Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/19/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einige Worte an den Direktor beim Deutschen Bundestag, Herrn Dr. Joseph Bäcker, richten, der mit dem Ablauf dieses Monats seine aktive Dienstzeit beenden wird. Sie haben, Herr Dr. Bücker, 33 Jahre dem Parlament gedient, darunter viele Jahre als Sekretär des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, als Leiter des Fachbereichs Parlamentsrecht, als Abteilungsleiter Parlamentarische Dienste und dann sieben Jahre als Direktor. Es war ohne jeden Zweifel ein engagierter und nicht selten auch anstrengender Dienst. Denn die Bundestagsverwaltung war gerade in den letzten Jahren vor ungeheure Herausforderungen gestellt. ({0}) Da gab es beispielsweise große technologische Umbrüche, den Abriß des alten Plenarsaals, den Bezug des Ersatzplenarsaals und den Neubau unseres Plenarsaals, große und leidenschaftlich umstrittene Gesetzesvorhaben und schließlich das große Werk der Wiederherstellung der deutschen Einheit mit den Aufgaben für insbesondere die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern. Hier waren alle Kräfte für eine Aufgabe gefordert, die sicher den Höhepunkt Ihres beruflichen Lebens ausmachte. Sie haben sich, Herr Dr. Bäcker, Verdienste um unsere Arbeit und um das Parlament insgesamt erworben. Dafür danken wir Ihnen mit dem Wunsch für viele weitere gesunde und erfüllte Lebensjahre. ({1}) Ich komme zu den amtlichen Mitteilungen zur Verlesung. Aus dem Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes scheidet Herr Kollege Klinkert als ordentliches Mitglied aus. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als seinen Nachfolger Herrn Kollegen de Maizière vor. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete de Maizière als ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt. Der Antrag der Fraktion der SPD „Mehr Arbeit durch mehr Umweltschutz in den neuen Bundesländern" auf Drucksache 12/676 soll nachträglich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Das von den Koalitionsfraktionen eingebrachte „Flächenstillegungsgesetz 1991 " auf Drucksache 12/721 soll nachträglich dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Ausschuß zur Kontrolle der einigungsbedingten Fördermittel des Bundes für Kultureinrichtungen ({2}) - Drucksache 12/790 2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf vom 1. bis 19. Juli 1991 - Drucksache 12/796 3. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Krise in Jugoslawien - Drucksache 12/795 4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Zur Lage in Kosovo - Drucksache 12/797 5. Beratung des Antrags des Abgeordneten Gerd Poppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Lage in Kosovo - Drucksache 12/780 6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften ({4}) - Drucksachen 12/219, 12/402, 12/459, 12/562, 12/698, 12/768 7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentli2548 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth chen Haushalte sowie über strukturelle Anpassungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ({6}) - Drucksachen 12/221, 12/401, 12/461, 12/581, 12/697, 12/769 -8. Aussprache zum Stationierungskonzept der Streitkräfte 8. Aktuelle Stunde: Verhalten der Bundesregierung bezüglich der geplanten Einlagerung von radioaktiven Abfällen in das Zwischenlager Gorleben und Berücksichtigung der Bedenken der betroffenen Bevölkerung und der Landesregierung von Niedersachsen 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Walter Franz Altherr, Hans-Dirk Bierling, Wolfgang Börnsen ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Uwe Holtz, Norbert Gansel, Rudolf Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Westsahara-Friedensplan der Vereinten Nationen - Drucksache 12/798 -11. Aktuelle Stunde: Hunger und Bürgerkrieg im Sudan 12. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Günther Bredehorn, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung einer einjährigen Flächenstillegung im Wirtschaftsjahr 1991/1992 ({8}) - Drucksache 12/721 ({9}) -Zugleich soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie mit den genannten Ergänzungen einverstanden? - Das ist der Fall. Es ist so beschlossen. Dann möchte ich Ihnen mitteilen, daß sich die Fraktionen darauf verständigt haben, die heutige Sitzung von 16.30 Uhr bis 18.00 Uhr zu unterbrechen, um noch einmal Gelegenheit zur Beratung über den Parlaments- und Regierungssitz in den Fraktionen zu haben. Um 18.00 Uhr wird die Sitzung mit der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes fortgesetzt. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatzpunkt 1 auf: 2. Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes - Drucksache 12/471 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({10}) Rechtsausschuß ZP1 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ausschuß zur Kontrolle der einigungsbedingten Fördermittel des Bundes für Kultureinrichtungen ({11}) - Drucksache 12/790 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ({12}) Innenausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN Zum KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf vom 1. bis 19. Juli 1991 - Drucksache 12/796 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Ausprache. Als erster spricht der Abgeordnete Reinhard von Schorlemer.

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auch im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem langjährigen Direktor Dr. Bäcker ganz herzlich danken. Der Direktor hat viele Freunde in der Fraktion; das wollte ich hiermit noch einmal zum Ausdruck bringen. ({0}) Lassen Sie mich zu unserem Antrag für das KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten mit einem guten Beispiel beginnen. Die ungarische Regierung arbeitet an einem Gesetzentwurf zum Schutz der Rechte und Interessen der in Ungarn lebenden Minderheiten. Vertreter dieser Minderheiten wirken an der Formulierung des Gesetzes mit. Ich halte diesen Vorgang für nachahmenswert. Der Schutz der Rechte nationaler Minderheiten ist kein Problem, das allein Ungarn angeht. Minderheiten treffen wir in nahezu allen europäischen Staaten: Flamen, Bretonen, Korsen, Basken, Elsaß-Lothringer in Frankreich, Slowenen, Friulaner, Deutsche und Ladiner in Italien, Lappen und Samen in Schweden und Finnland, Deutsche in Dänemark, Dänen und Sorben bei uns. Diese Aufzählung könnte man beliebig verlängern, und man brauchte dabei auch keinen europäischen Staat auszulassen. Die Minderheiten tragen erheblich zur Pluralität und zur kulturellen Vielfalt unseres Kontinentes bei. Hierzu gehört auch die Anmerkung, daß die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion stolz ist, eine Sorbin als stellvertretende Fraktionsvorsitzende zu haben. ({1}) Die Minderheitengruppen haben das Recht, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppen ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, sich zu ihrer eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Kein Staat mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten diese Rechte vorenthalten. Dies sind keine neuen Formulierungen. Der Artikel 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte wurde schon vor 25 Jahren abgeschlossen. Warum steht nun dieser Antrag heute auf der Tagesordnung? Weil die Rechte nationaler Minderheiten immer noch nicht allgemein anerkannt und ausreichend geschützt werden. Dies ist nicht nur meine persönliche Auffassung. Es waren immerhin die StaatsReinhard Freiherr von Schorlemer und Regierungschefs der 34 KSZE-Staaten, die dieses Expertentreffen vorgeschlagen und einberufen haben im - ich zitiere - „Bewußtsein der dringenden Notwendigkeit, im Hinblick auf nationale Minderheiten die Zusammenarbeit zu verstärken und diesen Schutz zu verbessern". Das Kopenhagener Treffen der KSZE über die Menschliche Dimension der KSZE vom Juni 1990 ist auf diesem Wege entschieden vorangeschritten. Das Kopenhagener Dokument markiert mit seinen Formulierungen zur Frage der nationalen Minderheiten einen entscheidenden Durchbruch. Es wirkt tief in die rechtlichen und politischen Strukturen der KSZE-Teilnehmerstaaten ein. Und dies ist gut so. Zwei Tage nach Unterzeichnung des Vertrages mit Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der für mich einer der bedeutsamsten Verträge ist, die die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren abgeschlossen hat, ist festzustellen, daß der Standard der in dem Vertrag erreichten Regelung der Rechte der deutschen Minderheit in Polen ohne Kopenhagen wohl kaum zu erreichen gewesen wäre. ({2}) Daß Polen die deutsche Minderheit erstmalig förmlich anerkannt hat, daß sie ihr Recht, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Gruppen ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, vertraglich gesichert weiß, daß zu ihren Rechten zählt, sich privat und in der Öffentlichkeit ihrer Muttersprache frei zu bedienen, in ihr Informationen zu verbreiten, eigene Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen zu unterhalten, sich zu ihrer Religion zu bekennen und diese auch in ihrer eigenen Muttersprache durchzuführen, stellt unsere Beziehung zu Polen auf eine neue Grundlage. Die Forderung des Kopenhagener Dokuments findet damit Aufnahme in einem völkerrechtlichen Vertrag. Wir Deutsche haben daher allen Grund, mit Befriedigung auf dieses Dokument zu verweisen. Ich möchte in diesem Zusammenhang dem Bundeskanzler danken, der den Abschluß des Vertrages zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hat. Der Bundeskanzler hat, als er den hohen Stand der erreichten Minderheitenrechte würdigte, diese Rechte als entscheidend zur Gewinnung des inneren Friedens in Deutschland und Polen hervorgehoben. Wir dürfen dabei nicht vergessen, auch der Arbeit der Vertriebenen unsere Anerkennung auszudrükken. ({3}) Die Vertriebenen haben auf die Bestätigung der Minderheitenrechte unerschütterlich und zäh hingewirkt. Sie haben in den vergangenen Jahren oft Anlaß gehabt, sich in ihrer Arbeit mißverstanden, belächelt oder allein gelassen zu fühlen. ({4}) Das Parlament, das eben, Herr Kollege Duve, die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages lebhaft begrüßt hat, sollte bereit sein, auch den Einsatz der Vertriebenen für eine Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk auf gesicherter vertraglicher Grundlage zu würdigen. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Schorlemer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schorlemer, wir freuen uns, wenn wir gemeinsam diesen deutsch-polnischen Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrag würdigen können. Aber sind Sie bereit, die Sorge zu teilen, die man haben muß, wenn man weiß, daß der Vorsitzende des von Ihnen eben genannten Verbandes bis heute nicht bereit ist, die Grenze als endgültig anzuerkennen?

Reinhard Schorlemer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duve, ich habe von den Vertriebenen gesprochen. Ich glaube, die Aussagen, die gerade in den letzten Wochen und Monaten zu diesem Vertrag und auch zur Sicherstellung der Minderheitenrechte gemacht worden sind, bringen zum Ausdruck, daß die Vertriebenen dieses Werk positiv unterstützen. Das möchte ich zum Ausdruck gebracht haben. ({0}) Für manche unserer Partner stellt der Kopenhagener Katalog der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten das Maximum des Wünschbaren und des Vertretbaren dar. Dennoch sollte sich die Bundesregierung verpflichtet fühlen, den Schutz der Rechte nationaler Minderheiten weiter voranzutreiben. Dies soll mit dem vorliegenden Antrag erreicht werden. Vor der Vereinigung war Deutschland auf Grund seiner exponierten Lage häufig genug zur besonderen Zurückhaltung gezwungen. Das vereinte Deutschland sollte, gerade wenn es um den Schutz von Menschen- und Minderheitenrechten geht, diese Zurückhaltung aufgeben. Der Einsatz für Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und Minderheitenrechte liegt im wohlverstandenen deutschen Interesse. Die Gestaltung des größeren Europa, in dem alle Länder und Völker unseres Kontinents in Stabilität und Frieden zusammen leben und auch zusammen leben wollen, ist dauerhaft nur durch den Schutz und Ausbau der Rechte nationaler Minderheiten, die Freiheitsrechte sind, zu garantieren. Ich bedanke mich. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Herr Duve das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es fügt sich gut, daß heute morgen, just zu dieser Stunde, die Außenminister der KSZE zum ersten Mal in Berlin zur KSZE-Tagung zusammentreten. Wir begrüßen dies. Es ist für uns in Deutschland ein besonderer Tag. ({0}) Es wäre gut, wenn sich diese Konferenz auch mit der Situation in Jugoslawien befassen würde. Es ist zu begrüßen, daß die Außenminister baltischer Staaten in Berlin anwesend sind. ({1}) Sie nehmen nicht offiziell teil. Aber dennoch ist dies ein Schritt, der zeigt, wie offen dieser KSZE-Prozeß inzwischen geworden ist. Ich will in diesem Zusammenhang an ein Wort des Philosophen Karl Jaspers erinnern. Vor genau 25 Jahren hat er geschrieben: Das Mögliche und Wünschenswerte wäre zukünftig ein Gewebe von Verträgen, das die Menschheit zu einer faktisch friedlichen Einheit in einem dann immer noch labilen Zustand verbände. In seinem Text schließt Japsers aus, daß es zu einer Weltgesellschaft oder zu einem Weltstaat kommen würde. Nein, meint er, es würden viele kleine Staaten sein, aber sie müßten durch solche Vertragssysteme zusammengehalten werden. Dieses Gewebe vieler Verträge existiert heute in Europa. Die Gefahr eines großen Konflikts, den man Weltkrieg nennen könnte, ist heute geringer als je zuvor in den vergangenen 40 Jahren. Daran hat Helsinki und daran hat die KSZE einen nicht geringen Anteil. Wir sind im Zusammenhang mit der Außenministerkonferenz heute morgen in Berlin stolz, an Willy Brandt und Helmut Schmidt zu erinnern. Ohne die Leistung der Ostpolitik gäbe es dieses Treffen in diesem Berlin heute nicht. ({2}) - Es ist für einen Angehörigen des Deutschen Bundestages völlig unmöglich, Herr Kollege Irmer, Herrn Genscher je zu vergessen. Dafür sorgt er schon selber. ({3}) Die KSZE ist in den letzten zwei Jahren nicht immer so ernst genommen worden wie heute und morgen in Berlin. Daß auch der amerikanische Außenminister in ihr wieder ein wichtiges Element für die friedlichen Konstruktionen des europäischen und transatlantischen Brückenbaus sieht, läßt hoffen, daß der Helsinki-Gedanke neue Strahlkraft auch woanders bekommt. Ich denke etwa daran, daß sich viele einen Friedensprozeß im Nahen Osten nur unter den Möglichkeiten eines Helsinki-Vorgangs, nämlich eines breiten Prozesses, in dem man über die verschiedenen Körbe dann auch an unterschiedlichen Tischen diskutiert, vorstellen können. KSZE, meine Damen und Herren, das ist nicht nur ein Reichtum an Dokumenten, sondern auch an Erfahrungen. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß es schon auf der Budapester Kulturkonferenz der KSZE zu keinem Schlußdokument gekommen war, weil sich Rumänien nicht dazu verstehen konnte, einen Passus über kulturelle Rechte von Minderheiten zu akzeptieren. Er hätte die Ungarn und die Deutschen in Rumänien betroffen. Damals war dies in der öffentlichen Diskussion völlig untergegangen. Die beiden Warschauer-Pakt-Mitgliedstaaten Ungarn und Rumänien haben das unter der Decke gehalten, und alle gemeinsam haben den Eindruck erweckt, als läge es an den USA und an der Sowjetunion, daß es nicht zu einem Schlußdokument gekommen war. Das war noch der Kalte Krieg. Aber in Wahrheit gab es tief unter der Decke dieser Konferenz bereits einen völlig anderen Konflikt, den eigentlichen Konfliktstoff. Ich erinnere daran immer gern, weil wir es leicht vergessen. Ich darf an das Schlußdokument von Malta aus dem Februar dieses Jahres erinnern, als ein Expertentreffen ein Rechtssicherheitsnetz zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten gesucht hatte. Dieses Treffen hat wirklich kein revolutionäres Ergebnis zustande gebracht, aber immerhin einen Schlichtungsmechanismus mit KSZE-Schiedsrichtern etabliert; dies ist ein erster Schritt. Und ich erinnere an die Pariser Konferenz vom November 1990, als die Regierungschefs die Charta für ein neues Europa vorstellten, die sich auch schon insbesondere mit den Menschenrechtsforderungen befaßte. Wenige Tage nach dem Außenministertreffen in Berlin nimmt das Expertentreffen Anfang Juli in Genf ein wichtiges Element der europäischen Wirklichkeit auf. Über nationale Minderheiten soll im Anschluß an die Kopenhagener Erklärung zwölf Monate später diskutiert werden. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben in den vergangenen Tagen eine gemeinsame Entschließung zu diesem Thema vorbereitet. Sie soll heute verabschiedet und den Genfer Experten mit auf den Weg gegeben werden. Lassen Sie mich einige grundsätzliche Fragen dazu aufwerfen. Wenn ich unsere Verfassung richtig verstehe, dann regelt sie die Notwendigkeit, immer wieder Mehrheiten zu finden, deren vornehmste Aufgabe es ist, Minderheiten, den einzelnen und die vielfältigen Gruppen, zu denen sich einzelne zusammenschließen, zu schützen. Mehrheit in diesem Verständnis ist eine demokratische Notwendigkeit, aber kein fester sozialer oder kultureller Tatbestand. Wir alle gehören in der modernen Gesellschaft im Laufe unseres Lebens sehr verschiedenen Gruppen an, in der Regel in Wahrheit Minderheiten. In Genf wird es um nationale Minderheiten gehen. Ich denke, wenn wir Deutschen darüber diskutieren, müssen wir einmal an die glückliche Homogenität unseres Volkes denken. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, daß es nach wie vor das Welterschrecken über den grausamsten Völkermord gibt, den ausgerechnet wir Deutschen in diesem Jahrhundert an Juden, an Sinti und Roma verübt haben. Meine erste Bemerkung: Wir möchten den Experten in Genf gerne die Frage mit auf den Weg geben, ob zu dem Begriff nationale Minderheiten etwa auch das Volk der Sinti und Roma gehört. Ich weiß nicht, ob wir für all das, was uns in Europa mit Minderheitenfragen beschäftigt, den Begriff nationale Minderheiten wirklich ausreichend nutzen können. Gehören also Sinti und Roma dazu? Wie werden die seit Jahrhunderten in Europa lebenden fast fünf Millionen Menschen im Kontext der KSZE-Debatte gewürdigt? Zweifellos bilden sie in Rumänien eine große nationale Minderheit, aber ganz zweifellos haben sie unter den anderen Minderheiten Rumäniens keinerlei Fürsprecher; auch verfügen sie nicht über einen Bruderstaat oder ein Mutterland, das sich insbesondere ihrer Rechte annehmen könnte. ({4}) - Sie sind eine internationale, eine europäische Minderheit. Sinti und Roma machen deutlich, daß es nicht nur um nationale Minderheiten im klassischen Sinne gehen kann. Bei der Europäisierung muß sich der Schutzgedanke gerade solcher Gruppen annehmen, auf die der Begriff national nur eingeschränkt zutrifft. Zweite Bemerkung: Auf einer Anhörung meiner Fraktion zur künftigen sogenannten ostdeutschen Kulturpolitik hat Klaus von Bismarck in eindrucksvoller Weise daran erinnert, wie schwer es ist, von ganz kompakten Minderheitengruppen, etwa in den ehemals zu Deutschland gehörenden Teilen Osteuropas, zu sprechen. Er hat auf die von vielen Völkern geprägte Mischkultur dieser Region hingewiesen, auf Perioden friedlichen Zusammenlebens und auf solche, in denen gerade die besondere Betonung des je Eigenen zu Konflikten geführt hat. Günter Grass hat auf dem diesjährigen Kirchentag auch daran erinnert, daß es ja im wesentlichen der Reichtum dieser Region, daß es die Mischung der Kulturen gewesen ist, die das Zusammenleben von Menschen ganz verschiedener religiöser oder anderer Überzeugungen geprägt haben. Kulturen des Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen bestimmen die europäische Wirklichkeit stärker als ihre präzise, geradezu mathematische Trennbarkeit. Das Leben der modernen Gesellschaft befördert dieses ebenfalls. Es gibt kaum ein Volk in der Sowjetunion, das nicht auch Angehörige aus allen anderen Gruppen und Völkern der Sowjetunion bei sich leben hätte. In Litauen leben sogar Aserbeidschaner. Es gibt natürlich eine riesige Minderheit von Polen und Russen. Wir müssen also das eigentliche Problem nicht nur im Schutz dieses einen Korpus sehen, sondern im Schutz des Geflechts Verschiedener, die zusammen leben wollen und auch aus einer Geschichte des Zusammenlebens kommen. Dieser Wirklichkeit entspricht der Grundgedanke des Minderheitenschutzes, wie ihn das Kopenhagener Dokument darstellt und festgelegt hat und wie ihn der deutsch-polnische Vertrag wieder aufgreift. Es geht um die Rechte der einzelnen, sich gemeinsam mit anderen in der je eigenen Kultur auszudrücken und die eigene Sprache zu sprechen. Es geht um die individuellen Bürgerrechte, sich zu ganz unterschiedlichen Gruppen zusammenzuschließen, das kulturelle Erbe der Eltern zu pflegen. Es geht auch um das individuelle Recht, dieses möglicherweise zu unterlassen und sich anderen Gruppen anzuschließen, sich also gegen die Minderheitenkultur der Eltern zu stellen und gar aus ihr auszuscheren. Das alles meint Minderheitenrechte als das Individualrecht, sich zusammenzuschließen. Wir Sozialdemokraten legen auf diesen individualrechtlichen Ansatz besonderen Wert. Allzu schnell könnten sonst Bürger zur Verrätern gestempelt werden, die für ihre Gemeinde einen anderen Weg suchen als den ihrer sogenannten Volksgruppe. Wir haben ja solche Beispiele in Schlesien, wo Deutsche, die in dem einen Verband nicht mittun wollen, sondern in einem anderen, öffentlich als Verräter gebrandmarkt werden. Es geht auch um den individuellen Schutz. Zum Thema Einmischung: Wir haben in den letzten Tagen an der Einmischungsklausel unserer Entschließung - das ist der letzte Spiegelstrich auf Seite 4 - gearbeitet. Ja, natürlich, Herr Lamers, wir wollen keinem Diktator erlauben, seine eigenen Bürger zu vertreiben, zu drangsalieren oder umzubringen. Wir haben darüber im Falle des Irak und der kurdischen Flüchtlinge gemeinsam diskutiert. Die Souveränität der Staaten ist nicht die Souveränität der Diktaturen oder Diktatoren, ihre eigenen Bürger zu schikanieren. Da sind wir uns völlig einig. Wir wollen aber auch kein Europa mehr, in dem der Minderheitenschutz eines Tages möglicherweise zum Vorwand einer gewaltsamen Einmischung genommen werden könnte. Auch das wollen wir nicht mehr. Auch dafür haben wir Beispiele in der europäischen Geschichte und auch in diesem Jahrhundert. Das will heute niemand mehr; das unterstellt auch niemand irgend jemandem. Aber wo Gruppen immer noch nicht die bestehenden Grenzen akzeptiert haben und wo einzelne - das läßt sich doch nun wirklich nicht leugnen - immer noch an der Revisionschance arbeiten, ist für uns alle Vorsicht angebracht. Unser gemeinsames Dokument soll dem Genfer Expertentreffen Anregungen geben und ihm die Grundüberzeugung aller im Parlament vertretenen Parteien übermitteln. Ich glaube, daß unsere Entschließung dies leistet. Zugleich aber bin ich überzeugt, daß wir mit dem Begriff der nationalen Minderheit zu kurz greifen und weiter diskutieren müssen. Ich kann hier keinen besseren Begriff aus dem Hut zaubern, aber je länger man sich mit dem Problem der Minderheiten in Europa, vor allem in der modernen europäischen Gesellschaft, befaßt, um so weniger glaube ich, daß dieser Begriff ausreicht. Denn neben der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur gehören wir als Bürger des 20. Jahrhunderts immer auch bestimmten Arbeits- und Lebenszusammenhängen an, leben unterschiedlich in Städten oder auf dem Lande, sind physisch und psychisch häufig zu einer neuen Mobilität gezwungen, die uns zu Menschen in einem ganzen Bündel unterschiedlicher Rollen macht. Die neue Wirklichkeit wird mit den alten Begriffen nur unzulänglich gekennzeichnet. Die neue Mobilität der Menschen erzeugt auf der einen Seite die Sehnsucht, Schutz im Gehäuse der eigenen Kultur zu suchen, zugleich aber auch die Notwendigkeit, sich den Anforderungen der modernen Zivil- und Wirtschaftsgesellschaft zu stellen. Unser von historischen Erfahrungen geprägtes Denken kann sich mit dieser Viel2552 fachrolle des einzelnen nur sehr schwer abfinden. Gerade deshalb ist der individualrechtliche Ansatz im Kopenhagener Dokument so wichtig. Nur er deckt die vielfältigen Spannungen, denen der moderne Mensch ausgesetzt ist. Der polnische Autor Ryszard Kapuscinski hat - damit will ich schließen - diese merkwürdige Spannung der modernen Menschen zwischen der immer engeren Bindung an das je Eigene und dem Leben in der modernen Gesellschaft am Beispiel von Los Angeles mit dem Begriff der Collagen-Gesellschaft umschrieben: Es geht weder um die Einschmelzung aller in die Moderne unterschiedsloser Fernsehgesellschaften noch um die Rückkehr zu alten Zugehörigkeiten. Es geht um eine neue Vielfalt, auch im eigenen Leben. Meine Damen und Herren, ich sehe in der modernen Welt eigentlich nur drei Beispiele, wo das, was wir anstreben, bisher für das ganze Volk einigermaßen gelungen ist. Das ist die amerikanische Gesellschaft mit all den Fragezeichen, die wir insoweit immer stellen müssen, das ist - nur für die jüdischen Bürger - die israelische, wo sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen unter dem Dach einer Religion zusammenfinden, und das ist die Schweizer Gesellschaft. In allen anderen Gesellschaften haben wir sozusagen neue Typen von Problemen. Auch in allen westeuropäischen Gesellschaften haben wir alte Konflikte, wobei ich an Spanien, aber auch an Irland denke. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, daß auf dieser Konferenz neue Anregungen kommen und daß die KSZE bald auch zu institutionalisierten Instrumenten kommt, um auf diesem Wege mit uns gemeinsam weiterzuarbeiten. Danke schön. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Ulrich Irmer das Wort.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen! Viele Probleme in der Geschichte und auch in der Gegenwart sind durch Nationalitätenkonflikte verursacht. Minderheiten gibt es fast überall, und innerhalb dieser Minderheiten gibt es wiederum Minderheiten, die anderswo Mehrheiten sind. Wenn wir etwa Jugoslawien betrachten, stellen wir fest: Dort sind die Albaner im Kosovo in der Minderheit gegenüber den Serben. Aber innerhalb des Kosovo gibt es wiederum eine serbische Minderheit unter der Mehrheit von Albanern. Die Serben, die in Kroatien leben, sind dort eine Minderheit; aber in Jugoslawien sind sie in der Mehrheit. Wir haben Minderheiten in unserem eigenen Land: die Dänen in Schleswig-Holstein und die Sorben, die unserem Lande jetzt zugewachsen sind und die wir herzlich willkommen heißen. Ich finde es sehr schön, daß eine Sorbin bei der CDU/CSU Stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Ich glaube, daß das Problem der nationalen Minderheiten bei uns kein Problem mehr ist, weil wir Regeln gefunden haben, wie wir miteinander umgehen. In anderen Ländern gibt es riesige Probleme. Es gibt nicht nur das Problem der nationalen Minderheiten, sondern auch der Nationalstaaten, die aus unterschiedlichen Völkern bestehen. Ich denke an die Tschechoslowakei, wo zwei Völker leben: Tschechen und Slowaken. Sie müssen miteinander leben, sie müssen miteinander auskommen. ({0}) Wenige Kilometer von hier entfernt, in Belgien, leben Wallonen, Flamen und eine deutsche Minderheit, die dort Rechte genießt, zusammen. Deutsch ist in Belgien dritte Amtssprache. Wir haben Vielvölkerstaaten wie etwa die Schweiz und Jugoslawien. Wir müssen uns eigentlich eines klarmachen: Im Lichte des europäischen Zusammenschlusses, im Lichte dessen, was wir als Europäische Union anstreben, ist jeder von uns Minderheit. In Europa sind auch die Deutschen eine Minderheit, obwohl sie an Zahlen die meisten sind. Auch in der EG sind wir eine Minderheit. Ich sollte mir immer klarmachen, daß ich überall auf der Welt, außer in meinem eigenen Lande, Ausländer bin. ({1}) Das Wort „Ausländer" ist ein ganz eigenartiger Begriff. Ich brauche nur über die Grenze zu gehen, und ich bin Ausländer. Ich bin eine Minderheit auf der ganzen Welt, auch als Deutscher. Meine Damen und Herren, es gibt den Begriff der nationalen Minderheit. Wir haben ihn in unserem Entschließungsantrag nicht definiert. Die KSZE-Expertenkonfernz wird sich sicher Mühe geben, eine Definition zu finden. Aber es gibt über den traditionellen Begriff der nationalen Minderheit hinaus neue Formen von nationalen Minderheiten. Traditionell sagt man: Eine nationale Minderheit ist eine Gruppe, die die Staatsangehörigkeit des Landes hat, wo sie lebt. Aber betrachten wir einmal Wanderarbeitnehmer: Sind die Türken bei uns im Lande nicht auch eine nationale Minderheit, obwohl sie hierzulande keine Staatsangehörigkeit haben? Kann sich das nicht ändern? Wird nicht auch ein Türke der dritten Generation zur nationalen Minderheit, wenn er ständig hier lebt? Vielleicht ist dieser Ansatz - Herr Duve, Sie haben die USA erwähnt - doch ganz hilfreich; denn die USA setzen sich nur aus Zuwanderern zusammen, aus Menschen, die dort heimisch geworden sind und sich heute alle als Amerikaner fühlen. Ich möchte ein wenig davor warnen, daß man die Definition der nationalen Minderheit an die Staatsangehörigkeit des Landes knüpft, in dem man lebt. Denn es wäre sonst zu leicht, daß die Mehrheit sagen würde: Dadurch, daß wir die Staatsangehörigkeit aberkennen oder nicht zuerkennen, sprechen wir dieser Gruppe die Rechte der nationalen Minderheit ab. Wir sollten, meine Damen und Herren, einige Grundregeln als selbstverständlich akzeptieren. Nationale Minderheiten sollten loyale Bürger des Landes sein, in dem sie leben. Das ist eine GrundvoraussetUlrich Irmer zung. Sobald sie eine Abspaltung von dem Land oder eine Aufspaltung des Landes betreiben, in dem sie leben, sind sie nicht loyal und schaffen neue Probleme. Dann, wenn sie die Voraussetzung, loyale Bürger zu sein, erfüllen, haben sie das Recht, weitgehende Autonomie zu genießen, die durch die KSZE und durch den Europarat mittels einer besonderen Konvention festgelegt und allgemein verbindlich gemacht werden soll. Ich möchte Ihnen noch einen Gedanken vortragen: Wir sollten uns bei dem Verlangen nach Rechten für nationale Minderheiten, die uns selbst nahestehen, beispielsweise für deutsche nationale Minderheiten in anderen Ländern, immer vor Augen halten: Die Rechte, die wir für die deutschen Minderheiten dort fordern, sollten wir auch den nationalen Minderheiten gewähren, die bei uns leben. Wir sollten nicht über das hinausgehen, was wir selbst zuzugestehen bereit sind. Ich frage nur einmal: Was würde denn geschehen, wenn etwa die Türken in Kreuzberg jetzt verlangten, daß dort türkische Straßenschilder aufgestellt werden sollten? Wie halten wir es denn mit den politischen Autonomierechten, die wir für die deutsche Minderheit fordern, beispielsweise gegenüber den Gastarbeitern, die bei uns leben? Natürlich hängt das von der Definition der Minderheit ab. Ich meine aber, daß es nicht abwegig wäre, zu sagen: Das, was wir von anderen verlangen, sollten wir auch bereit sein, denen zu geben, die bei uns leben. Wir kommen hier zu guten Regelungen. Ich bin überzeugt, im Prozeß des Zusammenwachsens von Europa müssen wir den nationalen Minderheiten wie allen Minderheiten Rechte geben. Ich meine, der Stand einer Kultur erweist sich darin, wie die Mehrheit mit den Minderheiten umgeht. Ich bedanke mich. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Angela Stachowa das Wort.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß dieser Antrag eingebracht wurde. Ich kenne aus eigener Erfahrung die nicht zu unterschätzende Bedeutung, die der Verwirklichung grundlegender Rechte und Pflichten einer nationalen Minderheit zukommt. Nationale Minderheiten, die in der Regel über viele Jahre, ja, zum Teil Jahrhunderte hinweg inmitten anderer Völker leben und überlebten, gehören heute zur kulturellen, sprachlichen und ethnischen Vielfalt unseres Daseins. Sie gilt es zu bewahren, zu schützen, zu pflegen und zu fördern; denn sie verkörpern einen Teil der Weltgeschichte und der Weltkultur. Ich selbst gehöre einer nationalen Minderheit in Deutschland an, dem sorbischen Volk, das alle Tiefen und Höhen in nahezu tausend Jahren inmitten deutschen Territoriums durchgemacht hat und heute nicht nur um die Erhaltung und Entfaltung seiner nationalen Identität, sondern generell um seine Zukunft, ja, um sein Überleben kämpft. Die in dem Antrag aufgeführten Forderungen für das Auftreten der Bundesregierung in internationalen Gremien müssen uns zugleich zu denken geben; denn auch im eigenen Land steht nicht alles zum besten. Auch hier sind einige Forderungen angebracht. Ein Rückblick auf die vergangene Wahlperiode zeigt, daß in diesem Hohen Hause mehrfach über die Lage nationaler Minderheiten in anderen Ländern debattiert und polemisiert wurde. ({0}) Unsere Verantwortung gebietet aber, auch über die positiven Erfahrungen und die Sorgen und Nöte der drei anerkannten nationalen Minderheiten im geeinten Deutschland, der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe und des sorbischen Volkes, ohne Mutterland zu sprechen. Konkret zum sorbischen Volk: Im Protokoll zum Art. 35 des Einigungsvertrages werden die Freiheit zum Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und die Gewährleistung der Fortentwicklung der sorbischen Kultur festgeschrieben. Von einer Förderung wie in der Verfassung in Schleswig-Holstein ist hier keine Rede. Doch gerade das brauchen die Minderheiten, braucht diese Minderheit. Die Problematik des sorbischen Volkes kann sich nicht in der Förderung ihrer Sprache und Kultur erschöpfen; denn das Thema die Sorben und die Braunkohle hat etwas mit ihrem direkten Überleben zu tun. Ich spreche vom Kampf ums Überleben und frage in diesem Zusammenhang: Ist die dem sorbischen Volk vom Bund für dieses Jahr gewährte Summe von 12 Millionen DM für den Erhalt und die Weiterführung kultureller Einrichtungen wirklich ausreichend? Aus der Kenntnis der Belange meines Volkes heraus meine ich: nein. Die Länder Sachsen und Brandenburg sind arm. Kunst und Kultur gehen in Krisenzeiten als erste über Bord. Dieses eindeutige Gesetz von Basis und Überbau, wird, fürchte ich, vor sorbischer Kunst und Kultur nicht haltmachen. ({1}) Noch einige allgemeine Bemerkungen. Im vorliegenden Antrag wird das vorgesehene Minderheitenschutzgesetz in Ungarn als positives Beispiel erwähnt. Warum gibt es nichts Adäquates bei uns? Wie Sie sicher alle wissen, gibt es weder eine Aussage zu den Rechten und Pflichten noch eine zu Schutz und Förderung nationaler Minderheiten im Grundgesetz, ganz zu schweigen von einem Gesetz über nationale Minderheiten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Stachowa, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koschyk?

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Meinung, daß es ein ernsthaftes Bemü2554 hen des Landes Brandenburg und des Freistaates Sachsen gibt, die Rechte der sorbischen Minderheit in diesen Ländern auch in den Landesverfassungen zu schützen, und sind Sie bereit, dieses Bemühen entsprechend zu würdigen und hier nicht zu unterstellen, daß diese beiden Länder, in denen Angehörige Ihrer Volksgruppe leben, nicht versuchen, den Rechten Ihrer Volksgruppe unter Berücksichtigung eines wirklich europäischen Standards Genüge zu tun?

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich gehe mit Ihnen konform. Die Länder Sachsen und Brandenburg bemühen sich. Ich glaube aber, es ist auch die Aufgabe des Bundes, nationale Minderheiten zu fördern und zu unterstützen. ({0}) Inwieweit kommt die Anerkennung des Rechts auf kollektive Ausübung von Individualrechten und die damit verbundene Gewährung der Teilhabe nationaler Minderheiten an politischen Entscheidungen auf kommunaler, regionaler und gesamtstaatlicher Ebene in der Praxis überhaupt zum Tragen? Der Bundestag sollte die Bundesregierung auffordern, in regelmäßigen Abständen einen Minderheitenbericht vorzulegen. Ein solches Dokument würde uns auch erlauben, konkrete Vergleiche anzustellen und zu prüfen, wie die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verabschiedeten Prinzipien zum Schutz der Rechte von Minderheiten in der Bundesrepublik tatsächlich verwirklicht werden. Meine Damen und Herren, auch in einem zukünftigen geeinten Europa ohne Grenzen werden die Bayern Bayern und die Sachsen Sachsen bleiben. Auch die nationalen Minderheiten sollen bleiben, was sie sind, nämlich unter anderem Bindeglieder, aber vor allem Gruppen von Menschen mit einer eigenen nationalen Identität. Zum Abschluß noch eine Bemerkung. Wenn heute diesem Antrag zugestimmt wird, so beantrage ich zugleich, daß die Bundesregierung nach der Sommerpause hier vor dem Hohen Hause einen Bericht über die Ergebnisse des Expertentreffens gibt und notwendige Schlußfolgerungen für den innerstaatlichen Umgang mit nationalen Minderheiten darlegt. Ich danke Ihnen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt Herr Staatsminister Helmut Schäfer.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Expertentreffen über nationale Minderheiten, das am 1. Juli in Genf beginnen soll, kommt zur rechten Zeit. Es wurde von den Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten bei ihrem Treffen in Paris im vergangenen November einberufen - ich zitiere -, „im Bewußtsein einer dringenden Notwendigkeit des Minderheitenschutzes". Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung im Anschluß an das Expertentreffen, Frau Kollegin, natürlich in den Ausschüssen berichten wird; das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Denn über all diese Konferenzen wird anschließend zu sprechen sein. Akute Krisen sowie offene und latente Spannungen in einigen KSZE-Staaten belegen, wie notwendig das KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten ist und wie zutreffend auch die Bewertung der Staats- und Regierungschefs im Hinblick auf die Einberufung dieses Treffens war. Sie belegen auch, daß ungelöste Minderheitenfragen große Probleme schaffen können. Meine Damen und Herren, Minderheitenschutz ist angewandte Menschenrechtspolitik. ({0}) Der Schutz der Individualrechte allein, der zunächst beim Helsinki-Prozeß in den Mittelpunkt gerückt war, reicht nicht aus. ({1}) Nur der besondere Schutz und die besondere Förderung von Minderheiten trägt dazu bei, historische Konflikte zu entschärfen und aus früheren Feinden Freunde zu machen. Hier ist wiederholt auf das Beispiel Dänemark und Deutschland verwiesen worden. Wir könnten noch einige andere Beispiele nennen; Herr Irmer hat es getan. Aber ich glaube, dieses Beispiel macht besonders deutlich, wie Minderheiten miteinander bzw. Mehrheiten mit ihren jeweiligen Minderheiten umgehen können. Ich darf auch sagen, daß sich dank unserer beharrlichen Ostpolitik - hier kann man ja nun eigentlich alle Parteien mit einbeziehen, Herr Kollege Duve - die Situation der deutschen Minderheiten in den Staaten Mittel- und Osteuropas doch grundlegend verbessert hat. Ich hoffe, daß diese Entwicklung viele Angehörige der deutschen Minderheit auch zum Bleiben in ihren jeweiligen Staaten veranlassen wird ({2}) und daß sie auch ermutigt werden, bei dem schwierigen Prozeß dort, nämlich Demokratie herzustellen und eine neue Wirtschaftsordnung zu schaffen, kräftig mit anpacken, wie sie in den vergangenen Jahrhunderten, kann man sagen, ja auch ganz wesentlich zum Lebensstandard, zur Entwicklung nicht nur der Kultur, sondern auch des Wohlstands der Länder beigetragen haben, in denen sie heute noch leben. Im deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit werden wesentliche Bestimmungen des Kopenhagener Dokuments rechtlich verbindlich vereinbart. Dies ist auch ein konkreter wesentlicher Fortschritt und ein Beitrag zur Fortentwicklung des europäischen Minderheitenschutzes. Auf dem Genfer Treffen werden wir uns für weitere Verbesserungen des europäischen Minderheitenstandards einsetzen. Ich habe schon gesagt: Minderheitenschutz und Schutz der Menschenrechte gehören eng zusammen. Eine Minderheit kann ihre Identität nur wahren, wenn sie ihr Anderssein als Gruppe und mittels der Gruppe manifestieren kann. Die KSZE-Teilnehmerstaaten müssen auf dem in Kopenhagen eingeschlagenen Weg fortfahren, die Individualrechte auszubauen und damit natürlich auch Konsequenzen für die Behandlung von Minderheiten zu ziehen. Es gibt ja nun Staaten, die besorgt sind, daß die Respektierung der berechtigten Anliegen von Minderheiten eine Gefahr für ihre staatliche Souveränität oder gar für den Bestand ihres Staates werden könnte. Aber, meine Damen und Herren, es hat sich doch gezeigt, daß akute Probleme nicht dadurch gelöst werden können, daß man ihr Bestehen leugnet. Es ist selbstverständlich, daß der Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen die Bereitschaft der Minderheit zur Zusammenarbeit mit der Mehrheit in ihrem jeweiligen Staat entsprechen muß. Aufgeschlossene und vertrauensvolle Zusammenarbeit seitens der Minderheit ist aber um so weniger zu erwarten, je mehr eine Minderheit ihre legitimen Interessen gefährdet sieht. Eine Minderheit wird ihre Rechte um so heftiger einklagen, je mehr sie befürchten muß, bei Entscheidungen, von denen sie betroffen ist, nicht ausreichend, und zwar auf allen Ebenen, beteiligt zu werden. Das Genfer Expertentreffen muß dafür genutzt werden, über Lösungen gerade für die schwierigsten und konfliktträchtigsten Situationen nachzudenken. Wo - wie in Südtirol - eine Minderheit in ihrem geschlossenen Siedlungsgebiet die Mehrheit bildet, bieten sich lokale und regionale Verwaltung auf territorialer Basis an. Solche Regelungen eignen sich aber nicht für Gebiete, in denen eine Minderheit weit verstreut leben muß. Aber auch dort gibt es natürlich die Möglichkeit, daß sich staatliche Autoritäten eben nicht in Dinge einmischen, die die Minderheit selbst verwalten kann und die sie auch selbst verwalten soll. Es geht uns vor allem darum, daß es in vielen Feldern der öffentlichen Angelegenheiten, der öffentlichen Verwaltung, die man als partielle oder personelle Autonomie den Minderheiten getrost selbst überlassen kann und selbst überlassen sollte, besonders dort Fortschritte erzielt werden, wo es um den Schutz und die Förderung der Identität geht, also in Erziehungs-, Bildungs-, Kultur- und Sozialangelegenheiten. Die übrigen Bereiche der öffentlichen Verwaltung brauchen dadurch nicht tangiert zu werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Resolutionsentwurf des Deutschen Bundestages zum Expertentreffen in Genf. Er betont den Anspruch, daß Minderheitenpolitik Menschenrechtspolitik ist und daß Minderheitenpolitik gemäß dem Wort von Bundesaußenminister Genscher Minderheiten zu Brücken des Verständnisses zwischen den Nationen machen soll. Sie ist Teil einer Politik des Ausgleichs und der Verständigung. Richtschnur muß der Respekt der KSZE-Verpflichtungen durch die Mitgliedsregierungen und auch die Loyalität und der Respekt der Minderheiten gegenüber ihrem jeweiligen Staat sein, gegenüber der Mehrheit ihrer Bevölkerung. Herr Kollege Duve, Sinti und Roma sind in dem Dokument von Kopenhagen übrigens ausdrücklich erwähnt. Wir erwarten, daß das KSZE-Expertentreffen in Genf weitere Fortschritte für den Schutz der Minderheiten in Europa bringen wird, für die sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der Bundesregierung einsetzen werden. Selbstverständlich - ich darf das wiederholen - werden wir über den Ausgang und die Fortschritte dieser Konferenz berichten. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordente Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wird der Bedeutung des Minderheitenschutzes für die Verwirklichung einer europäischen Friedensordnung gerecht, wenn der Deutsche Bundestag heute mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/ GRÜNE einen gemeinsamen Antrag zu diesem wichtigen Thema verabschiedet. Denn diese Frage sollte nicht Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen sein. Man sollte sie auch im zwischenstaatlichen Bereich bei aller Diskussion um den besten Weg nicht mit Konfrontation und Antagonismus angehen. Deshalb war es so bedeutend, daß mit dem KSZE-Dokument von Kopenhagen erstmals Staatenverpflichtungen zum Schutz von Minderheiten in einer so breiten und einer so konkreten Form festgeschrieben wurden. Es ist ermutigend, daß das Genfer Expertentreffen zu Minderheitenfragen und die dritte Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE in Moskau diesen Prozeß vertiefen sollen. Es ist sicher auch gut und richtig, daß der Unterausschuß des Bundestages für Menschenrechte und humanitäre Hilfe an diesen Konferenzen mit jeweils einer Delegation teilnehmen wird. Minderheitenprobleme dürfen und können in Europa nicht nach unterschiedlichen Standards geregelt werden. Ein überall in Europa geltender verbindlicher und einklagbarer Minderheitenschutz muß Bestandteil der künftigen europäischen Rechtsordnung sein. Deshalb ist es auch entscheidend, daß parallel zum KSZE-Prozeß in anderen europäischen Institutionen wie dem Europarat und im Europäischen Parlament sehr wichtige, teilweise allerdings von der Öffentlichkeit unbeachtete Initiativen ({0}) zur europäischen Menschenrechtskonvention oder für eine besondere Minderheitenkonvention bzw. für ein europäisches Volksgruppenrecht gestartet wurden. Denn bei aller Bedeutung des KSZE-Prozesses kommt der Schaffung eines Minderheitsrechtes auf der Ebene des Europarates eine wesentliche stärkere rechtliche Verbindlichkeit zu. Um diesen Prozeß zu unterstützen - das muß man deutlich sagen - , wäre es natürlich auch entscheidend, daß die Bundesrepublik Deutschland das neunte Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das die Mög2556 lichkeit der Individualbeschwerde bei Menschenrechtsverletzungen vorsieht, alsbald ratifiziert. ({1}) Auch hier hat die Bundesrepublik Deutschland einen Nachholbedarf. Meine Damen und Herren, die Verwirklichung des gesamteuropäischen Minderheitsschutzes ist natürlich mit der künftigen Frage der Struktur Europas und seiner Verfassung auf das engste verbunden. Deshalb muß die Verfassung der Europäischen Union auch einen entsprechenden minderheitenrechtlichen Teil beinhalten. Der europäische Einigungsprozeß verlangt nicht nur Abgabe von Souveränität nach oben, sondern auch Abgabe von Souveränität nach unten. Der international auch für die Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland wirkende Bonner Völkerrechtler Christian Tomuschat beschrieb zu Jahresbeginn als Aufgabe künftiger Menschenrechtspolitik Deutschlands, sich für ein notwendiges „Zwischenelement im Völkerrecht" einzusetzen, „wonach eine Volksgruppe zwar einen Status der politischen Autonomie, aber nicht völlig Loslösung aus dem bisherigen Staatsverband verlangen kann". „Für viele Länder" - so fährt Tomuschat fort; wir merken das ja im Hinblick auf Jugoslawien und andere Krisenherde - „würde es geradezu eine Erlösung bedeuten, könnte sie das Völkerrecht auf einen Mittelweg hinleiten, der kompromißhaft die nationale Integrität auf der einen Seite, die Wünsche bestimmter ethnischer Minderheitengruppen nach einem Mehr an politischer Selbstbestimmung unterhalb der kritischen Schwelle der Sezession andererseits zum Ausdruck bringt. " ({2}) Tomuschats Regensburger Kollege Otto Kimminich spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer „polyethnischen Staatsorganisation" - ich finde das einen sehr guten Begriff -, um Minderheiten- und Volksgruppenprobleme dauerhaft befriedigend zu lösen. Wer den Volksgruppen und Minderheiten in Europa einen effektiven Schutz gewähren will - ich glaube, das muß immer eine besondere Förderung einschließen -, der muß ihnen auch ein Repräsentations- und Interaktionsorgan einräumen. Der Vertiefung des Minderheitenschutzes und ihrer Förderung dient es jedenfalls nicht, wenn auf KSZE-Ebene nur über Minderheiten und Volksgruppen geredet wird und sie nur am Rande dieser Tagungen als sogenannte NGOs zu Wort kommen. Für die künftige Struktur Europas bedeutet dies auch, daß sich Heimatregionen von Minderheiten und Volksgruppen in irgendeiner institutionellen Form darstellen und ihre Interessen vertreten können. Hierbei kommt dem Regionalismus eine besondere Bedeutung zu, und die Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl für die 1989 ins Leben gerufene Konferenz „Europa der Regionen" leistet hierzu einen sehr wertvollen Beitrag. Meine Damen und Herren, der heute zur Debatte stehende Antrag weist auch auf einen sehr wichtigen Punkt für die Weiterentwicklung eines europäischen Minderheitenschutzes und einer gezielten Förderungspolitik für Minderheiten hin: Die Schaffung sogenannter public funds, die Volksgruppen und Minderheiten in die Lage versetzen, unabhängig von der eigenen Wirtschaftskraft und auch unabhängig von der jeweiligen Gunst nationaler Haushälter ihre Institutionen zu unterhalten und ihre Förderungsprogramme duchzuführen. Auf die Notwendigkeit derartiger public funds für eine wirksame Minderheitenschutz- und effektive Minderheitenförderpolitik hat der bedeutende angelsächsische Völkerrechtler Lauterpacht bereits 1950 in seiner Schrift „International Law and Human Rights" hingewiesen. Deshalb sollte auch in Genf darüber nachgedacht werden, ob nicht auf europäischer Ebene ein Fonds geschaffen werden sollte, aus dem Institutionen von Minderheiten und deren Programme gefördert werden können. Ich denke beispielsweise daran, im Hinblick auf die schwierige volkswirtschaftliche Situation der Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas auch die notwendigen Mittel für eine effektive Minderheitenförderpolitik aufzubringen. Es wäre sicher besonders wegweisend und, ich meine, auch wichtig, wenn aus einem solchen Fonds auch gemeinsame Programme von Minderheiten aus verschiedenen Staaten im Sinne eines Erfahrungsaustausches und einer Begegnung gefördert werden könnten. Die Achtung der Rechte von Minderheiten, deren Schutz und aktive Förderung können jedoch nicht nur Angelegenheit des Staates sein. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag mit den Leitwort „Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten" schrieb Papst Johannes Paul II. im Dezember 1988 - ich zitiere - : Die Verpflichtung, die Verschiedenheit anzunehmen und zu schützen, betrifft nicht nur den Staat oder die Gruppen. Jede Person als Mitglied der einen Menschheitsfamilie muß den Wert der Verschiedenheit unter den Menschen verstehen und achten und ihn auf das Gemeinwohl hinordnen. Ein offener Geist, der bestrebt ist, daß kulturelle Erbe der Minderheiten, dem er begegnet, besser zu begreifen, wird dazu beitragen, Haltungen zu überwinden, welche gesunde gesellschaftliche Beziehungen behindern.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Koschyk, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie mich noch einen Satz aus dem sehr bemerkenswerten PapstRundschreiben zitieren lassen. Und an einer anderen Stelle schreibt der Papst: ({0}) - Das zeichnet unsere Fraktion aus, Herr Duve. Das wachsende Bewußtsein, das man heute auf allen Ebenen für die Lage der Minderheiten wahrnimmt, ist in unserer Zeit ein Zeichen begründeter Hoffnung für die neuen Generationen und für die Erwartungen dieser MinderheitsgrupHartmut Koschyk pen. Denn die Achtung ihnen gegenüber muß in gewisser Weise als der Prüfstein für ein harmonisches, gesellschaftliches Zusammenleben und als Beweis für die von einem Land und seiner Einrichtungen erreichte gesellschaftliche Reife angesehen werden. Ich wünsche mir, .. .

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Also, jetzt ist wirklich Schluß.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

. daß natürlich auch wir als Bundesrepublik Deutschland diese gesellschaftliche Reife zeigen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich in meiner Intervention auf den Beitrag unseres Kollegen Freimut Duve. Herr Duve, ich teile in großen Zügen Ihre Aussagen. Nur in einem Punkt bin ich anderer Meinung. Sie haben in einer mehr internationalen Sicht klargemacht, daß es gelungene Beispiele für Minderheitenregelungen gibt: in den Vereinigten Staaten, in der Schweiz und in Israel. Ich denke wohl, man sollte und darf nicht vergessen, daß wir in unserem eigenen Land, nämlich in SchleswigHolstein, durch die dort vorgenommene Regelung der deutsch-dänischen Minderheitenproblematik ein ausgesprochen gelungenes Beispiel haben. Als ehemaliger Fehmarner werden Sie wissen, daß über fast 40 Jahre hier ein Modell für eine Minderheitenregelung entstanden ist, über das es sich lohnt, weiter nachzudenken. Die Bonn-Kopenhagener-Erklärung von 1955 hat bis heute um keinen Deut verändert werden müssen, und sie ist zum Teil auch in die Landessatzung Schleswig-Holsteins eingeflossen, und alle Parteien dort stützen diese Art von Zusammenleben. Ich glaube, daß es wichtig ist, daß man bei der Konferenz, zu der jetzt sicher viele Regierungsvertreter in Genf zusammenkommen werden, über gelungene Beispiele nachdenkt, wie sie in der deutsch-dänischen Grenzregion vollzogen worden sind, ob im Kindergartenwesen, im Schulwesen, auch in der Darstellung politischer Parteien. Ich würde mir wünschen, daß sich die Bundesregierung am Beispiel Dänemarks orientiert und zu dieser Konferenz - der Staatsminister wird das sicher auch aufnehmen - auch Vertreter und Berater der dänischen Minderheit in Deutschland und auch der sorbischen Minderheit mitnimmt. Ich denke sehr wohl, daß in einer Regierungskommission solche Vertreter, die aus dem eigenen Erleben Beiträge einbringen können für das Gelingen der Konferenz, ein Glücksfall für den Verlauf einer solchen Konferenz sein können. Ihr Kollege Uffe Ellemann-Jensen in Kopenhagen praktiziert das Beispiel mit einem Vertreter der deutschen Minderheit. Ich glaube sehr wohl, daß es notwendig ist. Lassen Sie mich mit einer kurzen Bemerkung schließen. Wenn die Minderheiten in unserem eigenen Land den Wunsch haben, daß sie nicht nur international vertreten sind, sondern auch bei uns im Grundgesetz ihre Rechte abgesichert werden, dann sollten wir auch offen sein für diese Frage. Das gilt auch für die Überlegung, ein Büro für internationale Minderheiten zu schaffen, wo sie sich wiederfinden können. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Börnsen, ich danke Ihnen sehr für diesen korrigierenden Hinweis. In der Tat wäre ich völlig mißverstanden worden, wenn ich nicht die vielen Beispiele - Sie haben eines der besten und schönsten genannt - mit gemeint hätte, bei denen es sehr gut funktioniert. Ich denke, letztlich ist das auch in den meisten Zeiten Belgiens so, obwohl es da manchmal noch Probleme gab. Ich wollte mit meinem Hinweis auf die drei Staaten Schweiz, Israel und die Vereinigten Staaten verdeutlichen, daß es dort in ganz heterogenen Gesellschaften - es gab dort sozusagen keine „Hauptgesellschaft" - gelungen ist, unter ganz bestimmten, oft auch tragischen historischen Bedingungen befriedigende Formen zu finden. All die Beispiele, die Sie nennen, sind Beispiele aus einer Region, wo in der Mehrheit die Dänen als Mehrheitsvolk leben und diese Minderheitenrechte für die Deutschen ausgehandelt haben oder wo mehrheitlich die Deutschen oder die Schleswig-Holsteiner, die, wie wir wissen, eine besondere Art sind, leben und sich auch Dänen wohl fühlen. Daß Sie meine Großmutter aus Fehmarn hier erwähnt haben, wird alle Fehmarner sehr freuen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Poppe von der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hat seine Redebeiträge zu Zusatzpunkt 2, aber auch zu den Zusatzpunkten 3, 4 und 5 nach Abstimmung mit den Geschäftsführern zu Protokoll gegeben *). Sind Sie in Abweichung von der Geschäftsordnung damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen. Frau Stachowa hat in ihrer Rede den Antrag gestellt, daß die Bundesregierung einen Bericht zur KSZE erstattet. Herr Staatsminister Schäfer hat das unmittelbar zugesagt. Damit ist auch diesem Antrag entsprochen. Ich schließe somit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Fraktio- *) Anlagen 2 und 3 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth nen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/796? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. ({0}) Ich rufe die Zusatzpunkte 3 bis 5 auf: ZP3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Krise in Jugoslawien - Drucksache 12/795 ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Zur Lage in Kosovo - Drucksache 12/797 ZP5 Beratung des Antrags des Abgeordneten Gerd Poppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Lage in Kosovo - Drucksache 12/780 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich Vogel.

Friedrich Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es fügt sich gut, daß sich diese Debatte an die soeben geführte Debatte anschließt, weil wir damit unmittelbar in einen Fall konkreter Umsetzung dessen, was wir hier erörtert haben, hineinkommen. ({0}) - Das habe ich nie in Zweifel gestellt, Herr Kollege Feldmann. ({1}) Das liegt schon an der Vorsitzführung im Ältestenrat; das ist doch völlig klar. Meine Damen und Herren, die Aufmerksamkeit, die der gesamte Deutsche Bundestag den Ereignissen und der Entwicklung in Jugoslawien widmet, wird dadurch unterstrichen, daß die beiden heute zur Beratung anstehenden Anträge von allen drei Fraktionen gemeinsam eingebracht worden sind - auch dadurch, daß wir übereingekommen sind, diese Anträge heute ohne vorherige Ausschußüberweisung zu verabschieden. Schließlich möchte ich daran erinnern, daß in Deutschland rund 600 000 Menschen aus allen Teilen Jugoslawiens leben und deshalb die Konflikte dort auch bei uns Niederschlag finden. ({2}) Das verstärkt zweifellos unser Interesse an Jugoslawien. Mit unseren Anträgen wollen wir in dreifacher Hinsicht Signale geben. Das erste Signal richtet sich an unsere eigene Bundesregierung. Es macht die Haltung des Parlaments zu den Problemen in Jugoslawien deutlich. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie ihre Jugoslawienpolitik an dieser Auffassung des Parlaments ausrichtet. Nach den Ausführungen des Bundeskanzlers zu Jugoslawien in der Haushaltsdebatte am 6. Juni 1991 gehe ich davon aus, daß sich Parlament und Bundesregierung von den gleichen Grundsätzen leiten lassen. Das gilt für den Appell des Bundeskanzlers an alle Verantwortlichen in Jugoslawien, mit Besonnenheit und unter Verzicht auf Gewaltanwendung zu versuchen, zu einem vernünftigen, erträglichen Kompromiß zu kommen. ({3}) - Wenn Sie zuviel Beifall klatschen, geht meine Redezeit flöten. ({4}) Das gilt vor allem für folgende zwei Feststellungen des Bundeskanzlers. Erstens. Nur ein demokratisch erneuertes Jugoslawien, in dem die Menschenrechte - dazu gehören immer auch die Rechte der Minderheiten - respektiert werden, hat Zukunft. Zweitens. Nur so ist Jugoslawien ein Partner, dem wir und die Europäische Gemeinschaft unsere Zusammenarbeit anbieten können. Das zweite Signal richtet sich an die Europäische Gemeinschaft und fordert zugleich die Bundesregierung auf, im Sinne der gemeinsamen Auffassung von Bundestag und Bundesregierung die Jugoslawienpolitik der Europäischen Gemeinschaft mitzubestimmen. Ich will nicht verhehlen, daß viele hier im Parlament mit der Jugoslawienpolitik der Europäischen Gemeinschaft bis in die jüngere Vergangenheit hinein höchst unzufrieden gewesen sind. ({5}) Durch die ständige Beschwörung der Integrität und territorialen Einheit Jugoslawiens bei gleichzeitiger Absage an Verhandlung und Zusammenarbeit mit solchen Republiken, die durch die Trennung von Jugoslawien entstehen könnten, wurden die mehr und mehr in die Minderheit geratenden serbischen Kommunisten unterstützt, die um der Macht willen zäh am Friedrich Vogel ({6}) jugoslawischen Einheitsstaat festhalten und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kroaten und Slowenen zu unterdrücken versuchen. Das hat diejenigen geschwächt, die auf der Grundlage von freiheitlicher Demokratie, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gewährleisteten Menschenrechten und geschützten Rechten von Minderheiten eine neue Form des Zusammenlebens der sechs Republiken in Jugoslawien finden wollen. Eine solche Politik der Europäischen Gemeinschaft - daran besteht kein Zweifel - findet im Deutschen Bundestag keine Unterstützung. Nach dem Treffen der EG-Außenminister in Dresden Anfang dieses Monats hat es erfreulicherweise den Anschein, daß die Prioritäten der Jugoslawienpolitik jetzt neu gesetzt worden sind. Die Europäische Gemeinschaft muß in der Tat gegenüber allen Verantwortlichen in Jugoslawien deutlich machen, daß Jugoslawien nur dann auf wirtschaftliche und andere Hilfe der Europäischen Gemeinschaft hoffen kann, wenn die zwischennationalen Streitigkeiten eingestellt werden, überall in Jugoslawien demokratische Verhältnisse geschaffen werden, die Menschenrechte und die Rechte nationaler Minderheiten geachtet werden und im friedlichen Dialog über die verfassungsmäßige Zukunft Einigung erzielt wird. ({7}) Nur dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden, ist dem Interesse der Europäischen Gemeinschaft an einem weiteren jugoslawischen Zusammenhalt Genüge getan. ({8}): So ist es!) Das dritte Signal des Deutschen Bundestags richtet sich an alle Verantwortlichen in Jugoslawien selbst. Wir fordern sowohl die Politiker der jugoslawischen Bundesorgane als auch die politischen Führungen in den sechs Republiken auf, sich friedlich und in konstruktivem Dialog auf eine neue Grundlage des Zusammenlebens der sechs Republiken zu verständigen. Ich wiederhole, was ich in der Aktuellen Stunde am 21. Februar 1991 gesagt habe: Unser deutsches wie auch unser gemeinsames europäisches Interesse, das eigene jugoslawische Interesse allemal, muß es sein, daß Jugoslawien im Konsens seiner Republiken als eine freiheitliche demokratische Gemeinschaft konstituiert wird. Die bisherige Grundlage des Zusammenlebens - davon haben wir uns bei den zahlreichen Reisen nach Jugoslawien überzeugen können - findet nicht mehr die ausreichende Zustimmung aller Völker im Vielvölkerstaat Jugoslawien und hat deshalb keine Zukunft mehr. Natürlich muß die neue Grundlage des Zusammenlebens in Jugoslawien selbst gefunden werden. Es wäre falsch und hätte auch keine Aussicht auf Bestand, wenn von außen her versucht werden würde, darauf einzuwirken. Aber wir möchten deutlich machen, welche Voraussetzungen in Jugoslawien erfüllt sein müssen, damit wir bereit sind, seinen Wunsch nach Aufnahme als Vollmitglied in den Europarat, nach wirtschaftlicher Hilfe und nach Assoziierung mit der Europäischen Gemeinschaft zu unterstützen. Eine neue Einheit Jugoslawiens - so betonen wir in unserem Antrag - muß das Ergebnis freier Selbstbestimmung seiner Völker sein. Das schließt jede Form von Gewaltanwendung, mit der der eine Teil dem anderen Teil seinen Willen aufzuzwingen versucht, aus. Unabdingbar ist auch unser Verlangen, daß freiheitliche Demokratie, politischer Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, umfassende Gewährleistung der grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte und nicht zuletzt der Schutz des Rechts der Minderheiten in jeder der sechs Republiken auf Wahrung ihrer ethnischen und kulturellen Identität selbstverständlicher Bestandteil der Neuordnung in Jugoslawien werden. ({9}) Wir sind davon überzeugt, daß die Chance zu einem so erneuerten Jugoslawien noch besteht. Deshalb appellieren wir an alle Verantwortlichen in Jugoslawien, mit gutem Willen diese Chance zu nutzen und Jugoslawien so zu einem vollwertigen Mitglied im neuen Europa zu machen. Danke schön. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Peter Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der eine oder andere mag sich fragen, warum wir als Deutscher Bundestag über Jugoslawien debattieren. Herr Kollege Vogel hat schon auf einige Gründe hingewiesen. Die vorliegenden Entschließungen bringen ja selber zum Ausdruck, daß die Völker Jugoslawiens ihren eigenen Weg finden müssen. Wir können und wollen ihnen nicht vorschreiben, wie, in welcher Form sie miteinander leben: in einer Föderation, Konföderation oder gar mehr oder weniger unverbunden. Es steht ja wohl außer Zweifel, daß wir das Selbstbestimmungsrecht unserer Nachbarvölker akzeptieren. Aber gleichzeitig sind wir betroffen: Jugoslawien möchte der Europäischen Gemeinschaft assoziiert werden, langfristig Vollmitglied werden. Auch beziehen sich diejenigen, die in Slowenien, in Serbien oder in anderen Republiken agieren, ständig auf eine europäische Öffentlichkeit. Und vor allem müssen wir uns klarmachen: Die Konflikte in Jugoslawien sind Teil eines großes Prozesses, bei dem sich Emanzipation, das Wiederfinden nationaler Identität und auch der Wiederaufstieg eines alten Nationalismus mischen. Deutschland - ich glaube, das ist die übereinstimmende Meinung von uns allen - ist weder die Schutz- noch die Vormacht Osteuropas oder Südosteuropas. Aber wir sind wohl ein Nachbar, der sich nicht einfach fein heraushalten kann. Aus dieser Geisteshaltung heraus definieren sich die beiden Anträge, die wir heute hier vorlegen. Meine erste Feststellung betrifft die Ankündigung der Republik Slowenien, Ende Juni aus dem jugoslawischen Staatsverband auszuscheiden und ihre Selbständigkeit zu erklären. Wir haben diese Entscheidung eines Nachbarvolks zur Kenntnis zu nehmen. Ich möchte dazu aber zwei Bemerkungen machen. Erstens. Wir müssen daran interessiert sein, daß alle nationalen Entscheidungen so getroffen werden, daß nicht noch mehr Leid, Elend und vor allem wirtschaftliche Not entstehen. Die ökonomischen Folgen nationaler Entscheidungen müssen berücksichtigt und in die Überlegungen einbezogen werden. Wenn wir raten können, dann raten wir, nicht einfach nationale Entscheidungen zu treffen, die über die ökonomischen Interessen der betroffenen Bevölkerung hinweggehen. ({0}) Zweitens. Wir fordern übereinstimmend alle Betroffenen auf, von Gewaltanwendung abzusehen. Wir fügen hinzu: Ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung jedes nationalen Emanzipationsprozesses ist für uns auch, ob die jeweiligen Mehrheits-Völker ihren jeweiligen Minderheiten Achtung und Respekt entgegenbringen oder ob sie das nicht tun. Das ist, wie gesagt, ein ganz wichtiges Kriterium. Wo in einem Zerfallsprozeß staatlicher Einheiten die Gelegenheit benutzt wird, Minderheiten zu drangsalieren und ihrer Rechte zu berauben, sind wir als Deutscher Bundestag auf der Seite der Minderheit. ({1}) Zweifellos muß man die Verhältnisse in den einzelnen Republiken Jugoslawiens sehr deutlich voneinander unterscheiden. Slowenien ist die wirtschaftlich stärkste Republik Jugoslawiens. Der Anteil der Völkerschaften, die nicht zur slowenischen Titularnation gehören, beträgt nur 8 %. Das Verhältnis zu den Minderheiten ist dort befriedet, also erscheint ein Ausscheiden Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatsverband vielen Beobachtern - es scheint ja kein Zweifel zu sein, daß das dem Wunsch der Mehrheit des slowenischen Volkes entspricht - als möglich, oft sogar als akzeptabel. Wir wissen allerdings: Jeder Schritt einer Republik hat Folgen für die anderen. Kroatien hat angekündigt, einen slowenischen Schritt rasch folgen zu wollen. Heute hört man von einer ähnlichen Ankündigung aus Mazedonien. Bei Kroatien ist die Gefahr groß, daß dies rasch zu militanten Auseinandersetzungen zwischen der kroatischen Mehrheit und der serbischen Minderheit führt. Sollten sich die beiden Republiken Slowenien und Kroatien aus dem Staatsverband lösen, muß man davon ausgehen, daß viele der Völkerschaften im Süden nicht allein mit dem stärksten Volk, den Serben, in einem Staatsverband bleiben wollen und daß dies eine Fülle von Konsequenzen, nämlich eine Zerteilung des jugoslawischen Staates, zur Folge hat. Ich wiederhole ein letztes Mal: Die Deutschen werden sich nicht zum Vormund der jugoslawischen Völker aufwerfen. Aber zu folgenden Feststellungen glauben wir uns schon berechtigt: Auch wenn es langfristig ohne weiteres denkbar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß die einzelnen Völker Jugoslawiens in einem Europa der Regionen in Selbständigkeit leben und einem solchen Europa der Regionen angehören, müssen wir im gegenwärtigen Zeitpunkt doch für einen jugoslawischen Dialog eintreten. ({2}) Denn heute und in der unmittelbaren Zukunft steht eine Europäische Gemeinschaft, die den Zusammenhang des jugoslawischen Staatsverbands ersetzen könnte, nicht zur Verfügung. Wir setzen uns deshalb dafür ein, daß der Dialog in Jugoslawien fortgesetzt wird. ({3}) Wir machen gleichzeitig darauf aufmerksam: Die Europäische Gemeinschaft ist kein Netz, in das man sich nach waghalsigen Übungen am nationalen Trapez einfach fallen lassen kann. ({4}) Nach der Süderweiterung im Prozeß der Assoziierung Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns ist diese Gemeinschaft bei aller Prosperität erheblich belastet. Die Europäische Gemeinschaft ist nicht der Große Bruder, der zur Lösung der Probleme zur Verfügung steht, die aus nationalen Auseinandersetzungen in Osteuropa oder Südosteuropa entstehen. Meine zweite Bemerkung richtet sich auf die Lage in Kosovo-Metochia. Ich denke, dort liegt der gefährlichste, wenn auch nicht der einzige gefährliche Konfliktherd dieser Region. Nachdem eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses unter Ihrer Leitung, Herr Kollege Stercken, Gespräche mit allen Gruppen im Kosovo geführt hat, sagen wir klar: Die Dispensierung der verfassungsmäßigen Institutionen im Kosovo durch die serbische Staatsmacht ist eine Entrechtung der Albaner im Kosovo. Eine Befriedung wird erst möglich sein, wenn diese Beraubung von Rechten wieder rückgängig gemacht wird. ({5}) Uns ist bewußt, daß die albanische Mehrheit im Kosovo zwischen 1974 und 1990 gegenüber der serbischen Minderheit Fehler gemacht hat. Auch wollen wir zu dem staatsrechtlichen Konflikt, ob die Albaner eine Völkerschaft ({6}) oder ein Volk ({7}) sind, nicht Stellung nehmen. Aber eines sagen wir klar und ohne Umschweife: Die Entlassung von rund 55 000 albanischen Arbeitnehmern, die Entlassung von Ärzten aus Kliniken und von Lehrern aus Schulen, die Einstellung von Finanzzuweisungen an die Gemeinden, an Schulen und andere Bildungseinrichtungen, die Entfernung von albanischem Führungspersonal aus Betrieben, Universitäten, Kliniken und Medien, die Schließung von Tageszeitungen, all dies ist eine Form von Polizei- und Justizterror, der mit den Prinzipien der KSZE nicht in Einklang gebracht werden kann und den wir unter keinen Umständen akzeptieren. ({8}) Wir sagen auch dies: Menschenrechtsverletzungen - ich unterstreiche das, was der Kollege Vogel ausgeführt hat - und Verfassungskonflikte dieser Art sind ein Hindernis auf dem Weg nach Europa. Wer Mitglied der europäischen Völkergemeinschaft auch institutionell werden will, muß sich an bestimmte Prinzipien halten, die im Kosovo ganz eindeutig verletzt worden sind ({9}) - und weiter verletzt werden; Sie haben recht, Herr Kollege. Man kann es auch noch klarer sagen: Die Chance, in den europäischen Institutionen mitzuwirken, hängt von der Bereitschaft ab, die Prinzipien zu akzeptieren, die im Kopenhagener Dokument der KSZE festgelegt sind. Der Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP in diesem Haus, Jugoslawien als Vollmitglied des Europarats zu akzeptieren, geht davon aus, daß der wirksame Schutz des Rechts von Minderheiten auf Wahrung ihrer ethnischen und kulturellen Identität zur Grundlage des Zusammenlebens in den einzelnen Republiken gemacht wird. Wir sagen: Aufnahme als Vollmitglied in den Europarat, wenn diese Voraussetzungen gewährleistet sind. Dann wollen wir sie hereinziehen, aber nur unter der Bedingung, daß dies wirklich geschieht. Lassen Sie uns dies gemeinsam als Parlament festhalten. ({10}) Gleichzeitig drängen wir, Herr Staatsminister, die Bundesregierung, einen bedeutsamen und, wie ich einräume, beispiellosen Schritt zu tun. Wir fordern die Bundesregierung auf, auf einer Ministerratskonferenz des Europarats auf die Erörterung der jugoslawischen Probleme zu drängen, obwohl Jugoslawien noch nicht Mitglied ist. ({11}) Denn wir sind der Auffassung: Europa kann nicht bewegungslos verharren, liebe Kollegen von der FDP, wenn in einem Nachbarland wie Jugoslawien die Gefahr von erheblichen Menschenrechtsverletzungen, von blutigen Konflikten und auch von der Einführung des Faustrechts in gewisser Weise besteht. ({12}) Wir dürfen uns nicht auf diplomatische Floskeln und unverbindliche Freundlichkeit gegenüber den einen oder auch den anderen beschränken. Wir dürfen auch nicht Begriffe wie Selbstbestimmungsrecht und Souveränität als bequeme Entschuldigung für Nichthandeln und Attentismus benutzen. ({13}) Denn wir sind heute, seit 1989, in einer anderen Situation, als wir Jahrzehnte nach 1945 waren. Meine Damen und Herren, als die Panzer des Warschauer Paktes in Prag einrollten oder als der ungarische Aufstand niedergeschlagen wurde, mußte der Westen befürchten, daß es, wenn er eingreifen würde, zu einem nuklearen Krieg käme. Das heißt, es waren uns in der Tat die Hände gebunden, es war eine bipolare Welt, es gab zwei Supermächte, und jeder Konflikt, der eine der Supermächte berührte, brachte die Gefahr eines solchen nuklearen Konfliktes mit sich. Aber diese Zeit ist vorbei. Dies heißt nicht, daß nun beliebig kleine Kriege entfesselt werden dürften oder wir dazu aufriefen, aber es heißt sehr wohl, daß die moralische Verpflichtung, nicht mit den Händen im Schoß dazustehen, für uns heute sehr viel größer ist als vor 1989. Das muß auch die Außenpolitik der Bundesrepublik zur Kenntnis nehmen, und darauf müssen wir gemeinsam reagieren. Als sich die Delegation des Auswärtigen Ausschusses in Jugoslawien befand, schrieb der Chefredakteur der Zeitung „Polityka" , der gleichzeitig Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des serbischen Parlamentes ist, Alexander Prllya, einen fragwürdigen Artikel, ({14}) in dem er die Gefahr an die Wand gemalt hat - einen sehr fragwürdigen Artikel, Herr Kollege Feldmann; ich akzeptiere Ihre Korrektur - , die Engländer und die Deutschen würden gemeinsam eine Eingreiftruppe von 70 000 Soldaten bilden, um im Kosovo oder anderswo in Jugoslawien in Konflikten zu intervenieren. Ich glaube, ich sage mit der Zustimmung des ganzen Hauses, daß das Unsinn ist. Solche Pläne und Absichten bestehen nicht. ({15}) Ich erlaube mir, eine Zusatzbemerkung hinzuzufügen, bei der ich nicht so ganz sicher bin, daß das ganze Haus zustimmt: Es zeigt uns im übrigen auch, wie rasch in europäischen Konflikten wieder auf antideutsche Ressentiments zurückgegriffen werden kann. Vielleicht dient das als Warnung für manche, die sich einbilden, daß deutsche Truppen in absehbarer Zeit als Friedensengel und Weltpolizisten große Erfolge feiern könnten. ({16}) - Ich habe doch gewußt, daß ich wenigstens eine Bemerkung mache, die nicht auf die volle Zustimmung des ganzen Hauses trifft. ({17}) Ich füge jetzt hinzu: An militärische Interventionen oder an pseudomilitärische Interventionen denkt niemand. Das ist unsere gemeinsame Auffassung. ({18}) Wenn ich auf die jugoslawischen Konflikte schaue, dann möchte ich unterstreichen und mit Unterstützung zitieren, was heute der Außenminister der Tschechoslowakei in einem Interview, das in Deutschland veröffentlicht wurde, gesagt hat: Die Geschichte hat uns im Übermaß darüber belehrt, - sagt Herr Dienstbier daß der ethnische und ideologisch fundierte Nationalstaat die Menschenrechte ebensowenig garantieren kann wie eine moderne Entwicklung. Nur die Idee der Menschenrechte und des citizenship können heute die Basis des Staates sein. Auf Jugoslawien bezogen: Es gibt doch nicht nur religiöse, kulturelle und politische Unterschiede. Es gibt auch ein starkes ökonomisches Gefälle. Daraus folgt die Notwendigkeit der Solidarität zwischen den verschiedenen Republiken. Meine Damen und Herren, ich halte diese Äußerung des tschechoslowakischen Außenministers für absolut richtig. ({19}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Die Europäische Gemeinschaft hat in diesen Prozessen, sowenig sie und ihre Mitgliedstaaten direkt involviert sind, eine große Verantwortung. Als Mitglied dieser Gemeinschaft sollten wir sagen: Wir sind am jugoslawischen Dialog interessiert. Wir verurteilen Menschenrechtsverletzungen. Der Weg nach Europa kann nur erfolgreich beschritten werden, wenn die Prinzipien der KSZE eingehalten werden. Aus diesem Grund ersuchen wir die Bundesregierung, im Europarat eine Initiative zu ergreifen und dafür zu sorgen, daß das jugoslawische Thema auf die Tagesordnung gesetzt wird. Herzlichen Dank. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwicklung in Jugoslawien macht uns als Europäern Sorge. Sie macht uns betroffen. Jugoslawien steht vor einer der schwersten Herausforderungen seiner jüngeren Geschichte. Wir haben hier im Hause in der Beurteilung der Situation eine große Übereinstimmung. Während in Europa die Zeichen der Zeit auf Einigung und Zusammenarbeit stehen, droht die jugoslawische Föderation auseinanderzubrechen. Jugoslawien hat in dieser schwierigen Situation einen moralischen und meines Erachtens auch politischen Anspruch auf unsere Hilfe und Solidarität. Diese Hilfe ist eine europäische Aufgabe. Unser Engagement für eine friedliche Lösung der Krise in Jugoslawien ist keine Einmischung. Die Vorredner haben darauf schon hingewiesen. Ich möchte das ausdrücklich auch für die FDP unterstreichen. Wir mischen uns auch nicht in die Auslegung der jugoslawischen Verfassung ein. Es hat da Irritationen gegeben. Wir können und wollen Jugoslawien nicht vorschreiben, welchen Weg es zur Lösung seiner Krise wählt. Unser wichtigstes Signal ist, daß wir Jugoslawien auf dem von seiner Bevölkerung gewählten Weg unterstützen, soweit dies ein gewaltfreier und demokratischer Weg ist und er die Selbstbestimmung und die Achtung der Menschenrechte garantiert. ({0}) Meine Damen und Herren, dies ist keine Frage der Staatsform: Weder führt der zentralistische Staat automatisch zu Menschenrechtsverletzungen, noch lösen selbständige Republiken automatisch alle Probleme. Das ist wirklich keine Frage der Staatsform. Menschenrechte sind unteilbar. Die individuellen Menschenrechte sind mit dem Schutz der Minderheiten untrennbar verbunden. Ohne die Gewährung ihrer nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Rechte kann es eine friedliche und dauerhafte Lösung der jugoslawischen Krise nicht geben. Minderheiten können in einem gemeinsamen Europa ein wichtiges Bindeglied zwischen den Staaten und Völkern sein. Wo die Minderheiten unterdrückt werden, entstehen Konflikte und erwachsen damit Gefahren für den Frieden. Der Schutz von Minderheiten ist - das ist auch schon in dem ersten Punkt der heutigen Tagesordnung zum Ausdruck gekommen - eine zentrale Aufgabe einer Friedenspolitik für Europa. Nicht nur die EG, sondern auch der Europarat und vielleicht mehr noch die KSZE sind die richtigen Gremien, um zu einer gewaltfreien und demokratischen Lösung der Krise beizutragen. Die FDP unterstützt deshalb die Forderung, in diesem europäischen Rahmen eine unparteiische Untersuchung der gegenseitigen Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen im Kosovo anzubieten, wie wir es in unserem Entschließungsantrag gemeinsam vorgeschlagen haben. Der Europarat und die KSZE sind gefordert, eine Plattform für einen Dialog zwischen den verfeindeten und meist sprachlosen Bevölkerungsgruppen zu bieten. Wir begrüßen ausdrücklich, daß sich die Außenministerkonferenz in Berlin mit der Krise in Jugoslawien befassen wird. Die demokratische Bewältigung der jugoslawiDr. Olaf Feldmann schen Krise ist eine Bewährungsprobe für ganz Europa. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hans Modrow.

Dr. Hans Modrow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001518, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die anhaltende Zuspitzung der Lage in Jugoslawien ruft allgemein und besonders bei all seinen Freunden Beunruhigung und gewiß auch Sorge hervor. Das friedliche Zusammenleben innerhalb der jugoslawischen Förderation ist auf das ernsteste belastet. Die Gefahr einer Ausbreitung gewaltsamer Auseinandersetzungen wächst von Tag zu Tag. Jugoslawien droht aus einem anerkannten Faktor der europäischen Entspannung und des friedlichen Zusammenlebens der Staaten zu einem Herd von Spannungen zu werden, die auf den gesamten Kontinent ausstrahlen. Vor diesem Hintergrund stimmt die PDS/Linke Liste den vorliegenden Resolutionsentwürfen in ihrem Wesen zu. Dabei läßt sie sich davon leiten, daß man sich in ihnen zum Völkerrecht sowie zu den gurndlegenden Menschenrechten und zum Schutz der Minderheiten bekennt. Nicht minder wichtig ist es, daß sie auf gewaltfreie Lösung der Krise orientiert sind und all jene Kräfte in Jugoslawien bestärken, die sich für die Vereinbarung einer neuen Grundlage des Zusammenlebens der jugoslawischen Völker einsetzen. Geht man jedoch vom Völkerrecht aus, dann ist es unbestritten allein Sache der jugoslawischen Völker, über ihre staatliche und gesellschaftliche Ordnung zu entscheiden. Das gilt für den Staatenbund ebenso wie für die einzelnen Republiken. Versuche, dafür ausländische Muster anzubieten, verstoßen am Ende gegen diese elementaren Rechte. Was Kosovo anbelangt, so ist dort die Lage tatsächlich besonders und äußerst kompliziert. Nationale, politische, ökonomische und soziale Probleme und Widersprüche haben sich zu einem hochexplosiven Gemisch verbunden. Diese Situation erfordert Verständnisbereitschaft aller Seiten, hohe Sensibilität und gewiß auch Augenmaß. Um so mehr sind wir gerade hier verpflichtet, jede Einseitigkeit der Betrachtung zu vermeiden und das Prinzip der Nichteinmischung zu wahren. Damit sind zugleich alle Politiker in Jugoslawien selbst zur Lösung der inneren Probleme herausgefordert, und das auch, um Vertrauen bei den Nachbarn und in Europa insgesamt zu bewahren oder zu gewinnen. Das Schicksal der Völker Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg bleibt für die Bundesrepublik Deutschland stets eine besondere Herausforderung. Unmittelbar nach dem Überfall der Hitler-Wehrmacht auf die Sowjetunion, der sich in diesen Tagen zum fünfzigstenmal jährt, begann der jugoslawische Volksbefreiungskampf, in dem Hunderttausende von Jugoslawen ihr Leben gelassen haben. Wer sich dessen bewußt ist, wird auch sehr wohl verstehen, daß militärisches Eingreifen von außen keinesfalls geschehen darf. Angesichts der konflikt- und leidvollen Geschichte der deutsch-jugoslawischen Beziehungen sind die Bundesrepublik und ihre Regierung gefordert, mit Einfühlungsvermögen und Weitblick für ein politisches Umfeld in Europa zu wirken, das es den jugoslawischen Völkern erleichtert, die tiefe Krise gewaltfrei durch friedlichen Dialog zu überwinden und gleichberechtigt an der Gestaltung einer neuen europäischen Friedensordnung teilzunehmen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Heinrich Lummer das Wort.

Heinrich Lummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001396, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es besteht gewiß gar kein Zweifel daran, daß die Frage der Minderheiten- oder Gruppenrechte die Herausforderung unserer Tage ist. Diese Problematik war lange überlagert - Kollege Glotz hat darauf hingewiesen - , weil es einen Ost-West-Konflikt gab. Mit der Fortnahme der einheitlichen Ideologie und der machtpolitischen Potenzen bricht diese Frage mit besonderer Gewalt auf. Wir haben keine Alternative; wir müssen uns dieser Fragestellung widmen. Einer der Anträge beschäftigt sich insofern mit dem Kosovo als einem besonderen Problem. Allgemein kann man heute sehr gut darüber reden, und es gibt Papiere genug, die einem den Gedanken nahelegen: Leicht beeinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. - Kosovo und Jugoslawien insgesamt ist so ein hartes Problem. Man kann daher sagen: Wenn man in der Lage sein wird, die Minderheitenfrage in Jugoslawien zu lösen, dann kann man sie überall lösen. Jeder ist dort irgendwie Mehrheit und irgendwo Minderheit. In Serbien - wir haben es gehört - sind die Albaner Minderheit, aber im Kosovo sind die Albaner die Mehrheit und die Serben die Minderheit. Wir wollen, daß die Minderheitenrechte dort akzeptiert werden. Kollege Vogel hat davon gesprochen, daß das, was wir tun, ein bißchen Signal sein soll, und das meine ich dann auch. Der Antrag, der den Kosovo betrifft, ist, was die Frage der Verletzung der Menschenrechte betrifft, mit äußerster Zurückhaltung formuliert. Die Aussagen der Kollegen waren zutreffender und härter. Aber wir haben dort erlebt, daß wechselseitig Vorwürfe erhoben werden; jeder beschimpft den anderen als den Bösen und als Verletzer der Menschenrechte. Ich meine, hier muß objektiv festgestellt werden, wer was wirklich tut. Wir wissen das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, aber im Interesse der Wahrheitsfindung und auch im Interesse der Mäßigung soll dort eine Beobachtung stattfinden. Ich finde, es muß durch Präsenz und Beobachtung dauernd eine Selbstrechtfertigung der Serben und der dortigen Behörden erzwungen werden. Das ist der eine Appell, der in diesem Antrag enthalten ist. ({0}) Der zweite Gedanke, der auch schon geäußert worden ist, ist der des Dialoges. Wir haben immer wieder erlebt, daß gesagt wird: Mit denen reden wir nicht, das sind Separatisten. - Gemeint sind die Albaner. Die Begründung dafür, daß sie ihnen die Autonomie weggenommen haben, wird von daher geliefert, denn sie hätten angeblich die Absicht gehabt, eine eigene Republik zu gründen. Auf der anderen Seite wird gesagt: Mit den Serben reden wir nicht, denn die haben uns die Autonomie genommen; das sind die Bösen. Das geht nun einmal nicht. Wenn man die Probleme dort lösen will, muß man ohne solche Vorbedingungen zusammenkommen und miteinander diskutieren. Das ist das, was wir deutlich zum Ausdruck bringen wollen. Da sollten wir wirklich unsere guten Dienste anbieten, wo immer das nur möglich ist. Ich will noch einen Gedanken des Kollegen Glotz aufgreifen. Eine Zeitlang hatte man ja den Eindruck, daß der Ost-West-Konflikt mit seinen Folgen so bequem war. Manche haben sich von daher gesehen auch nicht hinreichend deutlich zu mancher Menschenrechtsverletzung geäußert. Das hätte man mit Worten schon immer tun können. Auch das ist nicht immer geschehen. Hier ist es so gewesen. Unsere Zufriedenheit mit der Regierung und mit dem Europäischen Rat ist da nicht über die Maßen groß ({1}) - ja, ja, in dieser Frage jedenfalls nicht - , weil - das ist auch die Bestätigung gewesen - die jugoslawische Zentralregierung bis gestern offenbar davon ausgegangen ist, daß die Europäische Gemeinschaft nachhaltig an der Einheit des Staates festhält. Das haben sie geschrieben; das habe ich so gelesen. Das hat dann auch dazu geführt, daß man sich nicht immer um die internen Fragen gekümmert und dafür Sorge getragen hat, daß sie in richtiger Weise gelöst werden. Ich finde, es ist ein heilsamer Druck, wenn man sich für die Menschenrechte einsetzt. Jedermann weiß ja, daß wir uns deswegen einmischen dürfen. Wenn die Jugoslawen etwas von uns wollen, dann müssen sie eben auch in Kauf nehmen, dieses internationale Recht akzeptieren zu müssen; dann müssen sie eben ihre Verhältnisse entsprechend ordnen. Wir wollen über sie nicht den Stab brechen und nicht besonders böse sein, aber wir wollen mit Entschiedenheit und Nachdruck dafür eintreten, daß dieses Land die Chance erhält, Mitglied der Gemeinschaft zu werden, aber unter den genannten Voraussetzungen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Abschließend hat Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entschließungsantrag ist Ausdruck unserer gemeinsamen Besorgnis über die Entwicklung in Jugoslawien. Es ist zugleich ein Signal an alle Kräfte der Vernunft und des Ausgleichs, ihre Anstrengungen für eine friedliche Beilegung des sich immer deutlicher abzeichnenden Konflikts zu verstärken. Ein Europa, das politisch zusammenwächst, kann - Herr Kollege Lummer, wenn Sie hier Kritik an der Bundesregierung üben, sollten Sie das auch zur Kenntnis nehmen - die Gefahr einer Staatskrise und einer wachsenden Gewaltbereitschaft in einem Mitgliedstaat auch der KSZE nicht einfach ignorieren. Zu Recht betont der Entschließungsentwurf daher - ich möchte das hier auch mit Blick auf Belgrad noch einmal unterstreichen - die Notwendigkeit einer Stabilisierung auf der Grundlage der einvernehmlich niedergelegten Grundsätze der Charta von Paris. Ich bin sicher, daß die Lage in Jugoslawien auch bei der heute stattfindenden KSZE-Konferenz in Berlin eine sehr wichtige Rolle spielen wird. Ich bitte Sie auch, sich mit dem, was die KSZE einvernehmlich beschließt, vertraut zu machen. Der Deutsche Bundestag muß auch zur Kenntnis nehmen, was im Kreise von 35 Mitgliedstaaten der KSZE machbar ist. ({0}) Herr Kollege Glotz, was den Europarat betrifft, so wird dort bereits ein Schritt des Ministerrates erwogen, der im Hinblick auf den noch nicht erfolgten Beitritt Jugoslawiens unmittelbar an die jugoslawische Regierung gerichtet sein wird und die Voraussetzungen des Beitritts Jugoslawiens im Zusammenhang mit den derzeitigen Geschehnissen noch einmal herausstellen wird. Es ist damit zu rechnen, daß zunächst diese Initiative kommt. Wir müssen prüfen, inwieweit sich der Europarat in einer Diskussion mit einem Nichtmitglied befassen wird. Die Haltung der Bundesregierung stimmt mit der unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft überein. Sie ist in jüngster Zeit der jugoslawischen Zentralregierung und den Republikspräsidenten mit besonderem Nachdruck vermittelt worden. Diesem Zweck diente auch die Mission von Ratspräsident Santer und Kommissionspräsident Delors Ende Mai. ({1}) - Herr Kollege, vielleicht wird Ihre Frage durch das überflüssig, was ich jetzt gleich anschließend sage. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Schäfer, gestatten Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?

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Im Augenblick noch nicht. Ich möchte jetzt gerne meine Argumente fortsetzen dürfen. Dann - das sage ich noch einmal - stellt sich die Frage, ob die Zwischenfrage noch nötig ist. ({0}) - Das ist allerdings richtig, Herr Kollege Duve. Gemeinsam mit den Partnern treten wir für den friedlichen Erhalt gesamtjugoslawischer Strukturen auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten ein. Aber, meine Damen und Herren, ich sage hier auch ganz klar: Über die Formen dieser Strukturen müssen die Nationen Jugoslawiens selbst entscheiden. Diese Formel muß - das will ich noch einmal unterstreichen - in allen ihren Teilen gelesen werden. Sie impliziert keineswegs eine bedingungslose Aussage zugunsten der einen oder der anderen Position im innerjugoslawischen Streit. Sie macht vielmehr deutlich, Herr Kollege Voigt, daß nur eine einvernehmliche Lösung ohne Gewalt oder Androhung von Gewalt in Frage kommt - auch im Hinblick auf die innerjugoslawischen Grenzen - und daß sich keine politische Kraft oder Institution dem Dialog über eine mögliche Umgestaltung des jugoslawischen Staates entziehen darf. Darüber hinaus müssen die Rechte der jeweiligen Minderheit respektiert werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatsminister Schäfer, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

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Wenn Sie immer noch eine Frage stellen wollen, gerne!

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, bei allem Respekt vor Ihrem Sprechzettel ({0}) möchte ich eine ergänzende Frage hinzufügen, nachdem Sie gesagt haben, Sie träten für den Zusammenhalt Jugoslawiens ein. Wenn dies aber nicht der Wille von mehreren Republiken ist - dies ist am heutigen Tage ja die Realität - , sind Sie dann auch bereit, auf die Frage zu antworten, wie sich die Bundesregierung in dem Fall verhält, daß jugoslawische Republiken ihre Selbständigkeit wollen, also nicht in dem Staatsverband bleiben wollen? Sind dann das Selbstbestimmungsrecht, Gewaltfreiheit und Minderheitenrechte Ihre Priorität, oder würden Sie dann auch Gewaltanwendung akzeptieren, um den Zusammenhalt Jugoslawiens zu garantieren?

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Herr Kollege Voigt, zunächst einmal: Sie hatten noch nie die Chance und die Möglichkeit - die ich Ihnen sehr herzlich wünsche - , Staatsminister zu werden. Dann würden Sie auch Sprechzettel ablesen müssen, weil es um sehr konkrete und wichtige Fragen geht, bei denen man nicht so einfach frei in den Raum sprechen kann. ({0}) Ich sage das in diesem Punkte sehr bewußt. Es hat gestern Demarchen des jugoslawischen Außenministers in Belgrad gegeben. ({1}) - Herr Kollege Vogel, ich glaube, wir sollten, wenn wir bei anderen Gelegenheiten Botschafter einbestellen, nicht „na ja" rufen, wenn unser Botschafter einbestellt wird. Das sollte man nicht so ganz herunterspielen. Das gleiche ist in Bonn passiert. Wir sollten in dieser Frage also sehr vorsichtig verfahren. Herr Kollege Voigt, ich darf Ihnen weiter sagen: Ich habe eben sehr deutlich gemacht, daß wir, gerade weil wir Gewaltanwendung verhindern wollen, hier in einer sehr sensiblen Weise vorgehen. Ich halte es für ganz falsch, wenn Sie jetzt sagen, wir sollten uns auf Fälle einstellen, die noch gar nicht eingetreten sind, und sollten hier schon Prioritäten nennen. ({2}) Ich halte das für keine gute Außenpolitik. ({3}) Wir sollten die Fälle, die Sie angedeutet haben, vielmehr verhindern. Darauf kommt es an! ({4}) - Danke schön. Auch ein Staatsminister bedarf gelegentlich des Beifalls. Ich bin zutiefst beeindruckt. ({5}) Meine Damen und Herren, ich darf in meiner Rede fortfahren: Beim Recht der jeweiligen Minderheiten sind das Recht auch der nichtserbischen Nationen auf autonome Gestaltung ihrer wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in einem Gesamtjugoslawien zu sehen, aber auch die Rechte der jeweiligen Minderheiten in den einzelnen Republiken, z. B. auch der serbischen Minderheiten in Kroatien. Ein völliger Zerfall Jugoslawiens würde dagegen - darüber müssen wir uns doch wohl klar sein - auch historische und kulturelle Bindungen zerreißen. Eine für alle Parteien befriedigende Regelung der Minderheitenproblematik würde in ihren verschiedenen Erscheinungsformen bei einem solchen totalen Zerfall erschwert. Wir glauben, daß der Kompromißvorschlag der Präsidenten von Bosnien/Herzegowina und Mazedonien den Weg für eine Fortsetzung des innerjugoslawischen Dialogs aufzeigt. In der Zwölfer-Erklärung vom 8. Juni haben wir gemeinsam mit unseren Partnern die Bereitschaft der Republikspräsidenten begrüßt, auf dieser Grundlage weiterzuverhandeln. Nach wie vor verdienen die Bemühungen der jugoslawischen Zentralregierung als der letzten verbliebenen Klammer um einen politischen Konsens auch unsere Unterstützung. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die Bundesregierung begrüßt das in den beiden vorliegenden Entschließungen dokumentierte Interesse des Bundestages an der Entwicklung Jugoslawiens ungeachtet der Tatsache, daß der Bundestag den Akzent stärker auf die Autonomie der einzelnen Republiken gelegt hat. Ihre Entschließungen sowie die Reisen des Auswärtigen Ausschusses und einzelner Abgeordneter fügen sich in das Bemühen der Regierung, zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes beizutragen. Eine Entschließung ist ausschließlich dem Kosovo gewidmet. Ich darf dazu sagen, daß wir die Menschenrechtslage dort weiterhin als unbefriedigend und besorgniserregend ansehen. Was für den Konflikt um die Neuordnung Jugoslawiens gilt, gilt auch im Kosovo. Jede Lösung muß auf der Grundlage von Gewaltverzicht, Demokratie und Menschenrechten gefunden werden. Die Europäische Gemeinschaft ist be2566 kanntlich bereits tätig geworden, und zwar mit Stufe I des CDH-Mechanismus, der „menschlichen Dimension" also, im vergangenen Jahr. Wir haben gesagt: Die zweite Stufe muß angewendet werden, wenn sich die Lage im Kosovo nicht verändert. Es ist also nicht richtig, wenn gesagt wird, daß wir hier nichts täten. Wir sind aber dafür dankbar, daß Sie uns bei unserem Tun kräftig unterstützen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Krise in Jugoslawien auf Drucksache 12/795. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Lage in Kosovo auf Drucksache 12/797 ({0}) ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist ebenfalls einstimmig angenommen. Wir stimmen jetzt noch über den Antrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Lage in Kosovo auf Drucksache 12/780 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Die GRÜNEN sind nicht da. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN bei Abwesenheit der GRÜNEN abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Einrichtung eines baltischen Informationsbüros in der Bundesrepublik Deutschland zu dem Antrag des Abgeordneten Gerd Poppe und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN Einrichtung eines baltischen Informationsbüros in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 12/164, 12/166, 12/673 Berichterstatter: Abgeordnete Reinhard Frhr. von Schorlemer Gert Weisskirchen ({2}) Gerd Poppe Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Das Wort hat der Abgeordnete Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das innere Band zwischen dem, worüber wir soeben diskutiert haben, und dem, worüber jetzt zu diskutieren sein wird, ist offenbar. Was in Jugoslawien vor sich geht, ist nicht identisch, aber von den strukturellen Zusammenhängen her durchaus vergleichbar mit der Entwicklung in der Sowjetunion, die sich in einem Zwischenstadium befindet. Es käme darauf an, zu erkennen, was die eigentliche Ursache für die Implosionen jener Strukturen in Jugoslawien und der Sowjetunion sind. Das innere Band dieser Implosionen hat damit etwas zu tun, daß sich ein falscher Internationalismus entwickelt hat, der in Wirklichkeit kein Internationalismus war. Vielmehr hat sich die Dominanz einer bestimmten Gesellschaftsschicht und Gesellschaftsstruktur, ja, manchmal sogar nur einer Nation, in solchen sich international nennenden Konglomerationen gegenüber den anderen durchzusetzen versucht. In dem Moment, wo es Freiheitsbewegungen und Freiheitsbestrebungen möglich wird, sich zu entfalten, bricht das Ganze zwangsläufig zusammen, nachdem die großen Fragen - vorhin ist das schon angesprochen worden - des aufgebauschten OstWest-Konflikts in sich zusammengebrochen sind, weil eben der Ost-West-Konflikt, soweit er auf dem Widerspruch der beiden atomaren Supermächte begründet war und Bestand hatte, in sich zusammengefallen ist. Erst ein halbes Jahrzehnt ist es her, daß Michail Gorbatschow, der große Häretiker unserer Zeit, mit unerhörtem Mut mit der Ideologie, die sich längst überlebt hatte, und mit einer Praxis, die schon in der Stunde ihrer Geburt den Keim des Unterganges in sich trug, gebrochen hat. Seither ist der real existierende Sozialismus implodiert. Seither haben die Menschen, wie Timothy Garton Ash treffend bemerkt hat, ein Jahrhundert abgewählt. Staunend waren wir meist Beobachter eines Prozesses, der diejenigen, die in den Gefängnissen einsaßen, in die Regierung schleuderte. Die Macht der Ohnmächtigen, die Gewalt einer ethischen Revolution brach sich Bahn. Manchmal frage ich mich bis zum heutigen Tag und bis zur heutigen Stunde immer noch: Warum eigentlich bleibt unsere Entsprechung im Westen Europas gegenüber dieser ethischen Revolution aus? Vielleicht deswegen, weil wir etwas Angst und Sorge haben, daß sich nicht nur die Träume, die auch eines der inneren Bande dieses gemeinsamen Europa sind, sondern möglicherweise auch die Alpträume wiederholen könnten. Vielleicht kann man in diesem Zusammenhang auch sagen: Einer dieser Alpträume ist gewiß der Nationalismus, den wir eben schon in bezug auf Jugoslawien angesprochen hatten, der auch in den baltischen Republiken deutlich spürbar wird; daran gibt es keinen Zweifel. Ich meine, wir müssen noch einmal neu darüber nachdenken, was Nationalismus eigentlich bedeutet. Nationalgefühl ist, denke ich, die erste Form der Rebellion gegen den Terror und gegen den durch Terror aufgezwungenen Versuch der Zerstörung der Identität von Völkern, Kulturen und Glaubensgemeinschaften sowie des regional gewachsenen Bewußtseins der Zusammengehörigkeit. Dieses Nationalgefühl wird dann in Nationalismus hineingleiten können und wird dann regredieren, wenn der Prozeß der Befreiung von Unterdrückung ethnisch verkürzt und/oder zugleich von dem Prozeß Gert Weisskirchen ({0}) der Demokratisierung sowie der gesellschaftlichen Reformen abgetrennt wird. Ich finde, daß Jiři Dienstbier in seinem Interview, das vorhin schon einmal zitiert worden ist, sehr zu Recht gesagt hat: Es kommt darauf an, die Gesellschaften der verschiedenen Länder zu stabilisieren. Wenn sie zusammenbrechen und es auf staatlicher Ebene zur Balkanisierung kommt, wird das den Westen hundertmal mehr kosten, als wenn er jetzt in eine sichere gesellschaftliche Entwicklung investiert. Das ist der zentrale Punkt. Ich finde, wir müßten von uns aus erkennen, daß gerade die Entwicklung in den baltischen Staaten etwas mit unserer eigenen Vergangenheit, mit der der Deutschen zu tun hat. Denn diese Entwicklung, die mit dem Ribbentrop-Molotow-Pakt von 1939 etwas zu tun hat, müßte von uns verlangen, daß wir als Deutsche, als Bundesrepublik Deutschland, einen Beitrag dazu leisten, daß diese Emanzipationsprozesse, die da stattfinden, so gelingen, daß Freiheitsbewegungen niemals mehr in nationalistische Bewegungen umkippen können. Vielmehr kommt es darauf an, die Nationenwerdung, die dort jetzt notwendig stattfindet, von Anfang an die Demokratisierungsprozesse zu binden. Wenn das nicht gelingt, dann allerdings sehe ich die große Gefahr, daß Europa vielleicht wieder in eine - Stichwort von Jiři Dienstbier - Balkanisierung zurückfallen könnte. Das müssen wir verhindern! ({1}) Wir müssen von Beginn an die Nationenwerdung, den Freiheitsprozeß und die Demokratisierung zusammenbinden. Das kann auch gelingen. In den baltischen Republiken besteht zumindest die große Chance, daß dieser Prozeß gelingt. Dazu müssen wir einen Beitrag leisten. Der gemeinsame Antrag aus dem Auswärtigen Ausschuß, den wir jetzt dem Bundestag vorlegen, ist ein ermutigendes Signal, daß wir erkannt haben, was unsere Aufgabe ist, nämlich mindestens jetzt dafür zu sorgen, daß die Interessen der baltischen Republiken, der baltischen Staaten bei uns einen Platz finden, an dem sie zur Geltung kommen können. ({2}) Ich möchte das noch mit einer Bitte verknüpfen. Wenn wir über die Gestaltung dieses Büros noch reden werden, sollten wir uns von Beginn an folgendes klarmachen, auch gegenüber unseren Partnern im Baltikum: Diese Informationsbüros hier und nachher das Goethe-Institut auf der anderen Seite wollen eine Einladung an einen offenen und öffentlichen friedvollen Diskurs sein, der im Baltikum geführt werden muß, damit die Probleme der Nationalitäten, die es dort gibt, sich eben nicht mit den sozialen Konflikten vermischen und möglicherweise in Chauvinismus abgleiten können. Wir müssen dafür sorgen, daß wir - darüber haben wir vorhin geredet - alle Minderheiten, die Russen, die Juden, die Letten - alle, die im Baltikum beieinanderleben und die selber sagen: Wir wollen jetzt endlich das Recht auf demokratische Selbstbestimmung haben - , zusammenführen und mit ihnen die Probleme bewältigen, damit am Ende ein gemeinsames Europa geschaffen wird, in dem wir eine Heimat für alle bieten können. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Sauer.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus zahlreichen Beiträgen heute morgen ist hervorgegangen, daß sich Europa mitten in einem gewaltigen Prozeß der Umstrukturierung und der Veränderungen befindet. In Ost und West werden jetzt Weichen gestellt, und Entscheidungen von großer Tragweite sind notwendig. Wer von uns hätte es für möglich gehalten, daß z. B. in der Sowjetunion aus Leningrad wieder Sankt Petersburg werden würde und daß am ersten Osterfeiertag das sowjetische Fernsehen seine Sendung mit dem alten russischen Gruß „Christus ist auferstanden" beginnen würde? Andererseits sehen wir auch - wir stehen fassungslos und voller Abscheu davor - , Ereignisse, wie sie sich in Wilna und in Riga ereignet haben. Dort wurden erneut mit brutalster Militärgewalt Menschenrechte verletzt, ja, es mußten zahlreiche Todesopfer beklagt werden. Im Baltikum fragen sich viele, wie lange die westlichen Staaten dem diplomatischen Druck der Sowjetunion noch nachgeben wollen. Sie fragen mit Recht, wann denn endlich den vielfachen Sympathiekundgebungen auch Taten folgen werden. Sie fragen weiter, wann sich die Staaten der Welt denn daran erinnern wollen, daß Lettland, Estland und Litauen freie Staaten und Mitglieder des Völkerbundes, der Völkergemeinschaft nach dem Ersten Weltkrieg, gewesen sind. Darum von dieser Stelle auch ein Dankeschön an die dänische Regierung, die bei der KSZE-Konferenz in Berlin die Balten wenigstens in ihre Reihen aufgenommen hat. ({0}) Heute ist der Deutsche Bundestag gefordert, einer gemeinsamen Bitte der drei baltischen Staaten nachzukommen, ein Informationsbüro hier bei uns einzurichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat Schuld auf sich geladen; denn durch den Pakt der Nationalsozialisten mit den Kommunisten, den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt, wurde es der Sowjetunion auch durch uns ermöglicht, die baltischen Länder zu annektieren, die Menschen politisch zu verfolgen, die regionalen Strukturen zu zerstören, kulturelle Eigenständigkeiten zu vernichten, eine Überfremdung ohne Rücksicht auf bisherige Tradition durchzuführen und historische Bindungen an Europa zu zerschneiden. Ich könnte noch vieles aufführen, was meinem Kollen Scharrenbroich und mir im Frühjahr dieses Jahr in Lettland vorgetragen worden ist. Wir beide waren Wahlbeobachter im livländischen Riga und im kurländischen Mitau, das heute Jelgava heißt. Helmut Sauer ({1}) Man sucht das Gespräch mit uns Deutschen, mit allen Europäern. Ob es der Parlamentspräsident, Vertreter der Parteien, die evangelische und die katholische Kirche oder die Gewerkschaft waren, alle haben uns immer wieder diese Bitte nach verstärkten Kontakten vorgetragen. Sie erläuterten uns dabei auch die Arbeitsweise schon bestehender baltischer Informationsbüros in skandinavischen Ländern. Man bat also darum, ein solches Büro auch hier in Bonn in der Bundesrepublik Deutschland einzurichten. Dieses Büro soll der Vermittlung, der Förderung und Aufrechterhaltung von Kontakten zwischen Institutionen und Organisationen, Wirtschaftsunternehmen und kulturellen Einrichtungen bei uns und den entsprechenden Stellen im Baltikum dienen. Dadurch sollen Informationen und Kontakte in beide Richtungen möglichst direkt vermittelt werden. Sie können dies den Bundestagsdrucksachen 12/164 und 12/166 entnehmen. Wir haben darüber in den zuständigen Gremien lange debattiert. Denn es waren ja auch diplomatische und völkerrechtliche Fragen hierbei zu erörtern. Wir sind dabei zu einer großen Gemeinsamkeit gekommen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Errichtung eines solchen baltischen Büros hier bei uns, sondern auch hinsichtlich der Einrichtung eines Goethe-Instituts dort in den baltischen Staaten. Diese Vorhaben entnehmen Sie bitte der Bundestagsdrucksache 12/673. Wir haben uns fraktionsübergreifend für diese Schritte entschieden und bitten die Bundesregierung, Herr Schäfer, diesen Forderungen des Parlaments nachzukommen. Wir sind der Auffassung, daß im Geist der KSZE-Akte, nach den Prinzipien von Helsinki und der Charta von Paris die baltische Frage keine innere Angelegenheit der Sowjetunion ist, ({2}) auch wenn sich die Sowjetunion über 50 Jahre lang permanent und häufig gewalttätig in die inneren Angelegenheiten der baltischen Staaten eingemischt hat. Die Unabhängigkeit der baltischen Staaten und ihre Zukunft sind nach wie vor und bleiben weiterhin internationale Probleme. Gerade wir Deutschen sollten mithelfen, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Selbstbestimmungsrecht und Gerechtigkeit auch für die Menschen in Litauen, Lettland und Estland zu erreichen. Darum bitte ich namens der CDU/CSU-Fraktion um Annahme dieser gemeinsamen Beschlußvorlage gemäß Drucksache 12/673. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. von Teichman.

Dr. Cornelia Christiane Teichman (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002302, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Heute treten wir ein weiteres Mal zusammen, um das Thema Baltikum zu erörtern. Aus unserer historischen Verantwortung für die baltischen Völker sprechen wir heute über eine Form der Zusammenarbeit und Mithilfe, die ihnen ermöglichen soll, sich im Ausland darzustellen und zu artikulieren. Dabei stehen wir im Spannungsfeld zwischen einer Sowjetunion, die um ihre geschichtliche Rolle und um ihre nationale Existenz ringt, und einem Teil Europas, der uns kulturell und menschlich auf besondere Weise verbunden ist. Unserer Unterstützung der baltischen Völker bei ihrem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit liegt nicht zuletzt auch die Verantwortung zugrunde, die gerade uns Deutschen durch die geheimen Zusatzprotokolle zum Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 auferlegt ist. Genauso wie dieser Pakt für uns eine ganz bittere Hypothek aus dunkler Geschichte ist, belastet dieses Erbe die heutige Sowjetunion, die sich um Rechtsstaatlichkeit, um Demokratisierung und um Liberalisierung bemüht. Diese Erblast müssen wir gemeinsam bewältigen. Sie verpflichtet sowohl die Sowjetunion als auch die Bundesrepublik, gemeinsam für die Folgen der Vergangenheit zu haften und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. ({0}) Die Lösung der deutschen Frage war ohne die Sowjetunion nicht möglich. Auch die baltische Frage kann nicht gegen, sondern nur mit der Sowjetunion gelöst werden. ({1}) In diesem Sinne sollten alle Anstrengungen unternommen werden, ernsthafte Verhandlungen zwischen gewählten Vertretern der baltischen Völker und den politischen Kräften der Zentrale in Moskau zu fördern. Ziel sollte eine Lösung sein, die eingebettet ist in eine Gesamtentwicklung eines demokratischen, eines friedlichen und eines freiheitlichen Europas. ({2}) Manche mögen meinen, daß die Geduld der Balten überstrapaziert sei. Es hilft aber wenig, meine Damen und Herren, historischen Entwicklungen ungeduldig vorzugreifen. Brachialgewalt nützt niemandem. Wir verurteilen sowohl den Einsatz des sowjetischen Militärs im Baltikum als auch radikale Maßnahmen von baltischer Seite gegen sowjetische Institutionen. ({3}) Grundlage für jeden Fortschritt, Grundlage für jede Annäherung ist gegenseitige Information. Auch die Sowjetunion sollte an objektiven Informationen aus dem Baltikum ein Interesse haben. Umfassende Informationen sind Teil des Veständigungsprozesses, in den alle eingebunden werden müssen. Daher halten wir die Einrichtung baltischer Informationsbüros für sinnvoll und wünschenswert. Sie fördern den politischen, den wirtschaftlichen, den kulturellen und sozialen Dialog, und daran, meine Damen und Herren, muß uns allen gelegen sein. Es muß aber nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, derartige Informationsbüros zu finanzieren. Wir Liberale würden es begrüßen, wenn nicht nur FordeDr. Cornelie von Teichman rungen an den Staat gestellt würden. Ermutigen wir doch auch private Initiativen! ({4}) So sind z. B. Finanzierungsmodelle über Stiftungen denkbar. Wir alle wissen, daß das Informationsbüro in London z. B. durch das Baltic World Council finanziert wird und auch funktioniert. Die baltischen Gesellschaften haben ihren Oberlebens- und Durchsetzungswillen über Jahrzehnte bewiesen. Geben wir ihnen die moralische Unterstützung und wirken wir darauf hin, daß eine friedliche Lösung der Probleme gefunden wird! ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Modrow das Wort.

Dr. Hans Modrow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001518, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits bei der Erörterung dieser Frage im Februar habe ich hier im Bundestag betont, daß es für die PDS/Linke Liste keine wesentlichen Einwände gegen ein Informationsbüro gibt, wenn es durch seine Tätigkeit einen solchen Namen auch verdient. Das heißt, es sollte darauf hinwirken, die kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den baltischen Republiken zu vertiefen, die Kontakte zwischen den Menschen zu fördern und einen sinnvollen Informationsaustausch zu gewährleisten. Keinesfalls aber sollte es Elemente einer offiziellen Vertretung dieser Republiken in der Bundesrepublik Deutschland an- oder wahrnehmen. Es bleibt unsere feste Überzeugung, daß von außen her kein Fakt geschaffen werden sollte, der wie eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion wirken könnte. Jedes Zeichen dieser Art wäre für die deutsch-sowjetischen Beziehungen wie für europäische Angelegenheiten wenig dienlich. Die inneren Probleme der Sowjetunion sind in der Tat widersprüchlich und tragen auch dramatischen Charakter. Die Anstrengungen Gorbatschows bleiben weiter auf eine friedliche innere Lösung der Probleme gerichtet. Dazu wird Dialog geführt. Auf diesem Gebiet werden auch umfassende Aktivitäten entfaltet. Außenpolitik sollte möglichst in jeder Phase berechenbar und gerade jetzt für die Lösung der inneren Probleme der Sowjetunion hilfreich sein. In der Sowjetunion steht der neue Unionsvertrag zur Entscheidung an. Nach dem vorliegenden Entwurf werden auch die Unionsrepubliken Außenkontakte verstärken. Auch wenn sich die baltischen Republiken am Unionsvertrag nicht beteiligen, ist die Gestaltung der inneren Beziehungen noch nicht gelöst. Gewiß werden sich künftig unsere Kontakte und der Austausch mit den Teilrepubliken der Sowjetunion ausweiten und verstärken. Es werden neue Formen der Zusammenarbeit entstehen. Das bringt vielfältige neue Erfordernisse für die Bundesrepublik und wohl auch für die Bundesländer mit sich. Das alles sollte den deutsch-sowjetischen Beziehungen nützlich sein, Geist und Buchstaben der abgeschlossenen Verträge entsprechen und die partnerschaftlichen Beziehungen sowohl stärken als auch erweitern. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Dr. von Stetten.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben das Wort „historisch" in den vergangenen achtzehn Monaten häufig gebrauchen dürfen. Nun will ich den heutigen Tag, an dem wir die Einrichtung eines baltischen Informationsbüros in der Bundesrepublik Deutschland beschließen, nicht dazu mißbrauchen. Aber es ist ein Schritt zu einem wirklich historischen Tag, dem Tag, an dem die baltischen Republiken Litauen, Lettland und Estland wirklich frei werden. ({0}) Es ist erfreulich, daß wir in diesem Ziel über alle Parteigrenzen hinweg einig sind. Das wurde auch bei der Gründung des deutsch-baltischen parlamentarischen Freundeskreises deutlich, als letzte Woche fast einhundert Mitglieder des Deutschen Bundestages mit baltischen Freunden zusammentrafen. Es gibt keine vergleichbare Initiative in anderen westlichen Ländern. Ich bin stolz darauf, daß damit unsere besondere Verantwortung für diese drei Länder eindrucksvoll dokumentiert wurde. Das wurde auch in den drei baltischen Ländern lebhaft begrüßt. Wir wünschen uns deutlichere Signale von der Außenpolitik, Herr Schäfer, und hätten uns für die Länder einen offiziellen Beobachterstatus bei der heute beginnenden KSZE-Konferenz in Berlin gewünscht. Aber immerhin: sie sind dabei. Wenngleich Geschichte, Herkunft und heutige Bevölkerungszusammensetzung der drei baltischen Republiken unterschiedlich waren und sind, haben alle drei Länder ähnliche Schicksale erlitten und waren schicksalhaft Spielball zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Die in den Jahren 1918 bis 1920 erkämpfte Freiheit verloren alle drei 1940 nach dem Hitler-Stalin-Pakt durch Okkupation und anschließende Zwangsmitgliedschaft als Republik in der Sowjetunion. 1941 wurden sie durch Deutschland besetzt, nach der Rückeroberung 1944/45 wieder durch die Sowjetunion. In allen vier Phasen haben die Länder nicht nur das Übliche eines grausamen Krieges erlebt, sondern wurden in vier Schüben ihrer Intelligenzschicht beraubt. Nachdem sie zunächst 1918 und 1921 den ersten Teil der deutschen Oberschicht vertrieben, verließ der Rest der deutschen Schicht durch die Umsiedlung das Baltikum 1938/39. 1940 wurden über hunderttausend Litauer, Letten und Estländer von der Sowjetarmee nach Sibirien und anderswo verschleppt und in den Jahren 1941 bis 1944 Hunderttausende von Juden von der deutschen Besatzungsmacht deportiert. ({1}) - Ich will dem nicht widersprechen, Herr Kollege Voigt. Den Rest der Intelligenzschicht ereilte 1945 bis 1949 bei neuen Deportationswellen der Sowjetunion das gleiche Schicksal. Erst mühsam haben sich die Völker davon erholt. Die Okkupation und Einverleibung in die Sowjetunion wurde vom Westen niemals anerkannt, und so wollen sie jetzt ihre Freiheit, und sie wollen sie gleich. Wir von der Bundesrepublik Deutschland müssen sie unterstützen. Wir, die wir die Freiheit unserer Mitbürger in den fünf neuen Ländern erst seit einem Jahr wieder zurückerhalten haben, sollten Verständnis für die Ungeduld haben. Dennoch versuche ich, Strömungen entgegenzuwirken, wenn der Präsident der Sowjetunion, Gorbatschow, in unqualifizierter Weise angegriffen wird. Ich sage allen meinen Gesprächspartnern - und dies waren insbesondere auch die führenden litauischen Politiker - : Ohne Gorbatschow und seine Politik in den letzten Jahren gäbe es kein Thema Baltikum, würden wir als Parlament nicht über die Freiheit dieser Menschen diskutieren und würden wir heute nicht über ein Informationsbüro als Vorläufer von drei Botschaften entscheiden. ({2}) Ich bin der Meinung, daß die Freiheit der drei Völker nur mit Gorbatschow - und sei es, damit er sein Gesicht nicht verliert, durch eine finnische Lösung - zu erreichen ist und nicht gegen ihn und natürlich jetzt auch mit Jelzin. Es darf keinen blutigen Januar 1991 mehr geben, und die Übergriffe auf baltische Einrichtungen, wie sie noch in den letzten Wochen durch sowjetische Behörden stattfanden, müssen aufhören. Gorbatschow könnte seine historische Leistung für Frieden und Freiheit mit der Freiheit der drei baltischen Staaten krönen, und wir tragen heute mit unseren Beschlüssen ein Stückchen dazu bei. Es ist noch ein steiniger Weg, aber der Bundestag hat die Verantwortung der Deutschen erkannt. Wir bitten und fordern den Kanzler und den Außenminister auf, wann immer sie Möglichkeiten haben, mit sowjetischen Gesprächspartnern diese Frage zur Sprache zu bringen, auch im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Zukunftsplänen und dem ständigen Hinweis, daß die völkerrechtliche Situation dieser drei Länder anders ist als die der übrigen sowjetischen Republiken, weil die Einverleibung 1940 völkerrechtlich unwirksam ist. Die drei baltischen Staaten könnten als wirtschaftlicher Katalysator zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der künftigen Sowjetunion dienen und damit dem Endziel, dem vereinten Haus Europa, nutzen. Mit der hoffentlich baldigen Eröffnung der Informationsbüros soll auf diesem Weg ein Signal gesetzt werden. Danke schön. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Und nun hat das Wort der Staatsminister Dr. Helmut Schäfer.

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Vielen Dank. „Doktor" ist etwas zu hoch gegriffen. Ich warte immer noch auf den Ehrendoktor. Der ist mir bisher noch nicht zuteil geworden. ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf, weil die Bundesregierung wiederholt angesprochen worden ist, noch einmal auf das zurückkommen, was ich hier am 28. Februar schon einmal gesagt habe: Der Einrichtung baltischer Informationsbüros in der Bundesrepublik steht nichts im Wege, wenn sie nach den Regeln des Privatrechtes, des Vereinsrechtes sowie des Ausländerrechtes organisiert wird, wie es z. B. auch in Polen der Fall sein wird. Das heißt allerdings auch, daß ein diplomatischer Status, fiskalische Privilegien sowie Betrauung mit quasikonsularischen Aufgaben ausgeschlossen sind. Ich muß dies hier noch einmal wiederholen. Erlauben Sie mir, dies zu erläutern: Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, die Annexion der baltischen Staaten niemals anerkannt. Sie hatte bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion einen Vorbehalt hinsichtlich des beiderseitigen territorialen Besitzstandes ausgesprochen und ihn seither stets berücksichtigt. Dieser Vorbehalt gilt weiter. Es ist aber unbestreitbar und unbestritten, daß seit den Republikwahlen in allen drei Staaten eine qualitativ neue Lage eingetreten ist. Wir haben es - und da ist doch gar kein Zweifel - heute dort mit demokratisch legitimierten Regierungen und Parlamenten zu tun, die danach streben, das Selbstbestimmungsrecht der baltischen Völker zu verwirklichen. Es ist Ihnen bekannt - und ich verstehe insofern nicht die Kritik, die einige hier geäußert haben -, daß die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern in der EG nachdrücklich auf Verhandlungen zwischen der sowjetischen Zentralregierung und den gewählten Vertretern der baltischen Länder drängt, die auf der Grundlage der Ergebnisse der baltischen Referenda die legitimen Erwartungen der baltischen Völker erfüllen müssen. Wir haben mit Genugtuung festgestellt - und das muß auch einmal deutlich gemacht werden - , daß Ende März ein Dialog in Gang gekommen ist. Der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident haben im vergangenen Jahr ausdrücklich in ihren Schreiben nach beiden Seiten hin gedrängt, daß man zu einer Verhandlung kommt und daß der Weg des Dialogs eingeschlagen werden muß, auch im Hinblick auf die spätere Lebensfähigkeit der baltischen Staaten, d. h. auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber natürlich auch im Hinblick auf die zahlreichen politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bindungen, die es natürlich mit der Sowjetunion noch gibt. Dieser Weg ist schwierig, die Begleitumstände, die angesprochen worden sind, sind gelegentlich belastend. Ich darf an die Grenzpostenzwischenfälle erinnern; all das ist unschön, aber es bleibt festzuhalten: Die Verhandlungen sind auf dem Wege, und gerade vor wenigen Tagen, am 6./7. Juni 1991, sind zuletzt lettische und sowjetische Verhandlungspartner zusammengetroffen. Ich weiß auch aus Äußerungen des polnischen Außenministers, mit dem ich vorgestern gesprochen habe, daß die Gespräche wesentlich substantieller geworden sind. Diesen Prozeß wollen wir fördern; es gibt hieran überhaupt keinen Zweifel. Was die finanzielle Unterstützung eines eventuellen baltischen Informationsbüros betrifft, so darf ich noch einmal klar sagen, daß es im Interesse der Balten liegt, daß die Bundesrepublik diese Informationsbüros nicht finanziert. Eine solche Unterstützung würde eine politische Abhängigkeit von der Bundesregierung herstellen. Ich glaube, das kann man wohl nicht bezweifeln. Es wäre auch eine Verantwortlichkeit der Bundesregierung für die Art und Weise, wie diese Informationsbüros arbeiten, gegeben. Denn wir können nicht Steuermittel für die Einrichtung ausländischer Informationsbüros verwenden und dann sagen: Was die tun, ist uns gleichgültig. So können wir nicht verfahren. Eine Finanzierung durch andere Mittel - das haben wir auch schon gesagt - ist möglich. Es gibt eine ganze Fülle von baltischen Organisationen auch bei uns, und es gibt auch Privatinitiativen, die das unterstützen werden. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich kann nur wiederholen, was die Auffassung der Bundesregierung ist, und wir stehen zu dieser Auffassung. Sie können versuchen, sie zu ändern, Sie können eine Finanzierung dieser Büros beantragen. Ich darf Ihnen noch einmal sagen: Unser Standpunkt ist hier klar. ({2}) - Heute bei Ihren Reden ist mehrfach nicht ganz klargeworden, was Sie sich unter den Informationsbüros vorstellen. Ich darf zum Schluß sagen: Wir haben auch die Anregung des Deutschen Bundestages aufgegriffen, um umgekehrt in den baltischen Staaten tätig zu werden und nach Möglichkeit ein Kulturinstitut, ein Goethe-Institut in einer der Hauptstädte der drei Staaten einzurichten. Das liegt uns sehr am Herzen; die Bundesregierung wird in den erforderlichen Gesprächen über die rechtlichen und politischen Grundlagen dieses Büros sehr bald eintreten. Ich hoffe, daß es dann auch bald zur Finanzierung eines solchen GoetheInstituts kommen wird. Vielen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Mit Einverständnis der Fraktion hat ein Vertreter des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN eine Rede zu Protokoll gegeben. *) *) Anlage 4 Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/673, eine Entschließung anzunehmen sowie die Anträge der Fraktion der SPD, sowie der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 12/164 und 12/166 für erledigt zu erklären. Ich möchte fragen, wer der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zuzustimmen gedenkt. - Enthaltungen? - Gegenstimmen! - Dann ist bei Enthaltung der Gruppe der PDS/Linke Liste diese Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses angenommen worden. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ursula Männle, Renate Diemers, Rainer Eppelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Eva Pohl, Norbert Eimer ({0}), Hans A. Engelhard, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Familien mit Kindern ({1}) - Drucksache 12/409 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren ({2}) - Drucksache 12/754 - Berichterstatter: Abgeordnete Ursula Männle Frank-Michael Habermann b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/755 Berichterstatterinnen: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Irmgard Karwatzki Dr. Sigrid Hoth ({4}) Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Frau Pfeiffer.

Angelika Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001704, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Vorfeld meiner Rede heute habe ich mir noch einmal die Redebeiträge zu diesem Thema von der 24. Sitzung des Deutschen Bundestages angeschaut und noch einmal gründlich durchgelesen. Besonders aufgefallen ist mir die Rede des Kollegen Habermann der SPD-Fraktion. Es ist schon eigenartig, immer wieder feststellen zu müssen, daß die SPD eigentlich nichts weiter so richtig kann als alles kritisieren, und jede auch noch so kleine Aktivität der Koalition zu bremsen versucht. Ich als neue Politikerin, die ich noch nicht viel Ahnung von dem Geschäft der Politik habe, frage mich: Warum kann es keine Gemeinsamkeiten zwischen Opposition und Koalition geben, wenn es um eine gute Sache geht? Dann müßte man doch Parteigrenzen überwinden und müßte zustimmen, auch wenn es kein Antrag ist, den man selber eingebracht hat. ({0}) Gemeinsamkeit über alle Parteigrenzen hinweg für alle Frauen müßte möglich sein, und das wünsche ich mir für die nächsten dreieinhalb Jahre. Ist es nicht erfreulich, meine Damen und Herren, über eine weitere Verbesserung der Lebensbedingungen der Familien mit Kindern in den neuen Bundesländern berichten zu können? Ich jedenfalls freue mich von ganzem Herzen über den Gesetzentwurf zur Einführung der Mütterunterstützung für Nichterwerbstätige in den neuen Bundesländern. Zugleich bietet mir der vorliegende Gesetzentwurf die begrüßenswerte Gelegenheit, Antwort auf die vielen Fragen von Hausfrauen aus meinem Wahlkreis zu geben, Antwort darauf, ob man sie vergessen hat, die Nichtberufstätigen, die bis dato laut DDR-Regelung keinen Anspruch auf Mutterunterstützung hatten. ({1}) Im Klartext: Wer nicht berufstätig war, der hatte keinen Anspruch auf Mutterunterstützung. Das ist nun, Gott sei Dank, bald Geschichte. ({2}) Nichterwerbstätige Mütter aus den neuen Bundesländern, deren Kinder zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 31. Dezember 1990 geboren wurden, erhalten jetzt ab Geburt monatlich 250 DM bei einem Kind, 300 DM bei zwei Kindern und 350 DM bei drei und mehr Kindern. Diese Minimalbeträge, die auch mich nicht befriedigen - das ist ganz klar, aber im Moment haben wir nur diese Minimalbeträge - , weiter zu erhöhen wird eine nicht zu vergessende Aufgabe für uns alle sein. Diese Übergangsregelung kostet den Bund 1991 - auch das sollte hier einmal erwähnt werden - ca. 15 Millionen DM; im Jahr 1992 werden es 1,73 Millionen DM und 1993 noch 30 000 DM sein. Zugunsten der betroffenen Hausfrauen und Schülerinnen schlägt sich auch die damit geschaffene Möglichkeit der Vermeidung der Sozialhilfebedürftigkeit nieder. Als ehemals praktizierende Sozialarbeiterin ist mir bekannt, wie sich unsere Mitbürger in den neuen Bundesländern überwinden müssen, den Weg zum Sozialamt zu gehen. Außerdem erkennen wir endlich auch, entgegen der DDR-Verordnung, die großartige Erziehungsleistung von Hausfrauen an. ({3}) Es war schon fast anrüchig, wenn eine Frau in der damaligen DDR nicht gearbeitet hat. Meine Großmutter sagte immer: Früher war man wer, wenn eine Frau nicht gearbeitet hat. Zu DDR-Zeiten wurde gemunkelt, daß irgend etwas nicht stimmen kann, wenn eine Frau nicht arbeiten ging; ob sie das Arbeiten vielleicht nicht erfunden hat - solche Reden wurden geäußert. Ich möchte zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. Im Interesse der betroffenen Mütter fordere ich alle auf, auch wenn uns verschiedene Regelungen nicht so angenehm sind, wie wir es gern hätten, über Parteigrenzen hinweg mitzuwirken, daß dieser gute Gesetzentwurf möglichst schnell umgesetzt wird. Ich bedanke mich. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Habermann.

Michael Habermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Pfeiffer, die SPD wird diesem Gesetzentwurf zustimmen, so wie wir auch in erster Lesung zugestimmt haben. Die Kritik und die Bedenken, die Sie in meinem Redeprotokoll gefunden haben, werden wir natürlich aufrechterhalten. Es geht uns nicht um Miesmachen; mit dem, was wir vorgeschlagen und diskutiert haben, wollen wir vielmehr Verbesserungen erreichen. Wir glauben, daß mit der Absicht, die ich gerade erwähnte, auch ein Stück der Politik verwirklicht wird, die Sie sich selbst als Zielvorgabe gesteckt haben. Wenn Frau Michalk gesagt hat, daß mit diesem Gesetzentwurf eine Lücke geschlossen wird, die von den Betroffenen zu Recht als Unrecht erfahren wird, und Sie das eben noch einmal bestätigt haben, dann muß es natürlich erlaubt sein, zu fragen, wie diese Lücke geschlossen wird und ob sie tatsächlich so geschlossen wird, daß Familien in Ost und West die gleichen Lebensverhältnisse haben. Die Absicht, mit einer Angleichung der sozialen Leistungen schneller zur sozialen Einheit unseres Vaterlandes beizutragen, ist für uns ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf trotz Bedenken zustimmen. Ich darf Ihnen noch einmal unsere Ausgangsüberlegungen in Erinnerung rufen. Wir waren zunächst mit der Frage beschäftigt, ob es nicht möglich ist, daß wir allen Familien rückwirkend ab 3. Oktober Erziehungsgeld gewähren; denn wenn eine nachträgliche Verbesserung eintritt, sollte man möglichst für alle gleiche Verhältnisse schaffen. Das, was zum 1. Januar 1991 möglich ist, hätte auch in einer Korrektur nachträglich auf den 3. Oktober zurückdatiert werden können. Wir kritisierten in der ersten Lesung die Ungleichbehandlung und haben das als ein Dreiklassenrecht definiert, das jetzt zu einem Zweiklassenrecht wird. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß mich Staatssekretärin Verhülsdonk in der damaligen Debatte gefragt hat, ob mir denn nicht bewußt sei, daß sich die Einheit für alle Frauen auch darin ausdrückt, daß kein Unterschied mehr zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen gemacht wird. Sie fragte weiter, ob mir nicht bewußt sei, daß bei allen Frauen die Erwartung bestehe - so formulierte sie - , daß diese Unterstützung ab dem Tag des Beitritts erfolge. Wir haben in den Ausschußberatungen festgestellt, daß genau dieser Punkt, nämlich daß die Frauen die Erwartung haben, gleichbehandelt zu werden, durch diesen Gesetzentwurf nicht erfüllt ist. Lassen Sie mich an vier Punkten verdeutlichen, weshalb dies so ist. Der erste Prüfstein für die versprochene soziale Gerechtigkeit wäre der Vergleich mit dem Erziehungsgeld, und zwar dort, wo auch die Väter diese Leistung beziehen können. Dies wird durch Ihren Gesetzentwurf nicht sichergestellt. Das ist der erste Nachteil dieses kleinen Erziehungsgelds. Der zweite Prüfstein für die versprochene soziale Gleichbehandlung wäre die Frage, ob Frauen, die teilzeitbeschäftigt sind, diese Leistung beziehen können. Auch dies trifft nicht zu. Das ist der zweite Nachteil Ihres „kleinen Erziehungsgeldes". Der dritte Prüfstein für die versprochene Gleichbehandlung wäre die Frage: Wie sieht es mit der materiellen Leistung aus? Sie haben das schon angesprochen. Wir glauben, daß es ungerecht ist, daß Frauen in Ost-Berlin, die ihr Kind zwischen dem 3. Oktober und dem 31. Dezember bekommen haben, 3 000 DM für ihre Erziehungsleistung erhalten, während in WestBerlin 10 800 DM gezahlt werden. Der vierte Prüfstein im Hinblick auf die versprochene soziale Gleichbehandlung ist die Frage der Anrechenbarkeit auf die Sozialhilfe. Auch hierin drückt sich aus, ob wir tatsächlich wollen, daß die Frauen in den neuen Bundesländern mit den Frauen in den alten Bundesländern gleichgestellt werden. Auch hier haben wir festzustellen, daß dies nicht möglich ist. Ja, wir müssen sogar davon ausgehen, daß wir überhaupt nicht wissen, wieviel Frauen, die derzeit Sozialhilfe erhalten, diese Leistung jetzt gar nicht bekommen können, weil das Sozialamt sie kassiert. Wir werden in einem halben oder in einem Dreivierteljahr feststellen können, daß in diesen 4 200 Fällen, von denen hier gesprochen wird, in denen die Mütterunterstützung gewährt werden soll, diese Leistung den Frauen überhaupt nicht gewährt wird. Insofern verpufft Ihr positiver Ansatz. Es hätte der sozialen Gerechtigkeit mehr entsprochen, wenn wir diese Elemente mit in den Gesetzentwurf hätten aufnehmen können. ({0}) Ein letzter Prüfstein, der in dem Gesamtzusammenhang sicherlich erwähnenswert ist, betrifft die Frage, ob eine solche Ungleichbehandlung letztendlich nicht eine verfassungsmäßige Überprüfung provoziert, ja, dieser vielleicht sogar nicht standhält. Das heißt letztlich, die Richter in Karlsruhe werden entscheiden, daß wir bei gleicher Ausgangssituation rückwirkend die gleiche Leistung anbieten müssen. Ich möchte mich ausdrücklich bei denjenigen Kolleginnen und Kollegen bedanken - auch aus den Reihen der FDP und der CDU/CSU - , die im Ausschuß für Frauen und Jugend genau an dieser Stelle in einem gemeinsamen Entschließungsantrag dafür gestimmt haben, daß keine Anrechnung auf die Sozialhilfe erfolgt. Ich bedaure es sehr, daß dies in unserem Ausschuß zu einer, wie ich es nennen möchte, Parlamentarierschelte geführt hat. Frau Ministerin, Ihre Staatssekretärin hat sich sehr verwundert gezeigt, als dieser Beschluß im Ausschuß verlesen wurde, und meinte: Wir wissen doch, wie so etwas geschieht; da hat irgend jemand eine Idee, da sitzen neue Abgeordnete, die den ganzen Diskussionsprozeß noch nicht mitbekommen haben, zusammen; und dann wird halt schnell einmal entschieden. Ich glaube, das Bemühen - das sage ich ausdrücklich auch für die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion -, ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit in diesen Gesetzentwurf zu integrieren, hätte nicht einer solchen Schelte bedurft, sondern hätte im Gegenteil unsere Unterstützung verdient. ({1}) Ich weise diese Schelte für meine Fraktion ausdrücklich zurück. ({2}) - Nein, wir haben nicht dagegengestimmt. Wir wollten die Erziehungsgeldlösung haben, von der Sie gesagt haben, daß sie mit Ihnen nicht zu machen sei. Wir haben uns der Stimme enthalten. Lassen Sie mich zusammenfassen: Ich gehe davon aus, daß es einem sozialen Rechtsstaat bei seinem Bemühen, gleiche Lebensverhältnisse in unserer Republik zu schaffen, gut angestanden hätte, wenn er - möglichst ab dem 3. Oktober 1990 - mit einem entsprechenden Gesetz tatsächlich den Versuch gemacht hätte, dies zu erreichen. ({3}) Was ab 1. Januar dieses Jahres ging, hätte - unter Beibehaltung eines Bestandsschutzes für Empfänger höherer Leistungen - bei der Mütterunterstützung auch ab 3. Oktober 1990 gehen können; davon bin ich fest überzeugt. Ihr jetziger Gesetzentwurf schreibt ein Zweiklassenrecht fest - trotz der Zusage des Bemühens, die Mindestbeträge anzuheben. Auf Grund der ungeklärten Fragen, insbesondere im Bereich der Sozialhilfe, wissen wir heute noch nicht, welche Auswirkungen dieser Gesetzentwurf tatsächlich haben wird. Er provoziert, wie ich schon sagte, eine verfassungsrechtliche Überprüfung. Wir sind als SPD-Fraktion nicht zufrieden. Wir haben unsere Ziele in den Beratungen nicht erreicht. Wir stimmen dieser Lösung trotzdem zu, weil sie wenigstens eine Minimallösung ist. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Pohl.

Dr. Eva Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001727, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute von Ihnen zu verabschiedende Gesetzentwurf zur Einführung von Mütterunterstützung für Nichterwerbstätige ist ein weiterer besonderer und bedeutender Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit für Frauen in den neuen Bundesländern. Denn rückwirkend zum Tag der Herstellung der deutschen Einheit erhalten nun auch Hausfrauen und Schülerinnen in der ehemaligen DDR, deren Kind in der „sozialen Schwebezeit" zwischen diesem Tag und dem 31. DeDr. Eva Pohl zember 1990 geboren wurde, eine Mütterunterstützung. Dies war nicht immer so. Den nichterwerbstätigen Müttern wurde diese Unterstützung versagt, hatten sie doch keinen Beitrag in Form von Arbeitsleistungen zur Stärkung des sozialistischen Regimes geleistet. Wir wollen die Erziehungsleistungen auch dieser Mütter mit dem vorliegenden Gesetzentwurf - ich denke, darin kann mir jeder hier beipflichten - honorieren. ({0}) Das ist auch notwendig; denn Erziehungsgeld nach dem Erziehungsgeldgesetz gibt es in den neuen Bundesländern erst für Geburten ab dem 1. Januar 1991. Die von der von Ihnen vorgelegten Regelung betroffenen Mütter erhalten jetzt ab der Geburt des Kindes monatlich 250 DM bei einem Kind, 300 DM bei zwei Kindern, 350 DM bei drei oder mehr Kindern - meine Kollegin von der CDU hat darauf schon hingewiesen -, und zwar für ein Kind bis zum Ende des ersten Lebensjahres, ab dem dritten Kind bis zum Ablauf des 18. Lebensmonats, bei Zwillingen bis zum Ende des zweiten sowie bei Drillingen bis zum Ende des dritten Lebensjahres. Nicht beipflichten kann ich hier hingegen der Forderung aus den Reihen der Opposition - die das Gesetzesvorhaben grundsätzlich positiv bewertet, was mich sehr erfreut -, die Leistungen des Erziehungsgeldgesetzes darüber hinaus auch jenen Familien in den neuen Bundesländern zugänglich zu machen, die bisher ausschließlich Mütterunterstützung erhalten haben. Denn damit wird doch nur bezweckt, daß keine Anrechnung auf die Sozialhilfe erfolgt, wie Sie das soeben dargestellt haben. Für ebensowenig akzeptabel halte ich persönlich in diesem Zusammenhang das Postulat, die heute zur Abstimmung gestellte Mütterunterstützung auf eben diese Sozialhilfe nicht anzurechnen. Denn, meine Damen und Herren, zum einen beschäftigen wir uns heute mit einer Übergangsregelung, die einen Zeitraum von nur drei Monaten betrifft. Zum anderen muß auch ich als Abgeordnete aus einem der neuen Bundesländer Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in Erinnerung rufen: Der Bundeshaushalt ist kein Dukatenesel. ({1}) Und: Die Sozialhilfe unterliegt dem Grundsatz der Subsidiarität. Immerhin sind die Kosten dieses Gesetzentwurfs bereits beträchtlich. Sie wurden hier schon genannt; ich darf sie in Erinnerung rufen: 15,12 Millionen DM 1991, 1,73 Millionen DM 1992 und schließlich 30 000 DM 1993. Vergessen wir auch nicht, daß alle Mütter aus den neuen Bundesländern, deren Kind nach dem 31. Dezember 1990 geboren wurde, Erziehungsgeld nach dem Erziehungsgeldgesetz bekommen, das kumulativ, neben einer eventuellen Sozialhilfe, geleistet wird. Ich fordere Sie daher auf, dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Mütterunterstützung für Hausfrauen und Schülerinnen in den neuen Bundesländern zuzustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Abgeordnete Frau Dr. Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Schon in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs haben wir, die PDS/ Linke Liste, unsere Unterstützung zum Ausdruck gebracht, weil mit dieser Nachbesserung erstens eine Lücke im Einigungsvertrag geschlossen wird und zweitens der Anspruch von ca. 4 200 nichterwerbstätigen Müttern, deren Kinder in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 geboren wurden, auf diese Sozialleistung des Staates realisiert wird. Daß wir diese Mütterunterstützung begrüßen, heißt jedoch nicht, daß wir die Nichterwerbstätigkeit von Frauen lobpreisen wollen. Wir hoffen vielmehr, daß auch diese Frauen nach der häuslichen Betreuung ihres Kleinstkindes zwischen Familienarbeit und Berufstätigkeit frei wählen können. Berufstätigkeit setzt voraus, daß bis dann der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz vom Staat eingelöst wird. Daß es uns gelang, in der kurzen Zeit von nicht einmal zwei Monaten in diesem Parlament Entscheidungen zugunsten von Menschen, diesmal aus dem Osten Deutschlands, zu treffen, sollten wir zum Modell für weitere anstehende Probleme dieser Art machen. Ich könnte an dieser Stelle einen schier unendlichen Katalog solcher bundesweit dringlicher sozialer Probleme auflisten, von Arbeitslosigkeit über Altersarmut, deren besondere Zuspitzung in der weiblichen Dimension und Beschränkung des Menschenrechts auf eine Wohnung durch Mietwucher bis hin zu den bekannten Defiziten in der Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen. Wir erwarten von dem Hohen Hause, daß an die Lösung dieser genannten Probleme mit derselben Zügigkeit und Tatkraft herangegangen wird. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat die Ministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.

Hannelore Rönsch (Minister:in)

Politiker ID: 11001870

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einführung der Mütterunterstützung für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 jetzt endlich auch für die nichterwerbstätigen Frauen schließen wir eine Lücke im Einigungsvertrag. Ich meine, daß ist zwingend erforderlich. Jetzt erhalten Schülerinnen und Hausfrauen in den neuen Bundesländern, die bisher von dieser Maßnahme nicht berücksichtigt worden sind, endlich auch Mütterunterstützung. Ich will Ihnen, Herr Habermann, gleich sagen, daß ich die Beratung im Ausschuß mit großer Aufmerksamkeit verfolgt habe. Ich wundere mich ein wenig, daß Sie von Zweiklassenrecht sprechen. Ich glaube, wir schaffen durch diese Mütterunterstützung jetzt endlich ein Zweiklassenrecht ab, das vorher bestanden hat, ({0}) indem die Frau, die zu Hause geblieben ist, und die Schülerin mit der berufstätigen Frau gleichgestellt werden. Ich meine, diese Gerechtigkeit mußte endlich hergestellt werden, denn in der Vergangenheit gab es jenes Zwei-Klassen-Recht; man stellte die Frau, die zu Hause erzog, bewußt zurück. Das wollten wir ändern. In der DDR dienten die familienpolitischen Regelungen in erster Linie den Erwerbstätigen. Nichterwerbstätige Mütter wurden bewußt benachteiligt und unter Druck gesetzt. Man wollte ja erreichen, daß das Kind sehr früh in eine Kinderbetreuungseinrichtung, in eine Kinderkrippe kam, damit es in dem sozialistischen Staat entsprechend ideologisch erzogen werden konnte. Ich meine, es ist endlich an der Zeit, auch den Müttern, die zu Hause geblieben sind, und den Schülerinnen diese Mütterunterstützung zu zahlen. Daß es nach dem Einigungsvertrag an der einen oder anderen Stelle noch unterschiedliche rechtliche Regelungen gibt, erleben wir mehrfach. Es ist für alle nicht befriedigend. Es besteht jetzt aber auch keine andere Möglichkeit. Sie hatten während der Ausschußberatungen gefordert, daß diese Mütterunterstützung nicht als Einzelgesetz eingebracht, sondern zusammen mit dem Erziehungsgeldgesetz beraten und ab dem 3. Oktober in den neuen Bundesländern eingeführt werden sollte. Ich will jetzt noch einmal deutlich machen, daß dies zu großen Schwierigkeiten geführt hätte, da dies zu einer noch größeren Verwirrung in den Verwaltungen der fünf neuen Bundesländer führen würde. Wir müßten trotz der Unterstützung aus dem Ministerium - und diese gewähren wir umfangreich auch mit Informationen - das Erziehungsgeld in den neuen Ländern noch einmal neu berechnen und alles noch einmal neu aufrollen. Momentan läuft es noch nicht reibungslos. Ich hatte am vergangenen Montag auch den gesamten Ausschuß eingeladen, um deutlich zu machen, wie groß die Schwierigkeiten für Männer und Frauen auch bei der Beantragung von Erziehungsgeld sind. Wir werden in den fünf neuen Bundesländern jetzt eine Buskampagne starten und mit sieben Bussen in allen fünf Bundesländern in den Mittelstädten von 30 000 bis 90 000 Einwohnern über Mütterunterstützung, über Erziehungsgeld und über Kindergeld informieren. Dort sollen die Busse jeweils in einer Mittelstadt eine Woche lang stehen und den Bürger am Bus umfangreich darüber informieren, wie die Anträge gestellt werden usw., damit dann jeder in den Genuß der Unterstützung kommen kann. Ich meine, es gibt zur Zeit keine andere Möglichkeit, wenn wir ganz realistisch sind. Ich bin froh, daß wir jetzt auch für die Nichterwerbstätigen endlich eine Regelung gefunden haben. Ich würde mich freuen, wenn die Kolleginnen und Kollegen gerade aus den fünf neuen Bundesländern auch in ihren Wahlkreisen dazu beitragen würden, damit diese gemeinsamen Regelungen, die wir gefunden haben, jetzt auch in der Bevölkerung bekannt werden. Ich bitte Sie, auf Erziehungsgeld und auf Kindergeld aufmerksam zu machen und darauf hinzuweisen, daß man einen Antrag stellen muß. Die Kolleginnen und Kollegen aus den fünf neuen Bundesländern bitte ich, den Mitbürgern bei der Antragstellung behilflich zu sein; denn sie haben immer noch große Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Es hätte nur zur weiteren Verwirrung beigetragen, wenn wir jetzt alle Altfälle noch einmal aufgerollt hätten. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind wir am Ende der Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß für Familie und Senioren empfiehlt auf Drucksache 12/754, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich rufe die Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. Ich bitte diejenigen, die den Vorschriften zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann darf ich feststellen, daß die aufgerufenen Vorschriften angenommen sind. Wir treten nunmehr in die dritte Beratung ein und kommen damit zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf der Drucksache 12/409 und der Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/754 zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann darf ich feststellen, daß das Gesetz einstimmig angenommen worden ist. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des .von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 12/656 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 12/794 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Herta Däubler-Gmelin Norbert Geis Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren zur Durchführung des Volksentscheides nach Artikel 146 Abs. 2 des Grundgesetzes ({2}) - Drucksache 12/657 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 12/794 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Herta Däubler-Gmelin Norbert Geis Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/801 Berichterstatter: Abgeordnete Michael von Schmude Dr. Wolfgang Weng ({5}) Hinrich Kuessner ({6}) Interfraktionell ist vereinbart worden, von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen. Ist das Haus damit einverstanden? - Widerspruch erhebt sich nicht. Dann darf ich das zunächst einmal als beschlossen feststellen. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann habe ich dies ebenfalls als beschlossen festzustellen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß über die Änderung des Grundgesetzes namentlich abgestimmt werden soll. Die Abstimmung soll nach der Sitzungsunterbrechung, also gegen 18 Uhr, stattfinden. Wie bekannt, wird die Sitzung um 16.30 Uhr unterbrochen, weil verschiedene Fraktionssitzungen stattfinden sollen. Nach diesen Informationen eröffne ich die Aussprache und erteile zunächst einmal der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung eine Grundgesetzänderung und ein Verfahrensgesetz. Damit soll der Deutsche Bundestag die Möglichkeit schaffen, die Entscheidung über Parlaments- und Regierungssitz nicht im Bundestag und Bundesrat alleine zu treffen, sondern diese Frage einer Volksabstimmung vorzulegen, also den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land die Letztentscheidung über diese Frage vorzubehalten. Wir Sozialdemokraten haben diese Vorschläge eingebracht und halten sie aus drei Gründen für vernünftig. Erstens halten wir sie für vernünftig, weil die Menschen in unserem Lande selber über die Frage abstimmen wollen, von welcher Stadt aus sie regiert zu werden wünschen. ({0}) Es hat selten eine Frage gegeben, die mit so viel Engagement in jeder Familie diskutiert wurde wie die Frage, ob nun das geeinte Deutschland weiter aus Bonn oder zukünftig aus Berlin regiert werden sollte. Das zeigt uns mittlerweile jede Umfrage von Forschungsinstituten. Mehr als 80 % der Menschen in unserem Land sagen, daß sie selber entscheiden wollen. Das zeigen uns auch die vielen Briefe, die wir doch alle bekommen. Die Briefe, die ich bekomme, zeigen noch ein weiteres: Sie enthalten eine ganze Menge wohlabgewogener, sehr interessanter Stellungnahmen - übrigens völlig unabhängig davon, ob sich die Verfasserinnen und Verfasser für Berlin oder für Bonn entscheiden möchten. Aber daß sie nicht entscheiden können, ärgert sie. Gerade weil sie es nicht können, gibt es mittlerweile eine Menge von Ersatz- und Alibiaktionen. Zeitungen rufen zu Meinungsäußerungen auf. Rundfunkanstalten melden täglich, es könne bei ihnen in dieser Sache angerufen werden. Die Rundfunkinstitution TED wird genutzt; Unterschriftenaktionen werden mit großer Begeisterung und großem Engagement angenommen. Für uns hier im Bundestag stellt sich die Frage: Müssen wir es wirklich bei solchen Ersatzaktionen belassen, obwohl wir doch alle wissen, daß sie wegen der häufig einseitigen Fragestellung und einer völlig unüberprüfbaren, bisweilen auch manipulativen Verfahrensausgestaltung ein jämmerliches Zerrbild von Bürgerbeteiligung darstellen? ({1}) Wir sagen: Wir sollten es nicht dabei belassen. Wir sollten uns - auch Sie meine Damen und Herren von den Parteien, die die Regierung tragen - dazu durchringen, nach der Entscheidung von Bundestag und Bundesrat und damit der Stellungnahme in der Sache, die dann Empfehlungscharakter bekommt, eine Volksabstimmung zu ermöglichen, die Entscheidungsmöglichkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern zu eröffnen, und zwar in einem einwandfreien und vorher festliegenden Verfahren, das Manipulationen und Einseitigkeit ausschließt. ({2}) Wir haben keinen Zweifel - das ist unser zweiter Grund -, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auch fähig sind, über diese Frage selbst zu entscheiden - allerdings als Abschluß eines ebenso offenen wie fairen Diskussionsprozesses, in der unter Einbeziehung der Stellungnahmen aus der Politik und unter Einbeziehung einer verantwortlichen Berichterstattung durch die Medien Meinungen vorgetragen, Standpunkte geklärt und Argumente ausgetauscht und bewertet werden können. Das muß für die Vor- und Nachteile jedes Vorschlags und jeder Empfehlung, auch für die Berücksichtigung der möglichen Kostenfolgen gelten. Ich will wiederholen: Daß die Bürgerinnen und Bürger heute noch nicht selbst entscheiden dürfen, nicht einmal in dieser Frage, ärgert viele. Das verstärkt die Vorwürfe, normale Bürger seien sowieso hilflos gegenüber dem, was Politiker entscheiden. Es vertieft das Gefühl, die ganzen wichtigen Fragen der deutschen Einheit und die Überwindung der Teilung in Deutschland werde an den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land vorbei, ja, über ihre Köpfe hinweg entschieden. Die Entscheidung für Bonn oder Berlin oder auch für eine Konsenslösung ist doch für viele Menschen in unserem Land viel mehr als eine Entscheidung über eine Stadt. Das ist doch geradezu Symbol für die Frage, wie es nach der staatlichen Einheit jetzt mit der Überwindung der Teilung in Deutschland weitergehen soll. Die Entscheidung für Bonn oder Berlin - ich will das nochmals betonen - wird nicht einmal überwiegend mit lokalen, mit kommunalen oder mit regionalen Argumenten begründet, sondern es geht auch, ja, vordringlich um Fragen nach der Ausgestaltung, nach dem Selbstverständnis und nach der Beschaffenheit, ja, nach der Politik dieses geeinten Deutschland. Diese Fragen bewegen die Menschen, nicht allein die Abgeordneten im Deutschen Bundestag oder die Ministerpräsidenten im Bundesrat. Wir haben morgen - der Bundesrat Anfang Juli - Gelegenheit, dazu Argumente auszutauschen und unsere Sachentscheidung vorzunehmen. Wir, meine Damen und Herren, sagen, es ist falsch, daß Sie von der Regierungskoalition den Menschen in unserem Land die Gelegenheit dazu nicht zugestehen wollen. Es ist falsch, es ist ein verhängnisvoller Fehler. ({3}) Wir sagen: Es ist gut, wenn über diese Fragen an Hand der Entscheidung über den Regierungssitz diskutiert wird. Es muß offen und breit diskutiert werden. Die Ängste, die Fragen und die unterschiedlichen Meinungen, auch die Konflikte im Zusammenhang mit der Überwindung der Teilung Deutschlands müssen endlich auf den Tisch, nicht nur auf den Tisch des Bundestages, nein, sie müssen in einem geordneten Diskussionsprozeß auch in die Öffentlichkeit. Die Entscheidung über den Regierungssitz, die Entscheidung über den Parlamentssitz gibt dazu Gelegenheit. Der Diskussionsprozeß ist notwendig und hilfreich. Wer die Letztentscheidung in dieser Frage den Menschen in unserem Land zugesteht, der befriedet zugleich, der schafft auch in Sachen „Wie geht es in unserem Land weiter?" bessere Voraussetzungen dafür, gemeinsam ein solides Fundament für die Zukunft aufzubauen. ({4}) Eigentlich, meine Damen und Herren, müßten Ihre Erfahrungen der letzten Monate - ich meine jetzt die Kolleginnen und Kollegen von den spärlich vertretenen Regierungsparteien ({5}) - es hat etwas mit dem Thema zu tun - unsere Argumentation unterstützen: recht geben. Sie büßen doch zur Zeit am eigenen Leib, daß Ihre bisherige Politik des Verschweigens von Problemen bei der Überwindung der Teilung in Deutschland, daß Ihre Beschwichtigungshaltung und vor allem Ihre Auffassung „Lieb Wähler, du magst ruhig sein, wir richten's schon in Bonn im Rhein" genauso verstanden wird, wie Sie sie gemeint haben, nämlich als interessenverstrickte, deshalb doppelt vorwerfbare Haltung eines Vormunds gegenüber seinem Mündel, nicht aber die doch selbstverständliche Haltung demokratischer Politiker im Umgang mit mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, ({6}) von denen Sie in Ihren Reden doch genauso häufig reden wie wir, nur meinen Sie es offensichtlich nicht ernst. ({7}) Ich finde, Sie sollten mit Ihrer Haltung Schluß machen, und Sie sollten mit uns die Möglichkeit zu Diskussionsprozessen und Volksentscheid eröffnen. Der Zeitpunkt für den Volksentscheid sollte im Herbst liegen. Das gibt einerseits genügend Zeit für Vorbereitung und Diskussion und liegt als Termin, also zeitlich gesehen, zudem viel näher als mancher Ihrer sogenannten Konsensvorschläge, die wir in den letzten Tagen aus purer Ratlosigkeit aus Ihren Reihen gehört haben, die in Wirklichkeit auf Vertagungsvorschläge hinauslaufen. ({8}) Daß wir mit dieser Entscheidung für eine Volksabstimmung, verehrte Frau Kollegin, einen ersten wirksamen Schritt zu mehr direkter Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger auch auf Bundesebene unternehmen wollten - das ist unser drittes Argument -, sollten Sie gleichfalls mit uns begrüßen. Die Forderung nach einer Volksabstimmung über die Verfassung des geeinten Deutschland in Anschluß an einen Prozeß der Beratung im Parlament, der Weiterentwicklung unseres Grundgesetzes zur gesamtdeutschen Verfassung und nach einem breiten und öffentlichen Diskussionsprozeß ist doch vernünftig, und zwar gerade deshalb, weil wir damit dokumentieren: Hier geht es um etwas Besonderes, und das Parlament und die Politikerinnen und Politiker nehmen die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ernst. ({9}) Übrigens: Daß wir die Abstimmung jetzt auch als Einstieg für Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, die wir im Zuge der Weiterentwicklung unseres Grundgesetzes zur gesamtdeutschen Verfassung sowieso wollen, daß wir dies als Parallele schon jetzt mit andiskutieren, das halten wir nur für vorteilhaft. Schließlich könnten wir die beim Volksentscheid über die Frage des Regierungs- und Parlamentssitzes gewonnenen Erfahrungen in der dann folgenden Diskussion nützlich verwerten. Meine Damen und Herren, so weit, so gut. Unsere Vorschläge sind gut durchdacht, sie sind unbestritten verfassungsrechtlich zulässig, und sie sind auch rechtspolitisch sinnvoll. Trotzdem - damit komme ich eigentlich zum Kern unseres politischen Vorwurfs - haben Sie, die Union und die FDP, zu diesen Vorschlägen von vornherein unüberhörbar nein gesagt, und zwar deshalb, weil es Ihre Parteizentralen und das Kanzleramt so bestimmt haben. ({10}) Es war völlig klar, dort wurde ganz schnell anders entschieden. Mitbestimmung, Mitbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger in ihrer Frage wollen Sie nicht. Sogar der Justizminister, der doch mit guten Argumenten für eine offene Diskussion - wenigstens dafür - unserer Vorschläge geworben hat, weil sie sinnvoll, weil sie zulässig sind, wurde zurückgepfiffen. Auch Frau Adam-Schwaetzer bekam Klassenkeile, ({11}) obwohl sie sich - das anerkennen wir - in Zwischenschritten an das Problem lediglich herangetastet hat. Meine Damen und Herren, Sie haben von Anfang an nein gesagt, und genau das ist der Punkt, den wir Ihnen politisch vorwerfen, den wir ablehnen, und dies keineswegs nur, verehrter Herr Kollege Gerster, weil wir unsere Argumente für besser und unsere Forderung für richtig halten, sondern deshalb, weil Sie mit Ihrem Nein von Anfang an jede ernsthafte Auseinandersetzung blockiert haben. Damit wurden nicht nur sinnvolle Möglichkeiten und auch Zeit vertan, sondern Sie haben, finde ich, damit auch der demokratischen Auseinandersetzung hier in unserem Parlament einen ganz schlechten Dienst erwiesen. ({12}) Ich will das auch begründen: Daß Vorschläge nach Offenlegung unterschiedlicher Interessen und unterschiedlicher Standpunkte abgelehnt werden, daß die Mehrheit nein sagt, nachdem sie Gründe erwogen und ihre Gründe für besser erachtet hat, daß Forderungen nach einer Diskussion durch Mehrheitsentscheidungen zurückgewiesen werden, ist normal. Das ist in einer Demokratie nicht nur akzeptabel, sondern das gehört zum Wesen einer Demokratie. Zum Wesen einer Demokratie - Herr Gerster - das sollten Sie sich auch noch anhören ({13}) gehört aber auch, eine Auseinandersetzung nicht durch ein Nein zu blockieren - eben das tun Sie -, sondern sich für neue Argumente zu öffnen, zuzuhören und selbst zu argumentieren, kurz: die Auseinandersetzung zu führen. Das haben Sie nicht zugelassen. Das Anhörungsverfahren im Rechtsausschuß war deshalb - Sie werden mir zustimmen, Herr Kollege Geis - reichlich sinnlos. Dort wurden nur Gründe gesucht, um Ihr Nein untermauern zu können. Das ist schade. ({14}) - Ach, keine Rede davon. Das haben lediglich die von Ihnen benannten Gutachter gesagt, die aber zu rechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen natürlich überhaupt nicht Stellung genommen haben, sondern die lediglich Vorurteile reproduziert haben. ({15}) Sie, verehrter Herr Kollege Geis, haben es übrigens bei jemandem, der Ihnen in der Sache nicht zustimmte, als erster im Rechtsausschuß moniert. ({16}) Die Bürgerinnen und Bürger merken ganz genau, was da gespielt wird. Eine derartige Haltung trägt zur Politikverdrossenheit bei und fördert auch nicht die Glaubwürdigkeit unserer Art, uns im Parlament auseinanderzusetzen. Sie trägt auch nicht dazu bei - lassen Sie mich das mit allem Nachdruck sagen -, die Zweifler zu übertönen, die Ihnen von den Regierungsparteien heute schon vorwerfen, Sie hätten überhaupt nicht vor, den Auftrag aus Art. 5 des Einigungsvertrages zu erfüllen, nämlich unser Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung mit der nötigen Offenheit, mit der nötigen Gesprächsbereitschaft und auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit weiterzuentwickeln. Meine Damen und Herren, das wollen wir nicht zulassen. ({17}) Deswegen spreche ich das hier so deutlich aus. Ich will nur am Rande erwähnen, daß die Argumente, die in den letzten Tagen gegen unsere Vorschläge, sowohl gegen den einer Grundgesetzänderung als auch gegen den einer Verfahrensregelung, vorgebracht wurden, wegen ihrer Leichtgewichtigkeit und ihres Alibicharakters außerordentlich leicht zu entkräften sind, z. B. das hartnäckig ausgestreute Gerücht, die Letztentscheidung der Bürgerinnen und Bürger solle dem Bundestag und dem Bundesrat die Möglichkeit geben, sich in der Sache zu drücken, sich in ein Schlupfloch zu verziehen und selbst nicht Stellung nehmen zu müssen. Keine Rede davon, ({18}) alles unwahr! Die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat sind Voraussetzungen für den Diskussions- und Entscheidungsprozeß, den wir anstreben. Da wurde sogar von Vertragsverletzungen wegen der Protokollnotiz zu Art. 2 geschwätzt. Ich bin noch heute dem Kollegen de Maizière sehr dankbar dafür, daß er sich, als Zeuge im Ausschuß aufgerufen, nicht dafür hergegeben hat, zu bestätigen, hier sei eine Entscheidung unter ausdrücklichem Ausschluß der Bevölkerung vorgenommen worden. Davon war damals ja auch keine Rede. ({19}) - Ja eben. Ich bin ihm ja auch sehr dankbar, daß er das ausdrücklich nicht bestätigt hat. ({20}) Da wurde vom Volksentscheid als Prämie für Demagogen geredet. ({21}) - Doch, doch, Ihnen immer. ({22}) - Ja eben. Ich sagte ja gerade: Ich bin ihm sehr dankbar, daß er es nicht bestätigt hat. ({23}) - Dann müssen Sie vielleicht etwas anderes sagen. Seine Äußerungen waren außerordentlich eindeutig.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Geis, Sie haben die Gelegenheit, das anschließend klarzustellen. Dann kann der Dialog unterbleiben. ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Er hat auch die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Auch das ist möglich.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, auch das weiß er; deswegen nimmt er die Möglichkeit ja nicht wahr, ({0}) ich könnte ihm ja antworten. Da wurde von Volksentscheid als „Prämie für Demagogen" geredet. Da wurde die „Instabilität" der Staaten unterstellt, die so etwas wie einen Volksentscheid haben. Das wurde als Menetekel an die Wand gemalt. Da wurde gar behauptet, Volksbegehren, Volksinitiative und Volksentscheid seien - man höre - Kennzeichen totalitärer oder sozialistischer Staaten. Meine Damen und Herren, das sage ich Ihnen jetzt ganz im Ernst: Wenn das wahr wäre, dann könnten einem die Österreicher, also unsere Nachbarn im Süden, wirklich leid tun. Dann wäre die Schweiz nicht etwa eine Insel der Stabilität, sondern schon längst zerrüttet, in Auflösung begriffen. Italien - ausgerechnet Italien! - wäre dann so etwas wie ein totalitärer Staat. Lachhaft, kann man nur sagen. Dann müßten auch alle unsere Bundesländer, die Instrumente der direkten Demokratie in ihrer Verfassung niedergelegt haben, als instabil und inhomogen mit unserem Grundgesetz angesehen werden, das den Volksentscheid ja bisher nicht kennt, aber gleichwohl auf keinen Fall Homogenität mit instabilen oder mit totalitären Gemeinwesen zuläßt. Auch das ist doch eine abstruse Konstruktion. Sie wird um so abstruser, als ja Länderverfassungen gemeint sind, die keineswegs nur vor Inkrafttreten des Grundgesetzes verabschiedet wurden, sondern natürlich auch solche, die in den 70er Jahren, wie die baden-württembergische, oder in den letzten Jahren, wie die schleswig-holsteinische, übrigens immer unter Zustimmung von CDU - CSU gibt es dort nicht - und Freien Demokraten, verabschiedet wurden. Meine Damen und Herren, Sie sollten aufhören, so einen Unfug zu behaupten. Sie sollten sich dazu durchringen, mit uns den Volksentscheid zu ermöglichen. Die Abstimmung über den Parlaments- und Regierungssitz gibt da einen außerordentlich guten Anlaß. ({1}) Übrigens ist auch das Befriedungsargument falsch, also die Behauptung, der Volksentscheid in der Frage Bonn oder Berlin würde blutende Wunden aufreißen und hindern, daß sie wieder heilen, die Befriedungsfunktion würde also ausbleiben. ({2}) Wie falsch! Wir wissen doch ganz genau, daß in Österreich in einer Situation, in der die Bevölkerung durch die Atom-Frage wirklich zutiefst gespalten war, nach einem Volksentscheid nicht nur innerer Friede gefördert wurde, ({3}) sondern daß zugleich die Grundlage für eine vernünftige, auf Konsens beruhende Politik in der Energiefrage geschaffen wurde. Wer das bestreitet, sollte sich das im einzelnen wirklich endlich einmal anschauen, Herr Kollege Geis. Seien Sie doch nicht so ängstlich: Solche Behauptungen, solche wirklich falschen und leicht widerlegbaren Meinungen zeigen doch nur, wieviel Angst und wieviel Mißtrauen gegenüber den Staatsbürgern noch vorhanden ist. ({4}) Sie sollten mit solchen Schlagworten und solchen Blockadeworten aufhören, und Sie sollten mit uns anfangen, auch diese Ängste zu thematisieren, damit wir sie gemeinsam ausräumen können. Das würde uns weiterführen und brächte - das meine ich sehr ernst - die Möglichkeit, auch über Sorgen zu reden, die im Hinblick auf unsere Geschichte geäußert werden. Es muß doch einfach möglich sein, auch in diesem Parlament offen darüber zu reden, daß die Weimarer Republik eben nicht an zuviel Mitbestimmung durch die Bürgerinnen und Bürger zugrunde gegangen ist, sondern deshalb, weil es insgesamt zu wenig Demokraten gab, die sich für sie eingesetzt haben, in der Wirtschaft, in der Beamtenschaft, in der Verwaltung und, Gott sei es geklagt, eben auch im Reichstag. ({5}) Hitler kam eben nicht durch Wahlen an die Macht. Er hat nicht ein einziges Volksbegehren gewonnen. Das Ermächtigungsgesetz, Herr Kollege Geis, das ihm den Freibrief für seine verbrecherische Politik von Verfassungsbruch, Unterdrückung, Rassenwahn und Krieg gab, ist nicht durch das Volk, sondern durch die Mehrheit im Reichstag verabschiedet worden, weil damals viele, aus welchen Gründen auch immer, nicht nein sagen wollten. ({6}) Das eignet sich als Beispiel gegen mehr direkte Demokratie in unserem Lande also nicht. ({7}) - Nein, ich schulmeistere Carlo Schmid nicht, ({8}) aber ich habe gerade etwas zu Theodor Heuss gesagt, Herr Kollege Gerster. Wenn Sie sich nur einmal ernsthaft mit diesen Fragen befassen wollten, dann könnten wir einmal ernsthaft in die Diskussion eintreten. Aber Sie sollten sich vorher informieren. ({9}) Ich finde bedauerlich, daß diese Diskussion von Ihnen bisher versperrt wird. Ich teile, ich unterstütze die Haltung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Professor Herzog, der immer wieder zu Recht mahnt, wir Parlamentarier sollten schnell das Signal für mehr Mitbestimmung der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger, auch auf Bundesebene, geben, damit wir uns dann den sehr viel schwierigeren Einzelfragen zuwenden können, wie das gehen soll, wo wir die Grenzen ziehen, wie also unser parlamentarisch-repräsentatives System sinnvoll ergänzt werden kann; denn das ist es ja, was wir ja wollen. ({10}) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, auch jetzt noch, sozusagen in letzter Sekunde, Ihre Haltung zu überprüfen, die ja falsch ist, und sie zu ändern. Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu und überwinden Sie Ihr Mißtrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern! Widerlegen Sie damit vor allen Dingen den Vorwurf, der immer stärker zu hören ist, den Vorwurf, die Arroganz der Mächtigen hindere Sie am Dazulernen. ({11}) - Meine Damen und Herren, wir werden, damit auch Herr Gerster irgendwann einmal lernt, daß er sich mit diesen Fragen ernsthaft auseinandersetzen muß, eine namentliche Abstimmung zu dieser Frage beantragen. Danke schön. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben keine Angst vor der Entscheidung des Volkes und brauchen auch keine Angst davor zu haben. ({0}) Wir, die Koalitionsparteien, sind bei den letzten Wahlen mit einer eindeutigen Mehrheit wiedergewählt worden. ({1}) Wir brauchen keine Angst zu haben, uns dem Wähler zu stellen. ({2}) Ich möchte einmal wissen, Frau Däubler-Gmelin was, wenn wir morgen hier im Parlament und in der nächsten Woche im Bundesrat eine Entscheidung für oder gegen Berlin mit allen Variationen treffen, dann eigentlich der Volksentscheid noch soll. Ist dies nicht ein Präjudiz? Sie müßten konsequenterweise eigentlich sagen: Wir müssen die Entscheidung, die für morgen und für die nächste Woche vorgesehen ist, absetzen und müssen erst das Volk entscheiden lassen. ({3}) Denn sonst könnte das auf eine Bevormundung des Volkes hinauslaufen. In Wirklichkeit will die SPD mit diesem Antrag aus ihrer Hopplahopp-Entscheidung des letzten Parteitages, die ja knapp genug ausgefallen ist, ausbrechen. Sie will aus diesem Dilemma heraus. Aus dieser kläglichen, unvorbereiteten ({4}) und nicht lang und ausgiebig genug geführten Diskussion heraus will sie jetzt den Versuch unternehmen, über das Volk zur Entscheidung zu kommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Geis, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er möchte mich eine Sekunde reden lassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das ist in Ordnung.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte Sie, mich mit meinen Ausführungen erst einmal beginnen zu lassen. Herr Meyer, Sie sind ein sehr lieber Kollege. Ich bitte Sie, lassen Sie mich erst einmal kurz reden. Sie wissen ja noch gar nicht, was ich im einzelnen sagen will. ({0}) Sie wollen aus der kläglichen Entscheidung Ihres Parteitages herausfinden. Aber Sie appellieren nicht etwa an eine verantwortungsvolle Entscheidung im Parlament oder im Bundesrat. So wie Sie Ihre eigene Partei und Ihren eigenen Parteitag verstehen, kommen nach dem Parteitag nicht etwa die Institutionen, die dafür vorgesehen sind; nach dem Parteitag hat gefälligst das Volk selbst zu kommen. Der Souverän selbst hat zu entscheiden; denn alles andere ist Ihnen viel zuwenig. Das ist der eigentliche Grund, weshalb Sie jetzt von uns verlangen, wir sollten dieses SpielNorbert Geis chen, das Sie betreiben, mitspielen. Dazu sind wir nicht bereit. ({1}) Aber es gibt noch einen weiteren Grund, Frau Däubler-Gmelin, weshalb Sie den Volksentscheid wollen. Sie sagen es ja laut genug, und deshalb ist es gar nicht verkehrt, das hier zu wiederholen. Sie sagen nämlich, daß Sie mit diesem Volksentscheid den Einstieg in eine Verfassungsdebatte finden wollen, an deren Ende eine grundlegende Veränderung unseres Grundgesetzes stehen soll. Der Volksentscheid in der Frage des Parlaments- und Regierungssitzes soll dafür nur den Einstieg bilden. Der Einstieg wird aber auch - das haben wir heute erlebt - von dem entsprechenden Theaterdonner begleitet. Sie sprechen von der Arroganz der Mächtigen und meinen uns hier im Bundestag und im Bundesrat. ({2}) Das parlamentarische, repräsentative System, verehrte Frau Däubler-Gmelin, das in den 60er Jahren während der Studentenrevolte und in den 70er Jahren während der Terroranschläge nie umstritten gewesen ist und das sich in den letzten 40 Jahren für unser Land hervorragend bewährt hat, wird plötzlich von Ihnen angegriffen. Es wird miesgemacht. Sie denunzieren es. Sie stellen es hin als die Arroganz der Mächtigen. ({3}) Sie wollen uns, die Vertreter dieses Regierungssystems, uns Abgeordnete als Mächtige draußen beim Volk denunzieren, um aus Ihrer kläglichen Situation auf diese Weise herauszukommen. Ich halte dies für einen sehr unangemessenen und außerordentlich miesen Stil, den Sie hier versuchen. Bei der Anhörung im Rechtsausschuß, sehr verehrte Frau Däubler-Gmelin, haben sich die Wissenschaftler - es waren ja nicht ganz unbekannte; es waren bedeutende Verfassungsrechtler unseres Volkes - aus gutem Grund eindeutig gegen diesen Volksentscheid ausgesprochen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Geis, sind Sie bereit, Herrn Lambinus eine Zwischenfrage zuzugestehen?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sofort werde ich ihm die Frage zugestehen, einen Augenblick. - Nur der von Ihnen, Frau Däubler-Gmelin, herbeizitierte Verfassungsrechtler und vormalige Verfassungrichter - Sie wissen genau, wen ich meine - hat sich zu der Äußerung vom Absolutismus unseres parlamentarischen Regierungssystems verstiegen. Wer so leichtfertig die Grundlagen unseres Zusammenlebens - das ist das parlamentarische Regierungssystem all die vierzig Jahre hindurch gewesen - in Frage stellt, der muß sich wirklich fragen lassen, ob er mit seinen polemischen Äußerungen nicht ganz andere Ziele verfolgt. - Bitte sehr. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun kommen wir zu den Zwischenfragen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Geis, stimmen Sie mir zu, daß es zwischen der Sachentscheidung für Bonn oder Berlin und der hier zu erörternden Frage eines Volksentscheides einen ganz engen verfassungspolitischen oder, wie einer der Sachverständigen in der von Ihnen eben erwähnten Anhörung gesagt hat, verfassungsmoralischen Zusammenhang gibt, nämlich folgenden, daß diejenigen unter uns, die für Bonn votieren wollen, doch gleich entgegengehalten bekommen, daß es über Jahrzehnte hinweg Versprechungen in Richtung Berlin, dort werde man nach der Wiedervereinigung den Regierungs- und Parlamentssitz haben, gegeben hat, und ist nicht der einzige Weg, von diesen Versprechungen loszukommen, der, daß man den Adressaten dieser Versprechungen, das Staatsvolk, befragt, ob man jetzt nicht bessere Gründe für eine andere Entscheidung sieht? Müßten Sie als jemand - das vermute ich jetzt einmal; entschuldigen Sie, wenn ich das so unterstelle - , der für Bonn votieren könnte, jetzt nicht sagen: Dieses geht verfassungsmoralisch einwandfrei nur mit einem Volksentscheid?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigen Sie bitte, Herr Abgeordneter Geis, bevor Sie darauf antworten, möchte ich folgendes sagen: Herr Professor Meyer, darf ich Sie darum bitten, gelegentlich einmal in die Geschäftsordnung zu gucken; ({0}) denn dort ist vermerkt, daß die Zwischenfragen kurz und präzise sein sollten. Wir wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie sich in Zukunft danach richten würden. ({1}) Herr Abgeordneter Geis, nun haben Sie das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube nicht, daß für die Beantwortung der Frage, ob wir uns für Bonn oder für Berlin entscheiden, eine moralische Rechtfertigung durch das Volk in Form eines Volksentscheides notwendig ist. Soviel Verantwortungsbewußtsein müssen wir hier im Parlament haben. Ich wehre mich also gegen die Unterstellung, wir bräuchten jetzt gewissermaßen eine Absegnung des Volkes selber für unsere Entscheidung. Wir sind in dieses Parlament gewählt worden - das ist ja die Grundüberlegung des parlamentarischen, repräsentativen Systems -, damit wir, unserem Gewissen verantwortlich, Entscheidungen für das Volk treffen. Ich sehe also diesen Zusammenhang, den Sie genannt haben, Herr Kollege Meyer, nicht. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Lambinus - geschäftskundig, wie er ist - wird jetzt eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Uwe Lambinus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001271, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Geis, wollen Sie ernsthaft behaupten, daß das in Bayern gegebene Institut des Volksbegehrens und Volksentscheides dort den Parlamentarismus in Frage stellt, und können Sie bestätigen, daß selbstverständlich im Rahmen des Volksbegehrens und Volksentscheides in Bayern der Landtag vorher in vielen Fällen seine Meinung zu der zur Beantwortung anstehenden Frage sagt? ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Ihnen zu dem Volksentscheid vom 17. Februar in Bayern folgendes sagen: Er hat keine Befriedung in der Bevölkerung herbeigeführt. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß die Bevölkerung in Bayern am 17. Februar aufgerufen war, über einen Fragenkomplex zu entscheiden, den zu beurteilen sie auf Grund der Tatsache, daß ein Riesenpaket von Papieren vorgelegt worden ist, in dem ein ganzer Gesetzentwurf stand, nicht in der Lage war. ({0}) Das genau ist ja die Bestätigung des parlamentarischen Regierungssystems. ({1}) - Vielleicht ist es möglich, daß ich meine Ausführungen einmal ohne Zwischenrufe zu Ende bringen kann; Sie haben mich ja gefragt. Wir, die Abgeordneten, haben die Möglichkeit und auch eher die Zeit, uns den Sachverstand anzueignen, der notwendig ist, um in einer so komplizierten Frage der Müllentsorgung, wie es am 17. Februar in Bayern der Fall gewesen ist, entscheiden zu können. Deswegen ist es im Grunde genommen sehr, sehr fragwürdig, ob man - wie in Bayern geschehen - das Volk auf diese Weise zur Entscheidung anrufen soll. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Geis, ich möchte einmal auf die Geschäftslage aufmerksam machen. Wir haben jetzt noch drei Wünsche an Sie nach Zwischenfragen vorliegen. Weitere werde ich auch nicht zulassen, unabhängig davon, wie Sie sich entscheiden. ({0}) - Das ist mein gutes Recht. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Debatte nach den jetzigen Berechnungen zwischen 0.00 und 0.30 Uhr enden wird. Eine Verlängerung - bisher habe ich die Zeiten ja nicht angerechnet - wäre, glaube ich, für das ganze Haus unzumutbar. Meine herzliche Bitte ist also, noch einmal kurz auf den Abgeordneten Lambinus einzugehen und, wenn Sie wollen, die Zwischenfragen zuzulassen. Wir fassen sie dann zusammen und machen anschließend im normalen Debattenverlauf weiter. Denn sonst bekommen Sie für die Antworten mehr Zeit, als Ihnen insgesamt als Redezeit zur Verfügung steht. Auch das ist dann nicht im Sinne der Geschäftsordnung. ({1})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich entscheide mich ganz in Ihrem Sinne. Ich möchte die weiteren Zwischenfragen nicht mehr zulassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Okay, danke schön. Dann, bitte sehr, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte in meinen Ausführungen fortfahren. Unser Grundgesetz hat gerade in der Wiedervereinigung seine bisher größte Bestätigung erhalten. Als die Deutschen in der vormaligen DDR endlich die demokratische Selbstbestimmung erlangt hatten, haben sie sich nicht nur für die deutsche Einheit, sondern auch für die Grundordnung entschieden, nach der wir über 40 Jahre lang gelebt haben, die uns in unserer Geschichte nie dagewesene Freiheiten beschert hat und die uns einen nie für möglich gehaltenen Wohlstand erwirkt hat. Wer deshalb jetzt nach dem angeblich wahren Willen des Volkes fragt, der mißachtet die Tatsache, daß sich die Menschen im östlichen Teil unseres Vaterlandes wie auch im westlichen Teil unseres Vaterlandes längst unter dem gemeinsamen Dach unseres Grundgesetzes zusammengefunden haben. Nur scheinen manche aus der SPD, die so sehr nach dem Volk rufen, noch gar nicht gemerkt zu haben, daß sich das Volk längst für unser Grundgesetz entschieden hat. ({0}) - Das ist schon die Frage, weil Sie nämlich erklärtermaßen über den Volksentscheid den Einstieg in eine Gesamtrevision unseres Grundgesetzes finden wollen. ({1}) Wir werden uns von Anfang an - dies sei gesagt - mit aller Macht gegen ein solches Vorgehen wenden. ({2}) Der Parlamentarische Rat hat, als er das Grundgesetz verfaßt hat, an die Tradition der Weimarer Republik anknüpfen können. Aber er hat zum Glück auch den Versuch unternommen, die Fehler der Weimarer Republik nicht zu übernehmen. Er hat sich deshalb gegen Volksbegehren und gegen Volksentscheid, die ja damals vorgesehen waren und auch weidlich genutzt worden waren, entschieden. Denn bis zum Jahre 1926 war es für die Linken und nach dem Jahre 1926 war es für die Rechten ein Fest - ein Fest für die Demagogen - die Mittel des Volksbegehrens und des Volksentscheides dazu zu benutzen, die Demokratie selbst anzugreifen. Sie haben gesagt, andere Länder hätten bessere Erfahrungen damit gemacht. Das ist nicht der Fall, Frau Däubler-Gmelin. Es gibt in der ganzen westlichen Welt kein Land, das gute Erfahrungen mit Volksbegehren und Volksentscheiden gemacht hätte. ({3}) Denken Sie einmal daran, daß sich der von Ihnen hochgeschätzte, aus Ihren Reihen kommende Gerhard Leibholz, Verfassungsrichter und Verfassungsrechtler, ausdrücklich gegen den Volksentscheid entschieden hat. Theodor Heuss hat sich ebenfalls ausdrücklich gegen den Volksentscheid entschieden, und zwar aus ganz bestimmten und aus ganz richtigen Gründen. ({4}) Gegen den Antrag der SPD bestehen aber nicht nur verfassungspolitische, sondern auch handfeste verfassungsrechtliche Bedenken. ({5}) Sicher ist der Volksentscheid, fände er Eingang in die Verfassung, für sich genommen - da stimme ich mit Ihnen überein - noch nicht verfassungswidrig. Aber dadurch, daß er beim Art. 146 angesiedelt werden soll, entstehen, wie ich meine, wichtige verfassungsrechtliche Bedenken. Immerhin müssen Sie bedenken, daß der Art. 146 ja dafür vorgesehen ist, dem Volk die Verfassung insgesamt zur Entscheidung vorzulegen. ({6}) Dann hat er sich erledigt. Wenn Sie aber jetzt den Versuch unternehmen, im Art. 146 weitere Volksentscheide vorzusehen und jetzt den Volksentscheid über den Regierungssitz als Einstieg in andere Volksentscheide zu nehmen ({7}) - genau, Sie sagen es richtig; genau das wollen Sie -, dann perpetuieren Sie den Art. 146. Das ist ganz ausgesprochen gegen den Willen des damaligen Verfassungsgesetzgebers. ({8}) - Hören Sie doch einmal zu; vielleicht können Sie mir dann zustimmen. ({9}) Außerdem bestehen erhebliche Bedenken gegen den Art. 146 selbst. ({10}) Denn immerhin muß man berücksichtigen, daß durch den Art. 146 die Möglichkeit gegeben ist, unsere Verfassung insgesamt auszuhebeln. Denn der Volksentscheid könnte ja beispielsweise bei niedriger Beteiligung anders ausgehen, als wir es uns vorstellen. Wenn uns aber der Verfassungsgeber, wenn uns das Volk selbst eine Verfassung gegeben und vorgesehen hat, daß diese Verfassung nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgehebelt werden kann, dann müssen diese Voraussetzungen aber auch eingehalten werden. Wir sind aber in der deutschen Einigung den Weg über Art. 23 des Grundgesetzes gegangen. Dann war die Möglichkeit des alten Art. 146 des Grundgesetzes gegeben. Der Weg über diesen alten Art. 146 des Grundgesetzes, der eine neue Verfassung im Falle der Wiedervereinigung ermöglicht hat, wurde aber nicht begangen. ({11}) Eine weitere Möglichkeit aber, unsere Verfassung auszuhebeln, hat der Verfassungsgeber, das Volk, der Parlamentarische Rat, nie vorgesehen. ({12}) Deshalb ist sehr wohl die Frage - sie darf nicht so einfach vom Tisch gewischt werden - , ob Art. 146 des Grundgesetzes in seiner neuen Fassung, nach der wir erneut eine Möglichkeit vorsehen, die Verfassung insgesamt auszuhebeln, verfassungswidrig sein kann. ({13}) Diese Möglichkeit ist ohne weiteres gegeben. ({14}) Das sollten Sie bedenken. Auch deshalb haben wir gegen Ihren Antrag erhebliche Bedenken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen darüber hinaus aber auch bedenken - Sie haben das abgetan; Herr de Maizière hat nicht so geantwortet, wie Sie es gesagt haben, Frau Däubler-Gmelin - : Natürlich kann diese Entscheidung durch das Volk unter Umständen gegen den Einigungsvertrag verstoßen, weil dort vorgesehen ist, daß die gesetzgebenden Körperschaften, also Parlament und Bundesrat, die Entscheidung treffen sollen, wo Parlaments- und Regierungssitz sein soll; nicht das Volk soll die Entscheidung treffen, sondern Bundesrat und Bundestag. ({15}) So sieht es der Einigungsvertrag vor. Ich weiß nicht, ob der Einigungsvertrag auch mit Hilfe einer verfassungsändernden, qualifizierten parlamentarischen Mehrheit abgeändert werden kann. ({16}) - Das ist sehr wohl die Frage. Das kann nicht so ohne weiteres vom Tisch gefegt werden. Frau Däubler-Gmelin, es ist auch nicht richtig, wenn Sie sagen, durch eine solche Entscheidung, die vom Volk zu treffen sei, könnten keine Gräben aufgerissen werden. Wenn sich das Volk wirklich beispielsweise für Bonn entscheiden sollte, wären dann nicht leicht Emotionen in den fünf neuen Bundesländern möglich, Emotionen, die dahin gehen, zu sagen: Im Grunde genommen haben sich die Westler gegen uns entschieden; weil sie sich nicht für Berlin entschieden haben, haben sie sich gegen uns entschieden? - Das sind Gräben, die aufgerissen werden können. ({17}) Vielleicht haben sie sich, so könnte man in den neuen Bundesländern denken, auch gegen die Wiedervereinigung entschieden. - All dies böte breiten Raum für alle mögliche Demagogie, für alle mögliche Verhetzung. Das sollten Sie mit bedenken. Ich meine, wenn aber die Entscheidung im Parlament selbst getroffen wird, dann kann eine solche Entscheidung eher nachvollzogen werden, weil ihre Rationalität eher einsichtig ist. Das Volk selbst kann ja seine Entscheidung nicht begründen, Herr Ullmann. ({18}) Der Begründungszwang liegt bei den Abgeordneten, die sich für die eine oder für die andere Richtung entscheiden. Dieser Begründungszwang führt natürlich dazu, daß eine solche Entscheidung einsichtiger ist und deshalb eher verständlich ist und deshalb auch eher nachvollzogen werden kann und deshalb viel, viel mehr, als Sie annehmen, zur Befriedung beiträgt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Geis, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Mehr an Redezeit, das Sie jetzt in Anspruch nehmen, auf Kosten des Kollegen Gerster geht. Ich will das nur in Ihre Erinnerung zurückrufen.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schlußsatz. - Wir lehnen den Antrag der SPD ab. Wir sind der Auffassung, daß dieser Antrag von Anfang an überhaupt nicht ernst gemeint gewesen ist. ({0}) - Er war nicht ernst gemeint. Bevor Sie ihn in die Welt gesetzt haben, hätten Sie ja erst einmal Kontakt aufnehmen können. Es ist ja so, daß man verfassungsändernde Mehrheiten braucht. Man braucht Zweitdrittelmehrheiten. Immer dann, wenn der Versuch unternommen wird, im Parlament die Verfassung zu ändern, werden schon im Vorfeld Gespräche geführt. Das haben Sie aber gar nicht gemacht. Sie wollten es ja auch gar nicht. Sie wollten nur Volksnähe demonstrieren. In Wirklichkeit geht es Ihnen gar nicht um das Volk; ({1}) es geht Ihnen nur darum, aus Ihrem Dilemma herauszukommen, in das Sie sich hineinmanövriert haben. Das ist der Grund, und dafür soll nun das Parlament herhalten. Da machen wir nicht mit. Danke schön. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrter Kollege Geis, ich habe mich nicht deswegen gemeldet, weil Sie gerade in einer unüberbietbar überzeugenden Form all das bestätigt haben, was ich vorhin an Vorwürfen in Ihre Richtung losgeworden bin. ({0}) Ich habe mich auch nicht deswegen gemeldet, weil Ihr Argument mit dem Mangel an Ernsthaftigkeit nun mehr als widerlegt ist: Sie werden sehen, wie ernst wir es mit dem Gesetzentwurf meinen, spätestens dann, wenn auch die Länder im Bundesrat ihn am Freitag diskutieren und wenn wir unsere Forderung nach Volksbegehren, Volksinitiative und Volksentscheid im Zuge der Weiterentwicklung des Grundgesetzes zur gesamtdeutschen Verfassung ganz selbstverständlich wieder stellen. Das alles wissen Sie auch. Ich habe mich gemeldet, weil ich den Art. 146 gegen Sie in Schutz nehmen muß. Sie haben so getan und dabei Worte gebraucht, als habe dieses Haus mit einer Zweidrittelmehrheit, als habe die Volkskammer nach der Wende, das erste demokratisch gewählte Parlament in der DDR, mit Zweidrittelmehrheit die Möglichkeit geschaffen, die Verfassung „auszuhebeln" . Bedenken Sie bitte Ihre Worte. Das sind Worte, die nicht nur gegen die Bürgerinnen und Bürger gerichtet sind, die eine Weiterentwicklung des Grundgesetzes wollen, ({1}) das sind auch antiparlamentarische Worte, die ein Abgeordneter eigentlich nicht benutzen dürfte. Lieber verehrter Kollege Geis, das sind auch demagogische Sprüche, gegen die Sie sich glaubwürdig nicht mehr verwahren können, wenn Sie sie selbst verwenden. ({2}) Richtig ist, daß im Art. 146 mit Verfassungsrang die demokratische Selbstverständlichkeit festgehalten wurde, nach der sehr schnell erfolgten staatlichen Einigung Deutschland, durch sorgfältige Nacharbeit - auf die wurde immer wieder hingewiesen, und deren Notwendigkeit stand eigentlich immer außer Zweifel - unser Grundgesetz in eine gesamtdeutsche Verfassung umzuwandeln und dazu auch die Abstimmung von Bürgerinnen und Bürgern des geeinten Deutschland vorzusehen. ({3}) Wer diesen Vorgang als „Aushebeln" bezeichnet, meine Damen und Herren, sollte solche Worte schnellstens zurücknehmen. Danke schön. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Geis das Wort. Ich kündige gleich an: Weitere werde ich an dieser Stelle nicht zulassen.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Däubler-Gmelin, ich gehe davon aus, daß Sie den Art. 146 immer noch nicht richtig durchgelesen haben. ({0}) Wenn Sie ihn richtig durchgelesen hätten, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß das Volk in Art 146 natürlich aufgerufen ist, über die Verfassung insgesamt zu entscheiden. Sonst hätte er ja auch gar keinen Sinn. Wenn das Volk aufgerufen ist, über die Verfassung insgesamt zu entscheiden, muß eine Entscheidung gegen die Verfassung möglich sein. Sonst wäre dieser Aufruf nur eine reine Farce. Ich habe lediglich weithin bekannte verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen, Frau DäublerGmelin. Sie haben vorhin im Eifer des Gefechtes offenbar nicht richtig zugehört. Die Bedenken bestehen darin, daß der Verfassungsgeber, der Parlamentarische Rat, die Möglichkeit der Selbstaufhebung der Verfassung nicht vorgesehen hat. Eine solche Möglichkeit muß aber der Verfassungsgeber selbst und nicht der Verfassungsgesetzgeber vorsehen, weil der Verfassungsgeber selbst die Verfassung gibt und er die Möglichkeit einräumen muß, ob über die Verfassung insgesamt entschieden wird, d. h. ob sie aufgehoben oder angenommen wird. Das ist Aufgabe des Verfassungsgebers. Es ist sehr wohl die Frage, ob sich nicht der Verfassungsgesetzgeber - ich bitte Sie, diesen Ausführungen zu folgen - ein Recht angemaßt hat, das nur dem Verfassungsgeber zusteht. Das sind verfassungsrechtliche Bedenken, die ich angemeldet habe und die es zu erwägen gilt. Ich bitte sehr darum, daß Sie über diese Frage einmal in aller Ruhe nachdenken. Danke schön.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat das Wort der Abgeordnete Dr. Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat empfohlen, den Gesetzentwurf der SPD, der von der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE unterstützt wird, abzulehnen. Er hat das mit der Mehrheit der Koalitionsstimmen getan. Ich gehe davon aus, daß die Koalitionsmehrheit ihn auch hier ablehnen will. Darum werde ich meine kostbare Zeit nicht verschwenden, tauben Ohren zu predigen. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, ich habe die Aufgabe, Sie auf die Konsequenzen aufmerksam zu machen, die diese Ablehnung nach sich zieht. Die Anhörung im Rechtsausschuß hat bewiesen: Dieser Gesetzesvorschlag ist verfassungsgemäß. Sie lehnen also eine verfassungsgemäße Möglichkeit demokratischer Willensbildung ab. Begründen Sie das! Was ich hier gehört habe, war keine Begründung. Ich denke, Sie belasten damit die Debatte, die im ganzen Volk bereits geführt wird. Es ist doch nicht so, daß nur wir hier darüber reden - wir reden ja am allerwenigsten - , im ganzen Lande wird darüber geredet, beim Evangelischen Kirchentag wird darüber geredet. Ich bin befremdet, Herr Geis, daß Sie es fertigbringen, in diesem Hause eine hervorragende Persönlichkeit des Kirchentages wie Bundesrichter a. D. Simon zu verleumden, daß er antiparlamentarische, und das heißt doch: antidemokratische Ziele verfolge. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Ullmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mahlo zu beantworten?

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte sehr.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Dr. Mahlo.

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ullmann, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Darf ich Ihnen die Frage stellen: Würden Sie auch dafür sein, Fragen der Ausländerpolitik und des Asylrechts unter einen Volksentscheid zu stellen, und falls Sie da Bedenken hätten, wie auch ich sie hätte: Wie will man unterscheiden, für welche Fragen man das Volk für geeignet hält und für welche nicht? ({0})

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist Sache der Verfassungsorgane, solche Fragen in einer Weise zu formulieren, daß sie beantwortet werden können. Aber die Verfassungsorgane wie das Parlament haben auch Fragen anzunehmen, die das Volk stellt. Ich bin immer wieder befremdet, daß mit solchen Suggestivfragen unterstellt wird, das Volk verfolge immer böse Absichten, wenn es sich zu Wort melde. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun eine Zwischenfrage - wenn Sie sie beantworten wollen, Herr Dr. Ullmann - von Herrn Abgeordneten Geis.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ullmann, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, ({0}) daß ich den von der SPD benannten Wissenschaftler und ehemaligen Verfassungsrichter zitiert habe, ({1}) der geredet hat vom Absolutismus des repräsentativen parlamentarischen Systems. ({2}) - Das ist genau das, was der vormalige Bundesrichter gesagt hat. Genau das habe ich zitiert. ({3}) Ich habe ihn damit nicht verleumdet. Stimmen Sie da mit mir überein?

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben ihn verleumdet mit Ihrer Interpretation; ({0}) denn Herr Simon hat den Absolutismus angegriffen, aber nicht die repräsentative Demokratie. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann möchte ich den Dialog beenden, Herr Abgeordneter, und Sie können in Ihrer Rede fortfahren.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Die Anhörung hat ergeben, daß der Appell an die verfassunggebende Gewalt, das Volk, den Souverän, in der Form, wie der SPD-Gesetzentwurf ihn vorsah, keine Präjudizierung enthält, meine Damen und Herren von der Koalition, wie man in der Verfassung das Verhältnis von Parlament und Plebiszit sieht. Trotzdem wird von Ihnen und einem Teil der deutschen Rechtsgelehrsamkeit immer nur darüber geredet, ob Plebiszit, Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung, wünschbar sei. Die Frage ist aber, ob es notwendig ist und ob es hilft zur Lösung der Probleme, die wir vor uns haben. - Es ist nötig zur Lösung der Probleme der deutschen Vereinigung, und es ist nicht die Frage, ob bestimmte konservative Juristen das für wünschbar halten oder nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Ullmann, ich muß Sie noch einmal unterbrechen, weil eine weitere Bitte wegen einer Zwischenfrage vorliegt.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Krey.

Franz Heinrich Krey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001214, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie übersehen sicher mit mir nicht den zeitlichen Zusammenhang einer Sachfrage der deutschen Politik, nämlich ob Bonn oder Berlin Regierungssitz sein soll, mit dem Thema, das wir heute behandeln? Wir haben im Einigungsvertrag den Ort der Entscheidung festgemacht. Der Ort ist das Parlament und nicht das Volk. Das ist doch mit großer Mehrheit von uns allen so entschieden worden. Glauben Sie nicht, daß es auch viele gute Gründe für die Vermutung gibt, daß das Volk von uns erwartet, daß wir diese Frage hier in Wahrnehmung unserer Pflichten entscheiden und nicht vertrösten auf eine Veränderung in unserer Verfassung, über die ich im übrigen gerne mit Ihnen weiter diskutieren möchte? ({0})

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Volk hat gewiß diese Hoffnung, aber ich nehme an, es wird mittlerweile Zweifel haben, ob wir dazu in der Lage sind. Was den Einigungsvertrag anbelangt, so verlangt der, das Parlament solle darüber befinden. ({0}) Wir sind ja gerade dabei. Ich versuche, Ihnen klarzumachen, daß Sie unsere Möglichkeiten, die uns hier von der Verfassung gegeben sind, einengen wollen. Dagegen geht meine Rede.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Däubler-Gmelin möchte auch noch einmal das Wort. Aber ich möchte Sie herzlich bitten, keine weiteren Zwischenfragen mehr zu stellen. Sonst kommen wir heute wirklich in Zeitprobleme. Bitte, Frau Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön, Kollege Ullmann. Ich habe mich zu einer Zwischenfrage gemeldet, weil ich es furchtbar gern hätte, daß Sie als ein Vertreter der Menschen in den neuen Ländern den Kollegen einfach noch einmal sagen, ob Sie es überhaupt für möglich gehalten hätten, daß eine solche Frage, die in der Protokollnotiz angesprochen wurde, gegen die Bevölkerung, gegen die Bürgerinnen und Bürger interpretiert und ausgelegt werden darf. Das ist meine Bitte. ({0}) - Die CDU sagt das offensichtlich anders.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Frage ist natürlich zu verneinen, und zwar aus folgendem Grund, Herr Geis: Natürlich haben wir uns unter das Dach des Grundgesetzes gestellt. Ich habe, denke ich, sehr viel dazu beigetragen, daß das geschehen ist, aber eines Grundgesetzes, in dem auch der Art. 146 steht, den Sie merkwürdigerweise für verfassungswidrig halten. Ich wundere mich, wenn ich Sie und auch die von Ihnen benannten Rechtsgelehrten höre, was Sie dem Volk unterstellen: Es ist aufgeregt, es ist zur Feindseligkeit geneigt, ({0}) es hat die schlechte Absicht, wahrscheinlich die Todesstrafe wieder einzuführen. ({1}) Welche Meinung haben Sie eigentlich von dem Volk, von dem laut unserer Verfassung die Staatsgewalt ausgehen soll und nicht irgendwelche unvernünftigen Emotionen? Meine letzte Anmerkung: Sie tragen, meine Damen und Herren der Koalition, die Verantwortung dafür, daß wir die Chance, die Diskussion über Parlaments-und Regierungssitz in den Zusammenhang mit der Verfassungsreform zu stellen, zerstören. Ich mache Sie darauf aufmerksam: Sie haben im Einigungsprozeß schon sehr viele Chancen vertan. Wollen Sie noch eine vertane Chance auf Ihre Verantwortung nehmen? Ich rate Ihnen davon ab. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun erteile ich dem Abgeordneten Dr. Heuer das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag steht heute vor einer großen Stunde. Erstmals in seiner Geschichte steht ein verfassungsänderndes Gesetz, zum Volksentscheid zur Abstimmung. Das zwingt uns zu einer Demokratiedebatte. Ich höre schon jetzt wieder die Zurufe „ausgerechnet Sie!" Dazu eine Bemerkung: Die Partei- und Staatsführung der DDR vertrat eine Doktrin, wonach die Kenntnis der Gesetze der Geschichte es der Partei erlaube, die Interessen des Volkes zu vertreten, ohne das Volk selbst fragen zu müssen. Ich habe mich mit dieser Doktrin mehrfach auseinandergesetzt, 1974 in einem Buch, „Gesellschaftliche Gesetze und politische Organisation" , 1989 in einem Buch „Marxismus und Demokratie". Meine Meinung war damals und heute: Ohne Mitwirkung des Volkes können seine Interessen und Wünsche nicht ermittelt werden. Daraus leite ich das persönliche Recht ab, mich heute gegen diejenigen zu wenden, die die Mitwirkung des Volkes auf die Wahlen beschränken wollen. In der Anhörung des Rechtsausschusses zur Vorbereitung der heutigen Tagung erklärte mein verehrter Kollege, Herr Professor Lerche, zu der Position der repräsentativen Demokratie als eigentlicher Demokratie: Aus dieser Verantwortung sollte es keinen Fluchtweg geben, erst recht nicht in optischer Verbrämung. Zuflucht beim Volk suchen heißt flüchten. Ich verstehe nicht, wie ein Demokrat von Flucht sprechen kann, wenn eine wichtige und bedeutsame Frage dem Volk zur direkten Entscheidung vorgelegt wird. Herr Geis hat hier gesagt: Wir, d. h. die Abgeordneten, haben die Möglichkeit und Zeit, uns den Sachverstand aneignen zu können, offenbar im Gegensatz zum Volk. Mich erinnert das an eine Formulierung aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo gesagt wurde, es zieme den Untertanen nicht, an die Handlung der Obrigkeit das Maß ihres beschränkten Verstandes anzulegen. Wohltuend gegenüber dem war die Erklärung von Rainer Barzel vom 24. April 1958, daß niemand von der CDU/CSU behauptet, daß es undemokratisch sei, eine Ausweitung des plebiszitären Charakters unseres Grundgesetzes zu fördern. Unser Volk ist Souverän, nicht Orakel und nicht Hampelmann, erklärte er damals. Die SPD hat jetzt den Entwurf einer Grundgesetzänderung eingebracht, die festlegt, daß der Sitz von Parlament und Regierung durch Volksentscheid festgelegt wird, sowie ein entsprechendes Gesetz. An der Zulässigkeit einer solchen Grundgesetzänderung besteht kein Zweifel. Bestritten wird dagegen ihre Zweckmäßigkeit. Als Argument dagegen wird immer wieder die Rolle von Volksbegehren und Volksentscheid in der Weimarer Republik gebraucht; hierzu hat schon die Abgeordnete Däubler-Gmelin überzeugend argumentiert. Die Weimarer Republik ist nicht an den acht Volksbegehren - mit zwei Volksentscheiden - zugrunde gegangen, sondern an ganz anderen, weitgehend jenseits des Verfassungsrechts liegenden Fragen wie dem Streben nach Revision des Versailler Vertrages, der Nutzung der Arbeitslosigkeit durch reaktionäre Kräfte, der Spaltung der Arbeiterbewegung, auch der Weigerung der KPD, diese Republik gegen den Faschismus zu verteidigen. Ich möchte noch auf einige ernsthafte Bedenken bezug nehmen: Es wird die Frage gestellt, ob es sich hier wirklich um eine derart wichtige Frage handelt. Tatsächlich ist bei vielen, meines Erachtens wichtigeren Fragen dieser Weg nicht gegangen worden. Ich erinnere an den Kampf gegen Aufrüstung in den 50er Jahren, an die Auseinandersetzungen um die Notstandsverfassung Ende der 60er Jahre und an die Herstellung der Einheit Deutschlands; die Bestätigung einer neuen Verfassung durch Volksentscheid steht noch zur Debatte. Bedenken gibt es auch gegen die Einleitung eines Volksentscheids von oben. Der Sachverständige Professor Preuß erklärte in der Anhörung, daß es als problematisch anzusehen sei, staatlichen Organen das Recht zur Initiative eines Volksentscheids einzuräumen. Es bestehe die Gefahr einer autoritären Manipulation zu Zwecken der plebiszitären Akklamation, womit der demokratische Charakter plesbizitärer Beteiligung verlorenginge. Tatsächlich muß sich die SPD fragen lassen, warum sie plötzlich ein solches Grundsatzproblem aufwirft, es dann aber nur für einen Fall beantwortet, das demokratietheoretische Grundproblem jedoch nicht gesetzgeberisch in Angriff nimmt. Schließlich kann der dritte Einwand erhoben werden, daß der Volksentscheid einen mündigen Bürger voraussetzt, daß hier Fehlentscheidungen vorkommen können. Tatsächlich kann auch das Instrument der Volksgesetzgebung, wie es in Arbeiten des Gaismarer Kreises heißt, nur so gut sein wie seine Einbettung in andere Formen der Bürgerbeteiligung: Anhörungsrechte, Mitwirkungsrechte in Betrieben, Schulen, Kommunen wie die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit überhaupt. Es wird schließlich der Einwand erhoben, daß es sich um einen unsystematischen Einstieg handele. Ich meine aber, daß alle Anfänge zunächst unsystematisch sind. Die Systematik wird erst später von der Wissenschaft hergestellt; die Politik muß beginnen. Trotz der dargelegten Bedenken hinsichtich der Konsequenz des Vorgehens sind wir für diesen Einstieg in eine Periode der Verbindung von repräsentativer und unmittelbarer Demokratie. Meine Damen und Herren, 1918 führten Trotzki, Lenin und Kautsky eine Demokratiedebatte. In dieser Diskussion erklärte Karl Kautsky, daß, bevor das Volk die Macht ergreifen könne, es erst lernen müsse. Bevor man ein Pferd besteige, müsse man erst, wie er, in eine Reitschule gegangen sein. Trotzki antwortete ihm, daß man Reiten nur in dieser Tätigkeit selbst lernen könne. Meine 17 Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, haben Sie den Mut, das Volk auf das Pferd zu setzen! Danke schön. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun hat der Abgeordnete van Essen das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bestreiten es überhaupt nicht: Es können gewichtige Gründe für eine stärkere Mitbestimmung des Volkes bei politischen Entscheidungen ins Feld geführt werden. Die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR hat ein hohes Maß an Besonnenheit und Vernunft der Bevölkerung gezeigt. Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Zeit reif für die Einführung eines Volksentscheides? Trotzdem hat die Mehrzahl der Sachverständigen, die der Rechtsausschuß in der vergangenen Woche gehört hat, massive, insbesondere verfassungspolitische Bedenken gegen den Entwurf der SPD vorgebracht und damit deutlich die ablehnende Haltung der FDP gestützt. Frau Däubler, wir haben diese Frage übrigens sehr sorgfältig und ausgiebig in der Fraktion diskutiert und unsere Position mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung beschlossen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter van Essen, der Abgeordnete Schmude möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, im Hinblick auf Ihre Ausführungen zur Zeit möchte ich keine Zwischenfragen gestatten. Außerdem glaube ich, daß man auch mit Zwischenfragen aus einem Zwergpony keinen rassigen Araber machen kann. ({0}) Von den Sachverständigen ist zu Recht insbesondere darauf hingewiesen worden, daß nach dem Grundgesetz mit der parlamentarischen Macht gleichzeitig die Verantwortung übertragen wird, für andere zu entscheiden. Aus dieser Verantwortung darf es keinen Fluchtweg geben, besonders dann nicht, wenn dieser so offenkundig eine Verlegenheitslösung ist wie hier. Die SPD verbrämt dies in ihrer Begründung damit, daß die Frage des Regierungssitzes die Bürgerinnen und Bürger in außerordentlichem Maße bewegt. Bei der Bandbreite dessen, was bei unseren Wählern zu starken Emotionen führt, wirft diese alleinige und gleichzeitig dünne Begründung für eine so schwerwiegende Maßnahme wie eine Verfassungsergänzung die Frage auf, welchen Stellenwert die SPD dem unabängigen Parlament noch beimißt. ({1}) Sollen wir nur noch bei den das Volk nicht interessierenden Fragen der Entscheidungsträger sein? Gerade als neugewählter Abgeordneter lasse ich mir auch bei unangenehmen und schwierigen Fragen die Verantwortung nicht aus der Hand nehmen. ({2}) Es kann und darf nicht nach Belieben auf das Volk zurückgegriffen werden. Eine zweite Überlegung macht die Fragwürdigkeit des vorliegenden Entwurfs noch deutlicher. Die grundlegende Entscheidung über den Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik, aber auch die Bestimmung Berlins zur Hauptstadt sind ohne Rückgriffe auf das Volk entschieden worden. Es bedeutet doch gerade keine Anerkennung des Volkes als Souverän, wenn es nun in einer demgegenüber nachrangigen Frage aus bloßer Entscheidungsschwäche der dazu eigentlich Berufenen gefragt wird. ({3}) So verfassungspolitisch wünschenswert die Diskussion über eine stärkere Einbeziehung des Bürgers in politische Entscheidungen sein mag, wobei ich persönlich aus meiner Zurückhaltung in dieser Frage keinen Hehl mache, so schädlich ist ein Hauruckverfahren, wie es hier nun versucht wird. Gerade die sehr unterschiedlichen Erfahrungen in einigen Bundesländern und auch im Ausland zwingen zu sorgfältigen Überlegungen, wo und unter welchen Bedingungen stärkere pelbiszitäre Elemente erwünscht sein können. Dabei ist ein Punkt weitgehend unstrittig: Plebiszite helfen nicht bei der Entscheidung besonders komplexer Sachverhalte; sie behindern gerade in diesem Bereich notwendige und sachdienliche Kompromisse. Der SPD-Entwurf verschleiert dies nur, indem er ausschließlich die Frage der Lokalität des Parlaments- und Regierungssitzes zur Entscheidung stellt. Wichtige andere entscheidungsbedürftige Bereiche wie die Zeitachse bei einer Verlagerung nach Berlin und deren Kosten bleiben völlig offen. Ein Ende der Diskussion und eine konsensfördernde Wirkung des Volksentscheids sind damit gerade nicht zu erwarten. Völlig ungeklärt ist auch die Frage, in welcher Mindestbeteiligung von Stimmberechtigten das Plebiszit eine Wirkung entfalten soll. Die Frage ist auch deshalb sehr aktuell, weil bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg die Gruppe der Nichtwähler bereits die stärkste Partei war. ({4}) Gerade nach den Erfahrungen in Weimar sind auch hier sorgfältige Überlegungen vonnöten. Das Stichwort Kosten ist von mir in anderem Zusammenhang bereits genannt worden. Dabei drängt sich die Frage auch bei einem Volksentscheid selbst auf. Im Entwurf der SPD heißt es, diese seien noch näher zu bestimmen. Wer bezahlt eigentlich den zu erwartenden aufwendigen und langwierigen Wahlkampf, wer die Volksabstimmung selbst? Sicher werden sich finanzkräftige Interessengruppen auf beiden Seiten finden. Der größte Teil wird aber aus öffentlichen Kassen, etwa der beteiligten Städte, kommen und damit vom Steuerzahler zu tragen sein. Ich denke, wir haben bei der Situation, in der wir uns im Augenblick in diesem Land befinden, sicherlich viele Gründe, Geld besser einzusetzen als hier. ({5}) Der Auftrag aus der Protokollerklärung zum Einigungsvertrag ist eindeutig. Danach bleibt die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz den gesetzgebenden Körperschaften, also Bundestag und Bundesrat, vorbehalten. Trotz unübersehbarer Kosten und der vielen aufgezeigten Nachteile will die SPD aus ihrer parlamentarischen Verantwortung fliehen. ({6}) Mit uns, der FDP, ist das nicht zu machen. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute im Vorfeld der großen Debatte morgen im wesentlichen Verfahrensfragen. Das ist so etwas wie eine Generalprobe. Ich hoffe, daß das alte Prinzip gilt, daß einer schlechten Generalprobe eine gute Aufführung folgt. Ich finde, Frau Kollegin Däubler-Gmelin - und Sie als erste Rednerin sind für die Schärfe verantwortlich, die hier in die Debatte hineingekommen ist -, ({0}) wir sollten diese Grundsatzfragen mit etwas mehr Gelassenheit und damit auch Ernst diskutieren. Es hat mir nicht gefallen, wie Sie das hier gemacht haben. ({1}) - Nein, ich schreie überhaupt nicht, ich sage das in aller Ruhe. Was nützt es, pausenlos zu sagen, Sie hätten recht und die anderen unrecht. Ich will zu zwei Punkten etwas sagen: erstens zur Grundfrage, zu den Volksentscheiden, und zweitens zu dem konkreten, aktuellen Anlaß. Die repräsentative Demokratie verbindet politische Führung mit demokratischer Verantwortung. Mit anderen Worten: Es gibt grundsätzliche Erwägungen, die gegen Volksentscheide sprechen. Das ist keine aktuelle und modische Feststellung. Diese Feststellung begleitet unser Grundgesetz von der ersten Stunde des Entstehens über den Parlamentarischen Rat bis heute. Es waren doch die Väter des Grundgesetzes, die aus verantwortungsvollen, grundsätzlichen Erwägungen und aus einem klaren Ja zur Demokratie Volksentscheide - mit Ausnahme der Länderneugliederung - abgelehnt haben. Ich will das in drei Punkten noch einmal kurz nennen: Gerade bei Angelegenheiten, die der Bundestag zu entscheiden hat, liegen den Entscheidungen oft sehr schwierige und differenzierte Abwägungsprozesse zugrunde. Die Fragen, die man per Volksentscheid zur Entscheidung stellen kann, müssen vernünftigerweise überschaubar und für den Bürger beurteilbar sein. ({2}) Und wenn hier Fragen an die Entscheidungsmöglichkeit des Bürgers gestellt werden, dann doch nicht deshalb, weil man dem Bürger nicht etwa zutrauen würde, er werde die einzelnen Fragen nicht verstehen können, sondern deshalb, weil es Realität ist, daß wir Politiker uns bedeutend mehr mit politischen Tagesfragen auseinandersetzen als der Normalbürger, der - aus welchen Gründen auch immer - vielleicht ein bißchen öfter an den Fußball, den Sport überhaupt, an musische Themen, vielleicht auch an Literatur denkt, als Politiker das tun, die sich den ganzen Tag mit politischen Sachfragen auseinandersetzen. ({3}) Sie können sicher sein - das ist kein schlechtes Zeugnis für die Bevölkerung - , daß es immer viele Bürger geben wird, die eine gewisse Grundinformation über Politik wollen, die aber - aus welchen Gründen auch immer - nicht in sehr komplizierte Einzelfragen einsteigen wollen, sondern - im Gegenteil - diese Fragen gerade beim Parlament abgeben und das Parlament für sich entscheiden lassen wollen. Weil das so ist, kann man Politik eben nicht nach dem einfachen Ja/Nein-Schema gestalten, das Volksentscheiden naturgemäß zugrunde liegt, sondern es müssen ganz komplizierte Abwägungsprozesse erfolgen. Das wollte der Kollege Geis hier vortragen, als er sagte, daß er Zweifel habe, daß man die Palette der politischen Fragen Volksentscheiden unterlegen kann. Ein zweiter Punkt: Außerhalb überschaubarer Verhältnisse begründen plebiszitäre Komponenten die Gefahr unangemessener Emotionalisierung. Der Demagogie würden Tür und Tor geöffnet; die Folgen wären Unberechenbarkeit und Unsicherheit. Das heißt: Es ist völlig unerträglich, wenn man den selbsternannten Demagogen, die an der Ecke stehen, die nicht einmal durch Nichtwahl bestraft werden können, sondern die verschwunden sind, wenn die Entscheidung gefallen ist, die Emotionalisierung überläßt. Dann wird weniger Sachlichkeit, weniger Verläßlichkeit herzustellen sein. Und das würde letzten Endes auch der Demokratie schaden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Heuer beantworten, Herr Abgeordneter Gerster?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dem Kollegen von der PDS gestatte ich keine Zwischenfrage. Mein lieber Herr Heuer, Sie sind ja fast doppeltes Ehrenmitglied der SED, seit 1948 Mitglied dieser Partei. Daß Sie sich zum Fürsprecher von mehr Demokratie machen, heißt den Bock zum Gärtner machen. Darf ich daran erinnern, daß es gerade zwei Jahre her ist, daß Sie ein System unterstützt haben, das freie Wahlen gar nicht zugelassen und unfreie Wahlen sogar noch manipuliert hat, nämlich die Kommunalwahl 1989. ({0}) Wenn Sie sich hier hinstellen und für Demokratie reden, sollte sich die SPD sehr genau überlegen, in welcher Gesellschaft sie sich mit ihrem Ansinnen bewegt. Ich rate Ihnen, hier lieber den Mund zu halten. Sie sind kein Fürsprecher für mehr Demokratie. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es ist das Recht des Abgeordneten, Herr Dr. Heuer, eine Zwischenfrage nicht zuzulassen.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dritte Bemerkung, meine Damen, meine Herren: Träte eine Entscheidung durch den Volkssouverän als Möglichkeit der politischen Sachentscheidung parallel neben die parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen, so würden wir die Entscheidungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Parlaments zwangsläufig beschädigen. Nicht zuletzt wäre es für die gewählte parlamentarische Mehrheit dann kaum noch möglich, eine in sich logisch zusammenhängende Gesamtpolitik zu verfolgen. Es ist doch die Wahrheit - hierzu hat Frau DäublerGmelin in ihrer Intervention meines Erachtens die Entwicklung der Weimarer Republik zumindest, um es vorsichtig auszudrücken, nicht zutreffend dargestellt - , daß gerade die Erfahrungen mit Volksentscheiden, mit Volksbegehren, die in der Weimarer Republik so negativ waren, die Verfassungsväter, auch die von der SPD, veranlaßt haben, Volksbegehren und Volksentscheide auf die Länderneugliederung zu beschränken und ansonsten auszuschließen. Das ist die historische Wahrheit. Ein Nachlesen etwa der Motive unseres Grundgesetzes macht sie deutlich. ({0}) ({1}) Deswegen gibt es, sagen wir von der CDU/CSU, gewichtige Gründe, aus denen wir gegen Volksbegehren und Volksentscheide über den Verfassungsrahmen hinaus eintreten. Es dekuvriert das Vorgehen der SPD, daß es ihr, wenn sie jetzt dieses Thema erörtert, letzten Endes weniger um die Frage Bonn oder Berlin geht, sondern nur um einen Einstieg in Volksentscheide allgemein ({2}) soweit sie so argumentiert, wie es hier geschehen ist. Ich halte den Vorschlag der SPD nicht nur für kurios, sondern auch für wenig glaubwürdig, Frau Däubler-Gmelin. ({3}) - Ich werde Ihnen das gleich begründen - . Frau Däubler-Gmelin hat vorgetragen, der Bundestag und der Bundesrat sollten in dieser Woche entscheiden, und dann solle ein Volksentscheid kommen. ({4}) Aber nach der Verfassung ist diese Entscheidung bindend. Sie wollen, daß diese Entscheidung zunächst nach der Verfassung bindend getroffen wird. Doch dann soll sie ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr bindend sein, und das Volk soll letzten Endes entscheiden. ({5}) Es kann doch nicht wahr sein, daß Sie dies mit der Verfassung machen wollen. Das ist doch nicht richtig. Es ist auch nicht glaubwürdig, Frau Kollegin, was Sie betreiben. ({6}) Ich muß Sie daran erinnern, daß es bei dem epochalen Ereignis der Vereingiung Deutschlands - als es darum ging, ob wir den Bürgern der neuen Bundesländer sofort die Möglichkeit der unmittelbaren Wahl und Mitentscheidung geben, was ein gesamtdeutsches Parlament angeht - just die SPD war, die eine Grundgesetzänderung, um vorgezogene Wahlen herbeiführen zu können, ablehnte. Das heißt, wenn Sie jetzt einen Volksentscheid wegen der Entscheidung zwischen Bonn und Berlin wollen, dann ist das in zweifacher Weise im Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten. ({7}) Es ist widersprüchlich, weil Sie im vorigen Jahr dem Einigungsvertrag zugestimmt haben, in dem festgelegt ist, daß das gesamtdeutsche Parlament die Entscheidung über den Sitz der Regierung und des Parlaments zu treffen hat. Es ist zudem unglaubwürdig, weil Sie im vorigen Jahr den Bürgern der neuen Bundesländer einschließlich Opposition ({8}) die Möglichkeit genommen haben, mit dem Beitritt sofort ein gesamtdeutsches Parlament gemeinsam mit uns zu wählen. Hier haben Sie eine Grundgesetzergänzung abgelehnt. Mit anderen Worten: Wenn Sie heute oder vor 14 Tagen nach Ihrem Parteitag plötzlich das Grundgesetz ändern wollen, ({9}) Johannes Gerster ({10}) um einen Volksentscheid über den Regierungssitz herbeizuführen, müssen Sie sich entgegenhalten lassen, daß Sie bei viel wichtigeren Entscheidungen nicht bereit waren, das Grundgesetz zu ändern, um einen Volksentscheid herbeizuführen, ({11}) und müssen Sie sich entgegenhalten lassen, daß es letzten Endes ({12}) bei Ihnen um die Frage geht: Wie kann ich mich der morgigen Entscheidung des Parlamentes für oder gegen Bonn entziehen? ({13}) Das nennen wir die Flucht aus der Verantwortung. ({14}) Wenn Sie einen Volksentscheid über diese Frage wirklich immer gewollt haben, hätten Sie früher kommen müssen. Wenn Sie glauben, die Bürger zu begeistern, indem Sie jetzt, nachdem alle Argumente für und wider in endlosen Sitzungen und Besprechungen ausgetauscht sind, fünf vor zwölf aus der Entscheidung des Parlaments, dem Sie selber das zugewiesen haben, aussteigen, ({15}) dann sage ich Ihnen einfach: Sie täuschen sich. Die Bürger wollen eine Entscheidung. ({16}) Die Bürger wollen, daß die Politiker ihre Tätigkeit in diesem ersten gesamtdeutschen Parlament nicht jahrelang dieser Frage zuwenden, ({17}) sondern daß sie erheblich wichtigere Fragen lösen, die - das sei zugegeben - in den letzten Wochen im Parlament wegen der Entscheidung zwischen Bonn und Berlin zu kurz gekommen sind. Mit anderen Worten: Wir sind gut beraten, wenn wir das, was sich regional zum Teil emotionalisiert, was natürlich Kreise über die regionalen Interessen hinaus schlägt, möglichst zügig entscheiden. Wir sollten sehen, daß dies eine wichtige Entscheidung ist, daß aber bedeutend wichtigere Entscheidungen durch dieses Parlament vorzubereiten, durchzuführen, zu diskutieren und letzten Endes auch endgültig zu treffen sind. Wir lehnen deshalb dieses Begehren ab. Ich sage noch einmal: Die Grundentscheidung über Volksentscheide hat nichts mit der Frage zu tun, was man den Bürgern letzten Endes zutraut, sondern hat damit zu tun, welcher Art von Demokratie man die größere Stabilität und die bessere Wirkungskraft sowie die bessere Dienstleistung für den Bürger zutraut. Dazu war die Meinung der verfassungsgebenden Versammlung bei der Beratung unseres Grundgesetzes, daß die repräsentative Form der Demokratie der bessere Weg ist - ich unterstreiche diese Meinung -; sie hat sich auch mehr als 40 Jahre bewährt. Gerade die Bürger in den neuen Bundesländern haben natürlich auch demonstriert, um zu dieser Verfassung zu kommen, die für sie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit garantiert hat. ({18}) Der zweite Punkt ist: Wir sind der Meinung, daß wir uns der Verantwortung nicht entziehen sollten, so wie wir in Vertretung des Volkes und für das Volk gewählt worden sind, und zügig entscheiden sollten, damit endlich Planungen stattfinden können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Heuer das Wort. ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gerster hat erklärt, er sei nicht bereit, mir zu antworten, weil ich es sei, weil ich aus der SED komme, und weil die SED die Kommunalwahlen gefälscht habe und weil ich seit 1948 in der SED gewesen sei. Mit meiner Geschichte könnte Herr Gerster sich befassen. Er könnte die beiden Bücher lesen, die ich hier genannt habe. Dann wäre ich gern bereit, mich mit ihm darüber, über mein und sein Demokratieverständnis zu unterhalten. Dabei könnten interessante Ergebnisse herauskommen. Er hat mir weiterhin gesagt, ich sollte in diesem Kreise nicht das Wort ergreifen. Ich bin in Sachsen für den Bundestag gewählt worden, um hier die Interessen meiner Wähler zu vertreten. ({0}) Ich kann mir nicht von Ihnen den Mund verbieten lassen. Ich glaube, daß das nicht möglich ist. Ich muß das tun; ich bin dafür gewählt worden, und ich nehme dieses Recht für mich in Anspruch. ({1}) Noch eine Bemerkung: Vor einer Woche ist hier von einem Abgeordneten der CDU erklärt worden, man solle hier miteinander hart in der Form, aber vernünftig in der Sache umgehen; auf lateinisch: fortiter in re, suaviter in modo. ({2}) Dann wurde ergänzt, das gelte aber nicht für die PDS. Ich meine, daß das keine Form des Umgangs miteinander ist. Ich meine, daß sich politische Kultur dann zeigt, wenn man Sieger ist, und daß ein Sieger seine politische Kultur beweisen sollte. Ich meine, daß die CDU/CSU da einiges zu lernen hat. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, ich gebe jetzt das Wort für eine Kurzintervention dem Abgeordneten Gerster. Ich weise allerdings darauf hin, daß Herr Dr. Heuer noch einmal die Möglichkeit hat, darauf zu antworten. So sieht es unsere Geschäftsordnung vor. Ich möchte nur sagen: Wie immer es verläuft - damit wollen wir es dann aber bewenden lassen, sonst wird es eine Dialogveranstaltung. Herr Kollege Gerster, Sie haben das Wort.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, Herr Heuer hat behauptet, ich hätte mich geweigert, ihm eine Antwort zu geben. Das ist unzutreffend. Ich habe mich geweigert, ihm innerhalb meiner Rede eine Zwischenfrage zu gestatten. Zweiter Punkt. Er hat praktisch behauptet, ich wollte ihm das Wort verbieten. Das ist ebenfalls unzutreffend. Ich habe lediglich ausgeführt, daß Sie, Herr Heuer, einer der schlechtesten Fürsprecher dieses Hauses in Sachen Demokratie sind, der Sie über 40 Jahre für ein undemokratisches System, das Menschen und Menschenrechte mit Füßen getreten hat, Verantwortung tragen. Ich bedanke mich. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem in der Debatte einerseits zum Teil generell Argumente über die Frage der Wünschbarkeit von Volksentscheiden und andererseits die konkrete Frage Volksentscheid über die Frage Berlin oder Bonn miteinander vermengt worden sind, erkläre ich, daß mein Nein zu den Anträgen der SPD in der heutigen namentlichen Abstimmung ausschließlich damit begründet ist, daß ich gegen ein vorgezogenes, punktuelles, den Parlamentsbeschluß umgehendes Gesetzesverfahren bin, daß ich mir aber die Abstimmung zu Volksentscheiden und insbesondere zu Volksbegehren im Rahmen der Verfassungsreform, die wir in dieser Legislaturperiode noch vorhaben, offenhalte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wie bereits vor der Aussprache mitgeteilt, soll die Abstimmung nach der Sitzungsunterbrechung, die sich an die Fragestunde und an die Aktuelle Stunde anschließen wird, um 18 Uhr stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 6 und 7 auf: ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften ({1}) - Drucksachen 12/219, 12/402, 12/459, 12/562, 12/698, 12/768 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Peter Struck ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte sowie über strukturelle Anpassungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ({3}) - Drucksachen 12/221, 12/401, 12/461, 12/581, 12/697, 12/769 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Peter Struck Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Herr Kollege Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vermittlungsausschuß hat über die in Rede stehenden Gesetze 15 bis 16 Stunden getagt. Ich verspreche Ihnen aber, daß meine Redezeit etwas kürzer sein wird als die Tagungsdauer. Ich möchte zunächst den Mitgliedern der Verhandlungsdelegation auf seiten der Regierungskoalition und der von der CDU regierten Länder meinen Dank über das Ergebnis dieser Verhandlungen aussprechen, die heute dem Bundestag und morgen dem Bundesrat zur Entscheidung vorliegen werden. Ganz persönlich möchte ich mich bei Ihnen, Herr Kollege Blens, Herr Staatssekretär Grünewald und auch Herr Kollege Gattermann, für die sehr faire Art und Weise der Zusammenarbeit bedanken. ({0}) Ich glaube, dieses Kompliment können Sie sicherlich auch uns machen, weil wir alle von dem Bestreben geleitet waren, in dieser komplizierten Materie doch zu einer Einigung zu kommen. ({1}) Ich habe den Auftrag, dem Bundestag über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses kurz Bericht zu erstatten. Ich möchte mich jetzt nicht über einzelne Vorschriften mit Ihnen auslassen, sondern möchte nur die wesentlichen Punkte nennen: Ich stelle für den Vermittlungsausschuß fest, daß der Vermittlungsausschuß Änderungsvorschläge gemacht hat zum Haushaltsbegleitgesetz und zum SteueränDr. Peter Struck derungsgesetz. Der Vermittlungsausschuß hat keine Vorschläge, die heute etwa zur Abstimmung anstehen, zum sogenannten Solidaritätsgesetz gemacht. Das ist nicht unsere Angelegenheit, sondern das wird möglicherweise morgen im Bundesrat noch einmal angesprochen werden. Für uns im Vermittlungsausschuß war wichtig, daß wir uns alle von dem Bestreben leiten ließen, die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für den Aufbau in den neuen deutschen Ländern ab 1. Juli dieses Jahres zu schaffen. Dies bedeutete auch, daß alle bemüht waren, zu einem Konsens zu kommen. Dieser Konsens bezieht sich sowohl auf das Thema Gewerbekapital- und Vermögensteuer, bei dem festgestellt worden ist, daß grundsätzlich beide Gesetze eine volle Anwendung finden, die Steuer wegen der bestehenden Verwaltungsschwierigkeiten in den neuen Ländern jedoch für zwei Jahre nicht erhoben und auch nicht nacherhoben wird. Wir haben dann auch das Anrufungsbegehren des Bundesrates, was eine bessere Finanzierung im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes angeht, aufgegriffen. Der Vermittlungsausschuß hat auch die Vermittlungsbegehren zum Zinsanpassungsgesetz und zur steuerlichen Behandlung von Handelsschiffen aufgegriffen. Von besonderer Bedeutung war auch, daß wir uns im Vermittlungsausschuß auf eine Änderung bei der Investitionszulage im Fördergebiet einigen konnten, die für einen Zeitraum von einem weiteren halben Jahr bessere Bedingungen für Investitionen in den neuen deutschen Ländern festschreibt. Im übrigen sind die Anrufungsbegehren erledigt. Der Vermittlungsausschuß hat sich auch mit einer Reihe von Fragen im Zusammenhang mit dem BundLänder-Finanzausgleich befaßt, die nicht unmittelbar Gegenstand des Anrufungsbegehrens waren und zu den Gesetzespaketen gehören. Er hat in diesem Zusammenhang auch das Thema, welche Möglichkeiten es gibt, für vom Truppenabbau besonders betroffene Länder eventuell zusätzliche Hilfen über ein Sonderprogramm zu leisten, in, wie ich finde, angemessener Weise aufgegriffen. Ich empfehle daher als Berichterstatter dem Deutschen Bundestag, diesem Ergebnis des Vermittlungsausschusses, das einstimmig so beschlossen worden ist, zuzustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungen im Deutschen Bundestag jeweils gemeinsam abzustimmen ist. Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/768, Steueränderungsgesetz 1991, ab. Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/769, Haushaltsbegleitgesetz 1991, ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Dritten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds - Drucksache 12/336 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 12/791 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Norbert Wieczorek Gunnar Uldall ({1}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung über eine Eisenbahnpolitik der Gemeinschaft: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in der Gemeinschaft Vorschlag für eine Verordnung ({3}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({4}) Nr. 1191/69 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Schaffung eines Hochgeschwindigkeitsnetzes für Eisenbahnen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/130/EWG über die Festlegung gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten - Drucksachen 12/210 Nr. 162, 12/701 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Dietmar Matterne c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein spezifisches Programm für Forschung und technologische Entwicklung im Bereich Vizepräsident Hans Klein der nuklearen Sicherheit bei der Kernspaltung ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Annahme eines spezifischen Programms für Forschung und technologische Entwicklung auf dem Gebiet der kontrollierten Kernfusion ({7}) Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Billigung der Änderung der Satzung des gemeinsamen Unternehmens Joint European Torus ({8}), Joint Undertaking - Drucksachen 12/210 Nr. 176, 12/152 Nr. 61, 12/702 - Berichterstatter: Abgeordnete Christian Lenzer Wolf-Michael Catenhusen Jürgen Timm d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Fünfzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 12/333, 12/760 - Berichterstatterin: Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({10}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Vierundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 12/334, 12/761 - Berichterstatter: Abgeordneter Peter Kittelmann f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Fünfundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen 12/482, 12/762 - Berichterstatter: Abgeordneter Peter Kittelmann g) Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Vierzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache 12/268 - h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 18 zu Petitionen - Drucksache 12/684 - i) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 20 zu Petitionen - Drucksache 12/747 - j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 21 zu Petitionen - Drucksache 12/748 Tagesordnungspunkt 6 a: Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Dritten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds. Der Finanzausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer dem Gesetzentwurf - Drucksachen 12/336 und 12/791 - mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 6b: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 12/701 zu mehreren verkehrspolitischen EG-Vorhaben. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 6 c: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 12/702 zu mehreren forschungspolitischen EG-Vorhaben. Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 6 d bis f: Beratung von Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 12/760, 12/761 und 12/762. Es handelt sich um Verordnungen zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und der Ausfuhrliste. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich seiner Stimme? - Die Beschlußempfehlungen sind angenommen. Tagesordnungspunkt 6 g. Ich könnte jetzt dem Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft, unserem Kollegen Friedhelm Ost, das Wort erteilen. Er hat seine Erklärung aber bereits schriftlich hier hinterlegt. Der Vorsitzende des Ausschusses, Friedhelm Ost, erklärt, daß der Ausschuß für Wirtschaft dem Deutschen Bundestag empfiehlt, von seinem Aufhebungsrecht keinen Gebrauch zu machen. Diese Erklärung erfolgt im Einvernehmen mit den Obleuten der im Ausschuß vertretenen Fraktionen. Sie haben diese Empfehlung gehört. Darf ich unterstellen, daß Sie ihr folgen? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 6h bis j, das heißt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zu den Sammelübersichten 18, 20 und 21. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind angenommen. Vizepräsident Hans Klein Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 12/766 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatsminister Helmut Schäfer erschienen. Wir kommen zuerst zu den Dringlichen Fragen, Drucksache 12/799. Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler auf: Treffen Meldungen zu, daß die Regierung von Kuwait Iraker, die in Kuwait leben, in den Irak zwangsdeportiert, und sind der Bundesregierung weitere Zwangsdeportationen bekannt? Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Herr Kollege! Kuwaitische Sicherheitskräfte haben in der vergangenen Woche in einer Abschiebeaktion 130 Personen, größtenteils irakischer Nationalität, aus Kuwait in den südlichen Irak verbracht. Viele von ihnen wurden gegen ihren Willen aus Kuwait abgeschoben. Nachdem das Internationale Rote Kreuz und die westlichen Botschafter einschließlich des deutschen Botschafters scharfen Protest bei der kuwaitischen Regierung eingelegt hatten, ist es zu keinen weiteren Abschiebungen mehr gekommen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage Kollege Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach Zeitungsmeldungen haben UN-Beobachter diesen Vorgang verfolgt. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die UN-Beobachter hätten einschreiten und den Versuch unternehmen müssen - natürlich ohne Gewaltanwendung - , die Zwangsdeportationen nicht unter den Augen der UNO - ich will das bewußt so politisch formulieren - stattfinden zu lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann diese Frage aus der Sicht der Bundesregierung nicht beantworten, weil ich der Meinung bin, daß wir hier schlecht berurteilen können, in welchem Zusammenhang UN-Beobachter hätten eingreifen können oder nicht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine zweite Zusatzfrage, Kollege Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind der Bundesregierung vor diesem Vorfall Zwangsdeportationen bekannt gewesen, und, falls ja, hat sie dagegen interveniert?

Not found (Gast)

Ich kann mich bei Ihrer Frage nur auf die Zwangsdeportationen beziehen, die uns bekannt geworden sind. Wir haben, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, sofort reagiert. Ich kann mich aber nicht auf Vermutungen über andere Deportationen einlassen. Wir wußten von anderen Menschenrechtsverletzungen, über die ich bei der Beantwortung Ihrer zweiten Anfrage gleich berichten kann.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, die Iraker sind abgeschoben worden. Haben eigentlich die Palästinenser die Möglichkeit auszureisen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, hier geht es um Abschiebungen, die durch Maßnahmen der kuwaitischen Regierung zwangsweise erfolgt sind. Ihre Frage bezieht sich jetzt auf die Möglichkeit der Ausreise von Palästinensern. Das ist meiner Ansicht nach zwar kein identischer Sachzusammenhang, aber Palästinenser können, soviel mir bekannt ist, aus Kuwait ausreisen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Keine weiteren Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Dringliche Frage 2 des Kollegen Dr. Kübler auf: Wird die Bundesregierung, die zur Befreiung Kuwaits weit über 17 Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat, die massiven und massenhaften Menschenrechtsverletzungen der kuwaitischen Regierung ({0}) vor der UNO und mit den USA zur Sprache bringen mit dem Ziel, daß seitens der UNO, aber auch der USA, Maßnahmen ergriffen werden, die die kuwaitische Regierung veranlassen, diese Menschenrechtsverletzungen sofort einzustellen? Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Kollege Kübler, bereits am 28. April 1991 bei dem informellen Treffen der EG-Außenminister in Mondorf les Bains in Luxemburg hat Bundesminister Genscher die Lage der Menschenrechte in Kuwait zum Gegenstand der Erörterung im Kreise seiner europäischen Kollegen gemacht. Die Initiative mündete in eine gemeinsame Demarche, bei der die Zwölf der kuwaitischen Regierung ihre Besorgnis über die Lage der Menschenrechte in Kuwait deutlich machten. ({0}) - Herr Präsident, wenn auch die FDP-Fraktion diesen Ausführungen folgen könnte, wäre ich als FDP-Angehöriger ganz dankbar. Das ist ein Menschenrechtsproblem, das doch eine wichtige Rolle spielt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Staatsminister, ich greife diesen Hinweis auf. Meine Damen und Herren von der FDP, in der ersten Reihe findet bei Ihnen in der Tat eine Konferenz statt. Wenn Sie diese vielleicht verlegen oder unterbrechen könnten, damit der Staatsminister durchdringt.

Not found (Gast)

Ich selbst habe anläßlich der Sitzung der Außenminister des Golfkooperationsrates und der Europäischen Gemeinschaft am 11. Mai in Luxemburg unseren Standpunkt zu den Menschenrechtsverletzungen in Kuwait deutlich gemacht. Auf Weisung von Bundesminister Genscher wurde außerdem der kuwaitische Botschafter erstmals am 30. April 1991 und dann wieder nach den Berichten über die Verhängung von Todesstrafen in Kuwait am 17. Juni, also vorgestern, ins Auswärtige Amt einbestellt. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes trug ihm dabei die schweren Bedenken der Bundesregierung über die anhaltenden Verfolgungen, insbesondere von Palästinensern, und die ausgesprochenen Todesurteile vor. Die Bundesregierung erwartet, daß diese Todesurteile nicht vollzogen und daß keine weiteren ausgesprochen werden. Der kuwaitischen Regierung ist klargemacht worden, daß wir hierin eine Verletzung elementarer Menschenrechte sehen. Kuwait ist in einer internationalen Aktion befreit worden, um dem Lande wieder zu seinen vollen Rechten zu verhelfen. Es kann deshalb nicht hingenommen werden, daß dort jetzt Menschenrechte in dieser Form verletzt werden. Auch unser Botschafter in Kuwait hat mehrmals bei der kuwaitischen Regierung interveniert, um ihr die zunehmende Besorgnis der deutschen Regierung und Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen in Kuwait vorzutragen. Zuletzt hat Botschafter Mulack am 17. Juni im Anschluß an die Berichte über die Verhängung weiterer Todesurteile und die Abschiebung von Irakern in den südlichen Irak gegenüber Kronprinz und Premierminister Scheich Saad al Sabah die Betroffenheit der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Bei allem Verständnis für die Leiden des kuwaitischen Volkes unter der irakischen Besetzung können wir diese Maßnahmen nicht hinnehmen. Schließlich hat das Auswärtige Amt am 18. Juni, also gestern, unsere Ständige Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York angewiesen, den Vereinten Nationen uns vorliegende neue und zuverlässige Informationen über anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Kuwait zu unterbreiten. In gleicher Weise erhielt die deutsche Botschaft in Washington Weisung, die US-Regierung zu unterrichten. Darüber hinaus legte die Bundesregierung am 18. Juni den zwölf EG-Partnern in Kuwait gewonnene zuverlässige Informationen über aktuelle Menschenrechtsverletzungen vor. Die Bundesregierung - lassen Sie mich das in diesem Zusammenhang sagen - legt großen Wert darauf, daß sich die internationale Staatengemeinschaft, deren gemeinsames Handeln ausschlaggebend für die erfolgreiche Abwehr des irakischen Überfalls auf Kuwait war, mit der gleichen Geschlossenheit für die Einhaltung der Menschenrechte in Kuwait einsetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Kollege Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich dies sagen darf: Ich bin für den letzten Satz sehr dankbar. Sind Ihnen Zahlen über Todesurteile, über vollstreckte Todesurteile und über Inhaftierte bekannt?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen jetzt keine genauen Zahlen angeben, bin aber gerne bereit, nachprüfen zu lassen, was uns an Zahlen bekannt ist.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre zweite Zusatzfrage.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine zweite Frage geht dahin: Wird sich die Bundesregierung bemühen - gegebenenfalls gemeinsam mit anderen Ländern - , zu ermöglichen, daß amnesty international dorthin fahren und sich vor Ort informieren kann?

Not found (Gast)

Ich halte es für gut, wenn amnesty international im Zusammenhang mit den von mir eben bereits ausgeführten Maßnahmen diese Möglichkeit bekommt. Amnesty international ist die Organisation, die weltweit die Möglichkeit hat, vor Ort neutral zu prüfen und Vorwürfe zu untersuchen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage des Kollegen Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Angesichts von Informationen über nicht rechtsstaatlich zustande gekommene Urteile möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, wie die Sondergerichte in Kuwait zusammengesetzt sind, die jetzt die Urteile fällen, und ob es nach Auffassung der Bundesregierung in Kuwait überhaupt eine rechtsstaatliche Strafgerichtsbarkeit gibt.

Not found (Gast)

Herr Kollege, uns ist von kuwaitischer Seite immer wieder versichert worden, daß nach der Beendigung des Überfalls des Irak und nach der Wiederherstellung der Autonomie Kuwaits Reformen erfolgen sollten. Ich selbst habe während des Golfkrieges eine Delegation von Oppositionellen aus Kuwait empfangen, die ihrer Hoffnung Ausdruck gegeben haben, daß dort nach Beendigung des Krieges die Demokratie hergestellt werden könnte. Wir haben diese Hoffnung weiterhin und sind der Meinung, daß die Regierung in Kuwait ihren Versprechungen zur Herstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie jetzt Taten folgen lassen sollte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, daß Sie mit den anderen Regierungen über die Botschafter Kontakt aufgenommen haben. Ist schon bekannt, ob andere Regierungen interveniert oder ob internationale Maßnahmen, Gespräche oder Proteste stattgefunden haben? Helmut Schäfer, Staatminister: Da ein Teil unserer Maßnahmen erst in dieser Woche erfolgen konnte, gehe ich davon aus, daß weitere internationale Bemühungen einsetzen werden. Wir haben auch die Vereinten Nationen eingeschaltet und sind in Gesprächen mit unseren Nachbarstaaten. Ich glaube, daß dort die Entwicklung in Kuwait genauso kritisch gesehen wird wie bei uns. Ich erinnere mich, daß bei dem Treffen mit den Außenministern der Golf-Kooperationsstaaten, bei dem der kuwaitische Außenminister anwesend war, auch von Kollegen aus der Europäischen Gemeinschaft entsprechende Fragen gestellt worden sind. Davon kann man also ausgehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Dazu keine weiteren Zusatzfragen. Dann, Herr Staatsminister, darf ich mich bei Ihnen bedanken. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Vizepräsident Hans Klein Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Bernd Schmidbauer erschienen. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Karl Stockhausen auf: Ist die Bundesregierung bereit, den durch die Verwendung von „Kieselrot" aus den ehemaligen Hermann-Göring-Werken in Marsberg ({0}) beim Bau von Freizeitanlagen betroffenen Kommunen finanziell zu helfen? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Kollege Stockhausen, auf Ihre Frage darf ich wie folgt antworten: Die Beseitigung von Bodenkontaminationen aus der Kriegszeit ist, soweit es sich nicht um bundeseigene Grundstücke handelt, eine Aufgabe, die nach Art. 30 und 104 a des Grundgesetzes als ordnungsbehördliche Aufgabe den Bundesländern obliegt. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bund verpflichtet ist, den Ländern die Aufwendungen für Kriegsfolgelasten zu erstatten, richtet sich nach einer auf die fünfziger Jahre zurückgehenden Staatspraxis, die bei der Neufassung des Art. 120 des Grundgesetzes in den Jahren 1965 und 1969 als fortgeltende Kostenverteilungsregelung zugrunde gelegt worden ist. Nach § 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes sind sämtliche Ansprüche gegen das Deutsche Reich und die anderen dort genannten Rechtsträger erloschen, soweit sie nicht durch besondere Bestimmungen aufrechterhalten wurden. Nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 des von mir erwähnten Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes in Verbindung mit § 1004 BGB hat der Bund den Ländern die Kosten für die Beseitigung solcher Gefahren zu erstatten, die von Sachen ausgehen, die Eigentum des Deutschen Reiches oder eines anderen in § 1 AKG genannten Rechtsträgers waren. Auf Grund dieser Staatspraxis ersetzt der Bund den Ländern z. B. die Kosten für die Beseitigung ehemals reichseigener Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaften. Nicht erstattungsfähig - das zielt auf Ihre Frage ab - sind die Beseitigungskosten für Sachen im Eigentum anderer natürlicher oder juristischer Personen. Dies gilt auch für chemische Stoffe, deren Eigentümer Unternehmen waren, an denen das Deutsche Reich beteiligt war, z. B. die Hermann-GöringWerke. Maßgebend für eine Kostenerstattungspflicht nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 AKG ist, daß das Deutsche Reich selbst Eigentum an den in Betracht kommenden chemischen Stoffen gehabt hat. Ansprüche gegen das Deutsche Reich können auch nicht im Wege der Durchgriffshaftung begründet werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, das war natürlich ein Überrollen mit vielen Paragraphen. Dem kann man im Moment gar nicht folgen. Klar ist doch, daß die Hermann-Göring-Werke Reichseigentum waren, daß die Betroffenen nach 1945 Abfall aus dem Kupferbergwerk in dem Glauben benutzt haben, sehr billig Sportplätze, Laufflächen oder andere Einrichtungen mit diesem Kieselrot aufzuschütten. Heute stellt sich heraus, daß sie dioxinbelastet sind und daß enorme Aufwendungen, und zwar von den Kommunen, aber auch von Vereinen, notwendig sind, das Kieselrot zu beseitigen. Gibt es, abgesehen von Paragraphen, keinen Ermessensspielraum, daß der Bund ohne gesetzliche Verpflichtung bemüht ist, den Kommunen zu helfen?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Kollege Stockhausen, ich habe Ihnen die Rechtspraxis hier dargestellt, sehr theoretisch und für Sie auch zum Nachvollziehen. Ich darf Ihnen aber gleichzeitig sagen, daß wir vor wenigen Tagen gemeinsame Handlungsempfehlungen für diese belasteten Flächen zusammen mit den Ländern erstellt haben und daß es darüber hinaus weitere Besprechungen gemeinsam mit den Ländern gibt, um nach Lösungen in diesem Bereich zu suchen. Aber im Augenblick ist die Rechtspraxis so, daß der Bund keine finanziellen Hilfestellungen geben kann.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfrage.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann ich aus der letzten Formulierung entnehmen, daß in Fortführung der begonnenen Gespräche eventuell doch noch Hilfe vom Bund zu erwarten ist?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Das kann ich Ihnen so nicht beantworten. Aber Sie können davon ausgehen, daß wir bereit sind, im Zusammenhang mit der Sanierung dieser Flächen - dies wird eine große Aufgabe für die Länder darstellen - jeden Einzelfall entsprechend zu prüfen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, eine Zusatzfrage.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben in der gemeinsamen Sitzung des Sportausschusses und des Umweltausschusses damals ausgeführt, daß es möglich sei, eventuell über die Abfallabgabe zu einer Bundesfinanzierung zu kommen. Halten Sie diese Aussage aufrecht?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Frau Kollegin, ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar. Wir haben bei dieser Ausschußsitzung eine Möglichkeit aufgezeigt, wie Bund und Länder gemeinsam in dieser Frage zu neuen Finanzierungsmechanismen kommen können - Sie haben dort auch gehört, daß eines der anwesenden Länder, Nordrhein-Westfalen, dies bereits aufgegriffen hat - , mit denen wir in der Lage wären, über einen gemeinsamen finanziellen Beitrag durch eine solche Abfallabgabe solche Dinge als Altlasten, um den Begriff zu verwenden, zu finanzieren. Diese Aussage steht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Stockhausen auf: Ist die Bundesregierung bereit, bei den ihr direkt oder indirekt zugeordneten Dienststellen ({0}) Hydrauliköl auf biologischer Basis ({1}) einzusetzen, um die Belastung der Umwelt zu vermindern? Vizepräsident Hans Klein Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Kollege Stockhausen, die Substitution von Schmierstoffen und Ölen auf Mineralölbasis durch biologisch schnell abbaubare Öle auf Pflanzenbasis, z. B. Rapsöl, ist ein wichtiger Beitrag zum Boden- und Gewässerschutz und trägt darüber hinaus zur Verminderung klimarelevanter Spurengasemissionen bei. Dieser Substitutionsprozeß wird von uns mit Hilfe des Umweltzeichens gefördert. Für Kettenschmierstoffe für Motorsägen und für Schmieröle, Schmierfette und Trennmittel auf pflanzlicher Basis hat die „Jury Umweltzeichen" bereits entsprechende Umweltzeichen vergeben. Für den Bereich der Hydrauliköle wird zur Zeit der Entwurf einer Vergabegrundlage für ein Umweltzeichen erarbeitet. Die technischen Anforderungen an Hydrauliköle sind jedoch komplexer als die an die von mir eben erwähnten Einsatzmittel. Es ist davon auszugehen, daß die Vergabegrundlagen für ein Umweltzeichen für biologisch schnell abbaubare Hydraulikflüssigkeiten bis Ende 1991 vorliegen. Die Vergabe eines Umweltzeichens ist dann für Anfang 1992 zu erwarten. Wir sind dann grundsätzlich bereit, den Beschaffungsstellen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der privaten Wirtschaft den Einsatz pflanzlicher Hydrauliköle zu empfehlen. Voraussetzung ist allerdings, daß die entsprechenden Pflanzenöle den technischen Anforderungen entsprechen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Stockhausen.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Beantwortung beider Anfragen. Ich habe noch eine Zusatzfrage. Es ging mir darum, ob der Bund bereit ist, wenn diese Anforderungen, wie Sie sagten, entsprechend sind, die Hydrauliköle in seinen Zuständigkeitsbereichen einzusetzen, also nicht nur zu prüfen, sondern auch dafür zu sorgen, daß sie dort eingesetzt werden, wo der Bund zuständig ist.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Wir sind bereit, Herr Kollege Stockhausen, direkt oder indirekt zugeordneten Dienststellen solche Hinweise zu geben und das 01 dann einzusetzen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, dann bedanke ich mich für die Beantwortung der beiden Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Angela Stachowa auf: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung zum Umgang mit der freischaffenden künstlerischen Intelligenz der ehemaligen DDR in bezug auf eine sozial-gerechte Rentenregelung, die auch die in der Vergangenheit gezahlten Beiträge - einschließlich der Freiwilligen Rentenversicherung ({0}) - berücksichtigt, und wie gedenkt sie diese berechtigte Forderung in das Renten-Überleitungsgesetz einfließen zu lassen? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Danke schön, Herr Präsident! Frau Kollegin Stachowa, die Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen regelt der Entwurf eines Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets nach dem Art. 3 des Entwurfs eines Renten-Überleitungsgesetzes. Dort ist dies über mehrere Seiten mit Anlagen, die ich hier nicht alle vortragen kann, ausführlich dargelegt. Das können Sie bitte nachvollziehen. Zu Ihrer konkreten Frage will ich weiter ausführen: In den Geltungsbereich dieses Gesetzes sollen auch die Zusatzversorgungssysteme der freiberuflich tätigen Mitglieder des Schriftstellerverbandes sowie des Verbandes bildender Künstler einbezogen werden. - Danach hatten Sie im wesentlichen gefragt. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen stellen nicht auf die Beitragszahlung ab. Die Rentenberechnung soll vielmehr nach den Regelungen des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches auf der Grundlage des im Erwerbsleben erzielten Einkommens erfolgen. Die aus dieser Berechnung ermittelte Rente löst die bisherigen Leistungen aus der Rentenversicherung und dem Zusatzversorgungssystem bzw. die Leistung aus dem Sonderversorgungssystem ab. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Beitragszahlung des von Ihnen genannten Personenkreises zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung, also FZR, unberücksichtigt bleibt. Der Gesetzentwurf ermöglicht es über eine entsprechende Verordnungsermächtigung, für diese Personen Leistungen in gleicher Höhe zu erbringen, als wenn sie ausschließlich in der Sozialpflichtversicherung und der FZR versichert gewesen wären. Die von diesen Personen geleisteten Beiträge bewirken also, daß ihre Entgelte und Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze des Sechsten Sozialgesetzbuches, d. h. grundsätzlich bis zum 1,8fachen des Durchschnittsentgelts, berücksichtigt werden können, während ohne solche Beitragsleistungen nur eine Berücksichtigung bis zur wesentlich niedrigeren Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherungspflicht der ehemaligen DDR - nämlich bis 600 Mark - möglich wäre.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Stachowa, Sie haben zwei Zusatzfragen.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich danke.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es Zusatzfragen von seiten der übrigen Mitglieder des Hauses? - Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, verbindlichen Dank. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen ist der Vizepräsident Hans Klein Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl erschienen. ({0}) Für die Fragen 5 und 6 des Kollegen Tappe ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 7 der Frau Abgeordneten Ulrike Mehl auf: Sieht die Bundesregierung in dem von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion, dem Land Niedersachsen, der Bezirksregierung Weser-Ems, dem Landkreis Emsland und der Stadt Papenburg erarbeiteten Kompromiß zum Ausbau der Ems unter Einbeziehung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für tragfähig, und sind bzw. werden dafür Bundesmittel zur Verfügung gestellt? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Frau Kollegin Mehl, die Bundesregierung sieht jede einvernehmliche Lösung zur Anpassung der unteren Ems als tragfähig an, um dem Werftenstandort Papenburg im Emsland eine langfristige Perspektive zu geben. Nach der gesetzlichen Lage entscheidet die Planfeststellungsbehörde unter Einbeziehung der Umweltverträglichkeitsprüfung über diese Maßnahme. Im Bundeshaushalt 1991 sind Mittel für diese Maßnahme enthalten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Mehl, eine Zusatzfrage.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist dieses Einverständnis allen an dem Verfahren Beteiligten bekannt? Denn das war ja mal eine Zeitlang umstritten. Dies steht auch in der Frage.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Das Einvernehmen wird sich herausstellen, wenn der Planfeststellungsbeschluß erlassen ist und von niemandem angefochten wurde.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Ulrike Mehl auf: Hält der Bundesminister für Verkehr, Dr. Günther Krause, es für den richtigen Stil, auf mein Schreiben an ihn erst nach acht Wochen, bei mehrmaliger Nachfrage, zu reagieren, und lehnt Bundesminister Dr. Günther Krause die Annahme der Unterschriftenliste zur Erhaltung des Wasserstraßenmaschinenamtes Rendsburg ab? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte schön.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Frau Kollegin Mehl, Bundesminister Krause hat die Beantwortung Ihres Schreibens an mich übertragen. Ich bedaure, daß Ihr Schreiben erst nach sechs Wochen beantwortet wurde. ({0}) Im Hinblick auf die Frage nach der Annahme der Unterschriftenliste möchte ich Ihnen anbieten, daß wir im Anschluß an dieses Zwiegespräch einen Termin vereinbaren, bei dem wir uns auch über die Problematik des Betriebes in Rendsburg unterhalten können.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sagten gerade, daß Sie es bedauern, daß es so lange gedauert habe. Ich habe ja auch ganz geduldig sechs Wochen gewartet, aber dann war meine Geduld am Ende, und wir haben sodann sehr intensiv nachgefragt. Wie lange dauert es denn schätzungsweise, wenn man nicht intensiv nachfragt? Ab wann darf uns in bezug auf Ihr Haus der Geduldsfaden reißen?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Wir bemühen uns, die Schreiben in einer Frist zwischen zwei und vier Wochen zu beantworten. ({0}) - Ja, es gibt kompliziertere Sachverhalte; da muß man bei anderen Behörden nachfragen. Dann kann es schon einmal länger dauern.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine weitere Zusatzfrage, mit der Sie möglicherweise einen Zwischenbescheid einfordern wollen.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann ich davon ausgehen, daß es das nächste Mal - in diesem Fall brauchten Sie ja nicht so viel bei anderen nachfragen - schneller geht?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Ich werde mich sehr darum bemühen, Ihrem Wunsch gerecht zu werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, der Kollegin zu bestätigen, daß auch Abgeordnete der Koalition acht Wochen auf eine Beantwortung warten? ({0}) Ich darf an mein Schreiben an Sie zum Thema Elektrifizierung der Bahn in Schleswig-Holstein erinnern. Sind Sie bereit, in Ihrem Hause dafür zu sorgen, daß Abgeordnete zukünftig schneller eine Antwort erhalten, und sind Sie weiter bereit, der Kollegin Mehl zu bestätigen, daß ich, nachdem ich ebenfalls in Ihrem Hause mehrfach Klage darüber geführt habe, bereits am nächsten Tag eine Antwort bekam?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Es kann durchaus passieren, daß Schreiben in einer unangemessen langen Frist nicht beantwortet werden. Ich bitte, uns dies nachzusehen. Unser Bemühen ist sehr stark darauf ausgerichtet, dies nicht mehr vorkommen zu lassen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, es geht jetzt offenbar um ein sehr populäres Thema. ({0}) Der Kollege Bindig hat die nächste Zusatzfrage.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre es dem Verkehrsministerium vielleicht lieber, wenn wir in Zukunft alle Sachverhalte in Form von Fragen in die Fragestunde ein2600 bringen und nicht in Form von Briefen an Sie herantragen, weil man dann automatisch innerhalb von fünf oder sechs Tagen hier im Plenum eine Antwort bekommen muß?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Das bleibt vollkommen Ihnen überlassen, Herr Kollege.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Scheer, bitte.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es vielleicht denkbar, daß der Bundesminister für Verkehr überfordert ist?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Mit Sicherheit nicht. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich jetzt Frage 9 der Kollegin Ingrid Walz auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Verfassungsmäßigkeit von Nahverkehrsabgaben als Mittel der Verkehrslenkung in Ballungsgebieten als „Haltermodell", als „Einwohnermodell" und den damit verbundenen Einkünften für das Land? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Frau Kollegin Walz, angesichts der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes, nach der der öffentliche Personennahverkehr in den Zuständigkeitsbereich der Länder gehört, hat die Bundesregierung keinen Anlaß gesehen, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Nahverkehrsabgaben zu prüfen. Innerhalb der für die Beantwortung mündlicher parlamentarischer Anfragen vorgeschriebenen Zeit ist eine rechtlich abgesicherte Prüfung der damit verbundenen Fragen sicherlich auch nicht zu leisten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Walz, Zusatzfrage.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielleicht kann der Herr Staatssekretär jetzt auch die zweite von mir eingebrachte Frage beantworten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sie wollen, daß beide Fragen im Zusammenhang beantwortet werden? ({0}) - Dann rufe ich Frage 10 der Abgeordneten Ingrid Walz auf: Wann ist eine Nahverkehrsabgabe - gleichgültig in welcher Form - als Lenkungsabgabe zulässig, wenn keine öffentlichen Nahverkehrssysteme als Alternativen vorhanden sind oder z. B. von Behinderten nicht benutzt werden können? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte Sie, freundlicherweise auf dieses Begehren einzugehen.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Mit Vergnügen. - Frau Kollegin, die baden-württembergische Landesregierung hat zu den sehr komplexen Fragen der Zulässigkeit bzw. der Voraussetzungen für eine Nahverkehrsabgabe ein Rechtgutachten bei dem Münchener Rechtswissenschaftler Klaus Vogel in Auftrag gegeben. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die baden-württembergische Landesregierung das Ergebnis der Prüfung Interessierten zugänglich machen wird.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, Sie haben jetzt das Recht, vier Zusatzfragen zu stellen, aber Sie haben nicht die Pflicht, sie alle vier zu stellen.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich werde versuchen, davon nicht Gebrauch zu machen. - Teilen Sie die Ansicht sehr vieler, die sich sachkundig mit der Frage beschäftigen, daß die Länder und die Kommunen bei der Finanzierung von ökologisch nötigen Nahverkehrssystemen überfordert sind?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Der Vermittlungsausschuß hat, wie Kollege Struck vorhin dargelegt hat, eine wesentliche finanzielle Verbesserung durch den Bundeshaushalt für Länder und Kommunen beschlossen. Die Bundesregierung begrüßt dieses Ergebnis sehr.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die nächste.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich bin leider nicht im Besitz dieser Erkenntnisse. Vielleicht könnten Sie hier erklären, inwieweit die Kommunen und die Länder beim nötigen Ausbau ihrer Nahverkehrssysteme davon profitieren.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Die Mittel für das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, sind von einem derzeitigen Plafond, der bei 3,28 Milliarden DM liegt, für das Jahr 1992 um 1,5 und für das Jahr 1993 um 3 Milliarden DM aufgestockt. Das bedeutet eine erhebliche Verbesserung der Situation für den öffentlichen Personennahverkehr im Bereich der Kommunen und der Länder.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nummer 3.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich muß trotzdem nachfragen. Falls je eine Nahverkehrsabgabe, sei es in Form eines Haltermodells oder in Form eines Einwohnermodells, eingeführt werden soll: Sind damit Einkünfte für die Länder verbunden, und ist eine solche Abgabe verfassungsgemäß?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Genau diese Frage sollte der Verfassungsrechtler Klaus Vogel untersuchen. Mir ist das Ergebnis dieser Untersuchung nur über Pressemitteilungen bekannt. Bekannt ist aber, daß Mittel, die durch eine Abgabe eingenommen werden, zweckgebunden auszugeben sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nummer 4. Ingrid Walz ({0}): Ich verzichte darauf.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Der Kollege Bindig hat die nächste Zusatzfrage.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie in Ihrer Antwort so bestimmt gesagt haben, daß der ÖPNV in die Zuständigkeit der Länder gehört, möchte ich Sie fragen, ob das einhellig geklärt ist oder ob es dazu nicht andere Auffassungen gibt, insbesondere beim Schienenpersonennahverkehr, aber auch allgemein beim ÖPNV, nämlich in der Form, daß sich die anderen politischen Ebenen teilweise dagegen verwahren, den ÖPNV vom Bund voll als Verpflichtung zugesprochen zu bekommen.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Hierzu gibt es eine Aussage der Bundesregierung. In dem ÖPNV-Bericht, in dem auch etwas über die Zuständigkeiten festgelegt ist, heißt es: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe auf dem Gebiet des ÖPNV ist grundsätzlich Sache der Länder. Das ist die Bestätigung meiner Aussage. Dann kommt die Einschränkung: Der Bund hat nach Art. 73 Abs. 6 GG die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für die Bundeseisenbahnen - danach hatten Sie gefragt und nach Art. 74 Abs. 22 und 23 GG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für den Straßenverkehr und die Schienenbahnen, die nicht Bundeseisenbahnen sind. In der Tat bestätige ich, was Sie gefragt haben: Für die Bundeseisenbahnen ist der Bund zuständig.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Dr. Margrit Wetzel.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, im „Handelsblatt" vom 6. Juni wird der Bundesminister Krause mit der Aussage zitiert: Es wäre jetzt auch im Hinblick auf die Lage der Städte und Gemeinden in den alten Bundesländern an der Zeit, über die Aufhebung der Plafondierung nachzudenken. Können Sie diese Aussage bestätigen? Ist das, nachdem wir den Haushalt 1991 beschlossen haben, in dem die Forderung der SPD-Fraktion abgelehnt wurde, jetzt der Anlaß, daß neu darüber nachgedacht wird und wir schon für den Haushalt 1992 von dieser Aussage ausgehen können?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Wir haben über diese Aussage nicht nur nachgedacht, sondern wir haben im Vermittlungsausschuß bereits gemeinsam gehandelt und eine deutliche Verbesserung erzielt, was eine Beendigung der Plafondierung bedeutet.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Sie haben noch einen Schuß frei, Frau Kollegin Walz. Sie können noch eine Zusatzfrage stellen.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte den Herrn Staatssekretär doch noch fragen, ob die Plafondierung zum Ausbau des Nahverkehrs in den verschiedenen Ballungsgebieten der Bundedsrepublik ausreicht oder ob nicht eine Erhöhung der Mineralölsteuer, zweckgebunden ausgegeben, für den Ausbau des Nahverkehrs nötig wäre.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Es läuft auf dasselbe Ergebnis hinaus, Frau Kollegin, ob man eine Zweckbindung der Mineralölsteuer in einer bestimmten Höhe festsetzt oder einen absoluten Betrag für denselben Zweck in den Haushalt einstellt. Der Vermittlungsausschuß bzw. Bundesregierung und Bundesrat haben sich für den zweiten Weg entschieden. Ich sehe darin keine Schlechterstellung gegenüber einer Zweckbindung der Mineralölsteuer.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Schily, bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Gröbl, wir sind uns wahrscheinlich doch einig darin, daß gerade in Ballungsgebieten die Verbesserung des ÖPNV eine vorrangige Aufgabe ist und daß das häufig an mangelnder Finanzmasse scheitert. Aus Ihren heutigen Antworten kann ich nicht so ganz klar erkennen, was Ihr Konzept ist, die finanzielle Situation des öffentlichen Personennahverkehrs in Ballungsgebieten zu verbessern. Ich möchte das vielleicht noch mit einem besonderen Hinweis auf den Ballungsraum München und Umgebung verknüpfen, aus dem man z. B. hört, daß rollendes Material entweder nicht verbessert wird oder sogar abgezogen werden soll und ähnliches.

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Zum ersten Teil der Frage: Herr Kollege Schily, wir sind uns weiß Gott nicht allzuoft einig, aber in dieser Frage schon. Zum zweiten Teil: Unser Konzept ist ganz einfach, deutlich mehr Geld für Länder und Kommunen für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Wir sind deshalb dankbar, daß dieses Ergebnis im Vermittlungsausschuß erreicht wurde. Diese Verbesserung betrifft natürlich den Ballungsraum München wie auch die anderen Ballungsräume, und auch auf die Fläche wird es positive Auswirkungen haben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Nachdem die München-Connection zum Zuge gekommen ist, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, möchte ich die Frage stellen, ob Sie bestätigen können, daß der Anteil der Investitionsmittel aus der Mineralölsteuer für Ballungszentren bei ungefähr 94 % liegt und daß der ländliche Raum dazu beiträgt, daß auf diese Art und Weise vor allen Dingen der Personennahverkehr in den Ballungszentren entscheidend verbessert wird?

Wolfgang Gröbl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000732

Diese Zahl kann ich nicht bestätigen. Dagegen ist richtig, daß wir beim ÖPNV nicht nur die Ballungszentren, sondern auch den ländlichen Raum im Auge behalten müssen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es zu dieser letzten Frage noch eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Herzlichen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Jürgen Echternach erschienen. Vizepräsident Hans Klein Die Fragen 11 und 12 der Kollegin Dr. Christine Lucyga sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Schily auf : Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gesamtkosten der durchgeführten und noch durchzuführenden Maßnahmen zur Asbestsanierung in öffentlichen und privaten Gebäuden der Bundesrepublik Deutschland? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Schily, die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, die Höhe der Gesamtkosten der durchgeführten und noch durchzuführenden Maßnahmen zur Asbestsanierung in öffentlichen und privaten Gebäuden zu schätzen. Die dazu notwendigen umfangreichen und schwierigen Erhebungen und Untersuchungen liegen weder beim Bund noch bei den für das Bauen zuständigen Bundesländern vor. Erhebungen einzelner Hochbauverwaltungen wie z. B. der Deutschen Bundespost oder Einzelangaben zu den Kosten bisher durchgeführter oder veranschlagter Sanierungsmaßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundesbauministeriums haben für die Gesamtsituation der öffentlichen Gebäude keine Aussagekraft, die ja zum überwiegenden Teil Kommunaloder Landesbauten sind. Für den privaten Bereich sind derartige Erfassungen ohnehin nicht möglich, weil dafür eine Begehung und Untersuchung mindestens aller bis 1978 errichteten Privatgebäude notwendig wäre.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schily, Zusatzfrage.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß es notwendig wäre, solche Zahlen zu erarbeiten, und sehen Sie Möglichkeiten, solche Zahlen in Zukunft zu eruieren? Denn ich könnte mir vorstellen, daß auch Sie die Auffassung teilen, daß ja in sehr breitem Umfang solche Sanierungsmaßnahmen notwendig geworden sind und mit Sicherheit auch schon sehr kostenaufwendig waren und daß die Politik in der Zukunft doch darauf gerichtet sein sollte, solchen Reparaturbedarf zu vermeiden? Wenn man das im Kopf hat, sollte man sich vielleicht auch Erkenntnisse darüber verschaffen, welche Größenordnungen zur Debatte stehen.

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Schily, wir sind uns einig, daß die Politik alles tun muß, um solche Bauschäden und Gesundheitsschäden, wie sie aufgetreten sind, zu vermeiden. Aus diesem Grunde ist schon seit 13 Jahren die Verwendung des hier besonders relevanten Spritzasbestes untersagt. In der Zwischenzeit sind weitere Verordnungen erlassen worden, die letzte Verordnung erst vor wenigen Wochen von der Bundesregierung, durch die auch jeder Handel mit asbesthaltigen Produkten untersagt wird, so daß über den Verordnungsweg sichergestellt ist, daß Bauschäden und Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit Asbest nicht mehr auftreten können. Nichtsdestoweniger bleibt die Frage der Sanierung, die schon seit vielen Jahren Bund und Länder gemeinsam beschäftigt. Wir haben schon vor fünf Jahren von seiten des Bundes gemeinsam mit der ARGE Bau, der Vereingiung der Länderbauminister, eine Schrift über die Sanierung der Asbestschäden in den öffentlichen Bauten herausgegeben. Die Sanierung ist bereits in vollem Gange. Eine Kostenschätzung stößt aber auf die Schwierigkeiten, die ich eben dargelegt habe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen ziehen Sie denn aus dem Vorgang überhaupt, wenn Sie nun schon kein Zahlenmaterial haben und ein bißchen im Nebel stochern und wir uns darüber einig sind, daß es ein Schaden großen Ausmaßes ist, wie immer man ihn definiert, für die Frage, welche Baustoffe man zulassen soll, welche Kennzeichnungspflichten eingeführt werden sollen usw.?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Schily, es gibt Institute, die Baustoffe auf ihre Verwendbarkeit und ihre gesundheitliche Unschädlichkeit prüfen. Die Schäden, die im Zusammenhang mit Asbest aufgetreten sind, sind allerdings nicht vorhergesehen worden. Als sie auftraten, ist sehr bald - im Jahre 1978 - eine Verwendung des Spritzasbestes untersagt worden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Professor Diederich.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn es, was einzusehen ist, schon schwierig ist, einen Gesamtüberblick zu haben: Haben Sie denn wenigstens einen Überblick über Anzahl bzw. Anteil der asbestverseuchten Gebäude und über die notwendigen Kosten der Sanierung der bundeseigenen Gebäude, einschließlich der Gebäude, die von Bundesorganen usw. gebraucht werden?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Es gibt in Einzelbereichen Untersuchungen, z. B. im Bereich der Post. Es gibt keine Gesamtuntersuchung für alle Bauten, die im Eigentum des Bundes stehen. Jedenfalls kenne ich solche Zahlen im Moment nicht. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Dann rufe ich die Frage 14 des Abgeordneten Jürgen Koppelin auf: Inwieweit werden im Rahmen der Stadt- und Dorfsanierung und beim städtebaulichen Denkmalschutz im Rahmen des Gemeinschaftswerkes „Aufschwung Ost" in den einzelnen neuen Bundesländern die Sanierung bzw. Renovierung von Gastronomiebetrieben berücksichtigt? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung.

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Koppelin, die Durchführung von Baumaßnahmen im Rahmen von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen ist regelmäßig Angelegenheit der privaten Eigentümer. Nach § 177 des Bundesbaugesetzes hat der Eigentümer von baulichen Anlagen die Kosten für die Modernisierung oder Instandsetzung grundsätzlich selbst zu tragen, auch wenn sie von der Gemeinde wegen vorliegender städtebaulicher Mißstände angeordnet worden ist. Allerdings kann die Gemeinde Zuschüsse für sogenannte unrentierliche Leistungen aus dem Städtebauförderungsprogramm gewähren. Diese Regeln gelten auch für das Sonderprogramm zum städtebaulichen Denkmalschutz im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost. So kann die Gemeinde auch für Gebäude, in denen sich gastronomische Einrichtungen befinden, Zuwendungen aus Städtebauförderungsmitteln bewilligen, wenn es sich, z. B. bei denkmalgeschützten Gebäuden, um bauliche Teilleistungen handelt, die aus städtebaulichen oder denkmalpflegerischen Gründen erforderlich sind, die jedoch dem Eigentümer wegen Unrentierlichkeit sonst nicht zugemutet werden könnten. Der vom Eigentümer zu tragende Kostenanteil wird dabei nach der Durchführung der Modernisierungsoder Instandsetzungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Erträge ermittelt, die für die modernisierte oder instandgesetzte bauliche Anlage bei ordentlicher Bewirtschaftung nachhaltig erzielt werden können. Im Einzelfall kann zwischen Gemeinde und Eigentümer eine Pauschale für die Kostenerstattung vereinbart werden. Wie bei allen städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen gilt auch hier, daß der Bund auf die Auswahl der zu fördernden Einzelmaßnahmen keinen Einfluß hat. Diese Auswahl ist allein Sache der Länder.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Koppelin, Zusatzfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wieviel Mittel für die neuen Bundesländer für die Städtesanierung zur Verfügung gestellt werden? Können Sie uns auch sagen, ob diese Mittel von den Ländern abgerufen werden?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Koppelin, wir geben den neuen Bundesländern über vier verschiedene Wege Mittel für die Stadterneuerung: einmal direkt in der allgemeinen Form der Stadterneuerungsmittel, wie wir sie auch im Westen kennen, mit einem Volumen von 300 Millionen DM, dann für den städtebaulichen Denkmalschutz in einer Höhe von 180 Millionen DM, dann für städtebauliche Planungsleistungen in Höhe von 50 Millionen DM und schließlich Mittel für Modellvorhaben der Stadterneuerung in einer Größenordnung von 100 Millionen DM per anno.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, wann Ihr Haus bereit ist zu überprüfen, ob diese Mittel ausreichend sind?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Wir haben von seiten der Regierungen der Beitrittsländer gehört, daß die Finanzausstattung ausreichend sei. Die Frage, inwieweit diese Mittel abfließen, läßt sich natürlich erst im Laufe des Jahres beantworten. Für den Fall, daß sie nicht abfließen sollten, ist durch einen entsprechenden Haushaltsvermerk, den der Bundestag beschlossen hat, vorgesehen, daß sie dann auch in den westlichen Bundesländern eingesetzt werden können.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nächste Zusatzfrage, Kollege Dr. Olderog.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß aus diesem Programm bisher praktisch keine Mittel abgeflossen sind, und teilen Sie die in den neuen Ländern vielfach geäußerten Bedenken, daß wegen der Kompliziertheit und der Unübersichtlichkeit dieser Programme damit gerechnet werden muß, daß der weitaus größte Teil dieser Mittel 1991 überhaupt nicht in Anspruch genommen werden wird?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Herr Kollege Olderog, wir haben schon vor dem Haushaltsbeschluß mit den Regierungen der neuen Länder die notwendigen Verwaltungsvereinbarungen ausgehandelt und haben sie den Regierungen der neuen Länder zugesandt. Sie sind inzwischen samt und sonders von den Länderregierungen beschlossen und unterzeichnet worden; die letzten sind Ende Mai in Kraft getreten, so daß die Verwaltungsvereinbarungen stehen. Was nicht überall steht, sind die Förderrichtlinien, nach denen die Länder diese Mittel im. Einzelfall vergeben. Viele Länderregierungen haben diese Förderrichtlinien zu den vier verschiedenen Programmen, von denen ich gesprochen habe, bereits erstellt und auf dieser Basis auch schon Bewilligungen ausgesprochen. Erfahrungsgemäß - das zeigt die Städtebauförderung im Westen - fließen die Mittel nicht schon im gleichen Jahr ab, in dem sie bewilligt werden. Sie fließen vielmehr in der Regel über einen längeren Zeitraum hinweg. Entscheidend ist aber, daß die Mittel noch in diesem Jahr bewilligt werden. Ich wage jetzt keine Prognose, inwieweit dies tatsächlich in den nächsten Monaten gelingt. Für den Fall, daß dies bis zum Spätherbst nicht gelingen sollte, verfallen die Mittel nicht automatisch - davon habe ich eben gesprochen -; es ist vielmehr durch den entsprechenden Haushaltsvermerk, den der Bundestag beschlossen hat, vorgesehen, daß sie dann in den westlichen Bundesländern eingesetzt werden können.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Feldmann, Sie haben die nächste Zusatzfrage.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie meiner Feststellung zustimmen, daß die Betriebe des Hotel- und Gaststättengewerbes oft das Image einer Stadt wesentlich prägen, ja meist Aushängeschild eines Ortes sind, und können Sie meiner Schlußfolgerung folgen, daß sie deswegen auch eine besondere Förderung verdienen?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Ich würde dem uneingeschränkt zustimmen. Die Frage ist natür2604 lich nur, welche Fördertöpfe dafür in Frage kommen. Bei der städtebaulichen Sanierung geht es in erster Linie um städtebauliche Mißstände, deren Beseitigung normalerweise vom privaten Eigentümer zu finanzieren ist, jedenfalls soweit die dafür notwendigen Kapital- oder Bewirtschaftungskosten aus dem Objekt heraus finanziert werden können. Nur dann, wenn es sich um städtebauliche Mißstände handelt, bei denen die Gemeinde ein entsprechendes Modernisierungsgebot erläßt und eine nachhaltige Erwirtschaftung aus dem Objekt heraus nicht möglich ist, kommt eine Finanzierung aus den Mitteln für die städtebauliche Sanierung in Frage. Aber es gibt durchaus die Möglichkeit, dafür gegebenenfalls andere Förderhilfen in Anspruch zu nehmen. Ich denke hier insbesondere an Finanzhilfen, die der Wirtschaftsminister im Rahmen der Mittelstands- und Existenzgründungshilfen gewährt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmalz.

Ulrich Schmalz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001990, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß ein besserer Mittelabfluß zu erreichen wäre, wenn man bei den Komplementärmitteln eine geringere Eigenbeteiligung vorsähe?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Wir haben 1990, als wir andere Programme aufgelegt haben, einen niedrigeren Komplementäranteil der Gemeinden vorgesehen. Bei den Programmen für das Jahr 1991 legen wir dieselben Komplementäranteile für die Länder und Gemeinden im Beitrittsgebiet zugrunde, wie sie den Programmen hier im Westen zugrunde liegen. Wir glauben, daß wir mit den Beschlüssen, die Ende Februar zwischen dem Bund und den Regierungschefs der Länder vereinbart wurden, insgesamt für eine ausreichende Finanzausstattung im Beitrittsgebiet Sorge getragen haben, so daß auch die Länder und Gemeinden in der Lage sind, die entsprechenden Komplementärmittel aufzubringen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Situation in den alten Bundesländern und in den neuen Bundesländern vergleichbar? Können Sie sich vorstellen, daß die Situation nicht vergleichbar ist? Das ist eigentlich das Problem, das wir haben.

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Vergleichbar unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden Ausstattung der Länder und Gemeinden mit eigenen Komplementärmitteln - das müßte ja die Frage sein, denn die verfassungsrechtliche Zuständigkeitsverteilung für Fragen der Stadterneuerung ist im Beitrittsgebiet genau dieselbe wie im Westen. Primär ist die Stadterneuerung keine Aufgabe des Bundes, sondern eine Aufgabe, die in örtlicher Verantwortung zu erledigen ist, bei der der Bund jetzt im Beitrittsgebiet Finanzhilfen in dem gleichen Verhältnis gewährt, wie er sie auch den westlichen Bundesländern gibt. Entscheidend kann nur die Frage sein: Sind die neuen Länder in der Lage, die entsprechenden Komplementärmittel aufzubringen? Wir sind der Auffassung, daß mit den Beschlüssen, die wir Ende Februar gefaßt haben, diese Voraussetzungen auch im Beitrittsgebiet gegeben sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile jetzt dem Kollegen Türk das Wort zu einer Zusatzfrage.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß die Mittel für das Jahr 1991, die in Ostdeutschland wegen der Verwaltungsschwierigkeiten nicht in Anspruch genommen werden können - das könnte ja sein -, aber dringend gebraucht werden, auf das Jahr 1992 überschrieben werden?

Jürgen Echternach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000429

Der Haushaltsbeschluß des Parlaments sieht etwas anderes vor, Herr Kollege. Aber man kann sich vielerlei vorstellen, wenn das Parlament dies so beschließen will.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es zur Frage 14 des Kollegen Jürgen Koppelin weitere Zusatzfragen? - Dies ist nicht der Fall. Dann bedanke ich mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie braucht nicht aufgerufen zu werden, da die Fragen 15 und 16 der Abgeordneten Ursula Burchardt und die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Edelgard Bulmahn auf Wunsch der Fragestellerinnen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Peter Repnik zur Verfügung. Die Frage 19 des Abgeordneten Dietrich Austermann soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Jürgen Augustinowitz auf: Welche Begriffsbestimmungen, Zusammenhänge bzw. Kriterien meint die Bundesregierung, wenn sie im Zusammenhang mit der Vergabe von Entwicklungshilfeleistungen von „ungerechtfertigt hohen Rüstungsausgaben" spricht? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Präsident, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich wegen der in der Frage angesprochenen Komplexität der Problematik etwas umfangreicher antworten muß. Übermäßige Rüstungsausgaben tragen zu den Haushaltsdefiziten einzelner Entwicklungsländer bei. Sie verringern den Spielraum für eine sich selbst tragende, eigenständige Entwicklung und verschlechtern somit auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklungszusammenarbeit. Eigenanstrengungen und entwicklungsfördernde Rahmenbedingungen sind somit ein entscheidendes Vergabekriterium unserer Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesregierung entwickelt mit wissenschaftlicher Unterstützung derzeit ein Verfahren zur Bewertung des Rüstungsumfangs eines EntwicklungslanParl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik des. Dazu dienen quantitative Kriterien, z. B. der Anteil der Militärausgaben an den staatlichen Ausgaben insgesamt und das Verhältnis von Militärausgaben zur Summe der Ausgaben für Gesundheit und Bildung. Dabei geht es um das relative Gewicht der Militärausgaben im Vergleich zum Entwicklungsstand des Landes und um das proportionale Gewicht im Vergleich zu anderen Ländern einer Region. Die quantitativen Daten können dann in eine qualitative Prüfung eingebracht werden. Hier spielt der Militarisierungsgrad eines Landes vor dem Hintergrund seiner Sicherheitsinteressen eine wichtige Rolle. Ein weiteres Kriterium ist die Bereitschaft des Landes, sich an internationalen Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und insbesondere über den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen zu beteiligen. Die Bundesregierung sieht es zwar nicht als ihre Aufgabe an, für die Entwicklungsländer eine Politik der Rüstungsbegrenzung zu definieren - sie bleibt souveräne Entscheidung der einzelnen Staaten -, dennoch hält die Bundesregierung es für geboten, bei ihrer Entscheidung über Art und Umfang der Entwicklungszusammenarbeit mit den jeweiligen Staaten Rüstungsausgaben als ein Element zu berücksichtigen. Darüber hinaus hat der Zusammenhang zwischen Rüstung und Entwicklung in den Politikdialog zwischen Geber- und Nehmerländern sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene bereits Eingang gefunden. Dabei wächst auch in den Partnerländern, in den Entwicklungsländern zunehmend die Einsicht, daß durch Einsparungen auf dem Gebiet der Rüstung Mittel für den Entwicklungsprozeß freigemacht werden müssen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vielen Dank für die ausführliche Beantwortung der Frage. Aber ein Punkt ist für mich offengeblieben: Wann, zu welchem Zeitpunkt ist mit der Vorlage dieser Kriterien zu rechnen?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Ich habe darauf hingewiesen, daß wir diese Kriterien unter Zuhilfenahme wissenschaftlichen Rates erarbeiten. Die ersten Ansätze, die wir schon erarbeitet haben, finden bereits Anwendung bei der Erarbeitung der Rahmenplanung, die wir derzeit vornehmen. Wir sind also bereits dabei, einen Teil dessen, was wir erarbeitet haben, umzusetzen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Könnten Sie sich vorstellen, daß wir im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit derzeit bei der Beratung des Haushalts 1992 eine Liste Ihres Hauses bekommen, aus der hervorgeht, bei welchen Ländern es auf Grund übermäßig hoher Rüstungsausgaben zu einer Kürzung gekommen ist?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Wir werden uns auf alle Fälle bemühen, auch diese Frage im Rahmen der Haushaltsberatungen transparent zu machen. Ich bin zu gegebener Zeit, wenn die Beratungen anstehen, selbstverständlich bereit, im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Rede und Antwort zu stehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage des Kollegen Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich begrüße zunächst, daß Sie den Versuch unternehmen, das Kriterium „übermäßige Rüstungsausgaben" zu operationalisieren, nachdem von der Bundesregierung jahrelang die Auffassung vertreten worden ist, das sei nicht möglich. Sie haben soeben gesagt, das solle bei der Entwicklungshilfe nach Art und Umfang berücksichtigt werden. In welche Richtung denken Sie, wenn Sie von Berücksichtigung sprechen? Denken Sie in Richtung auf eine Kürzung von Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern, oder denken Sie in der Richtung, die Zusammenarbeit nur noch auf bestimmte Projekte auszurichten?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Bindig, Sie kennen als erfahrener Entwicklungspolitiker ja den breiten Ansatz der Instrumente, die uns zur Verfügung stehen. Das erste - und da sind wir schon mitten in der ersten Phase der Implementierung dieser Gedanken - ist der Politikdialog. Es ist zuerst einmal wichtig, daß wir alle unsere Partner im Süden für dieses Thema sensibilisieren. Sie wissen selbst, daß entsprechende Erkenntnisse bei vielen unserer Partner noch längst nicht Allgemeingut sind. Daher ist der Politikdialog der erste Einstieg. Sie müssen wissen, daß wir dieses Kriterium bei der Erarbeitung unserer Länderkonzepte und - als Ausfluß dessen - bei der Zusage bestimmter Mittel verstärkt heranziehen werden. Ich glaube, wir müssen unseren Partnern die Chance geben, sich darauf einzustellen. In weiteren Schritten wird eine Verweigerung im Rahmen dieses Dialogs Konsequenzen haben. Dies kann ein Einschränken der Entwicklungszusammenarbeit sein; dies kann eine Umwidmung der Mittel sein; dies kann bedeuten, daß man stärker versucht, über Nicht-Regierungsorganisationen die Probleme vor Ort zu lösen. Das Instrumentarium ist vielfältig. Wir werden keine Facette auslassen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist der Handlungsspielraum der Bundesregierung bei der Reduzierung von Rüstungspotential in Entwicklungsländern nicht durch unsere bestehenden Kooperationsverträge eingeengt, und müßte man nicht ein Ziel der Bundesregierung darin sehen, daß bei künftigen Kooperationsverträgen auf die Entwicklungsländer besondere Rücksicht genommen wird, damit kooperative Rüstungsproduktionen für Entwicklungsländer reduziert werden?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Grünbeck, wir müssen hier differenzieren. Gegenstand der bisherigen Fragen war die Rüstungsent2606 wicklung in unseren Partnerländern unabhängig davon, woher diese Rüstungsgüter kommen, ob aus der Bundesrepublik Deutschland oder woher auch immer. Die Bundesregierung hat hier in der Vergangenheit immer eine ganz klare und restriktive Haltung eingenommen. Wir werden auch in Zukunft darauf achten, daß beim Rüstungsexport, der ja nicht zuletzt auf Grund der Beschlußlage des Deutschen Bundestags durch eine entsprechende Initiative der Bundesregierung eine noch größere Einengung erfahren soll, Partnerländer im Süden nicht bevorzugte Kunden für Rüstungsgüter aus der Bundesrepublik Deutschland oder in Kooperation mit anderen Ländern sein werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie vor, daß bei der Feststellung ungerechtfertigt hoher Rüstungsausgaben bei bedachten Ländern auch unsere Zuwendungen im Rahmen von Ausstattungs- und Aufwendungshilfe und Polizeihilfe berücksichtigt werden?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Dies ist eine andere Frage, für die der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ja nicht zuständig ist. Wir müssen allerdings sehen: Wenn wir die Souveränität dieser Staaten und die Bereitschaft unserer Partnerländer, Demokratie gegen Feinde von innen wie gegen Feinde von außen auch wehrhaft zu verteidigen, ernst nehmen wollen, bedarf es eines bestimmten polizeilichen oder militärischen Potentials. Dies kann auch in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall bedeuten, daß wir vor diesem demokratischen Hintergrund bereit und in der Lage sind, Ausstattungshilfe zu leisten.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Walz, Sie haben die nächste Zusatzfrage.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie werden wir es mit den Entwicklungsländern halten, die selbst Waffen herstellen und exportieren?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Dies ist eine Frage, die uns zunehmend besorgt. Es ist nicht nur so, daß ebensolche Waffenexporte aus den Industrienationen kommen, sondern zunehmend Schwellenländer hier als Exporteure auftreten. Diese Fragestellung ist Gegenstand auch unseres Prüfungsverfahrens. Wir haben also im Rahmen der jetzt schon für uns intern erarbeiteten Prüfungskriterien auch diese Frage aufgeworfen: Gibt es Rüstungsproduktionen in diesen Ländern, und tragen diese Länder durch Rüstungsexporte mit dazu bei, daß andere Entwicklungsländer eine zu hohe Rüstung haben? Das ist ein Teil der Prüfung.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Augustinowitz auf: Wann und mit wem fanden in der Zeit von Juni 1989 bis heute entwicklungspolitische Regierungskonsultationen bzw. sonstige Gespräche mit chinesischen Verantwortlichen in Deutschland bzw. in China selbst statt? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung.

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Präsident, seit Juni 1989 gab es auf politischer Ebene des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit insgesamt fünf Besuche bzw. chinesische Delegationen in der Bundesrepublik Deutschland. In der gleichen Zeit reiste Staatssekretär Lengl dreimal nach China. Wichtigste Gesprächspartner bei dem Aufenthalt von Staatssekretär Lengl im Juli 1990 waren der Ministerpräsident, der für die Planungs- und die Erziehungskommission zuständigen Staatsräte und die Minister für Außenwirtschaft, für Arbeit, für zivile Angelegenheiten und Forst sowie der Gouverneur der Provinz Fujian und der Oberbürgermeister der Stadt Shanghai. Die zweite Reise im Dezember 1990 erfolgte aus Anlaß der ersten deutsch-chinesischen Regierungsverhandlungen nach dem Bundestagsbeschluß vom 30. Oktober 1990. Staatssekretär Lengl führte bei dieser Gelegenheit auch Gespräche mit einem der chinesischen Vizepremiers, Tian Juyen, dem für die Erziehungskommission zuständigen Staatsrat, dem Oberbürgermeister von Peking und dem Landwirtschaftsminister. Über seine dritte Reise aus Anlaß der Konsultationen im vergangenen Monat hat Staatssekretär Lengl dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausführlich berichtet. Sie selbst, Herr Kollege Augustinowitz, waren zugegen. ({0}) Wichtigste Gesprächspartner waren der Ministerpräsident, Vizepremier Zhu, der für die Erziehungskommission zuständige Staatsrat sowie die Minister für Arbeit, Handel und Gesundheit und der neue Oberbürgermeister von Shanghai. Staatssekretär Lengl hatte über diese Gespräche mit Regierungsvertretern hinaus auch Kontakte mit Professoren und Studenten der chinesischen Außenhandelsuniversität, über die er ebenfalls im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit erschöpfend berichtet hat. Bei den genannten fünf Delegationen aus China handelte es sich um zwei Besuche des Vizeministers des chinesischen Außenhandelsministeriums im Dezember 1989 und im Dezember 1990, bei denen es um die Gestaltung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit auf der Basis der Bundestagsbeschlüsse vom Juni 1989 bzw. vom Oktober 1990 ging. Im Juni 1990 besuchte der neue Präsident der in China für Fortbildungsmaßnahmen zuständigen Organisation, Herr Ye, das BMZ und die im Fortbildungsbereich tätigen deutschen Organisationen. Im Oktober 1990 war eine Delegation der chinesischen Erziehungskommission in Deutschland zur Erörterung der Zusammenarbeit im Bereich der berufliParl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik chen Bildung, einem Schwerpunktbereich der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit. Bei der fünften Delegation handelte es sich um den Besuch des neuen Vizepremiers und früheren Oberbürgermeisters von Shanghai, Herrn Zhu, der im BMZ Grundlinien der künftigen Zusammenarbeit besprach und u. a. einer Einladung des Hamburger Senats Folge leistete.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Augustinowitz zu einer Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es eigentlich üblich, daß auf der Ebene von Regierungskonsultationen in diesem Stadium ein Staatssekretär diese Gespräche führt?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Die Konsultationen werden grundsätzlich nicht auf Staatssekretärsebene geführt. Herr Kollege Lengl hat auch nicht selbst die Konsultationen geleitet, sondern er hat parallel zu den laufenden Konsultationen über die Entwicklungszusammenarbeit entwicklungspolitische Fragestellungen mit politischen Gesprächspartnern in der Volksrepublik China erörtert.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, entsprechen alle in diesen eben von Ihnen genannten Gesprächen behandelten Projekte auch dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 30. Oktober 1990?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Nach unserer Einschätzung, soweit diese Gespräche zu ganz konkreten Ergebnissen geführt haben, ja. Hierüber wurde auch jeweils der zuständige Fachausschuß sowohl in der letzten Legislaturperiode als auch in der jetzigen Legislaturperiode unterrichtet.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Darf ich - nur aus Gründen der inneren Vorbereitung - die Reihenfolge der nächsten Fragesteller nennen: Dies sind die Kollegen Schily, Soell, Erler und Bindig. Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns Auskunft darüber geben, wie oft Herr Staatssekretär Lengl bei seinen zahlreichen Besuchen von Funktionären aus dem chinesischen Bereich zwangsweise umarmt worden ist? ({0})

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Nein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nächste Frage, Herr Kollege Soell.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns Auskunft darüber geben, wie oft, wie intensiv und mit welchem Ergebnis Staatssekretär Lengl darauf gedrungen hat, daß die wegen der Demokratiebewegung 1989 durch zahlreiche Prozesse Verurteilten durch eine Amnestie freigelassen werden?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Soell, Staatssekretär Lengl hat bei den von mir jetzt aufgeführten drei Besuchen in den vergangenen zwei Jahren, die nach den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens vom Juni 1989 stattgefunden haben, jeweils als einen Bestandteil seiner Gespräche mit der politischen Führung in Peking Menschenrechtsfragen gehabt, und er hat nachweislich auch des Botschaftsberichts von seiner letzten Reise, über die ja in den letzten Wochen auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, gerade dem Bereich der Menschenrechtsverletzungen einen großen Stellenwert eingeräumt. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nächste Frage, Herr Kollege Erler. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, angesichts der eindrucksvollen Liste von Konsultationen und Besuchen auf Staatssekretärsebene frage ich Sie: In welches Land sind denn seit Juni 1989 häufiger solche Delegationen des BMZ auf Staatssekretärsebene gefahren? Oder muß man aus der Liste schließen, daß die Volksrepublik China der erste Adressat bundesrepublikanischer Entwicklungshilfe ist?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Ich habe jetzt nicht die Unterlagen über die gesamte Reisetätigkeit der Leitung des BMZ bei mir, ({0}) so daß ich jetzt keine erschöpfende Antwort geben kann. Es kann aber natürlich nicht bestritten werden, daß es gerade auch im Hinblick auf die Beschlüsse des Deutschen Bundestages und auf Grund einer ganzen Reihe von vereinbarten Maßnahmen, die es ja zum Teil abzubrechen oder später umzuwidmen galt, einen erhöhten Bedarf an Gesprächen mit der chinesischen Führung gegeben hat.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Angesichts der Tatsache, daß der Staatssekretär in diesem abgefragten Zeitraum dreimal in China gewesen ist, möchte auch ich fragen, ob er in anderen Ländern ähnlich oft gewesen ist oder ob es sich bei China um ein sogenanntes LLC, ein Lengl Loved Country, handelt?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Ich muß mich auf die Antwort zurückziehen, die ich dem Herrn Kollegen Erler gegeben habe. Ich habe jetzt nicht die Liste der Länder, die Herr Lengl im Vergleichszeitraum bereist hat. Aber ich möchte Ihrer Neugier insoweit entgegenkommen, als ich vermute, daß er im Vergleichszeitraum nicht häufiger in anderen Ländern war.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es dazu weitere Fragen? - Wenn das nicht der Fall ist, könnte ich dem Vizepräsident Hans Klein Kollegen Bindig ein Privatissimum darüber anbieten, wie die Abkürzung LLDC in Wahrheit lautet. ({0}) Aber das machen wir besser nach der Sitzung. Nun rufe ich Frage 22 des Kollegen Bindig auf: Hat die Bundesregierung vor Beginn der Regierungsverhandlungen mit Marokko, die vom 3. Juni bis 5. Juni 1991 in Bonn stattgefunden haben, die Ermittlungsergebnisse von amnesty international über die Lage der Menschenrechte in Marokko eingeholt und zum Gegenstand der Erörterungen im Zusammenhang mit der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit dieses Landes gemacht, und, wenn ja, zu welchen konkreten Ergebnissen im Hinblick auf eine verbesserte Respektierung der Menschenrechte haben die Regierungsverhandlungen geführt? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Im Vorfeld der Regierungsverhandlungen mit Marokko vom 3. bis 5. Juni 1991 haben auf Grund der dem BMZ u. a. von amnesty international vorliegenden Erkenntnisse zur Menschenrechtslage sowohl Gespräche mit dem Generalsekretär von amnesty international als auch mit dem marokkanischen Botschafter in Bonn zur Frage der Menschenrechte in Marokko stattgefunden. Während der Regierungsverhandlungen selbst hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Geiger mit dem marokkanischen Delegationsleiter ein ausführliches Gespräch zur Lage der Menschenrechte in Marokko geführt und dabei darauf hingewiesen, daß wir der Arbeit der in Marokko existierenden Menschenrechtsorganisationen und insbesondere des Konsultativrats für Menschenrechte große Bedeutung beimessen, die Entwicklung der Arbeiten insbesondere des Konsultativrats sorgfältig beobachten und an einer effektiven und unbeeinträchtigten Aktivität äußerst interessiert sind. Die marokkanische Seite hat sich gegenüber unseren Anliegen sensibel gezeigt. Ich gehe dabei davon aus, daß unsere Anliegen in Marokko den zuständigen Regierungsstellen übermittelt worden sind. Wir werden die weitere Entwicklung sorgfältig verfolgen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob bei diesem Gespräch über die Menschenrechte auch das Schicksal der zahlreichen verschwundenen Sahrauis angesprochen worden ist?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Bindig, wir haben noch keine offizielle, förmliche Berichterstattung über die auch uns aus Zeitungsmeldungen bekanntgewordenen Fragestellungen. Entsprechende Initiativen wurden eingeleitet. Die marokkanische Botschaft befaßt sich mit den Menschenrechtsfragen, und wir warten auf einen entsprechenden Bericht. In diesem Gespräch selbst hat dieses Thema wohl keine Rolle gespielt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie ein solches Gespräch führen und die Bundesregierung dort die Menschenrechtsproblematik anspricht, werden dann auch konkrete Einzelfälle besprochen, oder wird die Menschenrechtssituation allgemein erörtert?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Sowohl als auch. Dort, wo uns gravierende Fälle bekannt sind, nehmen wir Einfluß, indem wir diese Fälle ansprechen. Sie selbst wissen aus Ihrer Erfahrung, daß es im Einzelfall auch einmal kontraproduktiv sein kann, einen bestimmten Namen einzuführen. Wir stellen uns hier also auf den Einzelfall ein.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen aus dem Kollegenkreis? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe Frage 23, ebenfalls vom Kollegen Bindig gestellt, auf: Hat die Bundesregierung vor Beginn der Regierungsverhandlungen mit der Türkei, die vom 11. bis 13. Juni in Bonn stattgefunden haben, die Ergebnisse von amnesty international über die Lage der Menschenrechte in der Türkei eingeholt und zum Gegenstand der Erörterungen im Zusammenhang mit der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit dieses Landes gemacht, und, wenn ja, zu welchen konkreten Ergebnissen im Hinblick auf eine verbesserte Respektierung der Menschenrechte haben die Regierungsverhandlungen geführt? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung.

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung ist ständig bemüht, unabhängig von der laufenden Unterrichtung u. a. durch amnesty international ein eigenes Bild über die Lage der Menschenrechte in der Türkei zu gewinnen. Das große Interesse, das die Bundesregierung der Respektierung der Menschenrechte beimißt, wurde sowohl bei den Verhandlungen über die entwicklungspolitische Zusammenarbeit als auch beim Besuch des türkischen Delegationsleiters von meiner Kollegin Michaela Geiger im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie anläßlich der Unterzeichnung eines Abkommens über finanzielle Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt am 13. Juni 1991 verdeutlicht. Die türkische Seite erklärte sich dabei im Einklang mit den von uns vorgetragenen Vorstellungen.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß also von amnesty international für diese Regierungsverhandlungen keine konkreten Informationen extra eingeholt worden sind, und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Frage darauf beruht, daß der entwicklungspolitische Sprecher Ihrer Partei hier im Bundestag bei einer Menschenrechtsdebatte begrüßt hat, daß die Bundesregierung die Absicht erklärt hat, bei allen Regierungsverhandlungen in Zukunft vorab Informationen von amnesty international einzuholen?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Das zuständige Referat hat auch hier auf dem Schriftweg die aktuellen Informationen von amnesty international mit einbezogen und berücksichtigt. Im Gegensatz zum vorher genannten Fall hat aber kein eigenständiParl. Staatssekretär Hans-Peter Repnik ges Gespräch mit dem Generalsekretär von amnesty international stattgefunden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zweite Zusatzfrage.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist bei den Gesprächen, die dann geführt worden sind, auch die menschenrechtliche Situation der Kurden behandelt worden?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Jawohl, das Thema hat eine bedeutende Rolle gespielt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Kollege Professor Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat die Menschenrechtsfrage zu einem der wichtigsten Kriterien der deutschen Entwicklungspolitik gemacht, vor allem in den letzten Monaten. Wie erklärt es sich vor diesem Hintergrund, daß die entwicklungspolitischen Zusagen für die Türkei erhöht werden sollen oder schon erhöht worden sind, obwohl sich die Menschenrechtslage in der Türkei nicht verbessert hat?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Herr Kollege Dr. Hauchler, ich habe mich gerade noch einmal vergewissert, wie groß die Zahl der Flüchtlinge war, die auf Grund der Ereignisse im Irak und der Menschenrechtsverletzungen dort in der Türkei Zuflucht gesucht haben: immerhin über eine halbe Million. Wir haben natürlich auch dieser Situation Rechnung getragen und haben in diesem Zusammenhang unsere Mittel im Hinblick auf die Situation der kurdischen Flüchtlinge erhöht. Darüber hinaus haben wir keine Erhöhung der Mittel vorgenommen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Frau Kollegin Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß die Probleme der Kurden eine Rolle gespielt haben. Im Osten der Türkei sind die Menschenrechte zum Teil aufgehoben. Was tut die Bundesregierung, damit sich diese Situation dort ändert?

Hans Peter Repnik (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001825

Wir greifen diese Themen im Rahmen unserer Gespräche, sowohl der Gespräche des Auswärtigen Amtes als auch der Gespräche des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf allen Ebenen auf, und besprechen sie mit unseren Partnern, um für eine Verbesserung der Situation einzutreten. Ich möchte allerdings - nicht entschuldigend, aber immerhin erklärend - hinzufügen: Wenn binnen kurzem, innerhalb von wenigen Wochen, eine halbe Million Flüchtlinge die Grenze in einem unwegsamen Gebiet überschreiten, dann kommt es auch auf Grund der besonderen Notsituation gelegentlich zu nicht geplanten, aber doch objektiv gegebenen Menschenrechtsverletzungen. Ich glaube, das muß gesehen werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Zusatzfragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, dann darf ich mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen bedanken. Nachdem wir zu Beginn der Fragestunde bei den Dringlichen Fragen schon den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen aufgerufen hatten, rufe ich diesen Geschäftsbereich jetzt erneut auf. Herr Staatsminister Helmut Schäfer steht uns wiederum zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 24 des Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Ortwin Lowack auf: Wie gedenkt die Bundesregierung auf das Strategiepapier des Zentralkomitees der KPdSU ({0}), welches von Präsident Gorbatschow gebilligt wurde und in dem eine politische und psychologische Beeinflussung der ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes festgelegt ist, zu reagieren? Sie haben das Wort, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung wird ihre bisherige erfolgreiche Politik gegenüber der Sowjetunion und den Staaten Mittel- und Osteuropas konsequent fortsetzen, die nämlich auf die Herstellung eines neuen Vertrauensverhältnisses zwischen allen Staaten Europas abzielt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatsminister, ist Ihnen klar, daß Sie mit dieser Antwort in keiner Weise auf meine konkrete Frage eingegangen sind, weil sich diese Frage auf eine Strategiepapier des Zentralkomitees der KPdSU bezogen hat und ich gerne wissen wollte, welche Haltung die Bundesregierung dazu einnimmt und ob sie nicht der Auffassung sein müßte, daß hier eine klare Entgegnung von deutscher Seite ein wichtiger Beitrag sein könnte, um die früheren Warschauer-Pakt-Länder außerhalb der Sowjetunion auf ihrem Weg zum freiheitlichen Europa zu ermutigen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Tatsache, daß dieses sogenannte Strategiepapier auf verschlungenen Wegen an die Öffentlichkeit gelangt ist, sollte Sie vielleicht zum Nachdenken darüber anregen, wer Interesse daran gehabt hat, dieses sehr umstrittene Papier der Öffentlichkeit bekanntzumachen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Eine weitere Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatsminister, ich räume gerne ein, daß das ein sehr umstrittenes Papier ist. Aber ist nicht die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß Michail Gorbatschow immer noch Generalsekretär der KPdSU ist und daß er insoweit über den Inhalt des Papiers eigentlich hätte informiert sein müssen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, schon die Tatsache, daß Sie andeuten, daß es sich bei den Verfassern dieses Papiers und bei Herrn Gorbatschow um unterschiedliche Personen handelt, legt den Verdacht nahe, daß wir das Papier nicht ganz so ernst nehmen müssen, wie Sie es tun.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? - Bitte, Herr Kollege Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die bisherigen Bündnispartner der Sowjetunion im Warschauer Pakt in der Praxis der sowjetischen Politik nicht unter einen politischen oder psychologischen Druck gesetzt werden, was ihre jetzigen Entscheidungen und ihre jetzige Sicherheitspolitik angeht? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann sogar bestätigen, daß sich Vertreter der von Ihnen genannten Staaten mit Sicherheit einem solchen Druck nicht mehr unterziehen würden, sondern sich in ihren Gesprächen mit der Sowjetunion als souveräne Partner bewähren. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich Frage 26 des Abgeordneten Dr. Hermann Scheer auf: Für welchen Zeitpunkt erwartet die Bundesregierung den Beginn von amerikanisch-sowjetischen SNF ({0})-Verhandlungen? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Soweit ich sehe, hätte ich noch eine zusätzliche Frage - - Entschuldigung, nein, das war ein Irrtum. Sie haben recht, Herr Präsident, wie immer. ({0}) - Ich habe schon klargestellt, daß der Präsident, wie immer, recht hat. Sie haben das offensichtlich auch gehört. Das war ein Mißverständnis. Herr Kollege Scheer, die Bundesregierung setzt sich dafür ein, bis zum NATO-Gipfel am 7.18. November 1991 eine gemeinsame SNF-Verhandlungsposition des Bündnisses auszuarbeiten und zum frühestmöglichen Zeitpunkt danach Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion aufzunehmen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Zusatzfrage, Herr Dr. Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da die Bundesrepublik Deutschland ja kein marginaler Staat ist und sicherlich eigene Vorstellungen hat: Wie sehen denn die Vorstellungen für eine Verhandlungsposition, mit denen man ins Bündnis geht, aus?

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Herr Kollege, soviel ich weiß, sind Sie Mitglied des Unterausschusses für Abrüstung. ({0}) - Entschuldigung, Vorsitzender. Ich bitte, mir auch das nachzusehen. Ich glaube daher, daß die Erörterung dieser Vorstellungen nicht in der Kürze einer Fragestunde geschehen kann. Die Vorstellungen sind bekannt. Der Unterausschuß behandelt sie hoffentlich; das müßte auf seiner Tagesordnung stehen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich das trotz meiner Funktion als Vorsitzender des Unterausschusses nicht feststellen konnte, frage ich, ob die Bundesregierung bereits eine Position hat, die wir dann vielleicht nachfragen könnten?

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Die Bundesregierung ist bei dem Ziel, das ich Ihnen genannt habe, nämlich bis zum NATO-Gipfel zu erreichen, daß es eine gemeinsame Verhandlungsposition des Bündnisses gibt, natürlich bemüht, solche Positionen auch ihren Partnern gegenüber darzustellen. Ich kann nur sagen: Das Ganze befindet sich in der Mache. Wir können Ihnen abschließende Vorstellungen der Bundesregierung jetzt sicher noch nicht mitteilen, weil das mit unseren Partnern bis zu dem besagten Gipfel abgesprochen werden muß.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben den Ausdruck „frühestmöglicher Zeitpunkt" verwendet. Könnten Sie etwas genauer erläutern, nach welchen Konditionen ein solcher Begriff zu verstehen ist?

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Für uns wäre dieser Zeitpunkt so früh wie möglich, was aber nicht unbedingt alle unserer Partner ähnlich sehen. Wir wollen erreichen, ({0}) das mit dem Bündnis so früh wie möglich zu schaffen. Ich darf es wiederholen: Es ist das Interesse der Bundesrepublik, solche Verhandlungen so früh wie möglich zustande zu bringen und insofern auch eine Gemeinsamkeit der Verhandlungspositionen der Partner in der NATO zu erarbeiten, so daß wir davon ausgehen können, daß die Verhandlungsposition des Bündnisses bis zum NATO-Gipfel steht. Danach können die Verhandlungen schnell begonnen werden. Der Hinweis „frühestmöglich" heißt: Wir müssen uns auch mit unseren Partnern verständigen. Bei dem Termin sind wir auch von dem Verlauf der Vorberatungen bzw. der Erarbeitung dieses Konzeptes abhängig.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Katrin Fuchs.

Katrin Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, es ist soeben schon meinem Kollegen gesagt worden, daß die Bundesrepublik eine relativ starke Position in diesem Konzert hat. Ist es dann eigentlich zu verstehen, daß die Bundesrepublik immer darauf wartet, welche Positionen das Bündnis hat, bevor sie zu eigenen PosiKatrin Fuchs ({0}) tionen gelangt? Bestünde nicht auch die Möglichkeit, daß die Bundesrepublik ihr Gewicht nutzt und selbst dafür streitet, daß der frühestmögliche Zeitpunkt terminiert wird, und daß Sie uns wirklich konkret antworten?

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Genau diese Annahme entspricht der Tatsache. ({0}) Aber wenn Sie in dem ersten Teil Ihrer Frage sozusagen auf den gewachsenen Einfluß der Bundesregierung abheben, Frau Kollegin, und sagen, wir müßten auf Grund des gewachsenen Einflusses jetzt eine deutlichere Sprache sprechen, dann muß ich feststellen, daß das neue Töne aus der SPD-Fraktion sind.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können noch zwei Fragen zur Beantwortung zulassen. Ich rufe die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Manfred Opel auf: Welche eigenen Zeitvorstellungen vertritt die Bundesregierung in den Gremien des Bündnisses bezüglich des Beginns amerikanisch-sowjetischer SNF-Verhandlungen? Treffen Berichte zu, wonach die amerikanische Regierung in Erwägung zieht, auf amerikanisch-sowjetische SNF-Verhandlungen zu verzichten? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

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Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Opel beantworte ich wie folgt: Herr Kollege, die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß bis zum NATO-Gipfel - dies ist praktisch die Wiederholung der Antwort auf die vorhergehende Frage - eine gemeinsame Position erreicht wird. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, daß die amerikanische Regierung den in der Londoner Erklärung vom 6. Juli enthaltenen Bündnisbeschluß zur Aufnahme neuer Verhandlungen über die Reduzierung nuklearer Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion maßgeblich mitgetragen hat. Diese Bündnisposition wurde auch im Kommuniqué der NATO-Außenminister vom 7. Juni dieses Jahres noch einmal ausdrücklich bestätigt.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Abgeordneter Opel, eine Zusatzfrage.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer vorhin gegebenen Antwort schließen, daß der Beitrag, den Sie im Bündnis zu leisten gedenken, ein eigenes Konzept der Bundesregierung einschließt, das sie im Moment noch nicht zu veröffentlichen gedenkt?

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Ich glaube, man muß hier zwischen unserer Bemühung bei den Vorbereitungen zu diesen für uns sehr wichtigen Verhandlungen und dem tatsächlichen Ergebnis unterscheiden. Die Verhandlungen werden ja bilateraler Art sein. Sie erfolgen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, nicht zwischen uns und der Sowjetunion. Wir werden alles dafür tun, daß es eine gemeinsame Verhandlungsposition geben wird. Daß wir dazu Vorstellungen haben, ist klar. Daß wir aber im Vorfeld dieser Bemühungen zu einer gemeinsamen Position kommen wollen und unsere Vorstellungen, nicht jetzt apodiktisch in den Raum stellen wollen, sondern sie mit den Partnern diplomatisch absprechen, dafür bitte ich um Verständnis.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Opel? - Bitte sehr.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, es gab in der Vergangenheit durchaus Diskrepanzen in der Definition dessen, was SNF bedeutet. Können Sie mir sagen, ob die Bundesregierung unterdessen zu einer einvernehmlichen Interpretation mit den Amerikanern bzw. den NATO-Partnern und den Sowjets gefunden hat und wie diese aussieht?

Not found (Gast)

Ich glaube, es hat sich bei den noch bestehenden Differenzen innerhalb des Bündnisses vor allem um die noch zu klärende Frage des geographischen Anwendungsgebietes des SNF-Abkommens gehandelt. Wir haben immer die Meinung vertreten, und sind auch mit der Mehrheit der Verbündeten der Auffassung, daß das Anwendungsgebiet auch den europäischen Teil der Sowjetunion einschließen sollte. Damit würde auch das sowjetische SNF-Potential in den angestrebten Abbau mit einbezogen und nicht nur eine Rückverlegung auf sowjetisches Gebiet festgeschrieben. Das war unsere Position. Ich glaube, daß sich hier die Positionen angenähert haben.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Staatsminister, vielen Dank. Ich kann keine weiteren Zusatzfragen zulassen. Wir haben die Fragestunde schon um zwei Minuten überzogen. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf: Aussprache zum Stationierungskonzept der Streitkräfte Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache mit Fünf-Minuten-Beiträgen wie in einer Aktuellen Stunde erfolgen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat unser Kollege Albrecht Müller.

Albrecht Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001543, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer jahrelang Abrüstung fordert, der sollte nicht kopfstehen, wenn sie endlich möglich ist ({0}) und wenn dies auch Folgen für Menschen und Regionen haben kann. Wir Sozialdemokraten haben Abrüstung immer gewollt. Wir begreifen auch den Truppenabbau zuallererst als eine Chance, nicht als eine Last. Allerdings, gerade weil die Arbeit für die Betroffenen im Konkreten schwierig ist, verlangen wir die volle Aufmerksamkeit der Verantwortlichen. Das ver2612 Albrecht Müller ({1}) missen wir bei Herrn Stoltenberg und der Bundesregierung insgesamt. ({2}) Wir haben die heutige Debatte zum Stationierungskonzept der Streitkräfte beantragt, weil die Gefahr besteht, daß durch Stümperei, Nachlässigkeit und Konzeptionslosigkeit die Chance vertan wird, die Abrüstung auch in den Herzen der betroffenen Menschen zu verankern. Abrüstung ist eine große Chance. Was haben Sie daraus gemacht? Die Bundesregierung hat zunächst einmal viel Zeit vertan. Schon Mitte der 80er Jahre war klar, daß man sich auf Abrüstung vorbereiten kann. Ich habe im Mai 1989 die Bundesregierung nach einem Sonderprogramm zur Konversion gefragt und habe die klassische Antwort einer verschlafenen Bundesregierung bekommen. Man hat mich nämlich wissen lassen, es bestehe kein Anlaß, insbesondere nicht zu einer regionalpolitischen Flankierung. Das war im Mai 1989; das muß man sich einmal vorstellen! ({3}) Das war es dann, und da ist es kein Wunder, daß die Bundesregierung bei dieser Frage bis heute nicht an der Spitze der Bewegung, sondern am Rockschoß der Geschichte hängt. ({4}) Sie haben nicht rechtzeitig informiert. Sie haben die Planungsarbeit am Ressortkonzept wie eine geheime Kommandosache behandelt. Sie haben dem Verteidigungsausschuß Information und Kooperation versprochen und die Information dann über die Presse lanciert. Sie haben einseitig die Koalitionsparteien informiert und mit ihnen das Konzept besprochen, ({5}) aber zugleich versäumt, es mit Ländern und Gemeinden abzustimmen. ({6}) Sie haben die betroffenen Gemeinden mit Ihrer Forderung nach Verkauf von Grundstücken zum Verkehrswert - allenfalls minus 15 % - hingehalten und Unruhe geschaffen. Sie schreiben mit Ihrem Konzept überwiegend veraltete Strukturen fort. Ex-General Schmückle nannte dieses Reduzierungskonzept eine schlampige Arbeit und eine Zumutung für Kommunen und Truppe. ({7}) Sie haben in einigen besonders strukturschwachen Räumen die Reduzierung der Bundeswehr ohne Rücksicht auf die angekündigte Reduzierung alliierter Truppen oben draufgepackt. Bei allen diesen Ungereimtheiten und Versäumnissen zeigt sich: Hier ist eine Bundesregierung am Werk, die weder handwerklich noch konzeptionell in der Lage ist, schwierige Fragen unserer Zeit rechtzeitig und gut zu lösen. Wir fordern Sie erstens auf, endlich parallel zur Abrüstungsplanung ein Konversionssonderprogramm vorzulegen, das den wirtschaftlichen Folgen von Abrüstung, Truppenreduzierung und Standortauflösung Rechnung trägt. ({8}) Wir fordern Sie zweitens auf, die dafür notwendigen Verhandlungen mit den Ländern und den betroffenen Gemeinden zu führen und am 30. September 1991 abzuschließen. Wir fordern Sie drittens auf, Sozialpläne zu entwikkeln und ein schlüssiges Konzept zur Überwindung der Auswirkungen auf die Zivilbeschäftigten vorzulegen, ein Konzept, das auch wirklich weiterträgt. Wir verlangen viertens von der Bundesregierung, daß sie endlich Schluß macht mit der absonderlichen Vorstellung, die Strukturerneuerung in den strukturschwachen Regionen sei vom Markt allein zu leisten. Da bedarf es wirklich einer massiven besonderen Anstrengung und auch besonderer Rahmenbedingungen. Fünftens. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine großzügige Regelung über die Abgabe von Grundstücken an die Gemeinden vorzulegen. ({9}) Wir fordern, die Grundstücke altlastenfrei und verbilligt abzugeben, mit einem Rabatt von bis zu 80 %, in besonderen Fällen kostenlos. ({10}) Wir verlangen zugleich auch Klarheit und Durchsichtigkeit dieser Regelungen. Sechstens. Wir fordern eine bessere Abstimmung des Bundeswehrkonzeptes mit der Planung der Alliierten. Siebtens. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich bei der Beschaffung, insbesondere bei Großprojekten, rigoros zu streichen. Die dort bisher verschwendeten Mittel werden dringend gebraucht. ({11}) Achtens. Wir unterstützen Sie bei allem, was sozialen Sinn für die betroffenen Menschen und Weitsicht erkennen läßt. Dahin bewegen müssen Sie sich allerdings schon selbst. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, noch ein kurzer Hinweis zur Fragestunde: Es ist eine Unklarheit aufgetreten, was denn mit den heute nicht beantworteten Fragen geschieht. Sie alle werden natürlich schriftlich beantwortet, weil wir in dieser Woche keine Fragestunde Vizepräsident Helmuth Becker mehr haben *). Es bedarf also nicht einer besonderen Beantragung. Als nächste Rednerin hat nun Frau Kollegin Claire Marienfeld das Wort.

Claire Marienfeld-Czesla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001421, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frieden schaffen mit weniger Waffen! - Jetzt sind wir soweit, und nun ist es nicht recht. ({0}) Die von uns allen politisch gewollte und vertraglich vereinbarte Reduzierung unserer Truppen bis Ende 1994 mit der Überwindung der deutschen Teilung und veränderten Sicherheitsbedingungen in Europa darf jetzt nicht unter regionalpolitischen Gesichtspunkten zerredet werden. ({1}) Die Verringerung unserer Streitkräfte bei gleichzeitiger Vergrößerung unseres Territoriums bedingt eine Neuaufteilung und zwangsweise Verlagerung bzw. Auflösung von Einheiten und Verbänden der Bundeswehr. 370 000 Soldaten können eben nur auf eine bestimmte Anzahl von Standorten sinnvoll verteilt werden. ({2}) „Abrüstung ja, aber nicht bei mir" ist kein brauchbares Planungsprinzip. ({3}) Erstes Kriterium für die Reduzierung ist die Sicherstellung der militärischen Aufgabenerfüllung. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt war die Maßgabe, Ballungsräume zu entlasten und in strukturschwächeren Gebieten auch aus wirtschaftlichen Gründen geringere Reduzierungen vorzunehmen. ({4}) - Herr Kollege Opel, im Gegensatz zu Ihnen schreibe ich meine Reden selbst. Meine Damen und Herren, ein weiteres Kriterium war die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung und bei den politisch Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden. Aber gerade da machen wir die Erfahrung, die alles auf den Kopf stellt: Ratsbeschlüsse in SPD-regierten Rathäusern, die noch vor einigen Monaten Gültigkeit hatten und die Forderungen nach Abzug zum Inhalt beinhalteten, werden *) Die Fragen 41 des Abgeordneten Rolf Schwanitz, 58, 59 des Abgeordneten Gerhard Schulz ({5}), 60, 61 Elisabeth Grochtmann, 62, 63 des Abgeordneten Krziskewitz, 64, 65 des Abgeordneten Gunnar Uldall, 79 und 80 des Abgeordneten Peter Conradi wurden zurückgezogen. Die schriftlich erteilten Antworten auf die übrigen Fragen werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt. heute revidiert. Plötzlich entdeckt man seine Liebe zur Bundeswehr. ({6}) Das Positive an dieser gesamten Diskussion ist für mich allerdings die Tatsache, daß damit in den betroffenen Städten und Gemeinden eine Überprüfung des eigenen Verhaltens gegenüber unseren Soldaten stattgefunden hat, ({7}) und daß, wenn man den Reaktionen glauben darf, Anzeichen von Bewußtseinswandel auch bei der SPD erkennbar sind. Ich hoffe, daß das so weitergeht. ({8}) Ich verkenne nicht, daß die vor Ort entstehenden Reduzierungen, Verlegungen und Auflösungen große strukturelle und wirtschaftliche Probleme mit sich bringen. Doch die SPD sollte sich mit massiver Kritik am Stoltenberg-Plan zurückhalten. ({9}) Die Bürger haben nicht vergessen, daß der sozialdemokratische Kanlzerkandidat Oskar Lafontaine eine Verringerung der Truppenstärke der Bundeswehr auf 200 000 Soldaten durchsetzen wollte. ({10}) - Hören Sie bitte weiter! Ganz abgesehen von der Frage, ob die Armee ihren Auftrag dann noch erfüllen könnte, hätte dies unweigerlich ganze Regionen ins wirtschaftliche Chaos geführt. ({11}) Es ist unglaubwürdig, wenn Sozialdemokraten jetzt, abgesehen von besonderen regionalen Überlegungen, generell um jeden Soldaten kämpfen. Wir sind nun gefordert, und wir werden auch sozial verträgliche Lösungen finden, ({12}) vor allem für unsere Soldaten und insbesondere im Hinblick auf die Zivilbeschäftigten. Noch eines darf bei dieser Diskussion nicht unter den Tisch fallen: die Möglichkeiten der Städte und Gemeinden zur Umgestaltung des militärisch genutzten Geländes. ({13}) - Bitte, Herr Kollege. Es ist doch eine herrliche Vorstellung, wo vorher Kasernen waren, Schulen, Altenwohnungen und Altenheime zu finden. Das ist eine wunderschöne Vorstellung. ({14}) Darauf wollen wir uns in den nächsten Wochen konzentrieren. ({15}) Wenn wir und vor allem Sie von der SPD dies begreifen, hat dieser historische Vorgang, nämlich der Vollzug eines Riesenschrittes in Richtung Frieden in Europa, den Stellenwert, der ihm gebührt. ({16})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist die Frau Abgeordnete Jutta Braband.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich der Meinung bin, daß der Mißbrauch des Wortes „Frieden schaffen ohne Waffen" in diesem Zusammenhang ein starkes Stück ist. ({0}) Es wäre ja wirklich zu schön, denke ich, wenn er denn recht hätte, der Herr Wellershoff, und die Deutschen wären tatsächlich ein machtvergessenes und friedensverwöhntes Volk. Er hat aber nicht recht, jedenfalls nicht soweit es das Führungspersonal dieses Volkes angeht, denn sonst müßten wir uns heute nicht über ein Stationierungskonzept aus dem Hause Stoltenberg unterhalten. Die Bundeswehr wäre überhaupt kein Thema, denn es würde sie nicht mehr oder - schlechtestenfalls - nur rudimentär geben. Die Absicht der NATO, schnelle Eingreiftruppen zu installieren, und der Nichtverzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zeigen deutlich, daß es keineswegs etwa um einen Willen zu echter Abrüstung geht. Darum sind alle Gefechte um mögliche Truppenreduzierungen, Standortschließungen lediglich Scheingefechte, solange das eigentliche Konzept, mögliche internationale Konflikte auch mit militärischen Mitteln lösen zu wollen, nicht geändert wird. Offensichtlich wird, wie die Debatte der letzten Wochen zeigt, eine deutsche Beteiligung hieran nachdrücklich angestrebt. Stoltenbergs Ressortkonzept ist darum eben nicht mehr und nicht weniger als die Synthese aus der - machen wir uns nichts vor - vertraglich notwendig gewordenen Reduzierung des Personalbestandes, der strategisch notwendigen Anpassung an die Geländegewinne im Osten und den - allerdings nicht notwendigen, aber heiß ersehnten - Umstrukturierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Schlagkraft und weltweiten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. Daß dabei die Interessen der von Standortauflösung oder -reduzierung - in diesem Fall muß ich sogar sagen - betroffenen Städten und Gemeinden unter den Tisch fallen, daß sie nicht im Vorfeld konsultiert, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt werden, daß es keine wirklichen Konversionskonzepte und -regelungen gibt, daß diese nicht einmal angestrebt werden, daß vielmehr in bekannter Manier gnadenloser Kahlschlag betrieben wird, ist ebenso verwerflich wie kennzeichnend für die Politik dieser Regierung. Dort, wo sozial und ökologisch verträgliche Konversionskonzepte angesagt wären, allerdings, so meine ich, weit über das jetzt anstehende Maß hinaus, geht die Bundesregierung einen ähnlichen Weg, wie sie ihn schon bei der Auflösung und Eingliederung der Nationalen Volksarmee gegangen ist: Abwicklung einzig und allein auf dem Rücken der Menschen, die selbst sehen müssen, wie sie zurechtkommen. Dabei ist es natürlich nicht so, daß es keine sinnvollen, den Bedürfnissen der Menschen verpflichteten Konversionskonzepte gäbe oder diese nicht zu entwickeln wären. Sie liegen vor. Auch einzelne Städte und Gemeinden haben sich dahin gehend ihre Gedanken gemacht und sich engagiert. Solche Konzepte sind aber ebensowenig gewollt wie etwa die Möglichkeit für jede Bürgerin und jeden Bürger dieses Landes, über den Einsatz seiner Einkommensteuer für Militärausgaben selbst zu entscheiden. Der Grund für diese Verfahrensweise liegt weniger in der Unfähigkeit oder in besonderer Böswilligkeit des Herrn Stoltenberg, vielmehr schlicht an der Tatsache, daß Konversion eben nicht sein Anliegen ist, daß diese Regierung jeder - und sei es auch eine noch so kümmerliche - Form von Abrüstung, jeder Form von Truppenreduzierung, der Reduzierung der Zahl der Zivilbeschäftigten und der Standortreduzierung nur höchst widerwillig durch von außen gesetzten Zwang nachkommt. Folglich kann diese Regierung überhaupt kein Interesse an echter Konversion entwikkeln. Ihr das vorzuwerfen, hieße, ihr bessere Absichten zu unterstellen, als sie eigentlich hat. Insofern hat der Herr Wellershoff nur das gesagt, was Herr Stoltenberg vielleicht ändern will. Im übrigen möchte ich noch ein Wort zu den Damen und Herren der SPD sagen. Ihre ohne Frage berechtigte und angemessene Empörung über das Stoltenbergsche Ressortkonzept und seine absehbaren Folgen hätten wir uns schon weit früher gewünscht, nämlich als es um die nicht weniger unsoziale Abwicklung diverser Institutionen der Ex-DDR ging. Dagegen werden die Folgen des Ressortkonzepts tatsächlich nur ein Hauch im Wind sein, ohne daß ich sie damit verharmlosen will. Ich stelle dabei gewiß auch in Rechnung, daß Sie es als besondere Gemeinheit des Herrn Stoltenberg verstehen müssen, ({1}) wenn relativ mehr von der SPD als anders regierte Städte und Gemeinden betroffen sind. Ich danke Ihnen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächster Redner ist der Abgeordnete Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reduzierung unserer Streitkräfte bis zum Dezember 1994 auf 370 000 Soldaten ist von uns allen begrüßt worden. Diese internationale Verpflichtung hat u. a. dazu beigetragen, daß wir Deutschen unsere Einheit wiedererlangt haben. Es ist, so meine ich, dem Bundesminister der Verteidigung und seinem Haus dafür Anerkennung auszusprechen, daß es gelungen ist, innerhalb von wenigen Monaten ein Konzept vorzulegen, um das Ziel der Reduzierung zu erreichen. ({0}) Selten hat wohl der Entwurf eines Konzeptes den Deutschen Bundestag und seine Abgeordneten, aber auch die Landtage, die Landesregierungen und die Kommunen so beschäftigt und so bewegt wie jetzt die Vorlage zur Truppenreduzierung. Wer die Diskussion der letzten Wochen verfolgt und sich daran beteiligt hat, der kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß vielerorts nach dem Motto argumentiert wird: Truppenreduzierung ja, aber bitte nicht in meiner Kommune oder in meinem Wahlkreis. ({1}) - Es ist so. Man verfolgt ja die Diskussion. ({2}) - Herr Opel, seien Sie doch nicht immer so vorlaut! ({3}) - Wir kennen uns ja. Er kann nicht anders. - Ich hoffe, das geht nicht von meiner Zeit ab, Herr Präsident. Es zeigt sich heute, daß viele die Bundeswehr immer nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen haben. Ich bitte herzlich darum, die Diskussion um die Reduzierung etwas emotionsfreier zu führen, auch wenn man selber - das will ich gerne zugeben, Kollege Opel - von diesen Emotionen nicht ganz frei ist. ({4}) Aber eines muß doch gesagt werden - das sage ich nach der Aufregung in den Beiträgen eben zur linken Seite - : Ich finde es schon sehr interessant, wer sich plötzlich für die Bundeswehr einsetzt. Am besten arbeitet man ja mit Beispielen. Ich will gern eines aus Schleswig-Holstein nennen, Herr Kollege Opel: die Stadt Itzehoe. Zur 750-Jahr-Feier wird die Bundeswehr ausgeladen, eine bestehende Patenschaft mit einem Boot der Marine wird aufgekündigt, und man weigert sich sogar, Geld von Soldaten anzunehmen, das diese für humanitäre Zwecke gesammelt haben. ({5}) - Ich verrate jetzt kein Geheimnis, Kollege Nolting, wenn ich bekanntgebe, daß in Itzehoe seit Jahren die SPD regiert und dort die Mehrheit hat. Nun plötzlich wird vorgeschlagen, daß dieser Standort Itzehoe erhalten bleiben soll. Man entdeckt sein Herz für die Bundeswehr. Ich will noch ein anderes Beispiel bringen. In Kiel soll ein Ausschuß zur Truppenreduzierung durch die Stadt gebildet werden. Man kommt nicht zu Potte, weil die Sozialdemokraten fordern, daß in diesem Ausschuß selbstverständlich auch die Kirchen und die Friedensgruppen beteiligt werden müssen. Ich will das nicht kommentieren, um mir nicht bei meiner ersten Rede einen Ordnungsruf einzuhandeln. ({6}) Ich kann den Bundesminister der Verteidigung nur darin unterstützen, daß solche Standorte bei der Truppenreduzierung zuerst berücksichtigt werden. Da, wo die Bundeswehr in der Vergangenheit immer gern gesehen war, sollte man, wenn es geht, eine Reduzierung vermeiden. Das ist übrigens keine Abstrafung, so meine ich, sondern eine logische Konsequenz. Zum vorliegenden Konzept des Verteidigungsministeriums scheint es mir nötig, einige Anmerkungen zu machen. Für eine Entscheidung über die Standorte ist es wichtig und notwendig, zu wissen, wie viele Zivilmitarbeiter betroffen sind. Diese Zahlen haben wir heute im Ausschuß nachgeliefert bekommen. Ich meine, sie waren dringend notwendig. ({7}) Wenn ein Kleinstandort wie Tönning in Nordfriesland drei Soldaten ausweist, so mag man für die Streichung sein. Das mag einem leichtfallen. Man sieht das jedoch in einem anderen Licht, wenn man erfährt, daß an diesem Kleinstandort ca. 40 Zivilmitarbeiter beschäftigt sind. Die im Konzept genannten Ist-Zahlen vom 22. Mai scheinen nicht immer den tatsächlichen Zahlen zu entsprechen. Ich halte eine Überprüfung der Ist-Zahlen für notwendig. In den Ballungszentren ist nach meinem Eindruck nicht in dem Umfang reduziert worden, wie es wünschenswert gewesen wäre. Dafür sehen die Pläne leider eine starke Reduzierung in einigen strukturschwachen Gebieten vor. Ich will als Beispiel den Kreis Nordfriesland mit den Standorten Husum und vor allem Leck ansprechen, Kollege Opel. Ich halte es nicht für vertretbar, daß sich die Bundeswehr aus solchen Kreisen zurückzieht, in denen in der Vergangenheit andere Entwicklungen versäumt werden mußten, ({8}) weil die Bundeswehr da war. Ich denke z. B. an den Fremdenverkehr. Er fand nicht statt, weil es die Bundeswehr gab. Wir müssen uns bei der Diskussion über die Truppenreduzierung stärker darüber Gedanken machen, welche Aufgaben unsere Teilstreitkräfte zukünftig im Rahmen der internationalen Aufgaben haben werden. Ich spreche hier besonders die Marine an und meine, daß die bisherigen Planungen zur Reduzierung der Marine bis zum Jahr 2005 nicht mehr den Gegebenheiten entsprechen. ({9}) Unter diesem Gesichtspunkt, denke ich, muß man sich noch einmal über die Marinestandorte unterhalten. Ich denke hier in Schleswig-Holstein z. B. an Kappeln und Neustadt. Dank möchte ich den Angehörigen der Bundeswehr bei dieser Gelegenheit sagen. Ich habe bei meinen Besuchen bei der Truppe in diesen Tagen bei den Soldaten großes Verständnis für die Reduzierung gefunden. Das ist, wenn man selber betroffen ist, nicht immer selbstverständlich. ({10}) Wenig Verständnis habe ich allerdings dafür gefunden - das muß ich schon sagen, Herr Minister - , daß es vor der offiziellen Bekanntgabe der Reduzierungspläne eine merkwürdige Informationspolitik aus dem Ministerium heraus gegeben hat. ({11}) Das hatte nichts mit Fürsorgepflicht zu tun. Bei der Gelegenheit möchte ich auch sagen: Es wäre gut, wenn auch im Ministerium reduziert würde. Zum Schluß folgendes: Die Bundesregierung und die Landesregierung werden in den nächsten Monaten gemeinsam nach Lösungen suchen müssen, um den Kommunen zu helfen, die von der Reduzierung der Bundeswehr besonders betroffen sind. Das wird nicht einfach sein, besonders dann, wenn eine Landesregierung wie z. B. die von Schleswig-Holstein sich seit Jahren geweigert hat, überhaupt Wirtschaftsoder Verkehrspolitik zu betreiben. Die Bundesregierung wird das nicht ausgleichen können, was eine solche Landesregierung in der Vergangenheit versäumt hat. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Redezeit natürlich überschritten. Aber ich weiß, wie es ist, wenn man hier das erste Mal das alles genau einteilen muß. Nun hat als nächste Frau Kollegin Vera Wollenberger das Wort.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Stoltenberg, Sie haben am 24. Mai 1991 vor der Bundespressekonferenz überaus vollmundig erklärt, daß Sie - ich zitiere - „nachhaltige und breite Unterstützung der politischen und gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes brauchen, wenn die Neugestaltung der Bundeswehr in einer sinnvollen und menschlich vertretbaren Weise gelingen soll" . Das sind schöne Worte, aber leider in die Irre führende Worte; denn die Reduzierung vollzieht sich ohne vorherige Rücksprache mit den eigentlich Betroffenen. Das heißt, so undemokratisch die Aufrüstungsbeschlüsse waren, so undemokratisch ist die Art und Weise der an sich positiven Abrüstungsschritte. Wer von den betroffenen Landesregierungen, geschweige denn den Kreis- und Kommunalbehörden hatte in irgendeiner Phase die Möglichkeit, das von Herrn Stoltenberg präsentierte Werk zu unterstützen? Sie kannten es schlicht nicht, sie waren in keiner Phase in den Entstehungsprozeß einbezogen. ({0}) - Die Kommunen können nicht an Sitzungen des Verteidigungsausschusses teilnehmen, tut mir leid, Herr Nolting. ({1}) - Ich hatte eben von den Kommunen und Ländern gesprochen. Hören Sie doch bitte richtig zu! ({2}) Dabei gab und gibt es genug willige und mit- und vorausdenkende Menschen; das wissen besonders meine Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß, in dem ständig Unterlagen eingehen, deren Berücksichtigung es gestattet hätte, den bevorstehenden Umgestaltungsprozeß der Bundeswehr wirklich sinnvoll zu vollziehen. Wissen Sie, Herr Minister Stoltenberg, irgendwie erinnert mich die jetzige Grundsituation in fataler Weise an die Situation, in der wir unlängst in der ehemaligen DDR im Zusammenhang mit der Auflösung der NVA und allen damit verbundenen Problemen waren. Damals, also vor einem Jahr, haben wir im Zeitraffer das durchlebt, was man aus Sicht von Bündnis 90/GRÜNE den alteingesessenen Bundesbürgern ersparen sollte, nämlich Konfusion statt Konversion. ({3}) Mit Rücksicht auf die betroffenen Menschen sollte sich diese katastrophale Situation nicht wiederholen. Meine Damen und Herren, auf einem Forum der Zeitschrift „Wehrtechnik" äußerte ein Brigadegeneral unlängst trefflich - Zitat - : Nach gängiger Definition ist Planung der gedankliche Vorgang, bei dem versucht wird, mit einer endlichen Menge an Ressourcen ein genau bestimmtes Ziel auf dem kosteneffektivsten Weg zu erreichen. Wie steht es nun mit Ihrem Ziel, Herr Stoltenberg? Dazu heißt es im Ressortkonzept, die Neuordnung der Stationierung könne sich nicht ausschließlich an den Belangen des zivilen Umfelds der Streitkräfte orientieren; Ziel müsse es sein, von der Belegung her lebensfähige Standorte zu erreichen, damit die ständigen Aufgaben im Frieden aufwandswirksam wahrgenommen werden können. Aber, Herr Minister, das Gesamtstationierungskonzept ist eindeutig nach vorrangig militärischen Kriterien erarbeitet worden, die sich nach wie vor nach Ihrem alten Feindbild ausrichten. Wie anders ist sonst die insgesamt hohe flächendeckende Stationierungsdichte zu erklären und das besonders augenfällig im Land Mecklenburg-Vorpommern, also unmittelbar an der Grenze zum polnischen Nachbarland? Wie anders, Herr Minister, ist die Planung der Luftwaffe zu verstehen, alle derzeitigen Standorte von höheren Kommandobehörden und Divisionsstäben für die Stationierung zukünftiger Kommandostäbe zu erhalten? Eine Entscheidung, die sicher von unserem Nachbarn sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen wird. Was nun den Weg zu Ihrem, mit Verlaub, zweifelhaften Ziel betrifft, Herr Stoltenberg, so ist er mit Sicherheit alles andere als kosteneffektiv; denn das hätte er nur sein können, wären die Kommunen rechtzeitig in die Planung einbezogen worden, wäre vorher wirklich umfassend über Konversion in all ihrer Komplexität nachgedacht worden. ({4}) Bezogen auf das Territorium der fünf neuen Bundesländer heißt das, daß kein Bundesland für sich allein die Probleme bewältigen kann, die mit der Auflösung der NVA bzw. ihrer reduzierten Überführung in die Bundeswehr und dem Abzug der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte verbunden sind. Kein Bundesland kann allein und ausschließlich aus eigener Kraft verhindern, daß die Belegschaft ehemaliger Rüstungsbetriebe arbeitslos wird, wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, in der Rechtsnachfolge des Bundes zur untergangenen DDR für die Folgen zentralstaatlichen Handelns einzustehen. Aus der Sicht der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE stehen vor allem zwei Probleme im Vordergrund. Zum einen geht es um die Landumnutzung für zivile Zwecke. Wir fordern, daß die Liegenschaften aus der militärischen Nutzung altlastenfrei entlassen werden. Dazu muß der Bund finanzielle Mittel für die Sanierung und zivile Erschließung bisher militärisch genutzter Liegenschaften bereitstellen. Einen zweiten Schwerpunkt sehen wir in der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen, also in der personellen Konversion. Da meine Redezeit schon abgelaufen ist, möchte ich nur noch schnell etwas zu dem Konzept der Zivilbeschäftigten sagen. Dieses Konzept wurde bezeichnenderweise erst heute vormittag im Verteidigungsausschuß verteilt und konnte deshalb nicht ausführlich beraten werden. Wir sind aber der Meinung, daß das Gesamtressortkonzept erst verabschiedet werden sollte, wenn über dieses Zivilpersonalkonzept ausführlich und abschließend beraten werden konnte. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile nunmehr dem Herrn Staatssekretär Klaus Beckmann das Wort.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich denke, wir sind uns alle einig, daß die Abrüstung uneingeschränkt zu begrüßen ist. Neben den damit verbundenen Chancen für die Sicherung des Friedens in Europa werden die Abrüstungsmaßnahmen mittel- bis langfristig auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Auf der anderen Seite - das ist jetzt in der Debatte deutlich geworden - ist auch jedem klar, daß diese Entwicklung ebenso negative Auswirkungen haben kann. Das wird ganz konkret sichtbar, wenn Truppen aus strukturschwachen Regionen abziehen. Der Bundesverteidigungsminister hat bei der Standortplanung einen Kriterienkatalog zugrunde gelegt, der u. a. auch regional-wirtschaftliche Aspekte einschließt. Das heißt, bei der Planung wurde, soweit dies möglich war, der Schließung von Standorten in Ballungsgebieten Vorrang vor der Schließung von Standorten in strukturschwachen Regionen gegeben. Daß dieser Grundsatz allerdings nicht immer gelten konnte, zeigt das vom Bundesverteidigungsministerium vorgelegte Ressortkonzept. Herr Kollege Koppelin hat eben darauf hingewiesen. Daraus ergibt sich nun die Schlußfolgerung, daß in den betroffenen strukturschwachen Regionen, für die die Einrichtungen der Bundeswehr ein wichtiger Arbeitgeber und auch Wirtschaftsfaktor sind, erheblicher Anpassungsbedarf eintreten wird. Gleiches gilt natürlich auch für die Regionen, die von einem Truppenabzug ausländischer Streitkräfte betroffen sind. Diese Regionen werden nicht in der Lage sein, allein aus eigener Kraft diese Folgen abzufangen. Es entsteht also Handlungsbedarf. Meine Damen und Herren, die seit Februar 1990 eingerichtete interministerielle Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundeswirtschaftsministers hat die Felder und Politikbereiche festgelegt, die für die erforderliche notwendige Flankierung in Betracht kommen. Lassen Sie sie mich wegen der Kürze der Zeit nur stichwortartig nennen: Erstens. Beschleunigung des Freigabeverfahrens für ehemalig militärisch genutzten Geländes. ({0}) Zweitens. Erhöhung der Preisabschläge beim Verkauf bundeseigener Liegenschaften. Drittens regionalpolitische Flankierung. Der Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" hat bereits im Januar dieses Jahres einen Grundsatzbeschluß für ein regionales Sonderprogramm für die Regionen getroffen, die erheblich vom Truppenabbau betroffen werden und die daher mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, wie sie früher an Stahlstandorten oder Küstenstandorten mit Werften anzutreffen waren. Viertens werden städtebauliche Maßnahmen oder Infrastrukturmaßnahmen greifen müssen. Dies sind einige Bereiche, die Möglichkeiten für eine Flankierung bieten und die geeignet sind, die Standortbestimmungen in den Regionen zu verbessern. Wenn ich mich nun hier auf die regionalen Flankierungsaspekte konzentriert habe, so bedeutet das nicht - das will ich unterstreichen - , daß nicht auch über soziale Maßnahmen nachgedacht wird. Es ist aber so, daß zivile Arbeitnehmer bei den Streitkräften im Falle einer Entlassung nicht in ein Vakuum fallen, sondern durch tarifvertragliche Regelungen oder durch die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes weitgehend abgesichert sind; allerdings wird über zusätzliche Verbesserungen nachgedacht. Der hier, insbesondere auch von dem Kollegen Müller ({1}), geäußerten Kritik, die Bundesregierung hätte noch keine Entscheidungen getroffen, muß folgendes entgegengehalten werden: Erstens, verehrter Herr Kollege Müller, hätte ich anstatt dieser Kritik einmal Dank für die Friedenspolitik dieser Bundesregierung erwartet, die ja diese Abrüstung erst ermöglicht hat. ({2}) Zweitens. Das endgültige Standortkonzept der Bundeswehr wird ja erst im August festgelegt. Drittens. Das Ressortkonzept zum Abbau der zivilen Arbeitsplätze bei der Bundeswehr liegt seit heute vor. Viertens. Die Abzugspläne der Alliierten Streitkräfte sind nur bruchstückhaft bekannt. Das heißt, die wirklich konkreten Entscheidungsgrundlagen fehlen noch weitgehend. Gleichwohl, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wird der Bundeswirtschaftsminister im Rahmen seiner Zuständigkeiten alle Möglichkeiten zur Flankierung des Umstrukturierungsprozesses prüfen und sinnvolle Maßnahmen, insbesondere im Rahmen der Instrumentarien der Gemeinschaftsaufgabe, unterstützen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, unser nächster Redner ist der Kollege Gerhard Neumann.

Gerhard Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001596, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister der Verteidigung führte anläßlich der Übernahme der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte im beigetretenen Teil Deutschlands am 3. Oktober 1990 aus: Die Bundeswehr und die deutsche Verteidigungspolitik stehen vor ihrer größten Herausforderung seit 1955, und zwar sowohl in menschlicher als auch in organisatorischer Hinsicht. Betrachtet man heute das am 24. Mai dieses Jahres vorgelegte Ressortkonzept für die Stationierung der Streitkräfte und die daraus resultierenden komplexen Probleme der Kommunen, so wird schnell deutlich, daß die größte Herausforderung seit 1955 in organisatorischer Hinsicht in keiner Weise gemeistert wird. ({0}) Auf die menschlichen Probleme der Integration der NVA in die Bundeswehr wollen wir heute hier gar nicht erst eingehen. In welcher Situation befinden sich also die bisher militärisch genutzten Liegenschaften auf dem Gebiet der fünf neuen Länder? Von den rund 3 320 NVA-Liegenschaften wurden vom BMVg bisher 1 230 zur weiteren Nutzung freigegeben. 1 320 wurden als Wohnungen oder als Forstgelände unmittelbar an das BMF weitergeleitet. Rund 770 Liegenschaften werden weiterhin militärisch genutzt. Die Liegenschaften der Sowjetarmee werden erst bis zum Jahre 1994 vollständig in Bundeseigentum übergegangen sein. Ein Übungsplatzkonzept, in das auch die Liegenschaften einbezogen werden, konnte trotz Stationierungsentscheidung bisher nicht vorgelegt werden. ({1}) Ferner ist dem Stationierungskonzept nicht zu entnehmen, welche Liegenschaften für die zivile Nutzung in Zukunft noch freigegeben werden sollen. Die Konfusion wird sogar noch größer, wenn es um den Erwerb der Liegenschaften aus NVA-Besitz geht. Sofern diese nämlich nicht für Bundesaufgaben benötigt werden, kann sie im Prinzip jeder Interessent erwerben, der bereit ist, nach haushaltsrechtlichen Bestimmungen den vollen Wert als Kaufpreis zu bezahlen. Dieser Verfahrensweg gilt auch für die finanziell angeschlagenen Kommunen der neuen Länder, die lediglich für die Flächen, die für Naherholungszwecke ausgewiesen sind, eine Art Vorkaufsrecht eingeräumt bekommen haben. ({2}) Eine Subventionierung von Grundstücksveräußerungen für Naherholungszwecke ist nicht möglich. ({3}) Wie aber sollen unter diesen Umständen ein zügiger Aufbau und die Herstellung der kommunalen Arbeitsfähigkeit gewährleistet werden? ({4}) Bundesministerin Frau Dr. Adam-Schwaetzer hat sich am 10. Mai dieses Jahres nachdrücklich dafür ausgesprochen, die zur Diskussion stehenden Liegenschaften möglichst schnell den Gemeinden zu übereignen. Ich zitiere: „In vielen Fällen könnten diese Liegenschaften kurzfristig der Wohnnutzung oder der gewerblichen Nutzung zugeführt werden." Warum war das BMVg oder zumindest das BMF als Vermögensverwalter bisher nicht in der Lage, ein entsprechendes Konzept vorzulegen? Auf meine Anfrage beim Verteidigungsministerium wurde mir lediglich mitgeteilt, daß die Kommunen bundeseigene Grundstücke für Verwaltungszwecke verbilligt kaufen bzw. nutzen können, wenn sie nicht selber über geeignete Grundstücke verfügen. Ich zitiere: „Den Gemeinden soll in diesen Fällen grundsätzlich ein Preisabschlag von 50 % vom Verkehrswert bzw. Nutzungsentgelt eingeräumt werden. " Ich frage Sie: Heißt dies im Klartext, daß die Gemeinden zunächst den Nachweis erbringen müssen, daß sie eine Liegenschaft tatsächlich für Verwaltungszwecke benötigen, bevor sie als Käufer in Betracht gezogen werden? Wer wird wann den Verkehrswert Gerhard Neumann ({5}) der umweltverseuchten und oft in desolatem Zustand befindlichen Liegenschaften festlegen, die vielfach schon als Bauerwartungsland behandelt werden? Der von der Bundesregierung eingeschlagene Verfahrensweg ist unzureichend, was den Preis der Liegenschaften betrifft, unangemessen und deshalb nicht akzeptabel. ({6}) In das Preiskalkül müssen zumindest die Sanierungskosten der Liegenschaften einbezogen werden. Zu fordern ist die gesamte Übernahme der Kosten für die Altlastenbeseitigung durch den Bund. ({7}) Neue wehrtechnische Entwicklungen werden im Haushalt 1991 mit mehr als 3 Milliarden DM veranschlagt. Hinzu kommen 800 000 Millionen DM für das mehr als fragliche Waffensystem Jäger 90.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Neumann, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Gerhard Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001596, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit Blick auf die sicherheitspolitische Lage in Europa sollte es jedem eingängig sein, daß diese Summe zur Sanierung der Altlasten auf NVA-Liegenschaften erheblich sinnvoller eingesetzt werden könnten. Als persönlich betroffener Abgeordneter aus den neuen Ländern kann ich Ihnen zudem versichern: Die Bevölkerung der ehemaligen DDR - und nicht nur sie - wüßte eine solche Umverteilung im Haushalt als den Beweis für einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern zu schätzen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich muß Ihnen das Wort entziehen, Herr Kollege Neumann. Noch einen Schlußsatz bitte. ({0})

Gerhard Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001596, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte nur noch darauf hinweisen, daß mit hochspezialisierten Analyse- und Meßlabors und umwelterfahrenen Wehrgeologen und vor allem mit dem Spürpanzer „Fuchs" ohne Schwierigkeiten die Beseitigung der ökologischen Schäden auf ehemaligem Militärgelände in den fünf neuen Ländern erfolgen könnte. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nun muß ich aber wirklich sagen: Es ist Schluß, Herr Kollege Neumann! Wir können das nicht machen. Ich will noch einmal auf unsere Regeln aufmerksam machen. Wenn wir allgemeine Debatten haben, kann es vorkommen, daß die Redezeit einmal etwas überzogen wird. Aber wir müssen bei unseren Regeln bleiben: Dies sind Fünfminutenreden; es darf nicht länger geredet werden. Ich muß wirklich, so unangenehm das auch ist, bei fünf Minuten abläuten. Nun hat als nächster das Wort unser Kollege Karl Stockhausen.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außer Kritik und Vorwürfen habe ich von der SPD in den zwei Beiträgen nichts Konkretes gehört. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte deutlich die Frage stellen: Welches Zeitverständnis haben Sie eigentlich? Wenn die SPD-regierten Länder vier Monate brauchen, um eine Stellungnahme zu der Planung abzugeben, dann muß man doch einmal fragen, welche Zeit es beansprucht, bis ein Verteidigungsminister, bis die Hardthöhe in der Lage ist, eine solche Herausforderung, wie sie die Entspannungspolitik im Gefolge hat, nämlich die Abrüstung, zu bewältigen. ({1}) Meine Damen und Herren, wir sind Gerhard Stoltenberg, unserem Verteidigungsminister, ausdrücklich dankbar - und wenn einmal einige undichte Stellen im Ministerium vorhanden sind, ist dafür nicht der Minister verantwortlich. ({2}) - ach, passen Sie doch einmal auf; das mit Guillaume war noch viel schlimmer -, ({3}) daß er den Erfolg unserer Politik, nämlich Frieden zu schaffen mit weniger Waffen, in dieser konkreten Form vorgelegt hat. Frieden schaffen mit weniger Waffen heißt natürlich auch: Frieden schaffen mit weniger Soldaten. Daß dies möglich wurde - auch daran muß man sich erinnern - , verdanken wir vor allen Dingen den Alliierten, insbesondere den USA, zu denen Sie immer ein distanziertes Verhältnis hatten. ({4}) Ich erwähne aber auch ausdrücklich Herrn Gorbatschow, der erkannt hat, daß man den Freiheitswillen von Völkern auf Dauer nicht mit militärischer Macht unterdrücken kann. Darum gilt unser Dank Gorbatschow, ({5}) daß er den mutigen Schritt gewagt hat, die Völker des Warschauer Pakts ihren Weg selbst bestimmen zu lassen. Meine Damen und Herren, ich sage noch etwas, was Sie auch nicht gern hören: Es war ganz entscheidend, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien durch den Vollzug des NATO-Doppelbeschlusses deutlich gemacht haben, ({6}) daß diese Bundesrepublik zu ihren Verpflichtungen im Rahmen der NATO steht. Meine Damen und Her2620 ren von der SPD, Sie haben Ihren ehemaligen Kanzler Schmidt im Regen stehengelassen. ({7}) Sie haben damals im alten Plenarsaal kein gutes Bild abgegeben, als Helmut Schmidt mit einer Handvoll Getreuen zu dem gestanden hat, was richtig war. ({8}) Ihre Prognosen „Beginn der Eiszeit" oder „Verstärkung des kalten Krieges" haben sich nicht realisiert, sondern unsere Überzeugung, daß eine wirksame Abrüstungspolitik nur auf unserem Weg erreicht werden kann, war richtig. Meine Damen und Herren, auch das sage ich heute hier: Voraussetzung war auch die Bereitschaft von Millionen junger deutscher Bürger, die ihrer Wehrpflicht nachgekommen sind und damit ihren Beitrag zur Verteidigung und zum Friedensdienst geleistet haben. ({9}) Ich möchte der Bundesregierung und unserem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ausdrücklich Dank aussprechen. Sie waren an diesem Erfolg durch ihren konsequenten Weg maßgeblich beteiligt und können ihn daher für sich in Anspruch nehmen, nicht dagegen Sie von der SPD. Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Wenn Sie für diesen Erfolg der Bundesregierung schon nicht Dank sagen können, dann hätte es Ihnen heute tatsächlich gut angestanden - die Chance dazu haben Sie gehabt -, wenigstens Ihren Respekt vor diesem einmaligen Erfolg zum Ausdruck zu bringen. ({10}) Die Reduzierung der Bundeswehr auf 370 000 Soldaten ist eine Vorleistung der Bundesrepublik. Legt man den Anfangsbestand Bundeswehr/NVA von 620 000 Mann zugrunde, bedeutet das eine Reduzierung um 250 000 Soldaten. Dies bringt vor allen Dingen bei uns in den alten Bundesländern, in den Regionen, wo Standorte aufgegeben oder verringert werden, Probleme mit sich. ({11}) Die Soldaten, die zivilen Mitarbeiter und die Wirtschaftskraft der Truppe sind für die Standorte zu einem wichtigen Faktor geworden. Es geht um das Schicksal von Menschen, die um ihren Arbeitsplatz bangen, um Kommunen, die eine Beeinträchtigung ihrer Struktur in Kauf nehmen müssen. Hier wird die Bundesregierung - das ist gerade betont worden - ihrer Verpflichtung nachkommen, den betroffenen Menschen zu helfen. - Das rote Licht leuchtet schon auf; ich will nur noch zwei Sätze sagen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nein, eigentlich nicht, Herr Kollege Karl Stockhausen. So alte Routiniers müssen wissen, daß fünf Minuten jetzt um sind. ({0})

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, letzter Satz. Meine Damen und Herren von der SPD. Sie spekulieren bei den Bürgern auf die Gnade des Vergessens, ({0}) die Ihnen in der Vergangenheit schon sehr oft zuteil wurde. ({1}) Wir werden es aber nicht zulassen, daß dies in Vergessenheit gerät. Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der nächste Redner ist der Abgeordnete Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr wird auf 370 000 Mann reduziert. Diese Reduzierung ist von uns politisch gewollt. Sie ist auch das Ergebnis einer erfolgreichen Außen- und Sicherheitspolitik. Herr Kollege Stockhausen, Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich als FDP-Vertreter dies besonders erwähne. ({0}) Es besteht jetzt aber auch die Chance einer Umstrukturierung der Bundeswehr bis 1994. Ich erinnere nur an die Erhöhung der Führerdichte, die Verbesserung der Ausbildung und die Steigerung der Attraktivität. ({1}) Minister Stoltenberg hat ein insgesamt ausgewogenes Konzept vorgelegt. Herr Minister, ich danke Ihnen und Ihren Mitarbeitern im Ministerium hierfür ausdrücklich. Ich danke auch dafür, daß Sie uns heute die Vorlage für den zivilen Bereich übergeben haben, ({2}) so daß wir in der Sommerpause weiterberaten können. Aus der Sicht der FDP sind noch gewisse Nachbesserungen in Einzelfragen nötig. Ein grundlegendes Infragestellen des vorgelegten Konzepts ist aus unserer Sicht, Herr Kollege, aber nicht angebracht. Sie wissen, daß die Ministerpräsidenten angeschrieben wurden. Sie sollen zu den Stationierungsplanungen Stellung beziehen. Wir gehen davon aus, daß bei den Eingaben, die uns erreichen werden, auch die Interessen der Kommunen berücksichtigt werden. Eine Fristverlängerung bis Ende September, die die Länder jetzt fordern, ist für uns nicht akzeptabel. Sie kann nicht akzeptabel sein; ({3}) denn ich sage Ihnen: Die betroffenen Soldaten, ihre Familien, die zivilen Mitarbeiter und die Regionen und Standorte müssen jetzt endlich Planungssicherheit haben. ({4}) Zu geringfügigen Fristverlängerungen können wir uns bestimmt noch äußern. Die SPD hat noch im letzten Jahr eine Reduzierung der Bundeswehr auf 200 000 Mann gefordert. Davon ist jetzt, wo es darum geht, Standorte auszudünnen oder aufzulösen, natürlich nichts mehr zu hören. Wenn man alle Forderungen der SPD-Vertreter im Verteidigungsausschuß nach Verbesserungen und Zuschlägen zusammenzählt, dann dürften wir die Bundeswehr nicht verkleinern, sondern müßten ihre Stärke um einige hunderttausend Mann erhöhen. ({5}) - Ich beweise Ihnen das. - Dieses Verfahren ist schlicht und einfach unredlich. ({6}) Hier stellt sich Frau Matthäus-Maier für die SPD-Fraktion hin, und fordert drastische Kürzungen des Verteidigungshaushalts, die auch zu Lasten der Bundeswehrsoldaten gingen; gleichzeitig beginnt Herr Lafontaine das strukturpolitische Gejammer, weil in seinem Land nur um ein Prozent gekürzt wird. ({7}) Plötzlich hat die SPD die Liebe zur Bundeswehr entdeckt. Das haben wir soeben auch bei Herrn Müller erlebt. ({8}) Herr Müller, Ihnen und Ihrer Partei sage ich dazu: Sie möchten die Bundeswehr doch am liebsten in den Kasernen verstecken. Ich erinnere an den Gelöbnisbeschluß Ihres vorletzten Bundesparteitags. ({9}) Für die FDP ist wichtig, daß es bei der Umsetzung des Konzepts nicht zu einem Verschiebebahnhof für Soldaten kommen darf. Die Zahl der Umzüge muß möglichst geringgehalten werden. Die Soldaten und ihre Familien dürfen keine beliebige Manövriermasse sein. ({10}) Sie dürfen nicht die Verlierer dieser erfolgreichen Abrüstungspolitik sein. Dies gilt auch für den zivilen Bereich. ({11}) Im weiteren Verlauf der Beratungen der Standortkonzeption müssen die anderen Ministerien einbezogen werden. Der Kollege Beckmann hat darauf hingewiesen. Dies muß eine Gemeinschaftsaufgabe sein. Ich erinnere an die Standortschließung bei Stahl und Kohle, wo schon fast der nationale Nostand ausgerufen wurde und eine Sondersitzung die andere jagte. Hier aber geht es um weit über 100 000 Soldaten und Zigtausende von Zivilbeschäftigten und ihre Familien, also eine Größenordnung, die noch nie dagewesen ist. Deshalb handelt es sich um eine Aufgabe der gesamten Regierung und des gesamten Parlaments, und ich beziehe die Opposition ausdrücklich ein, weil ich noch nicht die Hoffnung aufgegeben habe, daß Sie zu einem Konsens in der Lage sind. Ausschließen möchte ich hier ausdrücklich die Kollegin von der PDS, die sich hier als Sprecherin der Nachfolgeorganisation der SED hinstellt, uns hier Vorschriften macht, aber an keiner Sitzung, als das Stationierungskonzept beraten wurde, teilgenommen hat. Ich frage Sie: Woher nehmen Sie eigentlich Ihre Informationen? Wenn Sie dann hier als Sprecherin der SED-Nachfolgeorganisation uns etwas über Abrüstung erzählen wollen, dann darf ich Sie doch wohl daran erinnern, daß es die SED war, die ihr Land bis in den letzten Winkel aufgerüstet hat. Unter diesen Folgen leiden unsere Mitbürger noch heute, und Sie tragen dafür die Verantwortung. Ich bedanke mich. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Bundesminister der Verteidigung, Herr Gerhard Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Vorlage und Begründung des Stationierungskonzepts für die Standorte der Soldaten am 24. Mai erleben wir in der Öffentlichkeit eine beite, ganz überwiegend sachbezogene Debatte. Ich will das unterstreichen. Wir haben seitdem über acht Stunden im Verteidigungsausschuß diskutiert - heute morgen noch über die schon erwähnte Folgevorlage für die zivilen Mitarbeiter der Streitkräfte. Ich hebe das auch hervor, weil es schon erstaunlich ist, wie Hauptsprecher der Opposition - Kollege Müller als erster - hier lustig drauflosreden, die an keiner dieser Beratungen teilgenommen haben. ({0}) Von Sachkenntnis ungetrübt übernehmen Sie den polemischen Teil, und das im Namen einer Partei, die ja leider im letzten Jahr bewiesen hat - daran ist schon ein ganzes Jahr lang von Oskar Lafontaine bis Egon Bahr erinnert worden - , daß sie eine Bundeswehr von etwa 200 000 Mann wollte. Wenn wir das umsetzen müßten, würden wir unsere sicherheitspolitische Verantwortung mißachten und einen Kahlschlag bei den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern machen, der vollkommen unvertretbar wäre. ({1}) Also, Herr Müller, mäßigen Sie sich vor dem Hintergrund dieser Debatten. Sie gehören auch zu denen, die mit massiver Emotionalität die Übungen der Luftwaffe vor zwei, drei Jahren in ihrem Heimatland bekämpft haben und heute erklären, die Luftwaffe müsse hierbleiben. ({2}) Die Soldaten müssen als Mitbürger in ihrer Verantwortung ernstgenommen und nicht plötzlich als Wirtschaftsfaktor entdeckt werden, wenn man über sie redet. ({3}) Wir haben dieses Angebot zur Diskussion mit den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und allen anderen Interessierten gemacht, und wir spüren, daß es von vielen ernstgenommen wird. Es ist auch möglich - ich habe dies heute im Ausschuß gesagt -, wenn wir die abschließenden Entscheidungen für diesen Bereich im August treffen, noch Stellungnahmen bis gegen Ende Juli in die Schlußwürdigung einzubeziehen. Aber dann muß entschieden werden. Herr Kollege Nolting hat als letzter überzeugend die Gründe genannt, warum wir das nicht immer weiter verschleppen dürfen. Man muß auch den jetzigen Diskussionsprozeß in vier Stufen der Entscheidungsfindung über eine grundlegende Reform der Bundeswehr sehen. Wir haben nach sorgfältiger Beratung über eine drastische Straffung und Vereinfachung der Führungsorganisation der Kommandobehörden der Bundeswehr entschieden. Wir sind jetzt im Entscheidungsprozeß über die Stationierung der Soldaten und die Standorte für die zivilen Mitarbeiter in den Streitkräften. Wir wollen im September - ich habe das heute im Ausschuß ausführlicher vorgetragen - dann ein grundlegendes Reformkonzept vorlegen, natürlich auch mit einer notwendigen Rückführung für fast 100 000 Mitarbeiter allein in Westdeutschland bei der übrigen Bundeswehrverwaltung und im Bereich der technischen Einrichtungen, der sogenannten Rüstungsorganisation. Das kann man auch nicht alles übers Knie brechen; denn hier geht es um zwei Dinge: die vielbeschworene, von uns ernstgenommene Verantwortung für die Menschen, aber auch um eine für die Aufgaben der Bundeswehr sinnvolle Zukunftsorganisation. Ich will einmal im Deutschen Bundestag sagen, daß hier in einer ungewöhnlich engagierten Weise gearbeitet wird, daß die Belastung für diejenigen, die die Hauptarbeit leisten, an die Grenze dessen geht, was man ihnen zumuten kann. ({4}) - Alles in allem geht es in die Tausende, wenn wir die Rückkopplungen in die Kommandobereiche und Verwaltungen sehen, und im Ministerium sind es sicher auch weit über tausend. Herr Kollege Müller, es gibt natürlich auch noch andere Aufgaben. Seit dem 3. Oktober stehen wir vor der Aufgabe, die alten Strukturen der NVA aufzulösen und mit dem Aufbau der neuen Bundeswehr zu beginnen. Wir haben die Aufgabe, uns an den internationalen Diskussionen über die neue Konzeption des Bündnisses über Rüstungskontrolle und Reform zu beteiligen. Insofern ist das eine große Zeit der Gestaltung, bei der wir in der Tat vor dem, was an tiefgreifenden Änderungen kommt, die Verantwortung für die Menschen zu beachten haben, hier für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter. Ich hoffe, daß wir so zu tragfähigen Ergebnissen kommen, die der Zukunft und den Betroffenen gerecht werden. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist Frau Kollegin Brigitte Schulte.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Stoltenberg, es ist schon erstaunlich, was Sie zu Ihrem Konzept heute vorgetragen haben. Wir haben dieses große Werk ja unvollständig erhalten, und in der militärischen Konzeption ist es auch für den Fachmann nicht durchschaubar. Sie hatten es ja nicht nötig, uns vorher zu erklären, warum denn im Jahre 1995 der Umfang des Heeres mit 255 400, der Luftwaffe mit 82 400 und der Marine mit 32 200 Soldaten der Stein der Weisen ist. Im Gegenteil, allen Angeboten der SPD-Opposition entgegen haben Sie mit uns kein Gesamtkonzept über moderne Streitkräfte erarbeitet. Ich habe immer den Verdacht - auch die Soldaten empfinden das inzwischen draußen so -, daß diese Bundesregierung die Bundeswehr als ihre Privatarmee versteht und nicht als Gesamtaufgabe der Gesellschaft. ({0}) Bei einer solchen Haltung konnten Sie auch nicht erwarten, daß die Regierungschefs Ihnen ernsthaft auf das vorgelegte Konzept eine Antwort geben konnten. Das haben doch nicht einmal die CDU- und CSU-geführten Länder getan. ({1}) Meiner Meinung nach haben Sie in diesem riesigen Konzept selber zugeben müssen, daß es unvollständig ist, weil, als Sie es am 24. Mai vorlegten - Herr Stockhausen, Sie hätten es sich ansehen sollen -, ({2}) noch immer kein Niederschlag der zivilen Mitarbeiter drin war. Was Sie uns heute über die zivilen Mitarbeiter geboten haben, ist unvollständig, ist wieder eine Täuschung der Bevölkerung und erlaubt es wieder nicht, den Flächenlandministerpräsidenten eine entsprechende Antwort zu geben. Brigitte Schulte ({3}) Meine Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen nur das Beispiel Niedersachsen sagen. ({4}) Niedersachsen hatte - Herr Kollege Nolting, hören Sie doch einmal zu - 106 000 Soldaten als Friedensumfang. Es hat jetzt nach den Aussagen von Herrn Stoltenberg gerade noch 86 000 Soldaten. Das liegt an der Verkürzung der Wehrdienstzeit und dem Abbau von Truppenteilen. Es soll 1994, das wissen wir seit dem 24. Mai, knapp 60 000 Soldaten haben. Das bedeutet - und darum kümmern sich Sozialdemokraten - , daß sich der Verteidigungsumfang in Friedenszeiten um 40 % erfreulicherweise verkleinert. Nur, was bedeutet das in den Folgen für die Region? Das bedeutet doch auch, daß wir - und das geben Sie selbst an - über 20 000 Arbeitsplätze für Berufs- und Zeitsoldaten verloren haben, allein in diesen letzten Jahren über 16 000. Das sind Einschnitte, die ganz besonders die Flächenstaaten treffen. Es lag doch nicht an uns, Herr Kollege Nolting, daß gerade diese Länder in der Fläche mit militärischen Ausstattungen besonders stark waren. ({5}) Es war doch die politische Lage und nicht die Lage der SPD oder der CDU/CSU und der FDP. Wir müssen das auffangen, denn es kommen zu diesem Abbau von Arbeitsplätzen bei Berufs- und Zeitsoldaten noch weit über 10 000 allein in Niedersachsen hinzu. Der Minister hat uns heute ja nur ein halbes Ergebnis gegeben. Meine Informationen sagen, daß wir über 50 000 zivile Arbeitsplätze verlieren werden. Das ist in der Tat, meine Damen und Herren, viel mehr, als wir alle angenommen haben. Deswegen stimme ich dem Kollegen Müller zu: Dies ist eine wirtschaftliche Frage. Dies ist eine eminente strukturpolitische Frage. Deswegen haben wir sie zum Gegenstand einer Diskussion für Wirtschaftspolitiker und Verteidigungspolitiker gemacht. Ich bin sehr dankbar, Herr Stoltenberg, daß auf unsere Initiative hin wenigstens die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern in Niedersachsen versucht haben, diese Problematik aufzuarbeiten. ({6}) - Herr Nolting, wenn Sie sich einmal unterrichten würden! Wir haben Sie zu Gesprächen eingeladen. ({7}) - Sie sind unheimlich schlau, das ist ganz klar. ({8}) - Wenn Sie so klug sind, wie Sie sich geben, dann sage ich Ihnen: Wir als SPD-Fraktion haben diese Thematik bereits am 4. Februar 1991 angesprochen, als uns die Regierung noch keine Antwort geben wollte. ({9}) Die Industrie- und Handelskammer - ich stelle Ihnen den Brief zur Verfügung - hat uns das mitgeteilt. ({10}) Wir brauchen einen Strauß an Antworten. ({11}) Deshalb verlangt die SPD-Fraktion ein Abrüstungsfolgengesetz, in dem eben nicht nur die Arbeitnehmer, zivile wie militärische, berücksichtigt werden, sondern auch die Schaffung neuer ziviler Arbeitsplätze erreicht wird, ({12}) die Liegenschaften eine Rolle spielen. Meine Kolleginnen und Kollegen, erst dann kann eine ordentlich arbeitende Landesregierung auch eine Antwort geben. ({13}) Fragen Sie doch einmal Ihre bayerische Landesregierung, was sie von diesen Konzepten hält! Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Egon Jüttner.

Dr. Egon Jüttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns: Als im Sommer des vergangenen Jahres unser Bundeskanzler bei seinem Treffen mit Gorbatschow die Verringerung der Bundeswehr von 495 000 auf 370 000 Mann vereinbarte, da waren wir alle erleichtert. Helmut Kohl hatte damals Einigkeit mit der Sowjetunion über alle äußeren Aspekte der deutschen Einheit erzielt, so auch über die Zugehörigkeit des vereinten Deutschland zur NATO, über den Abzug aller sowjetischen Truppen bis 1994, aber auch über die Reduzierung der Streitkräfte des vereinten Deutschlands. Die Reduzierung der Streitkräfte ist eine schwierige Operation und bedeutet für die Bundeswehr einen tiefgreifenden Umbruch. Sie ist eine große Herausforderung für die Verantwortlichen. Diese müssen nicht nur die Reduzierung, sondern auch die weitreichendste Strukturreform der Bundeswehr seit ihrer Gründung und gleichzeitig den Aufbau der Bundeswehr in den neuen Bundesländern bewältigen. Dafür sollten wir den Herren auf der Hardthöhe einmal herzlich danken! Meine Damen und Herren, das Ressortkonzept für die Stationierung der Streitkräfte ist eine hervorragende Entscheidungsgrundlage. Die Vorschläge orientieren sich an Kriterien, über die allgemein Konsens besteht. Konsens besteht auch über die Grundsätze, die dem Ressortkonzept zugrunde liegen. Meine Damen und Herren, es war vorauszusehen, daß es bei manchen Vorschlägen des Ressortkonzepts Enttäuschung und auch Kritik Betroffener geben würde. Kein Verständnis aber kann man für jene Politiker haben, die noch vor kurzer Zeit die Bundeswehr auf einen unverantwortlich niedrigen Stand zurückführen wollten, ({0}) jetzt aber das Ressortkonzept kritisieren und erstaunlich schnell ihr Herz für die Bundeswehr entdeckt haben. ({1}) Wie glaubwürdig ist Ihr Eintreten für die Erhaltung von Standorten, und wie ernsthaft ist Ihre Kritik am Vorschlag des Verteidigungsministers? Im Einzelfall mag das Ressortkonzept sicher manch unliebsamen Vorschlag enthalten. Man darf es aber nicht allein unter lokal- oder regionalpolitischen Gesichtspunkten sehen, sondern muß es als Ganzes beurteilen. Dann kommt man zu dem Schluß, daß es, gemessen an seinen Vorgaben und Rahmenbedingungen, insgesamt das Ziel, den künftigen Aufgaben der Bundeswehr gerecht zu werden, und gleichzeitig die Vorgabe, die Personalstärke auf 370 000 zu reduzieren, erfüllt. ({2}) Dies sollte auch die Opposition zur Kenntnis nehmen! Die Länder sind frühzeitig vom Verteidigungsminister in die Planungen einbezogen worden. Nun haben sie vor der endgültigen Entscheidung noch einmal die Möglichkeit, sich zu äußern und Vorschläge zu unterbreiten. Diese Vorschläge müssen sorgfältig und ernsthaft geprüft werden. Die Regierung beispielsweise meines Bundeslandes Baden-Württemberg war von Anfang an damit einverstanden, Ballungsräume zu entlasten und den ländlichen Raum zu stärken. Im Ressortkonzept ist dieser Grundsatz im wesentlichen eingehalten worden. Das zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß das Heer um 33 % verringert wird, gleichzeitig aber die Standorte nur um 12 % vermindert werden. Das bedeutet, daß die überwiegende Zahl der Standorte in strukturschwachen Gebieten erhalten bleibt. Den Forderungen der CDU-Landesgruppe und der Landesregierung Baden-Württemberg wurde somit weitgehend entsprochen. Schließlich gibt es bei uns noch vier Standorte, für deren Erhalt wir uns weiterhin einsetzen. Meine Damen und Herren, die Schließung von Standorten bedeutet stets, auch in einer strukturstarken Gegend, einen Verlust an Beschäftigungsmöglichkeiten, einen Verzicht auf Kaufkraft und überdies einen Verlust an heimatnahem Einsatz Wehrpflichtiger. Ich halte es deshalb für dringend erforderlich, daß sich im Zuge der Auflösung und Reduzierung von Standorten die Bundesministerien der Verteidigung, sowie für Wirtschaft und Arbeit nicht nur um wirtschaftsschwache, sondern um alle betroffenen Regionen, Gemeinden und Städte kümmern. ({3}) Ich meine, es muß in allen vom Bundeswehrabzug betroffenen Standorten bei der Reduzierung des Zivilpersonals stufenweise und sozialverträglich vorgegangen werden. Wirtschaftsstrukturelle Hilfen müssen gegeben werden; Konzepte für den heimatnahen Einsatz Wehrdienstleistender müssen vorgelegt werden; für ältere Mitarbeiter muß die Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens vorgesehen werden. Darüber hinaus müssen schon bald auch im Verwaltungsbereich Entscheidungen getroffen werden. Auch hier wollen die Betroffenen wissen, ob beispielsweise Standortverwaltungen aufgelöst, verlegt oder zusammengefaßt werden. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist der Abgeordnete Manfred Opel. ({0})

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ach wissen Sie, Herr Nolting, kurz, knapp, schnell, präzise und falsch - das kann ich auch. Das will ich aber nicht machen. ({0}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich freuen wir uns über die Erfolge bei der Abrüstung, aber wir möchten auch, daß die europa- und weltweite Abrüstung weitergeht. ({1}) Wir können nicht bei 370 000 Soldaten stehen bleiben. Deswegen muß die Abrüstung so strukturiert werden, daß sie auch zukunftssicher ist, daß sie der Bevölkerung Chancen bietet und für sie attraktiv ist, damit sie angenommen wird. Genau hier setzt unsere Kritik an. Wir wissen natürlich auch, daß Abrüstung nicht ohne potentielle soziale, wirtschaftliche und strukturelle Folgewirkungen durchzuführen ist. ({2}) Abrüstung muß deshalb Hand in Hand gehen mit überzeugenden Ausgleichsmaßnahmen. Hier sind Sie eine Antwort schuldig geblieben, Herr Nolting. ({3}) Die dringende Frage ist nicht, o b man abrüstet, sondern, wie man abrüstet. Deswegen brauchen wir ein „Gesamtkonzept Abrüstung". Der erste Entwurf der Hardthöhe zur Reduzierungsplanung kam nicht nur mit großer Verspätung, sonManfred Opel dern erwies sich auch, wie Sie ja selbst gesagt haben, als höchst unvollständig und unausgewogen. ({4}) Würde das sogenannte Ressortkonzept in der vorliegenden Form umgesetzt, wären vermeidbare Nachteile und soziale Härten bei den betroffenen Bundeswehrangehörigen, Gemeinden und Regionen die Folge. Vor allem die Soldaten vermögen aus dem Konzept nicht zu erkennen, wie ihre sozialen Belange wahrgenommen werden sollen. Das aber haben diejenigen - in erster Linie in den Standortgemeinden -, die in der Vergangenheit viel in Kauf genommen haben, um den Frieden in Europa zu sichern, nicht verdient. Um es klar zu sagen: Das Ressortkonzept des Verteidigungsministers ist sozial- und strukturpolitisch unakzeptabel. Den Plänen des Verteidigungsministers fehlt insbesondere die Ausrichtung auf ein politisches, strategisches und operatives Konzept. So werden lediglich überwiegend veraltete Strukturen fortgeschrieben. Die Beschaffung der Dinosauriersysteme des Kalten Krieges wird fortgesetzt, als sei in der Zwischenzeit überhaupt nichts geschehen. ({5}) Die Aufgabenteilung zwischen den Teilstreitkräften wurde nicht neu definiert, obgleich eine Umplanung zugunsten der Marine - hier trete ich Ihnen bei, Herr Koppelin - dringend geboten ist. ({6}) Fazit: Das sogenannte Ressortkonzept ist auch politisch und militärisch nicht tragfähig. ({7}) Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wir laufen ernsthaft Gefahr, die „Friedensdividende" zu verspielen. Das sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen. ({8}) Man nehme nur einmal das Beispiel des Landesteils Schleswig im Norden Schleswig-Holsteins. Da läßt der Verteidigungsminister ausgerechnet eine der strukturschwächsten Regionen dieser Republik am meisten bluten. Das beweist das heute veröffentlichte Konzept für die „Zivilbediensteten bei den Streitkräften" sogar verstärkt. Die diesbezüglichen Ausführungen des Kollegen Koppelin sind richtig, und ich schließe mich ihnen an. Im übrigen, Herr Kollege Koppelin, wurde Itzehoe vom Verteidigungsminister ja schon bestraft. Dort wurde der Standort sang- und klanglos geschlossen. Die zahlreichen und konstruktiven Alternativvorschläge, die wir gemacht haben, stießen beim Minister auf taube Ohren. Wir benötigen dringend die Aufschlüsselung der zukünftigen Personalstruktur nach Dienstgraden und Laufbahnen. Wir brauchen endlich die Vergleichszahlen für alle zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr und nicht nur für einen Teil. Wir müssen die Planzahlen in Jahresschritten präzise genannt erhalten. Die Bürgermeister und Landräte wissen nämlich im Moment nicht, wie ihre Planung vor Ort aussieht. Es herrscht dort absolute Unsicherheit. ({9}) Wir brauchen ein Abrüstungsfolgen-Gesetz mit folgenden drei Elementen: erstens ein Konzept für soziale Konversion in Form von sozialer Absicherung der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr sowie für alle anderen Betroffenen, zweitens ein Konzept zur Standortekonversion für wirtschaftliche Hilfen, in erster Linie für die betroffenen Kommunen, drittens ein Konzept für Rüstungskonversion, bestehend vor allem aus Überleitungsmaßnahmen von der Rüstungsproduktion in die zivile Produktion. Wichtig ist, daß wir damit weiterkommen, daß Sicherheit vor Ort entsteht. Vorzuwerfen ist dem Verteidigungsminister vor allem auch, daß er seine Planungsarbeit wie seine Privatsache gefahren hat. Er hätte Gemeinden, Kreise, Länder, Berufsverbände, Personalräte, Vertrauenspersonen, Gewerkschaften und andere Betroffene von Anfang an beteiligen müssen. Dann wären die eklatanten Fehler, die nun leider zu verzeichnen sind, vermeidbar gewesen. So haben wir heute Gemeinden, die ihre Soldaten loswerden wollen, sie aber behalten müssen; und umgekehrt solche, die ihre Soldaten behalten wollen, sie aber abgeben müssen. Genau das hätte man durch Offenheit von Anfang an anders machen können. Wir hoffen, daß der Verteidigungsminister endlich Einsicht zeigt, sich kooperationswillig sowie vor allem kooperationsfähig erweist und daß wir die Planung in der Substanz in dem Sinne, wie ich es gesagt habe, noch im Laufe der nächsten Monate grundlegend korrigieren können. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Hans Raidel.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute eine ganz erstaunliche Debatte: Die SPD spielt sich als Gralshüter der Bundeswehr auf. ({0}) Plötzlich heißt es: Abrüsten ja, aber nicht bei uns. Schärfste Kritiker des Militärs wandeln sich, Wendehälsen gleich, aus regionalem Egoismus und mit Blick auf die Stimmung im eigenen Wahlkreis zu Freunden soldatischer Präsenz. ({1}) - Ich würde an Ihrer Stelle Ihre Phrasendreschmaschine in der Scheune stehen lassen! ({2}) Meine Damen und Herren, die Verringerung der Bundeswehrstärke auf rund 370 000 Mann und der gleichzeitige Aufbau demokratischer Streitkräfte in den neuen Bundesländern sowie der Abzug der sowjetischen Truppen sind der Erfolg der Sicherheits- und Außenpolitik dieser Regierung. Die Bundeswehr erfährt mit der vorliegenden Entscheidung die größte Umstrukturierung in ihrer Geschichte. Ziel ist dabei weiterhin, die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten. Wirtschaftliche Interessen sind zwar, wo immer es geht, zu berücksichtigen, haben sich aber letztlich dem Sicherheitsziel unterzuordnen. Um die militärischen Interessen mit denen der Länder soweit wie möglich zu harmonisieren, erfolgte die Stationierungsplanung unter Anlegung eines umfassenden Kriterienkatalogs: a) Sicherstellung der militärischen Aufgabenerfüllung, b) politische und gesellschaftliche Akzeptanz, c) Lebensfähigkeit der Standorte. Meine Damen und Herren, das vorgelegte Konzept ist in sich schlüssig und erfüllt die gestellten Ansprüche. ({3}) Ich darf Ihnen, Herr Minister, und allen Mitarbeitern Ihres Hauses, insbesondere den Planungsstäben, herzlich für die enorme Fleißarbeit danken. Dieses Konzept ist ausgewogen; es hat Hand und Fuß. Wir wissen, am Truppenabbau geht kein Weg vorbei. Das darf uns aber nicht den Blick auf die großen Probleme verstellen, die sich für einzelne Städte und Gemeinden ergeben, wenn die Soldaten abziehen. Kaufkraft geht verloren; Infrastruktureinrichtungen, die für die Bundeswehrangehörigen und ihre Familien geschaffen wurden, stehen leer. Als bayerischer Abgeordneter darf ich mir erlauben, insbesondere auf die bayerischen Probleme hinzuweisen, die z. B. in Ostbayern, insbesondere in Niederbayern und der Oberpfalz, oder auch in Nordschwaben entstehen. Flankierende Maßnahmen sind nötig. Aus meiner Sicht sind diese flankierenden gesetzgeberischen Maßnahmen: erstens das Personalstärkegesetz für die Reduzierung des Soldatenumfanges, zweitens eine Vorschrift zur sozial verträglichen Reduzierung des Zivilpersonals und drittens eine Konzeption, die die wirtschaftlichen und strukturellen Auswirkungen in den neuen Stationierungsplanungen auf die Standorte berücksichtigt. Die Bundesregierung muß in Abstimmung mit den Ländern rechtzeitig Vorbereitungen treffen, um geeignete Maßnahmen einleiten zu können, z. B. aus der Programmförderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. ({4}) Zudem sollten alle bisher militärisch genutzten Liegenschaften auf die Möglichkeit ihrer zivilen Folgenutzung geprüft werden. Als Alternative nenne ich z. B. die Nutzung für den Wohnungsbau. Hier ist dem Finanzminister herzlich zu danken, daß das Konzept für die Abgabe von Bauland deutlich verbessert worden ist: ({5}) 30 % bisher und in möglichen weiteren Fällen über diese 30 % hinaus. Diese Preisbevorzugungen sollten sich auf alle der Öffentlichkeit dienenden Einrichtungen der Länder, Bezirke und Gemeinden erstrekken. Meine Damen und Herren, die vor Ort entstehenden wirtschaftlichen und strukturellen Probleme bei Auflösung bzw. Verlegung von Bundeswehreinheiten sind politisch sicherlich nicht zu unterschätzen. Dennoch muß dem Ministerium bescheinigt werden, daß mit dem vorgelegten Ressortkonzept eine schlüssige und den künftigen Aufgaben der Bundeswehr gerecht werdende Stationierungsplanung vorgelegt wurde. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nunmehr der Abgeordnete Thomas Kossendey das Wort.

Thomas Kossendey (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001188, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als ich die Reden der Kollegen von der Opposition hörte, fiel mir Ihr Bürgermeister Momper ein. Er hat den Ausdruck vom „Rumeiern" geprägt. Sehr viel mehr war es eigentlich nicht, was Sie heute geboten haben. ({0}) Sie haben viel geredet, viel lamentiert, aber eigentlich wenig Konstruktives beigetragen. ({1}) Das kollektive In-die-Kissen-Schluchzen, das Sie hier demonstriert haben, kann Politik nicht ersetzen. Die Bürger wollen wissen: Was wollen die Sozialdemokraten nun eigentlich? ({2}) Daß Sie reduzieren wollen, haben wir gehört. Aber eines würde uns natürlich interessieren: Wieviel und wo würden Sie reduzieren? Was ist eigentlich aus Ihren hochtrabenden Plänen geworden? Mit einem Irrtum unserer Kollegen möchte ich einmal aufräumen: Die SPD sprach immer von 200 000 Mann. Ich habe hier eine Überschrift aus einer politischen Zeitung: „Der roten Heidi reichen 100 000 Mann", ({3}) - Für Heidi allein? Ja, gut. Mich würde eigentlich interessieren: Wann legen Sie die Liste der Standorte vor, die wir dann schließen müßten? Wie sagen Sie das den Zivilbediensteten? Wie sagen Sie das den Soldaten? Eines, meine Herren und Damen, wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen: Jahr für Jahr seit 1988 pachten Sie die Schlagzeilen der Wochenendzeitungen mit immer niedrigeren Zahlen für die Bundeswehr. Wenn es wirklich ernst wird, dann fangen Sie an zu jammern. ({4}) Jetzt ziehen Sie - ich habe das in Niedersachsen erlebt - wie ein mehr oder weniger gut organisierter Haufen professioneller Klageweiber durchs Land, bejammern den Abbau der Bundeswehr und beschwören Ihre Liebe zu den Soldaten. ({5}) Jede Garnison ist auf einmal strukturpolitisch sehr wichtig. Was wäre denn wohl mit 100 000 Mann? Wo blieben denn Standorte, die wir in der letzten Zeit in der Diskussion hatten. Wenn ich Sie dann vom Strukturfaktor Bundeswehr reden höre, der ganz wichtig sei, und daß viele Regionen geradezu veröden würden, wenn die Bundeswehr wegginge, kann ich Ihnen nur eines sagen: Wer Soldaten in erster Linie als Strukturfaktoren sieht, der baut keine gute Basis für eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit für die Zukunft. ({6}) Denn zu einer guten Zusammenarbeit mit Soldaten und der Bundeswehr gehört mehr. Da muß auch die innere Bejahung des Auftrages der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik hinzukommen. ({7}) Das lassen Sie vermissen. ({8}) Ihre Liebesschwüre an die Soldaten erinnern mich ein bißchen an die Mitgiftjäger. Sie wollen zwar mit der Braut nicht viel zu tun haben; aber die Mitgift interessiert alle. ({9}) Das ist für politische Arbeit zu wenig. Strukturfaktor Soldat ist vielleicht auch aus einer anderen Sicht problematisch: Wir würden der Bundeswehr, glaube ich, eine viel zu große Verantwortung auf den Buckel binden, wenn wir sie auch noch für die Strukturpolitik in unserem Lande verantwortlich machen wollten. Wer so denkt, wird zum Schluß noch Fregatten bauen, weil es den Werften schlechtgeht. Ich mag gar nicht daran denken: Vielleicht kommen Sozialdemokraten noch auf die Idee, wegen irgendeiner industriepolitischen Misere in Bayern den Jäger 90 zu bauen. So eine Logik fände ich nicht gerade prima. Mich hat die Rede der Kollegin Schulte beeindruckt, die im Augenblick nicht mehr da sein kann. ({10}) - Herr Opel, seien Sie vorsichtig. Sie sind eines der wenigen gelungenen Beispiele für personelle Konversion. Aber wir können nicht jedem Soldaten eine solche Zukunft bieten. ({11}) Sorgen machen mir die Zivilbediensteten; lassen Sie mich das ganz deutlich sagen. Hier wird es unser aller Anstrengung bedürfen - der Anstrengung der Regierung und des Parlamentes, und zwar beider Seiten des Parlamentes - , um allen eine sozialverträgliche Lösung zu bringen. Aber das Schema zieht nicht, daß Sie erst die Leute in Panik bringen, uns diese Panik vorhalten und dann meinen, wir seien dafür verantwortlich, Rezepte für die Beruhigung der Menschen zu bringen, die Sie erst in Panik gebracht haben. ({12}) Zum Schluß möchte ich in fünf Punkten zusammenfassen, was mir in den nächsten Wochen wichtig erscheint. Das Konzept von Minister Stoltenberg, das gut und schnell ausgearbeitet worden ist, ist aus meiner Sicht in einigen Punkten nachbesserungsbedürftig. Das werden wir leisten. Ich denke dabei insbesondere an den Nordwesten unseres Vaterlandes. Zweiter Punkt: Wir müssen das Rahmenkonzept für eine Hilfe in Zukunft sowohl für die Soldaten als auch für die Zivilbediensteten präziser fassen. Ich denke, in der Sondersitzung am 5. August werden wir dazu einiges erfahren. Es darf nämlich nicht passieren - mit den 370 000 Mann sind wir ja im Wort - , daß wir ein Gesetz vorlegen und keiner von der Bundeswehr weggehen will, weil nämlich auf einmal der Arbeitsplatz ganz wichtig ist. Wir müssen drittens die wirtschaftlichen Ausgleichsmaßnahmen, von denen Herr Staatssekretär Beckmann sprach, den Kommunen sehr schnell und sehr präzise darlegen. ({13}) Wenn ich richtig informiert bin, wird das am 26. Juni klarer werden. Ein vierter Punkt betrifft die Frage der Grundstücke. 30 % kann für mich nicht das letzte Wort sein. Darüber werden wir mit dem Finanzminister zu diskutieren haben. Wir sollten das Problem durchaus differenziert betrachten. Es gibt durchaus Regionen, die 100 % bezahlen können, und es gibt Regionen, die höchstens 30 bis 40 % bezahlen können. ({14}) Da werden wir ein differenziertes Konzept vorlegen. Ich fordere Sie auf, im Sinne der Reden des Kollegen Opel und der Kollegin Schulte - bei den anderen habe ich kaum Ansätze entdeckt - , als Opposition daran mitzuwirken, daß wir das zum Wohle der Soldaten und der Zivilbediensteten der Bundeswehr machen. ({15})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, die beschlossene Redezeit ist zu Ende. Ich schließe daher die Aussprache. Ich mache Sie auf folgendes aufmerksam: Es ist interfraktionell vereinbart, daß diese Sitzung um 16.30 Uhr unterbrochen werden soll. Nun gibt es inzwischen eine neue interfraktionelle Vereinbarung, die sich auf die Aktuelle Stunde, auf den Zusatzpunkt 9, bezieht. Mir haben die Fraktionen mitgeteilt, daß sie für die Aktuelle Stunde jeweils nur einen Redner benennen. Unter diesen Voraussetzungen möchte ich diesen Tagesordnungspunkt, Zusatzpunkt 9, aufrufen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe auf: Aktuelle Stunde Verhalten der Bundesregierung bezüglich der geplanten Einlagerung von radioaktiven Abfällen in das Zwischenlager Gorleben und Berücksichtigung der Bedenken der betroffenen Bevölkerung und der Landesregierung von Niedersachsen Die Gruppe PDS/Linke Liste hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Jutta Braband. ({0})

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Zu Ihrer Freude, das muß sein! Es hat sich offenbar sonst niemand gefunden, der zu diesem Thema etwas sagen möchte. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Entschuldigen Sie bitte. - Darf ich Sie um Ruhe bitten, meine Kolleginnen und Kollegen, damit die Rednerin zu Wort kommen kann! - Bitte sehr, Frau Braband.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Es gibt - das wird immer augenscheinlicher - eine real existierende Kumpanei zwischen der Atomlobby auf der einen Seite und Herrn Töpfer auf der anderen Seite." ({0}) Das ist ein Zitat vom Ministerpräsidenten von Niedersachsen, von Herrn Schröder. ({1}) - Nein, natürlich nicht, aber vielleicht beschäftigen Sie sich einmal mit dem Inhalt dieses Satzes. Der gewalttätige Polizeieinsatz gegen Atomkraftgegner und -gegnerinnen in Gorleben und Lüchow auf Anweisung der Bundesregierung offenbart das häßliche Gesicht der Atomenergie. In Gorleben haben wir ein Stück Atomstaat in Aktion gesehen. Mit einem brutalen Einsatz wurde gestern die Einlagerung des Transnuklear-Skandal-Atommülls aus Mol in das Zwischenlager Gorleben gegen den Widerstand der Bevölkerung der Region mit Gewalt durchgesetzt. Wie zum Hohn erreichte uns diese Woche wieder einmal die Nachricht von einem Störfall in den Hanauer Nuklearbetrieben, auf Grund dessen das hessische Umweltministerium nun endlich die Konsequenzen gezogen und die Anlage stillgelegt hat. Die Geschichte der bundesdeutschen Atomwirtschaft erweist sich als Geschichte der Pleiten, wie Brüter, Hochtemperaturreaktor und Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf belegen. Sie ist aber auch die Geschichte der Skandale und von Abgründigkeiten um Transnuklear und große RWE-Vorstandsehrenworte um Biblis A. Zwischenlagerung und Erkundungsbergwerk zur Endlagerung in Gorleben, Pilotkonditionierungsanlage usw., finde ich, sind untaugliche Ergebnisse des Versuchs der Bundesregierung, der Atomwirtschaft einen Entsorgungspfad freizuklopfen. Der Kampf der Bürgerinitiative dagegen ist bekannt. Was wir in dieser Woche erleben, ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt, wenn in den nächsten Jahren die Kompaktlager für abgebrannte Brennelemente in den Atomkraftwerken voll sein werden. Tausende von Waggonladungen mit mehr oder minder radioaktiven Abfällen werden pro Jahr durch das Land fahren, mit erheblichen Risiken für die Bevölkerung und gegen ihren Willen. Das handstreichartige Vorgehen dieser Tage beweist, in welcher Situation sich das befindet, was Atomwirtschaft und Bundesregierung als Entsorgung bezeichnen. Ihnen steht der Atommüll bis zum Hals. Sie wissen nicht, wie es in den nächsten Jahren, wenn erst der gesamte Atommüll aus La Hague und Sellafield zurückgenommen werden muß, weitergehen soll. Was sie wissen, ist: Es gibt weltweit kein geeignetes Endlager für Atommüll, in dem das strahlende Erbe unserer Epoche für Zehntausende von Jahren wirklich sicher eingeschlossen ist. Trotzdem wollen sie den Atommüll unter den Teppich der Gorlebener Salzstöcke kehren, im Schacht Konrad und Morsleben verschwinden lassen nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn, und nach uns die Sintflut. Sie behaupten lediglich: Atomenergie ist sicher und verantwortbar. Der Transnuklear-Skandal findet in diesen Wochen mit diesem Einlagerungsskandal seine Fortsetzung. Selbst die Landesregierung Niedersachsens hatte erhebliche Bedenken gegen die Einlagerung des Transnuklear-Atommülls aus Mol erhoben, da Zusammensetzung und Herkunft des Abfalls weitgehend unbekannt sind. Trotzdem bestand Atomminister Töpfer auf der Einlagerung und machte von seinem Weisungsrecht Gebrauch. Der Polizeieinsatz ist daher nicht nur vom Innenminister Niedersachsens zu verantworten, sondern vor allem von Herrn Töpfer selbst. Unverständlich ist allerdings, daß die rosa-grüne Landesregierung in Hannover ({2}) nicht alle rechtlichen und politischen Mittel zur Verhinderung der Einlagerung ausschöpfte. Angesichts der Brisanz des Themas und des Anspruchs der niedersächsischen Koalition hätten wir etwas mehr Widerstandsgeist erwartet. Ich frage: Was wäre denn geschehen, wenn Niedersachsen der Anweisung des Atomministers nicht Folge geleistet hätte? Hätte Herr Töpfer womöglich eine Erzwingungshaft für Frau Griefahn erwirkt? Wahrscheinlich nicht. Die Sache wäre vor dem Bundesrat verhandelt worden, und hier hätte sich die SPD nun endlich zu ihrer Forderung nach dem Ausstieg aus der Atomenergie praktisch bekennen können und müssen. Der Polizeieinsatz im Wendland offenbart: Atomenergie ist nicht nur umweltunverträglich, sondern auch sozial unverträglich und demokratiefeindlich. Hier zeigt sich, daß statt Abbau der Mitwirkungsrechte des und der einzelnen, z. B. im VerkehrswegeBeschleunigungsgesetz, gerade der Ausbau dieser Rechte dringend nötig ist. Nur der Ausbau dieser Rechte ist eine Garantie dafür, daß Proteste von Bürgerinnen und Bürgern nicht kriminalisiert werden können, ebenso wie dafür, daß die Lösung von Problemen der ganzen Gesellschaft nicht mit polizeistaatlichen Mitteln erfolgt. Denn was Atomminister Töpfer hier versucht hat, ist offensichtlich eine Delegierung des Problems an die Landespolizei von Niedersachsen. Statt sich hierfür mißbrauchen zu lassen, sollte die Polizei nicht nur von der Landesregierung, sondern vor allem von der Bundesregierung eine politische Lösung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes verlangen, die - ich sagte es schon einmal - zu 70 % den Ausstieg aus der Atomenergie fordern. Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, daß sich der, der hier in diesem Hause ständig von der friedlichen Revolution in der DDR redet und die Friedlichkeit der Veränderungen begrüßt, auch daran erinnern möge, daß die Friedlichkeit durchaus darin bestanden hat, daß Menschen gegen eine Regierung demonstriert haben, daß sie Blockaden gemacht, Kerzen angezündet haben usw. Stellen Sie sich endlich dieser Situation! Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Braband, wir haben Ihre Redezeit verlängert, weil es eingangs hier nicht ruhig war. Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen. Nächster Redner ist jetzt unser Kollege Klaus Harries.

Klaus Harries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000814, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein starkes Stück: Wir haben Störfälle und reden seit Jahren in aller Öffentlichkeit, verehrte Frau Braband, darüber. Sie haben in der früheren DDR bei uns nicht genehmigungsfähige Kraftwerke gehabt, die wir durch Entscheidung unseres Bundesumweltministers erst abstellen mußten. Darüber konnte bei Ihnen niemals geredet werden. Über diesen Unterschied sollten Sie bitte einmal nachdenken. ({0}) Daß bei der Fraktion der PDS das Bewußtsein für unsere verfassungsmäßige Ordnung, für unseren Rechtsstaat noch nicht ausgeprägt ist, meine Damen und Herren, das kann ich beinahe noch nachvollziehen, daß es aber Lücken in der Beachtung und Anwendung der Rechtsnormen bei der niedersächsischen Landesregierung gibt, halte ich für bedenklich. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn wir dazu kommen, daß ein Bundesland auf Grund von Bundesgesetzen nur noch dann tätig wird, wenn eine Weisung ergeht oder wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dann ist das auf die Dauer unerträglich und bekommt unserem Verfassungsstaat nicht gut. Auch darüber bitte ich Sie einmal nachzudenken. ({2}) Es bedurfte erst einer rechtmäßigen Anweisung des Bundesumweltministers, um die Rückführung radioaktiver Abfälle aus Belgien in das genehmigte Zwischenlager Gorleben zuzulassen. Erst auf Weisung des Bundesumweltministers hat die niedersächsische Landesregierung die rechtswidrige und eine Nötigung darstellende Blockade von etwa 100 bis 150 Jugendlichen in Lüchow beseitigt. Dank sage ich an dieser Stelle, meine Damen und Herren, der Polizei, die beispielhaft und vorbildlich gehandelt hat und gegen diesen Rechtsbruch vorgegangen ist. Dank sage ich den Tausenden von Einwohnern des Kreises Lüchow-Dannenberg, die keineswegs alle für die Kernenergie sind, aber sich an rechtswidrigen Maßnahmen nicht beteiligt haben, sondern ohne Hysterie und mit Gelassenheit das Vorgehen und die Vorgänge, glaube ich, sehr, sehr kritisch verfolgt haben. Der Bundesumweltminister hat mit seiner Weisung im Rahmen der Gesetze gehandelt. Die Abfälle aus Mol waren bedenkenlos nach Gorleben zu bringen, und zwar einfach deswegen, weil der Herkunftsort völlig unstrittig war. ({3}) Neckarwestheim und Krümmel waren die Lieferanten. Es war überhaupt kein Rechtsgrund gegeben, um den Transport in der Polizeikaserne zu stoppen. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland war auf Grund bestehender Verträge nicht nur zur Abnahme dieser überschaubaren Atommülltransporte verpflichtet. Sie ist auch verpflichtet, in Zukunft ohne Störung, regelmäßig und auch sicher all die Fässer aus Mol zurückzunehmen, zu deren Abnahme wir vertraglich verpflichtet sind. Wir reden immer mehr, wir reden intensiv und mit Recht vom europäischen Wirtschaftsraum. Dazu gehören auch immer mehr Absprachen zur Behandlung der Energie im weitesten Sinne. Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit sind gerade auf diesem Gebiet nötig. Wir haben geschlossene Verträge einzuhalten. Da kann man vor Ort nicht so eine kleinkarierte - entschuldigen Sie diesen Ausdruck - rechtswidrige Politik machen. ({4}) Ich habe den Skandal in Hanau keineswegs vergessen. Der Bundestag hat sich durch einen von ihm eingesetzten Untersuchungsausschuß ({5}) über drei Jahre mit Vertretern aller Fraktionen eingehend mit diesem Skandal befaßt. Dabei ist nichts unter den Teppich gekehrt worden. Alles ist aufgedeckt, alles ist diskutiert worden. ({6}) Die Ursachen sind beseitigt. Die Ursachen sind behoben. Der Bund hat gehandelt. Die Rechtsgrundlage ist da, um in Zukunft die Entsorgung vorzunehmen. Meine Damen und Herren, vergessen Sie nicht - ich richte diesen Appell insbesondere an die niedersächsische Landesregierung - : Bei der Entsorgung sitzen wir - ganz egal, wie wir zur Kernenergie stehen - in einem Boot. Das sollte uns zu einer gemeinsamen Verantwortung und zu einem gemeinsamen Handeln auch in Zukunft bringen. Dagegen hat man in Niedersachsen verstoßen. Schönen Dank. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Als nächster Redner hat unser Kollege Arne Fuhrmann das Wort.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Harries, ich würde schon Wert darauf legen, daß Sie sich nicht darauf beschränken zu sagen - so kenne ich das aber von Ihnen, und wir kennen uns aus dem Wahlkreis gut genug - , 150 junge Leute - wenn ich Sie richtig interpretiere, haben Sie nur vergessen dazuzusetzen: „Randalierer" - waren in Gorleben. ({0}) Herr Harries, in Gorleben waren 250 Menschen. Davon war mindestens ein Drittel älter als 60 Jahre. ({1}) Ich bitte, irgendwann einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich hier nicht um einzelne junge Leute handelt, sondern um den Querschnitt der Bevölkerung aus der Region. ({2}) Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, würde ich gerne ein Zitat aus dem heutigen „General-Anzeiger" verlesen: Mir Hilfe starker Polizeikräfte sind gestern drei Atommüll-Container in das Zwischenlager Gorleben eingelagert worden. Am selben Tag wurde die Plutonium-Verarbeitung in Hanau vorläufig eingestellt. In einem Gutachten wurden Zweifel an der Sicherheit des Atomkraftwerkes Stade geäußert. Die Verwirrung der Bürger ist komplett. Aber wir wissen ganz genau: Es bringt uns nicht ein Stück weiter, wenn wir alle verwirrt in der Gegend herumgucken. Wir müssen vielmehr tatsächlich etwas tun. In der niedersächsischen Gemeinde Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg wird einfach häufiger demonstriert, verweigert und blockiert als sonst irgendwo in der Bundesrepublik. Aber die Betroffenheit der Menschen in dieser Region kann nur derjenige begreifen und nachvollziehen, der immer wieder mit den Bürgern vor Ort spricht, sich mit ihnen auseinandersetzt und versteht, daß a) ein atomares Zwischenlager, b) die Erkundung und Vorbereitung eines atomaren Endlagers und c) die Baustelle für eine Pilotkonditionierungsanlage auch hartgesottene Kernkraftbefürworter, Herr Harries, als Bedrohung des eigenen Lebensraumes und Gefahrenquelle ganz realen Ausmaßes erkennen. ({3}) - Herr Harries, wir können uns gerne darüber nochmals persönlich unterhalten. ({4}) Aber an dieser Stelle werde ich einfach weiterfahren in meinen Ausführungen. ({5}) - Bevor Sie so etwas sagen, empfehle ich Ihnen, den Kopf und nicht nur den Kehlkopf zu benutzen, Herr Kollege. ({6}) Ich hätte gerne den Bundesumweltminister angesprochen. Er beweist zwar seine Chemiebeständigkeit, indem er durch den Rhein kreuzt, und er erschreckt die letzten Seehunde durch unangebrachte Ausflüge ins Wattenmeer, aber die Sorgen und Ängste der Frauen, Kinder und Männer im Kreis LüchowDannenberg sind ihm nur aus Fernsehen, Funk und Presse bekannt. Ich nehme an, er ist äußerst selten da. Ich habe ihn dort bisher jedenfalls noch nie gesehen. Der Gebrauch der Weisungsbefugnis im Fall der drei Container, von denen die Herkunft des einen noch immer nicht zweifelsfrei geklärt ist, mag zwar rechtlich so in Ordnung sein - das ist gar nicht die Debatte - , sie zeigt aber sehr deutlich, wie wenig sensibel und überlegt der Bundesumweltminister das Risiko einer Eskalation vor Ort in Kauf nahm und nach der Hauruckmethode ohne Rücksicht auf die explosive Stimmung ({7}) und die zu diesem Zeitpunkt erheblich gestörten Umfeldbedingungen in Gorleben reagiert hat. Ich würde mir wünschen, daß mehr verantwortliche Politiker den Mut hätten, gelegentlich gegen den Stachel zu löcken und so, wie Frau Griefahn das getan hat, mit Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen ({8}) auf die berechtigten Wünsche und Hoffnungen der Menschen einzugehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Karl-Hans Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie man die Tatsachen verdrehen kann und wie man in einer solchen Diskussion, wo Sachlichkeit sicher angebracht wäre, nur noch in Polemik macht. ({0}) Ich möchte von einer Prämisse ausgehen. Alle - diejenigen, die für Kernenergie sind, und vor allen Dingen die, die gegen Kernenergie sind - müßten ein ausgesprochenes Interesse haben, dafür zu sorgen, daß die Entsorgungsmöglichkeiten endlich realisiert werden. ({1}) - Wo wollen Sie denn hin mit Ihrem Schrott aus Greifswald? Das waren doch Sie, die das Ding da gebaut haben. Das wäre ja noch in Betrieb, wenn die SED weiter am Ruder geblieben wäre. ({2}) Es steht doch wohl außer Zweifel, daß der radioaktive Abfall in Mol, der aus der Bundesrepublik stammt, wieder zur ordnungsgemäßen Entsorgung und Endlagerung zurückgenommen werden muß. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand daran Zweifel hat. Die Umstände, unter denen der Abfall nach Mol transportiert wurde, sind u. a. auch in dem Untersuchungsausschuß Transnuklear-Skandal untersucht und weitgehend oder, sagen wir, hinlänglich aufgeklärt worden. ({3}) Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß es keinen Müllexport geben darf. ({4}) - Wo? Sie wollen das doch jetzt mit Ihrer Weigerung, den wieder zurückzunehmen. ({5}) Deswegen, denke ich, ist die Bundesrepublik verpflichtet, den aus der Bundesrepublik stammenden Müll aus Mol auch wieder zurückzunehmen und hier zu entsorgen. ({6}) Ich füge mit gleichem Nachdruck hinzu, daß wir auch keinen Müllimport wollen. Auch dies ist eine klare Position der Bundesregierung. Ich glaube, daran brauchen wir nicht zu zweifeln. Daß niemand in Parlament und Regierung, auch nicht die niedersächsische Landesregierung, Belgien zumutet, Müll aus der Bundesrepublik zu lagern, dürfte doch wohl einmütige Auffassung sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemand hier im Hause und in der Bundesrepublik gibt, der Belgien zumutet, die Entsorgung des Mülls, der zweifelsfrei aus unserem Land gekommen ist, zu übernehmen. Das kann doch wohl niemand wollen. Dazu müssen Sie hier Stellung nehmen. ({7}) Es wäre auch schon interessant zu erfahren, was das niedersächsische Ministerium für Umwelt bewogen hat, die Herkunft des atomaren Abfalls auf bloße Vermutungen hin - Herr Kollege, auf bloße Vermutungen hin! - zu bezweifeln, obwohl deren Ursprungsherkunft durch verschiedene unabhängige Überwachungsinstitutionen zweifelsfrei festgestellt wurde. ({8}) Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es handelt sich dabei nicht um hochradioaktiven Müll ({9}) auch den Eindruck dürfen wir in der Öffentlichkeit nicht erwecken - , sondern um rund 4 000 kg preßbarer Mischabfälle. In den Containern sind Putzwolle, Putzlappen, Kleidungsstücke, schwach radioaktiv belastet, aus den Einrichtungen und etwa 2 500 kg Glaswolle, die bei Umbauarbeiten in einem Kernkraftwerk in der Bundesrepublik angefallen sind. Es wäre geradezu grotesk, wenn das niedersächsische Ministerium für Umwelt die Verbringung der Container in das Zwischenlager Gorleben etwa nur Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann deshalb abgelehnt haben sollte, weil als Ursprungshinweis zwei deutsche Kernkraftwerke angegeben wurden, sich aber bei Verzicht auf diesen Hinweis nicht von vornherein geweigert hätte, den Müll in Gorleben zwischenzulagern. Darauf hätten wir doch gerne eine Antwort. Ich darf abschließend - die Uhr läuft - feststellen: Ich verstehe nicht den anhaltenden Widerstand einiger Gruppen gegen die Realisierung von Zwischen- und Endlagermöglichkeiten für schwach-, mittel- und, ich füge hinzu, auch hochradioaktiven Abfall. Wer aus der Kernenergienutzung aussteigen will, ({10}) muß doch ein besonderes, ausgeprägtes Interesse daran haben, daß Endlagermöglichkeiten geschaffen werden. Wo wollen Sie denn damit hin? Wollen Sie das in der Gegend liegen lassen? Das ist unverantwortlich. Damit müssen Sie sich auseinandersetzen. ({11}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch darauf hinweisen, daß unsere Zwischenlager, die Landessammelstellen, ja nicht voll sind mit atomarem Abfall, mit schwach-, mittel-radioaktivem Abfall aus den Kernkraftwerken. Wer dies einer Öffentlichkeit suggerieren will, verhält sich nun wirklich schändlich; denn es ist ja wohl klar - und das muß man auch noch einmal sagen - , daß wir auch die Verpflichtung haben, die Menge des nuklearen Mülls, schwach- und mittelradioaktiv, aus den medizinischen Bereichen, aus den Forschungsinstituten ordnungsgemäß und relativ sicher zu entsorgen. Ich denke, angesichts dieser Verpflichtung müssen Sie sagen, wo Sie das machen wollen. Das Floriansprinzip hilft uns hier überhaupt nicht. Insofern denke ich, daß auch der Bundesumweltminister Töpfer hier verantwortlich gehandelt hat. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. KlausDieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Harries ist gerade rausgegangen, aber noch einmal zu seinen Worten. Wir sind damals auch mit der Meinung angetreten, Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden. Mir passiert es in der letzten Zeit auch häufiger, daß ich als Atomkraftgegner kriminalisiert werde. In dieser Form muß ich das für die, die dort in Gorleben einfach ihre persönliche Angst geäußert haben, die dort einen passiven Protest artikulieren wollten, zurückweisen. Diese Menschen sollten nicht kriminalisiert werden. ({0}) Das ist für mich unangenehm und unerträglich. Der gestrige Polizeieinsatz gegen die besorgten Bürgerinnen und Bürger hat mir gezeigt, daß eigentlich die Bundesregierung mit ihrem Latein am Ende ist. Weisungen an die Bundesländer können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesregierung über kein akzeptables Konzept für die Atommüllentsorgung verfügt. ({1}) - Drauf kommen wir gleich noch zurück. Für mich ist das mit der Herkunft vielleicht nicht so primär. Entscheidend ist, daß überhaupt versucht wird, Atommüll einzulagern, ohne daß solch ein Konzept vorliegt. Dies ist ein erneuter Beweis dafür, wie verantwortungslos im Umweltministerium mit der Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung umgegangen wird. Auch wenn ich den Unterschied zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland durchaus kenne, die Erscheinungsbilder sind gleich in der Form des Umgangs mit einer angeblichen Minderheit. Dabei ist das in diesem Fall eine Mehrheit. Aber nicht nur die Entsorgungsfrage des Atommülls insgesamt ist ungelöst, nein die gesamte Atompolitik der Regierung steht auf tönernen Füßen. Es muß nicht immer wieder auf Tschernobyl oder Harrisburg verwiesen werden, um die Unwägbarkeiten und die Gefahren der Atomenergie zu verdeutlichen. Genügt es nicht, daß wir alljährlich allein in der Bundesrepublik mehr als 300 kleinere oder größere Störfälle zu verzeichnen haben? Wie war das denn am Montag in Hanau, als mehrere Arbeiter radioaktiv verseucht wurden? Von einer prompten Reaktion aus dem Bundesministerium war nichts zu verspüren. Herr Fischer, der grüne Minister - nicht rosa-grün aus der rot-grünen Fraktion - hat in verantwortungsvoller Weise gehandelt. Am Dienstag hat dann erst Herr Töpfer eine nachträgliche Reaktion gezeigt. Ich bin auch fest davon überzeugt, daß nach dieser Schwachstellenanalyse diese Atomfabriken in Hanau für immer geschlossen werden müssen. Hanau ist ja schon berühmt-berüchtigt. Der Zwischenfall dort hat erneut gezeigt, daß es keine sichere Atomkraftnutzung gibt. Auch für diejenigen, die glauben, die drohende Klimakatastrophe bzw. die notwendige massive CO2-Reduzierung rechtfertige eine Renaissance der Atomenergie, wiederhole ich: Nur der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie ermöglicht ein ökologisches und dauerhaftes Energiesystem. Zentrale Großstrukturen verhindern dagegen die Nutzung von dezentralen Energieeinsparpotentialen und der Abwärmenutzung in größerem Maßstab. Wenn Sie nach der Entsorgung fragen, so sage ich: Wenn klar ist, wieviel tatsächlich noch zu entsorgen ist, wenn der Zeitpunkt einmal festliegt, dann sind wir durchaus bereit, uns auch aktiv an der Lösung für eine Endlagerung zu beteiligen. Aber solange diese Gesamtmenge nicht klar ist, wird immer wieder nach neuen Lagerstätten zu suchen sein. Genau das ist nicht das Konzept, das wir durchstehen können. Atomkraftwerke stellen keinen schnell verfügbaren Beitrag zur CO2-Verminderung dar. Jede Mark, die in die Energieeinsparung investiert wird, vermeidet sieDr. Klaus-Dieter Feige benmal mehr CO2 als eine Mark, die in den Ausbau der Atomenergie fließt. Die Strahlenbelastung von Atomkraftwerken ist schon im Normalbetrieb für die Umgebung nicht zumutbar. In der Debatte wurde gesagt: Das ist ja nur schwach radioaktiv. Dafür, daß jemand Krebs bekommt, reicht bereits eine ganz, ganz kleine Dosis. Dann ist es egal, ob das schwach oder stark radioaktiv ist. Auf Dauer ist die gesamte nukleare Prozeßkette nicht nur umweltbelastend, sondern stellt auch eine permanente Gefährdung des menschlichen Lebens dar. Deshalb ist jegliche weitere Diskussion über den Einsatz oder gar Ausbau der Atomenergie eine Diskussion von vorgestern und gegen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gerichtet. Damit werden eine fortschrittliche, zukunftsorientierte und überlebensfähige Energiepolitik und der dafür notwendige Innovationsschub der Wirtschaft verhindert. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Geschäftslage: Wenn wir jetzt die Sitzung unterbrechen und um 18 Uhr fortsetzen, dann ist nach den interfraktionellen Vereinbarungen damit zu rechnen, daß wir die Sitzung morgen früh zwischen 2 Uhr und 2.30 Uhr beenden. Infolgedessen haben offenbar jetzt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen in dieser Aktuellen Stunde Reden zu Protokoll gegeben. Ich muß Sie aber alle fragen, ob Sie damit einverstanden sind, weil wir von der Geschäftsordnung abweichen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann haben wir diese Abweichung von der Geschäftsordnung heute und für diesen Fall so gebilligt. Ich danke Ihnen. *) Wie bereits heute morgen angekündigt, haben sich die Fraktionen darauf verständigt, daß die Sitzung jetzt bis 18.00 Uhr unterbrochen wird. Die Sitzung soll dann mit der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) fortgesetzt werden. Ich unterbreche die Sitzung. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet. Wir kommen jetzt noch einmal zum Tagesordnungspunkt 5 zurück, und zwar, wie wir es heute mittag beschlossen haben, zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Grundgesetzes ({0}). Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/794, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe den Gesetzentwurf mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Die Fraktion der SPD verlangt dazu namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. - *) Anlage 5 Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abgeben möchte? - Das ist der Fall. Ich bitte Sie aber, einen Zahn zuzulegen; das wäre ganz reizend. In einer halben Minute schließe ich die Abstimmung. Ist jetzt womöglich noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abgeben möchte? - Dies ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. ({1}) Ich bitte des weiteren die Kollegen, wieder Platz zu nehmen, die Gespräche über Berlin und Bonn und das Verfahren einzustellen und dem weiteren Verlauf der Debatten zu folgen. ({2}) - Dies ist eine ernstgemeinte Aufforderung an alle Seiten des Hauses, insbesondere an die von mir aus gesehen rechte Seite. Kann ich davon ausgehen, daß die Beratungen fortgesetzt werden können? Man kann auch im Sitzen über Berlin und Bonn diskutieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir können also mit den Beratungen fortfahren. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Berichts des Petitionsausschusses ({3}) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1990 - Drucksache 12/683 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind dafür zwei Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Das Wort hat der Abgeordnete Gero Pfennig.

Dr. Gero Pfennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich möchte Ihnen den Bericht des Petitionsausschusses für das Jahr 1990 vorstellen. Der Berichtszeitraum ist weitgehend von der Wiedervereinigung Deutschlands bestimmt, die sich im Jahr 1990 vollzog. Zahlreiche Petitionen betreffen Folgen der Wiedervereinigung. Im schriftlichen Bericht und seinen Beispielen wird dies nur dort deutlich, wo Gesetzgebungsmaßnahmen des Bundes oder bestimmte Regelungen im Einigungsvertrag vorgeschlagen wurden. Erst mit dem Tag der Einheit und dem rechtlichen Beginn exekutiver und legislativer Zuständigkeit des Bundes für das neue Bundesgebiet schnellte die Zahl der Einzelbeschwerden steil nach oben. Hiervon konnten in der 11. Legislaturperiode nur noch die wenigsten bearbeitet werden. Vor allem durch die aus der ehemaligen DDR und dem neuen Bundesgebiet eingegangenen ca. 2 750 Petitionen stieg 1990 die Zahl der Eingaben auf rund 16 500. Sie liegt damit im Vergleich zu den Vorjahren, *) Ergebnis Seite 2638 B ja im Vergleich zu den letzten zehn Jahren eindeutig an der Spitze. Auch beim Vergleich der Legislaturperioden liegt die 11. Legislaturperiode mit 52 528 Eingängen insgesamt, also mit den Sammelpetitionen und den anderen, weit an der Spitze. Schon jetzt kann die Prognose für das Jahr 1991 gewagt werden, daß die Zahl der Eingaben nochmals kräftig, auf ca. 20 000 wachsen wird. Dies stellt die Kollegen im Ausschuß, aber auch den Ausschußdienst vor erhebliche Probleme. Täglich gehen Zuschriften aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Übrigens, die größte Steigerung unter den Bundesländern kam aus Berlin unter Einbeziehung des Ostteils der Stadt. Ab dem Beitritt am 3. Oktober 1990 kamen von dort insgesamt 883 Zuschriften, d. h. pro 1 Million Bevölkerung 350. Zum Vergleich: Aus Hamburg kamen 256, aus Nordrhein-Westfalen 254, wobei man allerdings wissen muß, daß Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland natürlich mit 26 % aller Petitionen weit an der Spitze liegt. Gegenstand der Eingaben aus dem Beitrittsgebiet waren die Währungsunion, die Fragen der Anpassung von Löhnen, Gehältern und Renten sowie der Eigentumsordnung von Grundstücken. Hinzu kommen die Forderungen vieler Petenten nach strafrechtlicher, beruflicher und verwaltungsrechtlicher Rehabilitierung, weil das Rehabilitierungsgesetz der ehemaligen DDR nur in Teilen weitergilt. Rund 270 Petenten begehrten die Wiedergutmachung von Schäden, die in der Folge zwangsweiser Aussiedlung aus dem früheren Grenzgebiet der DDR zur Bundesrepublik Deutschland entstanden waren. Natürlich ist auch die Stasi-Problematik Gegenstand zahlreicher Eingaben gewesen. Bei den Eigentumsverhältnissen spielten sowohl Fragen aus dem neuen Bundesgebiet als auch aus dem alten Bundesgebiet, darunter übrigens auch von sehr vielen früheren Flüchtlingen, eine Rolle und auch die Frage der Rückgabe zwischen 1945 und 1949 enteigneten Eigentums. Der Petitionsausschuß hat zu allem eine Stellungnahme abgegeben und insbesondere die Bundesregierung gebeten, möglichst schnell Fragen wie etwa der Aussiedlung aus dem Sperrgebiet zu klären. Einzelfragen können wir als Petitionsausschuß des Bundestages nicht regeln, weil hier die Kommunal- und Landesbehörden zuständig sind. Deswegen werden diese Petitionen an die Eingabeausschüsse der sechs östlichen Bundesländer weitergegeben. Der Zusammenhang zwischen Vereinigung und Zunahme der Eingaben besteht im weitesten Sinne auch bei der Kriegsfolgengesetzgebung. Viele Bürger aus dem Beitrittsgebiet begehren Lastenausgleich für Vertreibungsschäden. Auch sind Forderungen im Zusammenhang mit Kriegsgefangenenentschädigung und Häftlingshilfe erhoben worden. Der Petitionsausschuß hat auch insoweit ein Überdenken der geltenden Gesetzgebung gefordert und der Bundesregierung alle Petitionen als Material im Jahre 1991 nach Abschluß der Grundverfahren überwiesen. Zu den einzelnen Ressorts. Eine deutliche Steigerung der Zahl der Petitionen hat es im Bereich des Bundesjustizministers und des Bundesministers des Innern sowie des Finanzministers und beim früheren Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen gegeben. Beim zuletzt genannten Ressort gingen früher viele Petitionen mit der Bitte um Unterstützung bei Übersiedlungen und Häftlingsfreikäufen ein. Im Jahre 1990 hat sich das mehr auf Fragen des Einigungsvertrages verschoben. Insgesamt ist also im Jahre 1990 eine gewisse Verlagerung der Schwerpunkte der Eingaben festzustellen. Beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung verzeichnete man trotz vieler neuer Eingaben aus dem neuen Bundesgebiet einen leichten Rückgang und dafür einen starken Anstieg beim Bundesminister der Justiz. Bei den Fragen der Staatssicherheit, die ich noch einmal aufgreifen möchte, also Eingaben, die vor allen Dingen an das Innenministerium weitergegeben wurden, haben die berufliche Zurücksetzung, überhaupt die Verfolgung und - nach Beginn der Vereinigung im Oktober 1990 - auch vor allen Dingen die Frage von Stasi-Mitarbeitern in den Arbeitsämtern eine große Rolle gespielt. Hier hat der Petitionsausschuß die entsprechenden Hinweise über das Bundesministerium für Arbeit an die Landesanstalt gegeben. Ich kann heute feststellen, daß beispielsweise 20 Leiter von Arbeitsämtern auf Grund der Hinweise, die wir gegeben haben, abgelöst worden sind. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Pfennig, darf ich Sie einmal - nicht zu Lasten Ihrer Zeit - ganz kurz unterbrechen? - Darf ich darum bitten, daß die Stehkonferenz hinten im Saale außerhalb des Saales oder im Sitzen stattfindet, aber dann so ruhig, daß der Redner nicht gestört wird und die anderen dem Redner folgen können. Ich bedanke mich ganz herzlich. ({0}) Herr Abgeordneter, Sie haben wieder das Wort.

Dr. Gero Pfennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie Sie wissen und wie ich hier schon einmal vorgetragen hatte, hatte die Volkskammer der ehemaligen DDR einen eigenen Petitionsausschuß gebildet, dessen Vorsitzender unser heutiger Kollege Göttsching gewesen ist. Nach dem Beitritt lagen dort noch eine Reihe unbearbeiteter Zuschriften. Diese sind unter Mithilfe von Ausschußmitarbeitern unseres Petitionsausschusses aufgearbeitet worden und - soweit sie in die Länderzuständigkeit fielen - an die Petitionsausschüsse in den sechs östlichen Bundesländern zur Weiterbearbeitung gegeben worden. Beim Rückblick auf die Eingänge des Ausschusses im Jahre 1990 ist in quantitativer Hinsicht vielleicht am bemerkenswertesten, daß sich neben den Zuschriften aus dem neuen Bundesgebiet insbesondere die Zahl der Sammeleingaben mit vielen Unterschriften merklich erhöht hat. Sie erreichten rund 460 000 gegenüber 300 000 im Vorjahr. Allein 320 000 Bürger forderten beispielsweise ein sofortiges Verbot der Herstellung und des Verbrauchs von FCKW. Wir nehmen als Ausschuß derartige Sammelpetitionen sehr ernst, weil sie sich insbesondere mit Umweltanliegen beschäftigen. Wir werden auch in der jetzigen Legislaturperiode alles tun, damit die Umweltpetitionen in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Fachausschuß einer sachgerechten Erledigung zugeführt werden. ({0}) Die Sammelpetitionen enthielten darüber hinaus vielfach Forderungen gegen Lärmbelästigung durch militärische Einrichtungen, aber auch gegen Lärmbelästigung durch zivile Einrichtungen wie z. B. die Eisenbahn. In vielen Fragen hat sich allein durch den Ablauf der Zeit manche Petition gegen Flugplätze, Truppenübungsplätze, Schießplätze oder gegen Tiefflugübungen erledigt. Wir haben einen großen Teil der 16 497 Einzeleingaben für das Ressort des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung verzeichnet, wie ich bereits sagte: insgesamt 3 300. Bei diesen Bitten ging es vorwiegend um Rentensachen, insbesondere wenn sie aus dem Beitrittsgebiet kamen. Aber auch Fragen etwa der Kindererziehungszeiten spielten eine Rolle, beispielsweise die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für Kindererziehung im Ausland, Fragen der Rentensteigerung durch Kindererziehungszeiten und vieles andere mehr. Ich glaube, auch hier hat der Ausschuß jedem Petenten in zufriedenstellender Weise die erforderliche Auskunft gegeben und in Einzelfällen auch weitergeholfen. Insgesamt, so möchte ich zu dem Bereich des Bundesministers für Arbeit bemerken, ist die Zahl der Petitionen wohl auch deswegen etwas rückläufig, weil kaum noch Petitionen zum Thema Gesundheitsreform eingehen, ({1}) die im Vorjahr eine große Rolle gespielt hatten. Der Tätigkeitsbericht enthält erneut zahlreiche Beispiele betreffend die Integration behinderter Menschen. Es macht deshalb ausgesprochen betroffen, wenn bei der Eingabe eines Rollstuhlfahrers, der seit 1953 bei einer Behörde im Beitrittsgebiet, also in der ehemaligen DDR, tätig war, von einem unserer Ministerien in der Antwort folgendes bemerkt wird: „Aus dem Schriftwechsel, der hier vorliegt, ist zu entnehmen, daß Herr L. selbst auf einem täglichen Weg zur Arbeit und zurück eine Gefährdung für sich und andere im Straßenverkehr darstellt. Schon aus Gründen der Fürsorge hätte Herr L. beim ... Dienst der ehemaligen DDR nicht beschäftigt werden dürfen. " Ich finde, daß ist eine grobe Entgleisung. Der Ausschuß wird solche Entgleisungen nicht hinnehmen. ({2}) Der Bericht weist aus, daß der Bundestag auf Empfehlung des Petitionsausschusses in einer Reihe von Fällen gegenüber der Bundesregierung mit dem Ersuchen vorgegangen ist, einer Petition abzuhelfen, weil das Anliegen als berechtigt angesehen worden war. Dennoch ist die Bundesregierung in zwei Fällen bei ihrer ablehnenden Haltung geblieben, ohne daß neue Argumente oder Tatsachen geliefert wurden. Es ist zwar richtig - wir haben das auch früher schon als Petitionsausschußmitglieder an dieser Stelle gesagt - , daß Ersuchen des Bundestages in Form von Berücksichtigungsbeschlüssen die Bundesregierung rechtlich nicht verpflichten, diesem Ersuchen zu entsprechen. Der Ausschuß geht jedoch davon aus, daß der gegenseitige Respekt, den die Verfassungsorgane einander schulden, und die Achtung vor dem Grundrecht des Art. 17 GG die Bundesregierung zumindest politisch verpflichten, das ihr Mögliche zu tun, um dem Ersuchen des Bundestages gerecht zu werden. ({3}) Der Ausschuß hat deshalb in all den Fällen, in denen die Bundesregierung einem solchen Beschluß nicht entsprochen hat, sehr gründlich die Gründe für die Nichtbefolgung geprüft. Der Ausschuß hält es übrigens auch nicht für vertretbar, wenn erst zum Zeitpunkt der Antwort auf einen Berücksichtigungsbeschluß Gründe nachgeschoben werden, die einer Abhilfe der Petition entgegenstehen; denn dieses hätte vorher geschehen können und dann vom Ausschuß ausreichend geprüft werden können. Diese Verhaltensweise muß ich im Namen des Ausschusses nachdrücklich beanstanden. ({4}) Der Ausschuß wird übrigens genausowenig hinnehmen, daß die Bundesregierung auf Grund einer anderen Wertung eine Befolgung von Beschlüssen in solchen Fällen verweigert, in denen der Ausschuß auch nach Prüfung der Gegenargumente der Bundesregierung im Rahmen des geltenden Rechts einen Handlungsspielraum gesehen hat. Der Ausschuß wird, wie erst jetzt wieder verschiedentlich geschehen, die Verantwortlichen dann in den Ausschuß laden und auf Befolgung der Beschlüsse des Bundestages drängen und durch entsprechende Fristsetzungen das Verfahren weiter begleiten. ({5}) Wir wissen aus der Vergangenheit, daß dies häufig doch noch zu einer Änderung der Haltung der Regierung geführt hat und deshalb etliche Fälle nach mehreren Jahren noch erfolgreich abgeschlossen werden konnten. ({6}) Ich möchte mich abschließend bei den Petitionsausschüssen der Länder und beim Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments für die gute Zusammenarbeit im Berichtsjahr bedanken. Sie haben vielleicht gelesen, daß wir in diesem Jahr eine sehr erfolgreiche Zusammenkunft mit den Petitionsausschüssen aus unseren 16 Bundesländern hatten, die sich auf meine Einladung hin mit dem Petitionsausschuß des Bundestages in Berlin getroffen haben, wo wir unsere Kontakte vertieft haben und die Erfahrungen bei der Bear2636 beitung von Petitionen, die Bund und Länder gleichzeitig betreffen, austauschen konnten. Allen Mitgliedern des Ausschusses möchte ich herzlich danken. Sie müssen nicht nur den Eingabenzuwachs bewältigen, sie sind durch Tätigkeit im Petitionsausschuß und der Mitgliedschaft in den Fachausschüssen auch einer Doppelbelastung ausgesetzt. Der gleiche Dank gilt den Mitarbeitern des Petitionsausschusses, die, wie ich es dargestellt habe, eine enorme Mehrarbeit schon im Jahre 1990 und fortgesetzt jetzt auch 1991 bewältigen müssen. Allen Bürgern, die sich mit ihren Sorgen an den Petitionsausschuß gewandt haben, darf ich versichern, daß der Ausschuß in seinem Bemühen nicht nachlassen wird, berechtigte Interessen engagiert zu vertreten. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Das Wort hat der Kollege Horst Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute über den letzten Jahresbericht des Petitionsausschusses der vergangenen Legislaturperiode, deshalb ein knapper Rückblick auf die vergangene Legislaturperiode. Wir hatten in den Debatten der letzten Jahresberichte drei Streitpunkte: Erstens. Gibt es einen Unterschied zwischen politischen Petitionen und privaten Anliegen? Zweitens. Gibt es die Notwendigkeit, Massenpetitionen anders als Einzelpetitionen zu behandeln? Drittens. Ist der Petitionsausschuß ein Überausschuß, der auch fachpolitische Problemstellungen zu entscheiden hat? Inzwischen bin ich der Auffassung, daß sich diese Streitpunkte im Lichte unserer neuen Grundsätze als scheinbare Streitpunkte erwiesen haben. Ich bin nun wirklich kein Feind von Konfrontation, (Zuruf des Abg. Bernd Reuter ({0}) - ich gehe keinem Streit aus dem Wege, kann man auch sagen -, aber die neuen Grundsätze haben die richtige Konfliktlinie dargestellt. Wir sind im Petitionsausschuß über die Behandlung von Verfahren weitgehend einig und können uns dann oft gemeinsam an der Verwaltung, an der Bundesregierung, am Arbeitsamt, an der Krankenversicherung usw. abarbeiten, und das ist, glaube ich, die richtige Zielstellung im Interesse der Petenten. Die Ursache dafür sind unsere Verfahrensgrundsätze. Wir haben uns Mühe gegeben, die Voten differenzierter zu gestalten. So ist es möglich, die Unterschiede zwischen politischen und privaten Anliegen, zwischen Einzel- und Massenpetitionen und auch die Frage, ob der Petitionsausschuß ein übergreifender Ausschuß ist, auszugleichen. Wir haben uns mit den neuen Grundsätzen auch die Möglichkeit eröffnet, den Bundesrechnungshof einzuschalten, wenn es uns sinnvoll erscheint, das Bundesversicherungsamt einzuschalten, um in dem Bereich, in dem wir oft machtlos sind - bei Verhaltensweisen der Sozialversicherungen -, einen Zugriff zu erhalten. Wir haben ja das Problem, daß unser Zugriff im Sozialversicherungsbereich durch die Aufgabe, die die Selbstverwaltung wahrnimmt, gebremst ist. Ich werde im Laufe dieses Beitrags verdeutlichen, daß das für Petenten manchmal eine sehr schwierige Sache ist. Wir haben auch die kritische Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen der Regierung auf Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse zu unserer ständigen Praxis gemacht. Darauf ist der Vorsitzende des Ausschusses eingegangen; darauf wird dann mit weniger Verpflichtung zur Zurückhaltung auch der Kollege Reuter noch eingehen. Mir ist aus dem inzwischen klargeworden: Die Trennung in Petitionen mit privatem oder politischem Anliegen ist eine Scheinalternative, wenn man so will: ein antiquierter Streit. Jede Petition hat eine politische Dimension. Der Unterschied liegt in der Reichweite des Anliegens. Beispiel 1: Ein Petent aus Norddeutschland bezog nach Abschluß seines Studiums von Juli bis Dezember 1989 Arbeitslosenhilfe. Er bewarb sich im gesamten Bundesgebiet und erhielt im Dezember 1989 eine mündliche Zusage in Frankfurt am Main. Dort suchte, fand und renovierte er mit Freunden bis Ende Dezember eine Wohnung. Seinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhielt er erst am 6. Januar 1990. Am 8. Januar - die Daten sind wichtig - schrieb er seinem zuständigen Arbeitsamt, daß er einen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe, der ab dem 1. Januar 1990 gelte und den er seit dem 2. Januar 1990 erfülle. Des weiteren fragte er nach Rückzahlungsmodalitäten für eventuell zuviel erhaltene Arbeitslosenhilfe. Außerdem bat er um Informationen über Beihilfe zu seinen Umzugskosten. Am 25. Januar teilte ihm das Arbeitsamt mit, daß sein Antrag auf Gewährung von Umzugskosten verspätet erfolgt sei - spätestens bis zum Tag der Arbeitsaufnahme oder am Tag des Umzugs -, und übersandte als Beleg nunmehr das entsprechende Merkblatt. Mit Schreiben vom 20. Februar erteilte ihm das Arbeitsamt darüber hinaus noch eine förmliche Verwarnung für seine verspätete Meldung der Arbeitsaufnahme bezüglich der Zeit vom 2. bis 10. Januar 1990, sah aber „ausnahmsweise" von einem Verwarnungsgeld ab. In der Stellungnahme gegenüber dem Petitionsausschuß schreibt das Arbeitsamt im April 1990 zur Begründung der Ablehnung der Umzugskostenhilfe unter anderem: „Er hat durch die Durchführung des Umzugs faktisch bewiesen, daß er auf die Hilfe des Arbeitsamtes nicht unbedingt angewiesen war." Die arbeitsverwaltungsbehördliche Posse findet ihren Höhepunkt in einem Bescheid vom 10. September 1990, in dem das Arbeitsamt die Arbeitslosenhilfe in Höhe von 32,10 DM für den 1. Januar 1990 zurückfordert, da er insoweit die Arbeitsaufnahme nicht richtig mitgeteilt habe. Deutlicher als der Petent allerdings in seinem Schreiben vom 8. Januar 1990 kann man die maßgeblichen Daten nicht formulieren. Das Arbeitsamt hat demnach neun Monate später faktisch bewiesen, daß es der Lektüre einfachster Schreiben nicht unbedingt gewachsen war. Die Reichweite dieser Petition geht dahin: Der Arbeitsverwaltung am zuständigen Ort ist Horst Peter ({1}) klarzumachen, daß Bürgerinnen und Bürger Anspruch auf angemessene Behandlung haben. ({2}) Da also die Petition in der dargestellten Form notwendig wurde, wäre das zuständige Arbeitsamt gut beraten, einmal ein Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern, die Anliegen vorbringen, zu überprüfen. ({3}) Die vielen Eingaben zur Gesetzgebung oder auch die Eingaben gegen staatliche Großprojekte, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, insbesondere die vielen Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern aus den neuen Bundesländern, tragen ihre politische Reichweite in sich. Ich will im folgenden eine Eingabe darstellen, bei der sich die politische Reichweite im Verlauf der Behandlung erst erschloß. Es geht um die Eingabe eines Chemiearbeiters, der als Mitarbeiter der BASF Ludwigshafen im November 1953 bei einem Betriebsunfall durch ausströmende Halogenwasserstoffe - Dioxine sind damit gemeint - eine Vergiftung erlitt. Wegen der unmittelbaren gesundheitlichen Schädigungen erhielt er von der Berufsgenossenschaft Chemie eine Unfallrentenleistung. Im März wurde die Rente nicht mehr gewährt, da die Berufsgenossenschaft Chemie nach den gutachtlichen Stellungnahmen der damaligen Werksärztin des Unfallbetriebs eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr als gegeben ansah. Man beachte: Der Werksärztin des Unfallbetriebs! Von diesem Zeitpunkt an kämpfte der Petent um seine Unfallrente. 1985 wandte er sich erstmals an den Petitionsausschuß wegen Anerkennung seiner sich verschlechternden Krankheitsbefunde als Berufskrankheit - vergeblich, da die Gutachter eine Kausalität zwischen der Dioxinexposition und den Krankheitsbefunden nicht als gegeben ansahen. 1987 kam es zu einer erneuten Petition, diesmal wegen einer rückwirkenden Rentenzahlung ab 1955, dem Zeitpunkt des Rentenentzugs, für die im März 1987 gewährte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % und einer Erhöhung seines MdE-Prozentsatzes. Inzwischen war die Einschätzung von krankheitsverursachenden Auswirkungen von Dioxin in der Wissenschaft weiter vorangeschritten. Hier sind wir am Beginn der Ausweitung der Eingabe, hin zur politischen Reichweite für den Berichterstatter. Wir haben im Ausschuß insgesamt drei Anhörungen gemacht. Wir haben in der Auseinandersetzung mit der Berufsgenossenschaft, durch Einschaltung von Experten, durch Anhörung von Vertretern der Bundesregierung, durch Einschaltung des Bundesversicherungsamtes, durch Einladung von alternativen Experten, durch die Bemühung, eine Einigung mit dem Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft Chemie herbeizuführen, versucht, dem prinzipiell schwächeren Teil - die Beweislast liegt nicht bei der Berufsgenossenschaft, sondern bei dem Petenten als dem betroffenen Versicherten - , also dem Petenten, zu seinem Recht zu verhelfen. Dabei stellte sich - das ist die Dimension für die Gesetzgebung - heraus, daß § 44 Abs. 4 des SGB X ein überwindbares Hindernis für eine weitere Rückwirkung der Petition war. Ich meine, wir haben den vielen Fällen nachzugehen, bei denen es nicht um zuviel oder zuwenig gezahlte Renten, sondern darum geht, anzuerkennen, daß jemand wegen eines Berufsunfalls vom Zeitpunkt des Eintretens dieses Unfalls an Ansprüche haben muß. ({4}) Der Ansatz, die MdE, die Minderung der Erwerbsfähigkeit, zu erhöhen, steht in Widerspruch zur Praxis der Berufsgenossenschaft Chemie bei der Gewährung der Unfallrente aus dem Unfall von 1953 für den Petenten und für weitere 78 Personen, die sich für mich als Skandal darstellt. Für mich ist die Verhaltensweise der Berufsgenossenschaft Chemie an vier Punkten zu kritisieren. Ich werfe ein Verschleiern der tatsächlich vom Unfall betroffenen Personengruppe durch Einbeziehung weiterer Dioxinfälle bei der BASF vor, wodurch Kausalitätsaussagen erschwert wurden. Ich werfe das Heranziehen von Gutachtern vor, die inzwischen in der wissenschaftlichen Diskussion höchst umstritten sind. Auf diese Weise wurden Gutachten erstellt, die es dem Versicherten teilweise unmöglich gemacht haben, schon frühzeitig zu seinem Unfallrentenanspruch zu kommen. Ich werfe das Nichtheranziehen einer Mortalitäts- und Morbiditätsstudie der Unfallkohorten des Unfalls von 1953 im Auftrag der BASF vor. Kausalitätsvermutungen im Hinblick auf den Fall des Petenten, werden dadurch unmöglich gemacht. Der Absprache, die sich aus einem Gespräch mit dem Ausschußvorsitzenden und den Berichterstattern des Ausschusses ergab, jede Chance zu nutzen, um in einem sozialgerichtlichen Verfahren einen Vergleich mit dem Petenten über die Höhe der MdE zu erreichen, und die eine Brücke darstellte, ist der Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft Chemie nicht nachgekommen, sondern im Gegenteil: Er hat dann, als von uns angeregte Gegengutachten zur Feststellung einer höheren Minderung der Erwerbstätigkeit führten, seinerseits Gegengutachten in Auftrag gegeben, und zwar unter Einbeziehung einer Dioxin-Studie der BG Chemie, die wissenschaftlich nicht unstrittig ist, ebenfalls keine klare Kohorte darstellt. Ich werfe dem Geschäftsführer vor, daß er die vom Petitionsausschuß eingeladenen Experten nachträglich in einer Form unter Druck gesetzt hat, die eigentlich eine Mißachtung des Auftrags des Petitionsausschusses darstellt, die wir uns nicht gefallen lassen können. ({5}) Das Ganze führt zu einer verschleppenden Behandlung. Wenn wir uns vor Augen führen, daß die Krankheitsauswirkungen von Dioxin tödliche Folgen haben können, kann eine schleppende Behandlung zur Erledigung der Fälle. durch Tod der Anspruchsteller führen. Das ist eine Verfahrenspraxis, die wir einfach nicht akzeptieren können. Das Fazit: § 44 Abs. 4 ist überprüfungsbedürftig. Deshalb haben wir Regierung und Fraktionen des Horst Peter ({6}) Bundestages die Petition zur Kenntnis gegeben. Wir meinen, hier ist es möglich, eine Gesetzesinitiative zu starten. Das ist auch notwendig. Die Beschwerde über die berufsgenossenschaftliche Behandlung ist nach unserer Auffassung berechtigt. Deshalb haben wir das Bundesversicherungsamt zur Überprüfung der berufsgenossenschaftlichen Behandlung der Opfer des Dioxinunfalls eingeschaltet. Wichtig ist das vor allen Dingen für die Behandlung der weiteren anstehenden Petitionen aus diesem Fall. Wichtig ist das auch für Petitionen bezüglich anderer Berufskrankheiten. Wichtig ist es für die Veränderung der Praxis der Gutachterbenennung durch die Berufsgenossenschaften. Wichtig ist es vor allen Dingen, um gesetzliche Regelungen zu finden, die durch eine Umkehr der Beweislast den Schwächeren in dieser ungleichen Auseinandersetzung stärker werden lassen, indem nämlich die schädigenden Unternehmen beweisen müssen, ob eine Schädigung durch die Arbeit an einem Arbeitsplatz in einem solchen Unternehmen ausgeschlossen werden kann. Eine offene Frage ist: Angesichts der Satzungszwecke der Träger der Unfallversicherung, der Vorsorge zur Vermeidung von Unfällen und der Versicherung im Falle von Unfällen im Interesse ihrer Versicherten frage ich: Wo ist die Selbstverwaltung, die sich kritisch mit dem Verhalten des Geschäftsführers der BG Chemie auseinandersetzt und die prüft, ob er weiter tragbar ist? Hervorzuheben ist, daß in der Behandlung dieser Petition der Ausschuß an einem Strang und alle in die richtige Richtung gezogen haben. Zu danken ist dem Petenten, der einer der wenigen ist, der sein Anliegen zäh in einer unterlegenen Position vorangetragen hat. Die Schlußfolgerung lautet: Die Trennung in private und politische Eingaben ist nicht haltbar. Die Frage ist, wie die Eingaben mit großer politischer Reichweite für die Zukunft zu behandeln sind. Hier zum Schluß ein Vorschlag: Wir müssen zukünftig prüfen, ob durch eine Änderung der Geschäftsordnung Fachausschüsse durch den Bundestag auf Überweisungsbeschluß des Petitionsausschusses eingeschaltet werden können, so wie es der Petitionsausschuß des Europäischen Parlaments geregelt hat. Dadurch kann das Petitionsverfahren als Teilhaberecht der Bürgerinnen und Bürger nur effektiver gestaltet werden. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Bevor ich nun den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben, und zwar über die zweite Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Art. 146 des Grundgesetzes. Die Schriftführer haben folgendes Ergebnis ermittelt. Es wurden 599 Stimmen abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 237 Kollegen und Kolleginnen gestimmt. Mit Nein haben 358 gestimmt. Vier haben sich der Stimme enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 598; ja: 237 nein: 357 enthalten: 4 Ja SPD Frau Adler Andres Bachmaier Frau Barbe Bartsch Becker ({0}) Bernrath Beucher Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({1}) Börnsen ({2}) Brandt Frau Brandt-Elsweier Büchner ({3}) Dr. von Bülow Büttner ({4}) Frau Bulmahn Frau Burchardt Bury Frau Caspers-Merk Catenhusen Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dr. Diederich ({5}) Diller Frau Dr. Dobberthien Dreßler Duve Ebert Dr. Eckardt Dr. Ehmke ({6}) Eich Dr. Elmer Erler Esters Ewen Frau Ferner Frau Fischer ({7}) Fischer ({8}) Formanski Frau Fuchs ({9}) Frau Fuchs ({10}) Fuhrmann Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Dr. Glotz Graf Großmann Haack ({11}) Habermann Hacker Frau Hämmerle Hampel Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Dr. Hauchler Heistermann Heyenn Hiller ({12}) Hilsberg Dr. Holtz Horn Huonker Ibrügger Frau Iwersen Frau Jäger Frau Janz Jaunich Dr. Jens Jungmann ({13}) Frau Kastner Kastning Kirschner Frau Klemmer Dr. sc. Knaape Körper Frau Kolbe Kolbow Koltzsch Koschnick Kretkowski Kubatschka Dr. Kübler Kuessner Dr. Küster Kuhlwein Lambinus Frau Lange von Larcher Leidinger Lennartz Frau Dr. Lucyga Frau Marx Frau Mascher Matschie Dr. Matterne Frau Matthäus-Maier Frau Mattischeck Meckel Frau Mehl Meißner Dr. Mertens ({14}) Dr. Meyer ({15}) Mosdorf Müller ({16}) Müller ({17}) Müller ({18}) Frau Müller ({19}) Müntefering Neumann ({20}) Neumann ({21}) Frau Dr. Niehuis Dr. Niese Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel Ostertag Frau Dr. Otto Paterna Dr. Penner Peter ({22}) Dr. Pfaff Dr. Pick Purps Reimann Rempe Frau von Renesse Frau Rennebach Reuter Rixe Schäfer ({23}) Frau Schaich-Walch Schanz Scheffler Schily Schluckebier Schmidbauer ({24}) Frau Schmidt ({25}) Frau Schmidt ({26}) Schmidt ({27}) Frau Schmidt-Zadel Dr. Schmude Dr. Schnell Vizepräsidentin Renate Schmidt Schreiner Frau Schröter Schröter Schütz Dr. Schuster Schwanhold Schwanitz Seidenthal Frau Seuster Sielaff Frau Simm Singer Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge Dr. Sperling Frau Steen Stiegler Dr. Struck Tappe Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse Tietjen Frau Titze Toetemeyer Urbaniak Vergin Verheugen Dr. Vogel Voigt ({28}) Vosen Wagner Wallow Waltemathe Walter ({29}) Walther ({30}) Wartenberg ({31}) Frau Dr. Wegner Weiermann Frau Weiler Weis ({32}) Weißgerber Weisskirchen ({33}) Welt Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({34}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({35}) Dr. de With Wittich Frau Wohlleben Frau Wolf Frau Zapf Dr. Zöpel Zumkley FDP Grünbeck PDS/LL Frau Bläss Frau Braband Dr. Briefs Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer Dr. Gysi Henn Dr. Heuer Frau Dr. Höll Frau Jelpke Dr. Keller Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Riege Dr. Schumann ({36}) Frau Stachowa Bündnis 90/GRÜNE Dr. Feige Frau Köppe Poppe Schulz ({37}) Dr. Ullmann Weiß ({38}) Frau Wollenberger Fraktionslos Lowack Nein CDU/CSU Adam Dr. Altherr Frau Augustin Augustinowitz Bargfrede Dr. Bauer Frau Baumeister Bayha Belle Frau Dr. Bergmann-Pohl Bierling Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Bleser Dr. Blüm Böhm ({39}) Frau Dr. Böhmer Börnsen ({40}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Brähmig Breuer Frau Brudlewsky Brunnhuber Bühler ({41}) Büttner ({42}) Buwitt Carstens ({43}) Carstensen ({44}) Dehnel Frau Dempwolf Deres Deß Frau Diemers Doppmeier Doss Dr. Dregger Echternach Ehlers Ehrbar Frau Eichhorn Engelmann Eylmann Frau Eymer Frau Falk Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fischer ({45}) Frau Fischer ({46}) Fockenberg Francke ({47}) Frankenhauser Dr. Friedrich Fritz Fuchtel Ganz ({48}) Frau Geiger Geis Dr. Geißler Dr. von Geldern Gerster ({49}) Gibtner Dr. Göhner Göttsching Dr. Götzer Gres Frau Grochtmann Gröbl Grotz Dr. Grünewald Günther ({50}) Frhr. von Hammerstein Harries Haschke ({51}) Haschke ({52}) Frau Hasselfeldt Hauser ({53}) Hauser ({54}) Hedrich Heise Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Dr. h. c. Herkenrath Hinsken Hintze Hörsken Hörster Dr. Hoffacker Hollerith Dr. Hornhues Hornung Hüppe Jäger Frau Jaffke Jagoda Janovsky Frau Jeltsch Dr. Jobst Dr. Jüttner Junghanns Dr. Kahl Kalb Kampeter Dr. Kappes Frau Karwatzki Kauder Keller Kiechle Kittelmann Klein ({55}) Klein ({56}) Klinkert Köhler ({57}) Dr. Köhler ({58}) Dr. Kohl Kolbe Frau Kors Koschyk Kossendey Kraus Dr. Krause ({59}) Dr. Krause ({60}) Krause ({61}) Krey Kriedner Kronberg Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz Lamers Dr. Lammert Lamp Lattmann Dr. Laufs Laumann Frau Dr. Lehr Dr. Lieberoth Frau Limbach Link ({62}) Lintner Dr. Lippold ({63}) Dr. sc. Lischewski Louven Lummer Dr. Luther Frau Männle Magin Dr. Mahlo de Maizière Frau Marienfeld Marschewski Dr. Mayer ({64}) Meckelburg Meinl Frau Dr. Merkel Frau Dr. Meseke Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk Michels Dr. Möller Müller ({65}) Müller ({66}) Müller ({67}) Nelle Dr. Neuling Neumann ({68}) Nitsch Frau Nolte Dr. Olderog Ost Oswald Dr. Päselt Dr. Paziorek Petzold Pfeffermann Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Frau Rahardt-Vahldieck Raidel Rauen Rawe Reddemann Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik Dr. Rieder Dr. Riesenhuber Rode ({69}) Frau Rönsch ({70}) Frau Roitzsch ({71}) Romer Dr. Rose Rossmanith Roth ({72}) Rother Dr. Ruck Rühe Dr. Rüttgers Sauer ({73}) Sauer ({74}) Scharrenbroich Frau Schätzle Dr. Schäuble Vizepräsidentin Renate Schmidt Schartz ({75}) Schemken Scheu Schmalz Schmidbauer Schmidt ({76}) Dr. Schmidt ({77}) Schmidt ({78}) Frau Schmidt ({79}) Schmitz ({80}) von Schmude Dr. Schneider ({81}) Dr. Schockenhoff Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz Frhr. von Schorlemer Dr. Schreiber Dr. Schroeder ({82}) Schulhoff Dr. Schulte ({83}) Schulz ({84}) Schwalbe Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seibel Seiters Skowron Dr. Sopart Frau Sothmann Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stavenhagen Frau Steinbach-Hermann Dr. Stercken Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stübgen Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Töpfer Dr. Uelhoff Uldall Frau Verhülsdonk Vogel ({85}) Vogt ({86}) Dr. Voigt ({87}) Dr. Vondran Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Werner ({88}) Frau Wiechatzek Dr. Wieczorek ({89}) Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({90}) Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({91}) Wonneberger Frau Wülfing Würzbach Frau Yzer Zeitlmann Zöller SPD Niggemeier FDP Frau Albowitz Frau Dr. Babel Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({92}) Eimer ({93}) Engelhard van Essen Dr. Feldmann Friedhoff Friedrich Funke Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Gallus Ganschow Gattermann Gries Grüner Günther ({94}) Dr. Guttmacher Hackel Hansen Dr. Haussmann Heinrich Dr. Hirsch Frau Dr. Hoth Dr. Hoyer Hübner Irmer Kleinert ({95}) Kohn Dr. Kolb Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Frau LeutheusserSchnarrenberger Lüder Lühr Dr. Menzel Nolting Otto ({96}) Paintner Frau Dr. Pohl Richter ({97}) Dr. Röhl Schäfer ({98}) Schmidt ({99}) Dr. Schmieder Schüßler Frau Sehn Frau Seiler-Albring Frau Dr. Semper Dr. Solms Dr. Starnick Frau Dr. von Teichman und Logischen Thiele Dr. Thomae Timm Türk Frau Walz Dr. Weng ({100}) Wolfgramm ({101}) Frau Würfel Zurheide Zywietz Enthalten SPD Frau Dr. Leonhard-Schmid Steiner Frau Homburger Koppelin Damit ist dieser Gesetzentwurf abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt damit jede weitere Beratung. Damit ist das Durchführungsgesetz zum Volksentscheid, die dafür vorauszusetzende Grundgesetzänderung, abgelehnt worden. Ich kann wohl davon ausgehen, daß wir deshalb über den Entwurf eines Durchführungsgesetzes heute nicht mehr weiter beraten müssen. - Darüber besteht Einverständnis. Dann ist das so beschlossen. Nun rufe ich als nächsten Redner den Kollegen Günther Nolting auf.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine kurze Vorbemerkung: Wie wichtig der Jahresbericht 1990 des Petitionsausschusses von der Regierung genommen wird, zeigt sich u. a. an der großen Anzahl der anwesenden Regierungsvertreter. ({0}) Dies ist nicht nur quantitativ, sondern vor allen Dingen auch qualitativ gemeint. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Herr Dr. Pfennig, hat schon auf folgendes hingewiesen: Im Jahre 1990 sind insgesamt 16 497 Eingaben beim Petitionsausschuß eingegangen. Dies ist eine deutliche Zunahme gegenüber dem Vorjahr, die sich neben der generell steigenden Tendenz bei der Zahl von Eingaben vor allem auf die neuen Bundesländer zurückführen läßt. 16,5 % der Eingaben kamen aus den neuen Bundesländern, obwohl die Vereinigung erst am 3. Oktober - sie wirkt sich also nur auf ein Viertel des Berichtszeitraumes aus - vollzogen wurde. Dies ist zweifellos ein wesentliches Merkmal dieses Jahresberichtes. Die neuen Bundesbürger haben ihr Petitionsrecht nicht nur entdeckt, sondern auch gleich in großem Maße in Anspruch genommen. Das deutet auf die vielen Probleme im sozialen und rechtlichen Bereich hin. Die Verwaltung befindet sich teilweise noch im Aufbau. Die Bürger haben oft für ihre Schwierigkeiten noch nicht den für uns alte Bundesbürger selbstverständlichen Ansprechpartner in einem bestimmten Amt und wenden sich daher in ihrer teilweise vorhandenen Verzweiflung an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages. Mancher dieser Petenten war froh, bei dieser Institution einfach seinen Kummer loszuwerden und einmal in einem Brief alle Sorgen darstellen zu können, ohne daß er tatsächlich die Hilfe des Ausschusses erwartete. Im Mittelpunkt der Eingaben stand dabei die persönliche Betroffenheit der Menschen, vor allem die Gefährdung und der Abbau von Arbeitsplätzen, das Rentenniveau und die Neugestaltung der Preise nach Einführung der Sozialen Marktwirtschaft. Einen erheblichen Anstieg der Zahl der Petitionen im Fachbereich des Bundesministers der Justiz lösten die ungeklärten Grundeigentumsfragen in den neuen Bundesländern aus. Da der Sachverhalt zu einer Petition erst sorgfältig recherchiert wird, konnten nur wenige der Eingaben aus den neuen Bundesländern schon 1990 abschließend behandelt werden. Deshalb schlagen sich solche Fälle noch nicht in den Beispielen nieder, die der Ausschuß in seinem Jahresbericht bringt, um den Bürgern anschaulich zu machen, welche Chancen sich bieten, wenn sich jemand mit einem wohlbegründeten Anliegen an uns wendet. Jeder von uns, der im Petitionsausschuß arbeitet, bekommt von Zeit zu Zeit böse Briefe von Petenten, deren Anliegen wir ablehnen mußten. wird dann bezweifelt, daß wir überhaupt die Möglichkeit haben, etwas zu bewegen. Natürlich können wir nicht jedem Petenten weiterhelfen, das, was er persönlich für Recht hält, zu bekommen. Aber wer unseren Jahresbericht liest, wird keine Zweifel haben, daß es auch 1990 wieder eine Fülle von Fällen gab, in denen wir konkret Einfluß genommen und auch geholfen haben. Lassen Sie mich einige wenige Beispiele hier aufzeigen. So hatte die britische Rheinarmee jahrelang geplant, auf ihrem Truppenübungsplatz in der Senne eine Stadtkampfübungsanlage zu bauen. Dies ist in der Bevölkerung unter dem Stichwort Kampfdorf Augustdorf bekanntgeworden. Die Petenten, eine regionale Bürgerinitiative, befürchteten zu Recht, daß von dieser Anlage eine erhebliche vermehrte Lärmbelastung ausgehen und der Verkehrswert der Häuser und Grundstücke weiter abnehmen würde. Drei Jahre lang zog sich dieses Petitionsverfahren hin, in denen immer wieder versucht wurde, über das BMF und auf anderen Wegen auf die Briten einzuwirken. Schließlich waren diese Bemühungen erfolgreich, und im Juli 1990 verzichtete die britische Rheinarmee auf ihr Projekt. Eine andere Eingabe forderte die unbefristete Umschreibung von Führerscheinen von Bürgern aus anderen EG-Ländern. Bisher mußte dies innerhalb eines Jahres geschehen. Nach drei Jahren war es sogar erforderlich, in Deutschland eine neue Führerscheinprüfung abzulegen. Nachdem der Petitionsausschuß diese Eingabe der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen hatte, bekam er eine positive Antwort. Es ist nunmehr möglich, ohne jegliche Fristen den Führerschein gegen den jeweiligen nationalen einzutauschen. Auf der anderen Seite dokumentiert der Jahresbericht aber auch zahlreiche Fälle, in denen der Ausschuß aus politischen Gründen gewisse Anliegen nicht unterstützen wollte und nicht unterstützen konnte. So konnten wir uns beispielsweise die Forderung nach einem Friedensvertrag gerade angesichts der politischen Vorgänge im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit nicht zu eigen machen. Meine Damen und Herren, unter den Eingaben sind in diesem Jahr nur knapp 6 000 Massenpetitionen, also etwa Postkartenaktionen mit vorgedruckten Texten. Die Zahl der Massenpetitionen ist damit die niedrigste seit Jahren, was mir beweist, daß die Bürger und vor allem die Organisationen erkannt haben, daß sich der Ausschuß von einer besonders großen Zahl von Zuschriften nicht beeindrucken läßt, sondern genauso schnell und gründlich recherchiert wie in jedem anderen Fall auch. Das heißt, auch jede Einzelpetition wird sorgfältig bearbeitet. ({1}) Mit den meisten Unterschriften, nämlich mit ca. 317 000, wurde ein sofortiges FCKW-Verbot gefordert. Der Kollege Vorsitzende Dr. Pfennig hat darauf hingewiesen. Diese Wünsche gingen in die richtige Richtung, da die Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Zerstörer der Ozonschicht der Erde lebensgefährliche Folgen für den Menschen und seine Umwelt haben. Die Bundesregierung hat inzwischen ein FCKW-Verbot bis 1995 beschlossen, was von uns nachhaltig begrüßt wird. Bis dahin stehen dann auch die Ersatzstoffe in gewünschtem Ausmaß zur Verfügung. Mit gut 17 000 Unterschriften wandten sich Bürger gegen angeblich mangelnde Sicherheitsvorkehrungen während des amerikanischen C-Waffenabzugs aus der Pfalz im letzten Sommer. Da diese Eingaben sehr kurzfristig eingingen, konnte der Ausschuß keine Entscheidung in der Sache mehr fällen. Als Verteidigungspolitiker kann ich hier aber feststellen, daß selten ein so umfassender und perfekter Sicherheitsaufwand getrieben wurde und daß zu keinem Zeitpunkt für die Bürger an der Transportstrecke eine Gefahr bestanden hat. Hier ist es leider zu Überreaktionen gekommen. Es besteht bei mir der Verdacht, daß bestimmte Gruppierungen bewußt oder unbewußt die Angst der Menschen für ihre politischen Ziele einsetzen wollten. Meine Damen und Herren, im Rahmen der deutschdeutschen Rechtsangleichung gab es bereits 1990 und vor allem auch in den letzten Monaten zahlreiche Eingaben zur Neugestaltung des § 218 des Strafgesetzbuches und damit zur Frage des Schutzes des ungeborenen Lebens. Die Petenten decken dabei das gesamte Spektrum des Themas ab: von der Forderung nach einer drastischen Einschränkung der Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs und entsprechenden Strafverschärfungen bis hin zur völligen Liberalisierung der Abtreibung. Der Ausschuß kann in diesem Fall auf den Einigungsvertrag verweisen, in dem eine Neuregelung bis 1992 festgelegt worden ist. Die FDP-Bundestagsfraktion hat im Mai als erste Fraktion einen Gesetzentwurf eingebracht, der - lassen Sie mich das dazu sagen - gleichzeitig die beste der derzeit diskutierten Lösungsmöglichkeiten enthält. ({2}) Wir wollen die Fristenlösung mit obligatorischer Beratung, aber natürlich auch mit umfassender sozialer Flankierung. Diese Lösung wird am ehesten dazu führen, daß sowohl die Abtreibungszahlen sinken als auch die Betroffenen entkriminalisiert werden. ({3}) Meine Damen und Herren, eine entsprechende Rechtsangleichung soll es auch beim § 175 des Strafgesetzbuches geben. Für die Abschaffung dieses Paragraphen gab es ca. 4 000 Unterschriften. Da es sich hier um eine langjährige Forderung der FDP handelt, findet diese Petition unsere Unterstützung. Eine entsprechende Gesetzesinitiative der Bundesregierung ist in Kürze zu erwarten. ({4}) Meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß genießt hohes Ansehen bei unseren Bürgern im Lande, die in uns ihre Anwälte sehen. Ich will es einmal so sagen: Der Petitionsausschuß wird als Kummerkasten der Nation angesehen. Dies ehrt und ist gleichzeitig Verpflichtung und Ansporn für die Zukunft. Auch die in diesem Jahr noch einmal enorm gestiegene Zahl von Eingaben darf uns nicht nachlässig werden lassen, jeder Petition mit der erforderlichen Gründlichkeit nachzugehen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim Ausschußdienst bedanken, der seine Aufgabe, den der Petition zugrunde liegenden Sachverhalt zu ermitteln und uns Politikern einen Entscheidungsvorschlag zu machen, nach wie vor zu unserer vollsten Zufriedenheit bewältigt. ({5}) Dies ist bei einzelnen Petenten, die beinahe wöchentlich anrufen, wahrhaftig nicht einfach; davon wissen wir alle, glaube ich, ein Lied zu singen. Ich möchte mich aber natürlich auch bei den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion, vor allem aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen für die allseits kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, diese Zusammenarbeit sollte beispielhaft auf andere Ausschüsse übertragen werden. ({6}) - Wir dürfen uns ja vielleicht auch einmal selbst loben. Meine Damen und Herren, selbst wenn Sie und wir gelegentlich über die ständig steigende Zahl von Eingaben stöhnen: Nehmen wir diese steigende Zahl als gutes Signal, als Zeichen für die Mündigkeit unserer Bürger, die sich Verwaltungshandeln nicht widerspruchslos gefallen lassen und die bei politischen Entscheidungsprozessen mitdenken und Einfluß nehmen wollen. Ich denke, dies ist ein Zeichen lebendiger Demokratie. Vielen Dank. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster Redner hat der Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Bericht und die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1990 nicht bewerten. Das Bündnis 90/DIE GRÜNEN war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Bundestag vertreten und kann somit die Ausschußarbeit der 11. Legislaturperiode auch nicht beurteilen. Gestatten Sie mir aber einige Anmerkungen zu Dingen, die ich als Mitglied des Petitionsausschusses inzwischen aus eigener Anschauung kenne, hier zu benennen: Dies ist zum einen die Tätigkeit des Petitionsausschusses in der ersten Hälfte dieses Jahres, und dies ist zum Zweiten - hier bin ich als ostdeutscher Abgeordneter sowohl Betroffener als auch Verantwortlicher - die Lebenssituation der Menschen in den östlichen Bundesländern. Die Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR sind mit großen Hoffnungen und großem Vertrauen den Weg in die Vereinigung der beiden deutschen Staaten gegangen. Auch das in Art. 17 des Grundgesetzes verbriefte Grundrecht, sich mit Bitten und Beschwerden an seine Volksvertretung wenden zu können, gehörte und gehört zu unseren Vorstellungen von Demokratie. Gerade nach unseren Erfahrungen mit einer Scheindemokratie, in der Bürgerinnen und Bürger, die sich mit Eingaben an staatliche Stellen wandten, zu Bittstellern degradiert oder sogar als Staatsfeinde behandelt wurden, wissen wir den hohen Wert eines solchen Rechtes zu schätzen. Wie groß die Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger aus den ostdeutschen Bundesländern auch in bezug auf das Petitionsrecht sind, zeigt nicht zuletzt die stetig ansteigende Flut ihrer Eingaben an den Petitionsausschuß. Dreimal so häufig wie die Bürger im Westen wenden sich die Menschen aus der ehemaligen DDR an ihre frei gewählten Volksvertreter mit der Bitte um Hilfe. Es ist für den Petitionsausschuß und damit für den Deutschen Bundestag insgesamt eine große Verpflichtung, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Ich fürchte - das muß ich nach meinen ersten Erfahrungen mit der Arbeit des Petitionsausschusses leider sagen - , daß es uns mit den zur Zeit zur Verfügung stehenden Kapazitäten und Instrumentarien nicht gelingen kann. Seit Januar beträgt der Posteingang im Ausschußsekretariat im Tagesdurchschnitt 180 Eingaben. Das ist eine Zahl, mit der das fleißige und sehr kompetente Ausschußsekretariat mehr als überfordert ist. ({0}) Eine erhebliche Erhöhung der Anzahl der Arbeitskräfte in diesem Bereich ist also das mindeste, was wir zu fordern haben. Aber auch die Abgeordneten sind mit der Menge der Eingaben heillos überlastet. Die Zeit, in der wir uns im Ausschuß jeder einzelnen Petition widmen Konrad Weiß ({1}) können, wird immer geringer. So habe ich eine Sitzung des Petitionsausschusses erlebt, in welcher in neunzig Minuten einschließlich zweier Anhörungen und der Beratung über 83 Eingaben, bei denen die Anträge der Berichterstatter hinsichtlich der Art der Erledigung übereinstimmten, insgesamt 123 Petitionen dank der akrobatischen Fähigkeiten unseres Vorsitzenden behandelt wurden. ({2}) Von einer intensiven und sachgerechten Prüfung der Anliegen kann man trotz allen gerechten Bemühens, das ich allen Beteiligten bescheinige, unter diesen Umständen nicht mit reinem Gewissen sprechen. Zweifellos sollten sich mehr Abgeordnete des Deutschen Bundestages, nicht nur jene, die im Petitionsausschuß ihren Sitz haben, mit den Eingaben der Bürgerinnen und Bürger befassen und sich verantwortlich wissen. Vielleicht wäre es sinnvoll, ein Arbeitssekretariat schon heute in Berlin einzurichten, um so unmittelbarer auf Petitionen der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger reagieren zu können und sie unverzüglich zu beraten. Jeder von Ihnen, der mit den Eingaben aus Ostdeutschland befaßt ist, wird mir bestätigen können, daß in diesen Petitionen zumeist dramatisch verschlechterte Lebenssituationen und Lebensperspektiven, häufig individuell nicht lösbare Notsituationen oder unhaltbare Rechtszustände geschildert werden. Häufig sind es Menschen, die sich erneut gedemütigt, deklassiert und unverstanden fühlen. Die Petitionen belegen an einer Vielzahl von Einzelfällen anschaulich die ungeheuren Lücken und Mängel des Einigungsvertrages. Die Berichte über Arbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel, niedrige Löhne und Gehälter, mangelhafte gesundheitliche Versorgung, den für viele, insbesondere Alte und Kranke, nicht zu verkraftenden Anstieg der Lebenshaltungskosten sowie Probleme bei der Privatisierung und Fragen des Eigentums zeigen, wie weit wir tatsächlich von einer sozialen Einheit in Deutschland entfernt sind. Angesichts der Zurückhaltung der Bundesregierung, die Probleme der in ihrer Lebenssituation oftmals tiefgreifend verunsicherten Bürgerinnen und Bürger wirklich zur Kenntnis zu nehmen, wäre es eigentlich angebracht, alle Petitionen aus den ostdeutschen Ländern mit dem hohen Votum, über das der Deutsche Bundestag verfügt, der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, weil Abhilfe notwendig erscheint. Klar ist: Der Petitionsausschuß allein kann nicht die Wunden heilen, die die weitgehende Übertragung des bundesdeutschen Rechtssystems auf die ehemalige DDR in vielen Bereichen schlägt. Genau dort aber, wo schnelle, unbürokratische und unkonventionelle Hilfe gefragt wäre, stößt der Petitionsausschuß an eine weitere Grenze. Nach Recht und Gesetz kann in akuten Notlagen oftmals nicht geholfen werden. Die Rechtslage ist infolge der unreflektierten Übernahme des westdeutschen Rechtssystems auf ostdeutsche Verhältnisse nun einmal so. Aber darf das das letzte Wort des Deutschen Bundestages sein? Es ist doch eindeutig, daß es in diesen Fällen nicht mit einer Darstellung der Rechtslage oder der Vertröstung auf langwierige Gesetzesinitiativen der Fraktionen des Deutschen Bundestages getan ist. Ich möchte Sie deshalb, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, darum bitten, mehr Mut zu unkonventionellen Entscheidungen im Einzelfall zu haben und häufiger auch dort zugunsten der Petenten zu entscheiden, wo das Anliegen mit der Rechtslage nicht in Übereinstimmung zu stehen scheint. Der gesunde Menschenverstand und Ihr Gerechtigkeitssinn sind oft eine bessere Richtschnur als gedrucktes Gesetzeswerk. ({3}) Gesetze kann man ändern. Wenn ein Gesetz absolut keine Ausnahme im Einzelfall zuläßt, müssen die Gesetze vom Deutschen Bundestag in Zukunft vermehrt mit Härtefallregelungen ausgestattet werden, ({4}) die es dem Petitionsausschuß ermöglichen, angemessen zu reagieren. Zu erwägen ist im Sinne einer demokratischen, unmittelbaren Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in ihre Angelegenheiten, für die wir in der friedlichen Revolution eingetreten sind, eine Stärkung der sogenannten Massenpetitionen. Ich habe viel Sympathie für den Vorschlag, daß Petitionen, die von mehr als hunderttausend Menschen unterstützt werden, im Plenum des Deutschen Bundestages behandelt werden müssen und daß Vertreterinnen und Vertreter der Petitionsgemeinschaft vom Ausschuß angehört werden sollen. In diesem Sinne liegt dem Deutschen Bundestag übrigens eine Petition zur Stärkung des Petitionsrechts vor, mit der wir uns im Ausschuß zu bef assen haben. Weiterhin möchte ich die Bundesregierung auffordern, die Petitionen, die ihr vom Bundestag zugeleitet werden, ernster als bisher zu nehmen. Dem Bericht des Petitionsausschusses entnehme ich, daß dies offenbar nicht selbstverständlich ist. Ich unterstütze nachdrücklich den Hinweis des Petitionsausschusses, daß die Bundesregierung politisch verpflichtet ist, alles ihr Mögliche zu tun, um den Ersuchen des Bundestages gerecht zu werden. Zum Schluß möchte ich die Gelegenheit nutzen, um die Innenminister der Länder und den Herrn Bundesinnenminister nachdrücklich darum zu bitten, jene Bestimmung des Ausländergesetzes rückgängig zu machen, nach der es möglich ist, trotz laufender Petitionsverfahren die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber durchzuführen. ({5}) Ohne die Entscheidung eines Landesparlaments oder des Bundestages abzuwarten, werden hier von der Exekutive Tatsachen geschaffen, die für die Betroffenen eine unmittelbare Härte oder einen unakzeptablen sozialen Abstieg bedeuten können. Ich sehe hierin eine Verletzung des Art. 17 des Grundgesetzes und eine Mißachtung der frei gewählten Abgeordneten durch die Exekutive, die wir nicht hinnehmen können. Konrad Weiß ({6}) Ich danke Ihnen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Martin Göttsching das Wort.

Martin Göttsching (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000702, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Genau heute vor einem Jahr, zeitlich etwas günstiger, wandte ich mich an die Bürgerinnen und Bürger der Noch-DDR, um ihnen als Vorsitzender des Petitionsausschusses der Volkskammer über die Tätigkeit dieses Ausschusses seit den ersten demokratischen Wahlen zu berichten. Heute nun, wie gesagt, nach einem Jahr, wende ich mich für meine Fraktion nicht nur an die ehemaligen Bürger der DDR, sondern an alle Bürgerinnen und Bürger im vereinten Deutschland. Ich möchte etwas zu ebenjenem zur Zeit diskutierten Bericht des Petitionsausschusses sagen. Dieser Bericht verdeutlicht nicht nur ein weiteres Mal die umfangreiche Arbeit des Petitionsbüros und der Ausschußmitglieder - meine Vorredner haben darauf intensiv hingewiesen - , sondern in Schwerpunkten wird auch auf die vielen Sorgen und Nöte der Bundesbürger eingegangen, die sich eben an diesen Petitionsausschuß im Bundestag richten. Wenn man den Bericht des Ausschusses liest, so hat man den Eindruck - ich habe diesen Eindruck -, daß er ein Spiegelbild all derjenigen ungelösten politischen und sozialen Probleme ist, die uns gerade aktuell betreffen und die im vergangenen Jahr, als es zu jener politischen Veränderung in Deutschland kam, mit Nachdruck im Petitionswesen zu Buche schlugen - haben sich doch die Eingaben im vergangenen Jahr um eine stattliche Zahl erhöht. Wenn von rund 16 500 Eingaben im vergangenen Jahr die Rede ist, so möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß während meiner Volkskammerzeit 12 980 Posteingänge beim Petitionsausschuß zu verzeichnen gewesen sind - für die kurze Zeit der frei gewählten Volkskammer. Gerade im Hinblick auf die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern sollte die heutige Debatte gleichzeitig auch dazu dienen, den Inhalt des Petitionsrechtes und die Zuständigkeiten des Deutschen Bundestages darzustellen. Es ist nämlich für die Bürger der neuen Länder nicht unbedingt einsichtig, daß es ein Grundrecht, nach Art. 17 des Grundgesetzes ein verbrieftes Recht ist, daß sich jedermann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen mit Bitten und Beschwerden auch an den Petitionsausschuß wenden kann, aber natürlich auch an die anderen Institutionen. Es sind Forderungen nach einem bestimmten Verwaltungshandeln oder Vorschläge zur Gesetzgebung, es sind Beanstandungen von Entscheidungen staatlicher Stellen, die ein Recht benennen, das es, jedenfalls in dieser Form, in der ehemaligen DDR nicht gab. Es gab zwar das Eingabengesetz seit 1975; dieses Eingabenrecht war jedoch nicht im entferntesten mit dem Recht nach Art. 17 des Grundgesetzes vergleichbar. Jeder weiß: Erwünscht waren gesellschaftlich nützliche und politisch genehme Eingaben. Ein positives Ergebnis für den Bürger war nur zu erwarten, wenn die Aufdeckung von Mißständen im ideologischen Interesse der Staatsgewalt der SED lag. - So habe ich es vor einem Jahr in der Volkskammer gesagt. ({0}) - Streichen wir es. Zahlreiche Bürger der ehemaligen DDR hatten sich bereits vor dem Beitritt unmittelbar an den Petitionsausschuß des Bundestages gewandt. Nach dem Beitritt gab es natürlich selbstverständlich einen weiteren Anstieg dieser Zahlen. Dies war ein Zeichen für die besondere Betroffenheit meiner Mitmenschen in den neuen Bundesländern durch die staatlichen Maßnahmen aus alten SED-Zeiten, aber auch durch Rechtsunsicherheiten, die aus den beiden großen Verträgen zwischen den Ländern des vergangenen Jahres in Deutschland herrührten. Sie waren aber auch ein Zeichen für die großen Erwartungen, die Möglichkeiten wahrzunehmen, ihrem Parlament ihre Sorgen und Nöte darzulegen. Einige Stichworte möchte ich nennen, um das gesamte Spektrum der Petitionen aus den neuen Bundesländern zu verdeutlichen. Ich wiederhole mich nicht und beziehe mich auf das, was zumindest der Vorsitzende Pfennig hier gesagt hat. Ich möchte auf eines hinweisen und es ergänzen, wenn es zum Thema „Vergangenheitsbewältigung" auch unter dem Stichwort „Lastenausgleich" etwas zu sagen gilt. Dieser Lastenausgleich betrifft etwa 1,5 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern. Über 600 Einzelpetitionen liegen vor. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß die Petitionen für eine parlamentarische Initiative geeignet sind. Er hat daher die Eingaben den Fraktionen zur Kenntnis zugeleitet und erwartet hierzu entsprechende Initiativen. Es gibt andere persönliche Probleme, mit denen man sich an den Petitionsausschuß gewandt hat, die aber schon von meinen Vorrednern erwähnt worden sind. Wenn ich noch einmal darauf Bezug nehme, dann nicht, um den Bericht quasi zu ergänzen, sondern weil ich sehe, daß aus all dem ein Problem für die Arbeit des Petitionsausschusses entstehen könnte, denn dieser Ausschuß ist kein unpolitischer Ausschuß. Seine Mitglieder sind natürlich in die Willensbildung der Fraktionen eingebunden. Gerade im Petitionsausschuß weiß ich es zu schätzen, daß wir immer wieder bestrebt sind, einen Konsens zwischen den Fraktionen zu finden, wobei manchmal auch die Mehrheit der Regierungskoalition entscheidet. Sehe ich mir die Statistik an, so stelle ich fest, daß eine ganze Reihe von Petitionen zur Berücksichtigung überwiesen worden sind. Meine Damen und Herren, Sie wissen, der Berücksichtigungsbeschluß ist das stärkste Votum des Parlaments. Dies muß die Bundesregierung konsequenter umsetzen. Der Petitionsausschuß hat das Verhalten der Bundesregierung manchmal kritisiert, und zwar auch in den früheren Jahren. Jetzt hätte ich erwartet, daß der Kollege Peter intensiver zuhört. Im 9. Bericht wurde es kritisiert: zuwenig zur Berücksichtigung, zuwenig an Konsequenzen seitens der Bundesregierung. ({1}) - Herr Reuter, erst warten, was ich sage! Der Ausschuß verkennt nicht, daß die Bundesregierung Berücksichtigungsbeschlüssen überwiegend gefolgt ist. Dieser Bericht ist es bei allem Für und Wider und auch bei den „Verbalitern" aus der SPD wert, die besondere Achtung auch all der Kollegen, die nicht hier sind, auf jeden Fall aber die Wertschätzung der Öffentlichkeit zu finden. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Lisa Seuster das Wort.

Lisa Seuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich den Petitionsbericht bearbeitet habe, ist mir aufgefallen, daß wir sehr fleißig waren. Wenn ich daran denke, daß unabhängig von dem Berichtszeitraum ja auch noch der Zeitraum, in dem der Bundestag nicht getagt hat, weil eine Pause für den Wahlkampf angesetzt war, zu berücksichtigen ist, dann ist schon eine Menge passiert. Die Zahl der Eingaben hat sich in dem Berichtszeitraum, nicht zuletzt bedingt durch den Beitritt der neuen Länder, erheblich gesteigert. Die Mitglieder des Ausschußbüros hatten wesentlich mehr zu tun, um erst einmal die Spreu vom Weizen zu trennen. Etwa die Hälfte der eingegangenen Petitionen konnten im Vorfeld durch Auskünfte, durch Überweisung an die zuständigen Stellen, durch Übersendung von Informationsmaterial usw. erledigt werden, ohne daß überhaupt Berichterstatter eingesetzt werden mußten. Ich denke, daß diese Vorarbeit, die dort geleistet wird, Vor- und Nachteile hat. Manche Petitionen hätten wir sicher gern im Ausschuß behandelt. Nur ist das bei der Fülle von Petitionen nicht möglich. Deshalb sind wir dankbar, wenn im Vorfeld zumindest einige Petenten insofern zufriedengestellt werden konnten, als diese Tätigkeit durch das Ausschußbüro erfolgt. Aber auch die Mitglieder des Petitionsausschusses mußten Mehrarbeit hinnehmen und mehr Zeit aufwenden. Zur Mehrarbeit führten jedoch nicht nur die Petitionen aus den neuen Ländern; insgesamt sind es einfach mehr Petitionen geworden. Wer seine Arbeit ernst nimmt und eventuell auch mehrere Stunden in der Woche mit der Bearbeitung von Petitionen zubringt, der wird sich darüber nicht beklagen. Nur: Wir erwarten, daß die Ergebnisse dieser Beratungen von der Bundesregierung dann auch ernstgenommen werden. Auch in diesem Bericht wird wie in dem vorigen Bericht - meine Vorredner sind schon darauf eingegangen - deutlich, daß es bei Berücksichtigungsüberweisungen oder bei Erwägungsüberweisungen oft dazu gekommen ist, daß die Bundesregierung den Vorschlägen nicht gefolgt ist. Mein Kollege Reuter wird das noch näher erläutern. ({0}) Nur soviel: Es reicht uns nicht, wenn wir hier, wie auch heute, gemeinsam unsere Arbeit loben. Wir wollen im Interesse der Petenten ernstgenommen werden. Der Petitionsausschuß hat es nicht verdient, als Spielwiese für einige gutmütige Trottel abgewertet zu werden, deren Arbeit nur eine Alibifunktion in der Öffentlichkeit hat. ({1}) Das Gegenteil sollte der Fall sein. Die Bundesregierung täte gut daran, die Petitionen der Bürgerinnen und Bürger sorgfältig zu beobachten; denn sie sind ein Seismograph für die Stimmung im Land. Petitionen zeigen genau, wo die Schwachstellen in Gesetzeswerken stecken. Außerdem kann man an ihnen ablesen, wie die Stimmung im Lande ist. Der Ton der Petitionen der letzten Jahre ist durchweg ungeduldiger und auch fordernder als in früheren Zeiten. Das empfinde jedenfalls ich so. Das sind Zeichen, die die Bundesregierung nicht leichtfertig übersehen sollte. ({2}) Dies zeigt sich z. B. bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Viele Petenten wandten sich dagegen, daß sich die Kindererziehungszeiten deswegen nicht in der erhofften Höhe rentensteigernd auswirkten, weil sie mit anderen rentenrechtlich anerkannten Arbeitszeiten zusammentrafen und deshalb nicht oder nur in einem geringfügigen Umfang berücksichtigt wurden. Wir erinnern uns an die laute Ankündigung des Bundesarbeitsministers: Jede Mutter hat Anspruch auf die Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der Rente. Dies hat die Bevölkerung vernommen, und entsprechend war auch die Erwartungshaltung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich insbesondere viele Petentinnen an den Petitionsausschuß wenden, um Abhilfe zu suchen, weil sie der Meinung sind, daß sie ungerecht behandelt werden. ({3}) Bei dem anstehenden Renten-Überleitungsgesetz für die neuen Bundesländer müssen deshalb die erworbenen Kindererziehungszeiten von vornherein berücksichtigt werden. Sonst wird es auch dort eine Flut von Petitionen geben, da sich die Frauen ungerecht behandelt fühlen, und zwar, wie ich meine, zu Recht. Hier können wir vorbeugen, um uns nachher viel Arbeit zu ersparen. Viele Eingaben betrafen den Familienlastenausgleich. Dazu gab es auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts auch eine Massenpetition mit 324 Unterschriften. Der Petitionsausschuß hat der Bundesregierung zu verstehen gegeben, daß eine Erhöhung des seit 1975 in unverminderter Höhe geltenden Erstkindergelds familien- und sozialpolitisch wünschenswert wäre. Der Petitionsausschuß unterstützt auch grundsätzliche Überlegungen, den Familienlastenausgleich einfacher und übersichtlicher zu gestalten. Das ist sicher nur ein Minimalkonsens, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich habe gehört, daß sich in dieser Richtung etwas bewegt. Uns als Fraktion ist das selbstverständlich zuwenig. Wir sind der Meinung: Man sollte hier dem Bundesverfassungsgericht folgen. ({4}) Neu waren im Berichtszeitraum die Petitionen, die im Zusammenhang mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten standen. Die meisten Petitionen - jedenfalls bei denen, die ich bearbeitet habe - drehten sich um Immobilienbesitz, um Grundstücke u. ä. Welche Emotionen sich in solchen Fällen entwikkeln, möchte ich an Hand einer Petition deutlich machen. Der Petent spricht sich gegen die Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze aus. Falls diese Grenze jedoch rechtsverbindlich anerkannt werden sollte, fordert er, in Zahlen ausgedrückt, 1 000 000 DM und fügt in Klammern hinzu „in Buchstaben: eine Million". Das fordert er als Entschädigung für seinen Bauernhof. Es fehlt eigentlich nur noch, daß er bittet, diesen Betrag innerhalb von vier Wochen auf sein Konto zu überweisen. Wir haben diese Petition - wie viele andere auch - an den Finanzminister überwiesen und den Fraktionen zur Kenntnis gegeben. Hier gerechte Lösungen zu finden wird für den Gesetzgeber nicht einfach sein und wird uns, den Mitgliedern des Petitionsausschusses, bei der Beurteilung der Einzelfälle noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Das gleiche gilt für die Rentenanpassung in den neuen Ländern. Auch hier wird es mit Sicherheit im Einzelfall noch viele Beschwerden und Bitten geben, die uns erreichen werden. Herr Kollege Weiß vom Bündnis 90 sagte dazu vorhin: Wir sollten es gleich ändern. So einfach stelle ich mir das nicht vor. Aber ich wäre froh, wenn wir ab und zu wenigstens die Klausel „im Härtefall" hätten. Dann wäre uns in vielen Fällen schon geholfen. ({5}) Auch Umweltfragen nahmen einen breiten Raum in unseren Beratungen ein. Die Schwerpunkte der Eingaben lagen in den Bereichen Luftverunreinigung, Abfallbeseitigung, Kernenergie und Artenschutz. In mehreren Eingaben - u. a. einer Sammelpetition - wurde ein sofortiges Verbot der Herstellung und des Verbrauchs von FCKW gefordert. Hier gab es unterschiedliche Voten von Koalition und Opposition. Die Petition wurde daraufhin zur weiteren Bearbeitung - das war ein einstimmiges Votum - an die Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" überwiesen. Beanstandet wurde auch der Einsatz von Herbiziden auf Gleisanlagen der Deutschen Bundesbahn. Nach zähen Verhandlungen, Anhörungen, nochmaligen Stellungnahmen usw. konnte sich der Petitionsausschuß gegenüber der Bahn durchsetzen. Die Petition wurde der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen. Die tatsächliche Umsetzung werden wir jedoch aufmerksam verfolgen müssen. Diesen Fall hat insbesondere unser ausgeschiedener Kollege Dr. Emmerlich bearbeitet. Auch im letzten Jahr konnte der Ausschuß erfreulicherweise zahlreichen Petenten im Einzelfall helfen. Zum Beispiel erhofften sich zahlreiche Versicherungsnehmer und Bankkunden durch eine Petition die Klärung ihrer Auseinandersetzungen mit Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten. Ich habe viele Fälle bearbeitet, bei denen die Unerfahrenheit oder auch die Gutgläubigkeit von Bankkunden böswillig ausgenutzt wurden. Leider hat der Bundestag in diesen Fällen keine Möglichkeit der direkten Einwirkung. Auf dem Kulanzweg ist es uns aber in manchen Fällen gelungen, zu einem Vergleich zu gelangen. All diese Fälle zeigen jedoch deutlich: Hier besteht eine Gesetzeslücke. Auch Privatleuten müßte die Möglichkeit eines persönlichen Konkurses eröffnet werden. Ich glaube, dann wäre die Überschuldung gar nicht so groß geworden. Erreichen konnte der Petitionsausschuß auch, daß die Krankenkasse die Kosten eines Kuraufenthaltes am Toten Meer übernommen hat. Das war nach dem Gesundheits-Reformgesetz an und für sich ausgeschlossen. Auch im Rentenbereich gelang es dem Petitionsausschuß in Einzelfällen, die Bearbeitungszeiten zu verkürzen und eine Nachzahlung zu erreichen. In einem anderen Fall konnte die Nachentrichtung von Beiträgen ein Anrecht auf eine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente bewirken. Auch bei der Bewilligung von Umschulungsmaßnahmen und bei Höhergruppierungen in der Bundesverwaltung war der Petitionsausschuß erfolgreich. Erfreulicherweise ließe sich diese Liste noch erheblich verlängern. Das war nur dank der guten Zusammenarbeit innerhalb des Ausschusses möglich. Wenn wir diese gute Zusammenarbeit und den festen Willen behalten, für den Petenten im Einzelfall etwas zu erreichen, dann hat sich unsere Arbeit gelohnt. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste hat die Abgeordnete Frau Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Petitionsausschusses aus dem Jahre 1990 beweist einmal mehr, wie wichtig und wie richtig es von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gewesen ist, das Petitionsrecht der Bürgerinnen und Bürger in Art. 17 des Grundgesetzes zu verankern. Damit ist der Petitionsausschuß neben dem Auswärtigen Ausschuß und dem Verteidigungsausschuß einer von drei Ausschüssen, die im Grundgesetz Erwähnung finden. Im Gegensatz zu den anderen Ausschüssen müssen diese drei Ausschüsse vom Deutschen Bundestag also immer eingesetzt werden. Dies hebt noch einmal die Bedeutung hervor, die die Verfasser des Grundgesetzes dem Petitionsrecht beimaßen. Ich denke, wir tun gut daran, dem Petitionsausschuß diese hohe Wertschätzung auch heute noch - oder aber gerade heute - entgegenzubringen. Denn nach Vollendung der deutschen Einheit finden wir uns in einer Situation wieder, in der vieles noch im Umbruch ist, in der vieles, gerade in den neuen Bundesländern, verwaltungsmäßig noch im Aufbau ist. Das heißt: Wir finden uns in einer Situation wieder, in der vieles unvollkommener ist als sonst und damit Anlaß zu Eingaben an den Petitionsausschuß gibt. Der Petitionsausschuß ist nicht etwa ein Überausschuß, wie das hier heute schon gesagt wurde, aber er ist - im Gegensatz zu den anderen Ausschüssen des Deutschen Bundestages - fachübergreifend tätig. Schließlich kommen Petitionen aus der Bevölkerung aus allen Sachbereichen, und damit hat sich der Bundestag zu befassen. Die große Anzahl von Auskunftsersuchen, bloßen Mitteilungen und Meinungsäußerungen ohne materielles Verlangen, die an den Petitionsausschuß gerichtet sind, gibt Veranlassung, aus unserer Sicht auch an dieser Stelle erneut zu verdeutlichen, mit welchen Anliegen man sich an den Petitionsausschuß wenden kann: Art. 17 des Grundgesetzes legt fest, daß jeder das Recht hat, „sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden" an den Bundestag zu wenden. Bitten sind dabei Forderungen und Vorschläge für ein Handeln oder Unterlassen der Verwaltung, insbesondere aber auch Vorschläge zur Gesetzgebung. Beschwerden dagegen sind Beanstandungen, die sich auf ein Handeln oder Unterlassen von staatlichen Organen, Behörden oder sonstigen Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, richten. Der Petitionsausschuß kann also nur im Falle von Bitten und Beschwerden tätig werden. Ein Problem des Petitionsausschusses besteht nach wie vor darin, daß Ersuche des Bundestages in Form von Berücksichtungsbeschlüssen die Bundesregierung rechtlich nicht verpflichten können, dem Ersuchen zu entsprechen. So ist auch dem Bericht 1990 zu entnehmen, daß einigen Berücksichtigungs- und Erwägungsüberweisungen an die Bundesregierung im Berichtsjahr 1990 wieder nicht entsprochen wurde. Insgesamt gesehen kann aber festgehalten werden, daß die Bundesregierung den Beschlüssen und Bitten des Bundestages in der überwiegenden Zahl der Fälle nachgekommen ist. So wurden im Berichtsjahr 1990 vom Bundestag 90 Petitionen zur Berücksichtigung und 85 zur Erwägung überwiesen. Hiervon wurden während des Berichtszeitraums 28 Berücksichtigungs- und 5 Erwägungsfälle positiv erledigt. In 5 Berücksichtigungs- und 17 Erwägungsfällen wurde dem Anliegen nicht entsprochen. In den weiteren Fällen ist noch nicht abschließend entschieden. Dies zeigt nach Meinung der FDP, daß die Bundesregierung durchaus Respekt vor der Arbeit des Petitionsausschusses hat. Es zeigt aber auch, daß es nach wie vor verbesserungswürdig ist, in welcher Weise die Bundesregierung den Bitten und Ersuchen des Petitionsausschusses bzw. den daraus folgenden Beschlüssen des Bundestages nachkommt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da es sicherlich Eingaben an den Petitionsausschuß gibt, die nicht von großem öffentlichen Interesse sind. Gleichwohl sind sie für den Petenten von herausragender Bedeutung, und jede Bürgerin und jeder Bürger haben den Anspruch und das Recht, mit ihren persönlichen Nöten und Sorgen vom Petitionsausschuß ernst genommen zu werden. ({0}) Wir sollten auch weiter, wie es bisher der Fall ist, deutlich machen, daß die Anliegen der Petenten unsere Anliegen sind. Indem wir das tun, ermuntern wir die Menschen, mit ihren Sorgen und Nöten zum Petitionsausschuß zu kommen. Dies ist nicht nur für den einzelnen in unserer Gesellschaft, sondern auch für unser Parlament von besonderer Bedeutung; denn die Eingaben der Bürgerinnen und Bürger sind ein Spiegel der Meinungen und Sorgen der Bevölkerung und können daher dem Parlament als Stimmungsbarometer dienen. Einige Beispiele aus der Arbeit des Petitionsausschusses aus dem Jahr 1990 möchte ich erwähnen, zunächst einen Fall, bei dem es um die Förderung von Ersatzmethoden für Tierversuche ging. Nach Auffassung der FDP gilt: Tiere sind Mitgeschöpfe des Menschen und schmerzempfindliche Lebewesen. ({1}) Um dieser Tatsache gerecht zu werden, ist in den vergangenen Jahren schon eine Menge passiert: So wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch die formale Gleichstellung von Tieren mit Sachen beseitigt und die Verantwortung des Eigentümers für sein Tier hervorgehoben. Darüber hinaus wurde das Tierschutzgesetz im Jahr 1986 novelliert. Dennoch ist damit die Problematik von Tierversuchen nicht erledigt. Vielmehr bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, um Tierversuche weiter einzuschränken. Die FDP will, daß nur medizinisch unvermeidbare Tierversuche durchgeführt werden. Daher begrüßen wir die Arbeit der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. Für diese Institution waren, damit sie ihre Aufgabe wahrnehmen kann, 14 Planstellen vorgesehen. Inzwischen sollten diese Planstellen aber nicht mehr gewährt werden. Daher erfolgte eine Petition dahingehend, daß der Petitionsausschuß sich dafür einsetzen solle, diese 14 Planstellen zu schaffen, damit bei dieser Koordinationsstelle des Bundesgesundheitsamts noch einmal Erkenntnisse und Alternativen zu Tierversuchen nutzbar gemacht werden können. Die vom Petitionsausschuß eingeholte Stellungnahme des Haushaltsausschusses ergab, daß bisher zehn Planstellen vorgesehen waren und der Haushaltsausschuß die vier weiteren Planstellen nicht für notwendig erachte. Der Petitionsausschuß schloß sich dieser Meinung nicht an und unterstützte die Forderung des Bundesgesundheitsamts auf Bewilligung der in der ursprünglichen Planung vorgesehenen 14 Stellen. Nach einer Befragung der Bundesregierung bewilligte diese für das Haushaltsjahr 1991 vier weitere Planstellen. Das ist ein weiterer Erfolg im Engagement gegen unnötige Tierversuche, der durch den Peti2648 tionsausschuß erreicht wurde und der von der FDP sehr begrüßt wird. ({2}) Anlaß für eine weitere Petition war das nach wie vor durchgeführte sogenannte „Schärfen" von Jagdhunden an lebendem Wild. Hier wurde eine Änderung des Tierschutzgesetzes dahingehend gefordert, daß dies zu untersagen ist. Im Grundsatz darf zwar kein Tier auf ein anderes gehetzt werden; jedoch gilt dies nicht für die Grundsätze waidgerechter Jagdausübung. Diese Einschränkung sollte nach dem Wunsch der Petenten gestrichen werden. Eine Anhörung der Verbände und des BML ergab, daß die Ausbildung von Jagdhunden an lebendem Wild gesetzlich nicht vorgeschrieben, sondern verbandsintern geregelt ist und sowohl in mehreren Bundesländern als auch in etlichen europäischen Ländern verboten ist. Der Petitionsausschuß schloß sich dem Anliegen der Tierschützer an und überwies die Eingabe an die Bundesregierung. Eine Antwort von dort steht noch aus. Die FDP hofft, daß sie für die Petenten ausfällt. Eine weitere Eingabe betraf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Auch über dieses Thema wurde mehrmals diskutiert. Hier unterbreitete ein Petent Vorschläge zum Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung in der Ehe. Die SPD hatte bereits in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, das Wort „außerehelich" zu streichen, damit das Gesetz auch in der Ehe zur Anwendung käme. Der Bundestag lehnte diesen Entwurf jedoch deshalb ab, weil er der Meinung war, es müsse eine konsequente Neuregelung dieser Vorschriften erfolgen, und es genüge nicht, das Wort „außerehelich" zu streichen. ({3}) - Wir können gern hinterher noch darüber diskutieren, welche Gründe zur Ablehnung geführt haben. Aber unserer Ansicht nach waren das die Gründe, mit denen es abgelehnt wurde. Der Petitionsausschuß jedenfalls ersuchte die Bundesregierung daher, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Der Fachminister teilte dem Ausschuß mit, daß ein entsprechender Regierungsentwurf bisher nicht in die parlamentarischen Beratungen einbezogen werden konnte, da es hierbei Bedenken wegen der Auswirkungen des Vorhabens auf § 218a Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuches gäbe. ({4}) Die FDP allerdings erwartet, daß ein Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt, nun schnellstmöglich dem Bundestag vorgelegt wird, und ich begrüße es, aus dem Justizministerium zu hören, ein solcher Entwurf sei in Vorbereitung. ({5}) Eine weitere Eingabe befaßte sich mit einem Rentenanerkennungsverfahren. Hier geriet ein Petent durch die überlange Bearbeitungszeit seines Antrags auf Berufsunfähigkeitsrente in eine finanzielle Notlage. Dem Petitionsausschuß gelang es, durch Einschaltung des Bundesversicherungsamtes und anderer Stellen, das Verfahren zu beschleunigen, so daß dem Petenten eine Rente sowie eine größere Nachzahlung zuerkannt werden konnten. Dies ist ein Beispiel, wie ein Bürger ohne Verschulden in erhebliche Not geraten ist. Hier konnte der Petitionsausschuß erfolgreich helfen. Dieses Beispiel sollte meiner Meinung nach Aufmunterung für all jene sein, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. ({6}) Der Petitionsausschuß befaßte sich aber auch mit Petitionen aus dem Bereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. So betraf eine Eingabe die neue Dienstbekleidung der Postbeamten. ({7}) In dieser Petition ging es um die Verpflichtung zum ausschließlichen Tragen von neu eingeführter Postkleidung ab dem 1. Januar 1991. Der Petent fühlte sich in seiner freien Entfaltung gehindert, da er die von ihm zu einem Drittel mitfinanzierte alte Dienstkleidung nicht mehr nutzen könne und nun, nur um ein einheitliches Bild der Post herzustellen, mit neuen Anschaffungskosten belastet werde. ({8}) - Die können wir gern in Bayern einführen; vielleicht gibt es dazu eine Eingabe an den Petitionsausschuß. Nach Auffassung des Petitionsausschusses sollte die Effizienz der Leistung der Post an erster Stelle stehen und geringfügig unterschiedliche Bekleidung nicht so sehr ins Gewicht fallen. Außerdem appellierte der Ausschuß an die Grundsätze der Sparsamkeit. Das Bundesministerium für Post und Telekommunikation hat daraufhin immerhin die Frist zum Auftragen der bisherigen Dienstkleidung bis zum 31. Dezember 1991 verlängert. ({9}) - Ein Riesenfortschritt! Die Kombination alter und neuer Dienstbekleidungsstücke wurde jedoch auf bestimmte Teile beschränkt. Aus unserer Sicht ist das nur ein Teilerfolg ({10}) - das kann ich nicht beurteilen; ich müßte es nachlesen, Herr Richter - , denn nach Auffassung der FDP ist die Post ein modernes Dienstleistungsunternehmen oder sollte es jedenfalls sein. ({11}) - Einigen wir uns darauf: Sie sollte es sein. Dies wird allerdings nicht dadurch erreicht, daß einheitliche Uniformen getragen werden. Es scheint uns fraglich, ob dies überhaupt notwendig ist. Ein weiterer Punkt, der die Post betraf, betraf Nebentätigkeiten von Postbediensteten im Versicherungswesen. In dieser Petition wird die Nebentätigkeit von Bediensteten der Bundespost als Vertrauensleuten für eine Postversicherung gerügt. Daneben werde auch das Datenschutzgesetz verletzt, da Daten von Auszubildenden an die Versicherung weitergegeben wurden. Der Petitionsausschuß vertrat nach Prüfung der Angelegenheit die Ansicht, daß, selbst wenn die Versicherung als Selbsthilfeeinrichtung der Post anerkannt sei, die Post den Anschein vermeiden müsse, als würde sie die geschäftlichen Interessen dieser Einrichtung vertreten. Zur Adressenweitergabe vertrat der Ausschuß die Meinung, daß Berufsanfänger zumindest unterschwellig eine Verbindung zwischen Einstellung und Beitritt in die Versicherung herstellen könnten und es daher unerheblich sei, daß die Adressenweitergabe zulässig sei. Im übrigen befand der Ausschuß, daß das Verständnis in der Bevölkerung für Beamte, die in ihrer Dienstzeit einer Nebentätigkeit nachgehen, nicht vorhanden sei. Nach der Berücksichtigungsüberweisung teilte der Bundesminister für Post und Telekommunikation mit, daß die Vertrauensleute strengstens angewiesen worden sind, auf die Einhaltung der vorgegebenen Grenzen zu achten, um die Nebentätigkeit nur außerhalb der Dienstzeit und außerhalb von Diensträumen auszuüben. Ich denke, es ist nur recht und billig, daß der Bundesminister für Post und Telekommunikation dieser Forderung nachkam. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Mitglieder des Petitionsausschusses gelegentlich über den hohen Arbeitsaufwand stöhnen - wir haben das heute abend schon mehrfach gehört - und durch die Beschäftigung mit Einzelfällen teilweise sehr in Anspruch genommen werden, so bleibt, denke ich, zum Schluß zu sagen, daß der Petitionsausschuß ein gutes Beispiel aktiver Demokratie ist, der den Respekt aller im Parlament verdient. Ich möchte abschließend noch einmal alle Bürgerinnen und Bürger, die in irgendeiner Weise Anliegen, die als Bitten oder Beschwerden zu bezeichnen sind, haben, ermuntern, sich an den Petitionsausschuß zu wenden. Denn so haben wir Gelegenheit, dem „Teufel im Detail" abzuhelfen. Danke. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rednerliste zu dieser Debatte spricht nicht gerade für ein Bemühen um Gleichstellung von weiblichen und männlichen Abgeordneten. ({0}) Aber das nur als Einstieg. Ich möchte zu Beginn meiner Rede ebenfalls die Gelegenheit nutzen, aus Anlaß der Debatte um den Jahresbericht des Petitionsausschusses den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußdienstes für ihre oftmals sehr mühevolle, aufwendige Arbeit Dank zu sagen. Ich möchte gleichfalls ein Wort über die sachliche, zumeist konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuß selbst verlieren. Das hebt sich wohltuend von manchen Plenardebatten, die im Bundestag geführt werden, ab. ({1}). Ich wünschte mir - ebenso wie mein Kollege Nolting - eine solche Sachlichkeit und einen solchen kulturvollen Umgang von Abgeordneten bei der gesamten Tätigkeit des Bundestages. ({2}) - Ich fasse das als Zustimmung auf. ({3}) Der Petitionsausschuß ist auf besondere Weise mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes verbunden. Das im Grundgesetz verankerte Petitionsrecht eröffnet ihnen die Möglichkeit, ihre Bitten, Beschwerden, ihre Sorgen und Probleme sozusagen auf höchster Ebene loszuwerden. Demzufolge werden große Erwartungen an die Arbeit des Ausschusses geknüpft. Meine Erfahrung der letzten Monate ist, daß das vor allem auch auf Petenten aus den neuen Bundesländern zutrifft. In der ehemaligen DDR war, so vermerkt es der vorliegende Bericht, die „Eingabefreudigkeit ... bereits sehr hoch". Dabei haben die Bürgerinnen und Bürger zwei für sie bedeutsame Erfahrungen gemacht, die darin bestanden, daß die Wirksamkeit ihrer Eingaben entweder davon abhängig war, an welche Ebene der staatlichen Verwaltung diese gerichtet wurden, oder aber davon, wann die nächsten Wahlen stattfinden sollten. ({4}) Je näher dieser Termin lag, um so erfolgversprechender konnte eine Eingabe sein. Nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik ({5}) ist die Anzahl der Petitionen aus den neuen Bundesländern drastisch angestiegen. Ihr Anteil, gemessen an den Einwohnerzahlen, liegt heute deutlich über dem der alten Bundesländer. Diese Zunahme hat meines Erachtens mehrere Ursachen. Sie liegen sowohl in einer großen Unsicherheit vieler Bürgerinnen und Bürger im Umgang mit den neuen Gesetzlichkeiten, den Behörden, den Zuständigkeiten usw. als auch in den zahlreichen im Einigungsvertrag unzureichend gelösten Problemen begründet. ({6}) Oftmals haben sich die Bürgerinnen und Bürger vor dem Einschalten des Petitionsausschusses des Bundestages bereits an andere staatliche Stellen oder parlamentarische Organe gewandt und dort entweder kein Gehör oder keine Abhilfe gefunden. Nach meinem Verständnis zeugen viele Petitionen von zwei sich nur scheinbar widersprechenden Erscheinungen: Sie zeugen von gewachsener Mündigkeit der Bürger gegenüber dem Staat und von wachsender Müdigkeit oder auch Verdrossenheit dem Staat gegenüber. Der Inhalt der Petitionen und die Stellungnahmen von betroffenen Behörden und Ämtern zeugen sehr oft von bürokratischem, engherzigem Handeln. Sie zeugen auch von dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber einer allmächtigen Bürokratie und Staatsmaschinerie. Oftmals scheint der Petitionsausschuß die letzte Rettung zu sein, ({7}) eine Hoffnung, die aber eben leider nur selten erfüllt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es untragbar, wenn in einigen Stellungnahmen derer, über die Beschwerde geführt wird, Beklagte zu Klägern werden; Kollege Peter hat bereits auf Beispiele dafür hingewiesen. ({8}) Wünschenswert wäre auch eine generelle unabhängige Begutachtung, die nicht nur rechtliche, sondern auch soziale, ethisch-moralische, einfach menschliche Aspekte des konkreten Einzelfalls berücksichtigen würde, also die Frage des Härtefalls. Meiner Auffassung nach sind aber gerade die Petitionen aus den neuen Bundesländern nicht selten ein Anzeiger dafür, daß manches, was in der Regierung bzw. im Bundestag quasi am grünen Tisch entschieden wurde, praktisch nicht funktionieren kann. Sie belegen in bezug auf eine Reihe von Kernproblemen die Inkompetenz und die fehlende Sachkenntnis dieser Bundesregierung. ({9}) Oder sollte ich besser sagen: Sie sprechen für die fehlende Bereitschaft der Bundesregierung, die tatsächlichen Probleme in den neuen Bundesländern zur Kenntnis zu nehmen? ({10}) Das betrifft meines Erachtens insbesondere Petitionen, deren Inhalt sich auf die Regelung offener Vermögensfragen, die Sicherung der medizinischen Versorgung, die Rehabilitierung und das Rentenrecht beziehen. Hier ist die Bundesregierung gefordert, konsequent und schnell zu reagieren. Das wird aber wohl auch in Zukunft eine Illusion bleiben, stellt doch selbst der vorliegende Bericht fest - ich zitiere -: ... daß die Bundesregierung im Berichtsjahr 1990 wiederum in einer Reihe von Fällen Berücksichtigungsbeschlüssen des Bundestages nicht oder nicht im vollen Umfang gefolgt ist, obwohl diese Beschlüsse das Ersuchen des Bundestages beinhalten, für Abhilfe zu sorgen. Was in diesem Bericht da so harmlos klingt, heißt im Klartext, daß 1990 z. B. von 90 Petitionen, die der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen wurden, lediglich 28 positiv erledigt wurden. Hier muß sich die Bundesregierung fragen lassen: Wie ernst nimmt sie eigentlich die Beschlüsse des Bundestages, wie ernst nimmt sie die Abgeordneten dieses Hohen Hauses, wie ernst nimmt sie vor allem die Bitten und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger? Der Bericht macht deutlich, daß verstärkt darüber nachgedacht werden sollte, wie eine höhere Verbindlichkeit erreicht werden kann, daß also Berücksichtigungsbeschlüsse des Bundestages eben auch Berücksichtigung durch die Regierung erfahren müssen. Petitionsausschuß und Bundestag sollten ihr Kontrollrecht gegenüber der Regierung mit mehr Nachdruck und Konsequenz wahrnehmen. Abschließend noch einige Bemerkungen aus aktuellem Anlaß. Am Freitag wird der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Rentenüberleitungsgesetz beraten. Gegen diesen Entwurf sind bereits eine Reihe von Petitionen und Unterschriftensammlungen, u. a. der Brandenburgischen Rentnerinitiative, eingegangen. Ihre Anliegen sollten vor der Entscheidung -

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Abgeordnete Enkelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe noch einen letzten Satz, und den würde ich gern zu Ende führen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Aber dann. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Anliegen dieser Petitionen, dieser Unterschriftensammlungen sollten vor der Entscheidung sorgfältig geprüft und in die nötige Sachkompetenz einbezogen werden. Das jedenfalls würde dem Petitionsausschuß viel Arbeit im nachhinein ersparen. ({0}) Jetzt dürfen Sie.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie haben gerade in Zweifel gezogen, daß die Bundesregierung die Voten des Petitionsausschusses berücksichtigt. Darf ich Sie fragen: Wie hat denn die SED-Regierung die Beschlüsse der Volkskammer berücksichtigt? Dies auch vor dem Hintergrund, daß Sie seit 1977 Mitglied der SED sind.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das Thema dieser Debatte ist der Bericht des Petitionsausschusses für das Jahr 1990, und zu dem habe ich hier gesprochen. Ich habe mich ansonsten zu dem „Eingabenunwesen" in der DDR geäußert, und das sollte genügen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat das Wort die Abgeordnete Gertrud Dempwolf.

Gertrud Dempwolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie sehr die Bundesregierung den Petitionsausschuß ernst nimmt, ersehen wir heute an der gut gefüllten Regierungsbank. ({0}) Und wenn ich sehe, daß bis vor einer Minute - Kollege Grünewald geht gerade - zwei Mitglieder des Petitionsausschusses hier zwei Stunden auf der Regierungsbank gesessen haben, dann kann ich nur sagen: Das ist für uns sehr erfreulich, und: Meine Damen und Herren der Koalition, lassen Sie uns im Petitionsausschuß weiterarbeiten; der Weg ist nicht so sehr weit. ({1}) Über die große Anzahl von Eingaben an den Petitionsausschuß möchte ich jetzt nicht mehr im einzelnen sprechen, aber vielleicht nur noch ein Bild: Wenn wir heute täglich 160 Eingaben an den Petitionsausschuß bekommen, dann sehen wir, wie weise die Verfasser unseres Grundgesetzes gehandelt haben, als sie das Petitionsrecht der Bürger in Art. 17 verankerten. Wie sehr politisches Handeln in das Leben hineinreicht, sehen wir auch an den Eingaben an den Petitionsausschuß. Wir beklagen darum auch nicht, daß die Anzahl der Petitionen weiterhin zugenommen hat. Es ist gut zu sehen, daß unsere Bürger um ihr Recht wissen und davon selbstverständlich Gebrauch machen. Sie wissen auch, daß sie nicht Bittsteller sind, sondern daß sie ein selbstverständliches Recht in Anspruch nehmen. So erfahren wir Abgeordnete des Petitonsausschusses täglich auf beeindruckende Weise, wo den Bürger der Schuh drückt. Die Petitionen zeigen uns die Lücken, die wir im Gesetz noch zu schließen haben. Ohne die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschußdienstes aber könnten wir diese schwierige Arbeit nicht leisten. Darum möchte ich von dieser Stelle aus dem Ausschußdienst und dem Büro ganz herzlich danken. ({2}) Wieder einmal betrafen 26 % der Eingaben den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Helfen konnte der Petitionsausschuß zum Beispiel einem Petenten, dessen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit der Begründung abgelehnt worden war, daß die erforderlichen Beitragszeiten nicht erfüllt seien. Der Ausschuß hat sich ausführlich mit dieser Petition befaßt. Wir konnten nachweisen, daß eine Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit nicht angerechnet wurde. Dennoch verweigerte die BfA zunächst die Rentenzahlung, weil dem Petenten Rehabilitationsmaßnahmen bewilligt worden waren, er aber die Durchführung ablehnte. Der Ausschuß ließ nicht locker und veranlaßte eine nochmalige Überprüfung, bis schließlich die BfA auf die Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen verzichtete und dem Petenten die Erwerbsunfähigkeitsrente zubilligte. Der Nachzahlungsbetrag war_ eine fünfstellige Zahl. Ich meine, auch das ist eine Hilfe im Einzelfall. Ich möchte hervorheben, daß der Petitionsausschuß nicht nur der vielzitierte Kummerkasten der Nation ist, sondern daß wir uns alle gemeinsam in erster Linie als Anwalt der Bürger verstehen. ({3}) Wenn es auch im Ausschuß unterschiedliche Meinungen gibt und das im Einzelfall zu heftigen Sachauseinandersetzungen führt, so suchen wir doch immer einen vernünftigen gemeinsamen Weg, um dem Petenten bei seinem Anliegen zu helfen. Ich erinnere hier noch einmal an den Fall der Schädigung durch Dioxin, den wir so gut zum Abschluß gebracht haben. Da muß ich sagen: Herr Peter, Sie hatten da sehr lange die richtige Nase. ({4}) Er ließ nicht locker, und er hat mich dann auch immer wieder überzeugt. ({5}) Es gibt sehr viele Petitionen, die wir zu einem guten Abschluß gebracht haben. Über Erfolge spricht man zwar gerne, aber es liegt mir sehr am Herzen, eine Petition zu erwähnen, die uns im letzten Jahr erreichte und die wir noch nicht abgeschlossen haben. Sie betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz und bezieht sich auf die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches. Es geht um einen Petenten, der im Jahre 1949 am Kopf operiert wurde. Nach dieser Operation stellte sich ein Anfallsleiden mit Schwerstbehinderung ein. Erst 1986 konnte auf Grund von medizinischen Untersuchungen ein ärztlicher Fehler, eine bei der Operation vergessene Tamponade - versteinert - , aufgedeckt werden. Es ist zu spät, um Schadensersatzansprüche zu stellen; denn die Verjährung trat 30 Jahre nach der Operation, also bereits 1979, ein. ({6}) Es fällt mir sehr schwer, diesen Fall zu akzeptieren. Daß die Verjährungsfrist auch dann gilt, wenn der Verletzte keine Kenntnis von der schädigenden Handlung hatte und deswegen keinen Schadensersatzanspruch stellen konnte, läßt mich nicht ruhen. Wegen der Tragik dieses Falles bemüht sich der Petitionsausschuß auf allen nur möglichen Wegen, wenigstens eine finanzielle Unterstützung für den Petenten zu bekommen. Der Petent lebt bei seinem Bruder und von der Sozialhilfe mit dem niedrigsten Satz. Unsere Bemühungen sind noch nicht abgeschlossen. Aber wir suchen noch nach weiteren Lösungen, damit dieser Mann einen Ausgleich für verlorene Gesundheit und für verlorenes Lebensglück bekommt. Ich weiß, daß das sehr schwer ist, aber ich wünschte mir, es käme ein guter Rat aus unserem Kreis. Ich danke Ihnen. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie wir in dieser Aussprache schon einige Male zur Kenntnis genommen haben, hat sich die Tätigkeit des Petitionsausschusses im Jahre 1990 erheblich ausgeweitet, vor allem auch durch eine Vielzahl von Petitionen aus den östlichen Bundesländern. Dies reflektiert vor allem die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Menschen in der ehemaligen DDR. Wir stellen allerdings auch hier vielfach überhöhte Erwartungen an die Regelungskompetenz des Petitionsausschusses fest. Bei der Diskussion des Jahresberichts des Petitionsausschusses kann natürlich nicht nur Positives zur Sprache kommen. In einigen Fällen ist auch Kritik an der Bundesregierung angebracht, die unser Vorsitzender schon in so hervorragender Weise formuliert hat. Es gibt Entscheidungen des Petitionsausschusses, die die Bundesregierung nicht beachtet hat. Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, dazu ein Beispiel vortragen. Da schreibt ein Minister am Schluß seiner Aussage zu einer Petition, die wir zur Berücksichtigung überwiesen hatten: Nach allem komme ich zu dem Ergebnis, die der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag überwiesene Petition auf Grund der dargestellten Rechtslage nicht berücksichtigen zu können. Ich bedaure, dem Wunsch des Bundestags nach einem anderen Ergebnis nicht entsprechen zu können, sehe mich aber durch das Gesetz zu dieser Entscheidung gezwungen. Meine Damen und Herren von der Regierung, das wußte der Petent auch, sonst hätte er keine Petition eingereicht. Sein Begehren war doch, sich hilfesuchend an den Bundestag zu wenden und zu sagen: Hier ist Handlungsbedarf. Der Petitionsausschuß sagt in seinen Beratungen: Jawohl, wir sehen das auch so; die Bundesregierung möge das berücksichtigen. Die Bundesregierung stellt dann fest: Die Rechtslage steht dem entgegen. Das wußten alle. Ich hätte gerne von der Bundesregierung, daß sie die Entscheidungen des Petitionsausschusses in Zukunft etwas ernster nimmt, als das in der Vergangenheit geschehen ist. Ich will auch hinzufügen, daß Entscheidungen des Petitionsausschusses auch solche des Deutschen Bundestages sind. Sie sollten für die Regierung eigentlich schon aus diesem Grunde beachtenswert sein. Auch in diesem Berichtszeitraum gab es eine große Anzahl von Fällen, in denen die Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung oder zur Erwägung überwiesen worden waren, aber nicht im Sinne des Petitionsausschusses erledigt wurden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Göhner?

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter und hochgeschätzter Kollege Reuter, würden Sie mir darin zustimmen, daß auch bei einem Beschluß des Petitionsausschusses und des Bundestages die Bundesregierung als Exekutive gleichwohl an die Gesetze gebunden bleibt, so daß dann, wenn der Bundestag die Regierung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert hat, dieses Verhalten aber ohne eine Gesetzesänderung nicht möglich ist, nur der Bundestag selbst dem Petitum der Petition durch eine Gesetzesänderung entsprechen kann?

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So wie ich die Praxis unserer Arbeit kenne, Herr Kollege Dr. Göhner, ist es richtig, daß die Regierung an das Gesetz gebunden ist. Es wäre noch schöner als schön, wenn die Regierung machen könnte, was sie wollte! ({0}) Das ist vollkommen klar. Wenn aber Handlungsbedarf aus einer Petition erwächst, weil ein Mensch erklärt und uns darlegt, daß das Gesetz eine Lücke, keine Härteregelung oder etwas ähnliches hat, dann kann ich doch von einem ausgewachsenen Minister, der noch dazu Professor ist, erwarten, daß er uns sagt: Wir sehen das ein; wir werden bei der nächsten Novelle des Gesetzes darangehen, diesen Mangel zu beheben. - Darum geht es im wesentlichen. ({1}) Herr Dr. Göhner, Sie kennen mich schon lange, und ich kenne Sie auch. Natürlich will ich der Regierung nicht einfach Schuld zuweisen; denn es gibt vielfach Petitionen, wo der Bundestag selber, die Fraktionen Handlungsbedarf erkennen müßten und selber handeln müßten. Das will ich Ihnen gerne zugestehen. Meine Damen und Herren, es ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar, daß manche Petitionen nur deshalb über mehrere Jahre laufen, weil die Stellungnahmen nicht fristgerecht abgegeben wurden. Ich will deshalb einmal ganz nachhaltig Kritik an den Ministerien und Bundesbehörden üben, die sich über Gebühr lange Zeit lassen, wenn sie um Stellungnahmen zu Petitionen gebeten werden. Erfreulich - auch das ist heute abend schon einige Male angeklungen - ist die Tatsache, daß im Petitionsausschuß im Interesse der hilfesuchenden Menschen sehr oft parteiübergreifende Entscheidungen fallen. Es soll allerdings auch nicht verschwiegen werden, daß es durchaus strittige Themen gibt, die kontrovers diskutiert werden und diskutiert werden müssen. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal auch das Problem der Massenpetitionen ansprechen. Ein Beispiel hierfür sind die Auseinandersetzungen um die Reaktivierung des US-Flughafens Wiesbaden-Erbenheim für Kampfhubschrauber oder auch die Stationierung von Hubschraubern in Büdingen in Hessen gewesen. Hier haben von Lärmbelästigungen betroffene Menschen ein Problem an den Petitionsausschuß herangetragen, das auch unter den Parteien und Fraktionen kontrovers diskutiert wurde. Vor allem aus dem Naturschutz- und Umweltbereich werden gelegentlich Petitionen eingereicht, die einige tausend Unterschriften tragen. Ich meine, meine Damen und Herren, auch wenn solche Zahlen beeindruckend sind, darf eine Petition mit nur einer Unterschrift aus meiner Sicht nicht weniger ernst genommen werden. ({2}) Auch im zurückliegenden Jahr wurde bei strittigen Entscheidungen im Ausschuß § 112 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages von der Opposition in Anspruch genommen. Er bietet nämlich die Möglichkeit, strittige Entscheidungen des Ausschusses im Plenum des Deutschen Bundestages zu diskutieren und unterschiedliche Auffassungen vor einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen. Ich will hier nicht nur kritisieren, sondern auch den Behörden ein hohes Lob aussprechen, die kooperativ und hilfsbereit nach menschlichen Lösungen suchen und sich nicht allein an den Wortlaut des Gesetzes klammern. Hier denke ich z. B. an Leiter von Kreiswehrersatzämtern, deren menschliche und hilfsbereite Zusammenarbeit oft in krassem Gegensatz zum Verhalten des Bundesverteidigungsministeriums steht. ({3}) Ich will hier gerne einmal ein Beispiel vortragen, bei dem ein Arzt der Allgemeinmedizin, der einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung eingereicht hatte, kurz darauf die Einberufung zu einer einwöchigen Wehrübung erhielt. Dieser Arzt mit einer großen Praxis, der noch dazu seinen Vater postoperativ versorgen mußte, wurde gezwungen, die Wehrübung abzuleisten, da nach der Ablehnung seines Zurückstellungsantrages auch seine Petition an den Deutschen Bundestag erfolglos blieb. Meine Damen und Herren, mir will einfach nicht einleuchten, daß in der jetzigen Entspannungssituation, in der die Bundeswehr erheblich reduziert werden soll, ein Arzt seine Patienten für eine Woche im Stich lassen muß, um an einer Wehrübung teilzunehmen. Dieses stupide Festhalten an einmal getroffenen Beschlüssen demonstriert die sture Betonkopfmentalität der Hardthöhe auf eindrucksvolle Art und Weise. Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung wie an die Ministerien, daß bei Vorlagen des Petitionsausschusses nicht im praktischen Verwaltungshandeln irreversible Fakten geschaffen werden, die das Petitionsrecht ad absurdum führen. ({4}) Besonders prägnante Fälle gibt es z. B. beim Straßenbau und beim Ausländerrecht. Gerade das neue Ausländerrecht - der Kollege Konrad Weiß hat darauf hingewiesen - birgt große Gefahren durch seine Möglichkeiten zur sofortigen Abschiebung, wenn eine Anerkennung als Asylant verweigert wird. Wenn uns hierzu dann eine Petition vorgelegt wird, kann sie nicht mehr greifen, weil sich der Betroffene möglicherweise bereits außer Landes befindet und bei einem eventuellen positiven Ausgang der Petition auch nicht mehr in das Land einreisen kann, weil er keinen Sichtvermerk erhält. Der Bundesminister des Innern sollte seine diesbezügliche Anweisung an die Innenminister und Senatoren der Länder zur Auslegung des § 55 Abs. 4 des Ausländergesetzes vom Februar dieses Jahres noch einmal überdenken. Durch Anweisungen dieser Art besteht nämlich die große Gefahr, daß unser Petitionsrecht ausgehöhlt wird. Es kann nicht angehen, daß laufende Petitionen durch Maßnahmen von Ministerien abgewürgt werden. Beim Gesetzesvollzug im Ausländerrecht ist zudem in besonderem Maße auf ein enges Zusammenwirken zwischen Bundestags- und Landtagspetitionsausschüssen zu achten. Als Fazit stelle ich fest, daß sich am Petitionswesen am eindeutigsten die Fehlentwicklungen der Politik widerspiegeln. Zwar ist der Petitionsausschuß kein Überausschuß, der andere bevormunden könnte. Er ist vielmehr auf die Kompetenz der anderen Fachausschüsse angewiesen. Nicht selten ist er jedoch die letzte Anlaufstelle für Menschen, die in Not geraten sind. Ich will am Schluß meiner Ausführungen gerne noch hervorheben, daß wir in diesem Ausschuß relativ kollegial zusammenarbeiten. ({5}) Ich will natürlich nicht so weit gehen, das auch für andere Ausschüsse zu empfehlen, weil wir uns sonst nicht mehr von anderen Ausschüssen abheben können. ({6}) Frau Dempwolf hat dankenswerterweise den Sprecher unserer Fraktion, Horst Peter, hier genannt, der bei dem Dioxinfall wirklich bohrend war, um Erfolge zu erzielen. Er war aber noch woanders bohrend, nämlich bei dem behindertengerechten Ausbau des Bahnhofs Wilhelmshöhe in Kassel. Es wurden auch für die Behinderten Aufzüge eingebaut, die heute in Kassel unter dem Namen „Peternoster" ihren Eingang gefunden haben. ({7}) Meine Damen und Herren, unserem Vorsitzenden, Herrn Gero Pfennig, danke ich nicht für seine akrobatische Art, wie er die Dinge hier regelt, sondern für seine sachliche und effiziente Arbeit. Er ist stets ein kollegialer und pünktlicher Vorsitzender, der die Arbeit des Ausschusses auf vorbildliche Art und Weise organisiert und sich - wie hier schon mehrfach erwähnt - um Konsens bemüht. Minderheitenmeinungen fallen im Petitionsausschuß nicht zwangsläufig unter den Tisch. Wir müssen - das will ich am Schluß noch sagen - mittelfristig mit einem weiteren erhöhten Eingang von Petitionen rechnen. Daher richte ich abschließend meine Bitte an die Präsidentin und die zuständigen Stellen, hierfür die personellen Voraussetzungen zu schaffen. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die im Ausschuß in so hervorragender Art und Weise mitgewirkt haben, und bin überzeugt davon, daß wir auch in der vor uns liegenden Zeit im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger dort etwas Vernünftiges leisten können. Schönen Dank. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Steffen Kampeter, bevor ich Ihnen das Wort gebe, kann ich folgende Bemerkung einfach nicht unterdrücken: Ich wünsche mir, daß diese interfraktionelle Tonlage der Debatte über die Petitionen gewisse Beispielkraft auf unsere morgige Diskussion hat. ({0}) Herr Kollege Kampeter, bitte.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst einmal will ich - es ist eine schwierige Aufgabe, am Ende einer zweistündigen Debatte noch etwas wesentlich Neues beizutragen - denjenigen Kolleginnen und Kollegen danken, die, statt den zahlreichen Einladungen zu Sommerfesten gefolgt zu sein, dieser Debatte folgen. Zweitens. Wir haben gerade im letzten Beitrag viel Kritik an der Bundesregierung und an ihrem Verhalten gehört. Wenn ich mir die Präsenzquote auf der Regierungsbank angucke und mit der Präsenzquote der Parlamentarier vergleiche, muß ich in diesem Falle feststellen: i : 0 für die Bundesregierung. ({0}) Rund 16 000 Eingaben im vergangenen Jahr an den Petitionsausschuß haben gezeigt, wie wichtig die Bürgerinnen und Bürger dieses grundgesetzlich garantierte Recht schätzen. Es ist davon auszugehen, daß wir in diesem Jahr die Schallmauer von 20 000 Eingaben an den Petitionsausschuß deutlich übersteigen werden. An dieser Stelle ist daher nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschusses zu danken; vielmehr müssen wir vor allen Dingen auch den Petenten dafür danken, daß sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, oftmals Finger in Wunden gelegt haben, die wir noch nicht erkannt hatten, und so uns Parlamentariern neue Wirklichkeiten eröffnet haben, die dazu beitragen sollten und dazu beigetragen haben, daß wir in Zukunft staatliches Handeln etwas bürgernäher gestalten werden. Die erfreuliche Vielzahl der Petitionen ist ein Beleg für die Lebendigkeit dieses Verfassungsrechts. In welchem Maße die Bürger der Institution Petitionsausschuß Vertrauen schenken, wird wesentlich dadurch bestimmt, wie entschlossen wir als Petitionsausschuß bei einem erkannten Mißstand Abhilfe schaffen. Der Bericht führt aus, daß im Jahre 1990 90 Petitionen zur Berücksichtigung und 85 Petitionen zur Erwägung überwiesen wurden. 33mal wurde dem Anliegen entsprochen. In 22 Fällen geschah dies nicht. Es ist aus meiner Sicht festzustellen, daß zum einen die Geschwindigkeit, mit der die Regierung unsere Voten bearbeitet, verbessert werden könnte. Hier ist verschiedentlich schon auf diesen Aspekt verwiesen worden. Zum anderen ist in einer nicht geringen Anzahl dem Votum des Ausschusses nicht gefolgt worden. Klar ist: Wir können die Bundesregierung nicht zu einer bestimmten Handlung verpflichten; aber - so führt der Bericht aus, die Verfassungsorgane sollten auf Grund des gegenseitigen Respekts dem Art. 17 eine entsprechende Wertschätzung entgegenbringen. Also sollte die Bundesregierung die Voten des Ausschusses entsprechend würdigen. Herr Kollege Weiß hat hier darauf hingewiesen, daß wir die Voten manchmal im Schnellverfahren in den Ausschüssen beraten. Herr Weiß, ich weise darauf hin, daß sich die Intensität, mit der ein Anliegen behandelt wird, nicht unbedingt in der Länge der Ausschußberatung niederschlägt; die Arbeit muß vielmehr im vorhinein gemacht worden sein. Von daher halte ich das, was die Intensität der Behandlung der Bürgeranliegen angeht, für einen schlechten Indikator. ({1}) Lassen Sie mich auf eine in diesem Bericht ausgewiesene Neuerung hinweisen. Wir haben im Berichtszeitraum erstmals mit dem Bundesrechnungshof direkt zusammengearbeitet. Von zwei Petenten wurde die nicht sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel beklagt. Das betroffene Ministerium hat zwar in dem einen Fall wiederholt die Zweck- und Rechtmäßigkeit der Ausgabe betont. Die Überprüfung durch den Rechnungshof hat aber in die Bemerkungen dieser Behörde Eingang gefunden. Für mich ist es höchst erfreulich, wenn Bürger - neben der Klage über eine finanzielle Benachteiligung - uns als Staat auf die Finger klopfen, gefälligst sachgerecht mit ihrem Geld umzugehen. Es ist sicherlich richtig, daß der Rechnungshof und der Petitionsausschuß unterschiedliche Aufgaben haben. Aber die Kooperation zwischen diesen beiden Institutionen sollte zukünftig sicher fortgesetzt werden. Ich empfinde es nämlich als einen interessanten Aspekt, wenn wir im Bereich der öffentlichen Verwaltung dazu beitragen könnten, das Gebot der Sparsamkeit stärker zu beachten. Die öffentliche Berichterstattung über einen solchen Vorfall hat schon viel Heilsames bewirkt. Meine Vorredner haben hier von zahlreichen Einzelpetitionen berichtet. Ich möchte daher nochmals auf den Bereich Massenpetitionen eingehen. Die Petition mit der größten Anzahl von Unterschriften beschäftigte sich mit der Situation bei den Fluorchlorkohlenwasserstoffen, einem der gefährlichsten Klimakiller mit verdeckter Langzeitwirkung. Sie wurde von knapp 320 000 Bürgern unterzeichnet und auf Initiative des Petitionsausschusses den Fraktionen zur Kenntnis gegeben. Neben anderen parlamentarischen Anstößen, z. B. aus der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre", hat diese Petition wesentlich dazu beigetragen, daß die Bundesrepublik Mitte der 90er Jahre als erstes Land in Europa fluorchlorkohlenwasserstofffrei ist. Unsere Verordnung hat hohe Aufmerksamkeit erregt. So hat die bundesdeutsche Vorreiterrolle anläßlich der letzten Konferenz zum Montrealer Protokoll eine hohe Anerkennung der Position der Bundesregierung auch bei den Umweltschutzverbänden erfahren. Länder wie die Schweiz und Österreich werden in dieser Frage der bundesdeutschen Position folgen. Die 320 000 Bürger - sicherlich ist eine Petition so wichtig wie die andere; aber 320 000 ist eine beachtenswerte Zahl - haben mit dazu beigetragen, daß die Klimaproblematik in der 12. Legislaturperiode wieder Gegenstand der parlamentarischen Beratung geworden ist. Wir haben einen Arbeitsauftrag zur erneuten Einsetzung einer Klima-Enquete erteilt. Sie wird ihre Arbeit nach der Sommerpause aufnehmen. Sie hat den Auftrag, die Zusammenhänge zwischen Treibhauseffekt und Klimaänderung und mögliche Auswirkungen der weltweiten Klimaänderungen zu untersuchen. An diesem Beispiel läßt sich zeigen, daß mit Petitionen auch aktuelle Diskussionspunkte aus der Bevölkerung in die parlamentarische Beratung hineingetragen werden. Die Anliegen der Petenten lassen sich zwar, wie ich ausdrücklich betone, nicht immer vollständig umsetzen, aber sie werden von uns als wichtige Diskussionsbeiträge aus der Bevölkerung interpretiert. Dies trifft beispielsweise auch auf die Petitionen zur Kfz-Steuer zu. Wir haben die Umgestaltung hin zu einer ökologieorientierten Kfz-Steuer vorbereitet. Lassen Sie mich abschließend auf eine Dreistigkeit, verkleidet in Form einer Petition, hinweisen. Deutsche Bewohner einer Einrichtung in Chile - Ihnen wohl am besten unter dem Namen „Colonia Dignidad" bekannt - haben sich über das Auswärtige Amt und die Botschaft in Chile beschwert. Dieser Institution wurde vorgeworfen, ihre Bewohner zu verleumden und zu diskriminieren. Obwohl zahlreiche Indizien diese Anschuldigungen als absurd erscheinen lassen mußten, beabsichtigte der Petitionsausschuß, dem Begehren nachzugehen und vor Ort zu ermitteln. Die Colonia Dignidad lehnte dies ab. Der Vorwurf konnte nicht geklärt werden, da unser Verfassungsorgan in Chile nicht ermitteln konnte. Heute gehört die chilenische Diktatur der Vergangenheit an. Die Gegenwart wird von dem seit langem erstmals wieder demokratisch gewählten Präsidenten Aylwin gestaltet. ({2}) - Herr Kollege Göhner, Sie müßten gelegentlich auch einmal zuhören. Das Verfahren ist ja im Gange; wir sind ja dabei, die Geschichte einmal zu machen. ({3}) Der gewachsene internationale Druck auf die jetzt demokratisch legitimierte chilenische Regierung führte dazu, daß der christdemokratische Präsident dem Treiben der Kolonie nach seiner Amtsübernahme ein Ende bereitete, indem er ihr die Rechtspersönlichkeit entzog. Was dann an die Öffenlichkeit kam, zeigte, daß die Petition eine an Dreistigkeit kaum zu überbietende Verdrehung der Tatsachen darstellte. Die Kolonie hatte nach den jetzt vorliegenden Berichten beispielsweise das Zollprivileg dazu mißbraucht, Güter für den Verkauf in Chile einzuführen, darunter Presseberichten zufolge auch ein Fahrzeug für den Diktator Pinochet. Dies mag Anlaß gewesen sein, daß Pinochetnahe Kräfte die Verfassungskonformität dieses Dekrets vor dem Verfassungsgericht bestritten haben. Kurz vor dieser Debatte habe ich die Information aus Chile bekommen, daß die Klage abgewiesen wurde und das Dekret verfassungskonform ist. Ich glaube, daß damit ein weiterer Schritt zur Beendigung eines ungünstigen Kapitels gemacht worden ist. Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages hat dabei in gutem Geiste mitgewirkt. ({4}) Lassen Sie mich diese Debatte damit schließen, daß mir als relativ jungem und neuem Mitglied des Petitionsausschusses - auch wenn man mir das vielleicht nicht so ansieht, Kollege Nolting, ({5}) aber ich bin eines der jüngsten Mitglieder des Petitionsausschusses - die Arbeit viel Freude macht und daß wir sicherlich auch bei der Diskussion des Jahresberichts 1991 feststellen können, daß wir viel Gutes im Sinne der Bürger erwirkt haben. Herzlichen Dank. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Umsetzung der EG-Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens - Drucksache 12/770 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau EG-Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hermann Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache 12/770 befaßt sich mit der Verzögerung bei der Umsetzung der Vergaberichtlinien der EG im Bundesrecht. Zur Vermeidung von Diskriminierungen von Bietern bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hatte die Kommission 1988 die obengenannten Richtlinien vorgelegt mit dem Ziel, ein eigenes Vergabegesetz für diesen Zweck zu erreichen. In den Verhandlungen setzte sich die deutsche Delegation dafür ein, erstens die angestrebten Ziele der Richtlinien durch die Angleichung von VOB und VOL an den Inhalt der Richtlinie zu verwirklichen und damit unser bewährtes deutsches Vergabesystem zu behandeln und zweitens die Nachprüfung einer Entscheidung der ersten Instanz nicht durch ein Gericht, schon gar nicht durch ein Verwaltungsgericht, sondern durch eine gerichtsähnliche Instanz im Verwaltungswege zu erreichen. Dieser deutsche Sonderweg wurde in Brüssel akzeptiert, vor allem nachdem sich der Deutsche Bundestag einstimmig für die Erhaltung des deutschen Vergabeverfahrens ausgesprochen und sich das Europäische Parlament der deutschen Position angeschlossen hatte. Nun hat sich die Bundesregierung darangemacht, diese Richtlinie durch eine Novelle zum Haushaltsgrundsätzegesetz in deutsches Recht umzusetzen. Sie liegt nun im Rohentwurf vor und ist zwischen den Behörden des Bundes und der Länder fachlich abgestimmt. Plötzlich gibt es Schwierigkeiten. Durch ein Schreiben der Europäischen Kommission wurde das früher Abgesprochene und im Gesetzgebungsverfahren Abgeschlossene aus rechtlichen Gründen in Frage gestellt. Die Arbeiten kamen ins Stocken. Die heutige Debatte soll dafür sorgen, daß die Umsetzung weitergeht, daß also das von der Bundesregierung ausgearbeitete Gesetz dem Bundestag auch vorgelegt wird. Ich möchte mich nun mit den rechtlichen Bedenken befassen, die hiergegen vorgebracht werden und die nach meiner Meinung unbegründet sind. Das erste Argument: Die Kommission verlange ein Vergabegesetz, um damit einen subjektiven Anspruch im Sinne eines Klagerechts zu verwirklichen. Diese Forderung der Kommission gab es. Das ist richtig. Aber bereits in einer früheren Phase, nämlich bei der Beratung in den europäischen Gremien, ist diese Richtung der Kommission für die Bundesrepublik fallen gelassen worden, wie ich schon dargestellt habe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie diese Richtung nun plötzlich wieder einbringen will. Ich bin der Meinung, sie muß bei der früher erklärten Haltung bleiben. Damit kann sie diese Forderung jetzt nicht mehr stellen. Das zweite, die Berufung auf den EuGH, den Europäischen Gerichtshof: Dieser wolle ein Klagerecht vor ordentlichen Gerichten. Auch dieses Argument zieht nicht. Ein subjektiver Anspruch nach EG-Recht verlangt nicht unbedingt ein Gerichtsverfahren in der zweiten Instanz. Es muß nur sichergestellt werden, daß ein Verstoß gegen Vergaberichtlinien rasch und wirksam abgestellt wird. Das ist auch im Rahmen des Haushaltsrechts möglich, so wie es jetzt vorgesehen ist. Der Europäische Gerichtshof überläßt es nach seiner bisherigen Rechtsprechung jedem Mitgliedstaat, wie er die Überprüfung von Rechten, die aus umgesetzten Richtlinien erwachsen, ausgestalten wird. Das ergibt sich aus seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 77 des EWG-Vertrages. Auch die Kommission hat bei der Verabschiedung der Richtlinie durch den Ministerrat am 21. Dezember 1989 nicht Bedenken aus der Rechtsprechung des EuGH geltend gemacht. Das dritte Argument. Es wird behauptet, ohne ein Vergabegesetz komme es zu einem Durcheinander von Rechtsbehelfen. Auch das ist nicht richtig. Zwar ist der Rechtsweg durch die haushaltsrechtliche Lösung nicht ausgeschlossen. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß dieser zusätzlich eingeschlagen wird. Es ist auch heute schon möglich, neben dem VOB-Verfahren ein Gerichtsverfahren zu erzwingen. Trotzdem ist es nicht zu einem Durcheinander gekommen. Warum sollte es in Zukunft so sein, wenn eine funktionierende Überwachungs- und darüber hinaus eine unabhängige Instanz existiert? Viertens. Es wird behauptet, der Bieter könne auf Grund Art. 19 des Grundgesetzes das Eingreifen eines Verwaltungsgerichts fordern. Auch das ist nicht richtig. Die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gilt nur für Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist jedoch keine hoheitliche, sondern eine fiskalische Tätigkeit. Zusammengefaßt: Die vorgesehene haushaltsrechtliche Lösung ist rechtlich nicht zu beanstanden und für jeden seriösen Bieter sogar ein Vorteil. Sie schafft eine Beschwerdeinstanz, die mit Fachleuten des Vergaberechts besetzt ist. Diese werden für eine schnelle Abwicklung der Streitigkeiten sorgen - und gerade diese zügige Erledigung von Differenzen ist ein Erfordernis unserer Zeit. Alle Bauverwaltungen können ein Lied davon singen, wieviel Mehrkosten aus Steuermitteln aufgebracht werden müssen infolge monate- oder gar jahrelanger Verzögerungen durch zeitraubende Verwaltungsgerichtsverfahren bei Planfeststellungen. Wenn diese Verzögerungen auch bei der Vergabe noch möglich werden, dann wäre eine zügige Baudurchführung wichtiger öffentlicher Bauvorhaben überhaupt nicht mehr möglich. Deshalb unterstützt der Wirtschaftsausschuß, der für diese Materie federführend ist, das Petitum des Bauausschusses, die begonnene Umsetzung fortzuführen. Diesem Vorstoß parallel läuft ein Antrag des für diese Materie im Bundesrat federführenden Landes Baden-Württemberg. Dort wird verlangt, VOB und VOL weiterhin beizubehalten und Verwaltungsverfahren für die Überwachung einzurichten. Dort wird auch verlangt, die abgesprochenen Arbeiten für die haushaltsrechtliche Umsetzung umgehend fortzusetzen und das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Dieser Forderung schließe ich mich vollinhaltlich an. Die Bundesregierung sollte den ausgearbeiteten Entwurf fertigstellen und umgehend dem Parlament zur Beschlußfassung vorlegen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Abgeordnete Gabriele Iwersen, Sie haben das Wort.

Gabriele Iwersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000998, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was erwarten wir von Europa im letzten Jahrzehnt dieses Jahrtausends? In erster Linie positive Veränderungen auf dem Weg in eine Gemeinschaft der Regionen mit annähernd gleichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Die EG-Kommission arbeitet für dieses Ziel seit Jahren mit viel Energie und überschwemmt uns dabei mit einem gewaltigen Meer an bürokratischen Verfahrensregelungen, in dem die schöne Idee der Gemeinschaft unterzugehen droht. Wieder einmal stehen die Baukoordinierungsrichtlinien und die Überwachungsrichtlinie auf der Tagesordnung. Es geht um ihre Umsetzung in nationales Recht. Nach Art. 189 des EWG-Vertrages sind Richtlinien für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet werden, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Um diese geeignete Form ist schon in der 11. Wahlperiode gerungen worden. Das Ergebnis war eindeutig. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt die Beibehaltung des in der Bundesrepublik üblichen Vergabesystems durch eine verbindliche Anwendung der VOB und VOL und erwartet dazu die notwendige Ergänzung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in das alle Eckwerte der EG-Kommissionsrichtlinie eingearbeitet werden müssen. An dieser Auffassung hat auch die Wahl zur 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages nichts ändern können. Es sei mir aber gestattet, an dieser Stelle mein Erstaunen zum Ausdruck zu bringen über die Hartnäkkigkeit, mit der die Willensbildung des Parlaments und auch die des Bundesrates ignoriert werden; denn anders kann ich die Tatsache nicht bezeichnen, daß wir erneut mit dieser Frage konfrontiert werden. Der gemeinsame Antrag der CDU/CSU, FDP und SPD soll sowohl der Bundesregierung als auch der EG-Kommission zeigen, daß der Bauausschuß nicht bereit ist, ein umfassendes Vergabegesetz mit dem Rechtsanspruch auf gerichtliche Nachprüfung des Verfahrens zu akzeptieren. Wir lehnen es ab, die fachkundige Beurteilung einer Vergabeentscheidung durch eine rein juristische Beurteilung zu ersetzen. Schon am 8. März 1989 hat der Bauausschuß eine diesbezügliche Stellungnahme abgegeben, die bereits am 9. und 10. März 1989 zu einem entsprechenden Einlenken der EG-Kommission führte; das heißt, die Richtlinie enthielt nicht mehr die Notwendigkeit, den am Vergabeverfahren Beteiligten einen Rechtsanspruch und, damit verbunden, einen Anspruch auf gerichtliche Nachprüfung des Verfahrens einzuräumen. Nach dem dort ausgehandelten Wortlaut würde, wie vom Ausschuß gefordert, eine Nachprüfung durch eine Verwaltungsinstanz genügen. Die EG-Kommission hat außerdem auf ihre Interventions- und Aussetzungsrechte verzichtet und wollte nunmehr nur noch gegebenenfalls als Gutachter die Mitgliedstaaten auf ihre, der EG-Kommission also bekanntgewordenen Verfahrensverstöße hinweisen und diese sozusagen aus erzieherischen Gründen veröffentlichen. Voraussetzung für diese Art der Beschwerdeinstanz ist allerdings, daß diese wieder von einer unabhängigen Instanz überprüft werden kann. Ist auch diese Instanz kein Gericht, so soll sie notfalls noch einmal einer gerichtlichen Nachprüfung unterliegen. Soweit der Sachstand vom April 1989, der im großen und ganzen auch den Einwendungen des Bundesrates im September 1987 Rechnung trägt. Am 15. Oktober 1990 erscheint ein Entwurf zur Umsetzung der EG-Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragwesens und der Überwachungsrichtlinie in das Haushaltsgrundsätzegesetz. Auch die hierin enthaltene Überwachung durch je einen Beauftragten für das Vergabewesen bei Bund und Ländern erscheint allseits akzeptabel. Aber schon wieder treten Irritationen auf. Ein Schreiben der EG-Kommission vom September 1990 beanstandet abermals das Fehlen eines gerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung von Verstößen, diesmal bei der schon längst in Kraft befindlichen Liefer- und Koordinierungsrichtlinie. Wieder kommt ein Vergabegesetz ins Gespräch. Es interessiert mich wirklich, an welcher Stelle dieser hartnäckige Verfechter juristischer Instanzen sitzt. Ich sage dies, in der Hoffnung, daß diese Stellungnahme hier im Bundestag mehr Wirkung erzielen wird als die bisherigen Bemühungen durch Bundestagsausschüsse, Bundesrat, Vertreter des Städtetages, des Städte- und Gemeindebundes, der Wirtschaftsminister der Länder, des Bund-Länder-Ausschusses Haushaltsrecht und Haushaltsdynamik und auch der Bauindustrie, in deren Interesse angeblich diese Liberalisierung des europäischen Baumarktes durchgeführt werden soll. ({0}) Ich frage denjenigen, der das Verfahren immer wieder von Anfang an neu aufrollen möchte, in wessen Interesse er das eigentlich beabsichtigt. Ich würde ja in diese Richtung gucken, aber ich nehme an, daß er da nicht sitzt, und deshalb gucke ich weiterhin ins Plenum. Die Notwendigkeit für eine weitere Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens im gemeinsamen Markt und die zu dessen Durchsetzung angeblich notwendige Überwachung bzw. gerichtliche Überprüfung sollte doch im Interesse der potentiellen Güter bei den zukünftigen öffentlichen Ausschreibungen liegen. Diese aber lehnen ein Vergabegesetz aus vielerlei Gründen ab. Wichtige Einwände sind die überlangen gerichtlichen Verfahren mit der Möglichkeit der Aussetzung des Vergabeverfahrens. Die Blockadewirkung dieser Prüfinstrumente muß sich einfach investitionshemmend auswirken. Daß heißt, es muß befürchtet werden, daß die vorgeschlagenen endlosen bürokratischen Verfahren mit anschließenden zeitaufwendigen gerichtlichen Überprüfungen nicht zu einer Liberalisierung des Binnenmarktes, sondern zu einem Zusammenbruch der öffentlichen Investitionstätigkeit führen. Eine andere Gefahr liegt auf der Hand: Die VOB - Verdingungsordnung für das Baugewerbe -, die nach unserem Wunsch weiterhin Grundlage der öffentlichen Vergabe bleiben soll, sieht die getrennte Ausschreibung und Vergabe nach Gewerken vor, so daß jedes Fachlos an einen anderen mittelständischen Handwerksbetrieb mit all seiner fachlichen Spezialerfahrung vergeben werden kann. Hier liegt die Marktchance für die Handwerksbetriebe. Muß aber eine ausschreibende Stelle, sagen wir das Bauamt einer mittleren Kommune am Rande unserer Republik, bei jedem Fachlos Klagen von nicht berücksichtigten Bietern aus halb Europa erwarten, wird sie zur eigenen Absicherung auf die Einzelausschreibungen der Gewerke verzichten und sich lieber einen Generalübernehmer suchen, damit der Verwaltungsaufwand und das Prozeßrisiko kleiner werden. Schon werden die kleineren Betriebe höchstens noch als Subunternehmer an öffentlichen Aufträgen beteiligt werden, und das soll verhindert werden. Im Gegenteil, wir müssen den einzelnen Regionen die besondere Fachkunde und Erfahrung der Handwerksbetriebe gerade in regionaltypischen Bauweisen erhalten. ({1}) Ich komme aus einer Region, in der der Regen zuweilen waagerecht fällt oder besser weht und durch alle nur denkbaren feinsten Ritzen und Haarrisse in das Mauerwerk eindringt. Darüber hinaus drückt der Wind das Wasser auch aufwärts oder um die Ecken herum. Die Details, mit denen der ständige Kampf gegen dieses Element ausgefochten wird, sind auf dem Papier wunderbar darstellbar. Aber nur ein Maurer, Klempner oder Tischler, der diese Gemeinheiten des Wetters kennt, weiß, weshalb hier so unwahrscheinlich pingelig gearbeitet werden muß. Das ist hier kein Versuch, wieder über die Fachkunde Grenzen zu ziehen, sondern ein Hinweis darauf, daß wir eine Ausschreibungsart erhalten müssen, die es uns ermöglicht, auch kleinere Betriebe mit besonderen Erfahrungen - z. B. mit Erfahrungen im Bauen direkt an der Küste - zu beauftragen. ({2}) Dies kann bestimmt ein Holländer genausogut wie ein Deutscher oder ein Däne; aber ein Bonner hat da vielleicht nicht die notwendige Phantasie, um sich auch nur annähernd vorzustellen, wie die Probleme anderswo vor Ort aussehen. Auch in Brüssel glaubt man offensichtlich, alle Probleme allein durch Juristen lösen zu können. Da irrt die Kommission jedoch. Zumindest irrt der eine, der als treibende Kraft dahintersteht. Wir wollen kein Europa der Juristen, sondern ein Europa der Regionen, die zwar nicht durch nationale Grenzen zusätzlich zerschnitten sind, die sich aber sehr wohl voneinander unterscheiden. Wenn mein europäisches Haus an der Küste nun einmal ein zweischaliges Mauerwerk braucht, möchte ich nicht den Bau dadurch um ein Jahr verzögert haben, daß ein Konzern mit eigener Rechtsabteilung und einschlägiger Erfahrung im erdbebensicheren Bauen von Tiefgaragen und Parkhochhäusern vor einem Gericht im „finstersten Binnenland" einen Prozeß gegen das ausschreibende Bauamt führt, weil er die Vergabe als Diskriminierung der Alpenvorlandbewohner entlarvt hat. In Deutschland haben wir sehr gute Erfahrungen mit der VOB gemacht und wollen diese auch weiterhin nutzen, damit die öffentlichen Aufträge auch weiterhin von den mittelständischen Handwerksbetrieben ausgeführt werden können, falls diese neben ihrer besonderen Fachkunde auch konkurrenzfähige Preise angeboten haben. Wir sind nicht daran interessiert, Vergaben durch Juristen abwickeln zu lassen, sondern betrachten das Vergabewesen immer noch als einen Teilbereich des Bauwesens und wehren uns deshalb mit allen Mitteln gegen ein Vergabegesetz, in dem die Verantwortung auf Juristen verlagert wird. ({3}) Diese Ansicht vertreten Fachleute des Baugewerbes, der öffentlichen Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen sowie das Parlament und der Bundesrat. Mehr an demokratischer Legitimation ist nicht möglich. Das sollten auch die Beamten in Brüssel und in Bonn zur Kenntnis nehmen; denn sie haben kein politisches Mandat, sondern sollen politischen Willen in problemlos anwendbare Richtlinien oder Gesetze umsetzen. Oder sollte die treibende Kraft vielleicht doch ein politischer Beamter sein? Dann sollte er sich doch der Ansicht seiner Parteifreunde anschließen; denn dieser Antrag hier ist, wie Sie der Drucksache entnehmen können, von allen größeren Parteien getragen. Zu irgendeiner dieser Parteien müßte sich ja auch dieser politische Beamte zugehörig fühlen. - Diese Bemerkung bezieht sich selbstverständlich nicht auf rein zufällig anwesende Personen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heinrich Leonhard Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits bei den Kollegen Frau Iwersen und Herrn Dr. Schwörer angeklungen, bietet uns der heute hier zu behandelnde interfraktionelle Antrag die, wie ich finde, insgesamt nicht allzu häufig gegebene Möglichkeit, quer durch die Fraktionen und, wie ich vermute, auch durch die Gruppen, Einigkeit in einer wichtigen Sachfrage zu demonstrieren. Bei dem Thema, um das es hier geht, halte ich das allerdings auch für durchaus angemessen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir uns mit diesem Problembereich des öffentlichen Auftragswesens beschäftigen müssen. Der Bundestag hatte vielmehr in der Vergangenheit bereits mehrfach Gelegenheit, sich mit der Thematik der Gestaltung und Umsetzung von EG-Richtlinien und deren Auswirkungen auf das deutsche Vergabewesen zu befassen. Auch damals schon herrschte Einigkeit zwischen den Fraktionen. Damals wie heute ging es um die Erhaltung des bewährten deutschen Vergabesystems. Die Voraussetzungen dafür wurden in mühsamen Verhandlungen auf EG-Ebene geschaffen. Mit erheblichen Anstrengungen war es möglich, daß die Bundesrepublik durchsetzte, die EG- Überwachungsrichtlinie auch auf den Einsatz außergerichtlicher Rechtsbehelfe auszudehnen, so daß man mit einer Beschwerde nicht mehr zwingend vor Gericht gehen muß, sondern sie an dafür eingerichtete Überprüfungsstellen, vergleichbar mit unseren früheren Schiedsstellen, richten kann. Nun sehen wir heute erneut Anlaß, unseren politischen Willen deutlich zu machen und diese mühsam bewahrte Möglichkeit zur Beibehaltung des deutschen Vergabewesens auf nationaler Ebene zu nutzen. Das heißt, die Umsetzung der EG-Überwachungsrichtlinie muß im Wege des Haushaltsrechts erfolgen. Ein eigenes Vergabegesetz lehnen wir ab. Damit sprechen wir uns nicht gegen einen wirksamen Wettbewerb aus. Im Gegenteil, wir wollen Wettbewerb auch auf den Beschaffungsmärkten öffentlicher Auftraggeber. Wir sind aber überzeugt, daß die juristischen Bedenken, die gegen die haushaltsrechtliche Lösung gelegentlich erhoben werden, auch bei sorgfältiger Prüfung und Abwägung nicht schwer genug wiegen, um von diesem erfolgreichen Weg abzugehen. Betroffene, Wirtschaftsfachleute und Gutachter sind mit uns dieser Meinung. Es ist bei den früheren Debatten zu diesem Thema schon zutreffend ausgeführt worden, daß zunehmend die Gefahr besteht, daß EG-Regelungen zu einer Überbürokratisierung führen. Das kann und darf nicht im Sinne eines lebendigen, vielfältig strukturierten und wirtschaftlich aktiven Europa sein. Natürlich ist es auch unser Ziel, im Sinne des europäischen Binnenmarktes den Marktzugang über die Grenzen hinweg zu gewährleisten. Dazu gehören selbstverständlich auch Kontroll- und Beschwerdemöglichkeiten. Es besteht aber kein Grund, sich von einem seit 60 Jahren funktionierenden System, wie es in der Bundesrepublik Deutschland besteht, ohne zwingende Notwendigkeit zu trennen, wenn - und davon sind wir überzeugt - der Zweck der EG-Regelungen auch mit unserem bestehenden Regelwerk vollkommen erreicht wird. ({0}) Ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der EG-Richtlinie über das Haushaltsrecht ist in den Ministerien bereits erarbeitet worden. Unser gemeinsamer Antrag nimmt darauf Bezug. Mit einer solchen Regelung soll Bietern, die sich durch einen Verstoß gegen die Vergaberegelungen benachteiligt fühlen, wirksamer Rechtsschutz gewährt werden. Die Einschaltung von Gerichten zur regelmäßigen Überprüfung von Vergabeverfahren wird aber vermieden. Mit einem Vergabegesetz wären dagegen zwangsläufig Gerichtsverfahren verbunden, und diese würden sich im Falle großer Aufträge besonders problematisch auswirken. Für diese soll die zu suchende Regelung gerade gelten. Solche großen Aufträge sind gekennzeichnet durch eine Aufgliederung des Gesamtprojekts in zahlreiche Teillose. Die Klage gegen ein im Sinne des Baufortschritts grundlegendes Los müßte zwangsläufig dazu führen, daß das gesamte Projekt gestoppt würde. Terminverzug oder auch Schadenersatzforderungen derjenigen Auftragnehmer, deren Lose ohne eigenes Verschulden gestoppt würden, stellten ein besonderes Risiko für die öffentlichen Auftraggeber dar. Der von mir beschriebene Fall brächte überdies die Gefahr mit sich, daß Auftraggeber, die die EG-Richtlinie beachten müssen, aus Sorge vor Verfahrensverzögerungen künftig überwiegend Generalunternehmer beauftragen würden. Das hätte gravierende Auswirkungen vor allen Dingen für den Mittelstand; denn im Baugewerbe sind zu 90 % mittelständische Betriebe tätig. Hier bin ich der Meinung, daß wir als gewählte Parlamentarier eines Landes, das zu Recht und mit Stolz die wirtschaftliche Bedeutung seines Mittelstandes betont, gut beraten sind, diese Bedrohung ernst zu nehmen. ({1}) Meine Damen und Herren, der interfraktionelle Antrag dient dazu, unseren gemeinsamen politischen Willen noch einmal deutlich zu machen. Wir wollen miteinander am Europa der Zukunft bauen, nicht aber miteinander prozessieren. Ich danke Ihnen. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, unser Kollege Klaus Beckmann.

Klaus Beckmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000133

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einmal mehr verursacht uns die Umsetzung von EG-Richtlinien in nationales Recht erhebliche Schwierigkeiten. Die sogenannte Überwachungsrichtlinie legt fest, welche Rechte die Mitgliedstaaten Bietern einräumen müssen, die sich gegen Form- und Rechtsverstoß bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zur Wehr setzen wollen. Dieses Thema ist für uns Deutsche deshalb so schwierig, weil wir unsere Vergabegrundsätze aus alter Tradition im internationalen Vergleich zwar vorbildlich entwickelt, zugleich aber auch Wert darauf gelegt haben, die Rechtsform von innerdienstlichen Weisungen beizubehalten. Freilich sind das keine Weisungen üblicher Art. Sie werden vielmehr in Verdingungsausschüssen mit der Wirtschaft bis in alle Details diskutiert, und zwar in der Regel so lange, bis ein Konsens gefunden ist. Durch ihre amtliche Veröffentlichung zeigt dann die Exekutive, daß sie diese Regeln als für ihr Verwaltungshandeln verbindlich anerkennt. Um dieses System auch nach der EG-Harmonisierung in etwa beibehalten zu können, ist es dem Bundeswirtschaftsminister in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesbauminister in langwierigen Brüsseler Verhandlungen gelungen, zu erreichen, daß eigentlich speziell für den deutschen Gebrauch eine Son2660 derregelung geschaffen wurde. Hiernach gibt es neben dem üblichen gerichtlichen Verfahren eine als gleichwertig anerkannte Überprüfung: zunächst durch eine Beschwerdeinstanz und sodann - in rein rechtlicher Hinsicht - durch eine unabhängige, gerichtsähnliche Instanz. Auf dieser Basis haben die beteiligten Ressorts im Herbst 1990 einen Gesetzentwurf erarbeitet, der im Kern darauf beruht, die erforderliche Neuregelung in das Haushaltsgrundsätzegesetz aufzunehmen und die Bundesregierung zu ermächtigen, auf der Basis der dort vorgesehenen drei neuen Paragraphen mit Zustimmung des Bundesrates die entsprechenden Verordnungen zu erlassen. Dadurch werden die Verdingungsordnungen in toto den Rechtscharakter von Verordnungen erhalten. Dies ist nötig, um auch solche Auftraggeber den Vergaberegelungen zu unterwerfen, die privatrechtlich als GmbH oder als Aktiengesellschaft organisiert sind, aber nach EG-Recht dennoch zu deren Anwendung zu verpflichten sind. Andererseits zeigt die Verankerung im Haushaltsrecht, daß der für die Umsetzung verantwortliche Gesetzgeber die klare Absicht hat, einen Zugang zu den normalen Gerichten nicht zu gewähren. Leider - das will ich hier auch sagen - sind bei der weiteren Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs, der Anfang dieses Jahres auch mit den Ländern abgestimmt wurde, aus zweierlei Richtung Bedenken aufgetaucht, die ich hier nicht verhehlen möchte. Zum einen droht die EG-Kommission mit Klage. Sie meint, es genüge nicht, wenn ein abgewiesener Bieter die Überprüfung bei den außergerichtlichen Instanzen lediglich beantragen könne; er müsse vielmehr einen subjektiven Anspruch hierauf bekommen. Würden wir uns aber darauf einlassen, so würde dies nach Art. 19 Abs. 4 unserer Verfassung zwangsweise den Weg zu den Gerichten eröffnen. Das andere Bedenken kommt aus unserer nationalen Rechtsordnung. Der Bundesjustizminister - das will ich hier auch noch erwähnen - weist darauf hin, daß ganz unabhängig von der erwähnten Gefahr eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof allein die Tatsache, daß unsere Verdingungsordnungen künftig zu Rechtsverordnungen würden, genüge, um zusätzlich den Weg zu den Gerichten zu eröffnen, und zwar nebeneinander gleichermaßen zu den Verwaltungs- wie auch zu den Zivilgerichten. Andererseits, verehrte Kolleginnen und Kollegen, stehen diesen noch in Diskussion befindlichen Bedenken der dezidierte Wunsch der Koalitionsfraktionen bzw. wie ich heute abend gesehen habe, der drei größeren Fraktionen dieses Hauses nach Verwirklichung der angedachten haushaltsrechtlichen Lösung und der Zeitdruck zur Umsetzung der Richtlinie bis Ende dieses Jahres gegenüber. Der Bundeswirtschaftsminister hat deshalb in Verfolgung der haushaltsrechtlichen Lösung am 12. Juni dieses Jahres die Verbände angehört. Diese haben sich für die haushaltsrechtliche Lösung ausgesprochen, zur Überprüfung der Einzelheiten aber um einige Wochen Zeit bis zu ihrer definitiven Äußerung gebeten. Auch die Länder möchten zu den Einzelheiten des Entwurfs noch einmal Stellung nehmen und waren im übrigen der Meinung, daß das EG-Recht der haushaltsrechtlichen Lösung nicht entgegenstehe. Leider - das will ich hier auch sagen - hat EG-Vizepräsident Bangemann in seiner soeben, also nach der Anhörung eingegangenen Antwort auf eine Anfrage des früheren Staatssekretärs Schlecht ausgeführt, er, die Kommission habe keine Zweifel, daß die Liefer- und die Baukoordinierungsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH subjektive Rechte des einzelnen herbeiführten. Bei der Beratung des heutigen Entschließungsantrags in den Ausschüssen wird deshalb Gelegenheit sein, über den Fortgang der Arbeiten zu berichten und dabei auch die Antwort von Vizepräsident Bangemann zu werten. Außerdem kann dann auch schon das Konzept für die Umsetzung der sogenannten Sektorenüberwachungsrichtlinie, die der Binnenmarktrat gestern im ersten Durchgang beschlossen hat, in die Beratungen einbezogen werden. Ich glaube, wir werden uns hier noch viele Gedanken machen müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteilte dem Abgeordneten Georg Brunnhuber das Wort. ({0})

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die deutsche Wiedervereinigung und die Probleme in den neuen Bundesländern haben die Bedeutung eines nach wie vor wichtigen Zieles deutscher Politik ein wenig in den Hintergrund treten lassen: die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes. Wenn Europa zu einem Binnenmarkt zusammenwachsen soll, ist es unerläßlich, daß die Unternehmen der verschiedenen EG-Staaten über die nationalen Grenzen hinweg gleiche Chancen erhalten. Die Baukoordinierungsrichtlinie will dies durch eine Reihe von Maßnahmen sicherstellen. Die Überwachungsrichtlinie hat das Ziel, durch Kontrollen und Sanktionen die Einhaltung der Vergabevorschriften der Gemeinschaft zu gewährleisten. Bundestag und Bundesrat haben sich in den vergangenen Jahren ausführlich mit beiden Richtlinienentwürfen befaßt und sind jeweils einmütig für eine Richtlinienfassung angetreten, die die Umsetzung dieser Richtlinie durch Anpassung der Verdingungsordnung für Bauleistungen sowie haushaltsrechtlicher Vorschriften gewährleistet. Dies entsprach im übrigen dem bei der Umsetzung der Baukoordinierungsrichtlinie seit 1973 gewählten Vorgehen, das von der EG-Kommission bis dato nicht beanstandet wurde. Trotzdem wird nun von der EG-Kommission erneut die Auffassung vertreten, daß zur Umsetzung der EG-Richtlinie ein Vergabegesetz erforderlich sei. Dabei gibt es zwei Aspekte zu berücksichtigen, und zwar einerseits den rechtlichen, auf den vor allem der Kollege Schwörer schon detailliert eingegangen ist, ({0}) und andererseits die praktischen Auswirkungen, die ein Vergabegesetz hätte. Bei einem Vergabegesetz hat, wie schon erwähnt, jeder abgewiesene Bieter die Möglichkeit, durch Wahrnehmung seines subjektiven Rechtes den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten und damit überlange gerichtliche Verfahren einzuleiten, die so weit gehen könnten, daß die Aussetzung des Vergabeverfahrens bis zur endgültigen Entscheidung notwendig wäre. Dies hätte, worauf Frau Iwersen zu Recht hingewiesen hat, unübersehbare Blockadewirkungen zur Folge und würde sich darüber hinaus äußerst investitionshemmend auswirken. ({1}) Für den Aufbau in den neuen Bundesländern wäre dies verheerend und verhängnisvoll. ({2}) Man muß sich hier auch fragen: Was macht es für einen Sinn, daß die Regierung derzeit Überlegungen anstellt, wie man das Planungsverfahren beschleunigt, wenn nachher bei der Ausschreibung eine Baustelle nicht begonnen werden kann, weil durch die Wahrnehmung subjektiven Rechtes eines Bieters bei gerichtlichen Verfahren die Baumaßnahme Monate verzögert würde und das, was durch eine schnellere Planung an Zeit eingespart wurde, durch das EG-Vergabegesetz verlorenginge? ({3}) Die CDU/CSU-Fraktion ist deshalb der Meinung, daß schon aus diesem Grund die Regierung in Brüssel mit Vehemenz gegen dieses Vergabegesetz vorgehen muß. ({4}) Der für die mittelständische Industrie verhängnisvollste Aspekt bei der Einführung dieses Vergabegesetzes wäre die zukünftige Ausschreibungspraxis. Nach der VOB ist vorgesehen, daß getrennte Ausschreibungen und die Vergabe von Bauaufträgen nach Fachlosen und Gewerken zu erfolgen haben, dies ganz besonders, um mittelständischen Baubetrieben Marktchancen zu eröffnen. Eine Mehrzahl von Ausschreibungen für eine Baumaßnahme würde das Prozeßrisiko durch Klagen nicht berücksichtigter Bieter deutlich erhöhen. Um das Prozeßrisiko zu minimieren, würden die vergebenden und ausschreibenden Stellen dazu übergehen, ganze Bauwerke nur noch an Generalunternehmer auszuschreiben, was den Kreis der konkurrierenden Firmen deutlich verringern würde. Viele kleine und mittlere Betriebe könnten dann allenfalls nur noch als Unterauftragnehmer beschäftigt werden. Dadurch würde ein Konzentrationsprozeß in Gang kommen, der gerade die mittelständische Wirtschaftsstruktur in der Baubranche stark beeinträchtigen würde. Dies kann auch nicht im Interesse der Europäischen Gemeinschaft sein. Auch das Wirtschaftsministerium der Bundesrepublik Deutschland ist aus den oben genannten Gründen dazu herausgefordert, mit Engagement, Sachkunde und den vorhandenen guten rechtlichen Argumenten, wie wir gehört haben, in Brüssel ein Vergabegesetz zu verhindern. Alle diese Gesichtspunkte haben den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bewogen, dem Bundestag zu empfehlen, für eine Lösung im Rahmen unseres bewährten Systems der VOB und der VOL einzutreten. Der Deutsche Bundestag sollte diese Empfehlung nicht nur deshalb annehmen, um zu verhindern, daß eine übermächtige europäische Bürokratie alles erdrückt und daß die mittelständische Bauwirtschaft das Nachsehen hätte, sondern es geht hier auch um das Selbstverständnis dieses Parlaments, das bei der Schaffung des EG-Gemeinschaftsrechts und der Umsetzung europäischer Vorstellungen ohnehin schon fast auf eine Zuschauerrolle reduziert ist. ({5}) Europa braucht das wache Auge des Deutschen Bundestages. Wir fordern die Bundesregierung auf, alles zu tun, um in Brüssel eine ordnungsgemäße, in unserem Sinn ausgestaltete Lösung zu erzielen. Vielen Dank. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 12/770 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Der EG-Ausschuß erhält die Vorlage zur Mitberatung nach seiner Konstituierung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Nolte, Dr. Maria Böhmer, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Eva Pohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fristverlängerung zur Antragstellung auf Aufhebung von Zwangsadoptionen - Drucksache 12/763 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({0}) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend Interfraktionell gibt es eine Einigung, daß die Beiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben werden. - Dazu sehe ich auch keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen *) Interfraktionell wird ebenfalls vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 12/763 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Besteht damit Einverständnis, oder gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. *) Anlage 6 Vizepräsident Hans Klein Meine Damen und Herren, jetzt sind die Redner für den Tagesordnungspunkt 10 noch nicht da. ({1}) Dann überblättere ich zunächst einmal diesen Tagesordnungspunkt, bis die Kolleginnen und Kollegen im Saal sind. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN Nationale und internationale Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des GolfKrieges - Drucksache 12/779 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Verteidigungsausschuß Ausschuß für Verkehr Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß Interfraktionell ist für die Aussprache eine Runde mit Zehn-Minuten-Beiträgen vereinbart worden. - Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der frühe Debattenzeitpunkt wird jetzt, glaube ich, einige Kollegen in Verlegenheit bringen, die diesen Beitrag ebenfalls kommentieren wollten. Aber ich denke, sie werden im Laufe der Zeit noch eintrudeln. Gestern früh, auf dem Weg zur Pressekonferenz, fragte mich ein Kollege, zu welchem Thema ich mich denn dort äußern wolle. Die Antwort war, daß es um die ökologischen Auswirkungen des Golfkrieges gehe. Dies veranlaßte ihn - sinngemäß - zu der Aussage: Wen interessiert denn jetzt so etwas? Da kommt ja nicht einmal Berlin und Bonn drin vor. - Somit, meinte er, sei es schon fast aussichtslos, daß das Aufmerksamkeit bekomme. ({0}) Es stimmt: Der Krieg am Golf ist zu Ende. Die Konfetti-Siegesparaden wollen uns gar suggerieren, alles sei wieder in bester Ordnung. Aber noch brennen die Schlachtfelder, noch sterben die Menschen an den Folgen dieses Krieges, der, genau gesehen, ein Krieg um Erdöl war. Es werden noch lange Menschen und vor allem Kinder an den Spätfolgen dieses datengeschützten Umweltkrieges umkommen. Die Zensur über die genauen Kriegsfolgen besteht immer noch. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Saddam Hussein ist ein Verbrecher. Aber Verbrecher sind auch all diejenigen, die ihn aktiv gefördert haben, ihm die Waffen lieferten oder ihn technisch beraten haben. Nicht erst seit Hiroshima sind die Auswirkungen eines Krieges auf die natürlichen Lebensgrundlagen bekannt. Die Giftgaseinsätze im Ersten Weltkrieg töteten nicht nur zigtausend Soldaten, sie rotteten auch alles höhere tierische Leben im Frontgebiet aus. Ich möchte hier nur an die Schlachten von Verdun erinnern. Selbst auf dem Gebiet sogenannter konventioneller Kriegswaffen gibt es kein Tötungsinstrument mehr, das nicht nachhaltig auf die Umwelt wirken kann. So beinhaltet jeder Krieg, der heute geführt wird, die Gefahr der unwiederbringlichen Vernichtung wertvoller Ökosysteme oder der Erde selbst. Da wir nun einmal nur diese eine Erde haben, ist es die Pflicht der friedensbewahrenden Menschen, endlich Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln und die Menschenrechte und die Freiheit ohne den Einsatz des Waffenarsenals sogenannter moderner Kriege zu sichern. Es kann eben nicht nur darum gehen, mit Nachsorgemaßnahmen und einer internationalen Neubewertung der Umweltauswirkungen von Kriegen den Eindruck zu erwecken, als wäre die ökologische Bedrohung der Menschheit durch technischen Umweltschutz oder völkerrechtliche Vereinbarungen zu bewältigen. Es muß um die Beseitigung der Kriegsursachen selbst gehen. In Kuwait brennen die Ölfelder. Mediziner raten jedem, der es sich leisten kann, das Land zu verlassen. Die regionalen oder globalen Folgen der Ölbrände, die möglicherweise erst in Jahren gelöscht sein werden, sind völlig unabsehbar. Aber nicht nur das: Unmengen Rohöl sind in den Persischen Golf geflossen. Dort, wo das Öl unmittelbar auf Meeresfauna und -flora trifft, vergiftet und vernichtet es sofort alles Leben. Treibende Fischeier und Larven erleiden irreparable Schäden; Vögel, deren Gefieder verklebt, erfrieren oder müssen jämmerlich ertrinken. Es erscheint schon makaber, wenn sogenannte Experten angesichts der dicken ausgehärteten Ölfladen an den Stränden von einer „angenehmen Küstensicherung" oder „Verfestigung" sprechen. Aber schon die sogenannten normalen Folgen des Krieges können sich zu einer langen Liste von Zeitbomben summieren. Hunderttausende Minen und Bomben, eine Unmenge von Kampfstoffen verseuchen Böden und Luft, erzeugen gefährliche Altlasten, deren Sanierung nur mit Milliardenaufwand möglich sein wird. Die Zerstörung von Ent- und Versorgungssystemen führte in größeren Städten bereits nach wenigen Tagen zum Zusammenbruch der Strom- und der Wasserversorgung. Gesundheitsgefahren durch schlechte Wasserqualiltät und unzureichende medizinische Versorgungsmöglichkeiten für die Zivilbevölkerung sind die Folge. Lange genug hat sich Deutschland intensiv an der Verbrennung jahrmillionenlang aufgespeicherter Sonnenenergie beteiligt und auch gut vom Golföl gelebt. Ohne diese Voraussetzung wäre die Regierung auch nicht in der Lage gewesen, so problemlos die fast 20 Milliarden DM für die Unterstützung des militärischen Einsatzes der USA bzw. der Alliierten aufzubringen. Aus einem Gefühl der Mitverantwortung für die Zukunft und nicht zur Restaurierung eines vergangenen Status quo muß die Bundesrepublik Deutschland der Bevölkerung der betroffenen Region in besonderer Weise verpflichtet sein. Diese Mitverantwortung ist dann auch eine Mitverantwortung für den Schutz des Ökosystems Erde. Die drohende Erwärmung der Erdatmosphäre und die fortschreitende Zerstörung der Ozonschicht haben bereits in den letzten Jahren deutlich gemacht, daß nur eine strukturelle Veränderung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern die Gefahren des Treibhauseffektes und anderer umwelt- und gesundheitsschädigender Auswirkungen der Verbrennung fossiler Energieträger mildern kann. Drei Erdölkrisen in 17 Jahren und schließlich der Golfkrieg sind eine kleine Warnung, daß die Welt auf dem Weg der Unabhängigkeit vom Öl nicht weitergehen kann. Ich weiß, die Damen und Herren der Koalition werden wie bei der Diskussion des Antrags der SPD-Fraktion zur Hilfe beim Löschen der kuwaitischen Ölbrände in der letzten Woche wieder beteuern, daß sie ja schon alles Mögliche versucht haben. Doch die versprengte unkonzeptionelle Hilfe an einzelnen Punkten genügt der erforderlichen deutschen Mitverantwortung keineswegs. Erst ein Gefüge aus Soforthilfen, vorbeugenden technischen und langfristig wirkenden politischen Maßnahmen auch hier bei uns zu Hause in Deutschland gibt uns die Chance zu einer Lösung für diese Herausforderung. In unserem Antrag haben wir ein Bündel notwendiger Maßnahmen zusammengefaßt. Erstens: umfassende Hilfeleistung bei der Erkundung, Erforschung, Beseitigung von unmittelbaren Kriegsauswirkungen durch die Ölpest im Persischen Golf; das, was dort angedacht ist, reicht nicht. Zweitens. Die bereits bestehenden Bemühungen bei der Löschung der Ölbrände sind zu intensivieren und auch durch internationale Aktivitäten zu unterstützen. Hierbei geht es auch um die Bereitstellung finanzieller Mittel. Drittens. Beim Umweltbundesamt ist eine Expertengruppe zusammenzustellen, die unmittelbar mit der regionalen Umweltorganisation ROPME zusammenarbeiten kann. Viertens. Kurzfristig ist ein humanitäres Hilfsprogramm zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung, Trinkwasserbereitstellung und medizinische Betreuung der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten aufzubauen. Die Arbeiten von Organisationen wie Rotem Kreuz beziehungsweise Rotem Halbmond in den von Flüchtlingsströmen betroffenen Gebieten sind mit 1 Milliarde DM zu unterstützen. Fünftens. Die Bundesregierung sollte eine Konferenz der Vertragsstaaten des Umweltkriegsübereinkommens mit dem Ziel der Überprüfung und Verschärfung des Abkommens beantragen, um eine internationale Ächtung und Verfolgung von Methoden der Kriegführung gegen die Umwelt zu erreichen, und sie sollte auf alle Partner in der NATO einwirken, endlich das Umweltkriegsübereinkommen und das 46. Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention der Vereinten Nationen von 1977 verbindlich anzuerkennen. Sechstens. Die Folgen aus Kriegen und fossile Energieträger machen zwingend einen konsequenten Umbau auch der nationalen Wirtschaftsweise notwendig. Das betrifft sowohl die Energieproduktion überhaupt, insbesondere Markteinführungshilfen für erneuerbare Energieträger bei gleichzeitiger Einschränkung beziehungsweise dem mittelfristigen Ausstieg aus der Öl- und Atomwirtschaft. Das bedeutet aber auch, unverzüglich den Stromvertrag in den neuen Bundesländern zu annullieren und den ostdeutschen Kommunen beim Aufbau eigenständiger Energiedienstleistungsunternehmen zu helfen. Siebtens. Wir schlagen Maßnahmen für eine umfassende Neugestaltung der Verkehrspolitik der Bundesrepublik vor. Ein wesentliches Element ist dabei der Auftrag an die Regierung, dem Bundestag noch 1991 einen Entwurf eines Mineralölabgabegesetzes vorzulegen, durch den über eine spürbare Verteuerung von Vergaser- und Dieselkraftstoff eine nennenswerte Verlagerung von motorisiertem zu nichtmotorisiertem Individualverkehr und öffentlichem Personennahverkehr gewährleistet wird. Achtens und letztens. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für einen globalen und umfassenden Schuldenerlaß für die Länder der sogenannten Dritten Welt einzusetzen, um für diese die Chancen ökologischer und sozialer Reformen wesentlich zu verbessern und eine ressourcenschonende Wirtschaft aufzubauen. Dies setzt allein schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit natürlich die Durchführung der vorgeschlagenen umfassenden Aktivitäten auf nationaler Ebene voraus. Es darf keinen Krieg mehr geben. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Feige, es war ein Mißverständnis. Es war eine Zehn-MinutenRede vereinbart, Sie haben sich durch die Lampe, die da dauernd leuchtet, aber nicht ganz aus der Fassung bringen lassen. Es geht mit Zehn-Minuten-Beiträgen weiter. Der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Norbert Rieder.

Prof. Dr. Norbert Rieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel hat uns die Situation am Golf gezeigt, daß wir Deutsche uns nicht isoliert sehen dürfen, vor allen Dingen nicht isoliert von den militärischen und ökologischen Folgen eines Konflikts, der sich scheinbar weit weg von uns abspielt. Es kann uns eben nicht mehr egal sein, wenn sich weit hinten in der Türkei die Völker schlagen; doch die Politik der Bundesregierung zeigte eindeutig, daß eine isolierte Haltung, ein Zurücklehnen in den bequemen Ohrensessel eben nicht ihre Art ist, hat doch Minister Töpfer sehr schnelle Hilfe gebracht. Unsere deutschen Ölsperren haben in vielen Fällen das Schlimmste verhindert, wenn auch diese Hilfe bei der Größe der Aufgabe mitten im verminten Gebiet nur ein Tropfen auf den heißen Stein war. Deutsche Meßtechnik ist zur Erfassung der ökologischen Ge2664 samtsituation ebenfalls vor Ort. Das BMFT organisiert den Einsatz deutscher Löschtechnik. Die Kuwaitis, die sich ja lange Zeit etwas gesperrt haben, sind inzwischen an dieser deutschen Hilfe interessiert. Der Einsatz der Bundeswehr bei den Minenräumaktionen ist ebenfalls allgemein bekannt. Deutsche Wissenschaftler waren oder sind vor Ort, um Daten zur ökologischen Gesamtsituation zu erheben. Somit sind Deutsche ohne Zweifel in angemessener Weise an dieser internationalen Aufgabe voll beteiligt. Weitere Konsequenzen werden mit Sicherheit gezogen werden, sobald neue, weiterführende Daten vorliegen. Wir sind deshalb der Ansicht, daß der erste Teil des Antrags der GRÜNEN unbegründet ist, da die vorgeschlagenen Maßnahmen entweder bereits vollzogen sind oder auf Grund der noch mangelnden Daten nicht sinnvoll durchgeführt werden können. Zum Teil können sie aber auch nicht unsere deutsche Aufgabe sein; denn wir sind sicherlich nicht dazu da, überall auf der Welt alles, was irgendwo schiefgegangen ist, hinterher wieder in Ordnung zu bringen. Ein paar eigene Probleme im eigenen Land haben wir schließlich auch. Dem zweiten Teil Ihres Antrags können wir voraussichtlich ebenfalls nicht zustimmen, denn leider haben Sie der Versuchung nicht widerstehen können und haben die große Gebetsmühle - ich muß das einmal so ausdrücken - wieder einmal anlaufen lassen. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Viele der im vorliegenden Antrag skizzierten Überlegungen und Forderungen für eine neue Energie-, Verkehrs- und Weltwirtschaftspolitik sind bereits ... in der 11. Wahlperiode in zahlreichen parlamentarischen Initiativen ausgeführt worden. Nun, das können wir nur bestätigen. Es ist immer das gleiche; nur der Vorspann ändert sich. Dieses Mal ist es der Golfkrieg, morgen sind es vielleicht die Vulkanausbrüche in Japan oder auf den Philippinen, und wenn übermorgen in der Antarktis ein großer Gletscher kalbt, kommt wieder derselbe Antrag mit einem anderen Vorspann. Deshalb kann ich nur sagen: Sicherlich müssen wir Deutsche unserer Verantwortung der Welt und der Natur gegenüber gerecht werden, das aber Schritt für Schritt, und nicht alles auf einmal. Am deutschen Wesen kann und wird die Welt sicherlich nicht allein genesen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nächste Redner ist der Abgeordnete Dr. Klaus Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht so anfangen wie der von mir wirklich geschätzte Kollege Rieder, der eine ganz interessante schwarz-grüne Mischung in der Argumentation hat. Das ist nicht negativ gemeint, das ist wirklich im wahrsten Sinn des Wortes eine interessante Mischung. Ich möchte auch nicht meine Kritik an der Bundesregierung von der letzten Woche in denselben Punkten im wesentlichen wiederholen, sondern nur das ansprechen, was in der Zwischenzeit, in dieser einen Woche, im Zusammenhang mit dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE erfolgt ist. Ich begrüße es, daß Sie, Herr Feige, und auch Ihre Gruppe dieses Thema in der Öffentlichkeit wachhalten wollen. Ich bin dafür außerordentlich dankbar. Ich füge hinzu: Dazu wäre es sicherlich besser gewesen, einen Antrag mit kurzfristig notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ölbrandkatastrophe nicht mit Anträgen für längerfristig wirkende Strategien zu verbinden. Ich glaube, daß dies ein strategisches oder auch taktisches Handicap Ihres Antrages ist. Eine Trennung hätte den Antrag möglicherweise politisch erfolgreicher gemacht. Trotzdem: Der Antrag hat in nicht unwichtigen Teilen seinen politischen Stellenwert. Die Expertengruppe, die im Auftrag des BMFT letzte Woche nach Kuwait gereist ist, hat gestern eine Presseerklärung abgegeben, die heute in den Zeitungen erschienen ist und die die Katastrophe und ihre Folgen - ich betone: in erfreulicher Offenheit und in dramatischer Weise - geschildert hat. Ich begrüße ausdrücklich - ich wiederhole dies heute genauso, wie ich es in der letzten Woche gesagt habe - diese offene Informationspolitik der Bundesregierung in diesem Punkt und hoffe - ich spreche dies deutlich aus -, daß dies in Zukunft anhält. Viel zu lange hat es gedauert - das hat der Besuch und das Ergebnis des Besuchs der Expertenkommission bestätigt - , bis diese Expertenkommission vier Monate nach Kriegsende nach Kuwait gereist ist. Ich stelle die nicht nur rhetorische Frage - dies muß man zugestehen - : Wie wäre die Situation heute, wenn die Amerikaner dazu auch vier Monate gebraucht hätten? Ich muß deshalb, bestätigt durch das Ergebnis dieses Besuchs, das zögerliche Verhalten der Bundesregierung erneut scharf verurteilen. Ungeschicktes Management, Unentschlossenheit, aber vor allem auch mangelndes Vertrauen der Bundesregierung in die Fähigkeit und in das Know-how deutscher Firmen und deutscher Experten beim Löschen von Ölbränden haben die unnötigen Verzögerungen verursacht. Leider war die deutsche Expertenkommission - entgegen nachhaltig erhobenen Forderungen der SPD - ohne einen einheitlichen umfassenden Vorschlag für das Löschen der Ölquellen dorthin gereist. Jetzt kommen die Experten zurück, und was sagen sie? - Der Bundesforschungsminister Riesenhuber teilt mit, mehr oder weniger wörtlich wiedergegeben, die kuwaitische Seite habe die Deutschen aufgefordert, einen solchen einheitlichen umfassenden deutschen Vorschlag nun endlich - „endlich" füge ich hinzu - vorzulegen. Das hatte ich Herrn Riesenhuber nach unserer Rückkehr von Kuwait schon vor Fünf Wochen genau in diesem Punkte mitgeteilt. Auch im persönlichen Gespräch hatte er eigentlich nichts gegen diese Verfahrensweise eingewendet. Übrigens hatte sich auch der deutsche Botschafter unmittelbar nach unserem Besuch entsprechend geäußert. Wir alle wissen ja, daß die Katastrophe in Kuwait nicht kleiner, sondern immer größer wird. Ich will auch nicht zwischen den Zeilen der Erklärung von Herrn Riesenhuber lesen, daß die Deutschen dorthin müssen, um, was nachher ganz schwierig ist, abräumen zu helfen. Aber auch damit würde ich mich einverstanden erklären. Die SPD sieht jetzt gleichwohl einen Fortschritt bei der Realisierung einer wirksamen deutschen Beteiligung beim Löschen der Ölbrände. Wer will, daß das bisherige Tempo der Löscharbeiten beschleunigt wird - dies ist nicht nur eine Frage Kuwaits - , der muß im Grunde die Beteiligung aller weltweit vorhandenen Löschkapazitäten fordern. Sie wissen, daß der amerikanische Löschexperte Ted Adair davon gesprochen hat: Wenn es so weitergeht wie bislang - er hat seine amerikanischen Freunde und Arbeitskollegen genannt - , dann würden die Löscharbeiten noch fünf Jahre andauern. Die sozialdemokratische Fraktion fordert deshalb die Bundesregierung erneut auf, auf politischer Ebene eine Beteiligung bei der Ölbrandbekämpfung durchzusetzen, gegebenenfalls auch dadurch, daß zu diesem Zweck auch Kontakte zur US-Regierung aufgenommen werden. Ich frage deshalb insbesondere den Bundesforschungsminister - ich gehe davon aus, daß er dies hinterher zur Kenntnis nimmt -: Bis wann wird denn nun der konkrete Vorschlag für eine deutsche Löschexpertengruppe erarbeitet sein, und wann wird der Bundesforschungsminister nach Kuwait reisen? Da es bisher sehr schwerfällig gelaufen ist, muß sich wohl der Minister persönlich durch eine Reise bis hin vor Ort einschalten. Ich darf dies nicht nur ironisch sagen: Ich bitte den Bundesforschungsminister, sich rechtzeitig um ein Visum zu bekümmern, damit er nicht vier oder sechs Wochen braucht, um ein Visum zu erhalten. Lassen Sie mich zum Schluß als Perspektiven folgendes sagen: Aus dem Völkerrecht kann durchaus eine Informations- und Kooperationspflicht Kuwaits abgeleitet werden. Ich komme deshalb kurz auch auf Kuwait zu sprechen. Wir müssen - nicht nur im Interesse Kuwaits, aber auch im Interesse Kuwaits - die Regierung von Kuwait auffordern, mögliche Vorbehalte gegen eine deutsche Beteiligung aufzugeben. Mögliche Vorbehalte: ausdrückliche habe ich nie gehört. Ich betone noch einmal: Selbst wenn mögliche Vorbehalte da sind, muß ich eben politisch handeln und muß wissen, wie ich diese möglichen Vorbehalte abbaue. Aber ich fordere die Regierung von Kuwait auf, mögliche Vorbehalte gegen eine deutsche Beteiligung aufzugeben. Ich bitte die kuwaitische Regierung auch, richtig zu verstehen, wenn ich unterstreiche und in Erinnerung rufe, daß sich Deutschland mit über 17 Milliarden DM an der Befreiung Kuwaits beteiligt hat. Die Bundesregierung ist aufgefordert, auch die anderen Lehren zu ziehen und internationale Initiativen zu ergreifen. Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit zwei oder drei Punkte ansprechen. Es kann wohl nicht sein, daß auch relativ unzulängliche Umweltschutzabkommen völkerrechtlicher Art von der Bundesrepublik und auch von anderen Ländern unterzeichnet worden sind, aber von wesentlichen Ländern der EG und unseres Bündnisses NATO, wie immer man dazu auch steht, nicht ratifiziert worden sind. Was dem Umweltstandard in dieser völkerrechtichen Weise angeht, müssen die Partner der NATO, wenn wir uns als richtige Partner verstehen, und die Mitglieder der EG an einem Strang ziehen. Ich fordere die Bundesregierung auf, mit darauf hinzuwirken, daß die Länder, die nicht ratifiziert haben, in Richtung Ratifizierung arbeiten. Ich bitte die Bundesregierung weiterhin und fordere sie auf, zu überlegen, wieweit das internationale Umweltschutzvölkerrecht fortzuschreiben ist. Ich spreche hier den Gedanken an, daß es wohl nicht sein kann, daß das internationale Umweltschutzrecht immer sofort zurückstecken muß, wenn militärische Notwendigkeiten unterstellt werden. Mit einer militärischen Notwendigkeit kann man in der Tat jede Umweltschutzmaßnahme aushebeln. Ich fordere die Bundesregierung auch auf, ihre Überlegungen zu einem internationalen Strafgerichtshof - Überlegungen, die von ihr durch den Außenminister angesprochen wurden - weiter zu prüfen. Ich fordere die Bundesregierung auf, Haftungsfragen in diesem Zusammenhang zu klären, wer für solche Umweltschäden international zur Haftung zu ziehen ist. Ich glaube, die Bundesrepublik Deutschland wäre gut beraten, wenn sie im internationalen Spektrum in schwierigen Situationen ihre Umweltaktivitäten und ihr Umweltprofil schärfen würde. Dies ist mit diesen Möglichkeiten als e i n Schritt gegeben. Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile der Abgeordneten Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kübler, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten eigentlich nicht das wiederholen, was wir hier schon in der letzten Woche an gleicher Stelle gesagt haben. Aber ich denke, das wird sich nicht vermeiden lassen; denn sehr viel Neues in der Sache gibt es eigentlich seit letzter Woche nicht. Nach wie vor gibt es die gleiche schlimme ökologische Situation am Golf. Es brennen nach wie vor ungefähr gleich viele Ölquellen in Kuwait. Im Umweltausschuß haben wir heute morgen in Fortsetzung der Expertenanhörung, die wir am 29. April durchgeführt haben, einen weiteren Zwischenbericht des Bundesministers für Umwelt erhalten. Dieser Bericht unterstreicht im Prinzip zweierlei: erstens, daß man nach wie vor nur unzureichend schnell oder, besser gesagt, viel zu langsam mit dem Löschen der Brände vorankommt, und zweitens, daß offensichtlich nach wie vor insbesondere von Kuwait und dem Iran die Brisanz der Lage nicht wirklich verstanden wird. Nur so ist aus Sicht der FDP jedenfalls zu erklären, daß weiterhin gezögert wird, die Hilfe, die z. B. in Form von zwei mobilen Meßstationen von der Bundesregierung angeboten wurde, anzunehmen. Es sind Hilfen von seiten der Bundesregierung angeboten worden - auch wenn das bestritten wird - , und sie sind nach wie vor nicht angenommen worden. Anläßlich der Rückkehr einer deutschen Expertengruppe zur Bekämpfung der Ölbrände aus Kuwait - Sie haben sie gerade schon zitiert, Herr Kübler - erklärte der Bundesforschungsminister gestern, daß Kuwait nun offensichtlich bereit ist, einen Einsatz deutscher Unternehmen beim Löschen der Ölbrände zuzulassen, und dafür auch einen Vorschlag einer Arbeitsgemeinschaft der beteiligten Firmen erbeten hat. Nachdem Kuwait eine solche Hilfe in den vergangenen Monaten abgelehnt hat, ist es für mich eine erfreuliche Nachricht - ({0}) - Herr Kübler, Sie behaupten immer und immer wieder - das haben wir auch letzte Woche hier schon gehört - , daß Kuwait diese Hilfe nicht ablehnt. Es ist doch die Frage, wie diese Hilfe aussieht. Es ist eine ganze Menge Hilfe von seiten der Bundesregierung geleistet worden. Ich denke nur daran, daß eine Menge Material zur Ölbekämpfung in die Golfregion geliefert wurde, daß z. B. Ölbarrieren und Skimmer, also Ölabsaugpumpen, sowie aufblasbare Tanks hingeliefert wurden. Es sind z. B. allein 2 700 m Ölsperren und fünf große Skimmer an Saudi-Arabien im Wert von 4 Millionen DM gegeben worden. ({1}) - Diese Hilfe ist auf jeden Fall gegeben worden. Es ist auch Kuwait Hilfe z. B. in Form zweier Meßwagen angeboten worden. Die Hilfe wird nach wie vor nicht angenommen. Es wird von Kuwait verhindert, daß die Meßstationen ins Land gelassen werden und daß sie die Arbeit aufnehmen können. Kuwait lehnt sie nach wie vor überwiegend deswegen ab ({2}) - doch! -, weil es darum geht, wer diese Hilfe bezahlt. Ich muß Ihnen ganz deutlich sagen, was ich schon einmal gesagt habe: Ich sehe nicht ein, daß wir die Hilfen, die wir anbieten, kostenlos leisten, wenn andere Hilfen, z. B. aus den USA, die privatwirtschaftlich geboten werden, bezahlt werden. Das ist doch der springende Punkt. Ein Punkt war offensichtlich auch, daß Kuwait nicht akzeptiert hat, daß diese Hilfen von der deutschen Seite angeboten wurden.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kübler?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sicherlich.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stelle die Zwischenfrage deshalb, weil ich glaube, daß man in diesem Punkt wirklich Einigkeit erzielen kann. Ich wiederhole noch einmal, was ich schriftlich und mündlich mehrfach gesagt habe, und frage Sie, ob Sie nicht mitbekommen haben, daß ich natürlich erklärt habe, daß die Löscharbeiten auf kommerzieller Basis abgewickelt werden müssen, genauso wie die Amerikaner die Löscharbeiten auf kommerzieller Basis abwickeln. Darf ich Sie bitten, dies zur Kenntnis zu nehmen? Wenn Sie mit Ja antworten, bin ich voll zufrieden.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie dürfen mich bitten, Herr Kübler; ich nehme es zur Kenntnis. Es gibt einen Dissens also nur noch in der Frage, ob Kuwait die Hilfe abgelehnt hat oder nicht. Ich glaube nicht, daß wir diesen Dissens ausräumen werden. Die Bundesregierung hat verschiedene Gespräche, z. B. auch mit dem Botschafter Kuwaits, geführt und sich ernsthaft bemüht, Expertenkommissionen hinunterzuschicken. Diese Hilfen wurden aber nicht angenommen. Ich meine, daß dieses Bemühen der Bundesregierung durchaus einmal anerkannt werden muß. Ich möchte dazu noch folgende Bemerkung machen: Kuwait ist nach wie vor ein selbständiger Staat. Wenn die Kuwaitis nicht bereit sind, Hilfen, die angeboten werden, anzunehmen, dann können wir sie ihnen nicht aufzwingen. Die FDP erwartet nun vor allen Dingen, daß schnellstmöglich ein Vorschlag dieser Arbeitsgemeinschaft erarbeitet und den Kuwaitis ein Angebot unterbreitet wird. Gleichzeitig erwartet die FDP von der Bundesregierung, daß in weiteren Gesprächen mit der kuwaitischen Regierung und mit den Vertretern Kuwaits hier in der Bundesrepublik klargemacht wird, daß auch Kuwait eine Verantwortung für die entstehenden ökologischen Schäden trägt, insbesondere dann, wenn es durch eine Ablehnung von Hilfen dazu beiträgt, die Beiseitigung der Ursachen der ökologischen Schäden weiter hinauszuzögern. ({0}) Es ist hier also nochmals zu verdeutlichen, daß es a) eine regionale Verantwortung, aber b) auch eine internationale Verpflichtung für Kuwait gibt. Im Hinblick auf die Ursache der verheerenden ökologischen Auswirkungen des Golfkrieges möchte ich aber auch noch eines aufgreifen und klarstellen, und zwar im Hinblick auf den Antrag des Bündnisses 90/ GRÜNE, nämlich daß aus unserer Sicht der irakische Diktator Saddam Hussein derjenige ist, der diese Umweltkatastrophe zu verantworten hat und niemand anders. Dies gilt insbesondere für die Ölpest und für die Luftverschmutzung, die durch die Ölbrände in Kuwait entstanden ist. Das rührt aus unserer Sicht aus einer verbrecherischen, gegen die Umwelt gerichteten und nichthinnehmbaren Kriegführung her. Das, glaube ich, sollte man nicht vergessen, wenn man einen solchen Antrag stellt. Daher ist es aus Sicht der FDP unumgänglich, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um dem bereits geltenden Völkerrecht mehr Wirksamkeit und Beachtung zu verschaffen und um es auch der UNO zu ermöglichen, eine Kriegführung gegen die Umwelt sowie Verstöße gegen internationale Konventionen zum Schutz der Umwelt zu verhindern und auch zu ahnden. Gleichzeitig gilt es auch erneut festzuhalten - das geht jetzt in Richtung Bundesregierung - , daß die Koordinationsprobleme - da stimmen wir ja überein, und zwar eigentlich durchgängig, auch im Umweltausschuß - , national und international noch nicht endgültig angegangen worden sind. Wenn, wie es in diesem Fall in der Bundesrepublik Deutschland ist, mehrere Minister zuständig sind, dann kommt es vor allen Dingen an den Nahtstellen zwischen den einzelnen Ministerien immer wieder zu erheblichen Problemen. Daher wiederhole ich hier für meine Fraktion die Forderung, daß diese Kompetenzschwierigkeiten unverzüglich auszuräumen sind. ({1}) Gleichzeitig wiederholt die FDP aber auch ihre Forderung, daß das Wissen, das auf verschiedenen Ebenen vorhanden ist, so z. B. in der Industrie, bei der Wissenschaft, aber auch in verschiedenen Fachministerien auf Verwaltungsebene, koordiniert werden muß und daß eine ökotechnologische Arbeitsgruppe installiert werden muß. Das Bündnis 90/GRÜNE hat das dankenswerterweise aufgenommen. Dies ist ein Punkt, bei dem wir übereinstimmen, auch wenn ich glaube, daß wir nicht ganz die gleiche Zielrichtung dieser Arbeitsgruppe sehen. Aber immerhin gibt es schon den gleichen Ansatz. ({2}) Wir wollen also eine ökotechnologische Arbeitsgruppe auf nationaler Ebene einsetzen, die die Personen, die Fachwissen haben, umfassen muß. ({3}) Diese Gruppe muß dann Schwerpunktaufgaben erhalten. ({4}) - Das richtet sich natürlich nach den Katastrophen. Es ist ja Wissen in verschiedensten Bereichen vorhanden, Herr Kübler. Dies bezieht sich nicht nur auf Ölunfälle, sondern auch auf Chemieunfälle und andere Umweltkatastrophen. Dieses Wissen sollte man endlich bündeln und in einer Arbeitsgruppe zusammenführen, um zu verhindern, daß beim Eintreten eines Ernstfalles Reibungsverluste entstehen. ({5}) Insofern sind wir ja, wie ich sehe, alle so ziemlich einig. Das ist genau der Wunsch. Das sollte sich die Bundesregierung zu Herzen nehmen, und sie sollte diese Arbeitsgruppe einrichten. Ich möchte noch kurz ein paar Worte zu den Aufgaben dieser Arbeitsgruppe sagen, also zu dem, was sie aus unserer Sicht tun soll. Sie soll eine ökotoxikologische Schadens- und Risikodefinition vornehmen; sie soll humantoxikologische Problembeschreibungen erarbeiten und sie soll auch für die technische Eindämmung und Beseitigung von Schäden sorgen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Homburger, lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kübler zu?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich meinen Satz zu Ende geführt habe, darf er eine Zwischenfrage stellen. Die Arbeitsgruppe - diesen Gedanken wollte ich nur zu Ende führen - muß wiederum Teil einer internationalen „task force" sein, die in UNEP, IMO und USAID eingebunden wird.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollege Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Homburger, wird die FDP ihren Kollegen, den Außenminister Genscher, veranlassen, darauf zu drängen, daß die jetzigen internationalen Umweltvorschriften z. B. auch von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich ratifiziert werden?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, wir brauchen unseren Bundesaußenminister, Herrn Genscher, nicht dazu zu drängen, sich für die Ratifizierung solcher Konventionen einzusetzen. Er hat sich in den vergangenen Jahren immer sehr für diese Sache engagiert. Ich denke, es ist überflüssig, da erneut auf ihn Druck ausüben zu wollen. ({0}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bei diesen Bemerkungen zum Antrag des Bündnisses 90/ GRÜNE möchte ich es eigentlich belassen. Ich denke, das sind die wichtigsten Punkte, die aus unserer Sicht anzumerken sind. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, wir haben die Tagesordnung umgestellt. Das bringt für mache Kolleginnen und Kollegen natürlich auch Probleme mit sich. Ich bitte deswegen um Ihr Einverständnis, daß die Rede unserer Kollegin Frau Jutta Braband zu Protokoll genommen wird. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ) Jetzt hat Herr Staatssekretär Bernd Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als Konsequenzen der ökologischen Auswirkungen des Golfkriegs macht der Ruf ') Anlage 7 nach Ächtung der Umweltkriegführung die Runde. Dem kann man im Ergebnis nur zustimmen. Allerdings muß man wissen, daß entsprechend dem Umweltkriegsübereinkommen von 1977 und den Zusatzprotokollen zu den Genfer Konventionen Umweltkriegshandlungen, wie Saddam Hussein sie begangen hat, bereits eindeutig dem Völkerrecht widersprechen. Beide Völkerrechtsinstrumente gehen davon aus, daß Kriegshandlungen untersagt sind, welche entweder umweltverändernde Technik einsetzen oder die zu einer weiträumigen, langandauernden und schwerwiegenden Auswirkung in der Umwelt führen. Man hat uns berichtet, Herr Kollege Kübler, daß namhafte Experten, die anläßlich der öffentlichen Anhörung Ihrer Partei zu den völkerrechtlichen Fragen der Umweltkriegführung am 10. Juni angehört worden sind, die Meinung vertreten, daß die vorhandenen Völkerrechtstexte im wesentlichen ausreichend seien, aber es fehle die weltweite Geltung, die Ratifikation durch wichtige Staaten. Hier scheint mir einer der wichtigen Ansätze zu sein. Es besteht, glaube ich, über alle Parteigrenzen in diesem Hause hinweg Einvernehmen darüber, daß dem Grundgedanken zur Vermeidung der Umweltkriegführung weltweite Geltung zu verschaffen ist. Die Bundesregierung wird die anstehende Umweltkonferenz 1992 in Brasilien zum Anlaß nehmen - der Umweltminister hat ja, wenn ich mich recht erinnere, auch im Ausschuß darauf hingewiesen -, daß wir mit dieser Zielrichtung andere Staaten auffordern, die genannten Völkerrechtsverträge zu ratifizieren. In einem weiteren Schritt muß geprüft werden, ob und wie die Rolle der Vereinten Nationen mit dieser Zielrichtung verstärkt werden kann. Dies scheint mir wichtig zu sein. Dies muß eine der wichtigen Konsequenzen aus dieser Situation, aus dieser Umweltzerstörung sein. Sie kennen auch unser Bemühen, in diesem Zusammenhang auf der Ebene der Vereinten Nationen ein Stück weit voranzukommen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Staatssekretär, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kübler zu?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Selbstverständlich, Herr Präsident.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Herr Kollege Kübler.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin für diese Äußerung sehr dankbar, und ich darf Sie deshalb fragen, ob ein Unterschied zwischen Ihrer Auffassung und der Auffassung der Kollegin Homburger von der FDP dahin gehend besteht, ob es nicht angezeigt ist, den Bundesaußenminister nicht doch weiterhin zu bitten, nachdrücklich darauf hinzuwirken - das ist ja nicht nur ein Vorwurf in bezug auf die Vergangenheit, sondern das ist ja auch ein Zukunftsaspekt - , daß diese Verträge nun wirklich ratifiziert werden?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Es besteht zwischen mir und der Frau Kollegin Homburger hier überhaupt kein Dissens. Ich gehe wie sie davon aus, daß unser Außenminister dies ebenfalls zum Anlaß nimmt, entsprechend tätig zu werden. Äußerungen von ihm in den letzten Wochen belegen dies eindeutig. Ich glaube nicht, daß er hier Nachhilfe braucht oder daß er hier von uns noch besonders darauf hingewiesen werden muß. Frau Homburger sagte dies ja auch. Ich glaube auch, daß es Ihrem Anliegen entspricht, wenn so verfahren wird, wie ich es soeben zitiert habe. Wir brauchen dabei Unterstützung auf einer breiten Ebene, und zwar nicht nur im nationalen, sondern auch im europäischen Rahmen und auch im internationalen Bereich. Ich denke, daß wir in den Zielen, die wir hier verfolgen müssen, weitgehend übereinstimmen. Ich habe es soeben zum Ausdruck gebracht. ({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum Antrag der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE will ich nur sagen, Herr Kollege Feige, daß der Antrag aus unserer Sicht natürlich teilweise verfehlt ist, teilweise auch überholt ist und in dem Zusammenhang teilweise natürlich auch sehr wichtige Probleme aufwirft, die wir allgemein diskutieren müssen. Das will ich hier klar und deutlich sagen. Wenn Ihr Antrag aber das Ziel verfolgt, „jetzt den Ausstieg aus der Abhängigkeit unserer Wirtschaft vom Erdöl einzuleiten" , dann sage ich Ihnen: Wer diese Folgerungen aus dem schrecklichen Mißbrauch des Öls als Waffe durch Saddam Hussein zieht, verkennt die eigentliche umweltpolitische Problemlage des Kuwait-Krieges. Er verkennt auch die für wesentliche Wirtschaftszweige auf längere Sicht absolute Unentbehrlichkeit des Erdöls. Wir verkennen aber nicht, daß wir eine bestimmte Unabhängigkeit erreichen und daß wir diesen Weg weiterverfolgen müssen. Aber dem Ausstieg, so wie er hier gefordert wird, kann ich nicht folgen. Wer heute den Menschen einredet, wir könnten uns bereits jetzt mit dem Ausstieg aus der Abhängigkeit unserer Wirtschaft vom Erdöl befassen, der verharmlost das Problem, teilweie auch sehr irreführend. Die Bundesregierung - das ist von ihr wiederholt betont worden - verurteilt den Umweltkrieg Saddam Husseins. Der völkerrechtswidrige, vorher für undenkbar gehaltene umweltverachtende Einsatz des Erdöls als Waffe wurde von der Bundesregierung von Anfang an schärfstens verurteilt. ({1}) Wer allerdings der Öffentlichkeit glauben machen will, wir hätten dies von vornherein verhindern können, oder gar, daß wir das in Zukunft tun könnten, verbreitet Legenden. Das war wohl auch nicht Ihre Absicht. Ich unterstelle Ihnen das gar nicht. Da jedenfalls geht dieser Antrag an der Wirklichkeit vorbei. Wir verwahren uns ausdrücklich gegen jeden Versuch, der Bundesregierung eine Art tatsächlicher oder moralischer Mitverantwortung an den Umweltauswirkungen des Golfkriegs zu unterschieben. ({2}) Von den Umweltverbrechen Saddam Husseins darf nicht abgelenkt werden. Ich habe das auch zum Anlaß genommen, vor dem Verwaltungsrat der Vereinten Nationen noch einmal auf diesen Punkt hinzuweisen. Das militärisch sinnlose Sprengen und Anzünden von ungefährt 600 unter hohem Gasdruck stehenden Ölquellen ist und bleibt ein Umweltverbrechen. ({3}) Herr Kollege Kübler, ich sage es noch einmal. Ihre Aussage wird nicht richtiger, wenn Sie sie ständig wiederholen. Dem Ziel nach sind wir uns in vielem einig. Ich konzediere Ihnen auch Ihr Engagement in diesen Punkten. Aber eines will ich hier noch einmal feststellen: daß die Bundesregierung sehr rasch reagiert hat. Die Bundesregierung hat von Anfang an schnelle und großzügige Hilfe bei der Bekämpfung der Ölpest geleistet. Wir haben Experten und Ölwehrgerät zur vorsorglichen Entlastung der lebenswichtigen Meerwasserentsalzungsanlagen und ein leistungsfähiges Ölauffangschiff in den Golf geschickt. Das Gerät wurde bereits im Februar aus Gründen der Vorsorge dort stationiert, von wo die ersten klaren Hilfeersuchen vorlagen, nämlich in Katar und Bahrain. Bereits eine Woche nach dem Waffenstillstand, Anfang März 1991, ist Bundesumweltminister Töpfer mit einer fachlich breit zusammengesetzten Expertengruppe in die Golfregion geflogen, um eine erste Bestandsaufnahme der Umweltschäden zu versuchen. Er hat bei dieser Gelegenheit die technische und wissenschaftliche Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angeboten. Ich sage noch einmal sehr deutlich: Diese Hilfe ist von uns zu diesem Zeitpunkt, kurz nach Beendigung des Krieges, angeboten worden. Aus Sicherheitsgründen wurde kurzfristig die Landung in Kuwait verweigert, nicht weil Töpfer nicht nach Kuwait wollte, sondern weil es nicht möglich war, zu diesem Zeitpunkt dort zu landen. In dem von der Ölpest stark betroffenen Saudi-Arabien konnte nach einer beispiellosen Aktion bester Zusammenarbeit zwischen den Bundesressorts in kürzester Frist ebenfalls wichtiges Ölwehrgerät zur Verfügung gestellt werden: sieben Großraumflugzeugladungen im Wert von annähernd 4 Millionen DM. Umweltminister Töpfer konnte anläßlich seiner Gespräche in Saudi-Arabien das dort dringend benötigte Ölwehrgerät bereits am 10. März - das war die erste Landung - übergeben. Ich bitte Sie, dann nicht ständig die Vorwürfe zu bringen: Fehlanzeige, Nullanzeige, zu spät und überhaupt nicht. Wir haben sehr rasch und sehr schnell, auch beispielhaft für andere Länder, gehandelt. Das wird auch von den Staaten der Golfregion anerkannt. Inzwischen haben auf unsere Initiative hin - das darf ich noch sagen - eigene Luftmeßflüge stattgefunden, weil wir wegen der bedeutenden Umweltauswirkungen der Rauchwolken aus den Ölbränden auf verläßliche eigene Daten nicht verzichten wollten. Die Einzelauswertung wird in den nächsten Wochen erfolgen. Es kann aber schon jetzt bestätigt werden, daß die Rauchentwicklung das Regionalklima im Umkreis von einigen hundert bis höchstens ein- bis zweitausend Kilometern beeinträchtigen kann, keinesfalls aber das Weltklima. Auch das ist inzwischen unstrittig. Ebenfalls unstrittig ist die Ausbreitung der Rußpartikel. Die beiden für Kuwait und Iran aus humanitären Gründen kostenlos bereitgestellten Meßfahrzeuge zur Messung der Luftverschmutzung in Kuwait City und im Iran stehen bereit. Sie können sofort per Luftfracht und in Begleitung der Experten in Marsch gesetzt werden, wenn die Gaststaaten die zur persönlichen Sicherheit der Begleitmannschaft unerläßlichen Vereinbarungen ausdrücklich anerkannt haben. Diese ausdrückliche Zustimmung der Gaststaaten zu den Vereinbarungen wird von uns nahezu täglich angemahnt. Wir halten es für unverantwortlich, die Luftmeßfahrzeuge nach der Hauruck-Methode und ohne schriftliche Zustimmung der Gastländer zu den Vereinbarungen in Kuwait City und im Iran zu stationieren, so wie manche uns das nahelegen. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kübler?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Wenn ich den nächsten Satz noch sagen darf.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Unsere Regierung kann in Kuwait nur tätig werden, wenn wir dazu vom Gastland ausdrücklich aufgefordert sind. Kuwait ist ein souveräner Staat. Ausdrückliche Vereinbarungen zwischen Regierungen entsprechen dem zivilisierten Miteinander einer auf Völkerverständigung und Völkerrecht angewiesenen Staatengemeinschaft. Jede Eigenmächtigkeit wird von uns strikt abgelehnt.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Kübler, bitte.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, finden Sie es nicht auffallend, daß praktisch alle Länder, von den USA bis zu den Niederlanden - ich beziehe mich da auf Ausführungen von Herrn Bundesminister Töpfer in der vorletzten Umweltausschußsitzung -, die unterschiedlichsten Hilfsmaßnahmen in Kuwait durchsetzen konnten - ich spreche immer über Kuwait - und daß das dieser Bundesregierung nicht gelungen ist? Ich frage: Hat sie da nicht genügend getan, ist sie so untalentiert, oder sind die Beziehungen so schlecht, ({0}) daß keine unserer Maßnahmen dort bis jetzt zum Einsatz gekommen ist? Dies ist doch eine grundsätzlich politische Frage. Ich frage Sie: Woran liegt dies?

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Kollege Kübler, ich habe Ihnen das in dieser besagten Umweltausschußsitzung ja in großer Offenheit vorgetragen. ({0}) Ich kann nur noch einmal betonen, daß sich die Bundesregierung seit März 1991 auf den unterschiedlichsten Kanälen bei den kuwaitischen Dienststellen um eine entsprechende Aufforderung, um entsprechende Hilfe - wenn Sie so wollen - bemüht hat. Es entspricht aber der Praxis Kuwaits - ich will das auch einmal offen ansprechen - , an der Löschung der Ölbrände und dem Wiederaufbau des Landes auf kommerzieller Basis zunächst nur diejenigen Länder zu beteiligen, die sich an der Seite Kuwaits am GolfKrieg beteiligt hatten. Dies ist eben so. Von der kuwaitischen Regierung liegt bis heute keine eindeutige Aufforderung vor, daß sich die deutsche Industrie auf kommerzieller Basis an der Löschung der Ölbrände beteiligen möge. Ich will Ihnen weiter sagen: Wir haben jetzt die Chance, mit diesen Experten auf einer anderen Basis zu beginnen - wenn Kuwait dies wünscht; dies scheint nun so zu sein -, d. h. uns aktiv an der Löschung dieser Ölbrände zu beteiligen. Wir haben versucht, nachdem wir gesehen hatten, daß es Vorbehalte gegen bestimmte Staaten gab - Sie wissen, daß es Japan nicht anders ergangen ist als der Bundesrepublik Deutschland - , aus diesem Dilemma herauszukommen, indem Bundesumweltminister Töpfer auf der Tagung des EG-Umweltrates am 18. März 1991 intensiv für eine Aktion der Europäischen Gemeinschaft geworben hat. Wir wollten gemeinsam mit der Europäischen Gemeinschaft die Umweltkrise am Golf bewältigen. Nach langem Zögern hat die kuwaitische Regierung den offiziellen Besuch einer deutschen Expertengruppe zu diesem Termin gebilligt. Auch dies ist Ihnen klar, und auch dies haben wir sehr offen betont. Ich will Ihnen auch sagen - damit das noch einmal deutlich wird - : Gespräche von Vertretern des BMFT mit der kuwaitischen Ölindustrie in London waren bereits Anfang Mai 1991 vorausgegangen. Seit dieser Zeit finden im BMFT intensive Koordinierungsgespräche über die technischen Möglichkeiten der Ölbrandbekämpfung statt. Wir gehen aber davon aus - dies besagt auch die Presseerklärung und dies hat auch Bundesumweltminister Töpfer dem Ausschuß mitgeteilt - , daß wir nach dieser Expertenreise noch einmal mit einem entsprechenden umfassenden Angebot an Kuwait herantreten. Wir gehen weiter davon aus, daß wir uns dann auf Bitten Kuwaits hin in diesem, wie ich finde - und das sagen auch Sie -, sehr wichtigen Bereich engagieren können. Dies muß - auch das will ich noch einmal betonen - auf kommerzieller Basis abgewikkelt werden. Wir meinen, daß auch der kuwaitischen Regierung inzwischen klar ist, daß zusätzliche technische Hilfe aus Europa zwecks schnellerer Beendigung der Ölbrände im Interesse Kuwaits und im Interesse des Gesundheits- und Umweltschutzes auch in den Nachbarstaaten notwendig ist. Lassen Sie uns insofern an einem Strang ziehen. Lassen Sie uns bitte nicht ständig wiederholen, daß die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu langsam oder überhaupt nicht gehandelt habe. Auch längeres Herbeten dieser Vorwürfe macht diese Vorwürfe nicht richtig. ({1}) Wir haben Ihnen detailliert ausgeführt, welche Bemühungen notwendig waren. Lassen Sie uns hoffen, daß das Angebot jetzt angenommen wird und daß wir mithelfen können, daß die Ölbrände wesentlich rascher gelöscht werden, als es in den vergangenen Wochen ausgesehen hat. In meinem Gespräch mit dem Umweltminister Saudi-Arabiens hat sich eindeutig ergeben, daß wir gemeinsam an einem Strang ziehen müssen ({2}) und daß die Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Partner bei der Lösung dieser Umweltproblematik am Golf ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 11. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/779 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr den vorhin zurückgestellten Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Dietmar Schütz, Harald B. Schäfer ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Minderung der Ozon-Belastung - Maßnahmen zur Bekämpfung des Sommer-Smogs - Drucksache 12/772 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Liesel Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren ist der Sommersmog zur Geißel nicht nur unserer Innenstädte geworden, sondern auch zur Geißel vieler sogenannDr. Liesel Hartenstein ter Reinluftgebiete. Seit Jahren ist die Bundesregierung leider untätig geblieben. Sie hat nichts Entscheidendes unternommen, um dem Übelstand abzuhelfen. Dies muß sich endlich ändern. Nun werden wir gleich von Regierungs- oder Koalitionsseite sicherlich auf die segensreichen Taten der Vergangenheit hingewiesen werden, z. B. auf die legendäre Großfeuerungsanlagen-Verordnung von 1983, die unbestritten die NOX-Emissionen reduziert hat. Aber dieser Rückgriff, so denke ich, ist insofern antiquiert, als er die Untätigkeit auf anderen Gebieten nicht wettmachen kann. Der Sommer 1991 läßt sich viel Zeit; das ist wahr. Aber dennoch kann man unschwer die Prophezeiung wagen: Der nächste Ozonsmog kommt bestimmt. Hauptverursacher ist der motorisierte Straßenverkehr. Auf unseren Straßen tummeln sich mittlerweile rund 32 Millionen Kraftfahrzeuge, und ihre Zahl steigt ständig an. Sobald eine längere Schönwetterperiode eintritt, entsteht aus den Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen jene gefährliche Ozonmixtur, die Gesundheitsschäden hervorruft. Hustenreiz, Augenbrennen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen - das sind nur einige der krankmachenden Phänomene. Risikogruppen, wie alte Menschen, Kinder und Schwangere sind besonders hart davon betroffen. Seit langem sind diese Zusammenhänge bekannt. Seit langem werden wirksame Gegenmaßnahmen gefordert, aber die Schadstoffquellen sprudeln ungehemmt weiter. Bis heute gibt es eben leider keine verbindlichen Grenzwerte für Ozonsmog. Es gibt kein bundeseinheitliches Warnsystem. Es gibt vor allen Dingen keine Rechtsgrundlage für die Kommunen, um weiträumige Verkehrsbeschränkungen verhängen zu können. Die Bundesregierung hat sich lediglich damit begnügt, Verhaltensempfehlungen auszusprechen: Man solle bitte schön ab einer Konzentration von 180 Mikrogramm/m3 keine körperlichen Anstrengungen unternehmen, z. B. kein Jogging machen, man solle Aufenthalte im Freien vermeiden, die Kinder ins Haus zurückholen. Im letzten Jahr wurde sogar der Rat gegeben, intensives Atmen zu unterlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, soll das etwa heißen, das Atmen von Zeit zu Zeit einzustellen? Zynischer geht es nun wirklich nicht mehr. Hier wird das Verursacherprinzip auf den Kopf gestellt. Statt die Ursachen zu bekämpfen, werden den potentiell Geschädigten perfide Ratschläge erteilt. Es ist an der Zeit, endlich zu handeln und das jährliche Ritual bloßer Ankündigungen einzustellen. Unser Antrag enthält ein Bündel konkreter Maßnahmen, die alle notwendig und auch alle realisierbar sind. Ich nenne nur die wichtigsten Forderungen. Erstens soll ein Ozongrenzwert von 120 Mikrogramm/ m3 als Luftqualitätsziel festgelegt werden, entsprechend der VDI-Richtlinie und den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Dieser Wert gilt in der Schweiz ab 1994 als verbindlicher Grenzwert; er darf höchstenfalls einmal pro Jahr überschritten werden. Zweitens wird die Bundesregierung aufgefordert, bis Juli 1992 Maßnahmepläne aufzustellen, aus denen hervorgeht, wie dieses Luftqualitätsziel bis 1996 erreicht werden kann. Dazu gehören Konzepte zur Drosselung des Verkehrsvolumens. Dazu gehören auch der beschleunigte Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, die Einführung einer Entfernungspauschale anstelle der bisherigen Kilometerpauschale und nicht zuletzt die Einführung eines Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen und 90 km/h auf den übrigen Außerortsstraßen. Allein damit könnten mindestens 130 000 t Stickoxide eingespart werden. Das sind immerhin 8 % der jährlichen Gesamtverkehrsemissionen. Es ist höchst bemerkenswert, daß inzwischen sogar der Arbeitskreis Umwelt der CSU diesem Vorschlag beigetreten ist ({0}) und im Juli auf dem kleinen Parteitag der CSU in München einen entsprechenden Antrag einbringen will. Man darf gespannt sein. Offensichtlich sollte man die Hoffnung nie aufgeben, daß sich ökologische Einsicht letztendlich doch durchsetzt, auch in Bayern. ({1}) Meine Damen und Herren, der Verkehrsbereich nimmt eine Schlüsselstellung bei der Bekämpfung des Sommersmogs ein. Jährlich werden 2,8 Millionen t Stickoxidemissionen in die Luft gejagt. Davon gehen immerhin fast 69 % auf das Konto des Autoverkehrs. Einer der Hauptgründe dafür ist neben der wachsenden Zahl der Kraftfahrzeuge die Tatsache, daß Jahr für Jahr schneller gefahren wird; oder um es deutlicher zu sagen: daß wieder gerast wird. Knapp die Hälfte aller Pkw fährt heute schneller als 130 km/h. Jeder siebte Pkw fährt sogar schneller als 150 km/h. Die mittlere Lkw-Geschwindigkeit liegt heute bereits bei 87,3 km/h, obwohl für Lastwagen bekanntlich ein Tempolimit von 80 km/h gilt. Ich denke, in diesem Zusammenhang sollte man doch daran denken, einen Geschwindigkeitsregler für Lkw einzuführen. Das wäre eine nützliche Angelegenheit. ({2}) Auch die Unfallsituation hat sich auf den Autobahnen leider verschärft. Die Zahl der Verkehrstoten auf den Autobahnen ist im letzten Jahr um sage und schreibe 20,3 % angestiegen. Das ist eine traurige Bilanz; um so mehr, als die Zahl der Verkehrstoten auf den übrigen Straßen unseres Landes glücklicherweise zurückgegangen ist. Als weitere Maßnahmen sind die Einführung von Höchstverbrauchswerten für alle Kraftfahrzeugtypen und eine Zielvorgabe, wonach bis zum Jahre 2000 der Durchschnittsverbrauch der gesamten neu verkauften Flotte höchstens fünf Liter pro 100 Kilometer betragen soll, noch zu nennen. Dies ist realistisch und wird auch von der Automobilindustrie als machbar bestätigt. Schließlich sollte die lange angekündigte, aber nie erlassene Verordnung zur Einführung des Gaspendelverfahrens endlich kommen. Die Schweiz hat dieses Systems bereits obligatorisch eingeführt, und auch in den USA ist es in einer Reihe von Bundesstaaten bereits verwirklicht. Last but not least wird der Umweltminister aufgefordert, ein Defizit aufzufüllen, das er schon längst hätte beheben können - die Rede ist von der Rechtsverordnung nach § 40 Bundes-Immissionsschutzgesetz - , damit die Länder und die Kommunen endlich in die Lage versetzt werden, verkehrsbeschränkende Maßnahmen anordnen zu können. Nach Pressemeldungen fordert Umweltminister Töpfer selbst autofreie Innenstädte für die Sommermonate. Er verweigert aber bis jetzt den Ländern und den Gemeinden die rechtliche Handhabe dafür. Wie reimt sich das zusammen? ({3}) - Nein, sie können es nicht. Sie können keine weiträumigen verkehrsbeschränkten Maßnahmen verfügen. Herr Harries, das stimmt nicht. ({4}) - Nein, es geht um weiträumige Maßnahmen. ({5}) Wir schlagen vor, daß Fahrbeschränkungen nur für diejenigen Pkw gelten sollen, die nicht mit einem geregelten Dreiwegekatalysator ausgestattet sind. Umweltfreundliche Fahrzeuge brauchen nicht am Straßenrand stehenzubleiben. Sie sollten Benutzervorteile genießen. Nur so, lieber Herr Kollege Klinkert, kann das Anreizsystem unserer Meinung nach funktionieren. ({6}) Die Situation ist brisant. Im letzten Jahr wurde der Richtwert 120 Mikrogramm/m3 in vielen Städten um das Doppelte und um das Dreifache überschritten. Die Situation ist nicht zum Spaßen. Das gilt für Berlin, für Hamburg, für Stuttgart, für Hannover und für München. In manchen Regionen wurden sogar Spitzenwerte über 300 Mikrogramm/m3 gemessen. Das sind absolut unverantwortliche Zustände. Warum - so muß man doch fragen - erfolgen nicht wenigstens rechtzeitige und offene Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse? Es kann doch nicht angehen, daß regelmäßig Wasserstandsmeldungen über die Rundfunksender gehen und Pollenflugvorhersagen gemacht werden, und zwar mit akribischer Genauigkeit, und daß die Menschen nicht rechtzeitig, nicht regelmäßig und nicht offen über die tatsächlich vorhandene Ozonbelastung unterrichtet werden. Hier geht es doch um ihre Gesundheit. Man sollte nicht warten, bis die Krankenwagen laufend durch die Straßen tuten. Auch das Warten auf europaweit einheitliche Grenzwerte ist keine Lösung. Der Ozonstau in Bodennähe ist nicht nur ein alltägliches Gift für die Gesundheit, er gehört auch zu den Hauptsündern beim Waldsterben. Er trägt mindestens 10 % zum Treibhauseffekt bei. Alles in allem Gründe genug, um endlich etwas zu unternehmen. Die Ozonsaison 1991 steht mit Sicherheit vor der Tür. Deshalb ist jetzt Vorsorge geboten. Mit Abwarten, Augenverschließen und Atemanhalten kann man keine verantwortliche Umweltpolitik machen. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als nächster Redner hat jetzt das Wort der Abgeordnete Dr. Peter Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Hartenstein, ich habe ja Verständnis dafür, daß die Opposition immer wieder versucht, der Regierung Versäumnisse in ihrer Arbeit vorzuhalten. Das ist vielleicht auch die Aufgabe der Opposition. Ich glaube aber, daß die Opposition in ihrer politischen Arbeit überzeugender wäre, wenn sie erkennen würde, daß Untätigkeit nicht der Stil dieser Regierungskoalition ist, vor allen Dingen nicht im Bereich des Umweltschutzes. Das können wir für diese Koalition ganz selbstbewußt herausstellen. ({0}) In der letzten Woche habe ich für meine Fraktion bei der Aussprache über die für 1992 geplante Umweltkonferenz eine grundlegende Umstrukturierung im Verkehrsbereich gefordert. ({1}) Durch diese Umstrukturierung soll ein wesentlicher Beitrag zur Verminderung der CO2-Emissionen in Deutschland geleistet werden. Diese Forderung hat ihre Berechtigung nicht nur in einer Vorsorgepolitik zum Schutz der Erdatmosphäre. Vielmehr macht sie einen Sinn, wenn die in den Sommermonaten auftretenden Ozon-Spitzenwerte umweltpolitisch und medizinisch bewertet werden. Langjährige Messungen zeigen neben abnehmenden Immissionsbelastungen eine ansteigende Tendenz bei den Stickoxiden und vor allem für das Ozon. ({2}) Dabei spielt das Ozon eine Sonderrolle, da es nicht als primärer Schadstoff emittiert wird, sondern sich in komplexen Reaktionsabläufen bildet. Man kann es wie folgt auf den Punkt bringen: Ab etwa 20 °C und bei starker Sonneneinstrahlung entsteht u. a. aus den Autoabgasen Stickoxid und Kohlenwasserstoff der Sommersmog mit dem aggressiven Gas Ozon. Dieses Ozon beschleunigt das Sterben unserer Wälder und kann bei Menschen zu gefährlichen gesundheitlichen Folgen durch eine Abnahme der Lungenfunktion führen. Drastischer und damit einprägsamer ist dies so zu beschreiben, daß die Ozonmoleküle mühelos in die menschliche Lunge eindringen und dabei das Lungengewebe zerstören können. Die Warnungen vor erhöhten O3-Konzentrationen beim Sommersmog haDr. Peter Paziorek ben in den letzten Jahren somit zu Recht bei der interessierten Bevölkerung viele Fragen aufgeworfen. Die Regierungskoalition kann dabei auf ein Bündel von Maßnahmen gegen Ozon und Sommersmog verweisen. So hat diese Bundesregierung durch eine konsequente Luftreinhaltepolitik in den letzten Jahren bereits entscheidende Fortschritte zur Reduzierung des NOx und der Kohlenwasserstoffe erreicht. Mit der - ich muß es erwähnen, Frau Hartenstein; Sie haben es sich fast schon gedacht - Großfeuerungsanlagen-Verordnung, der TA Luft sowie der Einführung des geregelten Dreiwegekat sind wirkungsvolle Regelungen durchgesetzt worden. Diese Maßnahmen haben schon zu geringeren Emissionen geführt und werden insgesamt - es war schade, daß Sie das nicht erwähnt haben - zu einer Verminderung der Emissionen an NO um mehr als 30 % bis Mitte der 90er Jahre führen. Bei den Kohlenwasserstoffen werden die angeführten Maßnahmen im Bereich der stationären Anlagen des Verkehrs und der Produkte bis zu diesem Zeitpunkt eine Reduzierung um rund 40 % erbringen. ({3}) Da jedoch der Verkehr auf Grund der gesamteuropäischen Entwicklung weiter zunehmen wird, Herr Kollege Böhme, reichen diese Maßnahmen nicht aus. Meine Fraktion setzt sich daher nachdrücklich für weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Vorläufersubstanzen für Ozon und Sommersmog aus dem Verkehrsbereich ein. Wir setzen dabei auf folgende Schritte: auf eine weitere drastische Verschärfung der Abgasnormen für Benzinfahrzeuge und für Lastkraftwagen auch gegenüber den gerade vom EG-Umweltrat beschlossenen Grenzwerten, auf eine Verordnung zur Rückführung von Kohlenwasserstoffdämpfen beim Betanken, auf eine kontinuierliche Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und auf die Erarbeitung umweltschonender Stadtverkehrskonzepte unter stärkerer Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs. ({4}) In diesem Zusammenhang begrüßt meine Fraktion die Absicht des Bundesumweltministers, den Entwurf einer Verordnung nach § 40 Abs. 2 BImSchG vorzulegen, die den zuständigen Länderbehörden kleinräumige Verkehrsbeschränkungen, z. B. im Innenstadtbereich, für den Fall ermöglichen soll, daß die in der Bundesverordnung zu regelnden Schadstoffkonzentrationen überschritten sind. Wir begrüßen es, daß der Umweltminister z. B. den Kommunen vor Ort mit einer solchen Verordnung Mut machen will. Denn die rechtlichen Möglichkeiten zu Verkehrsbeschränkungen gibt es z. B. in der Straßenverkehrsordnung schon seit 1980 und im Bundes-Immissionsschutzgesetz seit dem letzten Jahr; das nur noch einmal der Vollständigkeit halber, Frau Hartenstein. Nur, eines sollten wir uns ganz deutlich vor Augen führen: Dem Ozonproblem kann durch diese kleinräumigen Maßnahmen allein nicht wirksam begegnet werden. Wir brauchen neben den von uns geforderten Maßnahmen - das ist auch ein Appell an die sozialdemokratischen Fraktionen in Bund und Ländern - auch ein Straßennetz, das trotz des Umsteuerns den drohenden Stop-and-go-Verkehr verhindert. Ebenso brauchen wir in den übrigen Wirtschaftsbereichen mit bedeutenden Emissionen von Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen außerhalb des Verkehrsbereiches weitere Schritte zur Reduzierung der erhöhten Ozonkonzentration. Nun ein Wort zum Tempolimit: Vor einigen Wochen forderte die SPD ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen. Nun fordert sie in ihrem Antrag 120 km/h. Mit dieser neuen Forderung zur Höchstgeschwindigkeit gibt die SPD selbst zu erkennen, daß einiges in diesem Bereich noch nicht geklärt ist. Die bisherigen Versuche haben gezeigt, daß ein Tempolimit vom Volumen her nur verhältnismäßig wenig zur Verringerung der Schadstoffemissionen beiträgt. Aus diesem Grunde habe ich auch überhaupt kein Verständnis dafür, daß die SPD in dieser Frage eine dogmatische Haltung einnimmt. ({5}) Aber ich sage auch ganz deutlich: Es kann auch nicht richtig sein, dogmatisch im umgekehrten Sinne gegen Tempolimit um jeden Preis aufzutreten. Hier gilt es, vorurteilsfrei abzuwägen, was ein Tempolimit an Umweltverbesserungen im Verhältnis zu nachteiligen Auswirkungen wie der eventuell stärkeren Benutzung von Bundesstraßen überhaupt erbringen kann. Dies sollte in Ruhe geprüft werden. ({6}) Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für uns sehr wichtig, die Bundesregierung in ihrem eingeschlagenen Kurs entschieden zu unterstützen, wirkungsvolle Regelungen gegen Ozon und Sommersmog durchzusetzen. Die Regierungskoalition ist hierbei auf dem richtigen Weg. Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen. Deshalb, Frau Hartenstein, kann ich seitens der Regierungskoalition - ich will das vorsichtig formulieren - keine Unterstützung all Ihrer Punkte, die Sie angesprochen haben, in Aussicht stellen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Jürgen Starnick.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002219, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu dem Antrag und zu dem, was vorher gesagt worden ist. Ich will versuchen, es knapp zu machen, weil ich gerade belehrt worden bin, daß das hier keine Parlamentsveranstaltung, sondern eine Angelegenheit psychotherapeutischer Selbsterfahrung sei. Aber einige Anmerkungen kann ich mir nicht verkneifen. Zum ersten: Eigentlich hat es sich die SPD mit diesem Antrag mitten im Juni gar nicht so schlecht ausgedacht. Letzte Sitzungswoche des Parlaments vor der Sommerpause, strahlender Sonnenschein, Verbreitung von Horrormeldungen über Ozonwerte im Radio, was dann der richtige Anlaß wäre, eine darauf aufbauende verkehrspolitische Debatte zu führen. Denn wenn man den Antrag liest, kommt man natürlich schnell zu dem Ergebnis, daß nichts anderes damit gewollt ist. Aber welch ein Pech. Das Wetter spielt nicht mit, der liebe Gott ist ungerecht. Aber vielleicht ist er, wie ich meine, nicht ungerecht, sondern weise, hebt er doch den Finger und macht uns darauf aufmerksam, liebe Frau Hartenstein: Nicht der Verkehr ist die Ursache für das Entstehen von Ozon, sondern der Sonnenschein. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Starnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Liesel Hartenstein?

Prof. Dr. Jürgen Starnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002219, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Einen kleinen Moment noch. Gleichwohl möchte ich natürlich nicht bestreiten, daß Luftschadstoffe, insbesondere Abgase aus dem Kraftfahrzeugverkehr, zur Entstehung erdnahen Ozons beitragen. Denn sie beschleunigen die Bildung von Ozon, sobald die Sonne scheint. Aber sie beschleunigen auch den Abbau des Ozons. So mag es zwar verwunderlich sein - aber es ist letztlich erklärbar - , daß bei einer Sommersmogwetterlage in Ballungsräumen die niedrigsten Ozonwerte oft dort gemessen werden, wo in den Großstädten der stärkste Verkehr tobt. Bitte, Frau Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Starnick, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Schadstoffkonzentration, die so gravierende Gesundheitsschäden verursacht, nicht doch für ernsthaft genug halten, um sie auch ernsthaft zu behandeln? Und darf ich Sie an etwas erinnern - was Sie vielleicht gar nicht wissen können -, daß die SPD-Fraktion bereits 1989 eine ähnliche Initiative eingebracht hat, aber leider erfolglos geblieben ist? Sie hat sie eingebracht, weil wir die üble Situation verbessern wollen. Nur, die Frage ist, ob Sie wenigstens anerkennen, daß es uns um die Sache und die Verbesserung eines Übelstandes geht. ({0})

Prof. Dr. Jürgen Starnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002219, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Hartenstein, ich erkenne das durchaus an. Wenn ich das jetzt etwas ironisch oder vielleicht auch launisch vortrage, dann tue ich das wegen eines Punktes, der meines Erachtens die große Schwäche dieses Antrags ist. Ich will etwas später darauf zu sprechen kommen. Tatsache ist jedenfalls - das belegen Messungen im Berliner Luftgütemeßnetz, das nach meinem Kenntnisstand das dichteste Meßnetz überhaupt in dieser Republik ist -, daß dort, wo wir starke Emissionen aus dem Verkehr haben, während einer Smogwetterlage die Ozonwerte teilweise niedriger als in einem Reinluftgebiet sind. Es ist nun einmal gemessene Tatsache, daß wir dort in Deutschland, wo wir die reinste Luft haben, nämlich auf der Zugspitze, die höchsten Ozonwerte messen. ({0}) Ich nenne das immer - ich erlaube mir, das auch hier so zu nennen - das Ozon-Paradoxon, weil es nicht jedem im ersten Moment einsichtig ist. Man muß natürlich etwas genauer auf die Entstehungsgeschichte des erdnahen Ozons schauen. ({1}) - Ja, natürlich hätten wir das dort ganz gern. ({2}) - Richtig; das entschärft nicht die Ursache. ({3}) Ich sage das, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, weil das, was Sie jetzt beabsichtigen, etwas ist, womit Sie das umweltpolitische Pferd vom Schwanz aufzäumen. Denn wenn Sie einen Sekundärschadstoff, der sich - wenn man es so sagen will - letzten Endes wie ein Beelzebub verhält und bei dem es vom Wetter und von der Intensität des Sonnenscheins abhängt, ob er in einer hohen Konzentration auftritt, zu einer Leitgröße für die Beurteilung der Luftqualität machen wollen, dann setzen Sie schlicht auf den verkehrten Schadstoff. ({4}) - Sie setzen dabei aber auf den verkehrten Schadstoff. Wenn Sie das machen wollen - was ich durchaus anerkenne - , dann müssen Sie konsequenterweise auf einen Primärschadstoff wie beispielsweise Stickoxid setzen. Dies ist ein Qualitätsmaßstab zur Beurteilung unserer Umweltsituation, nicht aber ein Schadstoff, der mit so vielen Zufälligkeiten behaftet ist, in welcher Konzentration er auftritt und wann er auftritt. ({5}) Ich möchte ganz kurz auch noch auf den Wert eingehen, der angegeben worden ist, nämlich den Ozonemissionsgrenzwert von 120 Mikrogramm/m3. Wenn er für das, wofür er hier herangezogen werden soll, nicht geeignet ist, sollte man eigentlich gar nicht weiter darüber reden. Aber die Erfahrung ist ja, daß bei der Nennung solcher Werte schnell der Eindruck vermittelt wird, hiermit werde ein Grenzwert angegeben, dessen Überschreitung auf jeden Fall gesundheitliche Gefahren nach sich ziehe. Leider fehlen noch immer Wirkungsforschungsstudien, aus denen für Ozon ein Grenzwert mit der gleichen Zuverlässigkeit wie etwa für Schwefeldioxid und Schwebstäube beim Wintersmog abgeleitet werden kann. Leider ist das so. Das mag auch daran liegen, daß die Empfindlichkeit gegenüber Ozon individuell sehr unterschiedlich ist. Eigenverantwortliches Handeln zur Abwehr gesundheitlicher Beeinträchtigungen ({6}) bei Sommer-Smog-Lagen ist deshalb geboten. So hat sich die Umweltministerkonferenz mit Recht im vorigen Jahr auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Information der Bevölkerung geeinigt und 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als einen Wert festgelegt, bei dessen Überschreitung eine Ozonwarnung herausgegeben wird. Sie hat sich aber wohlweislich hierauf beschränkt. Noch ein Satz: Ich will damit nun Ihre Intention nicht in Frage stellen. Ich stimme mit vielem, was Sie in diesem Antrag grundsätzlich gesagt haben, vollkommen überein. Aber ich meine, daß wir diese Ziele, die hier verfolgt werden, gemeinsam mit einer anderen Begründung darlegen sollten. Ich bin gemeinsam mit Ihnen der Auffassung, daß wir eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene erwirken müssen, ({7}) weil ich will, daß unsere Städte lebenswert bleiben und nicht total mit Blech verstellt werden, und weil ich will, daß unsere Einträge aus der Luft in den Boden und die Seen - insbesondere auch die Stickstoffeinträge - deutlich reduziert werden. Aber das sind natürlich dann andere Gründe. Ich meine, das sind auch die langfristigen, wichtigen umweltpolitischen Ziele, ({8}) die sich so begründen lassen, so daß wir letzten Endes sicherlich wieder zu gemeinsamen Anliegen kommen, die wir auch gemeinsam vertreten können. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Jutta Braband.

Jutta Braband (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000239, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen einen angenehmen Abend wünschen! ({0}) Ich finde, daß die Atmosphäre hier sehr viel angenehmer ist als am Nachmittag - zumindest bis jetzt. ({1}) - Ja, das finde ich auch. Sommerzeit also Ozonzeit? Und obwohl es nicht so heiß ist, geht das Problem mit dem Ozonloch nicht aus der Welt. Pünktlich zur Urlaubszeit, der Zeit der langen Autoschlangen und der Staus auf den Autobahnen kommt auch wieder das altbewährte Sommerthema Ozon auf die Tagesordnung - nicht nur hier im Deutschen Bundestag. Wir können uns also wieder auf die Veröffentlichung von Meßwerten, die Warnungen an ältere Menschen, sich nicht zu sehr, und an alle Jogger und Joggerinnen, sich nicht zu überanstrengen, einstellen. ({2}) - Ach, bitte, hören Sie doch auf, mich immer mit der DDR zu strafen. Ich gehöre durchaus zu den Leuten, die in den letzten zwölf Jahren in der DDR bewiesen haben, daß sie sehr wohl handlungsfähig gegen Regierungen sind. Ich gedenke, damit hier nicht aufzuhören. Doch nun zum vorliegenden Antrag: So sinnvoll ich es finde, auch in Detailfragen die ökologische Diskussion vorantreiben zu wollen, so erweist er sich doch als einigermaßen halbherzig. Grundsätzlich ist zu sagen, daß die Forderung nach Festsetzung von Grenzwerten - das hat die Diskussion nach dem AKW-Unfall von Tschernobyl gezeigt - politisch immer hilflos ist. Grenzwerte sind politische Festsetzungen; sie sagen in der Regel nichts über die tatsächliche Gesundheitsgefährdung oder Umweltschädigung aus. Wenn mit der Forderung nach Festsetzung eines Grenzwertes ein ordnungspolitisches Signal gesetzt werden soll, so ist allerdings für mich die Frage, ob 120 Mikrogramm pro Kubikmeter ausreichend sind - der gültige Grenzwert liegt, wie Sie sicher wissen, bei 180 - oder ob darüber zu diskutieren sei, daß dieser Grenzwert noch weiter herabgesetzt werden soll. Dies gilt auch für die Festsetzung der Abgaswerte, zumindest nach dem US-Standard, und die weiteren Forderungen, die sich auf technische Lösungen beschränken. Ich will noch zum Abschluß sagen, daß ich grundsätzlich dem Antrag zustimme, ganz einfach deshalb, weil ich in der Tatsache, daß man sofort politische Maßnahmen ergreift, auch auf verkehrspolitischem Gebiet, eine Möglichkeit sehe, ein bestimmtes Bewußtsein für diese Sachen herzustellen. Grundsätzlich bin ich jedoch der Meinung, daß erst eine politische Neuorientierung auch auf dem Verkehrssektor nötig ist, und dann können wir uns über ordnungspolitische Maßnahmen unterhalten. Ich stimme aber dennoch diesem Antrag zu, weil ich denke, daß er einen gewissen Lerneffekt hervorruft. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, zum Schluß hat Herr Staatssekretär Bernd Schmidbauer das Wort.

Bernd Schmidbauer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001995

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß bei allen Beteiligten hier Einvernehmen darüber besteht, daß weitere Schritte gegen die erhöhte Ozonkonzentration und den Sommer-Smog getan werden müssen. ({0}) Ich will, weil ich die Kollegen Dr. Starnick und Paziorek nur unterstützen kann, einmal einige Zitate bringen. Das erste Zitat ist dem ersten Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" entnommen: Die Zunahme des Ozons in der Nordhemisphäre beträgt seit 1970 im Jahresmittel etwa 0,5 bis 1 Prozent pro Jahr und etwa 2 Prozent in stark schadstoffbelasteten Gebieten. ({1}) - Frau Kollegin Hartenstein, das ist eben nur Ihr Problem: Sie denken, daß dem Problem der Bildung troposphärischen Ozons mit nationalen Maßnahmen Rechnung getragen werden könnte. Das ist etwas ganz anderes. ({2}) Nachdem wir alle wissen, Frau Kollegin Hartenstein, daß dies ein Problem der Nordhemisphäre ist, will ich Ihnen noch etwas dazusagen. Klar ist, daß Ozon in erheblichem Umfang in der Troposphäre bei der durch die Stickoxide NO und NO2 - was wir hier als NO, bezeichnen - katalysierten photochemischen Oxidation von Kohlenmonoxid, Methan und höheren Kohlenwasserstoffen gebildet wird. Ich will noch ein Zitat bringen, und zwar aus dem dritten Bericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" : Dabei ist die Ozon-Produktionsrate in nichtlinearer Weise von den Konzentrationen der genannten Spurengase, aber auch von den Verhältnissen der Konzentrationen der einzelnen Gase untereinander abhängig. Das ist ein höchst komplexer Zusammenhang. Wer hier Maßnahmen durchsetzen will, die sich auf lineare politische Argumente gründen, der wird am Ende überhaupt keine Veränderung der Konzentration des Ozons erreichen. Das ist die Problematik, die eben auch Dr. Starnick hier dargelegt hat. Es ist überraschend, daß die hohe Konzentration genau dort, wo sie vermutet wird, nicht auftritt, daß überall dort, wo viel Verkehr herrscht - z. B. an den Autobahnen - der umgekehrte Prozeß, nämlich die Reduktion des 03 stattfindet, während dies, wie schon vorhin erwähnt, in Gebieten mit reiner Luft zu erwarten gewesen wäre. ({3}) Wenn wir uns im Ziel einig sind, müssen wir in der Tat dort ansetzen, wo dies möglich ist. Reden von 1989, die gegen die Politik der Bundesregierung gerichtet sind, Frau Kollegin Hartenstein, wirken - auch wenn Sie sie zweimal oder dreimal halten - im Hinblick auf die Ozonkonzentration kein Stück vermindernd. ({4}) Im übrigen sind die Länderminister da ein wesentliches Stück weiter; denn sie haben genau ausgeführt - entgegen Begründungen in Ihrem Antrag -, daß es mit diesen Konzentrationswerten überhaupt nichts auf sich hat, weil sie überhaupt keinen Parameter für die Qualität unserer Luft darstellen. Hier wird ein anderer Ansatz nötig. Im vergangenen Jahr hat sich die Umweltministerkonferenz mehrheitlich auf diesen Grenzwert von 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als Zweistundenmittelwert festgelegt. Aber dies ist natürlich ein Informationswert, der in den nächsten Jahren beliebig lange aufrecht erhalten werden kann, wenn es uns nicht gelingt, die Konzentration der Vorläufersubstanzen im richtigen Verhältnis zu reduzieren. ({5}) Das scheint mir hier auch einvernehmlich gesehen zu werden, mit den entsprechenden Konsequenzen. Dazu gehört, Frau Kollegin Hartenstein, daß wir in den letzten Jahren durch eine sehr konsequente Luftreinhaltepolitik, um die uns viele - auch unsere Nachbarn - sehr beneiden, und ihren entsprechenden Ergebnissen mit dazu beigetragen haben, daß es hier zu einer starken Reduzierung der Stickoxide und der Kohlenwasserstoffe gekommen ist. Ich will nicht verhehlen, daß wir seit dem 3. Oktober eine etwas andere Situation haben. Statistisch gesehen haben wir gegenüber der Situation vor dem 3. Oktober eine Verdoppelung der Konzentration. Das mag mancher beklagen; ich sehe es als Aufgabe. Ich sehe, daß wir im Hinblick auf die Sanierung im Osten auf die Notwendigkeit der Fortentwicklung der Lebensqualität in den fünf neuen Ländern eben noch viel stärker Anstrengungen unternehmen müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Immerhin hat das dazu geführt, daß wir bis heute 600 000 Tonnen Stickstoffoxide und 200 000 Tonnen Kohlenwasserstoffe weniger emittieren als ohne solche Luftreinhaltemaßnahmen: 97 % der neu zugelassenen Fahrzeuge haben Drei-Wege-Katalysatoren; 25 % des Bestandes sind mit Drei-Wege-Katalysatoren ausgerüstet. Die Nachrüstung geht weiter. Wir haben es durch unseren Druck immerhin geschafft, auch im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft die anderen davon zu überzeugen, daß die Werte für Gesamteuropa diesen Stand der Technik bei unseren Fahrzeugen notwendig machen. Wir sagen aber genauso deutlich, daß diese Maßnahmen nicht ausreichen. Insbesondere das Anwachsen des Verkehrs macht uns Probleme. Der Ost-WestVerkehr, der Binnenmarkt, all das wird im Energiebereich einen starken Zuwachs bewirken. Dies bedeutet eben, daß wir uns nachdrücklich dafür einsetzen, daß im Bereich der EG weitere Reduzierungen stattfinden. Ich will Ihnen unsere Zielvorstellung nennen. Wir gehen davon aus, daß es zu einer weiteren drastischen Verschärfung der Abgasnormen für Pkw durch eine weitere Halbierung der vom EG-Umweltrat am 13. Juni 1991 beschlossenen Grenzwerte für Kohlenwasserstoff- und Stickstoffoxidemissionen für Benzinfahrzeuge sowie zu einer deutlichen Herabsetzung des Stickstoffoxidwertes für Lkw kommt. Auch beim Lkw hat der EG-Umweltrat bereits am 18. März 1991 zu einem gemeinsamen Standpunkt gefunden, der eine Herabsetzung der Schadstoffgrenzwerte in zwei Schritten auf etwa die Hälfte des heutigen Niveaus vorsieht. Wir gehen aber auch davon aus, daß jetzt noch Forschungs- und Entwicklungsprogramme für neue Treibstoffe notwendig werden. Dazu gehören weiter der Erlaß von Verordnungen zur Rückführung von Kohlenwasserstoffdämpfen, die Reduzierung des Benzolgehalts im Treibstoff, eine Begrenzung der CO2-Emissionen für Pkw, die etwa einer Verbrauchsminderung bis zum Jahr 2005 auf 51 pro 100 km gleichkommt. Dies sind ehrgeizige Ziele. Wir werden noch genügend Gelegenheit haben, hier an einem Strang zu ziehen. Beim Schlagwort „Verlagerung von der Straße auf die Schiene" ist manches einzuklagen, wenn es um Maßnahmen geht, Schienenstrecken bei uns zu bauen. ({6}) Wer weiß, in welch geringen Prozentsätzen wir für diese Verlagerung noch Spielraum haben, der weiß, daß es darauf ankommt, neue Trassen zu realisieren. Oftmals sind es dieselben, die uns die Verlagerung ankündigen, mitgehen und dann bei der Neubautrasse an vorderster Stelle gegen diese Neubautrasse protestieren. ({7}) Wenn es um den Entwurf einer Verordnung nach § 40 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geht, so will ich einmal richtigstellen: Es geht darum, daß die Landesbehörden kleinräumige Verkehrsbeschränkungen ergreifen können. Es wird nicht darum gehen - ich sagte dies bereits -, als Parameter Ozongrenzwerte herzunehmen, sondern hier zählen allein Stickoxide und andere Parameter, die uns über die Qualität, über die Verschmutzung in solchen Hochbelastungsgebieten Auskunft geben. Es gäbe eine Fülle von Maßnahmen, die wir dazu auf den Weg gebracht haben. Aber ich will hier schließen, indem ich auf einen Punkt hinweise. Wir müssen im internationalen Bereich vorankommen. Wir drängen darauf, noch in diesem Jahr im Bereich der Europäischen Wirtschaftskommission ein neues Protokoll abzuschließen, nämlich flüchtige Kohlenwasserstoffe um 30 % zu reduzieren. Dies führt natürlich zu der Entlastung, von der ich gesprochen habe. Die Schadstoffkonzentrationen müssen europaweit reduziert werden. Auch das ehrgeizige Ziel, die CO2-Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland um 25 bis 30 % zu reduzieren, trägt dazu in nicht unerheblicher Weise bei. In der Abschätzung bedeutet dies, daß wir die Stickoxidemissionen noch einmal um 30 % reduzieren und, was wichtig ist, die Kohlenwasserstoffemissionen um 60 % zurückgehen werden. In einem können wir sicher sein: Wir werden in unseren Immissionsschutzberichten an den Deutschen Bundestag, in den Daten zur Umwelt den Deutschen Bundestag auch über die Entwicklung des troposphärischen Ozons ausreichend informieren. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 10. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf der Drucksache 12/772 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ursula Fischer, Dr. Hans Modrow und der Gruppe der PDS/Linke Liste Erlassung der Schulden Nicaraguas gegenüber der DDR - Drucksache 12/427 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat unsere Kollegin Frau Dr. Ursula Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag stellt den Antrag, Nicaragua die gegenüber der ehemaligen DDR bestehenden Schulden zu erlassen. Eine generelle Feststellung vorab, um nicht eines ungerechtfertigten Subjektivismus bezichtigt zu werden: Die PDS/Linke Liste vertritt die Ansicht, daß zur wirklichen Lösung der internationalen Verschuldungskrise erstens ein genereller Schuldenerlaß und zweitens eine umfassende Demokratisierung der internationalen Verhältnisse unumgänglich sind. Das betrifft vor allem die internationalen Verteilungs- und Austauschverhältnisse, die in ihrer jetztigen Konstellation Unterentwicklung unüberwindbar machen. Daß ein genereller Schuldenerlaß ein moralisches Muß darstellt, ist ein weiterer Aspekt in unserer Argumentation. Sollten eines Tages alle Völker der sogenannten Dritten Welt mit der berechtigten Forderung nach Reparationsleistungen für fünfhundert Jahre erlittene Ausbeutung und Zerstörung materiellen und ideellen Reichtums an den entwickelten Norden herantreten, müßte Europa ohnehin seine Zahlungsunfähigkeit anmelden. Derweilen hält der Netto-Ressourcen-Rückfluß von Süd nach Nord an, wird noch am Elend der Zweidrittelwelt verdient, und Entwicklungshilfe ist so lohnend, daß sogar die Privatwirtschaft einsteigt, was ich nicht immer für negativ halte. Aus dieser Perspektive ist die notorische Zahlungs- bzw. Schuldenerlaßunwilligkeit des Nordens doppelt verwerflich. Aber zurück zu Nicaragua! Warum gerade Nicaragua? In den entwicklungspolitischen Konzeptionen der Bundesrepublik spielt die Erfüllung von Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Ich will an dieser Stelle nicht über Sinn und Objektivität derartiger Bedingungen und ihre Auslegung polemisieren, sondern auf die konkrete Situation hinweisen, die sich in Nica2678 ragua wie folgt darstellt: Seit den Wahlen im März 1990 bemüht sich die Regierung Chamorro darum, die wirtschaftliche und politische Krise des Landes zu bewältigen. Ohne Hilfe von außen wird dieses Land, das durch Krieg, Wirtschaftsblockade, ökonomische Fehlentscheidungen und Naturkatastrophen total am Boden ist, den eingeschlagenen Weg der Demokratisierung und friedlichen Veränderung nicht weitergehen können. Um aber diese internationale Hilfe zu erlangen, akzeptiert die Regierung die Auflagen internationaler Geldgeber, ohne deren verheerende Wirkung für die breite Masse der Bevölkerung auffangen zu können. Alle sich jetzt abzeichnenden Tendenzen deuten auf eine absolute Verschlechterung der Lage hin.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Dr. Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Bitte.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Herr Kollege Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, vielen Dank dafür, daß Sie die Zwischenfrage zulassen. Würden Sie einräumen, daß Ihre geistigen Vorväter, nämlich die Regierung der DDR, ihrerseits in gewaltigem Maße dazu beigetragen haben, diese von Ihnen zutreffend beschriebene Misere Nicaraguas herbeizuführen? ({0})

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte darauf etwas ausführlicher antworten. Ich bin durchaus der Meinung, daß die ganze Anlage der Entwicklungspolitik, sowohl in Ost als auch in West, unter der damaligen Konstellation zu dieser Lage beigetragen hat. Auch das ist für mich ein Grund, in der Aufarbeitung der Geschichte diesen Antrag zu stellen, weil ich die Lage in Nicaragua erstens am besten kenne und zweitens für sehr gravierend halte. Deshalb tue ich das auch. Die Entwicklungspolitik sowohl in Ost als auch in West war ideologisiert; sie ist es nach wie vor. Ich weiß nicht, ob Sie anderer Meinung sind. Darüber könnten wir uns bei Gelegenheit ja einmal unterhalten. ({0}) Ist denn jemand in der Lage, sich vorzustellen, was zum Beispiel eine Arbeitslosenrate von 46 % bedeutet, von der die Regierung immerhin 30 % zugibt, wenn dazu noch unter den neuen Bedingungen Gesundheitsbetreuung und Bildung jetzt wieder bezahlt werden müssen, wenn auch mit geringen Beträgen, aber doch für die arme Bevölkerung unerschwinglich? Der Vizepräsident der nicaraguanischen Nationalversammlung traf während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik eine treffende, wenn auch niederschmetternde Feststellung. Er sagte sinngemäß: „Wenn all diese Reformen irgendwann greifen, wohlgemerkt, wenn sie greifen, werden fünf bis zehn Jahre vergangen sein. Diese fünf bis zehn Jahre werden Tausende Menschen, vor allem Kinder, das Leben kosten, weil Mittel für Gesundheit und Bildung nicht da sind und nicht da sein werden. Investitionen in Bildung und Gesundheit sind nun mal weder für nationales noch für internationales Kapital lohnend. " Weil Mittel für diese Bereiche nicht zur Verfügung stehen, wächst in Nicaragua bereits heute wieder eine Generation von Kindern heran, die weder lesen noch schreiben können. Eltern müssen ihre Kinder zu Hause sterben lassen, weil sie das Geld für Medikamente nicht aufbringen und die staatlichen Einrichtungen die medizinische Versorgung nicht mehr sichern können. Statt dessen werden von der Regierung bekannterweise selbstzerstörerische Auflagen des IWF und der Weltbank erfüllt, und der Schuldendienst macht nach wie vor den angeblich helfenden Norden noch reicher. Im Land wachsen die sozialen Spannungen. Der mühsam errungene Frieden ist zunehmend gefährdet, und dieser Krieg ging nicht nur von Nicaragua aus. Das Projekt Demokratisierung droht an diesen Auseinandersetzungen zu scheitern. Einer zu erwartenden Ausweitung der Choleraepidemie auf Mittelamerika hat die gesamte Region wenig entgegenzusetzen. In den Armenvierteln Managuas ist bei dem derzeitig desolaten Zustand von medizinischer Versorgung und Infrastruktur und der sich zunehmend verschlechternden Ernährungslage der Bevölkerung die Katastrophe vorprogrammiert. Angesichts dieser Konstellation ist die Vorstellung unerträglich, daß auch die 570 Millionen US-Dollar, die Nicaragua aus der Zusammenarbeit mit der ehemaligen DDR belasten, von einer Regierung eingefordert werden sollen, die erstens in den vergangenen Jahren verschwindend wenig für die nicaraguanischen Menschen getan hat und die zweitens mit ihrer Entwicklungspolitik einen wesentlichen Beitrag zur Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten beabsichtigt. Ein umfassender Schuldenerlaß gegenüber Nicaragua wäre hingegen zumindest ein Hinweis darauf, daß die Bundesregierung bereit ist, die aufgestellten Richtlinien ihrer Entwicklungspolitik mit Leben zu erfüllen. Das wäre für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nunmehr hat unser Kollege Dr. Uwe Holtz das Wort.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Behandlung des Nicaragua-Antrags im Plenum, wenn auch nicht vor vollem Hause, macht deutlich: Wir vergessen Nicaragua nicht. Das zentralamerikanische Land befindet sich in einer katastrophalen wirtschaftlichen Situation. Sie ist auf die negativen internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auf den jahrelang von außen mit angeheizten Bürgerkrieg, aber auch auf eine in vielen Bereichen falsche Wirtschaftspolitik des Landes und auch auf die von der Bundesrepublik mit betriebene Sanktionspolitik zurückzuführen. In jüngster Zeit wurde diese katastrophale Situation noch durch ausbleibende Hilfen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern verschärft. Bei ihren Besuchen in der Bundesrepublik haben sowohl der ehemalige Präsident Daniel Ortega als auch die neue Präsidentin Chamorro die Bundesrepublik um finanzielle und technische Zusammenarbeit sowie um Schuldenerleichterungen gebeten. Wir müssen in der Entschuldungsfrage in der Tat weiterkommen. Dabei sind wir Sozialdemokraten jedoch nicht für eine pauschale Streichung der Schulden gegenüber allen Ländern, weil wir nicht wollen, daß etwa Diktatoren davon dann noch profitieren können. ({0}) Im Februar dieses Jahres hatte Hans-Jochen Vogel der Präsidentin zugesagt, daß die SPD deutsche Hilfsleistungen an Nicaragua unterstützen werde. Er verwies auch darauf, daß wir wiederholt die Wiederaufnahme der vollen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gefordert haben; außerdem müsse es in einer Zeit, in der für den Golfkrieg Milliarden innerhalb kürzester Zeit bereitgestellt würden, auch möglich sein, für die Festigung der Demokratie und die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Nicaragua einen maßgeblichen Beitrag zu leisten. ({1}) Die Verschuldung Nicaraguas hat, wie in ähnlich gelagerten Fällen in anderen Entwicklungsländern, nicht nur wirtschaftliche und finanzielle Bedeutung, sondern auch eine politische Dimension: Sie gefährdet die politische Stabilität und die demokratische Entwicklung und blockiert den sozialen Fortschritt. Deshalb kommt der Entschuldung eine hohe Bedeutung zu. Wir vertreten zu dem vor uns liegenden Antrag folgende Auffassung: Erstens. Die Regierung des vereinten Deutschlands kann sich ihrer Verantwortung gegenüber Nicaragua nicht entziehen. Dies gilt auch für den Bereich der Entschuldung. Zweitens. Wir halten es für falsch, bei der Frage der Verschuldung und dementsprechenden Lösungen nur von den Schulden auszugehen, die Nicaragua gegenüber der ehemaligen DDR hat. Hier muß es zu einer Regelung für die Gesamtschulden kommen. ({2}) Drittens. Wir erwarten, daß die Bundesregierung einen mutigen Schritt nach vorne wagt. Dabei muß sie wissen: Schulden teilweise oder gar vollständig zu erlassen ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern oft auch ein Akt der Vernunft. Eine neue Qualität der Entschuldungsregelungen ist kürzlich im Falle Polens und Ägyptens gefunden worden, bei zwei Ländern, die, wie Nicaragua, der mittleren Einkommensgruppe zuzurechnen sind. Ausdrücklich haben die Industrieländer - auch die Bundesrepublik - bei dieser Regelung von politischen Gründen gesprochen. Leider besteht bei der Bundesregierung nicht - noch nicht? - die Absicht, diese Regelung auf andere Länder auszudehnen. Wir meinen jedoch: Die Beispiele Polens und Ägyptens sollten in vergleichbaren Fällen Schule machen. Es gibt gute politische Gründe, die für eine dementsprechende Entschuldung auch Nicaraguas sprechen. ({3}) Viertens. Die notwendige Entschuldung Nicaraguas sollte mit der Erwartung verbunden werden, daß Nicaragua zukünftig eine Entwicklungsstrategie verfolgt, bei der das Kapital produktiver verwandt wird, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden und ein sich selbst tragender, menschenwürdiger, sozialer und ökologisch verträglicher Entwicklungsprozeß in Gang gesetzt wird. ({4}) In jedem Fall muß die Bevölkerung Nicaraguas vor einem Rückfall in die Zeiten des Somoza-Regimes geschützt werden. Die Landreform sollte nicht rückgängig gemacht werden, und die Alphabetisierung ist voranzutreiben. ({5}) Dementsprechende Strukturanpassungsprogramme von Internationalem Währungsfonds und Weltbank dürfen nicht eine wirtschaftliche und monetaristische Schlagseite haben. Sie müssen die soziale, die menschliche und die ökologische Dimension mitsehen. Ich komme zum Schluß. Fünftens. Wir warnen davor, Herr Präsident, isoliert nur Nicaragua als Entschuldungsfall zu sehen, und fordern die Bundesregierung auf, endlich allgemeine Regeln für ein innovatives Konzept von Schuldenlösungen für hochverschuldete Entwicklungsländer vorzulegen, das dann von Fall zu Fall angewendet wird. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Werner Zywietz.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint außer Zweifel zu sein, daß Nicaragua nach den demokratischen Wahlen des letzten Jahres die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland und anderer Staaten braucht, damit keimende Demokratie und keimende ökonomische Entwicklung in diesen zwischen Nord- und Südamerika gelegenen sieben Brückenstaaten für die friedliche Entwicklung positive Auswirkungen haben. Ich glaube, insoweit - das könnte ich mir jedenfalls denken - kann hier im Hause zwischen den wesentlichen Fraktionen Übereinstimmung bestehen. ({0}) - Zu Ihnen komme ich noch; denn ich muß sagen: Ich habe mir ein paar Mal Ihren Antrag nachdenklich angeschaut. Einer doch sehr heuchlerischen und dop2680 pelgesichtigen Aufmachung kann man sich nicht entziehen. Natürlich verdient Nicaragua Hilfe, wie ich sagte. Sie, Kollegin Fischer, sprechen hier aus persönlicher Betroffenheit. Ich habe nachgelesen, daß Sie in diesem Land einige Zeit gearbeitet haben. Aber der Ex-Ministerpräsident der früheren DDR, Dr. Hans Modrow, der diesen Antrag mitunterzeichnet hat, ist nicht hier, obwohl er während seiner verantwortlichen Regierungszeit genau das hätte tun können, was Sie hier einfordern. Sie tun dies in einer seltsamen Penetranz, als hätte eine Wiedervereinigung gar nicht stattgefunden. Sie sprechen hier nur von den „Schulden Nicaraguas gegenüber der DDR", das in einem Antrag vom 25. April 1991. Das macht mir deutlich, daß bei Ihnen im Kopf eine Wiedervereinigung eigentlich noch gar nicht stattgefunden hat und daß Sie - das ist eigentlich das Peinliche an diesem Antrag - als die Brandstifter der Vergangenheit hier auftreten und in die Rolle der Biedermänner schlüpfen, als hätte Ihnen das Schicksal Nicaraguas schon immer besonders am Herzen gelegen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Zywietz, es gibt zwei Bitten um Zwischenfragen. Gestatten Sie diese?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. Sehr gerne sogar.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Weiß, Sie hatten sich zuerst gemeldet. Bitte sehr.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich habe eine Nachfrage, die sich auf etwas bezieht, was schon etwas zurückliegt. Sie befleißigten sich, das Hohe Haus in wesentliche und unwesentliche Fraktionen zu unterteilen. Könnten Sie mir vielleicht einmal deutlich machen, nach welchen Gesichtspunkten Sie diese Unterscheidung vorgenommen haben ({0}) und aus welchem Wählerverhalten Sie das schließen würden?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das will ich gerne tun, Herr Kollege. Wenn in diesem Hause ein Antrag mit dem Datum 25. April 1991 eingebracht wird, dann kann es sich nur um Schulden der Bundesrepublik Deutschland handeln und nicht um Schulden der DDR; denn in der Rechtsfolge gemäß Einigungsvertrag und dem, was zwischenzeitlich stattgefunden hat, sind das übernommene Schulden. Das ist die Rechtslage. Wer hier auftritt und so tut, als gehe es hier um spezielle Schulden der DDR, der hat ergo die letzten Monate geschichtlich verpaßt. Ich vermisse die Gesamtverantwortung. Hier wird nur eine Teilbetrachtung des Problems vorgenommen. Da, meine ich schon, ist zwischen wesentlichen und unwesentlichen Fraktionen zu unterscheiden, und zwar zwischen denen, die Gesamtverantwortung wahrnehmen oder sie wahrzunehmen sich bemühen, und denen, die das nicht tun. Da schaue ich zu der linken Seite des Hauses und erwarte gern die folgende Frage.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Fischer, bitte.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es ist an dieser Stelle von einem Redner einmal über die Wirkung von Worten gesprochen worden. Ich möchte Sie bitten, darüber einmal nachzudenken. Meine Frage: Ist Ihnen bekannt, daß von dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Volkskammer, von Minister Ebeling damals ein genereller Schuldenerlaß gegenüber der DDR gefordert worden ist und daß das von Theodor Waigel nicht anerkannt worden ist?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das machen Sie jetzt auch. Sie wollen sich jetzt sozusagen in die BiedermannRolle begeben und andere die Verantwortung übernehmen lassen. Sie hätten das alles früher tun können. Sie haben in der früheren DDR aber nur Umschuldung vorgenommen; so habe ich es gelesen. Die Zahlungen sollten eigentlich erst 1994 beginnen - ich habe mich in die Sache schon eingearbeitet -; nur, davon ist hier nicht die Rede. Sie haben an Nicaragua Waffen geliefert; Sie haben mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. ({0}) - Das alles ist doch authentisch. ({1}) Das kann ich zu Protokoll geben; ich kann es auch zitieren, wenn Sie es wollen. ({2}) Das ist authentisch: ,,... beklagt sich öffentlich über Vertragsbrüche der DDR wegen der Einstellung der Zusammenarbeit zwischen beider Staatssicherheitsdiensten. " - Diese Passage habe ich aus den Unterlagen entnommen. Also leugnen Sie nicht die vielleicht nicht in allen, aber in wesentlichen Teilen schlimme Verantwortlichkeit, die Sie dort für zehn Jahre zu übernehmen haben. Sie sprechen lieber von den letzten 500 Jahren und der großen Geschichte im allgemeinen, um Ihre Verantwortung für die letzten fünf oder zehn Jahre vergessen zu machen. So kommen Sie hier nicht durch die Maschen der geschichtlichen Betrachtung. ({3}) Hier wird das Gesamte verantwortet. ({4}) - Langsam, immer eins nach dem anderen, so wie im Emsland die Klöße gegessen werden; nicht alles miteinander vermischen! ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Zywietz, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In den zwei Minuten, die ich noch habe, stelle ich nur fest, daß Ihre Vergangenheit ({0}) mit der Verantwortung, die Sie da tragen, nicht die rühmlichste ist. Das ist in zwei Minuten hier leider nicht auszuführen. Aber ich stehe zu der Behauptung, die ich an anderer Stelle gerne belege. ({1}) Aber das wird für Sie nicht sehr gemütlich sein. Ich sage hier: Wir wissen, daß Nicaragua für ein wirtschaftlich und demokratisch prosperierendes Mittelamerika eine große Bedeutung hat. Wir werden unsere Kräfte und Bemühungen zusammennehmen, um bilateral und aktiv dieses Land zu unterstützen. Davon ist in Ihrem Antrag überhaupt keine Rede. Sie konzentrieren sich nur auf Ihre eigenen Altschulden. Alles andere scheint Ihnen egal zu sein. Wir setzen finanzielle Hilfe ein, wir setzen bilaterale technische Hilfe ein, und wir werden auch über Schuldenerleichterungen und Schuldenerlasse im Zusammenhang mit den Gläubigerstaaten zu reden haben. Die Welt ist gerade im Bereich der Entwicklungshilfe nun einmal sehr multinational. Sie können nicht gegenüber Gläubigern so auftreten, als gebe es allein gegenüber der Ex-DDR oder gegenüber der Bundesrepublik Schulden. Auch gegenüber England, Frankreich und Oststaaten bestehen Schulden. Das muß im Paket behandelt werden und darf nicht in einer so isolierten und einseitigen Weise gesehen werden, die Ihre vergangene Verantwortung total außer acht läßt, wie es aus diesem Antrag hervorgeht. Deswegen, sage ich Ihnen, bekennen wir uns zu unserer stützenden und aufbauenden Rolle, die das neue Nicaragua verdient. Wir sagen auch ganz deutlich, daß Sie etwas mehr in sich kehren sollten und sich Ihre Vergangenheit einmal etwas distanzierter und, wie ich meine, etwas ehrlicher gegenüber diesem Land und vor allem seiner Bevölkerung vor Augen führen sollten. Die Beziehung zwischen der DDR und Nicaragua war kein Ruhmesblatt. Sie haben einen sozialistischen Staat sozusagen in den Bankrott getrieben und haben einen zweiten fast noch mit hereingezogen. Daß Sie sich dann hier in dieser belehrenden pädagogischen Art hinstellen und solche Anträge stellen, ist von einer besonderen Frivolität. Ich sage: Wir werden helfen; aber Sie als Ratgeber in dieser Form brauchen wir nicht. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat jetzt unser Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zywietz, ich bedauere, daß die Diskussion über das wichtige Anliegen, das hier verhandelt werden sollte, so in persönliche Angriffe gegen die Kollegin Fischer, die in Nicaragua ehrlich als Ärztin gearbeitet hat, ausgeartet ist. ({0}) Ich bin der Auffassung, daß dieser Antrag der PDS - Sie werden mich sicher nicht der Freundschaft mit der PDS bezichtigen - eine Forderung beinhaltet, die zu begrüßen ist. Es geht wirklich darum, nicht global Schulden zu erlassen, sondern für ein konkretes Land Schulden zu erlassen, die auf Leistungen der DDR beruhen. Wir wissen, Nicaragua steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, die von Koordinationsminister Antonio Lacayo mittels einschneidender Spar- und Sanierungsmaßnahmen bekämpft wird. Derartige wirtschaftliche Roßkuren sind erfahrungsgemäß mit hohen sozialen Kosten und Risiken verbunden und leisten der politischen Polarisierung im Lande weiteren Vorschub. Auch für 1991 kann die Regierung in Managua nicht mit einem Wirtschaftswachstum rechnen, sondern allenfalls mit einem Ende des langjährigen und gefährlichen wirtschaftlichen Schrumpfungsprozesses. Kurzfristige Überbrückungsdarlehen, wie sie dem Land zugesagt sind, gewähren Nicaragua wieder Zugang zu den Entwicklungskrediten im Sinne von Bretton Woods und von anderen internationalen Institutionen. Doch Maßnahmen der Umschuldung und Neuverschuldung verzögern das Problem nur, lösen es aber nicht. Neue Kapitalströme, die aus multilateralen Quellen nach Nicaragua fließen könnten, müßten zum Teil wieder zur Rückzahlung der soeben vereinbarten dreimonatigen Überbrückungskredite verwendet werden. Die Verschuldung Nicaraguas aus von der DDR gewährten Krediten beträgt gegenwärtig rund 570 Millionen US-Dollar. Nach mehrfacher Umschuldung sind 450 Millionen US-Dollar am 1. Januar 1994 fällig. Im Zeitraum von 1990 bis zum Jahr 2000 sind rund 120 Millionen US-Dollar zu begleichen. Davon sind allein aus dem Jahre 1990 rund 27,2 Millionen US-Dollar überfällig. 1991 hätte Nicaragua 13 Millionen US-Dollar zu zahlen. All das sind Belastungen für dieses Land, die unerträglich sind. Nach der Beurteilung der Bundesregierung, die bei ihrer Bewertung die Richtlinien des DAC zugrunde legt, sind alle Leistungen der ehemaligen DDR im Rahmen der gewährten Kredite nicht als Entwicklungshilfe einstufbar. Ich teile diese Einschätzung ausdrücklich nicht. Dennoch wird der Aufbau Nicaraguas durch Kredite belastet, die nicht alle der Entwicklung des Landes dienten und die nicht von der demokratischen Regierung unter Präsidentin Chamorro zu verantworten sind. In meinen Augen ist es daher nicht nur politisch fragwürdig, sondern auch aus ethischen und humanistischen Erwägungen heraus unerträglich, wenn Deutschland heute von Aktivitäten der ehemaligen DDR profitiert, die mit der Wert- und Rechtsordnung des Grundgesetzes vielfach nicht im Einklang standen. Auch aus diesem Grunde habe ich der Präsidentin Nicaraguas unlängst bei ihrem Besuch in Deutschland versprochen, mich für eine Streichung dieser Schulden einzusetzen. Ich bitte das Hohe Haus, der Bundesregierung die Streichung dieser Schulden aufzutragen. Dies wäre ein wirksamer Beitrag Deutschlands zur Unterstützung einer jungen demokratischen Regierung und ein wirklicher Erweis der Solidarität mit dem Volk von Nicaragua. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld zu später Stunde. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Unser Kollege Klaus-Jürgen Hedrich möchte seine Rede zu Protokoll geben. Ich denke an das, was wir im Laufe des Abends vereinbart haben, und bitte um Ihre Zustimmung. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.*) Damit ist die Aussprache beendet. Nunmehr hat gemäß § 30 der Geschäftsordnung unsere Kollegin Frau Ursula Fischer das Wort.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte an dieser Stelle eine persönliche Erklärung abgeben, weil ich es auch zur Verbesserung der Kultur dieses Hauses und der Art und Weise, wie hier miteinander umgegangen wird, für nötig halte. Diese bestürzen mich doch immer wieder sehr. Ich bin ganz persönlich von Ihnen angesprochen worden. Sie haben „Sie" gesagt; Sie haben das nicht im übertragenen Sinne gemeint. Sie sollten sich vielleicht Leute einmal besser ansehen. Ich finde es um so bedauerlicher, daß gerade in diesem Bereich derart polemisiert wird. Ich weiß nicht, ob Ihnen die ganzen Dinge, die ich vorgetragen habe, bekannt sind, unter anderem, daß der entsprechende Ausschuß in der damaligen DDR beschlossen hatte, die Schulden zu streichen. Das ist nicht genehmigt worden. Das scheint Ihnen offensichtlich nicht bekannt gewesen zu sein. Ich habe aber noch etwas anderes dazu zu sagen. Es ging mir - das habe ich am Anfang gesagt - nicht allein um Nicaragua. Es ging vielmehr um einen An- *) Anlage 8 fang, und einen solchen wollte ich an dieser Stelle machen. Ich möchte Sie jedoch auch fragen, ob Ihnen bekannt ist, wer die Häfen in Nicaragua damals vermint hat und was die Contras gemacht haben. Ich hatte z. B. Kinder in der Sprechstunde, die nicht mehr gesprochen haben, weil die Mutter in Anwesenheit der fünf Kinder von den Contras auf eine Mine gesetzt worden ist. Solche Sachen habe ich erlebt. Ich möchte wissen, wie Sie das bewerten. Es liegt nicht immer nur an einer Seite. Ich möchte noch eines sagen: Wenn sich jeder Bürger der BRD dafür verantworten müßte, was meinetwegen jetzt im Golfkrieg mit Giftgasfabriken usw. passiert ist, dann ist hier, wenn das eines Tages aufgerollt wird, auch jeder dafür verantwortlich. Auch ich bin jetzt dafür verantwortlich, weil ich jetzt im vereinigten Deutschland lebe. Sie haben gesagt, ich hätte die Vereinigung noch nicht im Kopf. Ich frage mich angesichts der Situation im Osten, wie ich das vollkommen verarbeiten kann. Ich habe überhaupt keine Idee, wie Sie mit der Mentalität, mit der anderen Entwicklung, die wir nun einmal 40 Jahre lang durchgemacht haben, umgehen. Auch Sie hätten 1952 auf dem Gebiet der DDR geboren worden sein können. Ich weiß nicht, wie Sie sich entwickelt hätten. Von dem Standpunkt aus sollten Sie das auch einmal betrachten, und zwar in aller Ruhe. Ich halte es für unerträglich, wie hier mit Worten umgegangen wird. Ich bitte Sie, in Zukunft solche Anwürfe zu unterlassen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Zywietz, was möchten Sie? ({0}) - Bitte sehr.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich möchte nur feststellen, daß ich in meinem Redebeitrag bis auf die Erwähnung der Berufstätigkeit der Kollegin in Nicaragua keine persönlichen Anwürfe gemacht habe, sondern mich ausschließlich mit der politischen, parteilichen Wertung dieser Thematik beschäftigt habe. Ich habe mich in keinster Weise persönlich eingelassen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich nehme an, Herr Kollege Zywietz, daß das, was Sie jetzt erklärt haben, auch so zu verstehen ist, wie Sie es jetzt gesagt haben, daß, selbst wenn etwas vorgekommen ist, dies keine Absicht war. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt. Vizepräsident Helmuth Becker Interfraktionell ist vereinbart worden, die Vorlage in Abweichung von dem in der Tagesordnung auf geführten Überweisungsvorschlag wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß, zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß, an den Auswärtigen Ausschuß sowie an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kann ich Ihr Einverständnis dazu feststellen? - Das ist der Fall. Ich rufe nun Punkt 13 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/ Linke Liste Aufnahme des grünen Pfeils in die Straßenverkehrsordnung - Drucksache 12/728 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit Fünfminutenbeiträgen für jede Fraktion vereinbart worden. In der Zwischenzeit haben aber alle Redner ihre Reden zu Protokoll gegeben. Da wir von der Geschäftsordnung abweichen, bitte ich auch hier um Ihre Zustimmung. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. *) Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/728 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuß vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 14 des Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991 ({0}) - Drucksache 12/732 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1}) Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich stelle fest, daß interfraktionell vorgeschlagen worden ist, auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Ich muß aber Ihre Zustimmung dazu erbitten, weil wir wiederum von der Geschäftsordnung abweichen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. **) Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/732 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit *) Anlage 9 **) Anlage 10 einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun Zusatzpunkt 10 der Tagesordnung auf : Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Walter Franz Altherr, Hans-Dirk Bierling, Wolfgang Börnsen ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Uwe Holtz, Norbert Gansel, Rudolf Binding, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN Westsahara-Friedensplan der Vereinten Nationen - Drucksache 12/798 Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Wer wünscht das Wort? - Das Wort wünscht der Abgeordnete Dr. Uwe Holtz, und ich erteile es ihm. Bitte sehr.

Prof. Dr. Uwe Holtz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000948, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, daß es interfraktionell gelungen ist, das Thema Westsahara noch in dieser letzten, für uns alle so bedeutsamen Sitzungswoche vor der Sommerpause auf die Tagesordnung zu setzen und zu wichtigen Punkten eine gemeinsame Position zu entwickeln. Daß es jetzt mit Zustimmung der beiden Konfliktparteien, dem Königreich Marokko und der Frente Polisario, zu einem Selbstbestimmungsreferendum in der Westsahara kommen wird, ist vor allem der UNO und ihrem Generalsekretär Perez de Cuellar zu verdanken. Der Deutsche Bundestag würdigt ausdrücklich diese positive Arbeit und stellt sich hinter den Westsahara-Friedensplan. Mit seiner Verwirklichung kann endlich der seit 1975 andauernde und von der Weltöffentlichkeit weitgehend vergessene Krieg in dieser Region beendet und ein weiteres Kapitel der Dekolonisierung Afrikas abgeschlossen werden. Deshalb wird mit diesem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, sowohl von sich aus als auch auf EG-Ebene auf eine rasche und vollständige Verwirklichung des Friedensplans für die Westsahara zu drängen und sich sowohl finanziell an der vorgesehenen UNO-Mission zu beteiligen als auch qualifiziertes Personal für deren zivile Aktivitäten zur Organisation und Durchführung des Referendums zur Verfügung zu stellen. Wir fordern die Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, daß das Referendum wirklich frei und fair stattfindet. Die Sahraouis haben über die Frage zu entscheiden, ob sie die Unabhängigkeit oder die Eingliederung in das Königreich Marokko wünschen. ({0}) Die Bundesregierung sollte sich z. B. eindeutig dagegen wenden, daß von marokkanischer Seite bereits jetzt entgegen den Bestimmungen des UNO-Frie2684 densplanes mit Wahlkampfaktivitäten begonnen worden ist. Außerdem sollte sie den deutschen Botschafter in Marokko zur Ordnung rufen, der kürzlich vor der Presse in Marokko zugunsten eines positiven Ausgangs des Referendums für Marokko Stellung bezog und damit, wie ich meine, die diplomatisch gebotene Zurückhaltung vermissen ließ. Außerdem fordern wir in dem interfraktionellen Antrag die Bundesregierung auf, ihre Beziehungen zur marokkanischen Regierung dahin gehend zu nutzen, daß diese mit der UNO-Mission in der Westsahara kooperiert und wie die Frente Polisario förmlich erklärt, jedes mögliche Resultat des Referendums akzeptieren zu wollen. Wir begrüßen die Erklärungen hochrangiger Vertreter der Frente Polisario, daß diese für ein offenes, demokratisches und politisch rechenschaftspflichtiges System steht und sich den universell akzeptierten Prinzipien der Menschenrechte verpflichtet weiß. Wir Sozialdemokraten bedauern, daß es nicht möglich war, in diesem gemeinsamen interfraktionellen Antrag folgende zwei klare Aussagen aufzunehmen, nämlich die, daß jede Ausstattungs- bzw. Ausrüstungshilfe an Marokko zumindest so lange einzustellen ist, bis der UNO-Friedensprozeß in der Westsahara zum Abschluß gekommen ist, und daß sich die Bundesregierung nicht länger offiziellen Kontakten mit der Frente Polisario verschließt. Es ist mit der von der Bundesregierung immer wieder dargestellten Neutralität in diesem Konflikt unvereinbar, wenn sie die marokkanische Seite mit Ausrüstungs- oder gar Militärhilfe unterstützen würde. ({1}) Wir können nur hoffen, daß sie hier internationales Verantwortungsgefühl an den Tag legt und die Finger davon läßt. Nach den 15 Jahren Krieg braucht das geschundene Land nicht nur Frieden, sondern auch eine Zukunftsperspektive. Dazu gehört, daß sich die internationale Gemeinschaft wie auch die Bundesrepublik Deutschland an dem Wiederaufbau beteiligt. Wir Abgeordneten sollten selbst versuchen, einen Beitrag zu leisten, um sicherzustellen, daß durch offizielle Beobachterdelegationen sowohl auf Bundestags- als auch der Ebene der Parteien, die in die Westsahara entstandt werden, dazu beigetragen wird, daß das freie und faire Referendum dann wirklich auch so ablaufen kann. Ich bitte alle hier im Saal um Zustimmung zu dem Antrag. Besten Dank. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat das Wort Herr Dr. Köhler.

Dr. Volkmar Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001154, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sprechen über ein Gebiet, dessen Besiedlung noch etwas dünner ist als die Anwesenheit im Deutschen Bundestag an diesem Abend bei der Behandlung dieses Gegenstandes. ({0}) Wir sprechen über einen Antrag, dem auch meine Fraktion zustimmt, obwohl, verehrter Kollege Holtz - das wird Sie nach den vielen Jahren, in denen wir dieses Thema miteinander traktiert haben, nicht verwundern -, ich mindestens in einigen Nuancen nicht dem folgen kann, was Sie hier im einzelnen gesagt haben. Trotzdem glaube ich, daß die Intention überwiegend so ist, daß wir die Sache gemeinsam tragen können. Der Friedensplan der Vereinten Nationen vom 29. April 1991 hat in der Tat allseitige Zustimmung gefunden. Er soll und muß durchgeführt werden. Dazu gehört auch ein freies und faires Referendum. Ich möchte das Augenmerk noch darauf lenken, daß eine der entscheidenden Fragen dabei ist, von welcher Bevölkerungszählung, also von welcher Zahl der Stimmberechtigten, man ausgeht. Dafür sollte sich auch die Bundesregierung noch speziell interessieren. ({1}) - Ja. Dieser Krieg verzehrt seit 16 Jahren eine Fülle von Kräften - seit dem grünen Marsch 1975 ist das so -, die dringend für wirklich andere Aufgaben genutzt werden müßten - im gesamte Raum des Maghreb. Auch wenn die Bundesregierung - das gilt für alle Bundesregierungen - stets eine formale Neutralität in dieser Angelegenheit betont hat, meine ich doch, daß jetzt alles durch uns und die Europäische Gemeinschaft getan werden sollte, um diese unerträgliche Belastung der Situation des Maghreb endlich zu beseitigen. Deswegen teile ich auch ausdrücklich die Forderung nach einer aktiven Unterstützung des Referendums und der Mission der Vereinten Nationen, die ich wie Sie begrüße; denn es wird dringend Zeit, daß ein größerer Maghreb aufgebaut wird und die Störfaktoren fallen. Der Ballast dieses Sahara-Krieges ist in höchstem Maße überflüssig und anachronistisch und muß fallen. ({2}) Wir haben es in Wahrheit mit Ländern und Völkern zu tun, in denen über 50 % der Menschen jünger sind als 20 Jahre. Für sie ist entscheidend, wie sie Behausung bekommen, Ausbildung bekommen, wie sie Arbeit bekommen. Darauf haben sich alle Anstrengungen zu konzentrieren. Das hat auch uns zu interessieren; denn die Wanderungsbewegung von dort führt nicht nur an unsere Pforten in Europa, sondern sie ist schon in Spanien, Frankreich, Italien spürbar. Deswegen geht uns das eine ganze Menge an. Es geht nicht nur um das soziale Problem dieser jungen Generation, sondern auch um die Frage unseres Zusammenlebens an beiden Küsten des Mittelmeeres. Wir werden reagieren müssen und dürfen uns dem nicht länger entziehen. Marokko, so fordert dieser Antrag, soll voll und ganz kooperieren. Die Polisario habe dies zugesagt. Dr. Volkmar Köhler ({3}) Ja. Trotzdem ist das für mich ein Anlaß, noch einmal ganz kurz die Interessenlage aller Beteiligten zu beleuchten: Marokko - Sie werfen vor, daß man dort schon Wahlkampf mache; anzunehmen, daß das nicht geschehe, wäre vielleicht doch ein bißchen weltfremd ({4}) ist immerhin dabei, seine Truppen nach dem UNO-Plan zu kantonieren, erfüllt also in dieser Hinsicht den UNO-Plan bereits jetzt. Ich halte es für begrüßenswert, daß am Ende des Ramadan König Hassan II. eine Amnestie ausgerufen hat. Ich meine, es sind noch mehr Wunden zu heilen. Ich würde hier gern in aller Form darum bitten - wenn es denn den König Marokkos erreichen mag - , den Festtag des 9. Juli zu einer weiteren und weiterreichenden Amnestie zu nutzen, um die Wunden weiter heilen zu helfen. Ich verkenne nicht, daß die innenpolitischen Spielräume für die marokkanische Regierung und für den König durchaus limitiert sind. Es sind in Marokko verschiedene Kräfte, auch bis zu ganz linken Parteigruppierungen hin, ({5}) die in der Sahara-Frage nach wie vor eine unversöhnliche Haltung einnehmen. Der König ist hier nicht völlig unabhängig, und die sozialen Unruhen im Lande verschärfen dieses Klima für ihn noch. Wenn wir hier Politik mit der Hoffnung auf Zielerreichung treiben wollen, müssen wir auch diese realen Fakten sehen. Auch die Handlungsmöglichkeiten Algeriens als eines zweiten entscheidenden Faktors in diesem Spiel sind durch die inneren Wirren des Landes begrenzt. Algerien hat die Bewegungsfreiheit der Polisario durch verschiedene Maßnahmen ein Stück vermindert. Die Benzinlieferungen Algeriens an die Polisario reichen nicht mehr aus, um das schwere Gerät zu bewegen; aber andererseits ist die Polisario auch kein passives Objekt in diesem Spiel algerischer Politik. Es gibt inzwischen Pressemeldungen, von denen ich hoffe, daß sie nicht zutreffen, daß die Polisario angefangen hat, islamistische Kampfgruppen in Algerien auszubilden. Dies wäre, wenn es stimmte, schlimm. Es gibt vor diesem Hintergrund neben dem Prozeß, den die Vereinten Nationen eingeleitet haben, Bemühungen um Vorabsprachen, wobei wir nicht genau wissen, was alles vor drei Wochen in Oran zwischen Marokko und Algerien verhandelt worden ist. Ich neige zu der Vermutung, daß die begrenzte Handlungsfähigkeit Algeriens im Moment solche Absprachen durchaus begrenzt hat. Aber man kann zuweilen den Eindruck haben, daß Algerien und Marokko, weil sie ein intensives Auftreten der Vereinten Nationen in ihrem Gebiet als ihrem Prestige abträglich und vor ihren Völkern als Fremdbestimmung betrachten müßten, beide bemüht sind, das Problem schon so weit vorab zu regeln, daß das Referendum eigentlich nur noch eine Formaletüde und eine Art formaler Schlußpunkt sein könnte. Ich möchte hier in aller Freundschaft sagen, daß ich glaube, daß es für ein solches Spiel zu spät ist. Die Angelegenheit hängt vor der Öffentlichkeit der Weltorganisation der Vereinten Nationen an, und so, wie wir an anderer Stelle nicht dulden können und dulden werden, daß die Vereinten Nationen geschwächt werden, so können wir es auch hier nicht. Wir müssen auch unseren Freunden raten: Für eine dauerhafte Lösung des Problems vor der Weltöffentlichkeit ist ein Unterlaufen der Vereinten Nationen und ihres Friedensplanes unerträglich. Wenn ich auf den gesamten Maghreb schaue, so stelle ich doch einige positive und mich ermutigende Anzeichen fest. Niemand ist zu sehen, der nun nicht endlich zu einem Ausgleich strebt. Allerdings muß ich auch sagen, daß ich kaum einen Staat erkenne, der die Gründung eines neuen Teilstaates in dieser Ära ernstlich will. Wir wollen, daß am Ende ein dauerhafter Frieden steht, und dazu, verehrter Kollege Holtz, geht mir der Text hinter dem letzten Spiegelstrich des Antrags, wie wir ihn jetzt vorliegen haben, der den Wiederaufbau der Westsahara fordert - sprachlich ein etwas zu hinterfragender Satz - , nicht weit genug. Ich meine, der Gedanke muß weiterreichen. Was wird aus denen, die bei dem Referendum unterliegen werden? Nehmen wir einmal an, was ja nicht sicher ist, daß nicht die Polisario, sondern die Marokko-Befürworter die Mehrheit bekommen. Wie werden dann die, die nicht für Marokko votiert haben, sich gegenüber Algerien einstellen, das sie nach ihrer Meinung im Stich gelassen hat? Anders werden Sie es kaum werten können. Wird es für solche Gruppen zu einem Exodus nach Mauretanien kommen? Kann dieses Land, das gerade nur mühsam ein bißchen aufkeimende Stabilität gewinnt, so etwas tragen, ohne destabilisiert zu werden? Wir müssen weitere Dinge ins Auge fassen, und dazu gehört, daß wir es nicht geringachten und einfach verwerfen können, daß die überragende Mehrheit der Stammesführer in der Westsahara erst jüngst wieder König Hassan II. gehuldigt hat. Darunter waren zwar auch die Führer vieler kleiner Stämme, aber man muß auch erkennen, daß diese kleinen Stämme mit Sorge und einer gewissen Angst auf das Geschehen bei der Polisario schauen, die zu einem wesentlichen Teil einen Großstamm repräsentiert, mit dem die anderen Schwierigkeiten des Zusammenlebens haben. Das zeigt gerade das Problem. Es gibt auch eine Furcht der kleinen Stämme vor dem, was da kommt. Einfach nur vom Volk der Westsahara zu sprechen wird den Tatsachen und Spannungsverhältnissen nicht voll gerecht. ({6}) Um wirklich Frieden zu stifen, wird man über Modelle der Regionalisierung sprechen müssen, vielleicht sogar über föderative Konstruktionen. Hier sind neue Formen der Ansässigkeit und des Zusammenlebens zu schaffen. Ich finde es bemerkenswert, daß es, ausgelöst von König Hassan, seit zwei Jahren eine Diskussion in Marokko über die Frage des Föderalismus - mit deutlichem Blick auf den Föderalismus der Bundesrepublik - gibt. Das ist eine Herausforderung, in dieser Diskussion dienlich zu sein und weiter solche Gedankengänge zu unterstützen. Dr. Volkmar Köhler ({7}) Meines Erachtens geht unser Interesse und unsere Verpflichtung über die formale Einhaltung des UN-Friedensplanes und die Abhaltung des Referendums ein gutes Stück hinaus. Wir sollten auch hier versuchen, nicht nur den Krieg zu beenden, sondern den Frieden zu gewinnen. Ich danke Ihnen. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als letzter Redner des heutigen Tages hat der Kollege Ulrich Irmer das Wort.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Nachdem der Kollege Köhler hier in sehr profunder und sorgfältiger Weise die Situation in der Westsahara geschildert hat, kann ich mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Erstens. Ich freue mich darüber, daß wir hier erneut einen Fall haben, in dem die Vereinten Nationen ihrer Rolle gerecht werden, nämlich da, wo es Ärger gibt, da, wo es Krieg gibt, da, wo es Schwierigkeiten gibt, vermittelnd einzugreifen und einen Plan vorzulegen, auf den sich dann alle Streitparteien verständigen können und der wirklich zur Befriedung der Lage beitragen möge. Zweitens. Wir kennen Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Marokko. Marokko hat nicht den besten „record" in Menschenrechtsfragen. Ich nehme diese Gelegenheit gerne wahr, anzumahnen, daß das Königreich Marokko sich bitte stärker der Wahrung der Menschenrechte verpflichten möge und auch Appellen von uns aufgeschlossener gegenübertreten möge. Wir bekommen ja die Berichte von amnesty international. Ich meine wirklich, daß Marokko ein wichtiger Partner ist, daß es aber eben aus dieser Partnerschaft auch Verpflichtungen gibt, sich in der Zukunft gerade in Menschenrechtsfragen besser zu verhalten, als es in der Vergangenheit leider der Fall war. Drittens. Die Polisario ist eine Organisation, die in den ideologischen Meinungsstreit geraten ist. Es hat in der Vergangenheit - speziell zu den Zeiten, als der Ost-West-Konflikt noch in vollem Schwange war - ({0}) - Herr Kollege, guten Abend. ({1}) - Ich freue mich einfach, diesen Kollegen zu sehen, weil ich mit ihm eine Wette abgeschlossen habe. Ich weiß nur nicht, wie ich das Wort, um das es dabei geht, ausgerechnet in dieser Debatte unterbringe. Ich könnte jedoch sagen, daß der Süßfleischhund nicht zu den Leckerbissen in der Sahara, sondern in anderen Weltregionen gehört. - Jetzt habe ich es gesagt, und es wird im Protokoll vermerkt. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Lieber Kollege Irmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuchtel? Es wird Ihnen selbstverständlich nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte selbstverständlich mit großem Vergnügen eine Zwischenfrage. Aber das ist nicht verabredet! Ich lege Wert darauf, daß das jetzt keine Inszenierung ist.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, geben Sie mir recht, daß Ihre Rede hier in etwa die Qualität hat, die mit der Zähigkeit vergleichbar ist, die ein chinesischer Süßfleischhund an den Tag zu legen pflegt, kurz bevor er geschlachtet wird? ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, um diese Tageszeit dürfen wohl alle Reden nur so gewertet werden, als ob der Redner demnächst geschlachtet würde, weil nämlich die Geduld der Kollegen überstrapaziert ist. Ansonsten lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich weder süße Reden noch Hundereden noch Fleischreden halte, sondern einfach Reden, die Hand und Fuß haben. Deshalb möchte ich jetzt auch wieder zur Sache zurückkehren.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Würden Sie dennoch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Soell gestatten?

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich.

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Irmer, können Sie mir sagen, was die Frage der Abstimmung über die Westsahara und deren künftiges Schicksal mit dem Kampf der Viererbande im Unter({0})grund von Pjöngjang zu tun hat? ({1})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe das rein akustisch schlecht verstanden. Sie sprachen vom Kampf der Viererbande - ({0}) In Pjöngjang? ({1}) - Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie sich mit Ihrer Frage jetzt nicht ganz buchstäblich und textilisch unter der Gürtellinie befinden, aber wenn ich die Frage richtig verstanden habe, so haben Sie einen Zusammenhang zwischen der Viererbande und der Westsahara hergestellt. ({2}) - Herr Kollege Soell, ich schätze Sie so sehr, daß ich zugeben muß, daß, wenn Sie einen derartigen Zusammenhang auch nur ahnen, ein solcher bestehen muß; ({3}) denn andernfalls müßte ich Ihnen ja die Seriosität Ihrer Fragestellung absprechen, und das wäre mir nun doch angesichts dér tiefen Wertschätzung, die ich Ihnen gegenüber immer gehegt habe und auch weiter hegen werde, außerordentlich zuwider. ({4})

Prof. Dr. Hartmut Soell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002186, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es war eine rein informatorische Frage.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Irmer, es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Ich würde es aber ab jetzt auf die Redezeit anrechnen.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich habe eine Bitte; Fraktionsmäßig gesehen ist jetzt der Kollege Köhler mit einer Zwischenfrage eigentlich an der Reihe. Können wir das nicht noch außerhalb der Anrechnung passieren lassen? Das wäre dann die letzte Zwischenfrage.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Also gut, die letzte.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich muß nämlich noch etwas Ernsthaftes sagen; nicht, daß das hier mißverstanden wird.

Dr. Volkmar Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001154, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Irmer, können Sie bestätigen, daß in jüngster Zeit in der Westsahara Kamele gesichtet worden sein sollen, die mit Ultrakurzwellenempfängern ausgestattet worden sind, so daß sich der vom Kollegen Professor Soell unterstellte Informationsstand dort inzwischen tatsächlich ausgebreitet hat?

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Köhler, ich habe darüber Recherchen angestellt. Ich habe in der Tat Informationen darüber, daß es sich dabei um die Kamele handeln muß, die auf der Camel-Reklame plötzlich fehlen. Mir ist nämlich aufgefallen, daß es dort einen erstaunlichen Mangel an derartigen Tieren gibt. ({0}) - Frau Präsidentin, ich muß darum bitten, das Haus zur Ordnung zu rufen. ({1}) Ich möchte jetzt nämlich wirklich noch etwas Ernsthaftes sagen. Man traut mir das jetzt vielleicht nicht mehr zu, aber ich möchte wirklich noch etwas zum Thema sagen. Ich möchte ganz ernsthaft sagen, daß sich die Frente Polisario in den letzten 15 Jahren der internationalen Öffentlichkeit gegenüber als eine Widerstandsbewegung dargestellt hat, die dort für die Befreiung eines ganzen Volkes kämpft. Ich muß ehrlich sagen, daß ich hier gewisse Zweifel habe. Die Frente Polisario ist natürlich auch von interessierten Kräften instrumentalisiert worden. Das waren damals noch Algerien und die Sowjetunion, die dahinterstand. Es war das alte Konzept, daß man in Nordafrika eine Art Cordon schaffen wollte. Dort hat der Ostblock den Versuch gemacht, seine Interessen zu verankern und sie dort vom Osten bis an die Küsten des Atlantik - wir wissen um die Rohstoffvorkommen dort - festzuzurren. ({2}) - Einen Augenblick! Ich sage, daß ich ein kleines Fragezeichen hinter die Eigenschaft der Frente Polisario als einer Befreiungsbewegung und hinter die Klassifizierung des blutigen Kriegs, der dort seit 16 Jahren tobt, als eines Befreiungskrieges setze. Herr Kollege Köhler hat eindrucksvoll dargestellt, daß die Verhältnisse in der Region nicht so sind, wie es hier vielleicht allgemein angenommen werden kann, und daß sie auch nicht nach solchen Maßstäben zu messen sind. Wo ist denn die Berechtigung einer Volksgruppe, verschiedener Volksstämme, nun zu sagen, daß sie als eigener Staat anerkannt werden wollen, der auch ökonomisch überhaupt nicht lebensfähig wäre? Es ist ganz klar: Es müssen dort die Menschenrechte gewahrt werden, es muß das Selbstbestimmungsrecht gewahrt werden. Das kann möglicherweise über Autonomieregelungen verschiedener Art geschehen. Wir hoffen darauf, daß der Friedensplan der Vereinten Nationen, der dort jetzt in die Tat umgesetzt wird, zu einer für alle Seiten befriedigenden Lösung führt. Wir hoffen, daß die ganze Auseinandersetzung aus dem ideologischen Streit herausgeholt werden kann. ({3}) - Lieber Uwe Holtz, ich habe nicht gesagt, daß es ein Teil des Ost-West-Konflikts war. Ich habe gesagt: Es ist von interessierten Seiten als Teil des Ost-WestKonflikts instrumentalisiert worden, und das hat die Sache so problematisch gemacht. Es ist richtig: Ein blutiger Krieg hat dort getobt. Es ist unser Anliegen, jeden Krieg zu beenden, überall in der Welt dafür zu sorgen, daß die Menschen friedlich miteinander leben und friedlich miteinander umgehen können. Wenn die Vereinten Nationen jetzt diesen Plan vorgelegt haben, wenn die Polisario ihn akzeptiert hat und wenn, wie ich höre, Marokko bereit ist, diesen Plan zu akzeptieren, dann ist es unser aller Aufgabe, alles dafür zu tun, daß dieser Plan nun auch in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann, daß er realisiert wird, daß, das Referendum stattfindet, daß wir nachher, wie immer es ausgeht, das Ergebnis respektieren und daß wir dann das Unsere dazu beitragen, daß diese Region, leidgeprüft, von Krieg überzogen, wieder aufgebaut werden kann, damit auch sie in Zukunft in Frieden leben kann. Danke schön. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wir sind damit am Ende der Aussprache. *) *) Zu Protokoll gegebene Rede Anlage 11 Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/798? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag bei überproportionaler Beteiligung von FDP und SPD ({0}) einstimmig angenommen. Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Juni 1991, 10 Uhr ein. Ich wünsche eine gute Nacht, fröhliche Feste und auch sonst alles, was Sie sich wünschen. Die Sitzung ist geschlossen.