Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich amtliche Mitteilungen zu verlesen:
Der bereits überwiesene Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 12/724 - es handelt sich um das RentenVorschaltgesetz - soll dem Ausschuß für Frauen und Jugend nachträglich zur Mitberatung überwiesen werden.
Der gestern überwiesene Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 12/723 sowie der Gesetzentwurf der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/692 betreffend das Stasi-Unterlagen-Gesetz soll dem Haushaltsausschuß auch gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung überwiesen werden.
Ich nehme an, daß das Haus keine Einwendungen dagegen hat. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das beschlossen.
Nun kann ich den Tagesordnungspunkt 16 aufrufen:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Georg Brunnhuber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Fraktion der FDP
Wohnen im Alter - Förderung der Selbständigkeit in der Gemeinschaft
- Drucksache 12/434 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0})
Finanzausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. - Auch hiergegen erheben sich keine Einwendungen, so daß ich das als beschlossen feststellen kann.
Ich eröffne nun die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Götz. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was wollen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Initiativantrag „Wohnen im
Alter"? Wir wollen erreichen, daß sich die Wohnungs- und Städtebaupolitik mit den zu erwartenden demographischen Veränderungen frühzeitig befaßt und die politischen Weichen rechtzeitig stellt.
Wir alle wissen, daß die Zahl der älteren Menschen jährlich zunimmt. Heute schon sind bundesweit mehr als 16 Millionen Personen älter als 60 Jahre. Im Jahr 2000 werden es deutlich über 20 Millionen sein. Für das Jahr 2030 wird eine weitere Zunahme auf über 23 Millionen Menschen prognostiziert. Der Altenquotient steigt von 25 % auf 74 %. Auch wenn Änderungen in der Geburtenentwicklung und bei den Zuwanderungen diesen Anstieg abschwächen könnten, muß sich zukunftsorientiertes Handeln in allen Bereichen den daraus erwachsenden Fragestellungen verstärkt zuwenden.
Dazu gehören neben der ganz wichtigen und dringend zu lösenden Herausforderung der Sicherung bei Pflegebedürftigkeit vor allem auch das Geschehen am Wohnungsmarkt und die städtebauliche Entwicklung. Der Bauausschuß des Deutschen Bundestages hat bereits in der letzten Legislaturperiode eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Wohnen im Alter" durchgeführt. Über eine Reihe von Grundaussagen, die auch nach der Wiedervereinigung ihre Gültigkeit behalten, bestand breite Übereinstimmung.
Ältere Menschen haben den Wunsch, so lange wie möglich in ihrer angestammten Wohnung und in ihrem vertrauten Wohnquartier zu bleiben. Der Wunsch nach der eigenen Wohnung muß durch zuverlässige Hilfsangebote - womöglich durch Mitverantwortung von Familienangehörigen, durch Dienstleistungsangebote der Kommunen; Stichworte: Wohnberatung, ambulanter sozialer Dienst, integrierte Betreuungsformen - gestützt werden. Der Wunsch nach selbständiger Lebensführung im Alter ist nicht mit einer Absage an Bindungen und Solidarität innerhalb familiärer Strukturen gleichzusetzen. Es kann nicht darum gehen, partnerschaftliche Kooperation zwischen den Generationen durch staatliche Versorgung und Betreuung zu ersetzen oder gar isolierte und uniformierte Konzepte - Stichwort: altengerechte Stadt - zu entwickeln. Wir sollten uns mehr einfallen lassen und dieses wichtige Thema als Maßnahmebündel sehen und auch nutzen.
Was ist darunter zu verstehen? Neben der Frage nach dem Wohnen im Alter und der Förderung der Selbständigkeit sollte die Einbindung der älteren Generation in die Gemeinschaft im Vordergrund stehen, d. h. unter anderem: Wir brauchen mehr Multifunktionalität. Je vielfältiger und flexibler die Nutzungsmöglichkeiten sind, die die einzelnen Räume in der Wohnung, das Gebäude und vor allem das Wohnumfeld für Menschen in verschiedenen Lebensphasen und Situationen, für Familien, Behinderte und ältere Menschen offenhalten, desto attraktiver bleibt die Wohnungsumgebung auf lange Sicht.
Meine Damen und Herren, während manches Ehegelöbnis die Flitterwochen nicht überdauert, werden Immobilien, zumal in Deutschland, noch immer für die Ewigkeit gebaut. - Das klingt zwar gut, ist jedoch phantasielos. Wir brauchen Wohnungen, die teilbar sind, die zusammengelegt oder in denen einzelne Räume zugeordnet oder abgeteilt werden können. Wir brauchen Häuser, deren einzig Beständiges die tragenden Wände sind. Die einzelnen Räume könnten beispielsweise mit Gipskartonplatten abgeteilt werden.
So könnte ein Hausherr kurzfristig das Erdgeschoß in eine 70 Quadratmeter große Wandelhalle, eine Wohnhalle, in eine Drei-Zimmer-Wohnung oder auch in zwei Senioren-Appartements verwandeln. Der notwendige finanzielle Mehraufwand hält sich bei vernünftiger Planung in Grenzen.
Wir brauchen in den Gebäuden Wohnungen für die verschiedensten Haushaltstypen und Altersgruppen; denn die Menschen leben mal allein, mal als Paar oder als Familie und im Alter in der Regel wieder allein. Da sollte sich das Haus anpassen und nicht umgekehrt.
Dies würde gewährleisten, daß die Infrastruktureinrichtungen über lange Zeit gleichmäßig ausgenutzt werden können. Die Städte und Gemeinden würden davon profitieren, denn es gibt dann keine Alterswellen, die nacheinander zunächst Engpässe, dann überzählige Kapazitäten bei den Kinderbetreuungseinrichtungen, bei den Schulen und bei den Alteneinrichtungen entstehen lassen.
Auch läßt sich durch verschiedene Wohnungstypen eine Entzerrung der Nachfrage erreichen. Das heißt: keine Ghettos für bestimmte Personenkreise, sondern eine gesunde Mischung zwischen jung und alt, in der Kinder genauso wie ältere Menschen und Behinderte ihren Platz finden.
Ziel sollte es sein, eine Lebenssituation zu schaffen, in der sich Bewohner in allen Lebensphasen des Familienzyklus wohlfühlen. Eine Fluktuation wird so verhindert. Es können sich Nachbarschaftshilfen langfristig aufbauen oder Selbsthilfeeinrichtungen, die für die betroffenen Menschen wertvoller und preisgünstiger sind als Altenpflegeheime oder Wohnheime, die wir auch in Zukunft selbstverständlich dringend benötigen.
Wir sollten im Wohnungsbau Chancen zur Kommunikation ermöglichen. Auch das beginnt beim Wohnungsgrundriß. Wir brauchen in den Wohnungen wieder einen Gemeinschaftsraum. Das kann z. B. eine große Küche sein, in der Hausarbeit als Familienarbeit erfahren wird und nebenbei Kommunikation, wichtige Gespräche möglich sind.
Es sollte zur Selbstverständlichkeit werden, dem Prinzip des barrierefreien Wohnens bei der Wohnungsversorgung vor allem für ältere Menschen sowie für Menschen mit Behinderungen verstärkt Geltung zu verschaffen.
({0})
Das heißt: möglichst stufen-, schwellenlose Haus- und Wohnungszugänge, ausreichende Zugangsbreiten bei Türen, ausreichende Bewegungsflächen, aber auch benutzerfreundliche Haus- und Sanitärtechnik.
Das sind Erfordernisse, über die man eigentlich nicht mehr diskutieren müßte. Die für die Förderung zuständigen Länder sollten ihre Förderprogramme darauf abstimmen. Auch sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, die vorhin von mir in die Diskussion gebrachte Flexibilität beim Wohnungsgrundriß bei der öffentlichen Förderung zur Pflicht zu machen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Wohnumfeld. Eine Straße darf die Wohnbebauung nicht trennen, sondern sie sollte sie verbinden. Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung oder Tempo-30-Zonen bieten sicher nicht überall, aber in einzelnen Quartieren die Chance, die Qualität des Wohnumfeldes erheblich zu verbessern. All das bedarf zum überwiegenden Teil einer längeren Vorbereitung und Planung, sowohl im Städtebau als auch im Wohnungsbau.
Im Hinblick auf die bekannten dringenden Probleme am Wohnungsmarkt brauchen wir - parallel dazu - aber auch kurzfristige Lösungen. Hier plädiere ich für den mit öffentlichen Mitteln geförderten Bau von altengerechten Wohnungen, sei es als Mietwohnungen oder Eigentumsmaßnahmen in innerstädtischen Lagen, z. B. auch auf freiwerdenden Liegenschaften der Bundeswehr oder der ehemaligen alliierten Streitkräfte. In vielen Städten und Gemeinden haben wir die Chance, mit Unterstützung des Bundes als Grundstückseigentümer rasch innerstädtische Gebiete dem Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Diese Chancen gilt es zu nutzen.
Der Neubau von altengerechten Wohnungen hat weitere Vorteile. Wir erreichen, daß ältere Menschen in der Regel größere und preiswerte gebrauchte Wohnungen freimachen, die noch bezahlbar sind, und damit wohnungssuchenden Familien zur Verfügung gestellt werden können. Wir schlagen so, wenn Sie so wollen, mehrere Fliegen mit einer Klappe.
Wenn es gelingt, mit einem Träger der Freien Wohlfahrtspflege oder einer Sozialstation, einer Nachbarschaftshilfeorganisation eine Vereinbarung über ambulante Betreuung abzuschließen, kann erreicht werden, daß die älteren Menschen viel länger in der vertrauten Umgebung bleiben und erst viel später oder gar nicht ein wesentlich teureres Bett in einem Pflegeheim in Anspruch nehmen müssen. Wenn es dazu noch gelingt, mit dem Träger eines Pflegeheimes einen Betreuungsvertrag abzuschließen, nach dem den Betroffenen signalisiert wird, im Bedarfsfall bevorzugt einen Pflegeplatz zu erhalten, wird die Nachfrage nach solchen altengerechten Wohnungen noch mehr steigen. Damit werden noch mehr Familien mit KinPeter Götz
dern in die Lage versetzt, so frei gewordene gebrauchte Wohnungen zu mieten, in der Regel Wohnungen, die sich Familien noch leisten können.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns mit dem Thema „Wohnen im Alter" befassen, sehen wir schnell die vielfältigen sozialen Verflechtungen und erkennen, daß dieses Thema nicht isoliert betrachtet werden kann. Wir sollten es mit Nachdruck in die Gesamtherausforderungen einbringen, vor die uns unsere Gemeinschaft im Wohnungs- und Städtebau stellt. Vor allem sollten wir es in die Verantwortung einbinden, die gerade wir jüngeren gegenüber unserer älteren Generation in hohem Maße haben.
Vielen Dank.
({1})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Maaß ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund großen Wohnungsmangels, der an manchen Orten als Wohnungsnot zu bezeichnen ist, sprechen wir heute über einen Teilbereich eines großen Problems. Es fehlen im vereinten Deutschland zirka 2,5 Millionen Wohnungen, allein 1 Million bis 1,5 Millionen in den alten Ländern. Dafür tragen Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, Mitverantwortung.
({0})
Wer den von Ihnen vorgelegten Antrag liest und sich darüber hinaus die dargelegten Ausführungen dazu anhört, der muß zu folgenden Feststellungen kommen: Es fehlen wirklich konkrete Aussagen zu Maßnahmen, die das von Ihnen richtig beschriebene Problem lösen. Ihr Hinweis, daß durch die Verlängerung der Kündigungssperrfristen bei einer Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ein größerer Mieterschutz besteht, ist ja wohl keine grundsätzliche Lösung,
({1})
denn nach wie vor werden alte Menschen aus ihren angestammten Wohnungen herausgedrängt, nur um Wohnprojekte besser vermarkten zu können.
({2})
Ihre weiteren Vorschläge sind verschwommen. Dort, wo sie nachvollziehbar werden, fordern Sie Länder und Gemeinden zum Handeln auf, vor allem die Gemeinden. Doch dann müssen die Kommunen auch mit mehr Finanzmitteln ausgestattet sein. Davon ist in Ihrem Antrag allerdings nicht die Rede.
({3})
Das bedeutet nämlich zusätzliche Investitionskraft für dringenden Bau- und Modernisierungsbedarf. Dies sage ich vor allem mit Blick auf die Verhältnisse in den neuen Ländern. Die Bezuschussung einiger Modellvorhaben reicht bei weitem nicht aus.
Meine Damen und Herren, wir alle hier wissen, daß Wohnen im Alter auch eine Aufgabe der Sozialpolitik ist und nicht nur eine der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Darum haben Ihren Antrag wohl auch Sozialpolitiker Ihrer Fraktion mit unterzeichnet, ohne jedoch diesen Aspekt besonders zu bewerten.
In der Diskussion über die Pflegeversicherung wird hier noch einiges aufzuarbeiten sein, soweit sie die häusliche Pflege betrifft. Dabei geht es sicher auch um behindertengerechte Wohnungen. Selbst wenn genügend bezahlbare Wohnungen so ausgestattet wären, daß sie ein Wohnen im Alter möglich machten, dann müßten die betreuenden Sozialeinrichtungen finanziell und personell so ausgestattet sein, daß sie diese Leistungen auch erbringen können. Das gilt für kommunale und für freie Träger gleichermaßen.
({4})
Als jemand, der sechs Jahre in einem Sozialausschuß eines Stadtparlamentes tätig gewesen ist, weiß ich, wovon ich rede. Leider nehmen Sie zu den Kosten in Ihren Ausführungen keine Stellung.
({5})
Was mich persönlich sehr wundert, Herr Kansy, ist die Tatsache, daß in Ihren Antrag keine Vorschläge eingearbeitet sind, die in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau am 15. März 1989 gemacht worden sind.
({6})
So unterbreitete allein die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zehn sehr vernünftige Vorschläge zu diesem Thema. Ich möchte drei herausgreifen.
Die ambulante Betreuung älterer Menschen in Altenwohnungen ist verbindlich sicherzustellen.
({7})
Diese Forderung der freien Wohlfahrtsverbände ergibt sich aus der Tatsache, daß das Problem der vorübergehenden Pflege in der eigenen Wohnung in 75 % der Fälle nicht gelöst ist. An anderer Stelle ist eine verstärkte Förderung von Wohn- und Pflegeeinheiten in Pflegeheimen dringend erforderlich. Sehr wichtig scheint mir auch der Vorschlag zu sein, die Wohnungsbauförderung des Bundes auf Alten-Krankenheime und Rehabilitationsabteilungen auszudehnen. Finanzierung von Altenheimen und Rehabilitationsabteilungen im Rahmen der Wohnungsbauförderung ist nicht vorgesehen. Nur sehr bescheidene Mittel hierfür vergab der frühere Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im Rahmen einer Altenhilfemodellförderung.
({8})
Die Aussage des Kuratoriums der deutschen Altenhilfe, Institut für Altenwohnbau in Köln, kann ich nur nachdrücklich unterstützen. Sie lautet in der Kernaussage: Zur Sicherung der Wohnraumförderung im Alter ist für die unteren Einkommensbezieher die Förderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus unbe2496
Dieter Maaß ({9})
dingt erforderlich, um durch tragbare Mieten so lange wie möglich zu gewährleisten, ein selbständiges Leben führen und eine vorzeitige Heimunterbringung vermeiden zu können.
({10})
Leider sind in dem vorliegenden Antrag solche Ergebnisse der Anhörung nicht genutzt. Schade.
Der von Ihnen vorgelegte Antrag ist nichts anders als ergebene Beifallsbezeugung gegenüber der Bundesregierung.
({11})
Wir Sozialdemokraten fordern die Bundesregierung dagegen auf, die Planungsempfehlungen des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen
({12})
für Altenwohnungen, Wohnungen in Altersheimen, Wohnplätze in Altenheimen vom 8. Dezember 1972 zu überarbeiten, und zwar mit der Maßgabe, daß in Altenwohnhäusern und Altenwohnheimen Funktions- und Gemeinschaftsräume vorhanden sein sollen, die ambulante Betreuung älterer Menschen in selbständigen Altenwohnungen verbindlich geregelt wird, neue Altenwohnungen nicht isoliert und auf jeden Fall behindertengerecht gebaut werden,
({13})
die altengerechte Modernisierung bestehenden Wohnraums über ein spezielles Bund-Länder-Programm gefördert wird, über die Schaffung mietrechtlicher Instrumente der Schutz vor Verdrängung aus der gewohnten Umgebung gewährleistet und die Bezahlbarkeit der Mieten gesichert wird, bei der Wohnungsbauförderung des Bundes eine verstärkte Förderung von Wohnpflegeeinheiten in Pflegeheimen sowie den Bau von Altenwohnheimen und Rehabilitationsabteilungen aufgenommen wird.
Das sind nur einige Stichworte zu unseren Vorstellungen zum Thema Wohnen im Alter, Förderung der Selbständigkeit in der Gemeinschaft.
Wir werden diesem Parlament einen eigenen Antrag vorlegen, in dem wir dann unsere Position deutlich machen.
({14})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Die Herstellung und Sicherung entsprechender Wohnbedingungen für ältere Bürger ist eine Aufgabe, die über die reine Wohnungspolitik hinausgeht. Die Sicherung einer ausreichenden finanziellen Altersversorgung und die Absicherung des Pflegerisikos gehören ebenso dazu und sind Beiträge zur Sicherung der Teilhabe älterer Menschen am gemeinschaftlichen Leben.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Peters.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Herr Kollege Maaß. Sie haben eben sehr viele Ausführungen gemacht. Ich denke, wir werden im Ausschuß noch hinreichend Gelegenheit haben, alles das, was Sie eingebracht haben, zu erörtern. Ich möchte mich aber auch ganz persönlich mit Ihnen unterhalten. Sicher haben wir unterschiedliche Ansätze in der Kommunalpolitik. Ich denke, daß die Diskussion sehr viel Spaß machen wird. Wenn wir lange genug geredet haben, kommen wir vielleicht zueinander.
Meine Herren und Damen, heute ist ein Antrag der Koalitionsfraktionen zu einem sehr wichtigen Thema vorgelegt worden, und zwar zum Wohnen im Alter.
({0})
- Das stimmt. - Wichtig ist das Thema deshalb, weil die Zahl der älteren Menschen in unserem Land laufend zunimmt. - Ich sage für mich, rein privat: Ob man zukünftig beim 60. Lebensjahr ansetzen sollte, ist die Frage. Da ich in zwei Jahren mitgezählt werde, betrübt es mich ein bißchen. Sicher, wenn es um Fördergrenzen geht, ist das 60. Lebensjahr sehr wichtig.
Die Bundesrepublik hat ein leistungsfähiges Sozialsystem, ein Gesundheitssystem. Die medizinische Vorsorge wird immer effektiver, Ärzte und Pflegepersonal sind qualifiziert, wir leben bewußter, und unsere Lebenserwartung wird immer größer.
Trotzdem, meine ich, dürfen wir die Augen nicht verschließen. Wir werden alle alt; das ist eine Feststellung. Wir müssen deshalb rechtzeitig etwas tun, nachdenken, planen und handeln.
Ältere Menschen sind heute immer beweglicher. Sie wissen, was sie wollen, und sie lassen sich nicht in eine Ecke drängen. Sie nehmen ihren Platz ein, gehören dazu und sind Teil der Gesellschaft. Ältere Menschen sind zunehmend besser ausgebildet, gebildet, kulturell interessiert, auch ein Wirtschaftsfaktor. Sie wollen noch etwas tun, und sie können auch noch viel tun.
({1})
Wir können uns - wenn wir einmal intensiv darüber nachdenken - das Miteinander in Familie und Gesellschaft ohne ältere Mitbürger und Mitbürgerinnen nicht vorstellen: Hilfeleistung in der Familie, Zuwendung bei der Kindererziehung, Zeit haben für ein Gespräch, miteinander etwas unternehmen. Ältere Menschen haben nach meiner Ansicht unsere Gesellschaft sehr geprägt und - wenn ich das für mich in Anspruch nehmen darf - auch mich geprägt.
Der Berufsalltag liegt hinter ihnen. Sie haben mehr Zeit, und sie nutzen diese Zeit für unsere Gesellschaft. Ältere Menschen arbeiten in Vereinen und Verbänden mit, sind aktiv und sind immer da. Wir können auf sie nicht verzichten.
Die Frage, wie wir im Alter wohnen werden oder auch wollen - so muß man das ja definieren - , ist nicht unwichtig; sie gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sie stellt sich für uns alle, ganz besonders auch für junge Leute. Wir müssen auf diese Fragen Antworten geben. Deshalb begrüßen wir diesen Antrag, den wir selbst mit eingebracht haben.
Ältere Menschen dürfen nicht ausgegrenzt werden, sondern müssen frei über ihre Wohnung und ihren Wohnort befinden und entscheiden können. In der Regel wollen ältere Menschen weiterhin dort wohnen, wo sie Familie, Freunde, Bekannte, kurzum: ein Zuhause haben.
Die Vorsorge und die Politik muß darauf reagieren. Wir müssen nachdenken - ich denke, mehr nachdenken als bisher. Es muß nicht nur Wohnraum zur Verfügung gestellt werden, sondern die Wohnung muß auch Qualität haben. Es muß ein problemloses Wohnen im Alter möglich sein. - Das ist hier schon näher definiert worden.
Ich denke, wir alle müssen intensiv arbeiten. Stadtplaner und Kommunalpolitiker sind aufgerufen, ihre Stadt und ihre Gemeinde neu zu planen oder umzuplanen. Alle Generationen müssen ihren Platz finden. Das Umfeld muß stimmen: Grün, Verkehrsplanung, Verkehrsberuhigung, ÖPNV, behindertengerechte Gebäude, Infrastruktur. So sollte die zukünftige Planung aussehen. Gute Ansätze sind gemacht. Den Kaufmann an der Ecke wagt man gar nicht mehr hervorzuholen. Es ist schwer durchzusetzen.
Wir sollten die Stadt und das Dorf für unsere Menschen wieder zurückholen. Leider sieht die Realität oft anders aus. Wenn wir uns einmal darüber unterhalten, dann, Herr Maaß, kann ich, denke ich, einiges über Buxtehude berichten. Dort sind viele positive Ansätze gemacht worden.
Hausbauer, Planer und Architekten müssen Phantasie entwickeln, kreativer agieren, sich über die optimale Aufteilung der Wohnung und eine variable Nutzung mehr Gedanken machen. Viele Erleichterungen und Verbesserungen sind noch notwendig; sie kosten sehr viel Geld.
Beim Neubau müssen wir schon an das Alter denken und variabel planen.
({2})
Wir dürfen nicht nur eine Wohnung erstellen. Wir müssen wieder wohnen können, das Haus bewohnen können.
({3}) Ganz wichtig ist das für ältere Menschen.
Ich denke, daß der heute eingebrachte Antrag mithelfen, unterstützen und Aktivitäten auf den Weg bringen soll. Vieles ist schon geschehen. Das Bauministerium mit Frau Adam-Schwaetzer an der Spitze ist sehr aktiv. Sie haben das wiederholt registriert.
({4})
Forschungsprojekte sind auf den Weg gebracht. Erste Ergebnisse liegen vor. Mittel sind für verschiedene Maßnahmen bereitgestellt. Konzepte für städtebauliche Erneuerungen müssen von Anfang an auf ihre Tauglichkeit für die ältere Generation hin überprüft werden. In Zukunft sollte es selbstverständlich sein, daß Betreuungsleistungen und soziale Dienste im Wohnquartier zur Verfügung stehen. Das alles ersetzt natürlich keine Nachbarschaft und keine Familie.
Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Vereinen und Verbänden, in den Sozialstationen usw. sorgen dafür, daß ein langes Verbleiben im Wohnquartier möglich ist. Ich glaube, auch von dieser Stelle aus sollten wir dafür einen herzlichen Dank abstatten.
({5})
Für Liberale gilt: Auch ältere Menschen bestimmen selbst; sie bestimmen ihr Leben auch im letzten Lebensdrittel. Die Politik und damit der Staat haben den Rahmen vorzugeben, flankierende Hilfe zu leisten und, wenn nötig, sozial abzufedern.
Wohnen im Alter muß in Wohnungen, die für" das Alter geeignet sind, möglich sein. Dieses Ziel dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren; wir müssen es intensiver als bisher anpacken und noch sehr viel zu seiner Verwirklichung tun. Es müssen noch viele Wohnungen in Ost und West gebaut werden; darüber sind wir uns, glaube ich, hier im Bundestag einig.
({6})
Beim Bau dieser Wohnungen sind die Bedürfnisse der älteren Mitbürger zu berücksichtigen.
({7})
Bund, Länder und Gemeinden sind gefragt; so sehen wir es jedenfalls. Heute werden Weichen gestellt. Wir von der FDP-Fraktion sichern unsere intensive Mitarbeit zu. Wir geben dem vorliegenden Antrag unsere Zustimmung und werden sicher kreativ arbeiten. Ich denke, viele Dinge werden sich in den nächsten dreieinhalb Jahren erledigen lassen.
Ich danke für Ihr Zuhören.
({8})
Nun hat der Abgeordnete Dr. Seifert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen den vorliegenden Antrag kann man eigentlich kaum etwas haben. Er ist sehr poetisch; die real existierenden Lebensverhältnisse sind jedoch nicht so, leider nicht einmal tendenziell.
Wir von der PDS/Linke Liste treten dafür ein, daß Menschen jeglichen Alters in Würde und Selbstbestimmung leben können. Das heißt, es müssen genügend Freiräume und Tolerenz vorhanden sein, die den individuellen und Gruppeninteressen von Menschen jeglichen Alters weitgehende Entsprechung bieten. Freiräume meine ich im buchstäblichen und im übertragenen Sinne, also sowohl als Wohn- und Gemeinschaftszimmer als auch als geistige Entfaltungsmöglichkeiten.
Auch im höheren Lebensalter sind die konkreten Interessen von Menschen und deren Bedürfnisse höchst unterschiedlich. Deshalb müssen gesetzliche Regelungen so angelegt sein, daß sie sehr weitgehende Spielräume für Experimente ebenso umfassen, wie sie die Sicherung sozialen Besitzstandes gewährleisten müssen.
Zu den konkreten Lebensbedingungen im Alltag kann gehören, daß eine gewisse bzw. eine zunehmende Pflegebedürftigkeit eintritt. Das ist eine analoge Situation zu der junger Menschen mit Behinderungen. Deshalb sind alle baulichen Maßnahmen von vornherein auf diese Möglichkeit hin zu treffen. Es gehört eine steuerfinanzierte, selbstbestimmte Pflegesicherung - keine Versicherung - unbedingt dazu.
Hier zeigt sich, daß das auf das Wohnen allein nicht zu reduzieren ist. In jedem Falle müssen alle Bereiche des Lebens allen Menschen zugänglich sein, also benutzbar sein. Unbedingt erforderlich ist deshalb, solchen Baunormen wie der DIN 18 024 oder der Verordnung der staatlichen Bauaufsicht der DDR vom 1. März 1990 verbindlichen Charakter zu geben. In der DDR war das schon einmal so. Durch den Einigungsvertrag ist es leider zurückgenommen worden.
({0})
- Und hier fehlen eine Million. - Dann brauchte ein Antrag nicht mehr so formuliert zu sein, Herr Kansy, „möglichst stufen- und schwellenlosen Haus- und Wohnungszugänge" zu schaffen. Dann sind solche Eingänge zwingend so zu gestalten.
Herr Dr. Seifert, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler zu beantworten?
Aber gerne!
Herr Dr. Seifert, wollen Sie uns hier wirklich weismachen, daß die von Ihnen zitierte Norm der DDR zu den Verhältnissen geführt hat, die Sie vorhin mit „Freiräumen in der Wohnung" umschrieben haben, und zu Verhältnissen, in denen sich die Bürger in ihren Wohnungen wirklich wohlgefühlt haben? Wollen Sie das wirklich behaupten?
Herr Hitschler, wenn Sie hingehört haben, wissen Sie, daß ich gesagt habe: Das ist eine Verordnung vom 1. März 1990. Das heißt, sie ist nach der Wende in Kraft gesetzt worden, maßgeblich durch den Druck derjenigen, die es betrifft, z. B. der Menschen mit Behinderungen.
Herr Dr. Hitschler möchte gern nachfassen.
Sie haben aber auch gesagt, Herr Dr. Seifert, daß die von Ihnen ursprünglich zitierte Norm durch den Einigungsvertrag aufgehoben worden sei. Der Einigungsvertrag liegt aber vor dem Datum, das Sie genannt haben.
Herr Dr. Hitschler, wenn Sie das in Frageform kleiden, würden Sie sich geschäftsordnungsmäßig verhalten.
Nachzählen müßten Sie schon selber. Der 1. März 1990 war vor ungefähr anderthalb Jahren. Der Einigungsvertrag liegt ungefähr ein dreiviertel Jahr zurück.
({0})
Dann fahren wir in der Debatte fort. Herr Dr. Seifert, Sie haben das Wort.
Da das auf die Redezeit nicht angerechnet wird, ist es kein Problem.
Wenn eine solche Vorschrift verbindlichen Charakter hätte, wäre es für jeden Bauherrn zwingend, solche Eingänge zu bauen. Man bräuchte das nicht mit einer vagen Formulierung politisch zu umschreiben. Technisch ist das ohnehin kein Problem.
Ich bin ein großer Freund der Poesie. Das liegt schon in meinem Beruf begründet. Ich bin Literaturhistoriker. Insgesamt wünschte ich mir aber in dieser gesetzgeberischen Maßnahme mehr Verbindlichkeit und weniger Lyrik. Ich wünschte, daß die Realität so wäre, wie es im Antrag beschrieben wird. In diesem Sinne stimme ich der Überweisung zu und hoffe, daß wir insgesamt zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Günther das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Initiativantrag der Koalitionsfraktionen. Sie begrüßt ihn deshalb, weil er der Regierung für die von ihr seit langem verfolgte Politik Unterstützung bietet. Unser Ziel ist es, älteren Menschen zu helfen, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen und in ihrer eigenen Verantwortung zu gestalten. Politik für ältere Menschen ist deshalb so schwierig, aber auch so interessant, weil ihr Ziel nicht in der Lösung eines Einzelproblems besteht, z. B. durch die Änderung eines bestimmten Gesetzes. Es ist ein weitgefächertes Politikfeld, in dem Mosaiksteine ineinandergreifen müssen, soll diesen älteren Mitbürgern wirklich geholfen werden.
Hierbei ist sicher der Bereich, über den ich hier spreche, das Wohnen älterer Menschen, eine ganz zentrale Herausforderung. Wir, die wir uns um Wohnungs- und Städtebau kümmern, haben uns in der Vergangenheit bereits bemüht, unsere Politik in dieser Hinsicht kritisch zu überdenken. Konkret: Den Wohnungsbestand altengerecht umgestalten zu wollen kann nur ansatzweise gelingen. Dieser Wohnungsbestand ist ganz überwiegend gerade nicht altengerecht. Die erforderlichen Maßnahmen und damit auch die erforderlichen Kosten für eine Anpassung wären so gewaltig, daß sie letztlich nicht erfolgen können und damit das gewünschte Ziel nicht erreicht werden könnte.
Auf diesem Weg sind nur vergleichsweise kleine Schritte erfolgreich. Die Bundesregierung ermuntert deshalb die Kommunen und die freien Verbände, verstärkt über die Organisation von Beratungsstellen nachzudenken, die alten Menschen zur Hand gehen können, z. B. bei der Nachrüstung ihrer eigenen Wohnung. Wir sind dabei, gelungene Beispiele solcher Wohnungsberatungsstellen zu dokumentieren und werden dieses Material allen Gemeinden und sonstigen Interessierten zur Verfügung stellen. Wir hoffen selbstverständlich, daß gute Ideen an anderen Stellen aufgegriffen und nachgeahmt werden.
Der andere Schwerpunkt, den wir setzen, der ebenfalls kein Förderprogramm erfordert, den wir aber als Einstieg in eine langfristige Lösung des Problems für zentral halten, ist das Bemühen um barrierefreie Wohnungen.
({0})
Bauherren neuer Wohnungen müssen dafür sensibilisiert werden, daß sie schon beim Neubau ans Alter denken. Die tiefergelegte Sitzmulde, die versetzten Wohnebenen: Wir alle kennen solche planerischen Freiheiten. Es bedarf nur geringer Phantasie, sich vorzustellen, wie man sich in einer Wohnung dieser Art später bewegt, wenn das Gehen schwerer fällt.
Im Entschließungsantrag wird dieser Gedanke der Bewußtseinsbildung an erster Stelle gesehen - dort gehört er hin - , denn oft sind es Kleinigkeiten, die dem alten Menschen die Nutzung seiner Wohnung erschweren. Hier von vornherein bewußter zu bauen, dies sollte unser allererstes Ziel sein. Dies kostet nichts. Und wenn man ein klein wenig mehr tun will, indem man z. B. Leerrohre verlegt oder breitere Türen vorsieht, so kostet dies immer noch sehr wenig, auf jeden Fall unvergleichbar weniger als eine spätere Nachrüstung.
({1})
Ein wichtiger Beitrag hierzu wird die Neufassung von Teil 2 der DIN 18 025 als Baunorm für das barrierefreie Wohnen leisten.
({2})
Dort sind solche Überlegungen systematisch erfaßt.
({3})
- 18 025.
({4})
Der Antrag bietet eine Fülle von Möglichkeiten, wie zu helfen ist. Darin werden auch weitere Aktivitäten der Bundesregierung erwähnt. In unserem Forschungsfeld des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus „Alte Menschen und ihr Wohnquartier" fördern wir 21 Modellvorhaben. Sie sollen Antworten auf die Fragen geben, welche planerischen, organisatorischen, gesetzgeberischen, administrativen und schließlich auch baulichen Maßnahmen im räumlichen Umfeld notwendig und geeignet sind.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Seifert zu beantworten?
Ja.
Bitte sehr, Herr Dr. Seifert.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der Neufassung der DIN - ({0})
- Ich kenne die Zahlen, aber darum geht es nicht.
Sehen Sie auch vor, diese DIN verbindlicher zu machen, d. h. unbedingt als Vorschrift einzuführen, oder wird sie eine unverbindliche Empfehlung?
Ich würde sagen, daß sie in dieser Art erst einmal als Empfehlung für das Bauen gesetzt ist.
Herr Dr. Seifert möchte noch einmal nachfragen. - Bitte sehr, Herr Dr. Seifert.
Wie vereinbart sich das mit dem, was Sie gerade sagten, daß sozusagen jeder Bauherr von vornherein - Joachim Günther, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Es ist eine Neufassung vorgesehen; sie ist ja noch nicht vorhanden.
Die Frage ist ja, ob die Verbindlichkeit vorgesehen ist. Die Inhalte kenne ich, sie sind sehr konkret.
Diese Frage habe ich in dieser Form nicht verstanden.
Herr Dr. Seifert, würden Sie die Frage noch einmal wiederholen, da sie nicht ganz angekommen ist?
Es geht mir darum: Wie verbindlich soll diese DIN sein, wenn sie fertiggestellt ist? Daß die einzelnen Ausführungsbestimmungen sehr konkret sind, davon kann man ausgehen; sie sind ja jetzt schon sehr weitreichend und sehr vernünftig. Mir geht es aber um die Verbindlichkeit.
Die Verbindlichkeit ist in dieser DIN, soweit ich informiert bin, dergestalt geregelt, daß die Neufassung nur für Neubauten vorgesehen ist.
Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zuzulassen?
Ich würde gerne fortfahren und zum Ende kommen; die Redezeit ist sowieso abgelaufen.
Sie lassen eine weitere Zwischenfrage nicht zu.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wir werden diesen Antrag - das wollte ich damit sagen - in den Ausschüssen weiterberaten. Anregungen und weitere Ideen sind uns in dieser Richtung sehr willkommen. Das Bundesbauministerium ist ein wenig stolz, daß es dieses Thema zu einem Thema in der breiten Öffentlichkeit gemacht hat.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Iwersen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Antrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion „Wohnen im Alter - Förderung der Selbständigkeit in der Gemeinschaft" greift ein Thema auf, das schon in der vergangenen Legislaturperiode Gegenstand von Anhörungen und Anträgen unterschiedlichster Fraktionen gewesen ist. Freie Wohlfahrtsverbände, Bausparkassen, Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und viele mehr äußerten sich zu diesem Problem durch Analysen und Empfehlungen.
Dem fügen CDU/CSU und FDP nun ein weiteres Papier hinzu, gut terminiert - direkt nach den Haushaltsberatungen -, damit die Erkenntnisse, so es welche vermitteln sollte, nicht zu konkreten finanziellen Forderungen führen.
({0})
Neben dem hinlänglich bekannten Ruf nach der Solidarität innerhalb familiärer Strukturen und der partnerschaftlichen Kooperation zwischen den Generationen werden die zuverlässigen Hilfsangebote, womöglich durch Mitverantwortung von Familienangehörigen, aber auch durch Dienstleistungsangebote der Kommunen, angemahnt. Durch die Feststellung, ältere Menschen hätten den Wunsch, in ihrer angestammten Wohnung und in ihrem vertrauten Wohnquartier solange wie möglich zu bleiben, wird - leider - nicht eine einzige zusätzliche Wohnung geschaffen. Wäre nicht vor einer Woche die Debatte zum Haushalt des Bundesbauministeriums auf Betreiben eines CDU-Kollegen zu Protokoll gegeben worden, meine Damen und Herren,
({1})
- nachdem der andere Herr seine Rede bereits abgegeben hatte; Sie kennen das Verfahren - , wären Ihnen jedenfalls die mageren Fertigstellungszahlen des Wohnungsbaus von 1990 und 1991 noch im Ohr.
({2})
Das von der Regierung gesteckte Ziel, 100 000 Wohneinheiten
({3})
- Entschuldigung, eine Million; schönen Dank für den Hinweis, Herr Kansy - , also eine Million Wohneinheiten in drei Jahren bezugsfertig zu bekommen, wird sich jedenfalls nicht erreichen lassen. Der Grund liegt wohl im Mißverhältnis zwischen zu geringer Förderung einerseits und zu hoher Zinsbelastung andererseits.
Aber zurück zu Ihrem Antrag. Völlig unverständlich bleibt der erste Teil des Beschlußvorschlags:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der Deutsche Bundestag begrüßt es, daß die Bundesregierung mit einer Reihe von Maßnahmen...
- ich verkürze die spezifischen Wohnungsbelange der älteren Menschen gestärkt hat.
Es folgt eine Auflistung von Erfolgen der Regierung.
({4})
Daran schließt sich ein allgemeiner Diskurs über Volkszählung, Wohnungsbestand, Wohngeldregelung, Städtebauförderung und integrierte Konzepte zur Weiterentwicklung des ländlichen Raums an.
({5})
Ich frage deshalb die Verfasser dieses Antrags: Erwarten Sie tatsächlich, daß wir Grußbotschaften und Lobeshymnen beschließen sollen? Oder wollten Sie vielmehr einen Beschluß über neue Wege, neue Konzepte, neue Programme für das Wohnen im Alter herbeiführen?
Im zweiten Teil des Beschlußvorschlags fordern Sie, dem Prinzip des barrierefreien Wohnens mehr Geltung zu verschaffen. Da sind die Chancen, uns an Ihrer Seite zu haben, schon sehr viel besser. Auch die Forderung nach Anpassung vorhandenen Wohnraums an die Bedürfnisse älterer Menschen können wir unterstützen. Aber ohne ein konkretes Programm mit verfügbaren Fördermitteln wird sich auch da nichts tun.
Mit Interesse habe ich auch Ihre Ausführungen zum Forschungsfeld „Ältere Menschen und ihr Wohnquartier" gelesen. Schade, daß Sie den Wunsch nach verstärkter Fortsetzung im Rahmen des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus gerade jetzt nach Kürzung der Mittel um 1,4 Millionen DM formulieren.
({6})
- Ja, aber Sie möchten es verstärkt angewandt wissen und fordern das gerade jetzt, wo mit Ihren eigenen Stimmen die Fördermittel gekürzt worden sind.
({7})
Ich aber hoffe, daß die Beratung in den Ausschüssen wesentlich konkretere Programme zustande bringt. Besonders glücklich wäre ich, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen könnten, wenn es darum geht, „Butter bei die Fische zu tun". Ich hoffe, daß wir dann gemeinsam handeln.
({8})
- Herr Dr. Kansy, Sie haben Ihren Antrag doch bewußt an den Bundestag gerichtet und nicht an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Wenn Sie etwas ändern wollen, dann machen Sie sich einmal an Ihre Kollegen in den Landtagen heran, und gehen Sie da etwas der Sache nach.
({9})
Frau Kollegin Iwersen, es ist zwar nicht üblich, bei der ersten Rede - es ist Ihre erste Rede, wenn ich das richtig in Erinnerung habe - Zwischenfragen zuzulassen. Aber wenn Sie wollen, bitte sehr.
Frau Kollegin Iwersen, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß im abgelaufenen Jahr 1990 auf dem dritten Förderweg von Bund und Ländern pro Wohneinheit rund 60 000 DM an Fördermitteln und auf dem ersten Förderweg von Bund und Ländern zusammen im Durchschnitt aller Wohnungen rund 90 000 DM eingesetzt wurden? Würden Sie sagen, daß in den Ländern, insbesondere in den von Ihrer Partei regierten Bundesländern, die den dritten Förderweg umzusetzen bisher abgelehnt haben, die Kürzung der Fördermittel die Ursache für den geringeren Wohnungsbau war? Oder liegt die Ursache nicht darin, daß die von Ihnen -
Herr Abgeordenter Dr. Hitschler, wenn Sie dieses alles ausführen wollen, dann melden Sie sich zu einer Kurzintervention. Aber ich bitte Sie, in die Frage nicht eine halbe Rede zu packen.
({0})
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Erstens läuft die Uhr hier noch immer. Ich hoffe, daß man mir nachher nicht vorwirft, meine Redezeit überzogen zu haben.
Ich rechne Ihnen die Zeit nicht an.
Schönen Dank.
Zweitens möchte ich mich für das Korreferat des Kollegen Hitschler bedanken und ihm mitteilen, daß ich der Ansicht bin, daß die Fördermittel im Verhältnis zu den hohen Zinsen das Problem gebracht haben, daß die Wohnungen nicht in dem Maße fertiggestellt werden, wie sich das die Regierungskoalition gewünscht hat. Aber ich denke, das ist hier nicht der richtige Ort, um das zu diskutieren; denn wir wollen diesen Antrag ja in die Ausschüsse überweisen. Da
können wir miteinander diskutieren, und zwar mit der Zielsetzung, vernünftige Wege zu finden, um in Zukunft mehr altengerechte Wohnungen zu bekommen. Ich hoffe, das wollen wir zusammen.
({0})
Daß der Kollege Dr. Hitschler seine Ausführungen nicht als Frage verstanden hat, sondern als Kurzintervention, sehen Sie auch daran, daß er die Antwort nicht stehend entgegengenommen hat.
({0})
Frau Abgeordnete, Sie haben die Möglichkeit fortzufahren.
Sehr schön.
Die SPD wird jedenfalls einen recht umfangreichen Antrag präsentieren, der weniger begrüßt und dafür Forderungen konkretisiert und bauliche und soziale Aspekte nebeneinander in gleicher Verbindlichkeit formuliert, so daß daraus feste Programme entstehen, wie die Versorgung der alten Menschen über das Jahr 2000 hinaus mit geeignetem Wohnraum und mit sozialen Hilfen sichergestellt werden kann.
Die SPD setzt dabei auf eine breite Palette verschiedenster Wohn- und Betreuungsangebote; denn alte Menschen sind genau solche Individualisten wie jüngere. So brauchen wir altengerechte Wohnungen in ganz normalen Wohnhäusern. Wir brauchen Altenwohnungen in betreuten Häusern, Servicehäuser, Wohnplätze in Altenheimen, auch wenn der Bedarf zurückgeht, dafür aber sehr viel mehr Pflegeplätze in wohnlichen Häusern, wo Pflege und Rehabilitation für diejenigen geboten werden, die nicht mehr allein mit ambulanter Pflegehilfe leben können.
({0})
Der zunehmenden Zahl der Älteren, der Betagten und der Hochbetagten sollte so schnell wie möglich dadurch Rechnung getragen werden, daß bei staatlich gefördertem Wohnungsbau ein noch festzulegender prozentualer Anteil von Wohnungen vom Grundriß her altengerecht oder, anders gesagt, barrierefrei gebaut werden muß, und zwar möglichst in jedem Mehrfamilienhaus. „Altengerecht" soll hier heißen: Bewegungsflächen in Bad und Küche etwas vergrößert, schwellenlos, WC-Tür nach außen aufschlagend und im Normalformat, nicht im Format der D-Zug-Türen, Elektrik in Leerrohren verlegt, damit Notruf und andere elektronische Hilfsmittel später nachgerüstet werden können, und dergleichen mehr.
Eine derartige Ergänzung der Förderrichtlinien für den sozialen Wohnungsbau würde im Laufe der nächsten Jahre dazu führen, daß eine relativ große Zahl von Wohnungen in den ganz normalen Wohnquartieren entstehen würde, die bei Bedarf zu richtigen Altenwohnungen - bei minimalem nachträglichem Finanzaufwand - gemacht werden können. In diese Wohnungen können dann die inzwischen allein oder nur noch zu zweit lebenden Älteren innerhalb ihrer Hausgemeinschaft umziehen.
Die demographische Entwicklung, meine Damen und Herren, ist nicht nur vom Lebensgefühl der ver2502
schiedenen Generationen abhängig, sondern auch ein Resultat mangelhafter Strukturpolitik dieser Regierung.
({1})
Solange von der jüngeren Generation ständig mehr Mobilität bei der Suche nach Arbeits- und Ausbildungsplätzen gefordert wird, kann man mit gutem Gewissen davon sprechen, daß die Wirtschafts- und Raumordnungspolitik zerstören, was die Sozialpolitik fordert, nämlich das gegenseitige Füreinander-Eintreten der Generationen; denn in Regionen mit hoher Dauerarbeitslosigkeit bleibt denen, die sich und ihre Familien durch Arbeit statt durch Arbeitslosengeld ernähren wollen, oft nichts anderes übrig, als die heimatliche Gegend zu verlassen, um in wirtschaftlich starken Gebieten eine neue Existenz aufzubauen. Die Älteren bleiben zurück, um in der gewohnten Umgebung und in der vertrauten Nachbarschaft den Lebensabend zu verbringen. Aber für viele von ihnen wird dieser Lebensabend sehr, sehr lang. Inzwischen gibt es keine alten Nachbarn mehr, nur noch wenige Freunde und Verwandte der eigenen Generation, und diese wenigen sind selbst alt und auf Hilfe angewiesen. Diese Situation macht dann staatliche Hilfe oft unentbehrlich, überfordert aber auch die Finanzkraft der Kommunen; denn diese sind in den strukturschwachen und, daraus folgernd, überalterten Gebieten ohnehin durch hohe Soziallasten an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen.
({2})
Ein Grund mehr, endlich die Pflegeversicherung, für die die SPD schließlich bereits sehr gute Vorarbeit geleistet hat, Wirklichkeit werden zu lassen.
„Wohnen im Alter" ist mit Sicherheit kein Thema, das nur vom Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau beraten werden darf; denn es geht nicht nur ums Wohnen, sondern vielmehr ums Leben im Alter. Dazu bedarf es nicht nur der Solidarität und Hilfsbereitschaft der Familie und der Nachbarn, sondern auch, vielleicht vor allem, der Solidarität des Bundestages; denn ohne Geld wird auf Dauer nicht viel zu verbessern sein.
({3})
Die ältere Generation, zu der auch die meisten von uns in nicht allzuferner Zukunft gehören werden - auch Frau Peters hat es schon erwähnt - , hat unser aller Solidarität verdient; denn jede Bürgerin und jeder Bürger in diesem Land sollte ohne soziale Ängste seinem Lebensabend entgegensehen können. Davon sind wir leider noch weit entfernt. In diesem Sinne wird die SPD in die weitere Beratung eintreten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Reinhardt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wohnen im Alter" ist ein
Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt, denn die Menschen werden immer älter, und die Familienstrukturen haben sich wesentlich verändert. Wohnen ist daher mehr und muß mehr sein als nur die Versorgung mit Wohnraum. Der ältere Mensch braucht seine vertraute Umgebung auch dann oder gerade dann, wenn er hilfebedürftig ist. Ziel einer altengerechten Wohnungspolitik muß es deshalb sein, ältere Menschen zu integrieren und nicht auszugrenzen. Wichtigste Voraussetzung hierfür ist die Schaffung und Erhaltung sozialer Kontakte, verbunden mit der Möglichkeit der Betreuung und Hilfen im Haus und in der Nachbarschaft. Dies sind auch die Ziele unseres vorliegenden Antrags. Es ist nicht so, wie Sie gemeint haben, daß hier nur Dinge beschrieben werden, die man von der Regierung her begrüßt. Es handelt sich also schon um ganz gezielte Forderungen.
Die Bundesregierung hat im Rahmen der Wohnungspolitik Maßnahmen getroffen, die den spezifischen Wohnungsbelangen älterer Menschen zugute kommen. Dazu gehört die Wohngeldanpassung genauso wie das Wohnungsbindungsgesetz. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Änderung der Baunutzungsverordnung, durch die es eigentlich erst möglich ist, in reinen Wohngebieten Einrichtungen für Pflege und Betreuung zu etablieren.
Sosehr ich die letztgenannte Maßnahme begrüße, so sehr bedauere ich aber auch, daß es überhaupt einer Änderung bedurfte. Denn es ist für mich eigentlich ein trauriges Erscheinungsbild unserer Gesellschaft, daß solche Vorhaben nicht selbstverständlich sind, sondern per Verordnung geregelt werden müssen.
Wohnen im Alter bedeutet, Voraussetzungen zu schaffen, die die Erhaltung der Selbständigkeit so lange wie möglich sicherstellen, aber auch so viele Hilfen wie nötig gewährleisten. Dies kann natürlich durch verschiedene Angebote ermöglicht werden. Das reicht von der altengerecht ausgestatteten Wohnung, die übrigens auch eine Zukunftsinvestition darstellt - es ist inzwischen erwiesen, daß altengerechte Wohnungen auch kinderfreundliche Wohnungen sind - bis hin zum Modell einer Altenwohnanlage mit einem speziellen Serviceangebot. So ein Modell entsteht zur Zeit in Stuttgart. Es ermöglicht den älteren Menschen auf der einen Seite, ein absolut selbständiges Leben zu führen.
Frau Abgeordnete Reinhardt, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Seifert zu beantworten?
Nein. Sie haben vorhin schon so nett gesagt: Bei der Jungfernrede ist das nicht üblich. Ich bitte um Verständnis.
({0})
Heute stehen wohl lauter solche Jungfernreden an.
Auf der einen Seite soll also das selbständige Leben ermöglicht, auf der anderen Seite aber sollen den älteren Menschen alle Hilfsmöglichkeiten angeboten
werden, bis hin zur Pflege. Ich glaube, daß dies ein Modell ist, das absolut zukunftsweisend ist, und wir sollten uns dessen eigentlich auch bedienen.
({0})
Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir zukunftsorientiert nach dem Prinzip des barrierefreien Wohnens bei der Wohnversorgung den Bedürfnissen älterer Menschen wie den Menschen mit Behinderungen verstärkt Geltung verschaffen.
Mit diesem Antrag haben wir auch die Chance, Verbesserungen in den alten Bundesländern zu erreichen und beim Aufbau in den neuen Bundesländern die Fehler, die wir vielleicht in der alten Bundesrepublik gemacht haben, zu vermeiden.
Lassen Sie mich am Schluß eine kurze Anmerkung machen. Erfahrung schließt ein, daß man manchmal etwas anderes bekommt, als man erwartet hat. Ich meine, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Werden Sie an Erfahrung reicher, und stimmen Sie diesem Antrag, der jetzt überwiesen werden soll, zu.
Ich danke Ihnen herzlich.
({1})
Nun erteile ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Verhülsdonk das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen greift einen Teilaspekt der Altenpolitik auf, der uns in den nächsten Jahrzehnten sicher noch sehr beschäftigen wird, nämlich die Verbesserung der Wohnsituation älterer Menschen.
Ich nutze gern die Gelegenheit, aus der Sicht des Ministeriums für Familie und Senioren einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen.
Künftige Altenpolitik betrifft ein Drittel der Bevölkerung. Die Mehrzahl der älteren Menschen hat nach dem Ausscheiden aus dem Beruf noch ein Viertel, machmal sogar ein Drittel ihres Lebens noch vor sich.
Vor diesem Hintergrund müssen wir das heute noch sehr vom Defizitmodell geprägte Altenbild vom betreuungsbedürftigen alten Menschen dringend korrigieren. Alte Menschen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Diese werden sich - das müssen wir heute schon bedenken - ohne Zweifel mit der besseren wirtschaftlichen Lage künftiger Altengenerationen weiter wandeln. Diesen differenzierten Bedürfnissen müssen auch das Wohnungsangebot, die Wohnungsausstattung und das Wohnumfeld Rechnung tragen.
Wohnen und damit Leben im Alter sollte Eingebundensein in das Leben aller bedeuten. Das ist hier schon gesagt worden. Es darf nicht bedeuten: Ausgrenzung der älteren Menschen in Seniorenstätten und Altenwohngebiete, wenn sie es nicht selber wünschen. Nur so können die Beziehungen zwischen den Generationen bestehen bleiben und sich weiterentwickeln und die Jüngeren vom Erfahrungsschatz der älteren Generation profitieren. Um diesen politischen Zielen näherzukommen, müssen wir noch vielfältige Anstrengungen unternehmen. Einige wichtige Akzente setzt dieser Antrag.
Die gegenwärtige Wohnsituation vieler alter Menschen muß - das ist schon gesagt worden - dringend verbessert werden, besonders in den neuen Bundesländern.
Altersgerechtes eigenständiges Wohnen setzt voraus, daß die angestammte Wohnung im Sinn eines „barrierefreien" Wohnens modernisiert werden kann. Auch das haben die Kollegen aus dem Fachbereich hier ausgiebig behandelt und dargestellt; ich kann es mir ersparen, weitere Anmerkungen dazu zu machen.
Ziel aller sozialen und planerischen Maßnahmen muß sein, dem älteren Menschen zu helfen, so lange wie möglich in seiner gewohnten Umgebung bleiben zu können. Das ist nicht nur eine Frage des Zustands der Wohnung. Es müssen vor allem die Angebote der Altenhilfe weiter ausgebaut, qualifiziert und entsprechend den unterschiedlichen Bedürfnissen älterer Menschen differenziert werden. Sozialstationen, mobile soziale Hilfsdienste, Essensdienste, Formen des betreuten Wohnens können stationäre Pflege oft auf lange Zeit vermeidbar machen. Tageskliniken und Kurzzeitpflegeangebote sowie ausreichende Rehabilitationsangebote gehören in Wohngebiete; denn sie sind notwendige Voraussetzungen dafür, daß alte Menschen nach einer Akuterkrankung oder einer vorübergehenden Pflegebedürftigkeit in die eigene Wohnung zurückkehren können.
Das Herausreißen und Umpflanzen älterer Menschen hat häufig negative Folgen für ihren Lebenswilleln. Deshalb muß für die politische Daseinsvorsorge der Grundsatz gelten: Selbstbestimmung darf nicht aufhören, wenn Alter und auch Hilfsbedürftigkeit beginnen.
Das Bundesministerium für Familie und Senioren wird in verstärktem Maß an einem umfassenden Konzept zur Verbesserung der Wohnsituation älterer Menschen mitarbeiten. Dafür ist es notwendig, daß wir ausreichende Kenntnisse über die unterschiedlichen Bedürfnisse der älteren Menschen haben. Daher weren wir den Förderschwerpunkt „Neue Wege in der Altenhilfe " ausweiten, sowohl die dazu gehörenden Forschungsvorhaben wie auch die Modellprojekte, die wir bereits in Angriff genommen haben.
Ich danke den Kollegen der Koalitionsfraktionen für diesen Antrag. Er kommt unseren politischen Intentionen sehr entgegen.
({0})
Wir sind am Ende der Aussprache.
Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 12/434 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Dies ist beschlossen.
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 und die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf:
17. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Einsetzung eines Ausschusses Treuhandanstalt
- Drucksache 12/433 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Entschuldung der Treuhandunternehmen
- Drucksache 12/615 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Fach- und Rechtsaufsicht über die Treuhandanstalt
- Drucksache 12/618 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({1})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Achim Großmann, Norbert Formanski, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Entschuldung der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern
- Drucksache 12/614 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Den Aufbau in den neuen Ländern vorantreiben - Investitionen fördern - Umwelt sanieren - Verwaltungskraft stärken
- Drucksache 12/670 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({3})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald B. Schäfer ({4}), Brigitte Adler, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mehr Arbeit durch mehr Umweltschutz in den neuen Bundesländern
- Drucksache 12/676 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Verkehr
g) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reorganisation und Verwertung des ehemaligen volkseigenen Vermögens ({6})
- Drucksache 12/552 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({7}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
h) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Gregor Gysi, Bernd Henn und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Oktober 1969
- Drucksache 12/613 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({8})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
ZP6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Sicherung von Arbeitsverhältnissen für eine Übergangszeit in den neuen Ländern
- Drucksache 12/725 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({9}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Arne Börnsen ({10}), Helmut Esters, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Aufgaben der Treuhandanstalt
- Drucksache 12/726 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({11}) Haushaltsausschuß
ZP8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Werner Schulz ({12}), Dr. Klaus-Dieter Feige, Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sanierung
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
und Reorganisation des Treuhandvermögens
({13})
- Drucksache 12/735 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({14})
Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Debattenzeit zwei Stunden betragen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dies ist beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Thierse das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Scheinbar geht es heute wieder einmal um die Treuhandanstalt, wieder um Schulden, wieder um Kosten und die Frage, wer sie trägt. In Wirklichkeit aber geht es um die erlebbare, die nachvollziehbare gesellschaftliche, soziale Einheit Deutschlands. Bisher ist lediglich ein Rahmen dafür gezimmert worden; ausgefüllt ist dieser Rahmen noch nicht. Dabei bleibt die Einheit eine Chance, nicht nur für die Ostdeutschen - für die an erster Stelle -, sondern auch für die Westdeutschen.
({0})
In den neuen Ländern leben qualifizierte Arbeitskräfte, erfahrene, in einem schwierigen, mühseligen Alltag gereifte Menschen, neugierige und lernwillige, die auf ihren eigenen Füßen stehen wollen. Weshalb sonst sollten wir das SED-Regime hinweggefegt haben, wenn nicht deshalb, weil es uns nicht zuletzt um Selbstverantwortung ging?
Wenn diese Menschen jetzt nicht durch Probleme, die sie keineswegs individuell zu verantworten haben, am Arbeiten gehindert würden, hätte es nicht nur im Westen ein über 4 %iges Wachstum gegeben. Nein, es ist nicht unsere Faulheit, nicht eine Faulheit der Ostdeutschen, die die Ursache der gegenwärtigen riesigen Schwierigkeiten ist, sondern es fehlen immer noch die angemessenen Rahmenbedingungen, die unserem Fleiß Erfolgsaussichten geben. Dabei hoffe ich trotzig, daß wir auf die Dauer das Ziel erreichen werden. Der Osten hängt dann nicht mehr am Tropf des Westens, sondern leistet einen eigenen und wesentlichen Beitrag zum Wohlstand aller Menschen in Deutschland.
Es geht in der heutigen Debatte also um die richtigen Werkzeuge und die richtigen Verfahren, um diese Vision zu verwirklichen. Darüber hat es Gespräche zwischen uns, der Opposition im Deutschen Bundestag, und der Bundesregierung gegeben. Sie waren aus unserer Sicht der vernünftige Versuch, unseren Vorschlägen eine zusätzliche Realisierungschance zu geben. Sie waren für mich der Versuch, eine weitere Zeitverzögerung, die angesichts der riesigen Probleme im Osten Deutschlands nicht mehr zu verantworten ist, eine weitere Zeitverzögerung bei der Übernahme richtiger Konzepte von uns durch Sie, die Regierung, zu verhindern. Ein Dreivierteljahr hat es gedauert, bis die Bundesregierung unser Konzept der Arbeitsförderungs- und Qualifizierungsgesellschaften und unsere Überzeugung von der Notwendigkeit von Steuererhöhungen übernommen hat. Solcherart Verzögerung, solcherart allzu langsames Lernen darf sich nicht wiederholen.
({1})
Wir haben Vorschläge gemacht und Forderungen erhoben. Die Bundesregierung ist nur auf wenige dieser Vorschläge und Forderungen eingegangen. Sie hat sich in wesentlichen Punkten verweigert oder eine Überprüfung mit unklarem Ausgang zugesagt. Wir stellen deshalb unsere Vorschläge und Forderungen heute wieder zur Debatte. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, darüber zu berichten, in welcher Weise sie die Zusagen erfüllt hat oder erfüllen wird. Ich nenne nur ein paar unserer Forderungen, etwa die nach Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften in großem Maßstab, nach der Verlängerung der Verwaltungshilfe über den 30. Juni 1991 hinaus, nach der Verwirklichung des Mottos ,,Qualifizierung vor Arbeitslosigkeit" - ein Motto, das auch bei denen garantiert werden muß, die heute noch in der Warteschleife sind -, nach einer zeitgerechten Auszahlung von Transferleistungen wie Wohngeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und BAföG.
Wir fordern die Bundesregierung auf, darüber zu berichten, zu welchen Ergebnissen sie bei der zugesagten Prüfung unserer Forderungen gekommen ist. Auch hier nenne ich nur ein paar wenige, etwa die Anrechnung des Lastenausgleichs und sonstiger wirtschaftlicher Vorteile im Rahmen der Ausgleichs- und Entschädigungsregelungen. Die Regierung hat anerkannt, daß Sanierung nicht an Altschulden scheitern darf. Sie beläßt es jedoch bei der investitionshemmenden Einzelfallösung.
Ich nenne als weiteres die sofortige Berichtspflicht über das Anlaufen der Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, damit Gelder, die nicht abfließen, möglichst schnell etwa in den Umweltschutzbereich umgelenkt werden können.
Ich nenne weiter unsere Forderung nach Bevorzugung ostdeutscher Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen. Die Regierung hat hier weitere Bemühungen bei der Europäischen Gemeinschaft zugesagt.
Wir fordern die Bundesregierung des weiteren auf, die SPD-Forderungen, die sie bisher abgelehnt hat, zu unterstützen und in geeigneter Weise für deren Durchsetzung einzutreten. Hier nenne ich vor allem die schnelle Klärung der Eigentumsverhältnisse durch Vorrang der Entschädigung vor Rückgabe. Alles andere hilft nicht wirklich.
Ich nenne die wirksamere Förderung betrieblicher Investitionen. Ich nenne den gesetzlichen Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt. Das war nur eine Auswahl unserer Forderungen.
Die Entschuldung der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen will ich als besonderen Punkt unserer Forderung nach allgemeiner Befreiung der Treuhandunternehmen von den Altschulden aus der SED-Wirtschaft herausgreifen.
Der Bau, die Erhaltung und die Verwaltung von Wohnungen sind mehr als ein bloßer Gegenstand des Geschäftslebens. Wir stehen deshalb in der Pflicht, die Wohnungsunternehmen bei uns im Osten Deutschlands vor dem Ruin zu bewahren. Diese Unternehmen können sich nicht an den Mietern schadlos halten.
Das zeigt ein Brief, den außer mir, glaube ich, manche von Ihnen erhalten haben. Ein Leipziger Diplomingenieur, der zusammen mit seiner Frau, die Krankenschwester ist, 2 100 DM netto im Monat verdient, erwartet auf Grund der vorgesehenen Steigerung der Mieten und Mietnebenkosten, daß seine Belastung für das Wohnen von 179 DM auf 1 086 DM steigen wird. In Leipzig ist es kaum möglich, kleineren und preiswerteren Wohnraum zu finden.
({2})
Außerdem hatte er, wie fast alle in der DDR, in den letzten Jahren sicherlich Arbeitsleistungen im Werte eines fünfstelligen Betrages für die Erhaltung des 80 Jahre alten Miethauses aufgewendet, in dem sich seine Wohnung befindet.
Ich weiß, daß auch in Westdeutschland in großen Städten solche Relationen von Nettoeinkommen und Wohnungskosten möglich sind. Ich finde sie auch da unerträglich. Aber das Beispiel beweist, daß sich die Wohnungsunternehmen in der ehemaligen DDR auf lange Sicht nicht über höhere Mieten selbst von den Altschulden befreien können. Zugleich sollen sie ja doch auch Erhaltungs- und Neubauinvestitionen finanzieren.
({3})
Meine Damen und Herren, die Hauptarbeit, aus den ehemals zwei deutschen Staaten eine bunte, pluralistische, aber sozial gerechte deutsche Gesellschaft zu machen, steht noch bevor. Gegenwärtig, ohne die erwähnten Mietsteigerungen, mag es manchen Menschen bei uns durchaus bessergehen, wenn sie ihre Arbeit nicht verloren haben und an den jüngsten Tarifabschlüssen teilhatten. Es besteht also nicht nur und nicht für jedermann Anlaß zur Klage.
Ich stehe auch nicht an, Verbesserungen bei der Arbeit der Treuhand oder die Wiederbelebung der Nachfrage nach ostdeutschen Produkten als Hoffnungszeichen ausdrücklich zu begrüßen. Ich bin auch zuversichtlich, daß wir in Ostdeutschland - mit der nötigen Unterstützung allerdings - unsere Lebensverhältnisse wieder selbst und mit Erfolg gestalten können. Das Teilen, das heute unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Westen abverlangt werden muß, wird sich dann für alle auszahlen. Aber erstens ist das noch nicht entschieden - es kann noch vieles mißlingen - , und zweitens muß unsere Sorge denjenigen gelten, die nun einen viel zu hohen Preis zahlen. Die Rentner und die Arbeitslosen nenne ich vor allen anderen.
Aus berufenerem Munde als von mir weiß die Bundesregierung längst, daß mit einem Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen um 40 bis 50 % gerechnet werden muß, daß sich die bereits konfliktträchtige ökonomische Situation weiter verschärfen wird und daß die Gefahr einer wirtschaftlichen Schwächung der gesamten Bundesrepublik keineswegs gebannt ist. Die Verschärfung unseres inneren Ost-West-Konfliktes hat mindestens zwei Dimensionen, die dazu führen, daß viele Menschen in den alten Ländern nervös werden. Einerseits sind sie nämlich persönlich betroffen von der Notwendigkeit des Teilens, andererseits findet dieses Teilen volkswirtschaftlich gesehen überhaupt nicht statt. Der zur Kasse gebetene Steuer- und Sozialbeitragszahler kann das aber gar nicht bemerken.
Daß die Bundesregierung durch eine - wegen ihrer schweren sozialen Schlagseite zuungunsten der Bezieher kleinerer Einkommen nach wie vor abzulehnende - Steuerpolitik erhebliche Beiträge für die Länder und Kommunen der ehemaligen DDR aufbringt, führt im Ergebnis dazu, daß Unternehmen in den alten Ländern in ganz erheblichem Umfange ihre Umsätze und Gewinne steigern. Es findet eben eine Umverteilung von Ost nach West über die Gewinne statt. Ein gut Teil der öffentlichen Gelder für die neuen Länder fließt über konsumtive, aber auch über investive Ausgaben zurück in den Westen.
({4})
Die Bürger bringen über Steuern und Abgaben das Geld auf, die Unternehmen im Westen kassieren es ein. Von gerechtem Teilen kann also nicht die Rede sein.
({5})
Solange die westdeutsche Wirtschaft dann auch noch mehr im Ausland als in den neuen Ländern investiert, bin ich mir meiner Zuversicht, von der ich vorhin gesprochen habe, keinesfalls mehr so sicher.
Es hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun, wenn ich feststelle, daß der Prozeß der Entindustrialisierung und des Niedergangs im Osten Deutschlands bis jetzt nicht angehalten werden konnte. Damit Sie den Vorwurf der Schwarzmalerei nicht gegen mich richten, referiere ich gestern veröffentlichte Daten und Aussagen zweier renommierter Wirtschaftsinstitute aus Berlin und Kiel.
Die Wissenschaftler befürchten, daß die industrielle Entwicklung mindestens bis in den Herbst hinein rückläufig bleibt, daß die Produktion nur noch 25 des Niveaus von Anfang 1990 erreicht. - Damit wäre sie innerhalb von eineinhalb Jahren um 75 % gesunken. - Von einem Gründungsboom könne keine Rede sein. Von Januar 1990 bis März 1991 hat es nur 100 000 echte Neugründungen gegeben, vor allem Fast-Food- oder Getränkeläden, Videotheken, Spielhallen, Taxifirmen, Kopierläden, Reisebüros. Ich will dies ja nicht gering schätzen - es hat ja einen Beschäftigungseffekt - , aber den Entindustrialisierungsprozeß halten diese Gründungen nicht auf.
({6})
Im Gegenteil: Der Arbeitsplatzabbau schreitet dramatisch voran. Die Wissenschaftler rechnen mit nur noch 6,5 Millionen Erwerbstätigen im Osten Deutschlands, davon ein Drittel in Kurzarbeit. Private Investitionen seien dagegen zu gering. Es fehlen InvestitionsmoWolfgang Thierse
tive, es fehlt ein klares Förderkonzept. Soweit das DIW und IfW.
({7})
Ich bezweifle, daß die Treuhandanstalt, jene Institution, auf die sich so viele Hoffnungen und Ängste gleichermaßen beziehen, in ihrem jetzigen Zustand, mit ihrer Ausstattung, ihrer Anbindung und ihrem Auftrag jemals dazu in der Lage sein wird, diesen Entindustrialisierungsprozeß wirklich umzukehren. Die Kollegen Börnsen und Kuessner werden dazu sprechen.
Eine Entindustrialisierung aber ist auf lange Sicht durch nichts zu kompensieren. Deshalb werden wir Sozialdemokraten unsere eindringlichen Forderungen nach einem wirtschaftspolitischen, ja industriepolitischen Konzept ebensowenig aufgeben wie unser Angebot zur Zusammenarbeit bei dafür nötigen, ungewöhnlichen Maßnahmen,
({8})
solange diese Maßnahmen dem Kriterium der sozialen Gerechtigkeit nicht hohnsprechen, wie es bei Ihnen leider oft der Fall ist.
({9})
- Diesen Vorwurf habe ich auch nicht erhoben; ich habe einen anderen erhoben.
Zum Abschluß möchte ich auf eine ganz andere Spaltungsgefahr hinweisen. Sie haben wahlkämpferisch einen hohen Erwartungsdruck erzeugt. Dem werden Sie selbst nicht standhalten können.
({10})
Mit der Feststellung, daß dies nicht ein Problem, der SPD, sondern ausschließlich der Koalition ist, könnte ich es bewenden lassen. Aber die Kehrseite dieser Medaille ist eine starke und berechtigte Enttäuschung, das Moment der notwendigen Ernüchterung eingeschlossen, das ich im übrigen begrüße.
({11})
- Ernüchterung werde ich immer unterstützen, allerdings.
Für die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern bedeutet die Umstrukturierung des politischen und wirtschaftlichen Lebens einen erheblichen und schmerzhaften Verlust an Lebensqualität, materiell wie in mancher Beziehung auch immateriell. Wir im Osten Deutschlands waren bereit, für Freiheit, Rechtsstaat und Wohlstand auch Opfer zu bringen. Aber ein Rückstand gegenüber Westdeutschland hinsichtlich der materiellen Verhältnisse um 50 % - wie er zu verzeichnen ist - für nahezu jedermann konnte so nicht erwartet und kann natürlich - ich hoffe, darin stimmen Sie mir zu - nicht akzeptiert werden.
({12})
Ich beobachte als Folge dieser Enttäuschung eine beängstigende DDR-Nostalgie. Der Schrecken der SED-Herrschaft verliert für viele an Bedeutung, wenn sie ihre damaligen mit ihren heutigen Belastungen und Unsicherheiten vergleichen. - Sie kennen die berühmte Geschichte aus dem Alten Testament mit der Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens, wobei man vergißt, daß man sie in der Gefangenschaft genießen konnte. - Es ist eine Nostalgie, die in und von einer - nein, d e r - Nachfolgepartei des vergangenen Systems politisch gepflegt wird.
Wir - und Sie, ich denke, fast alle in diesem Hause - wollten, daß sich der einzelne gegen Zumutungen des Staates zur Wehr setzen kann. Das einzige Mittel dafür ist der Rechtsstaat. Das einzige Mittel, den Rechtsstaat zu erhalten und auszubauen, ist die Demokratie, die die Exekutive kontrollieren und zügeln kann. Jetzt befriedigt der unermeßliche Vorzug, daß wir seit der Vereinigung in einem Rechtsstaat leben, weder emotionale Sicherheitsbedürfnisse, schon gar nicht verbreitete und äußerst zweifelhafte Rachebedürfnisse, noch kann dieser unermeßliche Vorzug die nahezu alle betreffende soziale Not und Unsicherheit kompensieren.
Die Abwendung von wirtschaftlicher Not und von unakzeptablen sozialen Gegensätzen ist eine Herausforderung auch für den Schutz der Liberalität der Demokratie und des Rechts.
Was tut not? Neben notwendigen Maßnahmen für den Übergang, der Sicherung des sozialen Netzes, der Abfederung von Problemen, der Linderung von sozialen Schmerzen - viele davon sind unausweichlich; das habe ich immer zugestanden -, neben der privaten Initiative, etwa der der Unternehmer und der vieler einzelner, ist verantwortliches Handeln des Staates, der Politik gefragt. Wir brauchen eine Gesamtkonzeption, eine Gesamtkonzeption einer vernünftigen, vorausgreifenden, die traditionellen Bahnen verlassenden Wirtschafts- und Industriepolitik für die neuen Länder, eine Politik, die die verschiedenen Bereiche - Infrastrukturentwicklung, Arbeitsmarktpolitik, Regionalpolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik und Umweltpolitik - umfaßt und aufeinander abstimmt. Über Tagesaktivitäten hinaus, über Notlösungen und Lückenstopfen hinaus lohnt der Streit über eine solche Gesamtkonzeption. Sie wäre, denke ich, des Streites der Edlen wert, von denen es doch, so glaube ich, auch in diesem Hause einige gibt.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Thierse, ich glaube, wir alle sind uns darin einig, daß die Treuhandanstalt eine sehr schwierige Aufgabe übernommen hat, indem sie dieses zentrali2508
stische, planwirtschaftliche System möglichst schnell in ein marktwirtschaftliches System überführen und eine marktwirtschaftliche Ordnung schaffensoll. Ich glaube, wir sollten die Treuhandanstalt bei dieser Arbeit unterstützen. Dies ist sicherlich eine nicht leichte Aufgabe, aber man muß wissen, daß der Boden dafür bereitet ist. Das ist nicht zuletzt auch durch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost geschehen.
Ich darf hier noch einmal die Schwerpunkte darstellen: kommunales Investitionsprogramm und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Regionalförderung, Investitionszulagen, Sonderabschreibungsmöglichkeiten, ERP-Kredite und Eigenkapitalhilfeprogramm gehören dazu.
Sicherlich sind eine enge Zusammenarbeit und ein rascher Informationsaustausch zwingend notwendig; die Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt werden. Zum Beispiel, Herr Thierse, sollten die betroffenen Landesregierungen bei einer Stillegung mit hoher arbeitspolitischer Bedeutung mit Ansiedlungsförderung und Gründung von ABM-Trägergesellschaften entgegenwirken können. Mit der am 14. März dieses Jahres verabschiedeten Grundsatzvereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Ländern und der Treuhandanstalt sind die Voraussetzungen geschaffen worden.
Wichtig dabei ist natürlich, daß auch die Aufgabenverteilung geklärt ist. Die Durchführung von Struktur-, Regional- und Industriepolitik liegt beim Bund und Ländern und nicht bei der Treuhandanstalt.
({0})
Deshalb muß auch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" angewendet werden. Hier haben wir nicht nur entsprechende Mittel, sondern auch ein Konzept eingebracht.
Die prioritäre Privatisierungsaufgabe der Treuhandanstalt wird - ich glaube, das ist unbestritten - mit zunehmendem Schwung gelöst. Die Statistik der Unternehmensverkäufe, die Sie, Herr Thierse ({1}), angezweifelt haben, spricht für sich.
({2})
- Ich bedanke mich, Herr Kollege Kansy, daß Sie in diesem Hohen Hause auch die Ausdrucksweise in südlichen Ländern entsprechend würdigen.
({3})
- Ich hoffe doch, daß Schwaben, auch wenn sie diesseits und jenseits der Iller beheimatet sind, lieber Kollege Roth, noch keine Dolmetscher benötigen. Ich darf Ihnen aber zugeben, daß die Allgäuer natürlich die Edelschwaben sind und deshalb vielleicht mit Ihnen als Unterschwaben schon leichte Schwierigkeiten haben könnten.
({4})
Von den rund 8 000 Unternehmen, die die Treuhand zu verwalten hat, sind im zweiten Halbjahr 1990
sicherlich nur 403 verkauft worden. Für das erste Halbjahr dieses Jahres liegen die Angaben bis jetzt bei über 1 600 Unternehmen. Natürlich spiegelt sich das auch in den Verkaufserlösen wider, die per 15. Mai dieses Jahres über 8,7 Milliarden DM ausmachen. 425 000 Arbeitsplätze sind dadurch gesichert worden. Ich glaube, auch das ist eine Zahl, die man akzeptieren und auch einmal positiv darstellen sollte.
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Sicherlich darf man auch die Schattenseite nicht übersehen: 435 Unternehmen, die nicht sanierungsfähig sind, bei denen Stillegungen durchgeführt werden mußten, von denen 76 000 Arbeitnehmer betroffen sind, müssen ebenfalls in dieses Gesamtbild eingebracht werden. Ich glaube, es gehört schon zur Ehrlichkeit zu sagen, daß Problembereiche wie Stahl, Chemie, Textil kaum privatisierbar sind. Sie gehören eben nicht zu den Rosinen. Das Chemiedreieck in Sachsen-Anhalt mit den Standorten Leuna, Buna, Bitterfeld und Wolfen ist ja ein beredtes Beispiel dafür. Ich glaube, man sollte den Menschen dort, Herr Thierse, auch Zukunftshoffnung geben. Gerade wenn wir auf diese Zukunftshoffnung setzen, dann müssen Konzepte entwickelt werden, wie auch diese nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht haltbaren Produktionen, wie sie sich jetzt darstellen, längerfristig Anschluß an die Marktwirtschaft finden können. Bundeskanzler Helmut Kohl hat ja bei seinem Besuch in Halle und in diesem Chemiedreieck die notwendigen Aussagen dazu getroffen.
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- Sie werden aber kaum erwarten können, daß innerhalb von wenigen Tagen schon Fakten vorliegen. Wir haben ein Konzept. Wenn Sie daran mitarbeiten und nicht nur Kritik üben, wenn Sie jetzt nicht nur ständig die negativen Seiten herauskehren, sondern den Leuten auch ein Stück Hoffnung, die immer noch vorhanden ist, mit auf den Weg geben, und wenn Sie unsere Konzepte in Zusammenarbeit mit uns umsetzen, dann, meine ich, werden wir auch sehr rasch Fakten sehen.
Ich darf sagen: Ich bin, auch wenn ich aus Bayern komme, häufig in den neuen Bundesländern, insbesondere in diesem Chemiedreieck oder in Mecklenburg-Vorpommern. Ich sehe, daß auch die Menschen dort die Erfolge bereits sehen. Sie wissen, daß ein Land, das in 40 Jahren zuschanden geritten wurde, nicht innerhalb von wenigen Monaten wieder völlig neu aufgebaut werden kann.
({7})
Ich sehe natürlich auch die sozialen Belange, die Sie angesprochen haben. Auch die gehören ja dazu, etwa die ökologische Dimension. Wir haben der Treuhandanstalt ja die Möglichkeit gegeben, daß sie die Frage der Altschulden, das Problem der ökologischen Altlasten, die Frage der Sozialplankosten und Eigentumsfragen mit klären kann. Daran ist bisher ja noch kein Vertrag gescheitert. Das, glaube ich, spricht auch für die Flexibilität der Treuhandanstalt. Das sollten wir auch einmal erwähnen. Wir sollten die TreuhandanKurt J. Rossmanith
stalt nicht nur ständig mit negativen Schlagzeilen bedenken.
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Für mich ist auch nicht ausreichend, daß z. B. der Anteil ausländischer Unternehmer nur 5 % ausmacht. Wir müssen Anstrengungen unternehmen, damit auch Investitionen aus dem Ausland bei uns in den neuen Bundesländern greifen.
Auch ich betrachte - Herr Thierse, darin stimme ich mit Ihnen überein - mit Sorge den Trend, daß Unternehmungen in den neuen Bundesländern oftmals als verlängerte Werkbank westlicher Unternehmen degradiert werden. Wenn es logischerweise auch nicht die Aufgabe der Treuhandanstalt sein kann, dies zu verhindern, so sollte doch jede Hilfestellung gegeben werden, damit private Unternehmen in den neuen Bundesländern eigenständig bleiben oder auch werden können.
Gestatten Sie mir als letztes noch einen persönlichen Satz. Ich weiß, daß es in Debatten wie der heutigen eine Unhöflichkeit darstellt, wenn man seinen Beitrag leistet und dann dieses Hohe Haus verläßt. Nur bin ich bereits vor längerer Zeit als Trauzeuge bei meinem Bruder, der heute heiraten wird, ausersehen worden. Ich bitte deshalb um Nachsicht bei meinen verehrten Kolleginnen und Kollegen,
({9})
wenn ich jetzt möglichst rasch den Zug Richtung Süden nehme, um rechtzeitig - ({10})
- Nein, ich bin ja Trauzeuge. ({11})
- Lieber Kollege Roth, ich weiß nicht, ob es so schnell funktioniert. Ich wünsche es ihm.
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Aber ich möchte zunächst die Aufgabe des Trauzeugen wahrnehmen. Hinterher werde ich Sie gerne als Taufpaten vorschlagen.
({13})
Dann wünsche ich Ihnen im Namen des Hauses eine fröhliche Hochzeit und hoffe, daß das zu bezeugende Unternehmen von dauerhafter Natur sein wird.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schulz ({1}). Werner Schulz ({2}) ({3}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stehen heute eine Reihe von Vorlagen - übrigens sämtlichst von der Opposition eingebracht - auf der Tagesordnung, die eine Verbesserung der Arbeit der Treuhandanstalt anstreb en. So unterstützenswert diese Initiativen im einzelnen auch sein mögen: Wir sind der Überzeugung, daß die Treuhandanstalt eine umfassende gesetzliche Grundlage für einen grundlegend neu bestimmten Auftrag braucht.
Die Treuhandanstalt ist die Schlüsselinstitution für die wirtschaftliche Zukunft der neuen Bundesländer. Sie stützt sich immer noch auf eine längst überholte, vage und unklare Rechtsgrundlage. Das von der Volkskammer verabschiedete Treuhandgesetz kam unter völlig anderen Voraussetzungen zustande, als sie heute bestehen. In der Endkonsequenz verfolgt die Treuhand eine Politik - und das kann nun wirklich nicht im Interesse der Bundesregierung liegen - , die zur Deindustrialisierung der ostdeutschen Länder führt. Die Strategie der rein betriebswirtschaftlich orientierten Privatisierung erweist sich nicht als der schnelle oder vielgepriesene Königsweg der marktwirtschaftlichen Umstrukturierung, sondern als Sackgasse.
Mit unserem Gesetzentwurf legen wir die rechtliche Basis für die dringend notwendige Kurskorrektur der Treuhandanstalt vor. Es ist mir natürlich in der Kürze der Zeit nicht möglich, den Gesetzentwurf in seinen Einzelheiten vorzustellen; deswegen hier die wichtigsten Zielsetzungen:
Erstens. Ein möglichst großer Teil der industriellen Substanz und der industriellen Arbeitsplätze muß erhalten bleiben. Dazu muß die Treuhandanstalt die Rolle eines aktiven Sanierers übernehmen. Rein betriebswirtschaftliche Kriterien reichen zur Beurteilung der Sanierungswürdigkeit eines Unternehmens nicht aus. Die volkswirtschaftlichen Kosten von Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftsförderung und Neuansiedlung von Unternehmen müssen dem Sanierungsaufwand gegenübergestellt werden. Es geht uns nicht um dauerhafte Erhaltungssubventionen, sondern um Anpassungshilfen. Nur Unternehmen, die mittelfristig in einem Zeitraum von maximal fünf Jahren klare Aussichten auf Wettbewerbsfähigkeit haben, sollten saniert werden.
Zweitens. Wo dennoch Arbeitsplatzabbau unvermeidlich ist, muß dies sozialverträglich geschehen. Auch das liegt in der Verantwortung der Treuhandanstalt. Wir halten es in diesem Zusammenhang für ungeheuerlich, daß die Treuhand ihren Unternehmen verbietet, sich an Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zu beteiligen.
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Ganz im Gegenteil, die Treuhandanstalt sollte verpflichtet sein, solche Gesellschaften zu fördern, damit ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert wird.
Drittens. Zur Sanierung der Unternehmen gehört auch ihre Umstellung auf eine ökologische Wirtschaftsweise und die Sanierung der Umweltlasten. Es darf nicht dazu kommen, daß erst die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht wird und später, wenn man glaubt, es sich leisten zu können, die Umweltnachsorge beginnt. Das ist ein Punkt, den wir übrigens in den Vorstellungen der SPD zur Treuhandpolitik schmerzlichst vermissen.
Viertens. Die Treuhandanstalt muß demokratisch strukturiert und kontrolliert werden. Wir wollen Transparenz, die Mitbestimmung der Beschäftigten und den Einfluß von Gewerkschaften und Umweltverbänden stärken.
Werner Schulz ({5})
Wir fordern massive Mitwirkungsrechte der Länder und Kommunen bei den sie betreffenden Entscheidungen und schließlich verbesserte Kontrolle durch den Deutschen Bundestag. Für die Einsetzung eines Ausschusses Treuhandanstalt liegt bereits ein Antrag der SPD vor, so daß wir auf einen eigenen Antrag verzichten können und dem zustimmen.
Fünftens. Die Treuhandanstalt muß von einer Vielzahl sachfremder finanzieller Belastungen befreit werden, die ihr mit dem Einigungsvertrag unsinnigerweise aufgebürdet worden sind. Diese Belastungen gehören sachlich zum größten Teil zum Bund. Ich nenne die Staatsschulden der DDR, die Altschulden der Treuhandunternehmen, die im Grunde auch versteckte Staatsschulden waren, und ich nenne hier besonders das Ansinnen, aus dem Treuhandvermögen Entschädigungsansprüche für enteignetes Vermögen zu befriedigen. Die Treuhandanstalt hat nichts zu verteilen; sie wird auf Jahre hinaus selber Empfänger von Zuschüssen sein.
Sechstens. Wir wollen mit diesem Gesetz dafür sorgen, daß den Kommunen das ihnen zustehende Vermögen auch tatsächlich übertragen wird.
Siebtens und letztens. Wir möchten, daß Herr Möllemann eine Chance bekommt, seine Verantwortung wahrzunehmen. Wir möchten die Treuhandanstalt der Fach- und Rechtsaufsicht des Wirtschaftsministers unterstellen.
Wir erwarten breite Zustimmung für unseren Gesetzentwurf. Wir erwarten vor allen Dingen die Zustimmung der ostdeutschen Abgeordneten, denen das Schicksal der in den Treuhandunternehmen beschäftigten Menschen nicht gleichgültig sein kann. Wir erwarten die Zustimmung der den Gewerkschaften nahestehenden Kolleginnen und Kollegen; denn Sie werden feststellen, daß die Forderungen des DGB zu weiten Teilen in unserem Gesetzentwurf umgesetzt sind.
Wenn ich mir die vorliegenden Anträge der SPD-Fraktion und den hier ebenfalls zur Debatte stehenden Entwurf der PDS vergegenwärtige, dann kann ich nicht umhin, auch von diesen Seiten Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf zu erwarten.
Kurzum: Es sollte in diesem Hohen Hause über alle Parteigrenzen hinweg eine Mehrheit für eine zukunftsgerichtete verantwortungsvolle Treuhandpolitik gefunden werden. Das ist das Ziel unserer Gesetzesinitiative, das Gebot der sozialen Demokratie in Deutschland.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Politik der Treuhand und die Politik mit der Treuhand sind, gemessen am Anspruch einer hinreichenden sozialen Entwicklung bei der Überleitung der Wirtschaft der früheren DDR auf die Bedingungen der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft, gescheitert. Heute bereits gibt es
eine Million offene Arbeitslose und zwei Millionen verdeckte Arbeitslose im Osten.
Der große Entlassungstermin 30. Juni steht bevor, und eine neue Entlassungswelle wird bereits von der Treuhandpräsidentin Birgit Breuel in der „Wirtschaftswoche " angekündigt. Ich zitiere:
Wir werden frühestens Ende September, wahrscheinlich jedoch erst am Jahresende alle DM-Eröffnungsbilanzen und Unternehmenskonzepte geprüft haben. Und in diesem Zusammenhang können wir dann erst entscheiden, in welchem Umfang Unternehmen schrumpfen müssen, um den Anschluß an eine innovatorische Zukunft zu gewinnen.
Im Klartext: Nach der großen Entlassungswelle am 30. Juni wird es eine neue Entlassungswelle im Winter/Frühjahr geben. Die Menschen im Osten, die im Jahre 1990 guten Glaubens die derzeitige Regierungskoalition gewählt haben, können sich noch auf einiges gefaßt machen.
Wie andererseits die „innovatorische Zukunft" - um die Treuhandpräsidentin zu zitieren - zu gewinnen ist, das sagen allerdings weder sie noch die wirklich Verantwortlichen in der Bundesregierung, etwa der Bundeskanzler. Es fehlt jedes Konzept, und es fehlt jeder Plan für den Aufbau, für die Umstrukturierung, für eine beschäftigungsstabilisierende und beschäftigungsschaffende Strukturpolitik im Osten.
({0})
Es fehlt - darin hat der SPD-Vorsitzende Björn Engholm recht - eine industriepolitische Perspektive für den Osten und für den Westen.
Bietet sich die Möglichkeit, z. B. durch Beteiligung der Treuhandanstalt an Auffanggesellschaften, also an Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, konkret und gezielt Arbeitsplätze im Osten zu sichern und einem Verfall von Engagement und Know-how entgegenzuwirken, untersagt das der Vorstand der Treuhandanstalt. Wir fordern mit Horst Klaus und Klaus Zwickel von der IG-Metall: Heben Sie dieses Verbot auf! Beenden Sie die - um die „Wirtschaftswoche" zu zitieren - Plattmacherei, und werden Sie konstruktiv! Sanieren Sie endlich, statt zu ruinieren! Sie sind, was die Massenarbeitslosigkeit im Osten betrifft, im Begriff, eine Lawine loszutreten.
Aber Sie bieten nichts Konkretes, nichts Sicheres, nichts Ermunterndes,
({1})
nichts wirklich Hoffnung Machendes, nichts zum Anfassen an. Das ist ein schlechtes Spiel mit den Menschen.
({2})
So kann es nicht weitergehen.
Die Funktionsweise der Treuhandanstalt muß grundlegend geändert werden. Deshalb haben wir unseren Gesetzentwurf zur „Reorganisation und VerDr. Ulrich Briefs
Wertung des ehemaligen volkseigenen Vermögens" vorgelegt und eingebracht. Er deckt sich in vielen Punkten mit den Vorstellungen der beiden anderen Oppositionsparteien.
Allerdings unterscheiden wir uns in einem Punkt von der herrschenden Praxis und auch von den Entwürfen der anderen Oppositionsparteien.
({3})
Wir wollen für die Beschäftigten eine wirklich wirksame betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung; wir wollen wirklich wirksame Interventionsrechte in den zentralen Organen und auch in den sonstigen Organen der Treuhandanstalt. Wir sind der Auffassung, daß nicht allein nach den Interessen des Kapitals und seinen Verkehrsregeln über alte und neue Produktionen und Arbeitsplätze entschieden werden darf und daß Menschen nicht zum Spielball von Eigentumsinteressen gemacht werden dürfen. Die Menschen haben das Recht - um Brecht zu zitieren - , sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen. Deshalb haben wir für Vorstand und Verwaltungsrat der Treuhandanstalt volle Parität von Kapital und Arbeit gefordert. Deshalb fordern wir für alle Unternehmen mit über 2 000 Beschäftigten, die aus dem Umstrukturierungsprozeß hervorgehen, die Übernahme der vollen, unbeeinträchtigten MontanMitbestimmung.
Weil wir das Versagen der Treuhandanstalt mit der durch und durch undemokratischen Organisation sowohl der Sozialen Marktwirtschaft als auch der Treuhandanstalt in Verbindung bringen, fordern wir eine noch weitergehende Demokratisierung und Dezentralisierung in der Form verstärkter Mitsprache und effektiver Kontrollmöglichkeiten für die Landesregierungen der fünf östlichen Bundesländer, weil wir als PDS/Linke Liste, die die Vergangenheit der bürokratisch-zentralistischen SED-Politik aufarbeitet, für eine dezentrale, regional ausgerichtete .Wirtschaftspolitik mit dem Ziel eintreten, in erster Linie für die vernünftigen Bedürfnisse der Menschen vor Ort und in der Region zu produzieren. Wir wollen nicht die Verhältnisse der alten BRD insofern kopieren,
({4})
als wir uns an der Ausbeutung der „Dritten Welt" beteiligen, oder insofern, als wir, wie die Alt-BRD, geradezu parasitär jedes Jahr 4 oder 5 oder 6 To Arbeitslosigkeit in andere Länder exportieren, denn das tun wir nach wir vor.
Wir fordern deshalb als Akt der Demokratisierung zusätzlich die Einrichtung eines demokratisch besetzten und kontrollierten Planungsausschusses, der wirtschaftspolitische Orientierungen für den Strukturumbau in den neuen Bundesländern sowie Förderungsgrundsätze erarbeitet. Da sich eine solche Umorganisation in den Eigentumsverhältnissen widerspiegeln muß, fordern wir die Schaffung einer zweckmäßigen gemischten Eigentumsordnung, bestehend aus Privateigentum, aus Bundeseigentum, aus kommunalem und Ländereigentum - aus kommunalem Eigentum schwergewichtig, was den gemeinwirtschaftlichen
Bereich betrifft - sowie aus genossenschaftlichem und Belegschaftseigentum.
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Wir kündigen an, daß wir insbesondere auf die Einschränkung des privaten Eigentums aus sozialen und aus ökologischen Gründen in der Zukunft ein besonderes Gewicht legen werden. Ehemaliges volkseigenes Vermögen, das kommunalen Aufgaben und Dienstleistungen dient, ist den Kommunen kostenlos und ohne Altschulden zu übereignen. Das volkseigene land- und forstwirtschaftliche Eigentum ist, soweit es nicht Landes- bzw. kommunales Eigentum werden soll, in die treuhänderische Verwaltung der neuen Bundesländer zu überführen. Dieses Eigentum soll im weiteren zu Vorzugsbedingungen an eingetragene Genossenschaften und an Landwirtschaftsbetriebe anderer Rechtsform verkauft oder verpachtet werden.
Wir fordern insbesondere auch andere Ziele für die Treuhandanstalt. Die sozialen, ökologischen und kulturellen Lebensverhältnisse der Menschen müssen unter Beachtung der regionalen Gegebenheiten verbessert werden. Die Wirtschafsstruktur muß demokratisch, sozial und ökologisch orientiert werden. Sie muß vor allem den Produktionsstandort Ostdeutschland sichern und den Weg für ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten im Osten ebnen.
Diese Reorganisation der Treuhandanstalt - das sagen wir klar - ist notwendig, aber nicht hinreichend. Entscheidend ist, was in Ergänzung dazu die Bundesregierung und die Landesregierungen tun, konkret, präzise, gezielt, bewußt tun. Hauptsächlich ihnen kommt die Pflicht zu, einen arbeitsplatzstabilisierenden Prozeß in Gang zu setzen, z. B. durch Bindung der Beschaffungstätigkeit der reorganisierten Unternehmen im Rahmen der Treuhandanstalt an östliche Hersteller, z. B. durch öffentliche Auftragsvergabe in den Osten, z. B. durch Abnahmequoten für Ostprodukte in den Distributionssektoren und vieles andere mehr. Vermarktungshilfen, Technologietransfer, Organisationsberatung und anderes gehören ebenfalls dazu. Die Treuhandanstalt muß in Verzahnung mit der staatlichen Branchen- und Regionalstrukturpolitik den Rahmen für einen sich zunehmend selbst tragenden sozial und ökologisch kontrollierten und verantwortbaren Aufschwung im Osten schaffen.
Dieses Muster muß Grundlage einer umfassenden Sanierungspolitik der Treuhandanstalt werden, die die bisher betriebene Planierungs- und Plattmachungspolitik ablöst. Dafür ist es zweckmäßig, die Treuhandanstalt dem Wirtschaftsministerium in der Erwartung zu unterstellen, daß sich angesichts der zu lösenden sozialen Aufgaben das Ministerium nicht als Hort der Marktradikalen gebärdet.
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Ein besonderes Anliegen ist für uns, darauf zu achten, daß die sozialen Pflichten der Treuhandanstalt gewahrt bleiben. Die Treuhandanstalt soll verpflichtet werden, Sozialpläne zu erstellen und zu garantieren. Das gilt im Privatisierungsfall auch für innerhalb eines
Jahres nach Privatisierung vorgenommene Betriebsänderungen. Die Höhe der Abfindungen wird in voller Entsprechung zu den in der Alt-BRD geltenden Regelungen geregelt werden müssen.
({7})
Wir wissen natürlich, daß Sie unsere Vorstellungen nicht annehmen werden. Da könnten wir mit Engelszungen reden. Es kommt ja nicht auf die Qualität der Argumente an.
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Es würde nichts fruchten.
Nein, wir haben unsere Vorschläge für die Menschen draußen im Lande vorgelegt, für die Bedrängten, für die in Not, für die von Ihrer Lawine der Verantwortungslosigkeit vielleicht bald Überrollten. Wir lösen uns mit unsrem Treuhandgesetz von den traditionellen Vorstellungen des bürokratisch-zentralistischen Sozialismus. Wir werden weitere Schritte auf dem Weg zu solchen konkreten Alternativen - sozialen, demokratischen, ökologischen Alternativen - tun. Wir hoffen, daß insbesondere die Menschen im Osten das als Hoffnungssignal sehen. Wir hoffen, daß sich aus dieser Erkenntnis heraus sozialer Widerstand, gewerkschaftlicher Widerstand, Widerstand in den Straßen, in Schulen und Hochschulen, in Betrieben und Verwaltungen organisiert.
({9})
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Danke, Herr Präsident. Letzter Satz: Nur Druck und Widerstand der betroffenen Menschen, öffentliche und betriebliche angemessene Unruhe können die Herrschenden zu Zugeständnissen zwingen. Wenn das erreicht wird, sind wichtige, sind entscheidende Schritte getan.
Danke sehr.
({0})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Horst Gibtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Briefs, wir sind selbstverständlich bereit, Anträge und Gesetzentwürfe, die in diesem Hohen Hause eingebracht werden, auf ihren rationalen Kern zu prüfen. Das ist unsere Pflicht als Parlamentarier. Aber ich muß der PDS das Recht absprechen, sich nach dem wirtschaftlichen Chaos, das nach vierzig Jahren SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR hinterlassen wurde, hier als Besserwisser der Nation aufzuführen.
({0})
Zum Schluß stellen Sie noch die Forderung, die Treuhand unter PDS-Parteikontrolle zu stellen.
({1})
Herr Kollege, Sie sollten zumindest im Ansatz logisch bleiben. Wenn das, was Sie in bezug auf die PDS sagten, gilt, dann gilt es selbstverständlich insbesondere auch für Sie als Angehörigen einer ehemaligen Blockpartei. So geht es doch nicht! Versuchen Sie einmal, das ein bißchen anders zu sehen.
Im übrigen habe ich dargestellt, daß wir ein ganz anderes Konzept, geradezu diametral entgegengesetzte Vorstellungen verfolgen, als sie die alten Blockparteien, zu denen Sie gehörten, und die SED verfolgt haben.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß ganz nüchterne Berechnungen zeigen, daß von der heute im Osten leider bestehenden Massenarbeitslosigkeit eine Größenordnung von mindestens 2 Millionen Arbeitslosen auf das Nichtstun, auf die Plan- und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung zurückzuführen ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat eine stattliche Anzahl von Anträgen und Gesetzentwürfen zu verschiedenen Themenkomplexen, die die neuen Bundesländer betreffen, vorgelegt. Zu den Anträgen, die sich mit der Treuhandanstalt sowie der Entschuldung von Treuhandunternehmen und Wohnungswirtschaft beschäftigen, möchte ich kurz Stellung beziehen.
Die Treuhand als Holding hat heute noch ca. 2,9 Millionen Mitarbeiter in über 8 500 Betrieben und ist vor General Motors mit ca. 1 Million Mitarbeitern der weltweit größte Arbeitgeber. Im Gegensatz zu General Motors besteht die Treuhand nicht seit fast 100 Jahren, sondern feiert erst am 1. Juli dieses Jahres ihr einjähriges Bestehen. An diesen Zahlen wird deutlich, welche gigantische Aufgabe der Aufbau der Treuhand war. Dieser beispiellose Aufbau ist untrennbar mit dem Namen des feige ermordeten Detlev Carsten Rohwedder verbunden. Wir wünschen seiner Nachfolgerin, Frau Birgit Breuel, viel Glück und Erfolg bei ihrer Arbeit, denn wir wissen, welche vielen mühsamen Aufgaben von der Treuhand mit ihren Mitarbeitern noch bewältigt werden müssen.
Die Treuhandanstalt ist heute, nach etwa einem Jahr, mit fast 2 500 Mitarbeitern in einer Hauptstelle und 15 Nebenstellen weitgehend operationsfähig. Viele Fehler, die der Treuhand tatsächlich unterlaufen sind, müssen auf die Unzulänglichkeiten während
der raschen Aufbauphase zurückgeführt werden. Häufig werden der Treuhand aber auch Fehlleistungen zugeschrieben, für die sie in Wirklichkeit gar keine Verantwortung trägt. Der Zeitraum, in dem die Treuhandanstalt nicht handlungsfähig war, hat der sehr stark angeschlagenen Wirtschaft in den neuen Bundesländern ohnehin nicht geholfen, sondern erheblich geschadet. Die Betrachtungsweise, die dem ursprünglich zugrunde lag, die von der Regierung Modrow stammt, Treuhandunternehmen seien Vermögenswerte des Staates, hat sich als falsch erwiesen.
Auch die Einrichtung der Superbehörde Treuhand zur Überführung der sozialistischen Kommandowirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft wäre uns Liberalen sicher nicht eingefallen. Dennoch, die Treuhandanstalt existiert durch ein Gesetz der Volkskammer vom 17. Juni 1990.
Im Einigungsvertrag wurde dann festgeschrieben, daß die Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt dem Finanzminister zugeordnet ist. Auch dies hätten wir Liberalen gern anders gesehen, genau wie wir auch an anderen Stellen, z. B. bei der Hauptabteilung Geld und Kredit, eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundeswirtschaftsministers durchaus gerne sähen. Das war aber auch in einer früheren Koalition nicht durchsetzbar, obwohl wir es nach wie vor für sinnvoll halten. Als verläßlicher Partner in einer Koalition muß man kompromißfähig sein; dies waren wir in der sozialliberalen Koalition und sind es auch in der Koalition mit der CDU/CSU.
({0})
Mit gesetzlichen Veränderungen, die teilweise auf Initiative der Treuhand erfolgten und die dieser Bundestag im Frühjahr beschlossen hat, sind die Voraussetzungen für das Funktionieren der Treuhandanstalt deutlich verbessert worden. Die parlamentarische Begleitung ist durch den Unterausschuß Treuhandanstalt des Haushaltsausschusses sichergestellt. Die Länderregierungen sind seit dem 14. März durch die Schaffung der Treuhand-Wirtschaftskabinette an den Entscheidungen beteiligt.
Der Ausschuß, den Sie heute fordern, soll die parlamentarische Begleitung und Kontrolle der Arbeit der Treuhandanstalt durchführen. Auf diesem Weg wollen Sie Ihre industriepolitischen Konzeptionen realisieren. Sie träumen von einer staatlich geregelten Marktwirtschaft. Ein so gearteter Interventionismus blockiert jedoch nicht nur die Arbeit der Treuhandanstalt; er schadet auch in hohem Maße dem raschen Umbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern.
({1})
Meine Damen und Herren von der PDS, die Betonung liegt auf „sozialer" Marktwirtschaft. Anders als in Ihrem Gesetzentwurf kann von „kapitalistischer" Marktwirtschaft bei der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik nicht die Rede sein. Sie wollen offensichtlich immer noch nicht die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft begreifen. Wir dagegen sind
froh, daß die alten Zeiten sozialistischer Propaganda endlich vorbei sind.
({2})
Meine Damen und Herren, ein grundsätzlich neuer Ansatz, wie er hier für die Treuhand gefordert wird, der bis zur Handlungsfähigkeit wiederum viel Zeit benötigen würde, verbietet sich nach unserer Überzeugung von selbst, da keine weitere Zeit verlorengehen darf.
Dennoch müssen aus den bisherigen Erfahrungen der Treuhand, aus ihren Erfolgen und Mängeln, Konsequenzen gezogen werden. Das Ziel muß sein, in den neuen Bundesländern eine möglichst große Anzahl von Unternehmungen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und so die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung zu beschleunigen.
Bei dieser Analyse wird derzeit von einigen Seiten versucht, nach dem Scheitern des Sozialismus unserer Sozialen Marktwirtschaft die Fähigkeit abzusprechen, die Probleme der Umgestaltung der Wirtschaft in den neuen Ländern zu lösen. Es werden staatliche Interventionen gefordert, bevor sich überhaupt irgendwelche Marktkräfte entwickeln können. Auch heute wird durch die Einsetzung eines eigenen Ausschusses staatliches Eingreifen gefordert und so getan, als könne ein Ausschuß des Deutschen Bundestages helfen, die Probleme besser zu lösen.
({3})
Dies geschieht vor dem Hintergrund des Konkurses der staatlich gelenkten Wirtschaftsordnung in den sozialistischen Ländern und der Erfahrung in der alten Bundesrepublik, daß mit staatlichen Eingriffen immer nur kurzfristig Erfolgsmeldungen produziert werden konnten, die sich dann sehr bald als Pyrrhussiege herausstellten.
({4})
- Das ist Ihre Folgerung daraus. Wenn Sie glauben, daß das Parlament für die Aktivitäten und für die Unternehmensentscheidungen notwendig ist, haben Sie in der Tat recht.
Die Antwort auf die Forderung nach mehr staatlichen Eingriffen ist für uns eine noch zügigere Einführung der Marktwirtschaft mit nur so vielen staatlichen Eingriffen wie unbedingt notwendig.
Mit der Marktwirtschaft ist Privateigentum untrennbar verbunden. Die Treuhandanstalt muß bei ihren Anstrengungen, das Privatisierungstempo zu beschleunigen, unterstützt werden. Hier sollten wir ansetzen und uns überlegen,
({5})
ob die Privatisierung nicht durch weitere Anreize noch schneller erreicht werden kann. Eine gesetzliche Verpflichtung der Treuhand zur Sanierung ehemaliger Staatsbetriebe in der Hoffnung, für diese zu einem späteren Zeitpunkt einen Interessenten zu finden, ist
nach unserer Überzeugung jedenfalls der falsche Weg.
Wir glauben nicht daran, daß eine Staatsholding für die Beurteilung und Durchführung der Sanierungskonzepte die am besten geeignete und kompetenteste Einrichtung ist. Die Unternehmenssanierung sollte von Privaten erarbeitet und umgesetzt werden. Private Unternehmer sind viel besser als der Staat geeignet,
({6})
schnell und flexibel einen wirksamen Umstrukturierungsprozeß in Unternehmen in Gang zu setzen.
({7})
Zu begrüßen sind die sich verstärkende Zusammenarbeit der Treuhandanstalt mit internationalen Investmentbanken und der intensive Kontakt zu nationalen und internationalen Beteiligungsgesellschaften. Die deutschen Kreditinstitute bleiben aufgefordert, ihre Zurückhaltung aufzugeben und ihrer bedeutenden Rolle in unserer Wirtschaftsordnung gerecht zu werden.
({8})
In den neuen Ländern ist dieses Engagement stärker als bisher gefordert.
Zur Minderung des Risikos der Investoren sollten zusätzliche Instrumentarien bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingeführt werden. Bei der Ermittlung des Wertes, den das Treuhandunternehmen für den jetzigen Beisitzer, die Bundesrepublik Deutschland, hat, müssen die zu erwartenden Sanierungskosten berücksichtigt werden. Diese Kosten fallen sowieso an, egal ob durch den privaten Investor oder durch die staatliche Treuhand saniert wird.
Zusätzlich sind die Kosten für die Beseitigung eventueller Altlasten und für Sozialpläne, die ebenfalls unabhängig vom Eigentümer anfallen, bei der Wertermittlung einzubeziehen. In einer solchen Situation, in der übrigens das Angebot die Nachfrage bei weitern übersteigt, sind auch keine hohen Verkaufserlöse für die Treuhandunternehmen zu erwarten.
Unter Berücksichtigung dieser volkswirtschaftlichen Betrachtung sowie der Tatsache, daß kein Aufschub für den raschen Neuaufbau geduldet werden kann, kann auch ein negativer Kaufpreis gerechtfertigt sein.
({9})
Die Investoren müßten sich dann allerdings verpflichten, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen tatsächlich durchzuführen und so die Grundlage für die Erhaltung rentabler und die Schaffung zukunftsträchtiger neuer Arbeitsplätze zu legen.
({10})
Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß viele Unternehmen in der ehemaligen DDR als Folge der sozialistischen Kommandowirtschaft hochverschuldet sind. Die Entschuldungs-Verordnung vom 5. September 1990 ermöglicht es der Treuhandanstalt, bei Unternehmensverkäufen die Altschulden zu übernehmen. Dies geschieht ja auch; denn bislang hat die Treuhandanstalt bei Unternehmensverkäufen rund 85 % der Altschulden übernommen. Ich denke, diese Zahl spricht für sich. Es ist hier soeben darauf hingewiesen worden, daß bislang keine Unternehmensverkäufe daran gescheitert sind. Deswegen verstehe ich auch Ihren Antrag nicht.
Dies gilt auch bei den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen; denn auch hier ist eine generelle Entschuldung durch den Bund nicht sinnvoll.
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Heuer?
Ja.
Herr Abgeordneter, stimmen Sie mir nicht darin zu, daß diese Altschulden fiktiv waren? Sie ergaben sich aus der Methodik, wie die Betriebe damals gezwungen wurden, Kredite zu nehmen. Sie mußten Mittel abführen und wieder Kredite nehmen. Diese Altschulden sind fiktiv - stimmen Sie mir darin zu? - , so daß gar kein Entgegenkommen darin liegt, diese Altschulden zu streichen, sondern daß das normal wäre?
Wenn es bei den Verkaufsverhandlungen so ist, daß diese Altschulden zu einem Privatisierungshindernis werden, dann werden sie von der Treuhand übernommen. Das ist die gängige Praxis. Ich denke, so sollte im Einzelfall entschieden werden. Denn bislang hat es mit dieser Regelung in keinem Fall Probleme gegeben.
({0})
Dann sollte man sie doch vielleicht gänzlich streichen, damit einfach klare Verhältnisse bestehen.
Das ist Ihre Vorstellung. Es ist sinnvoller, das im Einzelfall zu tun, so wie es auch getan wird. Sie versuchen hier, ein Problem aufzuzeigen, das gar keines ist; denn wenn Sie in der Treuhand nachfragen, werden Sie dort erfahren, daß Altschulden bislang nie zu einem Privatisierungshindernis geworden sind.
({0})
Auch bei den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen - das habe ich schon soeben gesagt - ist eine generelle Entschuldung durch den Bund nicht sinnvoll. Da den Schulden ein höherer Wert in Form der Immobilie gegenübersteht, sind die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen in der Lage, sich durch Privatisierung selbst zu entschulden. Wir sehen daher keinen Anlaß, zusätzliche Mittel im Haushalt bereitzustellen; denn damit würde der Schaffung von privatem Wohneigentum ein schlechter Dienst erwiesen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die FDP-Fraktion wird der Einsetzung eines Ausschusses „Treuhandanstalt" nicht zustimmen. Wir glauben, daß das vorhandene Instrumentarium nun weitgehend funktionsfähig ist. Es sollte in Ruhe arbeiten und nicht schon wieder geändert werden.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Manfred Carstens.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Treuhandanstalt steht natürlicherweise - man kann auch sagen: zwangsläufig - im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens in den neuen Bundesländern. Aber man darf nicht vergessen, daß es darüber hinaus erhebliche Entwicklungen gibt, die nicht zu vernachlässigen sind. Es gibt zwischenzeitlich mehr als 300 000 Selbständige in den neuen Bundesländern. Das spricht von Mut und Dynamik. Monatlich kommen fast 30 000 hinzu.
({0})
Man kann fast überall in den neuen Ländern feststellen, daß sich eine dynamische Entwicklung in Gang gesetzt hat, die bei allen Problemen, die es auch gibt, unüberschaubar ist.
Die Treuhandanstalt hat die Aufgabe, nach folgender Maßgabe zu handeln: schnelle Privatisierung, entschlossene Sanierung, behutsame Stillegung, wie der ermordete Präsident, Rohwedder, einmal formulierte.
Die Treuhandanstalt kann beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet vorweisen. Der Motor ihrer Unternehmensverkäufe läuft mit rund 300 pro Monat gegenwärtig auf hohen Touren. Im Mai gab es sogar 544 Einzelfälle. Bis jetzt konnten ca. 2 140 Unternehmen an private Eigentümer übergeben werden. Auf diese Weise sind bis heute über 467 000 Arbeitsplätze und Investitionen in Höhe von rund 62 Milliarden DM gesichert worden. Insgesamt sind in den neuen Bundesländern in den vergangenen zwölf Monaten rund 1 Million neue Arbeitsplätze entstanden.
Treuhandanstalt, Deutscher Gewerkschaftsbund und die Deutsche Angestelltengewerkschaft haben eine gemeinsame Erklärung vorgelegt, wonach die Sicherung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Qualifizierung von Arbeitnehmern in den neuen Bundesländern unter Nutzung aller Möglichkeiten Vorrang haben sollen. Die Treuhandanstalt wird zur Verwirklichung dieses Zieles im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags beitragen. Unser Ziel ist klar: Die Wirtschaft in Ostdeutschland muß wettbewerbsfähig gemacht und der Lebensstandard der Bevölkerung muß möglichst schnell dem Niveau in den alten Bundesländern angepaßt werden.
Dazu ist vieles auf den Weg gebracht worden. Herr Kollege Thierse, ich darf beispielsweise das Programm Aufschwung Ost erwähnen, in dem viele hunderttausende Arbeitsplätze über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geschaffen werden sollen, wovon schon jetzt über 110 000 zur Verfügung stehen - Arbeitsplätze über ABM wie nie zuvor, auch für viele Umweltprojekte, für Straßenbaumaßnahmen. Es gibt die Investitionspauschalen, die an die Kommunen und an die Landkreise geflossen sind. Die Mechanismen sind in Gang gesetzt, um zu einer zügigen Einkommensangleichung zu kommen. Soziale Abfederungen sind für alle wichtigen Bereiche beschlossen. Mehr konnte man kaum tun.
Dies alles - auch das möchte ich einmal erwähnen - war nur möglich, weil es bei der Politik der jetzigen Bundesregierung in der alten Bundesrepublik eine überaus gesunde wirtschaftliche Lage gibt. Wenn die SPD bei der Lage 1981/82 weiterregiert hätte, hätten wir die Kraft zu diesen Maßnahmen überhaupt nicht gehabt.
({1})
Meine Damen und Herren, die vorliegenden Anträge auf Änderung der Ressortzuständigkeit für die Treuhandanstalt und auf Änderung des Treuhandgesetzes sind nicht hilfreich. Die Fach- und die Rechtsaufsicht sind klar geregelt. Art. 25 des Einigungsvertrages gibt hierzu Auskunft. Die Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsminister und den anderen Ressorts funktioniert hervorragend. Das Treuhandgesetz hat sich bisher bewährt. Ich kann sagen: Nach anfänglichen Schwierigkeiten bewährt es sich immer besser.
Die Treuhandanstalt sieht ihren Auftrag nicht allein in der Privatisierung, sondern auch in der Sanierung und Umstrukturierung der Unternehmen. Die Erfahrungen zeigen: Sanierung und Umstrukturierung bilden mit der Privatisierung oft eine Einheit. Sie gehen Hand in Hand. Den von der Opposition konstruierten Widerspruch zwischen Sanierung und Privatisierung gibt es nicht.
Die Treuhandanstalt arbeitet eng und vertrauensvoll mit den betroffenen Ländern zusammen. In den Wirtschaftskabinetten der Länder wirken hochrangige Vertreter der Treuhandanstalt mit.
Wir sollten, meine Damen und Herren, die Treuhandanstalt ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen lassen. Ständige Forderungen, sie umzuorganisieren, sind wenig hilfreich. Deshalb bedarf es keiner Gesetzesänderung, schon gar nicht eines neuen Treuhandgesetzes, wie Sie, meine Damen und Herren von der Gruppe PDS/Linke Liste, es vorschlagen. Daß Sie von erfolgreicher Unternehmensführung nichts verstehen, Herr Kollege Briefs, haben Ihre Vorgänger mehr als 40 Jahre jeden Tag aufs neue bewiesen.
({2})
Zahlreiche Unternehmen aus den neuen Bundesländern sind durch Altschulden aus der Zeit der Kommandowirtschaft erheblich belastet. Das ist wahr. Die Bundesregierung ist sich der Notwendigkeit von Entschuldungen in einem bedeutenden Umfang bewußt. Sie hält jedoch nach wie vor die im Einigungsvertrag verankerte einzelfallbezogene vollständige oder teilweise Entschuldung der Unternehmen für die sachgerechte Problemlösung. Eine globale Streichung aller
Altschulden von ca. 100 Milliarden DM wäre ebenso willkürlich, wie die frühere Zuteilung von Schulden durch das DDR-System willkürlich war.
Lassen Sie mich auch deutlich sagen und noch einmal bestätigen, was schon Kollegen vor mir gesagt haben: Am Prinzip der Entschuldung nach Einzelfallprüfung ist bisher noch kein Privatisierungs- oder Sanierungsvorhaben gescheitert.
({3})
Das sollte auch einmal ins Bewußtsein der Opposition gelangen, damit die gegenteilige Behauptung nicht ständig wiederholt wird.
({4})
Die Härten, die der Strukturwandel im Osten mit sich bringt, erfordern in hohem Maße praktische Solidarität gerade auch von den Bürgern in den westlichen Ländern. Die Bundesregierung hat zur Unterstützung und sozialen Abfederung des raschen Wirtschaftswandels in den neuen Bundesländern ein breites Maßnahmenbündel für Arbeitnehmer, Betriebe und öffentliche Infrastruktur in einem bisher nicht gekannten Ausmaß in Kraft gesetzt. Die Fördermaßnahmen des Bundes für die ostdeutschen Länder betragen allein in diesem Jahr rund 100 Milliarden DM. Das entspricht etwa der Hälfte des ostdeutschen Sozialprodukts. Das ist ein beispielloser Einsatz finanzieller Mittel zur Bewältigung der historischen Aufgabe der Transformation eines sozialistischen, zentral geleiteten Planwirtschaftssystems in ein freies marktwirtschaftliches System.
Ich hatte gerade gestern im Bundesfinanzministerium eine Abgeordnetendelegation des ungarischen Parlaments zu Besuch. Ich kann Ihnen nur sagen, auch dort hätte man gern eine solche Unterstützung, wie sie die neuen Bundesländer von uns erfahren. Wir sind froh darüber, daß wir so stark sind, diese Aufgabe leisten zu können. Wir wollen auch die Ungarn nicht vergessen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Weichen für eine gute Entwicklung sind gestellt, und ich bin sehr zuversichtlich, daß wir die Arbeit auch schaffen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Arne Börnsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu den zumindest schönfärberischen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs möchte ich behaupten: Die traditionelle Wirtschaftspolitik ist nicht in der Lage, die drohende Entindustrialisierung in den neuen Ländern zu verhindern. Dieser Satz soll sicherlich provozieren, aber nicht um zum wiederholten Male die Vorwürfe und Rechtfertigungen zu formulieren, sondern um den Versuch zu machen, Positionen zu überdenken und neue Lösungsansätze zu finden. Denn ich bin sehr wohl der Überzeugung, daß die bisherigen Initiativen nicht ausreichen, um zu verhindern, daß wir einen schnellen Entindustrialisierungsprozeß in den neuen Bundesländern haben, mit dem Ergebnis, daß, um dies zu überwinden und wieder aufzufangen, zuviel Zeit ins Land gehen wird.
Ich meine aber auch, daß das notwendig ist, weil wir bei den Menschen in den neuen Bundesländern vielleicht eher auf offene Ohren stoßen, wenn wir z. B. eine Art öffentliches Brainstorming hier im Parlament versuchen, statt uns mit bekannten Vorwürfen zu traktieren oder die Sache schönzufärben.
Damit ich nicht falsch verstanden werde, meine Damen und Herren: Für uns ist unstrittig, daß sich die Bundesregierung 1990 an den Tatsachen in der damaligen DDR vorbeimogelte, den Bürgern Sand in die Augen streute, den parteipolitischen Wahlerfolg höher bewertete als das Interesse der Bürger in den neuen Bundesländern. Daß sie sich aus dieser selbstgestellten Falle nicht herausmogeln kann, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse.
Ob die Bundesregierung zwischenzeitlich allerdings zu einer realistischen Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung - genauer: der wirtschaftlichen Gefahren durch den Zusammenbruch der Industrie - in den neuen Ländern, bereit ist, muß immer noch bezweifelt werden. Die heutige Debatte bestätigt diese Zweifel.
Zur Begründung möchte ich auf die Antwort auf eine schriftliche Frage meines Kollegen Wolfgang Roth verweisen. Das ist in den ersten Ausführungen des Kollegen, der inzwischen zu der Trauung unterwegs ist, allerdings in anderer Weise auch deutlich geworden. Wolfgang Roth fragte nach dem Abfluß der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur " in den neuen Ländern und erhielt von Staatssekretär Beckmann die Antwort, daß bis Ende April ca. 5 000 Anträge der gewerblichen Wirtschaft und 1 000 Anträge für Maßnahmen der wirtschaftsnahen Infrastruktur mit einem potentiellen Investitionsvolumen von 44 Milliarden DM gestellt worden sind. Das klingt gut; das sind genau die Investitionen, auf die wir alle warten. Entschieden wurden jedoch bisher nur 255 Anträge, d. h. 4,2 %. Von den vorgesehenen Investitionen sind allenfalls ein Viertel realisiert. Das ist in der Antwort von Herrn Staatssekretär Beckmann nachzuvollziehen.
Hier klafft eine beträchtliche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, und unser Vorwurf, daß die Bundesregierung in bedenklicher Weise zur Schönfärberei neigt, wird erneut bestätigt.
Ich habe einleitend behauptet, daß die bisherige Wirtschaftspolitik der Bundesregierung nicht in der Lage ist, die drohende Entindustrialisierung in den neuen Bundesländern zu verhindern. Auch durch die Prognose der Wirtschaftsforscher wurde bestätigt
- Wolfgang Thierse hat schon darauf hingewiesen -, daß für den Herbst dieses Jahres ein Rückgang der ostdeutschen Industrieproduktion auf 25 % des Vorjahres zu erwarten ist, - zu befürchten ist, wäre wohl zutreffender zu sagen.
({0})
- Die Forscher wissen es offensichtlich zu gut.
Arne Börsen ({1})
Zugegebenerweise ist die bundesdeutsche Wirtschaftspolitik bisher mit solch umwälzenden Problemen nicht konfrontiert worden. Die Philosophie, daß die Marktwirtschaft schon alles richten werde, wie auch in dem Beitrag des Kollegen von der FDP zum Ausdruck kam, ist in der Vergangenheit nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden, mit Ausnahme solcher Problembranchen, wo selbstverständlich staatlich interveniert wurde: Werftindustrie und Kohlebergbau. Daß das kein neues Mittel ist, müßte Ihnen an und für sich bekannt sein.
Nur ist zwischenzeitlich erkennbar geworden, daß die bisherigen Instrumente nicht im entferntesten geeignet sind, den Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige zu verhindern. Aber diese Erkenntnis hat sich bei der Bundesregierung bedauerlicherweise offensichtlich nicht durchgesetzt - zum Schaden der neuen Länder.
Ein Beleg dafür ist die Antwort, die die Bundesregierung auf eine von uns im April gestellte Kleine Anfrage gegeben hat, nämlich gar keine. Die Antwort steht noch aus.
Worum geht es? Bei einem Besuch bei den Werftstandorten in Mecklenburg-Vorpommern hat eine Arbeitsgruppe meiner Fraktion eine Anfrage an die Regierung mit dem Ziel gerichtet, ein Küstenstrukturprogramm zu initiieren. Das Wirtschaftsministerium bat um Fristverlängerung, da Frage und Antwort so komplexe Themen berühren.
Ich bezweifele nicht, daß das ein komplexes Thema ist. Aber die Probleme der Küstenregion sind nicht erst seit dem Frühjahr 1991 bekannt.
Der von der Staatspartei SED gehätschelte Devisenbringer Schiffbau in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast wird zumindest erheblich eingeschränkt werden müssen.
Verursacher sind neben anderen Problemen, die ich hier nicht noch einmal zu nennen brauche, verantwortungslose westliche Geschäftemacher - die seriöse Bezeichnung „Reeder" wäre unangemessen -, die die Zeit vor der Währungsunion nutzten, um Schiffe zu bestellen, die nach dem 1. Juli 1990 nicht mehr kostendeckend produziert werden können.
Zweitens. Mit dem beträchtlichen Rückgang der Schiffahrtkapazitäten wird ein entsprechender Rückgang auch der Arbeitsplätze in der maritimen Wirtschaft verbunden sein, ob in der elektronischen Industrie oder im Maschinenbau oder in weiteren Bereichen.
Die Fischereiindustrie an der Ostseeküste ist bereits jetzt im Prozeß des Zusammenbruchs. Die Versorgung wird im wesentlichen aus den Nordseehäfen sichergestellt.
Die Hafenwirtschaft ist auf weniger als die Hälfte der ehemaligen Umschlagmenge zurückgegangen. Hamburg hat sein Hinterland wiedergewonnen; Rostock hat es verloren.
Ich habe die Küstenregion erwähnt, weil hier der Mangel an vorausschauender Politik beispielhaft deutlich wird. Aber zu übertragen ist dieses Beispiel auch auf den Raum Chemnitz mit seiner Abhängigkeit von der Textilindustrie, auf die Region Halle mit der
Chemieindustrie und auf die Baunkohleregion an der deutsch-polnischen Grenze.
Lassen Sie mich deshalb einige grundsätzliche Fragen stellen. Welche annähernd vergleichbaren Erfahrungen bei der Bewältigung wirtschaftlicher Krisen haben wir in der Bundesrepublik sammeln können, und worin unterscheiden sich die dabei gewonnenen Erkenntnisse von den aktuellen Anforderungen? Welche zusätzlichen Lösungen müssen gesucht werden? Und verfügen wir über ausreichende Vorstellungen und Instrumente? Wo ist gegebenenfalls zusätzlicher Planungsbedarf?
Die Dramatik der Entwicklung in den genannten Regionen ergibt sich besonders aus der Geschwindigkeit des Zusammenbruchs ehemals prägender Strukturen. Auch in Westdeutschland haben wir Umstrukturierungsprozesse durchstehen müssen und erfolgreich abgeschlossen, so im Ruhrgebiet und an der Küste.
Aber für die Bewältigung der Krisen bei uns stand mehr als ein Jahrzehnt zur Verfügung. Jetzt jedoch liegt die Frist eher bei einem Jahr.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften. Sie sind die tragfähigste und den meisten Erfolg versprechende arbeitsmarktpolitische Brücke zu neuen, modernen und wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen.
Den Sozialdemokraten liegt aber sehr am Herzen, daß jenseits aller verbalen Zustimmung das praktiziert wird, was Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften mit Leben erfüllt. Das sind die spezielle Kurzarbeiterregelung und die besonderen Bestimmungen über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern.
Nach Geist und Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen soll ein Maximum von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in solchen Gesellschaften mit sinnvollen Arbeiten wie Industrieflächensanierung beschäftigt und beruflich fortgebildet werden, ohne daß das Arbeitsverhältnis mit dem angestammten Betrieb erlischt.
Mit unserem diesbezüglichen Antrag wollen wir sichern, daß Massenentlassungen die Ausnahme bleiben. Denn für die Betroffenen sind Beschäftigungsgesellschaften der sozialverträglichste Weg, um die wirtschaftliche Umgestaltung durchzustehen.
({2})
Sonst verlieren sie die soziale Bindung an ihren Betrieb ; sonst muß jeder einzelne die Initiative zur Qualifizierung mühsam zurückgewinnen. Wir wollen das auf der Grundlage der gegebenen Möglichkeiten verhindern.
Wer eine solche Suche nach sozialverträglichen arbeitsmarktpolitischen Wegen mit Wirtschaftsfeindlichkeit gleichsetzt und behauptet, Investoren scheuten vor der Praxis der Beschäftigungsgesellschaften zurück, verläßt die Linie, die wir gemeinsam im Einigungsvertrag angelegt haben.
Im übrigen können Beschäftigungsgesellschaften kein Hindernis für die wirtschaftliche Umgestaltung sein; denn die anfallenden Personal-, Management2518
Arne Börsen ({3})
und Sachkosten belasten zu fast 100% die Steuer- und die Beitragszahler, aber eben nicht die Investoren. Wer dennoch meint, Millionen Arbeitssuchende seien eine notwendige Zwischenetappe auf dem Weg zur Marktwirtschaft, sollte wenigstens die politischen Risiken in Rechnung stellen, die ein Heer desillusionierter, verzweifelter und um ihre Perspektive gebrachter Menschen mit sich bringt.
({4})
Beschäftigungsgesellschaften sollen die Fristen überbrücken, die zur Schaffung neuer industrieller Strukturen notwendig sind. Für die genannten besonders betroffenen Regionen muß aber auch eine Perspektive erarbeitet werden, wie denn neue industrielle Strukturen tatsächlich geschaffen werden können. Dafür, meine ich, müssen Bund und Länder die Kommunen bzw. die Regionen finanziell in die Lage versetzen, unter Beteiligung von Hochschulen und Forschungsinstituten Entwicklungskonzepte für die Regionen zu entwerfen, um auf der Grundlage von Flächennutzungsplänen und anderen Voraussetzungen, die natürlich nicht geschmälert werden sollen, Industriestandorte auszuweisen und zu erschließen bzw. zu sanieren.
Gleichzeitig sind in der Form konzertierter Aktionen unter Beteiligung von Industrie und Gewerkschaften, aber auch - wegen der notwendigen Risikoabsicherung - der Banken die Entwicklungskonzepte zu realisieren, also die Produktionsbereiche zu bestimmen, für die perspektivische Marktanalysen den Aufbau neuer Standorte rechtfertigen.
Solche Investitionen sind für einen Übergangszeitraum nicht oder kaum rentabel durchzuführen. Auf deutsch gesagt: Sie rechnen sich nicht. Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß Investitionen in dem erforderlichen Umfang sowohl aus den westlichen Bundesländern als auch aus dem Ausland unterbleiben; denn Investitionen in den neuen Bundesländern werden heute wieder unter rein ökonomischen Gesichtspunkten bewertet, obwohl Anfang 1990 viel von Pioniergeist und sogar von Patriotismus die Rede war.
Weil sich die Investitionen nicht rechnen, bleibt sowohl das deutsche als auch das ausländische Kapital auf der Bank und bringt Zinsen. Die Produktionsgesellschaften sind auf dem besten Wege, Vermögensverwaltungsgesellschaften zu werden; so ein Kommentar aus dem „Handelsblatt" .
Eine solche Investitionszurückhaltung ist meines Erachtens nicht akzeptabel. Sie wird jedoch nicht durch Appelle überwunden - heute konnten wir wieder Andeutungen solcher Appelle hören - , sondern nur durch eigene, zusätzliche wirtschaftspolitische Initiativen. Es muß ja nicht gleich glühender Patriotismus sein, aber mehr Risikobereitschaft und mehr Pioniergeist müssen von der Industrie, von der Wirtschaftspolitik und von den Banken erwartet werden.
Meine Damen und Herren, ich habe mich in meinen bisherigen Ausführungen auf zwei wesentliche Aspekte unserer Anträge konzentriert, nämlich die Förderung von Investitionen in den neuen Ländern und die Bildung von Beschäftigungsgesellschaften. Abschließend will ich einen Schwerpunkt aufzeigen, der nicht unberücksichtigt bleiben darf, nämlich das ganze Bündel von Maßnahmen zur Verbesserung und Förderung des Wohnungsbaus in den neuen Ländern, welches in unserem Antrag zur Entschuldung der kommunalen genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen enthalten ist.
Ich will zwei Punkte aufgreifen. Die Kommunen haben durch den Einigungsvertrag den ehemals volkseigenen Wohnungsbestand von 2,7 Millionen Wohnungen übernommen. Auf diesen Wohnungen und den zusätzlichen 1,1 Millionen Genossenschaftswohnungen lasten ca. 50 Milliarden DM Altschulden, deren Rechtmäßigkeit von den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und der Wohnungswirtschaft, aber auch von unabhängigen Gutachtern sehr wohl bezweifelt wird.
({5})
Die zu über 95 % der Treuhand gehörende Kreditbank will die Wohnungsunternehmen jetzt zum Abschluß neuer Kreditverträge zwingen mit der Drohung, ansonsten das Zinsmoratorium nicht zu gewähren.
Meine Damen und Herren, es ist geradezu skandalös, daß die Bundesregierung einerseits auf eine Kleine Anfrage der SPD hin wörtlich erklärt „Die Problematik der Altschuld im kommunalen Wohnungsbestand, insbesondere die Zuordnung auf die einzelne Wohnung, ist noch nicht geklärt" , andererseits die Kreditbank trotz dieser ungeklärten Rechtslage die Unternehmen über neue Kreditverträge zwingen will, die Rechtmäßigkeit von dubiosen Schulden anzuerkennen.
({6})
Überhaupt ist nicht einsehbar, warum, wenn auch noch nicht zureichend, die Sanierung in anderen Bereichen wie etwa der Landwirtschaft oder der Industrie u. a. durch Schuldenerlaß oder Schuldenübernahme durch die Treuhand erfolgt, die Wohnungsgesellschaften aber zweifelhafte Schulden voll übernehmen müssen und damit investitionsunfähig werden.
({7})
- Das sind Werte! Ich bin begeistert.
Seit Beginn des Jahres explodieren die Betriebskosten bei Strom, Wasser, Müllabfuhr, Abwasserentsorgung usw. und sorgen für zusätzliche Defizite mit der Folge des Verlustes der Liquidität. Rechnungen bleib en unbezahlt. Die Wohnungsunternehmen haben Aufträge in Milliardenhöhe storniert.
Der Wahnsinnskreislauf geht weiter: Die Bauwirtschaft verzeichnet kaum Aufträge, Bauarbeiter
- ausgerechnet die - werden entlassen, kleine und mittlere Handwerksbetriebe müssen aufgeben. Das alles ist die Folge eines völlig überflüssigen Kompetenzgerangels, welches die Bundesregierung angezettelt hat.
({8})
Meine Damen und Herren, auch diese Beispiele zeigen, wie man durch konzeptlose Politik und das Vorsich-Herschieben von Problemen schnellere Investitionen in Milliardenhöhe verhindert und sogar neue Probleme schafft.
Arne Börnsen ({9})
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Neuling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf die, wie ich schon finde, im Ton sachlichen Worte - vielleicht auch falschen Analysen - der Kollegen Thierse und Börnsen, die manche Erfolge der Bundesregierung auch nicht richtig aufnehmen wollen, eingehe, möchte ich die Ausführungen des Abgeordneten Briefs kommentieren.
Herr Briefs, Sie haben wiederholt von Sorgen und Ängsten der Menschen gesprochen. Sie haben das in einer Art getan, die mich veranlaßt, doch noch einmal auf den Ausgangspunkt unserer Diskussion zurückzukommen. Ursache für die Sorgen und Ängste der Menschen sowie für die desolate Wirtschaftslage in den neuen Bundesländern - oder wie der Kollege Rau aus Sachsen sie genannt hat: in den jungen Bundesländern - sind doch nicht unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung und die Soziale Marktwirtschaft, sondern ist im Kern das SED-Regime
({0})
- Herr Kollege, wenn man während der ganzen bisherigen Debatte nicht dabei war, sollte man ruhig sein - , das die volkswirtschaftliche Substanz in der ehemaligen DDR restlos verbraucht und einen totalen wirtschaftlichen Bankrott hingelegt hat. Insoweit von einem Scheitern zu reden ist nahezu Blasphemie.
({1})
Das System hat die Umwelt in einem Umfang zerstört, wie wir es nie erwartet haben, und die Menschen Schlichtweg betrogen. Das ist die Ausgangsbasis.
Wenn ich dann in dem Problemaufriß Ihres Gesetzentwurfs lese, daß der Übergang von der zentralistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft sozial verträglich zu gestalten sei, dann sage ich Ihnen: Wir wollen weder das eine noch das andere. Das zeigt deutlich, daß Sie im Grunde genommen nichts, aber auch gar nichts hinzugelernt haben
({2})
und daß Ihre Firmenänderung ein nackter Etikettenschwindel ist. Ihnen geht es gar nicht um neue Lösungsansätze, sondern Sie wollen offensichtlich nur möglichst viel vom Vermögen der SED retten. Tun Sie den Menschen den Gefallen, sich wieder SED zu nennen. Dann weiß jeder, womit er es zu tun hat.
({3})
Das ist der Grund, Herr Kollege Briefs, warum man Ihnen das immer wieder sagen muß, solange Sie selbst nicht fähig sind zu lernen.
({4})
Nun komme ich zu den Anträgen der SPD bezüglich der Treuhandanstalt. Herr Kollege Börnsen und Herr
Kollege Thierse, Sie haben nicht nur Überlegungen zur Treuhandanstalt dargelegt, sondern auch unter der Überschrift „nationaler Aufbau" verschiedene Vorschläge gemacht. Im Rahmen der mir verbleibenden Zeit kann ich darauf nicht so eingehen, wie es eigentlich erforderlich wäre. Ich will versuchen, im Rahmen des Komplexes der Treuhandanstalt dazu etwas zu sagen.
Im Kern geht es jetzt, wie gesagt, um die Umgestaltung der sozialistischen zu einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Wir müssen uns fragen: Welche Rolle kann die Treuhandanstalt in diesem Prozeß spielen? Einer der Punkte, die mir besonders aufgefallen sind, Herr Börnsen, ist, daß Sie sehr stark, ja, ausschließlich auf den wirtschaftlichen Aspekt dieses Prozesses abheben.
Ich will Ihnen an dieser Stelle als Überlegung einmal vier wichtige Bereiche nennen, die ich sehe. Einmal geht es darum, daß sich möglichst schnell eine auf Privateigentum basierende Unternehmensstruktur entwickeln kann. Da spielt die Treuhandanstalt im Grunde genommen eine wichtige Rolle. Aber genauso wichtig für den erfolgreichen Prozeß sind die Schaffung einer dezentralen leistungsfähigen Verwaltungsstruktur und der möglichst schnelle Aufbau einer modernen Infrastruktur.
Und schließlich - das gewinnt auch für uns zunehmend an Bedeutung - : Die Menschen in den neuen oder jungen Bundesländern müssen sich erst einmal mit der neuen Gesellschaftsordnung zurechtfinden. In den 40 Jahren ist ja alles das unterdrückt worden, was jetzt erforderlich ist. Wenn ich es nur einmal auf ein Unternehmen begrenze: Eigeninitiative, Risikobereitschaft, überhaupt Entscheidungen. Man kann den Menschen das gar nicht zum Vorwurf machen; denn wir hatten das Glück, auf der richtigen Seite - als Berliner sage ich: auf der richtigen Seite der Mauer - geboren zu sein und aufwachsen zu können.
Dieser Faktor Mensch gewinnt zunehmend an Bedeutung, wenn man sich überlegt, daß wir gar keine Zeit haben, sondern der Prozeß schnell ablaufen muß; denn im Grunde genommen können wir in Deutschland nicht von einer wirtschaftlichen Basis ausgehen, weil wir im östlichen Bereich diese desolate Struktur und im westlichen Bereich einen hohen Lebensstandard haben. Dazwischen ist keine Grenze. Das macht es so enorm schwer.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Ihre beiden Anträge, mit denen ich mich jetzt noch einmal beschäftigen möchte: Einsetzung eines Ausschusses Treuhandanstalt auf der einen und Änderung der Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt auf der anderen Seite?
Den Treuhandausschuß konzipieren Sie im wesentlichen als parlamentarische Begleitung und Kontrolle der Arbeit der Treuhandanstalt. Sie fordern damit auch, den Umbau der Wirtschaft in den neuen Ländern parlamentarisch kontrollieren und begleiten zu können. Ich möchte Sie, Herr Börnsen, ermuntern, Ihrem Kollegen Herrn Thierse, der sicherlich weg mußte, ein Wort in Richtung staatliches industriepolitisches Konzept zu sagen. Vielleicht kann auch Herr
Roth - er ist ja lange dabei gewesen - das mit ihm noch einmal diskutieren.
Meine große Sorge dabei ist, daß die Wirtschaft in ganz Deutschland kaputtgeht, während wir noch an der Erarbeitung eines staatlichen industriepolitischen Konzepts sind. Ihr Fehlglaube ist, daß Sie den Menschen suggerieren, der Staat könne die Prozesse in der Regel nicht nur planen, sondern auch durchführen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu unserem Antrag, in dem wir sagen: Kein zentraler Strukturausschuß ist dazu in der Lage, sondern die Vielfalt muß es bringen, sowohl bei den Unternehmen als auch insbesondere hinsichtlich der Strukturen in den Verwaltungen und bei den Menschen selber. Das ist das Wesentliche. Das heißt, wir brauchen keine politischen Strukturräte in Bonn, sondern wir brauchen erfahrene Manager, die ihr Geschäft verstehen, d. h. Sanierungskonzepte entwickeln können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Nein, jetzt nicht, gleich anschließend. - Das heißt, wir dürfen die unternehmerische Aufgabe, die ein Kernstück der Treuhandanstalt ist, um Gottes willen nicht durch Politik aushöhlen. Wir brauchen auch keinen zentralen Ausschuß in Bonn, sondern effektive und leistungsfähige Verwaltungen. - Das ist einfach ein völlig anderer Ansatz. - Wir brauchen auch keine zunehmende Tendenz politischer Entscheidung in Bonn, sondern wir müssen viel eher die föderativen Strukturen in den neuen Bundesländern stärken, damit Entscheidungen dort fallen.
({0})
Sie suggerieren mit Ihrem Treuhandausschuß im Kern, daß dieser Ausschuß alles regeln könne - und am besten in Bonn. Wir sagen nein und fordern Pluralismus, und zwar nicht in Bonn, sondern in den neuen Bundesländern selber.
Kurzum: Im Vordergrund der Auseinandersetzung steht immer wieder nicht so sehr der formale Beschluß der Einsetzung eines Ausschusses. Vielmehr geht es im Kern immer wieder um die klassische Auseinandersetzung, über die Frage einer Stärkung des Zentralismus. Wir als Union sagen dazu nein. Pluralismus, Stärkung der föderativen Elemente und insbesondere Privatinitiative und unternehmerisches Handeln werden die Elemente sein, die den Aufschwung in den neuen Bundesländern sicherstellen werden. - Herr Kollege Roth, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen.
({1})
- Okay.
Auf die Bilanz sind schon der Herr Parlamentarische Staatssekretär und mein Kollege Rossmanith eingegangen. Ich kann das aber noch präzisieren: Über 2 000 Unternehmen sind privatisiert. Der Erlös beträgt 10 Milliarden DM und das Investitionsvolumen 60 Milliarden DM. Ich möchte die Kollegen bitten, sich noch einmal an den schwierigen Prozeß der Privatisierung der Salzgitter AG zu erinnern. Das hat bei diesem einen Unternehmen zwei Jahre gedauert. Hier sind über 2 000 Unternehmen in knapp sechs Monaten privatisiert worden. Diese Bilanz sollten wir uns immer vor Augen führen, wenn wir etwas ändern wollen. Stören wir doch nicht die Treuhandanstalt in ihrem unternehmerischen Konzept und versuchen wir gemeinsam, Wege zu finden, wie die politische Komponente in dieses Konzept mit eingebracht werden kann. Die Wirtschafts-Treuhand-Kabinette z. B. sind der richtige Ansatz.
Zur Fach- und Rechtsaufsicht nur ganz kurze Anmerkungen: Kenner der Materie, insbesondere im Parlamentarismus, waren natürlich nicht überrascht, daß dieser Antrag von der SPD im Anschluß an das sogenannte, wie ich es einmal nenne, pressemäßige Fingerhakeln zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Finanzministerium kam. Eine Opposition, die darauf verzichtet hätte, in einer solchen Situation einen Antrag zu stellen, hätte sich wirklich abgemeldet. Ich möchte es deswegen auch einfach - ({2})
- Herr Roth, tun wir uns bitte einen Gefallen in der Diskussion - ({3})
- Ja, sicherlich. Aber ich habe es ja bewußt zurückhaltend formuliert. Damit Sie aus der Debatte friedlich herausgehen, Herr Kollege Roth, sage ich: Dieser Antrag ist für mich nicht ein Antrag auf Änderung der Rechts- und Fachaufsicht, sondern ich möchte ihn einmal als Möllemann-Antrag bezeichnen.
Zur Sache selber: Auch hier wird im Kern wieder gefordert - das schreiben Sie in dem Antrag auch -, „die Treuhandanstalt dem für Strukturpolitik zuständigen Bundesminister für Wirtschaft zu unterstellen". Einen solchen Minister gibt es in der Bundesregierung Gott sei Dank nicht. Es ist wieder der Ansatz, staatliche Strukturpolitik sei in der Lage, Änderungen zu beschleunigen - ein Irrtum! Dieser Grundsatz wird uns immer trennen; das ist auch in Ordnung so. Dann wissen die Menschen auch, wenn sie eine Partei wählen, wen sie wählen. Mehr Staat auf der einen Seite, mehr unternehmerische Privatinitiative auf der anderen Seite - das ist im Kern die Auseinandersetzung.
Entscheidend dafür, die Fach- und die Rechtsaufsicht beim Bundesfinanzministerium zu lassen, sind sicherlich die erheblichen finanziellen Auswirkungen, die wir alle kennen, und die ohne Zweifel eine ausschließliche Zuordnung des Bereichs der Rechts- und Fachaufsicht beim Bundesfinanzministerium zwingend erforderlich machen. Dort sind sie gut aufgehoben. Dort wird erfolgreiche Arbeit geleistet.
Ich möchte abschließend, gerade weil wir die Arbeit im Haushaltsausschuß, im Unterausschuß Treuhandanstalt, in den letzten Wochen und Monaten wirklich intensiv durchgeführt haben, an dieser Stelle auch einmal ein Lob an den Bundesfinanzminister richten. Es ist gut, daß er nicht da ist. Für die parlamentarische
Hygiene ist es gut, wenn das Lob dann erfolgt, wenn der Bundesminister nicht da ist.
({4})
Ich glaube, der Bundesfinanzminister gehört nach dem Bundeskanzler zu denjenigen Ministern - ich habe es ganz anders gemeint, als Sie es damit sagen wollten, Herr Kollege Roth - , die in den letzten 12 Monaten in einer Form gefordert waren und ihre Arbeit so hervorragend geleistet haben, daß wir ihm an dieser Stelle noch einmal danken sollten.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Wolfgang Roth.
Ich halte es für ein Täuschungsmanöver - das muß ich einmal sagen -, wenn hier so getan wird, als sei die Alternative: Staat
- ja oder nein? Die Alternative ist, ob der Staat, die Bundesregierung oder der Bundestag, Kriterien für die Sanierung der Unternehmen im Osten vorgibt.
Ich nenne ein Beispiel von gestern. Da gibt es den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth, der die Aufgabe übernimmt - dafür bin ich ihm auch dankbar -, Zeiss zu sanieren. Gestern nun hat man entschieden, daß die Treuhand pro sanierten Arbeitsplatz 370 000 DM Subventionen zahlt. Ich habe dies einmal hochgerechnet: Wenn ich nur die Großbetriebe nehme, würde dies einen Zuschuß des Staates von 160 Milliarden DM ausmachen. Wenn ich alle Treuhandunternehmen zusammenfasse, ist es ein Zuschuß von 600 Milliarden DM, wenn man die Kriterien von Zeiss Jena annimmt.
Ein anderer Fall: Da reist der Bundesaußenminister
- dafür bin ich ihm auch dankbar - nach Halle und sagt in Halle unmittelbar, er habe ein paar Milliarden DM zu vergeben.
Wo sind eigentlich die objektiven, nachprüfbaren, vom Parlament überprüfbaren Kriterien bei der Subventionspolitik der Treuhand und dieser Bundesregierung? Die Menschen an anderen Orten, jenseits von Jena, jenseits von Halle, werden doch diese Entscheidungsprozesse dann nicht verstehen, wenn man ihnen nicht ähnlich viel Geld vor Ort bereitstellt. Das aber werden wir alle in der Form und indem Umfang nicht schaffen. Das ist der Streitpunkt, nicht die Frage: Staat - ja oder nein?, Sie Blender bei diesem Thema.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hinrich Kuessner, es sei denn, Herr Kollege, Sie wollen kurz erwidern.
Ich möchte - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident - schon kurz erwidern.
Herr Kollege Roth, man kann in der Sache hart diskutieren, man sollte aber in der Formulierung und in der Bezeichnung des jeweils politischen Gegners vorsichtig sein. Ich finde - wenn wir einmal die PDS außen vor lassen - , dies sollten wir hier gemeinsam machen.
Erstens. Herr Kollege Roth, die Menschen, die jetzt in den von der Treuhandanstalt erfolgreich begleiteten Unternehmen arbeiten, wissen, daß sie eine Zukunft haben.
({0})
Zweitens. Sie müssen sagen - das wissen auch Sie sehr wohl, Herr Kollege Roth - : Wollen Sie nun die Lösung für Jena, oder wollen Sie sie nicht? Nur Problematisieren bringt nichts. Sie müssen dann schon sagen: Nein, ich will keine Lösung für Jena. Haben Sie aber dann den Mut und sagen Sie es.
({1})
Drittens. Sie machen den alten sozialistischen Fehler - so möchte ich jetzt einmal sagen -, daß Sie Einzelfälle hochrechnen. Es wird nur ein Jena geben. Sicherlich wird es auch Fälle wie in dem Chemiedreieck und wie im Braunkohlenrevier geben. Diese Probleme werden wir aber genauso lösen, jeweils individuell. Ihre Hochrechnung und ihre Scharmützel hinsichtlich der Zahlen sind der klassische Fehler; Sie sind wirklich nicht in der Lage, einem eher privat organisierten wirtschaftspolitischen Instrument zu folgen. Sie glauben immer nur, der Staat kann das tun. Im Kern geht es um diese Aussage.
Ich sage nicht hinzu: Sie Blender, Herr Kollege Roth, sondern: Laßt uns in der Sache darüber streiten, aber vernünftig im Ton.
({2})
Nein.
({0})
Das Wort hat der Kollege Kuessner.
Der letzte Disput zeigt, daß es notwendig ist, daß in den Ausschüssen in bezug auf dieses Thema intensiv gearbeitet wird.
({0})
- Das ist sehr schön. Das ist ein gutes Wort.
({1})
- Mal sehen. Man muß es an einigen Stellen erst noch merken; immer merkt man es nicht.
Die Einheit Deutschlands wurde durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland vollzogen. Viele Menschen bei uns in der DDR haben damals
gehofft, daß so der Ausstieg aus Diktatur und Mangelwirtschaft und der Einstieg in Demokratie und Wohlstand am schnellsten und besten erfolgen kann. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik trat die Wirtschaft der DDR in die Marktwirtschaft.
({2})
Der Weg von der Kommandowirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft ist so voller Hindernisse, daß er nur mit Hilfe einer Serie von unterstützenden Maßnahmen bewältigt werden kann. Dies ist, denke ich, übereinstimmende Meinung.
Die Umgestaltung der ehemaligen DDR-Wirtschaft ist eine so große Herausforderung, daß das Parlament hierbei aktiv einbezogen sein muß. Jetzt werden Strukturen geschaffen, die über die Zukunft der Menschen in den neuen Ländern entscheiden. Jetzt muß über manches nachgedacht werden, was es bisher in der Bundesrepublik nicht gab.
Ich würde gerne von „unserer" Volkswirtschaft in Deutschland reden, aber leider werden wir noch lange Zeit zwischen der Volkswirtschaft der alten und der der neuen Bundesländer differenzieren müssen.
Die Volkswirtschaft der alten Länder wird entscheidend von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt. In diesen mittelständischen Betrieben sind rund zwei Drittel aller Arbeitnehmer beschäftigt; von ihnen wird rund 80% der beruflichen Ausbildung erbracht. Dir Förderung der Existenz- und Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen in den neuen Ländern liegt daher im gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesse. Sie tragen entscheidend zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei und sie haben einen herausragenden Anteil an der Entwicklung gleichwertiger gesellschaftlicher Strukturen.
Für die Stabilität der Sozialen Marktwirtschaft als Gesellschaftssystem steht für mich an vorderer Stelle, daß die Verfügungs- und Dispositionsmacht des Unternehmers bzw. des Eigentümers in den Händen von Menschen liegt, die dort auch zu Hause sind. Ich halte das für ein ganz zentrales gesellschaftspolitisches Thema, und ich weiß, daß es auch Herrn Rohwedder Kopfzerbrechen bereitet hat, daß es im Zuge der gegenwärtigen Privatisierungsphase der Treuhand wohl umvermeidlich ist, daß die Verfügungsmacht über Betriebseinheiten fast ausschließlich Gebietsfremden überantwortet werden muß. Über Jahrzehnte hinaus kann so eine Eigentümerstruktur zu Lasten der Menschen in den neuen Ländern geschaffen werden. Wir Sozialdemokraten fordern, daß die Treuhand strukturpolitisch unverzichtbare Betriebe und Betriebe, die mittelfristig am Markt eine Chance haben, erhalten muß;
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denn diese Sanierungsphase unter dem Dach der Treuhand bietet gleichzeitig die Chance, daß Menschen aus den neuen Ländern in sanierten und in die Marktwirtschaft entlassenen Betrieben Unternehmer werden. Für die Herausbildung eines neuen Identitätsgefühls im Osten Deutschlands ist dies von großer Bedeutung.
Deshalb ist es für mich unverständlich, daß die Regionalzeitungen in den neuen Ländern allein an Westverlage veräußert wurden. Die Treuhand hätte vielmehr Modelle entwickeln müssen, die die verlegerische Verantwortung in den neuen Ländern beläßt.
Die Diskussion der letzten Monate um Arbeit und Zielstellung der Treuhand hat immer deutlicher werden lassen, daß sie einen entscheidenden Einfluß auf die strukturelle und regionale Entwicklung in den neuen Ländern hat, daß sie sich diesem Einfluß weder entziehen kann noch will. Die Treuhand nimmt nach ihrem Selbstverständnis eine Schlüsselrolle bei der Umgestaltung der Wirtschaft der früheren DDR ein. Sie nimmt diese Aufgabe in immer größer werdendem Umfang eigenverantwortlich wahr. Damit findet in meinen Augen eine Verlagerung zentraler politischer Entscheidungen in eine Institution statt, die dafür parlamentarisch-politisch nicht legitimiert ist. Für eine solche Institution sind auch die Kontrollinstrumente der Rechts- und Fachaufsicht der nachgeordneten Bundesbehörden nicht geeignet. Sie laufen Gefahr, hier zu versagen.
Auf den Punkt gebracht: Bei der Treuhand handelt es sich angesichts dessen, daß ihre Entscheidungen tief in wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Strukturen eingreifen, im Grunde um ein Superministerium, das in einer direkten parlamentarischen Verantwortung stehen müßte.
Nun besteht auf seiten der Bundesregierung keinerlei Neigung, die Treuhand in Form eines eigenen Ministeriums zu organisieren. Das haben die Ausführungen vorhin gezeigt.
Im Ergebnis darf deshalb aber noch lange nicht hingenommen werden, daß die Bundesregierung durch die von ihr im Einigungsvertrag gewählte Organisationsstruktur eine effektive parlamentarische Kontrolle der Treuhand verhindert.
Deshalb fordern wir die Ablösung des Unterausschusses durch einen eigenständigen Treuhandvollausschuß. Nur ein Vollausschuß, in dem alle Fachkompetenzen aus den verschiedenen angesprochenen Politikbereichen zusammengebunden werden, kann den von der Treuhand maßgeblich gestalteten Umbau der Wirtschaft begleiten und insoweit die Pflichten des Parlaments wahrnehmen.
Bei diesem Umbau spielt die Entschuldung eine wichtige Rolle. Wir haben hierüber schon diskutiert.
Wer wie Kollege Solms von der FDP zu der Schlußfolgerung kommt, daß von 110 Milliarden DM Altschulden 20 Milliarden DM durch die Unternehmen selbst beglichen werden können, muß im Interesse der Beschleunigung des wirtschaftlichen Neuanfangs zu einer sachgerechten Lösung des Entschuldungsproblems kommen. Probleme haben wir genug. Lösungen sind gefragt.
Die Lösung der SPD ist die generelle Befreiung der Treuhandunternehmen von den ihnen willkürlich im Rahmen der früheren Kommandowirtschaft zugeordneten Schulden; denn diese Schulden sind nicht das Ergebnis betriebswirtschaftlicher Entscheidungen.
Sie dürfen darum unter den Bedingungen der Wettbewerbswirtschaft dem einzelnen Betrieb nicht angelastet werden.
Die bisherige individuelle Schuldenregelung schreckt Investoren ab. Sie ist zu bürokratisch und verzögert Privatierungs- wie Sanierungsmaßnahmen und sie wird für den Staat nicht billiger.
Ich hoffe deshalb, daß sich alle Fraktionen bei den Ausschußberatungen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit finden und eine generelle Entschuldungsregelung erarbeiten.
Man hört, daß die Zurückhaltung des Bundesfinanzministers in der Befürchtung eines Dominoeffektes begründet liegt. Dazu muß ich sagen: Dieser Effekt ist von der SPD gewollt. So steht es in unseren Anträgen. Auch landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sowie kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen müssen in ein Entschuldungskonzept einbezogen werden.
Regierung und Koalition sind sich inzwischen der Problematik der mit dem Einigungsvertrag vorgenommenen Zuordnung des volkseigenen Wohnungsvermögens auf die Kommunen bewußt geworden. Das zweijährige Moratorium für den Schuldendienst der wohnungswirtschaftlichen Unternehmen wurde verfügt. Die neuen Länder und ihre Kommunen tragen dieses Moratorium mit, weil sie sich von diesem Zeitaufschub die Lösung der Verschuldungsproblematik versprechen.
Die Kreditstände der kommunalen Wohnungsverwaltungen und der Genossenschaften werden sich nach Ablauf des Moratoriums zum 31. Dezember 1992 von jetzt rund 37 Milliarden DM auf 47 Milliarden DM erhöht haben. Dies ist eine Summe, bei der allen Sachverständigen klar ist, daß sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Genossenschaften und der Kommunen weit übersteigt. Ebenso ist inzwischen klargeworden, daß es sich bei der im Einigungsvertrag angestrebten Privatisierung nur um eine politische Vision gehandelt hat, die in der Marktwirtschaft keinen Platz hat; denn die Privatisierung von 60 % des Mietwohnungsbestandes führt zu einem nicht zu vertretenden Preisverfall. Außerdem sind viele Wohnungen in einem solchen Zustand - ich denke besonders an die Neubaublocks -, daß man sie nicht privatisieren kann.
Die Wohnungsbaufinanzierung stellte sich im System des integrierten Staatshaushaltes der DDR als eine technische Frage dar. Die Finanzierung hätte genausogut über staatliche Zuschüsse laufen können, so daß die kreditäre Finanzierung an anderer Stelle des Haushalts in Erscheinung getreten wäre, z. B. beim Bund.
Der grundlegende Fehler liegt deshalb in der Konstruktion des Einigungsvertrages. Das Problem wurde auf die kommunale Ebene verfrachtet. Hier kann es aber nicht gelöst werden. Die Kommunen sind nach der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes hierfür auch nicht zuständig. Die Kommunen haben noch so viel mit sich und ihrem Aufbau zu tun. Nach dem Auslaufen des Moratoriums besteht die Gefahr, daß die kommunale Handlungsfähigkeit durch die wohnungswirtschaftliche Problematik erdrückt wird.
Deshalb meine ich, daß wir in den Ausschußberatungen in dieser Frage nicht nur debattieren dürfen; wir brauchen eine Lösung, damit die Kommunen zu ihrer Selbstverwaltung befähigt werden.
Schönen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ulrich Petzold.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser verbundenen Debatte liegen uns mehrere Anträge und Gesetzentwürfe vor, von denen einige durchaus diskussionswürdig sind, andere jedoch nur Propagandazwecken dienen.
Besonders empört hat mich der Gesetzentwurf der PDS, der ich hier noch einmal ihren alten Namen SED ins Gedächtnis rufen möchte. Hier wird so getan, als ob sie 1989 den Staat DDR als ein blühendes Land und nicht als wirtschaftlichen Trümmerhaufen hinterlassen hätte.
Wenn ich den Begriff „volkseigenes Vermögen" höre, dann muß ich immer auch an solche „sozialistischen Errungenschaften" wie Deponie Antonie, Deponien Freiheit III und Freiheit IV, Restloch Thalheim und Schlammbeete an der F 134 denken. - Soll ich die Liste noch fortsetzen?
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- Ja, Sie!
Dann fällt mir auch die Luftbelastung mit SO2 ein, die allein in den Städten Bitterfeld, Borna und Merseburg mit 1,1 Millionen t höher war als in der gesamten Bundesrepublik.
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- Die standen doch alle unter Ihrer Fuchtel, meine Damen und Herren.
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Dann denke ich aber auch an das Grundwasser in meinem Heimatdörfchen, das wir bei einer Nitratbelastung von über 300 mg/l als Trinkwasser nehmen mußten, da es keine Wasserleitung gab.
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Doch das Schlimmste dabei war, daß schon allein das Wissen um diesen Zustand durch die Genossen des Herrn Modrow schwer bestraft wurde.
In dem Bericht des TÜV Rheinland zum Umweltschutz und zur Energietechnik für meine Region wird festgestellt, daß trotz einer relativ fortschrittlichen Umweltschutzgesetzgebung in der ehemaligen DDR die Umweltbelastung dramatische Formen annahm.
Die SED/PDS hatte also schon immer in Demagogie ein Weltniveau, das sie uns in wirtschaftlichen Bereichen nur vorspiegelte.
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Sie versucht mit dem Gesetzentwurf bei der über vier Jahrzehnte betrogenen Bevölkerung in den neuen Ländern Punkte zu sammeln und nach dem Prinzip „Haltet den Dieb!" die Bundesrepublik für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich zu machen. Eine Volkswirtschaft, in der seit 1978 die Ersatzinvestitionen das Maß für das Halten des Wirtschaftsstandards unterschritten und zuletzt nur noch 10% des Bruttosozialproduktes betrugen, ist nach so einer langen Zeit heruntergewirtschaftet. Deshalb kann das Geld, das jetzt für die Sanierung der Umwelt und Industrie erforderlich ist, in den neuen Ländern nicht erwirtschaftet und bei weitem nicht aus den Verkaufserlösen der Treuhand gedeckt werden.
Es wird jedoch bewußt die Illusion eines riesigen Volksvermögens geweckt, das noch zu verteilen wäre, in der Hoffnung auf die Verärgerung einer Bevölkerung, die feststellen muß, daß außer der kaputten Umwelt und unrentablen Betrieben nichts mehr da ist.
Zum Glück hat sich die PDS wenigstens ihre Existenz aus dem volkseigenen Vermögen rechtzeitig gesichert. Es wäre nach ihrer Forderung hier nur richtig, wenn sie ihren ehemaligen Genossen Anteilsrechte an ihrem Vermögen sicherte.
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- Ja.
Doch Spaß beiseite. Ohne die Hilfe der alten Länder der Bundesrepublik Deutschland in der unvorstellbaren Höhe von über 100 Milliarden DM wäre das, was jetzt in den vergangenen Wochen angelaufen ist, nicht denkbar. Da die SPD in ihrem Antrag auch die Sanierung der Umwelt angesprochen hat,
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ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen einige Beispiele von zur Zeit laufenden Maßnahmen in meiner Region, die durch das BMU gefördert werden, zur Beseitigung drängendster Umweltprobleme zu nennen: die Ausrüstung des Heizwerkes Bad Dürrenberg der Leuna AG mit einer Entstaubungsanlage, die Rauchgasentschwefelung im Kraftwerk Thierbach, die Abwasserreinigungsanlage für Ammoniak und Schwefelwasserstoff der Leuna-Werke und die Abwasserentsorgung im Industriestandort Wittenberg/Piesteritz, wobei ich hier gerade hoffe, daß der Bürgermeister von Wittenberg - ein Parteifreund von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD - seine Entscheidung noch einmal überdenkt, wesentliche Teile des Millionenauftrages an eine Firma in West-Berlin zu vergeben. Mit dieser Vergabe führt er Ihren Antrag ad absurdum.
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- Ja, der Bürgermeister schafft es.
Die Aufzählung umfaßt nur Großprojekte, die bereits in Angriff genommen wurden. Vieles ist noch angedacht, und viele kleine Verbesserungen, wie z. B. die fast fertige Wasserleitung in meinem Heimatdorf, zu deren Bau wir nicht erst auf das Herüberreichen von Fördermitteln gewartet haben,
Herr Kollege Petzold, Ihre Redezeit ist bereits überschritten.
- haben leider oftmals zu Unrecht zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit und durch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, gefunden.
Ich danke Ihnen.
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Herr Kollege Dr. Starnick, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Recht weisen meine Vorredner und die SPD in einem ihrer Anträge zu diesem Tagesordnungspunkt, überschrieben mit dem Titel: „Mehr Arbeit durch mehr Umweltschutz in den neuen Bundesländern" , darauf hin, in welch großem Ausmaß Aufgaben der Umweltsanierung in den neuen Bundesländern auf uns warten.
Der real existierende Sozialismus in der früheren DDR hat in 40 Jahren der Umwelt eine gigantische Hypothek hinterlassen, deren Höhe wir bislang nur vage beziffern können.
Das Münchener Ifo-Institut hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der Zahlen von über 200 Milliarden DM genannt wurden. Allein für den Gewässerschutz, die Erweiterung und Sanierung des Kanalsystems und die Verbesserung der Abwasseraufbereitung seien über 100 Milliarden DM notwendig, um den westdeutschen Stand zu erreichen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Briefs?
Aber natürlich.
Danke, Herr Kollege.
Ich wollte Sie einfach nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß alle Umweltminister in der Geschichte der DDR Angehörige einer der Blockparteien waren.
Herr Briefs, Sie kennen doch die Geschichte der DDR sicherlich zumindest genauso gut wie ich und wissen, daß natürlich nicht die Tatsache, daß man einer Blockpartei angehört hat, die politische Richtung bestimmt hat, sondern daß die generelle politische Richtung im Zentralkomitee der SED beschlossen wurde.
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Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege, vielen Dank, daß Sie mir die Zusatzfrage noch zugestehen.
Ist Ihnen bekannt, daß es Anfang der 70er Jahre z. B. die Ost-CDU war, die in geradezu vorauseilendem Gehorsam die letzten verbliebenen Unternehmer in der DDR der SED und der Kollektivierung in die Arme getrieben hat?
Ich brauche mich nicht unbedingt mit der Geschichte der CDU auseinanderzusetzen. Ich weiß aber, daß sozusagen unser Anteil an einer Blockpartei zumindest die Wirkung hatte, daß kleinere und mittelständische Unternehmen in der DDR überleben konnten.
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In Anbetracht der Größenordnung der Umweltsanierung, die vor uns steht, sind wir uns sicherlich darüber einig, daß es unser gemeinsames Ziel ist, gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu erwirken, die das Recht der Menschen in den neuen Bundesländern einschließen, in einer gesunden Umwelt zu leben.
Wir haben deshalb unbestritten ein riesiges Aufgabenpaket mit gewichtiger Beschäftigungswirkung und wirtschaftlichem Anstoß vor uns liegen. Welches der effektivste Weg ist, um dies gemeinsame Ziel zu erreichen, bleibt aber in Anbetracht der Forderung der SPD in ihren Anträgen strittig. Gerade die Größenordnung der Umweltsanierung in den neuen Bundesländern sollte uns klarwerden lassen, daß staatliche Instrumente allein nicht genügen, um dieses Ziel zu erreichen. Zwar haben wir das Spektrum solcher Instrumente, wie z. B. Abgaben mit einer Lenkungswirkung, im Sinne eines besseren Umweltschutzes noch nicht ausgeschöpft; aber ohne das Engagement der privaten Wirtschaft ist dieses Ziel sicher nicht erreichbar.
Besonders im Bereich der Abwasserentsorgung haben Kommunen in den alten Bundesländern beispielhaft gezeigt, wie über Konzessionsverträge auf sehr wirtschaftliche Weise private Unternehmungen zur Lösung kommunaler Aufgaben herangezogen werden können. Um den Kommunen in den neuen Bundesländern diesen Weg zu erleichtern, ist die FDP durchaus bereit, über weitreichende Zinssubventionen für die benötigten Finanzmittel von insgesamt ca. 50 Milliarden DM zu reden. Allerdings würden uns die dafür benötigten Mittel fehlen, wenn wir heute mit einem Federstrich die Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern von ca. 40 Milliarden DM entschuldeten. Wir wollen jedenfalls nicht, daß die Kommunen, wie in den alten Bundesländern oft geschehen, an den Bau von Kläranlagen erst herangehen, wenn ein Zuschuß gegeben wird.
Es kann aber nicht allein die Verpflichtung des Bundes sein, die benötigten Mittel bereitzustellen, wie uns die SPD-Anträge einzureden versuchen. Die Solidarität der Bundesländer untereinander und der baldige Finanzausgleich sind hier gleichermaßen zu fordern. Ich hoffe, daß die SPD-Bundestagsfraktion das auch ihren Ministerpräsidenten deutlich macht.
Hinsichtlich der in den Anträgen zum Ausdruck gebrachten Notwendigkeit von Maßnahmen vermag ich so manche Auffassung der SPD zu teilen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die schnelle Sanierung von belasteten Gewerbegrundstücken zum Flächenrecycling und der Aufbau einer umweltverträglichen und leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur Voraussetzung für einen stabilen wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern sind.
Ob aber z. B. die Ablösung des Antragsverfahrens zur Befreiung von der Haftung für bestehende Altlasten durch ein Anzeigeverfahren ein geeignetes Mittel ist, möchte ich bezweifeln. Die Entscheidung über eine Befreiung den Ländern zu entziehen, die mit ihren Mitteln schließlich in die Haftung eintreten müssen, ist eine Entmündigung der Länder. Stellen Sie sich vor, welche Reaktionen Sie zu erwarten hätten, wenn Sie das einem Ihrer Finanz- oder Umweltminister in den alten Bundesländern zumuten würden.
Natürlich können die neuen Bundesländer gerade auch bei dieser Entscheidung, mit der in erheblichem Maße ihre finanziellen Mittel gebunden werden, nicht alleingelassen werden. Eine Abfallabgabe ist hierfür ein durchaus geeignetes Finanzierungsinstrument. Ich hoffe, daß die Bereitschaft der Länder erwirkt werden kann, etwa die Hälfte der hier aufgebrachten Mittel in die neuen Bundesländer zu transferieren. Dagegen verfassungsrechtliche Bedenken vorzuschützen ist eine faule Ausrede.
In den vorliegenden Anträgen schimmert immer wieder der Wunderglaube an die Wirksamkeit von Beschäftigungsgesellschaften durch. So sollen solche nach dem Willen der SPD z. B. zur Sicherung und Bewachung von Liegenschaften mit militärischen Anlagen eingerichtet werden. Das ist eine Aufgabe, die jedes private Bewachungsunternehmen mit entsprechend ausgebildetem und eingewiesem Personal ebensogut übernehmen könnte. Ich will nicht bestreiten, daß die Beschäftigungsgesellschaften in besonderen Fällen als Träger für AB-Maßnahmen in Frage kommen. Sie sind aber überhaupt kein Allheilmittel in der Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern und zur Förderung eines wirtschaftlichen Strukturwandels. Denn sie stellen nur die Fortführung von VEB-Betrieben mit all ihrer Ineffizienz unter einem neuen Etikett dar. Der Staat sollte deshalb in den neuen Bundesländern als Auftraggeber massiv auftreten, sich aber als Arbeitgeber zurückhalten.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Darf ich diesen Gedanken noch zu Ende bringen?
Ja, bitte.
Gerade die IG Metall, die zur Zeit vehement fordert, die Anweisungen des Vorstandes an nachgeordnete Betriebe zurückzunehmen, sich nicht gesellschaftsrechtlich an der Gründung von Beschäftigungs- und Auffanggesellschaften zu beteiligen, müßte aus ihrer langjährigen Erfahrung wissen, daß Arbeitsplätze langfristig nur von solchen Unternehmen gesichert werden können, deren Produktivität im internationalen Wettbewerb mithalten kann.
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Herr Kollege Müntefering.
Herr Kollege, manchmal liest man auch die Konkurrenz. Da ist mir aufgefallen, daß in Ihrer Weimarer Erklärung vom Montag dieser Woche Beschäftigungsgesellschaften als ein unverzichtbares Mittel für diese Zeit angesprochen worden sind. Nun frage ich Sie: Stimmen Sie mit der Weimarer Erklärung nicht überein, oder stimmt die Weimarer Erklärung nicht?
Ich stimme insoweit mit der Weimarer Erklärung überein, als ich meine, daß in besonderen Fällen - wie ich auch gesagt habe - Beschäftigungsgesellschaften eine solche Überbrükkungsleistung bringen können. Aber ich sehe natürlich die Gefahren und will darauf nochmals hinweisen. Die Beschäftigungsgesellschaften behindern eher den notwendigen Strukturwandel - das ist meine feste persönliche Überzeugung - , treten sie doch meist als subventionierte Konkurrenten für den gerade erwachsenden Mittelstand auf.
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Mit Blick auf die CDU gesagt meine ich: Ich kann Herrn Pieroth in seinen Warnungen nur beipflichten. Denn bedenken Sie bitte, Herr Kollege: Der Beschäftigte in einer Beschäftigungsgesellschaft wird diese selbst nie als gesicherten Arbeitsplatz betrachten. Vielmehr wird er in seiner Haltung des passiven Abwartens bestätigt, die wir für den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Bundesländern nicht brauchen können.
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Der Kollege Müntefering möchte Sie noch etwas fragen.
Herr Kollege, bedeutet das, daß die FDP in der Koalition dafür sorgen wird, daß es solche Beschäftigungsgesellschaften nicht geben wird?
Die FDP wird Beschäftigungsgesellschaften insofern mittragen, als sie darauf beschränkt bleiben, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchzuführen, weil hierfür sonst keine anderer Träger zur Verfügung steht.
Herr Präsident, ich glaube, damit habe ich das Wesentliche gesagt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Schulz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegen der SPD, mit Ihrem Antrag wollen Sie die Bundesregierung verpflichten, zu verschiedenen Fragen Stellung zu nehmen. Ich bin, ehrlich gesagt, selber neugierig, wie die Stellungnahme aussehen wird, denn ich kann mir durchaus vorstellen, Sie erhalten durch die Beantwortung nicht den Erfolg, den Sie mit der Fragestellung beabsichtigen. Es handelt sich zum Großteil um Fragen, die Sie schon seit so langer Zeit stellen, die schon so oft beantwortet wurden, daß es für mich unklar ist, warum Sie diese Fragen weiterhin stellen. Sie kennen die Antworten.
Besonders peinlich wird es im dritten Teil Ihres Antrags, darauf gehe ich ein. Hier wiederholen Sie Forderungen, mit denen Sie schon des öfteren gescheitert sind, und nun kommen Sie wieder mit diesen alten Geschichten. Ihre Überschrift ist gut, aber das ist auch alles, was an dem Antrag gut ist. „Den Aufbau in den neuen Ländern vorantreiben - Investitionen fördern
- Umwelt sanieren - Verwaltungskraft stärken", alles ganz phantastisch. Aber neben den Möglichkeiten, die es zur Förderung von Investitionen bereits gibt, und neben denen, die es noch geben könnte
- immerhin verhindert die SPD durch ihre Intervention im Bundesrat, daß die Steuergesetzgebung so schnell greift, wie wir das wollen -, ist es dringend erforderlich, Infrastruktur in den neuen Ländern zu schaffen. Verwaltungskraft stärken bedeutet für mich, zu erreichen, daß sich die Verwaltung auf die ihr obliegenden Bereiche beschränkt und sich voll dafür einsetzt. Investitionen fördern bedeutet, daß die öffentliche Hand nicht als der große Investor auftritt, sondern daß im Bereich der kommunalen Wirtschaft möglichst viele private Investitionen zum Tragen kommen. Umwelt sanieren wird dadurch erreicht, daß Umweltsanierung nicht nur durch öffentliche Mittel und durch die Verwaltung vorgenommen wird, sondern durch die breite Beteiligung der Bevölkerung und der Wirtschaft. Wenn das gelingt, dann gelingt natürlich auch der Aufbau in den neuen Ländern, denn es entsteht die für den Aufbau nötige Infrastruktur. Das alles ist möglich, und das ist für mich eigentlich wichtiger als Ihr ganzer Fragen- und Angebotskatalog.
Nehmen Sie Ihre Verantwortung, die auch Sie in den neuen Ländern haben, wahr, indem Sie Ihre ideologischen Hürden überspringen! Helfen Sie, die SPD, über die SPD-regierten Bundesländer, über die SPD-regierten Kommunen - bei den CDU-regierten Kommunen ist das für mich selbstverständlich - mit, daß möglichst viele kommunale Wirtschaftsbereiche in den neuen Bundesländern nicht mehr kommunal, sondern privatwirtschaftlich geführt werden, damit die Kommunen Kraft und Zeit gewinnen, für ihre Aufgaben wirklich tätig werden zu können.
Das, was in 40 Jahren an kommunalen Möglichkeiten in den Gemeinden der alten Bundesländer langsam gewachsen und daher wirtschaftlich möglich ist,
Gerhard Schulz ({0})
kann nicht von heute auf morgen in den neuen Ländern möglich werden.
Damit all das viele Geld, das jetzt schon unterwegs ist, auch wirklich ankommt und damit zur Wirkung kommt, damit alle diese Investitionen, die greifen müssen, wirken können, damit die Schaffung einer vernünftigen Infrastruktur möglich ist, kann keine Kommune, keine Gemeinde, keines der neuen Länder aus eigener Kraft zeitgleich die notwendigen Investitionen auf die Beine stellen. Selbst bei großzügigster Förderung durch den Bund ist das nicht möglich. Jede Kommune könnte sich nur für eines dieser Projekte entscheiden, und alle anderen müßten auf Jahre hinweg liegenbleiben. Das geht nicht, das darf nicht sein, also bleibt nur der Weg über eine weitestgehende Privatisierung kommunaler Aufgaben, wo immer es nur einigermaßen sinnvoll und machbar ist.
Helfen Sie mit, gemeinsam mit uns dafür das Bewußtsein zu schaffen, da es den Kommunen in den neuen Ländern bei der vorherrschenden Haushaltslage nicht möglich sein wird, zeitgleich Investitionen, und zwar enorme Investitionen, in den Bereichen Wasser, Abwasser, Müll, Müllverbrennung, Mülldeponien, Wohnungssanierung, Wohnungsneubau, Straßen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Erschließung von Gewerbeflächen usw. zu finanzieren. Wenn Sie, die SPD, sich bereit erklären, mit uns, der CDU, in den Kommunen und Gemeinden der neuen Länder dafür zu sorgen, daß sie das verstehen und praktizieren, dann erreichen wir für den Aufbau der neuen Länder wesentlich mehr, als wenn Sie Ihre Forderungen und Vorschläge gebetsmühlenartig wiederholen und wir immer wieder auf die gleichen Forderungen und Vorschläge die gleichen, meist ablehnenden Antworten geben.
Schönen Dank.
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Als nächster hat der Abgeordnete Werner Schulz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man wird der Situation in den neuen Bundesländern weder durch Schönfärberei noch durch Schwarzmalerei gerecht. Das Bild ist dort eher grau, und es hängt tatsächlich von einer aktiven Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ab, welche Farbe in den nächsten Monaten und Jahren erkennbar wird.
Wir teilen den hier verbreiteten Zweckoptimismus der Regierungskoalition nicht und stehen damit auch nicht allein. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung das bisher geheimgehaltene Gutachten der Beratungsfirma McKinsey veröffentlichte, einer Firma, die nun wahrlich nicht der Sympathie für die sozialistische Planwirtschaft verdächtigt werden kann. Auch sie fordert vom Staat aktive Industrie- und Strukturpolitik. Das mag vielleicht jedem wirtschaftsliberalen Denken zuwider sein, Herr Friedhoff; aber wir sind in einer außergewöhnlichen Situation, in der außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich sind.
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- Kollege Dr. Neuling, es geht wahrlich nicht um Staatsintervention, sondern es geht uns um einen geregelten Übergang von dieser sozialistischen Mißwirtschaft, der Planwirtschaft, zu einer funktionierenden Sozialen Marktwirtschaft. Dabei ist der Staat gefragt. Wer sollte es denn sonst tun?
Ihr Glaube an den Markt hat sich doch bisher als Fehlglaube erwiesen. Daß Sie für diesen Übergang kein Konzept hatten, ist doch gerade die Ursache dafür, warum wir in dieser Misere stecken. Die Privatisierungswelle der Treuhand hat schon längst ihren Zenit erreicht oder sogar überschritten. Wenn Sie hier eine Zahl von 2 000 Firmen nennen, haben Sie wissentlich gleich die vielen kleinen Einzelhandelsgeschäfte eingerechnet,
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oder Unternehmen von denen Sie bisher nicht wissen, ob sie stabil und konkurrenzfähig bestehen können. Sie wissen doch auch, welche Erfolge Sie mit der Privatisierung im Westen gehabt haben. Die Bundesrepublik hat seit 1982 676 Betriebe, die in öffentlicher Hand oder halbstaatlich waren, mit einem Erfolg von 9,4 Milliarden DM Erlös privatisiert. Selbst rigorose Privatisierungsversuche in Großbritannien haben doch nie den Erfolg gebracht, den man eigentlich erwartete. Die Privatisierung, gar die schnelle Privatisierung einer Volkswirtschaft ist ein Trugschluß.
Ich will hier aber deutlich machen, weil Sie sich immer an dem PDS-Gesetzentwurf aufhängen: Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Es wäre sinnvoll, Sie würden sich damit beschäftigen. Die PDS hat dieser Diskussion einen Bärendienst erwiesen, indem sie mit einem solchen Gesetz vorgeprescht ist.
Wir haben sehr sinnvolle Vorschläge unterbreitet. Herr Staatssekretär Carstens, es geht uns doch nicht um den Erhalt von Arbeitsplätzen um jeden Preis. Es geht uns auch nicht um die Schaffung dauerhafter Subventionstatbestände oder um die Verhinderung von Privatisierung. Es geht uns darum, die industrielle Substanz im Osten generell zu erhalten, solange man noch Möglichkeiten hat, weil das doch die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung ist.
Ihr Glaube an Initialzündungen und an Anschubfinanzierung, wie das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, das ich überhaupt nicht schmälern möchte, ist auch für meine Begriffe ein Fehlglaube. Es entspricht in seinem Investitionsvolumen etwa dem Betrag, den ein großer Automobilkonzern heute jährlich als Investitionen einsetzt. Das ist viel zu wenig. Gerade die Unterkapitalisierung im Osten - hier werden spektakuläre Beträge gehandelt - wird unterschätzt.
Aber Fakt ist: Die Treuhand ist ein Zuschußbetrieb. Hier muß Kapital einfließen. Hier wird man nichts herausholen können. Diese Annahme hat sich nicht bestätigt. Man muß also im Grunde genommen investieren, d. h. man muß die Treuhandbetriebe natürlich auch entschulden. Denn ansonsten bleiben die Schulden doch auf der Treuhand hängen, und der Staat hat sie ohnehin. Wäre es in diesem Falle nicht sinnvoller,
Werner Schulz ({2})
diese Schulden auf den Kreditabwicklungsfonds zu übertragen und sie als Staatsschulden zu betrachten, die sie in Wirklichkeit auch sind?
Das würde vielen Betrieben helfen und würde viele Aktivitäten freilegen. Viele Betriebe, die sich jetzt in der Schwebe befinden, die nicht genau wissen, wie es weitergeht, die nicht wissen, ob in den nächsten Monaten eine Privatisierung erfolgt, brauchen einfach Sanierungsförderung durch die Treuhand. Hier muß eine aktive Politik einsetzen. Darauf zielt unser Gesetz.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Rolf Rau.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf den Wohnungsbeständen in den jungen Bundesländern lasten alte und sehr hohe Schulden. Sie belasten den ehemaligen volkseigenen Wohnungsbestand genauso wie den Bestand der Genossenschaftswohnungen aber auch die privaten Hausbesitzer, die Kredite auf sich genommen haben. Darin stimme ich mit Herrn Börnsen überein; er ist leider nicht mehr da.
Aber ich verstehe nicht, daß Herr Börnsen zwar in seiner Statistik gelesen hat, aber bestimmte andere Statistiken nicht aufgenommen hat. Wenn er z. B. die Zahlen vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie nachgelesen hätte, hätte er feststellen können, daß im letzten Monat eine Steigerungsrate in der Auftragslage von 48 % angesagt ist.
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Auch das folgende muß man sagen; denn ich stoße mich an der Panikmache: In meinem Landkreis gehen - im Gegensatz zum Herbst letzten Jahres - jetzt täglich bis zu 50 Bauanträge ein. Diese Vorgänge müssen bearbeitet werden. Wer durch den Landkreis Leipzig-Land fährt, weiß, daß die Bautätigkeit dort schon losgegangen ist. Das soll man genauso sagen, wie man deutlich machen muß, daß wir noch eine ganze Reihe von Problemen haben und daß uns deren Lösung noch eine Menge Kraft kosten wird.
Wenn wir zur Problematik der Mieten und der Altschulden zurückkommen, sollte man auch sagen, daß die Schulden, die aufgelaufen sind, an der Politik lagen, die zu den niedrigen Mieten geführt hat. Da wir in Sorge um den sozialen Frieden die Mieten nur schrittweise anheben können und sie durch ein angemessenes, neues Wohngeld abfedern, wird es in den nächsten zwei Jahren keine kostendeckenden Mieten in diesem Bereich geben. Deshalb ist für die Eigentümer der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen ein Zins- und Tilgungsmoratorium bis 1993 vorgesehen.
Herr Thierse - auch er ist leider nicht mehr da - zitierte vorhin Zahlen aus dem Raum Leipzig. Aber in Leipzig ist ausgerechnet die Wohnungswirtschaft in den Händen der SPD. Vielleicht sollte er seinem Genossen Oberbürgermeister einen Brief schreiben oder mit ihm ein Telefongespräch führen, damit die Probleme - zum Teil sind die Mieten auf über 1 000 DM hochgegangen - korrigiert werden.
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Ich bin der Auffassung, daß wir Christdemokraten in den jungen Ländern eine gute Wohnungspolitik betreiben. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch - darüber sind wir uns einig - Signale aus Bonn senden. Das heißt für mich, wir müssen einen Weg finden, die aufgelaufenen Altschulden im Wohnungsbereich, die äußerst fragwürdig zustande gekommen sind, gegen null zu reduzieren.
Daß die Verantwortung hierzu zum großen Teil beim Bund liegt, ergibt sich aus der Konstellation der Kredite, lag doch bis 1971 die Kreditvergabe für den Gesamtwohnungsbau ausschließlich bei den Sparkassen, ging diese 1971 auf die Industrie- und Handelsbank über und ab 1974 direkt zur Staatsbank. Am 1. Juli 1990 beendete die Staatsbank ihre Arbeit, und die Gläubigerbank ist heute die Deutsche Kreditbank, also Eigentümer ist die Treuhand. Dahinter steht der Bund. Darüber braucht man nicht zu diskutieren.
Ich bin trotzdem der Auffassung, daß wir dem Beachtung schenken müssen, wo die Altschulden auf eine Durchschnittsgröße bezogen werden. Das ist meiner Ansicht nach die Tragik der Geschichte. Bei der Privatisierung der Wohnungen stehen im Durchschnitt 15 000 DM/pro Wohnung an. Das bedeutet gleichzeitig etwa 2 DM/m2 für den Kapitaldienst.
Für meine Begriffe ist das eine Situation, die der Privatisierung, aber auch der Überlebenschance der Wohnungswirtschaftsbetriebe kaum noch Raum läßt - noch dazu, wo auf Grund der komplexen Lage des Wohnungsbaus sehr viel Arbeit zu leisten ist, um die Schulden den einzelnen Objekten zuzuordnen. Schließlich sind Einrichtungen wie Kindergärten, Gaststätten, Jugendklubs und Dienstleistungseinrichtungen in diesem Rahmen mitfinanziert worden.
Diese Zuordnung des Grundvermögens zu den Kommunen beginnt jetzt. Erforderlich bleibt die Grundstückszuordnung. Erst nach deren Abschluß wird der Gesamtvermögenswert der Wohnungen zu betrachten sein. Selbstverständlich haben die Kommunen bei der Preisbildung für Boden erheblichen Einfluß auf den Kaufwert und - auch das darf man nicht übersehen - auf die Kapitalbildung, die wir erwarten können. Gehe ich vom Einigungsvertrag aus, dann bedeutet das, daß die Schulden aus den ehemaligen Wohnungsbauunternehmen jetzt bei den Kommunen liegen.
Meiner Einschätzung nach müssen gerade im Bereich des Wohnungsplattenbaus eine ganze Reihe von Objekten einer Prüfung dahin gehend unterzogen werden, ob und wie lange sie noch als Wohnungen dienen können oder - anders gesagt - ob und mit welchen Aufwendungen sie zu qualitativ, aber auch ökologisch verantwortbaren Wohnungen gestaltet werden können.
Hier frage ich - und das müssen wir uns alle fragen - : Ist unter Berücksichtigung der sozialen Lage der Mieter unter dem Gesichtspunkt der Schuldenbelastung oder dem Gesichtspunkt der Aufwendungen für Reparaturen, aber auch zur Sanierung von
Wärmedämmung, Heizung und Warmwasser, der Bürger in den jungen Ländern überhaupt in der Lage, seinen Beitrag zur Privatisierung zu leisten? Ich denke, deshalb sollten wir unsere Haushälter -
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.
Einen letzten Satz, bitte.
Ich denke, deshalb sollten wir sowohl unsere Haushälter als auch das Bundesfinanzministerium beauftragen, gemeinsam darüber nachzudenken, in welcher Schrittfolge und in welcher Höhe die Entschuldung des Wohnungsmarktes erfolgen sollte.
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Herr Kollege, nicht mehr weiter, bitte.
Die Finanzierungsfragen für die Menschen müßten meiner Ansicht nach auch unter Beachtung der Altbundesländer einer Lösung zugeführt werden.
Vielen Dank.
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Wenn eine große Fraktion ihre Redezeit in Fünfminutenbeiträge aufteilt und dann jeder ein paar Sekunden überzieht, dann ist das in der Summe sehr viel schlimmer, als wenn ich einen Kollegen, der eine normale Redezeit hat, ein paar Sekunden überziehen lasse. Deshalb meine Exaktheit.
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Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Dr. Bertram Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde durch schnelles Reden versuchen, die Zeit wieder wettzumachen.
Angesichts der gegenwärtigen Situation in den neuen Bundesländern, meine Damen und Herren, ist es .von herausragender Bedeutung, Umweltschutz, Arbeitssicherung und Arbeitsbeschaffung miteinander zu verbinden. Ein Ziel unseres ökologischen Aktionsprogramms ist es, einen wichtigen Beitrag zum Abbau der größten ökologischen Investitionshemmnisse und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten.
Neben der gezielt betriebenen Sanierung ist der Aufbau einer leistungsfähigen Ver- und Entsorgungsinfrastruktur Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Neubeginn. Dazu zählt auch der Bau von mindestens fünf Entsorgungszentren, zu denen neben Sonderabfalldeponien Bodenbehandlungszentren und auch thermische Anlagen gehören sollten. Wer die Theissenschlämme in Mansfeld oder den Teersee - immerhin 2 Millionen Tonnen - in Rositz
umweltfreundlich entsorgen will, muß sich zu modernen und praktikablen Techniken bekennen.
Zur Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen in den neuen Ländern sind finanzielle Mittel bereitgestellt worden. Weitere sind beschlossen. Ich möchte jetzt auf die einzelnen Posten nicht eingehen, nur auf die beträchtlichen Finanzmittel der Bundesanstalt für Arbeit hinweisen, mit denen im Wege von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch Umweltschutzprojekte umgesetzt werden. Gegenwärtig sind bereits über 113 000 Menschen im ABM-Programm tätig. Der überwiegende Teil davon arbeitet im Bereich der Umweltsanierung. Dieses Programm dient in den neuen Ländern nicht nur dazu, die Zahl der Arbeitslosen zu senken, sondern setzt die Voraussetzungen dafür, die schweren ökologischen Schäden zu beseitigen, und trägt zum wirtschaftlichen Aufschwung unmittelbar bei.
Ich komme jetzt mit einigen Beispielen darauf zu sprechen. Die Aktivitäten des BMU schon zu Beginn des Jahres 1990 haben dazu geführt, daß Anlagen, die gleichermaßen unwirtschaftlich und schwer umweltbelastend waren, geschlossen wurden. So gibt es in den neuen Bundesländern keine Karbochemie mehr. Ich erinnere an die Standorte Böhlen, Espenhain und Buna. In Buna ist man dabei, die Anlagen der Karbochemie abzureißen und das Gelände zu sanieren, um Voraussetzungen für die Ansiedlung neuer zukunftsträchtiger Unternehmen gewinnen zu können. Eine Sanierungsgesellschaft nimmt das für den Abriß benötigte hochqualifizierte Personal des Unternehmens auf. Über die Personalkostenzuschüsse hinaus werden auch Sachkosten für Geräte und Materialien finanziert, bei bestimmten Programmen sogar bis zu über 100 %. Auch in Bitterfeld sind mehrere Sanierungsgesellschaften dabei, die Voraussetzung für Neuinvestitionen zu schaffen, ebenso im Lausitzer Kohle- und Chemierevier. Nicht zuletzt greifen bei der Wismut zunehmend gigantische Sanierungsprogramme; ich möchte hier nur an die Ortschaft Schlema erinnern.
Verfügbare Fläche an einem Industriestandort ist ein gewaltiges Kapital, das in den alten Bundesländern beispielsweise nicht mehr zur Verfügung steht. Wir können es uns nicht leisten, im Rahmen des wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern noch mehr Naturlandschaft zu verbrauchen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt werden im engen Zusammenwirken von Bund, Land und Kommunen erste Schritte in diese Richtung getan. In sieben ehemaligen Tagebauen sind Maßnahmen vorgesehen, die sowohl der Arbeitsbeschaffung als auch der Verbesserung von Natur und Umwelt dienen. Noch in diesem Jahr werden mindestens 5 000 Beschäftigte aus Braunkohlebetrieben eingesetzt, um verödete Bergbaulandschaften wieder zum Grünen zu bringen.
Angesichts der nach wie vor knappen Finanzmittel in den neuen Bundesländern ist es unser Ziel, einen Teil des Aufkommens der von der Koalition vereinbarten Lenkungsabgaben auf Abfall und Kohlendioxid gezielt in den neuen Bundesländern einzusetzen.
Ein ganz besonderes Problem bildet die Erfassung, Gefährdungsabschätzung und Sanierung der Altla2530
sten auf den Liegenschaften der sowjetischen Streitkräfte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Elmer?
Ja, gern.
Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß Sie sehr viele dieser Arbeiten über ABM finanzieren. Finden Sie es richtig, daß solche staatlichen Aufgaben Ihres Bereichs über das Arbeitsamt finanziert werden, das seine Mittel wiederum von der arbeitenden Bevölkerung nimmt, statt die Dinge direkt aus Ihrem Ministerium zu finanzieren?
Herr Kollege, ich habe aus Zeitersparnisgründen nicht auf die Mittel hingewiesen, die aus unserem Hause bereitgestellt werden. Wir können das nachher noch besprechen; nur ist meine Zeit etwas begrenzt.
Die Unternehmen selber haben auch mit der Hilfe der Treuhand nicht die Möglichkeit - ich erinnere an die Laubag, an die Mibrag, an die Chemie AG in Bitterfeld - , hier solche gewaltigen Sanierungsmaßnahmen durchführen zu können. Dieser Vorgang ist natürlich auch in meinem Verständnis einmalig und der Situation angepaßt.
({0})
- Herr Schily, Sie kennen doch die Zahlen; die waren in der letzten Woche mit im Bundeshaushalt.
({1})
- Das ist Ihre Auffassung. ({2})
Die Bundesregierung hat allein für den ersten Schritt der Erfassung 70 Millionen DM - ich möchte daran erinnern, wir sind bei den sowjetischen Altlasten - zur Verfügung. Wir nutzen dabei nicht nur das Know-how ostdeutscher Firmen, sondern sichern und schaffen damit auch Arbeitsplätze in den neuen Ländern. Bereits 20 ostdeutsche Firmen sind an diesem Projekt beteiligt.
Für besonders wichtig halte ich es, daß neben dem Engagement des Staates auch privates Kapital für den ökologischen Aufbau mobilisiert wird. Für den Bau von Kläranlagen könnten kurzfristig Investitionen von rund 20 Milliarden DM bereitgestellt werden. Zur Anschubfinanzierung entsprechender Projekte werden wir die vorbereitende Beratung von insgesamt sieben Vorhaben unterstützen.
Ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern ist die beschleunigte Durchführung von Genehmigungsverfahren. Es war allgemeiner politischer Konsens, daß dem Umweltkatastrophenland DDR ein möglichst schnelles Ende gesetzt werden mußte.
Besonders hervorheben möchte ich noch die Intensivierung des Naturschutzes in den neuen Ländern. Noch durch Beschluß des Ministerrates der ehemaligen DDR im September letzten Jahres konnten 14 Landschaftsräume zwischen Ostsee und Thüringer Wald im Rahmen des Nationalparkprogramms unter Schutz gestellt werden. Es handelt sich hier um besonders schutzwürdige, großräumige Ökosystemkomplexe mit überwiegend europaweiter Bedeutung.
Meine Damen und Herren, es gilt jetzt, den erreichten Schutzstatus zu festigen und auszubauen. Das Bundesumweltministerium beteiligt sich an der Entwicklung dieser Schutzgebiete bereits in großem Umfang im Rahmen der Förderung gesamtstaatlich repräsentativer Vorhaben. Im Haushalt 1991 werden diese Mittel im Hinblick auf die neuen Länder um 10 Millionen DM auf insgesamt 35 Millionen DM aufgestockt. Die Regionen Leipzig, Halle, Bitterfeld oder Borna verdeutlichen sehr plastisch, wie tief die Wunden sind, die diesem Land in seiner wirtschaftlichen Kraft, seiner Bausubstanz, seiner Infrastruktur und seinem Naturhaushalt zugefügt worden sind. Es ist daher nur richtig, daß die Politik in den letzten Monaten mit einer breiten Palette von Programmen und Beschlüssen auf die anstehenden Umweltprobleme reagiert hat. Dies gilt in besonderem Maße für den Bereich des Umweltschutzes.
Herr Präsident, wir haben die Zeit wieder wettgemacht.
({3})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ausdrücklichen Dank für das Redetempo. Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der SPD zur Einsetzung eines Ausschusses Treuhandanstalt auf Drucksache 12/433 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. Die übrigen Vorlagen sollen an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse überwiesen werden.
Die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 17b, 17 c, 17 e und Zusatzpunkt 7 sollen zusätzlich an den Finanzausschuß, und die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 17 f soll zusätzlich an den Ausschuß für Verkehr und an den Finanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Wünschen hinsichtlich einer Erhöhung der Rundfunkgebühren und der Erweiterung der Werbezeiten
Die FDP-Fraktion hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Hans-Joachim Otto das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf ihrer gestrigen Konferenz haben sich die Ministerpräsidenten mit der Finanzsituation der Rundfunkanstalten beschäftigt.
Hans-Joachim Otto ({0})
Nach Presseberichten wollen sie bereits auf ihrer nächsten Sitzung am 4. und 5. Juli zur endgültigen Entscheidung kommen und am 10. Juli Staatsverträge unterzeichnen.
Erfreulich ist dabei, daß die Landeschefs den Forderungen aus den eigenen Reihen, bei ARD und ZDF Werbung auch nach 20 Uhr zuzulassen, offenbar mehrheitlich eine Absage erteilt haben. Denn wer für eine Öffnung der Werbegrenzen streitet, der gefährdet damit die Legitimationsbasis, auf die sich dieses Rundfunksystem gründet;
({1})
wer die Werbegrenzen aufhebt, der legt die Axt an das bewährte duale System im Rundfunkbereich.
({2})
Die FDP-Fraktionen im Bund und in den Ländern lehnen deshalb jegliche Verlängerung der Werbezeiten glasklar ab.
({3})
In diesem Zusammenhang möchte ich ein weiteres aktuelles Problem ansprechen. ARD und ZDF wollen ab Anfang 1992 gemeinsam mit zehn europäischen Partneranstalten über Satellit einen europaweiten Nachrichtenkanal namens „Euronews" ausstrahlen und ihn - darin liegt das Problem - über Werbung finanzieren. Aus Gründen der Pluralität würden wir Liberalen einen privaten Nachrichtenkanal nach dem Vorbild von CNN vorziehen. Sollte es allerdings zu einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal kommen, darf es dort keinerlei Werbung geben. Alles andere wäre ein Verstoß gegen den Rundfunk-Staatsvertrag von 1987. Wir appellieren daher nachdrücklich an die Länder und ihre Ministerpräsidenten, jeder Aufweichung dieses Staatsvertrages zu widerstehen.
({4})
- Ich komme noch zu diesem Problem, Herr Glotz.
Ich komme nunmehr zu den Rundfunkgebühren. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, die KEF, hat kürzlich eine Erhöhung der Gebühren um 3,90 DM auf 22,90 DM vorgeschlagen. Die Druckerschwärze dieses KEF-Gutachtens war noch nicht getrocknet, da erklärte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm bereits, es müsse eine ordentliche, eine, wie er sagte, anständige Erhöhung um 5 DM her. Seine SPD-Kollegen scheinen ihm darin gestern gefolgt zu sein.
Ich finde es bemerkenswert, wie die Ministerpräsidenten ein Gutachten zur Makulatur machen, das sie selber in Auftrag gegeben haben und an dessen Erstellung sämtliche Staatskanzleien mitgewirkt haben.
Uns Freien Demokraten ist durchaus bewußt, daß durch die deutsche Einheit vor allem die ARD und in geringem Maß auch das ZDF mit zusätzlichen Auf gaben belastet werden und auch der Europäische Kulturkanal Kosten verschlingt. Wir sind jedoch der Auffassung, daß ein weiterer Griff in die Taschen der Gebührenzahler so lange zu unterbleiben hat, wie
nicht alle Einsparpotentiale bei ARD und ZDF ausgeschöpft sind.
({5})
Ich frage mich, ob wir beispielsweise beim WDR und beim Bayerischen Rundfunk unbedingt fünf Hörfunkprogramme brauchen. Ich frage mich aber auch, ob das Kulturinteresse in Deutschland so groß ist, daß wir neben dem Europäischen Kulturkanal auch in Zukunft noch die Satellitenprogramme 3Sat und Eins Plus brauchen. Ferner widerspricht es dem Gebot der Sparsamkeit, wenn bald alle dritten Fernsehprogramme über Satellit ausgestrahlt werden, obwohl allein die technischen Kosten der Einspeisung 12 Millionen DM pro Kanal im Jahr betragen.
({6})
Schließlich bräuchten ARD und ZDF keine eigenen Redaktionen für das geplante Frühstücksfernsehen aufzubauen. Das könnte viel kostengünstiger durch Rias-TV produziert werden.
ARD und ZDF müssen also zunächst ihre Kostenstruktur in Ordnung bringen. Erst danach kann über eine maßvolle Aufstockung der Gebühren gesprochen werden. Die 3,90 DM aus dem KEF-Gutachten sollten allerdings nach unserer Auffassung in jedem Fall die Obergrenze bilden.
Meine Damen und Herren, die öffentlich-rechtlichen Anstalten nagen wahrlich nicht am Hungertuch mit ihren bereits jetzt rund 7 Milliarden DM Einnahmen. Wir appellieren deshalb an die Ministerpräsidenten, keine Schnellschüsse auf die Gebührenzahler l abzufeuern. Erst einmal müssen ARD und ZDF durch konkrete Maßnahmen mehr Kostendisziplin nachweisen.
Ich komme zu meiner abschließenden Bemerkung, Herr Glotz. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns bewußt, daß der Rundfunk Ländersache ist. Daran wollen wir auch nicht rütteln. Wenn allerdings vorschnelle Griffe in die Taschen der Gebührenzahler drohen und Gefährdungen des dualen Systems sichtbar werden, muß auch der Bundestag hiervor rechtzeitig warnen. Medienpolitik ist nicht allein eine Sache der Ministerpräsidenten. Medienpolitik muß endlich wieder in den Parlamenten gestaltet werden!
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dies gilt im übrigen, sehr geehrter Herr Staatssekretär, auch für die anstehende Neuordnung der Bundesrundfunkanstalten. Ich bitte Sie deshalb, den Bundestag hieran rechtzeitig und umfassend zu beteiligen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Joseph Blank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschlands Intendanten ziehen mal wieder mit dem Klingelbeutel
durchs Land, und wieder einmal ist der WDR Wortführer. WDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Nowottny hält, gerade einmal 17 Monate nach der letzten Gebührenanpassung, eine vorzeitige Erhöhung um sage und schreibe 6,10 DM für erforderlich. Würde man dem folgen, hätte das zuallererst zur Folge, daß wir in Deutschland eine gespaltene Rundfunkgebühr hätten; denn nach der gerade erfolgten Verdoppelung der Rundfunkgebühren in den neuen Bundesländern wird man - darüber besteht hier im Hause wohl Einigkeit - die Gebühren dort zum jetzigen Zeitpunkt nicht noch einmal erhöhen wollen.
Doch damit nicht genug: Der WDR-Intendant fordert, daß die 20-Uhr-Werbegrenze fallen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gestattet werden müsse, mindestens fünf Minunten an Werktagen zusätzlich werben zu dürfen.
Kräftige Unterstützung gab es von seiten der SPD. Die Ministerpräsidenten Engholm und Rau meinen, eine anständige finanzielle Ausstattung von ARD und ZDF erfordere eine Gebührenerhöhung um 5 DM; nur dann könne auf eine Ausdehnung der Werbezeiten verzichtet werden.
Nicht so Lafontaine, Herr Kollege Müntefering, der als Ihr Querdenker eine, wie er es nennt, wohldosierte Lockerung der Werberestriktionen für notwendig hält.
Die Debatte um die Finanzierung unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist damit wieder einmal voll entbrannt - Grund genug zu fragen, ob denn der Griff in die Taschen der Gebührenzahler und die forcierte Umwerbung deutscher Fernsehzuschauer tatsächlich unvermeidlich sind. Dabei geht es nicht nur um ein paar Mark und Werbeminuten; es geht vielmehr um die Frage, wie ernst wir es mit unserem dualen Rundfunksystem wirklich meinen.
({0})
Unsere duale Rundfunkordnung kann auf Dauer nur dann funktionieren, wenn zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern gleichwertige Wettbewerbsbedingungen gelten. Davon kann aber keine Rede sein. Abgesehen von den technischen Nachteilen bei der Verbreitung der Programme beträgt das Einnahmenverhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten in Deutschland etwa 75 : 25, in anderen europäischen Ländern aber etwa 50 : 50.
Im dualen Rundfunksystem, meine Damen und Herren, steht den öffentlich-rechtlichen Anstalten wegen ihres Grundversorgungsauftrags das Gebührenprivileg zu. Aber wie kann eine duale Rundfunkordnung, die diesen Namen verdient, funktionieren, wenn die öffentlich-rechtlichen Anstalten zusätzlich zu 4,5 Milliarden DM Gesamteinnahmen aus ihrem Gebührenprivileg bei einer Ausdehnung des Werbefernsehens bis 1995/96 auch noch deutlich mehr als die Hälfte des Werbefernsehmarkts beherrschen? Durch eine Ausdehnung des öffentlich-rechtlichen Werbefernsehens würden die Existenzgrundlagen der privaten Rundfunksender, aber auch der Printmedien erheblich gefährdet. Die jüngste Prognos-Studie beweist das.
Vor dem Hintergrund der noch 1988/89 von der Monopolkomission geforderten gänzlichen Beseitigung der Werbefinanzierung bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wäre nun - Herr Kollege Otto hat darauf hingewiesen - eine Ausweitung der Werbezeiten ein ordnungspolitischer Sündenfall ersten Ranges.
Ministerpräsident Lafontaine, anfangs - ich denke, das wäre vermeidbar gewesen - unterstützt vom bayerischen Ministerpräsidenten Streibl, hat diesmal jedenfalls das falsche Tabu durchbrochen. Dabei hätte er mit Berechtigung nachfragen können, ob denn ein angeblich so dramatisch erhöhter Finanzbedarf der öffentlich-rechtlichen Anstalten tatsächlich besteht. Anlaß genug hätte er gehabt, hat doch schon die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten in ihrem Sonderbericht deren Finanzbedarf kräftig nach unten korrigiert.
Wenn wenigstens ein in etwa exakter Nachweis der zusätzlich anfallenden Kosten erbracht wäre, könnte man über eine Gebührenerhöhung - wobei ich mich über den Betrag jetzt noch nicht äußern möchte - reden. Mit pauschalen Schätzungen läßt sich jedenfalls eine weitere Belastung der Gebührenzahler nicht begründen.
({1})
Im übrigen: Gesprochen wird nur von einer notwendigen Erhöhung der Einnahmen, Statt dessen sollte jedoch die Verminderung der Ausgaben das Gebot der Stunde sein.
({2})
Nicht zu Unrecht ist in Medienkreisen der Spruch verbreitet, daß die Sender die einzigen Verwaltungen in Deutschland sind, die es sich leisten, Programme auszustrahlen. Hier müssen in der Tat Tabus in Frage gestellt werden. Die Politik sollte endlich den Mut aufbringen, im Interesse der Gebührenzahler Einsparungen durchzusetzen. Die Medien werden es ihnen wohl nicht danken, vielleicht aber doch die Gebührenzahler. Deren Interessen haben wir schließlich auch zu vertreten.
Herzlichen Dank.
({3})
Frau Abgeordnete Margot von Renesse, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Thema Gebührenerhöhung muß der Bundestag, wenn er ehrlich ist und einen Blick ins Gesetz riskiert, eigentlich seine Zuständigkeit prüfen und anschließend sofort ablehnen; denn die Entscheidungen fallen nicht hier und nicht im Bundeskabinett, sondern sie fallen in den Länderparlamenten und im Kreis der Länder-Ministerpräsidenten.
({0})
Aber sei es drum, ein spannendes Thema mag ja für eine spannende Debatte sorgen. Das soll es wert sein.
Allen denjenigen, die ehrlichen Herzens an dem Anstoß nehmen, was die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an Geld einnehmen und verbrauchen - ich meine hier nicht diejenigen, die das Süppchen auf der Uninformiertheit und auf den Vorurteilen kochen; übrigens müßten genau dieses Phänomen die Kollegen, die schon länger im Bundestag sind, anläßlich der allfälligen Diätendebatten auch schon einmal kennengelernt haben - , die ehrlichen Herzens glauben, da wird verpraßt und verschwendet - Stichwort Ausgabenkürzung -,
({1}) möchte ich folgendes sagen.
({2})
Erstens. Das öffentlich-rechtliche System - jedenfalls der Sender, den ich am besten kenne; das ist der nordrhein-westfälische WDR - hat einen Verwaltungskostenanteil, der nicht mehr als 6 % der Gesamtausgaben beträgt. Von der Verwaltung zu sprechen, die sich ein Programm leistet - wie das vorhin geschehen ist - , ist also vielleicht doch etwas übertrieben.
({3})
Zweitens. In jedem Sender - so auch in dem, den ich am besten kenne - gibt es umfangreiche Überprüfungssysteme, d. h. es wird sehr genau darauf geachtet, was ausgegeben wird. Es gibt dort auch eine Überprüfung nach dem Rechnungshofprinzip, d. h. der Rechnungshof selber sitzt von Zeit zu Zeit über den Büchern und guckt sich an, was ausgegeben worden ist.
({4})
Wir wissen, daß es nach dem Verfassungsrecht der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Systems ist, die Grundversorgung zu leisten. Die Grundversorgung ist mehr als das Amts- oder Käseblatt. Sie ist ein breit angelegtes Programm in den Bereichen, die eben auch mit den privaten Sendern konkurrieren können.
Wir wissen, zur verfassungsrechtlichen Ordnung gehört auch, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk hauptsächlich durch Gebühren finanziert wird. Zu Werbungsgrenzen nach oben ist damit genügend gesagt. Wir stehen auch dazu, daß die Werbung nicht die Hauptfinanzierungsquelle des öffentlich-rechtlichen Systems werden darf.
({5})
Aber ich möchte Sie an einige Dinge erinnern, die gerade in der Konkurrenz mit den privaten Sendern auf die öffentlich-rechtlichen Systeme zugekommen sind. Im Bereich von Sendungen, die auch zum öffentlich-rechtlichen System gehören und von ihm verlangt
werden, sind plötzlich geradezu explosionsartig gestiegene Kosten entstanden. Ich erinnere nur an den Sport; Stichwort Wimbledon. Ich möchte daneben auch an eine Vielzahl von Gemeinschaftsaufgaben erinnern, die politisch gewollt sind: die Anschubfinanzierung der Anstalten der neuen Länder
({6})
- das ist politisch gewollt - , die Neuordnung der Systeme, die wir jetzt neu ordnen müssen; Stichwort Rias, Deutschlandfunk, Deutsche Welle. Das ist für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksysteme eine sehr teure Angelegenheit.
Ich will noch ein paar weitere Dinge nennen. Zum Beispiel gibt es dieses wunderschöne - heute spricht man ja nur noch englisch - Memorandum of Understanding mit der Post. Hierdurch werden die öffentlich-rechtlichen Systeme zur Kasse gebeten, weil Postminister Schwarz-Schilling und die Post die Modernisierung der Technologie im Satellitenbereich verschlafen haben. Der Anbieter Post wird von seinen Kunden finanziell unterstützt.
Der deutsch-französische Europäische Kulturkanal war politisch gewollt. Machen Sie das doch einmal mit RTL oder den anderen privaten Sendern. Versuchen Sie doch einmal, von den privaten Sendern eine Anschubfinanzierung für den Osten,
({7})
einen Beitrag zur Finanzierung des Europäischen Kulturkanals und zur Unterstützung der armen Post zu bekommen, damit sie überhaupt auf den modernen Stand der Technik kommt und à jour ist.
Meine Damen und Herren, wer den öffentlichrechtlichen Rundfunk sowohl im Werbebereich als auch - zusätzlich - hinsichtlich seines wesentlichsten Beins, nämlich der Gebühren, beschränken will,
({8})
den darf ich daran erinnern, daß die letzte beabsichtigte Gebührenerhöhung durch den CDU-dominierten Landtag Baden-Württemberg, obgleich schon als Minister- Staatsvertrag paraphiert, hintertrieben worden und dadurch ein enormer Nachholbedarf entstanden ist.
({9})
Unter diesen Umständen ist derjenige, der die Finanzgrundlagen des öffentlich-rechtlichen Systems konsequent aushöhlen will, jemand, der verfassungsrechtliche Konstanten unseres politischen Systems - siehe Verfassungsgericht - in Frage stellt.
({10})
Meine Damen und Herren, Sie wollen doch sicherlich alle keine Systemveränderer sein!
Margot von Renesse Ich bedanke mich.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Wilfried Seibel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wenden uns gegen eine Ausweitung der Werbung in ARD und ZDF. Zu kritisieren ist die Doppelfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten aus Gebühren und aus Werbung als ordnungspolitisch verfehlt und als bedrohlich für die Entwicklung privatwirtschaftlich verfaßter Medien.
Wir weisen den geltend gemachten Finanzbedarf von ARD und ZDF als überhöht zurück und fordern eine konsequente Rückführung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf eine reine Gebührenfinanzierung, wie dies in Großbritannien, Schweden und Norwegen der Fall ist.
Dies ist näher wie folgt zu begründen:
Der Rundfunkstaatsvertrag gewährt den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten das Gebührenprivileg. Im Gegenzug ist ihnen vom Gesetzgeber der Auftrag zur „Grundversorgung" der Bevölkerung übertragen worden. Grundversorgung erfordert Qualität, Vielfalt und Versorgung mit Minderheitenprogrammen.
Demgegenüber vernachlässigen die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihren mit dem Gebührenprivileg verbundenen Auftrag zur Grundversorgung durch eine Politik der „Marktverstopfung" , die dem Ziel dient, durch Sendervielfalt im Wettbewerb gegenüber Konkurrenzmedien sowohl im Programmangebot als auch im Werbemarkt zu bestehen.
Mit dieser Zielsetzung, insbesondere aber mit der Teilhabe am Werbemarkt, verletzen die öffentlichrechtlichen Anstalten ihren eigenen Programmauftrag, weil sie sich im Wettbewerb der Werbeträger zugleich in den Wettbewerb als Programmanbieter begeben müssen. Das ist ein Ziel, das der Grundversorgung entgegensteht.
Ein Verzicht auf die 20-Uhr-Grenze würde den Wettbewerb der Systeme zu Lasten des Grundversorgungsauftrags der öffentlich-rechtlichen Anstalten noch mehr verschärfen. Das Programm in den öffentlich-rechtlichen Anstalten müßte noch stärker reichweitenorientiert sein, die Abhängigkeit von Werbung nähme zu.
Schon heute muß festgestellt werden, daß die aus dem Gebührenprivileg zu fordernde Programmvielfalt nicht eingetreten ist. ARD und ZDF orientieren ihre Programme in den Hauptsendezeiten auf breitenwirksame Serienunterhaltung. Bereits hier findet eine Verletzung ihres Programmauftrags statt, indem die Grundversorgung in dritte und vierte Programme abgeschoben wird.
({0})
Damit ist bereits heute eine problematische Verwendung der Rundfunkgebühren festzustellen. Der Privilegierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist damit die ordnungspolitische Legitimation de facto schon heute entzogen.
(Dr. Joseph-Theodor Blank ({1}):
Na,
na!)
Ein ordnungspolitisch zweifelsfreies Rundfunksystem muß deshalb zu einer klareren Trennung zwischen Gebühren- und Werbefinanzierung nach dem englischen Vorbild kommen. Es gewährt die politisch gebotene Grundversorgung, schafft Chancengleichheit für privatwirtschaftlich verfaßte Medien und trägt so zur Sicherung der Medienvielfalt bei.
Das Prognos-Gutachten beziffert - auf der Basis von ARD-Angaben - die Kosten für ein öffentlichrechtliches Fernsehsystem 1992 auf 6,33, im Jahre 2000 auf 9,52 Milliarden DM, mehr als 50 % über den heutigen Kosten. Dieser so kalkulierte Finanzbedarf ist überhöht und orientiert sich nicht an dem Grundversorgungsauftrag. Die ins Feld geführte Anschubfinanzierung für die neuen Bundesländer ist durch erhebliche Mehreinnahmen aus Gebühren und Werbung dort kein Faktor eines so deutlich erhöhten Finanzbedarfs.
Das Prognos-Gutachten veranschlagt die Gebühreneinnahmen für 1992 mit 4,92 Milliarden DM, im Jahre 2000 mit 6,76 Milliarden DM. Dabei sind auch die neuen Bundesländer eingerechnet.
Unberücksichtigt bleiben Einsparpotentiale und künftige Erlöse, etwa durch zunehmende Veräußerung von Nebenrechten oder die geplante Vermarktung von Sendetechnik. Auch findet einträgliche - wenngleich rechtswidrige - Werbung in größerem Umfang nach 20 Uhr statt, sei es durch zahlreiche Fälle von Schleichwerbung, sei es durch sonstige Formen, die als „Zusammenarbeit" bezeichnet werden.
Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang auch die Tätigkeit der Rundfunkanstalten als Verlage zu erwähnen, die große, schmuckhafte Illustrierten herausgeben.
({0})
- Ja, das ist meine. ({1})
Auch das ist ein klarer Verstoß.
Die zeitliche Ausdehnung der Werbung und der Verzicht auf die 20-Uhr-Grenze würde zu einer gewollten Verschiebung der Werbeumsätze in Milliardenhöhe zugunsten von ARD und ZDF führen. Wir sehen darin eine ordnungspolitische, nicht zu rechtfertigende existentielle Bedrohung.
Gleichzeitig will ich zum Schluß sagen: Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag verlangt sicherlich Planungssicherheit. Diese verlangt auch eine angemessene Gebührenerhöhung. Dazu gehört aber der Verzicht auf Werbung, mindestens jedoch dessen deutliche Beschränkung.
Herzlichen Dank.
({2})
Abgeordneter Dr. Ulrich Briefs, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Motiv der FDP für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde ist allzu durchsichtig. Sie will sich die in den sich ausbreitenden privaten Medieneinrichtungen Mächtigen gewogen halten. Diese fürchten nämlich, daß ihnen unter Umständen 700 Millionen DM im Jahr verlorengehen werden, wenn ARD und ZDF auch nach 20 Uhr Werbung machen.
Diese Sorge ist nicht unsere Sorge. Wir überlassen sie der FDP, der Partei der Wirtschaftsinteressen und der Makler.
({0})
Eine Antwort der Bürger hat sie jüngst in Hamburg erhalten.
Wir sind wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident gegen die Ausdehnung der Werbesendungen in ARD und ZDF über 20 Uhr hinaus.
({1})
Wir sind dagegen, weil die Fernsehwerbung - das ist, auch vor dem Hintergrund niederländischer Erfahrungen, sogar in gewisser Weise eine deutsche Besonderheit - in weiten Bereichen beleidigend unraffiniert, gelegentlich sogar geradezu schwachsinnig ist.
({2})
Wir sind gegen die weitere Einvernahme der Medien auch auf diesem Wege durch zahlungskräftige Wirtschaftsinteressen mit der Folge der weiteren Verflachung und Beschneidung der Information. Wir sind gegen die weitere Ausdehnung von Werbung, weil in der BRD - hören Sie einmal gut zu! - derzeit mehr als 1,5 v. H. des Bruttosozialprodukts für Werbung ausgegeben wird, d. h. mehr als 1,5 To der jährlichen Schadstoffemissionen und anderer ökologischer Schädigungen sind damit unter anderem auf die häufig geradezu lästige, überwiegend überflüssige Werbung zurückzuführen.
Wir sind - das ist unsere Alternative - für wirkliche Verbraucheraufklärung. Wir sind für Buntheit und Vielfalt, aber nicht in Form stereotyper Fernsehspots. Wir sind gegen die weitere Kommerzialisierung der Medien; wir wollen statt dessen Demokratisierung der Medien und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Redaktionsstatute, Bürgerrepräsentanz in den Rundfunkräten - zu Lasten der Parteien - , Wegfall des Intendantenprinzips. Das wären einige unserer Vorstellungen.
Wir treten für die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesens ein und sprechen uns daher für die geplanten Gebührenerhöhungen aus. Angesichts der Tatsache, daß die Menschen im Osten nach Angaben des Runden Tisches von unten dort nur 37 v. H.
des Einkommens im Westen, als Arbeitslose nur 63 v. H., 68 v. H. oder 90 v. H. ihres früheren niedrigeren Arbeitseinkommens erhalten, fordern wir eine Bindung auch der Rundfunkgebühren an die soziale Lage und die Einkommensentwicklung der Menschen im Osten.
Wir schlagen daher vor: Die Ministerpräsidenten sollen prüfen, ob die Menschen im Osten bis zur Erreichung des westlichen Einkommensniveaus von den Rundfunkgebühren befreit werden können. Die beträchtlichen Mittel für den Aufbau der Rundfunkanstalten im Osten können anders, z. B. als öffentliche Investitionen, finanziert aus dem Reichtum des Westens, aufgebracht werden.
Ich danke.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Franz Krey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf das, was wir gerade gehört haben, braucht man nicht einzugehen.
({0})
Aber grundsätzlich ist es in einer Aktuellen Stunde sicher gut, sich auf das Vorhergesagte noch ein wenig einzulassen.
Herr Otto, ich hatte kommen sehen, daß gleich zu Beginn Ihrer Rede die Berechtigung einer Debatte über dieses Thema - durch einen Zwischenruf des verehrten Kollegen Glotz - in Zweifel gezogen wird. Diese Kritik wird auch noch von anderer Seite kommen. Da bin ich ganz sicher. Gleichwohl bin ich der Meinung, daß - auch wenn die Entscheidung nicht in diesem Hause fällt - der Bundestag in jedem Falle Veranlassung hatte, sich über die Auswirkungen eines solchen Vorgangs hier und heute zu unterhalten.
({1})
Die Verantwortlichen, wo auch immer sie sitzen, sollten gewarnt sein, den Bogen nicht zu überspannen.
Da gerade von der systemsprengenden Wirkung die Rede war, so möchte ich doch einmal sagen: Das System steht in der Tat auf dem Prüfstand, und zwar nicht nur das duale System, dessen Wirksamkeit wir alle miteinander ja bejahen, sondern in diesem System auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Das ist so, ob wir hier und heute darüber diskutieren oder nicht. Mit uns fragt sich auch die ganze Bürgerschaft, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk das wert ist, was er dem Gebührenzahler nun aus der Tasche zieht.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem öffentlichrechtlichen Rundfunk die Aufgabe der Grundversorgung zugesprochen; davon war schon die Rede. Aber den Begriff „Grundversorgung" kann man ja unterschiedlich interpretieren; das klang ja hier soeben an. Nach meiner Meinung muß der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht alles machen, was Fernsehzuschauer und Rundfunkhörer sehen oder hören wollen.
({2})
Es ist nach meiner Meinung auch ganz interessant, daß die Gebühr, wenn man das anders macht, doch den Charakter einer Steuer annimmt, denn wer kann sich der Pflicht zur Zahlung der Gebühren entziehen und sich gleichwohl die Freiheit herausnehmen, von dem Angebotenen überhaupt keinen Gebrauch zu machen?
Ich habe noch ganz gut in Erinnerung: Als ich in den Bundestag einrückte, habe ich mein Mandat im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks wegen der Gemengelage niedergelegt. Eines meiner Abschiedserlebnisse war, daß einer der Programmverantwortlichen auf meine Frage, ob man denn nun nahe am Publikumsgeschmack produziere, gesagt hat: Was die Leute sehen wollen, bestimmen wir. - Meine Damen und Herren, ich glaube, daß hier die Chance besteht, den Gegenstrom wieder einmal etwas deutlicher zu machen.
Es ist notwendig, eine Reihe von kritischen Fragen zu stellen. Deshalb möchte ich die Bundesregierung auch ausdrücklich auffordern, dem Begehren zu folgen und eine deutliche Stellungnahme abzugeben. Es ist sicher so, daß eine ganze Reihe von Orientierungsmerkmalen - auch in dem Sondergutachten der Kommission - nach wie vor fehlen.
Die Stichworte sind schon gefallen: der europäische Kulturkanal. Seine Realisierung ist in jedem Falle wünschenswert, aber keiner kann genau sagen, wie hoch die Kosten sein werden.
Was die Anschubfinanzierung für den Rundfunk in den neuen Bundesländern angeht, so sind weder zeitliche Vorstellungen noch Rahmenbedingungen zu erkennen. Umgekehrt ist zu vermuten, daß das ein Segen und kein Nachteil im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen sein wird.
Nun zur Zuordnung von Deutschlandfunk und Rias. Auch hier ist eine Entscheidung noch nicht gefallen. Die Kosten können überhaupt nicht abgeschätzt werden. Dasselbe gilt für Fernsehrechte und Filmeinkäufe.
Die Werbeeinnahmen sind auch nicht kalkulierbar. Meine Damen und Herren, 45 Jahre blieben die Rundfunkgebühren in Deutschland stabil. Ich kann mich noch an die erste Runde, die 1970 zu einer drastischen Gebührenerhöhung führte, erinnern.
({3})
Nun wissen wir alle, daß sich der Zuwachs an Teilnehmern in Grenzen hält - das hat ja viele, viele Ursachen - und daß sich die Methoden, Schwarzseher und Schwarzhörer aufzuspüren, ebenfalls in Grenzen halten.
Ich glaube ganz gewiß, daß eine Erkenntnis die Debatte hier und heute bestimmen sollte: Politisch und rechtlich sind Rundfunkgebühren eine heikle Angelegenheit. Für das Wirken der Rundfunkanstalten freilich - das räume ich ein - sind sie der Nervus rerum; so stand es schon im ARD-Bericht 1969. Daß diese heikle und politisch nicht ganz einwandfreie Angelegenheit aber auf rechtssicherem Grunde geregelt wird, sollte auch der Deutsche Bundestag ein kräftiges Wort im Interesse der Mitarbeiter der Rundfunkanstalten und des deutschen Rundfunk- und Fernsehpublikums einlegen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad Weiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rundfunk und Fernsehen sind kein Luxus, aber - nun tue ich Ihnen den Gefallen, Herr Kollege Krey - ich glaube, diese Debatte ist ein wenig Luxus. In einer Situation, in der es in den östlichen Bundesländern ums pure Überleben geht, halte ich die Diskussion über Gebühren, im Augenblick jedenfalls, wirklich für überflüssig.
({0})
Morgen wird der Deutschlandsender ein Jahr alt. Der Deutschlandsender ist aus einer Reformbewegung hervorgegangen. Dort haben Macherinnen und Macher mitgearbeitet, die etwas Neues beginnen wollten. Der Deutschlandsender hat in dieser Woche vom Regierungsbeauftragten, Herrn Mühlfenzl, die Nachricht bekommen, daß nur 90 der 140 Mitarbeiter bleiben können. Dieser Deutschlandsender macht ein Vollprogramm. Wenn ich mir in diesem Zusammenhang den Deutschlandfunk ansehe, der auch 24 Stunden lang Programm macht, dafür aber über 700 Mitarbeiter hat, frage ich mich, wo da die Relationen liegen.
In diesem Zusammenhang will ich zumindest sagen: Das Überleben des Deutschlandsenders ist gefährdet.
Gestatten Sie mir nun aber noch ein Wort zu den Gebühren; denn wir reden ja hier nicht über die Medienlandschaft im allgemeinen. Ich denke, wir sollten einmal grundsätzlich darüber nachdenken, ob man die Gebühren nicht an die Einkommen koppeln sollte. Ich sehe nicht ein, warum eine einkommensschwache Familie für das Grundbedürfnis Rundfunk und Fernsehen das gleiche bezahlen muß wie Menschen, die ein gutes Einkommen haben, die wohlhabend sind. Ich denke, wir sollten darüber ganz einfach einmal nachdenken.
Ich halte jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt Gebührenerhöhungen für nicht notwendig.
Noch ein Wort zur Werbung: Ich bin für das duale System. Auch ich bin dagegen, daß es ausgehöhlt wird. Deswegen bin ich ganz eindeutig dafür, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht mehr Sendezeit für Werbung bekommen. Es soll nicht an Sonntagen, und es soll auch nicht nach 20 Uhr in den öffentlichrechtlichen Anstalten geworben werden. Ich denke, es gehört auch zum Verständnis von Rundfunk und Fernsehen - als einem Medium, das Kultur verbreitet, als einem Medium, das auch einen kulturellen Anspruch und einen Bildungsanspruch hat - , daß man dieses respektiert. Ganz auf Werbung möchte ich nicht verzichten; auch wenn ich gut verstehe, daß die privaten Sender und auch die Verleger, die dahinterstehen, das gern möchten.
In der Werbung sehe ich durchaus eine innovative Kraft. Ich sehe auch, daß die Werbung für viele junge
Konrad Weiß ({1})
Filmemacher und für viele kleine Filmfirmen ein ganz elementarer Überlebensgegenstand ist. Nur wenn sie Werbeaufträge bekommen, können sie überleben. Das muß man ganz einfach so sehen. Das ist so. Deswegen bin auch ich u. a. auch für Werbung.
({2})
- In Grenzen, natürlich. Die gegenwärtige Regelung
- 20 Minuten pro Tag - halte ich für akzeptabel.
Schließlich noch ein allerletztes Wort zu einer besonderen Form der Werbung, die leider bei den privaten Sendern immer mehr durchgreift und die bei den gegenwärtigen Überlegungen auch eine Rolle spielt, nämlich zur Unterbrecherwerbung. Ich denke, hier sollten wir strengere Maßstäbe anlegen. Ich halte es für unerträglich, wenn ein Kunstwerk alle 45 Minuten einmal unterbrochen werden kann. Das heißt, ein Spielfilm von anderthalb Stunden Länge kann dann zweimal unterbrochen werden. Das beschädigt ein Kunstwerk.
Ich als Filmemacher bin jedenfalls der Auffassung: Das ist kommerziell nicht notwendig. Man kann die Blöcke auch so bauen, daß die Werbung jeweils vor und nach einem Spielfilm gebracht wird. Man muß durch Werbung ein Kunstwerk nicht beschädigen.
Vielen Dank.
({3})
Herr Abgeordneter Gerhart Baum, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich spreche mich nachdrücklich gegen eine Verlängerung der Werbezeit aus. Das duale System muß hier verteidigt werden. Ich bin der Meinung, daß eine Gebührenerhöhung von 5 DM zu hoch ist. Wir müssen uns an dem KEF-Gutachten orientieren. Wir müssen das öffentlich-rechtliche System darauf verweisen, daß es Einsparmöglichkeiten hat.
Ich möchte hier keine Front gegen das öffentlichrechtliche System eröffnen. Wir brauchen es. Wir müssen es lebensfähig erhalten. Aber wir müssen es darauf hinweisen, daß es Möglichkeiten gibt - mein Kollege Otto hat darauf hingewiesen - , die Kostenstruktur zu verbessern und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten stärker Rechnung zu tragen. Im Personalbestand sowie im Gehalts- und Pensionsniveau ist einiges zu machen. Ich erinnere an ein aufsehenerregendes Gutachten des Rechnungshofs in Nordrhein-Westfalen. Hier ist also Luft drin.
Ich bin auch der Meinung, daß man Aufgabenteilungen zwischen den Rundfunkanstalten stärker ins Auge fassen sollte, und ich bin vor allen Dingen gegen eine kostspielige weitere Programmexpansion.
({0})
Ich möchte noch einmal vertiefen, was Herr Otto hier schon gesagt hat. Nach dem jüngsten Stand des Referentenentwurfs für den Rundfunkstaatsvertrag ist in § 18 vorgesehen, daß ARD und ZDF zusätzlich zu ihren bisherigen Satellitenprogrammen die Beteiligung an drei weiteren Satellitenprogrammen erlaubt werden soll, und zwar durch einfachen Beschluß der Ministerpräsidenten.
({1})
Keinerlei weitere Beschränkungen sind vorgesehen. Es handelt sich hier also um eine einschneidende Strukturentscheidung, meine Kollegen. Wir diskutieren jetzt hier über die Begrenzung der Werbezeit, und die Ministerpräsidenten lassen zu, daß über Europa neue Werbekapazitäten geschaffen werden. ARD und ZDF sind an diesem Programm beteiligt.
Ich sehe überhaupt nicht ein, daß mit diesem Geld, das wir den Gebührenzahlern abnehmen, jetzt wieder kostspielige neue Programme finanziert und aufgebaut werden.
({2})
Ich fordere die Ministerpräsidenten, Herr Clement, wirklich dringend auf - wir werden in den Ländern, wo wir Verantwortung haben, entsprechend Einfluß nehmen - , dieses Projekt am 4. Juli nicht zu beschließen. Wir brauchen keinen Euronews-Kanal, jedenfalls nicht in der Weise, wie das hier vorgesehen ist.
({3}) Wir wollen keine weitere Programmexpansion.
Ich möchte noch ein Letztes zu dem sagen, was uns hier unmittelbar angeht. Das sind die Bundesrundfunkanstalten. Die Koalition hat sich in dieser Woche auf folgende Position geeinigt: Wir möchten den Deutschlandfunk, RIAS und natürlich den Deutschlandsender Kultur - er darf nicht unter die Räder kommen; ich stimme Ihnen voll zu, Herr Kollege - zu einer Rundfunkanstalt zusammenfassen, die in selbständiger Rechtsform zwei Programme ausstrahlt, also nicht bei ZDF oder ARD angebunden ist.
({4})
- Das haben wir mit dem Bundeskanzler besprochen; ich darf das hier einmal sagen.
({5})
- Wir wollen dies den Ländern anbieten, Herr Glotz. Natürlich muß das in den Ländern mit uns verhandelt werden. Wir müssen diese Anstalten ordentlich überführen. Wir sind zuständig für RIAS und Deutschlandfunk. Wir haben eine Programmfürsorge, die wir mit Ihrem Kollegen Kühbacher und mit Herrn Zehetmaier wahrnehmen. Wir wollen den Ländern ein ordentliches Angebot für eine auf Dauer wirklich lebensfähige und auch leistungsfähige Anstalt machen. Dazu haben wir diesen Vorschlag erarbeitet. Sie müssen mit uns z. B. über die Pensionen und über die Häuser reden. Das also wollen wir anbieten.
Wir sind der Meinung, daß wir bei RIAS einen Teil des Fernsehens an die Deutsche Welle zum Aufbau eines Auslandsfernsehens geben sollten. Wir sind der Meinung, daß wir einen größeren Teil von RIAS-Fern2538
sehen - übrigens in Berlin - zum Nukleus des Frühstücksfernsehens machen sollten.
({6})
Sie haben dort Frühstücksfernsehen gemacht, und es braucht dort kein neues Programm aufgebaut zu werden. So spart man auch Kosten.
Übrigens kann man auch überlegen, ob man RIAS 2 in Berlin - auch um die Arbeitsplätze zu sichern - nicht privatisiert. Wir sind insoweit für alle Vorschläge offen.
Letztes Wort: Ich bin der Meinung, wir haben Grund, uns mit dieser Sache zu beschäftigen. Warum sollen wir uns selber den Mund verbieten? Wir reden hier zu Dingen, die die Bevölkerung interessieren. Sie als Abgeordnete werden doch auf all diese Dinge angesprochen. Wir sind durch die Bundesrundfunkanstalten an diesem ganzen Prozeß unmittelbar beteiligt. Das Parlament sollte sich hier nicht selbst beschränken, sondern sollte sich melden, wenn das duale System in Gefahr ist.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn der sehr verehrte Kollege Weiß ähnlich wie ich eine ostdeutsche Befindlichkeit in seinem Gepäck trägt, komme ich doch zu etwas anderen Auffassungen, als er sie hier geäußert hat. Ich denke nämlich, daß das Gelingen des politischen Akkulturationsprozesses zwischen den Deutschen in Ost und West maßgeblich davon abhängt, welche Breitenwirkung erzielt wird. Damit hängt auch viel von der Unterstützung durch die elektronischen Medien ab.
West- und Ostdeutsche sollten die politisch-kulturellen Schranken, die noch zwischen ihnen stehen, so überwinden, daß sie zu einem freiheitlichen, Europa zugewandten Deutschland finden. Ich kann nicht verstehen, warum der Herr Kollege Baum hier eine Polemik gegen Euronews reitet.
({0})
Diese Aufgabe können nur unabhängige öffentlichrechtliche Anstalten leisten, die schon im geteilten Deutschland ihre Aktie daran hatten, daß sich die Menschen nicht zu sehr auseinandergelebt haben und im Osten Deutschlands ihre Hoffnung auf Freiheit und gutes Leben bewahren konnten.
Den derzeitigen wirtschaftlichen Problemen der öffentlich-rechtlichen Anstalten darf nicht mit einer auf Werbeeinnahmen ausgerichteten Programmstruktur begegnet werden. Warum?
Die Werbeeinnahmen der Anstalten korrelieren einmal mit hohen Einschaltquoten. Eine zugunsten von Unterhaltungssendungen und Spielfilmen veränderte Programmstruktur kann aber dem Anspruch eines gegenseitigen Kennen- und Verstehenlernens der Deutschen in Ost und West, z. B. in Form von Politik- und Kulturmagazinen, nicht gerecht werden.
Gerade für uns Bürger in den neuen Bundesländern sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten eine unersetzliche Hilfe beim Erlernen des komplizierten westdeutschen Wirtschafts-, Rechts- und Sozialsystems. Ich weiß nicht, wie mit einem vermehrten Angebot z. B. an Krimis, Spielfilmen und Werbung eine Aufarbeitung unserer 40jährigen Schuldverstrickung im SED-Staat bewältigt werden kann. Deshalb darf die Stellung der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht durch eine Finanzierungslücke ausgehöhlt werden.
Auch wenn wir als Bundestag nicht beschließen können - auf dieses Thema ist hier mehrfach eingegangen worden; die Kompetenz liegt in dieser Frage in den Händen der Länder - , so will ich doch wenigstens im Vorfeld der Entscheidung der Ministerpräsidenten am 4. Juli für meine Fraktion erklären, daß wir eine Gebührenerhöhung in den alten Bundesländern zum 1. Januar 1992 in der geforderten Höhe um 4 bis 5 DM uneingeschränkt befürworten, um damit Gefahren für die Programmstruktur der öffentlich-rechtlichen Anstalten abzuwenden. Ich wünsche mir diese als Medium, das zu einem wechselseitigen Verstehen und Lernen der Ost- und Westdeutschen wesentlich beitragen kann.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Bernd Protzner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Jahr schreiben die großen privaten Sender erstmals schwarze Zahlen; sie sind in der Gewinnzone. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hingegen gehen am Bettelstab, folgt man den entsprechenden Ausführungen. Bei den privaten Anstalten gibt es wirtschaftliche Prosperität, bei den öffentlich-rechtlichen Schwierigkeiten.
Die Zuschauer, die Bürger, haben entschieden. Es gilt, das Urteil der Zuschauer zu achten. Einschaltzahlen und Reichweiten sind das einzige, womit sich Zuschauer ausdrücken können. So etwas wie Leserbriefe, um Gefallen und Mißfallen kundzutun, gibt es ja in diesem System nicht. Die Rundfunkgebühr ist eine Zwangsabgabe. Bei Nichtgefallen gibt es kein Geld zurück.
Nun kann es nicht angehen, die Entscheidung der Zuschauer politisch zu korrigieren und mit Hilfsgeldern ihre Entscheidung aufzuheben. Das soll ja gleich auf zweierlei Weise versucht werden: einmal mit der Ausweitung der Werbezeiten und zum anderen mit der Erhöhung der Rundfunkgebühren. 6,10 DM, wie Herr Nowottny fordert, stellen schon eine ganz erhebliche Steigerung dar. Es wäre ein Zuschlag von 32,1 %. Das ist mehr als das Vierfache dessen, was die diesjährigen doch recht üppigen Tarifrunden ergeben haben.
Die Politik darf nicht leichtfertig zu solchen Hilfsgeldern zur Korrektur von Zuschauerentscheidungen ja sagen. Das gilt um so mehr, als das Bettlergewand der öffentlich-rechtlichen Anstalten vielleicht auch nur übergestülpt und eine Verkleidung ist, um Mitleid und Zustimmung zu erwecken. Bei den öffentlichDr. Bernd Protzner
I rechtlichen Anstalten scheint nämlich in Wirklichkeit genug Geld dazusein.
Seit geraumer Zeit findet in Deutschland eine neue Form der Besetzung statt, nämlich die Frequenzbesetzungen. Hörfunk- und Fernsehfrequenzen werden von den öffentlich-rechtlichen Anstalten direkt mit immer neuen Programmen - ich nenne nur die fünfte Hörfunkkette des WDR und die fünfte Hörfunkkette des Bayerischen Rundfunks - , aber auch indirekt durch die Beteiligung an privaten Lokalfunkprogrammen in Nordrhein-Westfalen und an landesweiten privaten Programmen in Norddeutschland besetzt.
Muß es zu diesen Besetzungen überhaupt kommen? Müssen zusätzliche Fernsehvollprogramme wie Eins plus und 3 Sat angeboten werden? Die Kultur muß dann immer wieder zur Rechtfertigung herhalten, auch zur Rechtfertigung eines weiteren Zuschlags von 75 Pfennig für die Kultur nach dem Motto: Kultur aus den Vollprogrammen, aus dem ersten und zweiten Programm heraus, Brutalität und Flachsinn hinein und dann ein extra Kulturkanal dazu. - Das ist nicht der richtige Weg.
({0})
Es geht vielmehr darum, dem öffentlichen Anspruch auf informatorische und kulturelle Gestaltung der Programme gerecht zu werden. Das sollten die Anstalten vorrangig betreiben. Sie sollten nicht versuchen, neue Programme zu entwickeln.
Erinnern wir uns doch einmal - leider leben wir in einer sehr vergeßlichen Zeit - an die Zeit des Golfkrieges, an die mangelhafte Nachrichtengestaltung, an die mangelhafte Berichterstattung nicht etwa über den Krieg, Herr Glotz, wie Sie vielleicht vermuten, sondern über die Lage der Länder im Nahen Osten und der Menschen in den Ländern um das Konfliktgebiet herum. Hier ist in den öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht sehr viel geschehen. Hier hat man es offensichtlich nicht geschafft, sich rechtzeitig auf die aktuelle Lage einzustellen. Es ist für mich kein Zufall, daß es derzeit einem süddeutschen Elektronikunternehmer gelungen ist, ein Gerät zu entwickeln, das es gestattet, die öffentlich-rechtlichen Kanäle automatisch auszublenden, womit die Grundlage der Zwangsgebühr entfallen müßte.
Mein Fazit: Jeder soll das Seine bekommen. Mehr Werbezeiten sind nicht das Richtige, was den öffentlich-rechtlichen Anstalten zusteht. Ich meine, auch bei den Gebühren sollten sie zurückhaltend sein. Es gilt zunächst, die Strukturen der Sendeanstalten zu überprüfen. Hier darf man sich nicht weiter hinausmogeln. Auch muß die Kreativität der eigenen Mitarbeiter gestärkt werden, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu nutzen. Dann, meine ich, tun sie am meisten für die Erhaltung des Systems öffentlich-rechtlicher Anstalten.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Minister für besondere Aufgaben und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement.
Minister Wolfgang Clement ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich richtig, daß die Rundfunkgebühr und ihre Erhöhung ein aktuelles Thema ist, Herr Baum. Niemand denkt daran, Ihnen den Mund zu verbieten. Es gibt auch Landesparlamente und Kommunalparlamente, die gelegentlich das Bedürfnis haben,
({1})
sich mit der Friedensregelung im Nahen Osten zu beschäftigen.
({2})
Ich bewundere die Fähigkeit mancher Debattenredner, Rias TV, Deutsche Welle, fünfte Hörfunkkette Nordrhein-Westfalen und Nachrichtensatellitenkanal schick durcheinanderzuwirbeln. Das ist schon eine enorme Fähigkeit.
Ich möchte dennoch im Ernst darauf hinweisen, daß das ein Thema ist, das weder die Bundesregierung noch der Deutsche Bundestag zu entscheiden haben.
({3})
Die Formulierung „Haltung der Bundesregierung zu den Wünschen hinsichtlich einer Erhöhung der Rundfunkgebühren und der Erweiterung der Werbezeiten" zeigt, Herr Baum, daß Sie sich auf fremdem Terrain bewegen. Das klingt nach einer Zuschauersendung „Ministerpräsidenten wünschen sich vom Bundeskanzler" .
({4})
Das ist ein Irrtum. Tatsächlich befinden sich die Ministerpräsidenten der sechzehn Länder der Bundesrepublik Deutschland in sehr komplizierten Verhandlungen über gleichzeitig sechs Medienstaatsverträge, die geändert oder erweitert werden müssen, und zwar im Blick auf die neuen Länder. Das wissen Sie. Tatsächlich befinden wir uns dabei unter unglaublichem Zeitdruck, dem wir aber alle im Zuge der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Deutschland ausgesetzt sind.
({5})
- Das können Sie nicht zurückstellen. Gucken Sie einmal in den Einigungsvertrag. Dann werden Sie das feststellen, Herr Kollege.
Tatsächlich gehört dabei die Gebührenfrage zu den kompliziertesten und schwierigsten, die wir zu beantworten haben. Tatsächlich gehören alle diese Medienfragen zum eisernen Bestand der Eigenstaatlichkeit der Länder.
({6})
Das will sagen: Sie gehen den Bund nichts an. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Adenauer-Fernsehen 1960 müßte klar sein, daß das hier eine Kulturaufgabe der Länder mit ausschließlicher Zuständigkeit für uns ist. Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sollten insbesondere
Minister Wolfgang Clement ({7})
zur Kenntnis nehmen, daß wir - das gilt für Deutschland und in Europa, was auch der Außenminister nicht so gern hört - sehr pingelig darauf achten, daß sich an dieser Kompetenzverteilung nichts mehr ändern wird.
({8})
Zur Sache, Herr Baum: Ich möchte bezweifeln, daß die Bundesregierung und Sie derzeit überhaupt in der Lage sind, zu dem Thema dezidiert und sachkundig Stellung zu nehmen, das hier aufgeworfen ist.
({9})
Falls Sie, Herr Otto, oder die Bundesregierung nicht über einen Raubdruck des KEF-Berichts verfügen - was ich nicht unterstelle - , dann kennen Sie vermutlich nicht einmal das Zahlenwerk, über das Sie hier debattieren.
({10})
- In Auszügen. Ich empfehle, das zu lesen. Ich erläutere gleich, warum das wichtig ist.
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Herr Baum, wenn Sie den KEF-Bericht kennen würden, würden Sie beispielsweise wissen, daß die Spannbreite der Gebührenerhöhung, die die KEF vorschlägt, insgesamt zwischen 3,80 DM und 4,80 DM liegt. Das ergibt sich aus einem sehr unterschiedlichen Ansatz. Die KEF macht zu dieser Frage zwei Vorschläge, je nachdem, ob der Rundfunk in den neuen Ländern über Kredite oder über eine Anschubfinanzierung finanziert werden soll. Passiert das über eine Anschubfinanzierung, liegt der KEF-Vorschlag bei 4,80 DM.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch etwas einfügen, Herr Baum, und bei Ihrem Hinweis auf zusätzliche Satellitenkanäle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anknüpfen. Es ist richtig, daß dies in den Entwürfen zum Rundfunkstaatsvertrag steht. Es ist unrichtig, daß den Ministerpräsidenten die Problematik nicht bewußt sei. Ich darf Ihnen jedenfalls sagen, daß wir darüber gestern sehr intensiv diskutiert haben und die Problematik sehr wohl sehen. Sie müssen sich allerdings klar sein, daß dies nicht zu einer Begrenzung der Bewegungsfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten führen darf. Sie müssen dann auch über die Frage diskutieren, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich, gemeinsam mit Privaten, unternehmerisch betätigen darf. Das ist die Kehrseite dessen, wenn Sie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Ausweitung auf weitere Kanäle beschneiden wollen.
Herr Dr. Blank, ich habe auch das gelesen, was Sie zu der Frage der Gebührenerhöhung veröffentlicht haben. Zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, brauche ich nicht noch etwas hinzuzufügen. Ich wollte nur gern der Genauigkeit und Korrektheit halber darauf hinweisen, daß der Betrag von 7 DM, den Sie aus der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen gehört haben wollen, dort nie gehört worden sein kann. Ich weiß nicht, wo Sie da gewesen sind. Von unserem Ministerpräsidenten haben Sie nichts dergleichen gehört, von mir haben Sie nichts gehört,
({12})
von unserem Rundfunkreferenten können Sie das nicht gehört haben. Im Ernst, so etwas ist Stimmungsmache und trägt nicht zu einer sachlichen Diskussion bei.
({13})
Im Ruhrgebiet nennen wir solche Zahlen, wie Sie sie laufend in die Welt setzen, schlichtweg „Latrinenparolen. " Es hat keinen Zweck: So etwas führt nicht zu einer ernsthaften Diskussion.
Sie wissen, die Ministerpräsidenten der Länder haben sich gestern erstmals u. a. mit der Gebührenfrage befaßt. Sie werden im Juli nach weiteren intensiven Vorgesprächen die Entscheidung zu treffen haben, voraussichtlich am 4. Juli.
Ich will Ihnen jetzt etwas zu dem Standpunkt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten sagen.
Herr Minister, verzeihen Sie bitte. Sie können selbstverständlich noch weiterreden, denn Sie haben das entsprechende Rederecht. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, daß für Sie fünf Minuten angemeldet worden sind. Die sind inzwischen überschritten.
Minister Wolfgang Clement ({0}): Ich bin Ihnen für diesen Hinweis, Herr Präsident, sehr dankbar. Aber ich würde diese Erläuterungen gern noch geben, weil das vielleicht zur Sachlichkeit der Diskussion beitragen kann.
Zu den Vorstellungen Nordrhein-Westfalens. Erstens. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht nach unserer Auffassung ausreichende Gebühreneinnahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Nordrhein-Westfalen-Urteil gerade noch einmal festgestellt; dies gilt übrigens auch für die Berechtigung der Mischfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
({1})
Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine solche Gebührenerhöhung bekommt, sehen wir in Nordrhein-Westfalen keinen Anlaß, die Werbegrenzen jetzt zu verändern. Die KEF beziffert die notwendigen Gebührenerhöhungen für die nächsten drei Jahre ab 1. Januar 1992 auf 2,30 DM, 1,60 DM Grundgebühr plus 0,70 DM Fernsehgebühr. Diese 2,30 DM sind die eigentliche Gebührenerhöhung, über die wir überhaupt reden. Dies muß und wird in den nächsten Wochen ausgiebig erörtert. Das gleiche gilt übrigens auch für die Laufzeit der Gebührenerhöhung, für die die KEF drei Jahre ansetzt. Wir diskutieren über drei oder vier Jahre Laufzeit, was sich dann natürlich wieder in der Höhe niederschlägt.
Zweitens. Die Berechtigung, für den europäischen Fernseh-Kulturkanal, den wir nicht zuletzt auf eine Anregung der Bundesregierung hin mit Frankreich
Minister Wolfgang Clement ({2})
vereinbart haben - gottlob letztlich dann allerdings ohne die Bundesregierung - , einen Zuschlag von 0,75 DM auf die Grundgebühr zu erheben, wird eigentlich von niemandem bezweifelt. Ich kann nur warnen, das in Zweifel zu stellen. In den Landesparlamenten besteht eine erhebliche Neugier, ob so etwas in Zweifel gestellt wird.
Drittens. Ein weiterer Zuschlag von 0,75 DM auf die Grundgebühr wird notwendig sein, um Deutschlandfunk, RIAS und den Deutschlandsender Kultur in Länderhoheit zu übernehmen.
({3})
Das werden wir tun. Die 0,75 DM errechnen sich sehr schlicht aus den bisherigen Aufwendungen des Bundes für diese Sender, und sie müssen natürlich ersetzt werden.
Viertens. Ein dritter Zuschlag von rund 1 DM auf die Rundfunkgebühren wird zur Anschubfinanzierung für die neuen Sender in den neuen Ländern notwendig sein. Da kann man auch an eine Kreditfinanzierung denken, das ist der Alternativvorschlag der KEF. Wir in Nordrhein-Westfalen meinen allerdings, eine Anschubfinanzierung, die einen sofortigen Aufbau dieser Rundfunkanstalten möglich macht, wäre richtig.
Wenn Sie diese Beträge addieren, meine Damen und Herren, dann kommen Sie auf einen Gesamtbetrag zwischen 4 und 5 DM. Er liegt etwas näher an 5 DM, genau bei 4,80 DM. Wenn Sie die Laufzeit verlängern, verändert sich die Berechnung natürlich noch etwas.
({4})
- Die Einsparungen, die Sie vor Augen haben - Frau von Renesse hat das vorhin schon kurz angesprochen - , sind nicht so simpel herzustellen, wie das erscheint. Es ist in der Tat so, daß beim öffentlichrechtlichen Rundfunk die Verwaltungsaufwendungen 6 To betragen. Es ist in der Tat so, daß die KEF die Erwartungen von ARD und ZDF - schauen Sie in den Bericht hinein; Sie werden es vielleicht schon getan haben - erheblich zusammengestrichen hat und deutlich gemacht hat, daß hier nicht zuviel gefordert wird.
Wir gehen - fünftens - bei all dem davon aus, daß den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern vorerst keine weitere Gebührenerhöhung zugemutet werden kann. Wir werden also noch auf einige Zeit mit einer gesplitteten Gebühr leben.
In wenigen Tagen wird der Steuerzahler tiefer in die Tasche greifen müssen. Jeder wird dann erfahren, daß die deutsche Einheit nicht zum Nulltarif zu haben ist. Manche haben das schon vor der Bundestagswahl gesagt, andere erst hinterher.
({5})
- Zum Beispiel der Kanzler hinterher. ({6})
Uns fällt es auch nicht leicht, gerade in dieser Zeit für eine Erhöhung der Rundfunkgebühren einzutreten. Das ist nicht leicht und nicht angenehm, aber wir tun das. Nach unserer Überzeugung gibt es dazu keine Alternative. Da helfen auch keine Debatten am falschen Ort zur falschen Zeit. Ich muß sagen, Herr Baum und Herr Otto: Sie sollten es sich nicht zu billig machen, so wie Sie hier manche Dinge durcheinanderwirbeln.
({7}) Ich bin dafür, das etwas sachlicher zu betreiben.
Ich möchte Sie gerne bitten, dabei auch der Kompetenz der Länder zu vertrauen.
({8})
- Herr Baum, verlassen Sie sich darauf: Der europäische Nachrichtenkanal, der wirkliche Bedeutung hat
- das hoffe ich jedenfalls - , wird in Nordrhein-Westfalen entstehen, und zwar in privater Trägerschaft.
({9})
Sie können sich darauf verlassen: Die duale Medienlandschaft, die in Nordrhein-Westfalen entstanden ist und in nächster Zukunft mit der West-Schiene wachsen wird, einem der wichtigsten Projekte im Bereich der privaten Rundfunk- und Fernsehveranstalter,
({10})
kann sich sehen lassen.
Herr Minister, verzeihen Sie. Inzwischen haben Sie auch die zehn Minuten, die für eine Wortmeldung seitens des Bundesrates normalerweise zur Verfügung stehen, überschritten. Da aber die SPD vorhin auf ihren vierten Redner zu Ihren Gunsten verzichtet hat, können Sie theoretisch noch fünf Minuten weiterreden.
Minister Wolfgang Clement ({0}): Herr Präsident, ich bin erstens Ihnen und zweitens der SPD sehr dankbar. Ich möchte es aber dabei belassen.
({1})
Ich habe einige Grundlagen für die weitere Diskussion, so Sie sie wünschen, gegeben. Sie können sich, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, auf die duale Medienlandschaft verlassen, die sich im europäischen Maßstab sehen lassen kann; und das ist auch gut so.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Eduard Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Clement, es ist ja unbestritten: Die Festsetzung der Rundfunkgebühren ist eine ausschließliche Angelegenheit der Länder. Dennoch werden Sie zugeben, daß es sich hier um eine wichtige gesellschaftspolitische Frage handelt.
({0})
Deshalb hat der Bundestag durchaus die Kompetenz, darüber öffentlich zu debattieren. Im übrigen ist der Bund auch für die Auslandsrundfunkanstalten zuständig und insoweit indirekt involviert.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist weder bei den Beratungen noch bei der Entscheidung über eine Erhöhung der Rundfunkgebühren beteiligt, obwohl die Bundesrundfunkanstalt Deutschlandfunk bislang zu einem Drittel aus dem Rundfunkgebührenanteil mitfinanziert wird.
Die Länder haben zuletzt mit dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag im Oktober 1988 die Rundfunkgebühren ab 1990 erhöht. Diese Gebührenregelung gilt bis mindestens 1992. Es besteht deshalb eigentlich kein voreiliger Handlungsbedarf.
({1})
Die Bundesregierung begrüßt die Berücksichtigung der Neuordnung der Bundesrundfunkanstalten einschließlich des RIAS im Sonderbericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, kurz KEF genannt. Die maßvolle Anhebung der Grundgebühr um 75 Pfennig für die Einrichtung bundesweiter Informations- und Kulturprogramme ist nach unserer Auffassung gerechtfertigt.
Die Finanzierung des Deutschlandfunks und des RIAS-Hörfunks durch den Bund entfällt künftig, wenn diese Anstalten in Länderhoheit übergeleitet werden. Dies setzt voraus, daß sich die Länder mit dem Bund über die Neugestaltung des Deutschlandfunks, der Deutschen Welle, des RIAS und des Deutschlandsenders Kultur rasch einigen.
Neben der Finanzierung neuer Vorhaben begründet der Sonderbericht der Kommission - übrigens haben wir den Bericht trotz Anforderung noch nicht; das wollte ich zur Erläuterung noch anführen ({2})
- das ist sehr nett, aber die Bundesregierung wird ihn hoffentlich in der Langfassung und ganz offiziell bekommen - die Gebührenerhöhung bei ARD und ZDF mit einem von der KEF anerkannten Fehlbedarf in Höhe von 2,15 Milliarden DM. ARD und ZDF haben den bis Ende 1994 entstehenden ungedeckten Finanzbedarf ihrer Anstalten mit insgesamt mehr als 4,5 Milliarden DM errechnet.
Hier kann nur gelten, meine Damen und Herren: Ein Fehlbedarf bei den Rundfunkanstalten kann nicht auf die Rundfunkteilnehmer abgewälzt werden. Vielmehr gilt es, in erster Linie auch bei den Rundfunkanstalten dem Grundsatz der Sparsamkeit Geltung zu verschaffen. Einseitige Besserstellungen können nicht zu Lasten der Allgemeinheit gehen.
Bei Zustimmung zur Empfehlung im Sonderbericht der KEF, die Rundfunkgebühren um 3,90 DM monatlich zu erhöhen, müßten die Rundfunkteilnehmer eine Erhöhung um mehr als 20 % verkraften. Ich halte es dann für unverantwortlich, wenn in politischen Kreisen einer Gebührenerhöhung um 5 DM und mehr das Wort geredet wird. Dies darf auf keinen Fall konsensfähig sein.
({3})
Was die Frage der Ausdehnung der Werbezeiten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeht, so hat sich die Bundesregierung bereits in ihrem Kabinettsbeschluß vom 25. Juni 1986 im „Programm zur Verbesserung der Rahmenbedingungen des privaten Rundfunkmarktes" gegen eine Ausdehnung der Werbezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgesprochen. Nach Auffassung der Bundesregierung gilt es, die Entwicklungshemmnisse für den privaten Rundfunk abzubauen. An dieser grundsätzlichen Position hat sich bisher nichts geändert.
Eine Ausdehnung oder Veränderung der 20-UhrGrenze würde zusätzliche Hürden für die Entwicklung eines wirtschaftlich und publizistisch leistungsfähigen privaten Rundfunks errichten und insbesondere die kleineren Fernsehanbieter existentiell gefährden.
Das duale Rundfunksystem soll durch mehr publizistischen Wettbewerb zweier unterschiedlich strukturierter, aber wirtschaftlich konkurrenzfähiger Systeme effizient gestaltet werden und die Informations- und Meinungsvielfalt insgesamt erhöhen. Die von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angestrebten Veränderungen bei der Werbung würden diesem Grundsatz zuwiderlaufen.
Eine Veränderung der Werbezeiten im öffentlichrechtlichen Rundfunk würde die Chancen für den dauerhaften Bestand von mehr als zwei privaten deutschen Fernsehvollprogrammen nachhaltig einschränken und damit die Möglichkeit eines echten außenpluralen privaten Rundfunks gefährden. Deshalb lehnen wir dies ab.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Peter Glotz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, daß diese Debatte - so sehr wir über alles reden können, was uns als Bundestag interessiert - in der Tat nicht in dieses Parlament gehört.
({0})
Kollege Clement hat schon zu Recht gesagt: Es gibt manchmal Landtage, die nach dem Motto debattieren: Die Staatsregierung möge im Bundesrat beantragen, daß China in die UNO aufgenommen oder wieder ausgeschlossen wird oder was auch immer.
Ich sage Ihnen: Wenn sich Parlamente gegenseitig so in die Arbeit hineinpfuschen, dann stören sie ihre Arbeit, dann nützen sie keinem Menschen.
({1})
Ich füge hinzu - da bin ich anderer Meinung als Herr Baum, mit dem ich sonst häufiger einer Meinung bin - : Lieber Herr Baum, wir waren heute hier in dieser Debatte sehr schlecht informiert, weil wir die vielen Unterlagen, die die Länder als Kompetente halt haben, nicht zur Verfügung hatten.
({2})
Wir haben bewiesen, daß wir dafür nicht richtig zuständig waren. Denn Sie haben in manchen Punkten die Einzelerhöhungen, die notwendig sind und die Herr Clement vorgetragen hat, gar nicht gekannt. 75 Pfennig sind notwendig.
({3})
- Ich nenne ein Beispiel, Herr Kollege Baum: Der Tatbestand, daß auch die KEF einen Spielraum von 3,80 bis 4,80 DM vorschlägt, weil sie Kreditfinanzierung, Anschubfinanzierung über Kredit oder aber direkt über Gebühren offenläßt, ist von Ihnen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Das heißt, darauf mußte Sie Herr Clement erst bringen. Da blamiert sich der Bundestag ein bißchen, und ich bin dagegen, daß sich der Bundestag blamiert.
({4})
Zweite Bemerkung zum Thema Werbung. Die Ministerpräsidenten haben für dieses Mal die Verlängerung der Werbezeiten nicht vorgeschlagen. Deswegen hätten sie sich, auch wenn sie die privaten Anstalten unterstützen wollen, nicht so ins Zeug legen müssen. Ich sage nur: Für den Fall, daß irgendwelche Fraktionen - die ich nicht kenne - den öffentlichrechtlichen Rundfunk damit strangulieren wollten oder kurzhalten wollten, daß sie ihm Gebührenerhöhungen verweigern, muß das Instrument der Ausdehnung der Werbezeiten im Arsenal bleiben. Nur das sage ich.
Hier erlaube ich mir eine kleine Bemerkung zum Kollegen Briefs: Es gibt natürlich schwachsinnige Werbung. Es gibt aber auch schwachsinnige Leitartikel. Wenn ich mich an die Werbung beispielsweise von Camel erinnere, die sie mit dem hübschen Kamel macht, dann muß ich feststellen: Das ist lustiger als manche Rede, die ich hier im Bundestag gehört habe, einschließlich die des Kollegen Gysi.
({5})
Eine so pauschale Kulturkritik an der Werbung sollte man nicht üben. Die Verlängerung der Werbezeiten kann und muß im Arsenal bleiben.
Letzte Bemerkung. Was das Konzept für den Deutschlandfunk betrifft, freue ich mich, daß die Bundesregierung eines auf der Gruber-Linie entworfen hat. Natürlich sind wir betroffen, indem wir abwickeln müssen und sagen müssen, die Länder bekommen es jetzt. Was aber in Zukunft die Länder mit ihrem Geld oder mit dem Geld der Zuschauer machen, dies kann der Bundestag und auch die Bundesregierung nicht
beschließen. Auch darüber müssen wir uns klar sein.
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Ich sage insgesamt und am Schluß: Um die 5 DM - so wie Ministerpräsident Engholm es gesagt hat - werden leider unausweichlich sein, und zwar insbesondere deshalb, weil die Länder bestimmte Lasten übernehmen müssen, die wir vorher hatten, und weil wir ja wohl alle wollen, daß es neue Rundfunkanstalten, Anschubfinanzierung, Institutionen drüben im Osten unseres Landes gibt. Ob wir die über Kredit finanzieren oder ob wir sie direkt finanzieren, mögen wir offen entscheiden. Aber die Mittel sind notwendig, und deswegen rate ich dazu, den Freitagspopulismus nicht zu übertreiben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Blank, wenn die Intendanten nur mit dem Klingelbeutel herumgingen, wäre es nicht schlimm, denn dann brauchte man das Programm nicht zu bezahlen.
Ich möchte voranstellen: Ich bin kein Gegner der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Ich befürworte sie sogar, weil ich den Grundgedanken einer unabhängigen und pluralistischen Programmgestaltung für eine Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie halte. Deshalb, lieber Herr Glotz, gehört das Thema auch hier in den Bundestag. Ich will keinen Staatsrundfunk. Damit haben wir Deutsche allzu leidvolle Erfahrung gemacht. Ich will aber auch keinen Parteirundfunk. Ich sage das auch als Mitglied, gerade auch als ein Mann, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, Herr Clement.
Ich bin auch einverstanden mit einer ausreichenden finanziellen Ausstattung. Das muß sein. Nicht einverstanden bin ich jedoch mit der eingetretenen Entwicklung. Unsere öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich zu Medienkolossen mit unzureichender Kontrollpraxis entwickelt.
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Dies gilt nicht nur für die Programmgestaltung, sondern insbesondere - weil es uns hier und heute beschäftigt - für das Finanzgebaren.
Anstatt einmal darüber nachzudenken, wie man im eigenen Laden sparen kann, greift man wiederum zum Mittel der Gebührenerhöhung und Ausweitung der Werbezeiten. Man kann es ja auch einfach machen, da es keinen Wettbewerb gibt.
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Man ist Monopolist und bedient sich seiner Möglichkeiten. Es gibt zwar private Anbieter, jedoch geht von ihnen kein Konkurrenzdruck aus, denn es ist doch für die Öffentlich-rechtlichen unerheblich, ob ihr Programm mehr oder weniger angenommen wird, da der
Konsument so oder so seine Zwangsabgabe an die Öffentlich-rechtlichen leisten muß.
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Die Privaten, soweit man sie überhaupt privat läßt - denn der WDR hat ja auch schon hier wieder seinen Fuß in die Türe gestellt; Herr Clement, Sie machen doch ein Trugbild auch hier in Nordrhein-Westfalen -, machen oft nicht nur ein besseres Programm, sondern zeigen auch, wie man es preiswerter gestalten kann.
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Zum Beispiel beschäftigt das ZDF 3 600 Mitarbeiter, RTL dagegen nur 160. Ich will natürlich die Programme nicht vergleichen. Die Rundfunkanstalten haben ein Tarifrecht, das es in seiner Ausgestaltung in der ganzen Bundesrepublik sonst nicht gibt, sogar im öffentlichen Dienst. Beim NDR sind die Pensionen teilweise höher als die Gehälter. Der NDR zahlt mehr „Staatssekretärgehälter", als es Staatssekretäre in der Bundesrepublik gibt.
Lieber Herr Otto, ich gebe Ihnen völlig recht: Müssen denn die Öffentlich-rechtlichen alles machen, müssen sie so viel machen? Darüber muß man doch einmal ernsthaft nachdenken.
Ich könnte jetzt die Beispiele beliebig fortsetzen, wir kennen ja alle die Berichte der Rechnungshöfe. Ein Rechnungshof aber ersetzt, Frau von Renesse, keinen Wettbewerb. Deshalb halte ich das ganze System, so wie es ist, für außerordentlich verfassungsbedenklich.
In dem Zusammenhang darf ich Professor Geiger anführen, der immerhin 25 Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht und wesentlicher Mitgestalter der beiden Fernsehurteile von 1961 und 1971 war. Er moniert das Versagen der Kontrollorgane. Wörtlich sagt er - und ich darf zitieren, Herr Präsident - :
Was aus ihnen
- also, aus den Kontrollorganen mittlerweile geworden ist - ich weiß, die Formulierung ist hart - : Pfründen für Funktionäre, die sich wechselseitig nicht wehe tun und sich notfalls nach dem ihnen bekannten Gruppenmechanismus gegenseitig paralysieren ... Die Anstalten sind wahrscheinlich die einzigen Inseln in der Demokratie, wo Macht ohne Risiko existiert.
Soweit das Zitat. - Jetzt müßten Sie eigentlich klatschen, Herr Schily.
Ferner resümiert Gert von Paczensky, wie Sie wissen kein Rechter, erster Leiter des „Panorama" und ehemaliger Chefredakteur von Radio Bremen - ich zitiere - :
Unsere Rundfunk- und Fernsehanstalten sind wie Festungen. Es gibt sogar Volk, das Tribut zahlt - pardon: Gebühren. Es darf nicht fragen an wen, wofür und warum . . .
Besser kann man es meiner Ansicht nach nicht formulieren.
Um es im Klartext zu sagen: Ich habe kein Verständnis für Gebührenerhöhungen oder Erweiterung der Werbezeiten. Beides ist aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht erforderlich. Man sollte sich hier lieber unternehmerisch verhalten.
Im übrigen wirken Gebührenerhöhungen regressiv. Gerade Sie von den Sozialdemokraten sind doch sonst so sensibel auf diesem Gebiet. Wie haben Sie sich gegen die geplanten maßvollen Steuererhöhungen zur Unterstützung der neuen Länder gebärdet und tun es heute noch! Es ist doch bezeichnend, daß Ihre Ministerpräsidenten Rau und Engholm sich zu Wortführern derer machen, die jetzt schamlos in die Tasche des kleinen Mannes greifen wollen.
({4}) Wir haben doch heute andere Probleme.
In dem Zusammenhang, lieber Herr Weiß, bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihren nachdenkenswerten Beitrag. Die beiden Ministerpräsidenten - geben Sie das weiter an Herrn Rau, lieber Herr Clement - sollten sich einmal mehr um ihre Kontrollfunktion kümmern. Nicht Gebührenerhöhungen sind angesagt, sondern Sparsamkeit.
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Bevor ich den Schluß der Tagesordnung bekanntgebe, Herr Kollege Schulhoff, möchte ich noch einen kleinen Hinweis an Sie richten. Sie brauchen - das haben wir schon vor geraumer Zeit festgestellt - den Präsidenten nicht mehr um Genehmigung für ein Zitat zu fragen. Das stammt - wenn ich es richtig weiß - aus der Zeit der Nationalversammlung, als Ludwig Uhland seine Interventionen meistens in Gedichtform vortrug und sich die anderen beschwert haben. Damals hat man das eingeführt.
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Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. Juni 1991 um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.