Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/20/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15, den einzigen Tagesordnungspunkt unserer heutigen Sitzung auf, der ganz nüchtern heißt: Beratung der Anträge zum Parlaments- und Regierungssitz: 1. Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Dr. Wolfgang Bötsch, Editha Limbach, Dr. Franz Möller, Wolfgang Zeitlmann, Dr. Horst Ehmke ({0}), Ingrid Matthäus-Maier, Gerhart Rudolf Baum, Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer, Dr. Klaus-Dieter Feige und weiterer Abgeordneter Bundesstaatslösung für eine Aufgabenteilung zwischen der Hauptstadt Berlin, dem Parlaments- und Regierungssitz Bonn und den neuen Bundesländern ({1}) - Drucksache 12/814 -2. Antrag der Abgeordneten Willy Brandt, Dr. Burkhard Hirsch, Dr. Günther Krause ({2}), Maria Michalk, Dr. Rainer Ortleb, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Oscar Schneider ({3}), Dr. Hermann Otto Solms, Wolfgang Thierse, Dr. Wolfgang Ullmann, Dr. Hans-Jochen Vogel und weiterer Abgeordneter Vollendung der Einheit Deutschlands - Drucksache 12/815 -3. Antrag der Abgeordneten Peter Conradi, Otto Schily, Dr. Martin Pfaff, Verena Wohlleben, Dr. Axel Wernitz, Uta Titze, Dr. Dietrich Sperling, Lieselott Blunck, Hans Büttner ({4}), Margot von Renesse, Dorle Marx, Manfred Hampel, Dr. Elke Leonhard-Schmid, Brigitte Lange, Antje-Marie Steen, Manfred Opel, Erika Simm, Dr. Hans de With, Elke Ferner, Walter Kolbow, Dr. R. Werner Schuster, Peter Büchner, Horst Schmidbauer ({5}), Susanne Kastner, Hildegard Wester, Robert Leidinger, Hans-Günther Toetemeyer, Uwe Lambinus, Horst Kubatschka, Erwin Horn, Bernd Reuter, Uta Zapf, Horst Peter ({6}), Gernot Erler, Doris Odendahl, Brigitte Adler, Dr. Konstanze Wegner, Siegmar Mosdorf, Hermann Bachmaier, Klaus Kirschner und Michael Müller ({7}) Zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie ({8}) - Drucksache 12/816 -4. Antrag der Abgeordneten Dr. Heiner Geißler, Dr. Paul Laufs, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Michael Glos, Volker Rühe, Lothar de Maizière, Otto Hauser ({9}), Klaus-Jürgen Hedrich, Heribert Scharrenbroich, Hansjürgen Doss, Matthias Wissmann, Gerhard O. Pfeffermann, Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Hans-Peter Repnik, Dr. Renate Hellwig, Rainer Eppelmann, Reinhard Freiherr von Schorlemer und weiterer Abgeordneter Konsensantrag Berlin/Bonn - Drucksache 12/817 5. Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Bestimmung der Hauptstadt Berlin zum Sitz von Parlament und Bundesregierung ({10}) - Drucksache 12/818 - Jeder weiß, um was es heute geht, um die Entscheidung in der Frage Bonn/Berlin. Bevor wir mit der Beratung beginnen, bitte ich um Aufmerksamkeit für einige wichtige Hinweise zum Ablauf der heutigen Debatte und der Abstimmungen. Wir haben im Ältestenrat über folgende Punkte Einvernehmen erzielt: Für die heutige Aussprache wird keine Zeitbegrenzung vorgeschlagen. Zunächst soll jeder der vorliegenden Anträge 15 Minuten lang begründet werden. Dann folgen zwei Stunden Debatte, die nach dem bekannten Schlüssel aufgeteilt werden. Anschließend, ab etwa 13.30 Uhr, wird die Aussprache mit Fünfminutenbeiträgen fortgesetzt, in der Art der Aktuellen Stunde. Der Ältestenrat empfiehlt, daß die Parlamentarischen Geschäftsführer zusammen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth mit den Antragstellern dafür Sorge tragen, daß sich in Rede und Gegenrede die verschiedenen Richtungen abwechseln. Auf Kurzinterventionen soll heute angesichts der ohnehin kurzen Redezeit verzichtet werden, auch um die Abfolge sicherzustellen. Reden können Sie angesichts der großen Zahl auch zu Protokoll geben. Sie sind dann im Bundestagsprotokoll.* ) ({11}) Der Ältestenrat geht auch davon aus, daß Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden, zumal alles, was in einer solchen Erklärung gesagt werden soll, auch in einem Fünfminutenbeitrag in der Aussprache vorgetragen werden kann. Wenn es Erklärungen gibt, werden sie jedenfalls erst nach der Abstimmung aufgerufen. Wann die Aussprache zu Ende ist, läßt sich noch nicht genau sagen. Die Abstimmungen werden in jedem Fall namentlich sein. Sie werden nicht vor 18 Uhr stattfinden. ({12}) Uns liegen fünf Anträge auf den Drucksachen 12/814, 12/815, 12/816, 12/817 und 12/818 vor. Für das Abstimmungsverfahren ist im Ältestenrat folgende Verständigung erzielt worden: Zunächst soll nacheinander namentlich abgestimmt werden über den von den Antragstellern so genannten „Konsensantrag Berlin/Bonn" sowie über den Antrag „Erhaltung der Funktionsfähigkeit" . Diese Anträge liegen Ihnen auf den Drucksachen 12/817 und 12/816 vor. Ich mache darauf aufmerksam, daß nach unserer Geschäftsordnung ein Antrag schon angenommen ist - das ist jetzt wichtig - , wenn die Ja-Stimmen die Nein-Stimmen überwiegen. Enthaltungen werden für die Feststellung der Mehrheit also nicht berücksichtigt. Die übrigen Anträge - genannt „Bundesstaatslösung", Bonn-Antrag, und „Vollendung der Einheit Deutschlands", Berlin-Antrag, sowie der Antrag „Ausschließlich Berlin" - sollen nach dem Vorschlag des Ältestenrates in einem § 50 GO entsprechenden Verfahren zur Abstimmung gestellt werden. Das bedeutet: Alle drei Anträge werden auf einer Stimmkarte aufgeführt. Sie müssen auf dieser Karte oben Ihren Namen mit der Angabe Ihrer Fraktion bzw. Gruppe eintragen, und zwar bitte leserlich in Blockschrift und eventuell mit Ortszusatz. Sie haben eine Stimme, die Sie einem der Vorschläge geben können. Die Karten enthalten außerdem einen Kreis für Nein und für Enthaltung. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz enthalten, sind ungültig. Bitte beachten Sie folgendes: Bei diesem Verfahren fällt der schlechtestplazierte Vorschlag heraus, und es kommt zu einem Stichentscheid zwischen den beiden bestplazierten Vorschlägen. Der Stichentscheid entfällt nur dann, wenn der bestplazierte Vorschlag schon die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhal*) Anlage 2 ten hat. Das bedeutet, daß er mehr Stimmen erhalten haben muß als die übrigen Anträge zusammen zuzüglich der Nein-Stimmen. Die Stimmkarten werden ab 16 Uhr hier im Ersatzplenarsaal bereitgehalten. Sie benötigen für die Teilnahme an den Abstimmungen außerdem Ihre Wahlausweise sowie Ihre Karten für namentliche Abstimmungen. Ich bitte Sie, diese rechtzeitig Ihren Fächern zu entnehmen. Abschließend möchte ich auf folgendes aufmerksam machen: Das geschilderte Abstimmungsverfahren, auf das sich der Ältestenrat verständigt hat, ist vom Deutschen Bundestag in vergleichbaren Fällen auch schon früher angewandt worden. Es stellt eine sinngemäße Anwendung des in § 50 unserer Geschäftsordnung vorgesehenen Verfahrens dar. In den Einzelheiten ist das Verfahren aber modifziert, so daß es sich insoweit um eine Abweichung von unserer Geschäftsordnung handelt. Sind Sie damit einverstanden, daß wir so verfahren? ({13}) - Das ist der Fall. Damit ist dies mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Blüm das Wort.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob Berlin oder Bonn, ob das Parlament und die Regierung hier oder dort angesiedelt sind - der Streit darüber darf uns nicht die Freude nehmen, daß wir ein Volk sind, wiedervereint und frei, ({0}) und daß wir wieder darüber debattieren können, wo Verfassungsorgane in Deutschland ihren Platz nehmen. Die Spaltung ist überwunden, die Mauer ist gefallen, neue Gräben dürfen heute nicht aufgerissen werden. „Teilung durch Teilen überwinden" - kann das nicht auch das Programm einer bundesstaatlichen Aufgabenverteilung zwischen Berlin und Bonn sein? Wir wollen das Miteinander durch Aufgabenverteilung zwischen der Hauptstadt Berlin und Bonn fördern. Zu diesem Miteinander in ganz Deutschland gehört nicht nur die Verteilung von Verfassungsorganen auf diese Städte, sondern auch die Verteilung von Bundeseinrichtungen auf ganz Deutschland, wobei dem Aufbau in den neuen Bundesländern eine ganz besondere Zuwendung gebührt. Berlin und Bonn stehen beide für freiheitliche Traditionen, welche die wiedergefundene Einheit ermöglicht haben. Der Widerstand der Berliner Bevölkerung gegen Unfreiheit, das Standhalten gegen Bedrohung, Erpressung und Blockade haben die Idee der deutschen Einheit wachgehalten und die Erwartung der Wiedervereinigung vor Resignation bewahrt. Aber auch das Verdienst von Bonn darf nach 40 Jahren Bundesrepublik nicht geringgeschätzt werden. ({1}) Mit dem Namen Bonn verbindet sich der längste freiheitliche und friedliche Zeitabschnitt unserer Geschichte. Es war eine gute Zeit - es ist eine gute Zeit - , die mit Bonn verbunden ist. ({2}) Der Mut der Bürger in der ehemaligen DDR, der friedliche Aufstand gegen Unfreiheit und Unterdrükkung - das bleibt das große Ruhmesblatt der Deutschen im Osten unseres Landes. Er hatte ein Ziel: Freiheit. Über die Freiheit führte der Weg zur Einheit. Die Freiheitsrechte des Bonner Grundgesetzes waren das Ziel dieses Freiheitswillens. Ohne Politik, die mit dem Namen Bonn verbunden ist, wäre ganz Deutschland eingemauert worden. Bonn war die Verankerung in der freien Welt. Der Antrag, den ich heute vertrete, steht unter der Überschrift „Bundesstaatslösung". Bonn und Berlin - nicht gegeneinander, sondern miteinander, das ist das Programm, das wir vorschlagen. ({3}) Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands. Das ist entschieden; das wollen wir so. Wir schlagen vor: Berlin wird Amtssitz des Bundespräsidenten, wird Sitz des Bundesrates, der Bundesversammlung, der herausgehobenen Sitzungen des Bundestages, zusätzlicher Dienststellen des Bundeskanzlers und weiterer Mitglieder der Bundesregierung. Bonn wird Parlaments-und Regierungssitz. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden allerdings nicht nur über Sitzfragen. In unsere heutige Entscheidung gehen auch Fragen des Selbstverständnisses des Nationalstaates Deutschland ein. Der Nationalstaat Deutschland steht am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr dort, wo er am Anfang stand. Wir haben uns nicht zum Deutschen Reich wiedervereint, sondern zu einem kräftigen Bundesstaat. ({4}) Die Geschichte bleibt nie stehen. „Man steigt nicht zweimal in denselben Fluß" , wußten schon die griechischen Philosophen. Wir entwickeln unser Deutschland weiter. Der Nationalstaat Deutschland öffnet sich für Europa, und der Nationalstaat Deutschland steht auf einem kräftigen föderalen Fundament. Der Nationalstaat Deutschland ist also nicht einfach die Verlängerung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Deshalb: Glaubwürdigkeit geschichtlicher Standpunkte und Festlegungen darf nicht einer neuen Nachdenklichkeit im Wege stehen. Geschichte ist kein Museum; Geschichte ist Entwicklung. Wäre Glaubwürdigkeit schon mit einfacher Wiederholung von Standpunkten garantiert, wäre sie eine Sperre gegen neue Entwicklungen und Einsichten. Bonn hat sich über das Provisorium hinaus entwikkelt. Es ist keine Durchgangsstation, wo auf Koffern regiert wurde. Bonn hat eigenes republikanisches Gewicht gewonnen. Große historische Stunden sind mit Bonn verbunden. Den Einigungsvertrag haben wir in Berlin und in Bonn verabschiedet. Wir haben ihm in Berlin und in Bonn zugestimmt. Der Nationalstaat, den wir uns wünschen, ist europäisch eingebunden und regional gegliedert. Europäisierung und Regionalisierung, das sind die Pole eines modernen Nationalstaates. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Paßt in eine solche bundesstaatliche Lösung eine alles dominierende Hauptstadt? ({5}) Ich meine: Nein. Eine Hauptstadt Berlin mit Parlaments- und Regierungssitz würde, so fürchte ich, eine Sogwirkung erzeugen, die auch das neugewonnene Selbstbewußtsein der neuen Bundesländer unterspülte. Nicht ohne Grund verlegen Staaten mit kräftigem föderalen Selbstbewußtsein ihren Parlaments- und Regierungssitz nicht in die größte Stadt: Die Amerikaner verlegten ihn nicht nach New York, sondern nach Washington; die Kanadier nicht nach Montreal oder Toronto, sondern nach Ottawa; die Schweizer nicht nach Zürich, sondern nach Bern. Sollten wir an der Klugheit und Erfahrung anderer föderaler Staaten nicht Maß nehmen? Was alles dominierende Zentralstädte für Regionen und Provinzen bedeuten, zeigen uns Frankreich und England. Berlin wird auch ohne Regierungs- und Parlamentssitz die herausragende kulturelle und wirtschaftliche Metropole unseres Vaterlands sein. Es wird im wahrsten Sinne Hauptstadt Deutschlands. Niemand bestreitet diesen Rang Berlins. Braucht es dazu noch Regierungs- und Parlamentssitz? frage ich. ({6}) Laßt dem kleinen Bonn Parlament und Regierung! Bonn verliert mit Bundestag und Regierung viel. Berlin gewinnt mit Bundestag und Regierung viele neue Probleme: Wohnungsprobleme, Raumordnungsprobleme , Infrastrukturprobleme. ({7}) Das Motto „je größer, um so besser" hält die damit verbundenen Erwartungen schon längst nicht mehr. Ersparen wir Berlin den Weg in eine Megastadt! ({8}) Sechs Millionen Einwohner rechnen heute schon Fachleute in wenigen Jahren für Berlin aus. Das ist ein Drittel der Bevölkerung der ehemaligen DDR. Berlin wird in zehn Jahren mehr Einwohner haben als Hamburg, München und Köln zusammen. Zwei Millionen Beschäftigte mehr erwartet die Industrie- und Handelskammer Berlin in den nächsten 20 Jahren. Schon spricht man mit neuem Selbstbewußtsein von der größten Industriestadt in Berlin zwischen Atlantik und Ural. ({9}) Wozu, so frage ich, dazu noch - und mittendrin - Regierungs- und Parlamentssitz? ({10}) Das Projekt der Megastadt ist weltweit in Schwierigkeiten geraten. Überall beginnt ein vorsichtiger Rückzug, eine Entkrampfung durch Dezentralisierung. Tokio versucht sich von Regierungseinrichtungen durch Dezentralisation zu entlasten. ({11}) Warum sollten wir uns in Deutschland in die entgegengesetzte Richtung entwickeln? ({12}) Das schöne Berlin, die Stadt mit großer Liberalität und einer Bürgerschaft mit Witz und unkomplizierter Herzlichkeit, ist groß genug. Das Maximum ist nicht das Optimum. Kolleginnen und Kollegen! Holen wir die heutige Entscheidung auch herunter von der Höhe historischer, kultureller und politischer Perspektiven! Rükken wir sie auch einmal in den Blickwinkel der Betroffenen! Ein Staat, der mit dem Leben nicht rückgekoppelt ist, ist ein fremder, ferner, ein kalter Staat. ({13}) Die Arbeitsplätze von hunderttausend Menschen in dieser Region sind durch einen Umzug von Regierung und Parlament betroffen. ({14}) Jeder dritte Beschäftigte wäre betroffen. Hinzu kommen die Familien. Hunderttausend Beschäftigte! Das ist so, als würden zehn Stahlwerke oder Bergwerke in einer Stadt stillgelegt. Es sind nicht nur Staatssekretäre und Ministerialdirektoren in Bonn beschäftigt. Es sind Menschen, die hier ihre Existenz aufgebaut haben. ({15}) Man trägt seine Heimat nicht wie ein Schneckenhaus mit sich herum. Dieses Jahrhundert hat den Menschen viel Entwurzelung angetan. Der Staat sollte nicht der Betreiber einer kollektiven Umsiedlung sein. Muß sein, was nicht sein muß? Die Wiedervereinigung darf nicht mit einem Programm von Heimatlosigkeit verbunden werden, in keinem Teil Deutschlands, in keiner Stadt! Wir leiden schon genug unter innerdeutschen Wanderungsbewegungen; wir dürfen sie nicht freiwillig verstärken. Manche gehen zu leicht über die menschlichen Kosten des Umzugs hinweg. Es ist auch nicht kleinlich, auf die finanzielle Last des Umzugs hinzuweisen. Brauchen wir denn nicht heute und morgen jede Mark für den Aufbau in den neuen Bundesländern? ({16}) Die arbeitslose Frau oder der arbeitslose Mann, das junge Mädchen, das eine Lehrstelle sucht, der Junge in Gera, Leipzig, Rostock, Erfurt, Frankfurt an der Oder, Schwerin, Magdeburg, Dresden, Chemnitz, Halle oder Bitterfeld - sie haben wahrscheinlich andere Sorgen als die Frage, mit welchen Institutionen eine Hauptstadt versehen sein muß. ({17}) Sie haben ganz andere Sorgen als diese Frage. Wir dürfen die Nöte des Tages nirgendwo übersehen. Berlin und Bonn dürfen nicht für Trennendes stehen, sondern müssen stehen für Gemeinsamkeit und Ergänzung. Das große Berlin und das kleine Bonn ergänzen sich. Das ist wie der große Bruder der kleinen Schwester. ({18}) Es hat der Demokratie in Deutschland nach all den Wirren der Hitler-Zeit und dem aufgeblasenen Pomp und den Paraden der Stalin-Zeit gutgetan, in einer kleinen bescheidenen Stadt Demokratie in Regierung und Parlament vorgeführt zu haben. Es hat unserer Demokratie in der Welt gutgetan. ({19}) Wie hat schon Richard von Weizsäcker einst die Liebenswürdigkeit Bonns beschrieben - ich zitiere ihn - : ({20}) Wenige Regierungszentren ... können sich an humaner Regierbarkeit mit Bonn messen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({21}) Die bescheidene Selbstsicherheit Bonns sollte uns auch in Zukunft begleiten. Deshalb beantragen wir eine bundesstaatliche Lösung mit Berlin und Bonn. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Kompromiß und Konsens versucht; er ist uns nicht gelungen. Wir müssen uns entscheiden; wir wollen uns entscheiden. Mit Bonn verbindet sich der demokratische Neuanfang unserer Geschichte. Mit Bonn verbindet sich die friedlichste und freiheitlichste Epoche unserer Geschichte. Sie soll nie zu Ende gehen. Mit Bonn verbindet sich Westintegration, die Grundlage für die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft freier Völker. Bonn hat nicht seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Mit Berlin zusammen steht Bonn für eine freiheitliche und friedliche Zukunft unseres Landes. Sie haben das Wort, Sie haben die Entscheidung. Wir bitten Sie um die Zustimmung zu unserer bundesstaatlichen Lösung. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Wolfgang Thierse das Wort.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eine wahrhaft wichtige Frage zu debattieren, und wir haben zu entscheiden. Nachdem sich gestern eine Mehrheit des Bundestages gegen einen Volksentscheid in der Hauptstadtfrage gewandt hat, kann sich dasselbe Parlament heute nicht weigern, selbst eine Entscheidung zu fällen. ({0}) Berlin oder Bonn, Bonn oder Berlin oder beide - ein Streit voller Emotionen, mit Ängsten und Hoffnungen verbunden. Ich verstehe die Menschen, die sich gestern auf dem Bonner Marktplatz aus Sorge um ihre eigene Zukunft versammelt haben. Es müssen und sollten hier und heute nicht Hymnen auf die eine und Spottlieder auf die andere Stadt gesungen werden. ({1}) Die Wirklichkeit beider Städte - so unterschiedlich sie sind - widerspricht solchen Versuchen, die allzuleicht zu Karikaturen geraten. Beide Städte sind in jedem Falle grauer oder vor allem bunter als ihre Verzeichnungen, und Bonn ist eine glückliche Stadt. Nein, es geht heute nicht um einen Wettstreit zwischen zwei Städten. Es geht vielmehr um die zukünftige gesellschaftliche und politische Entwicklung, nämlich um einen entscheidenden Schritt bei der Vollendung der Einheit Deutschlands. ({2}) Bei der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, kann es eigentlich, so glaube ich, keinen wirklichen Sieger geben, dafür aber Verlierer mit schwer zu heilenden Verletzungen. Es geht eben nicht nur um 100 000 Menschen in der Region Bonn, sondern auch um ebenso viele oder mehr Menschen in Berlin. Die Stadt ist eben keine menschenleere Gegend. Berlin hat schon Hauptstadtfunktionen, Verwaltungsfunktionen verloren und kämpft auch deshalb mit großen ökonomischen und sozialen Problemen. Darüber hinaus geht es generell um das Verhältnis zwischen Ost und West in Deutschland. Ebenso steht die Frage zur Debatte nach der Identität des gemeinsamen deutschen Staates, nach seiner Selbstdarstellung, nach seinem, unserem Verhältnis zur deutschen Geschichte, nach Kontinuität und geschichtlichem Neuanfang zugleich, nach unserem Verständnis von Europa, zu dem doch wohl wieder und endgültig das östliche Europa gehört. ({3}) Das sind Stichworte, die die Dimensionen der Entscheidung umreißen und die Schwierigkeiten eines überzeugenden Kompromisses verdeutlichen. Wir Berlin-Befürworter haben in unserem Antrag Elemente eines solchen notwendigen Kompromisses zu formulieren versucht, die auch den Sorgen von Stadt und Region Bonn Rechnung tragen sollen, die zugleich aber die volle Funktionsfähigkeit von Parlament und Regierung garantieren. ({4}) Hauptstadt Berlin - das darf nicht ein bloßes Etikett sein, hinter dem sich nichts Substantielles verbirgt. ({5}) Die Abfindung mit sogenannten Repräsentativfunktionen - Berlin als Ort für besondere Anlässe - , das wäre denn doch nicht nur eine Beleidigung für die Berliner, sondern auch eine Erniedrigung der Bürger im Osten Deutschlands. ({6}) Wir halten den Parlamentssitz für das Herzstück einer wirklichen Hauptstadt. Dehalb sollte der Bundestag seinen Sitz in Berlin nehmen. Erst dann ist Berlin wirklich die Hauptstadt Deutschlands. ({7}) Wir wollen allerdings keinen Wanderzirkus, keine Scheinpräsenzen oder nur symbolische Sitzungen in Berlin. Deshalb soll der Bundestag erst nach Berlin umziehen, wenn dort seine volle Funktionsfähigkeit gesichert ist und wenn das Zusammenwirken von Parlament und Regierung möglich ist, wenn das Parlament also seiner Kontrollfunktion voll nachkommen kann. Deshalb schlagen wir eine realistische Planung und einen vernünftigen Realisierungszeitraum für diesen Umzug vor. Was spricht für Berlin? Das erste Argument: politische Glaubwürdigkeit. ({8}) Wer sich 40 Jahre immer wieder feierlich zu Berlin bekannt hat, sollte jetzt nicht eine totale Kehrtwendung vornehmen nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Wer so handelt, zerstört das Vertrauen in die Demokratie, mit dem wir Deutschen ({9}) in die Einheit gegangen sind. Bitte, man sage nicht, daß der Einigungsvertrag diese Kontinuität des Bekenntnisses zu Berlin einfach erledigt hat. Das zweite Argument: politische Gerechtigkeit. Die deutsche Einigung ist unter unerhörtem Tempodruck vollzogen worden; sie verläuft unter extremem Problemdruck. Das hat zu Verletzungen, Ungleichgewichten, Verzerrungen und Benachteiligungen ge2740 führt. Ich sage das ohne jeden Vorwurf in irgendeine Richtung. Denn wir hatten im Grundsätzlichen keine Wahl. Die Chance mußte genutzt werden. Man konnte sie sich nicht aussuchen. Man kann eine Chance höchstens vertun. Aber jetzt, im weiteren Fortgang der deutschen Einigung, müssen wir auf Ausgleich bedacht sein. ({10}) Bisher ist nämlich zu vieles von Ost nach West gewandert: Arbeitsplätze, Arbeitskräfte, also Menschen, Gewinne und nicht zuletzt wirtschaftliche und politische Entscheidungskompetenzen. ({11}) Das ist ein Prozeß, der bisher und wohl auf absehbare Zeit nicht so schnell und so wirksam, wie wir es uns alle wünschen müssen, umgekehrt werden kann, auch durch immense finanzielle Mittel nicht. Deshalb sind besondere politische Anstrengungen zur Herstellung von Gleichberechtigung nötig. Wie könnte das besser dargestellt und bewiesen werden als durch eine Hauptstadt, zu der Ost und West gleichrangig beisteuern, eben Berlin? ({12}) Ob das vereinigte Deutschland im Gleichgewicht, im Einklang mit sich selbst sein wird, das wird vor allem in seinem problematischen, bisher benachteiligten, gedrückten Teil entschieden, im Osten. Was ist das für ein Staatsschiff, in dem alle wirklichen Schwerpunkte im Westen liegen? Frankfurt bleibt Finanzzentrum, Rhein-Ruhr Wirtschaftszentrum, Hamburg-Bremen Handelszentrum, Stuttgart-München Zentrum technologischer Modernität. Was bleibt für den Osten Deutschlands? Das Problemgebiet? Der Sozialfall? Nein, hier muß eine politisch bewußte Entscheidung für ein Zentrum östlich der Elbe gegensteuern. ({13}) Das dritte Argument: der Föderalismus, jenes unersetzliche Element der gelungenen demokratischen Kultur der Bundesrepublik. Ich denke, wir stärken den Föderalismus eher dadurch, daß wir die Hauptstadt dorthin verlegen, wo sie inmitten der schwächeren Länder liegt, und nicht dadurch, daß wir sie unbedingt im einwohnerstärksten und wirtschaftlich mächtigsten Land belassen. Zudem, was ist das für ein Föderalismus, der meint nicht berücksichtigen zu müssen, daß sich zwölf - nachdem Baden-Württemberg gestern auch für Berlin gestimmt hat - der 16 Länder für Berlin ausgesprochen haben? ({14}) Darunter sind alle neuen Länder, weil sie der Überzeugung sind, daß die Entscheidung für Berlin in ihrem ureigenen Interesse liegt. Ich bitte die Bonn-Befürworter sehr, ihre Definitionsmacht nicht so weit zu treiben, daß sie dekretieren, was Interesse der neuen Länder ist oder nicht. Das können die schon selber tun, und das haben sie auch eindeutig getan! ({15}) Viertes Argument: finanzielle Seriosität. Es wird oft gegen eine Entscheidung für Bonn eingewandt, der Umzug sei zu teuer, die Kosten dafür würden dem Aufbau in den neuen Ländern fehlen. Ich will dazu nur drei Sätze sagen: Eine Entscheidung für Berlin wäre eine ökonomisch segensreiche Investition des Vertrauens in die Entwicklung der neuen Länder. Eine Entscheidung gegen Berlin könnte am Schluß vielleicht doch teurer sein als eine positive Entscheidung. Auch die Entscheidung für Bonn ist nicht kostenlos; sie kostet vielmehr viele Milliarden, weil auch hier gebaut werden muß und wird. Man sollte nicht mehr an der Behauptung festhalten, daß in Berlin alles neu geschaffen werden müsse, während in Bonn alles beim alten bleiben könne. ({16}) Wer so denkt und redet, macht Bonn wirklich zum Symbol des „Weiter so", als wäre in Deutschland durch die Wiedervereinigung nichts geschehen. ({17}) Fünftes Argument: gesamtdeutsche Solidarität. Es ist meine Sorge - ich bitte um Entschuldigung -, daß die deutsche Einigung noch immer mißlingen könnte, daß jedenfalls die ökonomische, soziale und menschliche Spaltung nur allzu langsam und opferreich überwunden werden könnte, weil kollektive Besitzstandswahrung, die im einzelnen immer verständlich ist, im Wege steht. Auch ich erinnere an den wichtigsten Satz des vergangenen Jahres, den Lothar de Maizière in seiner Regierungserklärung für die große Koalition gesprochen hat: daß die Teilung nur durch Teilen überwunden werden kann. Es geht bei der heutigen Entscheidung eben nicht nur um ein Symbol, wie die Bonn-Befürworter behaupten. Im Gegenteil, Berlin zum Ort der Repräsentation machen zu wollen, Berlin mit dem Hauptstadttitel nur zu schmücken, heißt, den Osten Deutschlands mit einem Symbol abzufinden. Es geht um wirkliche Solidarität, wenn sie anfängt, einerseits - in der Region Bonn - weh zu tun und andererseits - in den neuen Länder - wirksam zu sein. Was wird uns im Osten Deutschlands nicht alles an grundlegenden, auch schmerzlichen Änderungen des Lebens abverlangt? Alles muß und wird bei uns anders werden. Das ist für sehr viele Menschen wahrhaftig nicht leicht. Ist demgegenüber die gewiß unbequeme Änderung, die mit der Verlegung des Parlamentssitzes verbunden ist, eine solch unanständige Zumutung? Meine Damen und Herren, nicht der Umzug von Parlament und wichtigeren Regierungsfunktionen muß schnell vollzogen werden, sondern die Grundsatzentscheidung für Berlin muß jetzt erfolgen. Sie wäre ein Zeichen, ein wunderbarer Anlaß der Hoffnung auf wirkliche Gemeinsamkeit und Solidarität, einer Hoffnung, die uns, die Menschen im östlichen Deutschland, die großen Probleme der nächsten Jahre leichter überstehen ließe, die uns in Deutschland wirklich näher zusammenrücken ließe. ({18}) Die Entscheidung für Berlin wäre ein durch nichts - durch nichts! - zu ersetzender Schritt zur Verwirklichung der politischen, sozialen, menschlichen Einheit Deutschlands. Ich bitte Sie, ich appelliere an Sie, dieses Zeichen zu setzen, diesen Schritt zu tun. ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Heiner Geißler.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Antrag, den ich vertrete, haben erfahrene Parlamentarier mit jahrzehntelanger Praxis der parlamentarischen Arbeit unterschrieben, die sich das gesunde Urteil über die Frage, ob dieser Antrag mit der Arbeit des Parlaments zu vereinbaren ist oder nicht, nicht absprechen lassen. Es sind Parlamentarier, die nicht wollen, daß wir bei dieser wichtigen Abstimmung zu dem, was die Vertreter von Bonn und Berlin vorgelegt haben, ohne eine Alternative bleiben. Ich habe viele Urteile gehört, Leitartikel, aber auch Aussagen aus dem Ausland. Es hieß zum Teil, schlimme Urteile über das zur Kenntnis nehmen zu müssen, was wir in den letzten Wochen hier gezeigt haben. Aber ich habe diese Urteile nie geteilt, und zwar deswegen, weil man im Ausland vielleicht nicht begreifen kann, daß wir hier in einer ganz neuen Situation sind und weil wir - das ist der Irrtum, der vielleicht auch bei vielen von uns vorhanden ist - vor anderthalb Jahren keine Wende gehabt haben, sondern eine friedliche Revolution in einem über Jahrzehnte geteilten Land, wobei bis in die Debatte des heutigen Tages auch noch die erste Teilung der Deutschen 1848 ihre Spuren hinterläßt. Wir fällen diese Entscheidung in einem Zeitabschnitt, in dem unsere Geschichte wieder Wirklichkeit wird: 47 Jahre Kaiserreich, Preußen, Zweiter Weltkrieg, Weimar, Kataklysma des Nazireiches, 60 Millionen Kriegstote, Flucht und Vertreibung und 17 Millionen Deutsche nahtlos von der braunen Diktatur in die rote Diktatur. Und im Westen: die Demokratie, die längste Zeit freiheitlicher Geschichte, mit dem Namen Bonns verbunden, mit dem Föderalismus, der unser Staatswesen überlegen gemacht hat, eine neue Demokratie, Soziale Marktwirtschaft, Adenauer, Schumacher, Heuss, Europa und die Westbindung - und gleichzeitig Berlin, die Hauptstadt der Freiheit, die Hauptstadt gegen den Anspruch der Usurpation der roten Zaren, Symbol der Menschenrechte und Signal der Freiheit und Hoffnung für Hunderte von Millionen von Menschen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles ist gesagt worden: über Preußen, über die Vielfalt unserer Geschichte. Das alles ist vergangen. Gegenwart ist der 3. Oktober, ist Brandenburg und sind die neuen Länder mit den Ängsten und Hoffnungen von Millionen von Menschen, die für die Freiheit, für die Gleichheit und die Brüderlichkeit auf die Straße gegangen sind, genauso wie die Polen und die Tschechen, wie Lech Walesa für die Polen bei der Einweihung des Denkmals der Arbeiter gesagt hat, die 1970 beim Aufstand zusammengeschossen wurden. Diese Menschen haben jetzt die Freiheit und die Einheit, aber sie haben noch keine brüderliche Gesellschaft. Das ist die komplexe deutsche Wirklichkeit, die Vielfalt, wie sie sich uns darstellt. Jetzt frage ich Sie - und das ist das, was uns bewegt, die diesen Antrag gestellt haben - : Wollen wir diese komplexe deutsche Wirklichkeit, die sich auch in der Hauptstadtfrage - in Bonn und in Berlin - symbolisiert, beantworten mit einem Entweder-Oder, mit einem Alles- oder-Nichts? Dies ist nämlich die Wahrheit. Herr Müntefering hat gestern zu mir gesagt, man soll nicht vom Schaden reden, der entsteht, wenn man diese Alles-oder-Nichts-Entscheidung fällt. Ich kann ihm hier nicht folgen. Auch der Herr Bundesratspräsident hat von einem Schaden gesprochen, den wir vermeiden sollten, einem Schaden, der tiefe Wirkungen haben kann. Deswegen kann ich nichts zur Beruhigung der Gewissen oder zu einem Scheinfrieden beitragen. Diese beiden Anträge - der Bonner Antrag und der Berliner Antrag - liegen nicht nahe beieinander, wie immer wieder getan wird, sondern sie liegen auseinander. Bundestag - das ist die entscheidende Frage; denn der Sitz des Parlaments entscheidet über die Hauptstadtfrage. Und Berlin ist die Hauptstadt und nicht Bonn. So steht es im Einigungsvertrag. ({0}) Wir können diese Frage nicht dahin beantworten, lieber Norbert Blüm, daß wir die Hauptstadtfrage dadurch lösen, daß der Bundestag in Berlin einige herausgehobene Sitzungen in unregelmäßigen Abständen abhält. Das geht nicht. ({1}) Aber es geht auch nicht, daß alles nach Berlin geht. Auch wenn der Berliner Antrag eine zeitliche Strekkung erhält, er geht davon aus, daß endgültig Parlaments- und Regierungssitz beieinander sind. Was antworten wir eigentlich Millionen von Menschen in den neuen Bundesländern? Aber, was antworten wir auch, wenn wir Alles-oder-Nichts machen, auf die Fragen nach den Existenzgrundlagen von Zehntausenden von Menschen hier in diesem Raum? Wenn 4 000 Stahlarbeiter in Rheinhausen auf Kurzarbeit gesetzt werden, dann zittert die halbe Nation, und wir treten in Ruhr- und Regierungskonferenzen zusammen. Aber wir wollen uns anmaßen, innerhalb weniger Minuten die Fragen nach der Existenz von hunderttausend Arbeitnehmern so zu beantworten? ({2}) Ich bin nicht der Auffassung, daß wir dies tun können. ({3}) Ich möchte in aller Ruhe sagen: Es ist viel spekuliert worden, wie diese Entscheidung ausgeht. Aber möglicherweise oder mit Sicherheit wird sie knapp sein. Jeder, der einem Kompromiß nicht zustimmt, muß wissen, was er riskiert. Er riskiert eben die Frage der Arbeitsplätze und der Existenzgrundlagen, und er riskiert z. B. auch die Kostenfrage, Herr Thierse, die wir nicht geringachten dürfen. Kosten, die entstehen würden, wenn es zu einem Totalumzug, vor allem der Regierung, nach Berlin käme. Aber wir riskieren auch - und ich bekenne mich dazu - die Glaubwürdigkeit gegenüber Millionen Menschen, die uns glauben, daß wir es ernst meinen mit einer brüderlichen Gesellschaft und mit dem, was wir in der Vergangenheit gesagt haben. Wir alle sollten zu diesem Kompromiß nicht fähig sein, im Grunde genommen allein weil unsere Vorstellungskraft offenbar nicht ausreicht, noch nicht ausreicht, für das Jahr 2000 - darum handelt es sich doch in Wirklichkeit - das Miteinander und Gegeneinander von Regierung und Parlament in einem modernen Land zu gestalten? Natürlich, wenn der Bundestag in Berlin ist, müssen die Kabinettssitzungen in der Sitzungswoche in Berlin sein. Der Antrag geht davon aus, daß die Regierung Außenstellen in Berlin hat. Es ist die Frage der Gewaltenteilung aufgeworfen worden und die Frage, ob das Parlament in der Lage wäre, die Regierung zu kontrollieren. Gehen wir doch einmal auf die verfassungspolitischen Aufgaben ein. Die Regierung wird doch nicht dadurch kontrolliert - das wissen wir aus unserer eigenen Praxis - , daß die Abgeordneten in den Ministerien die Büros kontrollieren und nachsehen, ob die Beamten arbeiten, sondern die Kontrolle der Regierung funktioniert durch die Gesetze, durch die Aufstellung der Haushaltspläne, durch den Haushaltsausschuß, durch Regierungsanfragen, Kleine und Große Anfragen, durch den Bundesrechnungshof als Kontrollinstrument des Parlaments und durch Untersuchungsausschüsse. Das ist das Instrument der Kontrolle der Regierung. Bleibt die Frage der Kommunikation. Beantworten wir diese Frage in einer neuen Situation, in der wir uns befinden, wo wir sicher nicht alles optimal gestalten können, wenn wir einen Kompromiß wollen, doch nicht so, als ob wir nicht im Zeitalter der Kommunikation, der Information und der Mobilität lebten! Wir selbst haben im Deutschen Bundestag durch unsere Gesetze die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß unseren Institutionen und Unternehmen oder Verbänden durch die Nutzung modernster Kommunikationstechniken Standortvorteile verschafft werden. Wir haben deswegen nicht den geringsten Grund, nun selber dem Parlament diese Mittel nicht ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Ich habe in der Diskussion einen seltsamen Begriff gehört: „Verzahnung der Gewalten". Wir haben nach unserer Verfassung keine Verzahnung der Gewalten, sondern eine Teilung der Gewalten. Das ist die Wahrheit. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Kommunikationsfragen anbelangt, wenn wir dem Vorschlag der einen oder anderen Seite folgen: Ich bin dafür, daß das Parlament als wichtigstes Organ in Berlin eben nicht den Wanderzirkus beginnt. Wenn sich jemand bewegt, dann sollen sich vielmehr die Beamten und die Regierung von Bonn nach Berlin bewegen. ({5}) Dies ist auch möglich und finanziell tragbar. Ich habe einmal ausrechnen lassen: die Umzugskosten, die wir einsparen, würden es uns erlauben, bis zum Jahre 2400 in jeder Sitzungswoche drei Tage lang 500 Beamte in Berlin im Hotel Kempinski zu beherbergen. ({6}) - Es soll mir niemand mit den Umzugskosten kommen. Ich nehme das Argument der Regierungskontrolle ernst. Aber es geht nicht um die Frage, ob etwas verträglich oder unverträglich ist, es geht nicht um die Frage, ob die Verfassung tangiert ist oder nicht, sondern um die Frage, ob wir bereit sind, im Sinne der deutschen Einheit und in der Verantwortung gegenüber unserer Geschichte als Abgeordnete einige Opfer zu bringen, aber Opfer auch den Beamten und der Regierung zuzumuten. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Lassen Sie uns die Denkblockaden, die Dogmen der Bequemlichkeit überwinden! Muten wir uns selber und unserer Regierung und den Beamten einige wenige Opfer zu, was uns ermöglicht, glaubwürdig zu bleiben, der Einheit unseres Vaterlandes zu dienen und gleichzeitig die Chancen auch für eine Erneuerung des Parlaments zu ergreifen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, diesem Kompromiß zuzustimmen, der unsere Frage - davon bin ich überzeugt - im Sinne der Einheit aller Deutschen zu lösen in der Lage ist. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vermutlich gibt es kaum jemanden, der nicht offen oder insgeheim des Streits um Bonn oder Berlin überdrüssig geworden ist. Die Erbitterung und Verbitterung haben leider von Tag zu Tag zugenommen. Aus diesem Krampf müssen wir uns lösen und zur Vernunft zurückkehren. Der Antrag, den ich begründe, versucht, die Brücke zu einem Konsens zu bauen, in dem sich sowohl Berlin- als auch Bonn-Befürworter unter Respektierung ihrer wechselseitig unterschiedlichen Auffassungen treffen können. Es ist ein Vorzug, kein Nachteil, daß der Berlin-Antrag Bundestag und Bundesregierung beisammen lassen will. Das gilt aber ebenso für den Bonn-Antrag. Ich betone, daß ich den Berlin-Antrag so verstehe, daß Berlin zugleich Parlaments- und Regierungssitz werden soll. Auch der Kollege Geißler hat das ja so verstanden. Alle Teilungsanträge opfern die Funktionsfähigkeit des Parlaments der berechnenden Zaghaftigkeit, die sich wenigstens ein Stück der Torte sichern will. ({0}) Wenn es unser gemeinsames vorrangiges Anliegen ist, daß die Arbeits- und Funktionsfähigkeit von Parlament und Regierung unter keinen Umständen beeinträchtigt werden darf, kann eine räumliche Trennung von Parlaments- und Regierungssitz im Sinne einer Aufteilung auf Bonn und Berlin nicht zugelassen werden. ({1}) Das Parlament, das von Berlin aus die Bundesregierung, die in Bonn ansässig bleibt, kontrollieren will, gibt sich selbst auf. Das ist genauso richtig im umgekehrten Fall. Wenn sich zwei Städte um den Austragungsort eines Fußballspiels bewerben, kann die Konkurrenz nicht dadurch geschlichtet werden, daß die eine Mannschaft in Berlin und die andere in Bonn spielt. ({2}) Wir alle müssen es aushalten können, daß heute die Entscheidung entweder zugunsten von Bonn oder Berlin ausfällt. Was wir uns nicht zumuten dürfen, ist ein Scheinkonsens, durch den die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und damit die parlamentarische Demokratie insgesamt in Gefahr gebracht werden. ({3}) Manchmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns fragen, ob wir als Parlamentarier nicht nur das Selbstbewußtsein von Eisenspänen haben, die in ein Magnetfeld geworfen werden. Besser wäre es, heute manifestierte sich die Würde des Parlaments in der verantwortlichen Souveränität einer und eines jeden von uns. Danke sehr. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Peter Conradi zum selben Antrag das Wort.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den Herr Schily und ich begründen, soll in dieser schwierigen Debatte Klarheit schaffen. Unbeschwert von allen Details und Finessen des sogenannten Konsensantrags soll das Haus eine eindeutige Aussage dazu machen, daß es die räumliche Trennung von Parlament und Regierung nicht will. Eigentlich müßte über diesen Antrag vor allen anderen Anträgen abgestimmt werden. Aber der Altestenrat hat anders entschieden. Das zeigt die Verwirrung, die hier in den letzten Wochen entstanden ist. Vielleicht wäre die Verwirrung geringer, hätten wir bei der Beratung dieser Frage den normalen parlamentarischen Weg über die Ausschüsse versucht. So aber haben Gremien beraten, die es in der Verfassung gar nicht gibt, unter Beteiligung von Politikern, die dazu nicht legitimiert sind. ({0}) Der gute Wille dieser Gremien sei nicht bestritten. Aber bei einigen Beteiligten möchte man doch die Kompetenz bestreiten. Denn bei allem Respekt vor der Organbank und ihrer geballten Würde, auch bei allem Respekt vor dem Einfallsreichtum der Kontroll - - ({1}) Bei allem Respekt vor der Phantasie der Konsenskommission habe ich mich doch sehr gewundert, daß uns Politiker, die nie normale Abgeordnete waren, die unser Alltagsgeschäft, etwa die Berichterstattung über ein Gesetz, gar nicht kennen, Modelle für unsere Arbeit vorlegen. ({2}) Ich meine, die Häuptlinge, die im warmen Wigwam bedeutungsvoll die Pfeife rauchen, sollten uns Indianern nicht sagen, wo und wann die Büffel zu jagen sind. ({3}) Der Bundestag hat durch dieses Verfahren nicht an Ansehen gewonnen. Ich bedaure das. Der Konsensantrag, den Herr Geißler hier begründet hat und der eine neue deutsche Teilung will - die Teilung von Parlament und Regierung - , ist ein unehrlicher Vorschlag. Wären sich die Befürworter von Bonn und Berlin des Ausgangs der Abstimmung gewiß, hätten Sie, Herr Geißler, keine Chance mit Ihrem Antrag; denn insgeheim hoffen wohl beide, dieser Konsens würde in einigen Jahren kippen. Da mögen Berliner denken: Wenn das Parlament erst einmal in Berlin ist, wird die Regierung schon nachkommen. Der eine oder andere Bonner mag denken: Jahrelang wird nichts geschehen; schließlich gewöhnen wir uns an Bonn und bleiben doch hier. - Ich versuche, mir vorzustellen, was Herbert Wehner zu Ihrem Vorschlag gesagt hätte. Ich will das hier nicht ausbreiten, sonst bekäme ich Ordnungsrufe. ({4}) Der Teilungsantrag von Herrn Geißler geht an den Kern der parlamentarischen Demokratie. In der parla2744 mentarischen Demokratie müssen Parlament und Regierung ständig miteinander arbeiten, sich ständig miteinander auseinandersetzen und ständig miteinander nach der Mehrheit suchen. Wer das auf die Frage reduziert, ob ein paar Ministerialräte auf der Zeitschiene nach Bonn jetten oder uns ihre Meinung per Fax mitteilen, der hat das Wesen der parlamentarischen Demokratie nicht begriffen. ({5}) Parlamentarische Demokratie, das heißt ja gerade die tägliche, intensive und dichte Kommunikation in vielen informellen Kontakten. Für mich beginnt das bei der Frühstücksrunde im Langen Eugen, wo gelästert wird und wo man erfährt, was in der Woche passiert; es setzt sich im Aufzug fort und endet abends in der Kneipe, wo mir ein Beamter sagt: Stellen Sie morgen im Ausschuß mal die und die Frage; da kann ich Ihnen was Tolles erzählen. ({6}) - Ich schreibe meine Reden, wie Sie wohl wissen, selber auf. Der tägliche, dichte Kontakt zwischen Regierung und Parlament, zwischen Mehrheit und Minderheit wird durch den Teilungsantrag zerrissen. Das Gespräch zwischen Menschen, meine Damen und Herren, kann man nicht durch Technik ersetzen. Gott sei Dank! ({7}) Deshalb sollte jetzt Schluß sein mit dem Taktieren und dem Finassieren, mit dem Nebelwerfen und den immer neuen Verwirrspielchen. Es geht in dieser ersten Entscheidung, die wir fällen, nicht um Bonn oder Berlin. Bonn ist mir wichtig; Berlin ist mir wichtiger. ({8}) Aber die parlamentarische Demokratie ist mir wichtiger als Bonn und Berlin zusammen. ({9}) Deswegen meine ich, wir sollten zuerst gemeinsam beschließen: Wir wollen diese Trennung von Regierung und Parlament nicht. Danach werden wir, wie es sich für ein Parlament gehört - und wenn es sein muß, mit einer Stimme Mehrheit -, über Berlin und Bonn entscheiden. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Gregor Gysi das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier sind schon zahlreiche Argumente für die verschiedenen Städte - scheinbar für die Städte - geäußert worden. Ich kann mich in vielem dem anschließen, was Herr Kollege Thierse hier gesagt hat, und will versuchen, das nicht zu wiederholen. Vielmehr möchte ich nur einige Ergänzungen vornehmen und auch einiges zu den Argumenten sagen, die bereits geäußert worden sind. Zunächst ist der Herr Bundespräsident damit zitiert worden, daß er die Stadt Bonn für liebenswürdig hält - ich füge hinzu: ich auch -; das Toleranteste, was wir hier erlebt haben, waren die Einwohnerinnen und Einwohner von Bonn - gleiches kann man von den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag nicht behaupten - , und wir wissen das durchaus zu schätzen. Aber wer würde sich denn hier hinstellen und sagen, daß es eine Stadt in diesem Land gebe, die man nicht als liebenswürdig bezeichnen und die deshalb ausscheiden würde. Das kann ja nicht das entscheidende Kriterium sein. Ich befürchte auch, daß die Debatte von heute - wenn sie denn so geführt wird - sicherlich nicht zu einer Sternstunde des Parlaments wird, wobei ich ungenügende Erfahrungen aus den Sitzungen dieses Parlaments habe, um einschätzen zu können, wann solche Sternstunden stattfinden. Mein entscheidendes Argument für Berlin ist eigentlich eine Frage nicht nur der nationalen Glaubwürdigkeit, sondern auch der internationalen Glaubwürdigkeit, wenn man sich die Geschichte dieses Deutschlands in seinen beiden Teilen auch und gerade in den letzten vierzig Jahren ansieht. Man sollte noch einmal die vielen Äußerungen nachlesen, die dazu in den letzten vierzig Jahren, insbesondere natürlich von der westlichen Seite, gekommen sind. Ein zweites ganz gewichtiges Argument ist - ich denke, darin ist auch ein Teil des inneren Widerstands begründet -, daß eine Vereinigung, wie sie stattgefunden hat, eigentlich nicht nur zu sichtbaren Veränderungen im Osten Deutschlands führen darf; sie muß doch auch zu sichtbaren Veränderungen im Westen Deutschlands führen. Eigentlich soll hier doch verhindert werden, daß ein solcher erster Schritt der sichtbaren Veränderungen gegangen wird. ({0}) Dann bitte ich Sie, doch auch noch über etwas ganz Spezifisches nachzudenken: Seit der Herstellung der Einheit am 3. Oktober 1990 gibt es nur eine Stadt, in der sich diese Vereinigung tatsächlich unmittelbar vollzieht, weil es nun einmal die einzige geteilte Stadt war. Das heißt, westliche und östliche Probleme stoßen dort direkt aufeinander; dort findet die Vereinigung sozusagen in kompensierter, vielleicht auch zum Teil in verschärfter, vielleicht auch zum Teil in schnellerer Form statt. Ich finde, deshalb ist das Bekenntnis gerade zu dieser Stadt so ungeheuer bedeutungsvoll; denn es ist die einzige Ost-West-Stadt, die wir zu bieten haben. Damit können wir, glaube ich, national und international Signale setzen. ({1}) Ich wundere mich etwas, daß in dem Bonn-Antrag eine ganz wichtige Passage fehlt, nämlich die, welche Beschlüsse des Deutschen Bundestages eigentlich alle aufzuheben sind, damit dieser Beschluß angenommen werden kann. Das wäre eine Liste von mehreren Seiten. ({2}) - Wenn es bestritten wird, würde ich Ihnen gerne wenigstens einen Beschluß aus der 14. Sitzung der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages - also von 1949 bis 1953 - vorlesen. Der Deutsche Bundestag hat damals folgenden Beschluß gefaßt: Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind. So ist der Wortlaut dieses Beschlusses. Das zieht sich wie eine Kette durch die Legislaturperioden des Deutschen Bundestages. ({3}) Zur Fairneß hätte gehört zu sagen: Wir heben hiermit diese 24 oder 25 Beschlüsse auf. Übrigens muß der Deutsche Bundestag damals noch einen merkwürdigen Charakter gehabt haben. Der Beschluß, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe, ging nämlich auf einen Antrag der KPD-Fraktion zurück, wurde durch einen Antrag der SPD-Fraktion geändert und dann mit der überwiegenden Mehrheit der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Das ist meiner Meinung nach schon ein bemerkenswerter historischer Vorgang, ({4}) über den es sich vielleicht auch lohnt nachzudenken, und zwar in anderer Hinsicht. Weiter wird argumentiert - auch Herr Bundesminister Blüm hat es so gesagt -, daß sich z. B. die USA bewußt entschieden hätten, den Regierungs- und Parlamentssitz in Washington - im Vergleich mit New York die wesentlich kleinere Stadt - zu installieren. Die USA waren dann aber auch so ehrlich zu sagen, daß ihre Hauptstadt Washington und nicht New York ist. Wenn Sie sagen, daß Parlament und Regierung in Bonn bleiben sollen, müßten Sie auch die Konsequenz besitzen zu sagen: Wir fordern, daß Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland wird. Das wäre dann in sich konsequent und logisch. ({5}) Aber zu sagen, wir sind für die Hauptstadt Berlin, die entscheidenden Gremien wie Bundestag und Bundesregierung bleiben jedoch in einer anderen Stadt, heißt eine Hauptstadt zu deklarieren, wobei Sie letztlich nicht wollen, daß sie eine ist oder zumindest eine ganz andere wird. Gestatten Sie mir noch einen Hinweis, den ich für wichtig halte. Es wurde in der Presse immer wieder darauf hingewiesen, daß Berlin eine Stadt mit großen Problemen ist. Das stimmt. Die Probleme in Bonn sind natürlich, was das äußere Erscheinungsbild, auch was die innere Zerissenheit und vieles andere betrifft, wesentlich geringer. Aber nun frage ich: Soll ein Parlament, soll eine Regierung wirklich dorthin gehen, wo es problemlos ist, oder sollen Parlament und Regierung nicht genau dorthin gehen, wo die meisten Probleme eines Landes kulminieren, um sich ihnen direkt zu stellen und nicht den Eindruck zu hinterlassen, daß man mit diesen Problemen eigentlich nichts zu tun haben will. ({6}) Sie wissen, daß die Menschen in den neuen Bundesländern auf ein Zeichen warten. Ich finde, sie haben dieses Zeichen und dieses Signal verdient. Ich weiß auch, daß es Argumente aus der Geschichte der Stadt gibt, die gegen die Stadt Berlin herangezogen werden. Ich finde, daß das nicht geht. Erstens hat sich deutsche Geschichte nie in einer Stadt allein abgespielt. Zweitens finde ich, Geschichte muß man annehmen. Man löst sie nicht dadurch, daß man Städte meidet. Das scheint mir überhaupt keine Lösung zu sein. Deshalb kann ich dieses Argument nicht akzeptieren. Unser Antrag weicht deshalb von dem anderen Berlin-Antrag ab, weil er am klarsten die Sitzregelung enthält und weil er nicht Zeiten benennt, bei denen ich ganz unsicher bin, wie die Verfasser des anderen Antrages darauf gekommen sind. Ich halte das für bloße Schätzungen. Vielleicht dauert es länger, vielleicht geht es schneller. Das ist dann in erster Linie eine technisch-organisatorische Frage. Wir haben heute aber eigentlich nur eine politische Entscheidung zu treffen. Deshalb dieser Antrag mit den klaren Aussagen. Natürlich kann die Verlegung erst stattfinden, wenn die entsprechenden Probleme auch in jeder Hinsicht gelöst sind. Das ist eine andere Frage als die Feststellung, wo der Sitz ist. Dann möchte ich gerne etwas zu Bonn sagen. Es kann doch niemand leugnen, daß das für Bonn große Probleme mit sich bringt; das ist wahr. Aber wenn die Bundesregierung und auch der Bundestag immer wieder erklären, daß sie in der Lage sein werden, die wesentlich größeren Probleme der neuen Bundesländer binnen kürzester Frist zu lösen, wieso soll dann eigentlich dieses Land nicht in der Lage sein, Infrastrukturprobleme und Arbeitsplatzprobleme der Stadt Bonn mit einem entsprechenden Förderprogramm zu lösen, das es ganz selbstverständlich geben muß? Wenn Sie sagen, daß man dazu nicht in der Lage ist, wer soll Ihnen denn dann in den neuen Bundesländern noch glauben, daß Sie bei einer wesentlich größeren Fläche und bei wesentlich mehr Bürgerinnen und Bürgern in den nächsten Jahren dazu in der Lage sein wollen, wenn Sie sich für die Stadt Bonn für außerstande erklären, solche Probleme zu lösen, obwohl sie wesentlich geringer sind? ({7}) Ich fasse zusammen und bitte Sie um eine Entscheidung für Berlin. Ich glaube, das ist ein Akt der Glaub2746 würdigkeit, ein Signal für die neuen Bundesländer, ein Bekenntnis, Probleme wirklich anzugehen und auch Unbequemlichkeiten dafür in Kauf zu nehmen, und die Bereitschaft, deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit und nicht nur in einzelnen Zügen anzunehmen. Sie würden damit bestätigen, was gerade in diesem Hause 40 Jahre lang gesagt worden ist, und es nicht plötzlich ad absurdum führen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die ersparte Zeit hebe ich mit für ein anderes Mal auf. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind von manchem in den letzten Monaten überrascht worden. Daß wir im vergangenen Jahr die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit erreichen würden, hat uns jedenfall in der zeitlichen Abfolge gewiß überrascht. Daß wir danach sosehr über den Sitz von Parlament und Regierung würden miteinander ringen, hat mich jedenfalls auch überrascht. Ich glaube, in den 40 Jahren, in denen wir geteilt waren, hätten die allermeisten von uns auf die Frage, wo denn Parlament und Regierung sitzen werden, wenn wir die Wiedervereinigung haben, die Frage nicht verstanden und gesagt: Selbstverständlich in Berlin. ({0}) Die Debatte, die wir geführt haben und noch führen, hat natürlich auch dazu beigetragen, daß jeder die Argumente und die Betroffenheit der anderen besser verstanden hat. Auch ich bekenne mich dazu, daß ich die Argumente und die Betroffenheit derer, die für Bonn sind, heute besser verstehe als vor einigen Monaten. Ich will das ausdrücklich sagen und auch meinen Respekt dafür bekunden. Ich glaube auch, daß es deshalb verdienstvoll war, wenn sich viele - ich auch - bemüht haben, als Grundlage einen Konsens zu finden, ({1}) um vielleicht zu vermeiden, was bei der einen oder anderen Entscheidung damit notwendigerweise an Folgen verbunden ist. Wir haben den Konsens nicht gefunden. Und auf der anderen Seite ist es vielleicht nun auch gut, daß wir heute entscheiden müssen. Für mich ist es - bei allem Respekt - nicht ein Wettkampf zwischen zwei Städten, zwischen Bonn und Berlin. ({2}) Es geht auch nicht um Arbeitsplätze, Umzugs- oder Reisekosten, um Regionalpolitik oder Strukturpolitik. Das alles ist zwar wichtig, ({3}) aber in Wahrheit geht es um die Zunkunft Deutschlands. Das ist die entscheidende Frage. ({4}) Mit allem Respekt darf ich einmal sagen: Jeder von uns - ich wohne ja weder in Bonn noch in Berlin; ich wohne auch nicht in Brandenburg oder in Nordrhein-Westfalen, sondern ich wohne ganz im Südwesten an der Grenze zu Frankreich - ist nicht nur Abgeordneter seines Wahlkreises und seines Landes, sondern wir sind Abgeordnete für das gesamte deutsche Volk. ({5}) Jeder von uns muß sich dieser Verantwortung bewußt sein, wenn er heute entscheidet. Wir haben die Einheit unseres Volkes im vergangenen Jahr wiedergefunden. Das hat viel Mühe gekostet. Nun müssen wir sie erst noch vollenden. Auch das kostet noch viel Mühe. Viele haben oft davon gesprochen, daß wir, um die Teilung zu überwinden, zu teilen bereit sein müssen. Das ist wahr. Aber wer glaubt, das sei nur mit Steuern und Abgaben oder Tarifverhandlungen und Eingruppierungen zu erledigen, der täuscht sich. Teilen heißt, daß wir gemeinsam bereit sein müssen, die Veränderungen miteinander zu tragen, die sich durch die deutsche Einheit ergeben. ({6}) Deswegen kann auch in den sogenannten elf alten Bundesländern - so alt ist Baden-Württemberg übrigens im Vergleich zu Sachsen nicht - nicht alles so bleiben, wie es war, auch nicht in Bonn und nicht im Rheinland. ({7}) Wenn wir die Teilung überwinden wollen, wenn wir die Einheit wirklich finden wollen, brauchen wir Vertrauen und müssen wir uns gegenseitig aufeinander verlassen können. Deshalb gewinnt in dieser Entscheidung für mich die Tatsache Bedeutung, daß in 40 Jahren niemand Zweifel hatte, daß Parlament und Regierung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands ihren Sitz wieder in Berlin haben werden. ({8}) In diesen 40 Jahren - auch das ist wahr - stand das Grundgesetz, stand die alte Bundesrepublik Deutschland mit ihrer provisorischen Hauptstadt Bonn für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Aber sie stand damit immer für das ganze Deutschland. Und das Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland war wie keine andere Stadt immer Berlin: ({9}) von der Luftbrücke über den 17. Juni 1953, den Mauerbau im August 1961 bis zum 9. November 1989 und bis zum 3. Oktober im vergangenen Jahr. Die Einbindung in die Einigung Europas und in das Bündnis des freien Westens hat uns Frieden und Freiheit bewahrt und die Einheit ermöglicht. Aber auch diese Solidarität der freien Welt mit der Einheit und Freiheit der Deutschen hat sich doch nirgends stärker als in Berlin ausgedrückt. Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht. ({10}) Deutsche Einheit und europäische Einheit bedingen sich gegenseitig. Das haben wir immer gesagt, und das hat sich bewahrheitet. Meine Heimat, ich sagte es, liegt in der Nachbarschaft von Straßburg. Aber Europa ist mehr als Westeuropa. ({11}) Deutschland, die Deutschen, wir haben unsere Einheit gewonnen, weil Europa seine Teilung überwinden wollte. Deshalb ist die Entscheidung für Berlin auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas. ({12}) Ich sage noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muß, und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muß, wenn es seiner Verantwortung für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gerecht werden will. Deswegen bitte ich Sie herzlich: Stimmen Sie mit mir für Berlin. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Gerhart Baum das Wort.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Begründung für Bonn ist nüchterner und vielleicht pragmatischer. Sie ist nicht verbunden mit diesem eindrucksvollen Blick in die Vergangenheit, nicht verbunden mit dem Bekenntnis zu Berlin als einem unbezweifelbaren Symbol für die Freiheit. Das kann Bonn nicht leisten. Ich stimme Wolfgang Schäuble ausdrücklich zu: es geht nicht um die beiden Städte. Es wäre völlig verfehlt, diese beiden Städte miteinander zu vergleichen. Sie haben, Willy Brandt, mit Recht gesagt: Es geht um eine Entscheidung, über unsere Zukunftsvorstellungen und über unser Selbstverständnis. Hier habe ich, mit Verlaub, ein anderes Selbstverständnis. Ich sehe, daß sich unsere politische Lage in Europa durch einen tiefen Wandel prägt, daß die Nachkriegsordnung in Europa mit der Trennung Europas und Deutschlands aufgehoben wird. Ich sehe, daß der Einigungsvertrag dies zum Ausdruck bringt und daß er uns ausdrücklich diese Entscheidung offenläßt, damit wir Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, wie sich dieser Wandel in einer Entscheidung für Bonn oder für Berlin ausdrückt. Ich meine, in dieser Zeit, in der wir leben, ist nichts mehr so, wie es war. Wir leben in einer veränderten Welt. Es kann doch nicht darum gehen, etwas wiederherzustellen, was in dieser Form nicht wiederherstellbar ist. Das heißt, die Rückkehr zum Hauptstadtgedanken des 19. Jahrhunderts paßt nicht mehr in die Gegenwart eines Europas und eines förderalistischen Deutschlands. ({0}) Mir haben in den letzten Wochen viele junge Leute geschrieben, ob wir denn in einem Europa der Regionen über die Funktionsfähigkeit der Bundesorgane hinaus überhaupt das Symbol einer Hauptstadt brauchen. Jemand hat geschrieben: Glücklich ist das Land, das seine Hauptstadt gar nicht kennt. Ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung. Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß es ein Glücksfall sein könnte, daß wir eine Hauptstadt Berlin haben, die Deutschland als Ganzes repräsentiert und nicht eine leere Hülse ist. Wir machen Ihnen ja Vorschläge, wie diese Hauptstadt Berlin ihre repräsentative Aufgabe wahrnehmen kann. Es wäre sicherlich ein Glücksfall, meine ich, wenn wir eine funktionierende Stadt, wie es Bonn ist, mit einem Regierungs- und Parlamentssitz haben. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in einem vereinten Europa auch über Brüssel sprechen, unsere europäische Hauptstadt. Es ist jetzt nicht die Stunde der Zentralisierung, sondern der Dezentralisierung. Es ist die Stunde der Aufgabenteilung. ({1}) In diesem zusammenwachsenden Europa kommt den Regionen eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Menschen finden angesichts von immer mehr Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene ihre Identität in den europäischen Regionen. Europa und unser Land gewinnen ihre Kraft aus der Vielfalt. Dem entspricht unser förderalistisches System, um das uns viele Völker beneiden. Unser Votum für eine Aufgabenteilung entspringt dem Bekenntnis zu dem bewährten förderalistischen Prinzip in der Bundesrepublik Deutschland, unserem vereinten Lande. Bonn ist daher von der heutigen Entscheidung keineswegs allein betroffen, sondern es steht stellvertretend für die anderen deutschen Regionen. Die Forderung des Tages heißt Dezentralisierung, nicht Konzentration. In diese neue Situation in Europa paßt nur ein Konzept der Vielfalt, des Föderalismus, der Aufgabenteilung. Der Satz , daß die Teilung nur durch Teilen zu überwinden ist, gilt für Bonn und Berlin, aber auch für alle anderen deutschen Regionen. Wolfgang Schäuble, Sie haben recht: Berlin ist - ich sagte es schon - in besonderer Weise ein Symbol für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Aber ist nicht auch Bonn ein Symbol für 40 Jahre erfolgreiche Demokratie, die das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt begründet hat, ihre europäische Integration vollzogen und schließlich auch die Chance der deutschen Einheit offengehalten hat? Geht es nicht auch um dieses Symbol Bonn, um das wir heute ringen? Bonn war doch nicht die Idylle, in die sich die Politiker vor der weltpolitischen Verantwortung geflüchtet hätten. Hier wurde keine enge Politik gemacht, die man im schlechten Sinne als provinziell bezeichnen müßte. Alle Parteien haben von Bonn aus dazu beigetragen, daß sich die Deutschen zu einer beispielhaften Demokratie entwickelt und eine neue Verantwortung in Europa übernommen haben. Die Aufgabenteilung bedeutet, daß Berlin Deutschland als Ganzes repräsentiert: mit dem Bundespräsidenten, dem Bundesrat, zusätzlichem Dienstsitz des Bundeskanzlers und auch Sitzungen des Deutschen Bundestags. Aber es geht heute - da stimme ich allen Vorrednern zu - im Kern um die Entscheidung: Wo bleibt der Deutsche Bundestag? Ich spreche mich nachdrücklich für das politische Bonn aus, für das Verbleiben des Bundestags in Bonn. ({2}) Ich stimme dem zu, was gesagt wurde: Es ist nicht möglich, Bundestag und Bundesregierung zu trennen. Es ist auch nicht möglich - wie es die Berliner in ihrem Antrag schreiben - , die Ministerien horizontal zu trennen und irgendetwas in Bonn als Regierungsstadt zu belassen. Das ist nicht möglich. Wir befürchten, daß eines Tages, wenn wir nicht diese Grundentscheidung für den Bundestag in Bonn, für das politische Bonn treffen, alles nach Berlin geht und die Wirkungen eintreten, die geschildert worden sind. Das wollen wir nicht. Wir wehren uns gegen den Vorwurf, daß unser Vorschlag den tatsächlichen Vollzug der deutschen Einheit, die wichtigste Aufgabe aller Deutschen in den nächsten Jahren, behindert. Wir wollen die Veränderungen tragen, Wolfgang Schäuble. Es ist wirklich die wichtigste, die schwierigste Bewährungsprobe unserer Demokratie. Wir bedauern, daß die Entscheidung für oder gegen Berlin unrichtigerweise als eine Symbolentscheidung für den Vollzug der Einheit aufgebaut worden ist. Wir sind ganz im Gegenteil der Meinung, daß wir für die Einheit sehr viel mehr tun können, wenn wir uns auf die vorgegebene Aufgabenteilung beschränken und uns nicht neue Probleme aufladen, die ganz und gar unnötig und überflüssig sind. ({3}) Wir brauchen gerade jetzt eine funktionierende, eine funktionsfähige Regierung mit ihrem ganzen Apparat. Wir müssen die großen, die die Menschen belastenden Strukturprobleme in den neuen Bundesländern lösen. Das können wir doch nur tun, wenn wir uns ihnen direkt widmen und nicht auf dem Umweg über Berlin. Die neuen Länder brauchen sofort wirksame Hilfe und nicht eine symbolische Ersatzmaßnahme. ({4}) Im Gegensatz zu Bonn kann man sich von Berlin als Stadt eine Vorstellung machen, die nicht mit dem Regierungs- und Parlamentssitz verbunden ist. Nirgendwo wie in Berlin treten die Vereinigungsprobleme so realistisch und mit solch explosiver Sprengkraft auf. Wir möchten an dieser Herausforderung mitwirken, aber dazu brauchen wir doch nicht in Berlin zu tagen. Dazu müssen wir uns so oft wie möglich nach Berlin und in die neuen Bundesländer bewegen. Es wird unbequem, Abgeordneter zu sein, und es muß unbequem sein. Wir müssen die Probleme in allen neuen Bundesländern studieren und nicht nur in Berlin. ({5}) Wir haben Gutachten auf dem Tisch, die die Befürchtungen bestätigen, daß Berlin schon heute ein große Sogwirkung zuungunsten der anderen Regionen ausübt. Die notwendigen Finanzressourcen für die Modernisierung Berlins und die Umwandlung der Stadt in eine Weltmetropole werden - so heißt es - die anderen Städte, vor allen Dingen in den neuen Bundesländern, in ihrer Entwicklung behindern. Es wird befürchtet, daß Berlin zu viele Kräfte bindet und die Entwicklung in den anderen Zentren, insbesondere in den neuen Bundesländern, behindert. ({6}) Als Abgeordneter, der aus Köln kommt, habe ich auch die Pflicht, mich mit den Folgen auseinanderzusetzen, die eine Annahme des Antrags für die Region hätte. Die Menschen hier möchten alles tun, um die Einheit tatsächlich zu verwirklichen. Aber sie haben kein Verständnis für Probleme, die man ihnen zusätzlich und überflüssigerweise aufbürdet. Mindestens 100 000 Menschen sind unmittelbar, viele mittelbar betroffen. ({7}) Es geht nicht um Geld, sagen viele. Ich möchte das jetzt auch gar nicht zum Hauptthema machen. Es geht auch um Geld. Jede Mark, die für diesen Umzug ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. Meine Damen und Herren, es geht um die Menschen, es geht um die Akzeptanz unserer Entscheidung in Bonn und Umgebung. Für diese Akzeptanz ist bis zum heutigen Tage nichts getan. ({8}) Wir entscheiden über eine Aufgabenteilung. Unser Konzept steht, wie Robert Leicht es vor einiger Zeit ausgedrückt hat, für den Geist der Mäßigung. Wir sind vor einigen Monaten in einem Memorandum vom Bundespräsidenten ermahnt worden, eine Entscheidung zu treffen, mit der wir vor dem Urteil unserer Nachkommen in 20 Jahren bestehen können. Nach vielen Gesprächen mit Vertretern der jungen Generation meine ich, daß wir der Zustimmung der jungen Generation - insbesondere der jungen Generation - sicher sein können, weil wir mit unserem Konzept den Zukunftsvorstellungen entsprechen, die die jungen Menschen aus vier Jahrzehnten guter deutscher Politik in Bonn ableiten. ({9}) - Ich war sehr oft in Dresden. Ich bin Dresdner und habe in meinem Elternhaus in Dresden als erste Lebenserfahrung politischer Art eine gewisse Distanz zu Berlin mitbekommen, Herr Kollege. ({10}) Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Stimmen Sie für ein Konzept, das unser Volk am wenigsten zerreißt und unserem Bundesstaat in einem vereinten Europa am ehesten entspricht. Stimmen Sie für den Vorschlag der Bonn-Befürworter. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Willy Brandt das Wort.

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir brauchen uns keinen Spiegel vorhalten zu lassen, um zu erkennen, daß eine folgenreiche Entscheidung selten so verwirrend und unzulänglich vorbereitet worden ist wie die heutige. ({0}) Ich denke, Frau Präsidentin, man tritt auch unserem Präsidium nicht zu nahe, wenn man es in diesen Wochen hart an der Grenze der Überforderung vermutete. Wochen-, nein monatelang ist in der Öffentlichkeit Lobbyismus als Gemeingut feilgeboten worden. ({1}) Dabei hätte doch längst auf dem Tisch liegen können, wie - über Berlin und Bonn hinaus - Bundesbehörden und Bundesgerichte vernünftig auf die Länder - alte und neue - verteilt werden sollen. Darum war auch gebeten worden. ({2}) Und warum wurde über die finanziellen Aspekte der Hauptstadtfrage nicht objektiver informiert, als ich es jedenfalls wahrgenommen habe. Auch darum wurde vor Monaten gebeten. ({3}) Die Öffentlichkeit wurde aufgeschreckt, weithin nicht fair unterrichtet, schon gar nicht im Vergleich zu milliardenschweren Fehleinschätzungen oder Fehlentscheidungen in anderen Bereichen. ({4}) Ich weiß auch: Es muß heute entschieden werden. Trotzdem sage ich: Im Grunde fehlen wichtige Voraussetzungen dafür, über einen Gegenstand von diesem Gewicht über den Tag hinaus verantwortlich entscheiden zu können. ({5}) Es läßt sich daher nicht ausschließen, daß hier heute zu kurz springen und geradezu zum Nachsitzen aufgefordert werden könnte. Bei einer deutlichen Zuordnung von Bonn neben, nicht vor Berlin hätte sich das vermeiden lassen. Wer wollte, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bestreiten, daß es sich am Rhein gut leben, auch angenehm arbeiten läßt? Aber hier kann es nicht um unser Wohlbefinden und unsere alltäglichen Annehmlichkeiten gehen. ({6}) Es geht um eine nationale Weichenstellung. Also kann es sich auch nicht vorrangig um das handeln, worauf mich beispielsweise mein Verbandsbürgermeister - er kommt hier ganz aus der Nähe - hinweist, nämlich daß Kindern zugemutet werde, neue Spielkameraden zu finden, wenn Eltern umziehen. Ich unterschätze auch solche Probleme nicht. Aber ich sage: Ob es einem immer behagt oder nicht - dieses und anderes gehört zu einer mobilen Gesellschaft. In der Wirtschaft werden Standortbestimmungen unter dem Gesichtspunkt dynamischen Wandels getroffen, im eigenen Land und darüber hinaus. Unsere Aufgabe ist es, erstens mit dafür zu sorgen, daß Teilung durch Worthalten überwunden wird, ({7}) zweitens so nahe wie möglich an dem zu bleiben, was der Bundestag seit 1949 - ich war schon dabei - beschlossen und versprochen hat, drittens, so zu entscheiden, daß wir die neue Lage Deutschlands ebenso im Auge behalten wie die veränderte europäische Realität. Berlin - das bedeutet heute zusätzlich zu anderem eine mehr als symbolische Form von Solidarität mit dem Osten unserer größer gewordenen Bundesrepublik. Beim Thema Europa scheinen einige zu meinen, nationale Hauptstädte werde es bald nicht mehr ge2750 ben. Ich habe da meine Zweifel, was den Zeitraum angeht. ({8}) Ich rege Wiedervorlage an, wenn die Briten London, die Spanier Madrid et cetera abgeschafft haben werden. ({9}) In Frankreich wäre übrigens niemand auf den Gedanken gekommen, im relativ idyllischen Vichy zu bleiben, als fremde Gewalt der Rückkehr in die Hauptstadt an der Seine nicht mehr im Wege stand. ({10}) - Sie wollen den Vergleich mit fremder Gewalt nicht akzeptieren? (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Nicht mit Vichy! - Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Nein, nicht mit Vichy!) - Da sind die nun mal hingegangen. Die Sonne würde sich nicht danach richten, sollte hier beschlossen werden, sie habe sich künftig um die Erde zu drehen. ({0}) Deutschlands Stellung in dem sich ökonomisch und politisch ausdehnenden Europa wird nicht daran gemessen werden, wie kilometernah unsere Hauptstadt bei Brüssel liegt. Deutschland bleibt nicht der Osten vom Westen, sondern es wird zur neuen Mitte Europas. Berlin liegt da gut, auf beide Schienen bezogen: Nord-Süd und West-Ost. Deutschland braucht keine Hauptstadt eigens für Cocktailempfänge. ({1}) Berlin, in schweren Jahren Vorposten der Freiheit, hat es auch nicht verdient, mit einem Ehrentitel ohne sachlichen Inhalt abgespeist zu werden. ({2}) Man darf bezweifeln, ob die Kollegen aus dem anderen Teil Deutschlands richtig gewußt haben, was ihnen im vorigen Jahr mit dem Einigungsvertrag zugemutet wurde. Ich habe auch nicht gleich bemerkt, daß es um nicht weniger ging, als die Hauptstadtbeschlüsse des Bundestages seit 1949 auszuhebeln. Statt dessen hätte man sagen können: Berlin übernimmt nach und nach die ihm vorbehaltene Rolle der Hauptstadt Deutschlands - weshalb war sonst bis 1989 vom Provisorium die Rede? -, Bonn behält wichtige Behörden und erhält neue Aufgaben hinzu. Es ist immer noch möglich, sich entsprechend zu entscheiden, und zwar so, daß die Lebensqualität der Bonner Region ebenso gewahrt bleibt wie die der beim Bund Beschäftigten. Wenn ich dies sage, so bin ich sicher, über Parteigrenzen hinweg für den größten Teil derer mitsprechen zu können, die diese Bundesrepublik wesentlich haben formen geholfen. Die nicht mehr unter uns sind, brauchen sich nicht mehr anzuhören, die Zeit der Alten sei vorbei. Die dessen aber so sicher sind oder scheinen, werden noch erfahren, daß die Geschichte diejenigen einzuholen pflegt, die ihr zu entkommen trachten. ({3}) Man verschone uns, will ich sagen, mit dem unsinnigen Gerede - gestern abend war davon wieder einiges auf unappetitliche Weise über das Fernsehen vermittelt worden - , durch das Berlin mehr als andere deutsche Städte zum Hort verbrecherischen Nazismus und gefährlichen Nationalismus gestempelt werden soll oder als Stadt und Bevölkerung für die im Ostteil der Stadt angesiedelte Führung der SED und ihrer Blockpartner verantwortlich sein soll. So daherzureden ist nicht würdig. ({4}) Deutsche Städte und Regionen, übrigens auch Universitäten, sollten sich miteinander der kollektiven Peinlichkeit enthalten, die es bedeutet, wenn ihre Herolde einander den unterschiedlichen Grad von Verstrickung in totalitäre Herrschaft vorwerfen. Schließlich, ich denke, daß Preußische taugt immer noch zu mehr als einer bloßen Karikatur. ({5}) Und Föderalismus, moderne Bundesstaatlichkeit kann gewiß nicht nur vom linken Rheinufer aus vernünftig wahrgenommen werden. Verehrter Herr Kollege Baum, wenn schon Föderalismus, darf nicht dann auch wiegen, daß sich von 16 Landtagen 12 für Berlin ausgesprochen haben? ({6}) Für mich gehört zu den unauslöschlichen Daten meines Lebens das, was wenige Jahre nach dem Krieg im deutschen Westen an neuer freiheitlicher Staatlichkeit errichtet worden ist. Bonns Verdienste sind nicht nur unbestritten, sondern haben geschichtlichen Rang. Doch die freiheitliche Selbstbehauptung West-Berlins ging dem noch voraus. Die Wiege der deutschwestlichen Freundschaft stand an der Spree. Die Volkserhebung vom Juni 1953 in Ost-Berlin und dem, was wir damals die Zone nannten, stand nicht am Ende, sondern am Anfang jenes Kettenrasselns, aus dem jetzt die Chance der gesamteuropäischen Einheit in Freiheit wurde. Auch hierauf gilt es angemessen zu antworten, wenn wir heute darüber entscheiden, ob Berlin deutWilly Brandt sche Hauptstadt werden soll - Deutschlands wegen, mehr als bloß nach dem Namen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister Theo Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Abgeordneter sprechen, obwohl man selbstverständlich nicht leugnen kann, welche Funktion man zu dem Zeitpunkt ausübt. Bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und bei der Mitwirkung am Einigungsvertrag haben wir uns und habe ich mich mit Ihnen von dem Auftrag leiten lassen, eine Politik des Augenmaßes zu betreiben. Wir hatten bei der Wiederherstellung der Einheit in politischer, rechtlicher und ökonomischer Hinsicht Prioritäten festzustellen und danach zu handeln. Das waren die gesamtwirtschaftliche Vertretbarkeit, die haushaltspolitische Machbarkeit, der Vorrang der Menschen, was ihre Arbeitsplätze und ihre soziale Situation anbelangt, die Infrastruktur und der soziale Ausgleich. Wenn man diese Dinge in den Vordergrund rückt, dann geben sie wenig Ansatzpunkte für Pathos, für verständliche Emotionen. Ich hätte mir gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß bei dieser Debatte auch nicht unterschwellig etwas gegen den anderen Standort, gegen die andere Stadt gesagt worden wäre. ({0}) Verehrter Herr Kollege Brandt, Sie wissen, daß ich Sie schätze. Der Vergleich mit Vichy, auch wenn er so nicht gemeint war, hat nicht gepaßt. ({1}) Seien Sie mir nicht böse, wenn ich das als Jüngerer zum Älteren sage. Schnelle Entscheidungen waren notwendig: bei der Währungsunion und beim Einigungsvertrag. Es waren Geschwindigkeiten erforderlich, die über das ökonomisch eigentlich Zumutbare, Gebotene und Richtige hinausgingen. Wir mußten sie im Interesse der Menschen treffen. Ich meine, diese Entscheidungen waren wichtiger als die gegenwärtige Entscheidung über die Frage des Regierungssitzes. ({2}) Die Entscheidung von heute - das ist meine persönliche Meinung - mußte nicht jetzt und nicht in dieser Form getroffen werden. Ich teile die Meinung, sie hätte noch einer eingehenderen Vorbereitung bedurft, und eine solche wäre auch möglich gewesen. Ich habe mich von Anfang an für eine sinnvolle I Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn ausgesprochen. Ich habe mich von Anfang an für eine Fortentwicklung der Elemente des Vorschlags von Bundesratspräsident Voscherau ausgesprochen. Trotz mancher Bedenken und anderer Meinungen auch in meiner eigenen Partei ist mir der Vorschlag des Kollegen Geißler lieber als ein Entweder-Oder. ({3}) Die heutige Entscheidung wird Ausgangspunkt für weitere Beratungen über das Schicksal beider Städte sein. Wer meint, dies sei heute mit dieser Debatte und mit einer Entscheidung für immer abgeschlossen, der irrt. Und doch bin ich dafür, daß der Bundestag diese Entscheidung fällt und daß sie nicht durch einen Volksentscheid getroffen wird. Denn ein Volksentscheid hätte uns noch viel größere und schwerwiegendere Probleme in der politischen Willensbildung gebracht. ({4}) Die Bekenntnisse zu Berlin haben Gewicht, und niemand ist unbeeindruckt von dem, was der Kollege Schäuble, der Kollege Thierse und der Kollege Brandt dazu gesagt haben. Aber es muß auch ein Hinweis auf die vielfach wechselnden Hauptstädte in Deutschland erlaubt sein. Jeder geschichtliche Abschnitt war zumindest mit einer, zum Teil auch mit mehreren Hauptstädten verbunden: ({5}) von Aachen und den übrigen Kaiserpfalzen über die mittelalterlichen Reichstagsorte, Frankfurt als Sitz der Bundesversammlung bis hin zu Berlin. Es gibt auch keinen Widerspruch zwischen historischer Kontinuität und neuer Tradition; denn das wiedervereinigte Deutschland 1990 umschließt eine Vielzahl historischer Vermächtnisse und neu begründeter Traditionen. Es ist nicht kleinkariert, meine Damen und Herren, wenn man sagt, daß neben der historischen Dimension auch die Funktionsfähigkeit der Regierung und der Verwaltung und die Finanzierbarkeit aller Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren hier in der Diskussion eine Rolle spielen müssen. ({6}) Ich habe mich hier nicht zum Apologeten irgendwelcher grob geschätzter Zahlen gemacht. Es war auch nicht möglich, als Finanzminister von mir aus, ohne das die Regierung als Ganzes dazu Stellung genommen hätte, diese Diskussion zu bestimmen; das wäre nicht fair und nicht gut gewesen. Dennoch kommt niemand daran vorbei, daß es Zahlenschätzungen in der Größenordnung von 30 bis 40 Milliarden DM gibt. Andere sprechen davon, daß es im Zeithorizont das Doppelte oder noch mehr sein wird. Dann bin ich verpflichtet, darüber nachzudenken, ob es richtig ist, in anderen Bereichen zu dieser oder jener Frage nein zu sagen, zu dieser oder jener Hilfe im sozialpolitischen Bereich nein zu sagen oder für diese oder jene Sanierung nicht die notwendigen Mittel zu geben, während auf der anderen Seite so kostenträchtige Entscheidungen fallen. Meine Damen und Herren, ich habe über die Notwendigkeit der Funktionsfähigkeit der Verwaltung das Nötige gesagt. Wir sollten auch jetzt noch versuchen, Chancen für die Erprobung einer örtlichen Trennung von Verfassungsorganen zu nutzen. Bundespräsident und Bundesrat, obwohl wir hier über den Bundesrat nicht zu verfügen haben, könnten kurzfristig nach Berlin umziehen. Das wäre ein wichtiges Zeichen, das schnell und nicht erst in einer Zeitachse von 10 oder 15 Jahren gesetzt werden könnte. ({7}) Dazu gehört selbstverständlich auch, daß der Reichstag funktionsfähig ausgebaut werden muß und daß bedeutsame Sitzungen in Berlin stattzufinden haben. Meine Damen und Herren, es muß hier auch die Rolle des Föderalismus gesehen werden. Ein gefestigter Föderalismus ist für die Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar. Wir müssen die Vielfalt der Ballungsräume und der Zentren sehen und entwickeln. Wir wollen nicht nur eine Metropole, wie es in anderen Ländern der Fall ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Waigel, Sie haben soeben dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß Sie nicht in Ihrer Funktion als Bundesminister sprechen. Umso leichter fällt es mir, nun darauf hinzuweisen, daß Sie die Redezeit, die Ihnen zugemessen worden ist, auch einhalten müssen. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident, für den Hinweis. Bei dieser Frage übersieht man mitunter Redezeitbegrenzungen. Ich gebe das gerne zu. Trotz vieler Bedenken sage ich in der ersten Abstimmung ja zu dem Vorschlag des Kollegen Geißler, weil er nichts verbaut. ({0}) Wenn er abgelehnt wird, spreche ich mich für die „Bundesstaatslösung" in Drucksache 12/814 aus, ({1}) weil damit sichergestellt ist, daß zwei Verfassungsorgane sogleich ihren Sitz in Berlin nehmen können. Wir stehen heute bei dieser Entscheidung vor der Frage: Was ist ethisch verantwortliches Handeln in der Politik? Ich als Abgeordneter, als Parteivorsitzender und auch als Finanzminister halte mich an das, was der Münchener Philosoph Spaemann dazu sagt: „Ethisch verantwortliches Handeln in der Politik heißt, das bonum commune sehen und unter gegebenen Umständen, die man sich nicht aussuchen kann, das unter diesen Umständen Bestmögliche und damit Richtige zu tun." - In dieser schwierigen Abwägungsfrage sprechen die gewichtigeren Gründe für die bundesstaatliche Lösung. Das heißt, auch danach alles zu tun, um zu einem Konsens in dieser Frage zu gelangen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, die deutschen und nicht deutschen Bürger und Bürgerinnen der um die im Herbst 1989 frei gewordenen Länder vergrößerten Bundesrepublik, wohnen seitdem in einem Lande, das im Westen an die Niederlande und Frankreich, im Osten an die Föderierte Republik der Tschechen und Slowaken und an die Republik Polen grenzt. So steht es demnach um unsere eigene Geschichte. Sie füllt die Epochen aus zwischen jenem Befreiungskampf der Niederlande, in dem Glaubensfreiheit politische Befreiung ermöglichte, zwischen jener Revolution in Frankreich, in der Menschenrechte nationale Bürgerrechte begründeten, und jenem östlichen Mitteleuropa, das im Prag von 1348 seinen Eintritt in die Universitas jener Lehrenden und Lernenden vollzog, die Europa seit dem 12. Jahrhundert in den Entstehungsort einer neuen Art, einer revolutionären Art von Gesellschaft verwandelt hatte, eine Verwandlung, die Osteuropa ergriff, als sich Polen 1793 als erstes nicht-französisches Land Europas eine geschriebene Verfassung gab. Wie irren diejenigen, die glauben, Berlin sei 1871 deutsche Hauptstadt geworden! Berlin wurde dies zwischen 1806 und 1810, als dort nach dem Ende des mittelalterlichen Reiches - das, Herr Abgeordneter Waigel, niemals eine Hauptstadt besessen hat, auch nicht Aachen; dazu hätten die Römer etwas zu sagen gehabt - und dem Zusammenbruch des Absolutismus in Preußen diejenigen zusammentrafen, die verstanden hatten, daß erstmalig wieder die politische die zentrale Aufgabe aller Wissenschaft geworden war. Weil die Gründung der Berliner Universität die authentische Antwort auf diese Veränderung der politischen Landkarte war, saßen die Osteuropäer Cieskowsky, Kirejewski, Bakunin, Herzen und andere in den Hörsälen Schleiermachers, Hegels und Schellings, um in den neu eröffneten Diskurs der Völker über ihre Freiheit einzutreten. Das und nichts anderes ist der Anlaß dafür, warum der Deutsche Bundestag, das Parlament der Bürgerinnen und Bürger aller deutschen Länder, heute vor der Aufgabe steht, die Konsequenzen daraus zu ziehen, daß nunmehr endgültig aus der ehemaligen Reichshauptstadt die Bundeshauptstadt Berlin geworden ist. In Berlin endete am Abend des 20. Juli 1944 der letzte Versuch des deutschen Volkes, sich aus eigenen Kräften vom schlimmsten Tyrannen seiner Geschichte zu befreien, von demjenigen, der nach Mordversuchen an anderen Völker das eigene in seinen Selbstmord hineinziehen wollte. In Berlin wehte im April 1945 die Flagge der siegreichen Sowjetunion, Zeichen dafür, daß dem irregeleiteten deutschen Volk nur noch durch die Niederlage zu helfen war. In Berlin wehten schließlich die Flaggen der Anti-Hitler-Koalition, weil nur die Weltmacht Demokratie die Deutschen befreien konnte, jene Weltmacht, die in Nordamerika begründet und in Frankreich den alten Kontinent erfassend die Geschichte der Neuzeit zur Geschichte der Befreiung, der Emanzipation werden ließ. In Berlin schließlich endete der letzte Versuch auf deutschem Boden, Demokratie durch Diktatur zu ersetzen. Er endete, als am 4. November 1989 diese Diktatur auf dem Alexanderplatz erschüttert und am 9. November 1989 auf der Bornholmer Straße ihres Mauerregimes beraubt wurde. ({0}) All das geschah, und es geschah, wie es geschehen ist, weil alle Versuche, Berlin aus der deutschen Hauptstadt in die Hauptstadt der DDR zu verwandeln, diese Stadt von den übrigen Teilen Deutschlands, seinen Ländern und Menschen zu trennen, am Widerstand der Berliner seit Juni 1953, an der gemeinsamen Überzeugung der deutschen und nicht deutschen Mitbürger und Mitbürgerinnen und am ebenso selbstverständlichen wie demonstrativen Beistand der freien Welt gescheitert sind. ({1}) Die Luftbrücke vom August 1948 bis Sommer 1949 wird für immer an diesen Beistand erinnern, eines der wenigen Symbole, die sich vom blutrünstigen Horizont des Wolfsjahrhunderts leuchtend abheben. Aber so war es: Als Ernst Reuter am 9. September 1948 auf der Massenkundgebung vor dem Reichstag an die Völker der Welt appellierte, nach Berlin zu schauen, da blieb sein Ruf nicht ungehört. Sie haben nicht nur nach Berlin geschaut, sondern sie sind hingekommen, um wie John F. Kennedy zu demonstrieren, daß man, wenn es um Freiheit und Demokratie geht, nicht nur in deutschen Landen Berliner sein muß. Der Deutsche Bundestag schickt sich heute an, hieraus die Konsequenzen zu ziehen. Er tut es auf klaren völkerrechtichen, staats- und verfassungsrechtlichen Grundlagen. Art. 7 des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990 stellt das Ende der Viermächteverantwortung für Berlin fest. Damit aber wurde es möglich, jenen Bundestagsbeschluß, der schon zitiert wurde, zu realisieren, daß der Sitz der leitenden Bundesorgane nach Berlin, in die Hauptstadt Deutschlands, zu verlegen sei.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Ullmann, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Dr. Briefs möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden? ({0})

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Danke Herr Kollege Ullmann. Ich habe extra bis zu diesem Punkt gewartet, weil ich Sie fragen möchte, ob es Zufall ist, daß Sie in der Darstellung der historischen Funktion Berlins kein Wort über die Hauptstadtfunktion Berlins in der Zeit von 1933 bis 1945 gesagt haben. ({0})

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr wohl überlegt. Was da geschehen ist, ist bekannt. Was ich hier in den Mittelpunkt zu stellen hatte, ist sehr viel weniger bekannt. ({0}) Das gleiche gilt für die Berlin-Erklärung, die am 26. Mai 1952 im Zusammenhang mit dem Deutschland-Vertrag abgegeben wurde. Sie begründet die besonderen Verpflichtungen des Bundes gegenüber Berlin mit der besonderen Rolle, die Berlin für eine Selbstbehauptung der freien Welt gespielt hat und ferner zu spielen berufen ist, und vor allem damit, daß Berlin bestimmt ist, die Hauptstadt eines freien und wiedervereinigten Deutschland zu werden. Ich stehe nicht an, hierauf Leitsatz 4 des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 anzuwenden, wonach kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik es auf geben darf, auf die Erreichung des Zieles der Einheit hinzuwirken, und alles zu unterlassen hat, was die Wiedervereinigung vereiteln würde. Was bedeutet das für Bonn, die Stadt und die Bewohner der ganzen Region? Es bedeutet für sie, daß gerade sie am besten verstehen können, was jetzt in der dereinstigen DDR an politischen, sozialen und biographischen Veränderungen vorgeht. Nichts bleibt so, wie es einmal war. Ein neues Zeitalter hat begonnen, eines, das unsere kühnsten Phantasien sich nicht ausdenken konnten. Wir haben keine Alternativen, auch nicht dazu, alle Geburtswehen dieses lebensnotwendigen Neuanfangs auszuhalten. Und dessen darf man hier am Rhein gewiß sein: Nicht mehr aufzulöschen aus der deutschen Geschichte ist, was von hier aus für eine neue, nicht mehr feindselige Nachbarschaft zwischen Frankreich und Deutschland getan und damit für die europäische Integration geleistet worden ist. Welche institutionellen Konsequenzen das im Fortgang des europäischen Einigungsprozesses haben wird, ist noch gar nicht absehbar. Aber das es solche Konsequenzen haben wird, kann als gewiß vorausgesetzt werden. Ich habe Sie gestern, meine Damen und Herren, darauf aufmerksam gemacht, welche Konsequenzen Ihre Ablehnung des Gesetzentwurfes zum Volksentscheid haben würde. Dieses Parlament hat nun die alleinige Verantwortung dafür übernommen, wie jener Art. 146 Abs. 2 unserer Verfassung aussehen wird, in dem es um Parlaments- und Regierungssitz nach der deutschen Vereinigung geht. Ob er in der geschriebenen Verfassung steht oder nicht, er wird jedenfalls ein Teil unserer Verfassungswirklichkeit sein. Von Ihnen aber hängt es ab, ob dieser Artikel nun nach der militärischen auch die politische und kulturelle Mauer abträgt und damit beiträgt, die Mauer in den Köpfen zu beseitigen. Wir alle wissen darum, meine Damen und Herren, daß von der heutigen Abstimmung sehr viel für die künftige Glaubwürdigkeit dieses Hohen Hauses abhängt. Ich danke Ihnen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Eppelmann.

Rainer Eppelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000483, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Ostdeutscher und Berliner möchte ich hier zunächst mit einem Wort des Dankes an Bonn beginnen, das für mich als Symbol für die alte Bundesrepublik steht. Der Dank gilt dafür, daß es über Jahre in Bonn verantwortliche Politiker gegeben hat, die die Menschen in der DDR nicht aus den Augen verloren haben und die am Auftrag der Verfassung, die deutsche Einheit wiederherzustellen, festgehalten haben. Dieser Dank gilt aber auch für das Grundgesetz und den Rechtsstaat, den wir 16 Millionen Ostdeutsche hauptsächlich geschenkt bekommen haben. Der Dank gilt aber auch für den guten Ruf, den uns Bonn in Europa und in der Welt in den letzten Jahren eingebracht hat und der mit dazu beigetragen hat, daß es 1990 in Europa kein einziges Land gegeben hat, das uns die Wiedervereinigung nicht gegönnt hat. Darum nochmals danke. ({0}) Doch nun zu unserer heutigen Aufgabe. Wir stehen vor dem Problem, das Werk der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, das Werk der Vereinigung der beiden Teile unseres Volkes fortzusetzen. Es geht darum, eine historisch und politisch glaubwürdige Entscheidung zu treffen, die zugleich sozial verträglich und - Sie entschuldigen, wenn ich das einführe - moralisch ist. Denn auch wir hier haben einen guten Ruf zu verlieren. Ich habe einige Reden von Bundeskanzler Kohl in den letzten Monaten gehört, und ich meine, mich richtig zu erinnern, daß er für eine Aussage in seinen Reden immer wieder den lautesten, den ehrlichsten und den längsten Beifall bekommen hat, nämlich für den Satz: Ich brauche keine meiner deutschlandpolitischen Reden von gestern heute umzuschreiben. ({1}) Das sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen, was politische Glaubwürdigkeit angeht, auch heute unser Grundanliegen sein. Das heißt, das, was bundesrepublikanische Politiker gemäß dem Auftrag der Verfassung über Jahre gedacht, gesagt und geschrieben haben, muß nun unter veränderter politischer Situation im vereinten Deutschland Wirklichkeit werden, denn auch wir könnten unseren guten Ruf verlieren. Jede „Entweder-Berlin-oder-Bonn-Entscheidung" brächte viele Gewinner, aber auch viele Verlierer. Im Prozeß der deutschen Vereinigung darf es meiner Meinung aber nicht dazu kommen, daß sich fast 50 der Deutschen morgen oder heute abend als Verlierer fühlen. ({2}) Darum bin ich ausgesprochen erfreut darüber, daß heute tatsächlich ein echter Kompromiß auf dem Tisch liegt, der unsere Zustimmung verdient, weil er verbinden will, und der auch den gegebenen Versprechen entspricht. Es darf hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute keine Entscheidung gegen Berlin geben. Darum tragen Sie mit Ihrer Abstimmung auch dazu bei, daß die moralische Glaubwürdigkeit des Deutschen Bundestages erhalten bleibt! Kein Mensch in diesem Land darf heute abend auf den Gedanken kommen, wir hätten 40 Jahre lang wie die jungen Männer gehandelt, die ihrer schönen Freundin die Ehe versprochen haben, um sie ins Bett zuziehen, und sich dann, nachdem sie die Freundin da hatten, an das Eheversprechen nicht mehr erinnern können. ({3}) Sollte dieser Konsensantrag Berlin/Bonn unter uns aber keine Mehrheit finden, kann nur der Berlin-Vorschlag Ihre Zustimmung finden. Der heutige Vorschlag der Berlin-Befürworter ist nicht mehr die Formulierung, die vor Wochen auf den Tisch gepackt worden ist; in diesem Vorschlag ist tatsächlich das Bemühen um Verständigung und Auf einander-Zugehen zu sehen. ({4}) Achten Sie auf die Abschnitte 4, 5 und 6. Der jetzige Vorschlag ist ein Kompromiß, dem man zustimmen sollte, wenn man dem ersten Kompromiß der Berlin/ Bonn-Formulierung nicht zustimmen kann. Danke. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Glotz das Wort.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hundertmal - auch heute vielmals - ist von bedeutenden Zeitgenossen gesagt worden, die Entscheidung für Berlin bedeute keinen Zentralisierungsschub, der Föderalismus stehe nicht in Frage. Ich bekenne, daß ich diese Beteuerungen für falsch halte. ({0}) Wer den Parlaments- und Regierungssitz in eine Metropole und dann noch in die größte des Landes legt, der organisiert einen Sog in diese Stadt, und der will auch einen Sog in diese Stadt organisieren. ({1}) Meine Damen und Herren, Berlin ist schon jetzt eine wunderbare Stadt. Wenn auch noch die Entscheidungen und das Zeremoniell der Demokratie von Berlin ausgehen, dann wird die Bedeutung der LandesDr. Peter Glotz hauptstädte heruntergedrückt. Das darf kein Föderalist riskieren; das darf kein Föderalist wollen. ({2}) Ich halte die Beispiele von Paris und Madrid, die der Kollege Brandt hier gebraucht hat, für eher erschrekkend, weil Lyon und Barcelona neben Paris und Madrid eine viel zu geringe Rolle spielen. Auch wenn in einer Reihe von Landeshauptstädten und Landesparlamenten, meine Herren Ministerpräsidenten, noch nicht begriffen worden sein sollte, daß in der Tat das Herabdrücken der Landeshauptstädte droht, kann ich eine solche Entscheidung für mich jedenfalls nicht akzeptieren. ({3}) - Es rufen hier einige dazwischen. Ich möchte Ihnen ein Zitat zugänglich machen, das von dem großen deutschen Philosophen Helmuth Plessner stammt, der viele Jahrzehnte in Göttingen gelebt hat. Er schildert, was nach der Reichsgründung, 1871, passiert ist: Die Residenzstädte hatten ihre Rolle ausgespielt. Dresden und München, Darmstadt und Weimar konnten ihre modernen Ansätze - Brücke und Blauer Reiter, Mathildenhöhe und van de Velde - gegen die Anziehungskraft Berliner Möglichkeiten nicht mehr weiterentwickeln. Eine solche Entwicklung dürfen wir unter keinen Umständen noch einmal anstoßen. ({4}) Der deutsche Föderalismus hat im übrigen seine Entsprechung im europäischen. Die Bundesländer kämpfen, viele der anwesenden Ministerpräsidenten kämpfen um ein Mitwirkungsrecht der Länder bei der Legislatur, um eine zweite regionale Kammer. Dahinter steht die Vision eines Europas der Regionen. Meine Damen und Herren, ich räume ein: Hinter diesem Europa der Regionen steht eine supranationale Europa-Idee, die von Jean Monnet, die von Konrad Adenauer, auch die bedeutender Sozialdemokraten wie Waldemar von Knoeringen. Das wäre in der Tat ein Europa mit einem supranationalen Entscheidungszentrum und vielen Hauptstädten. Die Verlagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin würde dieser historischen Tendenz, die sich allerdings nicht naturwüchsig einstellt, sondern die man wollen muß, für die man kämpfen muß, nicht entsprechen, sondern widersprechen. An dieser Stelle möchte ich mich an Sie persönlich wenden, Herr Bundeskanzler. Im parlamentarischen Alltag wird ja viel hin- und her gehöhnt. Wir Sozialdemokraten haben Ihnen häufig mit einer gewissen Häme das Etikett vom Enkel Adenauers vorgehalten. Mir geht heute kein Ton der Häme über die Lippen. Ich weiß, daß Sie ein regionalistisch verwurzelter Europäer und kein Nationalist sind. Ich muß auch zugestehen, daß Sie auf dem Weg nach Europa einiges erreicht haben. ({5}) Aber bitte, Herr Bundeskanzler, machen Sie sich klar: Mit dem Votum für Berlin schwenken Sie ab zum Europa der Vaterländer. Vielleicht ist es in dieser Debatte erlaubt, über die Parteigrenzen hinweg und, so wie Sie es sagen würden, als eingefleischter Sozialdemokrat Ihnen zu sagen: Bewahren Sie die supranationale Europa-Idee Konrad Adenauers. Sie ist das wichtigste Erbe dieses großen Politikers. ({6}) Damit bin ich bei der symbolischen Debatte und bei zwei Stellen dieser Debatte, die mich sehr bewegt haben, deren Pathos ich aber nicht akzeptiere. Herr Kollege Schäuble, ich bin um die Zukunft Deutschlands ebenso besorgt und kämpfe um sie, wie Sie - ich nehme an, alle in diesem Haus - das tun. Aber man sollte die Zukunft Deutschlands nicht mit einer noch so wichtigen Einzelentscheidung in Verbindung bringen. ({7}) Wer Vichy und Bonn in einem Atemzug nennt, sollte einen großen Unterschied nicht vergessen: In den vier Jahren Vichy war die beherrschende Figur Pétain, in den 40 Jahren Bonn waren die beherrschenden Figuren Konrad Adenauer und Willy Brandt. ({8}) Bonn ist für mich - weil Sie von Symbolen reden - das Symbol des Neuanfangs, eines notwendigerweise unprätentiösen, manchmal armseligen Neuanfangs aus den Trümmern. Ich beschwöre Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns gemeinsam zu dem bekennen, was uns doch wahrscheinlich allen wirklich gemeinsam ist, daß nämlich nach den Katastrophen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert ein Neuanfang notwendig war und daß Bonn das Symbol dieses Neuanfanges ist. ({9}) Das Argument, das inzwischen zu einer Legende erstarrt, lautet: Wir werden unglaubwürdig. - Kollege Brandt hat es in die zwei wirksamen Worte gekleidet: Wort halten! Meine Damen und Herren, natürlich gab es ganz selbstverständliche Versprechungen von allen Seiten der Politik in den vierziger und fünfziger Jahren. Es gab auch Lippenbekenntnisse danach. Aber ich möchte zuerst sagen: Was 1949 selbstverständlich war, kann 1991 unter Umständen falsch sein. ({10}) Ich könnte gegen die Legende, die jetzt aufgebaut wird, 40 Jahre hätten alle das gleiche gesagt, z. B. eine Reihe von Regierenden Bürgermeistern von Berlin zitieren. Klaus Schütz entwickelte das Konzept von der normalen Stadt West-Berlin. Eberhard Diepgen sagte am 26. Mai 1987: Berlin ist die Hauptstadt der deutschen Nation im Bereich der Kultur und Wissenschaften. Das ist wichtiger, als Sitz der Verwaltung und der Regierung zu sein. ({11}) Walter Momper sagte am 5. Oktober 1989: Mit dem Hauptstadtanspruch kann ich nichts anfangen. Wir wollen Metropole sein. - Ich zitiere das ohne jeden Unterton der Kritik. ({12}) - Man mußte, lieber Kollege Thierse, für die Wirklichkeit planen. Wir sollten uns wenigstens in dieser Debatte eingestehen, daß für Millionen von Deutschen die Wiedervereinigung für viele Jahre nicht zur Wirklichkeit gehört hat. Geben Sie das bitte zu; geben wir es gemeinsam zu. ({13}) Ich will das einmal für mich zugeben, meine Damen und Herren: Als Axel Springer das große Haus seines Verlages an die Mauer gebaut hat, da haben ihn viele Deutsche und auch ich für einen Phantasten gehalten. ({14}) Ich bin bereit, einzuräumen, daß Springers Hoffnung größer war als das, was ich für meinen Realismus gehalten habe. ({15}) Aber ich bin nicht bereit, die Geschichtslegende zu akzeptieren, als hätten die Deutschen, verführt von Politikerreden, jahrzehntelang auf die Rückkehr der Regierung und des Parlaments nach Berlin gewartet. Die Entscheidung für Berlin, Herr Kollege Vogel, hat konzeptionelles Gewicht. Die Moralisierung dieser Frage verrät unpräzises Denken ({16}) und manchmal auch einen Hauch von Heuchelei. ({17}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Stilisieren wir uns nicht ins Einmalige. Wir treffen heute eine Entscheidung, wie sie häufiger getroffen worden ist, beispielsweise 1848, als die Entscheidung für Bern und gegen Zürich getroffen wurde. Ich sage es mit den Worten des Berlin-Befürworters Klaus von Beyme: Es gibt keine natürlichen Hauptstädte. Hauptstädte werden durch politische Entscheidungen geschaffen. - Das gleiche gilt für Regierungssitze. ({18}) Mein letzter Satz lautet: Treffen wir heute die politische Entscheidung, daß jenes wunderbare Stück Europa, das wir Deutschland nennen, weiterhin aus der Stadt regiert wird, aus der Konrad Adenauer die Brücke zum Westen und Willy Brandt die Brücke zum Osten schlug. ({19}) Bonn ist die Metapher für die zweite deutsche Republik. Bonn muß und soll Regierungs- und Parlamentssitz bleiben. ({20})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001165, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich hier zunächst bei all denen, die vor mir gesprochen haben, für die Art und Weise bedanken, wie sie es taten und wie sie damit eine Debatte im Hohen Hause ermöglichten, die in den letzten Wochen außerhalb des Hohen Hauses nicht immer in der gleichen Form und Fairneß der Auseinandersetzung geführt wurde. Wir alle empfinden, dies ist eine wichtige Entscheidung, aber ich hoffe, wir empfinden auch, daß es nicht die Entscheidung schlechthin über die Zukunft der deutschen Politik ist. ({0}) Es ist ganz verständlich und auch ganz richtig, daß diese Debatte mit dem Herzen und mit dem Verstand geführt wird und daß auch die Frage des Umgangs miteinander für uns eine Chance darstellt, politische Kultur praktizieren zu können. Jeder von uns weiß auch, daß diese Entscheidung große Auswirkungen auf Einzelschicksale hat. Es ist nicht kleinmütig, und es ist schon gar nicht kümmerlich gedacht, wenn auch die soziale und die wirtschaftliche Dimension für die Betroffenen hier angesprochen wird. ({1}) Wer dies leugnen würde, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde an der Wirklichkeit unseres Landes vorbei reden. Deswegen halte ich einen solchen Hinweis für berechtigt. Folgendes will ich hier noch einmal vor meiner persönlichen Stellungnahme sagen: Ich hoffe, daß alle Kolleginnen und Kollegen wissen, daß - wie immer die Entscheidung ausgeht - wir mit unserer Entscheidung eine Verpflichtung für die Zeit danach für die beiden in Frage stehenden Städte und Regionen unseres Landes übernehmen. ({2}) Wir können diese Entscheidung nur guten Gewissens - jeder für sich allein - treffen, wenn wir uns auch dazu bekennen, daß diesen beiden Städten und Regionen dann unsere besondere Sorge zu gelten hat. Das muß auch dann gelten, wenn es ins Detail geht und schwierige Entscheidungen anstehen. Ich will mich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich ungeachtet des Wirbels in der öffentlichen Diskussion um einen Kompromiß bemüht haben. Ein Parlament muß entscheiden, aber es muß immer auch fähig sein, einen Kompromiß zu suchen. Ich glaube nicht, daß der Kompromiß gelingt; aber ich füge hinzu: Es war wichtig und richtig, daß versucht wurde - und dafür bin ich dankbar - , einen Kompromiß zu finden. ({3}) Herr Kollege Glotz, ich glaube nicht, daß wir hier den Begriff „moralisieren" einführen sollten. Es geht hier nicht um eine Legende, sondern es geht um die persönliche Entscheidung eines jeden Mitglieds des Deutschen Bundestags. So hat die Öffentlichkeit Anspruch darauf, daß ich, der ich aus dem deutschen Südwesten stamme und seit über vierzig Jahren in meiner Partei politisch tätig bin und unserem Land in vielen Funktionen dienen durfte, heute ganz klar sage: Ich stimme für Berlin. ({4}) Es gibt viele Gründe; viele davon sind genannt worden; für mich persönlich will ich einige davon noch einmal nennen. 1947 bin ich mit 17 Jahren zum erstenmal in Berlin gewesen. Es war eine zerstörte Stadt. Wenn mich damals jemand gefragt hätte: Was ist die deutsche Hauptstadt?, wäre die Antwort keine Überlegung wert gewesen; ich hätte gesagt: Das ist selbstverständlich Berlin! Mein Lebensweg hat mich oft nach Berlin geführt. Ich war wenige Tage nach dem 17. Juni 1953 dort. Wenn mich am 20. Juni 1953 jemand gefragt hätte: Was ist die deutsche Hauptstadt, und zwar im vollen Sinne des Wortes?, hätte ich gesagt: Berlin. Im Juni 1987 stand ich mit Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor, als er rief: Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Wenn mich damals jemand gefragt hätte - es hat mich aber keiner gefragt -, ({5}) was die deutsche Hauptstadt sei, hätte ich gesagt: Berlin. Ich stand mit den meisten von Ihnen in jener unvergeßlichen Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990, als der Tag der deutschen Einheit um 0 Uhr gefeiert wurde, vor dem Reichstag, und mir war natürlich klar, daß ich für Berlin bin, und ich glaube, daß es für die meisten in dieser Nacht klar war. Das sind keine historischen Reminiszenzen, die man so einfach aus seiner Gefühlswelt zur Seite schiebt, sondern das ist die Erkenntnis, daß Berlin Brennpunkt deutscher Teilung und der Sehnsucht nach deutscher Einheit war. Wenn ich dies sage, ist doch überhaupt nichts gegen Bonn gesagt. Wir alle verdanken dieser großartigen Stadt sehr viel, die nicht erst seit 1948/49 - das will ich bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen -, sondern schon vorher ihren eigenen Platz in der deutschen Geistesgeschichte hatte. Ich will das hier nicht näher ausführen. Aber mit Bonn ist immer die Gründung der zweiten Demokratie auf deutschem Boden verbunden. Herr Glotz, Sie haben ganz recht: Mit Bonn ist immer der zweite Versuch der Deutschen verbunden - aller demokratisch gesonnenen Deutschen, die guten Willens waren und sind - , wieder Demokratie zu wagen. Aber ich kann darin keinen Gegensatz zu dem erkennen, was ich zuvor gesagt habe: Mein voller Respekt, meine Sympathie, meine Zuneigung für das, was ich hier in Bonn in Jahrzehnten selbst erleben durfte, sind ganz selbstverständlich, und ich will es noch einmal deutlich ausdrücken. Aber für mich ist Berlin eben auch immer die Chance zur Überwindung der Teilung gewesen. Ich bin sicher - ich wage diese Behauptung, die sicher von anderen angefochten wird - , ohne dieses Berlin der letzten vier Jahrzehnte und ohne das, was Berlin und übrigens auch die Berliner für uns bedeutet haben, wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. ({6}) Auch das kann man nicht einfach wegtun, nicht nur weil wir in unseren Reden gesprochen haben - auch ich - , sondern weil unsere Landsleute in der früheren DDR - in den neuen Bundesländern, wie wir jetzt sagen - bei dem, was sie dachten, was sie empfanden, was sie spürten - übrigens auch bei all ihrem Arger gegenüber dem Berlin Walter Ulbrichts, was ebenfalls in dieses Bild gehört - , natürlich das Berlin vor Augen hatten, das Hauptstadt eines freien, friedlichen und geeinten Deutschland sein würde. Auch deswegen bin ich für die Hauptstadt Berlin; im vollen Sinne des Wortes. Herr Glotz, Sie haben eine wichtige Frage angesprochen, und ich bin dafür dankbar. Daß Sie mich dabei in eine nahe Verwandtschaft zu Konrad Adenauer stellen, ehrt mich - und Sie auch. ({7}) Jeder weiß, daß ich ein leidenschaftlicher Europäer bin, und jeder weiß auch - ich hoffe, das bezweifelt niemand -, daß ich das, was ich tun kann, damit wir in diesem Jahrzehnt den Durchbruch zur politischen Einigung sowie zur wirtschaftlichen und sozialen Einigung Europas erreichen, auch tun werde. Ich möchte erreichen, daß wir in den nächsten drei, vier, fünf Jahren den Prozeß in Richtung auf den Bau, wie es Churchill in seiner Züricher Rede genannt hat, der „Vereinigten Staaten von Europa", unumkehrbar machen. Dabei weiß ich natürlich auch, daß ein solches vereintes Europa nicht vergleichbar sein wird mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir werden in diesem vereinten Europa genauso wie bisher Franzosen, Deutsche, Briten und Italiener sein. Europa ist von sprachlich-kultureller Vielfalt geprägt - von der Tradition des Abendlandes aus Christentum, aus Aufklärung, aus Humanismus. Aber dieses Europa muß ein Europa sein, das mehr ist als das Europa der Zwölf von heute, der EG von heute. ({8}) Wenn dieses Europa bliebe, was die EG heute ist - selbst wenn wir von einer politisch geeinten Europäischen Gemeinschaft ausgehen -, wäre es nicht unser Europa. Zu unserem Europa gehört Nordeuropa. Als mich in der letzten Woche Ministerpräsident Carlsson anrief und mir mitteilte, daß Schweden den Beitrittsantrag stellen werde, sagte ich ihm: Wir, die Deutschen, werden Sie unterstützen. - Wenn, wie ich hoffe, in den Jahren, die vor uns liegen, Norwegen oder gar Finnland eine solche Entscheidung treffen sollten, werden wir sie unterstützen. ({9}) Aber - das habe ich am Montag bei der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages gesagt - es ist unser Wunsch - ein ganz wesentlicher Wunsch - , daß die Reformstaaten in der östlichen Nachbarschaft, daß auch die CSFR, Polen und Ungarn den Weg zu diesem Europa finden. ({10}) Sehen Sie, Herr Glotz, dann ist Berlin eben nicht in einer Randlage, sondern hat eine geopolitisch wichtige, zentrale Funktion. ({11}) Das ist der Grund, warum ich glaube, daß Berlin auch im Jahr 2000 oder 2005, wenn sich das Bild des neuen Europa gerundet haben wird, ein guter Standort ist, und deswegen stimme ich für Berlin. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pflüger.

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, der Bundeskanzler hat mit seiner Bemerkung völlig recht gehabt: Ohne Berlin wäre die Vereinigung nicht möglich gewesen. Aber ich glaube, man muß auch hinzufügen: Ohne die von Bonn ausgehende West- und Ostpolitik Adenauers, Brandts und Kohls wäre sie ebenfalls nicht möglich gewesen. ({0}) Berlin ist meine Lieblingsstadt: ({1}) offen, bunt, international, spannend. Ich habe keine Angst vor der Größe der Stadt. Meine Frau arbeitet in Berlin. Was läge also näher, als dort hinzuziehen? ({2}) Nein, Herr Kollge Brandt, es geht nicht darum, daß wir aus Bequemlichkeit nicht umziehen wollten, sondern es geht um Politik, es geht um wesentliche politische Entscheidungen, und jeder Kollege hier entscheidet nicht mit Blick auf seinen Wahlkreis, entscheidet nicht aus seinen persönlichen Interessen oder Vorlieben heraus, sondern auf der Grundlage ganz klarer politischer Argumente. ({3}) Ich bin für Bonn, aber nicht gegen Berlin. Und ich bitte doch diejenigen der Berlin-Befürworter, die für ihre Position besonders engagiert streiten, sehr herzlich darum, die Bonn-Befürworter nicht in die Ecke von Verrätern an der Sache Berlins und an der Sache Deutschlands zu stellen. ({4}) Ich glaube, daß sich die Berlin-Befürworter keinen Gefallen erweisen, wenn sie aus Freunden Bonns Feinde Berlins machen. ({5}) Gerade weil ich Berlin kenne, bin ich tief davon überzeugt, daß die Stadt eine große Zukunft vor sich hat, ganz gleich, welche Entscheidung wir heute treffen. Berlins Aufgabe steht doch schon fest: Berlin wird Motor des demokratischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Aufbaus Mittel- und Osteuropas, vor allem aber der neuen Bundesländer. ({6}) Berlin und Ostdeutschland gehören zusammen. Wie eh und je ist Berlin der Ort, an dem sich die Probleme und Chancen Deutschlands wie in einem Brennpunkt bündeln. Es ist wahr, Herr Thierse: Wir alle müssen uns noch stärker als bisher den Menschen in Ostdeutschland zuwenden. Dabei können wir auch viel von Berlin lernen; denn dort ist man den Menschen am nächsten. Aber müssen wir deshalb wirklich umziehen? Wenn dem so wäre, stünde es schlimm für die neuen Länder; denn ein Umzug würde länger dauern, als die Probleme es zulassen. ({7}) Man mag argumentieren, daß eine Entscheidung für den Umzug an die Spree eine gewisse symbolische Bedeutung hat; ein Ersatz für mehr Zuwendung ist sie nicht. ({8}) Ob uns der rasche Aufbau im Osten gelingt, ist eine Frage politischer Weichenstellungen, nicht aber des Regierungs- und Parlamentssitzes. ({9}) Ich erlaube mir, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Argumente zu lenken, die nach meinem Urteil in besonderer Weise jüngere Leute bewegen: Niemand beDr. Friedbert Pflüger streitet, daß Berlin nach dem Krieg zum Symbol der Freiheit wurde. Seit der Luftbrücke haben die Berliner immer wieder für Menschenrechte gekämpft - unter großen Opfern. Mein politisches Vaterland aber ist die Bonner Demokratie. Seit 1949 haben wir eine demokratische Geschichte, nämlich die Geschichte dieser Bonner Demokratie. Ich habe unser Parlament lieber im Bundestag als im Reichstag und unseren Bundeskanzler lieber im schmucklosen Bau hinter der Moore-Plastik als im Kronzprinzenpalais Unter den Linden. ({10}) Zur Bonner Demokratie gehört das Bekenntnis zu Europa. Es ist unsinnig zu behaupten, eine Entscheidung für Berlin sei ein Zeichen für die Abwendung der Deutschen von Europa. ({11}) Aber ist es wirklich notwendig, daß wir uns kurz vor der Vollendung des europäischen Binnenmarktes auf eine gewaltige Kraftanstrengung für einen deutschen Regierungssitz einlassen? ({12}) Herr Kollege Brandt, natürlich werden Madrid, Paris und andere große Metropolen ihre Bedeutung behalten; aber insgesamt werden nationale Metropolen in Europa an Bedeutung doch verlieren. ({13}) Zur Demokratie gehören Aufrichtigkeit und das Recht, seine Meinung zu ändern. ({14}) Den Bonn-Befürwortern wird Wortbruch vorgeworfen. Damit muß man sich natürlich ernsthaft auseinandersetzen. Aber der Vorwurf ist zu einfach. Berlin stand 40 Jahre für Freiheit und Einheit. Darauf kam es uns doch an. ({15}) Hätten wir vor dem Fall der Mauer auf unser BerlinBekenntnis verzichtet, so wäre das doch überall als ein Abrücken von der Einheit verstanden worden. ({16}) Niemand hätte das verantworten können. Deshalb hat niemand die Parlamentssitz-Frage vor 1989 aufwerfen können. Und uns allen fehlte die Phantasie, uns die Entwicklung seit dem Herbst 1989 vorzustellen. Man darf Meinungen nicht wie das Hemd wechseln. Aber man muß in neuen Situationen neue Antworten geben können. Es muß erlaubt sein, seine Meinung zu überdenken. ({17}) Letzten Endes gehört zur Bonner Demokratie, daß wir unseren Streit sachlich austragen. Es kann wenig überzeugen, wenn einige prominente Berlin-Befürworter alles in Bewegung setzen, um den Bundestag zu bekommen, und gleichzeitig ankündigen, dessen Entscheidung nicht respektieren zu wollen. ({18}) Wer im voraus erklärt, eine Entscheidung des Parlaments gegen Berlin könne er nicht hinnehmen, der schadet Parlamentarismus und Demokratie. Für mich ist es keine Frage, daß ich jede Entscheidung akzeptiere. Das erwarte ich auch von meinen Kollegen, ohne daß später draufgesattelt wird. Auch das gehört zur Bonner Demokratie. ({19})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jochen Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gerade weil ich für Berlin als Sitz des Parlaments und der Bundesregierung eintrete, beginne ich mit einem Dank an Bonn. Seit 1972 arbeite ich in dieser Stadt; seit 1984 lebe ich hier. Deshalb sage ich aus eigener Erfahrung: Bonn hat dem Parlament und der Bundesregierung in all diesen Jahrzehnten gute Arbeitsbedingungen und eine gute Heimstatt geboten. Und Bonn war in all den Jahren bis zur Wende Berlin gegenüber fair. Bonn hat sich stets als Stellvertreterin Berlins, als Stellvertreterin der eigentlichen Hauptstadt, bezeichnet und seine Verbundenheit mit Berlin immer aufs neue bekundet. Darum und wegen der strukturellen Probleme, die sich aus der Rückkehr des Parlaments und der Regierung nach Berlin für Bonn und seine Region ergeben, hat Bonn Anspruch auf umfassende Hilfe. ({0}) Dieser Anspruch rechtfertigt vieles. Er rechtfertigt jedoch in meinen Augen eines nicht, nämlich - ich wähle einen milden Ausdruck - die Zurücknahme der Zusagen und Versprechungen, die in den letzten Jahrzehnten und bis in die Tage der Wende hinein Berlin aus allen politischen Lagern für den Fall der deutschen Einheit wieder und wieder gemacht worden sind. ({1}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit sind hohe Güter. Wer sie, wenn auch unwillentlich, beschädigt, wer Berlin mit einem Titel versieht, dem kein Inhalt entspricht, der schlägt Wunden über den Tag hinaus; ich fürchte: Wunden, die lange nicht heilen werden. Wie sehr hier die Glaubwürdigkeit in ihrem Kern berührt ist, zeigt schon eine Überlegung, die Überlegung nämlich, daß bis zur Wende, noch im Sommer 1989, kein Gremium in der damaligen Bundesrepublik, auch nicht der Stadtrat von Bonn, im Traum daran gedacht hätte, auch nur als Resolution den Antrag zu beschließen, der uns heute auch zur Abstimmung vorliegt. ({2}) Darf es denn wahr sein, daß ein Versprechen deshalb als gegenstandslos und erledigt angesehen wird, weil die Bedingung, unter der es stand, nämlich die deutsche Einigung, eingetreten ist? ({3}) Daß die Erfüllung dieses Versprechens auch Geld kosten würde - wahrscheinlich sogar erhebliche Beträge -, das sollte doch gar nicht bestritten werden. Aber das wußten wir alle. Ich kann doch nicht davon ausgehen, daß diejenigen, die diese Zusagen gemacht haben, sich solche Zusammenhänge nicht vor Augen geführt haben. Ein zweites spricht nach meiner Meinung für die Rückkehr des Parlaments und der Regierung nach Berlin: Das ist der Prozeß der deutschen Einigung, der Prozeß des Zusammenwachsens. Die Diskussion über die Hauptstadtfrage war doch auch deshalb so intensiv und so leidenschaftlich, weil es hier im Zuge der Einigung erstmals zu einer Debatte über den Charakter dieses Prozesses gekommen ist. Zu einer Debatte, die im Sommer und im Herbst 1990 - da mache ich keinen Vorwurf - wegen des Tempos der Ereignisse überhaupt nicht möglich war. Heute geht es nämlich im Kern auch darum, ob wir die endgültigen Strukturen unseres größer gewordenen Gemeinwesens gemeinsam schaffen oder ob wir so tun, als ob unsere Landsleute in den neuen Bundesländern eben doch nur zu etwas ganz und gar Fertigem und zu etwas Unveränderlichem hinzugetreten seien. ({4}) Deshalb frage ich: Wollen wir wirklich beschließen, daß unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in den neuen Bundesländern die Änderung nahezu aller Lebensverhältnisse bewältigen müssen, während wir in den alten Bundesländern noch nicht einmal die Rückverlegung des Parlaments und der Regierung in die Hauptstadt hinnehmen? ({5}) Haben wir, Bonn-Befürworter genauso wie BerlinBefürworter, nicht oft gesagt, wir müßten in den alten und in den neuen Bundesländern aufeinander zugehen? Und jetzt wollen wir noch nicht einmal die lang versprochene Wegstrecke bis nach Berlin zurücklegen, um aufeinander zuzugehen? ({6}) Ist uns wirklich klar, wie diese Weigerung auf unsere östlichen Nachbarn und darüber hinaus auf unsere Nachbarn insgesamt wirken würde? Was die östlichen Nachbarn und den östlichen Teil Europas an. geht, stimme ich ausdrücklich dem zu, was der Bundeskanzler als Abgeordneter hier gesagt hat. Meine Damen und Herren, weil der Föderalismus eine solche Rolle spielt: Ich bitte gerade auch die Bonn-Befürworter, zur Kenntnis zu nehmen: Die Mehrheit der Landtage will, daß wir nach Berlin gehen. ({7}) 10 von 16 Landtagen ({8}) - Entschuldigung, Sie kennen meine Neigung zur Pendanterie; ich erläutere es gleich, weil ich völlig korrekt sein möchte - , nämlich die Landtage von Baden-Württemberg, von Brandenburg, von Bremen, von Hamburg, von Mecklenburg-Vorpommern, von Sachsen, von Sachsen-Anhalt, von Schleswig-Holstein und von Thüringen und selbstverständlich das Abgeordnetenhaus von Berlin, hab en entsprechende Beschlüsse gefaßt. Für Niedersachsen und für Hessen haben sich nicht die Landtage, aber die Landesregierungen beschlußmäßig für Berlin ausgesprochen. Von 16 Ländern haben sich 12 für Berlin ausgesprochen. Das relativiert, Herr Kollege Glotz, ein bißchen die Sorge, daß hier der Föderalismus zerstört wird. ({9}) Manche erfüllt der Gedanke, Berlin könnte das verweigert werden, was über den Titel hinaus die Hauptstadt ausmacht, mit Zorn. Ich kann das verstehen. Mich erfüllt der Gedanke, es könnte so beschlossen werden, mit Trauer; mit Trauer darüber, daß wir uns als verzagt erweisen könnten, wo wir in umfassenden Perspektiven denken und handeln müssen. Das ist kein Wort gegen die Menschen in Bonn. Wir haben die selbstverständliche Verpflichtung, ihnen genauso zu helfen wie den Werftstandorten und den Montanstandorten, wo wir viele Milliarden aufgewendet haben. ({10}) Der erwähnte Gedanke erfüllt mich mit Trauer auch darüber, daß wir Gefahr laufen könnten zu spalten, wo wir versöhnen und die Vereinigung voranbringen sollten, auch daß wir Gefahr laufen könnten - das sage ich leiser; ich will niemandem zu nahe treten und würdige die Bemühungen um Konsense - , daß taktische Überlegungen dominieren könnten, wo unser Volk nach meiner Überzeugung auf eine klare Entscheidung über klare Alternativen einen Anspruch hat. ({11}) Ich bin nicht in Berlin aufgewachsen - meine Mundart macht es deutlich -, aber ich habe vor zehn Jahren innerhalb weniger Tage mein Leben von Grund auf verändert, weil ich Berlin helfen, weil ich so handeln wollte, wie ich es vorher oft, ohne diese Möglichkeit vorauszusehen, gesagt habe. Das will ich heute wieder tun. Damit wende ich mich nicht gegen Bonn. Bonn soll erhalten, was die Stadt und ihre Bürgerschaft zu Recht erwarten können und was Bonn als redliche Platzhalterin, als redliche Stellvertreterin weiß Gott beanspruchen kann. Aber ich spreche für Berlin, weil ich mich als Person - dabei spreche ich nur für mich - sonst vor denen schämen würde, die in dieser Stadt die Blockade überwunden, der Teilung widerstanden, der Mauer getrotzt und in einer friedlichen Revolution ihre Freiheit errungen haben. Natürlich hat Leipzig eine wichtige Rolle gespielt, aber eben auch Berlin. Ohne den 4. November auf dem Alexanderplatz kann man sich diese friedliche Revolution wohl auch nicht denken. ({12}) Ich müßte mich vor der Stadt schämen, die wie keine andere die deutsche Geschichte in ihren dunklen, aber auch in ihren hellen Abschnitten repräsentiert und ohne die es - dem stimme ich ausdrücklich zu - die deutsche Einheit wohl nicht gegeben hätte. Ich möchte, daß Parlament und Regierung dort ihren Sitz haben, wo wir nicht nur an einen guten und besonnten Abschnitt der deutschen Geschichte, sondern an unsere ganze Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen erinnert werden. Ich danke Ihnen. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Anke Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, können wir treffen, lieber Hans-Jochen Vogel, weil der Einigungsvertrag dazu die Möglichkeit gibt. Deswegen werden wir uns heute nach einer langen Debatte zu einer Entscheidung durchzuringen haben. Ich stimme all denen zu, die sagen: In den vergangenen Wochen ist diese Debatte nicht gut gelaufen. Ich glaube, wir können heute nach Abwägung eine klare Entscheidung treffen. Je mehr Abschiedspathos ich heute für die Stadt Bonn höre, desto trauriger werde ich. Bonn hat seine Schuldigkeit nicht getan. Bonn muß Regierungssitz und Parlamentssitz bleiben. ({0}) Wer sich für Bonn als Regierungssitz und Parlamentssitz entscheidet, ist nicht gegen Berlin, sondern für Berlin als Hauptstadt, als Metropole, als ökonomische und kulturelle Brücke zwischen Ost und West. Ich sage Ihnen voraus: Berlin kann diese Funktion einer Metropole dann besonders gut übernehmen, wenn es nicht auch noch die Last von Regierungssitz und Parlamentssitz tragen muß. ({1}) Daß Hilfe erforderlich ist, wissen wir alle. Seit Jahrzehnten helfen wir Berlin, niemand hat Berlin alleingelassen, und deswegen muß niemand befürchten, daß die Hilfe für diese Metropole nicht kommen wird. Wer für Bonn eintritt, meine Damen und Herren, ist für die soziale Gestaltung der Einheit, nämlich für die Hilfe für die Menschen in den fünf neuen Ländern. Diese Menschen brauchen keine symbolischen Zeichen der Zuneigung, sondern eine solidarische Politik für Arbeitsplätze, für Kindergärten und für Wohnungen. ({2}) Was solidarische Politik für die Menschen in den fünf neuen Ländern bedeutet, haben heute nacht die Sozialpolitiker Rudolf Dreßler und Norbert Blüm, beide Bonn-Befürworter, bewiesen: Sie haben einen Rentenüberleitungskompromiß gefunden, der den Frauen in den fünf neuen Ländern mehr hilft als die Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin. Das ist praktische Politik! ({3}) Das Geld, das ein Umzug nach Berlin zusätzlich verschlingen würde, fehlt für die Hilfe in den neuen Ländern. Wir kennen die Expertengutachten zu Raumordnung, Infrastruktur und Umweltschutz. Sie sind bemerkenswert; denn sie beweisen, daß eine Machtkonzentration in Berlin die Entwicklung in den fünf neuen Ländern behindern und eben nicht fördern wird. Die Menschen in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wissen doch aus 40jähriger eigener Erfahrung, wie benachteiligt Regionen werden, wenn die Zentrale alles an sich zieht. Dies müssen wir mit den Menschen dort drüben auch besprechen. Ich bin, meine Damen und Herren, aus Solidarität mit den Menschen in den fünf neuen Ländern, aber auch aus eigener Überzeugung für Bonn. ({4}) Das ist etwas erstaunlich. Aber als Hamburgerin, gegen das Adenauersche Rheinland erzogen, weiß ich jetzt, was es heißt, in Bonn zu leben, in einer sozialdemokratisch regierten Region zu leben. Von dieser Region geht soviel Positives aus - so will ich das begründen - , daß ich aus Überzeugung dafür bin, daß Bonn Regierungssitz und Parlamentssitz bleibt. ({5}) Von Bonn aus sind wir in den Westen eingebunden. Von Bonn aus ist die Rolle der größer gewordenen Bundesrepublik definiert worden. Die Bonner Demokratie ist - darauf ist schon hingewiesen worden - Symbol des demokratischen Neuanfangs. Sie steht für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn. Diese Bonner Demokratie steht für mich für die Entspannungs- und Anke Fuchs ({6}) Aussöhnungspolitik, die mit Willy Brandt von Bonn aus gestaltet wurde. Diese junge Bundesrepublik hat er zu einem verläßlichen, friedlichen Partner gemacht. Übrigens, auch die Menschen im Osten haben 40 Jahre in dieses Bonn Vertrauen gehabt. Deshalb ist Bonn Kontinuität und Zukunftsorientierung. Die Entscheidung für Bonn ist aus meiner Sicht die angemessene Antwort auf die Rolle der größer gewordenen Bundesrepublik, auch die Antwort des Föderalismus. Das heißt immer auch Teilung von Macht, das heißt auch Macht an verschiedenen Orten, und es heißt eben nicht Rezentralisierung, wie die Berlin-Befürworter es wollen. Theo Sommer schrieb vor einigen Wochen von der „stillen Effizienz Bonns". Mir gefällt dieser Ausdruck als ein Zeichen einer Politik des Augenmaßes. Nun zu der angeblichen Ferne von den wirklichen Problemen: Müssen wir uns in den Trubel Berlins stürzen, um Probleme kennenzulernen? ({7}) Könnten wir das eigentlich tun, wenn wir gut abgeschirmt im feinen Parlaments- und Regierungsviertel arbeiteten? - Die Probleme, meine Damen und Herren, erleben wir doch wohl in unseren Wahlkreisen, bei den Menschen vor Ort, in den fünf neuen Ländern. ({8}) Aufgabe der Parlamentarier ist es, die Probleme anzupacken. Unsere Aufgabe ist es, zu Lösungen zu kommen. Unsere Aufgabe ist es, effektiv zu arbeiten. Das kann am besten von Bonn aus geschehen. Leider ist es uns nicht gelungen, in dieser Frage einen Volksentscheid herbeizuführen. Ich bedauere das, weil mir die vielen Gespräche, die wir alle in den letzten Wochen geführt haben, klargemacht haben: Dies ist eine Angelegenheit, bei der wir die Menschen in unserem Lande hätten fragen sollen, wie sie dazu denn eigentlich stehen. ({9}) Nach meiner Beobachtung identifizieren sich die Menschen mit dieser Bonner Demokratie. Dabei spreche ich nun auch einmal für die Westdeutschen: Sie haben einen Anspruch darauf, in dieser Frage auch ihre Interessen und ihre Meinung einzubringen. Und sie sagen mir: Wir identifizieren uns mit dieser Bonner Demokratie. Wir identifizieren uns mit diesem föderativen Deutschland, mit dem Land, das seinen partnerschaftlichen Platz erarbeitet hat. Deswegen ist es nicht Bequemlichkeit, sondern Ausdruck von Vertrauen und Zuversicht, wenn diese Menschen sagen: Wir wollen nicht rezentralisiert nach Berlin, sondern wollen, daß Bundestag und Regierung in Bonn bleiben. ({10}) Es ist kein Rückblick, und es ist auch kein Stillstand, wenn die Menschen so reden. Es ist der Blick in die Zukunft unseres Landes, das von Europa und den Regionen geprägt wird und nichts von Machtkonzentration aufweist. Ich sage deswegen: Gegen die großen Worte von der großen Geschichte, gegen die Machtkonzentration in Berlin setze ich auf die Zukunft unseres Landes, geprägt von 40 Jahren guter Bonner Demokratie, geprägt von dem Vertrauen in föderative Strukturen, in effektives Arbeiten und Augenmaß. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, mit dafür zu stimmen, daß Bonn Regierungs- und Parlamentssitz bleibt. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bemühungen um einen Konsens, die bis gestern abend anhielten, waren meines Erachtens vor allem deswegen so schwierig, weil es hier nicht um eine Frage von zwei Regionen, von zwei Städten oder gar darum geht, wer welche Region vor welcher Belastung schützen soll. Es geht um verantwortliches Handeln für unsere Republik; es geht um die Dimension der deutschen Einheit, nicht regional, sondern historisch, politisch und menschlich. Meine Damen und Herren, wir sollten uns dessen bewußt sein, daß es auch manche Gemeinsamkeit zwischen Bonn und Berlin gibt. Gerade wenn wir an die deutsche Vergangenheit denken, sollten wir uns dessen bewußt bleiben, daß die Nazis weder in Bonn noch in Berlin in parlamentarischen Wahlen jemals die Mehrheit bekommen haben. Es geht um zwei Städte, die sich als demokratisch erwiesen, als seinerzeit andere deutsche Städte versagt hatten. Wir haben die deutsche Einheit nicht deswegen erreicht, weil Bonn der westdeutsche Arbeitsplatz der Politik war, sondern deswegen, weil die Demokraten der damaligen DDR die Revolution friedlich durchgesetzt haben. Dabei ist mehr geschehen als der Sturz eines Unrechtsregimes. Die Vollendung der Einheit Deutschlands, wie sie die alte Präambel des Grundgesetzes schlicht und zwingend forderte, kann sich aber nicht darin erschöpfen, daß ein Drittel Deutschlands am 3. Oktober letzten Jahres der westdeutschen Republik schlicht beigetreten wäre wie das Saarland zu Adenauers Regierungszeit. Hier ist doch etwas Neues entstanden; hier kann man doch nicht einfach westdeutsch weitermachen wie bisher. ({0}) Der Bundeskanzler hat vorhin mit Recht darauf hingewiesen, daß sich das Zentrum Deutschlands und das Zentrum Europas mit der deutschen Einheit und der Öffnung Europas verlagert hat. Nicht mehr ausschließlich die Westorientierung darf dominieren. Deutsche Politik muß aus dem Zentrum des neuen Europa gestaltet werden, und sie muß für die Staaten Ost- und Mitteleuropas, für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft Zeichen setzen. Berlin ist dafür wie kein anderer Ort geeignet. Es ist viel über die Stadt gesprochen worden. Ich möchte an etwas erinnern, was noch nicht gesagt worden ist: Der Westteil Berlins wuchs durch die Integration in die Bundesrepublik, und der Ostteil trug mit an der Last der Teilung Deutschlands und Europas. ({1}) Nur in Berlin verschmelzen beide Teile zu einem neuen Ganzen. ({2}) Deswegen ist Berlin wie keine andere Stadt berufen und geeignet dazu, die Hauptstadtfunktion des geeinten Deutschlands in der Mitte Europas zu erfüllen. Wer sich jemals mit Megastädten in der Welt beschäftigt hat und sie mit der 3,5-Millionen-Stadt Berlin vergleich, der weiß, daß die Drohung mit der Megastadt hier absolut fehl am Platze ist. Der Blick, Herr Blüm, geht schief. Wer die Probleme in den Megastädten Europas und der Dritten Welt beobachtet, weiß, daß es absolut falsch wäre, die Stadt Berlin als Megastadt zu diffamieren. ({3}) Meine Damen und Herren, mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands endete die Nachkriegszeit. Die Nachkriegszeit begann nicht erst mit der Gründung der Bundesrepublik. Sie begann 1945 mit den ersten Wiederaufbaubemühungen der Demokratie. Es waren die Berliner, und es war Berlin, die der Welt zeigten, daß sie den materiellen Versuchungen widerstanden, weil nur so Freiheit zu bewahren war. Der Kollege Schäuble hat vorhin daran erinnert, was die Luftbrücke bedeutete. Ich möchte daran erinnern, daß der Luftbrücke das freiwillige Ja der Berliner zu Hunger und Not, wenn nur so Freiheit und Recht zu wahren waren, vorausging. Der Ostsektor hatte Lebensmittelkarten angeboten; der Ostsektor hatte Brot und Spiele und Wärme angeboten, und die Berliner haben gesagt: Nein, wir wollen Freiheit und Recht haben. So wurde die Westbindung der Bundesrepublik begründet. Das wird auch in einem treffenden Zitat gesagt: „In Berlin ist die Bundesrepublik gewissermaßen moralisch gegründet worden. " ({4}) Berlin und die Berliner verkörperten in den 45 Jahren der Nachkriegszeit die Werte, denen die Bundesrepublik in den 40 Jahren der Teilung verpflichtet blieb: Einheit, Recht. und Freiheit. Es ist an den 17. Juni erinnert worden, es ist an den Mauerbau erinnert worden. Der Einigungsvertrag gibt uns das Recht, jetzt im 12. Deutschen Bundestag anders zu entscheiden. Allen Bonn-Befürwortern sage ich: Es ist nicht die Rechtsfrage, um die es hier geht. Sie haben das Recht, entgegen dem zu entscheiden, was in 40jähriger Kontinuität hier gesagt wurde. Aber jeder von uns, der an diesen Bekundungen bis in die letzte Legislaturperiode hinein mitgewirkt hat, der hat nicht nur das Recht, sein Versprechen nicht zu halten, er steht dann auch in der Verantwortung, zu begründen, warum er sich jetzt von seinem Wort löst, das er Berlin und zugleich allen Bürgern dieses Landes gegeben hat. Da reicht mir die Begründung vom Kollegen Pflüger eben nicht aus, wenn er sagt: Nur weil jetzt möglich ist, was wir erwartet hatten, deswegen wollen wir das nicht mehr erfüllen. - Es hat sich nichts verändert außer einem: Die Situation ist da, die Einheit ist da, und nun können wir das tun, was wir immer gesagt haben. ({5}) Das gilt insbesondere für Sie, Kollege Blüm und auch Kollege Baum, die Sie hier in diesem Hause waren, als in Anwesenheit des Bundespräsidenten Karl Carstens und des Altbundespräsidenten Walter Scheel am 12. September 1979 anläßlich des 30jährigen Bestehens des Bundestages und im Hinblick auf die Neubauten, die gestern einige von uns zum erstenmal sehen durften, der Präsident des Deutschen Bundestages erklärt hat - das Protokoll weist aus: Beifall aller Seiten -: ... Berlin wird eines Tages auch wieder voll seine alte Hauptstadtfunktion erfüllen. Wer damals Beifall geklatscht hat, der muß heute begründen, warum er jetzt sein Wort zurückzieht. ({6}) - Liebe Frau Kollegin Fuchs, der Einheitsvertrag macht es möglich, der Einheitsvertrag macht es nicht nötig. ({7}) Ich habe Ärger in meiner Fraktion dadurch bekommen, daß ich überspitzt formuliert habe, was ich jetzt hier wiederhole: Sie haben das Recht zum Wortbruch, aber Sie haben die Möglichkeit, Wort zu halten - politisch gesprochen. ({8}) Hier geht es nicht um Rezentralisierung ({9}) - nein - , hier geht es darum, das zu tun, was gerade die Föderalisten wollen. Herr Kollege Glotz, Sie konnten damals hier im Bundestag nicht mitstimmen, ({10}) weil wir beide zusammen in Berlin uns um Stärkung des Landes bemüht haben. Sie als Wissenschaftssenator wußten zur gleichen Zeit, als der Bundestag sagte: Wir kommen nach Berlin, wenn die Einheit da ist, daß wir auf diese Einheit hinarbeiten und daß wir die Länder stärken wollen, mit der Zentrale in Berlin und nicht mit dem Absterben irgendwelcher Föderalismusideen. Nein, wir sollten auch nicht Vormund für 12 Landtage oder Landesregierungen sein wollen. Wenn wir Föderalismus ernst nehmen, dann haben wir zu respektieren, was die Föderalisten in den Ländern sagen, und nicht zu sagen: Wir wissen es besser, nur weil wir hier im Ersatzplenarsaal in Bonn darüber diskutieren. ({11}) Heute tagt im Reichstag die erste Konferenz des Außenministerrats der KSZE. Übrigens habe nicht nur ich erstaunt festgestellt, daß man im Reichstag richtig tagen kann und daß der Service offenbar auch richtig läuft, wenn es andere machen. Aber dies nur am Rande. ({12}) Es liegt offenbar nicht an der Baulichkeit. Ich sagte, heute tagt die Außenministerkonferenz der KSZE. Der Kalte Krieg ist überwunden, der Frieden in Europa gesichert; die Freiheit hat in ganz Europa wieder eine Chance. Über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - lassen Sie mich das deutlich sagen - wird heute im Plenarsaal des Deutschen Bundestages in der Bundeshauptstadt gesprochen, während wir hier im Ersatzplenarsaal darüber diskutieren, ob wir unseren Sitz in die Hauptstadt unseres Staates verlegen. Meine Damen und Herren, die politische Dimension der Einheit Deutschlands muß uns veranlassen, diesem Beispiel Europas zu folgen. Der Reichstag wurde durch Bundestagsbeschluß für das deutsche Parlament wieder aufgebaut, für 680 Abgeordnete. Jetzt sind wir 662. ({13}) Wir sollten rübergehen nach Berlin. ({14})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Ingrid Roitzsch.

Ingrid Roitzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001877, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU in Schleswig-Holstein hat sich auf ihrem Parteitag fast einstimmig für Berlin ausgesprochen. Auch mein Herz schlägt für Berlin. Doch mit dem Herzen allein kann keine verantwortliche Politik gemacht werden. Die Vernunft gebietet mir, mich heute für Bonn als Parlaments- und Regierungssitz auszusprechen. ({0}) Daß ich mir diese Entscheidung angesichts des Votums meiner Partei nicht leichtgemacht habe, kann sich wohl jeder vorstellen. Deshalb muß ich ausdrücklich betonen, daß ich bei meinem Votum für Bonn keinerlei persönliche Interessen verfolge und daß ich kein Eigentum in Bonn habe oder keine andere Verflechtungen mit dieser Stadt habe. Für mich persönlich wäre Berlin näher und schneller zu erreichen. Meine Entscheidung für Bonn ist ausschließlich von der Sorge um die Menschen in den neuen Bundesländern, aber auch um die Menschen in Bonn und Umgebung getragen. ({1}) Wir alle haben in diesen Wochen unendlich viele Briefe von Bürgern, nicht nur aus dem Wahlkreis, sondern aus ganz Deutschland erhalten. Der häufigste Vorwurf, der mir gemacht wurde, war der des Wortbruchs und der Unehrlichkeit, sollte ich mich gegen Berlin entscheiden. Am meisten aber wird wieder einmal die Glaubwürdigkeit der Politiker in Frage gestellt. Dieser Vorwurf macht mich betroffen; aber er trifft nicht zu. Niemand konnte 1949 absehen, wann die deutsche Einheit zu gewinnen sei. ({2}) - Herr Kollege Nolting, wahrscheinlich sind Sie nachher noch dran; dann dürfen auch Sie hier noch etwas sagen. Die Einheit, über die ich sehr glücklich bin, hat Kosten verursacht und wird weitere Kosten verursachen, deren Höhe uns zu Beginn des Einigungsprozesses nicht klar war und deren Höhe auch zur Zeit noch nicht wirklich absehbar ist. Das kommunistische Regime in der ehemaligen DDR hat das Land in einem Zustand hinterlassen, der so desolat ist, daß es sich zur damaligen Zeit einfach kein Mensch vorstellen konnte. Aufgrund dieser für uns neuen Tatsachen, die 1949 noch nicht geschaffen und auch nicht absehbar waren, muß es verantwortungsbewußten Politikern auch gestattet sein, 1991 neu zu überlegen. Wir können nicht ohne Rücksicht auf Finanzierbarkeiten Entscheidungen treffen. Die Lebensverhältnisse der Menschen in den neuen Bundesländern, die dortige Verkehrsinfrastruktur, die Wohnverhältnisse und die Arbeitsmarktsituation sind derzeit noch so schlecht, daß es einfach unverantwortlich wäre, hier nicht helfend einzugreifen und statt dessen neue Regierungs- und Parlamentsgebäude in Berlin zu errichten. ({3}) Unsere Brüder und Schwestern in den neuen Bundesländern haben 40 Jahre lang auf der Schattenseite des Lebens gestanden, weil sie zufällig im Osten Deutschlands und somit unter sowjetischer Besatzung und kommunistischer Unterdrückung leb en mußten. Deshalb sehe ich es als unsere wichtigste Aufgabe an, diese Menschen zu entschädigen, ihnen zu helfen. Ingrid Roitzsch ({4}) Weil ich für die Menschen in den neuen Bundesländern bin, bin ich für Bonn. ({5}) - Oh, ich habe die Menschen gefragt, Herr Kollege, ich habe viel Verwandtschaft. Ich habe sie nicht erst nach der Einigung entdeckt, sondern ich habe die Bande arg gepflegt. Ich weiß, was die Menschen denken. ({6}) Schon Konrad Adenauer sagte - wörtlich - : „Als wir 1949 wieder mit dem Aufbau anfingen in Deutschland, da habe ich mir extra zur Hauptstadt eine kleine Stadt genommen, nämlich Bonn, und nicht nur, weil Berlin unerreichbar war, sondern weil politische Entscheidungen immer besser reifen in der ruhigen Atmosphäre einer Kleinstadt als in der Hektik einer Großstadt." Adenauer hat mit dieser Entscheidung recht gehabt. 40 Jahre lang haben wir von Bonn aus politische Entscheidungen getroffen, die uns Deutschen die beste, dauerhafteste und stabilste Demokratie gebracht hat. Dazu aber haben auch ganz entscheidend die Menschen in Bonn und den umliegenden Regionen beigetragen. Diesen 35 000 Bediensteten mit ihren Familien schulden wir Dank und Dankbarkeit, der Putzfrau, dem Pförtner, dem Fahrer, dem Angestellten und dem Beamten. ({7}) Weil ich mich auch für diese Menschen entschieden habe, entscheide ich mich für Bonn. Die mutigen Männer und Frauen in der ehemaligen DDR sind nicht auf die Straße gegangen, um für Berlin als deutsche Hauptstadt und als Sitz von Parlament und Regierung zu demonstrieren. ({8}) Diese Menschen haben die friedlichste aller Revolutionen begonnen und durchgestanden, weil sie für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eingetreten sind. ({9}) Ihr Beispiel für diese Ziele war die Politik, die von Bonn ausgegangen ist. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nunmehr hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Eberhard Diepgen, das Wort. Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Berlin war einst das Symbol des Kalten Krieges. Nach dem Fall der Mauer ist Berlin zum Symbol der Hoffnungen geworden, die sich mit dem Aufbruch eines freien und demokratischen Europa in eine gemeinsame friedliche Zukunft verbinden." - Mit diesen Worten hat Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher gestern die Tagung des Außenministerrats der KSZE im Reichstag in Berlin eröffnet. Ich glaube, daß ist die Einordnung, die wir für die Debatte und für die Entscheidung, die heute im Deutschen Bundestag getroffen werden muß, vornehmen müssen. Es geht nicht um die Frage, welche Stadt welche Standortvorteile im einzelnen hat. Bei der Bestimmung des Parlaments- und Regierungssitzes geht es um die Verwirklichung der Einheit, und es geht um die Zukunft unseres Landes und damit um die weitere Entwicklung in Europa. Welche Entscheidung weist hier den richtigen Weg? Es geht um die Frage, ob die Deutschen die innere Vereinigung beider Teile ihres Landes oder nur eine vergrößerte Bundesrepublik Deutschland wollen. ({1}) Mich bewegt dabei die Frage: Soll es eine neue deutsche Ungleichheit geben; soll sie festgeschrieben werden? Jedenfalls für die Menschen im Osten Deutschlands stellt sich die gegenwärtige Situation doch wie folgt dar: Von uns im Osten wird eine Umstellung in fast allen Lebensbereichen erwartet. Bei uns wird „abgewickelt", dieser fürchterliche neue deutsche Begriff! ({2}) 1 Million Arbeitslose suchen Beschäftigung; 2 Millionen stehen in Kurzarbeit, und sehr viele bangen um ihren Arbeitsplatz. In Bonn, hier im deutschen Westen, aber bildet man Menschenketten als Protest gegen die scheinbare Zumutung, in fünf oder zehn Jahren eventuell mit seinem sicheren Arbeitsplatz nach Berlin umziehen zu sollen. ({3}) Was soll der Mensch, was sollen die Bürgerinnen und Bürger in Berlin und in den neuen Bundesländern von dieser Situation halten? Das ist die Frage, die ich mir stelle. ({4}) Wie sollen die Menschen, die in Berlin geblieben sind und sich über vierzig Jahre lang weder durch die Blockade - die Luftbrücke war übrigens Ausgangspunkt der Westbindung, Ausgangspunkt der Versöhnung des Nachkriegsdeutschland mit der westlichen Wertegemeinschaft - noch durch das Chruschtschow-Ultimatum, noch durch den Mauerbau oder die täglichen Schikanen durch die DDR-Organe davon haben abbringen lassen, jetzt begreifen, daß das mit der Hauptstadtfunktion mit all dem, was in der Vergangenheit gesagt worden ist, was ihnen als Selbstverständnis deutscher Politik auch für ihr eigenes Überleben gesagt worden ist, nicht mehr wahr sein soll? Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn Berlin jetzt plötzlich die Hauptstadtfunktion aberkannt und Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen ({5}) in einem Akt der Geschichtsverkürzung aus dem Provisorium Bonn eine echte Hauptstadt werden soll, ist das wenig verständlich. Es ist die Verlagerung des Selbstverständnisses deutscher Politik aus der Mitte Europas in den Westen Europas, aus dem Osten Deutschlands in den Westen Deutschlands mit all den sozialen Fragen, die ich eben beschrieben habe. Mit dem Beharren auf Bonn wird ein westdeutsches Selbstverständnis auf das ganze Deutschland übertragen. ({6}) Meine Damen und Herren, bei der Diskussion um Regierungs- und Parlamentssitz handelt es sich eben nicht um einen Städtewettbewerb im rivalisierenden Sinne, wo Eigennutz und Präsentation den Ausschlag geben können. Auch regionalpolitische Sorgen, so ernst man sie nehmen muß, können letztlich nicht entscheidend sein. Denn sie sind immer, insbesondere in einer zeitlichen Staffelung, aufzufangen. Hier in der Debatte ist schon deutlich geworden, daß die Befürchtungen vor der Megastadt falsch sind, daß die Behauptungen über einen neuen Zentralismus falsch sind, daß diese Diskussion bei den Vergleichen zwischen Paris, Madrid und Berlin beispielsweise nicht aufnimmt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland funktionsfähige Länder gibt. Die gibt es in Frankreich nicht. ({7}) Deswegen meine Bitte: Bleiben Sie bei intellektuell redlichen Vergleichen, wenn es um Zentralismus geht! Ich bin ausgesprochen dankbar, daß übrigens in beiden Anträgen, sowohl für Bonn als auch Berlin - ich verkürze das so - , die Vorstellung des Berliner Senats aufgenommen worden ist, eine Föderalismuskommission einzusetzen, um sich darum zu bemühen, daß in alle neuen Bundesländer Funktionen bundesstaatlicher Ordnung verlagert werden, im Sinne eines wirklich lebendigen Föderalismus. Das ist die Frage, die sich stellt, und nicht die Frage, ob im Rahmen eines Föderalismus die Funktion des Bundesstaates, der Regierung, die Fragen der notwendigen Kooperation zwischen Verfassungsorganen unbedingt neu entschieden werden müssen. Meine Damen und Herren, das ist eine Verkürzung der Föderalismusdiskussion. Bei den Argumenten, die für Berlin sprechen, steht für mich das Thema Glaubwürdigkeit an oberster Stelle. Hier ist schon viel dazu gesagt worden. Ich finde, politische Bekenntnisse über vierzig Jahre dürfen nicht durch ein Ereignis, das man angestrebt hat, zu Wegwerfartikeln werden. Natürlich - das sage ich insbesondere den Jüngeren, die immer so argumentieren - muß man Politik auch überprüfen können. Jedermann kann seine Meinung ändern, aber eben nicht dann, wenn sich der Wind dreht, sondern nur dann, wenn sich entscheidende Fakten ändern, und nicht wenn die entscheidenden Fakten eintreten. Das ist der Punkt der Glaubwürdigkeit. ({8}) Zu den Fragen der Verwirklichung der inneren Einheit - das ist für mich das zweite Argument - ist hier schon viel gesagt worden. Ich will nur noch auf eines hinweisen. In Berlin erlebt man nun wirklich die Probleme. Auf tausend Quadratkilometern erlebt man die Probleme, die es ansonsten in Europa zwischen Frankreich und Polen gibt und in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Aachen und Görlitz. Mir kommt es aber noch auf einen anderen Punkt an, und ich bitte, daß Sie ihn bei Ihrer Entscheidung wirklich beachten. Die bundesdeutsche Wirklichkeit sieht doch so aus: Im Westen konzentrieren sich kraftvolle Zentren von Verwaltung, Wirtschaft, Finanzen und Wissenschaft, und im Osten wird „abgewickelt", und er soll sich mit Titeln und Filialen begnügen. Das ist Ungewichtigkeit in Deutschland - das ist Ungewichtigkeit. ({9}) Ich will hier nicht zu den Behauptungen einer Verelendung der Bonner Region etwas sagen. Ich empfehle nur allen, die Werbeschriften der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu lesen und die Hälfte davon zu glauben. Dann werden Sie dort das entscheidende Problem nicht sehen. ({10}) Meine Damen und Herren, das dritte Argument ist für mich die europäische Entwicklung: Der Bundeskanzler hat hier schon darauf hingewiesen, daß wir diese Entscheidung natürlich im Rahmen der Gesamtentwicklung nach Europa zu treffen haben. Für dieses Europa hat sich mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes eine neue Ara der Gemeinsamkeit herausgebildet; sie hat begonnen. Berlin ist schon durch seine Lage für diese gesamteuropäische Zusammenarbeit prädestiniert. In den vergangenen 40 Jahren hat Berlin seine politische Bedeutung als Hauptstadt unterstrichen, und es hat seine geographische Lage, die beide Teile Deutschlands zusammengehalten hat. Es war mehr denn je der Balancepunkt deutscher Politik. Mit einer Entscheidung für Bonn aber würde dieser Balancepunkt nach Westen an die Rheinschiene verlagert werden. Meine Damen und Herren, eine solche Verlagerung würde den derzeitigen Entwicklungen in Europa widersprechen. Gerade jetzt in dieser Entwicklung wäre es in einer hoffnungsvollen Phase der Öffnung nach Mittel- und Osteuropa wirklich ein falsches Signal. Die Entscheidung gegen Berlin würde die Entwicklung der Stadt sicherlich erschweren. Für mich ist das, trotz meiner Funktion als Regierender Bürgermeister dieser Stadt, nicht das allein Entscheidende. Wichtig ist: Die Entscheidung des Bundestages muß eine einigende und dabei befriedende Wirkung haben. Sie muß für die Zukunft tragfähig sein. Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen ({11}) Ich werbe hier für Berlin. Ich möchte mich aber auch bei denjenigen bedanken, die sich um einen Konsens bemüht haben. Ich weiß, wie schwierig das war. Ich glaube, es ist wichtig, gerade hier auch noch einmal darauf hinzuweisen, daß eine tragfähige Lösung von möglichst vielen wirklich innerlich akzeptiert werden muß. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, aus den Argumenten - ich habe nur drei genannt - einladen, auffordern, sich für Berlin zu entscheiden. Diese Stadt Berlin ist sicher voller Gegensätze, voller Spannungen und Widersprüchlichkeiten; aber, meine Damen und Herren, gerade deswegen ist sie nicht der Hort von Zentralismus, gerade deswegen, durch ihre Vielfalt, ist sie nicht das Beispiel einer Megastadt. Aber, meine Damen und Herren, diese Gegensätze, Spannungen und Widersprüchlichkeiten sind der Stoff, aus dem politische Kreativität entsteht. Das ist für Regierungs- und Parlamentssitz auch etwas Gutes. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile nunmehr das Wort dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Johannes Rau. Ministerpräsident Dr. hc. Johannes Rau ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, daß ich lange gezögert habe, ob ich hier das Wort ergreifen sollte. Es ist eine Debatte, die schon ihre merkwürdigen Akzente hat. Seit Tagen haben wir gelesen, was für ein schwieriger Tag für das Parlament das sein werde. Wir haben die Argumente, die ausgetauscht worden sind, alle vorher in vielen Gesprächen schon hin- und hergewendet, und es ist auch für einen selber merkwürdig. Ich weiß nicht, wem von Ihnen es auch so geht wie mir: Da sitzt man da und schüttelt den Kopf bei Rednern, die man seit Jahren und Jahrzehnten verehrt und mit denen man befreundet ist. ({1}) Da gibt man Leuten Beifall, bei denen man früher keine Hand gerührt hätte. ({2}) Da ist man beeindruckt von Argumenten für die Position Berlins. Dann hört man jemanden, der für Bonn wirbt, und man denkt: Na, wenn er es doch ein bißchen anders sagte! ({3}) Dann kommt man auch in die Situation, in der ich gerade war, als der Regierende Bürgermeister hier so eindrucksvoll vortrug, als er die Stärken Nordrhein-Westfalens, die er den Werbeschriften entnommen hat, ({4}) noch sehr viel deutlicher dargestellt hat als vor unserer letzten Landtagswahl. ({5}) Da denkt man: Wie komme ich hier zu einem Diskussionsbeitrag, der der eigenen Linie treu bleibt? Ich gestehe: Was mich an Berlin-Befürwortern am stärksten beeindruckt und verunsichert, ist die Sicherheit ihrer Argumente. ({6}) Ich bin oft viel unsicherer in dem, was mich bei dieser Abwägung bestimmt. Ich sage das hier freimütig. Ich will Ihnen sagen, warum ich für den Standort Bonn werbe: Nicht, weil ich es für selbstverständlich halte, daß Diepgen für Berlin und Rau für Bonn ist, sondern weil ich eine Reihe von Überlegungen angestellt habe, die in der Tat auch mit meiner eigenen Lebensgeschichte zusammenhängen. Hier haben viele - auch der Bundeskanzler hat das getan - Daten und Fakten genannt, die Motive für die Art der jetzigen Entscheidung geworden sind. Mir ist das am stärksten bei Folgendem zum Bewußtsein gekommen. Sie sind, Herr Kollege Kohl, heute als Enkel Adenauers bezeichnet worden. Ich habe gestern das Glück gehabt, zum Sohn Gustav Heinemanns erklärt zu werden, ({7}) dabei ist er nur der Urgroßvater meiner Kinder. Ich wurde gefragt, wie mein Ziehvater angesichts dessen, was ich da sagte, wohl dächte. Ich habe darauf nicht geantwortet. Ich habe darauf nicht geantwortet, weil ich es nicht wußte, weil ich nicht weiß, wie ein Mann wie Gustav Heinemann, mit dem ich nun wirklich viele Jahrzehnte meines Lebens in enger Verbindung gestanden habe und dem ich viel zu verdanken habe, in dieser Situation entschieden hätte. Ich sage das, damit wir uns der außergewöhnlichen Situation bewußt sind, in der wir hier entscheiden. Man kann ja begrüßen, daß es einmal quer durch die Parteien geht. ({8}) Man kann aber auch besorgt sein, daß die Art, wie wir miteinander umgehen und wie dann die Entscheidung getroffen wird, hernach doch beiden schadet, denen, die für Bonn, und denen, die für Berlin eintreten. ({9}) Darum meine ich, wir sollten uns über ein paar Sachverhalte einig werden. Der eine Sachverhalt ist für mich, daß wir sagen: Nun hat der Bundestag zu entscheiden. Er hat die Argumente zu wägen, und er hat dann seine Entscheidung zu treffen. - Deshalb habe ich gezögert, ob hier Regierungschefs der Länder reden sollten. - Diese Entscheidung des Bundestages muß dann gelten. Ich fände es gut, wenn jede der beiden Seiten dann sagte: Ja, das nehmen wir hin und an, und wir versuchen, der anderen Region zu helfen. Wenn wir zu diesem Konsens nicht kommen, dann wird das hier eine Episode und nicht der Beginn einer Epoche, dann kommen wir nicht voran, bei dem, was doch die eigentliche Aufgabe ist, auf die sich Bonn- und Berlin-Vertreter jeweils berufen, daß es nämlich um die Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland geht. Darum Ministerpräsident Dr. hc. Johannes Rau ({10}) meine ich, wir dürfen jetzt nicht den Dauerkonflikt dadurch anlegen, daß wir die Entscheidung, die getroffen werden könnte, im vorhinein als vorläufig erklären; von keiner Seite dürfen wir das tun. Wie die Geschichte später entscheidet, das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, jetzt verantwortlich zu entscheiden. ({11}) Darum komme ich noch einmal auf das gestrige Ansprechen von Gustav Heinemann zu sprechen. Ich habe Ihnen eben gesagt: Ich weiß nicht, wie er sich entschieden hätte. Aber ich habe das als Anlaß genommen, mir noch einmal deutlich zu machen: Um so wichtiger ist, daß ich jetzt meine Entscheidung treffe, nicht unter Berufung auf Heinemann oder Weizsäcker oder Wehner oder Brandt, sondern ich, meine Entscheidung jetzt. Ich will Ihnen den Grund sagen. Ich würde ihn gerne in einem persönlichen Dialog dem Regierenden Bürgermeister sagen. Er hat davon gesprochen - er hat ja recht - , das wäre doch wohl zu bewältigen. Die scheinbare Zumutung, so haben Sie gesagt, wenn ich es mir richtig notiert habe, eventuell in fünf oder zehn Jahren mit Arbeitsplatz nach Berlin ziehen zu sollen, sei doch wohl denkbar und durchstehbar. So habe ich den Satz in Erinnerung. Dann sage ich: Dieser Satz ist für mich ein Schlüsselsatz für meine Entscheidung für Bonn, nicht weil ich glaube, daß Sie die sozialen Probleme hier in der Region gering achten; das gewiß nicht. Die sozialen Probleme hier wären groß. Aber wir würden diese Krise durchstehen; wir würden sie bewältigen; wir würden uns auf die Hilfe anderer stützen und verlassen. Wir würden das bewältigen; das glaube ich. ({12}) Aber schwer würde das. Ich sage: Der Satz „die scheinbare Zumutung eventuell in fünf oder zehn Jahren" macht deutlich, daß wir in der Gefahr sind, eine Symbolentscheidung zu treffen, eine bloße Geste. Denn in fünf oder zehn Jahren ist es nicht mehr die Frage, jetzt ist die Frage, wie wir den fünf neuen Ländern helfen. Das muß jetzt geschehen, indem wir jetzt mit unseren Mitteln unseren Menschen in Leipzig, in Dresden, auch in Berlin unsere Hilfe angedeihen lassen. ({13}) Nicht die symbolische Wirkung der Geste, daß eventuell in fünf oder zehn Jahren etwas komme, hilft in den fünf neuen Ländern, sondern es hilft, was wir jetzt tun. Darum habe ich vor einem Jahr Vorschläge gemacht. Ich habe vor einem Jahr einen Vorschlag gemacht, eine Einrichtung von Bonn nach Weimar zu legen. Ich habe die Reden von Willy Brandt in Erinnerung, auch die Rede, in der er in Berlin Vorschläge gemacht hat, wir sollten uns doch jetzt über die bundesstaatliche Ordnung Gedanken machen: Was kommt wohin? Was wird denn aus Rostock, aus Greifswald, aus Schwerin, aus Leipzig, aus Dresden, aus Magdeburg, aus Erfurt? All diese Fragen stehen jetzt für uns alle an. Aus diesen Fragen kommen wir nach meiner Überzeugung eben nicht heraus, indem wir jetzt eine Entscheidung treffen, die Berlin noch nicht nützt und der Rheinschiene jetzt schon schadet. ({14}) Ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn es links rot aufleuchtet. Aber das ist gefährlich. ({15}) Lassen Sie mich noch zwei kurze Sätze sagen: Hier sind die zehn Landtage und die zwei Landesregierungen zitiert worden. Auch mein Freund Jochen Vogel hat sie zitiert. ({16}) - Den nordrhein-westfälischen hat er nicht zitiert, weil der nicht bei den zehn ist. Ich finde, die Landtage und die Landesregierungen haben eine hervorragende Möglichkeit, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, nämlich am 5. Juli im Bundesrat. Es ist Sache des Bundesrates, was die Landtage und die Landesregierungen sagen. ({17}) Hier hat jetzt der Bundestag zu entscheiden, und er wird nicht durch Entscheidungen von Landtagen und Landesregierungen präjudiziert. ({18}) Das letzte, was ich sagen möchte, ist: Meine Damen und Herren, ich habe zu denen gehört, die sich wochen- und monate-, tage- und nächtelang um Kompromisse bemüht haben, weil sie keine Spaltung wollten. Man kann 1986 als Kanzlerkandidat nicht „Versöhnen statt Spalten" rufen und dann hernach sehen, wie die Züge aufeinanderfahren. Nur, wenn jeder Kompromißvorschlag daran gemessen wird, ob er denn auch alles erfüllt, was der andere will, ist das Wesen des Kompromisses verbraucht. Deshalb ist es nicht zu einem Kompromiß gekommen. Darum ist jetzt zu entscheiden. Ich bitte: Entscheiden Sie so, daß die bundesstaatliche Ordnung gewinnt und daß wir die Kräfte und die Sinne wieder freibekommen für die Hilfe in den neuen Ländern! ({19})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für unser neuestes Theaterstück, vermeldete jüngst Wolf Biermann, habe er einen pathetischen, einen sarkastischen und einen Hegelschen Satz im Angebot. „So wie es ist, bleibt es nicht", schrieb Bertold Brecht in „Revolutionäre Zeiten". „So wie es bleibt, ist es nicht", äffte Heiner Müller in Zeiten der Stagnation Brecht nach. „Nichts ist, wie es ist" , schrieb Shakespeare, „und darauf ist Verlaß " . Mit diesen drei Zauberworten, so Biermann, kommen wir allemal durch die Welt. Obzwar er dabei das moderne deutsche Theater gemeint hat, könnte er diesen Spruch auch darauf anwenden, was in den letzten Wochen und Monaten in den Medien und in manchen Aussagen von Politikern kundgetan wurde. Mit scheint, daß diese vorbereitende Diskussion nicht immer von der Verantwortung getragen war, die wir heute mit einer Entscheidung zu treffen haben. Ich habe jetzt sechs Jahre Berlin-Aufenthalt hinter mir. Ich wohne in Berlin. Ich gestehe ehrlich, ich kenne schönere Städte. Ich wohne ein Dreivierteljahr in Bonn. Ich wohne hier gut und habe gute Arbeitsverhältnisse. Mir scheint aber, daß diese persönliche Befindlichkeit nicht unsere persönliche Entscheidung beeinflussen darf. Wir haben heute eine politische Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung nicht für die nächsten vier oder fünf Jahre, sondern eine Entscheidung, die weit über die Jahrhundertwende hinausgeht. Der Gordische Knoten des Pro und Kontra für Berlin oder Bonn läßt sich nach meinem Selbstverständnis in der insgesamt doch etwas verwirrenden Diskussion nicht dadurch entwirren, daß man zwischen dem EntwederOder auf kompromißbereite Lösungssuche geht, so ehrenhaft und so notwendig das auch war und ist. Eine Entscheidung ist und bleibt nun einmal eine Entscheidung für etwas und zugleich gegen etwas. Wir haben uns heute für etwas und gegen etwas zu entscheiden. Jede andere Entscheidung wäre eine halbherzige Entscheidung und würde die Debatte um Parlaments- und Regierungssitz nicht beenden. Ein sachlicher Exkurs in die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts im allgemeinen belegt zudem sowieso, daß Hauptstädte in der Regel durch politische Entscheidungen im jeweiligen Staat als solche etabliert wurden, so im übrigen 1949 auch Berlin und Bonn. In den meisten Fällen - um in der Geschichte zu bleiben - mußten die politische Funktion sowie die zentrale Verwaltung ebenso auf- bzw. ausgebaut werden wie das wirtschaftliche und kulturelle Gewicht und Ansehen. Nebenbei bemerkt - auch das ist in der europäischen Geschichte ja belegt - : Bildungs-, Kultur-, Verwaltungs- und Wirtschaftsmetropolen sind seit vielen Jahrhunderten in zahlreichen Ländern neben der jeweiligen Hauptstadt als Regierungssitz und Parlamentssitz als vollkommen normal empfunden worden. Ich entscheide mich in der Abstimmung für Berlin und habe dafür drei Gründe: Erstens. Ich halte es für angebracht, ein vor über vierzig Jahren gegebenes und danach beständig im öffentlichen Bewußtsein gehaltenes Wort auch einzulösen. Mir scheint, es spricht nicht für politische Glaubwürdigkeit, wenn man elf Legislaturperioden über Berlin als Hauptstadt und künftigen Regierungs- und Parlamentssitz spricht, ({0}) und zu Beginn der zwölften Legislaturperiode eine andere Entscheidung trifft. ({1}) - Ich werde micht nicht zurückhalten, weil ich ein demokratisches Mandat wie Sie habe, und ich werde reden, so wie ich denke, und ich werde machen, was ich will, weil ich allein meinen Wählern verantwortlich bin und nicht Ihren Zwischenrufen. ({2}) Und es ist gut für eine deutsche Demokratie, daß es unterschiedliche Meinungen gibt, und es wäre für eine parlamentarische Demokratie sehr gut, wenn diese unterschiedlichen Meinungen kultiviert ausgetragen würden und nicht durch Zwischenrufe. Herr Bötsch, es ist doch bekannt, daß Sie Weltmeister im Zwischenrufen sind. Daran werden Sie nicht gemessen. ({3}) - Ich rede, wie ich will, ob ich in der SED gewesen bin oder ob ich früher in der CDU gewesen bin. Ich habe ein Mandat in diesem Deutschen Bundestag, und ich werde es wahrnehmen. ({4}) Dieses Wahrnehmen schließt auch ein, daß es mir in der Diskussion nicht gefällt, daß man in den letzten Wochen und Monaten von einem Provisorium Bonn gesprochen hat. Für mich ist Bonn nie ein Provisorium gewesen. Für mich ist Bonn eine Stadt gewesen, von der die neue Ostpolitik ausgegangen ist. Und die neue Ostpolitik hat einen Gorbatschow erst ermöglicht. Wenn wir heute auf ein vereinigtes, wirklich vereinigtes Europa zugehen, da hat Bonn eine historisch bedeutsame Rolle gespielt. Das bitte ich gleichermaßen in der künftigen Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen. Zweitens. Ich gehe davon aus, daß die Entscheidung für Berlin im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung von erheblicher Symbolkraft sein könnte, nicht nur für das vereinigte Deutschland, sondern auch für die Völker Europas und der Welt. Diese Entscheidung eröffnete die Möglichkeit, für jedermann erkennbar ein Verständnis für die deutsche Einigung als im weitesten Sinne kulturellen Erneuerungsprozeß anzuzeigen und glaubhaft zu bedeuten, daß in der deutschen Politik mit mehr zu rechnen sein wird denn mit einer größeren alles beim alten lassenden quantitativen Potenz. Und drittens entscheide ich mich für Berlin, weil ich darin eine große historische Chance sehe für ein modernes, bisher nicht erprobtes Modell - auch der Sozialplanung - nicht nur für Berlin und NordrheinWestfalen, sondern in der Dimension für mehrere Länder. 1 Meine Entscheidung für Berlin ist auch mein persönlicher Wille, dafür einzutreten, daß Bonn und die Region Bonn lebt und nicht, wie manches in Berlin, abgewickelt wird. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Abgeordnete Paul Laufs.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gefühle, die einen Schwaben wie mich, der in großer Entfernung von Bonn und Berlin zu Hause ist, in dieser Stunde bewegen sind zunächst mit seiner Leidenschaft für Effizienz und Sparsamkeit eng verbunden, auch mit seiner Neigung zu einer bescheidenen Lebensführung. Mich bedrückt der Gedanke an alle unsere ungeheuren Aufgaben im Osten, im zusammenwachsenden Europa, in der Weltwirtschaft und nicht zuletzt in der Dritten Welt. Sind wir noch in der Lage, zusätzliche immense Lasten zu schultern, wie sie mit einem beispiellosen Umzug verbunden wären? ({0}) Ich sehe natürlich auch, daß dies nicht der erste und nicht der einzige Aspekt ist. Berlin ist die deutsche Hauptstadt und hat als Stadt der deutschen Einheit Anspruch auf die Anwesenheit höchster Verfassungsorgane, in denen sich die Bundesrepublik Deutschland repräsentiert. Bonn hat den Anspruch darauf, in der Kontinuität der jüngsten, höchst erfolgreichen und glücklichen Geschichte der Deutschen zu bleiben. Es geht also um eine Lösung, die beiden bedeutenden Städten deutscher Geschichte gerecht wird. ({1}) Mit einer Alles-oder-nichts-Entscheidung werden wir eine Befriedung und einen gemeinsamen Weg in die Zukunft nur schwer erreichen. Meine Damen und Herren, die Staatsgewalt sollte nicht nur funktional geteilt sein, damit sie zur gegenseitigen Kontrolle in der Lage ist, sie sollte auch regional, landesweit verteilt sein. Der Gedanke der funktionalen und der regionalen Gewaltenteilung hat die Verfassungsväter und -mütter und die Politiker der ersten Stunde zutiefst beeinflußt. Wir sind sehr gut damit gefahren, z. B. mit dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, mit der Bundesbank in Frankfurt, dem Verfassungsschutzamt in Köln usw., mit den Bundesländern als eigenständigen Zentren politischer Macht. Der Gedanke der funktionalen und regionalen Gewaltenteilung ist grundlegend für die Bundesrepublik Deutschland und sollte auch in der Hauptstadtdebatte bewußt sein. Unser Staat ist nicht zentralistisch angelegt, und dies hat sich bewährt. Die Frage der Praktikabilität hat dabei nie im Vordergrund gestanden. Ich möchte eine weitere Überlegung hinzufügen. Die wirtschaftliche Stärke unseres Landes ist nicht zuletzt darin begründet, daß es in ihm eine Vielzahl regionaler Ballungs- und Wachstumszentren gibt. Es zeichnet sich bereits ab, daß diese Ballungsräume wegen ihrer zunehmenden Probleme des Verkehrs, des Wohnungsmarktes, der Umwelt und der Lebenshaltungskosten unattraktiv werden. Die Wachstumsträger der Zukunft werden mittelgroße Städte sein, die unbelastete Spielräume anbieten können. Und eine ausgebaute Infrastruktur bis hin zur Universität besitzen. Es wäre deshalb verkehrt, die wichtigsten Funktionen gebündelt in einen riesigen Verdichtungsraum zu verlagern, mit all seinen vielfältigen Erstickungssymptomen. Ich bin deshalb der Auffassung, daß wir einen Umzug der Regierung, einschließlich der Ministerien, von Bonn nach Berlin nicht verantworten können. Muß dies auch für den Deutschen Bundestag gelten? Gefühlsmäßig wird jeder sagen: Das gilt auch für den Deutschen Bundestag. So sind wir es gewohnt, und so haben wir gute Erfahrungen gemacht. Können wir aber weiter so Berlin gerecht werden? Berlin ist Hauptstadt und muß im vereinten Deutschland einen wirklich herausgehobenen Platz erhalten. Die Teilung überwinden durch Teilung von Parlaments- und Regierungssitz, ist dies praktikabel? Die räumliche Trennung von Regierung und Parlament würde die Effizienz ihrer Zusammenarbeit schwächen; das ist nicht zu bestreiten. Die Bundesregierung wäre stärker davon betroffen als der Deutsche Bundestag. Ich bin aber davon überzeugt, daß die Nachteile der unterschiedlichen Standorte durch die Mittel der Kommunikations- und Verkehrstechnik auf ein geringes Maß eingeschränkt und insgesamt erträglich gestaltet werden könnten. Die räumliche Distanz des Bundestages von der Regierung müßte dem deutschen Parlamentarismus nicht abträglich sein. Die gewohnte, überaus enge Verzahnung zwischen Regierungs- und Parlamentstätigkeit legt ja mitunter die Frage nahe, wer eigentlich wen kontrolliert und an der Hand führt. Montesquieu hätte gewiß wenig Freude mit uns. Die Exekutive ist in Wahrheit übermächtig geworden. Mehr bewußte Eigenständigkeit würde dem Parlament guttun. Und das Bild von den zwei Fußballmannschaften ist gänzlich falsch: Keine Parlamentsmehrheit stürmt gegen das eigene, d. h. das Regierungstor. Eigentore kommen zwar bisweilen vor, sind aber meistens nicht beabsichtigt. Meine Damen und Herren, ein Umzug des Bundestages könnte vollständig erst in einigen Jahren geschehen. Bis dahin wünsche ich mir viele Sitzungen des Deutschen Bundestages im Berliner Reichstag, nicht nur zu feierlichen Anlässen, auch für große Debatten und wichtige Entscheidungen. Ich bitte Sie um Zustimmung zum „Konsensantrag". ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind jetzt an dem Punkt, an dem die beiden ersten Runden, die vereinbart waren, zu Ende gegangen sind. Wir haben heute morgen beschlossen, daß wir dann nach den Regeln der Aktuellen Stunde vorgehen wolVizepräsident Helmuth Becker len. In diesen Regeln steht - ich darf Sie bitte alle daran erinnern - : Kein Beitrag darf länger als fünf Minuten dauern. Als nächster Redner hat nun unser Kollege Hans Bury das Wort.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eine Frage aufgreifen, die Willy Brandt am 20. Dezember 1990 im Berliner Reichstagsgebäude an uns gerichtet hat. Lassen Sie sie mich sinngemäß umformulieren: Ist jemand in diesem Hohen Haus, der nach dem 5. April 1966 geboren worden ist? - Da das offensichtlich nicht der Fall ist, möchte ich als jüngstes Mitglied des Deutschen Bundestages ({0}) unsere Debatte aus der Perspektive der jungen Generation konkretisieren. Welches sind die entscheidenden Argumente der Berlin-Befürworter? - Glaubwürdigkeit und Symbolik. Beide Gedanken greifen zu kurz, weil sie nur vergangenheitsgerichtet sind. Berlin ist Hauptstadt des geeinten Deutschland. Die Entscheidung über den Sitz von Parlament und Regierung hat der Einigungsvertrag - auch mit Zustimmung fast aller Berlin-Befürworter - ausdrücklich offengehalten. ({1}) Wir sind also in unserer Entscheidung in jeder Hinsicht wirklich frei, und zwar nicht nur formal, sondern auch auf Grund unserer geschichtlichen Entwicklung. Denn Geschichte ist nicht statisch, sondern dynamisch. Und die Vorstellung von der Funktion Berlins, die manche hier konservieren, stand im Verbund mit einem Deutschland in den Grenzen von 1937. ({2}) In der Grenzfrage haben wir geschichtliche Entwicklungen akzeptiert. Das hat unserer Glaubwürdigkeit nicht geschadet, im Gegenteil! ({3}) Die jungen Generationen verbinden mit der parlamentarischen Demokratie Bonn, das vom westdeutschen Provisorium zur gesamtdeutschen Politikwerkstatt geworden ist, und zwar mit europäischer Perspektive. Diese Perspektive kommt mir in unserer Diskussion zu kurz. Alle haben begrüßt, daß die deutsch-deutsche Grenze gefallen ist. Wir dürfen aber jetzt nicht stehenbleiben und uns selbstgerecht zurücklehnen. Die deutsche Einigung ist für mich nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur europäischen Integration. Und ein grenzenloses Europa, ein Europa der Regionen, braucht keine nationalstaatlichen Machtzentren alter Prägung. ({4}) Entgegen allen Beteuerungen laufen wir heute Gefahr, auf das Auslaufmodell „Nationalstaat" zu setzen und den europäischen Zug der Zeit zu verpassen. Einige wenden zu Recht ein, daß wir uns nicht allein auf Westeuropa konzentrieren dürfen. Auch ich messe einer Osteuropapolitik große Bedeutung bei. Doch die Lokomotive wird in Straßburg und Brüssel aufs Gleis gesetzt und nicht in Berlin. Deutschland kann und Deutschland soll hier nicht im Alleingang agieren, sondern im europäischen Verbund. Ein weiterer Aspekt, um den wir uns wenigstens heute nicht herummogeln dürfen, sind die Kosten eines Umzugs. Ich bin immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert worden: „Wer die Kosten in den Vordergrund stellt, hat keine Grundsätze. " - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben in den letzten Tagen von Vertretern großer Jugendverbände einen Brief bekommen, in dem die deutschen Beiträge zur Linderung von Hunger und Elend in der Welt auf gelistet worden sind. Der Vergleich der Kosten eines Umzugs mit diesen Zahlen ist für uns alle beschämend. ({5}) Wer die Kosten in die Diskussion einbezieht, hat vielleicht andere Grundsätze, aber sicher keine schlechteren. ({6}) Denn egal, ob der Umzug 50 oder 100 Milliarden DM kostet: Wir reden über Geld, das wir gar nicht haben. Niemand hier hat im Verlauf der ganzen Debatte gesagt, wie wir es aufbringen wollen. Wieder wird ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft gezogen. Es ist unverantwortlich, wie hier mit einer Politik für die Vergangenheit die Handlungsspielräume der Zukunft eingeengt werden sollen. Die finanzielle und psychologische Belastbarkeit der Menschen in der Bundesrepublik ist nicht unbegrenzt. Ich bitte Sie, diesen Punkt angesichts wachsender Wohnungsnot, fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten und struktureller Probleme auch in den alten Ländern nicht zu unterschätzen. Lassen Sie uns auf die wesentlichen Herausforderungen der Politik zurückkommen! Wir brauchen keinen neuen Parlaments- und Regierungssitz. Die junge Generation entwickelt ein Selbstbewußtsein, das ohne den Hang zu Symbolen nationaler Größe und Repräsentanz auskommt. Eine Entscheidung für Bonn ist eine Entscheidung für die Zukunft. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile nunmehr unserem Kollegen Wolfgang Mischnick das Wort.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu den drei Ältesten des Hauses, und ich weiß, daß in der jungen Generation viele ähnlich wie der Kollege denken, der soeben gesprochen hat. Ich habe allerdings in vielen Diskussionen leider auch feststellen müssen, wie viele dieser jungen Generation von Fakten ausgehen, die keine Fakten sind, und die tatsächliche geschichtliche Entwicklung vor 1933, bis 1945 und danach nicht vollständig wissen ({0}) und deshalb zu Fehlschlüssen gekommen sind. Daher ein paar kurze Bemerkungen zur Entwicklung. 1949 entschied man sich für Bonn und gegen Frankfurt mit der Begründung, Frankfurt wäre eine Festlegung auf Dauer, Bonn sei das Provisorium. Gut, man kann 40 Jahre später zu neuen Überlegungen kommen. Ende der 50er Jahre haben wir gemeinsam knirschend hingenommen, daß wir nicht mehr in Berlin tagen durften, weil die Alliierten das so wollten. ({1}) Man kann 20 Jahre, 30 Jahre später neue Überlegungen anstellen. Wir haben die Vier-Mächte-Vereinbarung zur Kenntnis genommen und mußten wiederum feststellen, daß wir nicht in Berlin tagen durften. Wir haben bestätigt, daß das für uns eine vorübergehende Erscheinung ist. Sodann, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, erinnere ich an einen Tag, der nicht lange zurückliegt. Am 9. November 1989, als hier nach kurzen Redebeiträgen dieser Bundestag spontan aufstand und unsere Nationalhymne sang, war das einer der bewegendsten Augenblicke meiner parlamentarischen Tätigkeit. ({2}) Wer mir an diesem Abend gesagt hätte, es sei zweifelhaft, daß dieser Bundestag in Zukunft in Berlin tagen werde, dem hätte ich erklärt: Das halte ich nicht für möglich. ({3}) Heute muß ich feststellen, wie schnell dies vergangen ist, was damals an innerer Einstellung vorhanden war. Nun wird, wie soeben, behauptet: Aber die Kostenfrage! - Das war auch 1949 so. Da wurde Bonn billig und Frankfurt teuer gerechnet; hinterher war es genau umgekehrt. Das kann nicht die Entscheidungsfrage sein. Denn jeder muß wissen: Was kurzfristig billig ist, wird mittelfristig und langfristig teuer, wenn man es ernst meint, daß Berlin nicht nur ein Etikett ist, sondern eine Hauptstadt sein soll. Wenn man beides nebeneinander haben will, wird es nicht billiger, wird es teurer werden. ({4}) Deshalb, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, kann dieses Argument nicht das entscheidende sein. Ein weiterer Gesichtspunkt ist für mich von großer Bedeutung. In dieser Stadt, wo beide Teile Deutschlands jetzt zusammenwachsen, ist es natürlich von Bedeutung, ob wir uns an die Entscheidungen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben, halten oder nicht. Hier wird das Zusammenwachsen täglich für jedermann sichtbar. Hier wird das Zusammenwachsen auch für das Gesamtdeutschland von Bedeutung sein. Wenn wir uns heute für Berlin entscheiden, heißt das, daß eben nicht nur wir Bundesbürger mit allen unseren Kräften für Berlin eintreten. Dann werden auch Dritte bereit sein, nach Berlin zu gehen. Und dann wird sich die Kostenfrage in einer ganz anderen Weise, als es heute dargestellt wird, stellen, ({5}) als wenn wir uns umgekehrt entscheiden. Denn viele werden nicht nach Berlin gehen, wenn wir hierbleiben. Für Bonn ist die europäische Komponente entscheidend. Wenn Bundesparlament und Regierung hierbleiben, wird Bonn nicht ein Pfeiler des künftigen Dreiecks Brüssel-Luxemburg-Bonn werden können. Hier ist die Zukunft für Bonn, dieses Dreieck zu bilden, damit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft davon die entsprechenden Impulse ausgehen. ({6}) Berlin aber sollte für Deutschland die Brücke zu den östlichen Ländern bilden. Diese Doppelfunktion Bonn und Berlin, das ist wirklich die Zukunft. Deshalb bin ich für Berlin. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Clemens Schwalbe.

Clemens Schwalbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002121, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussionen in der letzten Zeit um den Sitz von Parlament und Regierung wurden so geführt, als sei die heutige Entscheidung die Schicksalsentscheidung für die deutsche Nation. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den Berlin-Antrag „Vollendung der Einheit Deutschlands", so, als ginge es darum, einen neuen Einigungsvertrag auszuarbeiten. ({0}) Das Schicksal der Nation entscheidet sich nicht durch die heutige Entscheidung, sondern dadurch, wie in allen neuen Ländern der Aufschwung vorangeht, ({1}) und dies nicht nur am heutigen Tag, sondern Tag für Tag. Wir wägen das Für und Wider für eine Region ab, in der wir neue Arbeitsplätze schaffen wollen, in der wir überhaupt keine wegzunehmen bräuchten. Hätten wir so intensiv, wie wir in letzter Zeit um Bonn und Berlin gestritten und Kompromisse gesucht haben, um Leuna und Buna gestritten, ich sage Ihnen, wir hätten bereits eine Lösung gefunden, wie wir in dieser Region 50 000 Arbeitsplätze retten könnten. Diese Diskussion, meine Damen und Herren, hätten die Menschen dort vor Ort auch verstanden. ({2}) Nein, wir streiten statt dessen darüber, welche Arbeitsplätze wir einer Region anbieten können, weil wir meinen, aus der Geschichte ableiten zu können, daß die vorhandenen Arbeitsplätze dieser Region nicht zustehen. Der Sitz des Parlaments und der Regierung ist für die Zukunft Deutschlands nicht das Entscheidende, meine ich, wie uns mancher glauben machen will. So werden wir mit Schlagworten bombardiert: „Wer nicht für Berlin ist, macht sich zum Gespött der Welt" , „Welch erbärmliches Schauspiel geben die Bonn-Provinzler ab"; das geht hin bis zu „Verrat am Vaterland und an den neuen Bundesländern" . ({3}) - Mein lieber Herr Kittelmann, schlagen Sie mal die heutigen Zeitungen auf; dann können Sie das wortwörtlich nachlesen. Das gipfelt darin, daß man heute in einer großen deutschen Tageszeitung nachlesen kann: Alles geht von Berlin aus. Aber genau das ist der Punkt, warum ich als Vertreter der neuen Bundesländer für einen Vorschlag eintrete, der eine Ausgewogenheit für alle unsere Länder vorsieht. Die Zukunft unseres Vaterlands ist nun einmal von der Entwicklung in ganz Deutschland abhängig und nicht nur von Berlin. Wir brauchen kein übermächtiges politisches und wirtschaftliches Machtzentrum, ({4}) dessen Umfeld von Anfang an zu Wettbewerbsnachteilen verurteilt ist. ({5}) Wenn ich einer wahrhaft umstrittenen und unpopulären Steuererhöhung meine Zustimmung gegeben habe, so habe ich das mit gutem Gewissen für den Aufbau der neuen Länder getan. Aber ich habe es nicht dafür getan, daß der größte Teil dieses Geldes für einen neuen Parlaments- und Regierungssitz ausgegeben wird. ({6}) Das, meine Damen und Herren, überstiege mein Solidarverständnis. Ich füge noch etwas hinzu: Berlin sollte doch endlich einmal mit sich selbst ehrlich sein. Die Probleme, die mit der Einheit dieser Stadt verbunden sind, der prognostizierte Zuwachs dieser Stadt können heute noch gar nicht bewältigt werden. Wenn wir davon ausgehen, daß diese Stadt innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre einen Zuwachs von über einer Million Menschen haben wird, frage ich mich, wie wir diese Probleme lösen wollen. Und zusätzlich wollen wir dort einen Regierungs- und Parlamentssitz errichten? Wie soll das gehen? Das geht nur, indem wir dafür eine Vorrangstellung einräumen, und dann schaffen wir neue Privilegien; denn wir müssen Parlament und Regierung bevorteilen, weil wir für die sozial Schwächeren dann kein Geld mehr haben, da wir erst repräsentative Bauten errichten müssen. Diese Problematik habe ich 40 Jahre erlebt und kann dem deshalb nicht zustimmen. Fazit - das rote Lämpchen leuchtet - : Wir haben eine Hauptstadt; so steht es im Einigungsvertrag. Sie soll Deutschland für Deutschland und Europa repräsentieren. Wir haben Bonn, von dem über 40 Jahre eine gute Politik für Deutschland und für Europa ausgestrahlt hat und das auch für den DDR-Bürger ein Symbol für Frieden und Freiheit gewesen ist, ({7}) nämlich zu der Zeit, als wir nur aus unserem Kämmerlein heraus die Bundestagsdebatten am Fernseher verfolgen konnten.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Schwalbe, kommen Sie bitte zum Schluß!

Clemens Schwalbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002121, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Darüber hinaus haben wir fünf neue Bundesländer, die auf eine Signalwirkung warten. Und die Signalwirkung heißt: Oberste Bundesbehörden in alle Länder und nicht nur nach Berlin. Deshalb der Vorschlag: Stimmen Sie der Bundeslösung zu. Danke schön. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat der Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Deutschen sind ein seltsames Volk: Erst leben wir als ein Volk in zwei Staaten und hegen jahrzehntelang eine maßlose Haßliebe aufeinander. Dann vereinigen wir die beiden Staaten hastig wieder und stellen nach der Hochzeitsnacht erschrocken und ernüchtert fest, daß in dem einen deutschen Land zwei deutsche Völker wohnen, die sich so fremd sind, wie sich nur Verwandte fremd sein können. ({0}) Mit unserer Hauptstadt halten wir es nicht besser. Wie haben Sie alle hier in Westdeutschland dem amputierten Berlin nachgetrauert, und wie widerstrebend haben Sie sich an die Hauptstadtprothese Bonn gewöhnt! Wie haben sie das gequälte, geschundene, zerrissene Berlin umhegt und es 40 Jahre lang für eine bessere Zukunft am Tropf gehalten! Konrad Weiß ({1}) Nun ist das Wunder geschehen: Was Sie im Westen und wir im Osten für die Zukunft erhofft hatten, könnte Gegenwart sein. Doch nun auf einmal fällt es schwer, sich von der Vergangenheit zu trennen. Ich habe mein halbes Leben lang in Ostberlin gelebt, der anderen Hälfte der Hoffnungsstadt. Überall, wohin ich kam, stieß ich auf Mauern. Meine Kinder sind im Schatten der Mauer großgeworden. Berlin war für mich immer mehr als der Ort, in dem ich wohne. Es war eine offene, schmerzende Wunde. Es war das Symbol der Teilung. Nirgends sonst in Deutschland war die Trennung so augenfällig wie dort, nirgends sonst wurde die Mauer so gehaßt wie in Berlin, wo sie allgegenwärtig war. Berlin ist auch Symbol deutscher Schuld. Der brennende Reichstag steht für die tiefste Niederlage der Menschlichkeit und Demokratie in Deutschland. Die rote Siegesfahne auf seinem Dach erinnert mahnend an die Opfer, die von der Völkergemeinschaft und von wenigen mutigen Deutschen erbracht worden sind, damit Deutschland wieder ein demokratisches und menschliches Land werden konnte. Nun, seit der Vereinigung, hat der Reichstag seine Würde wieder. Gibt es einen Ort, der geeigneter sein könnte für ein Parlament? ({2}) Berlin ist eine Weltstadt. Für keine andere Stadt hat das Weltgewissen so laut und vernehmlich gesprochen. Für keine andere Stadt wurden mehr Opfer gebracht. Meine Freunde in Warschau, in Paris, in Moskau und in New York, ja selbst in Jerusalem verfolgen fassungslos die deutsche Debatte. Niemand im Ausland versteht auch nur die Fragestellung. Es ist ein gleicherweise romantisches wie komisches Duell, dem wir als Abgeordnete nun sekundieren sollen. Man stelle sich vor, Ernst Reuter hätte mit Blick auf das nationale Wasserwerk gerufen: Schaut auf diese Stadt! Oder ein amerikanischer Präsident hätte gesagt: Ich bin ein Bonner. ({3}) Ich habe mein halbes Leben in Berlin, der Hoffnungsstadt, gewohnt. Bonn habe ich immer mit Respekt als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland betrachtet, jener Bundesrepublik, mit der ein demokratischer und freiheitlicher deutscher Staat geschaffen worden ist. Diese alte Bundesrepublik aber ist, nicht anders als die DDR, am 3. Oktober 1990 untergegangen. Deutschland, dessen Souverän uns gewählt hat, dieses Deutschland ist ein neues Land. Bonn gehört der alten Bundesrepublik; für uns aus dem Osten ist und bleibt es fremd. ({4}) Ich gestehe gern ein: Bonn ist eine hübsche, verträumte, gemütliche Stadt. Es ist bequem und sanft und eine gefällige Residenz - eine Stadt für Leute, die alles hinter sich haben. ({5}) Berlin ist Zukunft, ist Leben, ist Spannung und Streß, Unruhe und Bewegung. Berlin ist widerspenstig und widersprüchlich und geht grobschlächtig mit den Mächtigen um. Bonn ist das Zimmermädchen der Politik; hier dreht sich alles um die Macht. Berlin dreht sich um sich selbst; es kennt keinen Respekt vor Titel und Namen. In Bonn lebt's sich angenehm und rheinisch leicht; Weinhügel umgeben es, und Paris ist nah. 40 Jahre lang haben wir Ruhe gehabt, beklagte sich gestern ein Bonner. Berlin wird uns nicht in Ruhe lassen. Berlin atmet und stinkt und dröhnt. - Über die alten Weinberge ist längst Beton gegossen, doch Warschau und Prag sind nah, und Paris ist nicht weit. Berlin ist eine europäische Stadt. Für Bonn, meine Damen und Herren, spricht viel, aber für Berlin spricht alles. Es gibt keine Alternative für Deutschlands schlagendes Herz. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wenn mir die Bemerkung gestattet ist: Auch in Bonn dürften viele noch einiges vor sich haben, z. B. die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, die jetzt das Wort hat. ({0})

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grundlage der heutigen Debatte ist der Einigungsvertrag. Dort heißt es: Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden. Damit ist die Möglichkeit einer Trennung zwischen Hauptstadt einerseits und Sitz von Parlament und Regierung andererseits ausdrücklich eröffnet worden. ({0}) Vor diesem Hintergrund sollten wir fair miteinander umgehen und gemeinsam feststellen: Jedermann hat das Recht, sich für Berlin einzusetzen. Jeder von uns hat aber genauso das Recht, sich für Bonn einzusetzen. ({1}) Die Berlin-Befürworter stützen sich auf den Bundestagsbeschluß von 1949. Wir Bonn-Befürworter stützen uns auf den Bundestagsbeschluß von 1990, und deswegen kann von Wortbruch keine Rede sein, meine Damen und Herren. ({2}) Ich bin für eine Aufgabenteilung: Berlin als deutsche Hauptstadt mit wichtigen Funktionen, ({3}) und Bonn als Sitz von Parlament und Regierung. ({4}) Zu unserer deutschen Identität gehört eben das doppelte Symbol: Berlin als Symbol für 40 Jahre Freiheitskampf und als Brücke zum Osten; Bonn als Verbindung zum Westen und als Symbol für die besten 40 Jahre, die die Deutschen historisch auf die Beine gebracht haben, meine Damen und Herren. ({5}) Ich habe die Sorge, daß wir bei der ganzen Debatte zuviel von historischen Erinnerungen und geschichtlichen Argumenten reden, und zuwenig von den Menschen und ihren tatsächlichen Problemen. Was nützt es eigentlich dem arbeitslosen Werftarbeiter in Rostock, wenn neue Regierungsbauten in Berlin entstehen? ({6}) Was hilft es der alleinstehenden Mutter in Dresden und dem Automobilarbeiter in Zwickau, wenn der Bundestag nach Berlin umzieht? Lieber Wolfgang Thierse, du hast gesagt, eine Entscheidung für Berlin wäre ein wunderbarer Anlaß zur Hoffnung. Solche Worte wecken in mir die Furcht, daß schon wieder neue Illusionen genährt werden, ({7}) und das ist gefährlich; denn daß unerfüllbare Illusionen genährt worden sind, ist doch heute schon die schwerste Hypothek der deutschen Einheit, meine Damen und Herren. ({8}) Ein Umzug würde in der Bonner Region große Strukturprobleme schaffen und Zigtausenden Menschen schaden. Vergessen wir nicht: Auch hier geht es um Menschen. Hier geht es nicht um den Umzug von Aktenschränken und Schreibtischen; es geht um Männer, Frauen und Kinder, meine Damen und Herren. ({9}) Ich möchte diejenigen, die meinen, sie könnten Strukturprobleme in Berlin mit einem Umzug lösen, daran erinnern: Es gehörte noch nie zur Politik dieser Republik, daß man ein Strukturproblem in einer Region durch das Schaffen eines Strukturproblems in einer anderen Region lösen wollte. ({10}) Die Kosten eines Umzugs wären enorm. Keiner kann die Summe genau nennen. Der Bundesfinanzminister hat erschreckende Größenordnungen genannt. Einige zig Milliarden wären es auf jeden Fall. Wir müssen für die Verwirklichung der deutschen Einheit sehr viel Geld aufbringen, und das wollen wir auch. Ich will jedoch, daß wir diese Mittel in Investitionen und Arbeitsplätze, in Beschäftigungsgesellschaften und Kindergartenplätze, aber nicht in einen Umzug stecken. ({11}) Der Bundespräsident hat einmal gesagt: Wer die Finanzierbarkeit seiner Politik nicht ernst nimmt, der handelt verantwortungslos. ({12}) Deshalb ist es kein Krämergeist, sondern Verantwortungsbewußtsein, wenn wir warnen: Jede Mark, die in einen Umzug geht, steht für den Aufbau in Rostock, Halle und Chemnitz eben nicht mehr zur Verfügung. ({13}) Müssen wir denn nicht befürchten, daß die Bereitschaft der Bürger zu Solidarität abnimmt, wenn ihre mühsam verdienten Steuergelder in einen Umzug statt in den Aufbau der neuen Bundesländer gehen? ({14}) Mein letzter Satz: Ich appelliere an Sie: Wir haben doch so viele Probleme zu lösen. Packen wir sie mit Mut, mit Kraft und mit Energie an, aber schaffen wir uns nicht durch einen Umzug ein zusätzliches neues Problem! Wir sind ein reiches und leistungsstarkes Land, aber auch der Stärkste kann zusammenbrechen, wenn man ihm zuviel aufbürdet. Deswegen: Wählen wir den Weg der praktischen Vernunft! Entscheiden wir für Bonn! ({15})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat Herr Abgeordneter Lothar de Maizière.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht ein Jahr her, da hat die letzte frei gewählte Volkskammer der DDR in der Nacht vom 22. zum 23. August 1990, um 2.57 Uhr den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 beschlossen. Wer diese dramatische Sitzung erlebte oder verfolgte, wird sich daran erinnern, wie heftig die Auseinandersetzung über das Wann und über das Wie war. Einig war sich jedoch die Mehrheit des Hauses über das Ziel, nämlich die Einheit in Freiheit und Frieden zu erreichen. Wir haben unser Herz über die Hürde geworfen und die Entscheidung vor Abschluß des Einigungsvertrages getroffen, weil wir auf die Fairneß und Grundsatztreue unserer Vertragspartner vertrauen durften. Damals wurden wir nicht enttäuscht. Es war eine historische Sitzung. Auch heute haben wir eine historische Sitzung, die jedoch das gemeinsame Ziel und den Willen zum Kompromiß kaum erkennen läßt. Die in den letzten Wochen geführten Diskussionen, die Presseerklärungen und Medienverlautbarungen, die Postwurfsendungen und die nicht seltenen wechselseitigen Bezichtigungen bergen die Gefahr in sich, daß wir das am 3. Oktober Erreichte klein und häßlich reden und uns erneut, aber dieses Mal selbstbestimmt, in eine Teilung hineinmanövrieren. ({0}) In der Bevölkerung verstärkt sich der Eindruck, daß sich die Politiker nicht von Grundüberzeugungen, sondern von Gruppen oder regionalen Egoismen leiten ließen. ({1}) Die von uns im Prozeß der inneren Einheit Deutschlands zu bewerkstelligenden Aufgaben sind so gewaltig, daß wir genau diesen Eindruck bei den Bürgern vermeiden müssen und daß wir uns nicht durch Streit dauerhaft lähmen lassen dürfen. Ich gehöre zum Lager der Berlin-Befürworter; dennoch spreche ich mich für einen Konsens aus oder für einen Kompromiß oder, wie der Jurist sagt, für den im Wege gegenseitigen Nachgebens gefundenen Vergleich. Um die Möglichkeit des Vergleichs nicht zu verspielen, will ich nicht alle sattsam bekannten Argumente für Berlin wiederholen. Lassen Sie mich aber als einen seit 1949 in Ost-Berlin Lebenden nur eine Reminiszenz vortragen! In den Zeiten, als man auf sowjetischer Seite davon ausging, daß West-Berlin nicht zur westlichen Welt, nicht zur Bundesrepublik Deutschland gehöre und nicht die legitime Hauptstadt Deutschlands sei, ließen es sich der Deutsche Bundestag, dem anzugehören ich jetzt die Ehre habe, und die Bundesversammlung nicht nehmen, in Berlin zu tagen. Die in einhundert Meter Höhe die Schallmauer durchbrechenden Mig 21 konnten mit ihrem ohrenbetäubenden und beängstigenden Knall nicht die Reden der Bundestagsmitglieder übertönen, die überzeugend darlegten, daß es das legitime Recht des Bundestags wäre, in Berlin zu tagen und dermaleinst, wenn es die politischen Verhältnisse erlaubten, dort seinen Sitz zu nehmen. Meine Damen und Herren, Sie und wir alle, meine ich, stehen im Wort. Wir stehen im Wort derer, die diesen Worten vertrauten, und wir stehen im Wort derer in der ganzen Welt, die den Deutschen Bundestag in seiner Haltung bestärkten und unterstützten. Will man den Konsens, ist es klug, sich über den Umfang des Streitstoffes zu verständigen und abzuklären, was bereits erledigt ist. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat und die Volkskammer haben jeweils mit verfassungsändernder Mehrheit den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 verabschiedet. Dies war der Vertrag, der uns damaligen DDR-Bürgern den Beitritt gemäß Art. 23 des Grundgesetzes ermöglichen sollte. Art. 2 sagt eindeutig - wie eben bereits zitiert - : Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Bei Vertragsschluß hatte aber keiner von uns einen sinnentleerten, ja fast schizophrenen Hauptstadtbegriff im Sinn, sondern wir meinten Berlin als Hauptstadt Deutschlands mit Hauptstadtfunktionen, d. h. auch den Funktionen, die Bonn-Befürworter jetzt als Bestandteil ihres allzu mageren Kompromisses anbieten. Eine von uns damals angestrebte endgültige und vollinhaltliche Regelung scheiterte am Widerstand sehr mächtiger Bundesländer, insbesondere am Widerstand von Nordrhein-Westfalen. Wir wollten damals den Einigungsvertrag nicht im Ganzen gefährden und ließen uns auf diesen Kompromiß, den der Vertrag darstellt, ein. Heute haben wir diese Lücke zu schließen. Meine Damen und Herren Bonn-Befürworter, der Sitz des Bundespräsidenten, der Ort der Bundesversammlung usw. stehen heute zur Entscheidungsfindung nicht mehr an. ({2}) Dies in Frage zu stellen heißt, die Vertragstreue in Frage zu stellen. Diese Probleme sind mit dem Vertrag entschieden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege de Maizière, kommen Sie bitte zum Ende!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich gebe mir Mühe. ({0}) Wir haben in den letzten Tagen viel über Kompromisse nachgedacht. Wir haben überlegt, wie horizontal, wie vertikal geteilt werden könnte. Wir haben auch überlegt, wie die Nachteile für die unterlegene Region ausgeglichen werden könnten.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege de Maizière, kommen Sie bitte jetzt zum Ende!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Der Berliner Antrag und der Kompromißantrag enthalten solche Elemente. Im Jahr 1990 haben wir ja zur Deutschen Einigung gesagt und diese durch Mut und Entschlußkraft gewonnen. Meine Damen und Herren, seien sie konsequent in diesem Prozeß: Wer A sagt, muß auch Berlin sagen! ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Gerd Wartenberg - für fünf Minuten.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde mich bemühen. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige Kolleginnen und Kollegen, die Bonn-Befürworter sind, haben hier ausgeführt, daß dieses Deutschland, diese Bundesrepublik, keine nationale Repräsentation im Sinne einer Hauptstadt mehr braucht, daß das Europa der Regionen gefragt ist, daß Nüchternheit und Sachlichkeit gefragt sind. ({0}) Dann frage ich aber: Warum wird im Bonn-Antrag ausdrücklich festgeschrieben, daß Berlin nationale Repräsentation darstellen soll? Warum ist dann Berlin für nationale Repräsentation, Bundespräsident und Sondersitzungen mit Lorbeerbaum gedacht. ({1}) Gerd Wartenberg ({2}) Ich möchte, daß Berlin Arbeitssitz dieses Parlamentes und dieses Staates wird. ({3}) Wer keine hohle Repräsentation in unserer Gesellschaft möchte, muß seiner Hauptstadt auch die Alltagsarbeit der Politik zubilligen. ({4}) Das ist der entscheidende Punkt. Denn sonst kommen wir in den Widerspruch, daß wir hier den Arbeitssitz haben und dort nicht ernstgemeinte Repräsentation. Das ist keine gute Entwicklung. Der zweite Punkt. Einige Jüngere haben fast mit Stolz auf ihre Nachkriegsgeschichte hingewiesen. - Der Ursprung der demokratischen Anfänge in Deutschland wird mit dem Beginn in Bonn 1949 festgelegt. Das ist eine Verkürzung; das ist Geschichtslosigkeit; das geht nicht. Bonn hat 40 gute Jahre für die Bundesrepublik Deutschland gebracht. ({5}) Aber nach dem 9. November zu meinen, diese 40 Jahre einfach nur so fortführen zu können, reicht nicht aus. Die Zukunftsentwicklung dieses Landes, die kompliziert genug sein wird, wird den Politikern neue Entwürfe abfordern. Für diese Herausforderung ist Berlin ein Symbol. Das geht nicht einfach nach dem Motto: 40 Jahre war es so, und so bleibt es. Das ist gerade für junge Leute ein extrem konservatives Argument, auch für Peter Glotz. ({6}) Es wundert mich, daß Leute, die sich sonst immer für Veränderungen als das Salz in der Suppe stark machen und auch so sein wollen, die vergangenen 40 Jahre einfach nur zum alleinigen Maßstab machen. Das ist kein ehrliches Argument, gerade für solche Leute. Ein weiterer Punkt, die Kostenfrage. Das ist eine wichtige Frage. Aber dazu gibt es eine Gegenrechnung. Es wird gesagt, der Umzug koste 60 Milliarden DM. Das mag richtig sein. Hat eigentlich einmal jemand darüber nachgedacht, daß Berlin im Augenblick - nicht für Investitionen, sondern nur für Leistungen - in jedem Jahr 30 Milliarden DM Subventionen bekommt? ({7}) Jeder sagt: Das ist zu wenig; das muß mehr werden. Andererseits wird gesagt: Wenn die Hauptstadt dorthin kommt, gibt es einen Investitionsboom, den die Stadt nicht verkraften kann; das bedeutet jedoch erhöhtes Steueraufkommen. Diese Stadt wird sich erst in dem Augenblick selber tragen können, in dem eine Funktionsänderung für die Stadt beschlossen wird. Ansonsten wird sie auf ganz, ganz lange Zeit ein Bittsteller sein. Auch das ist keine gute Lage für Berlin. Übrigens ist das eine Lage der Nachkriegszeit, die Berlin manchmal für die Bonner so unbequem und unbeliebt gemacht hat, weil es immer als Bittsteller auftreten mußte. Wenn ihm die Bittstellerhaltung auf Dauer zugewiesen wird, ist das für Berlin ebenfalls nicht sehr angenehm. Der letzte Punkt. In Berlin hat der Bund enorme Verpflichtungen über die erwähnten Subventionen hinaus. Fast die gesamte Innenstadt gehört dem Bund oder ausländischen Botschaften. Diese müssen unterhalten werden; dafür muß eine Verwendung gefunden werden. Berlin-Mitte steht de facto im Moment leer. Die Stadt ist, was ihr Zentrum angeht, in einer ganz schwierigen Situation. Ich muß sagen, es ist fast zynisch, wenn mir einige Kolleginnen und Kollegen sagen: Verkauft das alles; werft das auf den freien Markt! Das ist eine Argumentation, die, glaube ich, der Bedeutung dieser Stadt und der Festlegung im Einigungsvertrag, daß Berlin Hauptstadt ist, nicht gerecht wird. Man hat dieser Stadt den Titel gegeben, und man kann diesen Titel nicht auf Dauer sinnentleert, verbunden mit einer finanziellen Bittstellerposition, halten. Berlin muß der Arbeitssitz der deutschen Demokratie werden. Nur das hat eine Perpektive für die Entwicklung in Deutschland. Vielen Dank. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat die Kollegin Irmgard Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, die Diskussion wird heute - und nicht nur heute - hier im Parlament, aber auch in der Öffentlichkeit deshalb so heftig geführt, weil es darum geht, welches Bild wir eigentlich von der Rolle und vom Anspruch der Bundesrepublik Deutschland in der Welt selber haben. Für mich ist die Antwort auf diese Frage ganz klar. Ich möchte, daß wir unsere Aufgabe und unsere Verantwortung mit Selbstbewußtsein und Bescheidenheit wahrnehmen. Deswegen, denke ich, ist der richtige Ort für einen Parlaments- und Regierungssitz für einen Staat, der sich in dieser Rolle sieht und sich so versteht, hier in Bonn. ({0}) Das ist für mich der Ausdruck des Maßvollen, und das erwartet in der Tat die Welt von der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe einen Teil der Reaktionen erleben können, als am Montag in Paris angekündigt wurde, daß die nächste und mit Sicherheit die größte Luftfahrtschau, die es je gegeben hat, im nächsten Jahr in Berlin stattfinden wird. Diese Reaktionen zeigten durchaus nicht nur freudige Zustimmung zur deutschen Einheit, sondern ein Stück Sorge über die zukünftige Entwicklung, die wir, denke ich, in unserer internationalen Verantwortung ernst nehmen müssen. Aber ich bin auch davon überzeugt - viele Gespräche in den vergangenen 20 Jahren in der ehemaligen DDR haben mir das gezeigt -, daß die Bundesrepublik auch deshalb für viele in der ehemaligen DDR so attraktiv war, weil es dort eine Kulturstadt, eine Handelsstadt Hamburg gab, weil es dort einen Bankenplatz Frankfurt gab, weil es dort eine High-Tech-Region Stuttgart und eine heimliche Hauptstadt München gab. ({1}) Alle diese Zentren konnten ihre Enwicklungschancen neben der Hauptstadt Bonn phantastisch und wunderbar wahrnehmen. Hier hat nichts dominiert. Das ist in der Tat die Konzeption von Föderalismus, die ich im Deutschland der Zukunft ebenfalls wünsche. ({2}) Natürlich braucht Berlin die Hilfe, auf die es angewiesen ist, und die Solidarität, die es auch beanspruchen kann, um die wirklich schwerwiegenden Auswirkungen der Teilung der vergangenen 40 Jahre überwinden zu können. Das bedeutet natürlich, lieber Kollege, der Sie vor mir gesprochen haben, daß Berlin nicht Bittsteller ist, sondern ganz selbstverständlich einen Anspruch auf diese Hilfe und diese Solidarität hat. Ich bin davon nicht nur überzeugt, sondern man muß einfach seriöserweise festhalten, daß, egal ob Berlin Regierungssitz wird oder nicht, diese finanziellen Zuwendungen über einen sehr, sehr langen Zeitraum hinweg völlig zu Recht werden fließen müssen. ({3}) Meine Damen und Herren, es bedrückt mich, daß hier so ein bißchen die Kontroverse Ost gegen West hochgebracht wird. Deswegen frage ich mich: Von wo können wir das Zusammenwachsen eigentlich am besten fördern? Ist es tatsächlich von der symbolischen Bedeutung einer Entscheidung pro Berlin abhängig, oder sollten wir uns sinnvollerweise nicht ansehen, wie diese Frage wirtschaftlich und historisch betrachtet werden kann? Ich gebe zu - ich glaube, das ist übrigens auch typisch für Bonn-Befürworter - , daß wir das Irren, die unterschiedlichen Meinungen immer mit einbeziehen. Deswegen sage ich: Es ist meine Einschätzung der Lage. Was mich besonders bewegt, ist die Diskussion über die historische Dimension einer Entscheidung für Berlin. Ich habe die Debatte sorgfältig verfolgt. Ich denke, sie hat ungeheuer viele rückwärtsgewandte Argumente für Berlin beinhaltet. ({4}) Ich glaube, daß auch deshalb eine Trennungslinie in der öffentlichen Konzeption zwischen jung und alt deutlich wird. Während die Jüngeren in einem sehr viel größeren Umfang in Bonn ihre Zukunft sehen, ist das bei den Älteren anders. ({5}) Für mich ist auch nicht klargeworden, wo Kontinuität für Berlin denn nun tatsächlich anknüpft. Bei Bonn hingegen ist klar, meine Damen und Herren: Hier ist ein wirklicher Neuanfang der deutschen Geschichte gemacht worden, ohne die Geschichte auszuklammern. Wer wollte bestreiten, daß die Westintegration, die Ostverträge, die Förderung des KSZE-Prozesses und die Aussöhnung mit Israel nicht das Zeugnis dafür sind, daß in dieser Bonner Konzeption eben kein Stück deutscher Geschichte ausgeklammert worden ist, sondern daß - im Gegenteil - zum erstenmal eine friedensfördernde und friedenserhaltende Antwort gefunden worden ist! ({6}) Von hier aus ist nicht nur die deutsche Frage offengehalten, sondern auch die deutsche Einheit gefördert worden; die deutsche Vereinigung ist von hier aus vorbereitet worden. Natürlich hätte es die deutsche Einheit nicht ohne den Freiheitskampf der Berlinerinnen und Berliner gegeben, aber es ist genauso richtig, meine Damen und Herren, daß es die deutsche Einheit auch nicht ohne Bonn und die Bonner Republik und die Bonner Politik gegeben hätte. Deswegen sage ich, lieber Willy Brandt: der Vergleich zwischen Paris und Vichy, den Sie hier gebracht haben, diskreditiert nicht nur, sondern beleidigt geradezu Ihren eigenen Anteil an der deutschen Geschichte. ({7}) Ich bin mit Bundeskanzler Kohl und vielen hier im Hause der Meinung, daß die europäische Zukunft die osteuropäischen Staaten umfaßt. Aber wo ist das denn vorbereitet worden, wenn nicht hier, durch die Europapolitik der Bundesregierung, die in Bonn angesiedelt ist? Sollte das anders sein, wenn der Parlaments- und Regierungssitz auch in Zukunft in Bonn ist? Meine Damen und Herren, das kann im Ernst ja wohl nicht sein. Deswegen ist mir wohl klar, daß viele Menschen in den fünf neuen Bundesländern erwarten, daß eine Entscheidung für Berlin getroffen wird. Aber ich möchte ihnen auch sagen: Ein funktionsfähiges Parlament und eine funktionsfähige Regierung in Berlin ist unter zehn Jahren nicht zu haben, ein funktionsfähiges Parlament nicht unter vier Jahren. ({8}) - Deswegen bin ich der Meinung, daß es gut wäre, wenn es uns gelingen würde, dies anders zu gestalten, Herr Kollege Conradi. - Aber es ist eben auch völlig klar: Wenn es uns nicht gelingt, den Prozeß des deutschen Zusammenwachsens in einer kürzeren Zeit als drei Jahren zu bewältigen, dann verspielen wir die deutsche Einheit in der Tat. Deswegen bitte ich auch alle Menschen in den fünf neuen Bundesländern, sich das sorgfältig zu überleDr. Irmgard Adam-Schwaetzer ben. Ich bin sicher, sie werden sehr bald sehen, daß Politik aus Bonn, Politik in einer menschlichen Dimension in ihrem Interesse liegt. Ich danke Ihnen. ({9})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Heribert Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Mischnick hat eben unsere Empfindungen vom 9. November dargestellt und dann seine Traurigkeit darüber ausgedrückt, daß wir jetzt so um dieses Thema streiten. Ich glaube, es ist sehr verständlich, daß die Lage so ist. Mich erinnert die deutsche Einheit an die Geburt eines Kindes. Bei der Geburt eines Kindes spricht man zu Recht von dem freudigen Ereignis, weiß aber, daß nachher sehr viele Lasten auf die Familie zukommen. Wir sind jetzt dabei, die Lasten, die mit dem freudigen Ereignis verbunden sind, gleichmäßig zu verteilen; heute heißt das Thema: die Lasten gleichmäßig auf Berlin und Bonn zu verteilen, auf Westdeutschland und Ostdeutschland. ({0}) Deswegen meine ich, daß wir den Kompromißvorschlag sehr wohl noch einmal überdenken müssen. Denn er ist ein Angebot, beide Städte, beide Regionen an den Lasten zu beteiligen. Ich sage ganz offen: Ich bedaure, daß in der Hektik der letzten Tage nicht genügend Gespräche mit den Sozialdemokraten, mit den Freien Demokraten geführt worden sind. ({1}) - Jawohl, nicht mit beiden Fraktionen, Herr Dr. Vogel. Ich weiß allerdings, daß es in beiden Fraktionen Anhänger für diesen Konsensvorschlag gibt. Aber sie sind nicht von vornherein eingebunden worden. Aber ich meine, das sollte jetzt bei dieser wirklich historischen Entscheidung kein Hindernis sein, einen Weg zu suchen, daß sich beide in diese Lasten teilen. Als Volksvertreter haben wir die Aufgabe, die Empfindungen zu berücksichtigen, die die Menschen z. B. im Osten haben. Sollte die Entscheidung gegen Berlin ausgehen, dann müssen wir schon jetzt wissen, wie traurig viele Menschen in Ostdeutschland ob dieser Entscheidung sein werden. Das kann uns allerdings nicht daran hindern, das Richtige zu tun. Wir werden aber auch feststellen, daß es im Osten viele Menschen gibt, die ihr Heil nicht unbedingt in Berlin sehen, die schon wissen, daß in der Vergangenheit zuviel nach Ost-Berlin gezahlt worden ist. Wir Volksvertreter werden die Empfindungen von Menschen in West und Ost berücksichtigen müssen, die - ich sage das ganz offen - eine Entscheidung gegen Berlin aus historischen Gründen, aus ihrer Überzeugung heraus als einen Wortbruch betrachten. Wir werden Schwierigkeiten haben, das argumentativ abzubauen. - Ich habe allerdings eine andere Position. Denn ich glaube, der Bonn-Antrag gibt sich redlich Mühe, die Hauptstadtfunktion von Berlin auszufüllen. ({2}) Wir werden die Empfindungen berücksichtigen müssen, die vor allen Dingen junge Menschen haben, die mit der Bonner Republik groß geworden sind, die diesem föderalen Staat Vertrauen schenken. ({3}) Das sind Menschen, die wissen, daß von der Bonner Republik die Freiheitssicherung ausging und daß von der Bonner Republik auch die Freiheitsdurchsetzung ausging. Diese Empfindungen werden wir zu berücksichtigen haben. Wir werden aber auch die Empfindungen der Menschen in Berlin und in Bonn, im Westen wie im Osten zu berücksichtigen haben, die durchaus zu Recht die Frage nach den Arbeitsplätzen stellen, nach den Familien, die durch Zwangsversetzungen eventuell auseinandergerissen werden. Da ist es wichtig, daß wir deutlich machen: Gleichgültig, wie die Entscheidung ausfällt, auch wenn sie für Bonn ausfällt, wird es eine wesentliche stärkere Industrialisierung im Berliner Raum geben. Wenn der Geißler-Vorschlag angenommen wird, wonach Bonn und Berlin an der Machtteilung und der Lastentragung beteiligt sind, wird es Infrastrukturinvestitionen in den neuen Bundesländern geben. Dieser Vorschlag ist auch durch die Arbeitsplatzsituation gerechtfertigt. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß 4 500 Menschen beim Bundestag und 30 000 bei den Ministerien beschäftigt sind. Das heißt, wenn der Bundestag nach Berlin geht, werden diejenigen, die jetzt beim Bundestag beschäftigt sind und nicht nach Berlin mitgehen wollen, bei den Ministerien ihre Arbeitsplätze finden können. Auch von daher ist dieser Vorschlag richtig. Letzter Punkt: Ich sehe in der Tatsache, daß der Bundestag nach Berlin geht, in die Hauptstadt, so wie es der Geißler-Vorschlag vorsieht, und die Administration, die Regierung, in Bonn bleibt, eine wesentliche Aufwertung des Parlaments, des parlamentarischen Gedankens. Ich bitte Sie auch von daher: Stimmen Sie diesem Vorschlag zu, der auch eine Emanzipation des Parlaments gegenüber der Bundesregierung zum Ziel hat. Danke schön. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Peter Conradi.

Peter Conradi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000335, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Ablehnung der Trennung von Parlament und Regierung habe ich nicht die leisesten Zweifel. Aber ich muß gestehen, die Entscheidung über Bonn oder Berlin fällt mir schwer. Ich habe große Sympathien für Bonn und war lange der Meinung, wir sollten in Bonn bleiben. Dann habe ich meine Meinung allmählich geändert. Meine Entscheidung für Berlin fiel mit etwa 55 : 45. Bonn war für uns, die alte Bundesrepublik, eine gute Hauptstadt, freundlich, liberal und bescheiden. Ich mag Bonn gerne. Ich habe mich um die Parlamentsbauten hier bemüht. ({0}) Deswegen fällt es mir nicht leicht, jetzt für Berlin zu stimmen. Ich nehme die Menschen, die hier mit uns gearbeitet haben, und ihre Sorgen ernst. Wir sollten ihnen gemeinsam versprechen: Wir werden sie mit ihren Problemen nicht allein lassen. ({1}) Doch ich glaube, Berlin ist für uns, für die neue, größere Republik, die Chance eines Neubeginns. Wir brauchen einen neuen Anfang; denn wir, auch ich, vor allem die Medien, denken und reden noch so, als wäre das immer noch die alte Bundesrepublik Deutschland, zu der jetzt 16 Millionen Menschen dazugekommen sind. Aber das ist falsch. ({2}) Wir sind nicht mehr die alte Bundesrepublik, sondern wir werden ein anderes Land. ({3}) Die Entscheidung für Bonn als Hauptstadt wäre ein „Weiter so", eine Fortsetzung der alten BRD in größeren Grenzen, ({4}) letztlich eine Bestätigung der Eingemeindung Ostdeutschlands nach dem Motto: Alle Gewalt geht vom Westen aus. Bonn als Hauptstadt wäre eine Bestätigung der zufriedenen westdeutschen Selbstbezogenheit, die Fortsetzung der Teilung in uns, die besseren, erfolgreichen Deutschen im Westen und die armen Brüder und Schwestern drüben in Ostdeutschland. ({5}) Und schließlich: Bonn als Hauptstadt wäre für uns wohl bequem - alles bleibt, wie es war - , aber die Verschweizerung der Bundesrepublik ist doch mit Händen zu greifen, diese wachsende Wohlstandsangst vor dem Teilen, diese Angst vor jeder Veränderung. Da wäre Berlin nicht nur ein Zeichen der Zuwendung an Ostdeutschland, nicht nur ein Zeichen unserer neuen Gemeinsamkeit, Berlin würde uns zwingen umzudenken. Berlin wird als Hauptstadt rauher, härter und unbequemer. Doch die Menschen in Ostdeutschland müssen ganz andere Härten auf sich nehmen. ({6}) Ist das, was uns mit dem Umzug nach Berlin abverlangt würde, wirklich unzumutbar? Berlin ist für uns schließlich - und das hat für mich den Ausschlag gegeben - eine Chance, daß wir uns ändern, daß sich nicht nur die Menschen in Ostdeutschland ändern, sondern daß auch wir im Westen uns ändern müssen, auch das Parlament. Wenn wir nach der politischen auch die gesellschaftliche Einheit gewinnen wollen, dann müssen wir uns alle ändern. Dafür ist Berlin der richtige Ort. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht ganz leicht, am Tag der Abstimmung über den zukünftigen Sitz der Hauptstadt von Deutschland die eigene Position ganz emotionsfrei zu vermitteln. Pro und Kontra wechseln seit Monaten wie Angriffswellen in einem Stellungskrieg durch die Medien. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages waren ihrerseits wälderfressenden Papierfluten an Überzeugungs- und Informationsmaterial ausgesetzt. Ich glaube, vieles blieb gerade deshalb ungelesen, es war einfach des Guten zuviel. Doch es blieb nicht nur beim Guten. Das Werben der beiden Städte nahm in den letzten Tagen auch unangenehme Züge an. Da werden Plakate mit Gegenplakaten überklebt oder einfach sofort abgerissen. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit ist sicher der Versuch, mittels des ehemaligen SED-Symbols die Bonn-Befürworter zu diskreditieren. Als Bürger aus einem der fünf neuen Bundesländer war mir das Ausufern der Diskussion in dieser Frage zunächst sowieso unerklärlich; als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Da bricht in einer großen Region Deutschlands die Wirtschaft zusammen, klettert die Arbeitslosenquote auf für unser Land ungeahnte Werte, aber die Politiker streiten sich um ein insgesamt und für mich zweitrangiges Problem. Dennoch hat diese Problemlawine für die im Umgang mit freien Medien unerfahrenen Bürger in der ehemaligen DDR etwas sehr Lehrreiches. Nach dem Prinzip „Schlagzeile, Reaktion, neue Schlagzeile" wurde aus einem anfänglich regional betriebenen Wettbewerb das Thema des Jahres. Kein Parteitag, keine Talk-Show, keine Taxifahrt in Bonn oder Berlin, die nicht dieses Thema berührte und die Nation teilt. Dabei sollten doch Parlament und Regierung gerade alles tun, um die wirkliche, die menschliche Einheit zu vollziehen. ({0}) Berlin ist und bleibt die Hauptstadt Deutschlands. Für mich ist jedoch nicht nachvollziehbar, welchen Einfluß gerade der Sitz von Parlament und Regierung auf diesen Status hat. Ich habe in den letzten Jahren eine starke Abneigung gegen jedes zentralistische Repräsentieren gehabt, und die 750-Jahr-Feier in Berlin liegt mir noch in den Knochen. So sind für mich die Arbeitsbedingungen für den Bundestag und auch die Regierung von größerem Gewicht als Repräsentation. Ich habe meine Entscheidung deshalb vor allem aus pragmatischen Erwägungen getroffen, und sie ist mir nicht leichtgefallen. Bei der Bewertung von Standortfragen hat man ja auch das wertvolle Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung. Ich glaube, eine Beurteilung aus ökologischer Sicht würde dann keineswegs für Berlin stehen. Bereits jetzt steht diese Stadt in weiten Teilen vor dem Zusammenbruch der Reste von regenerierbarer Umwelt. Jedes Dazugeben würde dieser Ballung von Häusern, Autobahnen und Autos in den engsten Citylagen den ökologischen Garaus machen. Ich mag Berlin, und gerade deswegen wünsche ich mir, daß die Menschen dort saubere Luft bekommen und keinen Smog mehr haben, daß sie in einer gesunden Umwelt leben können. Nach der Entscheidung des Bundestages für Bonn sollte man die zig Milliarden, die der Umzug nach Berlin kosten würde, trotzdem einplanen, nämlich für den Ausbau der Verkehrsstruktur und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in vielen Problemgebieten unseres Landes, ({1}) ganz besonders auch im Osten und natürlich auch in Berlin. Der Bonn-Antrag, meine Damen und Herren, ist bereits der ehrliche Konsens, von dem Herr Rau gesprochen hat. Wer das übersieht, ist überhaupt nicht konsensbereit, sondern will einfach nur alles für sich. Ja, Berlin ist das Herz von Deutschland, da stimme ich mit meinem Kollegen Konrad Weiß überein, aber gedacht werden soll mit dem Kopf. Eben weil ich dieses Herz der Menschen von Berlin schätze, werde ich bei der Wahl des Sitzes von Regierung und Parlament für Bonn stimmen. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einst kam ein Mann zu einem Weisen und beklagte sich über einen Nachbarn. Der Weise sprach: „Du hast recht. " Kurze Zeit nach dem Gehen kam der Nachbar und legte seine Meinung dar. Da sprach der Weise: „Du hast recht. " Darauf sagte die Frau des Weisen: „Mann, du kannst doch nicht beiden recht geben." Darauf der Weise: „Da hast du auch wieder recht." ({0}) In ähnlicher Situation scheinen sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu befinden. ({1}) - Danke. Bei allen stapeln sich Briefe, Gutachten, Stellungnahmen, Drohungen und Bitten, inzwischen auch CDs und Videos, alles mit dem Ziel, jeweils eine Meinung zu unterstützen. An jedem Argument ist auch etwas dran. Jeder hat irgendwie recht. Mehr noch: Von der Entscheidung über den Sitz von Regierung und Parlament sind auf jeden Fall Menschen betroffen. Ich glaube aber nicht, daß ein wie eingangs geschildertes Beiden-Bewerbern-recht-Geben dem Anliegen gerecht wird. Eine eindeutige Entscheidung tut not. Zwei Hauptstädte oder zwei halbe, das ist letztlich für alle unbefriedigend. Die Teilung der Funktionen, um keinem weh zu tun, könnte auch zu einem Zuschlag für Göttingen führen, da es geographisch, so gesehen, ziemlich in der Mitte liegt. Auch die kürzlich vorgeschlagene Variante, Bonn einfach in Berlin umzubenennen, löst das Problem nicht. Obwohl mir die Entscheidung schwerfällt, spreche ich mich eindeutig für Berlin aus. Erstens. Viele Jahre wurde Berlin diese Funktion versprochen, wurden Millionen auch unter diesem Gesichtspunkt ausgegeben. ({2}) Bonn wurde immer als Provisorium angesehen. Das aber ist für mich nicht das Entscheidende; denn hier ist in den letzten Monaten viel versprochen und nicht gehalten worden. Das wäre also nichts Neues. Wichtiger aber ist mir zweitens: So angenehm die Arbeit in Bonn dank fleißiger Menschen der Bundestags- und der Stadtverwaltung auch sein mag, ich wünsche uns, daß Parlament und Regierung näher an die Probleme in Deutschland herankommen. Die größten Probleme gibt es aber in den neuen Bundesländern. Vielleicht hilft das, gegebene Versprechen etwas länger im Gedächtnis zu behalten. Ich möchte hier auch an eine Aussage von Herrn Kohl erinnern, der in der „Welt" 1982 formulierte: Meine These, daß die zwei Quadratkilometer um Bundeshaus und Kanzleramt nicht typisch sind für die Bundesrepublik Deutschland, hat sich für mich eindeutig bestätigt. Hier stimme ich ausnahmsweise - ich betone: ausnahmsweise - mit Herrn Kohl überein. ({3}) - Ja, natürlich. Bonn ist nicht typisch für diese neue Bundesrepublik, die heute aus 16 Ländern besteht und 16 Millionen neue Einwohner hat. Berlin ist viel eher typisch für die Probleme dieser neuen Republik. Drittens. Berlin als Kultur-, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Politikmetropole wird maßgeblich das Umland der Stadt beeinflussen. Sie werden mir als Abgeordneter des Landes Brandenburg sicher nicht verübeln, daß ich auch unter diesem Aspekt entscheide. Ich erwarte wichtige Impulse für wirtschaftsstrukturelle Veränderungen aus dieser Entscheidung und damit möglichst viele neue Arbeitsplätze in einer Region, in der solche gegenwärtig in starkem Maße abgebaut werden. Viertens. Nicht zuletzt ist eine Entscheidung für Berlin ein deutliches Zeichen dafür, daß wir es mit dem Zusammenwachsen Ost- und Westeuropas und mit der Gestaltung eines einheitlichen Europa ohne neue Mauern wirtschaftlicher Gegensätzlichkeiten ernst meinen. Um es dem anfangs zitierten Weisen etwas nachzumachen, möchte ich meinen Ausführungen hinzufügen, daß eine Entscheidung für Berlin unbedingt mit einem Programm für Bonn einhergehen muß. Das Schicksal, das Millionen von ehemaligen DDR-Bürgern tragen müssen, nämlich den Zusammenbruch von Strukturen, Abwicklung, Massenarbeitslosigkeit ({4}) und Stagnation, sollte den Menschen in der Region Bonn erspart bleiben. Ich danke Ihnen. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Dr. Oscar Schneider.

Dr. Oscar Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was zum Lobe und zur Anerkennung Bonns gesagt worden ist, brauche ich nicht zu wiederholen. Auch ich empfinde für Bonn Gefühle herzlicher Verbundenheit und dankbarer Erinnerung. Ich wende mich aber gegen die immer wieder vertretene Behauptung, ein Weg von Bonn nach Berlin sei der Anfang eines neuen Irrwegs, der preußische Zentralismus werde Urstände feiern, Verfassungsartikel seien außerstande, auf Dauer elementaren politischen Strömungen, die sich aus der millionenstädtischen Atmosphäre entwickeln würden, Einhalt zu gebieten. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß der Geist der neuen deutschen Politik seit 1949 wesenhaft mit dem Ort verbunden wäre, an dem die Organe des Bundes ihren Verfassungsauftrag erfüllt haben. Hier kann man sich weder auf Adenauer, Schumacher, Dehler noch auf die Verfassungsväter des Parlamentarischen Rats berufen. Diese kamen aus allen Teilen Deutschlands. Alle waren sie den Ideen und Idealen eines freien, demokratischen, sozialen und föderativen Rechtsstaats verpflichtet. Alle wollten sie aus den Fehlern und Erfahrungen der Weimarer Zeit Konsequenzen ziehen. Die erste deutsche Demokratie ist nicht an Berlin, die erste deutsche Demokratie ist in Berlin gescheitert. ({0}) Berlin hat nicht einen einzigen Ehrentitel des NS-Bewegung getragen. In Berlin wurde nur vollstreckt, was sich zuvor in allen Reichsteilen politisch vorbereitet hatte. In Berlin hatte sich in den Jahren der Weimarer Republik ein Kunst-, Kultur- und Geistesleben entfaltet, das weltweit Beachtung, Aufsehen und Anerkennung gefunden hat. Die Reichshauptstadt an der Spree faszinierte durch ihr liberales, weltoffenes Leben. Viele Vertreter der deutschen Literatur, die sich in anderen Reichsteilen verloren oder isoliert sahen, fanden in Berlin den Ort ihres literarischen Erfolges, ihrer künstlerischen Beachtung und ihrer gesellschaftlichen Einbindung. Es geht nicht nur um Bonn oder Berlin. Es geht um mehr. Beide Städte tragen unverwechselbare Züge einer liebenswürdigen Stadtpersönlichkeit. Es geht um die deutsche Hauptstadt. Heute darf nur gelten, was für ganz Deutschland gut ist, was den geistigen Abmessungen unserer Geschichte gerecht wird. Über die Auseinandersetzungen des Tages hinaus muß die Erkenntnis lebendig bleiben, daß sich im neuen und vereinten Europa die einzelnen Völker und Nationen eine gegliederte, eine föderalistische Staatsordnung mit gemeindlicher Selbstverwaltung und kultureller Vielfalt erhalten müssen. Diese Vielfalt schließt nicht aus, daß wir auf eine Hauptstadt von Rang und Ansehen, von Klang und Namen, eine Hauptstadt höchster kultureller und urbaner Selbstentfaltung bestehen müssen. Die deutsche Hauptstadt muß die neue politische Weltlage ebenso berücksichtigen, wie sie ihren Standort zwischen den romanischen und slawischen Völkern in Europa finden muß. Ich bin überzeugt, daß wir in Berlin nicht in die alten Fehler der deutschen Politik zurückfallen werden. Wir müssen und werden die Fenster und Türen des deutschen Hauses weit öffnen, nach Westen und Osten gleichermaßen. Daß die europäische Aufklärung von einem preußischen Professor in Königsberg wesentlich angestoßen und beeinflußt wurde, sollte uns mit dem Geiste Preußens versöhnen. ({1}) Immanuel Kant hat uns den kategorischen Imperativ gelehrt. Graf Hardenberg und Freiherr vom Stein haben für ganz Deutschland vorbildliche Reformen durchgeführt. Der Widerstand gegen Hitler wurde von vielen Offizieren und Beamten, die sich der preußischen Tradition verpflichtet sahen, mitgetragen. Berlin hat die Hungerblockade überstanden. In Berlin erhoben sich die Arbeiter gegen die stalinistische Tyrannis. In Berlin haben wir am sichtbarsten die deutsche und europäische Teilung erlebt und überwunden. Meine Damen und Herren, unsere Entscheidung muß deutscher Geschichte nicht minder verpflichtet sein und gerecht werden wie der Notwendigkeit, neue Wege in die Zukunft zu öffnen, zu einer europäischen Zukunft im guten Einvernehmen mit unseren westlichen und östlichen Nachbarn. Berlin liegt im geographischen und historischen Schnittpunkt dieser neuen europäischen Chancen und Realitäten. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Günter Verheugen das Wort.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es interessant, einmal der Frage nachzugehen, warum dieses Thema eigentlich auch so viele nicht unmittelbar Betroffene so tief aufwühlt. Das kann nicht nur sportliches Interesse am Tauziehen zwischen zwei Städten sein, wir wir es gelegentlich erleben, wenn man sich über Industrieansiedlungen oder den Sitz eines Finanzamts streitet. Es kann nicht um strukturpolitische oder regionalpolitische Fragen allein gehen. Es kann auch nicht darum gehen, daß ein Investitionsschub östlich der Elbe dringend gebraucht wird. Da muß noch etwas mehr sein. Keiner der bisherigen Redner ist ausgekommen, ohne den Begriff „Symbol" in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube, genau das ist es. Wir diskutieren über ein Sinnbild für das, was unser Staat ist, bzw. für das, was er werden will. Auch Demokratien brauchen Staatssymbole. Diese Staatssymbole sind Sinnbilder ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstdarstellung. Ihr Zweck ist es, Identität zu stiften. Genau hier liegt unser Problem. Das Provisorium Bundesrepublik Deutschland und die vorläufige Hauptstadt Bonn haben für viele, viele Menschen in den westlichen Bundesländern Identität gestiftet. ({0}) Mir gefällt es, wenn junge Leute, für die der Begriff „Bonn" bis vor kurzem eigentlich nur ein Synonym für einen schlechten Witz gewesen ist, von Bonn plötzlich als von „unserer" Hauptstadt reden, weil sie sich mit etwas identifizieren, was ich gut finde. Sie identifizieren sich nicht mit der Stadt als Stadt, sondern mit dem, wofür sie steht, meine Damen und Herren. Wir Deutsche tun uns mit Staatssymbolen sehr schwer. Das hat einen guten Grund: historische Verspätung des Nationalstaates. Der totale Mißbrauch nationaler Symbole durch den Nationalsozialismus hat dazu geführt, daß wir Heutigen im Umgang mit nationalen Symbolen vorsichtig und auch unsicher geworden sind. ({1}) Ich meine, die Hauptstadt als echte Hauptstadt, d. h. im Klartext als Zentrum der Macht, ist ein starkes nationales Symbol. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, unser Verständnis von diesem nationalen Symbol zu klären und auf die tiefgreifenden Fragen, die der Hauptstadtstreit aufgeworfen hat, eine Antwort zu geben, in der wir unsere historischen Erfahrungen in Übereinstimmung bringen mit unserem heutigen Staatsverständnis. Mehr als ein solches Staatsverständnis symbolisiert der Hauptstadtbegriff allerdings nicht. Deshalb - Verzeihung, lieber Wolfgang Thierse - fand ich den Begriff „Erniedrigung aller Ostdeutschen" - wobei hinter „alle" schon einmal ein Fragezeichen gemacht werden muß - in diesem Zusammenhang ganz und gar unangemessen. Im Mittelalter kam es vor, daß Fürsten bestimmte Städte erhöhen oder erniedrigen wollten. ({2}) Wir haben keine Fürsten mehr. Wir erhöhen nicht, und wir erniedrigen auch nicht. Der Unterschied zwischen Berlin und Bonn als nationale Symbole könnte größer kaum sein, als er ist: im Äußeren als auch im Inneren, auch was die Geschichte angeht, die sich in den Städten widerspiegelt. Man darf Berlin nicht anlasten, was in seinen Mauern alles geschehen ist. Ich füge leise hinzu: Bonn übrigens auch nicht. Man darf Berlin nicht mit der unglücklichen Geschichte des Reiches identifizieren. ({3}) Auch für mich war und ist Berlin ein Symbol des Freiheitswillens der Deutschen. Aber Bonn ist es für mich auch, meine Damen und Herren. ({4}) Heute geht es nicht mehr darum, Identität unter den Bedingungen des Jahres 1949 zu stiften, sondern unter den Bedingungen von heute. In den Jahrzehnten seitdem haben wir ja einen in der Geschichte beispiellosen sozialen und kulturellen Wandel erlebt. Wir können die Haupstadtfrage aus diesem Wandel nicht herausnehmen. Ich gehöre schon zu der Generation, die Bekenntnisse zu einer alten und künftigen Hauptstadt nicht mehr abgelegt hat. Nicht, weil ich es abgelehnt hätte, sondern weil ich mir die deutsche Einheit nicht als Wiederherstellung eines größeren deutschen Nationalstaates vorstellen konnte, wie die meisten hier doch auch nicht. ({5}) Für mich gab es eine Hauptstadtfrage überhaupt nicht. So haben die meisten in der alten Bundesrepublik das auch gesehen. Ich möchte an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen aus den ostdeutschen Ländern eine Frage stellen: Meinen Sie nicht, daß die durch die Teilung herbeigeführte Wirklichkeit auch in den Köpfen und Herzen der Menschen im Westen Deutschlands Folgen hinterlassen hat und daß eine davon die Identifizierung mit den Grundwerten des Staates ist, der in Bonn seinen vorläufigen Regierungssitz genommen hatte? Ist das Zusammenwachsen wirklich eine Frage des Ortes oder ist es eine Frage, was für Entscheidungen fallen, was ihre Qualität ist? ({6}) Meine Frage ist, ob die Entscheidung für Bonn den Menschen in den neuen Bundesländern etwas wegnimmt, ob sie das Zusammenwachsen wirklich erschwert. Oder könnte man nicht auch sagen, daß Bonn gerade das Symbol für die Erfüllung des Lebenstraumes gerade vieler Menschen in den neuen Bundesländern ist? ({7}) Wir sind am Ende der Vorläufigkeit angekommen. Wir haben zu entscheiden, was wir jetzt sein wollen. Da liegt die Bedeutung des Staatssymbols Hauptstadt. Ich bin dafür, daß wir das sein wollen, was uns das in Bonn geschaffene Grundgesetz, das jetzt für ganz Deutschland gilt, vorgegeben hat. Ich bin dafür, daß wir das dazu passende Symbol wählen, nämlich Bonn. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, daß wir das dafür passende Symbol wählen. Und das ist Berlin. ({0}) Der Kollege Conradi hat ja schon die Antwort auf die Fragen gegeben, die Herr Verheugen nachgereicht hat, nämlich daß Berlin nicht nur eine Anknüpfung an die Vergangenheit ist und sein kann, sondern daß Berlin bedeutet, daß wir uns bei Bejahung der Kontinuität der deutschen Geschichte gleichzeitig zu einem neuen Anfang bekennen. Wir können nicht sagen, in der Bundesrepublik hat die Wiedervereinigung nichts bewirkt. Wir machen so weiter, als ob nur ein paar Quadratkilometer Land und ein paar Millionen arme Verwandte dazugekommen sind, und sonst hat sich nichts verändert. Das ist nicht so. ({1}) Wer dem anhängt, wer diesen Glauben verbreitet, der täuscht sich, täuscht sein Publikum und verkennt die politische Aufgabe, die wir vor uns haben. Es kommt darauf an, die vielen falschen Argumente wegzubekommen. Ich habe mich gewundert, mit welcher Intensität wirtschaftliche Gedanken in den Vordergrund gestellt worden sind. Jede politische Frage hat gravierende wirtschaftliche Konsequenzen, Konsequenzen für Bonn, Konsequenzen für Berlin. Jede andere politische Frage, die wir zu entscheiden haben, hat wirtschaftliche Konsequenzen. Dadurch wird sie aber nicht zu einer wirtschaftlichen Frage, sondern sie muß weiter unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Wir müssen uns darum bemühen die wirtschaftlichen Folgen tragbar zu machen. Es denkt auch niemand daran, aus Bonn eine Wüste werden zu lassen. Die Aufgabenteilung ist als Notwendigkeit von allen akzeptiert. Aber wer sich allein auf die wirtschaftlichen Folgen beruft, verweigert im Grunde genommen die politische Antwort auf die eigentliche Hauptstadtfrage. Es gibt auch Argumente, die einfach ärgerlich sind. Wenn der Bonner Oberbürgermeister, der dauernd davon geredet hat, Bonn übe nur provisorisch eine Hauptstadtfunktion aus - Herr Pflüger hat das nachgeholt - , das nun zu einem symbolischen Bekenntnis, zu einer Art Nullbuchung umdeutet, die nicht kassenwirksam werden darf, ({2}) dann verkennt er, daß er damit nicht nur die politische Glaubwürdigkeit von Aussagen in Frage stellt, sondern daß er und wir alle natürlich dazu beigetragen haben, Wünsche, Hoffnungen, ein bestimmtes Bild unseres Staates zu erhalten. Ist das nicht mehr wahr? Wie viele Menschen enttäuschen wir in ihrem ernsthaften Glauben an politische Grundaussagen, wenn wir achselzuckend erklären, wir hätten nie geglaubt, beim Wort genommen zu werden? Das kann nicht wahr sein. ({3}) Es gibt auch andere Argumente, die politisch und historisch offenkundig falsch sind. Die Entscheidung, den Parlamentssitz nach Berlin zu verlegen, ist keine Entscheidung für einen Zentralismus. Die alte Reichsverfassung war ein Ausbund an Föderalismus, wie ihn heute niemand mehr wagen würde. Berlin hat die kulturelle Identität der Städte Hamburg, München, Düsseldorf, Köln, Stuttgart in keiner Weise beeinträchtigt. Wie hätten sie denn unmittelbar nach dem Zusammenbruch mit eigener kultureller Identität ihre Aufgaben wahrnehmen können? ({4}) Wahr ist doch aber auch, daß in den 40 Jahren der Bonner Republik die Länder in zunehmendem Maße beklagt haben, in ihren Funktionen eingeschränkt zu werden, weil die Ursache unitarischer Entwicklungen nicht in der Größe der Hauptstadt, sondern in der Tatsache liegt, daß in einem Parteienstaat, in dem wir leben, die Parteien in Bund und Ländern dieselben sind. Darum ist ein Zug zu einer einheitlichen politischen Willensbildung durch Bund und Länder festzustellen. Wir dürfen die eigentlich politisch Verantwortlichen doch nicht durch ein solches Argument aus der Verantwortung entlassen und darauf verzichten, in unserer Verfassung föderale Argumente fest zu verankern. Nein, die Frage, vor der wir stehen, ist die der historischen Identität und der Wahrheit, nach der wir selbst angetreten sind. ({5}) Es ist nicht die Stadt Bonn oder die Stadt Berlin allein, die demokratische Strukturen nach 1945 aufgebaut hat. Es ist die Bevölkerung in allen Städten und in allen Dörfern unseres Landes gemeinsam gewesen. Zur Identität Bonns, die Herr Verheugen beschworen hat, gehört in der Bundesrepublik auch das Bewußtsein, daß Bonn ein Provisorium ist. Kern des Selbstverständnisses unseres Staates und vieler Menschen, die sich an ihn gebunden fühlen, war und ist die historische Kontinuität, war und ist der Wunsch, daß dieses Deutschland wieder zu einer staatlichen demokratischen Selbständigkeit gelangt, die von den Machthabern des Dritten Reiches zerschlagen worden war. Meine Damen und Herren, die Entscheidung, die wir zu treffen haben, sollen und wollen wir nicht auf dem Rücken der Bürger und der Bevölkerung in Bonn treffen. Wir sind ihnen gegenüber und für ihre wirtschaftliche Zukunft verantwortlich. Das ist der Dank, den wir Bonn schulden, nicht aber die Aufgabe des historischen und politischen Zusammenhangs, in dem unser Staat entstanden ist. Darum sollte das Parlament dorthin zurückkehren, wo es hingehört: in die Hauptstadt Berlin. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Berlin verbindet mich sehr viel. Mütterlicherseits kam meine Familie schon mit den ersten Hugenottenströmen aus dem südlichen Frankreich, um in dem damals liberalen und religionstoleranten Berlin und Preußen zu leben. Ich habe an der Freien Universität Berlin studiert, war Vorsitzender des Internationalen Studentenverbandes, habe Chruschtschow und Kennedy in Berlin erlebt. Ein gewisser Diepgen wurde damals gerade als Konventsprecher abgewählt, weil ihm vorgeworfen wurde, er habe seine Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung nicht eingestanden. Meiner Meinung nach, lieber Herr Diepgen, hätten Sie ruhig Konventsprecher bleiben können. ({0}) Berlin ist, Berlin wird eine der ganz großen Metropolen Europas, aber auch weltweit. Berlin wird eine besondere Attraktivität für Ost- und Südosteuropa entwickeln. Es wird schon in wenigen Jahren ca. 8 bis 10 Millionen Einwohner haben. Der Bundespräsident gehört ebenso dorthin wie große Institutionen von internationalem Rang. Wir werden noch sehr viel Platz in Berlin brauchen. Aber Berlin ist kein moderner Parlaments- und Regierungssitz. ({1}) Metropolen - das zeigen alle Zeichen der Zeit - stehen gegen Föderalismus und Regionalismus, die für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und ihre unnachahmlichen Erfolge in der Nachkriegszeit so wichtig waren. Auch Leipzig beklagt sich heute, aber nicht über Bonn, sondern über Berlin und die Sogwirkung, die bereits heute von Berlin ausgeht. Berlins Geschichte ist belastet. Glanzvolle preußische Hauptstadt war die eine Seite. Gleichwohl residierte schon Friedrich II. von Preußen, der Große, lieber in Potsdam, weil ihm das Getriebe und Geschiebe in Berlin auf den Wecker ging. Als deutsche Hauptstadt trägt Berlin viele Hypotheken unserer Geschichte: Stalin ließ seine Flagge auf dem Reichstag hissen. Berliner Kleingeist sorgte dafür, daß die Fundamente für die Kuppel des Reichstages herausgerissen wurden und das Gebäude damit zu einem Torso mit einer völlig unübersichtlichen inneren Ordnung - oder vielleicht besser: Unordnung - verkümmerte. Das Zentrum und der Osten Berlins waren zugleich als Zentrum der kommunistischen Herrschaft in Deutschland Symbol für viereinhalb Jahrzehnte eines unsäglichen Leids für viele Millionen Menschen. Bonn steht für Übersichtlichkeit - auch wenn wir vom morgendlichen Berufsverkehr nicht besonders angetan sind - , für einen modernen Staat, für das föderalistische Prinzip, für Dezentralisierung der politischen Entscheidungsprozesse und damit auch für eine breite Verteilung der Macht. Karl der Große - er ist heute schon einmal erwähnt worden - , dessen Frankenreich gedanklich am Anfang der neuen, für Europa so wichtigen deutschfranzösischen Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg stand, hat nicht unweit von Bonn residiert. Vielleicht war seine Idee, überall in seinem Reich Pfalzen zu errichten und Regierungsgewalt von dort aus auszuüben, schon eine Vorform des modernen europäischen Föderalismus. Um erfolgreich parlamentarisch arbeiten und regieren zu können, brauchen wir kein zweites Moskau, Tokio, Paris, London oder ähnliches als Parlamentsoder Regierungssitz. Wir gehören zum Westen, zum Europa der freiheitlichen Werte und Traditionen. Ich sage deshalb ja zu Berlin als europäischer und als Weltmetropole, und ich sage ja zu Bonn für eine konstruktive, gut funktionierende parlamentarische Arbeit und Regierung. Ich sage ja zum modernen, erfolgreichen Deutschland, wenn ich mich heute für Bonn entscheide, und setze voraus, daß ich mich damit auch für Berlin, für Deutschland - für das ich Mitverantwortung trage - und für eine europäische Lösung entscheide. Kollege Dr. Vogel, Sie haben vorhin von der „Rückkehr des Parlaments nach Berlin" gesprochen. Ich frage Sie: Welches Parlament haben Sie damit gemeint: ({2}) das bis 1918, ({3}) das von 1920 bis 1934 ({4}) oder vielleicht sogar die Volkskammer in Ost-Berlin? Lassen Sie mich mit einem Satz schließen, der mich sehr überzeugt hat. Er stammt von einem großen Freund der Deutschen, dem Deutschlandkorrespondenten des „Figaro". Picaper hat das so formuliert: Deutschland soll als Modell für die Europäische Union bundesstaatlich bleiben. Bonn steht für 40 Jahre solidarischer Außenpolitik. Bescheidenheit ist eine Zier, wenn man wirklich stark ist. Danke schön. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Reinhard Freiherr von Schorlemer, Sie haben das Wort.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Lebensnerv der parlamentarischen Demokratie ist das Parlament. ({0}) Die Nazi-Schergen wußten dies und ließen am 28. Februar 1933 den Reichstag und damit den Parlamentarismus und die Demokratie gleichsam in Flammen untergehen. Jetzt, 1991, 58 Jahre danach, entscheiden wir, wo in Zukunft das Parlament des endlich wiedervereinigten Deutschlands tagen soll. Seit es möglich war, haben die Fraktionen des Bundestages des geteilten Deutschlands in Berlin getagt, getagt im wieder aufgebauten Parlamentsgebäude, getagt vor allem mit dem wiederholten Bekenntnis: Wenn wir wiedervereint sind, ist hier unser Platz. ({1}) Verbunden mit den Sitzungen war ein Gedenken an den Kreuzen an der Spree für jene, deren Flucht in die Freiheit mit dem Tod endete. Wollten jene etwa in große Urbanität, in preußische Restauration oder in das Neonlicht einer Millionenstadt fliehen? Nein, für sie war ihr tödlicher Versuch der Flucht in den freien Teil Berlins, der für Freiheit, der für Demokratie, der für Gerechtigkeit steht und stand, ein Versuch, wie wir in Freiheit und in Demokratie zu leben. ({2}) Heute ist der Tag, an dem wir zu entscheiden haben: Kehren wir als Parlament nach Berlin zurück, oder haben unsere Bekenntnisse von über 40 Jahren nur noch Makulaturwert? ({3}) Der Vorschlag von Heiner Geißler, den ich unterstütze und den ich in unserer modernen Kommunikationsgesellschaft für machbar halte, ({4}) gibt meines Erachtens auch die Möglichkeit, den Arbeitsplatzverlustsorgen von Bonn und dessen Umland Rechnung zu tragen. Herr Baum, Sie haben davon gesprochen: Dies ist die Stunde der Aufgabenteilung. Für mich gibt es nur eine wirklich echte und ehrliche Aufgabenteilung, wenn in Berlin das Parlament und hier die Regierung ist. Dieser Vorschlag läßt uns vor der Geschichte glaubwürdig erscheinen und nimmt Bonn die Sorge um seine Zukunft in dem ohnehin zukunftsträchtigen Rheinschienengebiet. Für mich ist eine Trennung von Parlament und Regierung bzw. Ministerialbürokratie möglich. Sie ist eben jener Kompromiß. 1989 sind unsere Landsleute in den neuen Ländern auf die Straße gegangen. Früher gingen von Ost-Berlin Gängelung und systembedingte Unterdrückung aus. In Zukunft werden von ganz Berlin, das mitten in den neuen Bundesländern liegt, Hoffnung, Zuversicht und positive Entwicklungen ausgehen, weil wir das dann als in Berlin tagender Bundestag so wollen. Deshalb bin ich für den Kompromiß, der hier durch Heiner Geißler eingebracht worden ist und den auch viele Kollegen unterschreiben. Ich glaube, auch der Beitrag des Kollegen Scharrenbroich hat dies deutlich gemacht. Er hat sich mehr von der Bonn-Seite auf diesen Kompromiß hin zubewegt, während ich von der Berlin-Seite her das gleiche getan habe. Deshalb bitte ich zum Schluß die Nur-Berliner - deren Herzensanhänger und Überzeugungsanhänger ich bin - , gerade die freidemokratischen und die sozialdemokratischen Kollegen: Sorgen Sie auch und gerade um unserer Glaubwürdigkeit willen dafür, daß das Parlament nach Berlin zurückkehrt. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat Frau Abgeordnete Gabriele Iwersen.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Glaubwürdigkeit dieses Parlaments steht auf dem Spiel: für die Deutschen, von denen wir hoffen, daß sie auch nach dem heutigen Tag noch zu Wahlen gehen und damit ihr Vertrauen in die parlamentarische Demokratie beweisen, aber auch für das Ausland, dem gegenüber wir bis jetzt als zuverlässige Vertragspartner gelten. Heute gilt es durch eine verbindliche Entscheidung klarzustellen, daß der Satz „Die Hauptstadt ist Berlin" eine zuverlässige politische Aussage und kein Werbeslogan der Touristenbranche war. ({0}) Die Amerikaner, die durch ihre mehr als 40jährige Berlin-Präsenz den selbstverständlichen, aber auch demonstrativen Beistand der freien Welt für die geteilte und eingemauerte Stadt verkörperten, haben kein Verständnis dafür, daß die von ihnen so lange gehütete Stadt plötzlich nicht einmal mehr die ungeteilte Solidarität des Deutschen Bundestages genießt. Sollte es wirklich möglich sein, daß dieses Parlament, das die internationale Hilfe für Berlin immer wieder gefordert und auch bekommen hat, jetzt nicht bereit ist, seine eigene Verantwortung zu übernehmen? Für die Alliierten war es immer klar, daß ihre Aufgabe in Berlin dann erfüllt sein wird, wenn diese Stadt wieder ihre festgeschriebene Aufgabe als Hauptstadt eines geeinten, freien und demokratischen Deutschlands übernehmen wird. ({1}) Lassen Sie uns international zuverlässig und glaubwürdig bleiben. Dieses Ansehen, das die Bundesrepublik Deutschland auszeichnet, steht heute auf dem Spiel. Daß wirtschaftliche Hilfe für die Region Bonn selbstverständlich ist, braucht genauso wenig betont zu werden, wie die Tatsache, daß Berlin, diese verletzte Stadt, die die Wunden der Teilung noch lange spüren wird, in jedem Fall die Hilfe dieses Staates braucht. Aber lassen Sie uns heute die Grundlage legen für eine neue, vollwertige Hauptstadt Berlin, die sorgfältig geplant und gebaut werden muß, damit die Folgen von Diktatur, Krieg und Teilung vom deutschen Volk endlich aus eigener Kraft überwunden werden können. Schönen Dank. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Sigrid Semper.

Dr. Sigrid Semper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002161, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade als Abgeordnete aus einem der neuen Bundesländer bewegt mich die Debatte um den Regierungssitz Berlin sehr stark. Trotzdem möchte ich heute keine gefühlsbetonte Rede halten, sondern vielmehr Sachargumente nennen, die leider in den vergangenen Wochen und Monaten oftmals so stark in den Hintergrund gedrängt wurden. Unbestritten würde eine Verlagerung von Regierung und Parlament nach Berlin ein Signal für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in der Bundesrepublik setzen, sich langfristig in Richtung Berlin zu orientieren. Aber nicht nur Regierung und Parlament würden dann ihren Standort nach Berlin verlagern, sondern auch diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen nahe bei den politischen Entscheidungsträgern, also in Berlin, sein müßten. In den vergangenen 45 Jahren war gerade dies wegen der guten Erreichbarkeit Bonns nicht vonnöten gewesen. Bonn teilte sich politische Funktionen - wie schon gesagt wurde - z. B. mit Frankfurt, Köln oder Düsseldorf und beließ andere in Hamburg, München oder Stuttgart. Ein künftiger Sitz von Parlament und Regierung in Berlin würde die politischen Funktionen dieser Städte auf lange Sicht abziehen. ({0}) Ähnlich wie London oder noch stärker Paris würde Berlin ein Zentrum der Macht, das den Rest des Landes zweit- oder drittrangig erscheinen läßt. ({1}) Die zentrale Machtposition Berlins als Hauptstadt und Sitz von Parlament und Regierung würde zu einer hierarchischen Struktur zwischen Berlin auf der einen Seite und den Landeshauptstädten auf der anderen Seite führen. ({2}) Berlin ist zum jetzigen Zeitpunkt die Stadt in Deutschland mit den größten Spannungen. Wird Berlin noch größer - sagen wir: eine Fünfmillionenstadt - , so sind diese sozialen Probleme nie mehr in den Griff zu bekommen. Die Preise in Berlin, z. B. die Grundstückspreise, würden auf Höhen schnellen, die denen von London, Paris oder gar Tokio ähneln. Auch dies führt - neben anderem - zu sozialen Problemen. Wie schon angedeutet ist eine Entscheidung für Berlin nicht nur eine Entscheidung gegen Bonn, sondern gegen alle Großstädte der Republik. ({3}) Neben der Politik würden auch Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Technik langfristig nach Berlin abziehen und große Lücken auch in den ostdeutschen Städten hinterlassen. ({4}) - Hören Sie zu. Die Bundesrepublik hat in den vergangen Jahren gezeigt, daß es von großem Vorteil ist, mehrere Wirtschaftszentren im ganzen Land verteilt zu haben. Es waren höhere Wachstumsraten vorzuweisen als in den Ländern, die lediglich ein Großwirtschaftszentrum haben. Im Hinblick auf ein föderatives Europa hat das stark ausgeprägte föderative Deutschland geradezu Modellcharakter für ein gemeinsames Europa. Es wäre kontraproduktiv, wollte man in Deutschland einen Schritt zurück in Richtung Zentralstaat machen. ({5}) Die Liste von Sachargumenten ließe sich weit über meine Redezeit hinweg fortsetzen. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluß nur beispielhaft eine Frage an die Berlin-Befürworter stellen: Wie soll ich 800 000 Menschen im Großraum Halle und Leipzig, die wegen vorhandener Rüstungsaltlasten stark vergiftetes Wasser trinken müssen, erklären, daß sie dies auch deshalb tun müssen, weil es zur Zeit ein Problem bereitet, die ca. 10 oder 20 Millionen DM freizumachen, die eine Sanierung des Geländes kosten würde, wir aber heute abend über ein Projekt sprechen, das zwischen mindestens 20 und 76 Milliarden DM gehandelt wird? Meine Damen und Herren, ich hoffe von ganzem Herzen, daß auch zukünftige Generationen für unsere heutige Entscheidung, wie immer sie ausfallen wird, Verständnis aufbringen werden. Ich bin für Bonn. Danke. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Bötsch, der vom Platz aus sprechen will.

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich beabsichtige, nur wenige Bemerkungen zu ma2788 chen; denn die Argumente sind, wie ich glaube, zu dieser Stunde schon weitgehend ausgetauscht. ({0}) Deshalb möchte ich von § 34 der Geschäftsordnung Gebrauch machen, in dem die Saalmikrophone sogar als erster Ort genannt sind, von dem aus man Ausführungen machen kann. Ich möchte mir erlauben, einiges zum Verlauf der heutigen Debatte zu sagen. Wenn die Vorfelddebatte, d. h. was in der Vorbereitung auf die heutige Debatte gesagt wurde, in der gleichen Art und Weise geführt worden wäre wie die heutige Diskussion - das war leider nicht immer der Fall - , könnte das insgesamt ein Beispiel sein, wie wir in einer solchen Frage die Auseinandersetzung führen könnten. ({1}) Ich möchte auch sagen: Ich bin froh, daß wir uns dazu entschieden haben, die Abstimmung offen durchzuführen, und allen Versuchungen, die an uns herangetragen wurden und die wir im Innern vielleicht sogar etwas gehegt haben, nämlich geheim abzustimmen und dafür die Geschäftsordnung zu ändern, widerstanden haben. ({2}) Ich glaube nämlich, es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht eines jeden Kollegen im Hause, seine Meinung offen zu sagen und sie dann auch in der Abstimmung kundzutun. Wir haben die heutige Debatte fair geführt. Im Vorfeld war das leider nicht immer der Fall. Das ging bis hin zu einer Anzeige, in der heute Graf Lambsdorff wegen seiner Entscheidung für Bonn, die er im Vorfeld bekanntgegeben hat, in einer für mich inakzeptablen Weise angesprochen wird. Heute hat sich auch gezeigt, wie richtig es war, daß wir uns zu einem sehr frühen Zeitpunkt darauf verständigt haben, daß die heutige Abstimmung keiner Fraktions-, Partei- oder Koalitionsdisziplin zugänglich sein kann. Ich glaube, das war eine gute Entscheidung. Auch das müssen wir, die wir in der Öffentlichkeit nicht immer mit so guten Noten - mit schlechteren Noten, als wir es eigentlich verdient haben - dargestellt werden, einmal vor der Öffentlichkeit sagen. ({3}) Zur Sache: Ich hege große Bedenken und große Skepsis dagegen, Bundesregierung und Bundestag räumlich zu trennen; ({4}) ich will das nicht verhehlen. Die Bundesregierung ist - ich bitte, das nicht mißzuverstehen, Herr Bundeskanzler - auch „Dienstleistungsunternehmen" nicht nur für das Parlament insgesamt als Kontrollorgan, sondern auch für viele einzelne Abgeordnete. Das gilt sowohl für die Regierungsfraktionen als auch für die Opposition. Ich halte das für ganz wichtig; das hat für mich einen großen Stellenwert. Ich sage das als einer, der sich in den vergangenen Wochen öffentlich als Befürworter des Parlaments- und Regierungssitzes Bonn bekannt hat und dies auch heute wiederholen will. Es ist hier viel von Symbolen geredet worden. Ich meine, wir sollten die Frage nicht nur symbolisch betrachten; ich habe mich vielmehr aus politisch-historischen, aus praktischen, aber auch aus finanziellen Gründen entschieden. Man kann Entscheidungen aus der Geschichte begründen, ich glaube aber, nicht nur aus der Geschichte der Vergangenheit, sondern auch aus dem, was Geschichte sein wird. Ich stimme denen zu, die dieser Auffassung sind. Aus der europäischen Zukunft heraus, die einmal Geschichte sein wird, halte ich es für nicht akzeptabel, zumindest jedenfalls für nicht sinnvoll, jetzt einen kompletten Parlaments- und Regierungssitz neu aufzubauen, wenn wir in wenigen Jahren die Politische Union - das ist das Ziel wohl aller hier im Hause - geschaffen haben werden. Es war keine Symbolik, meine Damen und Herren Kollegen, daß wir gewaltige Anstrengungen für benachteiligte Regionen schon in der Bundesrepublik Deutschland unternommen haben. Nein, nicht mit Symbolik, sondern mit täglicher Arbeit haben wir das bewältigt. Die tägliche Arbeit heißt heute: Arbeit für Dresden, für Leipzig, für Rostock, für Schwerin, für Güstrow und die Regionen, auch für Berlin - jawohl. Das kann aber nicht darin bestehen, daß wir dort nur Symbolhandlungen aufbauen und gleichzeitig - ich sage das als einer, der nicht in Bonn beheimatet ist - in der Bonn-Region ohne Not neue, auch soziale Probleme dadurch schaffen, daß wir die Probleme jetzt in den neuen Ländern lösen wollen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bötsch, der Nachteil des Saalmikrophons ist, daß Sie das rote Licht nicht sehen können. ({0})

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Insofern mein Schlußwort: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, bei Abwägung all der Argumente, die heute vorgetragen worden sind, Ihre Entscheidung für die bundesstaatliche Lösung, wie sie genannt wird, zu fällen und für den Regierungs- und Parlamentssitz Bonn Ihre Stimme abzugeben. Vielen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, die Sie gerade den Zwischenruf gemacht haben: Zu Ihrer Beruhigung, die kleine Überziehung des Kollegen Bötsch hielt sich etwa in dem Rahmen, in dem seine Vorredner überzogen haben. Was die Benotung - auch da gab es Zeichen - anbetrifft: Der sicherste Weg zu guten Noten ist immer, sie sich selbst zu erteilen. ({0}) Als nächste hat unsere Kollegin Dr. Christine Lucyga das Wort.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Beitrag kommt zum jetzigen Zeitpunkt schon nicht mehr so ganz ohne Redundanzen aus; das ist verständlich. Die Argumente sind ausgetauscht; einige davon haben sich verbraucht, einige sind dementierbar, andere sind austauschbar. Das wurde mir heute früh sehr deutlich bewußt, als unser Kollege Norbert Blüm seinen Antrag begründete. Es geht also jetzt darum, uns zu entscheiden und das Zeichen zu setzen, das politisch am allerwichtigsten ist, das Zeichen, wie und - vor allen Dingen - daß es in ganz Deutschland vorangehen soll. Einen sichtbaren Schritt dazu sollten Regierung und Parlament tun, den Schritt nach Berlin. ({0}) Mein Bekennntis zu Berlin ist auch das meiner Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern. Ich möchte diese Entscheidung jetzt vor allen Dingen für die Menschen aus Bonn begründen, die sich in den letzten Tagen aus Sorge um ihre Zukunft an mich gewandt haben. Ich kann gut nachvollziehen, daß es hier jetzt Zukunftsängste gibt, zumal sie zu einem großen Teil auf dem Boden der in letzter Zeit geführten Kampagne erwachsen, in der auch Ängste mobilisiert wurden. Wenn die von der Entscheidung abhängigen Arbeitsplatzprobleme angesprochen werden oder umfangreiche Kostenaufrechnungen die billige Lösung nahelegen, in Bonn zu bleiben, dann möchte ich sagen: Die Ängste der Menschen sind ernst zu nehmen. Ich kenne sie aus dem Osten Deutschlands, wo im Moment Existenzängste im großen Maße umgehen. Wir sehen, daß die Argumente austauschbar sind. Vieles trifft sowohl für die eine als auch für die andere Stadt zu. Ich möchte noch etwas sagen. Das, was uns jetzt als die billigste Lösung erscheint, nämlich in Bonn zu bleiben, wird uns wohl teuer zu stehen kommen, ({1}) nämlich dann, wenn das Ausbleiben eines sichtbaren politischen Signals dafür, daß die Integration des Ostens auch wirklich gewollt ist, die Chancen für eine wirkliche Integration - hier denke ich über den Osten Deutschlands hinaus auch an Osteuropa - noch länger hinausschiebt und damit auf längere Sicht eine soziale Instabilität festschreibt, deren sichtbarste Konsequenz immer noch Wanderungsströme von Ost nach West sind. ({2}) Bei diesen Argumentationen, so muß ich hinzusetzen, fehlen ganz einfach Alternativvorschläge, die für die Region Bonn auf den Tisch gekommen sind und die für die künftige Entwicklung auch dann Chancen aufzeigen, wenn Berlin alle Funktionen einer Hauptstadt übernimmt. Die Auseinandersetzungen, die wir im Interesse Bonns erleben, orientieren sich ganz einfach am Status quo und leugnen die Eigendynamik von Entwicklungen, auf die im Osten Deutschlands in anderen Zusammehängen oft verwiesen wird. ({3}) Wir erleben jetzt in Bonn hautnah, daß ein Gegenstand, aus unmittelbarer Nähe betrachtet, sehr viel größer erscheint als aus distanzierter Sicht. So erscheinen nach dem Gesetz der Perspektive die enormen Probleme der ostdeutschen Länder und die Sorgen Berlins vergleichsweise klein, betrachtet man sie lediglich aus der Optik der idyllischen und liebenswerten Stadt am Rhein, die bis zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung die „provisorische Hauptstadt Deutschlands" und „Stellvertreterin Berlins" hieß und weit weg von Ostdeutschland liegt. Die Einheit Deutschlands ist wiederhergestellt. Kaum jemand, der die deutsche Entwicklung aus angemessener Distanz - hier meine ich vor allen Dingen das Ausland - betrachtet, kann so recht verstehen, warum denn nun an die Stelle der Rückführung von Parlament und Regierung in die Hauptstadt so eine Art Kleinkrieg mit vertauschten Proportionen und Gewichten tritt. Die jetzige Auseinandersetzung offenbart etwas von den Schwierigkeiten, gemeinsam nun aus zwei ungleichen Teilen ein gemeinsames Ganzes zu formen und Regionales aus der gesamtdeutschen Perspektive zu betrachten. Sie geht an der simplen Tatsache vorbei, daß sich mit dem Zeitpunkt der staatlichen Einigung ganz Deutschland verändert hat. Das heißt für uns alle, daß nichts so bleibt, wie es war. Es ist an der Zeit, nicht regional, sondern gesamtdeutsch zu denken. Berlin ist in diesem Sinne mehr als die bloße Kulisse der Wiedervereinigung. ({4}) Wir alle sind uns doch darin einig, welch große geschichtliche Herausforderung die Vollendung der Einheit durch Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen für ganz Deutschland ist. Wie könnte dieser Prozeß denn sinnvoller vorangebracht werden als von Berlin aus, der Stadt, die wohl am meisten unter der Teilung gelitten hat, welche die ganze Last der Geschichte auf beiden Schultern getragen hat? West-Berlin war für uns die ganze Zeit das Fenster nach draußen in der Mauer. Dort geschieht nun auch das Zusammenwachsen am unmittelbarsten. Ich weiß, Bonn steht für den glücklicheren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. Berlin steht für unsere gemeinsame Geschichte ganz, mit den Licht- und Schattenseiten. ({5}) In der Zeit, in der es üblich war, vom Provisorium Bonn zu sprechen und Berlin als „Frontstadt" für nationales Pathos und Legendenbildung zu bemühen, hätte niemand daran geglaubt, daß dies vielleicht nur Requisiten unverbindlicher politischer Rhetorik seien. Es wäre fatal, wenn durch eine Hauptstadtlüge der mittlerweile geflügelte Satz „Was schert mich mein Geschwätz von gestern" zum Markenzeichen politischer Glaubwürdigkeit in diesem Lande würde. ({6}) Wir müssen wissen, die heutige Entscheidung ist eine geschichtliche Chance. Wir dürfen sie nicht versäumen. Ich bitte Sie um Ihre Stimme für Berlin. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Horst Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir tauschen hier Argumente auf zwei Ebenen aus, einmal praktische Argumente. Ich glaube, in diesen Argumenten - Sozialpolitik, Wohnungspolitik, Strukturpolitik, Finanzpolitik - spricht alles für Bonn. Das hat diese Debatte noch einmal gezeigt. ({0}) Ich halte es auch geradezu für aberwitzig, in der kritischen Situation, in der wir heute in Deutschland mit der Krise in den fünf neuen Ländern stehen, einen zehn- bis zwölfjährigen Umzug zu planen, der die Effektivität von Parlament und Regierung schwer beeinträchtigen muß. Ich halte das nicht für vertretbar. ({1}) Aber ich will mich zwei Argumenten auf der anderen Ebene widmen, zunächst dem Argument der Glaubwürdigkeit. Peter Glotz hat mit Recht gesagt, daß die Berlin-Befürworter da leicht ins Moralisieren kommen, weil, wie ich glaube, dieses Argument auf sehr schwachen Füßen steht. Zunächst einmal ist Glaubwürdigkeit eine personale Kategorie. Es gibt aber kaum noch jemanden hier im Hause, der am 49er Beschluß mitgewirkt hat. In unserer Fraktion ist es allein Willy Brandt. ({2}) Die Mehrheit der Kollegen in diesem Hause ist in den 80er Jahren gekommen. Wenn sie sich mit Berlin zu beschäftigen hatte, dann nicht mit der Hauptstadtfrage, sondern mit der Finanzierung West-Berlins und mit der Sicherung des Viermächtestatus von ganz Berlin. Nun gebe ich gerne zu, es gibt auch einen institutionellen Aspekt: Wie ist es mit dem Parlament? Ganz sicher gilt auch hier - ich hoffe, die Berliner stimmen mir da zu - , daß, wenn wir heute abend entscheiden, jeder diese Entscheidung zu respektieren hat. Nur, niemand entscheidet für die Ewigkeit. Das Glaubwürdigkeitsargument ist darum so schwach, weil zwei Fragen eng zusammenhängen. Wir, alle Parteien gemeinsam, waren damals der Meinung, es sollte das Ziel deutscher Politik sein, Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherzustellen, mit Berlin als Hauptstadt in der Mitte. Dann haben wir in einem schmerzlichen Prozeß, der erst jetzt zu Ende gegangen ist, erkennen müssen, daß es keinen Frieden in Europa und keine Einheit der Deutschen ohne die Anerkennung der polnischen Westgrenze geben kann. Nun soll mir keiner sagen, es sei glaubwürdig, in dieser schwierigen Frage, die einen großen Teil des Territoriums des früheren deutschen Reiches betrifft, die Meinung zu ändern, aber in der Hauptstadtfrage sei es das nicht, obwohl doch die Hauptstadt heute nicht mehr in der Mitte Deutschlands, sondern 60 km von der polnischen Westgrenze entfernt liegt. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Ehmke, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Debatte kommen sehr viele Kolleginnen und Kollegen zu Wort. Das bedeutet auch, daß fast jeder, der sich gemeldet hat, die Möglichkeit hat, seine Meinung am Rednerpult oder vom Saalmikrofon aus zu äußern. Deshalb finde ich es in dieser Debatte auch mit Blick auf den Gegenstand nicht so gut, wenn die Zwischenrufe allzu heftig und allzu laut werden. ({0})

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das zweite, was sich seit 1949 geändert hat, ist die europäische Entwicklung. Sie hatte damals noch gar nicht begonnen. Wenn wir im nächsten Jahr den Binnenmarkt bekommen, werden über 75 % der Wirtschaftsgesetzgebung in der Hand von Europa liegen. Von Nationalstaat und nationaler Hauptstadt kann da kaum noch gesprochen werden. Wir befinden uns in dem Prozeß einer großen europäischen Wandlung. Darum sage ich noch einmal: Wer jetzt glaubt, uns trotz der völlig geänderten Situation vorwerfen zu dürfen, daß wir auch in dieser Frage unsere Meinung geändert haben, der hat nur sehr schwache Argumente auf seiner Seite. ({0}) Ich sage als zweites: Der Einigungsvertrag hat die Konsequenzen daraus gezogen. Er sagt aus: So wie die Lage ist, kann es eine Teilung zwischen der Hauptstadt einerseits und dem Parlaments- und Regierungssitz andererseits geben. Ich muß sagen - das richte ich auch an meinen väterlichen Freund Willy Brandt - : Wer vor noch nicht einem Jahr für den Einigungsvertrag gestimmt hat und jetzt sagt, der sei mit heißer Nadel genäht oder man sei über den Tisch gezogen worden, der ist für mich nicht sehr glaubwürdig. Ich stehe zu dem, was wir im Einigungsvertrag beschlossen haben. ({1}) Zum zweiten Problem der deutschen Identität. Ich liebe dieses Wort nicht besonders, weil es auf die Kategorien von Vergangenheit und Geschlossenheit rekurriert. Ich rede lieber von Selbstverständnis. Die Deutschen sind ja nicht seit Hermann dem Cherusker Dr. Horst Ehmke ({2}) ein- und dieselben geblieben. Es kommt vielmehr darauf an, um das politische Selbstverständnis eines Volkes immer neu zu ringen. Das müssen wir auch im vereinten Deutschland tun. Dabei haben wir das Problem - das hat uns Herr Kollege Thierse immer wieder vorgeführt - , daß wir zwei sehr verschiedene Befindlichkeiten hüben und drüben haben. Ich respektiere das, was über die zum Teil verzweifelte Situation der Menschen in den neuen Ländern gesagt wird. Aber ich möchte den Kollegen aus den neuen Ländern auch sagen: Es gibt ebenfalls eine Befindlichkeit der Menschen in Westdeutschland, und diese Befindlichkeit darf man nicht mißachten; denn man braucht diese Menschen, wenn die deutsche Einheit klappen soll. ({3}) Die Menschen in Westdeutschland sind zu Opfern bereit, obgleich man mit ihrer Opferbereitschaft nicht gut umgegangen ist. Aber sie sind nicht bereit, Opfer für den Ausbau von zwei Hauptstädten und für den Umzug von einer in die andere zu erbringen. Ferner sind sie stolz auf das, was wir in den 40 Jahren Bonner Demokratie geleistet haben. Darum sage ich Ihnen zum Schluß: Unser Maßstab ist der gleiche, nämlich: Wie können wir die deutsche Einheit fördern? Aber wer Bonn aus der politischen Geographie und Geschichte dieses Landes streicht, der wird nicht neue Einheit gewinnen, sondern alte Zwietracht wecken. Darum bitte ich Sie sehr herzlich, unserem Antrag auf eine bundesstaatliche Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin zuzustimmen. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Peter Kittelmann, Sie haben das Wort.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ehmke, um der Redlichkeit willen müssen Sie zugestehen, daß wir bis in die letzten Jahre hinein im Bundestag Beschlüsse über die Hauptstadtgestaltung Berlins gefaßt haben. ({0}) Sie haben den Eindruck erweckt, als wenn Herr Brandt der einzige Lebende unter denjenigen sei, die das mitgestaltet haben. Herr Ehmke, Sie sollten sich, bevor Sie etwas Falsches behaupten, die Haushaltsausschußunterlagen ansehen. Ich habe in meiner Zeit als Bezirkspolitiker in Berlin und in den 15 Jahren, die ich jetzt hier im Deutschen Bundestag bin, immer angemahnt, daß wir die großen Flächen in der Innenstadt Berlins freihalten sollen. Diese sind alle freigehalten worden, obwohl Berlin viele Gelegenheiten gehabt hätte, diese zu bebauen. Dies geschah im Hinblick auf das Versprechen, daß dies die Flächen für die zukünftige Hauptstadt Deutschlands, für Parlaments- und Regierungssitz seien. ({1}) Dies alles, Herr Ehmke, wollen Sie nicht wahrhaben. Wem nutzen Sie damit? ({2}) Meine Damen und Herren, ich habe mich ernsthaft mit dem Gedanken auseinandergesetzt, den gerade junge Menschen immer wieder vorbringen, indem sie sagen - ich habe das von Kollegen aus dem Hause vernommen - , daß sie als in der Nachkriegszeit Geborene echt und fest mit der Bonner Demokratie verbunden sind. Dafür habe ich Verständnis. Aber Bonner Demokratie heißt eben auch Berlin. Ich erinnere daran, die Nachkriegsdemokratie war das große Verdienst vieler, vieler Berliner Politiker. Ich erinnere an Ernst Reuter; ich erinnere an den hier sitzenden Willy Brandt und an Herrn Vogel, die in Berlin und in Bonn gewirkt haben; ich erinnere an Johann Baptist Gradl, an Jakob Kaiser, Ernst Lemmer, Hermann Ehlers, Franz Amrehn. Das sind alles Menschen, die das Grundgesetz ausgefüllt haben, die mitgearbeitet haben und in deren Kopf nie der Gedanke aufgekommen wäre, daß sie angesichts der Tatsache, daß sie in Bonn gearbeitet haben, nachher als Zeuge dafür benannt werden, daß sie in der Nachkriegszeit an der Bonner Demokratie mitgearbeitet haben. Nein, Sie haben an der deutschen Nachkriegsdemokratie mitgearbeitet. ({3}) Ich darf auch etwas zur Befindlichkeit sagen. Ich glaube, Herr Ehmke, ich habe niemanden aus den neuen Bundesländern hier reden hören, der nicht auch auf die Befindlichkeit aller Menschen in Deutschland, also auch auf die Menschen in Westdeutschland, Bezug genommen hat. Ich würde mich freuen, wenn Sie nicht den Versuch machten, zwischen den Menschen in den neuen Bundesländern und den Menschen in Westdeutschland zu differenzieren oder diese zu spalten. ({4}) Ich habe noch eine Bitte. Die Bonner Bürger haben diese Stadt mitgestaltet und auch die Demokratie miterlebt. Wir Politiker, die wir seit langer Zeit hier sind, haben durch die unmittelbare Kontaktaufnahme zu den Bürgern durchaus eine breite Diskussionsgrundlage. Nur, die Demokratie in Deutschland unter persönlichen Opfern haben vor allen Dingen die Menschen in Berlin ({5}) mitgestaltet, indem sie standgehalten haben bei der Blockade, beim Chruschtschow-Ultimatum. Sie sind nach dem Bau der Mauer nicht aus Berlin „geflohen" oder „ausgewandert" . Sie haben also durch ihren persönlichen Einsatz dafür gesorgt, daß uns Berlin erhalten geblieben ist, daß dieses Berlin, wie der Bundeskanzler, wie Willy Brandt und viele andere es heute gesagt haben, die Voraussetzung dafür war, daß wir heute die Wiedervereinigung Deutschlands erlangt haben. ({6}) Deshalb möchte ich auch etwas zu den Kollegen aus den neuen Bundesländern - speziell denen in meiner Fraktion - sagen. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie mit Bitterkeit und teilweise auch mit Haß an die Zeit der kommunistischen Willkür, die in der ehemaligen DDR auf der Tagesordnung war, zurückdenken. Wir wissen auch, daß diese Willkür von Ost-Berlin ausging; bloß, meine Damen und Herren, es sind nicht Honecker oder Walter Ulbricht, über die wir heute sprechen, sondern wir sprechen gemeinsam über das große Beispiel, das uns die Berliner Bevölkerung im westlichen Teil der Stadt und - leidend - all die Menschen in der ehemaligen DDR gegeben haben. Sie haben auf den Tag der deutschen Einheit hingearbeitet. Ich als Westberliner bitte herzlich, uns nicht zu nahe zu treten, uns, die wir Jahrzehnte in dieser Stadt gearbeitet haben, indem Sie uns heute sagen: Von Berlin ging für uns immer etwas Schlechtes aus. - Das war nicht das Berlin, über das wir hier sprechen! ({7}) Ich habe auch Verständnis für den Antrag von Heiner Geißler - ich bitte, auch darüber nachzudenken - , der ja im wesentlichen ein Stück Versöhnung anbietet. Wenn ich als Berliner Sie hier heute bitte, für Berlin zu stimmen, wenn Heiner Geißler mit seinem Antrag keinen Erfolg hat, dann deshalb - hier appelliere ich vor allem an die jüngeren Abgeordneten, egal ob sie sich festgelegt haben oder nicht - , weil diese Entscheidung ein wichtiger Beitrag zur Glaubwürdigkeit vor der Geschichte ist. Wer heute so tut, als hätten wir uns nicht verpflichtet, beleidigt diejenigen, die Deutschland in der Nachkriegszeit im wesentlichen aufgebaut haben. Das sind die großen deutschen Kanzler von Adenauer über Kiesinger, Erhard, auch über Willy Brandt und Helmut Schmidt vor allem bis Helmut Kohl. Ich danke Ihnen. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Peter Harald Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst ein Wort des Dankes loswerden. Ich danke dafür, daß die Diskussion hier so fair verläuft. Das Thema, das in den letzten Wochen und Monaten überhöht, überzogen dargestellt wurde, wird heute auf das zurückgeführt, was es ist: eine wichtige Entscheidung für Deutschland, aber nicht die lebenswichtige Entscheidung für die Zukunft. Es wird auch deutlich, meine Damen und Herren: Jeder von uns muß selbst entscheiden. Er muß im Kern entscheiden, ob in der Zukunft Regierungs- und Parlamentssitz in Bonn oder in Berlin sein soll. Alle Konsensbemühungen bis in die letzten Stunden hinein, zwischen den konkurrierenden Interessen einen Kompromiß zu finden, der die von mir erwähnte Grundentscheidung nicht erforderlich gemacht hätte, bleiben erfolglos, und ich finde, das ist gut so. Sowohl die Trennung von Regierungs- und Parlamentssitz als auch eine Verschiebung der Grundentscheidung auf eine spätere Legislaturperiode wäre für beide Städte, sowohl für Berlin als auch für Bonn, aber insbesondere, so finde ich, für Deutschland und die parlamentarische Demokratie eine unbefriedigende Lösung gewesen. Nachdem die Entscheidung getroffen ist - egal wie sie ausgeht -, muß die unterlegene Stadt, ihren wechselseitigen unbestrittenen Verdiensten für unser Volk und unser Land entsprechend, herausragende repräsentative bzw. bedeutende Einrichtungen bekommen. Deshalb sind für mich weder der GeißlerAntrag noch die Anträge der Herren Schily und Gysi annehmbar. Bei den dann verbleibenden zwei Anträgen werde ich mich mit Überzeugung und gutem Gewissen für Bonn entscheiden. ({0}) Ich lasse mir von niemandem ein schlechtes Gewissen einreden. Ich hatte wie viele hier im Saal das Glück, in den freiheitlichsten Rechtsstaat, den es je auf deutschem Boden gab, hineingeboren und in ihm aufgewachsen zu sein, in einem Bundesstaat, dem nach freien Wahlen die neuen Bundesländer beigetreten sind, einem Bundesstaat mit einer bewährten föderativen Grundordnung. Diese gehört zur demokratischen Erneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg genauso wie die Unterscheidung zwischen Maximum und Optimum zur Sozialen Marktwirtschaft und sozialen Partnerschaft. Oder kürzer ausgedrückt: Dezentralisierung statt Gigantomanie war das moderne Erfolgsrezept, mit dem die Bundesrepublik Deutschland wieder zu großem Ansehen in der Welt kam. In Konsequenz dieser erlebten Erfahrung bin ich auch zukünftig für den Sitz von Regierung und Parlament im kleinen und überschaubaren Bonn, von dem - hiervon bin ich überzeugt - auch in ferner Zukunft keine zentralistischen Bestrebungen ausgehen werden, gegen eine Übersiedlung ins jetzt schon völlig überfüllte Berlin, das nach realistischen Einschätzungen in wenigen Jahren mehr Einwohner haben wird als viele deutsche Großstädte zusammen. Darüber hinaus bin ich ein sehr praktisch denkender Mensch, der dazu erzogen wurde, die Mark zweimal umzudrehen, bevor sie ausgegeben wird. Das Geld, das wir für den Umzug nach Berlin ausgeben müßten, stecken wir viel sinnvoller, schnell und gezielt in den Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern. Das kommt allen Menschen dort viel mehr zugute als ein Regierungs- und Parlamentssitz in Berlin und führt darüber hinaus für Berlin zu dem Ergebnis, wenn schnell gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland erreicht werden, daß Berlin zu einem Wirtschafts- und Kulturzentrum werden wird, wie es ohnehin kein zweites gibt. Dazu bedarf es nicht noch zusätzlich des Sitzes von Parlament und Regierung. Viel wichtiger erscheint es mir, daß oberste Bundesbehörden möglichst rasch in Erfurt, Leipzig, Magdeburg und Rostock und in anderen Städten der neuen Bundesländer ihre Arbeit aufnehmen. ({1}) Berlin war und bleibt Symbol der Freiheit und Beständigkeit. Berlin ist und bleibt die Hauptstadt der Deutschen und repräsentiert zukünftig Deutschland als Ganzes. Bonn bleibt Sitzung von Parlament und Regierung und damit Zentrum einer stabilen Demokratie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Bonn als provisorischer Hauptstadt entwickelt hat. Wir alle hier im Parlament sollten uns vor der bösen Unterstellung hüten, daß die Diskussion nach der heute zu treffenden Entscheidung, insbesondere wenn es eine knappe Entscheidung würde, dennoch weiterginge. Wir Parlamentarier würden uns damit selbst das schlechteste Zeugnis ausstellen. Wir sollten uns vielmehr in Erinnerung rufen, daß es viele wichtige Entscheidungen hier im Bundestag gegeben hat, die, wenn auch mit knapper Mehrheit gefaßt, dennoch von allen Demokraten mitgetragen wurden. Ich habe mich deshalb in meinem Beitrag und meinem Werben für Bonn bewußt davor gehütet, überzogene Formulierungen zu gebrauchen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Ende. Denn egal, wie die Entscheidung ausgeht, müssen wir, die wir heute mit der Mehrheit stimmen, morgen mit denen, die bei der Minderheit waren, zurechtkommen und umgekehrt. Die Worte „Sieger" und „Besiegte" sollten bei dieser Entscheidung aus diesem Grunde nicht verwandt werden. Die Entscheidung, egal, wie sie ausfällt, soll ein Sieg für die Demokratie und die Demokraten sein. Schönen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jürgen Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, treffen wir in einer wichtigen Beziehung über die künftige Gestaltung Deutschlands. Wir haben sie vor allen unseren Wählern zu verantworten. Aber natürlich empfinden wir dabei Loyalitätsverpflichtungen und einen Pflichtenkonflikt gegenüber den beiden Städten, um die es geht. Keine dieser Städte soll zu untragbarem Schaden kommen. Ein Ausweg freilich, der einen Kompromiß darin sieht, daß Bundesorgane aufgesplittert werden, würde unsere Arbeitsfähigkeit als Parlament auf Dauer in unerträglicher Weise belasten. Es wäre ein Schaden für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. ({0}) Deshalb sind wir gehalten, eine eindeutige Entscheidung zu treffen. Für mich ist es die Entscheidung für Berlin, bei der ich in dem Antrag der Berlin-Befürworter die Belange Bonns weitestmöglich beachtet sehe, so daß auch diese Entscheidung für Bonn erträglich sein kann. Diese Entscheidung für Berlin ist für mich nicht eine Entscheidung für eine neue Machtmetropole. Die anderen großen Städte der Bundesrepublik, die hier genannt worden sind, haben einen starken Vorlauf; sie brauchen um ihr Gewicht wahrlich nicht zu fürchten. ({1}) Es ist keine Entscheidung für eine erneuerte Reichshauptstadt. Die wollen wir nicht, die will Berlin selbst nicht. Berlin war bisher nicht Hauptstadt im Wartestand, sondern hat einen eigenständigen Weg genommen. Sonst hätte es nicht überlebt. ({2}) Insofern ist es, positiv gesprochen, eine Entscheidung für das moderne Berlin, das in Jahren demokratischer Entwicklung nach dem Krieg gereift ist. Dieses Berlin hat in seinem Westen unter größtem äußeren Druck seine innere und äußere Freiheit behauptet. Es hat Liberalität und Weltoffenheit mit Festigkeit und Sicherheit verbunden, und es hat exemplarisch immer wieder Konflikte und Entwicklungen vorweggenommen, die danach in der alten Bundesrepublik ausgetragen wurden und stattfanden. Wir alle haben in dieser Weise in der Vergangenheit von Berlin gelernt. Berlin hat die Entwicklung der ganzen Bundesrepublik mit geprägt. Es ist auch eine Entscheidung für ein Berlin, das in seinem Osten für uns aus der früheren Bundesrepublik die offene Tür zu den Menschen in der DDR gewesen ist, das der Ort der Begegnung gewesen ist, an dem wir die Einheit Deutschlands auch in der Zeit der Trennung erhalten und pflegen konnten. ({3}) Diese Entscheidung für Berlin ist nicht die Wahl des einfacheren Weges, wahrlich nicht. Wir gehen in eine Stadt mit Problemen und Sorgen, eine Stadt mit Unruhe und Herausforderungen, Herausforderungen zumal durch die Sorgen und Bedürfnisse der neuen Länder, die dort nicht weit entfernt sind, sondern vor der Tür liegen. Aber trotz des Zeitbedarfs der Umsetzung: Unsere Entscheidung bereits wäre ein Signal der Zuwendung, das mit der getroffenen Entscheidung wirksam würde. ({4}) Und schließlich: Diese Entscheidung für Berlin ist nicht vergangenheitsorientiert, sie bezieht sich auf unsere Zukunft. Im Fall einer Ablehnung würden wir das an dem Eindruck erkennen, den die Bürger behalten würden, wenn Einzelbegründungen, die wir heute vortragen, schon lange vergessen wären, wenn wir für unvorhergesehene Zwecke bereits ein Mehrfaches der Ausgaben getätigt haben würden, von denen heute im Zusammenhang mit den Umzugskosten die Rede ist, einem Eindruck, der auch nicht durch noch so intelligentes Bezweifeln der Geschäftsgrundlage ausgeräumt werden kann, nämlich daß diese Politiker in Bonn anders handeln, als sie jahrzehntelang geredet haben. ({5}) So groß ist unser Konto an Glaubwürdigkeit nicht, daß wir es in dieser schweren Weise zusätzlich belasten sollten. Bedenken wir bitte auch diesen Schaden, der uns da droht. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Professor Dr. Rita Süssmuth.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserem heutigen Tag der Entscheidung sind schwierige Wochen der Vorbereitung dieser Entscheidung vorausgegangen. Es ist heute morgen von der Arbeit des Präsidiums, von der Arbeit derjenigen, die sich um einen Konsens bemüht haben, die Rede gewesen. Ich gehörte zu diesen und möchte auch hier klar sagen: Wenn wir einen tragfähigen Konsens gefunden hätten, der beiden Städten in einem föderativen Deutschland gerecht wird, dann hätte ich ihm gern zugestimmt. Wir haben ihn nicht gefunden. Jetzt oder später, heute ist die Stunde der Entscheidung. Entscheidungen, die mit Mehrheit gefällt werden, sind zu respektieren. Die heutige Debatte zeigt, daß wir die Argumente fair miteinander austragen. Auf alle Fragen, Kollege Brandt, sind sicherlich keine Antworten zu geben. Wir haben uns in den vergangenen Wochen, zum Teil in Tag- und Nachtarbeit, gerade auch unter Beteiligung der Regierung, bemüht, die Informationen verfügbar zu machen, die verfügbar sind. Aussagen über die Verteilung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer brauchen mehr Zeit. Deshalb enthalten alle Anträge die Einsetzung einer Kommission, um dies sehr bald tun zu können. Kosten sind angegeben. Es sind Schätzkosten. Ob sie nüchtern oder überzogen sind, werden wir merken, wenn wir sie umsetzen. Ich glaube übrigens nicht, daß das Kostenargument für die Entscheidung das Zentrale ist. ({0}) Ich habe mich intensiv mit dem Vorschlag des Kollegen Geißler auseinandergesetzt und sage hier ganz offen: Ich bin eben nicht überzeugt, daß er unserer parlamentarischen Demokratie dient, ({1}) und kann deswegen, so gern ich es tun würde, diesem Vorschlag nicht zustimmen. Es mag sein, daß es mir an Vorstellungskraft fehlt. Vielleicht bin ich in zehn Jahren klüger als heute. Ich kann nur vom heutigen Tag aus entscheiden. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich für mich und für viele Kollegen in Anspruch nehme, daß wir heute durchaus die Pflicht und das Recht haben, zu entscheiden. Der Einigungsvertrag hat dazu die Grundlage gegeben, und wir sollten das nicht in Frage stellen. ({2}) Ich möchte hier auch offen erklären: Ich werde mich für Bonn entscheiden. ({3}) Daß dies nicht nur Zustimmung findet, ist klar - deswegen sage ich es ja -; aber ich möchte es auch noch einmal kurz begründen. Für mich hat die politische Zukunft Deutschlands in Bonn nicht nur mit der ersten, sondern auch mit der zweiten wichtigen Etappe 1989/90 längst begonnen. Es ist nicht eine Zäsur, die wir in der Geschichte vornehmen. Ich muß Ihnen sagen: Wo wären denn die Menschen in den neuen Ländern, wenn nicht hier Parlament und Regierung zukunftsweisende Entscheidungen für ganz Deutschland getroffen hätten? ({4}) Ich bin sehr dafür, daß wir dort hingehen, wo die Probleme sind. Ich bin froh, daß viele unserer Ausschüsse das tun. Ich bin auch der Meinung, daß das Parlament viel und nicht nur selten in Berlin tagen muß. Das sind wir den Menschen und ihren Problemen schuldig. Aber wenn wir jedesmal da hingehen wollten, wo die Probleme sind, dann müßten wir über unsere Hauptstadtfrage ständig neu entscheiden. ({5}) Ich denke vor allen Dingen, daß mehr als die symbolischen Zeichen - wir entscheiden über einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren - wichtig ist, daß wir jetzt zusammenwachsen und daß wir den Menschen vor Ort zeigen, daß wir für und mit ihnen handeln. ({6}) Ich möchte noch ein letztes Argument nennen. Es wird gesagt, Berlin ist der Ort der europäischen Integration. Ich möchte doch noch einmal unterstreichen, daß von Bonn nicht nur westeuropäische Politik gemacht worden ist, sondern seit den 50er Jahren der Blick kontinuierlich auch nach Osteuropa gerichtet worden ist. ({7}) Ich möchte das, was in der letzten Zeit geschehen ist, nicht in irgendeiner Weise schmälern: Der deutschsowjetische Vertrag, der deutsch-polnische Vertrag, die Unterstützung für Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn, dies alles ist von Bonn aus geDr. Rita Süssmuth schehen. Ich denke, dies ist eine weltoffene, europäische und internationale Politik. Ich hoffe, daß sich die Frage nach Metropolen im Rahmen der politischen Union gänzlich neu stellt. Ich danke Ihnen. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Abgeordnete Dr. Cornelia von Teichman, Sie haben das Wort.

Dr. Cornelia Christiane Teichman (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002302, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ein Ja zu Berlin ist gleichzeitig auch ein Ja zu dem neuen demokratischen freiheitlichen Gesamteuropa, das die deutsche Einigung erst ermöglicht hat, ein Ja zu dem Zusammenwachsen von Ost und West, zu Europa als gesamteuropäischer Wertegemeinschaft, das sich nicht mehr nur als westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft versteht. Mit unserem Ja zu Berlin setzen wir ein Zeichen, das gerade für die jungen Demokratien Osteuropas von Wichtigkeit ist und ihnen Mut gibt. ({0}) Berlin liegt in der Mitte Gesamteuropas. Ein Osteuropäer assoziiert mit Deutschland eher Berlin als Bonn.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch herzlich bitten, der Rednerin Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn Sie Gespräche führen wollen: Das Foyer ist groß genug dazu.

Dr. Cornelia Christiane Teichman (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002302, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, Berlin nicht nur zur nominellen, sondern zur tatsächlichen Hauptstadt mit Regierungsfunktionen zu wählen. Jahrelang haben wir die Hauptstadt Bonn als Provisorium betont und uns zu Berlin als eigentlicher Hauptstadt bekannt. ({0}) Kein ausländisches Staatsoberhaupt, gegenüber dem wir dies nicht ausdrücklich betont haben. Soll denn dies alles jetzt gar nicht mehr wahr sein? ({1}) Keine andere Stadt ist symbolhafter für das Zusammenwachsen von Ost und West. An keiner anderen Stelle Europas wird dieses Zusammenwachsen von Ost und West derartig sichtbar. Die Stadt Berlin wird uns täglich neu mit der deutschen Geschichte konfrontieren, so daß wir uns täglich neu unserer gewachsenen Verantwortung für das neue, für das zusammengewachsene Deutschland, für Gesamteuropa bewußt werden. In einer Business-as-usual-Manier könnten wir uns in Bonn eigentlich ganz gemütlich einrichten und den Dingen ihren Lauf lassen. Ein Ja zu Berlin ist aber auch ein Ja zur Solidarität mit den neuen Bundesländern. Ich glaube nicht, daß wir unser Solidaritätsgefühl gegenüber den neuen Bundesländern schon gänzlich erschöpft haben. Vielmehr meine ich, daß wir als Politiker angehalten sind, dieses Gefühl in allen Deutschen zu wecken. Die Vereinigung auch menschlich zu vollziehen ist eine der größten Aufgaben, wenn nicht sogar die größte, die uns Deutschen je gestellt wurde. ({2}) Ein Schritt hin zur Erfüllung dieser Aufgabe ist unser klares Bekenntnis zu Berlin als Parlaments- und Regierungssitz. Das heißt doch aber nicht, daß wir ein wirtschaftliches Austrocknen der Bonner Region wollen. Wir müssen Abfederungsmaßnahmen für Bonn vornehmen. Diese Region darf nicht zurückfallen. Ich bin sehr froh, daß Herr Ministerpräsident Rau der Meinung ist, daß man das auch kann, daß das möglich und machbar ist. Eine Hauptstadt ohne Regierung macht überhaupt keinen Sinn. Die Hauptstadt Berlin bleibt eine Leerformel, solange sie nicht die dazugehörigen Hauptstadtfunktionen hat. ({3}) So glaube ich, daß die momentane Diskussion, selbst wenn sich die Mehrheit heute für Bonn entscheidet, nicht eher zur Ruhe kommt, bis wir nicht Berlin deutliche Hauptstadtfunktionen zuerkannt haben. Wer will denn auch verhindern, daß sich der nächste Bundestag ganz anders als dieser Bundestag entscheidet, der die Entscheidungen der letzten 40 Jahre vielleicht ignoriert und sich darüber hinwegsetzt, was wir 40 Jahre lang immer gesagt haben? Es ist nötig, daß jetzt eine endgültige Entscheidung getroffen wird, die für jeden klar und deutlich ist, daß jeder weiß, woran er ist, damit sich die Menschen in beiden Regionen darauf einrichten können. Ein Ja zu Berlin bedeutet auch keine Absage an den Förderalismus, wie immer wieder behauptet wird. In einem traditionell förderativen Deutschland, in dem in 40 Jahren Demokratie gewachsen ist und in dem politisch, wirtschaftlich und kulturell starke Bundesländer entstanden sind, haben wir starke Garanten gegen die Aushöhlung des Föderalismus. Ihre Souveränität haben die Bundesländer gezeigt, indem sie ein klares mehrheitliches Votum für Berlin abgegeben haben. ({4}) Zuletzt noch eines, meine Damen und Herren: Über allem Rechnen und allen finanziellen Überlegungen sollte man die Bedeutung von Symbolen nicht unterschätzen, von Symbolen, die Hoffnung machen oder Hoffnung zerstören können. Wir haben heute die Chance, ein Symbol der Hoffnung für das Zusammenwachsen des vereinten Deutschlands, des Zusammenwachsens von West und Ost zu setzen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Reichenbach.

Klaus Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Rede steckt hier. Die Argumente sind fast alle genannt; ich möchte sie nicht wiederholen. ({0}) Ich möchte als Sachse ganz einfach und ganz deutlich sagen, daß es mir nicht leichtfällt, für Berlin zu stimmen, weil die Sachsen alle Kriege gegen Berlin oder Preußen verloren haben. Aber ich muß natürlich dazu sagen: Es gibt für mich persönliche Argumente. Diese persönlichen Argumente möchte ich einfach ganz kurz nennen und vortragen. Als ein im Jahrgang 1945 Geborener habe ich nur eines kennengelernt: ein geteiltes Deutschland. Es war in der ganzen Zeit immer ein Traum, daß dieses Deutschland eines Tages wieder geeint ist. Über Nacht zum Minister geworden und bei diesem Traum mittun, war das Schönste, was ich mir in meinem Leben vorstellen kann. Deswegen muß ich Ihnen hier ganz deutlich sagen, daß ich der Meinung bin: Wenn wir Berlin als Hauptstadt benennen, dann gehören dazu auch der Regierungssitz und das Parlament. ({1}) Wenn wir in Ost und West gemeinsam daran geglaubt haben, daß sich diese Einheit Deutschlands eines Tages realisieren läßt, dann ist zu sagen: Dieses geeinte Deutschland ist ein neues Deutschland. Das ist nicht mehr die Bundesrepublik ({2}) mit der Hauptstadt Bonn, sondern es ist ein geeintes neues Deutschland, eine neue Bundesrepublik. Diese Einheit des neuen Deutschlands sollte sich durch Berlin als Parlaments- und Regierungssitz dokumentieren. Ich bin der Meinung, daß vieles für Berlin und vieles für Bonn spricht. Aber ich bin auch der Meinung, daß noch einige Empfindlichkeiten der Leute aus dem Osten gegenüber Berlin hier erklärt werden müssen. Es tut weh, wenn die Anwürfe, die gegenüber Berlin aus der Vergangenheit des 40jährigen SED-Regimes hergeleitet werden, als Argument gegen Berlin genutzt werden. ({3}) Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen, daß es nicht in Ordnung sein kann, eine Aversion gegen Berlin zu entwickeln, weil die SED 40 Jahre lang mit dem Ausbau Berlins und der Traumvorstellung Honeckers, diese Stadt als Musterbeispiel darzustellen und sie Hauptstadt der DDR zu nennen, eine Situation herbeigeführt hat, in der Berlin wie ein Blutegel in den restlichen Gebieten der ehemaligen DDR gewirkt hat. Ich bin der Meinung - das müssen wir ganz deutlich sagen - : Das kann kein Argument sein. Das neue Berlin ist ein geeintes Berlin. Es ist ein neues Berlin, das sich niemals wie das alte darstellen wird. Ich bin auch der Meinung, daß ganz deutlich etwas zu den Kosten gesagt werden muß. Wer angesichts von etwas Neuem zu rechnen anfängt und die Kosten zu kalkulieren beginnt, der hätte damals auch zur Einheit Deutschlands nein sagen müssen, weil die Kosten nicht überschaubar waren und weil sie riesengroß sind. ({4}) Ich stimme für Berlin und möchte alle auffordern, dies in ähnlicher Weise zu tun. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, nehmen Sie doch Platz. Es sind noch Sitzplätze im Raum. Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Waltemathe.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wohltuende an dieser Debatte ist, daß hier wirklich Argumente ausgetauscht werden. Ich sage einmal vorweg: wie immer die Entscheidung heute abend ausfällt, sie ist eine glaubwürdige; denn uns ist durch den Einheitsvertrag die Aufgabe übertragen worden zu entscheiden. Wenn nur eine bestimmte Entscheidung eine glaubwürdige, also die andere eine unglaubwürdige wäre, dann hätten wir gar keine Möglichkeit zur Entscheidung. Wir haben heute nicht über die Vorliebe für Städte und ihre jeweilige Bevölkerung und schon gar nicht über die Bequemlichkeiten für Parlamentsglieder und Regierungsbeamte zu entscheiden, sondern über politische Vernunft. ({0}) Aber was heißt schon politische Vernunft, wenn auch emotionale Empfindungen eine Rolle spielen, von denen auch ich überhaupt nicht frei bin. Es mag ja sein, daß bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind: wirtschaftliche, finanzielle Fakten und Argumente, soziale Fragen, organisatorische Probleme ebenso wie historische Erfahrungen und historische Symbolwirkungen - und alles zusammen unter kurzfristigen und auch langfristigen Gesichtspunkten. Aber - ich sage das ausdrücklich, weil ich Mitglied des Haushaltsausschusses bin - ich beabsichtige hier nicht, über irgendwelche Zahlen oder Zahlungen zu sprechen. Das steht nicht im Vordergrund der politischen Entscheidung, sondern ist allenfalls eine Folge. ({1}) Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, ob es politisch geboten oder klug ist, die größte Metropole zum nationalen Regierungssitz zu machen oder bei einer Lösung zu bleiben, die inzwischen auch eine Tradition hat. Denn obwohl die Berliner Bevölkerung weder den Nationalsozialisten noch den Kommunisten zur Mehrheit und zur Macht verholfen hat - dies ist die geschichtliche Wahrheit - , so bleibt andererseits auch die Tatsache bestehen - und das ist nicht ein Verdienst, sondern es mag ein Zufall sein; es ist aber eine Tatsache - , daß inzwischen die verhältnismäßig unbedeutende Stadt Bonn als Sitz von Parlament und Regierung in 42 Jahren zu einem Symbol der funktionierenden und stabilen Demokratie mit Verteilung, Kontrolle und Balance staatlicher Macht geworden ist. ({2}) Bonn hat sich insoweit gerade deshalb bewährt, weil weder kulturell noch industriell noch machtpolitisch irgendeine Gefahr von Zentralisierung von hier ausgeht. Jede große Metropole würde zwangsläufig einen Hang zu größerer Zentralität und zu Gigantonomie fördern. Nun weiß ich, daß ich oft belächelt werde, wenn ich darauf hinweise, daß die Niederländer sehr zufrieden mit ihrer Hauptstadt Amsterdam und ihrem Regierungs- und Parlamentssitz Den Haag sind. ({3}) Amsterdam ist die bedeutendste Metropole der Niederlande. Kein Niederländer würde daran zweifeln, daß Amsterdam Hauptstadt ist. In der Stadt Amsterdam habe ich Toleranz, Freiheitswillen und europäische Gesinnung kennengelernt. ({4}) Insofern ist es überhaupt keine ausgemachte Sache, daß eine Hauptstadt nur dann Hauptstadt ist, wenn dort auch Regierung und Parlament ihren Sitz haben. Wenn nun der Bundespräsident meint, in der Hauptstadt Berlin müsse auch die politisch verantwortliche Führung künftig angesiedelt werden, so bereitet mir - ich sage das offen - schon allein das Wort Führung erhebliches Unbehagen. ({5}) Ich bin für die Aufteilung von Funktionen zwischen Hauptstadt und Regierungssitz. Ich bin dafür, daß Berlin sich zu einem Symbol internationaler Einbindung der Deutschen und zu einem Symbol der Einigung Europas entwickeln kann. Ich bin dafür, daß die politische Vertretung unserer bundesstaatlich organisierten parlamentarischen Demokratie dort verbleibt, wo keine Gefahr von Vorherrschaft besteht, sondern die Tugend von Bescheidenheit und Integration vorherrscht. Eine Weltstadt als Hauptstadt, eine im guten Sinne provinzielle und wenig machtvolle Stadt als Sitz von Regierung und Parlament. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die im politischen Raum wegen ihrer bekannten Sachkompetenz besonders geschätzten Presseerzeugnisse sind heute wenig hilfreich. Der „Expreß" schreibt mit großer Schlagzeile: Die Deutschen wollen Bonn. -„Bild" weiß in gleicher Aufmachung: Das Volk will Berlin. - Dies paßt zu dem fast lustig zu nennenden Phänomen der letzten Tage: Die Menschen im Land, aber vor allem auch die Medien, beklagen, daß es doch viel Wichtigeres gebe als die heutige Entscheidung, um sich dann aber unendlich über genau dieses Thema auszulassen. Mir als Bonn-Befürworter fällt der Versuch auf, nicht mehr allein sachliche Argumente gelten zu lassen und in den Mittelpunkt zu stellen. Da werden manchmal fast hysterisch historische Dimensionen beschworen. Meine Erinnerung an den allerdings schon lange zurückliegenden Geschichtsunterricht sagt mir: Wenn es keine Parteien gab, sondern nur noch Deutsche, wenn also historische Dimensionen beschworen wurden, war Deutschland meist nicht auf dem besten Weg. Deshalb halte ich es auch für unwürdig, wenn der Versuch gemacht wird, Bürgern im Lande aufzureden, die eine oder andere Entscheidung sei gegen sie gerichtet. Ich halte, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies vor allem mit Blick auf die Mitbürger in Ostdeutschland für falsch und rufe diesen Mitbürgern zu: Glauben Sie solchen Scheinargumenten nicht! ({0}) Drei Aspekte bestimmen meine persönliche Entscheidung: Erstens. Ein Umzug würde lange Jahre verminderter Handlungsfähigkeit der in sich verflochtenen rechtsstaatlichen Einrichtungen bedeuten und vor allem zu Lasten der Mitwirkung des Parlaments gehen. Zweitens. Natürlich spielen auch die Kosten eine Rolle. Von einem Haushälter wird man vielleicht eine härtere Position in der Frage der Kosten erwarten, die ich nicht einnehme. Ich halte die Rolle der Kosten nicht für entscheidend, aber ich halte es für entscheidend, daß viele Menschen der Region Bonn existentiell betroffen wären, während die Vorteile für Berlin zunächst nur psychologischen Charakter hätten. Zum dritten. Ich frage auch die Bürger, die Berlin seit über 40 Jahren so lieben, wie es ist: Wollen Sie wirklich die einschneidenden Veränderungen Ihrer Stadt, die der Zuzug von Parlament und Regierung zwangsläufig mit sich bringen würde? Ich kann das nicht glauben. Ich frage mich: Wenn eine Stadt, wenn das Umfeld des Parlaments- und Regierungssitzes Einfluß auf die Politik hat - hiervon gehen ja alle aus - , welchen Grund gibt es dann, eine Veränderung anzustreben? Über 40 Jahre einer vielleicht provinziellen, aber im Ergebnis guten Politik für die Menschen in Deutschland, das fordert Fortsetzung, nicht Änderung. Meine Damen und Herren, in der Demokratie entscheidet die Mehrheit. Demokratie heißt aber auch Hinnehmen der Entscheidung der Mehrheit, wenn man selbst anderer Meinung war. Ich werde jede getroffene Entscheidung akzeptieren und hoffe, daß dies bei allen, zum Teil mit so hohem Engagement Befaßten der Fall sein wird. Meine Entscheidung fällt in Abwägung aller bekannten Argumente: Weng für Bonn! ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Brigitte Baumeister, Sie haben das Wort.

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind heute zusammengekommen, um in gemeinsamer Verantwortung den Beschluß über den Sitz von Regierung und Parlament zu fassen. Für mich ist ganz klar, daß dies ein Beschluß sein muß, in dem sich die Interessen aller Deutschen wiederfinden, und es muß auch ein Beschluß sein, der es uns ermöglicht, glaubwürdig zu sein und der sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Wir wollen und können es uns nicht leisten, die tiefen Gräben noch tiefer zu machen. Wir haben die staatliche Einheit vollendet; Ost und West bringen sich in das vereinte Deutschland ein. Dem muß auch unsere Entscheidung am heutigen Tag gerecht werden. Mir ist unwohl bei dem Gedanken, daß es auf der einen oder anderen Seite am Ende des heutigen Tages Sieger oder Verlierer gibt. Das Modell, das uns hier am meisten weiterhilft, ist das Geißler-Modell oder das Kompromißmodell, ({0}) in dem sich beide Städte, sowohl Berlin als auch Bonn, in ihren Stärken wiederfinden: Berlin steht für durchlittene und überwundene Teilung, Bonn steht für das freiheitliche Modell unserer Demokratie. Beide Städte bieten Möglichkeiten des Arbeitens. Wer sollte uns daran hindern, die Vorteile beider Städte miteinander zu verbinden? Fragwürdig ist für mich, ob die komplette Verlagerung aller Bundesorgane von Bonn nach Berlin tatsächlich die Förderung darstellt, die sich die Berlin-Befürworter davon versprechen, ob allein davon der wirtschaftliche Aufbau in Berlin und um Berlin abhängt. Berlin wird - das ist meine Überzeugung - unabhängig davon gewinnen. Es ist auch nicht richtig, daß eine räumliche Trennung zwischen Regierung und Parlament die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie verhindert und eine Kontrolle der Regierung nicht zuläßt. Im Gegenteil: Ich denke, es bietet sich uns die Chance der Stärkung des Selbstbewußtseins des Parlaments, eine Chance, Legislative und Exekutive im Sinne unserer Verfassung zur jeweiligen Eigenständigkeit zu verhelfen, ja, hier eine Verflechtung aufzulockern. Wir können mit diesem Konsens die Vorgaben zur Vollendung der deutschen Einheit erfüllen. In der Aufgabenteilung, meine sehr verehrten Damen und Herren, spiegelt sich das Teilen, mit dem wir die Teilung überwinden wollen, wider. Es ist auch ein Teil unserer Verantwortung, wenn wir heute daran denken, was wir mit dem Geld der Bürgerinnen und der Bürger machen, Herr Kollege Hirsch. Wir werden zu Recht immer wieder danach gefragt. Jede Variante, die die Verlagerung der kompletten Regierung nach Berlin vorsieht - unabhängig davon, innerhalb welchen Zeitraumes - , führt zu Folgekosten in unübersehbarer Größenordnung. Der Überschwang emotionaler Anwandlung darf keinen von uns heute zu einer Entscheidung verführen, die sich im Lichte genauer Betrachtung als unverantwortlich herausstellt. Keine der beiden Städte darf alles an sich reißen, gerade im Interesse der neuen Bundesländer nicht. Bonn war nie - so habe ich es als Neuling in diesem Parlament empfunden - eine dominierende Zentralstadt. Berlin sollte es nicht werden. Berlin kann aber, wenn wir den Kompromißantrag annehmen, die selbständige Kraft des Parlaments stärken, ohne die Bundesregierung zu beeinträchtigen, die auf Jahrzehnte hinaus - jetzt mehr denn je - funktionsfähig arbeiten muß, ohne die Reibungsverluste eines Umzugs und einer Neuansiedlung. Bonn ist gewachsener Schwerpunkt unserer parlamentarischen Demokratie. Es ist Geburtsort des Grundgesetzes und Arbeitsplatz der Bundesregierung. Dies können und dürfen wir nicht aufgeben, ohne die Wurzeln unserer Demokratie zu verlieren. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das bei Ihrer Entscheidung am heutigen Tage zu bedenken. Deshalb gilt meine Entscheidung vorrangig dem Geißler-Vorschlag. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Markus Meckel.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, daß wir heute über diese Frage hier diskutieren müssen, ist für mich selbst schon ein Skandal im Prozeß der deutschen Einigung. Auch der Verlauf dieser Debatte offenbart, wie fremd die deutsche Einheit vielen hier im Westen in den letzten 40 Jahren geworden ist und noch ist - trotz mancher Bekenntnisse und Ergebnisse der letzten zwei Jahre. Das ging nicht nur ihnen so, und das geht über Parteigrenzen hinweg. Als mein Freund Martin Gutzeit und ich vor zwei Jahren die Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR ergriffen haben, war das erste Ziel, wie Sie wissen, nicht die Einheit Deutschlands, sondern der Sturz der Diktatur, der Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, der Aufbau von Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft. ({0}) Wir glaubten damals nicht, daß die deutsche Einheit so schnell möglich werden würde, und stellten den Frieden und den europäischen Einigungsprozeß vor die deutsche Einheit. Doch bekannten wir uns damals gleich am Anfang ebenso zur Einheit der deutschen Nation, zur gemeinsamen deutschen Geschichte und zu der daraus erwachsenden Verantwortung für die Zukunft dieses Volkes und Europas. Dann wurde die deutsche Einheit wie ein Geschenk möglich. Wir wollten, daß es eine wirkliche Vereinigung wird, in der die Deutschen aus Ost und West als Partner zusammenkommen. Es war für mich neben manchem anderen ein Schock, als ich dann mitbekam, daß für viele WestMarkus Meckel deutsche plötzlich nicht mehr das gelten sollte, was mit dem Bekenntnis zur deutschen Einheit unwiderruflich schien und mehrfach in diesem Hohen Hause beschlossen worden war: Plötzlich sollte Berlin nicht mehr die wirkliche Hauptstadt des geeinten Deutschland sein. Das verriet und verrät viel. Die unschuldige Formulierung eines Schülers für die deutsche Einigung beschreibt einen weitverbreiteten Bewußtseinsstand. Er sagte: Als die DDR zu Deutschland kam ... - Das heißt doch: Wir im Westen sind schon das Ganze; ihr könnt euch anschließen, mehr nicht. Das ist der wahre und für viele von uns Ostdeutschen erschütternde Hintergrund dafür, daß diese heutige Diskussion stattfinden muß. Das geeinte Deutschland soll nur die vergrößerte alte Bundesrepublik sein. Ich denke, mit der Entscheidung heute geht es mit weitreichenden Folgen darum, ob das Parlament das bekräftigt, was ohnehin das Erleben vieler ist, die die Einigung Deutschlands nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch praktisch nur noch als Anschluß erfahren, als einen großen Akt bürokratischer Eingliederung. Was nicht paßt, wird ausgesondert. Was es im Westen schon gibt, wird im Osten abgewickelt. Was 40 Jahre klar war, gilt nicht mehr. Die Besitzstandswahrung im Westen scheint oft die Hauptsorge zu sein - und Besitzergreifung ein angenehmer und erhoffter Nebeneffekt. An der einzigen Stelle, wo es im Westen wirklich wehtut - das leugnet ja niemand - , weigert man sich einfach, für die Einheit das zu tun, was jahrelang Bekenntnis war. ({1}) Diese - wie es sich für viele von uns darstellt - Ignoranz und dann - ich muß es so sagen - auch der Egoismus angesichts dessen, was sich bei uns mit vielen Menschen abspielt, sind schwer verkraftbar. Andererseits muß ich gestehen: Irgendwie kann ich auch diese Haltung ganz gut verstehen. Im Grunde haben Sie hier im Westen bis auf wenige wichtige Ausnahmen die deutsche Einheit nicht mehr für möglich gehalten ({2}) und trotz des Gebots des Grundgesetzes vielfach auch nicht mehr als wirkliches Ziel angesehen. Dabei kann ich durchaus auch nach rechts bis in die Regierungsbank sehen. ({3}) Ich will das auch keinem zum Vorwurf machen. Doch müßte man es einmal ehrlich zugeben; man dürfte sich nicht nur auf Sonntagsreden berufen und heute dann etwas anderes tun. Sie sind im Westen in der Gesamtgesellschaft, glaube ich, von dem massiven Willen zur Einheit im Osten überrascht und aufgerüttelt worden. Das betrifft auch nicht wenige von uns, die wir schon vorher gegen den Staat in der DDR eingetreten sind. Auch wir waren davon überrascht, daß es so schnell ging. Sie im Westen sind ja im Grunde nicht gefragt worden. Sie haben die Einheit akzeptieren müssen. Jetzt ist sie da, und wir sind alle dankbar dafür. Wir haben jetzt die Aufgabe, die Einheit zu vollenden und den Prozeß des Zusammenwachsens zu fördern. Das ist nicht nur wirtschaftlich, sondern mehr noch in den Köpfen und Herzen der Menschen ein langer und schwieriger Weg. Ich bin sicher: Mit einer Entscheidung für Berlin wird keines der wirtschaftlichen Probleme Berlins und des Ostens automatisch gelöst. ({4}) Doch wäre diese Entscheidung ein Akt der Anerkennung der Einigung Deutschlands und ein Akt der Bereitschaft, dafür etwas auf sich zu nehmen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Meckel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Entscheidung für Bonn aber wäre - ich bin gleich fertig - , wie ich denke, ein erneuter Verrat - jedenfalls würde es so aufgefaßt werden - und eine Mißachtung derer, ({0}) die im Osten die Einheit wollten und erkämpft haben. Sie würde das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politik schwer beschädigen, was gerade jetzt, wo das Vertrauen in frei gewählte Politiker und in die Demokratie wachsen muß, verheerende Folgen hätte. Berlin war das Symbol der Trennung Deutschlands.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Meckel, Sie sind jetzt weit über Ihre Redezeit!

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der Haltung zu Berlin entscheidet sich heute die Bereitschaft zu einer wirklichen, Neues gestaltenden Einheit. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, die Fünf-Minuten-Runden machen das Geschäft der Sitzungsleitung natürlich nicht leicht. Wenn jemand bei fünf Minuten weit über eine Minute überzieht, dann überzieht er um 25 %. Wenn jeder das tut, kommen wir in eine sehr späte Stunde, und das ist nicht fair gegenüber jenen Kollegen, die sich an die Regeln halten. Die zweite Bemerkung, Herr Meckel: Zu dem ernsten parlamentarischen Bemühen um eine zugegebenermaßen weitreichende Entscheidung passen Ausdrücke wie „Skandal" oder „Verrat" nicht. ({0}) Das Wort hat die Abgeordnete Frau Michaela Geiger.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie vielen Kollegen hier im Hause fällt mir meine Entscheidung heute nicht leicht. Jede der beiden Städte hat sehr gute Argumente, die wir ganz genau abwägen müssen. Jeder für sich muß dann entscheiden, welches das Argument ist, das für ihn persönlich am schwersten wiegt. Für mich wiegt die Frage der Glaubwürdigkeit am schwersten. Deshalb werde ich heute für Berlin stimmen. ({0}) - Jetzt noch ein kleiner Nachsatz: wenn es nicht doch noch in letzter Minute zu einem sinnvollen Kompromiß kommt, der allerdings das Parlament nach Berlin bringen müßte. ({1}) Bonn ist eine sehr liebenswerte Stadt, in der ich nun schon seit über zehn Jahren ausgesprochen gern meine Arbeit als Abgeordnete eines oberbayerischen Wahlkreises tue. Bonn ist eine Stadt der kurzen Wege, der Bescheidenheit, ganz ohne großstädtische Aufgeregtheiten. Bonn ist darüber hinaus das Symbol für unsere junge Demokratie, für unser neues demokratisches Deutschland, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Für Bonn spricht auch, daß es vermutlich weniger Kosten verursacht, wenn Regierung und Parlament hierbleiben. Die Mehrheit der Bürger meines Wahlkreises hält diese Gründe für die stichhaltigsten. Aber ich glaube, daß ich diese Argumente der Bürger meines Wahlkreises zwar sehr ernst nehmen muß, daß diese Mehrheitsmeinung mir meine ganz persönliche Entscheidung jedoch nicht abnehmen kann. ({2}) Wolfgang Schäuble hat heute morgen ganz richtig gesagt: Wir sind Abgeordnete des ganzen Deutschland, nicht nur unseres Wahlkreises. Wir haben über Jahrzehnte hinweg immer wieder betont, daß Berlin unsere Hauptstadt ist. Wir haben immer an ihr festgehalten, und wir haben damit selbstverständlich auch den Regierungssitz gemeint. Wer heute etwas anderes sagt, ist, glaube ich, nicht ganz aufrichtig. ({3}) Für uns Deutsche, aber auch für unsere Freunde und Verbündeten war Berlin immer das Symbol für den Freiheitswillen der Deutschen. Den Fall der Mauer hat die ganze Welt an den Fernsehschirmen verfolgt. Die Menschen haben sich mit uns darüber gefreut, daß die Deutschen wieder vereint sind und daß die geteilte Hauptstadt endlich wieder zusammengehört und ihre alten Funktionen zurückerhalten kann. Würden wir heute gegen Berlin entscheiden, würde dies unsere Glaubwürdigkeit schwer erschüttern. Allen, die um unsere föderale Ordnung fürchten, möchte ich folgendes sagen: Unsere Demokratie und unser Föderalismus sind so stark verankert, daß dies auch der Parlaments- und Regierungssitz in Berlin nicht ändern würde. ({4}) Die Rechte der Bundesländer sind unbestritten. Unsere selbstbewußten Ministerpräsidenten, ganz gleich, ob sie nun von der CDU, der SPD oder der CSU kommen, beweisen dies ganz deutlich. Auch unsere Landtage denken wohl nicht anders darüber. Es wird weder im Bundestag noch im Bundesrat eine Mehrheit für die Beschneidung der Rechte oder für eine Schlechterstellung der Länder geben. Insofern scheint mir diese Sorge unberechtigt. ({5}) Andererseits fällt besonders den Bürgern in den neuen Bundesländern das Zusammenwachsen mit der alten Bundesrepublik oft sehr schwer. Eine Entscheidung für Berlin könnte den entscheidenden Anstoß für eine positive Wendung in dem Sinne geben, daß dieses Zusammenwachsen etwas leichter fällt. Auch das ist ein Grund, der mich heute für Berlin eintreten läßt. Ich glaube, daß dies ganz gewiß nicht der schlechteste Grund ist. Ich danke Ihnen. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Uta Titze, Sie haben das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich heute morgen in Bonn-Röttgen aufstand und das Wetter bemerkte - es regnete - , war mir klar, daß alles gut wird; denn alle schweren Prüfungen meines Lebens, als da waren Abitur, Hochzeit, ({0}) Führerscheinerwerb - bei der Hochzeit heißt es ja: drum prüfe wer sich ewig bindet -, fanden bei sehr schlechtem Wetter statt, und es ist immer gutgegangen. ({1}) Insofern habe ich, da ich mich sehr früh und eindeutig auf Bonn festgelegt habe, die Hoffnung, daß es für die Bonner gut ausgeht. Nun zur Sache: Den Vorschlag, Regierung und Parlament zu trennen, halte ich für falsch, Herr Kollege Geißler, und zwar nicht nur aus der Sicht eines Mitglieds des Haushaltsausschusses. Sosehr ich als langjährige Kommunalpolitikerin Kompromisse geübt habe, muß ich in diesem Fall sagen: Dieser Kompromiß ist für mich schlicht Schwachsinn. - Entschuldigung, ich bekomme gleich eine Rüge; ich nehme das zurück und sage: Der Kompromiß ist für mich nicht akzeptabel. ({2}) Nächster Punkt: Bonn oder Berlin? Die intellektuell glänzenden Argumente sind um diese Zeit längst ausgetauscht. Also beschränke ich mich auf ein Bild; vielleicht wird Ihnen dann klar, weshalb ich mich für Bonn entschieden habe. Wir Abgeordnete sind nur für eine bestimmte Zeit hier, wir kommen und wir gehen. Unser Leben und unser Arbeiten hier ist begrenzt. Die Bonner Bevölkerung und die Bevölkerung in der Region Bonn dagegen hat sich hier eine Perspektive aufgebaut. Das heißt - nun komme ich zu dem Bild - , ich mache hier wie ein Chirurg einen operativen Eingriff, ohne daß ich sagen kann, daß dieser Eingriff nachher zu einer Besserung führt. Dazu bin ich nicht bereit! ({3}) Bevor an einen Patient Hand angelegt wird, wird er gefragt, ob er einverstanden ist, und er erklärt sich nur dann damit einverstanden, wenn er eine Perspektive hat. Ich sehe die Entscheidung für Berlin als eine für Bonn eminent nachteilige an, als eine Art zweite Strukturkrise. Lassen Sie es sich sagen: Nordrhein-Westfalen hat beileibe genug geleistet, um mit seiner ersten Strukturkrise, nämlich der eines alten Industriestandorts, fertigzuwerden. Deshalb würde ich es mir aus Jux und Tollerei - und seien die Gründe noch so ehrenhaft - als Abgeordnete nicht gestatten, dies einer Region nochmals zuzumuten. Was die Geschichte betrifft, gebe ich dir, Willy ({4}) in einem recht: Als leidgeprüfte Dachauer Bürgerin habe ich viel Verständnis dafür, daß Willy Brandt die Koppelung von Berlin mit dem, was im Dritten Reich geschehen ist, zurückgewiesen hat. Dafür kann eine Stadt nichts, ({5}) genau wie Dachau nichts dafür kann, daß es Standort des ersten Konzentrationslagers war. Was du, Hans-Jochen Vogel, ({6}) gesagt hast, hat mich gestört. Ich bin - du hast es mir einmal bestätigt - der zweite Oberlehrer der Fraktion. ({7}) - Jochen, ich habe das Mikrophon, ich kann noch lauter; ({8}) -ja, das probieren wir jetzt - , du hast gesagt, Bonn habe Anspruch auf umfassende Hilfe. Das klingt schon so, als wüßtest du, daß hier nachher ein Leichnam zu begraben ist, der mit künstlichen Infusionen aufgepäppelt werden muß. ({9}) Ich mache das erst gar nicht mit, nämlich jemanden abzustechen und ihm dann eine Infusion geben zu müssen! ({10}) Zum Schluß - und jetzt wieder ernsthaft - zu zwei Argumenten, die mich wahnsinnig ärgern: Ein so reiches Land, über dessen Diskussion über die Hauptstadtfrage das ganze Ausland leicht verstört ist, sollte nicht über Geld reden, wenn es um eine so wichtige historische Entscheidung geht. Wir managen hier nicht die Finanzen eines Fußballvereins. ({11}) Das zweite Argument: Glaubwürdigkeit. ({12}) Ich kann es nicht mehr hören! Ich muß Ihnen sagen - bevor ich als Abgeordnete nach Bonn kam, wo ja jeder so seinen Vorlauf hat, hörte ich: Du mußt schon 20 Jahre auf dem Buckel haben, bis du es da schaffst -: Wenn ein jeder von Ihnen hier mit der Elle der Glaubwürdigkeit gemessen würde, wäre dieser Raum fast leer. Ich danke Ihnen. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Frau Abgeordnete Editha Limbach.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß Sie enttäuschen; ich rede, genau wie Sie erwartet haben, für die Bundesstaatslösung; ich rede für Bonn. Bei der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, müssen wir die Antwort auf die Frage finden, wie wir die Aufgabenteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin, dem Regierungs- und Parlamentssitz Bonn und den Bundesländern, insbesondere den neuen Bundesländern, wahrnehmen. Das wissen wir alle: Die bundesstaatliche Ordnung und Struktur bei uns entsteht und schöpft ihre Kraft aus der Kraft der Regionen. Deshalb brauchen wir starke Regionen. ({0}) Hier im Westen haben wir sie bereits; in unseren neuen Bundesländern müssen wir sie noch schaffen. Weil wir dort starke Regionen schaffen müssen, müssen wir die Regionen stärken, nicht nur eine Region und nicht nur eine Metropole. ({1}) Ich unerstelle niemandem - damit auch das klar ist; als Michaela Geiger hier eben sprach, ist mir klargeworden, daß man dies doch noch einmal sagen muß - , daß er etwa die Verfassung ändern wollte, um Zentrales an Stelle von Dezentralem zu bekommen. Nein, aber die Verfassungswirklichkeit spielt eine Rolle. All die vielen Gutachten, die wir bekommen haben - ich weiß nicht, ob sie alle gelesen werden konnten; ich habe mir die Mühe gemacht -, sagen jedenfalls eines: Die Sogwirkung einer großen Stadt wie Berlin wird sich auf den Kranz um Berlin herum noch positiv auswirken, auf alle anderen Regionen bis in die Regionen Osteuropas hinein, von denen hier soviel die Rede war, aber negativ. ({2}) Ich meine, das sollten wir im zusammenwachsenden Deutschland nicht tun. ({3}) Bonn hat sich in mehr als 40 Jahren als Sitz von Parlament und Regierung bewährt. In dieser Zeit ist hier übrigens mit hohem Finanzaufwand - es ist ja nicht so, als ginge es jetzt nur um noch auszugebende Gelder; es geht auch um die Gelder, die wir bereits investiert haben - eine funktionsfähige und effiziente Struktur für die Arbeit von Parlament und Regierung geschaffen worden. Ich versichere Ihnen: Kein Unternehmen, das vor einer komplizierten Problemlösung steht, verlagert ausgerechnet in dem Moment, wo diese schwierigen Probleme anstehen, seine Zentrale. Auch wir sollten das nicht tun. Gerade für das Zusammenwachsen der Länder, gerade wegen der vielen Probleme, die zu lösen sind, gerade deshalb brauchen wir einen voll funktionsfähigen Sitz von Parlament und Regierung. Den haben wir in Bonn! ({4}) Weil ich sehe, daß einige bei dieser eigentümlichen Organbank, die es da gab, skeptisch sind: Roman Herzog hat auf die Frage, ob denn auch das Bundesverfassungsgericht zu verlagern wäre - ich bin bereit, darüber zu reden -, gesagt: Das bedeutet ein Jahr Stillstand der Rechtspflege. - Wenn das schon bei einer solchen Behörde der Fall ist, dann frage ich mich: Wie wäre es erst, wenn wir das für alle machten? ({5}) Die Struktur, die sich hier entwickelt hat, ist ganz ausgerichtet auf Parlament und Regierung; deshalb sind so viele Menschen betroffen. Sie werden mir als Bonner Wahlkreisabgeordneter erlauben, daß ich auch dazu ein Wort sage. Wir müssen an diese Menschen denken, an ihre Familien, an ihre Strukturen, an die Eltern, die sie mit sich hierhin gebracht haben, ältere Menschen, die auf ihre Pflege, ihre Zuwendung, ihre Betreuung angewiesen sind, und an vieles mehr. Ich weiß, daß gerade die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern mit schweren Strukturkrisen zu kämpfen haben; das ist hier auch häufig gesagt worden. Nur, meine Damen und Herren, nicht einem einzigen Bürger, nicht einer einzigen Bürgerin in den neuen Bundesländern fällt die Überwindung der Strukturkrise und der Veränderungen leichter, wenn wir dieses Problem in dieser Gegend durch Beschluß des Bundestages auch noch künstlich schaffen. ({6}) Ich denke, die Frage ist nicht, ob so etwas zumutbar ist, sondern ob es notwendig ist. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist. ({7}) Meine Damen und Herren, ich glaube, das Wichtigste heute ist, daß wir daran denken, wie wir unsere Zukunft richtig gestalten. Ich meine, das tun wir am besten mit einer Aufgabenteilung zwischen Berlin, unserer Hauptstadt, und Bonn, unserem Sitz von Parlament und Regierung, und mit vielen Funktionen, Behörden und Aktivitäten in den neuen Bundesländern. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist eine gute Debatte. Sie ist und wird spannend, wie wir sehen, weil sie sich von den Verwirrungen derjenigen befreit, die in der Organbank gesessen haben. Ich bin froh darüber, daß wir zeigen: Dieses Parlament ist in der Lage, über die Frage der Hauptstadt mit politischer Kultur zu streiten. Vielen Dank schon einmal dafür! ({0}) Bonn, unsere kleine Stadt, liebenswert in die Flußlandschaft geschmiegt, Gastrum bon({1})um, ein Zeichen der Dauer. Sie sieht gut aus; sie sieht heil aus. Man kann eine lange Weile gut in ihr leben. Das ist viel auf der Folie dieses Jahrhunderts. Hier konnte im Wechselspiel von Regierung und Opposition unsere Republik aus ihren Häutungen erwachsen - mit festem Blick nach Westen, über ihre Grenzen hinweg. Anders als wir sind unsere benachbarten westlichen Nationen aus Revolutionen geboren. Unsere demokratischen Anfänge waren spät. Demokratie wurde uns verliehen. Die parlamentarische Demokratie trägt bis heute die Angst vor dem Volk. Bonn, schön anzusehen, Adenauer hatte es sich ausersehen. Es ist nahe genug an Köln, das einmal ein geistlicher Herrscher hat fliehen müssen, weil sein Bürgertum aufbegehrte. So wurde Bonn zum ersten Male Residenz. Was bleibt? Die Demokratie! Hier hat sie eine Hauptstadt gefunden, geboren im Kopf des Alten aus Rhöndorf. Die Geschichte hat es gut gemeint mit Bonn, der Zufälligen - brav erzogenen Tochter, artig und adrett. Was will da noch Berlin, die freche Göre? Harpprecht sagt: „Berlin ist keine Stadt des Westens. " Das ist die Unglückliche, explodiert im Taumel der Modernisierungsschübe, immerfort zu werden und niemals zu sein. Berlin war nie feste Burg, wie Herrscher ihre Hauptstadt wollen. Sie blieb zahm und unGert Weisskirchen ({2}) berechenbar, aufnahmebereit gegen die Verängstigten. ({3}) Berlin, das war auch die Stadt der Reform, des widersprüchlichen Versuches der Versöhnung zwischen Aufklärung, Bürgertum und Arbeiterbewegung, der erstickten Revolution von 1848. Stadt der Ungleichzeitigkeit: Von der Dahlemer Villa im grünen Westen zur Marzahner graubetonierten Wüste quert sie Kiez, das Ausländerghetto - Asphaltorgie, Sprung von Marx zu Madonna, schrill, zart und unbarmherzig. Berlin, das schroffe Gegeneinander der unerhörten Solitäre: die Museumsinsel, die Oper, steinerne Zeugen. Die neuen Solitäre im Westen, die Staatsbibliothek, die Philharmonie, erhoben sich zum Trotz gegen den planen Aufmarschplatz, der den Namen Alexander tragen muß. Von dort, auf dem Alexanderplatz, nahm das Volk in der DDR diesen öffentlichen Raum in seinen Besitz und zerbrach mit friedvoller Gewalt die Mauer. ({4}) Es lebte seine Tradition des Umbruchs, knüpfte an seine revolutionären Kräfte wieder an. Wer vom Reichstag zu Fuß geht, am Brandenburger Tor vorbei, der betritt märkischen Sand. Da stand die Mauer, suchte Alfred Döblin nach Spuren von Glück in der Verzweiflung des Biberkopf; hier vergrub sich Hitler, schrien Soldaten, deutsche und russische, nach ihrer Mutter. Hier blicken wir auf die Wüste, die sie uns hinterlassen haben. Sie ruft nach neuem Leben. Dort wird es gebraucht, das Parlament, um ein besseres, ein europäisches Deutschland zu bauen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Harald Schreiber.

Dr. Harald Schreiber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vormittag wurden die Abgeordneten zu Recht aufgefordert, sich nicht davon leiten zu lassen, was für sie persönlich hier in Bonn angenehm und bequem ist. Man kann das aber auch anders sehen. Ich gehöre nämlich zu denen, für die ein Parlamentssitz in Berlin bequemer wäre, schon wegen der kürzeren Entfernung vom Wahlkreis dorthin. Auch ich will jedoch meiner Entscheidung keine so simplen Motive zugrunde legen. Ich möchte mich aber auch nicht von Leidenschaft, vom Pathos großer Reden beeindrucken lassen. Es geht nicht um bewegende rhetorische Leistungen. Es geht für mich angesichts der schwierigen Lage in den neuen Bundesländern auch nicht vorrangig um historische Betrachtungen und schon gar nicht um Symbole oder Mythen. Es geht vielmehr darum, wie wir am schnellsten und wirkungsvollsten zu weiteren spürbaren Verbesserungen gelangen. Wenn ich mit großer Entschiedenheit für den Verbleib von Bundestag und Regierung in Bonn eintrete, dann bewegt mich dazu vor allem die Sorge um die Entwicklung in den neuen Bundesländern, ja, auch in Berlin. In der schlimmen DDR-Vergangenheit wurde Berlin in eine übermächtige Hauptstadtrolle hineinkommandiert, so daß der Name der Stadt zum Reizwort für viele Bürger wurde und heute noch vielfach ist. Gewiß, das kann sich in unserer Demokratie nicht wiederholen, ({0}) aber Berlin würde durch die Konzentration aller Institutionen und Aktivitäten zu einem Super-Ballungszentrum mit einer eigenen immanenten Dynamik. Wenn die Entscheidung für Berlin fiele, dann wäre ich schon dafür, sie konsequent zu fällen und Parlament und Regierung nicht auseinanderzureißen. ({1}) Ich sehe keinen Sinn in einer solchen Teilung. Berlin-Vertreter haben in der Debatte angeführt, Berlin sei nicht die Megastadt, von der heute zuerst Norbert Blüm gesprochen hat.. Das stimmt, aber es stimmt eben nur für die Gegenwart. Wenn wir alles, was politisch, wirtschaftlich und kulturell bedeutsam ist, nach Berlin schicken, wenn wir in Berlin alles das tun, was dann getan werden müßte, dann entwickelt sich dort ein Ballungszentrum, eine Megastadt, deren Einwohnerzahl weit über die heute 3,5 Millionen hinausgehen wird, mit einer Sogwirkung - von ihr war schon die Rede - , deren Effekt die neuen Bundesländer wieder zum Hinterland degradieren würde, nun nicht auf Grund eines volksfremden Regimes, sondern dank der Eigendynamik der zu erwartenden Entwicklung. Die Wirkung aber wäre, wie gesagt, dieselbe. ({2}) Eine Regierung in Berlin, so sagen manche, könnte der Entwicklung in den neuen Bundesländern Impulse verleihen. Das ist nach meiner Auffassung ein Trugschluß. Wir können nicht warten, bis die Funktionsfähigkeit einer Regierung in Berlin in einigen Jahren solche Impulse ermöglichte; sie kämen zu spät, viel zu spät. Wir brauchen in den neuen Bundesländern heute und nicht erst morgen noch deutlicher sichtbare Zeichen des Aufschwungs. Wir brauchen eine eigenständige Entwicklung in unseren Ländern, in den absolut nächsten Jahren. Um diese Entwicklung sollten wir uns gemeinsam über Parteien hinweg mit allen verfügbaren Mitteln und mit aller Kraft mühen. Wir können überall an der Lösung dieser Probleme arbeiten, hier in Bonn wie anderswo, aber wenn wir hier Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten haben, die wir anderswo - auch in Berlin - erst schaffen müssen, ist es für mich unverantwortlich, Zeit und Geld jetzt, ausgerechnet jetzt dafür zu vertun. ({3}) Ich kann in einer Entscheidung für Berlin absolut auch keine Solidarität mit den neuen Bundesländern sehen. Ich halte es deshalb aus Sorge um die neuen Länder für vernünftiger, mit Bundestag und Regie2804 rang in Bonn zu bleiben. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, mit mir für den Bonn-Vorschlag, für die Bundesstaatslösung, zu stimmen. Danke. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Helmut Schäfer das Wort.

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist sicher eine große Debatte gewesen, die auch dem widerspricht, was wir in den letzten Tagen wieder, wie üblich, über die Politiker in der deutschen Presse lasen, ({0}) die ja immer pauschal verurteilt werden als nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, die Debatte hat bewiesen, wie entschieden wir hier, sei es für Bonn, sei es für Berlin oder sei es für den Geißler-Vorschlag, sind. ({1}) Meine Damen und Herren, mich stört aber an dieser Debatte ein Zug, der heute nachmittag aufgekommen ist und den ich für sehr bedenklich halte. Nun wird plötzlich an dem Wort Glaubwürdigkeit Kritik geübt. Es kommen Leute und sagen, das Wort Glaubwürdigkeit könnten sie fast schon nicht mehr hören. Ich halte das allerdings für eine sehr bedenkliche Aussage. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn das alles so schnell vergessen ist, dann hätten wir uns hier die vielen Stunden am 17. Juni eines jeden Jahres sparen können, in denen wir mit großem Pathos gemeinsam unser patriotisches Verständnis beschworen und den Arbeiteraufstand in Berlin gewürdigt haben. All das ist so schnell gar nicht mehr da und ist Makulatur geworden. Es überrascht mich doch, wie man hier plötzlich mit dem Wort Glaubwürdigkeit umgeht. Ich möchte als Außenpolitiker etwas zur Glaubwürdigkeit nach außen hin sagen. In vielen Gesprächen in der ganzen Welt, die immer wieder zu führen sind, und auch in Gesprächen hier in Deutschland mit vielen, vielen Besuchern, die wir täglich haben, sind wir gefragt worden: Was spielt sich eigentlich bei euch ab? Warum habt ihr uns jahrelang gezwungen, bei Besuchen der Bundesrepublik und des Regierungssitzes Bonn unbedingt nach Berlin zu gehen? ({3}) Jemand, der sich weigerte, hatte eigentlich schon eine sehr negative Note. Denn der Blick über den Potsdamer Platz war Pflicht bei allen Staatsbesuchen, meine Damen und Herren. ({4}) Heute erfahren die erstaunten Politiker aus der ganzen Welt, die immer der Meinung waren, natürlich würden die Deutschen wiedervereinigt, natürlich werde Berlin wieder ihre Hauptstadt und selbstverständlich ihr Regierungssitz, daß die Deutschen selber angefangen haben zu zweifeln. Ein europäischer Außenminister hat mir schon vor Monaten bei einer Diskussion im Europarat auf die Frage, wie sie es denn in den westlichen Hauptstädten in Europa aufnähmen, es werde ja behauptet, es könne Sorgen in Paris, in London und sonstwo hervorrufen, geantwortet: Wenn Sie Berlin zu einem Problem in Deutschland machen, dann allerdings werden auch wir nachdenklich und müssen sagen, wenn die Deutschen vor der Entwicklung Angst haben, müssen vielleicht auch wir im Ausland Angst vor der Entwicklung bekommen. So ist es doch gelaufen. ({5}) Meine Damen und Herren, hier wird so hehr vom Föderalismus dahergeredet, der angeblich kaputtgehe, wenn wir nach Berlin gingen. Dazu kann ich nur sagen: Herr Rau hat heute ein interessantes Beispiel für den echten Föderalismus geliefert. Er hat nämlich bei seiner Rede gesagt, die ja sehr erheiternd und munter war: Die zwölf Landtage mögen ja entschieden haben; aber wir, der Bundesrat, entscheiden nächste Woche, und, meine Damen und Herren, Sie werden sehen, ganz anders. Also, das ist ein interessantes Föderalismus- und Demokratieverständnis. ({6}) Der gleiche Herr Rau, der mit so vielen hier die Angst vor der Megastadt beschwört, vor dieser grauenhaften, monströsen Stadt, die uns alle noch das Fürchten lehren will, hat in seiner Regierungserklärung 1990 in Düsseldorf gesagt, angesichts des Europas der Regionen, bei denen ja die Nationalstaaten alle verschwinden - ich halte das für eine sehr verfrühte Bemerkung; das muß ich Ihnen sagen; er muß sich einmal in Paris und in London umhören -, ({7}) müsse Nordrhein-Westfalen in allen Metropolen der Welt durch große Vertretungen präsent sein. - Es ist hochinteressant, daß man offensichtlich die Angst vor der Megastadt in Nordrhein-Westfalen verloren hat. Hier wird gesagt, meine Damen und Herren, die junge Generation denke ganz anders; sie habe kein Verhältnis zu Berlin mehr. Herr Pflüger, ich schätze Sie sehr. Aber ich muß Sie fragen: Welche junge Generation meinen Sie? Meinen Sie die Generation, die ihren Urlaub inzwischen im wesentlichen auf den Seychellen verbringt? Meinen Sie die Generation, die mit 25 Jahren schon so arriviert ist, daß sie natürlich über Hauptstädte gar nicht mehr nachdenkt? Meinen Sie eine Generation, die Herr von Dohnanyi, ein Vorgänger im Amt des Staatsministers, einmal die TosHelmut Schäfer ({8}) kana-Fraktion der Hedonisten genannt hat? Diese Frage darf ich mir hier auch einmal erlauben. ({9}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß nur eines sagen: Ist nicht die hier beschworene Angst vor der Megastadt Berlin in Wahrheit Angst vor der Moderne, Angst vor einer Stadt, in der wie nirgends in Deutschland die Probleme kulminieren, in der aber auch die Kultur da ist? Herr Verheugen, Sie sprechen vom Zentrum der Macht und sagen, das sei entsetzlich. Lassen Sie doch endlich einmal das Zentrum der Macht, nämlich den Regierungs- und Parlamentssitz, mit dem Zentrum der Kultur konfrontiert werden! Es wäre eine glänzende Herausforderung für uns alle, die wir seit langem hier in Bonn diese Begegnung vergeblich suchen. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horst Eylmann.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier nicht um die bloße Auswahl zwischen zwei Städten. Es geht nicht vorrangig um Bonner oder Berliner Interessen. Es geht auch nicht ums Geld. Diejenigen, die so viel vom Geld geredet haben, werden sich noch wundern, wieviel Geld wir aufwenden werden, um die unterlegene Stadt zu entschädigen und die Enttäuschung und den Zorn ihrer Einwohner zu besänftigen. ({0}) Es geht, auch wenn einige das nicht mehr hören wollen, um Glaubwürdigkeit. ({1}) Am meisten hat mich berührt, daß das jüngste Mitglied dieses Parlaments heute mittag gesagt hat, Glaubwürdigkeit sei ein rückwärtsgewandter Begriff, der in die Geschichte weise. ({2}) Ich kenne keinen Begriff, der für die Zukunft wichtiger ist als der Begriff der Glaubwürdigkeit. ({3}) Glaubwürdigkeit ist eines der höchsten Güter des Parlaments. Darüber sollten wir uns alle im klaren sein. Jetzt gibt es manche, die sich damit trösten, daß es ja auch die anderen Fraktionen treffe. Ich sage: um so schlimmer. Ich weiß, wovon ich rede, aus vielen Gesprächen mit den Bürgern und Bürgerinnen in meinem Wahlkreis. Viele Tausende in unserem Land werden der Auffassung sein, daß dieses Parlament in seiner Glaubwürdigkeit schwerwiegend gelitten hat, wenn es Berlin mit einem Etikett abfindet. Das ist die Tatsache. ({4}) Das, meine Damen und Herren, sind vornehmlich Angehörige derjenigen Generation, die diesen Staat aufgebaut hat und sich mit diesem Staat identifiziert ({5}) und deren Hoffnung mit der Wiedervereinigung in Erfüllung gegangen ist. Es geht weiter um die innere Einheit unseres Volkes. Zur Zeit sind wir Ossis und Wessis. Die größte politische Aufgabe, vor der wir stehen, ist, wieder ein Volk zu werden. Berlin und Bonn - das ist wahr -, beide Städte sind Symbole der freiheitlichen Demokratie in Deutschland. Berlin ist aber das Symbol der Trennung und das Symbol der Wiedervereinigung. Berlin ist das Symbol der Einheit. Der Name Berlin ist für viele Bürger eine unauflösbare Verbindung mit dem Gefühl eingegangen, wieder ein Volk zu sein. Was die Entscheidung Bonn und Berlin wirklich bedeutet, sehen Sie doch an den Trennungslinien hier in diesem Parlament. Die Trennungslinien gehen quer durch die Fraktionen. Ich hätte ja noch Verständnis dafür, wenn es nur um die Parlamentarier aus dem Bereich Bonn oder Berlin ginge, aber so ist es doch nicht. ({6}) Ministerpräsident Rau hat doch diesen Tatbestand hier schon eher wohlmeinend, bagatellisierend kommentiert. Wer weiß, wie stark die parteipolitischen Bindungen in diesem Hause sind, der muß doch auch realisieren, auf welche Grundüberzeugungen wir hier stoßen, wenn es um die heutige Entscheidung geht; ({7}) Grundüberzeugungen, die tiefer reichen als die reine parteipolitische Bindung. Mit einer Entscheidung für oder gegen Berlin oder Bonn reißen wir Gräben auf, die lange offen bleiben werden. Wenn viele in der alten Bundesrepublik für Bonn sind, so ist das ein Ausdruck unserer Schwierigkeiten, uns bewußt zu machen, daß wir nicht mehr ein Teilstaat sind, der sich längst über das Provisorium, das er zunächst sein wollte, hinaus entwickelt hat. Wir alle denken und fühlen noch mehr in diesen Kategorien, als wir es vor uns selber wahrhaben wollen. Die Kollegen aus den neuen Bundesländern, die heute gegen Berlin votieren, weil für sie Ost-Berlin das materiell bevorzugte Zentrum kommunistischer Diktatur war, geben damit unbewußt, aber überdeutlich zu erkennen, daß auch sie noch in diesen alten Gedankengängen befangen sind. Ich sage das ohne Vorwurf; ich stehe doch selbst in diesen Schwierigkeiten. Aber die Stunde erfordert es, daß wir uns über die wahren Gründe, weshalb wir so oder so votieren, im klaren sind ({8}) und daß wir uns nicht hinter Schein- und Zweckargumenten verstecken. ({9}) Berlin soll mit Regierung und Parlament das föderale System gefährden. Zwei Drittel der Länder sehen das anders. Berlin soll doch ohnehin, so sagen die Bonn-Befürworter, das geistige und kulturelle Zentrum werden. ({10}) Welche groteske Selbstüberhebung ist es dann, daß ausgerechnet wir Abgeordnete etwa den geistigen oder kulturellen Rang Münchens oder Hamburgs gefährden sollten! ({11}) Die Wahrheit ist: Man sagt Metropole oder Moloch Berlin und meint preußischen Zentralismus und vergißt, daß Preußen tot und Berlin heute eine Stadt in einem wirtschaftlich schwachen und mit großen Problemen konfrontierten Bundesland Brandenburg ist. Ich bin Berlin-Anhänger und trotzdem für Heiner Geißlers Kompromiß, weil ich in einer Zeit, in der es darauf ankommt, zu versöhnen und zu teilen, ein hartes Ja oder Nein fürchte. ({12}) Ich will dieses harte Ja oder Nein vermeiden. Wenn man einen Kompromiß will, meine Damen und Herren, dann kann man ihn erreichen. Noch vor vierzehn Tagen waren viele Bonn-Befürworter für diesen Kompromiß. Dann haben sie gezählt. Heute meinen sie, sie könnten es sich erlauben, nicht mehr dafür zu sein. ({13}) Ich warne vor solchen taktischen Spielen. ({14}) Ich bin für die Doppelspitze als Kompromiß, um der inneren deutschen Einheit willen. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Bernd Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst dem Kollegen Schäfer sagen, daß er sich irrt, wenn er die Toskana-Fraktion anspricht. Auch hier gibt es keine klaren Verhältnisse. Auch die Toskana-Fraktion ist in dieser Frage gespalten, meine Damen und Herren. ({0}) Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, Bonn als Bundeshauptstadt festzulegen, vor allem jedoch die Entscheidung des Deutschen Bundestages am 3. November 1949 gegen Frankfurt/Main als Bundeshauptstadt habe ich als Neunjähriger mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich will nicht verschweigen, daß ich damals über diese Entscheidung als vor den Toren Frankfurts Geborener und Wohnender traurig war. Wir haben als Deutscher Bundestag heute eine Entscheidung im Lichte der Erkenntnis von mehr als vierzig Jahren Nachkriegsgeschichte zu treffen. Wer kann denn heute leugnen, meine Damen und Herren, daß wir eine völlig andere Situation als 1949 haben? Was die heute schon vielfach angesprochene Glaubwürdigkeit in der Politik anlangt, kann ich auch für viele Jüngere hier im Hause erklären, daß wir doch zu keiner Zeit irgendwelche Versprechungen abgegeben haben, die wir jetzt einzulösen hätten. Politik zeichnet sich auch dadurch aus, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man bei besseren Einsichten zu einer Änderung der einmal eingenommenen Haltung kommen kann, in Situationen wie dieser ja sogar kommen muß. Gerade in der heute zu entscheidenden Frage sollten wir uns aber auch um Ehrlichkeit bemühen. Es ist doch sicher richtig, daß bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 kaum ein verantwortlich handelnder Politiker in der Bundesrepublik daran geglaubt hätte, daß er die Vereinigung der Bundesrepublik mit der DDR und West-Berlin noch erleben würde. Geglaubt hat es sicher kaum jemand. Einige haben es mit Sicherheit gehofft. Ich will aber auch erwähnen, daß es einige gibt, die damals andere Überlegungen hatten. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Reuter, darf ich kurz unterbrechen. Es ist sehr laut im Saal. Im Hintergrund finden kleine Stehrunden statt. Würden Sie bitte Platz nehmen, so daß sich der Redner verständlich machen kann.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hieraus, meine sehr verehrten Damen und Herren, folgt die Tatsache, daß das Provisorium Bonn im Laufe der Jahre immer mehr zu einem endgültigen Parlaments- und Regierungssitz ausgebaut wurde. Ich kritisiere das nicht. Ich muß hier jedoch feststellen, daß viele, die sich heute so vehement für eine Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin aussprechen, hierfür in hohem Maße Verantwortung tragen. Ich nehme das Argument sehr ernst, daß wir den Menschen in den fünf neuen Bundesländern und auch in der ehemals geteilten Stadt Berlin bei der Bewältigung der Probleme helfen müssen. Was mir nur nicht einleuchten will, ist die Argumentation, daß eine Entscheidung heute, Bundesregierung und Bundestag in acht bis zehn Jahren nach Berlin zu verlegen, eine Signalwirkung zur Hilfe haben soll. ({0}) Ich habe kein Verständnis dafür, daß wir Milliardenbeträge für einen solchen Umzug ausgeben, die wir für diese Hilfe viel besser verwenden könnten. Über die Höhe dieser Summe möchte ich überhaupt nicht streiten. Nur habe ich während meiner Bonner Zeit eines erfahren: daß alles viel teurer wird als ursprünglich geplant und kalkuliert. ({1}) Wer nachrechnen will, der soll sich einmal den Faktor Pi zu Gemüte führen: dann wird in Bonn alles 3,14 mal teurer, als uns vorher erklärt wurde. Als Anhänger eines föderalen Aufbaus unserer Republik habe ich Angst vor einer riesigen Metropole, die, wie heute schon einige Male ausgeführt wurde, zu einer enormen Sogwirkung führen könnte, mit einer negativen Auswirkung auf die Regionen in unserem Land. Selbstverständlich nehme ich die Entscheidung der zwölf Bundesländer, die sich für Berlin ausgesprochen haben, ernst. Sie paßt allerdings nicht in allen Fällen zusammen mit der ständigen Klage dieser Länder über die von ihnen mitzutragenden Kosten der Einheit. Ihre Entscheidung für Berlin wäre glaubwürdiger, wenn sie auch beschlossen hätten, daß sie willens und bereit sind, dann dafür einen Kostenanteil für den Umzug zu übernehmen. ({2}) Meine Damen und Herren, wer eine funktionierende Demokratie in unserem Lande will, muß sich heute zu einer Entscheidung durchringen, und zwar nicht zu einem faulen Kompromiß wie dem des Kollegen Geißler, der das Parlament auf eine schiefe Ebene bringt. ({3}) Ich will noch einmal den Art. 2 des Einigungsvertrages in Erinnerung rufen: Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden. Diese Formulierung, meine Damen und Herren, habe ich damals so verstanden, daß ich mich heute in der Tat sowohl für Berlin als auch für Bonn aussprechen kann. Wer dabei von Verrat spricht, verläßt eigentlich die Basis unserer demokratischen Auseinandersetzung. ({4}) Meine Damen und Herren, ich mache daraus kein Geheimnis. Ich spreche mich eindeutig für die Beibehaltung des Sitzes von Regierung und Parlament hier in Bonn aus. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Uwe-Bernd Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Diskussionsbeiträgen heute ist darauf Bezug genommen worden, daß mit der Entscheidung für Berlin oder gegen Bonn im wesentlichen auch die Interessen der Menschen in den fünf neuen Ländern berührt werden. Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: Das, was wir hier heute veranstalten, verstehen die Menschen in den fünf neuen Ländern zum großen Teil nicht. Menschen, die sich um ihre Existenz kümmern, die Probleme mit den täglichen Abläufen und mit dem nächsten Tag haben, haben kein Verständnis dafür, daß wir hier eine so ausufernde Debatte zu diesem Thema führen. Insofern ist die Interessenlage sehr differenziert. Ich war eigentlich sehr stolz darauf, als Angehöriger dieses Hohen Hauses das Gefühl zu haben, daß bei allen Unterschieden in der politischen Argumentation im wesentlichen alle Mitglieder dieses Hauses die höchste Priorität unseres politischen Handelns darin sehen, daß wir sobald als möglich den Ausgleich im sozialen Gefälle zwischen den beiden zusammengewachsenen Teilen Deutschlands zustande bringen. Insofern ist die Frage: Bonn oder Berlin? zum jetzigen Zeitpunkt eine völlig unnötige Frage. Ich habe hier das Problem, in meinem kurzen Beitrag den politischen Spagat zu machen als einer, der im Innersten davon überzeugt ist, daß auf lange Sicht Berlin als Hauptstadt natürlich auch Sitz von Regierung und Parlament sein wird. ({0}) Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Denn wir alle haben hier erst jüngst die Debatte über den Bundeshaushalt geführt. Wir alle wissen, wie angespannt die finanzielle Situation des Bundes ist. Ich bin nicht bereit, zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nur eine einzige Mark dafür auszugeben, daß ein funktionierendes System, wie es hier in Bonn existiert, nur aus Prestigegründen nach Berlin umgelenkt wird. ({1}) Insofern wäre ich sehr froh gewesen, wenn der Kompromißvorschlag von Herrn Innenminister Schäuble hier heute auch auf der Tagesordnung gestanden hätte. Er ist leider nicht zur Abstimmung vorgesehen. Es ist heute auch gesagt worden, die Abgeordneten seien in ihrer Entscheidung frei und sollten sich nicht von den Interessen ihres Wahlkreises leiten lassen. Meine Damen und Herren, ich muß das für mich verneinen. Ich muß mich sehr wohl für die Interessen der Menschen in meinem Wahlkreis, egal ob sie mich gewählt haben oder nicht gewählt haben, einsetzen. Ich bin für die Bürger dort hier in diesem Parlament, und insofern muß ich mich nach meinem besten Wissen und Gewissen auch für ihre Interessen einsetzen. ({2}) Ich will Ihnen ganz kurz die Situation schildern, in der sich die Bürger in meinem Wahlkreis - mein Wahlkreis ist Halle - befinden. Monatlich verlassen mehrere hundert Bürger diese Stadt in Richtung We2808 sten. Wenn wir heute hier die Entscheidung für Berlin fällen, dann wird auf Grund des einsetzenden Booms, der übrigens schon stattfindet und nicht erst von dieser Entscheidung abhängt, ein zusätzliches Potential an Menschen aus meiner Region in Richtung Berlin abwandern; eine Erscheinung, die ich in der Tat die letzten 15 Jahre erleben mußte und die für die Region, aus der ich komme, nicht segensreich war. ({3}) Da das alles Menschen sind, die im besten Schaffensalter stehen - das sind nicht Alte, und das sind nicht Kinder - , frage ich Sie: Wer soll dann bitte den notwendigen Aufbau in der Region, aus der ich komme, bewältigen? Es ist heute viel von Föderalismus die Rede gewesen. Der Föderalismus hat in der alten Bundesrepublik starke, hervorragende Städte hervorgebracht, Städte, die auch davon gelebt haben, daß sich Bonn auf den Regierungssitz beschränkt hat. ({4}) - Das Parlament vergesse ich natürlich nicht. - Es sind - das ist heute schon mehrfach erwähnt worden - viele Hauptstädte verschiedenen Charakters entstanden. Ich bin eigentlich nicht bereit, den großen Städten im Osten Deutschlands diese Chance zu ihrer eigenen Entwicklung zu nehmen, indem diese große Zentrale Berlin entsteht. ({5}) Es ist schon ein wenig kurios. In meinem politischen Werdegang nach der Wende habe ich es im übrigen immer mit Hauptstadtentscheidungen zu tun. Ich habe als Bürgermeister der Stadt Halle - glauben Sie mir, wir haben darum genauso verbissen und vielleicht noch härter gekämpft - die Entscheidung zwischen Halle und Magdeburg miterlebt. ({6}) Ich habe damals mit allem Einsatz natürlich für Halle gekämpft, aber ich habe, als die Entscheidung durch den Landtag Sachsen-Anhalts für Magdeburg gefallen war - die war sehr, sehr knapp, sicherlich so knapp wie die heutige Entscheidung werden wird -, ({7}) sofort gesagt, daß ich als Demokrat dieses Ergebnis respektiere. Mein großer Wunsch und meine Bitte ist, daß wir alle, die wir aus meiner Sicht heute in großer Sachlichkeit um dieses Problem gestritten haben und Argumente ausgetauscht haben, auch morgen noch miteinander reden können, egal ob wir zu den Gewinnern oder zu den Unterlegenen gehören. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Berlin, über dieser Stadt ist kein Himmel", schrieb Kurt Tucholsky, und doch hat er sich an ihr ständig gerieben, von ihr fühlte sich Tucholsky herausgefordert. Diese Stadt zwingt zur Auseinandersetzung, sie ist unbequem, sie wird es auch für uns Abgeordnete sein. Aber gerade Widerstand und politische Phantasie sind Auslöser zur Weiterentwicklung unserer Demokratie, ein ständiger Auftrag an uns. Vergessen wir diese Mahnung in dieser Debatte nicht! ({0}) Unsere Entscheidung heute, neun Monate nach der Vollendung der deutschen Einheit, muß vor der Geschichte bestehen. Unsere Entscheidung muß die Funktionsfähigkeit von Parlament und Regierung gewährleisten, und unsere Entscheidung muß sich in der Tradition der neuen deutschen Demokratie nach 1945 wiederfinden lassen. Wir können doch nicht vergessen machen, was elf Parlamente vor uns, getragen von dem Willen der Menschen unseres Landes, einstimmig erklärt haben: Fällt die Teilung, kehren wir nach Berlin zurück. ({1}) Mit Herz und Leidenschaft haben Konrad Adenauer und Kurt Schumacher, Carlo Schmid und Karl Carstens, Walter Scheel, Willy Brandt, Annemarie Renger, Jochen Vogel, Helmut Kohl und viele andere diese Position bezogen. Ihr Bekenntnis hat einer eingemauerten Stadt den Rücken gestählt. Ihr Wille ist für mich heute Verpflichtung. Ich käme mir schäbig vor, würde ich nicht heute das vollziehen, was sie gewünscht, gehofft, herbeigesehnt und wofür sie gekämpft haben. Das Herz unseres Landes schlägt in dieser Stadt. Vor 28 Jahren, auch im Monat Juni, hat John F. Kennedy diese Stadt kennzeichnend vor dem Schöneberger Rathaus charakterisiert. In den Kernsätzen sagte er: Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner. Denn ich weiß nicht, ob jemals eine Stadt so lange belagert wurde und dennoch lebt mit ungebrochener Vitalität, unerschütterlicher Hoffnung, mit gleicher Entschlossenheit und gleicher Stärke wie Berlin. Und dann: Wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben, wenn Ihre Stadt und Ihr Land wiedervereinigt sind, wenn Europa geeinigt ist, dann können Sie mit Befriedigung sagen, daß die Berliner jahrzehntelang die Front gehalten haben. Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt. Dann sagte Kennedy: Und deshalb bin ich als freier Mensch stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner. ({2}) Wolfgang Börnsen ({3}) Wer in der Welt hat das Glück, einen Parlamentssitz in einer Stadt zu errichten, die international als Symbol der gelebten Freiheit gilt. Mit Stolz, Würde und Anstand sollten wir in diese Stadt ziehen, nicht mit Kleinmut. Berlin ist für mich nationale Selbstverständlichkeit. Berlin ist für mich die Einlösung eines festen Versprechens. Berlin ist für mich das Bekenntnis zu einer Stadt, die zur Klammer eines zwischen Ost und West geeinten Europas wird. Das Ja zu Berlin ist für mich der Schlußstein zur deutschen Einheit. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort nimmt jetzt der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen ist oft darüber gespottet worden, ob der Bundestag denn nichts Wichtigeres zu tun hätte, als immer neue Varianten zu dem Thema zu suchen, wo denn der künftige politische Mittelpunkt des vereinigten Deutschlands sein solle. Ich habe auch Verständnis für diese kritischen Bemerkungen; denn die Klimakatastrophe wird sich wenig darum kümmern, ob halbherzige deutsche Initiativen ihren Herkunftsort in Bonn oder in Berlin haben. Und dennoch: Die Frage nach der wirklichen Hauptstadt ist keine Kleinigkeit. Das Umfeld, in dem Politik gemacht wird, bleibt nicht ohne Einfluß auf die Entscheidungen der Politik. Konrad Adenauer hat nicht umsonst Bonn zur Hauptstadt einer rheinischwesteuropäisch orientierten Politik gemacht, ({0}) die zweifellos ihre Verdienste, aber auch ihre Begrenzungen hatte. ({1}) Ich möchte, weil das heute von vielen Bonn-Befürwortern gesagt worden ist, gegen den neuen Mythos angehen, als hätte die deutsche Politik in 40 Jahren in diesem kleinen Bonn die beste aller Welten geschaffen, als hätte es hier in dieser Politik niemals Restauration, Reformstau, Skandale, Intoleranz und Spießertum gegeben. ({2}) Bonn war eben nicht nur Adenauers Westpolitik und Willy Brandts Ostpolitik, sondern Bonn war auch „Spiegel"-Affäre, Notstandsgesetze, Radikalen-Erlaß, Kernenergieausbau und Nachrüstung. Ich will auch nicht in Vergessenheit geraten lassen, was mir gelegentlich widerfahren ist, wenn ich von Studenten gebeten wurde, vom Rektor der Universität die Genehmigung zu erhalten, daß im Hofgarten eine Demonstration stattfinden könne, daß es nämlich langer Bemühungen bedurfte, diesen Rektor zu bewegen, der eben nicht, wie das in Berlin üblich ist, gesagt hat: Demonstration ist ein Lebenselixir auch für die Demokratie, sondern der gesagt hat: Das stört unseren Bonner Frieden. ({3}) Das vereinigte Deutschland - da haben sich die Herausforderungen gegenüber den letzten 40 Jahren verändert - muß eine Brücke zwischen Westen und Osten bilden. Es gibt keine Stadt in Deutschland, die besser als Katalysator im Prozeß der europäischen Vereinigung wirken könnte als Berlin. Das, meine Damen und Herren, ist für mich die außenpolitische Begründung, für Berlin zu stimmen. ({4}) An die Adresse der Jüngeren: Dies ist kein rückwärts gewandtes, nur historisches Argument. Dies ist vielmehr ein Argument, das weit in die Zukunft reicht. ({5}) Innenpolitische Gründe sind heute schon viele genannt worden. Lassen Sie mich eine These noch einmal besonders unterstreichen: Nach der politischen Einheit müssen wir nicht nur die soziale, sondern auch die kulturelle Einheit erst wieder herstellen. Das wird vom sicheren Bonner Hafen aus sehr viel schwieriger werden als mitten im Umbruch der neuen Länder in Berlin. Die Menschen in den neuen Ländern werden uns nicht glauben, daß wir sie und ihre Geschichte in die Gestaltung der neuen Gesellschaft einbeziehen wollen, wenn wir nicht bereit sind, dort Politik zu machen, wo die kulturelle Kluft, wo die Irrungen und Widersprüche der jüngeren deutschen Geschichte am schmerzlichsten erfahrbar sind. ({6}) Nun gibt es die Sorge, daß der Föderalismus unter einem Parlamentssitz Berlin leiden könnte. Es ist die Rede von der Megastadt gewesen, die angeblich jede eigenständige Entwicklung in den Regionen unterdrücken könnte. Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht helfen: Die Bundesrepublik hat im Westen eine Fülle von Zentren mit gewaltiger Wirtschaftskraft, die dennoch regionale Zentren mit eigenständiger Entwicklung zulassen. An die Adresse von Peter Glotz - ich weiß nicht, ob er noch hier sitzt - : München ist Bayerns Hauptstadt geblieben, obwohl es die größte Ballung von Menschen und Industrie in Süddeutschland darstellt. Kein Bayer käme auf die Idee, die Hauptstadt deshalb etwa nach Ingolstadt oder Kötzting zu verlegen. ({7}) Das sage ich als einer, der immerhin 15 Jahre in Bayern gelebt hat und die Verhältnisse einigermaßen gut kennt. ({8}) Wenn ich mir am Ende die schmucke Herrenriege der 16 Ministerpräsidenten ansehe, kann ich mir kaum vorstellen, daß ihr Selbstbewußtsein leiden würde, wenn dieser Bundestag künftig in einer Weltstadt im besten Sinne des Wortes zusammenträte. ({9}) Meine Damen und Herren, ich bin Schleswig-Holsteiner. Meine Eltern stammen aus Mitteldeutschland und Ostdeutschland. Ich habe immer Vorbehalte gegen eine in erster Linie rheinische Republik gehabt. ({10}) Wir Schleswig-Holsteiner haben auf der anderen Seite die Preußen nie besonders geliebt. Aber die meisten von uns fühlen sich mit den Menschen dort stärker verbunden, und sie fühlten sich auch in Berlin besser aufgehoben. Ich kann verstehen, daß nicht alle hier die Freude über die Ostverschiebung Deutschlands teilen. Aber sie ist eine Tatsache. Ich erwarte von allen, daß sie bei ihrer Entscheidung über den Parlamentssitz dieser Verschiebung Rechnung tragen. Stimmen Sie mit mir für den vollständigen Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin! ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann das Wort.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute über den Sitz von Parlament und Regierung, nicht mehr und nicht weniger. Wir entscheiden nicht, wie Herr Schäuble das heute gesagt hat, über die Zukunft Deutschlands, und wir entscheiden auch nicht über das Ende der Teilung. ({0}) Symbole will ich nicht leugnen; aber über sie kann man nicht abstimmen. Ich bin nicht bereit, mir Unglaubwürdigkeit vorwerfen zu lassen, wenn ich mich für Bonn entscheide. ({1}) Ich bin sehr wohl bereit, zu teilen und zu helfen; aber ich bin nicht bereit, zu glauben, daß der Sitz von Parlament und Regierung eine glückbringende Funktion hat. Wir sollten kühl und nüchtern über die Prioritäten für unser Volk nachdenken. Unser Volk selbst hält in seiner Mehrheit die Frage, wo wir sitzen und tagen, sicher nicht für vorrangig. Alle sind sich hier wahrscheinlich einig, daß in Bonn die äußeren Voraussetzungen für ein vernünftiges Arbeiten von Parlament und Regierung im wesentlichen vorhanden sind, während sie in Berlin mit hohem Geldeinsatz erst geschaffen werden müßten. Gerade wenn wir alle Kräfte und Mittel brauchen, um gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen, dann sollten wir uns auf die Problemlösungen konzentrieren, die die Menschen betreffen und nicht nur unser Arbeitsumfeld. ({2}) Wenn alle Probleme der Menschen in Deutschland, die teilungsbedingt sind, gelöst sein werden, dann werden unsere Söhne und Enkel prüfen, ob es noch wichtigere Probleme hier und in der Welt gibt, als die Frage, wo Parlament und Regierung ihren Sitz haben. Aus diesen Gründen entscheide ich heute hier für Bonn. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Bernrath das Wort.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Für einen Angehörigen meiner Generation ist es nicht leicht, sich für den Sitz von Parlament und Regierung in einem vereinigten Deutschland zu entscheiden. Ich wurde in den zwanziger Jahren, in der ersten deutschen Demokratie, der von Weimar, geboren. Meine Jugend wurde von den Nazidiktatoren der dreißiger/Anfang vierziger Jahre mißbraucht und zerstört. Nach dem verheerenden Weltkrieg haben wir den westlichen Teil des geteilten Deutschlands aufgebaut und einem freien Europa verbunden. Die Vereinigung ganz Deutschlands dagegen im freien Europa danken wir ganz besonders unseren Landsleuten im mittleren und östlichen Deutschland; und das wiegt, meine ich, schwer. Die letzten 120 Jahre unserer Geschichte waren in ihren Höhen und auch in ihren abgründigen Tiefen eng mit dem Namen vieler deutscher Städte, aber eben auch mit dem Namen der Städte Berlin und Bonn verbunden. Blicken wir zurück in diese Spanne unserer Geschichte, so spricht manches für eine erneuerte Hauptstadt Berlin mit Parlament und Regierung. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich bitte erneut um Gehör für den Redner. Es ist ihm kaum möglich, sich Gehör zu verschaffen.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, mit einer solchen Entscheidung könnten wir Berlin für seine großen kulturellen Leistungen, für seinen unbändigen Freiheitswillen und für sein Leiden danken. Aber unser Blick muß in die Zukunft gerichtet sein, und das macht uns bewußt: Wir entscheiden heute auch für die nachfolgenden Generationen. Diese Generationen denken europäischer. Sie wollen europäisch und in einem dezentral organisierten europäischen Gemeinwesen leben. Bonn steht dabei für ein Deutschland des demokratisch-föderalistischen Alltags, für ein Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Bonn steht für die Integration der westdeutschen Demokratie, der Demokratie der Frankfurter Verfassung in die westliche Gemeinschaft freier Länder. Dieser Weg nach Europa ist noch lange nicht zu Ende gegangen. Das freie vereinigte Europa wächst noch, und es wird noch viel größer werden, als wir es uns noch vor wenigen Jahren haben erhoffen dürfen. In dem von uns gewollten Europa haben Nationalstaaten, zentrale Staaten alter Prägung, wie ich einen erlebt habe, keinen Platz. Vor uns liegt das dezentrale Europa der Regionen mit einem politischen Entscheidungszentrum in einem der kleinsten Länder Europas, im belgischen Brüssel. Die regionalpolitischen Entscheidungen fallen künftig noch stärker in den Regionen, auch in unseren Regionen, also nicht in Bonn oder Berlin allein, sondern in Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Schwerin, Stuttgart usw. Die exekutiven Verantwortungen werden in sich selbst verwaltenden starken und freien Städten liegen. Diesen Weg des Dreiklangs - Europa, Regionen und Städte - können wir gemeinsam und weiterhin mit Bonn als Stadt, ({0}) in der die Politik der deutschen Bundesstaaten im vereinigten Europa koordiniert wird, gehen. Dagegen wird die wirtschaftliche, wissenschaftliche, kulturelle Integration der neuen deutschen Länder und des europäischen Ostens in das vereinigte Europa hinein die große Aufgabe Berlins sein. Diese historische Aufgabe bedarf der wirtschaftlichen, kulturellen Kraft der größten deutschen Stadt, bedarf der ganzen Kraft Berlins. Im übrigen, unsere Glaubwürdigkeit hängt ganz überwiegend davon ab, daß wir an Berlin, an die fünf neuen Länder, an den Osten Europas abgeben. Solange wir nicht auf einige Baustellen in unseren reichen westlichen Städten verzichten, werden wir weder Berlin noch den Ländern noch dem Osten helfen können. Darum: Berlin als Werkstatt der Integration eines um den Osten erweiterten Europas, als Zentrum kultureller und wirtschaftlicher Vielfalt in Deutschland und für Europa. Bonn dagegen in seinen jüngeren Traditionen soll Sitz von Parlament und Regierung bleiben. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Christian Schwarz-Schilling das Wort.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002128, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich an diesem Tag an die Debatte, die wir hier über die Verjährung gehabt haben. Es war eine große Debatte, es war eine Sternstunde des Parlaments, und keiner war in einer bestimmten Schublade. Das gibt es selten. Das ist auch heute wieder der Fall, und wir können stolz sein, wie diese Debatte geführt wurde. Es geht nicht um zwei Städte oder um zwei Regionen, sondern es geht um Fragen, die alle Bürger und Bürgerinnen Deutschlands betreffen. Eine solche Entscheidung muß Bestand haben vor der Vergangenheit, vor der Gegenwart und vor der Zukunft. Was heißt Vergangenheit? Vergangenheit heißt, daß Berlin in den letzten 40 Jahren der Vorposten der freien Welt geworden ist, das Symbol der Menschenrechte im freien Westen und der Integration Deutschlands, in die Wertegemeinschaft des Westens. Nur so war die Geschichte von der Luftbrücke bis zum Mauerbau und bis zu dem hier oft zitierten Präsidenten Kennedy zu erklären. Noch nie in der Geschichte Deutschlands ist eine Stadt zu einem solchen Symbol für alle geworden. Weil dies gelungen ist, möchte ich darum bitten, daß wir nicht ausgerechnet dann, wenn bei einer Stadt, die zunächst einmal das Symbol der Spaltung Deutschlands und Europas war, die blutende Wunde langsam heilt und sie zum Symbol des Friedens wird, nicht mehr an diese Rolle glauben und ihr nicht diese Rolle zurückzugeben, die sie immer gehabt hat. Wir können über Bekenntnisse sprechen, soviel wir wollen, wir haben alle viele Bekenntnisse für Berlin abgegeben, und es ist auch richtig, daß man im Laufe der Geschichte neue Dinge neu entscheiden muß, aber doch nicht dann, wenn genau die Voraussetzung eingetreten ist, für die man das Bekenntnis immer abgegeben hat. ({0}) Das ist doch der entscheidende Punkt. ({1}) Das ist nicht die Stunde der Spitzfindigkeiten, das ist die Stunde der Wahrheit, wo Bekenntnisse eingelöst und nicht durch Spitzfindigkeit relativiert werden dürfen. ({2}) Wenn wir in die Zukunft sehen, ist Berlin der Platz, wo beide Teile Deutschlands die beste Möglichkeit haben, geistig, kulturell, aber eben auch politisch zusammenzuwachsen. Meine Damen und Herren, gerade angesichts der Tatsache, daß Berlin - für alle Welt sichtbar - in der Vergangenheit eine politische Bedeutung hatte, können wir es doch nicht in dem Moment, in dem die Einheit hergestellt ist, seines politischen Gehaltes entkleiden. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({3}) Und da ist es auch kein adäquater Ersatz, wenn wir sagen, daß sich der Deutsche Bundestag zu Fest- und Feiertagen in Berlin einfindet oder bestimmte Institutionen sich dort ansiedeln. Lassen Sie mich am Schluß eines sagen: Wir alle haben Bonn großen Dank abzustatten. Das sage ich hier gerade als einer, der für Berlin eintritt. Denn in Bonn haben wir in diesen 40 Jahren die Grundlage geschaffen, die es möglich gemacht hat, daß wir heute ein wiedervereinigtes Berlin und ein wiedervereinigtes Deutschland haben. Aber in der Geschichte sind die Rollen zu verschiedenen Zeiten verschieden. Und so ist es unsere Verantwortung, unmittelbar nach der Entscheidung alles zu tun, um die Rolle Bonns in einem überschaubaren Zeitraum so zu verankern, daß beide Städte in der Wahrheit und in der Klarheit ihrer geschichtlichen Rollen glücklich sind. Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Wolfgang Roth das Wort.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Man sieht es an dieser Debatte: Die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz, Bonn oder Berlin, ist für jeden einzelnen sehr schwierig. Da mischen sich nachprüfbare sachliche Argumente natürlich auch mit subjektiven und persönlichen Motiven. Ich finde, wer das leugnet und eine Scheinobjektivität für sich beansprucht, der ist nicht ganz ehrlich. ({0}) Ich könnte in dem Zusammenhang auch meine persönliche Geschichte einbringen. Ich bin 1961, unmittelbar nach dem Mauerbau, aus Baden-Württemberg nach Berlin gezogen, komischerweise weil ich dem Aufruf von Herrn Mende folgte: Jetzt müssen die Studenten nach Berlin gehen! Ich habe dort 15 Jahre gelebt und viel erlebt. ({1}) Ich war auch 1968 dabei. Auch das ist ein Teil der Berliner Geschichte, zu der ich jedenfalls stehe. ({2}) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß Berlin heute erneut an der Schwelle steht, zum geistig-politischen und kulturellen Zentrum Deutschlands zu werden. Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel. Für mich als Wirtschaftspolitiker gibt es auch keinen Zweifel, daß Berlin wirtschaftlich, als Dienstleistungsmetropole zwischen Ost und West das Zentrum dieses neuen Europas, zusammen mit London, Paris und anderen Großstädten, wird. Das heißt: Die wirtschaftliche Hauptaufgabe der Metropole Berlin ist es, Dienstleistungszentrum zu sein. Die Frage lautet nun: Ist dafür der Parlaments- und Regierungssitz förderlich, vielleicht unabdingbar? Um das Ergebnis meiner Überlegungen vorwegzunehmen: Die Übertragung großer, neuer öffentlicher Aufgaben ist meines Erachtens keine Voraussetzung und Bedingung für die Entwicklung Berlins als Wirtschaftszentrum. ({3}) Meine Überlegungen gehen dahin, daß der Umzug Zehntausender von Verwaltungsbeamten von Bonn nach Berlin ({4}) nicht förderlich, sondern eher hinderlich ist. ({5}) Meine Damen und Herren, das muß natürlich begründet werden. ({6}) Erster Punkt: Es gibt viele grandiose Metropolen in der Welt, die mit Regierung und Parlament überhaupt nichts zu tun haben: New York, San Francisco, Atlanta - jedenfalls in den letzten zehn Jahren - , Rotterdam, Amsterdam, Barcelona, Mailand, in den letzten Jahren vielleicht das expansivere Zentrum in Italien, expansiver als Rom. Der zweite Punkt. Im Fall von Tokio gibt es bereits die Diskussion, die Stadt zu entlasten. ({7}) Man will mit Parlament und Regierung zurück nach Kyoto, damit Entzerrung und Funktionstüchtigkeit eintreten. ({8}) Der dritte Punkt. Wenn heute für Berlin entschieden wird, dann geschieht in den nächsten Jahren ökonomisch außer Renovierungsarbeiten im Zentrum von Berlin, und zwar zwischen Potsdamer Platz und Frankfurter Tor, überhaupt nichts. Es werden private Nutzungen verdrängt, denn der Staat kann ja jeden Preis zahlen, aber die privaten Investoren können es nicht. ({9}) Der vierte Punkt. Wenn morgen früh die Entscheidung für Berlin gefallen ist, ({10}) dann bedeutet das, daß die Mietpreise und die Bodenpreise sofort explodieren. Das heißt, es wird eine Spekulationswelle stattfinden. Wir kennen die aus London, wir kennen die aus Paris, und wir kennen die aus Tokio. Ich glaube nicht, daß den Berlinerinnen und Berlinern für ihre künftigen Arbeitsplätze durch eine derartige Entscheidung genutzt wird. ({11}) Das sind nüchterne ökonomische, aber tragfähige Argumente. ({12}) Hier ist viel zuviel von Geschichtsbewußtsein und zuwenig von Finanzierung der Zukunft die Rede. Da wird uns noch vieles aufgetragen sein. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Kersten Wetzel.

Kersten Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002493, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit einem etwas unguten Gefühl stehe ich heute hier vor Ihnen, nicht nur weil es meine erste Rede von dieser Stelle ist, sondern weil ich nun schon seit Wochen ein schlechtes Gewissen mit mir herumtrage. Nun gehöre ich als junger Abgeordneter nicht zu den Politikern, die in den ersten Reihen dieses Parlaments sitzen und die großen, oft auch wichtigen Reden halten. Dennoch fühle ich mich dem Wohl des gesamten deutschen Volkes mit verpflichtet. ({0}) Als Thüringer trete ich natürlich vor allem für die Belange der Bürger in den neuen Bundesländern ein. ({1}) Das ist zur Zeit wahrlich nicht ganz einfach. Vollbeladen mit ungelösten Problemen und mit Hilferufen der Bürger und Kommunen treffe ich allwöchentlich hier in Bonn ein. Nun stehe ich auch noch vor der Frage: Bonn oder Berlin? Deshalb bin ich sehr froh, daß wir heute endlich und hoffentlich endgültig über den Parlaments- und den Regierungssitz abstimmen können. Es ist keine Lösung, sondern nur der Weg des geringsten Widerstands, wenn wir die endgültige Entscheidung noch länger vor uns herschieben. ({2}) Heute abend muß deshalb ein ganz klares Zeichen gesetzt werden, wo das Parlament und mit ihm die Regierung künftig den Sitz haben. ({3}) Das sind wir unseren Bürgern, gerade denen in den neuen Bundesländern, ganz einfach schuldig. Unsere Menschen haben andere, schwerere Sorgen. Wir müssen uns diesen Sorgen zuwenden. ({4}) Das schafft Einheit im Sozialen wie im Menschlichen. ({5}) Ich denke z. B. an einen aus meinem Heimatdorf, der vor eineinhalb Jahren, von Stasi und SED konkret bedroht, mutig „Wir sind ein Volk! " gerufen hat und heute arbeitslos ist. Zu Hause hat er eine kranke Frau und eine arbeitslose Tochter. Da denke ich z. B. auch an die nächsten Tage bis zum heißen Sommer, die mir allein in meinem Wahlkreis etwa 40 bis 50 % Arbeitslosigkeit bescheren. Da müssen wir künftig stärker unsere zu lösenden Probleme ({6}) hier in diesem gesamtdeutschen Parlament suchen, auf das wir uns so sehr gefreut und das wir uns so schwer erkämpft haben. Aber auch diejenigen Ministerien und Behörden frage ich kritisch, in denen das Geld für den Aufschwung Ost noch liegt und in denen sich gleichzeitig Anträge auf Fördermittel stapeln. Dies zu ändern, schaffen wir nicht durch zusätzliche Unruhe, sondern nur durch gemeinsame Kraftanstrengung. ({7}) Das heißt, auch hier muß sich noch einiges ändern. Aber das, meine Damen und Herren, schaffen wir doch ganz bestimmt nicht, wenn wir Regierung und Parlament einfach verpflanzen und künstlich auseinanderreißen. ({8}) Das bindet unsere Kraft bei der Bürokratie, aber wir brauchen doch all unsere Kraft für unsere Menschen. Auch wenn ich als junger Abgeordneter noch keinerlei parlamentarische Routine besitze, so habe ich doch eines hier in Bonn schnell gelernt: Wenn man wirklich für die Menschen in seinem Wahlkreis etwas tun will, dann kann man dies nicht nur im Parlament und im Ausschuß tun, sondern da muß man auch permanent bei den zuständigen Ministerien auf der Matte stehen. ({9}) So, meine Damen und Herren, ist die Wirklichkeit und nicht anders. Wenn menschlich durchaus verständliche Umzugssorgen die Arbeitsweisen in vielen Büros bestimmen, dann sehe ich uns wirklich machtlos den Problemen in den neuen Bundesländern ausgeliefert. Von den großen Kosten, die uns ein Wechsel von Regierungs- und Parlamentssitz beschert, hat uns der Finanzminister viel besser, als ich das jemals kann, heute schon berichtet. Aber ich spüre zu Hause in Thüringen täglich, wo wir diese Mittel ganz dringend brauchen: für die Bewältigung der großen Probleme der Menschen in den neuen Bundesländern und auch in Berlin. ({10}) Gestatten Sie mir bitte noch ein Wort zu den alten SED-Seilschaften, damit diese nicht glauben, wir hätten sie schon ganz vergessen; denn darauf warten sie ja nur. Wir brauchen eine demokratische und verläßliche Verwaltung, und zwar jetzt in diesen schweren Zeiten. ({11}) Wir dürfen das Versprechen, gegen die alten Seilschaften und für die Menschen zu arbeiten, nicht brechen. Ich persönlich fühlte mich dann im Ergebnis der Revolution betrogen, wenn dies nicht so wäre. Ich sage das als ein junger Christ, der wie viele seinesgleichen unter der SED-Diktatur gelitten und deshalb von Anfang an die Friedensgebete und Demonstrationen im Osten mitgetragen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch Gewaltiges zu leisten. Die Schwierigkeiten sind groß genug. Die vor uns liegenden Aufgaben - und das auch im Hinblick auf Osteuropa - sind doch so gewaltig, daß wir tunlichst darauf verzichten sollten, uns noch neue Probleme zu schaffen. ({12}) Lassen Sie deshalb Parlament und Regierung in Bonn! Konzentrieren wir unsere Kräfte auf den Aufschwung in den neuen Bundesländern und auf ein Aufblühen unserer gesamtdeutschen Hauptstadt, auf Berlin! ({13}) Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Beste für die Menschen in den neuen Ländern und auch das Beste für unser Deutschland. Ich danke Ihnen. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Burkhard Zurheide.

Burkhard Zurheide (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung über die Frage, wo der Deutsche Bundestag seinen Sitz nimmt, sei eine Generationenfrage, so hört man, auch heute: Die Alten wollten zurück nach Berlin, um an zweifelhafte Traditionen anzuknüpfen, während die fortschrittlichen jungen Leute für die Lösung der Moderne seien. Jugendlicher Zeitgeist gegen antiquierte Tradition? Meine Damen und Herren, so einfach darf man es sich nun wirklich nicht machen. ({0}) Natürlich ist es richtig, daß wir Jungen - jedenfalls in der Bundesrepublik - in und mit der Bonner Republik aufgewachsen sind. Selbstverständlich trifft es zu, daß für uns Jüngere, die wir nie etwas anderes kennengelernt haben als eine faktische Hauptstadt Bonn, diese Stadt ein Synonym für Demokratie ist. Aber ist es denn nicht auch richtig, daß wir immer wieder daran erinnert worden sind, das Ziel deutscher Politik müsse die Wiederherstellung der deutschen Einheit sein? Gehörte dazu nicht auch immer, daß nach der angestrebten Wiedervereinigung der Sitz des deutschen Parlaments selbstverständlich und unverzüglich nach Berlin zu verlegen sei? Soll nun heute dies alles, was ja auch in Lehrplänen, nach denen wir ausgebildet wurden, enthalten war, leere Floskel, hohles, nicht ernst gemeintes Gerede gewesen sein? Nein, meine Damen und Herren, die Bereitschaft und die Fähigkeit der jungen Generation, in historischen Zusammenhängen zu denken, die geschichtliche Dimension wichtiger politischer Fragen zu erkennen und entsprechend zu handeln, sind vorhanden. Genau deswegen ist die heute zu treffende Entscheidung keine Generationenfrage. Ich möchte herzlich darum bitten, mit diesem Argument nicht zu operieren. ({1}) Berlin war die Hauptstadt eines erstmals vereinten Deutschlands, das sich im Laufe der Zeit demokratisierte und das nach 1918 den Versuch unternahm, sich als Republik mit parlamentarischer Demokratie zu organisieren, was im Prinzip gelungen ist. Es trifft ja zu, daß Berlin auch die Hauptstadt Deutschlands war, als die Nationalsozialisten herrschten. Nur: Spricht das wirklich gegen Berlin? War Berlin, Berlin allein, schuld an der Nazi-Diktatur? Nein, meine Damen und Herren, Berlin ist ein Symbol, ein junges Symbol, für das Streben der Deutschen, in einem einzigen Staat zu leben, friedlich, demokratisch und in sozialer Gerechtigkeit. Berlin ist nicht nur ein Symbol für die Überwindung der Teilung Deutschlands, in Berlin spiegelt sich in gleicher Weise die Beendigung der Teilung Europas wider. ({2}) In Europa haben sich die Verhältnisse gewaltig verändert. Und wenn wir es noch so sehr wünschten: Es wird nicht möglich sein, einfach so weiterzumachen wie bisher, zu glauben, unsere liebgewonnene Bonner Republik sei eben nur ein bißchen größer geworden, aber auch nicht mehr. ({3}) Nein, meine Damen und Herren, um uns herum verändert sich die Welt in atemberaubenden Tempo. Europa wächst zusammen. Wo wenn nicht in Berlin ließe sich dies besser erleben? Wo wenn nicht in Berlin, im Schnittpunkt Europas, käme die Idee eines vereinten Europas besser zum Ausdruck? Insoweit geht es bei der heute zu entscheidenden Frage nicht darum, irgend jemandem irgend etwas nehmen zu wollen. Es handelt sich um eine Frage, die eine tiefe geschichtliche Dimension hat. Sie reicht ebenso in die Vergangenheit wie in die Zukunft. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, mit Ihrer Stimmabgabe dafür zu sorgen, daß der Sitz des deutschen Parlamentes in Berlin sein wird. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, sage ich für diejenigen, die vielleicht jetzt schon auf die Abstimmung warten: Zur Zeit stehen noch weitere 20 Redner und RednePräsidentin Dr. Rita Süssmuth rinnen auf der Liste, so daß Sie sich bitte darauf einstellen, daß wir noch Ruhe im Saal brauchen. ({0}) - Noch 20 sind mir zur Zeit gemeldet. Es spricht jetzt der Abgeordnete Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, selten ist in diesem Hause über eine Entscheidung debattiert woren, bei der so viele Beteiligte zunächst im Herzen entschieden und erst nachher im Kopf nach Argumenten gesucht haben. ({0}) Im Herzen bewahrt man gute Gefühle und Erinnerungen, und jeder von uns hat solche, die sich mit dem Namen Bonn verbinden. Nur ganz wenige von uns können solche positiven Erinnerungen und Empfindungen mit Berlin in Verbindung bringen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Erler, ich muß Sie einmal unterbrechen. Es ist zu laut. - So. Bitte sehr!

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Insofern sind wir alle befangen - mit schlechten Chancen für Berlin. Kann man also Klarheit über den Austausch von Argumenten für und gegen eine der beiden Städte finden? Mir scheint das ein willkürliches Unterfangen zu sein. Der Föderalismus als ein Stück Politik auf der Habenseite unserer 40jährigen Republik wird gern als Argument für Bonn bemüht. In Wirklichkeit hat aber nicht der bisher provisorische Parlaments- und Regierungssitz Bonn den Föderalismus garantiert, sondern allein eine in diesem Punkt entschiedene Verfassung und ihre ebenso entschiedene Umsetzung in Bund und Ländern. ({0}) Insofern kann der Föderalismus bei unserer heutigen Entscheidung Bonn nicht helfen, vielleicht sogar eher noch Berlin; denn alles, was nach einer Bonn-Entscheidung der vorgeblichen Hauptstadt Berlin ab morgen an Kompensation angeboten wird, könnte wirklich eine föderative Verteilung von Bundeseinrichtungen auf alle Bundesländer in Frage stellen. Auch die immer wieder vorgetragene Behauptung, Bonn stehe für Bescheidenheit und Selbstbeschränkung einer stärker gewordenen europäischen Mittelmacht, während Berlin neue Machtansprüche und ein für die Nachbarn bedrohlich wirkendes Deutschland versinnbildliche, prallt an den Realitäten ab. Amerikas Weltrolle wäre nicht geringer, wenn das Weiße Haus in Ann Arbor stände. Moskaus Einfluß würde uns auch beschäftigen, wenn Gorbatschow seine Zelte in Kaluga aufschlagen würde. Es ist wie bei dem Föderalismus: Nicht die Mauern einer Hauptstadt entscheiden über die Ausstrahlung einer Republik, sondern die Frage, ob die Inhalte der Politik humane Ziele verfolgen oder nicht. Weder Bonn noch Berlin werden als Städte über diese Frage entscheiden; dafür tragen vielmehr allein wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Verantwortung. ({1}) Wenn also Argumente für oder gegen eine Stadt so wenig Auskunft geben über die Richtigkeit einer Entscheidung, dann bleibt die Frage nach den Wirkungen. Als Gesetzgeber muten wir alle in diesen Monaten den Menschen in der ganzen Bundesrepublik, besonders im Osten, aber auch im Westen, erhebliche Opfer zu. Wahrscheinlich werden wir das, um den Prozeß der tatsächlichen Einheit in Deutschland zu vollenden, sogar noch über Jahre hinweg tun müssen. Die Entscheidung für Berlin heißt in diesem Zusammenhang nicht nur einfach, ein tausendmal gegebenes Versprechen einzulösen; diese Entscheidung gibt vielmehr das Signal, daß alle in dieser Zeit zu den notwendigen Opfern bereit sind, auch die Berufspolitiker, ({2}) die politischen Beamten und Angestellten, denen die Stadt Bonn zu Recht ans Herz gewachsen ist. ({3}) Bei einer Entscheidung für Berlin gibt es keine Gewinner; denn auch danach werden an Spree und Havel und ringsherum diejenigen sitzen, die noch für Jahre die meisten Opfer im Prozeß des deutschen Zusammenwachsens werden bringen müssen. Eine Entscheidung für Bonn dagegen erweckt den Eindruck, daß diejenigen, die durch das Mandat über die Entscheidung verfügen, für sich in Anspruch nehmen, sich aus der allgemeinen Notwendigkeit, Opfer zu bringen, heraushalten zu können. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wie eine solche Verweigerung auf all jene wirken wird, die nicht das Privileg haben, sich verweigern zu können. Noch eine andere Wirkung verdient unsere Aufmerksamkeit. Jahrzehntelang ist in Berlin der Kampf um die Zusammengehörigkeit ganz Deutschlands ausgetragen worden. Heerscharen von befreundeten Politikern haben wir nach Berlin geschleppt und ihr Bekenntnis zu Berlin immer als Bekenntnis zu dem Wunsch des ganzen Deutschland nach Selbstbestimmung und Freiheit gewertet. Wäre es nicht so gewesen, hätten wir Kennedys hier schon zitierten Ausspruch als nichts anderes als eine Falschaussage in aller Öffentlichkeit betrachten müssen. Mühsam haben wir den Alliierten abgerungen, wenigstens symbolische parlamentarische Akte in Berlin durchführen zu dürfen. Jetzt steht uns die Tür weit offen, von dieser Stadt aus das angefangene Werk der Freiheit, Selbstbestimmung und tatsächlichen Einheit zu vollenden. ({4}) Wenn wir durch diese Tür nicht gehen, entwerten wir nachträglich den jahrzehntelangen Kampf, bei dem wir so viele Freunde mit Erfolg einbezogen haben. Es gibt nicht nur ein Versprechen an Berlin, das zu halten ist, sondern auch eine in Jahrzehnten aufgebaute internationale Gemeinsamkeit für Berlin, der man mit der Verleihung eines bloß symbolischen Hauptstadttitels nicht gerecht werden kann. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster der Abgeordnete Dietmar Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Tolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten sind uns in Hunderten von Resolutionen, Erklärungen, Briefen usw. viele Argumente pro und contra Berlin und pro und contra Bonn vorgetragen worden; darunter waren viele ernsthafte, abwägende, leider auch einige anmaßende und rechthaberische wie z. B. die eines Bonner Professors für Römisches Recht, der ernsthaft behauptete, nur von diesseits des Limes könne Deutschland vernünftig regiert werden. Ich glaube, meine Damen und Herren, der Herr ist in der Zeit stehengeblieben, über die er lehrt. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, bei den Stellungnahmen für Bonn stehen neben allen historischen und pragmatischen Überlegungen die Zukunft dieser Region und die Angst Tausender, Zehntausender von Menschen im Mittelpunkt - Angst um ihren Arbeitsplatz, vor einem eventuellen Umzug, vor dem Abstieg der Region. Die Berlin-Befürworter erinnern zu Recht hauptsächlich daran, daß diese Stadt verbunden ist mit dem Willen des deutschen Volkes zur Einheit in Freiheit, wie es heute morgen Wolfgang Schäuble und Willy Brandt so eindrucksvoll dargestellt haben. Deshalb war es bis zu dem Tag, wo die Einheit plötzlich da war, völlig unbestritten und selbstverständlich, daß Berlin Hauptstadt wird, und zwar nicht als leere Hülse, sondern mit Parlament und Regierung. Meine Damen und Herren, wir Politiker, alle in diesem Haus, haben das über Jahre hinweg gesagt. Ich persönlich kann deswegen heute nichts anderes reden als das, was ich während dreier Jahrzehnte politischer Arbeit geredet habe. ({1}) Dennoch bin ich zunächst bereit, wenn auch schweren Herzens, den Versuch zu unterstützen, eine Aufgabenteilung herbeizuführen, die keine Mogelpakkung zu Lasten Berlins ist. Das ist für mich der Vorschlag Heiner Geißlers, den er heute morgen begründet hat. Das Parlament ist das Herz dieser Demokratie. Der Bundestag in Berlin im zusammenwachsenden Deutschland und Europa auf der einen Seite, und hier der größte Teil der Arbeitsplätze - die Menschen bangen darum - auf der anderen Seite, das ist unbequem, ist nicht optimal, aber ich sage aus meiner langjährigen Arbeit in diesem Parlament und als Arbeitsgruppenvorsitzender einer großen Fraktion, der viel mit Ministerien, Behörden und Verbänden zu tun hat: Das ist machbar. ({2}) Weil das machbar ist, sollte das versucht werden, so meine ich, damit wir Wunden vermeiden können, von denen wir heute nicht wissen, ob wir sie jemals schließen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch wenige Sätze zu einem Problem sagen, zu dem hier wieder etwas vorgetragen wurde, was falsch ist. Norbert Blüm hat damit angefangen, und es hat sich zehnmal wiederholt: Eine Konzentration auf Berlin würde das restliche Deutschland ausbluten. ({3}) Das ist falsch. Die Raumordner - so heißt das - in ganz Europa sind in der großen Mehrheit der Auffassung, daß die prosperierende Zone Europas die Region Südengland, der Beneluxstaaten, von Rhein, Main, Donau, Neckar und Norditalien ist und nicht Berlin, das Schwierigkeiten haben wird, sich im vereinten Deutschland, im vereinten Europa zu behaupten. ({4}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern! Lassen Sie Ihre Interessen nicht gegen Berlin ausspielen! Das geht zu Ihren Lasten. ({5}) Jetzt noch ein versöhnliches Wort. Da wird Angst vor dieser Stadt gepredigt. Wir wissen alle: Berlin ist lauter als Bonn, unbequemer als Bonn, holpriger als Bonn, ist ein Gesicht mit Sommersprossen, wie Hildegard Knef einmal gesungen hat. Ist es deswegen wirklich häßlicher als manches geölte und gepuderte Gesicht in Westdeutschland? Ich meine nicht. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt, objektiv gesehen, sicherlich Gründe für Bonn und für Berlin, aber vor allem gibt es bei diesem Thema viele Emotionen. Wie schwer es vor diesem Hintergrund fällt, eine Entscheidung zu treffen, zeigt die Diskussion der vergangenen Wochen. Dennoch kann ich dem Kollegen Brandt nicht zustimmen, daß dieses Thema unzulänglich vorbereitet sei und keine objektive Information bestehe. Ich mag mich täuschen, aber aus meiner kurzen Zeit als Abgeordnete hier in Bonn habe ich den Eindruck gewonnen, daß keine Entscheidung mit so vielen Gesprächen und so vielen Versuchen, einen Konsens zu finden, vorbereitet wurde. Deshalb sollten wir heute unbedingt die Entscheidung treffen. Es ist nämlich wichtig, daß endlich wieder Ruhe einkehrt. Ruhe, die wir dringend brauchen. Denn bei aller Bedeutung und Symbolkraft des TheBirgit Homburger mas, über das heute zu entscheiden ist, gibt es in unserem Land noch sehr viele andere Probleme - Probleme, die in ihrer direkten Auswirkung für die einzelnen Menschen wichtiger sein können als die Entscheidung, die wir heute treffen. Dabei erscheint mir vor allem eines wichtig: Die Entscheidung, die heute hier gefällt wird, muß von allen respektiert werden. ({0}) Das war nicht immer so. So wurde hier vor allem den Bonn-Befürwortern immer wieder vorgeworfen, sie seien nur deshalb für Bonn, weil sie hier oder in der Umgebung ihren Wahlkreis, ihre Familie oder gar Eigentum hätten. Ich bin der tiefen Überzeugung, daß sich jeder einzelne von uns intensive Gedanken darüber gemacht hat, wie er seine Entscheidung fällt. Jeder von uns ist überzeugt, daß er mit dem Votum, das er abgibt, das für die Allgemeinheit Richtige tut. In diesem Sinne stimme ich voll und ganz mit Wolfgang Schäuble überein, der heute morgen hier unter starkem Beifall sagte: Wir sind Abgeordnete des ganzen Volkes. Nur, meine Damen und Herren, das gilt für die Berliner genauso wie für die Bonner. ({1}) Ein weiterer Punkt sind die Kosten, die entstehen würden, wenn Parlament und Regierung nach Berlin umziehen würden. Von den Berlin-Befürwortern wird ins Feld geführt, daß es sich hier um eine übergeordnete historische Entscheidung handle, bei der Geld keine Rolle spielt. Wir stehen tatsächlich in einer historischen Situation. Mit der Vereinigung Deutschlands sind große Probleme auf uns zugekommen, und das macht sich auch in unserem Bundeshaushalt bemerkbar. ({2}) Er liegt aus meiner Sicht an der Grenze dessen, was wir angesichts der Ausnahmesituation, in der wir stehen, gegenüber der jungen Generation gerade noch verantworten können. ({3}) Herr Kollege Schäuble hat völlig richtig gesagt: Es geht nicht um Bonn oder Berlin, es geht um die Zukunft. Angesichts der hohen bereits existierenden Haushaltsbelastungen kann zumindest ich die Kosten für einen Umzug von Parlament und Regierung nicht verantworten; denn sie würden die finanzielle Handlungsfähigkeit zukünftiger Generationen noch mehr einschränken. Wie auch immer heute die Entscheidung ausgehen wird: Die Welt wird deshalb nicht untergehen, und jeder von uns kann mit jeder Entscheidung leben. Nur eines darf nicht passieren: Wir dürfen unter gar keinen Umständen unsere Arbeitsmöglichkeiten und die Kontrollfunktion, die wir gegenüber der Regierung haben, dadurch einschränken, daß wir Parlament und Regierung trennen. ({4}) Wir werden von den Bürgern unseres Landes nicht daran gemessen, ob wir uns für die eine oder die andere Stadt entscheiden. Wir werden daran gemessen, ob wir diese schwierige Frage in gegenseitigem Respekt und Toleranz bewältigen. Wir werden daran gemessen, ob wir nach dieser Debatte wieder die Kraft und die Ruhe dafür aufbringen, uns voll und ganz anderen wichtigen Fragen zu widmen, ob wir uns nach dieser Entscheidung die Mühe machen, der einen wie der anderen Region zu einem Ausgleich zu verhelfen, um damit Enttäuschungen zu heilen. Außerdem werden wir daran gemessen werden, ob dieses Parlament weiterhin arbeitsfähig ist, seine Aufgaben wahrnehmen kann und die Tür für zukünftige Generationen nicht zuschlägt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich entscheide mich für die Zukunft. Deshalb entscheide ich mich für Bonn. Danke. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Rupert Scholz das Wort.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die meisten Argumente sind ausgetauscht. Gestatten Sie mir einige ergänzende Bemerkungen zu einigen Argumenten. Wir sind uns einig darüber, daß dieses eine großartige Debatte gewesen ist, eine Sternstunde des Parlaments. ({0}) - Verzeihung, sie läuft noch, das ist richtig; ich berichtige mich. Daß ich für Berlin spreche, das weiß jeder. Ich möchte keinen Hehl daraus machen, daß mich etwas erschüttert hat, wie man mit dem Wort Glaubwürdigkeit umgeht. ({1}) Herr Glotz, Ihr Wort von der Moralisierung und Legendenbildung fand ich, offen gestanden, furchtbar, um nicht zu sagen: zynisch. Glaubwürdigkeit ist nicht rückwärts gewendet, sondern vorwärts gewendet. Das ist die Frage der Zukunft. Ich glaube, dies muß man einlösen. Ich habe darüber hinaus den Eindruck gewonnen, daß viele sich nicht ganz im klaren sind, was Hauptstadt bedeutet. Die Entscheidung des Einigungsvertrages ist eindeutig. Ich nehme einmal den Antrag der Bonn-Befürworter. Wenn Bundestag und Bundesregierung in Bonn bleiben, dann wird auch der Bundesrat in Bonn bleiben. Der Bundesrat entscheidet ohnehin selbst, und man wird es ihm nicht verdenken können, wenn er sagt: Ich bleibe im Zentrum der Politik. Der Bundespräsident hat - auch das ist zu respektieren - ebenfalls bereits deutlich gemacht, daß er nicht aus dem Politikzentrum dieses Landes herausgeht, ungeachtet seiner Präferenz für Berlin. Das heißt, wenn es so kommt, dann haben wir eine Entscheidung im Einigungsvertrag für die Hauptstadt Berlin, und diese Hauptstadt Berlin wird keine politischen Funktionen haben. Deshalb sind wir der Auffassung, daß das Parlament als das Herzstück einer Demokratie nach Berlin muß. ({2}) Wir sind für das Teilen; wir sind wirklich für das Teilen. Deswegen sind wir auch Heiner Geißler dankbar für seinen Kompromißantrag, den ich als Berlin-Befürworter gerne mit unterschrieben habe, um deutlich zu machen: Wir sind auch mit dieser Entscheidung und mit dieser Möglichkeit gerne einverstanden. Meine Damen und Herren, ein Zweites, was ich ansprechen möchte, ist die Frage des Föderalismus. Ich finde es erstaunlich, daß vor allem vom Land Nordrhein-Westfalen, das genauso groß ist wie die neuen Bundesländer zusammen, hier davon gesprochen wird, daß eine Entscheidung zugunsten Bonns bzw., um Herrn Rau zu zitieren, zugunsten der Rheinschiene eine Entscheidung zugunsten des Föderalismus sein soll. Von über 170 Bundeseinrichtungen sind über 70 in Nordrhein-Westfalen. ({3}) Wir haben in bezug auf den Föderalismus bereits Sünden begangen. Ich erinnere an die Änderung des Art. 51 Abs. 2 des Grundgesetzes im Einigungsvertrag. Wer hat diese denn gefordert? Kurz vor Toresschluß in der alten Bundesrepublik wurden die Stimmenverhältnisse im Bundesrat geändert. Wer war denn das? Es waren die Großen; es war Nordrhein-Westfalen. Auch das bitte ich, wenn man von Föderalismus spricht, ernst zu nehmen. ({4}) Meine Damen und Herren, Föderalismus heißt teilen und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Ich habe Verständnis für das, was hier von den Vertretern der neuen Länder gesagt worden ist, und kann es aus meiner Sicht nur mit Nachdruck unterstreichen. Aber, meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal die Realität an! Wer ist eigentlich bereit, in die neuen Länder hinübergehen? Wer ist bereit, in der Industrie, bei Messen und politischen Einrichtungen in die neuen Länder zu wechseln und dort mitzuarbeiten? Wir beschließen im Rechtsausschuß einstimmig: Das Bundesverfassungsgericht soll nach Weimar gehen. Was tun sie? Sie denken überhaupt nicht daran. Der Bundesgerichtshof könnte nach Leipzig gehen, wo das Gebäude des Reichsgerichts steht. Er denkt überhaupt nicht daran. ({5}) Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, wenn man Glaubwürdigkeit auch im Sinne des Nachvorne-Blickens und der Zukunftsgestaltung versteht, dann muß dieser Bundestag das Vorbild sein und die Vorbildentscheidung für dieses Land treffen. ({6}) Keiner wird sich in diesem Land mehr dem Ruf, zu gehen und zu teilen, verschließen können, wenn der Deutsche Bundestag nach Berlin geht. Denn auch Berlin ist ein neues Bundesland. Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt die Abgeordnete Gudrun Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die öffentlichen Diskussionen der letzten Wochen und die starke Emotionalisierung haben leider zu einigen gedanklichen Schieflagen geführt, die auch heute leise anklangen. Es ist falsch, daß die Bonn-Befürworter gegen die deutsche Einheit sind; wir sind für die deutsche Einheit. ({0}) Es ist der falsche Eindruck entstanden, daß die Bonn-Befürworter kein Verständnis für die Menschen in den neuen Bundesländern und in Berlin und ihre Sorgen haben. ({1}) Wir verstehen sehr wohl, daß dort diese Sorgen vorhanden sind und daß viele Leute meinen, mit einer Entscheidung für Berlin werde sich da schnell sehr viel ändern. Aber es stellt sich die Frage: Ist das richtig? Ich habe den Eindruck, daß hier falsche Hoffnungen erweckt worden sind, ({2}) die davon ausgehen: Wenn wir heute für Berlin entscheiden, wird morgen - nicht im wörtlichen Sinne - der wirtschaftliche Aufstieg in Berlin und in den neuen Bundesländern sofort beginnen. Auch dies ist falsch. Denn alle wissen, eine Entscheidung heute bedeutet, daß erst einmal eine Planungsphase erforderlich ist und daß anschließend noch lange Zeit vergeht, bis die Planungen umgesetzt werden und das Parlament wirklich nach Berlin kommen kann. Ich möchte mich meinem Vorredner anschließen. Warum reden wir eigentlich nur von Berlin, und warum reden wir nicht auch von Leipzig, von Weimar, von Rostock und anderen Städten? In diese Debatte könnte man auch die Verlagerung des Sitzes anderer Verfassungsorgane, z. B. höchster Bundesgerichte, durchaus einschließen. ({3}) Noch eines: Wir entscheiden hier nicht für die Abgeordneten, die heute hier sitzen. Wir alle wissen, daß das, was wir heute entscheiden, die Abgeordneten dieser Legislaturperiode überhaupt nicht betrifft. Wir entscheiden vielmehr für diejenigen, die im nächsten oder vielleicht auch erst im übernächsten und in folgenden Bundestagen sitzen. ({4}) Bis dahin werden die neuen Bundesländer eine positive Entwicklung hoffentlich bereits hinter sich haben. Bis dahin wird auch Berlin eine eigene Entwicklung haben, und da traue ich der Stadt Berlin sehr viel zu. ({5}) Ich traue ihr eine Entwicklung zu, die aus ihrer Brükkenlage nach Osteuropa hin vehemente wirtschaftliche Impulse ermöglicht, begleitet von einer guten kulturellen Entwicklung. ({6}) Die Stadt Berlin, die wir als Abgeordnete vielleicht in zehn Jahren betreten, wird eine andere sein als die, über die wir heute reden. ({7}) Dann frage ich mich, welchen Stellenwert haben Parlament und Regierung in einer solchen blühenden Metropole, die auf diese Einrichtungen überhaupt nicht mehr angewiesen ist? Ich frage mich auch: Wie laut müssen wir als Parlament dann eigentlich sein, um in solch einer Stadt mit einer so großen Ausstrahlung überhaupt noch gehört zu werden? ({8}) Ich befürchte, wir müssen dann auch in manchem überziehen, um überhaupt bemerkt zu werden. Das Parlament wird - je nach Planung - in einer Situation sein, die seine Arbeitsweise beeinflußt. Die erste Möglichkeit ist, daß wir in einem zusammengehörigen Komplex untergebracht sind. Dann entsteht so etwas wie eine Gettowirkung, und die Behauptung, wir nähmen dort am pulsierenden Leben der Bevölkerung teil, ist schlicht falsch. ({9}) Die zweite Möglichkeit ist, daß wir tatsächlich über den gesamten Innenbereich von Berlin verstreut sind; ich erinnere an die Lage der heute in den Ausstellungen gezeigten Gebäude. Dann, muß ich allerdings sagen, bekommen wir ein Parlament der langen Wege, der Verkehrsstaus usw. Angesichts dessen frage ich mich, ob unsere Arbeitsfähigkeit in dem heutigen Umfang noch gewährleistet wäre. ({10}) Deswegen sind für meine Entscheidung für Bonn zwei Punkte ausschlaggebend. Es bedarf guter Arbeitsbedingungen für ein Parlament, das seinen eigenen Stil entwickelt hat und sehr arbeitsintensiv ist. Es braucht die Möglichkeiten dazu, damit es vernünftige Entscheidungen treffen kann. Ich denke darüber hinaus an die Situation der Menschen, die hier - d. h. für mich: im Umfeld des Parlaments und der Regierung - arbeiten. Ich gebe gerne zu, in diesem Zusammenhang spielt für mich auch eine Rolle, daß der Norden von Rheinland-Pfalz sehr stark davon betroffen wäre. ({11}) Bonn gibt seinen Einwohnern, aber auch einem weiten Umfeld Brot und Arbeit. Ich fürchte, eine Metropole Berlin würde den neuen Ländern eher Menschen und Wirtschaftskraft entziehen. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam von Bonn aus das Zusammenwachsen der neuen Bundesländer fördern. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Christian Schmidt das Wort.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Entscheidung, die nach meiner Ansicht objektiv zu früh kommt und angesichts unserer vielen anderweitigen Probleme durchaus noch einige Zeit hätte reifen sollen, wird weit in die Zukunft hineinreichen. Die beiden Städte stehen jeweils für einen Teil der deutschen Geschichte. Der Teil, für den Bonn steht, ist im Vergleich zu anderen Perioden der deutschen Vergangenheit stabil, kontinuierlich und alles in allem sehr erfolgreich verlaufen. Auch die Berliner Zeit hatte neben den bekannten Tiefen, die man der Stadt nicht anlasten darf, beachtliche Höhen zu sehen bekommen. Ich erinnere nur an den schwierigen und letztendlich an Extremismus gescheiterten Versuch, die Monarchie in ein demokratisches Staatswesen umzuwandeln. Nach dem totalen Niedergang Deutschlands wurde Berlin zum Symbol der Freiheit und Einheit Deutschlands. Wir alle, Deutsche in den alten und neuen Bundesländern und speziell in Berlin, sind dieser Stadt zu Dank verpflichtet. Dieser Dank wird auch vielfältig einzulösen sein. Die heute zu treffende politische Entscheidung wird aber, wie gesagt, auch in die Zukunft reichen. Dabei gilt es, ganz nüchtern in der Abwägung zwischen beiden Möglichkeiten zu bedenken, welche Zukunftsperspektiven wir in der Bundesrepublik Deutschland unterstreichen wollen. Hierzu gehören - für meine Generation besonders stark ausgeprägt - die Bereitschaft und der Wille, das Bonner Grundgesetz und die Bonner Demokratie gemeinsam mit den Deutschen, denen damals mitzuwirken versagt war, fortzusetzen. Aus dem Provisorium Bundesrepublik von damals war aber auch schon vor der Wiedervereinigung ein etablierter Staat geworden. Durch die Zusammenfügung der beiden Teile Deutschlands wird das um so mehr bekräftigt. Aus dem Provisorium Bonn ist in den mehr als 40 Jahren ein Symbol deutscher demokratischer Tradition entstanden, über das man nicht einfach hinweggehen kann. ({0}) Christian Schmidt ({1}) Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit dem Gedankenexperiment, das Willy Brandt in bezug auf Vichy und Paris angestellt hat, ein anderes gegenüberstellen. Hätten die Väter und Mütter der Weimarer Verfassung, nachdem sie 1919 aus Berlin nach Weimar ausgewichen waren, wegen der Händel längere Jahre nicht in diese Stadt zurückkehren können, wäre dann nicht auch die Frage aufgetaucht, ob die Nationalversammlung und später der Reichstag in Weimar hätten bleiben sollen? Und - das sei erlaubt zu fragen - hätte das ruhigere Weimarer Klima in den 20er Jahren der politischen Stabilität dieser krisengeschüttelten Demokratie nicht vielleicht einen größeren Tribut gezollt als das aufgeregte Berlin, das ständig am Brodeln war? Die Königsidee des 20. Jahrhunderts, wie Konrad Adenauer die Aufgabe der europäischen Einigung bezeichnet hat, wird gegenwärtig neu gedacht, nicht mehr als westeuropäische, sondern als gesamteuropäische Konstruktion. Aus dieser Perspektive hat Berlin eine wichtige Drehscheibenfunktion für gesamteuropäische Institutionen. Allerdings ist eine dezentrale Organisation der obersten Bundesbehörden einschließlich der Bundesgerichte - ich schließe mich hier dem Kollegen Professor Scholz ausdrücklich an - der richtige Weg, um unsere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Vielfalt zu dokumentieren. Diesbezüglich tritt für mich auch das Kostenargument in den Hintergrund. Wichtig ist die Idee und wie es uns am besten gelingt, deutsche Interessen in Europa und europäische Interessen in der Welt zur Geltung zu bringen und sowohl Geschichte als auch Zukunft zu berücksichtigen. Eine in die Zukunft gerichtete Entscheidung darf deswegen gerade nicht, wie Professor Bosl formuliert, auf die Symbolik Bonns und auch nicht auf die Symbolik Berlins verzichten. Meine Entscheidung gilt deswegen dafür, in Bonn weiterhin den Regierungssitz zu behalten. Der historischen und zukünftigen Bedeutung Berlins ist Rechnung getragen, wenn der Bundestag seinen Sitz in Berlin nimmt. Ich halte den Geißlerschen Vorschlag - ({2}) - Es wird für uns nicht der bequemste sein. Aber ich meine, daß wir uns nicht nur an Bequemlichkeiten orientieren dürfen, sondern daß wir, wenn wir für das Volk und für uns selbst zu entscheiden haben, auch diese Aspekte berücksichtigen müssen. Ich halte den Geißlerschen Vorschlag wohl noch nicht als abschließend gedacht, weil er sich noch in der Praxis bewähren muß. Bei aller Abwägung und Notwendigkeit zur praktischen Überprüfung bin ich aber bereit, diesem Kompromiß zuzustimmen. ({3}) Findet dieser Antrag keine Mehrheit, dann wird aus meinem föderalen Verständnis heraus und aus der Zukunftsorientierung der deutschen Bundesrepublik nach Bonner Muster wohl die Bundesstaatslösung, ein Verbleiben beider Organe in Bonn, meine Stimme erhalten. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann es nicht leugnen! Bonn hat 40 Fieber, und es gibt nur noch die eine Diskussion. Im Grunde genommen stehen wir vor der Trennscheide einer historischen Entscheidung oder historischen Fehlentscheidung. Die Entscheidung, die wir fällen, scheint dem Zufall überlassen. Ich aber bin parteilich, und ich bin Berliner. Und auf alle jene bezogen, die sich eine endgültige Entscheidung an dem heutigen Tage wünschen, muß ich sagen, daß ich das nicht ändern kann. Denn wenn es heute zu einer Entscheidung gegen Berlin kommt, so ist die Enttäuschung riesengroß. Die kann man nicht wegdiskutieren. ({0}) Bonn stand jahrzehntelang für Vertrauen und Glaubwürdigkeit einer neuen, gefestigten, selbstbestimmten und deutschen Demokratie. Es ist ihr nämlich gelungen, das Trauma der Vergangenheit zu bewältigen und wieder Ansehen und einen gewissen Stolz zu erlangen, trotz Handicap des geteilten Deutschland, mit dem man eben leben mußte. Jahrzehntelang wurde von hier aus der Anspruch postuliert, für alle Deutschen zu sprechen, extrem formuliert in der Hallstein-Doktrin. Man war sich des Verlustes der Einheit bewußt und machte dennoch reale Politik ohne Sentimentalitäten. Oder etwa nicht? Sollen die ganzen Beteuerungen beispielsweise für Berlin als Hauptstadt eines dereinst wiedervereinigten Vaterlandes nur sentimentale Reminiszenzen an alte Zeiten gewesen sein, Waffe im kalten Krieg der eigentlichen Bewährungsprobe? Von diesem Land, von diesem Pult aus, an dem ich nun selber stehe, sind viele Signale in die DDR gesendet worden. Nicht nur mich hat diese Demokratie im Durchhalten bestärkt, hat Hoffnung gespendet, auch wenn man sich nur als Zaungast gefühlt hat. Man wirft uns manchmal vor, die wir aus dem Osten kommen, daß wir ein idealistisches Verhältnis zur Demokratie hätten. Da ist gewiß was dran. Ich bekenne mich auch dazu, und ich weiß, wie wichtig es ist für eine Demokratie, daß da Menschen sind, die eine hohe, eine überhöhte Meinung von der Demokratie selber haben. Ich bekenne mich auch dazu, in demokratischer, humanistischer und deutscher Tradition zu stehen. Wir stehen auf den Schultern unserer Vorgänger, wie unsere Nachfolger auf unseren stehen werden. Da darf man nicht Werte fahrlässig aufs Spiel setzen, einfach aus Pragmatismus, aus einer Position der Stärke heraus, wenn auch aus tiefer Besorgnis für die sozialen Probleme. Aber trotz allem: Woran soll man letztlich Politiker messen, wenn nicht an GlaubwürdigStephan Hilsberg keit? Das ist keine Bagatelle, das ist Substanz der Demokratie. ({1}) Wie Johannes Rau sage auch ich: Zieht der Bundestag nicht nach Berlin, so ist das kein Todesurteil für meine Region. Die neuen Länder werden damit zurechtkommen, weil sie damit zurechtkommen müssen. Sie sind bis jetzt mit noch viel schlimmeren Dingen zurechtgekommen. Das wird auch noch so bleiben. Aber die Wunde in Berlin wird noch lange, lange spürbar sein. Was, bitte, meine Damen und Herren, soll die Rolle Berlins denn dann sein: ein vergessenes Herz eines undankbaren Landes? 40 Jahre hat es eine eigenständige, zugegebenermaßen erfolgreiche Entwicklung der Bundesrepublik gegeben. 40 Jahre waren aber auch Deutsche in DDR und Bundesrepublik geteilt. Die Menschen aus der DDR können nichts dafür, daß sie in den Meinungsbildungsprozeß nicht einbezogen waren, daß sie nicht eingreifen durften. Sonst gäbe es die Diskussion heute auch nicht. Wollen Sie der 40jährigen Ohnmacht noch eines draufgeben, obwohl zugegebenermaßen die neuen Länder der schwächere Teil der Bundesrepublik sind? Ich bitte Sie, geben Sie sich einen Stoß; denn Berlin hat ungeheuer viel anzubieten. Die Teilung hat Berlin eher interessanter gemacht. Hier schlägt der Puls der Zeit, auch einer europäischen Zeit. Hier vollzieht sich die Vereinigung mit ihren ganzen Begleiterscheinungen. Berlin, das ist die Stadt der Jugend, und sie zieht ungeheuer viele Leute an. Berlin ist eine internationale Stadt. Hier werden die meisten Sprachen gesprochen. Berlin ist eine tolerante Stadt. Es ist ein Schmelztiegel. Das war es immer, ist es zur Zeit und wird es bleiben. In Berlin melden sich die Menschen zu Wort. Unser Bundestag, meine Damen und Herren, ist in Berlin näher bei den Menschen. Wo anders gehörte der Bundestag hin als in seine eigene Hauptstadt! Ich danke Ihnen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Karl-Heinz Hornhues das Wort.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist heute mittag schon einmal gesagt worden, aber ich will es trotzdem wiederholen: Am 3. November 1949 hat der Deutsche Bundestag beschlossen: Die leitenden Bundesorgane verlegen Ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands, Berlin. Der Bundestag versammelt sich alsbald in Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind. Das ist der Kernsatz, mit dem ich, solange ich mich mit Politik beschäftigt habe, aufgewachsen bin. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, daß, wenn die Chance besteht, dieser Beschluß verwirklicht wird. Diese Chance besteht jetzt. Andererseits bin ich auch schon zu lange Abgeordneter hier in Bonn und kenne hier zu viele Menschen, als daß ich nicht alles das, was hier vorgetragen wird, ganz ernst nähme. Wenn ich die Debatte in all ihren Dimensionen, wie sie heute bisher gelaufen ist, verfolge, dann drängt sich an sich etwas auf, was Kollege Geißler und andere, zu denen auch ich gehöre, vorschlagen, und dafür möchte ich werben. Es ist der Vorschlag, der leider erst in letzter Minute eingebracht werden konnte, weil wir bis zuletzt auf Konsens auf der Organbank oder wo auch immer gehofft haben, und deswegen vielleicht den Makel hat, keine Unterschriften von Kolleginnen und Kollegen der SPD oder der FDP zu tragen. Dieser Vorschlag hat, wenn man das Ende dessen bedenkt, was wir zu beschließen haben, den großen Vorteil, die vier zentralen Probleme, die hier heute diskutiert wurden, zu lösen. Die vier Probleme waren die Hauptstadtfrage, der Arbeitsmarkt, die Finanzpolitik, und vor allen Dingen das Thema Glaubwürdigkeit. Ich wende mich vor allen Dingen an Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, weil Sie einen anderslautenden Fraktionsbeschluß haben, der Sie bindet. ({0}) - Es ist gut, wenn Sie nicht gebunden sind, prima, hervorragend. Ich nehme es zur Kenntnis. Sie sind daran nicht gebunden, also werbe ich noch einmal. - Unser Vorschlag - bitte bedenken Sie das in den letzten Minuten, die wir noch Zeit haben, in Ruhe - löst die aufgeworfenen Fragen. Die Hauptstadt bekommt Substanz, das Herz der demokratischen Republik, das Parlament, geht nach Berlin. ({1}) Der Arbeitsmarkt und alles das, was die Menschen hier vor allen Dingen bewegt, wird berücksichtigt. Der Finanzminister kann sogar relativ ruhig sein. Es ist die auf absehbare Zeit vergleichsweise kostengünstigste Lösung. Das ausschlagende Motiv für mich - ich hoffe, auch für viele andere - ist jedoch meine Glaubwürdigkeit, nämlich die Glaubwürdigkeit, daß ich trotz vieler Sympathien für Bonn letztlich immer dafür war, daß, wenn die Chance besteht, nach Berlin zu gehen, dies auch eingelöst wird. Wir können den Beschluß vom November 1949 einlösen, und wir können gleichzeitig den Menschen hier, in dieser Region, sagen: Wir haben niemanden vergessen. Wir haben klug gehandelt, wir haben das Edelste in der Demokratie gesucht, nämlich den Kompromiß. Es gibt keinen absoluten Sieger und keinen absoluten Verlierer. ({2}) Ich möchte Sie alle herzlich bitten, noch einmal genau zu überlegen, wie Sie abstimmen. Stimmen Sie für diesen Vorschlag! Ich kann es Ihnen nur empfeh2822 len. Ich glaube, es ist das Beste, wofür man heute stimmen kann. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Harald Schäfer.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Verlauf der heutigen Debatte zeigt: Niemand in diesem Hause macht sich die Entscheidung leicht. Beide Seiten tun sich mit ihrer Entscheidung also schwer. Beide Seiten haben jeweils gute Gründe für sich. Ich will mich in meinem Beitrag auf einen Gesichtspunkt konzentrieren, der in der Debatte bislang nicht angesprochen worden ist. Als jemand, für den Ökologie Kernstück der Politik ist, ist neben den allgemeinen politischen und historischen Gesichtspunkten auch die Beantwortung der Frage von entscheidender Bedeutung, welche Lösung die umweltverträglichere Lösung ist. Wir müssen die Entscheidung „Bonn oder Berlin" auch einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen. ({0}) Dies ist für mich durchaus keine nebensächliche Frage. Im Gegenteil, wir wissen, daß wir bei allen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, heute von Anfang an auch die Frage der ökologischen Folgewirkungen mit zur Entscheidungsgrundlage machen müssen, sie in unsere Entscheidung einbeziehen müssen. Dies gebietet uns heute die ökologische Verantwortung. Bei der Entscheidung muß der ökologische Imperativ gelten, daß jeweils die Lösung zu wählen ist, die mit dem geringsten Verbrauch an Umwelt, an Energie und an Rohstoffen verbunden ist. Wer diese Fragestellung als irrelevant, als nebensächlich bezeichnet, der hat die Dimension der ökologischen Frage, auch die Dimension in historischer Tragweite, nicht verstanden. Heute kann überhaupt kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die großen Zentren, daß die Megastädte Kumulationspunkte unserer ökologischen Probleme sind. Während wie debattieren, leidet z. B. die Bevölkerung Athens unter furchtbarem Sommersmog, der zu erheblichen Gesundheitsgefährdungen führt. Paris, London und Stockholm haben ähnliche Probleme. ({1}) Es ist nicht schwer, vorherzusagen, daß auch Berlin schon bald und in wachsendem Maße vor ähnlichen Problemen stehen wird. Wir dürfen diese Probleme nicht ohne Not und sehenden Auges noch weiter verschärfen. ({2}) Natürlich müssen wir Berlin schon heute bei der Bewältigung seiner immensen Verkehrsprobleme helfen. Aber mit der Verlagerung des Regierungs- und Parlamentssitzes nach Berlin tun wir genau das Gegenteil: Wir verschärfen die heute vorhandenen ökologischen Probleme zusätzlich. Zumindest dies müssen wir bei unserer Entscheidung bedenken. ({3}) Aber es geht im Kern nicht nur um die ökologischen Probleme Berlins. In den neuen Bundesländern haben wir ökologische Altlasten gewaltigen Ausmaßes. Zur Zeit reichen die Mittel nicht einmal aus, diese Altlasten zu erfassen, zu bewerten und zu sichern. Von einer Sanierung sind wir weit entfernt, weil dafür kein Geld vorhanden ist. Ein Bruchteil der Mittel, die ein Umzug kostet und die wir dafür aufwenden müßten, genügte, mit dieser zentralen Aufgabe in den neuen Bundesländern sofort effektiv anfangen zu können. Dies sind Probleme - ich weiß das - , die manchem profan vorkommen. Ich glaube aber, es täte uns allen gut und stünde uns gut an, die anstehende Entscheidung mit etwas mehr Pragmatismus anzugehen. ({4}) Mit Symbolik, so wichtig sie sein mag und auch ist, können wir Menschen weder Arbeit geben noch reine Luft zum Atmen verschaffen. Darum lassen Sie uns bitte in Bonn bleiben und mit Hochdruck an den wirklichen Problemen der neuen Länder arbeiten. Bonn ist auch ökologisch die bessere Lösung. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001235, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was gibt es eigentlich in einer Debatte noch Neues zu sagen, in der Argumente öffentlich und auch heute hier umfassend ausgetauscht worden sind? ({0}) Aus schleswig-holsteinischer Sicht kann ich nur sagen: Wir sind langsam reif für die Abstimmung. ({1}) Man kann eine gute Sache auch mit schlechten Argumenten belegen; auch davon haben wir heute einiges gehört. Ich selbst und meine Kollegen aus Schleswig-Holstein sind für Berlin. ({2}) Die Begründung reiche ich nur zu Protokoll, weil ich denke, daß man die Debatte nicht unsäglich verlängern sollte. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Peter Hintze.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu dieser vorgerückten Stunde ({0}) mit einer kurzen Geschichte zum Thema dieses Tages beginnen. Gestern abend habe ich einem Berliner Kollegen von meinem Erlebnis mit einer Wuppertaler Schülergruppe erzählt. Die große Mehrheit der Jugendlichen hatte sich, bevor ihr Abgeordneter seine eigene Position darlegte, spontan für Bonn entschieden. Wissen Sie, was mir der Berliner Kollege daraufhin gesagt hat? Die kennen eben die deutsche Geschichte nicht. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Erklärung wird weder unserer Frage noch den Jugendlichen in ihrer Position gerecht. ({1}) Ich glaube, die Jungen kennen unsere Geschichte; aber sie ziehen ihre eigenen Schlüsse. Gerade weil sie die deutsche Geschichte kennen, fragen sie: Warum sollen wir von Bonn weggehen, von Bonn, das Demokratie, Freiheit und Einheit gebracht und gelebt hat? ({2}) Warum sollen wir Bonn verlassen, den Ort, von dem es gut wurde für ganz Deutschland? Auch ich möchte den meisttraktierten Begriff des heutigen Tages ansprechen: Ist das nicht auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, um die hier heute so viel gestritten wurde? ({3}) Wenn wir Glaubwürdigkeit wollen, welchen Maßstab legen wir an? Ich denke, der beste Maßstab ist unser Grundgesetz. Übrigens, wir mögen uns daran erinnern: Es war zunächst als Provisorium gedacht, genauso wie der Parlaments- und Regierungssitz Bonn. Beides hat sich für Deutschland in besonderer Weise und nicht zuletzt auch für Berlin glücklich ausgewirkt. ({4}) Jetzt gehen wir daran, dieses Grundgesetz - das ist jedenfalls meine Meinung -, das so eng mit Bonn verknüpft ist, zu erweitern. Ich möchte es nicht abschaffen, und ich möchte es nicht durch etwas Neues ersetzen. Denn es hat sich ebenso wie unser Parlaments- und Regierungssitz bewährt. ({5}) Das Grundgesetz als Maßstab der Glaubwürdigkeit, das bedeutet, seinen Gehalt beachten: der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht Nationen, Geschichte oder Ideologie, wie es Art. 1 besagt. Art. 20 des Grundgesetzes besagt, daß der Staat ein föderaler und sozialer Rechtsstaat ist, ein Staat für die Menschen, für die Werftarbeiter in Mecklenburg und Vorpommern, für die Textilarbeiterinnen in Thüringen und Sachsen, für die Menschen in allen Teilen Deutschlands. Jetzt ist die Zeit, dies umzusetzen und zu leben. Jetzt ist die Zeit, in der für alle Menschen in Deutschland das Wort „Zukunft" wieder einen Sinn hat. ({6}) Jetzt ist die Zeit, in der wir zusammen mit anderen Völkern das europäische Haus bauen. Laßt uns das in dieser Zeit von einem Ort aus tun, der für eine Demokratie steht, die ihre eigentliche Zukunft, die europäische, noch vor sich hat! Laßt uns dies von Bonn aus tun; denn jetzt ist Zeit, in der der Satz von Romain Rolland gilt: Mein Vaterland ist nicht gestern, mein Vaterland ist morgen. - Lassen wir die Hauptstadtehre in Berlin! Lassen wir Parlament und Regierung in Bonn! Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Unsere Entscheidung für Berlin oder Bonn sollten wir zwei Prüfungen unterziehen. Zunächst einmal ist die Vergangenheitsprobe zu machen, von der bereits heute vormittag mehrmals die Rede war und mit der wir die Frage beantworten müssen, ob wir uns tatsächlich von den Beteuerungen in den letzten 40 Jahren lösen können. Wolfgang Thierse, Wolfgang Schäuble, Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel und Helmut Kohl haben dazu das Notwendige und Richtige gesagt. ({0}) Wichtiger ist vielleicht aber die Zukunftsprobe: Welche Entscheidung kann morgen und übermorgen noch Bestand haben? Ich glaube, daß sich diese zweite Frage genauso eindeutig beantworten läßt, und zwar zugunsten von Berlin. ({1}) Ich habe großes Verständnis für die Umstellungsschwierigkeiten, die zur Sprache kamen, und ich will sie nicht verharmlosen. ({2}) Aber wir alle leben in sich verändernden Zeiten und müssen Veränderungen annehmen und auf uns nehmen. Außerdem war es mit Sicherheit schwieriger für die Berlinerinnen und Berliner, während nahezu drei Jahrzehnten in einer eingemauerten Stadt zu leben, als es sein wird, die Unannehmlichkeiten und Beschwernisse zu verkraften, die bei einem Umzug innerhalb einer sehr geräumigen Übergangszeit für die eine oder den anderen entstehen. ({3}) Ohnehin sollte der Kirchturmshorizont nicht maßgeblich sein. ({4}) Deshalb können nach meiner Auffassung regionalpolitische Gründe weder für Berlin noch für Bonn den Ausschlag geben. ({5}) Manche haben sich im Status quo - vielleicht auch der Kollege Penner - recht behaglich eingerichtet. Sie scheuen die Zugluft. ({6}) Sie müssen aber begreifen, daß mit Niederreißen der Mauer und des Eisernen Vorhanges ein neues Europa Wirklichkeit zu werden beginnt. Dies fordert von uns ein neues Wahrnehmungsvermögen, das auch die Handlungsfähigkeit der Politik verbessern wird. Die Entscheidung für Berlin hat insofern nicht nur symbolische Bedeutung, sondern folgt der Erkenntnis, daß viele politische und gesellschaftliche Wirklichkeiten von Berlin aus unmittelbarer erfaßt werden können, als es von Bonn aus möglich ist. ({7}) Die Akustik der deutschen Geschichte ist in Berlin deutlicher und schärfer. Das Gespür für die heraufkommenden sozialen Konflikte wird uns in Berlin direkter abverlangt werden als in Bonn. Berlin eröffnet aber auch neue europäische Sichtweiten und Blickfelder in die Region Mittel- und Osteuropas, die bisher von der europäischen Entwicklung abgeschnitten waren. Schließlich wird sich die Politik in Berlin in einem vitalen Kulturleben behaupten müssen, das ihr, so hoffe ich, manche Gemächlichkeit, Behäbigkeit und Indifferenz abgewöhnen wird. Ich stimme Peter Glotz zu, wenn er beharrlich vor neuen nationalistischen Tendenzen warnt. Wer aber einer explosiven Situation in den neuen Bundesländern entgegenarbeiten will, in der sich soziale Probleme mit nationalistischem Gedröhn mischen könnten, der muß sich für die Intensivierung der Demokratie in Berlin entscheiden; sonst bleibt Bonn die Überhauptstadt, München die heimliche Hauptstadt, und Berlin wird die unheimliche Hauptstadt. ({8}) Bemerkenswerterweise haben die Linken in den europäischen Nachbarländern die Befürchtungen mancher deutscher Linken nicht. Deshalb darf ich als designierter Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Toskana meine kurzen Bemerkungen mit einem Zitat aus der italienischen Zeitschrift „Manifesto" schließen, ({9}) die man heute in der „taz" nachlesen kann, in der es heißt: Falls die sozialen Argumente, die es verlangen, einer Marginalisierung des Ostens etwas entgegenzusetzen, nicht ausreichen, sollte man wenigstens im Namen der Realpolitik an einen Rat Machiavellis denken, der lautet: „Falls du ein neues Territorium erwirbst, verlege dorthin deine Hauptstadt. " ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu Otto Schily bin ich für Bonn als Sitz von Parlament und Regierung. ({0}) Aber wichtig für uns ist heute, daß wir entscheiden und daß das öffentliche quälende Gezerre endlich ein Ende hat. ({1}) Ich bin den Repräsentanten unserer Republik dennoch dankbar, daß sie so viele Stunden und Nächte geopfert haben, um einen Kompromiß zu finden, auch wenn er nicht gefunden wurde. Bei allem Respekt: Es war mir gelegentlich etwas zuviel der Fürsorge. Wir Parlamentarier, meine ich, sind Frau und Manns genug, um selber eine Entscheidung zu treffen und diese auch heute in Zukunft zu verantworten. Bei allem Respekt vor dem Souverän: Diese Entscheidung haben wir im Deutschen Bundestag, hier im Plenum zu treffen und zu verantworten. So verstehe ich die repräsentatitve Demokratie. Ein Volksentscheid hätte den falschen Eindruck vermittelt, als ob wir in dieser schwierigen Situation nicht fähig gewesen wären, eine Entscheidung zu fällen. Sicher ist die heutige Entscheidung schwierig; denn es gibt für beide Städte gute Argumente. Aber kein, erst recht kein gutes Argument ist die Trennung von Regierung und Parlament, denn wir wollen die Regierung kontrollieren können. ({2}) Es ist auch kein gutes Argument, die Entscheidung auf der Zeitschiene weiter vor uns herzuschieben. Auch das würde nur die Ungewißheit verlängern. Wir wollen heute entscheiden. Ich glaube, wir können uns gegenseitig nicht mehr überzeugen. Ich gehe davon aus, daß jeder weiß, wie er abstimmen will, und daß jeder seine Entscheidung sorgfältig abgewogen und bedacht hat. Ich bin für Bonn, weil ich für eine dezentrale und föderative Struktur Deutschlands bin. Bonn steht für den demokratischen Neuanfang Deutschlands. Bonn steht für die Fortführung des föderativen Modells mit Blick auf die europäische Einigung, also für die Zukunft. Ich will keine historische, nationalstaatliche Anknüpfung. Ich will keine Megastadt und keine übermächtige Regierungszentrale. Schon heute hat Berlin eine große Anziehungskraft. Sie wird weiter wachsen. Wenn dazu noch Parlament und Regierung hinzukämen, würde Berlin überfrachtet. Damit wäre auch Deutschland nicht geholfen. Meine Damen und Herren, vor allem aus den neuen Bundesländern, eine Entscheidung für Bonn ist keine Entscheidung gegen die neuen Bundesländer, eher eine Entscheidung für die neuen Bundesländer; denn der Aufschwung Ost hängt nicht vom Sitz des Parlaments ab. Es wird nicht besser regiert, wenn Berlin auch Regierungssitz wird, von den Kosten ganz zu schweigen. Die Kosten sind zwar ein wichtiges, aber für mich nicht das entscheidende Argument. Die Gelder wären sicher für den Aufbau in den neuen Bundesländern besser eingesetzt. Im Interesse von Berlin und im Interesse der neuen Bundesländer bin ich für Bonn. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm ({0}).

Wilfried Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich schmerzt es, daß diese Debatte, so gut und interessant sie ist, überhaupt geführt werden muß. ({0}) Seit über 40 Jahren haben sich doch alle Demokraten zu Berlin als der Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands bekannt und Bonn als das Provisorium bis zu dem Zeitpunkt bezeichnet, an dem Berlin seine Funktion als Hauptstadt wieder ausfüllen kann. Voraussetzung der heutigen Debatte hätte darum eigentlich sein müssen, alle entsprechenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages aus vier Jahrzehnten aufzuheben und zu bekennen, daß man entweder das früher gegebene Wort zu brechen bereit ist, daß man es früher so ernst nicht gemeint hat, oder - was am schlimmsten wäre - im stillen gar gehofft hat, es nie einlösen zu müssen. Daher geht es heute nicht um die Frage von Zweckmäßigkeiten und lieben Gewohnheiten, sondern es geht um die Zuverlässigkeit der deutschen Politik, die Zuverlässigkeit der Versprechungen des Deutschen Bundestages und die persönliche Glaubwürdigkeit der Politiker. Heute wurde mehrfach behauptet, diese Argumentation sei rückwärtsgewandt. Dem widerspreche ich energisch. Sie richtet vielmehr den Blick nach vorn; denn in der Demokratie ist die Glaubwürdigkeit der handelnden Politiker das Fundamt der Zukunftsgestaltung. Für mich ist die CDU die Partei der deutschen und europäischen Einheit. ({1}) Darum gehöre ich ihr an. Unzählige Parteitagsbeschlüsse und Bekenntnisse, klare Aussagen ihrer führenden Politiker haben die Einheit Deutschlands in einem Atemzug mit der Hauptstadt Berlin als unveräußerliches Ziel der CDU genannt. Das gültige Grundsatzprogramm von 1978 formuliert: „Berlin bleibt die Hauptstadt von ganz Deutschland." Für unsere Schwesterpartei, die CSU, bekannte Franz Josef Strauß am 25. April 1974 in Berlin, daß diese Stadt für uns die Hauptstadt Deutschlands war, die Hauptstadt Deutschlands ist und nach der politischen Wirklichkeit von morgen wieder die Hauptstadt Deutschlands sein wird. Ich fühle mich im Wort, ich stimme für Berlin. ({2}) In den Jahrzehnten der Teilung unseres Vaterlandes haben wir unzählige ausländische Gäste nach Berlin an die schreckliche Mauer geführt. Wir haben sie gebeten: Helft uns, die Einheit in Frieden und Freiheit zu erreichen, helft uns, daß Berlin als Symbol des Freiheitswillens der Deutschen seine Aufgabe als Hauptstadt wieder erfüllen kann. Viele Freunde aus aller Welt haben uns geholfen, dieses Ziel zu erreichen, weil sie uns heute als Europäer akzeptieren und uns das Recht auf unsere nationale Identität selbstverständlich zugestehen, wie sie selbst die ihre für sich in Anspruch nehmen. Viele von ihnen schauen verständnislos auf die Hauptstadtdebatte, die die Deutschen vom Zaune gebrochen haben. Was wird Michail Gorbatschow über diese Deutschen denken, wenn er sich an die mutigen und klaren Worte des Oberbürgermeisters der Stadt Bonn erinnert, der ihm in völliger Übereinstimmung mit der Politik der CDU im Januar 1989 ins Gesicht gesagt hat, die Verantwortlichen im Bonner Rathaus seien sich der Aufgabe bewußt - ich zitiere -, „Hauptstadt eines Staates zu sein, der sich selbst nicht als endgültig empfindet, dessen Ziel die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit mit der Hauptstadt Berlin ist"? ({3}) Der Trick, Berlin zwar Hauptstadt zu nennen, die Hauptstadtfunktionen aber von Bonn aus auszuüben, ist absurd. In 155 von 160 Staaten dieser Welt gilt das Normale: Hauptstadt ist da, wo Parlament und Regierung eines Staates ansässig sind. Hauptstadtfunktion wird durch die Anwesenheit von Staatsoberhaupt, Parlament und Regierung überhaupt erst begründet. Alles andere ist fauler Zauber, Mogelei, bestenfalls Formelkompromiß. In 95 % aller Staaten dieser Welt gibt es keine Aufgabenteilung. Die Niederlande sind kein Gegenbeispiel. Von Den Haag nach Amsterdam sind es ganze 30 km, so viel wie vom Wannsee in die Berliner City. Hauptstadt ist eben auch ein Symbol wie Fahne und Hymne. Berlin aber ist für mich ein deutsches Symbol in allen Höhen und Tiefen unserer Geschichte, und das gerade dann, wenn wir Deutschen so normal sein wollen wie die anderen auch. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Eich.

Ludwig Eich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000446, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicher wahr, daß diese Entscheidung mehr als sonst unter dem Gesichtspunkt der Berechenbarkeit und der konkreten Hinwendung zu den betroffenen Menschen geprüft wird. Die Berliner argumentieren, wie mein Vorredner hier gerade geschildert hat: 40 Jahre wurde gesagt, Berlin ist die Hauptstadt, und das mit allen Konsequenzen. Die Berliner sind in dieser Frage sicher betroffen. Aber ist das die Betroffenheit in aller Gänze? Ich frage also: Wer ist hier noch betroffen? Welche Verantwortung ist in 40 Jahren in Richtung Bonn gewachsen, welche Verantwortung tragen wir für diese Menschen? Meine konkrete Betroffenheit - das gebe ich zu - hat damit zu tun, daß ich Rheinländer bin. Ich werde mich keine Sekunde dafür entschuldigen, wenn ich sage: Ich spreche als Rheinländer, ich spreche für meine Heimat. Meine Verbandsgemeinde Asbach ({0}) hatte 1950 etwas mehr als 10 000 Einwohner; sie hat heute etwas mehr als 18 000 Einwohner. ({1}) Das ist in diesen 40 Jahren eine Zunahme der Bevölkerung um 75 %. Das ist für die Kommunen eine gewaltige Aufgabe, ({2}) die damit zu tun hat, daß es den Regierungs- und Parlamentssitz Bonn gab. Wohnungsprobleme waren zu lösen; Infrastruktur mußte geschaffen werden; vom Krankenhaus bis zum Altenheim mußte viel geschehen. Dabei ging es nicht nur um Kosten, sondern das hat auch etwas mit Landschaftsverbrauch zu tun, wenn hier die Frage der Ökologie auch einmal eine Rolle spielen darf. ({3}) Ich erinnere mich an so manchen Konflikt zwischen den Neusiedlern und den Altbürgern. Ich erinnere mich daran, daß die Neusiedler kamen, ihre Häuschen bauten und als erstes eine Hecke, eine Mauer darum zogen. Heute sind sie Mitglieder unserer Dörfer, unserer Gemeinden, unserer Vereine. Ich will damit klar sagen: Hier ist eine Struktur gewachsen, nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell. Ich denke, dies ist bei der heutigen Entscheidung wichtig. Auch von den Befürwortern Berlins kann nicht ignoriert werden, daß eine Verantwortung für diesen Bereich gewachsen ist. Das Versprechen für Berlin kann nur insoweit tragen, als diese Verantwortung für Bonn und das Rheinland nicht entstanden ist. Nein, wir haben uns in den Gemeinden und Kommunen nicht auf ein Provisorium eingerichtet. Wir haben uns auf Menschen eingerichtet. Ich weiß auch nicht, wie man es machen kann, einen provisorischen Flächennutzungsplan oder eine provisorische Infrastruktur zu schaffen. ({4}) Ich denke, das ist völlig klar. Ich möchte deswegen auch von den Berlinern einmal hören, daß es hier ein Stück Verantwortung gibt. Wir haben uns für die Menschen und für die Bewältigung eines Problems entschieden. Wenn hier Berechenbarkeit gefordert ist, dann bitte auch in dieser Richtung. Wir stehen vor einem Dilemma, weil es zutrifft, daß wir zwei Denkstrukturen, zwei Erfahrungen, zwei Welten mit zwei Hauptstädten und natürlich mit zwei gewachsenen Strukturen haben. Ich finde es nicht komisch - ich widerspreche dir nicht gern, lieber Hans-Jochen - , wenn hier der Eindruck erweckt wird, daß man Bonn für seine Rolle in der deutschen Geschichte mit einem Programm der Strukturhilfe abfinden kann. Das kann ja wohl nicht wahr sein. ({5}) Die Rolle Bonns in der deutschen Geschichte hat etwas mehr verdient. Sie hat vor allem Verantwortung verdient. Wenn von Solidarität die Rede ist - meine Redezeit ist zu Ende -, ({6}) dann ist es nicht richtig, wenn erwartet wird, ein Stück dieser Infrastruktur in dem Glauben hinüberzutransportieren, man könne dabei irgendetwas gewinnen. ({7}) Nein, wir müssen uns für beide Bereiche entscheiden, weil wir für beide Bereiche Verantwortung tragen. Ich bin sicher, meine Entscheidung für Bonn wird nicht nur vor der Geschichte, sondern auch und besonders vor den Menschen Bestand haben. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir nachher abstimmen, müssen wir uns darüber im klaren sein, was es heißt, wenn es nach der Entscheidung Sieger und Besiegte gibt. Die Besiegten dürfen nicht die Bonner und dürfen auch nicht die Berliner sein. Statt dessen sollten wir die Spaltung unserer Bevölkerung in der Hauptstadtfrage überwinden. Die Wahl des Sitzes von Parlament und Regierung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur inneren Einheit Deutschlands. Deshalb waren wir uns lange über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, diese Entscheidung nicht im K.o.-Verfahren zu treffen, bei dem entweder Bonn oder Berlin auf der Strecke bleibt, sonDr. Andreas Schockenhoff dern wenn irgend möglich, eine Konsenslösung zu finden. Beide Seiten wollen den Parlaments- und Regierungssitz. Wer es mit dem Teilen in dieser Frage ernst meint, muß bereit sein, Regierung und Parlament räumlich zu trennen. Das ist in der Substanz der einzige Kompromiß. ({0}) Ich weiß, daß viele im Saal Bedenken gegen eine solche Trennung haben, obwohl erfahrene Parlamentarier, die Bundestagsverwaltung und die Bundesregierung dies für praktikabel halten. In der Debatte ist aufgezeigt worden, mit welchen Instrumenten die Kommunikation zwischen Regierung und Parlament gewährleistet werden kann. Wir wachsen doch in ein Europa hinein, wir werden doch immer mehr nationale Kompetenzen an die Europäische Gemeinschaft abtreten. Wir werden es erleben, daß wir wichtige Entscheidungen, die wir zu treffen haben, mit dem Europäischen Parlament und vielleicht einmal mit einer europäischen Regierung abzustimmen haben. Das darf doch keine Frage der Entfernung sein! Wenn diese Kommunikation nicht möglich wäre, wie sollten wir uns dann die Zukunft Europas vorstellen? ({1}) Ich gebe zu, daß es einfacher und bequemer für uns ist, wenn Bundestag und Bundesregierung in einer Stadt sind; aber es wäre auch ein Beitrag zur Überwindung der deutschen Teilung, wenn die Abgeordneten dieses Hauses den Bürgern zeigen würden: Wir sind bereit, die Nachteile einer Trennung von Parlament und Regierung in Kauf zu nehmen, wenn wir dadurch die Alternative vermeiden können, entweder den Menschen im Rheinland beides zu nehmen oder den Menschen im Osten unserer Republik keines von beiden zuzugestehen. ({2}) Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, der schwierigen deutschen Wirklichkeit gerecht zu werden und dem Konsensantrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute wird eine wichtige Entscheidung gefällt, auf die Millionen Menschen in den alten Bundesländern und erst recht in den neuen Bundesländern mit Spannung blicken. Wir alle wissen, daß es nicht nur ein Tauziehen zwischen zwei Städten ist, sondern daß es um Hunderttausende von Menschen geht, um ihre Arbeitsplätze, um das Wohl und Wehe ganzer Regionen. Weil dies so ist, wäre mir wohler, wenn dem Deutschen Bundestag verläßlichere Entscheidungsgrundlagen vorliegen würden, damit wir die Konsequenzen unseres Handelns besser abwägen könnten. Das betrifft z. B. die Kostenschätzungen, das betrifft z. B. einen realistischen Zeitplan, der besagt, was vor dem Jahre 2000 noch geleistet werden könnte, wenn das Parlament tatsächlich nach Berlin umzöge. Das betrifft auch Entwicklungsprogramme für die betroffenen Regionen, falls sie nicht Parlaments- und Regierungssitz beherbergen werden. Auch ich mache mir Gedanken darüber, welche Auswirkungen eine große Metropole auf die Umwelt haben würde. Aber ich komme zu anderen Schlußfolgerungen als mein Kollege Harald Schäfer. ({0}) Ich widerspreche ausdrücklich dem Horrorgemälde von der Megastadt. Denn jetzt haben wir die ungeheure Chance, gerade jene Fehler nicht zu wiederholen, die wir bei der Entwicklung der alten Bundesrepublik gemacht haben. Das heißt, wir sollten von vornherein breit gefächerte öffentliche Verkehrssysteme anlegen, ({1}) verdichtetes Bauen realisieren, die Entfernungen zwischen Wohnungs- und Arbeitsplatz nicht verlängern, sondern verkürzen. Dies alles ist machbar; ich könnte mir vorstellen, daß wir aus dem Großraum Berlin ein Zukunftsmodell machen, das tatsächlich weiterführt und das uns auch hilft. ({2}) Lassen Sie mich kurz auf zwei Punkte eingehen, die hier in der Debatte aufgegriffen worden sind. Ich möchte den Einwand korrigieren, den Frau Adam-Schwaetzer vorgebracht hat, nämlich daß die Diskussion zu stark rückwärtsgewandt sei. Ich wehre mich dagegen. Es ist kein rückwärtsgewandtes Argument, wenn die Berlin-Befürworter daran erinnern, daß der Deutsche Bundestag mehrfach beschlossen und bekräftigt hat, daß Berlin Parlaments- und Regierungssitz sein soll, wenn die Chance der Vereinigung kommt, wenn freie Wahlen in ganz Berlin und in der ehemaligen DDR stattfinden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zeitpunkt ist da. Wenn jetzt nicht mehr wahr sein soll, was 40 Jahre lang treuherzig verkündet worden ist, dann ist das keine Frage von Vergangenheit und Zukunft, sondern eine Frage der heute schon so oft beschworenen Glaubwürdigkeit. ({3}) Das Parlament - ich bitte um ein bißchen Aufmerksamkeit - läuft Gefahr, als Ganzes Schaden zu nehmen, wenn seine Glaubwürdigkeit ins Wanken gerät; ({4}) denn die Bürger sind irritiert, sie sind zum Teil sogar empört. In den neuen Ländern sind sie abgrundtief enttäuscht. Sie fürchten, aufs neue ins Abseits zu geraten. Das geht an den Nerv der parlamentarischen Demokratie. Hier müßte das Warnlicht aufblinken. Bonn steht für eine gute, erfolgreiche Phase der deutschen Geschichte. Ich fühle mich wohl in Bonn; ich mache überhaupt keinen Hehl daraus. Ich denke aber, daß jetzt etwas Neues begonnen hat und daß wir uns den neuen Herausforderungen auch stellen müssen. In Berlin war die Wunde am deutlichsten spürbar. In Berlin wächst, wie ich meine, am sichtbarsten zusammen, was zusammengehört. Ich spreche deshalb für Berlin, weil ich an die Zukunft denke. Europa ist größer geworden. Wer das größere Europa will, muß sehen, daß Berlin eine Brükkenfunktion einnimmt. ({5}) Europa erweitert sich nach Osten. Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, auch die UdSSR fühlen sich wieder als europäische Länder. Das ist doch eine ungeheuer positive Perspektive. Wer wollte nicht mithelfen, den europäischen Frieden auch auf diese Weise zu sichern? Wir dürfen diesen Ländern nicht den Rükken zukehren, sondern wir müssen offen sein. Wir müssen offenen Herzens auf Osteuropa zugehen; übrigens auch, wie ich hoffe, mit offenen Händen. ({6}) Berlin liegt künftig im Schnittpunkt dieses europäischen Kräftefeldes. Deswegen sollten wir uns dafür entscheiden. Ich füge hinzu, daß wir gleichzeitig unsere Verantwortung für Bonn nicht vergessen dürfen. Das darf keine Floskel sein. Wenn es heute möglich ist, alte Wunden zu schließen, dann dürfen wir keine neuen aufreißen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein, als erfahrene Parlamentarierin wissen Sie, daß Sie mich wegen der Redezeit in Verlegenheit bringen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß, Herr Präsident. Ich bin auch am Schluß. Ich bitte Sie, Berlin seine alte Würde wiederzugeben ({0}) und die Stadt nicht mit einem Trostpreis abzuspeisen, aber Bonn darüber nicht zu vergessen. ({1}) Helfen wir gemeinsam. Danke schön. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Sitz von Regierung und Parlament der Bundesrepublik Deutschland setzt den Schlußpunkt einer in den vergangenen Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit und natürlich auch unter uns ausführlich und - wie sollte es anders sein? - kontrovers geführten Diskussion. Die Argumente für und gegen die unterschiedlichen Lösungsvorschläge sind ausgetauscht und, wie ich denke, auch ausdiskutiert worden. Eine Verschiebung der Entscheidung, wie sie noch bis in die letzten Stunden im Gespräch war, hätte keine neuen Argumente gebracht. Deshalb ist es gut, daß wir heute mit einem Beschluß den aus meiner Sicht in den letzten Tagen immer quälender gewordenen Prozeß eines Hin-und-Her-Schiebens unserer obersten Verfassungsorgane ein Ende machen. Das deutsche Volk, die Städte Bonn und Berlin und deren Menschen haben einen Anspruch auf eine klare Entscheidung: Trennung von Regierung und Parlament ja oder nein, Berlin oder Bonn? Darum geht es heute. Ich habe meine Entscheidung getroffen und möchte sie begründen. Ich nehme zunächst Stellung zu der Frage einer Trennung von Regierung und Parlament. Unsere Verfassung enthält zwar kein ausdrückliches Verbot einer Trennung von Regierung und Parlament. Man könnte, wie dies heute in der Debatte vorgetragen worden ist, in einer solchen Trennung nur ein kommunikations- und verkehrstechnisches Problem sehen. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen. ({0}) Für mich gehört die räumliche Identität von Regierung und Parlament zu einer der elementaren Selbstverständlichkeiten einer demokratischen Verf as-sung. ({1}) Der Vorschlag, Regierung und Parlament räumlich zu trennen, gefährdet nach meiner tiefen Überzeugung die parlamentarische Demokratie und widerspricht dem Geist und der Struktur unserer Verfassung. ({2}) Deswegen werde ich diesem Vorschlag nicht zustimmen. Nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Argumente habe ich mich schließlich entschieden, meine Stimme heute für Bonn als Sitz von Regierung und Parlament abzugeben. ({3}) Ich will dies kurz begründen: Bonn steht für mich für die erste gelungene Demokratie der Deutschen in ihrer Geschichte, für den gelungenen Anfang der Deutschen nach 1945. Bonn steht für mich für die Einbindung Deutschlands in die Wertegemeinschaft der westlichen Demokratien, in die Europäische Gemeinschaft und in das westliche Sicherheitsbündnis. Bonn steht für eine klare deutsche Friedenspolitik und für die Berechenbarkeit der Deutschen im Verhältnis zu ihren Nachbarn. Bonn steht damit für das, was die Welt und unsere europäischen Nachbarn heute mit dem neuen Deutschland an Positivem verbinden. - Nicht nur das; Bonn steht für den förderalistischen Charakter der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, Berlin wird im Konzert der deutschen Städte eine herausragende Stimme haben. Es sollte aber nicht als Regierungs- und Parlamentssitz die alles übertönende Stimme werden. Wir brauchen die Hauptstadt eines Bundesstaates, nicht jedoch ein Zentrum, das Macht und Menschen ballt. Berlin ist und wird noch mehr eine pulsierende Metropole. In zehn Jahren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wird Berlin so viele Einwohner wie Hamburg, München und Köln zusammen haben. ({4}) Meine Damen und Herren, der Regierende Burgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, hatte recht, als er 1987 sagte: Hauptstadt meint nicht ausschließlich Verwaltungs- und Regierungssitz, sondern Hauptstadt meint geistig-kulturelles Zentrum. Der damalige und jetzige Regierende Bürgermeister von Berlin sprach damit aus, was ich für eine pragmatische, vernünftige Lösung im Streit um den Sitz von Parlament und Regierung halte; denn wir haben in Bonn einen funktionierenden Regierungs- und Parlamentssitz und mit Berlin eine Metropole, die an Attraktivität unabhängig von der heutigen Entscheidung weiter zunehmen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mag auch das Herz vieler für Berlin schlagen, Kopf und Verstand sprechen meiner Meinung nach klar für Bonn. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.

Gunter Huonker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000981, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sachargumente sind viele ausgetauscht. Ich möchte mich auf einen Punkt beschränken, auf das Thema der Glaubwürdigkeit. In der heutigen Debatte wurde häufig gesagt, der Deutsche Bundestag hätte sich in den vergangenen Jahren immer wieder oder ständig durch Beschlüsse zu Berlin als Hauptstadt bekannt. Das Verbleiben von Parlament und Regierung in Bonn zerstöre deshalb Vertrauen in politisches Handeln. Immer wieder Bekenntnisse zu Berlin als Symbol der Freiheit, zur Wahrung seiner Lebensinteressen - das ist gewiß wahr. Es trifft aber nicht zu, daß der Bundestag in den vergangenen Jahren immer wieder Beschlüsse zur Hauptstadt Berlin gefaßt hat. Abgesehen vom Einigungsvertrag, stammt der letzte Beschluß dieses Hauses zur Hauptstadt Berlin vom 15. März 1962. Für diese Abstinenz, meine Damen und Herren, gab es jedenfalls seit Beginn der 70er Jahre gute deutsch-land- und berlinpolitische Gründe. Nur, wer gegen eine Entscheidung für Bonn die Glaubwürdigkeit ins Feld führt, der müßte offen sagen, daß sich dieser Deutsche Bundestag das letzte Mal vor 29 Jahren, d. h. vor einer Generation, durch Beschluß zur Hauptstadt Berlin bekannt hat. ({0}) - Ihnen ist bekannt, warum damals das Votum des innerdeutschen Ausschusses, auf das Sie Bezug nehmen, im Einvernehmen aller großen Fraktionen nicht auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt worden ist. ({1}) Das ist die Wahrheit. Wer etwas Gegenteiliges sagt, der verschweigt die Wahrheit. ({2}) Meine Damen und Herren, was hat sich in einer Generation fundamental geändert? Was ist neu? Ich erwähne das Thema Europa. Zur geschichtlichen Kontinuität gehört auch der geschichtliche Wandel. ({3}) Die von Willy Brandt eingeleitete Deutschland- und Ostpolitik ist dafür ein schlagender Beweis. Ich bitte die Älteren unter uns, sich einmal an jene dramatische Debatte am 24. Februar 1972 um den Moskauer und Warschauer Vertrag zu erinnern, als der CDU-Abgeordnete Dr. Marx, der außenpolitische Sprecher, mit dem Stichwort Glaubwürdigkeit die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten angegriffen hat. Es empfiehlt sich nachzulesen, was die Vertreter der sozial-liberalen Koalition damals entgegnet haben. Ich füge hinzu: Manche Vorwürfe an die Adresse der Bonn-Befürworter, die heute gemacht worden sind, wären wohl relativiert worden, wenn man die damaligen Maßstäbe beim Stichwort Glaubwürdigkeit auch heute gelten lassen würde. Ich berufe mich nicht darauf, daß ich dem Deutschen Bundestag 1962 nicht angehört habe, aber ich will schlicht und einfach darauf hinweisen, daß es seit jener Zeit keine Gelegenheit gegeben hat, über Hauptstadt und Sitz von Parlament und Regierung zu diskutieren und darüber zu entscheiden. Ich füge gleich hinzu: Ist es eigentlich fair, wenn in dieser Debatte gefragt wird, warum denn die Anhänger Bonns vor dem Fall der Mauer keine Hauptstadtdiskussion geführt hätten, wenn doch jedermann weiß, daß wir in jener Zeit alle Hände voll damit zu tun hatten, das Lebensrecht Berlins zu sichern und seinen Status auszubauen? Das war damals unsere Aufgabe, und nicht die Diskussion um eine Hauptstadt. Daher glaube ich, wenn wir alle miteinander wahrhaftig diskutieren und wirklich glaubwürdig sein wollen, daß wir mit Vorwürfen, wie sie heute an die Adresse der Befürworter des Bonn-Antrags geäußert worden sind, etwas sorgsamer umgehen sollten. Es könnte sonst sein, daß die Vorwürfe mangelnder Glaubwürdigkeit dazu führen, daß die notwendige Auseinandersetzung mit Sachargumenten, für oder gegen Bonn, für oder gegen Berlin, zu kurz kommt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Ehe ich dem Abgeordneten Spilker das Wort erteilt, fühle ich mich verpflichtet, das Haus zu informieren. Die Zahl derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Rede zu Protokoll geben, steigt, aus meiner Sicht erfreulicherweise. ({0}) Ich bin natürlich weit davon entfernt, irgend jemanden beeinflussen zu wollen, aber es erleichtert die Geschäftslage ungemein, wenn diejenigen, welche die Absicht haben, sich ähnlich zu verhalten, das auch tun, denn dann könnte ich Sie noch besser informieren, als ich dazu jetzt schon in der Lage bin. In diesem Sinne möchte ich also gerne ein wenig Nachdenklichkeit erzeugen. Herr Abgeordneter Spilker, nun haben Sie das Wort.

Dr. h. c. Karl Heinz Spilker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich meine Wortmeldung zurückziehen. Da ich aber nicht in der Lage bin, ein Konzept zu Protokoll zu geben, kann ich das leider nicht. ({0}) Am frühen Morgen habe ich mir einige Notizen gemacht, und ich hoffe, daß ich sie jetzt noch lesen kann. ({1}) Ich habe einen einzigen Grund, meine Wortmeldung noch aufrechtzuerhalten. Ich möchte noch einmal auf den Vorschlag von Heiner Geißler zurückkommen, an dem ich zusammen mit anderen Kollegen mitgearbeitet habe und von dem ich überzeugt bin, daß er uns weiterhelfen würde, weil er auch praktikabel ist. Meine Damen und Herren, in meiner über 40jährigen politischen Tätigkeit habe ich in der Hauptstadtfrage immer eine feste Position gehabt. Mir war immer klar, daß zu einer Hauptstadt ein Parlament und eine Regierung gehören. Das hat sich nicht geändert. Das hat sich durch den Einigungsvertrag nicht geändert, auch nicht durch die Wiedervereinigung. Dieser Grundsatz, möchte ich einmal sagen, hatte seinen Ursprung natürlich in unserem Grundgesetz und auch in der Präambel. Nun haben wir heute eine besondere, eine andere Situation: hier Bonn mit seinen Verdiensten - sie sind unbestritten -, dort Berlin u. a. auch als Symbol der Freiheit. Ich frage mich: Was veranlaßt uns, von dieser Grundregel - die übrigens in aller Welt gilt - , nämlich eine Hauptstadt mit einem Parlament und einer Regierung auszufüllen, abzuweichen? ({2}) Diese Antwort, lieber Wolfgang, habe ich noch nicht gefunden, trotz schwerwiegender Argumente - darüber gibt es keinen Zweifel - , die für Bonn sprechen und die es mir ungeheuer schwer machen, eine Lösung zu akzeptieren, die entweder - oder heißt. Darum haben wir uns bemüht, ein Sowohl-Als-auch zu finden. Im Mittelpunkt dieses Versuchs stand der Vorschlag, mit dem Parlament nach Berlin zu gehen, die Bundesregierung in Bonn zu belassen, ein Vorschlag, über den wir viele, viele Stunden, Tag und Nacht diskutiert haben. Um was geht es denn da? Wir wollten einen Versuch machen, einen Weg finden, der nicht spaltet, sondern der eint. Ich meine, dieser Versuch paßt in diese Zeit. ({3}) Ich weiß nicht, wie die Abstimmung ausgeht. Sollte mein Freund Heiner Geißler mit seinen Freunden, die unterschrieben haben, keine Mehrheit finden, dann bleibt es bei meiner Grundposition. Ich möchte meine Freunde, die anderer Meinung sind, um Verständnis bitten, erwarte allerdings auch Ihren Respekt. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! West-Berlin hat sich in den vergangenen 40 Jahren als Hort der Freiheit, der europäischen Gesinnung und auch des Föderalismus bewährt. Ich bin Frankfurter Abgeordneter. In Frankfurt steht die Paulskirche. Frankfurt war länger Hauptstadt als Berlin und Bonn zusammengenommen. Ich trete heute gerne meine Rechte als Frankfurter an die Hauptstadt Berlin ab. ({0}) Ich wünsche, daß der Reichstag mit seiner gesamten komplizierten Geschichte - er ist Ausdruck dieser deutschen Geschichte - , mit seinen negativen Seiten und seinen positiven Seiten künftig ein Symbol der deutschen Freiheit, der Freiheit in Deutschland wird, wie es die Paulskirche bereits heute ist. Bei allem Respekt vor dem Bundespräsidenten und vor dem Bundesrat sage ich: Eine Hauptstadt, in der der Bundespräsident residiert, in der der Bundesrat residiert, kann nicht und sollte nicht das Symbol einer parlamentarischen Demokratie sein. Ich möchte, daß Deutschland in Zukunft durch eine Hauptstadt repräsentiert wird, in der vor allen Dingen das Parlament ist. Wenn dann der Bundesratspräsident ebenfalls da ist und wenn auch der Bundespräsident da ist, habe ich nichts dagegen. Aber ich habe sehr wohl etwas dagegen, wenn das Parlament nicht in Berlin ist, gerade weil man sagt, die Hauptstadt Deutschlands muß Symbol der Freiheit sein. Dann kann man nicht in die Hauptstadt nur Bürokratie als Ausgleich hineinverlagern wollen. Dann kann man Bürokratie anderswohin verlagern; aber das Parlament muß in Berlin sitzen, tagen und entscheiden. ({1}) Wir debattieren heute nur deshalb, weil während der Verhandlungen des Einigungsvertrages von westKarsten D. Voigt ({2}) deutschen Ländern auf die DDR Druck ausgeübt wurde. Das Ergebnis des Einigungsvertrages ist nicht Ergebnis des Wunsches der damaligen DDR-Regierung und der DDR-Bevölkerung in diesem Punkt gewesen und auch nicht das Ergebnis der Stärke des westdeutschen Bundestages, sondern Ausdruck der Stärke westdeutscher Bundesländer. Ich war im Ausschuß Deutsche Einheit und weiß, wie diese Passagen in den Einigungsvertrag gekommen sind. Sie sind durch den Druck westdeutscher Bundesländer, unter anderem des Bundeslandes, in dem die Stadt Bonn als jetziger Parlamentssitz liegt, hineingekommen. Das ist die Realität. ({3}) Nebenbei gesagt: Bei allem Respekt vor meinem Parteifreund Clement empfinde ich es als Problem, wenn ein Landesminister darüber Vorschläge macht, wo der Sitz des Parlaments des Bundes zu sein hat. ({4}) - Ich sage, ich empfinde es als persönliches Problem. Nachdem ich die Schwäche der DDR-Seite gesehen habe, möchte ich nicht, daß jetzt die Mehrheit der bundesdeutschen Abgeordneten aus den westlichen Ländern eine Mehrheit der Abgeordneten aus den östlichen Ländern in dieser Frage überstimmt. ({5}) Es gibt viele Punkte, bei denen die Westdeutschen etwas besser wissen; es gibt viele Punkte, bei denen sie etwas besser wissen können. Manchmal behaupten sie auch nur, etwas besser zu wissen, obwohl sie es nicht besser wissen. ({6}) Aber wenn in der Hauptstadtfrage Leute, die in der Umgebung von Bonn beheimatet sind, ostdeutschen Abgeordneten sagen, daß es in ihrem objektiven Interesse sei, Ingrid Matthäus-Maier, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es ist aber so! daß sie für Bonn stimmen, dann sage ich: In einer solchen Frage müssen die Betroffenen entscheiden und nicht irgendwelche Stellvertreter stellvertretend für sie. ({7}) - Reg dich nicht auf. Damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Ich stimme für Berlin. Aber ich kündige an: Wenn die Entscheidung heute für Bonn fällt, werde ich keine Ruhe geben, bevor diese Entscheidung nicht revidiert wird. Vielen Dank. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Schönburg-Glauchau.

Joachim Schönburg-Glauchau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002058, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier heute von Freunden und von Kolleginnen und Kollegen, vor denen ich große Hochachtung habe, viele beeindruckende Dinge gehört: zum Lob und über die Verdienste von Bonn und Berlin, über die Geschichte, über Geopolitik und über Symbole. Was ich jetzt sagen werde, ist viel bescheidener, vielleicht ein bißchen naiv. Aber ich bin in meinem heimatlichen Wahlkreis angetreten, um den Menschen dort zu dienen und ihnen zu helfen, um dem ganzen Volk zu dienen und zu helfen und um den Menschen in der ehemaligen DDR bei der Lösung ihrer Probleme hilfreich zur Seite zu stehen. Sie haben zur Zeit verdammt schwere Probleme. Ich wollte und will vor allem denen helfen, die kleiner und schwächer sind; denn die Großen und Starken brauchen nicht so viel Hilfe. Ich habe diese Pflicht tatsächlich aufgetragen bekommen. Ich glaube, die Pflicht besteht jetzt darin, hier fleißig und effektiv in der Gesetzgebung und bei der Kontrolle zu arbeiten und auch darauf zu achten, daß keine Mark ausgegeben wird, die besser zur Hilfe für die Kleinen und Schwachen ausgegeben werden könnte. ({0}) Ich bin sehr glücklich darüber, daß ich hier viele Kolleginnen und Kollegen gefunden habe, die ihre Arbeit mit derselben Haltung angehen. Ich habe sie auf allen Seiten des Hauses gefunden. Aber jetzt erwarten meine Wähler von mir, daß ich entsprechende Einsichten, die ich hier gewonnen habe, in eine Entscheidung über den Sitz von Regierung und Parlament mit einfließen lasse. Als Grundlage dieser Entscheidung wird von mir erwartet, daß ich sie daran bemesse, wo ich meine Pflichten besser und effektiver ausüben kann und wo ich das besser und effektiver erreichen kann, was ich zugesagt habe. Ich habe das geprüft. Die Lösung, die sich dann anbietet, heißt Bonn für Regierung und Parlament. Danke schön. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Dietrich Genscher.

Hans Dietrich Genscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich mich in der Öffentlichkeit oft für Berlin als Hauptstadt und als Parlaments- und Regierungssitz ausge2832 sprochen habe, möchte ich vor dem Deutschen Bundestag begründen, warum ich diese Haltung einnehme. Wenn ich Argumente wiederhole, bitte ich um Nachsicht. Ich hatte heute eine Konferenz in Berlin zu leiten. Solange ich nach der deutschen Spaltung auf die deutsche Einheit gewartet und gehofft und für sie gearbeitet habe, so lange habe ich auch darauf gehofft, daß Berlin wieder deutsche Hauptstadt wird. ({0}) Ich verstehe Hauptstadt nicht als Aushängeschild, sondern als Sitz des frei gewählten Parlaments und der frei gewählten Regierung aller Deutschen. ({1}) Nachdem wir nun unsere Einheit und die Freiheit wiedergewonnen haben, selbst über den Sitz unserer Hauptstadt zu entscheiden, möchte ich nicht von dem abweichen, was ich in der Vergangenheit gedacht, gewünscht, gewollt und versprochen habe. ({2}) Als Außenminister habe ich mich für Berlin als deutsche Hauptstadt eingesetzt. Ich habe es meinen Gesprächspartnern aus dem Ausland gesagt. Ich habe sie gebeten, als Zeichen ihrer Verbundenheit nach Berlin zu kommen. Ich habe um jeden Zentimeter gerungen, um mehr Bundespräsenz in Berlin zu ermöglichen. Jetzt ist die ganze Bundespräsenz möglich. Dafür möchte ich im Deutschen Bundestag stimmen. ({3}) Ich halte es für legitim, nach den Kosten zu fragen, aber ich halte es für falsch, den Eindruck zu erwecken, als sei nur die Entscheidung für Berlin kostenwirksam. Soll die Entscheidung gegen Berlin bedeuten, daß dann keine Kosten entstehen, weder in Bonn noch in Berlin? ({4}) Könnte es nicht sein, daß bei einer Entscheidung gegen Berlin auch ein Preis entrichtet werden muß, der sich nicht in Mark und Pfennig ausdrücken läßt und der länger nachwirkt? ({5}) Die deutsche Geschichte ist überall in Deutschland zu Hause, mit ihren guten und ihren schlechten Zeiten. Das taugt nicht als Argument, weder gegen Bonn noch gegen Berlin. Der deutsche Föderalismus, der unserer deutschen Demokratie so viel an Vielfalt, an Kreativität und Stabilität gegeben hat, wird gewiß nicht beschädigt, wenn wir eine größere Hauptstadt haben. Es gibt übrigens nicht wenige Bundesländer, die sich ganz wohlfühlen mit der größten Stadt als Hauptstadt. ({6}) Ich gehöre zu den wenigen Abgeordneten, die hier in Bonn leben, die hier gerne leben und die hier ein neues Zuhause gefunden haben. Aber meine Entscheidung über den Sitz von Bundestag und Bundesregierung möchte ich davon nicht abhängig machen. Aber weil ich hier lebe, weiß ich, was vielen Menschen abverlangt wird, wenn jetzt das geschieht, was 1949 erklärt und seitdem immer wieder bestätigt wurde. Deshalb ist es richtig und legitim, auch über die sozialen und die regionalen Probleme und vor allem über die Menschen zu sprechen, die davon betroffen sind, und sie mit ihren Problemen nicht alleinzulassen. Ich sage das nicht nur für viele Mitbürger hier, sondern auch für viele meiner Mitarbeiter. Dieser Verantwortung können auch wir, die wir für Berlin sind, uns nicht entziehen. Aber Berlin dürfen wir auch nicht allein lassen mit seiner Zukunft. Sie wird schwer genug sein, und eine Abwendung von Berlin wird sie noch schwerer machen. Es ist richtig: Es ist nicht eine Entscheidung zwischen zwei Städten. Es ist gewiß mehr. 1989/90 ist immer wieder davon gesprochen worden: Nichts wird mehr so sein, wie es war, weder im Westen noch im Osten. Wir werden das noch spüren. Eine Entscheidung gegen Berlin wird niemanden davor bewahren. Vereinigung heißt auch: aufeinander zugehen. Mit der Hauptstadtentscheidung können wir hier ein Zeichen setzen. Es geht übrigens nicht nur um die Entscheidung über die Hauptstadt. Aber wir setzen ein Signal für andere Entscheidungen. Ein lebendiger Föderalismus im ganzen Land verlangt doch auch obere Bundesbehörden in den östlichen Bundesländern. ({7}) Das Einen durch Teilen darf nicht auf die Hauptstadtfrage verkürzt werden. In Leipzig fragt man sich besorgt, ob Leipzig als Messeplatz überlebt oder ob nicht die etablierten Messeplätze in Westdeutschland für ausreichend befunden werden. Wird es chemische Standorte nur noch in Westdeutschland geben, oder braucht man die auch im Osten noch? Gibt es in Zukunft Werften nur noch im Westen oder auch im Osten? Natürlich kann das vereinigte Deutschland auch von hier regiert werden. Natürlich kann auch der wirtschaftliche Bedarf für das ganze Deutschland von hier gedeckt werden. Viele Menschen im Osten haben das mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes deutlich erfahren. ({8}) Ich denke, so haben wir die Einheit nicht gewollt. Wie wollen wir den freiheitlichen Rechtsstaat im Osten aufbauen und trotzdem alle obersten Gerichte im Westen lassen? Wir werden noch viele solcher Fragen zu beantworten haben. Was wir in der HauptHans-Dietrich Genscher stadtfrage, was wir für Bundestag und Bundesregierung entscheiden, wird dafür Signalwirkung haben. Man wende nicht ein, die Entscheidung für Berlin würde unsere Einbindung in die demokratische Wertegemeinschaft in Frage stellen. Wir erleben doch gerade, wie sich diese demokratische Wertegemeinschaft immer weiter nach Osten ausdehnt. Europa - das kann nicht oft genug gesagt werden - ist mehr als die Europäische Gemeinschaft. ({9}) Unsere Nachbarn im Osten bedeuten uns nicht weniger als unsere Nachbarn im Westen. War nicht Berlin über Jahrzehnte das Symbol der Freiheit? Es ist schon richtig, daß der Vereinigungsvertrag sagt: Unsere Hauptstadt ist Berlin. Diese Stadt bringt die Erfahrung der Deutschen aus dem Osten und aus dem Westen ein. Diese Stadt ist auch mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und der Öffnung der Mauer verbunden. Jeder von uns muß heute die Frage beantworten, was er mit Hauptstadt meint: nur eine symbolische Hauptstadtbezeichnung oder die Stadt, in der die Entscheidungen über die Zukunft unseres Volkes getroffen werden. Meine Antwort ist: Ich stimme für Berlin. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Antretter das Wort.

Robert Antretter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000042, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mich haben die Beiträge am meisten beeindruckt, die von den Kolleginnen und Kollegen aus den fünf neuen Ländern kamen, die ihrer Besorgnis Ausdruck gegeben haben, unsere Aufmerksamkeit könnte durch die Konzentration auf eine große Hauptstadt von den Problemen ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger abgelenkt werden. ({0}) Die nüchterne Darstellung der Sorgen des Bürgermeisters von Halle, der hier als Kollege der FDP gesprochen hat, beeindruckt mich mehr als die beschwörenden Verweise auf die Einlösung eines historischen Auftrags. ({1}) Ich halte es sogar für gefährlich, fast keinen Einwand ertragend den Eindruck zu vermitteln, die deutsche Geschichte würde nur in der richtigen Richtung laufen, wenn wir uns heute für Berlin entscheiden. ({2}) Ich kann mit den Aufgaben nichts anfangen, die unser Kollege Rupert Scholz einer Hauptstadt zuweist, nicht in seinem heutigen Beitrag, sondern in einem Plädoyer, das er jüngst schriftlich gegeben hat: Hauptstadt ... ist jene Metropole, in der sich das Schicksal eines Volkes erfüllt, in der sich eine Gesellschaft zum staatlichen Gemeinwesen konstituiert, wo sich der einzelne Bürger am besten mit seinem Gemeinwesen identifiziert beziehungsweise wo er am besten seine auch staatsbürgerliche Sozialisation empfängt. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht, daß politische Fragen, auch nicht die Frage der Hauptstadt, zu einem Naturereignis werden. ({4}) Das, was der Kollege Scholz wohlmeinend einer Hauptstadt zudenkt, das erfüllt sich in unserem föderalen Staat draußen in unseren Wahlkreisen, in den Regionen, ({5}) das erfüllt sich am Vorabend der Europäischen Union in den Hauptstädten unserer Länder, in den Vereinen, den Kirchen und Gewerkschaften. Da findet das statt, was er der Hauptstadt zudenkt. ({6}) Das Risiko, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist mir zu groß, jetzt darüber zu philosophieren, ob diese Republik denn nicht eine andere werden müßte. Nein, im Herbst des vorigen Jahres ist unser Land ein anderes geworden, mit neuen Menschen, mit neuen Ländern, ein Land mit neuen Möglichkeiten, neuen Chancen, neuen Sorgen und neuen Hoffnungen. Diese Hoffnungen haben sich zuallererst darauf gerichtet, daß dieses hohe Maß an Freiheit, an Gerechtigkeit, an sozialer Sicherheit und an Wohlstand, das diese freiheitliche Ordnung 40 Jahre lang unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern möglich gemacht hat, auch wirksam werden möge in den neuen Ländern, mit denen wir zusammengekommen sind, weil sie zu uns gehören. Dazu gehört, daß wir jetzt in dieser Situation, wo ein abgewirtschaftetes Land neu aufgebaut werden muß, nicht alles auf einen Punkt konzentrieren, was uns an Kräften und auch an Mitteln zur Verfügung steht. Das sind wir Leipzig schuldig, das sind wir Dresden schuldig, ebenso Rostock, Schwerin und den vielen anderen Städten in den neuen Ländern. Da beeindruckt mich nicht die Anrufung der Stunde der Wahrheit, sondern da fühle ich mich herausgefordert durch die Gefahr, daß es zum politischen Unwetter kommen kann, wenn die soziale Unruhe weiter wächst. ({7}) Die Stabilität der Demokratie in den neuen Ländern ist nicht der Hauptstadtfrage, sondern der Sozialfrage wegen gefährdet. ({8}) Es kommt darauf an, daß wir denen keine Chance lassen, die anderen Völker wieder mit nationalistischen Tönen das Fürchten lehren, die uns einreden, die Lösung liege in der Parole: Deutschland den Deutschen. Es kommt darauf an, daß wir die Versprechungen der Bundesregierung einlösen, nach der Währungsunion und nach Herstellung der Deutschen Einheit kämen die Investitionen. Darauf warten die Menschen in den fünf neuen Ländern. Herr Kollege Schäfer, es mag sein, daß Ihre ausländischen Gesprächspartner manches nicht verstehen, was wir in diesen Tagen diskutieren. Die kommen ja meistens aus den Hauptstädten. Im Elsaß, in Estremadura und in Kalabrien sieht das ganz anders aus. Und was in Ländern wie Frankreich, England oder Italien die glänzende Hauptstadt ist, die alles an sich ziehen darf und das ganze Land zu repräsentieren sich berufen fühlt, das ist in der Bonner Republik die Bestimmung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 geworden, die den Bund auf die Herstellung und Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verpflichtet. Das heißt natürlich nicht, daß diese Verfassung eine Hauptstadt ausschließt, aber ihrem Geist entspricht eine kleine Hauptstadt mehr als eine große Kapitale. Deshalb stimme ich für Bonn. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Klein ({0}) das Wort.

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat sich, von ein paar wenigen Ausrutschern à la Karsten Voigt abgesehen, ({0}) auf einem hohen und würdigen Niveau abgespielt. ({1}) Die Argumente sind jetzt nicht nur alle ausgetauscht, sondern zum Teil schon mehrfach wiederholt worden. ({2}) Ich erlaube mir, meine Rede jetzt zu Protokoll zu geben und die Geschäftsführer zu fragen, ob sie nicht die Kollegen, die noch auf der Liste stehen, wenigstens teilweise bewegen könnten, im Interesse des positiven Bildes, das sich bis jetzt entwickelt hat, auf eine starke Verlängerung der Debatte zu verzichten. ({3}) Ich bedanke mich. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bedanke mich im Namen des Hauses. Das Wort hat der Abgeordnete Gansel. - Der Abgeordnete Gansel verzichtet. ({0}) Ich habe hier jetzt laufend Verzichte. ({1}) Deswegen wird es etwas komplizierter. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Michalk.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Eigentlich wollte ich meine Rede jetzt auch zu Protokoll geben. ({0}) Aber ich will die Zeit nutzen, bis die anderen Kollegen ihre Reden aus der Tasche gezogen und abgegeben haben, und diese Zeit überbrücken. Also werde ich doch reden. ({1}) Meine Damen und Herren, selbst in dem sogenannten Tal der Ahnungslosen, wie man früher den damaligen Bezirk Dresden bezeichnete, hat uns jedes Jahr mehrmals die Nachricht erreicht, daß Berlin, wenn Deutschland ein einig Vaterland ist, die Hauptstadt des vereinten Deutschlands ist. ({2}) Wir haben diese Hartnäckigkeit der Abgeordneten in diesem Parlament mit Bewunderung aufgenommen. Nun ist es soweit, aber jetzt sollen Parlament und Regierung getrennt werden bzw. nicht nach Berlin kommen. Es wird gesagt, daß die Bonner Region ohne Parlament und Regierung eine sterbende Region sei. Ich habe aber um Bonn keine Sorge, genausowenig wie um meine Heimatregion, wo man in einer 2 500 Mann zählenden Kommune einen Betrieb mit 900 Beschäftigten stillgelegt hat, mit Wach- und Schließgesellschaft davor. Wir werden für diese Leute genauso eine Zukunft finden wie für Bonn auch. ({3}) Was ist geschehen, daß Berlin der Hauptstadtanspruch heute streitig gemacht wird? Hat Berlin sich dieses Anspruches als unwürdig erwiesen, oder hat es die Nation blamiert? Ist ihm Feigheit oder Materialismus vorzuwerfen? In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg widerstanden Millionen halbverhungerter MenMaria Michalk schen in Berlin der Einschüchterung und Abschnürung durch die Rote Armee. Man ertrotzte die Aufhebung der Blockade und überstand das Berlin-Ultimatum. Zirka 300 Arbeitsplätze gingen verloren, fast alle relevanten Unternehmen orientierten sich westwärts. Aber die Stadt blieb ein verläßlicher Pfahl im Fleisch der DDR. Sie blieb immer Symbol der Freiheit. Sie hätte nicht überleben können, wenn die Bundesrepublik nicht materiell und politisch geholfen hätte. Der Durchhaltewillen der Berliner wurde immer bekräftigt. An diesem Punkt stehen wir heute und müssen entscheiden. Wir haben Argumente ausgetauscht, wir haben nach Kompromissen gesucht, wir haben diskutiert, haben uns gestritten. Wir sind uns einig, daß wir heute keine neuen Argumente finden. Deshalb will ich Ihnen - ich will meine Rede gar nicht fortführen - zum Schluß eigentlich das sagen, was mich heute früh bewegt hat. Als ich heute morgen das Blatt in meinem Kalender, wie ich es jeden Tag tue, abgerissen habe, fand ich einen Spruch, und der hat mich sehr verwundert, denn als die Kalendermacher die Kalender für 1991 druckten, wußten sie nicht, daß am 20. Juni 1991 diese wichtige Frage im Bundestag entschieden wird. Was stand nun heute auf meinem Kalenderblatt? Die stärkste Kraft reicht nicht an die Energie heran, mit der manch einer seine Schwäche verteidigt. Zeigen wir doch heute mit unserer Entscheidung, daß wir als erstes frei gewähltes Parlament kein schwaches sind, sondern die Kraft haben, Unbequemlichkeit in Kauf zu nehmen, aber glaubwürdig zu sein. Deshalb werde ich für Berlin stimmen. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Albowitz.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute über viele Stunden miteinander debattiert. Wir haben viele gute Beiträge gehört. Keiner der Abgeordneten hat sich seine Entscheidung leichtgemacht. Ich meine trotzdem, daß die Argumente ausgetauscht sind, schließe mich dem Votum von Herrn Klein an und werde meine Rede zu Protokoll geben. ({0}) Ich möchte Sie vorher aber nicht im unklaren darüber lassen, daß ich als Abgeordnete dieser Region für Bonn stimme. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bedanke mich im Namen des Hauses. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte schätze ich etwas anders ein, als viele es hier zum Ausdruck gebracht haben. Die Debatte hat sich insbesondere an dem vorbeibewegt, was das Bild Berlins und Deutschlands in der Welt auch heute noch mitbestimmt und was hier und in diesem Zusammenhang entscheidend sein sollte. Berlin war als Hauptstadt des dutzendjährigen Dritten deutschen Reiches die Hauptstadt des unmenschlichsten politischen Terrorsystems der gesamten Menschheitsgeschichte. ({0}) - Ich wiederhole: Berlin war als Hauptstadt des dutzendjährigen Dritten deutschen Reiches die Hauptstadt des unmenschlichsten politischen Terrors der gesamten Menschheitsgeschichte. Dieser Terror verbindet sich im Gedächtnis der Menschen in den europäischen Nachbarländern nach wie vor mit Berlin. Berlin war die Stadt des Reichssicherheitshauptamtes, des Gestapo-Hauptquartiers, des Oberkommandos der Wehrmacht, des Volksgerichtshofs. Es war insbesondere die Stadt der Wannsee-Konferenz, ({1}) des systematisch geplanten, entschiedenen und organisierten Völkermordes an Juden, auch des Völkermordes an Sinti und Roma, des millionenfachen Mordes an Frauen, Kindern, Männern, sowjetischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Das wird auch nicht durch den Widerstand von Arbeitern und Krankenschwestern und auch nicht durch den späten Widerstand der Offiziere des 20. Juli aufgewogen. Berlin war als Hauptstadt - als Hauptstadt eben und nicht zufällig! - die Stadt der Schreibtischtäter und der Schreibtischmittäter des NS-Terrors; das darf nicht vergessen werden. Deshalb, weil Berlin die Hauptstadt dieses Dritten deutschen Reiches war und weil es als diese Hauptstadt zentraler Ort der Planung und Organisation der Entscheidungen, die zu diesen Verbrechen geführt haben, war, kann es nach meiner Auffassung nicht wieder Hauptstadt sein. Ich schlage deshalb auch vor, das zu einem späteren Zeitpunkt formell zu beschließen. Der Respekt vor dem Leid, das, ausgehend von Berlin, den Menschen in Europa und darüber hinaus zugefügt worden ist, gebietet es zu sagen: Nie wieder Berlin!, so wie wir auch sagen müssen: Es darf nie wieder das aggressive, brutale, autoritäre Deutschland der Vergangenheit geben. Für mich sind diese Gründe ausschlaggebend. Ich stimme deshalb, anders als die Mehrheit meiner Fraktion, nicht für Berlin.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Tag und nach dieser Debatte will ich es noch einmal auch für mich ganz persönlich sagen: Ich habe mich selten so sehr in der Minderheit dieses Hauses gefühlt, derjenigen Minderheit nämlich, die nicht sagen kann, sie sei eindeutig für Bonn oder eindeutig für Berlin. Nach einigen Gesprächen und nach den vielen sehr überzeugenden Reden von heute befürchte ich, daß das vielleicht sogar die heimliche Mehrheit ist. Ich nehme viele Argumente pro Bonn sehr ernst; sie überzeugen mich. Ich nehme viele Argumente für Berlin ernst; auch sie überzeugen mich. Der Vorschlag von Herrn Geißler, alles zu trennen, überzeugt mich überhaupt nicht. Darum habe ich mir eine andere Frage gestellt: Auf welche Weise werden wir von morgen an am besten unserer parlamentarischen Aufgabe gerecht, etwa die Bundesregierung zu kontrollieren? Auf welche Weise wird unser Parlament in der Zukunft seine verfassungsrechtliche Aufgabe wahrnehmen? Wenn wir uns heute abend, meine Damen und Herren, für Bonn entscheiden, dann wird diese Republik auf Jahre hinaus unter einem ständigen Berlin-Druck stehen, und zwar zu Recht; denn es gibt eine Verfassungsverpflichtung. Das ist keine Berlin-Drohung; das ist ein Berlin-Druck, der sich aus der Verfassung ergeben wird. Dieser ständige Berlin-Druck, so scheint mir, ist schlecht für unsere zukünftige Aufgabe vor allem im Zusammenhang mit der zu vollziehenden inneren und sozialen Einigung unseres Landes. Wenn wir uns heute für Berlin entscheiden, wird diese Republik unter einem ständigen Föderalismusdruck stehen, gerade weil es Berlin ist. ({0}) Wir haben - das will ich denen, die davor gewarnt haben, sagen - keinen Kaiser, sondern eine Verfassung. Das ist ein entscheidender Unterschied. ({1}) Wer aus der ganzen Vergangenheit aller historischen Jahrhunderte unseres vielgliedrigen Landes heraus argumentiert, der sagt in Wahrheit: Bonn. Das ist nämlich für unsere Geschichte viel prägender als die relativ kurze Phase Berlin. Wer aus der Zukunft heraus argumentiert, der sagt: Europa. Wer aus den Ängsten und Risiken, aus den Brüchen und Herausforderungen unserer deutschen Gegenwart heraus argumentiert, der sagt: Berlin. ({2}) Das ist meine Empfindung, nachdem ich den Debatten heute abend zugehört habe. Ich möchte noch einmal sagen, daß ich den Berlin-Antrag, dem ich zustimmen werde, inhaltlich an einem Punkt für problematisch halte. Ich bitte, dies in der Folge noch zu überdenken. Ich denke, wir brauchen eine ganz lange Zeit, bis die Arbeitsfähigkeit in Berlin hergestellt wird. Ich glaube, das geht nicht in einer und auch nicht in anderthalb Legislaturperioden. Ich meine, wir brauchen eine lange Zeit, bis die Strukturveränderung in Bonn hergestellt werden kann. Auch das geht nicht so schnell. Deshalb: Heute die klare Entscheidung und dann den Umzug wirklich ernsthaft und auf lange Frist vorbereiten. Ich danke Ihnen dafür, daß mir einige zugehört haben. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, das Haus hat mit beachtlicher Ruhe und Disziplin diese schwierige Debatte bis jetzt gut überstanden. Ich wäre Ihnen sehr, sehr verbunden, wenn Sie auch die letzten Redner - denn es melden immer mehr ihre Redewünsche ab - in Ruhe ertragen würden, und wäre dankbar, wenn die Damen und Herren wieder Platz nehmen würden. Nachdem dies offensichtlich - jedenfalls in einem gewissen Umfang - geschieht, erteile ich dem Abgeordneten Lamers das Wort.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird nicht ganz leicht, als voraussichtlich letzter Redner hier zu sprechen, nicht zuletzt deswegen, weil wir eine hervorragende Debatte hatten, während derselben aber die Aufmerksamkeit etwas größer war als jetzt. Deswegen bitte ich aus Gründen der Fairneß, es mir nicht allzu schwer zu machen. Kollege Thierse hat heute morgen zu Recht als erstes gesagt: Es geht nicht um Bonn oder Berlin. Nein, in der Tat. Darum geht es nicht. Es geht darum, wofür diese beiden Städte stehen. Dazu haben wir heute manch treffliche und manch weniger treffliche Argumente gehört. Das Ergebnis ist, daß natürlich kein Argument logisch zwingend diese oder jene Entscheidung herbeiführen kann. Es gibt keine logische Stringenz für Bonn oder für Berlin. Wenn das so ist, meine Damen und Herren, dann finde ich es allerdings auch unerträglich, wenn sich ein Kollege hier hinstellt und sagt: Ich werde die Entscheidung nicht akzeptieren. - Das geht nicht. ({0}) Ich muß sagen: Ich habe leider, leider von keinem einzigen Berlin-Befürworter gehört, daß er die Entscheidung, wie immer sie ausfallen werde, akzeptieren werde. ({1}) Das ist ein Makel und ein Mangel, den ich feststellen muß. Wofür stehen nun Bonn und Berlin? Ich will das hier nicht alles wieder aufführen. Ich will jedoch einige Argumente, die mir besonders wichtig erscheinen, zumindest noch einmal in Frage stellen. Es wird gesagt: Berlin steht für die Einheit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Lamers, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal sehr eindringlich bitten, die notwendige Ruhe herzustellen. Ich lasse den Redner erst wieder sprechen, wenn wieder Ruhe hergestellt ist. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Wer sich unbedingt unterhalten möchte, möge sich in die Lobby begeben. - Herr Abgeordneter Lamers, ich glaube, jetzt geht es wieder.

Karl Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage: Wie kommt es denn, daß keine Stadt so zwiespältige Gefühle hervorruft wie Berlin? Ist Berlin denn wirklich das richtige Symbol für die Einheit? Dann wird gesagt, Berlin stehe für unsere neue Wendung zum Osten. Ja, natürlich wollen wir uns dem Osten zuwenden, aber unsere Zukunft liegt nicht im Osten, sondern die Zukunft des Ostens liegt im Westen, und wir müssen den Ländern helfen, daß sie sich dem Westen zuwenden. ({0}) Des weiteren wird gesagt: Berlin steht dafür, daß dieses wiedervereinte Deutschland nicht nur eine Fortsetzung der alten Bundesrepublik ist, sondern daß es auch etwas Neues ist. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir hier so manches Pathos, manches mich - zugegebenermaßen - etwas merkwürdig anmutendes Pathos angehört habe, auch aus dem einen oder anderen prominenten Munde, und wenn ich manche Argumentationen in den vergangenen Wochen und Monaten aus berühmten oder sich berühmt dünkenden Gazetten in der Bundesrepublik Deutschland gelesen habe und wenn ich insbesondere das eine oder andere Feuilleton gelesen habe, dann ist mein Eindruck, daß das Neue, was hier gewollt ist, in Wirklichkeit eine Rückkehr des Alten ist. ({1}) Genau das möchte ich nicht. Ich weiß auch - und will auch gar nichts anderes -, daß das neue Deutschland nichts anderes ist als eine Fortsetzung der alten Bundesrepublik. Ich möchte ein besseres Deutschland, aber ich möchte kein anderes Deutschland als die Bundesrepublik Deutschland. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, es sind inzwischen annähernd 100 Reden zu Protokoll gegeben worden. ({0}) Das mag vielleicht den einen oder anderen ermutigen. Ebenso viele Reden sind übrigens gehalten worden. Ich möchte nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Merkel das Wort geben.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über Parlaments- und Regierungssitz, nicht mehr und nicht weniger. Das ist heute oft gesagt worden. Das sagen viele, die 40 Jahre in einer Demokratie gelebt haben. Ich habe 35 Jahre in einer Diktatur gelebt. Für mich ist diese Entscheidung deshalb vielleicht eine andere; und sie hat sehr wohl etwas mit der inneren Einheit Deutschlands zu tun. ({0}) Ich habe im vergangenen Jahr Bonn schätzengelernt, insbesondere auch als Arbeitsort, und ich weiß als ehemalige DDR-Bürgerin sehr wohl, daß es viele Gründe gegen Berlin gibt, gerade gegen Ost-Berlin. Am Anfang habe ich deshalb auch versucht, in der Debatte die Sachargumente zu verstehen. Aber mit fortschreitender Zeit ist mir immer klarer geworden: Neben den Sachargumenten geht es auch darum: Wer in der Bundesrepublik ist an welcher Stelle zu wieviel Änderung bereit? Wer will also wieviel Änderung ertragen? Meine Damen und Herren, in den neuen Bundesländern hat sich für die Menschen vieles geändert. Diese Menschen haben alle die deutsche Einheit gewollt. Wir müssen auch sagen, es sind Menschen, die mehr Pech im Leben hatten. Ich glaube, niemand kann deshalb die Ängste der Menschen in der Region hier in Bonn besser verstehen als wir in den neuen Bundesländern. Trotzdem fällt es mir schwer, eines zu begreifen: Es wurde heute davon gesprochen, daß Bonn in den letzten 40 Jahren ein selbstbewußtes Bonn geworden ist. Ich glaube, Bonn hat allen Grund dazu, selbstbewußt zu sein. Aber dann frage ich mich: Wenn Sie in dieser Stadt, eingebettet in eine gute Infrastruktur, für uns in den neuen Bundesländern nicht die Zuversicht ausstrahlen können, daß Sie auch diese Änderung ertragen werden, woher sollen wir dann den Mut in den neuen Bundesländern nehmen? ({1}) Meine Damen und Herren, Teilung kann nur durch Teilen überwunden werden; wir haben das oft gehört. Teilen kann, wie ich glaube, auch schmerzhaft sein. Helfen Sie uns mit, daß durch Ihr Teilen das geeinte Deutschland ein neues Gesicht erhält. Ich weiß, wir brauchen dazu alle Zuversicht, aber ich glaube, ohne diese Zuversicht wären wir auf dem Weg zum geeinten Deutschland bis hierher nicht gegangen. Danke schön. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie jetzt über die Geschäftslage informieren. Ich habe jetzt auf Grund der Meldungen der Geschäftsführer noch folgende Wortmeldungen vorliegen: Abgeordnete Scheer, Oostergetelo, Möller, Frau Schulte und Wallow. Wer Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg darüber hinaus unbedingt noch reden will, möge sich beim Präsidium melden. Zwischenzeitlich erteile ich dem Abgeordneten Scheer das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine persönlichen Emotionen waren und sind auf Berlin gerichtet, und das wird auch so bleiben. Ich bin in Berlin großgeworden, meine Mutter lebt dort, und ich gehöre noch heute meinem früheren Sportverein in Berlin an. Meine politischen Beweggründe lassen mich jedoch für Bonn votieren, ({0}) weil ich nach langer persönlicher Überlegung der Meinung bin, daß psycholgische Beweggründe kein haltbarer Boden für wichtige politische Entscheidungen sind. Nun sind sicherlich die Motive derjenigen, die für Bonn sprechen, sehr unterschiedlich. Das gleiche gilt natürlich für Berlin. Meine Motive sind die folgenden. Ich halte es zwar für sehr, sehr perfide, wenn versucht wird, Berlin alle Negativseiten der deutschen Geschichte anzulasten, wie das auch bei einigen Rednern heute geschehen ist. ({1}) Dies könnte ich niemals akzeptieren. Es gibt aber einen politischen Grund historischer Art, der mich für Bonn votieren läßt, und der besteht darin, daß ich mir sehr schwer vorstellen kann, daß der künftige Versammlungsort des deutschen Parlaments den Namen „Reichstag" tragen soll. ({2}) - Ich habe gesagt, es mag unterschiedliche Motive geben, aber dies ist mein Motiv. Ich möchte den Namen Reichstag ({3}) deshalb nicht als Namen der Tagungsstätte für den Deutschen Bundestag - ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neumann zu beantworten?

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Volker Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001598, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, wären Sie bereit, für Berlin zu stimmen, wenn wir den Reichstag in Bundestag umbenennen? ({0})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich beanspruche überhaupt nicht, daß mein Motiv für jeden gelten soll; ich habe das vorhin ausdrücklich gesagt. ({0}) Aber man kann ein Gebäude nicht einfach umbenennen. Es tur mir leid, das geht nicht. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage noch einmal: Ich beanspruche nicht, daß das Argument, das mich persönlich bewegt - es ist eine persönliche Entscheidung wie die jedes einzelnen anderen auch -, von jedem getragen wird. Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, daß der Name des künftigen zentralen Versammlungsortes des Deutschen Bundestages „Reichstag" sein soll, weil der Reichstag mit der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz seine historische Funktion für mich verspielt hat. Das ist mein Beweggrund. ({0}) Ich weiß sehr wohl, daß diese Entscheidung in der Kroll-Oper getroffen worden ist. Ich beziehe mich auf den Begriff „Reichstag" mit dem gleichen Recht, wie sich viele im letzten Jahr zu Recht dagegen gewehrt haben, daß das wiedervereinigte Deutschland mit dem Etikett „Viertes Reich" versehen wird. Das ist mein politisches Motiv. Ich beanspruche, um es noch einmal zu sagen, nicht, daß es von allen getragen oder übernommen wird. Ein zweites Motiv ist für mich das folgende - ({1}) - Entschuldigung, Herr Präsident, aber vielleicht können Sie für Ruhe sorgen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich habe viel Verständnis für diesen Wunsch. Aber ich kann nicht jeden einzelnen bitten, ruhig zu sein. Die Damen und Herren Abgeordneten haben ihre Reden in erfreulichem Umfang zu Protokoll gegeben, d. h. sie wollten nicht reden, jedenfalls nicht vom Rednerpult aus. ({0}) Ich wäre dankbar, wenn sie sich auch im Saal so verhalten würden. Herr Abgeordneter Scheer, versuchen Sie es bitte noch einmal. ({1})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich habe meine Rede nicht schriftlich vorbereitet, und da es für mich persönlich eine sehr schwierige Entscheidung ist, will ich diese Entscheidung entsprechend dem Recht, das mir als einem Abgeordneten zusteht, hier begründen können. ({0}) Das ist doch wohl ein selbstverständliches parlamentarisches Recht! Mein zweiter Beweggrund besteht darin, daß ich mich wiederum sehr mit denen verbunden fühle, insbesondere mit denen in den fünf neuen Ländern, die es als unverhältnismäßig empfinden, daß 100 000 bedrohte Arbeitsplätze in der Debatte jetzt scheinbar höher bewertet werden als bereits mehrere 100 000 verlorene Arbeitsplätze in verschiedensten Regionen der fünf neuen Länder.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Scheer, nun muß ich Sie bitten, langsam zum Schluß zu kommen.. Ich bin Ihnen hinsichtlich Ihrer Redezeit schon außerordentlich entgegengekommen. Da Sie frei sprechen, wird es Ihnen ja nicht allzu schwerfallen, langsam zum Ende zu kommen.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich rede jetzt vielleicht gerade zwei Minuten. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, wir haben eine Uhr, die ich, soweit erforderlich, immer angehalten habe. Sie haben jetzt um mehr als eine Minute überzogen. Ich wäre wirklich dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ich komme zu meinem zweiten Punkt und will den nun abschließen. ({0}) - Es tut mir leid; ich werde mich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Mein zweiter Beweggrund besteht darin: Ich kann das, was ich soeben über die unterschiedliche Bewertung bedrohter Arbeitsplätze ausgeführt habe, sehr wohl nachempfinden. Nur, es geht in Bonn darum, daß es sich um die Arbeitsplätze derer handelt, die im politischen Nervenzentrum der Bundesrepublik arbeiten. Ich halte es für höchst problematisch, wenn - statt daß die Probleme, die wir zu bewältigen haben, gelöst werden - diese Administration inklusive Parlament in den nächsten zehn Jahren ihre innere Orientierung zu einem erheblichen Teil auf einen Umzug richten müßte. Dies würde ich für falsch halten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Scheer, Sie haben mehr als einhundert Vorredner gehabt, und die haben sich an die Zeit gehalten. - Danke schön. Da der Abgeordnete Oostergetelo seine Rede zu Protokoll gegeben hat,, ({0}) kann ich den Abgeordneten Möller aufrufen.

Dr. Franz Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001522, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch ich gebe meine Rede zu Protokoll. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Schulte ({0}) das Wort.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Deutschen sind schon ein sonderbares Volk. ({0}) Unsere Geschichte ist bedeutungsvoll und wechselhaft zugleich; Epochen der Geschlossenheit folgten lange Zeiten der Rivalität unter den Territorialfürsten und des unerfreulichen Glaubensstreits. Gleich nach der Wiedererlangung der staatlichen Einheit widmen wir uns unserem Lieblingsspiel: dem Kirchturmdenken und dem Glaubensstreit. Nichts Neues scheint uns Deutschen in den über 1 000 Jahren der Geschichte vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bis zur heutigen Bundesrepublik Deutschland eingefallen zu sein. Wir bleiben uns treu. Wie gern sehen wir uns als Dichter und Denker! Prüfen wir einmal, ob wir nicht doch am Ende alle mehr die Eignung zum Advokaten, zum Krämer, ja, zum Händler haben! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das mit vollem Ernst. Passen wir auf, daß diese Debatten nicht wieder die Chance einer inneren Versöhnnug in Deutschland verspielen. Dieser Glaubensstreit zwischen Berlin und Bonn könnte das bewirken. Ich bin nach meiner 15jährigen Mitarbeit in diesem Parlament außerordentlich traurig, daß wir es nicht fertiggebracht haben, Frau Präsidentin Süssmuth, einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten. ({1}) Ich frage mich, warum es über Jahre ein Gremium wie den Ältestenrat gibt, wenn er nicht zusammengerufen wird, um über eine solche Frage zu beraten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mir wäre heute wohler zumute, wenn wir uns für Berlin, aber auch für Bonn aussprächen. Ich will die Debattenargumente nicht wiederholen. Ich sage Ihnen nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir ehrlich sind, haben wir nach 41 Jahren westdeutschen Parlamentarismus Grund, über die Zukunft unserer Arbeit nachzudenken. Ersticken wir nicht schon lange in Ritualen und in Papier? Überlasten wir uns nicht selbst mit einer Fülle von Sitzungen und Tagesordnungspunkten, und vergessen wir dabei nicht, daß wir oftmals unsere eigenen Mitarbeiter und auch die Mitarbeiter in den Ministerien überfordern? Ich habe eindringlich für eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen dem Wahlkreis, der Arbeit in den Ausschüssen hier in Bonn und der Arbeit im Parlament in Berlin votiert. Prüfen wir uns, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Wie oft ist dieses Plenum nicht so voll, wie oft fehlen uns die Kolleginnen und Kollegen aber auch in den Fachausschüssen, wenn wir doch angeblich alle dort sind? Ich glaube, wir haben einen dringenden Bedarf, unsere Aufgaben neu zu regeln. Ich kann mir gut vorstellen, daß wir dies besser als in allen bisherigen Vorschlägen zwischen Berlin und Bonn tun könnten. Warum sollen eigentlich alle unsere Sitzungswochen nach dem gleichen Schema ablaufen? Warum nehmen wir uns nicht die Zeit zum Nachdenken? Schließlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: In dieser hübschen Stadt, in der wir Parlamentarier ähnlich wie die hier anwesenden Journalisten und Brigitte Schulte ({2}) Botschafter ein bißchen im Glashaus leben, treffen wir da wirklich allein die Konflikte, die unsere Republik erschüttern? Sollten wir nicht einen neuen Rhythmus finden, der es uns erlaubt, Bonn und Berlin gerecht zu werden? Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Ich glaube, wenn wir keine Alternative haben, werden wir heute in einer Kampfabstimmung eine Stadt verletzen und den Menschen in diesem Land einen großen Schaden zufügen. Ich werde, wenn wir keine Alternative haben, für Berlin votieren, aber ich biete meine Erfahrung wie hoffentlich die von Ihnen allen an, daß wir noch einmal darüber nachdenken, wie wir eine Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin herbeiführen können. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat sich als letzter Redner der Abgeordnete Wallow gemeldet.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

({0}) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nicht zu früh klatschen! Die ersten zwei Sätze und den letzten Satz erlaube ich mir zu sagen. Mein erster Satz ist: Ich glaube, daß diese Debatte dem deutschen Parlamentarismus zur Ehre gereicht hat. ({1}) Wir haben unabhängig von Zwängen, unabhängig von vorher festgeklopften Bestimmungen allein entschieden, und das ist Glaubwürdigkeit. Mein letzter Satz: Ich bin für Bonn, ({2}) weil ich weiß, daß diese Zeit unserem Land einen wahren Wert gegeben hat. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, nun kommen wir zu der langersehnten Abstimmung. Wie bereits angekündigt, sind alle Abstimmungen namentlich. Ich rufe zunächst den Antrag auf Drucksache 12/817 auf. Damit Sie wissen, um was es sich handelt: Es ist der Konsensantrag Berlin/Bonn, den Dr. Geißler und Genossen eingebracht haben. ({0}) Ich mache darauf aufmerksam, daß nach unserer Geschäftsordnung ein Antrag dann angenommen ist, wenn er mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen erzielt hat, und betone, daß die Enthaltungen nicht mitgezählt werden. Nachdem dies klar ist, kann ich die Abstimmung eröffnen. Meine Damen und Herren, ich frage, ob sich noch ein Mitglied des Hauses im Saal befindet, das noch nicht abgestimmt hat. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, nunmehr mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung wieder und gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Konsensantrag Berlin/Bonn - Drucksache 12/817 - bekannt. Abgegebene Stimmen: 655, ungültige Stimmen: keine, mit Ja haben gestimmt: 148, mit Nein haben gestimmt: 489, ({0}) Enthaltungen: 18. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 654 ja: 147 nein: 489 enthalten: 18 Ja CDU/CSU Dr. Altherr Frau Augustin Augustinowitz Bargfrede Frau Baumeister Bayha Frau Dr. Bergmann-Pohl Börnsen ({1}) Bohlsen Borchert Büttner ({2}) Buwitt Dehnel Frau Dempwolf Dörflinger Doppmeier Doss Dr. Dregger Echternach Eppelmann Eylmann Feilcke Dr. Fell Francke ({3}) Dr. Friedrich Frau Geiger Dr. Geißler Gerster ({4}) Gibtner Glos Günther ({5}) Frhr. von Hammerstein Haschke ({6}) Hauser ({7}) Hedrich Heise Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hornhues Jagoda Dr. Jüttner Junghanns Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Kiechle Kittelmann Klinkert Dr. Köhler ({8}) Kolbe Frau Kors Koschyk Kraus Dr. Krause ({9}) Krause ({10}) Kriedner Kronberg Krziskewitz Lattmann Dr. Laufs Link ({11}) Dr. sc. Lischewski Lohmann ({12}) Lummer Dr. Mahlo de Maizière Marschewski Meinl Frau Dr. Merkel Frau Michalk Dr. Mildner Müller ({13}) Müller ({14}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Nelle Dr. Neuling Nitsch Frau Nolte Otto ({15}) Dr. Päselt Dr. Paziorek Petzold Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Frau Priebus Frau Rahardt-Vahldieck Reddemann Reichenbach Dr. Reinartz Repnik Rode ({16}) Frau Rönsch ({17}) Dr. Rose Rother Rühe Sauer ({18}) Scharrenbroich Schemken Schmidbauer Schmidt ({19}) Dr. Schmidt ({20}) von Schmude Dr. Schneider ({21}) Dr. Scholz Frhr. von Schorlemer Dr. Schroeder ({22}) Dr. Schwörer Seibel Frau Sothmann Spilker Dr. Sprung Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Susset Tillmann Dr. Töpfer Uldall Vogt ({23}) Dr. Voigt ({24}) Dr. Waigel Dr. Warnke Frau Wiechatzek Frau Dr. Wilms Wilz Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wonneberger Zierer SPD Dr. Diederich ({25}) Dr. Elmer Frau Fuchs ({26}) Dr. Kübler Neumann ({27}) Frau Schmidt ({28}) Dr. Soell Thierse Voigt ({29}) Weisskirchen ({30}) Wieczorek ({31}) FDP Frau Albowitz PDS/LL Frau Braband Dr. Gysi Dr. Heuer Dr. Riege Bündnis 90/GRÜNE Dr. Ullmann Frau Wollenberger Nein CDU/CSU Adam Austermann Dr. Bauer Bierling Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Bleser Dr. Blüm Böhm ({32}) Frau Dr. Böhmer Dr. Bötsch Bold Brähmig Breuer Frau Brudlewsky Brunnhuber Bühler ({33}) Carstens ({34}) Carstensen ({35}) Clemens Deres Deß Frau Diemers Ehlers Ehrbar Frau Eichhorn Engelmann Frau Eymer Frau Falk Dr. Faltlhauser Fischer ({36}) Frau Fischer ({37}) Fockenberg Frankenhauser Fritz Fuchtel Ganz ({38}) Geis Dr. von Geldern Dr. Göhner Göttsching Götz Dr. Götzer Gres Frau Grochtmann Gröbl Grotz Dr. Grünewald Harries Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({39}) Dr. Hennig Dr. h. c. Herkenrath Hinsken Hintze Hörsken Hörster Dr. Hoffacker Hollerith Hornung Hüppe Jäger Dr. Jahn ({40}) Janovsky Frau Jeltsch Dr. Jobst Dr.-Ing. Jork Jung ({41}) Dr. Kahl Kalb Kampeter Frau Karwatzki Kauder Keller Klein ({42}) Klein ({43}) Köhler ({44}) Kossendey Dr. Krause ({45}) Krey Dr.-Ing. Krüger Lamers Dr. Lammert Lamp Laumann Frau Dr. Lehr Lenzer Dr. Lieberoth Frau Limbach Lintner Dr. Lippold ({46}) Louven Dr. Luther Maaß ({47}) Frau Männle Magin Frau Marienfeld Marten Dr. Mayer ({48}) Meckelburg Frau Dr. Meseke Michels Dr. Möller Molnar Dr. Müller Müller ({49}) Neumann ({50}) Dr. Olderog Ost Oswald Pesch Frau Pfeiffer Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla Dr. Polder Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Raidel Dr. Ramsauer Rauen Rawe Regenspurger Dr. Rieder Dr. Riedl ({51}) Dr. Riesenhuber Frau Roitzsch ({52}) Romer Rossmanith Roth ({53}) Dr. Ruck Dr. Rüttgers Sauer ({54}) Frau Schätzle Schartz ({55}) Scheu Schmalz Schmidt ({56}) Schmitz ({57}) Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({58}) Schulz ({59}) Schwalbe Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Seehofer Seesing Seiters Skowron Dr. Sopart Spranger Dr. Stavenhagen Frau Steinbach-Hermann Dr. Stercken Stübgen Frau Dr. Süssmuth Dr. Uelhoff Frau Verhülsdonk Vogel ({60}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Werner ({61}) Wetzel Dr. Wieczorek ({62}) Wimmer ({63}) Dr. Wittmann Wittmann ({64}) Frau Wülfing Würzbach Frau Yzer Zeitlmann Zöller SPD Frau Adler Andres Antretter Bachmaier Frau Barbe Bartsch Becker ({65}) Frau Becker-Inglau Berger Bernrath Beucher Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({66}) Börnsen ({67}) Brandt Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht Büchler ({68}) Büchner ({69}) Dr. von Bülow Büttner ({70}) Frau Bulmahn Frau Burchardt Bury Frau Caspers-Merk Catenhusen Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Diller Frau Dr. Dobberthien Dreßler Duve Ebert Dr. Eckardt Dr. Ehmke ({71}) Eich Erler Esters Ewen Frau Ferner Frau Fischer ({72}) Fischer ({73}) Formanski Frau Fuchs ({74}) Fuhrmann Dr. Gautier Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Gilges Frau Gleicke Dr. Glotz Graf Großmann Haack ({75}) Habermann Frau Hämmerle Hampel Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Heyenn Hiller ({76}) Hilsberg Dr. Holtz Huonker Ibrügger Frau Iwersen Frau Jäger Frau Janz Dr. Janzen Jaunich Dr. Jens Jung ({77}) Jungmann ({78}) Frau Kastner Kastning Kirschner Frau Klappert Frau Klemmer Klose Dr. sc. Knaape Körper Frau Kolbe Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kubatschka Kuessner Dr. Küster Lambinus Frau Lange von Larcher Leidinger Lennartz Frau Dr. Leonhard-Schmid Lohmann ({79}) Maaß ({80}) Frau Marx Matschie Dr. Matterne Frau Matthäus-Maier Frau Mattischeck Meckel Frau Mehl Meißner Dr. Mertens ({81}) Dr. Meyer ({82}) Mosdorf Müller ({83}) Müller ({84}) Müller ({85}) Frau Müller ({86}) Müller ({87}) Müntefering Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Opel Ostertag Frau Dr. Otto Paterna Dr. Penner Peter ({88}) Dr. Pfaff Dr. Pick Poß Purps Rappe ({89}) Reimann Rempe Frau von Renesse Frau Rennebach Reschke Reuschenbach Reuter Rixe Roth Schäfer ({90}) Frau Schaich-Walch Schanz Dr. Scheer Scheffler Schily Schloten Schluckebier Schmidbauer ({91}) Frau Schmidt ({92}) Schmidt ({93}) Frau Schmidt-Zadel Dr. Schmude Dr. Schnell Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schröter Schröter Schütz Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Frau Seuster Sielaff Frau Simm Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge Dr. Sperling Frau Steen Steiner Stiegler Dr. Struck Tappe Frau Terborg Dr. Thalheim Tietjen Frau Titze Urbaniak Vergin Verheugen Dr. Vogel Vosen Wagner Wallow Waltemathe Walter ({94}) Walther ({95}) Frau Dr. Wegner Weiermann Frau Weiler Weis ({96}) Weißgerber Welt Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel Frau Weyel Dr. Wieczorek Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({97}) Dr. de With Wittich Frau Wohlleben Frau Wolf Frau Zapf Dr. Zöpel FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Frau Dr. Babel Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({98}) Eimer ({99}) Engelhard van Essen Dr. Feldmann Friedhoff Friedrich Funke Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Gallus Gattermann Genscher Gries Grünbeck Grüner Günther ({100}) Dr. Guttmacher Hackel Hansen Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler Frau Homburger Frau Dr. Hoth Dr. Hoyer Hübner Irmer Kleinert ({101}) Kohn Dr. Kolb Koppelin Kubicki Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Frau Leutheusser-Schnarrenberger Lüder Lühr Dr. Menzel Mischnick Möllemann Nolting Dr. Ortleb Paintner Frau Peters Frau Dr. Pohl Richter ({102}) Rind Dr. Röhl Schäfer ({103}) Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({104}) Dr. Schmieder Schüßler Schuster Frau Sehn Frau Seiler-Albring Frau Dr. Semper Dr. Solms Dr. Starnick Frau Dr. von Teichman und Logischen Thiele Dr. Thomae Timm Türk Frau Walz Dr. Weng ({105}) Wolfgramm ({106}) Frau Würfel Zurheide Zywietz PDS/LL Frau Bläss Dr. Briefs Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer Henn Frau Dr. Höll Frau Jelpke Dr. Keller Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Schumann ({107}) Dr. Seifert Frau Stachowa Bündnis 90/GRÜNE Dr. Feige Frau Köppe Poppe Frau Schenk Schulz ({108}) Weiß ({109}) Fraktionslos Lowack Enthalten CDU/CSU Haschke ({110}) Frau Jaffke Dr. Kohl Dr. Meyer zu Bentrup Rau Dr. Schäuble Frau Schmidt ({111}) SPD Frau Ganseforth Gansel Hacker Kuhlwein Frau Dr. Lucyga Neumann ({112}) Oostergetelo Frau Schulte ({113}) Wartenberg ({114}) FDP Ganschow Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich rufe jetzt den Antrag auf Drucksache 12/816 auf, Kurzbezeichnung: Erhaltung der Funktionsfähigkeit. Das ist der Antrag von Herrn Schily. Ich eröffne die Abstimmung. Ist die Abstimmung beendet? - Nein, das ist nicht der Fall. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche die Sitzung bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses. ({115})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung wieder. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 12/816 bekannt. Abgegebene Stimmen: 657; davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 289. Mit Nein haben gestimmt: 339. Enthaltungen: 29. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 657 ja: 288 nein: 340 enthalten: 29 Ja CDU/CSU Brähmig Carstens ({0}) Clemens Francke ({1}) Frau Grochtmann Dr. h. c. Herkenrath Dr. Jobst Jung ({2}) Klein ({3}) Werner ({4}) SPD Frau Adler Antretter Bachmaier Frau Barbe Bartsch Berger Bernrath Beucher Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({5}) Börnsen ({6}) Brandt Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht Büchler ({7}) Büchner ({8}) Dr. von Billow Büttner ({9}) Frau Bulmahn Frau Burchardt Bury Frau Caspers-Merk Catenhusen Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Diller Frau Dr. Dobberthien Dreßler Duve Dr. Eckardt Dr. Ehmke ({10}) Erler Esters Ewen Frau Ferner Frau Fischer ({11}) Fischer ({12}) Formanski Frau Fuchs ({13}) Fuhrmann Frau Ganseforth Dr. Gautier Gilges Frau Gleicke Dr. Glotz Graf Großmann Haack ({14}) Habermann Hacker Frau Hämmerle Hampel Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Heyenn Hiller ({15}) Hilsberg Dr. Holtz Huonker Ibrügger Frau Iwersen Frau Jäger Frau Janz Dr. Janzen Jaunich Dr. Jens Jung ({16}) Jungmann ({17}) Frau Kastner Kastning Kirschner Frau Klappert Frau Klemmer Klose Dr. sc. Knaape Körper Frau Kolbe Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kubatschka Dr. Kübler Kuessner Dr. Küster Lambinus Frau Lange von Larcher Lennartz Lohmann ({18}) Frau Dr. Lucyga Maaß ({19}) Frau Marx Frau Mascher Matschie Dr. Matterne Frau Matthäus-Maier Frau Mattischeck Meckel Frau Mehl Meißner Dr. Mertens ({20}) Dr. Meyer ({21}) Mosdorf Müller ({22}) Müller ({23}) Müller ({24}) Frau Müller ({25}) Müller ({26}) Neumann ({27}) Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel Ostertag Frau Dr. Otto Paterna Dr. Penner Peter ({28}) Dr. Pfaff Dr. Pick Poß Purps Rappe ({29}) Reimann Rempe Frau von Renesse Frau Rennebach Reschke Reuschenbach Reuter Rixe Roth Schäfer ({30}) Frau Schaich-Walch Schanz Dr. Scheer Scheffler Schily Schloten Schluckebier Schmidbauer ({31}) Frau Schmidt ({32}) Schmidt ({33}) Frau Schmidt-Zadel Dr. Schmude Dr. Schnell Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schröter Schröter Schütz Frau Schulte ({34}) Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Frau Seuster Frau Simm Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge Dr. Sperling Frau Steen Steiner Stiegler Dr. Struck Tappe Frau Terborg Dr. Thalheim Tietjen Frau Titze Toetemeyer Urbaniak Vergin Verheugen Dr. Vogel Vosen Wagner Wallow Walter ({35}) Walther ({36}) Frau Dr. Wegner Weiermann Frau Weiler Weis ({37}) Weißgerber Weisskirchen ({38}) Welt Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({39}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({40}) Dr. de With Wittich Frau Wohlleben Frau Wolf Frau Zapf Dr. Zöpel FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Frau Dr. Babel Bredehorn Cronenberg ({41}) Eimer ({42}) Engelhard Dr. Feldmann Friedhoff Friedrich Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Gattermann Gries Grüner Dr. Guttmacher Hansen Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hitschler Frau Homburger Hübner Kohn Dr. Kolb Dr.-Ing. Laermann Lühr Dr. Menzel Mischnick Möllemann Nolting Dr. Ortleb Paintner Dr. Röhl Schäfer ({43}) Dr. Schmieder Schüßler Schuster Frau Sehn Frau Dr. Semper Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Starnick Thiele Dr. Thomae Türk Frau Walz Dr. Weng ({44}) Wolfgramm ({45}) PDS/LL Frau Bläss Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer Henn Frau Dr. Höll Frau Jelpke Dr. Keller Frau Lederer Dr. Riege Dr. Schumann ({46}) Dr. Seifert Frau Stachowa Bündnis 90/GRÜNE Dr. Feige Frau Köppe Poppe Frau Schenk Schulz ({47}) Dr. Ullmann Weiß ({48}) Frau Wollenberger Nein CDU/CSU Adam Dr. Altherr Augustinowitz Austermann Bargfrede Dr. Bauer Frau Baumeister Bayha Belle Frau Dr. Bergmann-Pohl Bierling Dr. Blank Frau Blank Bleser Dr. Blüm Frau Dr. Böhmer Börnsen ({49}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Breuer Frau Brudlewsky Brunnhuber Bühler ({50}) Büttner ({51}) Buwitt Carstensen ({52}) Dehnel Frau Dempwolf Deres Deß Frau Diemers Dörflinger Doppmeier Doss Dr. Dregger Echternach Ehlers Ehrbar Frau Eichhorn Engelmann Eppelmann Eylmann Frau Eymer Frau Falk Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fischer ({53}) Frau Fischer ({54}) Fockenberg Frankenhauser Dr. Friedrich Fritz Fuchtel Ganz ({55}) Frau Geiger Geis Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerster ({56}) Gibtner Glos Dr. Göhner Göttsching Götz Dr. Götzer Gres Gröbl Grotz Dr. Grünewald Günther ({57}) Frhr. von Hammerstein Hames Haschke ({58}) Haschke ({59}) Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({60}) Hauser ({61}) Hedrich Heise Frau Dr. Hellwig Dr. Hennig Hinsken Hintze Hörsken Hörster Dr. Hoffacker Hollerith Dr. Hornhues Hornung Hüppe Jagoda Dr. Jahn ({62}) Janovsky Frau Jeltsch Dr.-Ing. Jork Dr. Jüttner Junghanns Dr. Kahl Kalb Kampeter Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Kauder Keller Kiechle Kittelmann Klein ({63}) Klinkert Köhler ({64}) Dr. Köhler ({65}) Dr. Kohl Kolbe Frau Kors Koschyk Kossendey Kraus Dr. Krause ({66}) Dr. Krause ({67}) Krause ({68}) Krey Kriedner Kronberg Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz Lamers Lamp Lattmann Dr. Laufs Laumann Lenzer Dr. Lieberoth Frau Limbach Link ({69}) Lintner Dr. Lippold ({70}) Dr. sc. Lischewski Lohmann ({71}) Louven Lummer Dr. Luther Maaß ({72}) Frau Männle Magin Dr. Mahlo de Maizière Frau Marienfeld Marschewski Marten Dr. Mayer ({73}) Meckelburg Meinl Frau Dr. Merkel Frau Dr. Meseke Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk Michels Dr. Mildner Dr. Möller Molnar Dr. Müller Müller ({74}) Müller ({75}) Müller ({76}) Nelle Dr. Neuling Nitsch Frau Nolte Ost Oswald Otto ({77}) Dr. Päselt Dr. Paziorek Petzold Pfeffermann Pfeifer Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Frau Rahardt-Vahldieck Raidel Dr. Ramsauer Rau Rauen Rawe Reddemann Regenspurger Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik Dr. Rieder Dr. Riesenhuber Rode ({78}) Frau Rönsch ({79}) Frau Roitzsch ({80}) Romer Dr. Rose Roth ({81}) Rother Dr. Ruck Rühe Dr. Rüttgers Sauer ({82}) Sauer ({83}) Scharrenbroich Frau Schätzle Dr. Schäuble Schartz ({84}) Schemken Scheu Schmalz Schmidbauer Schmidt ({85}) Dr. Schmidt ({86}) Schmidt ({87}) Frau Schmidt ({88}) Schmitz ({89}) von Schmude Dr. Schneider ({90}) Dr. Schockenhoff Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz Frhr. von Schorlemer Dr. Schreiber Dr. Schroeder ({91}) Schulhoff Dr. Schulte ({92}) Schulz ({93}) Schwalbe Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seibel Seiters Skowron Dr. Sopart Frau Sothmann Spilker Dr. Sprung Dr. Stavenhagen Frau Steinbach-Hermann Dr. Stercken Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stübgen Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Töpfer Dr. Uelhoff Uldall Frau Verhülsdonk Vogel ({94}) Vogt ({95}) Dr. Voigt ({96}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Wetzel Frau Wiechatzek Dr. Wieczorek ({97}) Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({98}) Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({99}) Wonneberger Frau Wülfing Frau Yzer Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Zeitlmann Zierer Zöller SPD Andres Becker ({100}) Frau Becker-Inglau Daubertshäuser Dr. Diederich ({101}) Ebert Eich Frau Fuchs ({102}) Frau Dr. Leonhard-Schmid Müntefering Frau Schmidt ({103}) Sielaff Voigt ({104}) FDP Frau Albowitz Baum Beckmann van Essen Funke Gallus Ganschow Genscher Günther ({105}) Hackel Dr. Hirsch Frau Dr. Hoth Dr. Hoyer Irmer Kleinert ({106}) Koppelin Kubicki Dr. Graf Lambsdorff Frau Leutheusser-Schnarrenberger Lüder Otto ({107}) Frau Peters Frau Dr. Pohl Richter ({108}) Rind Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({109}) Frau Seiler-Albring Dr. Solms Timm Frau Würfel Zurheide Zywietz Fraktionslos Lowack Enthalten CDU/CSU Frau Augustin Dr. Blens Böhm ({110}) Helmrich Jäger Frau Jaffke Dr. Lammert Frau Dr. Lehr Neumann ({111}) Dr. Olderog Pesch Dr. Riedl ({112}) Rossmanith Spranger Würzbach SPD Dr. Elmer Gansel Kuhlwein Leidinger Neumann ({113}) Dr. Soell Thierse Waltemathe Wartenberg ({114}) FDP Grünbeck PDS/LL Frau Braband Dr. Briefs Dr. Gysi Dr. Heuer Der Antrag ist abgelehnt. Bevor wir in der Abstimmung weiterfahren, erteile ich das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden den dritten Antrag, auf Drucksache 12/818, der heute angekündigt worden ist, auf dem Wahlzettel nicht mehr finden. Ich will dazu kurz eine Erklärung abgeben. Sie ahnen sicherlich, daß wir nach wie vor davon überzeugt sind, daß es eigentlich der konsequenteste Antrag war. Wir haben uns aber überlegt, daß es vielleicht nicht günstig wäre, wenn wir in zwei Wahlrunden gehen, weil nach der ersten auf Grund der Kenntnis der ersten Abstimmung ein breites taktisches Verhalten einsetzen würde. Das Thema war uns zu wichtig und die Sache zu ernst, als daß man sie auf diese Ebene bringt. Deshalb haben wir uns entschieden, im Interesse der Sachentscheidung unseren Antrag zurückzuziehen. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die zwei weiteren Anträge auf den Drucksachen 12/814 und 12/815. Beide Anträge sind auf der Ihnen vorliegenden rosa Stimmkarte aufgeführt. Oben tragen Sie bitte lesbar Ihren Namen einschließlich eines eventuellen Ortszusatzes sowie Ihre Fraktion oder Gruppe ein. Sie können einem der beiden Anträge zustimmen, mit Nein stimmen oder sich der Stimme enthalten. Sie haben nur eine Stimme. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz aufweisen, gar kein Kreuz aufweisen, andere als die vorgeschlagenen Städtenamen aufführen oder keinen lesbaren Namen enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte einwerfen, übergeben Sie bitte Ihren gelben Wahlausweis dem Schriftführer an der Urne. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Haben alle ihre Stimmkarten abgegeben? Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir warten auf das Ergebnis.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Sitzung fort. Ich bitte Sie, zunächst einmal Platz zu nehmen, sofern Sie einen Platz haben. Wir müssen noch einen Augenblick warten, weil das Ergebnis noch nicht vorliegt. ({0}) - Ich kann auch noch kein Nachrichtensender sein. ({1}) Auch wenn sie ungeduldig sind; die Schriftführer und Schriftführerinnen möchten sicher sein, sich nicht verzählt zu haben. Sie kommen gleich herein. Die Spannung ist riesengroß. Ich gebe das Ergebnis jetzt bekannt: Abgegebene Stimmen 660, davon gültige Stimmen 659. Für den Antrag Bundesstaatslösung - Drucksache 12/814 -, Bonn-Antrag, 320 Stimmen, für den Antrag Vollendung der Einheit Deutschlands - Drucksache 12/815 -, Berlin-Antrag, 337 Stimmen, 2 Enthaltungen. * ) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 660 davon für den Antrag - Bundesstaatslösung, Bonn-Antrag - auf Drucksache 12/814: 320 *) Bei der Feststellung des endgültigen Ergebnisses gab es 1 ungültige Stimme. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Ja CDU/CSU Dr. Altherr Dr. Bauer Belle Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Bleser Dr. Blüm Frau Dr. Böhmer Dr. Bötsch Brähmig Breuer Frau Brudlewsky Brunnhuber Bühler ({2}) Carstens ({3}) Dehnel Frau Dempwolf Deres Deß Frau Diemers Dörflinger Frau Eichhorn Engelmann Frau Falk Dr. Faltlhauser Frau Fischer ({4}) Fockenberg Frankenhauser Fritz Ganz ({5}) Geis Gerster ({6}) Glos Dr. Göhner Göttsching Götz Dr. Götzer Gres Gröbl Grotz Dr. Grünewald Günther ({7}) Haschke ({8}) Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({9}) Dr. h. c. Herkenrath Hinsken Hintze Hörsken Hörster Dr. Hoffacker Hollerith Hornung Hüppe Janovsky Frau Jeltsch Dr. Jobst Dr.-Ing. Jork Dr. Jüttner Jung ({10}) Dr. Kahl Kalb Kampeter Frau Karwatzki Kauder Keller Klein ({11}) Köhler ({12}) Frau Kors Kraus Krey Kronberg Lamers Dr. Lammert Dr. Laufs Laumann Frau Dr. Lehr Frau Limbach Lintner Dr. Lippold ({13}) Louven Dr. Luther Frau Männle Magin Dr. Mayer ({14}) Meckelburg Meinl Dr. Möller Dr. Müller Müller ({15}) Müller ({16}) Müller ({17}) Nelle Ost Oswald Pesch Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla Dr. Pohler Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Raidel Dr. Ramsauer Rau Rauen Rawe Regenspurger Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik Dr. Rieder Dr. Riedl ({18}) Rode ({19}) Frau Roitzsch ({20}) Romer Rossmanith Rother Dr. Ruck Dr. Rüttgers Sauer ({21}) Sauer ({22}) Scharrenbroich Frau Schätzle Schartz ({23}) Scheu Schmalz Schmidt ({24}) Schmidt ({25}) Schmitz ({26}) Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Schreiber Schulhoff Dr. Schulte ({27}) Schulz ({28}) Schwalbe Schwarz Seehofer Seesing Spranger Dr. Stercken Strube Frau Dr. Süssmuth Dr. Uelhoff Frau Verhülsdonk Vogel ({29}) Vogt ({30}) Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Werner ({31}) Wetzel Frau Dr. Wilms Wimmer ({32}) Dr. Wittmann Wittmann ({33}) Frau Wülfing Frau Yzer Zeitlmann Zöller SPD Frau Adler Antretter Bachmaier Becker ({34}) Frau Becker-Inglau Berger Bernrath Beucher Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({35}) Frau Brandt-Elsweier Dr. von Bülow Büttner ({36}) Frau Burchardt Bury Frau Caspers-Merk Diller Dreßler Ebert Dr. Ehmke ({37}) Eich Frau Ferner Frau Fischer ({38}) Fischer ({39}) Formanski Frau Fuchs ({40}) Fuhrmann Dr. Gautier Gilges Dr. Glotz Graf Großmann Habermann Hasenfratz Heistermann Dr. Holtz Huonker Ibrügger Frau Janz Dr. Jens Frau Kastner Kastning Kirschner Frau Klappert Klose Körper Kolbow Koltzsch Kretkowski Kubatschka Lambinus Leidinger Lennartz Frau Dr. Leonhard-Schmid Lohmann ({41}) Maaß ({42}) Frau Matthäus-Maier Dr. Mertens ({43}) Mosdorf Müller ({44}) Müller ({45}) Frau Müller ({46}) Müntefering Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Ostertag Frau Dr. Otto Dr. Penner Peter ({47}) Dr. Pfaff Dr. Pick Poß Purps Rappe ({48}) Reimann Rempe Reschke Reuter Rixe Roth Schäfer ({49}) Frau Schaich-Walch Schanz Dr. Scheer Schloten Schluckebier Frau Schmidt ({50}) Frau Schmidt ({51}) Frau Schmidt-Zadel Frau Seuster Sielaff Frau Simm Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Steiner Stiegler Tietjen Frau Titze Toetemeyer Urbaniak Verheugen Vosen Wagner Wallow Waltemathe Walter ({52}) Walther ({53}) Weiermann Frau Weiler Welt Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({54}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({55}) Dr. de With Frau Wohlleben Frau Zapf Dr. Zöpel FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Frau Albowitz Baum Bredehorn van Essen Dr. Feldmann Friedhoff Gallus Gattermann Gries Grüner Heinrich Frau Homburger Dr. Hoyer Hübner Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Lühr Otto ({56}) Paintner Frau Sehn Frau Seiler-Albring Frau Dr. Semper Dr. Thomae Frau Walz Dr. Weng ({57}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth PDS/LL Dr. Briefs Bündnis 90/GRÜNE Dr. Feige Frau Schenk Ja CDU/CSU Adam Frau Augustin Augustinowitz Austermann Bargfrede Frau Baumeister Bayha Frau Dr. Bergmann-Pohl Bierling Böhm ({58}) Börnsen ({59}) Bohl Bohlsen Borchert Büttner ({60}) Buwitt Carstensen ({61}) Clemens Doppmeier Doss Dr. Dregger Echternach Ehlers Ehrbar Eppelmann Eylmann Frau Eymer Feilcke Dr. Fell Fischer ({62}) Francke ({63}) Dr. Friedrich Fuchtel Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Gibtner Frau Grochtmann Frhr. von Hammerstein Harries Haschke ({64}) Hauser ({65}) Hedrich Heise Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Dr. Hornhues Jäger Frau Jaffke Jagoda Dr. Jahn ({66}) Junghanns Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Fraktionslos Lowack Enthalten SPD Müller ({67}) Kiechle Kittelmann Klein ({68}) Klinkert Dr. Köhler ({69}) Dr. Kohl Kolbe Koschyk Kossendey Dr. Krause ({70}) Dr. Krause ({71}) Krause ({72}) Kriedner Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz Lamp Lattmann Lenzer Dr. Lieberoth Link ({73}) Dr. sc. Lischewski Lohmann ({74}) Lumpier Maaß ({75}) Dr. Mahlo de Maizière Frau Marienfeld Marschewski Marten Frau Dr. Merkel Frau Dr. Meseke Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk Michels Dr. Mildner Molnar Dr. Neuling Neumann ({76}) Nitsch Frau Nolte Dr. Olderog Otto ({77}) Dr. Päselt Dr. Paziorek Petzold Pfeffermann Pfeifer Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Frau Priebus Frau Rahardt-Vahldieck Reddemann Reichenbach Dr. Riesenhuber Frau Rönsch ({78}) Dr. Rose Roth ({79}) Rühe Dr. Schäuble Schemken Schmidbauer Dr. Schmidt ({80}) Frau Schmidt ({81}) von Schmude Dr. Schneider ({82}) Dr. Schockenhoff Dr. Scholz Frhr. von Schorlemer Dr. Schroeder ({83}) Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seibel Seiters Skowron Dr. Sopart Frau Sothmann Spilker Dr. Sprung Dr. Stavenhagen Frau Steinbach-Hermann Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen Dr. Stoltenberg Stübgen Susset Tillmann Dr. Töpfer Uldall Dr. Voigt ({84}) Dr. Vondran Dr. Warnke Frau Wiechatzek Dr. Wieczorek ({85}) Wilz Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wonneberger Würzbach Zierer SPD Andres Frau Barbe Bartsch Börnsen ({86}) Brandt Dr. Brecht Bücher ({87}) Büchler ({88}) Frau Bulmahn Catenhusen Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. Diederich ({89}) Frau Dr. Dobberthien Duve Dr. Eckardt Dr. Elmer Erler Esters Ewen Frau Fuchs ({90}) Frau Ganseforth Gansel Frau Gleicke Haack ({91}) Hacker Frau Hämmerle Hampel Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heyenn Hiller ({92}) Hilsberg Frau Iwersen Frau Jäger Dr. Janzen Jaunich Jung ({93}) Jungmann ({94}) Frau Klemmer Dr. sc. Knaape Frau Kolbe Koschnick Dr. Kübler Kuessner Dr. Küster Kuhlwein Frau Lange von Larcher Frau Dr. Lucyga Frau Marx Frau Mascher Matschie Dr. Matterne Frau Mattischeck Meckel Frau Mehl Meißner Dr. Meyer ({95}) Müller ({96}) Neumann ({97}) Neumann ({98}) Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Oostergetelo Opel Paterna Frau von Renesse Frau Rennebach Reuschenbach Scheffler Schily Schmidbauer ({99}) Schmidt ({100}) Dr. Schmude Dr. Schnell Dr. Schöfberger Schreiner Frau Schröter Schröter Schütz Frau Schulte ({101}) Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Dr. Soell Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge Frau Steen Dr. Struck Tappe Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse Vergin Dr. Vogel Voigt ({102}) Wartenberg ({103}) Frau Dr. Wegner Weis ({104}) Weißgerber Weisskirchen ({105}) Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel Wittich Frau Wolf Zumkley FDP Frau Dr. Babel Beckmann Cronenberg ({106}) Eimer ({107}) Engelhard Friedrich Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 660 davon für den Antrag - Vollendung der Einheit Deutschlands, Berlin-Antrag - auf Drucksache 12/815: 338 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Funke Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow Genscher Grünbeck Günther ({108}) Dr. Guttmacher Hackel Hansen Dr. Haussmann Dr. Hirsch Dr. Hitschler Frau Dr. Hoth Irmer Kleinert ({109}) Kohn Dr. Kolb Koppeln Kubicki Frau Leutheusser-Schnarrenberger Lüder Dr. Menzel Mischnick Möllemann Nolting Dr. Ortleb Frau Peters Frau Dr. Pohl Richter ({110}) Rind Dr. Röhl Schäfer ({111}) Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({112}) Dr. Schmieder Schüßler Schuster Dr. Solms Dr. Starnick Frau Dr. von Teichman und Logischen Thiele Timm Türk Wolfgramm ({113}) Frau Würfel Zurheide Zywietz PDS/LL Frau Bläss Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer Dr. Gysi Henn Dr. Heuer Frau Dr. Höll Frau Jelpke Dr. Keller Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Riege Dr. Schumann ({114}) Dr. Seifert Frau Stachowa Bündnis 90/GRÜNE Frau Köppe Poppe Schulz ({115}) Dr. Ullmann Weiß ({116}) Frau Wollenberger Enthalten SPD Müller ({117}) ({118}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf von hier oben aus der Stadt Berlin ganz herzlich gratulieren. Das ist ein großer Tag für uns gewesen, aber auch für das Parlament. Es ist allen zu danken, die an dieser Debatte mitgewirkt haben. Das Ergebnis ist zu respektieren und bindet uns. Ich sage auch allen Dank, die tagelang und wochenlang im Hintergrund für diesen Entscheidungstag gearbeitet haben. Ich schließe damit unsere Sitzung und berufe den Deutschen Bundestag wieder für Freitag, den 21. Juni 1991, 9 Uhr ein. Und jetzt wird gefeiert!