaben halten.
Eine Zusatzversorgung gab es für eine Reihe von Berufsgruppen. Sie sind schon aufgeführt worden: etwa für Wissenschaftler, Künstler, Sportler, Richter, Techniker und viele gab es extra eingerichtete Zusatzversorgungen. Die einen umfaßten ganz wenige Personen, die anderen sehr viele. Der gesamte öffentliche Dienst und der ganze Beamtenstand waren in diesen Systemen untergebracht. Sie sind nun einzupassen.
Ein großer Teil der Diskussionen, die drüben auch unter Vergleichen mit unserem System geführt werden, resultiert aus der Tatsache, daß Angehörige des Staatsdienstes nun bei uns zu Rentnern werden, während Staatsbedienstete in entsprechenden Berufen bei uns keine Rente, sondern eine Beamtenpension erhalten, die in den meisten Fällen eine höhere Versorgung als die bedeutet, die unter dem Dach des jetzigen Rentenrechts überhaupt möglich sind; der Rahmen des Rentenrechts gilt ja für alle, d. h. daß wir keine höheren Renten als derzeit ca. 3 200 DM haben.
In diesen Rahmen müssen sich auch die Anwartschaften und die bestehenden Renten einpassen. Der Hochschullehrer aus Jena wird also durch die Rentenüberführung auf Grund des Einigungsvertrags zum Rentner, und zwar durchaus mit einer Beeinträchtigung seiner Altersversorgung. Dies führt zu nicht geringem Ärger und zu Empörung. Es gibt eine Menge Protest. Wir haben das an den Briefen gemerkt.
Ich glaube, nicht zuletzt dies hat zu einem Umdenken bei unseren Kollegen aus den neuen Bundesländern geführt. Auch sie selber waren vielleicht am Anfang von der Überzeugung durchdrungen, daß es richtig sei, diese Versorgungssysteme in einem großen Rahmen und sehr fühlbar herunterzufahren. Das Nachdenken hat begonnen. Ich glaube, es war ein Gutteil dieses Umdenkens, das die jetzigen Regelungen begründen.
({6})
- Nein.
Die FDP hat sich von vornherein in allen Verhandlungsrunden - das können wir nachweisen - immer dafür eingesetzt, daß die Intelligenz, die es ja auch in der DDR gab, dieser hochqualifizierte Bestand an Wissenschaftlern, Technikern, Künstlern nicht in der Altersversorgung beeinträchtigt werden darf, sondern das Erreichte behalten darf.
({7})
Der jetzige Bestandsschutz - zumindest in der Höhe, wie die Volkskammer das beschlossen hat - ist auch mit der CDU/CSU vereinbart gewesen, wenngleich die SPD vielleicht den Eindruck hat, daß es das Ergebnis der dann einsetzenden Verhandlungen gewesen ist.
({8})
- Das hätten wir - Herr Arbeitsminister Blüm, Sie geben mir recht - auch ohne die Sozialdemokraten beschlossen;
({9})
denn es ist ein Faktum, daß der Volkskammerbeschluß, nach dem die Kappung bis 2010 durchgeführt werden sollte, einen gewissen Bestands- und Vertrauensschutz verdient.
({10}) Die FDP begrüßt also diese Lösung.
Weiter war geplant, daß Renten aus Sozialversicherung plus Zusatzversorgung grundsätzlich nur in der Höhe der Durchschnittsentgelte anerkannt werden sollten. Eine Verordnungsermächtigung sollte der Regierung die Möglichkeit geben, Ausnahmen zu bestimmen, z. B. für die Ärzte, die Künstler und die Techniker, und zwar dann begrenzt auf das 1,8fache des Durchschnittsentgeltes; Art. 3 des Gesetzes.
Die weitere Kappung sollte auf Grund der Prüfung des Einzelfalles möglich sein, d. h. dann, wenn sich der Betroffene Verstöße gegen die Menschlichkeit hat zuschulden kommen lassen. Das Verfahren - so war vorgesehen - sollte in einer Kommission eröffnet werden, und der Vorschlag der Kommission sollte der Rentenversicherung die Möglichkeit zum Handeln geben. Die Rentenversicherung hätte dann im Einzelfall diese Kürzung vorgenommen.
Beide Bestimmungen führten zu erheblichen Bedenken seitens der Verfassungsrechtler. Ich habe mir sagen lassen, daß es selten Anhörungen gab, in denen die dort vorgetragenen Bedenken auch so wirksam geworden sind für die Bestimmungen, die wir heute schließlich verabschieden werden. Das Thema ist - Frau Mascher hat es angesprochen - Strafrecht im Sozialrecht, Vergeltung durch Kürzung oder Aberkennung von Renten. Das ist in der deutschen Geschichte bislang nur einmal praktiziert worden, nämlich unter der Nazi-Herrschaft gegenüber den Juden. Es ist verständlich, daß das doch zu großen und starken Bedenken geführt hat.
Die überhöhten Leistungen sollten also abgebaut werden; das stand im Einigungsvertrag. Was war denn die grundlegende Überlegung, die zu dieser Bestimmung im Einigungsvertrag geführt hat? Der
Grundgedanke war die Herstellung von Gerechtigkeit. Die Systemgewinnler sollten nicht auch noch im Rentenrecht über viele, viele Jahre hinweg in den Genuß überhöhter Versorgungen kommen.
({11})
Das ist ein Grundsatz, dem wir auch durchaus zugestimmt haben. Zu diesen Bestimmungen sind wir nicht zuletzt durch die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern gedrängt worden.
Art. 3 ist in seinen Grundüberlegungen auch in dem heutigen Gesetz enthalten. Wir haben den Grundsatz zwar umgekehrt, so daß er heute lautet: Wir wollen grundsätzlich bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze gehen. Aber auch in dem jetzigen Änderungsgesetz, das von allen drei Parteien getragen wird, steht, daß in Ausnahmen - sie sind jetzt im Gesetz verankert - eine Kappung vorgesehen ist, und zwar für die Gruppen, denen wir den Vorwurf machen, dem Staat besonders nahe gewesen zu sein und dem System besonders gedient zu haben.
Aber die Einzelfallprüfung, die Prüfung auf Verstöße gegen die Menschlichkeit ist verfassungsrechtlich natürlich besonders problematisch, weil gar nicht vorgesehen war, daß ein gerichtliches oder strafrechtliches Verfahren den Anlaß zu der Prüfung geben müßte. Ich darf in diesem Zusammenhang Bundesjustizminister Kinkel aus seiner Rede zitieren, die er anläßlich der Haushaltsberatung am 4. Juni 1991 gehalten und in der er zu der Frage Unrechtsstaat und Einzelschuld Stellung genommen hat:
Erst wenn das Recht den Rahmen gibt, ist das Unrecht als aus dem Rahmen fallend konkretisierbar. In der DDR lagen die Dinge ganz anders: Ein ganzer Staat hatte sich in weiten Bereichen vom Recht abgekoppelt. In der DDR war die Abweichung vom Recht nicht der konkretisierbare Einzelfall, sondern vielfach die politisch gewünschte Normalität. Das ganze System ist vom Rechtsstaat in unserem System und Sinn abgewichen ... Wir
- also im Westen konnten Unrecht als Abweichung von der Norm definieren. Dies ist mit dem Geschehen in der ehemaligen DDR nicht möglich. Denn dieses System hatte sich dem Recht letztlich sozusagen nicht mehr unterworfen. Ich frage mich deshalb, ob es möglich ist, mit unserem Wert- und Rechtssystem die Ereignisse in der DDR zu erfassen und aufzuarbeiten. Unser Rechtssystem ist auf den Einzelfall zugeschnitten, nicht aber auf die Kriminalität eines Staates.
Meine Damen und Herren, das sind meiner Ansicht nach sehr nachdenkenswerte Sätze, die uns veranlaßt haben, diesem Art. 4 sehr skeptisch gegenüberzustehen. In der Änderung, die die Koalition noch beschlossen hatte, war zumindest das Verfahren von der Rentenversicherungsanstalt schon mal abgekoppelt, was für diese sicher eine große Erleichterung war, und beim Bundesversicherungsamt angegliedert, so daß der belastende Verwaltungsakt, daß also ein Verstoß gegen die Menschlichkeit vorliegt, der zu einer Kürzung oder Aberkennung der Rente weiterhin geführt
hätte, einer gerichtlichen Prüfung unterworfen und der Rechtsweg dann eröffnet werden kann.
Mit der SPD sind weitere Einschränkungen vorgesehen, nämlich daß ein solches Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gegen Leib und Leben eingeleitet und diese Taten im Zusammenhang mit staatlicher Machtausübung ausgeführt sein müssen, und der Betroffene sich im Ausland befindet. Die Rente wird dann auch nicht angetastet, aber Sie wird nicht exportiert, sie wird nicht ausgezahlt.
Das Ganze ist, man könnte sagen, eine „Regelung Honecker". Damit soll vermieden werden, daß wir, nachdem wir dieses Rentenrecht verabschiedet hätten, gezwungen wären, eine hohe Staatsrente nach Moskau zu überweisen. Andere Möglichkeiten gibt es für uns nicht. Ich denke, das ist auch richtig. Die Lösung heißt ganz schlicht reduziert: Rente oder Knast.
Ich komme nun noch kurz zu der Regelung Stasi. Die Ansprüche aus dem Sonderversorgungssystem des Stasi waren im Volkskammerbeschluß auf 990 DM, also 10 DM unter 1 000 DM, gesenkt, aber damit im Grunde auch festgelegt worden. Die Frage für uns war: Gilt auch hierfür der Bestandsschutz, und müssen wir uns daran halten, oder sind wir nicht vielmehr genötigt, aus dem Gefühl der Gerechtigkeit, was Stasi angeht, tiefer zu gehen und die Rente abzusenken? Der Vorschlag der Koalition war 600 DM, die jetzige Regelung sieht 800 DM vor, was etwa 70 % des Durchschnittsentgeltes enthält.
Das dahinter liegende Problem ist natürlich, daß die Stasi sozusagen für alle Zeiten mit einer 65%igen Versorgung im Vergleich zum Durchschnitt gebrandmarkt wird und daß dieses zu Schwierigkeiten führt. Aber ich gebe zu, daß dieses - man kann sagen tapfer - von der SPD durchgesetzt worden ist. Das war für viele nicht einfach. Ich nehme auch an, daß es für Kollegen und Kolleginnen aus der SPD nicht ganz einfach war, weil für die, die drüben gelebt haben, die Stasi geradezu Inbegriff des DDR-Unrechtsstaates war und natürlich die Neigung, da besonders scharf einzuschneiden, naheliegend und vielleicht auch verständlich ist. Die jetzige Regelung wird von der FDP mitgetragen.
Meine Damen und Herren, was die Kappung der Zusatzversorgungssysteme anlangt, ist es so, daß wir grundsätzlich im Gesetz geregelt haben, daß es nicht mehr diese generelle Kappung, auf Durchschnitt, sondern eine generelle Anerkennung der Ansprüche bis zur Beitragsbemessungsgrenze gibt, mit einer Kappung in Ausnahmefällen.
Weggefallen ist die Verordnungsermächtigung. So bleibt es unklar, wenn es nicht aus der Begründung hervorgeht, was den Gesetzgeber veranlaßt hat, in einigen Fällen - nehmen wir mal an, bei Generaldirektoren, Betriebsdirektoren, Schuldirektoren - die Kappung vorzunehmen. Mir scheint es also notwendig, auch hier noch einmal darauf hinzuweisen, was die Elemente waren, die wir in der Verordnungsermächtigung beschlossen hatten, auch wenn diese Verordnungsermächtigung nicht mehr im Gesetz steht, weil sie die Kriterien aufzeigen, nach denen
auch der Gesetzgeber letztlich die Entscheidung getroffen hat.
Ursprünglich war eine relative Staats- und Systemnähe vorgesehen. Wir sind im Ausschuß wegen dieser Begriffe sehr kritisch angegangen worden. Denn wie kann man definieren, was Staatsnähe und vor allem relative Staatsnähe ist. Das ist alles sehr schwammig, schwierig, und für das Metermaß nicht geeignet.
Die neue Fassung der Verordnungsermächtigung hatte dann versucht, das schärfer zu fassen. Hier sollte es heißen: Wenn jemand einen erheblichen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Stärkung des politischen Systems geleistet hat, dann sollte es zur Kappung kommen. Dies war Vorschlag der FDP und sollte zumindest in der Gesetzesbegründung wieder auftauchen, weil sonst unklar bleibt, warum überhaupt der Gesetzgeber in einigen Fällen kappt.
Erfaßt werden die Leitungsfunktionen des Staatsapparates - immer unter dem Eindruck, daß die SED natürlich verstanden hat, die Einheit von Partei und Staat dadurch herzustellen, daß sie besonders SED-treue Genossen im Staatsapparat eingestellt hat. Die Grundsätze lassen sich leicht erläutern; die Abgrenzung im Einzelfall ist außerordentlich schwierig.
Ich möchte hier gerade in diesem Zusammenhang erwähnen, daß alle Angehörigen der Parteien, auch der Blockparteien, in diese Kappung einbezogen werden. Diese Hauptamtlichen hatten eine Rente, die nach unserem Grundsatz in dieser Höhe nicht anzuerkennen ist. Es ist richtig, diese Renten zu kappen.
Aber auch sonst haben wir bei den Funktionen, aus denen sich ein besonders aktives Eintreten für die SED ablesen läßt, die Kappung beschlossen.
Ich hoffe, daß das jetzt im Einzelfall einigermaßen gerecht aussieht - mit der SPD ist ja Einigung erzielt worden. Ich gehe davon aus, daß unser Rentenrecht auch im Osten seine Fortentwicklung über Gerichtsentscheidungen erfahren wird und sich dann das eine oder andere vielleicht noch korrigieren läßt.
Im Zusammenhang mit dem Zusatzversorgungssystem und dem Änderungsantrag noch ein Wort zu den Parteien: Die SPD hat das, wie mir scheint, sehr hochgespielt und die Anhörung deswegen veranstaltet um von Verfassungsrechtlern zu hören, daß das, was wir hier tun, eine untragbare Begünstigung der Parteien darstellt.
({12})
Diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Das, was im Gesetz steht, nämlich daß Parteien, wenn sie für ihre hauptamtlichen Mitarbeiter Beiträge für die Renten in die Sozialversicherung eingezahlt haben, dann auch frei sind und daß es sich bei diesen Beträgen nicht um eine quasi Betriebsrente mit einem Kapitaldeckungssockel handeln könne, der Rückgriff also nicht möglich ist, hat sich in der Anhörung bestätigt. Es gibt also keine Äußerung, die uns Anlaß gäbe, dies zu ändern.
({13})
Auf der anderen Seite haben wir respektiert, daß die SPD diese Regelung, so wie sie vorgesehen war, nicht mittragen konnte, indem wir der Lösung, den Passus
zu streichen und auf ein Gesetz zu verweisen, daß die Sache später noch einmal aufgreift und regelt, zugestimmt haben; insofern wurde den Einwänden der SPD begegnet. Wir haben aber nicht zugestimmt, weil sich darin sozusagen ein stillschweigendes Eingeständnis der Verfassungswidrigkeit oder auch nur der politischen Unhaltbarkeit dieser Bestimmung ergeben könnte.
Meine Damen und Herren, zum Sozialzuschlag und zu den Fremdrenten noch einige kurze Bemerkungen. Bei den Fremdrenten wissen wir, daß die Länder mit einem eindrucksvollen 16 : 0-Beschluß fordern, daß wir die Aussiedler, wenn sie zu uns kommen, einheitlich behandeln sollten, daß sie nicht, wenn sie sich im Westen niederlassen, 80 % der Rente West, wenn sie sich im Osten niederlassen, die Rente Ost bekommen.
Die Regelung war für uns insofern einigermaßen hinnehmbar, weil wir wußten, daß es ein ungleicher Zustand ist, der sich innerhalb von zwei Jahren durch Angleichung des Rentensystems Ost beseitigen ließe. Dennoch haben wir jetzt einer Änderung zugestimmt, die die Fremdrenten auf das Niveau von 70 % West festlegt, so daß wir im Grunde dem Bundesrat auch mit dieser Lösung entgegenkommen.
Der Sozialzuschlag und die Auffüllbeträge sind in ihren Fristen, sowohl was Zugang als auch was Abschmelzen betrifft, verlängert worden. Wir haben auch der Dynamisierung des Sozialzuschlags innerhalb der Grenzen der Sozialhilfe zugestimmt. Für uns ist das kein Einstieg in die Mindestrentenregelung, weil wir daran festhalten wollen, daß wir das soziale Hilfssystem neben der Rente beibehalten. Aber wie gesagt, auch hier gibt es sicher unterschiedliche Auffassungen; wir wollen das nicht verkennen.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren: Das Renten-Überleitungsgesetz insgesamt haben wir positiv gewürdigt, aber in den angezeigten Problemfeldern haben wir in der Diskussion durch Vorschläge eine gute Lösung erreicht. Die FDP begrüßt dieses Gesetz insgesamt.
({14})
Vielen Dank.
({15})
Als nächster hat das Wort die Abgeordnete Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kompromisse in aller Stille ausgehandelt, die dreiwöchigen Verhandlungen zur Abwendung dieses Konflikts wurden in aller Stille geführt. Im zuständigen Bundestagsausschuß hatten sich die Parteien noch am Mittwoch dieser Woche nicht einigen können. - So tickerte es, gewiß nicht nur zu meiner Überraschung, gestern am späten Nachmittag über dpa.
({0})
Für mich als Neuparlamentarierin fürwahr eine gründliche Lektion in Sachen parlamentarischer Demokratie.
({1})
Einmal mehr zeigt sich, wo hier die eigentliche Politik gemacht wird, nämlich hinter den Kulissen.
({2})
Was hier als demokratisches Verfahren deklariert wird, meine Damen und Herren, ist eine Farce. Da haben wir im zuständigen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung stundenlang debattiert, bekamen von den Regierungsvertretern die unzähligen Paragraphen des Gesetzentwurfs haarklein erläutert, dann die 166 Seiten umfassenden Änderungsvorschläge der Koalition vor die Nase gesetzt, und die Änderungsanträge der Opposition einschließlich des von der SPD eingebrachten Rentenvorschaltgesetzes wurden von seiten der Koalition rasch vom Tisch gefegt, ohne auch nur den Versuch des Bedenkens dieser Vorschläge erkennen zu lassen.
({3})
- Ich war dabei. - Schließlich gab es dann die stundenlange Abstimmungsmaschinerie, bei der in der Tat der Gedanke nahelag: Das letztlich Entscheidende war nicht der Inhalt des zur Debatte Stehenden, sondern die Frage, von wem es kam.
({4})
Dieses Schauspiel wurde also bis zur letzten Minute bespielt.
Nun liegen in aller Stille buchstäblich in letzter Minute ausgehandelte Vorschläge auf dem Tisch.
({5})
Im Klartext heißt das: Von den tatsächlichen Regelungen, die dann gelten sollen, stimmen wir heute weitgehend auf Basis des Kommentars und nicht auf Basis der ursprünglichen Gesetzesvorlage ab, denn wer konnte sich schon detailliert durch den seit gestern abend - ich wiederhole: gestern abend - auf dem Tisch liegenden Paragraphendschungel durchboxen?
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Ein solches Schauspiel in Sachen Demokratie, wie ich es geschildert habe, wäre zum Lachen, wenn es nicht um Interessen, ja um das Schicksal von Millionen Menschen ginge.
Fest steht eines: Die in den Verhandlungen hinter den Kulissen errungenen Kompromisse stellen im Vergleich zu den Vorstellungen der Regierungskoalition über die Art und Weise der Herstellung eines einheitlichen Rentenrechts in Ost und West in der Tat eine fundamentale Verbesserung dar.
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Ich denke, dieser Fakt ist nicht zu leugnen, wenngleich sich mir sofort die Frage stellt, weshalb bis zuletzt mit anderen Karten gespielt wurde. Gestatten Sie mir die Anmerkung: Vielleicht ist das meiner neuen Erfahrung hier im Bundestag geschuldet, daß ich mich über diesen Zustand so sehr wundere.
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Noch eines ist Fakt. Die Tatsache, daß kurz vor Ultimo nun doch solche Bastionen gefallen sind, die bis dato zur Tabuzone erklärt worden waren, wie die längere Zahlung von Sozialzuschlägen, die Entschärfung der Kappung von Rentenbezügen bei Zusatz- und Sonderversorgungssystemen sowie die Bereitschaft, über ein neues rentenpolitisches Konzept nachzudenken, das eine eigenständigere - ich merke an: nicht etwa eigenständige - Sicherung der Frau ermöglicht, ist ganz gewiß nur darauf zurückzuführen, daß es massiven Protest von Tausenden betroffenen älteren Bürgerinnen und Bürgern aus den neuen Bundesländern gab, selbst die in den Anhörungen im Ausschuß aufgetretenen Sachverständigen durch die Bank ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Bedenken über die vorgesehene Kappung von Rentenansprüchen äußerten und die Opposition während der gesamten Phase der parlamentarischen Beratungen an ihren Forderungen und ihrer fundamentalen Kritik hartnäckig festhielt.
Trotz der Verbesserungen bleibt eine willkürliche Begrenzung der Bezüge in den Sonder- und Zusatzsystemen auf jetzt 2 010 DM beziehungsweise 800 DM, es bleibt eine Begrenzung des anrechenbaren Einkommens auf das 1,8fache des Durchschnitts, und das trifft eben auch und gerade eindeutig beitragsbelegte Einkommen der freiwilligen Zusatzversicherungen. Das sind für uns unannehmbare Kappungen. Sicher wäre es bei der Staatssicherheitsversorgung ein Weg gewesen, bestimmte Zuschläge außer acht zu lassen. Die SPD hatte mit ihrem Änderungsantrag im Ausschuß, der ein fiktives Einkommen, nämlich das nach Qualifikationsstufen gestaffelte Einkommen aus dem Bereich staatlicher Verwaltung und gesellschaftlicher Organisationen, vorsah, einen recht brauchbaren Vorschlag. Wenn aus den anderen Systemen einige wenige mit sogenannten Extrembeträgen existieren, dann ist das halt die logische Konsequenz aus hochdotierten Tätigkeiten auch international anerkannter Wissenschaftler, Ärzte und Künstler.
({9})
In der DDR gab es keine Möglichkeit, sich zusätzlich privat zu versichern.
Ist das alles so unvereinbar mit enormen Rentenbezügen aus beamtlichen und privaten Systemen in der alten Bundesrepublik? Meines Wissens sind da doch 6 000 bis 10 000 DM monatlich kein Einzelfall.
Zusammenfassend kann zu den neuerlichen Verrenkungen nur gesagt werden: Sie setzen Willkür fort, und sie verquicken Sozial- und Strafrecht.
Aus meiner Kenntnis der Stimmungslage unter weiten Kreisen der Betroffenen kann ich Ihnen versichern: Die Verfassungsklage ist auch nach dieser Lösung gewiß.
Es scheint den Regierenden zwar klargeworden zu sein, daß die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern die Kappung ihrer Rentenansprüche nicht so einfach hinnehmen. Wir können uns aber des Eindrucks nicht erwehren, daß jetzt voll auf Entsolidarisierung gesetzt wird.
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Noch vor einer Woche reagierte im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ein Regierungsvertreter, der Herr Parlamentarische Staatsskretär Günther, auf den Brief der Sozialminister der neuen Bundesländer angesprochen, mit den Worten, daß ihm diese Aktion befremdlich vorkäme,
({11})
da ihm derartige Protestmeinungen aus den neuen Bundesländern nicht bekannt seien.
War das Ignoranz solcher Briefe, oder kamen diese nicht bis in seinen Elfenbeinturm hoch? Wir übergaben letzte Woche dem Ausschuß Hunderte von Unterschriften der Brandenburgischen Rentnerinitiative gegen die Beschneidung von Rentenansprüchen.
Heute möchte ich Ihnen, Herr Blüm, mehr als 1 000 Protestunterschriften überbringen,
({12})
und ich möchte Sie darüber informieren, daß für kommenden Montag elf Verbände und Organisationen zu einer Protestkundgebung in den Lustgarten in Berlin aufgerufen haben.
({13})
Ich fürchte, ich werde dort verkünden müssen, daß hier im Parlament all das abgeschmettert wurde, was in Ruhe mittelfristig zu einer vernünftigen Lösung geführt hätte. So wurde im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung dank der gesicherten Mehrheitsverhältnisse unser Änderungsantrag abgelehnt. Dieser zielte darauf ab, für die nach DDR-Recht gewährten Bestandsrenten und erworbenen Anwartschaften einen zeitlich unbegrenzten Vertrauensschutz zu sichern und erst die nach Inkrafttreten bundesdeutschen Rechts erworbenen Ansprüche nach diesem zu behandeln. Das hätte freilich eine grundlegende Umgestaltung des Renten-Überleitungsgesetzes bedeutet, die nicht vor Januar 1993 hätte wirksam werden können. Doch eben dieses längere Nebeneinanderbestehen von verschiedenem Recht hätte die Chance geboten, fortschrittliche Elemente beider Rentensysteme miteinander zu verbinden. Da ich mir des Vorwurfs, eine solche Rosinenpickerei sei nicht finanzierbar, schon gewiß bin, lassen Sie mich darauf hinweisen, daß beispielsweise eine Mindestsicherung sehr wohl finanzierbar ist; denn Gelder würden überwiegend nur verlagert.
Für die Mindestabsicherung älterer Bürgerinnen und Bürger würden nicht die Kassen der Sozialhilfe oder unterhaltspflichtige Personen aufkommen müssen, sondern der Bund würde diese Mittel in die Rentenkassen fließen lassen, und damit würde Hunderttausenden der entwürdigende Gang zum Sozialamt erspart bleiben.
Da die Mindestregelung für Renten in der DDR hier in letzter Zeit häufig ins Lächerliche gezogen wurde, möchte ich an dieser Stelle ein paar Klarstellungen zum tatsächlichen Sachverhalt in diesem Recht machen.
Immerhin wurde in der ersten Lesung der Betrag von 330 bzw. 320 DM von den Herren der CDU/CSU gleich viermal in die Debatte geworfen;
({14})
bezeichnenderweise jedesmal, wenn Frauen für Frauen plädierten. Frau Mascher hatte einmal und ich gleich zweimal die „Ehre" solcher Zwischenrufe.
({15})
Um es vorwegzunehmen: Kein Abgeordneter aus den neuen Bundesländern würde solche Minirenten verteidigen wollen. Es wäre aber der Sache dienlicher, wenn die Herren Abgeordneten geprüft hätten, was für diese Mindestrentnerinnen und -rentner nach diesem neuen Gesetzentwurf künftig herauskommt.
Erstens. Einen Mindestbetrag von 340 DM erhielten Frauen mit 15 Versicherungsjahren. Nach dem hier vorliegenden Gesetzentwurf würden diese Frauen nur ganze 297 DM - gerechnet zum Durchschnittsverdienst - als Rentenanspruch haben.
Zweitens. Eine Frau mit fünf Kindern hat eine Mindestrente von 330 DM gehabt, so Herr Geißler am 26. April. Das stimmt. Das sind Frauen, die keine Anwartschaft aus eigener Versicherung hatten. Herr Geißler hat aber übersehen, daß solche Frauen nach bundesdeutschem Recht künftig ganze 98 DM Rentenanspruch haben sollen. Beide Tatsachen sind Ursachen für die weibliche Altersarmut in den alten Bundesländern.
Drittens. Die Mindestrente von 330 DM erhielten auch Menschen mit Behinderung ab vollendetem 18. Lebensjahr, die nie einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, die also keine Versicherungszeiten erbringen können. Künftig erhalten diese Personen gar keine Rente mehr. Auch deshalb sind wir dafür, in einem künftigen Rentensystem das Versicherungsprinzip mit dem Rechtsanspruch auf soziale Grundsicherung zu verbinden.
Meine Damen und Herren, wir können vor allem aus den erwähnten Mängeln heraus den heute vorliegenden veränderten Gesetzentwurf nicht akzeptieren. Da trotz dieses Vetos hier und heute eine Variante des Renten-Überleitungsgesetzes die parlamentarische Hürde nehmen wird, appellieren wir an alle, daß diese Verabschiedung zum Anlaß genommen wird, eine dringend notwendige Vervollkommnung des bundesdeutschen Rentenrechts in Angriff zu nehmen.
Dazu haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, durch den die Bundesregierung beauftragt werden soll, mit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern und Vertreterinnen aller im Bundestag vertretenen Parteien und Bewegungen, aus Gewerkschaften und interessierten Verbänden in den nächsten zwei Jahren ein neues Rentengesetz zu erarbeiten.
In dem nun vorliegenden gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU/CSU, FDP und SPD ist zwar die Bereitschaft zu künftiger Diskussion zu erkennen, vor allem über eine verbesserte Alterssicherung der Frauen nachzudenken; doch von einer Forderung nach einer Mindestsicherung ist an keiner Stelle die Rede. Wir meinen: Es gibt noch viel zu tun, ehe davon gesprochen werden kann, daß mit der Rente eine wesentliche Grundlage für ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben im Alter gelegt werden kann.
Ich danke Ihnen und möchte Herrn Blüm jetzt die Unterschriften übergeben.
({16})
Als nächste hat die Abgeordnete Christina Schenk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Politiker und Politikerinnen dieses Landes haben in den letzten anderthalb Jahren mit dem Adjektiv „historisch" nicht gegeizt. Aber wenn man die Dinge verfolgt, bekommt man den Eindruck, daß sich das eher auf ihre persönliche Befindlichkeit als auf die politischen Konzepte bezog, mit denen die anstehenden Probleme der deutschen Einheit angegangen werden sollen. Insbesondere in dem vorliegenden Renten-Überleitungsgesetz ist ein solcher historischer Geist zumindest von mir nicht zu entdecken.
({0})
Daß ein einheitliches Rentenrecht ein Erfordernis ist, bedarf keiner Begründung und auch keiner besonderen Erwähnung. Es ist immer die Frage, wie ein einheitliches Rentenrecht zustande kommt, also auf welche Art und Weise und mit welchem Ergebnis es zustande kommt.
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Eine tatsächliche Zusammenführung beider Rentensysteme, nämlich desjenigen der alten BRD und desjenigen der ehemaligen DDR, wäre der Situation angemessener gewesen. Die Einheit Deutschlands hätte ja die Chance geboten, gravierende strukturelle Defizite des lohn- und beitragsbezogenen Rentensystems zu beseitigen, Defizite, die darin bestehen, daß Altersarmut nicht verhindert wird und daß eine eigenständige Absicherung für Frauen fehlt.
Aber wie in vielen anderen Bereichen wurde auch hier nicht auf ost-westlichen Erfahrungsaustausch gesetzt, sondern es wurde der technokratische Weg purer Überstülpung westlicher Strukturen beschritten.
({2})
Eine Auseinandersetzung um grundsätzliche Fragestellungen wurde verweigert, und zwar mit dem Verweis auf Festlegungen im Einigungsvertrag und auf die Debatte in der letzten Legislaturperiode, die der westdeutschen Rentenreform vorausgegangen war.
Das Gesetz zur Rentenreform wurde damals zufälligerweise genau an dem Tag verabschiedet, als in Berlin die Mauer fiel. Seitdem, so heißt es dann tatsächlich in der Begründung zum Überleitungsgesetz, hätten sich keine grundlegenden neuen Gesichtspunkte ergeben. Ich finde schon überaus erstaunlich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wie man zu einer solchen Feststellung kommen kann. Als ob die Tatsache, daß es in der DDR Mindestrenten und eine eigenständige, existenzsichernde Altersversorgung für Frauen gegeben hat, für die Auseinandersetzung um die Ausgestaltung eines gemeinsamen Rentenrechts völlig unerheblich wäre!
Daß die Übertragung des westlichen dynamischen Rentensytems auch Vorteile für die Rentnerinnen und Rentner in neuen Bundesländern bringt, ist hier schon so oft gesagt worden, daß ich es nicht wiederholen will. Mit den interfraktionellen Änderungsanträgen, die heute erstmals von den Regierungsfraktionen zusammen mit der SPD vorgelegt wurden und die erst in dieser Woche hinter verschlossen Türen ausgeheckt worden sind, werden die unmittelbarsten negativen Auswirkungen des Gesetzentwurfs etwas entschärft. So soll es den Sozialzuschlag in abgewandelter Form etwas länger geben. Der Bestandsschutz wird etwas ausgebaut. Der Bund entlastet die Länder bei den ihnen zufallenden Kosten etwas. Aber grundsätzlich hat sich an der frauenfeindlichen Konzeption des Überleitungsgesetzes nichts geändert.
Eine prinzipielle Kritik daran: Die Überleitung des westlichen Rentenrechts wird, bedingt durch die zu erwartenden regelmäßigen Anpassungen an die Lohn- und Gehaltsentwicklung, für manche Rentner und Rentnerinnen nominelle Vorteile bringen. Gleichzeitig sind damit aber gravierende strukturelle Nachteile für die Frauen in den neuen Bundesländern verbunden. Wenn Strukturelemente des ehemaligen DDR-Rentenrechts wie Mindestrenten, Mindestbeträge, Rentenansprüche für Pflege sowie Zurechnungszeiten für Kinder zukünftig entfallen, sind das spürbare Veränderungen in der Bewertung der Arbeit von Frauen.
Bei der Neubewertung auf der Basis der westlichen Rentenformel werden vor allem Renten aus niedrigeren Einkommen oder kürzeren Versicherungszeiten schlechtergestellt. In den östlichen Bundesländern trifft auch das fast auschließlich die Frauen, wenngleich vor allem die Frauen der späteren Generation in der Tat längere Erwerbszeiten nachweisen können als die Frauen im Westen.
Wie das Ganze in der Zukunft aussehen wird, läßt sich schwer abschätzen. Aber der Trend ist deutlich, daß es zu einer zunehmenden Verdrängung und Mar2944
ginalisierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird - und das mit den entsprechenden Auswirkungen auf ihre Rentenbezüge.
Die hauptsächlichen Gesichtspunkte möchte ich an zwei Beispielen illustrieren. Nehmen wir zwei Frauen, die 15 Jahre erwerbstätig waren und dabei unterdurchschnittlich oder auch durchschnittlich verdient haben. Nehmen wir an, daß eine von den beiden Frauen - nennen wir sie Frau Schulz - schon vor Juli 1990 Rente bezogen hat, während die andere - Frau Meier genannt - erst nach dem 1. Januar 1992 bzw. entsprechend der neuen Fassung bis zum 1. Januar 1994 in Rente geht.
Nach dem ehemaligen DDR-Recht stünde Frau Schulz eine Mindestrente zu, die sich vor Juli 1990 auf 330 DM belaufen hat. Das war zwar kein üppiges Alterseinkommen, aber unter den gegebenen Lebensverhältnissen immerhin existenzsichernd. Das ist eine Tatsache, die immer sehr gerne vergessen oder verdrängt wird. Seitdem sind die Renten mehrmals angepaßt worden, so daß Frau Schulz zum 1. Juli 1991 inklusive Sozialzuschlag eine Rente von ca. 600 DM beziehen würde. Diesen Betrag erhält sie nun weiter, obwohl unklar bleibt, was nach dem 31. Dezember 1996 aus dem Sozialzuschlag wird.
Für Frau Meier, die im Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 1. Januar 1994 in Rente geht, würde sich nach dem SGB-Rentenrecht aktuell eine Ostrente in Höhe von 225 bis ca. 300 DM errechnen, je nachdem, ob sie unterdurchschnittlich oder durchschnittlich verdient hat. Frau Meier stünde sich damit also wesentlich schlechter als mit der bisher noch fortgeschriebenen und angepaßten Mindestrente nach dem DDR-Recht.
In diesem Fall greift zwar in der Übergangszeit die Bestandsschutzregelung, der zufolge eine Vergleichsberechnung nach altem Recht und neuem Recht vorgenommen werden muß und der jeweils höhere Rentenzahlbetrag dann auch ausgezahlt wird. Die Differenz zwischen der aus altem - in diesem Fall: dynamisierte Mindestrente plus Sozialzuschlag - und neuem Recht errechneten Rente wird als Auffüllbetrag gewährt, der sich aber nicht erhöht und ab 1. Januar 1996 abgebaut wird. Der Sozialzuschlag wird nur noch bis Ende 1996 gezahlt. Danach gibt es in jedem Fall eine Rentensenkung, auch wenn bis dahin der eigentliche SGB-Rentenanteil dynamisiert wurde und inzwischen angestiegen sein wird.
Derartige Aufstellungen und Zusammenstellungen haben keinen großen Unterhaltungswert. Aber es ist damit schon zu demonstrieren, was auf die Bürger und insbesondere auf die Bürgerinnen zukommt.
Zurück zu grundsätzlichen Überlegungen. Ich beziehe mich auf die Ursprungsfassung; denn neue Berechnungen liegen seit gestern abend noch nicht vor. Die Rentenversicherungsträger haben errechnet, 90 % der Frauen stünden sich ohne die für die Übergangszeit vorgesehenen Auffüllbeträge bei der Neubewertung auf der Basis der westlichen Rentenformel schlechter als bei der Anwendung des DDR-Rentenrechts.
Das macht, auch wenn nun zeitliche Verschiebungen durch den Änderungsantrag eintreten, eines
deutlich: Mit der Überleitung wird die strukturelle Benachteiligung von Frauen im lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht grundsätzlich auf den Osten übertragen. Das ist mittlerweile auch von einer breiten Öffentlichkeit heftig kritisiert worden. Um davon abzulenken, wird eine neue Information aus derselben Quelle, also von den Rentenversicherungsträgern, nachgeschoben, die Ostfrauen kämen mittlerweile zu 90 % an das Niveau der Westfrauen heran, während das Rentennivau der Männer im Osten erst knapp oberhalb von 50 % der Männer im Westen liege. Dazu müßte dann allerdings gesagt werden, daß das durchschnittliche Rentenniveau der Arbeiterinnen im Westen bei ca. 550 DM und das der Arbeiter bei 1 434 DM liegt.
Im Hintergrund wurden schon Stimmen laut, die monieren, daß die Frauen im Osten auf Grund ihrer wesentlich längeren Erwerbsbiographien bald schon höhere eigenständige Renten haben könnten als die Frauen im Westen. Die damit zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen erscheinen mir allerdings völlig widersinnig, da sie aus derselben Ecke kommen, in der bisher immer die sogenannte Leistungsgerechtigkeit beschworen wurde.
Ich möchte abschließend einen weiteren Punkt erwähnen; diese Kritik geht jetzt auch an die SPD. Die Übertragung des westlichen Rentenrechts bringt auch eine Ausweitung der Ansprüche auf Witwen- und Witwerrenten. Von dieser Neuregelung werden vor allen Dingen Frauen profitieren, die kaum eigene Ansprüche erworben haben und mit gutverdienenden Männern verheiratet waren. Gleichzeitig kommen künftig auch verstärkt Männer in den Genuß einer solchen Leistung.
Das Problem aber ist, daß hier eine Umschichtung vorgenommen wird, daß die Ausweitung abgeleiteter Ansprüche mit einer Verschlechterung bei eigenständig erworbenen Renten einhergeht. Noch viel entscheidender ist folgendes: Solange es eine abgeleitete Rente für Frauen gibt, wird das immer ein Argument gegen die eigenständige Sicherung von Frauen sein.
Jetzt hätte es die Chance gegeben, gerade in dieser Richtung etwas zu tun, nicht die abgeleitete Witwenrente zu übertragen, sondern dem Osten die eigenständige Sicherung der Frauen beizubehalten und auf den Westen zu übertragen. Dies hätte konsequenterweise einen schrittweisen Abbau der Witwenrenten nach sich gezogen. Aber warum sollten Frauen einer vom Mann abgeleiteten Rente nachtrauern, wenn sie auf eigenen Füßen stehen könnten?
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz sind wir also, wie ich denke, ganz eindeutig, rückwärts - statt vorwärts gegangen.
({3})
Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung zum Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE machen. Bei der Ausarbeitung dieses EntChristina Schenk
schließungsantrages lag der Änderungsantrag der CDU/CSU, SPD und FDP noch nicht vor.
({4})
Wir möchten nun die Punkte I.5. und I.6. auf den Seiten 5 bis 7 unseres Antrages zurücknehmen, da sie
durch die jetzt erfolgten Diskussionen überholt sind.
Danke.
({5})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Heinz Hörsken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst für das Protokoll eine redaktionelle Vorbemerkung machen: In unserem Änderungsantrag muß auf Seite 5 hinter der Ziffer 7 „ausgeübt wurde. " angefügt werden.
Ich möchte eine weitere Vorbemerkung machen: Frau Kollegin Bläss, Sie sprachen hier darüber, daß wir entsolidarisieren, daß wir Willkürliches machen und daß hier nicht darüber geredet werden könnte. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Sie hatten früher einmal als Parteisymbol Hammer und Zirkel. Ich empfehle Ihnen wirklich in aller Dringlichkeit, nehmen Sie ein neues: Sack und Asche täte Ihnen gut, bevor Sie mit uns über Solidarität und Entsolidarisierung reden.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor einer ganz wichtigen Entscheidung. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung auf Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern, gleicher Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland. In einem vereinten Deutschland kann es für alle Bürgerinnen und Bürger nur ein einheitliches Recht geben; denn die Bürgerinnen und Bürger in einem Staat müssen gleichbehandelt werden. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des vereinigten Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland getan.
Am 1. Januar 1992 soll das Rentenrecht, wie es mit der Rentenreform 1992 beschlossen wurde, auf die neuen Bundesländer übergeleitet werden. Am 9. November 1989, einem wahrhaft denkwürdigen und historischen Tag, hat hier im Deutschen Bundestag die Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1992 auf der Grundlage eines breiten Konsens stattgefunden. An diesem Tag, der für unser Volk von so unendlicher Bedeutung ist, gab es diese gemeinsame sachliche Entscheidung. Wohl niemand hat damals jedoch daran gedacht, daß man nach so kurzer Zeit bereits wieder über die Renten reden muß.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist ein Glücksfall, daß wir die beschlossenen Ergebnisse der Rentenreform 1992 als Teil VI des Sozialgesetzbuches
gleichzeitig in der gesamten wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland in Kraft setzen können.
({1})
Dieses gemeinsame Rentenrecht ist am 9. November 1989 mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP beschlossen worden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist richtig, daß wir an dieser Stelle feststellen: Auch die Oberleitung wollen wir im Konsens der politischen Kräfte in diesem Hause verwirklichen.
({2})
Wir können jetzt den Bürgerinnen und Bürgern in der ehemaligen DDR nicht eine jahrelange Diskussion über ein neues Rentenrecht zumuten; die Bürgerinnen und Bürger wollen vielmehr ihre Verbesserungen jetzt, und darauf haben sie ein Anrecht. Entscheidungen sind nun gefragt. Wir wollen nämlich nicht, daß der Konsens bei der Rentenreform aufgehoben und in Frage gestellt wird.
Nach 40 Jahren SED-Herrschaft und SED-Betrug müssen wir nunmehr für eine neue rechtliche Grundlage für die Bürgerinnen und Bürger in den fünf neuen Bundesländern Sorge tragen. Wir können jetzt keine langwierigen, wenn auch manchmal sicherlich überlegenswerten Diskussionen führen.
Wir müssen festhalten: Für erbrachte Lebensleistungen erwarten die älteren Menschen mit Recht einen verläßlichen Alterslohn. Sie erwarten keine willkürlichen Leistungen nach dem SED-Zufallsprinzip, sondern verläßliche Werte. Die Sicherung des Lebensstandards im Alter muß doch selbstverständlich sein, und sie ist es ja nach unserer Auffassung.
In unserem Rentensystem erhält ein Durchschnittsverdiener nach 45 Versicherungsjahren rund 70 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens der Arbeitnehmer. Ein solches Rentenniveau hat es in der früheren DDR nie gegeben. Die Rentenanpassungen standen dort im Gutdünken der kommunistischen Machthaber. Bei den SED-Herrschern waren die Rentner Bittsteller und Almosenempfänger.
Jetzt erhalten die Rentner beitrags- und leistungsbezogene Renten. Rente ist verdienter Alterslohn. Nachdem die staatliche Einheit erreicht ist, wird nun auch die wirtschaftliche und soziale Einheit geschaffen.
({3})
Ich wende mich an die SPD, Herr Schreiner. Ich bin zunächst einmal außerordentlich dankbar dafür, daß wir in dieser für unser wiedervereinigtes Volk so wichtigen Sache zu einem Konsens gekommen sind. Dennoch gibt es unterschiedliche Positionen. Diese müssen ausgesprochen werden. Bei diesem Konsens darf nicht nach der Methode verfahren werden: Wir haben die Verbesserungen gemacht und die anderen die Verschlechterungen. Konsens bedeutet, daß wir keine Rosinenpickerei betreiben, sondern zu diesem Konsens stehen.
Deswegen stelle ich nochmals fest: Bei Ihnen, meine Damen und Herren, besteht oftmals die Nei2946
gung, über die Lösung noch länger zu diskutieren. Nur, den älteren Menschen in den neuen Bundesländern ist damit nicht gedient.
Ich erinnere daran, daß wir das Rentenrecht, das wir jetzt überleiten, 1989 gemeinsam als Konsens verabschiedet haben. Es kann nicht angehen, daß Pressemeldungen nach dem Motto und nach der alten Manier „Schwarzmalerei und Ängste schüren" verbreitet werden und daß auf der anderen Seite behauptet wird, das Überleitungsgesetz sei ein Kürzungsgesetz. Da müssen wir schon genauer hinsehen. Ich möchte dazu einige Beispiele nennen.
Durch die Übertragung unseres Hinterbliebenenrechts werden in den neuen Bundesländern rund 900 000 Witwenrenten verbessert und 150 000 zum erstenmal ausgezahlt. Für die Verbesserungen werden 1992 erstmals 4 Milliarden DM aufgewandt.
Die ehemalige DDR kannte das Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrecht nicht. Mit der flexiblen Altersgrenze für Männer, die bisher erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres eine Altersrente beziehen konnten, ist ein neuer Schritt gemacht worden; ein früherer Rentenbeginn ist möglich.
Bei den Arbeitslosen setzt die flexible Altersgrenze bereits mit 63 Jahren ein. Dies betrifft auf Anhieb 200 000 Versicherte. Die entstehenden zusätzlichen Belastungen werden sich auf 2 bis 2,5 Milliarden DM im Jahr belaufen.
Wenn das Kürzungen sein sollen, meine Damen und Herren, stelle ich fest: Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern da fehlt das notwendige Wissen in der Mathematik.
({4})
Durch die Übertragung wird sich die Zahl der Invalidenrenten in den neuen Ländern um etwa 50 % erhöhen. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 1 bis 1,5 Milliarden DM. Und da behaupten Sie, es werde gekürzt. Keine einzige Rente - keine Frauenrente, keine Männerrente - wird aus Anlaß der Verabschiedung dieses Überleitungsgesetzes gekürzt.
({5})
Die Durchschnittsrente in der ehemaligen DDR betrug zum 30. Juni 1990 - vor der Sozialunion -493 DM. Am 1. Juli 1990, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sozialunion, betrug sie 620 DM; am 1. Januar 1991 betrug sie 713 DM, und am 1. Juli 1991 werden es rund 800 DM sein. Das ist eine Rentensteigerung um 66 %. Das ist einmalig in der ganzen Nachkriegsgeschichte. Dies muß doch gewürdigt und festgehalten werden.
({6})
Meine Damen und Herren, in den nächsten Jahren muß die Rentensteigerung in der ehemaligen DDR weitaus kräftiger ausfallen als in den alten Bundesländern,
({7})
denn sonst könnten wir ja nie Gleichheit herstellen. Das erfordert Solidarität und e i n Rentenrecht, eine Rentenversicherung und e i n Rentenniveau.
Wir haben mit der Aufholjagd begonnen. Wir haben bereits ein gutes Stück des Weges hinter uns.
({8})
Wir machen Druck, weil wir bei den Rentnern der ehemaligen DDR in der Pflicht stehen. 40 Jahre SED-Willkür sind lange genug. Jeder Tag, den das alte Recht noch gilt, ist ein neuer Tag des Betruges. Deshalb handeln wir schnell und zum Wohle der Rentner.
Diese große Aufgabe wird auch von der großen Oppositionspartei SPD erkannt. Darüber bin ich froh.
({9})
Auf Grund unserer gegenseitigen Hartnäckigkeit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und auf Grund der Verhandlungen außerhalb dieses Ausschusses haben wir ein gutes Ergebnis erreicht.
Dieses Gesetz stellt uns aber auch vor die schwierige Aufgabe, neben der Überleitung der Renten, was eine Verbesserung für Millionen von Menschen bedeutet, auch das schwierige Thema der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme zu behandeln und die bestehenden Probleme zu lösen. Die 63 Rentensondersysteme und Zusatzversorgungssysteme sind zu einem Teil Ausdruck der perversen Gesinnung der ehemaligen SED-Machthaber. Sie waren zum Teil willkürlich und von SED-Kadern abhängig. Die Leistungen waren zum Teil Prämien für systemnahe oder gar systemstützende Verhaltensweisen. An diesem Thema wird die Frage Schuld, Mitschuld, Unschuld festgemacht. Meine Damen und Herren, dieses Thema müssen wir mit großer Sensibilität behandeln.
({10})
Wir stehen vor der Lösung schwieriger Probleme. Der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz aus Halle schreibt in seinem beachtenswerten Buch „Der Gefühlsstau" - ich zitiere - :
Der real existierende Sozialismus hat wirklich 40 Jahre bestehen können. Die Wahlfarce wurde von 99 % der Bevölkerung mitgemacht. Millionen Menschen haben sich regelmäßig an großen Jubelmärschen beteiligt. Die überwiegende Mehrzahl war Mitglied der Jungen Pioniere, der FDJ, ging zur sozialistischen Jugendweihe und hat im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund die eigenen Interessen verraten.
Meine Damen und Herren, nun wäre es relativ einfach .- sofern wir in diesem Zusammenhang überhaupt von Verschulden sprechen dürfen - , die Schuldfrage ohne Rücksicht auf die Empfindungen und Nöte der Menschen in den neuen Bundesländern abzuwälzen. Doch wie kommt gerade jemand wie ich, der als Kind im Krieg und während der Naziherrschaft groß geworden ist und der später in Freiheit, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit leben durfte und konnte, dazu, den Menschen in der ehemaligen DDR
die Schuldfrage zu stellen? Die Menschen in der ehemaligen DDR mußten viel aushalten: nach braunem Terror roter Terror. Betrachte ich dann auch noch unsere Generation generell, uns, die wir selbst zwar nicht direkt mit der nationalistischen Epoche verbunden waren - allerdings war die Generation vor uns zum Teil in das nationalistische Getriebe eingebunden - , dann kann ich mich doch heute nicht hinstellen und die Menschen in der ehemaligen DDR auch nur im Ansatz verurteilen.
Mit dem Gesetz, über das wir heute beraten und das wir verabschieden wollen, betreiben wir keine Bestrafung durch das Sozialrecht.
({11})
Dafür stehen dem Rechtsstaat andere rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung.
Aber wir sind auch gegen Prämien für Stasi-Leute und SED-Herrscher. Unser soziales Rechtsempfinden zwingt uns zu folgender Entscheidung: Es darf nicht sein, daß Führungskader der ehemaligen DDR überhöhte Renten erhalten. Privilegien für diese Gruppe werden abgelehnt.
({12})
Ich sage es deutlich: Honecker und Konsorten bekommen von uns keine Rente geschickt. Wir schicken sie ihm nicht nach Moskau nach!
({13})
Dies wird mit uns nicht gehen. Daß Sie als Oppositionsparteien das wollten, unterstelle ich Ihnen übrigens auch nicht.
Wir haben die Stasi-Renten erneut gekürzt. Die Regierung Modrow hatte sie auf 1 200 DM festgesetzt, die Volkskammer hat sie auf 990 DM gekürzt. Nun, im Gesetz, haben wir eine weitere Kürzung vorgenommen; wir haben sie auf 800 DM herabgesetzt. Wir wären gerne noch einen Schritt weitergegangen, konnten uns damit aber nicht durchsetzen.
({14})
- Bei der SPD.
Bei den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen ist es insbesondere darum gegangen, akzeptable Regelungen zu schaffen.
({15})
- Ich bin doch da mit Ihnen einer Meinung. Warum müssen Sie denn immer dazwischenbellen?
Nicht jeder, der Leistungen aus einem der 63 Sonder- und Zusatzsysteme erhalten hat, war oder ist ein Unterdrücker und Staatsverbrecher. Doch diese Einschätzung darf nicht für die Führungskader der ehemaligen DDR gelten.
({16})
Zum Abschluß noch einmal die Feststellung: Wir betreiben keine Bestrafung durch das Sozialrecht. Dafür sieht der Rechtsstaat andere rechtsstaatliche
Mittel vor. Aber wir sind gegen Prämien für ehemalige SED-Herrscher. Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Mit uns geht dies nicht!
Schönen Dank.
({17})
Als nächster hat der Abgeordnete Rudolf Dreßler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor nahezu zwei Monaten, am 26. April, haben die Rednerinnen und Redner der SPD-Bundestagsfraktion in der ersten Lesung des Renten-Überleitungsgesetzes den Entwurf der Koalition grundsätzlich kritisiert.
({0})
Wir haben damals den Vorwurf erhoben, daß dieser Gesetzentwurf die Reformchance verfehlt, die in einer deutsch-deutschen Rentenharmonisierung hätte liegen können. Wir haben den Vorwurf erhoben, daß es der Ausdruck einer Planierungspolitik gegenüber den neuen Bundesländern sei; daß er nicht einer gesamtdeutschen Rentenreform diene, sondern dem Zweck, in den neuen Ländern so schnell wie möglich alles wegzunehmen, was in irgendeiner Weise einen Ansatz oder einen Anlaß zu einer produktiven Weiterentwicklung des bundesdeutschen Rentenrechts geben könnte ; daß er massive Verschlechterungen für viele Frauen bringen werde und daß das Grundprinzip, nämlich der Abbau der eigenständigen Alterssicherung der Frau bei gleichzeitigem Aufbau der vom Ehemann abgeleiteten Witwenversorgung, zentralen gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten zuwiderlaufe.
Ich sage Ihnen heute: Von dieser Kritik haben wir, was den Gesetzentwurf - übrigens einschließlich der Änderungsempfehlungen, die mit der Koalitionsmehrheit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossen worden sind - betrifft, nichts zurückzunehmen.
({1})
Wir werden davon auch nichts zurücknehmen.
({2})
Was heute vorliegt, ist aber nicht mehr der gleiche Gesetzentwurf. Wir erleben heute die wohl einmalige Situation, daß die Koalitionsfraktionen zusammen mit der SPD einen Änderungsantrag zur zweiten Lesung einbringen, der den ursprünglichen Gesetzentwurf in wesentlichen Punkten aufhebt und andere zukunftsweisende Impulse ausweist.
Dies, meine Damen und Herren, ist das Resultat langer und intensiver Verhandlungen, die beide Seiten unter Einbeziehung der Bundesländer geführt haben. Diese Verhandlungen haben wir geführt, um bei diesem Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Anrufung des Vermittlungsausschusses und die Notwendigkeit von Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat während der Sommerpause zu vermeiden.
Am 26. April, in der ersten Lesung, habe ich hier folgendes ausgeführt - ich wiederhole das heute - :
... wir alle wissen, daß der Entwurf des RentenÜberleitungsgesetzes letztlich nur im Konsens Gesetzeskraft erlangen kann. Das heißt, daß Extrempositionen in der einen wie in der anderen Richtung keine Chance auf Durchsetzung haben werden. Daß der Entwurf des RentenÜberleitungsgesetzes in der vorliegenden Fassung ohne nennenswerte Korrekturen verabschiedet werden kann, ist jedenfalls seit der vernichtenden CDU-Wahlniederlage am vergangenen Sonntag
- gemeint war die Rheinland-Pfalz-Wahl vom 21. April nicht mehr wahrscheinlich. Ich habe dann hinzugefügt:
Die SPD-Fraktion hat zwar sehr grundsätzliche Bedenken gegen den Entwurf ({3}), aber positive Perspektiven könnten sich z. B. eröffnen, wenn es bei der Frage der Sozialzuschläge, beim Bestandsschutz für die nach altem Recht erworbenen Rentenanwartschaften und bei den Bestimmungen über die Fortgeltung und Änderung des Fremdrentengesetzes Bewegung gäbe.
Heute kann ich feststellen: Diese Bewegung hat es gegeben. Damit hat das von der SPD-Fraktion eingebrachte Vorschaltgesetz seine Erledigung gefunden.
Ich will an dieser Stelle wegen des unüblichen Verfahrens den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozialordnung der SPD-Fraktion unter ihrem Sprecher Ottmar Schreiner, aber auch den anderen im Ausschuß deshalb meinen Dank sagen, weil ohne diese intensive detaillierte Ausschußarbeit mit unglaublichen Stunden der Sachverständigenanhörung und der Auswertung ihrer Ergebnisse die Positionsbeschreibungen, die zu diesen Veränderungen geführt haben, und wohl auch die Logik der Argumentation - die ja, wenn man etwas verändern will, auf der Seite, wo Änderungen notwendig sind, Erkenntnis notwendig macht - nicht möglich gewesen wären. Der Dank gilt auch den Sachverständigen, die sich in relativ kurzer Zeit unendliche Mühe gegeben haben und, denke ich, dem Parlament mehr geholfen haben, als es im ersten Anschein wirkt. Er gilt den SPD-geführten Landesregierungen, die sich mit der gleichen Intensität um die Verwirklichung dieses Gesetzes gekümmert haben.
({4})
Wir konstatieren, meine Damen und Herren, daß die Verhandlungen zu einem fairen Kompromiß geführt haben und daß es in allen wesentlichen Punkten gelungen ist, soziale Korrekturen an dem Gesetzentwurf anzubringen, die es der Opposition im Bundestag und den sozialdemokratisch regierten Ländern im Bundesrat ermöglichen, dem Gesetz zuzustimmen.
Ich will dies an zwei besonders wichtigen Punkten illustrieren:
Erstens. Mit der Verlängerung und Verbesserung des Sozialzuschlags für die Menschen in den neuen Ländern haben wir erstmals konzeptionell und strukturell die bedarfsorientierte steuerfinanzierte Mindestrente oder, wie wir Sozialdemokraten sagen, die soziale Grundsicherung im Sozialrecht verankert. An Stelle des bloß statischen Sozialzuschlages wird künftig eine Steigerung entsprechend der Entwicklung der Sozialhilferegelsätze eingebaut.
({5})
Das heißt, die Rentenzugangsjahrgänge bis einschließlich 1993 werden diese Leistungen neu erhalten, während die Bundesregierung den gesamten Rentenzugang ab 1. Januar 1992 ausschließen wollte. Entgegen dem Entwurf der Regierung wird der Sozialzuschlag nicht nur bis Jahresende 1994, sondern bis Jahresende 1996 gezahlt. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, eine vernünftige Anschlußregelung zu schaffen, die dann sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland gleichermaßen Altersarmut ausschließt.
({6})
Zweitens. Der Schutz der Ansprüche und Anwartschaften, die nach bisherigem Recht der neuen Länder erworben wurden, ist wesentlich verbessert worden. Es ist sichergestellt, daß der gesamte Rentenzugang .bis zum 31. Dezember 1996 einen Vertrauensschutz genießt. Bis dahin werden die Renten in den neuen Ländern so weit gestiegen sein, daß Verschlechterungen des Zahlbetrages weitgehend ausgeschlossen sind. Für die Rentenzugangsjahrgänge 1992 und 1993 wird die qualitative Ausgestaltung des Bestandsschutzes verbessert. Er wird nicht sofort mit den Anpassungen der dynamischen Rente abgeschmolzen, sondern bleibt voll als Rentenzuschlag erhalten und wird erst ab 1996 schrittweise abgebaut.
In der Tendenz besteht zwischen den an dem Kompromiß beteiligten Fraktionen auch Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer solchen Reform der Alterssicherung der Frauen. Der gemeinsame Entschließungsantrag, den wir zugleich vorlegen, dokumentiert dies, aber er verwischt auch nicht die Unterschiede in den Sichtweisen. Ich denke, das schadet auch nichts, denn es kann der Sozialpolitik nur guttun, wenn wir im Wettstreit um die beste Reformkonzeption in die nächste Bundestagswahl gehen.
Stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren, die Parteien könnten sich dazu aufraffen, 1994 primär in einen Wettstreit über ein eigenständiges Alterssicherungskonzept für Frauen einzutreten. Es wäre phantastisch!
({7})
Auch diese Verbesserung hat strategische Bedeutung; denn sie bedeutet, daß die positiven strukturellen Elemente des alten DDR-Rechts - vor allem die weitreichende Anerkennung von Kindererziehungs und Pflegezeiten - , die als Anknüpfungspunkt eines besseren gesamtdeutschen Rentenrechts tauglich sind, bis zum Jahre 1996 erhalten bleiben. Das heißt, sie bleiben so lange bestehen, bis eine umfassende Reform der Alterssicherung der Frauen - den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt - eigenständige Ansprüche geschaffen haben wird.
({8})
Erst im Verlauf der parlamentarischen Beratungen sind die schwerwiegenden rechtspolitischen - man kann auch sagen: staatspolitischen - Probleme offen zutage getreten, die mit dem Renten-Überleitungsgesetz verbunden sind, und zwar mit der Neuregelung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der ehemaligen DDR.
Wir müssen der Fairneß halber zugeben, daß es um eine außerordentlich schwierige Gratwanderung zwischen sozialpolitischen Erfordernissen, rechtsstaatlicher Korrektheit und der Notwendigkeit, die Vergangenheit der DDR politisch-moralisch aufzuarbeiten, geht. Einfache Lösungen, die in jeder Hinsicht befriedigen, kann es nicht geben. Deshalb werfen wir der Regierung nicht vor, daß sie keine perfekte Lösung gefunden hat. Aber, meine Damen und Herren, zutiefst desillusionierend waren nachgerade die fehlende Sensibilität und der bisweilen fahrlässige Umgang mit der Rechtsstaatlichkeit, den die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit diesem Teil des RentenÜberleitungsgesetzes an den Tag gelegt haben.
({9})
Offensichtlich hat hier zunächst das Motto gegolten: Wenn wir dabei etwas falsch machen, dann wird Karlsruhe es schon richten.
Ich muß Ihnen sagen: Das kann verhängnisvoll sein. Es ist auch staatspolitisch kurzsichtig. Wir wissen, daß viele Bürgerinnen und Bürger in der früheren DDR Probleme mit den Beschränkungen und Hindernissen haben, die der Rechtsstaat dem Ruf nach Sühne und Bestrafung in den Weg legt und, so füge ich hinzu, in den Weg legen muß.
Es mag schwer sein, offen dafür einzutreten, daß der Rechtsstaat manchen, den man bestraft sehen möchte, ungeschoren lassen muß, weil er strafrechtlich nicht zu fassen ist. Aber der Schaden für die Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaats wäre noch viel größer, wenn ein Angehöriger der SED-Elite bei einer Klage gegen rechtsstaatswichtige Eingriffe beim Bundesverfassungsgericht recht bekäme. Eine solche Situation, in der die Täter von gestern als Opfer der neuen demokratischen Ordnung erscheinen, mußte nach unserer Auffassung auf jeden Fall vermieden werden.
({10})
Man muß in aller Deutlichkeit sagen, daß der ursprüngliche Entwurf in dieser Hinsicht total mißglückt war. Daher mußte die Neuregelung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der ehemaligen DDR bei den Vermittlungsgesprächen zwangsläufig eine wichtige Rolle spielen. Dabei konnte erreicht werden, daß jetzt wenigstens das rechtsstaatliche Minimum gewahrt wird und daß Strafrecht und Sozialrecht auseinandergehalten werden.
Mit unseren Änderungsanträgen wird klargestellt, daß hier kein Platz für Strafexpeditionen, die der ursprüngliche Gesetzentwurf im Bereich der Zusatzversorgungssysteme der früheren DDR unternehmen wollte, ist. Nach diesem Gesetzentwurf hätten sämtliche Angehörigen der sogenannten wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Intelligenz der ehemaligen DDR, vom Betriebsleiter über den Chefarzt am. evangelischen Krankenhaus bis zum Professor für Archäologie und zum Dirigenten des Leipziger Gewandhausorchesters bei der Überführung ihrer Versorgungsanwartschaften in die Rentenversicherung nur noch eine Rente entsprechend dem Durchschnittsverdienst erhalten - ein Kahlschlag, eine Unsensibilität. Daran hätte die unverbindliche, in Aussicht gestellte Rechtsverordnung der Regierung nichts Substantielles geändert.
({11})
Wenn wir uns vorstellen, Herr Louven, was ein Arzt, ein Lehrer, ein Künstler oder ein Wissenschaftler denken mußte, der trotz schwierigster Lebensumstände in der DDR geblieben ist und dem man seine Rente jetzt kürzen wollte, während es sein in den Westen übergesiedelter Kollege dort längst zu Wohlstand gebracht hat, werden wir in diesem Bereich vielleicht sensibler.
({12})
Das war ein irrationales Vorhaben, ein klarer Verstoß gegen den Einigungsvertrag! - Herr Hörsken, das gilt auch für den Schlosser, das gilt auch für die Rentnerin. Sie werden, wenn Sie das, was heute als Änderungsantrag vorliegt, aufmerksam lesen, prozentual nicht nur erhebliche, sondern erheblichste Unterschiede zwischen dem von Ihnen Beabsichtigten und dem feststellen, was von der Mehrheit der SPD im Bundesrat und durch unser Engagement - letztlich heute mit Ihnen gemeinsam, aber ohne uns eben nicht - gerade für den Schlosser, gerade für die Rentnerin, nämlich für die Sozialzuschlagsempfängerin, erreicht worden ist.
({13})
Ich denke, daß es den zähen Verhandlungen meiner Fraktion und der SPD-geführten Länder zu verdanken ist, daß dieser Weg nicht gegangen wird. Die jetzt vorgelegten Änderungsanträge, die das Resultat der interfraktionellen Vermittlungsgespräche sind, sorgen dafür, daß praktisch nur noch bei Personen mit leitender Funktion im Staatsapparat, in NVA und Polizei, in Justiz, Armee und Staatssicherheit sowie in gesellschaftlichen Organisationen eine Begrenzung der anzurechnenden Arbeitseinkommen stattfindet.
Im übrigen haben wir auch dafür gesorgt, daß bei der Begrenzung bereits laufender Sonder- und Zusatzrenten - entgegen der ursprünglichen Absicht der Koalition - die von der demokratisch gewählten Volkskammer der DDR beschlossenen und im Einigungsvertrag, wie sie wissen, bestätigten Obergrenzen von ca. 2 010 DM beibehalten werden und daß ein weiterer, pauschal diskriminierender Kürzungsschnitt, der vielen Berechtigten von einem Monat zum anderen eine Einkommenskürzung von 510 DM beschert hätte, unterblieben ist.
Auch eine dritte Kollision mit dem Einigungsvertrag und damit mit dem verfassungsmäßig garantierten Vertrauensschutz konnte die SPD-Fraktion verhindern. Es war nämlich geplant, den - ohnehin schon auf 2 010 DM begrenzten - Bestandsschutz für die erworbenen Anwartschaften auf Sonder- und Zusatzrenten einfach unter den Tisch fallen zu lassen, wenn es sich um Berechtigte handelt, die ab dem 1. Januar 1992 in den Ruhestand gehen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen den Einigungsvertrag gewesen. Wir konnten dies wenigstens teilweise bereinigen.
Zu den unappetitlichsten Gesetzesvorlagen, über die je in einem deutschen Parlament diskutiert werden mußte, gehörte Art. 4 des Gesetzentwurfs, mit dem die Möglichkeit eröffnet werden sollte, aus Gründen individueller politisch-moralischer Verfehlungen in Rentenanwartschaften einzugreifen. Das wäre ein einmaliger Sündenfall in der Rechtsgeschichte der zweiten deutschen Republik gewesen.
({14})
Ich will Ihnen, weil der Kollege Hörsken - aus mir nicht ganz erklärlichen Gründen - hier den Eindruck erweckte, es gelte heute morgen die Lufthoheit über Stammtischen in Deutschland zu bewahren,
({15})
ganz ernsthaft etwas in Erinnerung rufen: Einzig und allein in der Zeit des Nationalsozialismus und unter der SED-Herrschaft hat man solche Eingriffe praktiziert.
({16})
Man muß sich, Herr Seehofer, daran erinnern, daß in der Nachkriegsgesetzgebung der Bundesrepublik niemals in Altersversorgungsanwartschaften von NS-belasteten Personen eingegriffen worden ist. Nach dem G-131-Gesetz wurden ausnahmslos alle entlassenen NS-Beamten mit vollem Einkommen und ohne Kürzung in der Rentenversicherung nachversichert. Das geschah übrigens mit guten Gründen, denn es entsprach staatspolitischer Vernunft, auch denjenigen, die unterhalb der strafrechtlich relevanten Schwelle im Hitler-Faschismus mitverantwortlich waren, die Chance zu einem Neubeginn in der Demokratie zu geben.
({17})
Zu gleicher Einsicht und Klugheit wie gegenüber den Nazis wollte die Mehrheit in Regierung und Parlament gegenüber den Kommunisten zunächst nicht bereit oder in der Lage sein. Auch das einmütige und geradezu vernichtende Urteil aller Verfassungsrechtssachverständigen, die im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung angehört wurden, reichte dazu noch nicht aus. Es bedurfte härtester Verhandlungen, um die Regierungsseite zum Einlenken zu bewegen.
Von dem Art. 4 ist jetzt nichts mehr übrig als eine Bestimmung, die es erlaubt, Ansprüche auf Sonder und Zusatzrenten ruhen zu lassen, wenn sich der Berechtigte durch Auslandsaufenthalt der Strafverfolgung wegen einer politisch motivierten Straftat in der ehemaligen DDR entzieht.
({18})
Damit wurde eine wesentliche Hürde für eine Verständigung weggeräumt.
Dem Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Form kann die sozialdemokratische Fraktion und können auch die SPD-regierten Länder im Bundesrat zustimmen. In einigen Punkten bleiben unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit Bauchschmerzen. Wir nehmen sie hin, weil wir sozialpolitisch viel erreicht haben. Wir haben dieses Gesetz von der SPD-Seite aus substantiell verbessert.
({19})
Seine ursprüngliche Absicht waren die schnellstmögliche Beseitigung aller weiterführenden Strukturen im früheren DDR-Recht und die Beseitigung jeden Reformimpulses. Jetzt bleibt die Tür für weiterführende Reformen geöffnet. Durchschreiten konnten und können wir als parlamentarische Opposition diese Tür nicht. Aber wir konnten sie offenhalten, und wir werden in unserem Kampf für eine gerechte Alterssicherung der Frauen und gegen die Altersarmut nicht nachlassen.
Ich danke Ihnen.
({20})
Nun hat der Abgeordnete Kauder das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist uns gelungen, die staatliche Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit zu erreichen. Bundeskanzler Kohl und seine Regierung haben die, wie wir heute wissen, sich nur kurz bietende Chance, die unnatürliche Teilung unseres Landes zu überwinden, genutzt. Es wurde etwas erreicht, was viele schon abgeschrieben hatten, wir aber als politisches Ziel nie aufgegeben haben.
({0})
Ein System wurde abgeräumt, das 40 Jahre lang ein Land ruiniert, seine natürlichen und wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zerstört, vor allem aber unsere Landsleute menschenunwürdig unterdrückt und sie um den gerechten Lohn ihrer Arbeit betrogen hat.
Wenn ich so manche Äußerungen in den vergangenen Wochen noch einmal an mir vorbeiziehen lasse, meine ich: Wenn wir über die zur Zeit zugegebenermaßen schwierige Situation in den neuen Bundesländern sprechen, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß sich hier Gravierendes verändert hat. Wir haben die Einheit in Frieden und Freiheit erreicht. Dies ist doch die Voraussetzung dafür, daß wir nun die furchtbaren Hinterlassenschaften des real existierenden Sozialismus beiseite räumen können. Wenn dies gemeinsam geschieht, ist es uns nur recht.
Wir werden mit ganzer Kraft das anpacken, was für unsere Politik in den nächsten Monaten und Jahren absolute Priorität hat. Wir wollen gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland schaffen. Dies ist nicht einfach. Aber diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben ein zukunftsorientiertes und abgestimmtes Gesamtkonzept für den Aufschwung Ost.
({1})
Dazu gehören eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Förderung neuer Wirtschaftsstrukturen und Investitionen ebenso wie die soziale Abfederung der durch den Umstellungsprozeß betroffenen Menschen.
({2})
Hier möchte ich einmal einen herzlichen Dank an unseren Bundesarbeitsminister, sein Ministerium und die Bundesanstalt für Arbeit sagen.
({3})
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist ein Unterschied, nur zu reden oder, was viel schwieriger ist, auch zu handeln. Dies wird ganz hervorragend gemacht.
({4})
Dank sage ich der Bundesanstalt für Arbeit, die in einem unglaublichen Kraftakt - da sind wir uns ja wohl einig - die notwendigen arbeitsmarktpolitischen Initiativen schnellstens umsetzt. Das alles ist auf einen Bundeshaushalt abgestützt, den Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, ja nicht mitgetragen haben.
({5})
In unseren finanziellen Leistungen - nicht nur darin, aber auch darin - wird die Solidarität der Menschen in den alten Bundesländern gegenüber den Landsleuten in den neuen Bundesländern sichtbar. Das macht den Menschen in den neuen Bundesländern auch Mut, und genau das brauchen wir.
Da sprechen Sie, Herr Dreßler, am 26. April 1991 in diesem Parlament davon, daß in den neuen Bundesländern alles plattgemacht werde.
({6})
- Es gibt auch noch einen anderen Dreßler. Wir haben heute einen anderen Dreßler kennengelernt.
({7})
- Ich komme gleich darauf. Warten Sie es nur ab, Herr Kollege Heyenn.
Herr Dreßler, Sie haben davon gesprochen, daß alles plattgemacht werde. Diese Aussage hält den Tatsachen nicht stand. Sie haben sie heute in anderem Zusammenhang wiederholt. Sie hält trotzdem nicht stand. Das war eine unverantwortliche Irritation der Menschen vor allem in den neuen Bundesländern.
({8})
Herr Kollege Dreßler, es gehört dazu, daß die Opposition Kritik übt und daß sie sich mit einem Gesetzentwurf auch kritisch auseinandersetzt. Aber es kommt
darauf an, wie man diese Kritik ansetzt, ob man sie auf diese plattmachende Weise anbringt und damit Irritationen und Ängste bei den Menschen hervorruft. Wir haben nun alle miteinander die Aufgabe, das wieder auszuräumen, was Sie damals, am 26. April 1991, angerichtet haben.
({9})
Ich rufe den Menschen in den neuen Bundesländern zu: Lassen Sie sich nicht irritieren, wir werden gemeinsam konsequent an der Vollendung der deutschen Einheit weiterarbeiten.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Nein. Der Kollege Dreßler hat genügend Zeit gehabt, hier zu sprechen. Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang machen.
({0})
Herr Abgeordneter Dreßler, die Geschäftsordnung läßt die Möglichkeit einer Kurzintervention zu.
Wir werden - ich wiederhole es - konsequent an der Vollendung der deutschen Einheit weiterarbeiten. Dem dient auch das Renten-Überleitungsgesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden.
Wir übertragen in die neuen Bundesländer ein Rentensystem, das - da hat der Bundesarbeitsminister recht - in der Welt seinesgleichen sucht. An diesem Rentenrecht hat auch die Opposition ihren Anteil. Ich verstehe deshalb nicht, warum am 26. April 1991 von einer „Planierungspolitik" gesprochen wurde, wenn mit diesem Rentenrecht nun das Alterssozialhilfesystem der ehemaligen DDR abgeschafft und ein neues, leistungsfähiges, dynamisches Rentenrecht auf das dortige Gebiet übertragen wird.
({0})
- Herr Kollege Gilges, ich werde dazu noch etwas sagen. Ich habe ja anerkannt, daß der Kollege Dreßler heute eine andere Rede gehalten hat. Ich freue mich auch darüber. Aber ich muß Ihnen sagen: Ich war entsetzt über das, was am 26. April 1991 gesagt worden ist. Ich will jedoch anerkennen, daß wir heute eine andere Situation haben. Ich komme, wie gesagt, darauf noch zu sprechen.
({1})
Diese Regierung und diese Koalition sind auf der richtigen Spur. Lassen Sie mich das nur an drei Bei2952
spielen zeigen: Es wurde im Vorfeld dieser Beratungen behauptet, daß die Rentenüberleitung zu Verschlechterungen für die Frauen im Beitrittsgebiet führe. Das Gegenteil ist der Fall.
({2})
In einer Erklärung vom 18. Juni 1991 widerspricht der Verb and der Deutschen Rentenversicherungsträger dieser Kritik ganz massiv und behauptet mit Recht, daß die Frauen nach der Überleitung des neuen Rechts und nach der Angleichung des Lohnniveaus im Durchschnitt immer noch deutlich besser dastehen als die Frauen in den alten Bundesländern. Das ist die Beurteilung der Fachleute.
Professor Ruland von diesem Verband hat in der Anhörung erklärt - jetzt hören Sie sich einmal die Zahl an - , daß 78 % der Frauen im Beitrittsgebiet auf die Mindestrente angewiesen waren. Das qualifiziert ein System doch treffend, in dem die Frauen zu 90 % in Erwerbsarbeit tätig waren.
({3})
Wie steht es nun aber mit den Kindererziehungszeiten? Es ist richtig, daß Frauen im System der ehemaligen DDR mehr Kindererziehungszeiten zuerkannt bekamen. Schauen wir aber einmal genauer hin, dann stellen wir fest, daß das in einem statischen System überhaupt keine Leistung war. So führt ein Erziehungsjahr Ost im Regelfall zu einer Rente von maximal 6 DM,
({4})
während ein Erziehungsjahr West zu einem Bruttobetrag von zur Zeit knapp 30 DM führt. - Heiner Geißler weist mit Recht darauf hin, es waren Ost-Mark. - Unsere Erziehungsjahre sind rentenbegründend, und die Erziehungsjahre in der alten DDR waren nur minimal rentensteigernd. Dies ist ein gravierender Unterschied.
({5})
Die Ablösung des Alterssozialhilfesystems in der DDR - ich bezeichne dies schon gar nicht mehr als Rentensystem - bedeutet also ganz im Gegensatz zu manchen Behauptungen, die wir gehört haben, eine Besserstellung der Frauen. Den Menschen in den neuen Bundesländern wird nichts genommen, sie haben vielmehr in Zukunft Anteil an einem Rentenversicherungssystem, das von unserer Bevölkerung, aber auch in der ganzen Welt als vorbildlich gerühmt wird.
({6})
Für die Menschen in den neuen Bundesländern bringt die Rentenüberleitung erhebliche Verbesserungen. Nur drei ganz kurze Beispiele: das rigide Unterhaltsrecht hat die Witwen in der DDR besonders schlecht gestellt. Über eine Million Witwen bekommen nun endlich zum erstenmal eine richtige Witwenrente. Durch die Herabsetzung der Altersgrenze auf die Höhe, die im Westen immer schon gegolten hat, werden 200 000 Versicherte eine frühere Rente bekommen, ein Gewinn für die Menschen gerade in dieser schwierigen arbeitsmarktpolitischen Situation. Durch die Übertragung unseres Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrechtes werden zum erstenmal auch in den neuen Bundesländern Gesundheitsschäden wirklich anerkannt, und hier sind in besonderer Weise Frauen durch die Doppelbelastung betroffen; auch dies ein ganz erheblicher Vorteil, den wir hier einführen.
({7})
Die Übertragung, meine sehr verehrten Damen und Herren, des Sozialgesetzbuches VI bedeutet aber natürlich auch, daß alle einem Versicherungssystem fremden Volksversorgungselemente schon aus Gleichheitsgründen gegenüber den Menschen in den alten Bundesländern nicht übernommen werden können. Wir kämen sonst zu Rentenleistungen, die unter dem Gesichtspunkt der Lohnbezogenheit und Beitragsgerechtigkeit nicht vertretbar sind. Einen Kuchen zu backen, der nur aus Rosinen beider so unterschiedlicher Systeme besteht, ist finanziell für uns nicht verkraftbar. Die Rentner in den neuen Bundesländern haben dadurch aber auch gar keinen Nachteil. Die Experten in den Anhörungen haben überzeugend dargelegt, daß wir mit der fortschreitenden Lohnentwicklung in den neuen Ländern auch die Renten adäquat weiterentwickeln können, so daß wir in absehbarer Zeit das Rentenniveau West weitgehend erreicht haben werden.
Dies muß vor allem den Menschen in den neuen Bundesländern deutlich gesagt werden, damit nicht der Eindruck entsteht, wie er streckenweise im Verlauf der Beratungen hervorkam, daß die Menschen in den neuen Bundesländern Steine statt Brot, Almosen statt Renten erhalten. Sie erhalten ein Rentenversicherungssystem, das sich bei uns über viele Jahrzehnte hin bewährt hat, und dies übertragen wir in die neuen Bundesländer.
({8})
Wenn heute die Bestandsrenten, also die Renten, die wir jetzt haben, mit dem verglichen werden, was wir in Zukunft mit dem SGB VI haben werden, ist dies nicht in Ordnung. Professor Ruland hat in der Anhörung darauf hingewiesen, daß wir die Renten der alten DDR mit dem vergleichen müssen, was mit dem SGB VI eingeführt wird.
({9})
Wenn man dies tut, kommt man zu ganz erhellenden Einsichten und wird feststellen, wie groß der Unterschied zwischen einem Alterssozialhilfesystem und einem Rentensystem der Bundesrepublik Deutschland ist.
({10})
Wir haben auch Vertrauenstatbestände geschaffen, wir haben das, was wir den Menschen gesagt haben, in den neuen Bundesländern gehalten. Wir haben gesagt: Wir werden dafür sorgen, daß die Rentner endlich richtige Renten bekommen, und dazu stehen wir auch.
Wir haben an diesem Gesetzentwurf, wie er eingebracht worden ist, Veränderungen - Herr Kollege Dreßler, dies ist richtig - vorgenommen. Da kommen
wir auch zu einem Konsens mit der Opposition, und darüber freue ich mich. Ich erkenne auch an, daß Sie heute ganz anders gesprochen haben als noch im April, und ich meine, wenn wir uns in dieser Art und Weise auch durchaus sachlich, kritisch auseinandersetzen können, dann brauche ich beim nächstenmal, wenn ich hier wieder einmal spreche, auch nicht darauf hinzuweisen, was an irritierenden Formulierungen zu einem anderen Zeitpunkt gesagt wurde. Auch darüber würde ich mich freuen, Herr Kollege Dreßler.
({11})
Wir haben Auffüllbeträge für diejenigen vorgesehen, die durch die Umstellung des Rentenrechts vielleicht eine niedrigere Rente bekämen; und wir haben Sozialzuschläge. Wenn Sie dazu beigetragen haben, daß dies alles ein bißchen länger laufen kann, dann ist dies noch keine substantielle Veränderung des Gesetzes, sondern bedeutet eine Veränderung und Besserstellung in allen Bereichen; das kann man durchaus sagen.
({12})
Wir aber haben unseren Gesetzentwurf vorgelegt. Wir, meine Damen und Herren, brauchen in der Sozialhilfepolitik keinen Nachhilfeunterricht.
({13})
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wird ein umfangreiches Wek verabschiedet. Es hat viel Kraft und Einsatz verlangt, und ich sage den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarbeitsministeriums, dem Ausschußsekretariat, aber auch allen, die über Tage und Nächte hinweg an diesem Gesetzentwurf zum Wohl der Menschen gearbeitet haben, besonderen Dank. Diese konzentrierte und zeitraubende Arbeit war notwendig, damit wir rechtzeitig zum 1. Januar 1992 ein einheitliches Rentenrecht in ganz Deutschland haben.
Wir wollen so schnell wie möglich Normalität und gleiche Lebensbedingungen in unserem Land. Das Renten-Überleitungsgesetz konnte deshalb auch kein Renten-Reformgesetz sein. An der Lebenswirklichkeit orientierte Reformen müssen einer späteren Zeit vorbehalten werden. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben große Erwartungen, die wir nun mit dem raschen Überleiten auch tatsächlich erfüllen.
Noch einen Punkt will ich nennen: Die Menschen in den neuen Bundesländern erwarten von uns aber auch, daß diejenigen, die sie über 40 Jahre hinweg unterdrückt haben, nun nicht noch im Rentenrecht Prämien bekommen, Herr Kollege Dreßler.
({14}) Genau dies sollte verhindert werden.
Im übrigen: Die Formulierungen in dem entsprechenden Teil des Gesetzes sind Formulierungen, die wortwörtlich im Einheitsvertrag stehen, den Sie - das nehme ich an - mitverabschiedet haben.
Wir sind auf dem richtigen Weg in eine gute Zukunft für alle Deutschen, und ich freue mich darüber, daß die Opposition nach einigen Tagen der Irritation auf diesem Weg mitgeht.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Jäger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl mir bei Ihnen, Herr Kauder, einige Vergleichspunkte nicht ganz der Realität zu entsprechen scheinen,
({0})
möchte ich nicht im besonderen darauf eingehen.
Am 26. April, also vor acht Wochen, habe ich bei der ersten Lesung im Plenum davon gesprochen, daß es für viele Versicherte und Rentner in den neuen Bundesländern ein böses Erwachen geben könnte, wenn der von der Regierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf so zum Tragen käme, wie er vorgelegt worden ist. Im Gegensatz zu den Regierungsplänen wies ich bereits darauf hin, daß die vernünftigen Elemente des DDR-Rechts in das zukünftige Rentenrecht Gesamtdeutschlands zu übernehmen seien und daraus ein Konzept zur Lösung der Frage der Altersarmut und ein frauenfreundliches Rentenrecht entwickelt werden müßte.
Nun hat es in diesen acht Wochen, besonders in den letzten Tagen, doch einiges an Bewegung gegeben. Die CDU/CSU und die FDP auf der einen sowie die SPD auf der anderen Seite haben versucht, im Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern aufeinander zuzugehen. Das Angebot der SPD-Fraktion zur Zusammenarbeit beim Renten-Überleitungsgesetz, das mein Kollege Rudolf Dreßler während der ersten Lesung des Gesetzentwurfes gemacht hat, ist angenommen worden und hat nach sehr mühevollen Verhandlungen zu einem Kompromiß geführt, der anzuerkennen ist. Natürlich mußten dafür Extrempositionen auf beiden Seiten ausgeräumt werden. Das Ergebnis aber, so meine ich, kann sich durchaus sehen lassen.
({1})
Es ist erfreulich, daß eine für die Lebenswirklichkeit in den neuen Bundesländern so wichtige Rechtsvorschrift wie das Rentenüberleitungsgesetz eine breite Mehrheit im Deutschen Bundestag finden wird.
({2})
Doch nun zu einer weiteren politischen Bewertung des Kompromisses aus Sicht der SPD-Fraktion.
Der hohe Anspruch, eine Dauerlösung des Problems der Altersarmut zu erreichen, wird mit dem von der SPD-Fraktion und den Regierungsfraktionen gemeinsam eingebrachten Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf noch nicht erreicht. Aber die erheblich verlängerten Fristen für die Weitergewährung des Sozial2954
zuschlags und die Einbeziehung weiterer Personenkreise in den Sozialzuschlag lassen die Aussage zu, daß wir dem Problem der Altersarmut, das vor allem Frauen betrifft, doch in erheblichem Maße zu Leibe rücken. Zum Thema Altersarmut hat mein Kollege Rudolf Dreßler bereits Ausführungen gemacht, so daß ich mir weitere sparen kann.
Unser Ziel, ein frauenfreundliches Rentenrecht zu entwickeln, wird zur Zeit ebenfalls noch nicht erreicht. Aber in der gemeinsamen Entschließung der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und der FDP zur Alterssicherung der Frauen wird auch von den Regierungsfraktionen Handlungsbedarf in diesem Bereich eingeräumt. Dies ist ein wichtiger Schritt nach vorn, denn er bedeutet letztendlich, daß alle Fraktionen eine gesellschaftlich fortschrittlichere Lösung für angebracht halten, als dies bisher der Fall war.
({3})
Die Sozialdemokraten werden diese Entschließung noch in dieser Legislaturperiode mit Leben erfüllen und eine Konzeption für die zukünftige Alterssicherung der Frauen entwickeln. Nach unseren Vorstellungen muß diese Konzeption folgenden Ansprüchen genügen: Erstens sollen die abgeleiteten Hinterbliebenenrenten durch eigenständige Rentenansprüche der Frauen ersetzt werden, zweitens müssen die Anerkennung von Kindererziehungszeiten verbessert und die rentensteigernde Berücksichtigung von Pflegezeiten eingeführt werden, und drittens sehen wir die Einführung der sozialen Grundsicherung als unverzichtbares Element einer jeden Rentenreform zugunsten von Frauen an,
({4})
denn gerade sie sind von Altersarmut in weitaus höherem Maße betroffen.
Wenn man nun die Ergebnisse im anstehenden Kompromißgesetzentwurf zu den Punkten Beseitigung der Altersarmut und bessere soziale Sicherung der Frauen zusammenfaßt, muß man feststellen, daß sie noch nicht ausreichen. Da es aber eine ganze Reihe von weiteren Verbesserungen gibt, möchten wir unsere Zustimmung doch schon signalisieren.
Bei der Verdeutlichung der Verbesserungen, die wir der Regierungskoalition abgerungen und die dann zum Konsens geführt haben, will ich vor allem die Punkte darstellen, die die Menschen in den fünf neuen Bundesländern, also letztendlich in meiner Heimat, besonders interessieren.
Zunächst wende ich mich dazu noch einmal dem Sozialzuschlag zu. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen hatten vorgesehen, daß für Neurentner ab Januar 1992 kein Sozialzuschlag mehr gezahlt werden soll. Wir haben erreicht, daß auch Neurentner der Jahre 1992 und 1993 in den Genuß eines Sozialzuschlags kommen können.
({5})
Bei denjenigen, die heute schon Rentner sind und einen Sozialzuschlag erhalten, sollte mit dem Sozialzuschlag ursprünglich am 31. Dezember 1994 Schluß sein. Nun ist auf Grund unserer Verhandlungen das
Enddatum um zwei Jahre bis Dezember 1996 verschoben worden.
({6})
Wenn man bedenkt, daß allein hierdurch mehrere hunderttausend Kleinrentner in den neuen Bundesländern - auf Grund ihrer niedrigen Verdienste also letzten Endes die Ärmsten der Armen - begünstigt werden, dann hat sich der harte Einsatz der SPD für diese Rentner gelohnt.
({7})
Der Bedarfssatz beim Sozialzuschlag wird auf 600 DM monatlich für Alleinstehende und 960 DM für Verheiratete festgelegt. Darauf wird das Arbeits- und Renteneinkommen angerechnet und der Unterschiedsbetrag dazu als Sozialzuschlag gewährt. Übrigens werden die Bedarfssätze von 600 und 960 DM entsprechend der Entwicklung der Sozialhilferegelsätze in den neuen Bundesländern jeweils zum 1. Juli eines Jahres erhöht.
Nun möchte ich auf die wichtige Frage des Bestandsschutzes für Renten in den neuen Bundesländern zu sprechen kommen. Dieser Punkt war einer der Kernpunkte unserer Kritik an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung; denn in sehr vielen Fällen wird die nach dem westdeutschen Rentenrecht berechnete Rente geringer ausfallen - einschließlich der Erhöhung zum 1. Januar und zum 1. Juli 1991 - als nach DDR-Recht.
Während für heutige Rentner eine akzeptable Besitzschutzregelung vorgeschlagen war, so daß sich kein Rentenfreibetrag ab dem 1. Januar 1992 mindert und eine Abschmelzung erst ab 1996 erfolgt, war nur ein unzureichender Vertrauensschutz für Neurenten ab Januar 1992 vorgesehen. Bei Neurentnern sollte nämlich der Unterschiedsbetrag zwischen höherer DDR-Rente und niedrigerer westdeutscher Rente bei jeder Rentenanpassung sofort abgeschmolzen werden können. Dies ist verhindert worden. Nunmehr ist vorgesehen, daß auch Neurentner der Jahre 1992 und 1993 einen umfassenden Vertrauensschutz erhalten.
({8})
Der höhere Rentenbetrag nach dem DDR-Recht darf, wie bei Altrentnern, erst ab Januar 1996 abgeschmolzen werden.
Weiter wurde erreicht, daß neben den Neurentnern der Jahre 1994 und des ersten Halbjahres 1995 auch die Rentenzugänge von Juli 1995 bis Dezember 1996 in den Vertrauensschutz einbezogen werden. Allerdings ist der Vertrauensschutz dieser nicht ganz so rentennahen Jahrgänge so ausgestaltet worden, daß im Zuge von Rentenerhöhungen sofort mit der Abschmelzung begonnen wird.
Mit diesen Regelungen, die zugegebenermaßen etwas kompliziert sind, haben wir die Rentenhöhen von mehreren hunderttausend Rentnern in den neuen Bundesländern positiv beeinflussen können.
({9})
Dies erfüllt mich mit persönlicher Genugtuung, weil wir damit dazu beigetragen haben, den Menschen zu einem lebenswerteren Dasein im Alter zu verhelfen.
({10})
Auch für die Mitglieder von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen gibt es gerechtere und positivere Verhandlungsergebnisse. Bemerken muß man dabei, daß es ungemein schwierig ist, bei dieser Systemvielfalt einigermaßen gerechte Regelungen in politischer Hinsicht zu finden.
Bei den laufenden Zusatz- und Sonderrenten hatte die Bundesregierung eine sofort wirksame Obergrenze von 1 500 DM angestrebt. Die Neuverhandlungen haben hier die Obergrenze auf 2 010 DM erbracht. Ich sprach bereits in der ersten Beratung von dieser Summe, bei der wir uns an der Obergrenze, die die Volkskammer der DDR für einige Zusatzversorgungen beschlossen hatte, orientierten. Dabei ist die Sozialpflichtversicherungsgrenze berücksichtigt. Die Stasi-Versorgung wird abweichend hiervon auf die Höhe einer Durchschnittsrente herabgesetzt. Dies würde etwa 800 DM ausmachen.
Bei der Überführung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme sollte nach den Regierungsplänen bei der Rentenberechnung das Einkommen grundsätzlich nur bis zum jeweiligen Durchschnittsentgelt berücksichtigt werden dürfen, und erst über eine Rechtsverordnung sollten für staatsferne Tätigkeiten günstigere Rentenberechnungen erlaubt werden.
Nunmehr ist eine differenziertere Lösung in den Gesetzentwurf hineingeschrieben worden, die folgendes zum Inhalt hat: Bei der ersten Gruppe, den Sonderversorgungssystemen der NVA der Volkspolizei und des Zolls sowie bei der Zusatzversorgung der Mitarbeiter des Staatsapparates und der gesellschaftlichen Organisationen erfolgt eine Begrenzung der Einkommensberücksichtigung auf das Durchschnittseinkommen nur noch, wenn das 1,4fache des Einkommensdurchschnitts überschritten wird. Dies trifft für die führenden Mitarbeiter in diesem staatsnahen Bereich zu. Die nicht leitenden Bediensteten dieser Institutionen werden rentenrechtlich ganz normal behandelt, d. h. die Renten werden entsprechend ihrem persönlichen Einkommen berechnet.
In der zweiten Gruppierung der anderen Zusatzversorgungssysteme - ich denke hierbei besonders an die Zusatzversorgung der Intelligenz - erfolgt eine Begrenzung der Einkommensberücksichtigung beim 1,8fachen des Durchschnittseinkommens. Da das 1,8fache des Durchschnittseinkommens auch für westdeutsche Rentenversicherte die Obergrenze darstellt, ist hier für die Betroffenen sehr viel erreicht worden. Für die östlichen Länder bedeutet dies derzeit eine Obergrenze von ca. 1 600 DM.
Bei der dritten Form, der Stasi-Versorgung, erfolgt eine Begrenzung der Einkommensberücksichtigung auf 70 % des Durchschnittseinkommens. Dies ist gerecht, weil bei dieser Instanz entsprechende Berufe in der Regel höher bezahlt wurden.
Was den Vertrauensschutz im Bereich der Zusatz-und Sonderversorgungssysteme betrifft, war für Neurentner ab 1. Januar 1992 bisher nichts vorgesehen. Auch hier ist es uns gelungen, der Koalition Verbesserungen abzuringen. Neurentner der Jahre 1992 und 1993 erhalten die Differenz zwischen der DDR-Anspruchshöhe und der neuen Berechnung zusätzlich ausgezahlt. Dieser Differenzbetrag ist statisch, d. h. er wird bei den Rentenerhöhungen nicht angepaßt. Das Abschmelzen beginnt erst ab 1996.
Diese in der Gesamtheit vielfältigen Verbesserungen, eben auch im Bereich der Zusatzversorgungssysteme, entsprechen in hohem Maße den von mir anläßlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im April vorgetragenen Forderungen.
Die Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung beim Sozialzuschlag, beim Bestands- und Vertrauensschutz sowie bei den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen sind sicherlich die wichtigsten Änderungen, die sich bei vielen meiner Mitbürger in den neuen Bundesländern positiv auswirken werden. Ich bin daher überzeugt davon, daß wir mit der Zustimmung zu dem veränderten Gesetzentwurf den richtigen Weg gehen.
Herr Präsident, ich würde gerne noch einige wenige Minuten der Redezeit meiner Fraktion in Anspruch nehmen.
Besonders gefreut hat es mich als neue Abgeordnete, daß es mir gelungen ist, ein Problem aus meinem Wahlkreis in den Ausschuß zu bringen und es in gemeinsamer Arbeit mit der Regierung und den Koalitionsfraktionen zu lösen. Es handelt sich dabei um die Anrechnung von Zeiten, die deutsche Bürger in den. ehemals deutschen Gebieten nach dem Krieg in Haft verbrachten und die danach in die DDR abgeschoben wurden. Auch ohne eine offizielle Rehabilitation, für die es derzeit noch keine gesetzliche Möglichkeit gibt, können diese Haftzeiten nunmehr als Rentenzeiten angerechnet werden.
({11})
Zwar wäre der Gesetzentwurf anders ausgefallen, wenn die SPD eine parlamentarische Mehrheit hätte. Aber ich bin dennoch zufrieden damit, daß es uns aus der Opposition heraus gelungen ist, Erhebliches zugunsten der Menschen in den neuen Bundesländern zu verbessern. Dabei möchte ich auch anerkennen, daß dieser Erfolg nur dadurch möglich war, daß sich die Regierungsfraktionen - dank der geänderten Bundesratsmehrheit - verhandlungs- und kompromißbereit gezeigt haben.
({12})
Ich halte es für vernünftiger, hier im Deutschen Bundestag die Kompromisse zu suchen und zu finden und nicht erst in einem Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat.
Die SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung zustimmen, weil alles in allem der positive Eindruck der Regelungen überwiegt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Grafen Schönburg-Glauchau das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was der Kollege Dressler zuerst über die Versorgung der Nazi-Größen und ihrer Hinterbliebenen gesagt hat, hat in mir Erinnerungen an die Diskussion in den 60er und frühen 70er Jahren geweckt, wo ich mit meinen Kindern und ihren Altersgenossen damals darum gekämpft habe, daß unser Staat ein demokratischer Rechtsstaat und kein Schweine-System ist. Diejenigen, die damals behauptet haben, es sei ein Schweine-System, haben - erinnern Sie sich! - immer wieder die Rente, die Versorgung, die die Witwe vom Blutrichter Freisler bekommen hat, ins Feld geführt.
Ich wollte Sie nur bitten: Haben Sie mit mir acht und sorgen Sie sich darum, daß die Versorgung der roten Bonzen jetzt nicht junge Leute Rattenfängern zutreibt, die bereits ihr Unwesen treiben. Bitte, lassen Sie uns da alle zusammen helfen!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Geißler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erste Bemerkung am Ende der Debatte über dieses große Gesetzgebungswerk, das wir jetzt gemeinsam verabschieden und über das wir uns sicher freuen können, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eine kritische Bemerkung, und am Ende meiner Ausführungen dann vielleicht doch etwas Positives für uns alle miteinander.
Durch die ständige und - das muß ich jetzt wirklich sagen - maßlose Kritik an dem Entwurf der Koalition, an dem, was die Bundesregierung und der Arbeitsminister hier vorgetragen haben, wird seit Wochen der Eindruck erweckt, als ob das, was wir in der Koalition mit diesem Renten-Überleitungsgesetz vorhätten, im wesentlichen eine Verschlechterung für die Rentner in der alten DDR beinhalte.
In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Änderungsantrag doch um nichts anderes als um eine andere - und zugegebenermaßen - im Endergebnis bessere Ausgestaltung der Übergangsregelungen im Hinblick auf die Übertragung unseres westdeutschen Rentenrechts auf ein völlig anderes Rentensystem, wobei es notwendigerweise zu Friktionen und zu unterschiedlichen Bewertungen kommen muß, z. B. bei den Fragen, wie lange Übergangsregelungen gelten sollten, in welcher Höhe sie sich bewegen sollten, ob sie dynamisiert oder nicht dynamisiert werden sollten und ähnliche Dinge.
Daher müssen wir hier zunächst einmal festhalten: Im Kern und im wesentlichen handelt es sich um die Übertragung unseres Rentensystems in der Gestalt der auch von der SPD mitgetragenen Rentenreform. Dieses Gesetzeswerk ist infolgedessen eine entscheidende Verbesserung für die alten Leute in. der alten DDR, in den neuen Bundesländern. Daß wir bessere
Übergangsregelungen in einem vernünftigen Diskussionsprozeß auch mit den Freien Demokraten, die andere, weitergehende Vorstellungen hatten, gefunden haben, ist das Ergebnis eines vernünftigen parlamentarischen Verfahrens.
Wenn wir jetzt anfangen, einzelne Punkte jeweils einer Partei zuzuordnen, trägt das, finde ich, nur zur Verwirrung der Menschen bei, einer Verwirrung, die wir in der jetzigen sozialen Situation in der alten DDR, in den neuen Bundesländern, wirklich nicht brauchen können.
({0})
Das Schlimmste ist - das sage ich einmal zu den ehemaligen Kommunisten auf der linken Seite -, wenn hier gesagt wird, insgesamt würden durch den Entwurf zum Rentenüberleitungsgesetz, der hier eingebracht worden ist und den wir jetzt verabschieden, strukturelle Nachteile insbesondere für die Frauen realisiert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ja so, als ob ich ein Zuhältersystem zu einem Mädchenpensionat erklären würde. Um nichts anderes hat es sich nämlich gehandelt: Ausbeutung der alten Menschen durch ein menschenunwürdiges System. Das ist die Situation in der alten DDR gewesen.
({1})
Keine Dynamisierungen, Rente nach Staatswillkür, wenn ein sozialistischer Feiertag begangen wurde, alle drei Jahre eine Rentenerhöhung, noch nicht einmal nach Staatskasse entschieden, sondern über den Daumen gepeilt und auch nach Staats- und Systemnähe ausgestaltet - das wird als strukturelle Vorteile bezeichnet!
Wir müssen der deutschen Öffentlichkeit gegenüber erklären: Es ist durch dieses Renten-Überleitungsgesetz etwas in einem ehemals kommunistischen Bereich eingeführt worden, das auf der ganzen Welt als das fortschrittlichste Sozial- und Altersversicherungssystem anerkannt wird, das es in allen Industrieländern der Welt überhaupt gibt. Dies ist die Wahrheit.
({2})
Gefreut hat mich, daß es bei uns eine weiterführende Diskussion gegeben hat. Ich will für mich sagen, daß mir die Diskussion mit den Freien Demokraten, aber auch mit den Sozialdemokraten etwas gebracht hat. Ich meine damit das, war hier gerade in der Intervention angesprochen ist, aber auch das, was wir in unseren Diskussionen besprochen haben.
Sie haben sich ebenfalls bewegt. Wir halten es nicht für richtig, daß man jemandem, der sich - wie Honecker - der Strafverfolgung entzieht, auch noch die Rente hinterherschickt. In diesem Punkt sind wir uns einig.
Auf der anderen Seite sollten wir aber in dieser komplexen deutschen geschichtlichen Wirklichkeit, in der wir uns befinden, einfach akzeptieren - das ist ein Appell an meine Freunde aus den ostdeutschen Ländern - , daß wir auch Mitglieder des Stasi-Apparates in ihrer sozialrechtlichen Beurteilung schließlich nicht anders behandeln können, als wir es aus
sozialrechtlichen Gründen auch mit Nazi-Verbrechern gemacht haben. Ich glaube, aus Gerechtigkeitsgründen können wir im Sozialrecht keine andere Beurteilung vornehmen - das ist meine persönliche Meinung - , wir kämen sonst wirklich in ganz große Schwierigkeiten.
({3})
Ich glaube, daß wir jetzt gemeinsam in einen edlen Wettbewerb eintreten sollten, was die Weiterentwicklung der Alterssicherung der Frau und die Bekämpfung der Altersarmut anbelangt. Aber dabei nehme ich für mich in Anspruch: Die Christlich-Demokratische Union, die Christlich-Soziale Union, wir waren es, die mit diesem Konzept überhaupt begonnen haben. Kindererziehungszeiten, Anerkennung in der Rentenversicherung, das ist das Werk der Christlich-Demokratischen Union, des Bundesarbeitsministers mit uns zusammen, gewesen
({4})
- auch mit der FDP zusammen. Wir haben das Erziehungsgeld eingeführt, mit der Möglichkeit der gleichzeitigen Teilzeitarbeit - ein erster Einstieg einer gemeinsamen Betrachtung von Kindererziehungszeiten und Erwerbsarbeit. Ich erinnere daran, daß wir den Rentenanspruch für Kindererziehungszeiten für diejenigen, die älter als der Jahrgang 1922 sind, nicht vom Sozialhilfeanspruch abhängig gemacht haben. Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, auch wenn wir an die Altersarmut herangehen.
Ich glaube, daß wir hier einen richtigen Weg gegangen sind. Wir wollen ihn weitergehen. Wir werden in der Zukunft zu überlegen haben, daß die Arbeit in der Familie und bei der Kindererziehung als Erwerbsarbeit anerkannt werden kann; das entspricht der Lebenswirklichkeit in unserer Gesellschaft.
Ich bin auch froh darüber, daß wir jetzt die Altersarmut angehen. Ich finde, wir sollten die verschiedenen Ämter und Institutionen, die wir haben, Rentenversicherungsträger, Sozialämter und Wohnungsämter, dazu bringen, besser zusammenzuarbeiten, damit die Leute zu ihrem Recht kommen und als Sozialhilfeberechtigte mit einer kleinen Rente nicht von Schalter zu Schalter laufen müssen. Ich bin froh, daß wir dieses Thema in dieser Legislaturperiode miteinander behandeln können.
Ich finde, daß wir als christliche Demokraten mit der SPD in Konkurrenz treten können, und zwar mit gutem Gewissen und auch mit der Erfahrung, daß alle großen sozialgesetzlichen Werke seit 1949 nicht von der SPD, sondern aus der CDU heraus entwickelt und mit unserer Mehrheit zusammen mit der FDP verabschiedet worden sind.
Vielen Dank.
({5})
Nun erteile ich dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte und der großen Anstrengung, die von allen Seiten für dieses Überleitungsgesetz geleistet wurde, möchte ich meinen Dank sagen erstens für den guten Willen, der mobilisiert wurde, und zweitens für die Arbeit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Ich möchte nach dem gestrigen Tag ausdrücklich auch den Beamten und Mitarbeitern des Arbeitsministeriums Dank sagen,
({0})
nicht nur für die Arbeit beim Überleitungsgesetz, sondern für fast zwei Jahre - in der Sprache der Stahlarbeiter - Conti-Schicht für die deutsche Einheit. Ich hoffe, die Öffentlichkeit erkennt einmal an, welche Arbeitsleistung der Sozialversicherungsträger, der Beamten und Mitarbeiter der Ministerien der Sozialstaat Deutschland in den letzten zwei Jahren erbracht hat. Das Überleitungsgesetz ist ein Beispiel dafür.
({1})
- Herr Abgeordneter Scharrenbroich, ich habe, weil ich Ihre hierarchischen Bedürfnisse kenne, ausdrücklich den Bundestag als erstes erwähnt und bleibe auch dabei.
Zur Sache, zum Renten-Überleitungsgesetz. Aus meiner Sicht muß sich die Rentenpolitik immer an zwei wichtigen Zielen orientieren. Die Rentenversicherung muß zum einen vom Vertrauen der Rentner getragen werden und muß zum zweiten genug Geld in der Kasse haben. So einfach ist das.
({2})
- Ich sprach vom Vertrauen der Rentner; die Beitragszahler werden alle einmal Rentner. Insofern braucht man Beitragszahler nicht von Rentnern zu scheiden; denn die Beitragszahler sind die potentiellen Rentner der Zukunft.
Ich glaube, am stärksten wird das Vertrauen stabilisiert, wenn man in der Rentenpolitik ein Höchstmaß an Kontinuität schafft. Eine Rentenpolitik, die alle zwei Jahre eine neue Rentenrevolution verkündet, schafft Unsicherheit, selbst wenn die aktuelle Leistung ausreichend ist. Der 60jährige muß wissen, wie seine Rente aussieht, wie hoch sie ist, auch 20 Jahre später. Selbst der 30jährige will wissen, wie es um seine Rente steht, wenn er nicht mehr erwerbstätig ist. Wie kein anderes Sozialversicherungssystem ist die Rente auf Lebensplanung und auf Kalkulierbarkeit angewiesen.
Deshalb ist der Konsens eine wichtige Bedingung für die Rentenpolitik. Daher lohnt sich immer die Anstrengung, Rentenpolitik über Parteigrenzen hinweg zu betreiben.
Wir sind ja alle dafür bekannt, daß wir keinem Streit aus dem Wege gehen und daß es uns auch einen
gewissen Spaß macht, demokratischen Streit auszutragen.
({3})
- Ich habe Ihnen das Kompliment doch ausdrücklich gemacht. Ich habe mich extra nach links gewandt, um Ihrem Anerkennungsbedürfnis gerecht zu werden.
Auch in Zukunft sollte uns der gute Wille und die Anstrengung, zu einem Maximum an Konsens zu gelangen, bei diesem sozialen Sicherungssystem begleiten.
Betrachten wir doch einmal die großen Jahre der Rentenpolitik. Mir fallen für die Nachkriegszeit drei ein: 1957, 1989 und 1991.
({4})
- Ich bin heute friedlich gestimmt. Ich weiß, daß das jeder weiß.
1957 wurde die dynamische Rente eingeführt. Am Ende hatten wir einen breiten Konsens dafür.
({5})
- 1973 war auch nicht klein, gut. Aber dabei fallen mir noch einige Erinnerungen mehr ein.
1989 kam es zur Weiterentwicklung und zur Sicherung dieses dynamischen Rentenprinzips über die Jahrtausendgrenze hinweg. Am Ende hatten wir wieder einen Konsens.
Jetzt haben wir das vorliegende gemeinsam erarbeitete Rentenkonzept. Wir leben nicht von der Hand in den Mund, sondern über den Tag hinaus. Das Rentensystem leiten wir jetzt auf ganz Deutschland über. Ich finde, es ist gut, daß uns auch dabei ein Konsens gelungen ist.
({6})
- Ja, das ist so mit dem Konsens. Ohne daß die CDU mitmacht, geht es ebenfalls nicht, und ohne daß die FDP mitmacht, geht es ebenfalls nicht.
Ich finde es nicht gut, wenn der am Ende mit großer Anstrengung erreichte Konsens wie ein Steinbruch behandelt wird, aus dem jeder das herausnimmt, was ihm in die eigene Darstellung paßt. Dadurch bringt sich der Konsens um seine eigene Glaubwürdigkeit.
({7})
Wenn wir schon einen Konsens machen, dann müssen ihn am Schluß alle Seiten vertreten. Ich will dazusagen: Es gibt die Darstellung - wenn ich mir diese kritische Bemerkung erlauben darf - , was da alles herausgeholt wurde. Ja, von wem wurde da etwas herausgeholt? Ich komme mir vor, als wäre ich der Gutsherr und säße auf der Gutskasse. Wir verteilen doch nur das Geld, das die Beitragszahler gezahlt haben. Insofern ist es unsere gemeinsame Pflicht, die Beitragszahler nicht zu überfordern. Es wird doch kein
Geld von Blüm verteilt. Mein Gott, das habe ich doch gar nicht.
({8})
- Nein, wir - das gilt für jeden im Parlament - haben doch auch eine Pflicht, die Belastungsfähigkeit derjenigen, die das Ganze bezahlen, nicht zu überfordern. Insofern gibt es in der Tat zwei Seiten: Beitragszahler und Rentner. Ich habe vorhin gesagt: Vertrauen ist die eine Seite, Geld die andere.
Was das Geld angeht, so habe ich eine gute Nachricht: Es ist entgegen allen Unkenrufen so, daß die Rücklagen der Rentenversicherung steigen. Wir haben die Rücklagen 1990 um 9 Milliarden DM auf 34,8 Milliarden DM und 1991 auf 41 Milliarden DM erhöht, obwohl wir den Beitrag gesenkt haben. Freilich, die Beiträge werden - das ist ganz normal - auch wieder ansteigen müssen. Sie steigen auch deshalb an, weil wir sie vorher gesenkt haben, was gar nicht in unseren Planungen vorgesehen war.
Für die weitere Entwicklung gilt: Wir machen eine evolutionäre Rentenpolitik, keine Rentenpolitik der Revolutionen. Es muß die Errungenschaft verteidigt werden, daß die Rente lohnbezogen ist. Das muß so bleiben. Es ist die größte Sicherheit für die Rentner, daß die Rente nicht vom Wohlwollen eines staatlichen Gesetzgebers abhängt, daß sie nicht sozusagen einen Verteilungskampf mit Straßenbau-, Bildungspolitik, Wissenschaftspolitik führen muß. Die Renten werden aus dem Topf gezahlt, der mit den Beiträgen der Arbeitnehmer gefüllt ist. Die Arbeitnehmer haben Beitrag entsprechend ihrem Lohn gezahlt. Deshalb haben sie auch einen Anspruch darauf, ihrem Lohn entsprechend eine Rente zu erhalten.
({9})
Diese Unabhängigkeit, denke ich, ist eigentlich die größte Erfindung in der Rentenpolitik.
Insofern ist die Rente ja auch dynamisch. Unsere Landsleute in den neuen Bundesländern werden ja jetzt erfahren, daß die Renten nicht vom Wohlwollen einer Mehrheit, einer Regierung oder wessen auch immer abhängen, sondern daß sie ganz automatisch wie die Löhne steigen. Der Erfolg ist, daß die Renten bereits im ersten Jahr nach der Währungsunion im Durchschnitt um 66 % gestiegen sind. Damit ist es uns gelungen, in zwölf Monaten einen wichtigen Beitrag zur Herstellung der sozialen Einheit zu leisten.
Freilich, wenn man auch in der Zukunft eine leistungsbezogene Rente erhalten will, dann, finde ich, ist es unerläßlich, noch einmal über den Leistungsbegriff nachzudenken. Darunter kann nicht nur - ganz eng - die eigentliche Erwerbsarbeit fallen. Die Kindererziehung ist eine Leistung, die die Rentenversicherung auch stabilisiert, denn ohne Kinder gibt es morgen keine Rentenversicherung. Insofern ist das nur die dritte Dimension eines Generationenvertrages, der 1957 nur zwischen Rentnern und Alten geschlossen wurde. Ich glaube, daß wir ganz zu Recht die Kinder einbeziehen müssen.
Ich glaube, daß das Thema „Pflege" das große unerledigte Thema der Zukunft ist. Wer seine AngehöriBundesminister Dr. Norbert Blüm
gen pflegt - rund um die Uhr, ein Leben lang! -, der muß für diese Pflegeleistung auch eine anständige Alterssicherung bekommen.
({10})
Es ist eines Sozialstaates unwürdig, daß diejenigen, die ihren Ehegatten, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Schwiegereltern pflegen, zum Dank dafür, daß sie selber nicht erwerbstätig werden konnten, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das, meine ich, können wir nicht weiter so hinnehmen. Das muß bei einer Weiterentwicklung der Rentenversicherung korrigiert werden.
Wir bleiben dann immer noch auf der Leistungsschiene, denn eine Leistung ist nicht erst dann eine Leistung, wenn sie auf der Lohnsteuerkarte steht. Das ist auch eine Leistung für den Sozialstaat. Ohne die Leistung dieser Samariter würde der Sozialstaat nämlich zusammenbrechen. Er wäre nicht nur nicht zu finanzieren, sondern er wäre auch kaltherzig.
({11})
Wir wollen die Sozialpolitik, den Sozialstaat nicht nur den Apparaten überlassen, sondern wir wollen einen Sozialstaat mit menschlichem Gesicht.
Meine Damen und Herren, diese Debatte gibt mir noch einmal die Gelegenheit, auch in Richtung auf die neuen Bundesländer auf die handfesten Verbesserungen der Lage der Älteren hinzuweisen. Die Hinterbliebenen erfahren eine wesentliche Verbesserung ihrer Lage.
Ich möchte uns auch für die Zukunft empfehlen, keine Rentenpolitik zu machen, bei der die Witwen vergessen werden, wo Rentenentwicklungen sozusagen unter Abkopplung des Hinterbliebenenrechtes Verbesserungen für die Erwerbstätigen bringt. In meinem Leitbild ist enthalten, daß sich jeder zwischen Erwerbstätigkeit und häuslicher Tätigkeit frei muß entscheiden können. Aber diejenigen, die sich für die häusliche Tätigkeit entschieden haben, sollten an unserem Rentensystem so partizipieren, wie das bisher der Fall war, unter Weiterentwicklung veränderter Bedingungen.
Meine Damen und Herren, mir bleibt auch am Ende dieses Tages die Hoffnung, daß uns auch auf dem weiteren schwierigen Weg der gute Wille begleitet, den Sozialstaat Deutschland zu verwirklichen. Denn wie alle hier im Saal haben wir unsere Aufgabe noch nicht mit der Verwirklichung der nationalen Einheit erfüllt. Die nationale Einheit erfährt ihre wichtigste Stütze, wenn die Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands gleich sind.
Daß die Rentner einen besonderen Anspruch auf schnelle Verbesserung haben, muß jeder einsehen. Denn das ist jene Generation - das gilt gerade in den neuen Bundesländern - , die von Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft ohne Zwischenschritte in ein sozialistisches Unterdrückungssystem überging, das sie um die Früchte ihrer Arbeit brachte. Insofern gilt: Schnell geholfen ist doppelt geholfen. Mit dem heutigen Gesetz haben wir dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.
Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben.
({12})
Meine Damen und Herren, bevor wir zur Abstimmung kommen: Mir liegen noch zwei Wortmeldungen zu persönlichen Erklärungen vor.
Ich erteile zunächst einmal dem Abgeordneten Kronberg nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Ich denke, daß wir mit dem Renten-Überleitungsgesetz, das uns heute zur Abstimmung vorliegt, ein gutes Gesetzeswerk geschaffen haben, das auch dank der guten Zusammenarbeit zwischen den großen Fraktionen in den letzten Tagen zustande gekommen ist.
Aber das ist nicht der Punkt, weshalb ich jetzt hier vorne stehe. Der Punkt ist Art. 3 dritter Abschnitt § 10 Abs. 2 bis Ziffer 1. Ich möchte betonen, daß es nur um den Teil bis Ziffer 1 geht. Ich will ihn kurz zitieren, damit Sie wissen, worum es geht:
Abweichend von Absatz 1 werden die Zahlbeträge der Leistungen des Sonderversorgungssystems des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für nationale Sicherheit auf folgende Höchstbeträge begrenzt:
1. Für Versichertenrenten auf 802 DM.
Ich will hier nicht meinen Wahlauftrag, der in diesem Punkt ziemlich konkret ist, vorführen. Vielmehr will ich hier mein persönliches Gewissen darlegen. Es ist eine Frage des eigenen, persönlichen Gewissens.
Durch meine persönliche Betroffenheit bin ich bei diesem Thema ganz besonders sensibel. Ich kann und ich will es auch nicht vertreten, daß Rentenansprüche von Mitgliedern der Stasi oder des AfNS höher sind als die Renten von vielen Kleinst- und Mindestrentnern in den neuen Ländern.
({0})
Dies sind nicht wenige. Es ist eine ganz gewaltige Zahl.
Mein Ziel war es hier - das sage ich auch ganz offen -, daß die Angehörigen der ehemaligen Staatssicherheit und der führenden SED nicht wieder Vorteile erlangen, so wie das in der Vergangenheit zur Genüge gewesen ist. Wir wissen alle ganz genau, daß das MfS die zentrale Machtsäule der DDR gewesen ist. Ich selber sehe das MfS als eine kriminelle Organisation an.
({1})
Ich denke, daß ist ein Punkt, über den wir alle hier in Zukunft noch einmal gemeinsam nachdenken müssen. Das MfS ist in meinen Augen deswegen eine kriminelle Organisation, weil ihm - ähnlich wie der Gestapo - alle Mittel recht und billig waren, um die Macht zu erhalten und auszubauen, bis hin zu KZs, die in Form von Internierungslagern vorbereitet und auf Aufruf bereit waren.
Auf den harten Druck der Fraktion der SPD sind die Rentenhöchstbeträge für Stasi-Angehörige von 600 DM auf 802 DM hochgesetzt worden.
({2})
- Es stimmt. Es gibt einen Beschluß der CDU/CSU, der 600 DM vorsah. Der Betrag ist jetzt in der Drucksache 12/829, die hier verabschiedet werden soll, auf 802 DM hochgesetzt worden. Von unserer Verhandlungsführung ist auch gesagt worden, daß dies von Ihrer Seite aus so gewünscht worden ist.
Es ist klar - und ich gebe Ihnen in dem Punkt auch recht, Herr Dreßler und Herr Schreiner -, daß hier eine gewisse Verquickung von Straf- und Sozialrecht vorliegt. Ich möchte das nicht ganz von der Hand weisen.
({3})
Aber es ist so, daß die DDR kein Rechtsstaat war. Das wissen wir alle. Es war ein Unrechtsstaat. Die Menschen haben das Unrecht vor allen Dingen auf moralischer und ethischer Ebene erlebt.
({4})
Auf diesem Hintergrund ist dies auch das Verlangen der Menschen in den neuen Bundesländern. Ich denke mir, daß wir hier mit Zitronen bedienen, wo Mandarinen verlangt sind, wenn wir hier vor allen Dingen auf die Rechtsstaatlichkeit hinweisen. Das ist ein grundlegendes Problem unserer Politik, nicht nur des ROG.
Deswegen kann ich diesem Paragraphen nicht zustimmen.
Ich danke.
({5})
Zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Haschke das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die beiden Entwürfe in der Hand, die Kollege Kronberg gerade anführte. Ich werde diesem Gesetz selbstverständlich zustimmen, aber ich kann meine erheblichen Bedenken gerade zu diesem angesprochenen Artikel nicht verschweigen. Ich stimme der Kollegin Mascher zu, die heute früh formuliert hat: Dieses Gesetz ist eine tragfähige Brücke in die Zukunft.
Ich stimme nachdrücklich mit dem überein, was unser Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm gesagt hat, immer wieder gesagt hat. Ich habe ihn im Februar, März 1990 in Jena auf dem Marktplatz dazu erlebt. Er hat immer wieder gesagt, daß unsere Senioren, die Frauen und Männer, die zunächst das NS- und dann das SED-Regime erdulden mußten, um die wertvollsten Jahre ihres Lebens betrogen wurden und ein „vorzügliches Recht" - im Sinne von „vorziehen" - auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse haben. Aber, wie gesagt, die, die durch NS-und SED-Regime betrogen wurden, und bitte nicht die Betrüger, nicht die Stasi!
({0})
Sie argumentieren, liebe Kollegen von der SPD, mit dem Vertrauensschutz.
({1})
Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren - Frau Jäger, Sie waren dabei - , als wir in der Volkskammer die 990Mark-Grenze beschlossen haben. Sie wissen alle genau, warum wir es getan haben. Ich habe im Vorfeld dieses Beschlusses in unserer Fraktion gefragt: Wie, bitte, soll ich meinem Vater erklären, daß die Renten von denen, die ihn drangsaliert haben, die die Büttel waren, die Schild und Schwert der Partei waren, wie soll ich meinem Vater und anderen Arbeitern erklären, daß ihre Rente so deutlich niedriger ausfällt?
Ich habe mich damals dem Argument beugen müssen: Wir wollen die Revolution unblutig halten. Ich habe mich dem Argument wirklich gebeugt, weil ich wußte, welches Potential im Sommer 1990 die Staatssicherheit immer noch war, weil ich nämlich im Gegensatz zu manchen, die heute so ganz schnell sagen: Rechtsstaat, dabei war, als die Waffenlager ausgeräumt wurden. Ich habe es erlebt. Auch ich habe dort eine Akte liegen, eine andere Vorgangsakte.
({2})
Damals war die Situation so; seit dem 3. Oktober ist sie nicht mehr so.
({3})
Ich finde es empörend - es tut mir leid, anders kann ich es nicht nennen - , wenn aus diesem Antrag heraus die Kappungsgrenze von 600 DM auf 800 DM erhöht wird. Ich verstehe es nicht.
({4})
Frau Jäger und liebe Kollegen der SPD aus den neuen Bundesländern, diese Hochsetzung um 200 DM möchten Sie bitte den Leuten bei uns zu Hause erklären.
({5})
Ich kann es nicht.
({6})
Nach § 31 unserer Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Ottmar Schreiner das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe sehr viel Verständnis für die Gefühle, die insbesondere von den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern in dieser Frage gezeigt werden. Wir haben es uns im Ausschuß, aber auch in den Verhandlungen mit den
Regierungsfraktionen außerordentlich schwer gemacht, in dieser wie in anderen Fragen eine nachvollziehbare Lösung zu finden. Ich will in wenigen Sätzen schildern, was die tragenden Motive für uns waren.
Wir haben uns im Grunde zwischen zwei Polen bewegt. Der eine Pol läßt sich mit dem Satz umschreiben: Die Täter dürfen nicht besser dastehen als die Opfer. Der andere Pol läßt sich mit dem Satz umschreiben: Strafende Elemente haben nach bester deutscher Tradition im Sozialrecht nichts zu suchen.
({0})
Das sind die beiden Pole, zwischen denen wir uns zu bewegen hatten.
Die SPD-Fraktion hat nicht nur die Zahl 990, sondern auch die generelle Obergrenze 2 010 vorgeschlagen, der sich die Regierungsfraktionen später angeschlossen haben. Dahinter stand die Überlegung, daß diese Zahl noch am ehesten einer eventuellen und wahrscheinlichen Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe standhalten kann, weil es einen objektiven Anknüpfungspunkt gibt, nämlich den Bleichlautenden Beschluß der frei gewählten Volkskammer vom Juni 1990.
({1})
Dieser Volkskammerbeschluß vom Juni 1990 ist, soweit ich das übersehe, ganz überwiegend von den in der Volkskammer anwesenden Fraktionen mitgetragen worden. Das war ja keine parteipolitische Angelegenheit.
({2})
- Die Motive mögen unterschiedlicher Art gewesen sein. Ich sage nochmals: Für uns war der Anknüpfungspunkt, weil wir mit Blick auf Karlsruhe belegen müssen, welches die Grundüberlegung war, welches der objektive Punkt war, der uns zu dieser Zahl führte, der Volkskammerbeschluß vom Juni 1990.
Ich möchte Ihnen die Überlegung mitteilen, warum wir uns mit den Zahlen, die von den Regierungsfraktionen in den Gesetzentwurf geschrieben worden waren, überhaupt nicht einverstanden erklären konnten. Es ist nicht nur eine generelle Begrenzung auf 600 DM vorgesehen worden, sondern auch eine massive Schlechterstellung von Vollwaisen, die von StasiAngehörigen abstammen. Der Anspruch der Vollwaisen sollte auf 240 DM begrenzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann begreifen, daß aus den Erfahrungen der neuen Bundesländer heraus der Gesichtspunkt der Vergeltung eine handfeste Rolle spielt, wiewohl ich ihn nach wie vor aus grundsätzlichen Erwägungen, bezogen auf das Sozialrecht, ablehnen muß.
({3})
Ich kann aber überhaupt nicht begreifen, wieso eine Vollwaise, die wirklich nichts dafür kann, ob ihr Vater
Stasi-Beamter oder Schuhmacher oder Schreiner oder sonstwas war, gleich mit bestraft werden sollte.
({4})
Dies läuft, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnis auf Sippenhaft heraus,
({5})
und Sippenhaft ist dem bundesdeutschen Rechtsstaat - ({6})
Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn wir den Schluß dieser Debatte mit der notwendigen Ruhe abwickeln könnten. Dabei habe ich schon gewisse Zweifel, ob ich von einer Debatte sprechen darf; denn, mit Verlaub gesagt, es werden zur Zeit Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben. Wegen des diffizilen Themas will ich darüber jetzt nicht rechten. Aber ich bitte sehr eindringlich, sich dies hier in Ruhe anzuhören.
({0})
Nein. Das ist natürlich auch nicht richtig. Ich will zum Schluß kommen,
({0})
weil ich denke, daß versucht worden ist, das Problem einigermaßen darzustellen.
Der zentrale Punkt, der uns in den ganzen Debatten geleitet hat, war die übereinstimmende Auffassung aller Verfassungsrechtler, die wir zu drei Anhörungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung geladen hatten, die uns händeringend gebeten haben, keine Vermischung von strafrechtlichen oder Strafverfolgungsgesichtspunkten mit sozialrechtlichen Überlegungen vorzunehmen. Wir haben auf mehrfaches Befragen gehört, daß es in der deutschen Rechts- und in der deutschen Sozialgeschichte nur einen einzigen solchen Fall gegeben hat. Das war die Kürzung der Rentenanwartschaften von deutschen Juden nach 1933.
Bei allem Verständnis für das, was die Kolleginnen und Kollegen aus den östlichen Bundesländern bewegt, bitte auch ich um Verständnis, wenn ich sage: Wir im Westen haben über 40 Jahre und mehr gelernt, daß der Rechtsstaat eines unserer höchsten Güter ist.
({1})
Wir sind ermahnt worden, sorgfältig achtzugeben, daß die Täter von gestern nicht möglicherweise die Opfer von morgen werden. Ein FDP-Kollege - ich denke, ein FDP-Kollege aus einem der neuen Bundesländer - hat uns in beeindruckender Weise darum gebeten, daß wir den Tätern von gestern, den Stasi2962
Leuten, nicht im nachhinein den Gefallen tun sollten, dort begangenes Unrecht mit neuem Unrecht hier zu vergelten.
Also, meine herzliche Bitte in dieser Frage ist - bei allen Gefühlsmomenten, die eine Rolle spielen mögen - , daran zu denken: Der Rechtsstaat ist - nach allen Erfahrungen der deutschen Geschichte - für uns ein unantastbares Gut. Wir werden bereit sein müssen, dieses Gut auch in ganz schwierigen Situationen zu verteidigen.
Ich hoffe, daß die Motive unserer Fraktion klargeworden sind.
Herzlichen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. - Ich bitte vorab um Entschuldigung für meine Stimme. Sie ist nicht die Folge einer Feier von gestern, sondern schlicht und einfach die Folge einer Erkältung.
Wir kommen zunächst zu Drucksache 12/724, zum Renten-Vorschaltgesetz. Der Kollege Dreßler hat in seiner Rede zum Ausdruck gebracht, daß seine Fraktion auf der weiteren Behandlung dieses Gesetzes nicht mehr besteht, sondern darauf verzichtet. Damit kann dieser Gesetzentwurf wie logischerweise auch die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/786 für erledigt erklärt werden. Das können wir zunächst einmal feststellen.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf des Renten-Überleitungsgesetzes.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 12/829 vor, und zwar in der Fassung, wie der Abgeordnete Hörsken sie uns vorgelegt hat.
Ich lasse zunächst einmal über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer für diesen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag bei Enthaltungen der Gruppen der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE angenommen.
Ich rufe nunmehr die Art. 1 bis 40, Einleitung und Überschrift auf, und zwar in der Ausschußfassung, aber mit den soeben beschlossenen Änderungen.
Ich bitte diejenigen, die den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den gleichen Mehrheiten angenommen.
Entsprechend unserer Geschäftsordnung ist beantragt worden, unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Das war wegen des Änderungsantrags in der zweiten Lesung notwendig. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Wir treten nun also in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf den Drucksachen 12/405, 12/630, 12/786 und 12/829 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der beiden Gruppen PDS/Linke Liste und Bündnis 90/ GRÜNE angenommen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 12/837.
Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Vertreterin der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ist dieser Entschließungsantrag angenommen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/819. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der FDP abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/827, und zwar in der von der Kollegin Schenk vorgetragenen Fassung auf rosa Papier. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei unterschiedlichem Verhalten - im wesentlichen Enthaltungen - der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Entsendung eines Ersatzbewerbers als Beobachter in das Europäische Parlament
- Drucksache 12/828 Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, Herrn Lothar Klein für Herrn Dr. Gotthard Voigt in das Europäische Parlament zu entsenden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich rufe die Zusatzpunkte 14 und 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({1})
Übersicht 2
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 12/807 Berichterstatter:
Abgeordneter Herbert Helmrich
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 22 zu Petitionen
- Drucksache 12/808 Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Drucksache 12/807 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/808. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung einer einjährigen Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992 ({3})
- Drucksache 12/721 ({4}) -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5})
- Drucksache 12/821 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Jan Oostergetelo
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/822 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Ernst Kastning Bartholomäus Kalb
Dr. Sigrid Hoth
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/823 vor.
Ich kann dem Haus die erfreuliche Mitteilung machen, daß sich die Geschäftsführer der Fraktionen darauf geeinigt haben, daß die Reden zu Protokoll gegeben werden.
Da wir darüber formal abstimmen müssen, frage ich, ob sich dagegen Widerspruch erhebt. - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. *)
Wir stimmen über den Gesetzentwurf ab. Ich rufe §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfohlenen Änderungen auf. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
*) Anlage 2
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache 12/721 ({7}) und 12/821 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich?
- Gegen die Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste und bei Enthaltung der SPD-Fraktion ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 12/823.
({8})
- Das ist mir nicht mitgeteilt worden.
Dieser Antrag wird offensichtlich auf Wunsch der SPD-Fraktion bei Zustimmung der übrigen Fraktionen und Gruppen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen.
Ich rufe Zusatzpunkt 11 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Hunger und Bürgerkrieg im Sudan
Diese Aktuelle Stunde ist von der CDU/CSU beantragt worden.
Graf von Waldburg-Zeil, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entwicklungspolitik wird sinnlos, wenn Bürgerkriege mehr zerstören, als die beste wirtschaftliche Zusammenarbeit wiederaufbauen kann. Der Sudan ist ein besonders trauriges Beispiel hierfür.
Schon der erste Bürgerkrieg von 1955 bis 1972 forderte über 1 Million Opfer. Dann kam ein Hoffnungsschimmer mit dem von Äthiopien vermittelten Vertrag, der dem Südsudan die Autonomie gab. Elf Jahre lang versäumte es der Norden, die Chance zu nutzen. Als er sie 1983 widerrief, begann der zweite Abschnitt des Bürgerkrieges, der bis heute andauert.
Es gibt viele Gründe für diese Situation: historische, kolonialzeitliche, ethnische, wirtschaftliche und religiöse. Der Kernpunkt ist wie in so vielen Konflikten die Unfähigkeit, Macht abzugeben und zu teilen.
Warum eine Aktuelle Stunde? Weil der Hunger in fürchterlichster Weise als Waffe in diesem Bürgerkrieg eingesetzt wird. 1984/85 schon starben im Südsudan Hunderttausende den Hungertod. 1988 war es erneut etwa eine Viertelmillion. Heute schätzt die Welternährungsorganisation, daß 4 Millionen Menschen unmittelbar vom Verhungern bedroht sind.
Die islamisch-fundamentalistische Militärclique, die regiert, verhindert in der Trockenzeit stets wirksame Nahrungsmitteltransporte. Zur Regenzeit gestattet sie dann großzügig Flüge, die bei weitem nicht ausreichen. Die Weltöffentlichkeit hat sich dann wieder beruhigt. Wir müssen sie heute aufrütteln.
({0})
Nun heißt es, die Regierung habe durch eine Amnestie im Frühjahr und durch teilweise Gefangenenentlassungen guten Willen gezeigt. Sie tut aber nichts, um den Konflikt zu entschärfen. Besonderes Unheil richtet die Anwendung der Scharia, des islamischen Rechts, gegen Christen und Animisten an: Amputationen von Gliedmaßen und Prügelstrafe für Vergehen gegen religiöse Gebräuche für alle Bürger, auch wenn sie dem Islam nicht angehören.
Die Regierung tut nichts, um Versklavung und Sklavenhandel der arabischen Stammesmilizen zu stoppen. Flüchtlinge aus Lagern in Äthiopien wurden von der Luftwaffe beschossen.
Man denkt unwillkürlich an den Diktator des Irak und wundert sich nicht zu hören, daß der Sudan schon im irakisch-iranischen Krieg diesem mit Soldaten ausgeholfen hat und ihm auch in der Kuwait-Krise große Sympathie bekundete.
Doch hilft es wenig, solche Zustände zu beklagen - auch im Deutschen Bundestag - , wenn daraus nicht die Absicht fließt, Abhilfe zu schaffen. Das bedeutet ständiges beharrliches und offenes Ansprechen der Probleme bei den Machthabern; Vereinbarungen im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, wie vom Deutschen Bundestag - ich muß das betonen - in einer Entschließung vom 25. September 1989 schon gefordert. Es wäre Zeit dies zu erfüllen:
Nutzung der geänderten Situation in Äthiopien für neue Friedensbemühungen, Gespräche mit den Befreiungsbewegungen, um Kompromisse zu erleichtern. Warum soll, was in Angola möglich war, im Sudan unmöglich sein? Verstärkung der humanitären Hilfe. Anwendung der Instrumentarien, die vom Deutschen Bundestag im Antrag „Der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen" beschrieben wurde. Mit den europäischen Partnern zusammen: Vorbereitung von gezielten Wiederaufbauhilfen nach einem Waffenstillstand.
Abschließend möchte ich aber darauf hinweisen, daß ein solcher Konflikt sehr tief sitzt. Der im Exil lebende Chefredakteur der heute verbotenen „Sudan Times" Bona Malwai spricht von der Apartheidgesinnung arabischer Fundamentalisten gegenüber der schwarzen Bevölkerung.
Jeder hier weiß, wie lange es gebraucht hat, bis die Apartheid im Süden geändert wurde. Der Prozeß dauert immer noch an. Ich warne aber davor, nur dem Islam allein die Schuld zuzuschieben. Gerade diese Kultur hat besondere Formen der Toleranz entwickelt. Es ist tragisch, zu sehen, daß die Vertreter dieser Richtung im Sudan verfolgt und sogar hingerichtet werden. Die Probleme des Fundamentalismus können nur gelöst werden, wenn ein Gespräch mit den freiheitlichen, menschenrechtsachtenden, toleranten Vertretern des Islam zustande kommt, das über die Tagespolitik hinaus in die Tiefe führt.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wohlleben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde befaßt sich mit einem Winkel der Weltpolitik, der in der öffentlichen Diskussion bisher leider wenig beachtet worden ist. Seit 1955 tobt im Sudan mit wenigen Unterbrechungen ein mörderischer Bürgerkrieg, der bislang hunderttausende Tote gefordert hat. Aus dem blutigen Konflikt zwischen der arabischen Bevölkerung im Norden und der afrikanischen Bevölkerung im Süden ist in den 80er Jahren ein Krieg um die Islamisierung des Landes geworden. Dieser Krieg bedroht in grausamer Zusammenarbeit mit der Dürre der letzten zwei Jahre Millionen von Menschen mit dem Tode.
In jüngster Zeit hat sich die Lage durch die Ereignisse in Äthiopien dramatisch verschärft. Über 200 000 Sudanesen, die vor dem Bürgerkrieg ins Nachbarland geflüchtet waren, sind in ihre völlig verwüstete Heimat zurückgekehrt. Bedrückend ist die schwierige Notlage im Südsudan, da das Gebiet durch die Zerstörung aller Brücken durch Regierungstruppen nahezu unzugänglich ist. Die seit 1989 amtierende Militärregierung hat nicht nur die wirtschaftliche Lage noch verschlimmert, sie hat auch durch bürokratische Hemmnisse, sogar durch militärische Gewalt Hilfstransporte erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Genaue Informationen über die Lage sind naturgemäß schwer zu erhalten, aber der Versuch, Hilfe zu leisten, ist weiterhin notwendig.
({0})
Obwohl alle Hilfe angesichts der Größe der Katastrophe und der Verhältnisse unzulänglich bleiben wird, müssen wir doch alle Anstrengungen unternehmen: Wir müssen die Hilfsorganisationen unterstützen, die auch mit kleinen Flugzeugen in die entlegenen Gebiete fliegen und auch zusammen mit der UN in kleinere Orte gehen. Z. B. das Internationale Rote Kreuz, auch Brot für die Welt, die Unesco und viele internationale Organisationen, die eine Luftbrücke von Nairobi aus unterhalten und damit auch die Gebiete der SPLA erreichen, müssen weiter unterstützt werden. Dabei wird - das müssen wir dabei bedenken - alle Sofort- und Hungerhilfe vergebens sein, wenn das Land nicht endlich aus dem Kriegszustand herausfindet. Deshalb ist eine Friedensinitiative anzustreben, die zwischen beiden Konfliktparteien vermittelt.
Die jüngsten Nachrichten, wonach der nigerianische Präsident eine neuerliche Vermittlungsrolle übernehmen will, berechtigen zu vorsichtigem Optimismus. Die internationale Gemeinschaft muß die Initiative unterstützen; sie sollte parallel dazu mit entsprechenden vernünftigen Hilfsangeboten laufen, damit dieses Land endlich aus dem Kriegsloch herauskommt. Das könnte unter dem Motto laufen: Frieden gegen Entschuldung und Frieden gegen substantielle Aufbauhilfe. Um das durchzuführen, sind internationale Beobachtergruppen nötig, die die UNO stellen sollte.
Die Bundesregierung muß an allen maßgeblichen Stellen darauf einwirken, daß es international zu einer Initiative kommt, die vorbereitend und zielsicher auf den Frieden hinarbeitet. Viel mehr als Appelle bleibt
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
uns hier leider nicht. Wir werden aber den Finger so lange in die Wunde legen müssen, wie es erforderlich ist. Die Weltöffentlichkeit darf sich nicht länger abfinden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Arno Schmidt aus Dresden das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der politische Wandel in Europa und im Ost-West-Verhältnis, Golfkrieg und Kurdentragödie, Wirbelsturmkatastrophe in Bangladesch und Versorgungsengpässe in Osteuropa haben ohne Zweifel die gravierenden Probleme Afrikas im öffentlichen Bewußtsein etwas in den Hintergrund gedrängt.
Der vergessene Kontinent bringt sich nun mit Schreckensmeldungen in Erinnerung, die die internationale Gemeinschaft vor eine große Herausforderung stellen. Vor allem im Länderdreieck Sudan, Äthiopien und Somalia treibt der verhängnisvolle Strudel von Bürgerkrieg und Naturkatastrophen auf einen Abgrund unvorstellbaren Ausmaßes zu.
Statt eine Bekämpfung der akuten Not durch die Hilfsorganisationen zu ermöglichen, bekundet die sudanesische Militärregierung ihr zynisches Desinteresse hieran geradezu demonstrativ. In einem selbstzerstörerischen unmenschlichen Verbrannte-ErdeDenken werden Flüchtlingslager vernichtet, wird der Hunger als Waffe im Bürgerkrieg instrumentalisiert.
Erst jetzt, auf massiven internationalen Druck, läßt sich die Militärjunta dazu herab, eine UNO-Luftbrücke zu genehmigen. Aber die Nachrichten über massive Truppenbewegungen, die zu einem Blutbad im Südsudan führen könnten, reißen nicht ab. Die Zahl der vom Hungertod Bedrohten geht in die Hunderttausende; Genaues weiß niemand zu sagen.
Die bisherige Politik gegenüber dem Sudan reicht deshalb bei allem Bemühen um sofortige humanitäre Hilfe meines Erachtens nach nicht länger aus. Hier tut sich zum wiederholten Mal ein grundsätzliches Problem auf, dem dauerhaft, nicht mit Einzelfallmaßnahmen, sondern nur durch die Bekämpfung der Ursachen von Hunger und Armut durch eine weitsichtige entwicklungspolitische Strategie zu begegnen ist.
Den Appell der Aktion „Afrika in Not" zur sachgerechteren, international besser abgestimmten Lebensmittelhilfe und zur Erhöhung des Anteils von Saatgut und Gerätschaften unterstütze ich deshalb ausdrücklich im Sinne der auch von der FDP vertretenen Hilfe zur Selbsthilfe.
({0})
- Ja, das ist richtig.
Effektiver Ressourceneinsatz ist gleichwohl abhängig vom Grad der tatsächlichen Zusammenarbeit mit den unterentwickelten Ländern. Mißstände und Fehlleitung treten - kaum vermeidbar - immer wieder
auf, wenn es der internationalen Hilfe nicht gelingt, das Informationsdefizit zu überwinden, das aus dem unverwüstlichen Vorwurf der Einmischung in die inneren Angelegenheiten resultiert.
Resignation ist hier der falsche Weg. Ein Abbruch der Entwicklungshilfe schadet nur der leidenden Bevölkerung. Einzelkämpfertum der nationalen Hilfsorganisationen droht zu versanden.
Der einzige gangbare Weg führt über eine unmißverständliche Beauftragung der UNO mt Aktionen im Dienst der Menschlichkeit.
({1})
Nach der bestandenen Bewährungsprobe im Golfkrieg und dem Engagement in der Kurdenhilfe stehen die Vereinten Nationen erneut in der Verantwortung. Das Konzept der Friedenssicherung durch UN-Einsätze muß um eine Variante zur humanitären Hilfe und zur Entwicklungshilfe ergänzt werden.
({2})
Vor zwei Tagen haben wir eine Entschließung zum Thema "KSZE-Minderheitenschutz" verabschiedet. Danach soll die Forderung nach Anerkennung des Schutzes von Minderheiten keine Einmischung in innere Angelegenheiten eines Staates darstellen. Ebenso wie die Einforderung der Wahrung grundlegender Menschenrechte sollte auch die Bekämpfung von Hungerkatastrophen nicht länger als eine solche Einmischung diskreditiert und damit behindert werden können.
({3})
Beides muß, im Gegenteil, ganz unmittelbar zu den Pflichten der internationalen Staatengemeinschaft gehören. Das bedeutet nichts anderes, als daß der UNO das Mandat einzuräumen ist und sie Träger des entsprechenden politischen Willens sein muß, in extremen Katastrophenfällen wie jetzt im Sudan im Auftrag der Gemeinschaft beispielsweise Schutz- oder Waffenstillstandszonen zur Betreuung von Notleidenden einzurichten und die erforderliche Überlebenshilfe zu koordinieren. Dies führt in eine neue, nicht leicht abzuschätzende Dimension der Dritte-Welt-Politik, die aber im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der neuen Weltordnung folgerichtig erscheint.
Es ist an der Zeit, daß sich die neue Qualität der internationalen Zusammenarbeit auch in der Entwicklungs- und humanitären Hilfe niederschlägt. Es ist auch an der Zeit, den afrikanischen Kontinent in diese Solidarität glaubwürdig und gleichberechtigt einzubeziehen. Im Sudan erfordert die kritische Lage einschneidende Maßnahmen. Unsere Hilfsbereitschaft und Entschlossenheit ist ein weiterer Prüfstein für die Zukunftsfähigkeit der globalen Verantwortungsgemeinschaft. Ich appelliere an uns alle, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schuster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sudan zeichnet sich eine menschliche Katastrophe ab, neben der selbst das schreckliche Schicksal des kurdischen Volkes noch zu verblassen scheint. Mindestens eine halbe Million Menschen sind vom Hungertod bedroht. Angesichts dieser alarmierenden Nachrichten aus dem Sudan ist unseres Erachtens ein rasches Handeln der Internationalen Gemeinschaft notwendig.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von internationalen Organisationen bemühen sich seit Jahren mit großem Einsatz, die Not der Menschen dort durch humanitäre Hilfe zu mindern. Aber diese Hilfe konnte nicht voll zur Wirkung kommen, weil das Militärregime monatelang Hilfe im notwendigen Umfang nicht nur abgelehnt, sondern aktiv behindert hat. Massiv waren Hilfsorganisationen bedroht, die versucht haben, in den Nachbarstaaten den Menschen, besonders im betroffenen Südsudan, zu Hilfe zu kommen. Hier wurde von der Regierung bewußt der Hunger als Hilfe im Bürgerkrieg eingesetzt. Die Bombardierung von Nahrungsmittellagern der UN-Hilfsorganisation und des Roten Kreuzes durch die eigene Regierung zeigt die ganze Perversion menschlichen Handelns auf.
({0})
Jetzt, meine Damen und Herren, sind aus meiner Sicht fünf Dinge sofort nötig:
Erstens. Die sudanesische Regierung hat sich im April endlich bereit erklärt, Hilfe im Namen der UNO zu akzeptieren. Dies ist eine Chance, die wir jetzt schnell ergreifen sollten. Wir müssen hier differenzieren: Im Norden sind wegen der anhaltenden Dürre vor allem Nahrungsmittel gefragt, aber im Südsudan bitten die Menschen viel dringlicher um Saatgut und einfache landwirtschaftliche Geräte, um noch vor Einsetzen der Regenzeit pflanzen zu können. Dann könnten sie vielleicht noch in einigen Monaten sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgen. Hierbei ist allerdings sicherzustellen, daß diese Hilfeleistungen in dem umkämpften Süden nur über die dort bewährten tätigen Nichtregierungsorganisationen zu erfolgen haben.
Zweitens. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem Sudan, ist in den vergangenen Jahren, bedingt durch Bürgerkrieg, unbefriedigende Menschenrechtssituation und verfehlte Wirtschaftspolitik stark eingeschränkt worden. Aber in den 60er Jahren war ja gerade der Sudan ein Musterland bundesdeutscher Entwicklungshilfe in Afrika. Ich darf auf den erfolgreichen Aufbau der Basis-Gesundheitsdienste und der ländlichen Wasserversorgung verweisen.
Ich möchte an dieser Stelle, Herr Staatssekretär, Ihren Minister herzlich bitten, zu prüfen, ob und welche zusätzlichen entwicklungspolitischen Maßnahmen zu einer kurzfristigen Verbesserung der Lebensumstände der sudanesischen Bevölkerung jetzt erbracht werden können.
({1})
Drittens. Hier stimme ich Herrn Kollegen Schmidt zu: Angesichts der bedrohlichen Situation für Hunderttausende müssen die Internationale Gemeinschaft und die UN sofort Voraussetzungen für eine
breit angelegte humanitäre Intervention klären, notfalls auch gegen den Willen des Militärregimes in Khartum.
({2})
Diese Einmischung in innere Angelegenheiten ist dann notwendig und gerechtfertigt, wenn die Regierung nicht willens und nicht in der Lage ist, in Kooperation mit den internationalen Organisationen rasch zu hellen. Das Beispiel der Schutzzonen in Kurdistan wäre doch auch eine Hoffnung für die Menschen im Sudan.
({3})
Viertens. Angesichts der schrecklichen Berichte aus dem Sudan hat es mich betroffen gemacht, über Finanzierungsprobleme der Welternährungsprogramme der UN zu lesen. Angesichts der wachsenden Ausbreitung von Katastrophengebieten und Flüchtlingselend - denken Sie an Äthiopien - bedürfen die Hilfeeinrichtungen der Vereinten Nationen einer substantiellen Ausweitung ihrer Finanzmittel. Ich bitte auch hier die Bundesregierung, in der Internationalen Gemeinschaft in diesem Sinne aktiv zu werden.
Fünftens. Die Unterstützung des sudanesischen Militärs, das heute Bomben auf seine eigenen Menschen wirft, gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an.
Ich hoffe, wir sind uns alle einig, daß diese Mittel in Zukunft besser zur Unterstützung humanitärer Ziele im Sudan verwendet werden sollten.
({4})
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns unseren Teil zur Durchbrechung des Teufelskreises Bürgerkrieg, Flüchtlingselend und Hungersnot schnell und unbürokratisch beitragen; gerade auch, weil es im Sudan nicht um Ölfelder geht.
Einigkeit, meine Damen und Herren, stelle ich hier quer durch die Fraktionen fest. Jetzt sollten den süßen Worten hier, Herr Staatssekretär, konkrete Taten auf der Regierungsbank folgen.
Danke.
({5})
So ergibt es sich gut, daß ich nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Repnik, das Wort erteilen kann.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor fast genau zwei Jahren, nämlich am 15. Juni 1989 - Graf Waldburg-Zeil hat in seinem Redebeitrag darauf hingewiesen - hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen eine Entschließung zur Beendigung des Bürgerkriegs in der Republik Sudan verabschiedet. Die Bürgerkriegsparteien wurden dabei aufgefordert, unverzüglich Verhandlungen über die Beendigung des Krieges zu führen, und an die Bundesregierung ging vor allem der Appell, alle Möglichkeiten der Einwirkungen auf
die beiden Parteien zu nutzen und im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit entsprechende Schritte anzustreben.
Nachdem Sie, Graf Waldburg-Zeil, gerade den letzten Part hier reklamiert haben, darf ich sagen, daß wir beiden Teilen, im bilateralen wie im europäischen Bereich, versucht haben nachzukommen und gehandelt haben. Die kurz nach der Verabschiedung dieser Resolution folgende Machtübernahme durch die gegenwärtige Regierung des Sudan hat entgegen manchen Hoffnungen nicht zu einer Verbesserung der Lage geführt. Dabei gab es hier zu Beginn gewisse Hoffnungen.
Im Gegenteil: Die Fronten haben sich verhärtet. Der Krieg ist in dieser Zeit noch grausamer geworden. Die Leiden von Millionen von Menschen, wie sie hier beschrieben wurden, haben sich weiter verschlimmert. Naturkatastrophen und vor allem der dann ausgebliebene Regen verschlechterten die Ernährungssituation. Zudem beschleunigten verfehlte politische Entscheidungen der sudanesischen Regierung den wirtschaftlichen Verfall des Landes und potenzierten die Folgen von Krieg und Dürre.
Diese schlimme Entwicklung wurde begleitet und verschärft durch zunehmende - auch darauf hat Graf Waldburg-Zeil, wie alle Redner, hingewiesen - politische Repressionen und eklatante Verletzungen der Menschenrechte. Durch die systematische Verfolgung, Inhaftierung, Folterung und Ermordung von Gegnern des Regimes wird der ethnische Konflikt in diesem Land weiter verschärft. Darunter haben, was wir beklagen, vor allem animistische und christliche Bevölkerungsgruppen im Norden wie im Süden des Landes zu leiden. Ab dem 22. März dieses Jahres wurde die Scharia in den nördlichen Provinzen offiziell eingeführt. Die Anwendung dieses Rechts auch auf nichtislamische Bevölkerungsgruppen stellt eine für uns nicht hinnehmbare Verletzung elementarer Menschenrechte dar.
({0})
Die in der Scharia vorgesehenen Amputationen und andere Strafen, insbesondere Prügelstrafen, werden verhängt und offenbar vereinzelt auch ausgeführt. Die Menschen sind dem großangelegten Repressionsapparat der Sicherheitsdienste ausgeliefert. Eine Opposition im Lande kann sich von daher kaum regen.
Eine Regierung handelt unverantwortlich und grausam - auch dies wurde schon beschrieben -, wenn sie eigene Landsleute und wehrlose Vertriebene in ihren Lagern bombardiert. Dies gilt auch dann, wenn sie behauptet, daß diese Wehrlosen mit den Rebellen sympathisieren. Dies ist aber Anfang Juni in den Grenzdörfern in den Provinzen Jonglei und am oberen Nil geschehen. Wir verurteilen gerade auch dies aufs schärfste.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Elend in diesem Land ist groß. Im Raum der Stadt Nasir hat ein Team der Vereinten Nationen rund hunderttausend Flüchtlinge registriert. Sie sind in der jetzt einsetzenden Regenzeit völlig von den Versorgungslinien abgeschlossen und können nur aus der Luft oder über Flußtransporte versorgt werden.
Das Welternährungsprogramm versucht, durch Abwurf von Nahrungsmitteln zu helfen. Nur auf massiven internationalen Druck wurde erst vor kurzem die Zustimmung der sudanesischen Regierung zu dieser Maßnahme erteilt. Die eingeschlossene Stadt Juba muß - nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten - über Nachbarstaaten aus der Luft versorgt werden.
Eine Regierung, die sich derart menschenverachtend verhält, kann Unterstützung durch Entwicklungshilfe von uns nicht erwarten.
({2})
- Herr Kollege Hauchler, aber jetzt sind wir bei einem ganz besonders dramatischen und tragischen Fall, dem Sudan. Vielleicht sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren.
({3})
Wir sollten jetzt, wo wir die Chance haben, auch die Öffentlichkeit auf die Probleme und das Leid der Menschen im Sudan aufmerksam zu machen, nicht von anderen, ebenso schwierigen Situationen in anderen Ländern ablenken.
Wir werden die Nothilfe der internationalen Gebergemeinschaft für die notleidende sudanesische Bevölkerung weiter massiv unterstützen.
({4})
Bisher wurden Verpflichtungen von allen Gebern für rund 640 000 Tonnen Nahrungsmittel abgegeben, davon rund 63 000 Tonnen für den Südsudan. Insgesamt werden 1991 - geschätzt - 1,145 Millionen Tonnen gebraucht. Mehr als 230 000 Tonnen der Nahrungsmittel sind bereits in Port Sudan angekommen. Weitere 61 000 werden dort bis Ende Juni erwartet. Es gibt aber leider erhebliche Verteilungsprobleme.
Herr Kollege Schuster, Sie haben einen Forderungskatalog mit fünf Punkten aufgestellt. Bis auf eine, die ich etwas relativieren möchte - nicht, weil wir nicht wollten, sondern aus objektiven Gründen -, kann ich alle diese Forderungen unterstreichen. Wir sind dabei, die von Ihnen aufgestellten Forderungen umzusetzen, inklusive einer massiven Unterstützung für den Süden und für Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Äthiopien; sie werden derzeit aktuell vorbereitet.
Wenn ich sage: Ich relativiere einen Punkt, dann handelt es sich um die von Ihnen im Hinblick auf eine massive Unterstützung durch internationale Organisationen aufgestellte Forderung. Wir wissen, daß wir uns hier in einer gewissen finanziellen Schwierigkeit befinden. Ich darf daran erinnern, daß gerade das Beispiel Sudan einmal mehr offenbart, was wir in den letzten Wochen wiederholt diskutiert haben: daß wir nämlich immer mehr Gefahr laufen, daß für die Entwicklungszusammenarbeit vorgesehene, reservierte
und eingestellte Mittel für Katastrophenhilfe zweckentfremdet werden, weil wir akute Katastrophensituationen bekämpfen müssen. Damit laufen wir aber zunehmend Gefahr, diese auf langfristige Entwicklung angelegten Mittel zu verlieren.
Der Bundestag hat in der von mir eingangs zitierten Entschließung vom 15. Juni 1989 betont, daß eine umfassende entwicklungspolitische Zusammenarbeit sinnvoll nur fortgesetzt werden könne, wenn im ganzen Land Frieden hergestellt sei und die sudanesische Regierung wirksame Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte ergriffen habe. Diese direkte Verknüpfung der Entwicklungszusammenarbeit mit der Wahrung der Menschenrechte im Sudan und der Schaffung friedlicher Rahmenbedingungen entspricht auch in vollem Umfang der Politik der Bundesregierung, wie sie ja auch durchgeführt wird.
Die Auseinandersetzung gerade am Horn von Afrika - insbesondere im Sudan - zeigen, daß wir den Menschen dort nicht wirklich helfen, wenn wir aus falsch verstandener Rücksicht Regierungen als Partner für Entwicklungszusammenarbeit akzeptieren, die permanent fundamentale Menschenrechte verletzen und versuchen, ihre eigene Bevölkerung dauerhaft von Mitwirkungsrechten auszuschließen.
({5})
Dennoch können wir uns, Herr Kollege Schmidt, natürlich nicht völlig zurückziehen. Wir müssen den in Not bedrängten Menschen über humanitäre Hilfe helfen. Wir müssen Druck auf diese Regierungen ausüben, was wir auch tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden also auch in den kommenden Wochen fortfahren, den Menschen dort direkt Hilfe auch für das nackte Überleben zu leisten. Reguläre Entwicklungshilfe, sei sie bilateral, sei sie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die als Unterstützung eines menschenverachtenden Regimes mißverstanden werden könnte, wird nicht aufgenommen werden.
Im nationalen wie im internationalen Rahmen werden wir auch zukünftig alles tun, die Regierung des Sudans zu einer Politik zu veranlassen, die das Leiden der Menschen beendet und die es den zahllosen Flüchtlingen ermöglicht, ohne Furcht vor Krieg, Hunger und Verfolgungen in ihre Heimat zurückzukehren. Menschenrechte, Freiheit und Demokratie sind die Parameter einer Politik, die unterschiedlichen ethnischen und Religionsgemeinschaften ein friedliches Miteinander ermöglicht, ein Miteinander, das menschliche Entwicklungen möglich macht.
Diesem Ziel dient unsere Entwicklungshilfe. Wir freuen uns und sind dankbar, daß wir dabei von allen Seiten des Parlaments Unterstützung erfahren.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Hedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns mit der Problematik im Sudan auseinandersetzen, dann, glaube ich, sollte man die Entwicklung auch vor dem Hintergrund betrachten, daß wir nicht länger in der Notwendigkeit begriffen sind, ein Regime im Sudan zu unterstützen, nur weil wir in der Situation des Ost-WestKonflikts meinten, ein System stützen zu müssen, das sich als pro-westlich ausgegeben hat.
({0})
Das vereinfacht möglicherweise die Situation. Das vereinfacht nach meiner Einschätzung auch die Aufgabe der Regierung, aber auch des Parlaments, den Machthabern in Khartum das zu sagen, was notwendig ist. Ich möchte aus meiner Einschätzung gar kein Hehl machen: Ich halte dieses Regime für eine Bande von Kriminellen.
({1})
So wie dort mit den Menschen - übrigens nicht nur mit den Minderheiten im Süden des Landes, sondern mit der gesamten Bevölkerung - umgegangen wird, kann ich nicht feststellen, daß es diese Regierung auch nur im Ansatz verdient, von uns unterstützt zu werden. Ganz im Gegenteil: Jede Möglichkeit des Druckes auf dieses Regime sollte genutzt werden.
Deshalb, lieber Kollege Schuster, habe ich möglicherweise den einen oder anderen Punkt von Ihnen mißverstanden. Aber der Staatssekretär hat schon klargestellt - und ich möchte das nachhaltig unterstützen - : Vor diesem Hintergrund sehen wir nicht die geringste Möglichkeit einer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Hier müssen wirklich zwei Voraussetzungen gegeben sein, und zwar die Beendigung des Bürgerkrieges und natürlich auch die Einstellung sämtlicher Menschenrechtsverletzungen. Nur wenn diese beiden Forderungen erfüllt sind, sehen wir die objektive Möglichkeit, wieder zu einer vernünftigen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu kommen.
({2})
Möglicherweise müssen wir uns im Sudan noch mit einer ganz anderen Frage auseinandersetzen, von der Sie wissen, daß ich sie des öfteren auch im Ausschuß anspreche. Ich bin mir nicht sicher, ob die staatlichen Strukturen im Sudan derartig sind, daß man auf Dauer mit diesem Land zusammenarbeiten kann. Sie wissen, wir haben inzwischen klassische europäische Situationen. Wir sind zwar allgemein wohl der Aufassung, daß ein Land wie Jugoslawien, wenn es irgend geht, zusammenbleiben sollte. Aber wenn das nicht geht - das scheint sich in Jugoslawien zumindestens abzuzeichnen, wenn man den Norden des Landes nimmt - , dann besteht vielleicht auch in anderen Teilen der Welt langfristig die Notwendigkeit, darüber nachzudenken. Ich weiß durchaus, wovon ich rede. Ich weiß, daß das in Afrika schwierig ist.
Auf jeden Fall - da haben wir in Deutschland unsere eigenen Erfahrungen - sollte man in den Gesprächen mit den sudanesischen Machthabern, um die wir nicht umhin kommen werden, sie darauf hinweisen müssen, daß ein autonomer Status für Teilregionen unerläßlich ist, wenn man den ethnischen und
religiösen Bedingungen dieses Landes Rechnung tragen will.
({3})
Ich möchte mit einem Hinweis abschließen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir sollten nicht vergessen, daß uns das, was sich im Sudan hinsichtlich der religiösen Intoleranz abspielt, insgesamt nicht gleichgültig lassen kann. Ich muß hier mit Bedauern feststellen, daß dieses Phänomen nicht auf den Sudan beschränkt ist. Auch in einem verbündeten Land wie z. B. Ägypten wird die christliche Minderheit - auch die Kopten, aber nicht nur die - massivst unterdrückt. Ich meine, dazu kann auch ein deutsches Parlament nicht schweigen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Matschie.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße ausdrücklich, daß die CDU/CSU-Fraktion die akute Notlage im Sudan zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht hat. Ich tue das vor allem auch deshalb, weil die öffentliche Aufmerksamkeit der Medien, aber auch der Politik in letzter Zeit wenig Interesse an dem schleichenden Tod von Millionen Menschen in Afrika gezeigt hat.
Meine Zustimmung gilt auch den hier erhobenen Forderungen nach schneller, unbürokratischer und vor allem direkter Hilfe für die vom Hungertod bedrohten Menschen.
Allerdings möchte ich an dieser Stelle noch einmal eindringlich mahnen, die Hilfe an den Erfordernissen der Menschen im Sudan zu orientieren und nicht einfach - wie das schon mehrfach geschehen ist - unsere Getreideüberschüsse dort hinzuschicken. Lassen Sie uns auf die Stimmen derer vor Ort hören.
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In einer Pressemeldung der Aktion „Afrika in Not" e. V. vom 16. Juni heißt es:
Denkt daran, daß Getreide keinen Sinn hat! Hier im Sumpf gibt es nicht einmal einen Stein, um das Getreide zu mahlen. Es gibt auch kein Holz, keine Büsche, um es zu kochen. Wir brauchen Notnahrungsmittel von den Armeen der Welt, die man vom Flugzeug abwerfen kann und die mit kaltem Wasser angerührt werden können; wir brauchen Töpfe und Becher . . .
Dann heißt es in dieser Pressemitteilung weiter:
In Nairobi wurde jedoch nur ungemahlenes Getreide für den Abwurf vorbereitet. Die französische Regierung schickte 30 t Frischmilch - für einen Abwurf völlig ungeeignet.
Deshalb noch einmal meine Aufforderung an die Bundesregierung: Hören Sie auf diese Stimmen vor
Ort. Handeln Sie schnell und vor allem gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen vor Ort!
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Ich habe es bereits gesagt: Ich begrüße diese Aktuelle Stunde und meine, wir sollten hier gemeinsam alles tun, um akuter Not zu begegnen, Not zu lindern.
Dennoch läßt auch gerade diese Aktuelle Stunde wieder einmal deutlich werden, welche gravierenden Mängel die bisherige Politik der Industrieländer gegenüber der sogenannten Dritten Welt aufweist. Noch immer erschöpft sich unser Verhalten trotz aller positiven Ansätze, die ich keinesfalls herunterspielen möchte, in vielen Fällen in einer Art von Feuerwehrpolitik - wobei es besonders fatal ist, daß selbst diese Feuerwehr oft viel zu spät aus den Startlöchern kommt. Ein vorbeugender Brandschutz ist viel zu schwach entwickelt.
Zum anderen ist die politische Szene noch immer von einer Politik des eigenen Vorteils dominiert, der zudem meist sehr kurzfristig abgeschätzt wird.
Im Gefolge damit - das erleben wir immer wieder - wird mit zweierlei und dreierlei Maß gemessen, je nachdem, welche Eigeninteressen gerade im Topf sind. Das Entstehen einer internationalen politischen Moral, die wir als stabilisierendes Element einer neuen Weltordnung dringend brauchten, wird durch solche Art von Politikführung unmöglich gemacht.
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Der interessierten Öffentlichkeit bietet sich ein wenig glaubwürdiges Bild. Während die Vereinigten Staaten von Abrüstung im Nahen Osten reden, sorgen sie gleichzeitig für neue massive Waffenlieferungen in diese Region.
Während mit Kuba jegliche Zusammenarbeit auch entgegen noch laufenden Verträgen eingestellt wurde, zählt China trotz kommunistischer Diktatur und massiver Menschenrechtsverletzungen zu den Hauptempfängern deutscher Entwicklungshilfe.
Während Polen und Ägypten auf Grund aktueller taktischer oder auf Grund politischer Überlegungen die Hälfte ihrer öffentlichen Schulden erlassen bekommen, bitten andere leidgeprüfte Staaten vergebens um ähnliche Hilfestellungen.
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Die Reihe solcher Gegensätze ließe sich beliebig fortsetzen.
Unsere Politik bleibt unglaubwürdig, und sie greift zu kurz, gemessen an den Problemen, vor denen die Weltgemeinschaft steht. Wenn wir denn wirklich die vielbeschworene neue Weltordnung wollen und damit nicht eine Ordnung meinen, in der die Starken nach eigenem Gutdünken schalten und walten, dann müssen wir zu einem anderen Ansatz in der internationalen Politik kommen.
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Dann brauchen wir verbindliche Grundsatzentscheidungen, die die internationale Politik berechenbarer und ehrlicher machen. Dann brauchen wir aber auch eine Stärkung und Neuordnung der internationalen Organisation, die am ehesten in der Lage ist, als Garant einer solchen gerechteren Politik aufzutreten, der UNO.
Wir brauchen nicht zuletzt auch eine bessere Ausrüstung all derer, die als Feuerwehr agieren. Es kann nämlich nicht angehen, daß die Hilfsorganisationen der UNO ständig über chronischen Geldmangel klagen müssen. Es kann auch nicht angehen, daß der Lutherische Weltbund, wie im Mai dieses Jahres geschehen, nach Hilfe rufen muß, weil er kein Geld für die Aktion „Lifeline Sudan" mehr hat.
Herr Abgeordneter, es tut mir leid; aber in der Aktuellen Stunde muß ich sehr auf die Einhaltung der Redezeiten achten. Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Ich komme gleich zum Ende.
In zunehmendem Maße reden auch Politiker davon, daß wir alle in einer Welt leben und letztlich eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Ich wünsche mir, daß wir auf Grund dieser richtigen Einsicht langsam zu einer Weltinnenpolitik kommen, die weitsichtig analysiert und nach Grundsätzen des gleichen Rechts reagiert. Das, was wir momentan als Weltpolitik erleben, könnte sich jedenfalls eine demokratische Regierung als Innenpolitik nicht leisten.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigen Linien der Politik des Sudan, insbesondere der sudanesischen Regierung, sind schon mehrfach aufgezeigt worden. Ich bedanke mich insbesondere bei Herrn Staatssekretär Repnik für die deutliche Position, die er für die Bundesregierung eingenommen hat. Das veranlaßt mich, das Manuskript, dessen Inhalt nun schon mehrfach vorgetragen ist, zur Seite zu legen und zwei oder drei Punkte noch einmal aufzugreifen, die im Rahmen dieser Debatte zur Sprache gekommen sind.
Punkt 1: die Menschenrechtssituation im Hinblick auf Minderheiten. Ich glaube, daß wir dies nachhaltig unterstreichen müssen, gerade auch in dieser Aktuellen Stunde, die einen kleinen Teil der Öffentlichkeit herstellt, die notwendig ist, um die Katastrophe in diesem Lande deutlich zu machen. Es wäre erfreulich, wenn ein paar von den großen Fernsehkameras, die wir gestern abend hier erleben durften, heute auf dieses Thema gerichtet würden.
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Wir müssen darauf drängen, daß unsere Vorstellungen zum Schutz von Minderheiten, zur Autonomie
und auch zu einer notwendigerweise staatlichen Neuorganisation, die Herr Kollege Hedrich angesprochen hat, nachhaltig durchgesetzt werden. Die internationale Gemeinschaft ist hierbei gefordert.
Es wurde mehrfach der Begriff der neuen Weltordnung zitiert, der, wie Herr Kollege Matschie sagte, bis hin zur Weltinnenpolitik führen muß. Das bedeutet eine gesteigerte Verantwortung für uns alle, gerade für solche Fälle, in denen wir mit den klassischen völkerrechtlichen Begriffen einer staatlichen Souveränität und einer Nichteinmischung im Sinne der Menschenrechte wohl nicht mehr vorankommen.
Es gibt diese Forderungen, und es muß auch die Frage nach der Durchsetzung der Forderungen gestellt werden. Ich meine, wenn wir bei den süßen Worten bleiben, die der Kollege Schuster angemahnt hat, dann sollten diese nicht nur an die Bundesregierung gehen, sondern dann haben auch wir in Wahrnehmung unserer Verantwortung zu überlegen, wie die Stärkung der Vereinten Nationen zur Durchführung solcher Maßnahmen aussehen muß. Sicherlich wird sie in einer Stärkung der humanitären Hilfe liegen, und sicherlich wird man darauf Wert legen. Nicht allein humanitäre Hilfe, sondern insbesondere strukturelle Flüchtlingshilfe stellt sicher, daß die Wurzeln des Problems, nämlich Flüchtlingsströme verursacht durch Bürgerkrieg, durch den religiösen und durch den ethnischen Konflikt, beseitigt werden.
Aber wo dann der Gedanke und die Notwendigkeit zu Schutzzonen, ähnlich wie beim kurdischen Problem, entsteht, sind wir natürlich sehr nahe bei einer Frage, die uns im Bundestag möglicherweise doch sehr bald beschäftigen wird, nämlich: Wie halten wir es denn dann mit unserer Bereitschaft, hier auch unseren Beitrag zu leisten?
Ich darf die Kolleginnen von der Fraktion der SPD doch noch einmal daran erinnern, daß wir diesen Punkt auch unter dem Aspekt der Menschenrechte und der Entwicklungshilfe diskutieren müssen. „Peace-keeping operations" , friedenserhaltende Operationen, die die Vereinten Nationen durchführen müssen, befinden sich zumindest in einer Grauzone, deren Grenzen wohl nicht mit den Grenzen übereinstimmen, die Sie sich selbst - Sie haben vor einigen Wochen in Bremen über dieses Thema diskutiert - gesetzt haben. Es wird nicht genügen, sich nur Blauhelme aufzusetzen. Möglicherweise muß unsere neue Weltinnenpolitik auch eine Verantwortung übernehmen, die darüber hinausgeht.
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- Es ist sehr erfreulich, zu hören, daß Sie das weiter diskutieren.
Ich meine, es besteht zwischen uns breite Übereinstimmung, daß die Situation im Sudan und in vielen Ländern der Dritten Welt, die durch Intoleranz und Unterdrückung von Minderheiten gekennzeichnet ist, so nicht bestehen bleiben darf. So kann es nicht weitergehen. Aber das kann natürlich nicht die einzige Antwort darauf sein. Selbstverständlich müssen die Maßnahmen ergriffen werden, die insbesondere von der Bundesregierung genannt worden sind. Aber mitChristian Schmidt ({2})
telfristig bleiben diese Mißstände auf der Tagesordnung der zitierten Weltinnenpolitik und auch auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die entsetzlichen Zustände im Sudan sind von den Kollegen hier eindrucksvoll geschildert worden. Es ist in der Tat so, daß es sich nicht nur um ein Problem dieses Landes handelt; hier ist vielmehr die internationale Staatengemeinschaft gefordert. Wir können nicht mit ansehen, wie Menschen abgeschlachtet werden, wie Menschen ins Elend getrieben werden, während die eigene Regierung dieses Landes Hilfsmaßnahmen unmöglich macht. Hier muß etwas geschehen. Ich bin dafür dankbar, daß Herr Staatssekretär Repnik Maßnahmen genannt hat; auch Herr Schuster und Herr Kollege Waldburg-Zeil haben es getan.
Wir müssen darüber hinaus Fragen stellen, was wir in vergleichbaren Fällen tun können, um das Zustandekommen solcher Situationen unmöglich zu machen oder zumindest zu erschweren. Ich möchte doch einmal die Frage stellen, ob wir neuerdings nicht gerade durch den Wegfall des Ost-West-Konflikts erfreulicherweise in eine Situation geraten sind, in der wir uns nicht mehr - wie früher - von Erpressungen abhängig machen,
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oder in der wir versucht haben, andere zu bestechen. Der Ost-West-Konflikt hat oft genug dazu geführt, daß wir unappetitliche Regime nur deshalb toleriert, sogar unterstützt haben, weil wir glaubten, sie seien pro-westlich eingestellt. Ebenso hat es die andere Seite gemacht. Hier ist sehr, sehr viel Heuchelei im Spiel gewesen, und das müssen wir abstellen. Wir haben jetzt die Chance dazu.
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Ich meine, daß wir dies immer dann tun sollten, wenn massive und systematische Menschenrechtsverletzungen vorkommen, aber auch wenn Grundsteine für ein unmenschliches und unfriedliches Verhalten gelegt werden. Wir sollten uns sehr genau anschauen, welche Länder wieviel Geld für Waffen und für den Militärhaushalt aufwenden. Überall, wo wir feststellen, daß ein überproportionaler Anteil für derartige Zwecke aufgewandt wird, sollten wir genau überprüfen, ob die Entwicklungszusammenarbeit von unserer Seite nicht entsprechende Konsequenzen ziehen müßte.
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Ich sehe überhaupt nicht ein, warum wir blutrünstige Diktaturen und waffenstrotzende Regime finanziell oder durch Projekte nur deswegen unterstützen, damit dort Mittel freiwerden, um diese gegen die eigenen Völker gerichtete Aggressionspolitik weiterzuführen.
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- Ja, das ist doch keine Reihenfolge. Sie haben ja recht, Herr Kollege Hauchler. Stellen wir hier doch keine Reihenfolge auf. Das ist wie die Frage, was zuerst war, die Henne oder das Ei. In diesem Bereich gilt leider Gottes auch: Wenn die Nachfrage da ist, wird das Angebot nicht ausbleiben, von wem auch immer auf der Welt. Machen wir uns doch nichts vor! Seien wir doch realistisch! Das ist leider nun einmal so. Das ist die traurige Wirklichkeit.
Natürlich muß man Waffenexporte stoppen. Ich bin der Meinung, daß es eine riesige Aufgabe für uns ist, alsbald das Vorhaben in Angriff zu nehmen, zunächst einmal im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ein abgestimmtes Verhalten nach Möglichkeit einem Kodex vorzuziehen und auf Dauer eine verbindliche restriktive Regelung über Waffenexporte zu erreichen. In solche Länder, die ja im Grunde keine äußeren Feinde haben, brauchen überhaupt keine Waffen geliefert zu werden. Dorthin dürfen keine Waffen geliefert werden.
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- Lieber Kollege Holtz, ich habe gerade darauf hingewiesen, daß sich die internationalen Rahmenbedingungen durch den Wegfall des Ost-West-Konfliktes glücklicherweise verändert haben. Wir brauchen uns nicht mehr erpressen zu lassen, und wir brauchen niemanden mehr zu bestechen. Das müssen wir jetzt ins Positive ummünzen. Den Vereinten Nationen - ich kann nur unterstreichen, was mein Kollege Schmidt vorhin gesagt hat - kommt hier eine ganz besondere Verantwortung zu. Wir müssen sie unterstützen.
Ich möchte noch einmal an den Vorschlag erinnern, den Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher gemacht hat: daß wir anstreben müssen, bei den Vereinten Nationen einen internationalen Gerichtshof einzurichten, der auch die Möglichkeit hat, Verbrecher vom Schlag des blutrünstigen sudanischen Machthabers zur Verantwortung zu ziehen.
Ich danke Ihnen.
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Nun erteile ich dem Abgeordneten Neumann ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst wünsche ich Ihnen gute Besserung, Herr Präsident. Wenn wir menschlich miteinander umgehen, dann geht das auch.
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Herr Kollege Waldburg-Zeil hat gesagt, mit dieser Aktuellen Stunde will er Öffentlichkeit herstellen. Ich
Volker Neumann ({1})
unterstütze das. Aber wie ist das mit den Hungerkatastrophen und den anderen Katastrophen in der Vergangenheit gewesen? Wann haben wir denn Öffentlichkeit hergestellt? Hing das von der großen Zahl der Opfer ab, hunderttausend, Millionen von Hunger Bedrohten? Hing das von zufälligen Fernsehberichten ab? Ich erinnere einmal an Äthiopien, wo 1984 viele vor der drohenden Hungerskatastrophe gewarnt haben, und nur ein kleiner zufälliger Fernsehbericht der BBC hat darauf aufmerksam gemacht und hat Gott sei Dank geholfen, die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen,
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und damit auch uns in die Lage versetzt, dort zu helfen. Oder hängt das vielleicht von der Jahreszeit ab: vor Weihnachten?
Aktuelle Stunde, schön und gut. Aber aktuell ist dieses Thema nicht. Denn seit vielen Jahren wird im Sudan getötet und gehungert, in anderen Ländern dieser Region gleichfalls. Aber dennoch bewundere ich die Hartnäckigkeit von Ihnen und von allen, die hier sitzen, immer wieder auf dieses Thema hinzuweisen. Wenn es einen Grund gab, mich wieder für diesen Bundestag zu bewerben, dann war es die Tatsache, daß so viele hartnäckige Kollegen an diesem Thema dran sind.
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Ich möchte, nachdem fast alles gesagt ist, noch auf einen Punkt zurückkommen, der die Menschenrechtssituation im Sudan anbelangt. Es gab eine Meldung, kaum beachtet. Ein 18jähriger, Michael Kassim, ist wegen Raubes zum Abtrennen der rechten Hand und des linken Fußes nach der islamischen Scharia verurteilt worden.
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Seine Mutter hat in einem Brief an den Junta-Chef El Beschir gebeten, diese Strafe in ein Todesurteil umzuwandeln, weil sie nicht wollte, daß ihr Sohn mit diesem Makel ein Leben lang behaftet ist.
Das macht sehr deutlich, wo eine der Grundlagen der Konflikte im Sudan liegt. Dieses - auch ich sage: verbrecherische - Regime versucht, das islamische Recht auch denen aufzuzwingen, die nicht danach leben wollen. Scharia bedeutet - ich sage es für die, die es nicht wissen -, daß Dieben die Hand abgeschlagen wird, daß Ehebrecherinnen gesteinigt werden, wer öffentlich Alkohol trinkt, verprügelt wird, von Staats wegen geprügelt. Dagegen haben sich Menschen gewandt. Das ist einer der Gründe für den Bürgerkrieg. Das im März 1991 eingeführte neue Recht mit neuen Bestimmungen hat zu einer Ausweitung der Prügelstrafe geführt. Die Zahl der vollstreckten Todesurteile, soweit uns das von amnesty international bekannt ist, hat sich erhöht.
Bei aller Achtung und bei allem Verständnis für fundamentale kulturelle und religiöse Werte der islamischen Gesellschaft muß ein solches Verfahren unsererseits als menschenrechtsverachtend und menschenrechtsverletzend bezeichnet werden.
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Es bleibt in unseren Augen barbarisch und inhuman. Wir können grundsätzlich nicht den Einwand der islamischen Staaten akzeptieren, die die Scharia zur Grundlage ihrer Strafverfolgung machen, daß unsere Kritik Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten sei. Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung.
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Wenn wir aufhören, diejenigen grundlegenden Menschenrechte, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen oder in den internationalen Pakten festgeschrieben sind, und unsere eigenen abendländischen Wertvorstellungen zur Grundlage unseres politischen Handelns zu machen, berauben wir uns der Grundlage unseres politischen Lebens ganz allgemein.
Die Vereinten Nationen haben in ihrer Präambel die Grundüberzeugung der Völker niedergeschrieben - die übrigens auch der Sudan anerkannt hat - : den Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau und von allen Nationen, ob groß oder klein. Diese Grundlage der Vereinten Nationen sollte Grundlage unseres Handelns sein.
Wir können nur hoffen, daß uns die Reform der Vereinten Nationen auch die Möglichkeiten gibt, die mit der Resolution 688 eröffnet worden sind, daß sich Staaten einmischen können, wenn Menschenrechtsverletzungen in dieser Weise, wie es auch im Sudan geschieht, erfolgen. Wir werden jedenfalls nicht aufhören, wie bei vielen anderen Staaten auch im Sudan ständig die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Wir bitten die Bundesregierung - und ich habe gehört, wir haben offene Ohren gefunden - , auch bei ihrem staatlichen Handeln immer darauf zu achten, daß die Menschenrechte in diesen Ländern zur Sprache kommen.
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Nun erteile ich dem Grafen von Schönburg-Glauchau das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon Angst gehabt, ich würde gar nichts mehr zu sagen kriegen nach einer Debatte, wo so viel gesagt wurde, so viel Gutes, so viel Richtiges, so viel Beeindruckendes. Ich meine nur, es bleibt tatsächlich noch etwas sehr Wichtiges übrig:
Es ist nicht getan mit noch so wirksamen momentanen Maßnahmen. Es ist auch nicht getan mit der sehr richtigen Forderung, lieber Kollege Matschie, nach Weltinnenpolitik - da sind Sie aber auf dem richtigen Weg - , und es ist auch nicht getan mit der alleinigen Forderung, daß wir in der Außenpolitik von dem Dogma der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten herunter müssen. Gott sei Dank wird das
nach der Kurden-Geschichte jetzt nie mehr so heiß gegessen werden können, wie es bis jetzt gegessen wurde. Trotzdem, wir schulden diesen Ländern noch einmal eine Hilfe, wir schulden ihnen eine Perspektive in der Weltinnenpolitik, wie so etwas zu lösen ist; denn viele von den Bränden, die wir jetzt löschen helfen sollen, haben wir europäischen Staaten mitverschuldet. Von uns haben diese Länder diese unseligen Grenzen, diese unseligen Nationalstaatsvorstellungen geerbt,
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diese unseligen Probleme, die wir auch in der Entwicklungspolitik haben, daß wir über die allherrliche nationale Regierung hinweg überhaupt keinem Menschen helfen können. Wir kommen in das Problem, daß die Menschen hungern, daß sie unsere Hilfe verlangen und daß wir Hilfe versagen, weil wir ihre Regierung nicht belohnen wollen - ein schauderhafter Gesichtspunkt.
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In China oder wo immer ist das Problem, die Menschen da oder dort bräuchten unsere Hilfe, und wir zögern, wir zögern aus gutem Grund, weil wir sagen: Wir können diesem Regime bei seinen sehr verabscheuungswürdigen Vorhaben nicht noch Hilfen leisten.
Das heißt also, wir sind gefordert, den Menschen zu helfen, von diesen Grenzen und von den Konsequenzen dieser Grenzen herunterzukommen. Ich meine, wir sollten sie nicht ermutigen, überall in Afrika und auch nicht im Nahen Osten alle Grenzen neu zu ziehen, weil das zu neuen Kriegen einladen würde. Aber wir sollten ihnen Hilfen geben, damit sie zu Gliederungen, zu Automonie, zu föderalistischen Ordnungen kommen, welche an den vorhandenen Strukturen ansetzen.
Bis jetzt war es ja in allen afrikanischen Ländern eines der schlimmsten Schimpfworte, Tribalist zu sein, Tribalismus zu betreiben. Wir haben uns nicht getraut, dagegen etwas zu sagen, obwohl wir alle Schwaben, Sachsen, Bayern, Pfälzer, Tschechen und Ungarn sind. Das ist ein Tribalismus, den wir betreiben.
Wir müssen ihnen sagen, es ist ein Schatz, Tribalismus an Strukturen, die vorhanden sind, anzusetzen, auch im Aufbau des Staats. Das ist etwas ganz unerhört Wertvolles. Es ist ein Etappenziel in unserer Weltinnenpolitik, daß wir wenigstens bei der Entwicklungshilfe bei den autarken Gebieten, bei den unterdrückten Gruppen ansetzen können.
Das Völkerrecht kennt komischerweise nur den Aufständischen als Völkerrechtssubjekt. Der Vernachlässigte, der sonst Unterdrückte, solange er friedlich bleibt, kommt im Völkerrecht nicht vor. Wir müssen erreichen, daß wir wenigstens in der Entwicklungshilfe dort ansetzen können, die Direkthilfe dort hinbringen, wo sie notwendig ist.
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Dasselbe gilt im Zusammenhang mit China. Es wäre schön, wenn wir direkt nach Tibet Hilfe leisten könnten. Dann hätten wir alle unsere Probleme nicht.
Ich glaube, ich habe meine Redezeit schon überzogen. Ich danke Ihnen.
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Als nächstem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich dem Abgeordneten Dr. Köhler ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sprechen von der Tragödie des größten afrikanischen Landes und seiner Menschen, eines Landes, das in Wahrheit nie geeint war. Der Süden hat der Unabhängigkeit 1956 und den staatlichen Formen, die gefunden wurden, nie zugestimmt. So ist seitdem die Geschichte dieses Landes geprägt von der totalen Unfähigkeit der Regierenden, die politischen Problemlösungen für dieses Land zu erarbeiten.
Es hat manchmal Hoffnungen gegeben, Graf Schönburg. Es gab in den 70er Jahren eine Hinwendung zum Föderalismus. Wir haben das unterstützt. Dies ist alles verbraucht, weil keinerlei Glaubwürdigkeit mehr zwischen den Vertretern der einzelnen Gruppierungen und vor allem gegenüber der sudanesischen Zentralregierung besteht.
Aber gerade auch deshalb ist dies in meinen Augen ein zutiefst politisches Problem, bei dem wir über die rein entwicklungspolitische Perspektive und über die humanitäre Perspektive, so wichtig sie sind, weit hinausgehen müssen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kenne dieses Land seit vielen Jahren. Ich habe viel Zeit in diesem Land verbracht. Ich kenne dort viele Menschen. Dies wäre eigentlich für mich ein Augenblick tiefster Verzweiflung und tiefster Trauer. Aber das kann ich mir nicht leisten, wenn ich der Situation dort gerecht werden will.
Rund 2 Milliarden DM deutscher Entwicklungshilfe sind da verwüstet worden. Sicher, es ist etwas übrig geblieben. Ohne den Rusairis-Staudamm und die Baumwollkulturen stünde es noch schlimmer um das Land.
Das Engagement des Landes Niedersachsen, klug und fruchtbar angesetzt, ist weitgehend verwüstet. Übrig geblieben sind namenloses Leid, Hunger als Waffe, Christenverfolgung; alles das, was hier gesagt worden ist. Das ist entsetzlich.
Deswegen ist dies in einem höheren Sinne aktuell als normalerweise eine Aktuelle Stunde. Das können wir nicht einfach so auf sich beruhen lassen.
Schon vor einer Reihe von Jahren haben wir die langfristige normale Entwicklungshilfe gestoppt, weil sie ja durch Währungskursmanipulationen zur Kriegsfinanzierung herangezogen wurde. Die Hilfe der Europäischen Gemeinschaft aus dem Lomé-Vertrag ist in letzter Minute angehalten worden. Das, meine Damen und Herren, zeigt für mich ein Defizit im Bereich der EPZ, daß es erst in letzter Minute möglich war, die mechanische Überweisung der dem Su2974
Dr. Volkmar Köhler ({0})
dan im Lomé-Vertrag bewilligten Zahlungen zur weiteren Finanzierung von Krieg und Mord zu stoppen.
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Die sudanesische Regierung hat sich seit Jahren von einem Kredit zum nächsten gehangelt. Bewundernswürdig war die Fähigkeit, trotz Hunger und Verzweiflung einigen Regierungsmitgliedern immer noch die Taschen ausreichend zu füllen.
Eine unheilvolle Rolle - lassen Sie uns hier bitte nicht unsere Obsessionen zum Hauptgegenstand machen - haben der Irak und Libyen bis zur heutigen Stunde gespielt.
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Die Waffen, die aus dem Westen gekommen sein mögen, sind Marginalien, verglichen mit dem Anheizen dieses Konflikts durch Libyen und den Irak.
Die Tätigkeit der Nichtregierungsorganisationen ist immer und immer wieder eingeschränkt und mit politischen Auflagen behindert worden. Der Hunger wurde als Waffe eingesetzt. Es ist doch wahr, daß auf dem Flugplatz in Yuba die Flugzeuge der Zentralregierung mit Waffen stehen, während 250 000 Menschen daneben in aller Ruhe verhungern dürfen. Das ist unerträglich!
Deswegen sagte ich: Hier müssen wir die politische Dimension stärker in den Vordergrund stellen. Herr Grant hat nach der ersten Operation Lifeline der Vereinten Nationen im Sudan die Lust an der Sache sehr schnell verloren. Warum? Wenn wir dort nur mit dem humanitären Ansatz operieren, dann erleben wir wieder, daß die Nahrungsmittel nach Regierungsfrömmigkeit verteilt werden, und niemand kann das ändern.
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Dann wird auch der bewunderungswürdige persönliche Einsatz bei den Crossboarder-Operationen im Süden darauf hinauslaufen, daß man irgendwo über denWäldern Korn abwirft, wie der Kollege Matschie es richtig geschildert hat, mit dem die Menschen gar nichts anfangen können.
Nein, das Ganze muß weiterreichen. Es muß über eine Erlaubnis für die Vereinten Nationen, zu helfen, meines Erachtens weit hinausgehen. Es ist die Stunde, zu fordern, daß ein Friedensplan der Vereinten Nationen für dieses Land vorgelegt und entsprechend intensiver Druck auf das Land ausgeübt wird. Da hat auch die Europäische Gemeinschaft eine Aufgabe; sie kann da noch mehr tun.
Wir werden bei glaubwürdiger humanitärer Hilfe überhaupt nur vorankommen, wenn ein unbedingtes Recht des Zugangs zu den hungernden Menschen im Norden und im Süden ohne politische Auflagen durch irgendwelche Machthaber gesichert ist und wenn dem Land endlich unmißverständlich klargemacht wird, daß wir eine solche Zugrunderichtung von Menschen nicht dulden können, weil diese Welt es nicht ertragen kann, daß mit Menschen, mit Menschenrechten und mit dem Frieden so umgegangen wird. Dies muß politisch betrieben werden.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Tagesordnung.
Ich bedanke mich zunächst einmal bei denjenigen, die die Geduld gehabt haben, bis zum Schluß auszuharren. Ich bin nun in der ungewöhnlichen Situation, Ihnen nicht die genaue Uhrzeit angeben zu können, wann der Deutsche Bundestag wieder zusammentritt.
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Das wird Ihnen rechtzeitig mitgeteilt. Aber ich hoffe mit Ihnen, daß es keine Sondersitzung ist.
Ich wünsche Ihnen allen erholsame Ferien und schließe die Sitzung.
Herzlichen Dank.