Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
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Ich möchte mich an diesem Tag mit einigen Worten an Sie, an die Menschen in unserem Land und in der Welt wenden. Wir alle im Deutschen Bundestag und alle Menschen in unserem Land sind bestürzt und betroffen über die Nachrichten, die wir in diesen Stunden vom Golf erhalten haben und erhalten. Alle politischen und diplomatischen Bemühungen und Friedensappelle haben es nicht vermocht, diesen Waffengang zu verhindern.
Wir denken in dieser Stunde an die Opfer, an alle Menschen, die im Kriegsgebiet des Nahen Ostens an Leib und Leben gefährdet sind, an Soldaten und Zivilisten und an die, die um das Leben ihrer Angehörigen bangen.
Und wir hoffen, daß sehr rasch ein Weg gefunden wird, um die militärischen Auseinandersetzungen zu beenden. Dazu ist es unabdingbar, daß der Irak Kuwait räumt. Wir unterstützen alle politischen und diplomatischen Bemühungen, die diesem Ziel dienen. Wir werden uns gemeinsam mit der Völkergemeinschaft und unseren Verbündeten dieser Verantwortung stellen.
Ich danke Ihnen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Wahl des Bundeskanzlers
Der Herr Bundespräsident hat mir hierzu mit Schreiben vom 15. Januar 1991 mitgeteilt:
Gemäß Artikel 63 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland schlage ich dem Deutschen Bundestag vor, Herrn Dr. Helmut Kohl zum Bundeskanzler zu wählen.
Wir kommen nunmehr zur Wahl des Bundeskanzlers. Nach unserer Geschäftsordnung wird der Bundeskanzler mit verdeckten Stimmkarten gewählt. Falls Sie Ihren Wahlausweis noch nicht zur Hand haben, besteht jetzt noch Gelegenheit, ihn aus Ihrem Schließfach in der Eingangshalle zu holen.
Die für die Wahl allein gültige weiße Stimmkarte erhalten Sie hier vorn am Stenographentisch. Die Stimmkarte darf nur in einer der Wahlkabinen angekreuzt und in den Umschlag gelegt werden. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der neben den Wahlkabinen aufgestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte dem Schriftführer an der Urne Ihren Wahlausweis.
Ich bitte Sie wegen der Fülle, durch die beiden Mittelgänge nach vorn zu kommen und sich nach der Stimmabgabe an den Außenseiten des Plenarsaals zurückzubegeben.
Die Schriftführer bitte ich, jetzt die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Haben die Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Wahl.
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer und Schriftführerinnen, ihre Stimme abgegeben? - Nein. Ich wiederhole meine Frage: Haben alle ihre Stimme abgegeben? Ich frage zum dritten und letztenmal, ob alle ihre Stimme abgegeben haben. - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich möchte gleichzeitig mitteilen, daß wir die Sitzung bis 11.05 Uhr unterbrechen. Vorher möchte ich aber, da es Verunsicherung im Saal gibt, noch klarstellen, daß die Vereidigung der Kabinettsmitglieder, wie angekündigt, morgen stattfindet.
Nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Wahl des Bundeskanzlers unterbrechen wir die Sitzung erneut und nehmen sie um 13.00 Uhr wieder auf. Die Sitzung des Ältestenrats findet 10 Minuten nach Abschluß der Plenarsitzung statt.
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Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: abgegebene Stimmen: 644, ungültige Stimmen: keine. Mit ja haben 378 Abgeordnete gestimmt.
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Präsidentin Dr. Süssmuth
Mit Nein haben 257 Abgeordnete gestimmt; enthalten haben sich 9 Abgeordnete.
Gemäß Art. 63 Abs. 2 des Grundgesetzes ist zum Bundeskanzler gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages - das sind 332 Stimmen - auf sich vereinigt.
Ich stelle fest, daß der Abgeordnete Dr. Helmut Kohl mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden ist.
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Ich frage Sie, Herr Dr. Kohl: Nehmen Sie die Wahl an?
Frau Präsidentin, ich nehme die Wahl an und danke für das Vertrauen.
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Herr Bundeskanzler, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu dieser Wahl. Ich spreche Ihnen für Ihr verantwortungsvolles Amt Kraft, Erfolg und Gottes Segen aus. Ich denke, wenn wir dies an diesem Tage tun, dann wissen wir, was solche Wünsche und solche Hilfen bedeuten. Alles Gute für Sie!
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Das Ergebnis der Wahl werde ich unverzüglich dem Herrn Bundespräsidenten mitteilen.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben sich darauf verständigt, daß die Sitzung mit der Vereidigung des Bundeskanzlers um 13.00 Uhr fortgesetzt wird. Danach wird der Bundeskanzler eine Regierungserklärung abgeben; darauf folgen Erklärungen der Fraktionen und Gruppen dieses Hauses.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13.00 Uhr.
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Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Eidesleistung des Bundeskanzlers
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom heutigen Tage mitgeteilt:
Gemäß Artikel 63 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute Herrn Dr. Helmut Kohl zum Bundeskanzler ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet der Bundeskanzler bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie zur Eidesleistung. ({0})
Herr Bundeskanzler, ich überreiche Ihnen das Grundgesetz und bitte Sie, die Eidesformel zu sprechen.
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Alles Gute wünsche ich Ihnen, Herr Bundeskanzler.
({0})
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Herr Bundeskanzler den vorgeschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag geleistet hat.
Ich darf Ihnen noch einmal persönlich unsere besten Wünsche aussprechen.
Ich schlage vor, daß wir in der Sitzung ohne Unterbrechung fortfahren.
Ich rufe auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Krieg am Golf
Ich bitte den Herrn Bundeskanzler, seine Regierungserklärung abzugeben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns alle hat die Nachricht vom Ausbruch der Kampfhandlungen am Golf in der vergangenen Nacht tief betroffen gemacht. Mit großer Anteilnahme blicken wir in jene Region, auf das, was am Golf geschieht. Vor allem denken wir an die Menschen dort. Sie sind die Hauptleidtragenden dieses Konflikts. Viele Deutsche aus der älteren Generation haben in der Vergangenheit die Schrecken des Krieges selbst erfahren müssen. Diese Erfahrungen haben sich in das Gedächtnis unseres ganzen Volkes tief eingeprägt. Wir können daher in besonderem Maße nachempfinden, welches Leid mit Krieg verbunden ist.
Wir alle sind zutiefst enttäuscht, daß die vielfältigen, von der Bundesregierung mitgetragenen Bemühungen um eine friedliche Lösung an der Weigerung der irakischen Führung gescheitert sind. Sie weigert sich bis zur Stunde, die gewaltsame Annexion Kuwaits rückgängig zu machen. Der Irak hat kein Zeichen des guten Willens gegeben. Er trägt daher die volle Verantwortung dafür, daß es jetzt zu Kampfhandlungen gekommen ist.
Die Forderungen der Völkergemeinschaft sind und bleiben eindeutig: Der Irak muß sich unverzüglich aus Kuwait zurückziehen. Die Souveränität Kuwaits muß wiederhergestellt werden. Präsident Saddam Hussein hat jetzt noch die Chance, durch einen sofortigen Rückzug aus Kuwait weiteren Schaden vom irakischen Volk abzuwenden.
Jedem muß klar sein: Der Friede wurde am 2. August gebrochen, als der Irak ein kleines, wehrloses Nachbarland überfiel. Die Staatengemeinschaft durfte und konnte diesen Bruch des Friedens und des Völkerrechts nicht tatenlos hinnehmen. Eine Hinnahme dieses Unrechts hätte zu neuen Übergriffen ermutigt.
Wenn, meine Damen und Herren, die Völkergemeinschaft es zuließe, daß die staatliche Existenz eines ihrer Mitglieder gewaltsam ausgelöscht wird, hätte dies unabsehbare Folgen auch in anderen Teilen der Welt.
Der Einsatz militärischer Mittel gegen den Irak geschieht in voller Übereinstimmung mit Beschlüssen der Vereinten Nationen. Diese Beschlüsse - man kann es nicht oft genug betonen - sind der legitime und verbindliche Wille der gesamten Völkergemeinschaft, der jetzt durchgesetzt wird. Allein die politische Führung des Irak hat zu verantworten, daß nun Gewalt geschieht.
Die Bundesregierung, ihre Partner und Verbündeten, die Vereinten Nationen wie auch die Staaten der Region haben in den vergangenen Wochen und Monaten - ja bis in die letzten Stunden hinein - vor dem Ausbruch der militärischen Aktionen alles unternommen, um der irakischen Führung die Folgen einer kriegerischen Auseinandersetzung zu verdeutlichen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, deutsche Soldaten werden am Golf nicht eingesetzt. Wir sollten aber in keinem Augenblick vergessen, daß unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten bei der Verteidigung von Recht und Freiheit in diesem Konflikt die Hauptlast tragen.
({0}) Sie haben Anspruch auf unsere Solidarität.
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Die Bundesregierung hat die Entschließungen des Sicherheitsrats in jeder Phase der Golfkrise uneingeschränkt mitgetragen. Wir haben dies in der Überzeugung getan, daß das Recht dem Unrecht niemals weichen darf, daß, wie auch unsere eigene Geschichte lehrt, Aggressoren beizeiten entgegengetreten werden muß und daß die Wahrung von Recht und Frieden in jeder einzelnen Region unserer Welt die ganze Völkergemeinschaft angeht.
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Schon heute möchte ich feststellen: Nach der hoffentlich baldigen Beendigung der militärischen Auseinandersetzung müssen wir uns mit noch größerem Nachdruck als bisher auch den anderen Fragen dieser Region zuwenden.
Es sind neue, zielstrebige Anstrengungen erforderlich, um auch im Nahen Osten zu einer dauerhaften Friedensordnung zu kommen.
Ich wiederhole, was ich schon dieser Tage von dieser Stelle aus gesagt habe: Es geht vor allem darum, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes mit dem Recht auf Existenz und Sicherheit
aller Staaten der Region - das gilt vor allem auch für Israel - in Einklang zu bringen.
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Auch im Nahen Osten muß es gelingen, endlich Gegensätze zu überwinden und stabile Sicherheitsstrukturen zu entwickeln, damit die Region zu einem gerechten und dauerhaften Frieden finden kann. Ich will noch einmal betonen: Zur Stabilisierung der Verhältnisse in der Region sind aber auch erhöhte Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Überwindung unübersehbarer sozialer Unterschiede unerläßlich.
Ich hoffe, daß sich dieses Ziel möglichst bald im Rahmen eines umfassenden Entwicklungsplans für den Nahen und Mittleren Osten erreichen läßt. Aber jeder weiß, wirtschaftliche Hilfe ist erst dann sinnvoll, wenn die politischen Fragen befriedigend gelöst sind. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind bereit, unseren Beitrag auf diesem Weg zu leisten.
Meine Damen und Herren, wir alle sind tief beunruhigt über die Nachrichten, die uns seit heute nacht erreichen. Ich kann die Sorgen vieler Menschen gut verstehen. Um so wichtiger ist es, daß gerade jetzt Besonnenheit unser Handeln bestimmt. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten die notwendigen Vorkehrungen getroffen, um möglichen Gefahren zu begegnen und die Sicherheit der Bürger unseres Landes zu gewährleisten. Das gilt auch für die Sicherstellung der Energieversorgung.
Wir haben versucht, unser Land auf diese Situation vorzubereiten. Niemand sollte sich jetzt in Deutschland zu unüberlegtem Handeln verleiten lassen. Gefordert sind Vernunft, Umsicht und Besonnenheit. Das geht jeden einzelnen von uns an. Die Bürger unseres Landes müssen durch verantwortungsbewußtes und kluges Verhalten mithelfen, daß wir Deutsche dieser ernsten Situation gerecht werden.
Wir alle wünschen uns, daß dieser Krieg - und damit auch die Leiden der betroffenen Menschen - so schnell wie möglich beendet werden. Gemeinsam mit ihren Partnern und Verbündeten wird die Bundesregierung alles tun und keine Anstrengung scheuen, um dazu ihren Beitrag zu leisten.
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Ich erteile jetzt das Wort zu einer Erklärung dem Herrn Abgeordneten Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist darüber tief betroffen, daß die Diplomatie nicht imstande war, die Krise in der Golfregion mit friedlichen Mitteln zu lösen, daß den Sanktionen nicht genügend Zeit blieb und dort jetzt die Waffen ihr Zerstörungswerk begonnen haben und daß dort viele Menschen bereits gestorben sind und weitere jetzt in dieser Minute sterben.
Ich war selbst vor fast einem halben Jahrhundert Soldat. Mit vielen aus meiner Generation weiß ich, was Krieg bedeutet. Die Bilder aus jener Zeit stehen mir, stehen vielen von uns gerade jetzt ständig vor
Augen. Wir fühlen und leiden mit den Opfern in der
ganzen Region, mit den Menschen, die dort sterben.
Wir leiden um so mehr und unsere Betroffenheit ist um so stärker, als die Waffen, mit denen Saddam Nussein seine Nachbarn bedroht hat und wahrscheinlich noch immer bedroht und deren Vorhandensein der Krise eine so dramatische Dimension gibt, auch von deutschen Unternehmen geliefert worden sind, und zwar gerade auch Anlagen für die Produktion chemischer Waffen. Daß Deutsche an solchen Waffen mitgewirkt haben, obwohl sie wußten, daß sie auch gegen das israelische Volk gerichtet würden, erfüllt mich zusätzlich mit Scham.
({0})
Ich sage, diejenigen, die an alledem beteiligt waren, und diejenigen, die das nicht verhindert haben, obwohl sie dazu imstande waren, haben schwerste Schuld auf sich geladen; sie dürfen ihres Lebens nicht mehr froh werden. Wir müssen solche Exporteure des Todes endlich so behandeln, wie es ihrer kriminellen Schuld entspricht, nämlich als Schwerverbrecher.
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Das muß für Exporte in andere Krisenregionen ebenso gelten.
Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land und viele Menschen in fast allen Ländern der Welt geben in diesen Stunden ihrer Enttäuschung über das Scheitern der Politik in Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen Ausdruck. Sie fürchten eine Militarisierung des Denkens. Viele beten für die Wiederherstellung des Friedens. Wir sind an ihrer Seite, und wir teilen ihre Sorge vor einer weiteren Eskalation der Kriegshandlungen.
Deshalb bitten wir, daß der Deutsche Bundestag jetzt an alle Beteiligten appelliert, die Kriegshandlungen einzustellen, und daß er von der irakischen Führung fordert, daß sie sofort mit dem Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait beginnt.
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Es muß alles nur Denkbare geschehen, damit der Frieden unverzüglich wiederhergestellt wird. Dazu gehört, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen neue Initiativen ergreift. Ich danke in diesem Zusammenhang dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Pérez de Cuéllar, für seine zuletzt fast verzweifelten Bemühungen um den Frieden und ermutige ihn, seine Bemühungen zu erneuern.
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Auch die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft sind aufgefordert, mit diesem Ziel initiativ zu werden. Ebenso richtet sich unser Appell an die arabischen Staaten.
Israel danke ich in diesem Zusammenhang dafür, daß es in diesen für dieses Land so belastenden Tagen
so besonnen und damit friedensfördernd reagiert hat.
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Zunächst und vor allem geht es jetzt darum, daß die Kriegshandlungen unterbrochen und sodann beendet werden. Es geht aber auch darum, den Weg zu einer stabilen Friedensordnung im Nahen Osten zu ebnen, zu einer Friedensordnung, die allen Völkern der Region und insbesondere auch dem israelischen Volk ein Leben in sicheren Grenzen gewährleistet, die dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser Rechnung trägt und die auch dem gequälten Libanon endlich Frieden bringt.
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Die französische Friedensinitiative - ich freue mich über die Übereinstimmung in der Beurteilung - bietet dafür eine gute Grundlage. Das gilt insbesondere auch für die in dieser Initiative vorgesehene internationale Nahostkonferenz, die eine ähnlich konstruktive Rolle spielen könnte wie für Europa die KSZE-Konferenz in Helsinki. Der Plan François Mitterrands muß auf der Tagesordnung bleiben.
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Wir, der Deutsche Bundestag, sollten ihn auch weiterhin ausdrücklich unterstützen und dies, wenn es irgendwie möglich ist, heute förmlich bekräftigen und beschließen. Zu dieser Unterstützung - da sehe ich ebenfalls einen Punkt der Übereinstimmung, Herr Bundeskanzler - gehört dann allerdings auch die Bereitschaft, im Rahmen einer gemeinsamen westlichen Anstrengung materielle Hilfe für diese Region in großem Umfang zu leisten.
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Eine solche Friedensordnung wird nur von Dauer sein, wenn der Belieferung der Staaten des Nahen Ostens mit Kriegswaffen, Rüstungsgütern und militärischem Fachwissen ein Riegel vorgeschoben wird. Aus den schweren Versäumnissen und Unterlassungen der letzten Jahre müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.
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Die Bagatellisierung der Geschäfte mit dem Tode, diese gewinnsüchtigen Anschläge auf den Frieden in unserer Welt müssen ein für allemal ein Ende haben. Zu strengsten Vorschriften und strengster Verfolgung muß auch die gemeinsame gesellschaftliche Ächtung solcher Handlungen treten.
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Es gibt gegenwärtig keinerlei Anzeichen für einen bewaffneten Angriff des Irak auf die Türkei oder ein anderes Mitgliedsland der NATO und damit für den Eintritt des Bündnisfalles. Ich sage das, um die Unruhe und die Beunruhigung nicht noch zu steigern.
Da in diesen Tagen in der Öffentlichkeit jedoch lebhaft über die Frage diskutiert wird, bekräftige ich für meine Fraktion gerade heute, daß die Entscheidung über Krieg und Frieden nach dem NATO-Vertrag und nach dem demokratisch-parlamentarischen Grundprinzip unserer Verfassung nicht Sache der Exekutive, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil der Verantwortung des Deutschen Bundestages ist.
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Das gilt bereits für die Feststellung, ob der Bündnisfall gegeben ist, also ob es sich wirklich um einen bewaffneten Angriff auf das Bündnisgebiet oder nur um die Abwehr eines von dort geführten Schlages handelt. Wir halten es für geboten, daß der Bundestag auch dies förmlich feststellt.
Zweifel an dieser Verfassungslage werden und dürfen wir nicht auf sich beruhen lassen. Wir sind im Sommer unter den Fraktionen zu einer Verständigung darüber gelangt, daß nach dem Grundgesetz ein Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Gebietes nicht in Betracht kommt. Herr Bundeskanzler, Sie haben das heute wiederholt; Herr Kollege Stoltenberg hat das schon am Montag für die Bundesregierung erklärt. Diese Klarheit ist geeignet, Sorgen auszuräumen, die in unserem Volk und vor allem in der jüngeren Generation umgehen.
Es wäre in ganz hohem Maße wünschenswert, daß wir auch in der anderen Frage, nämlich in der Verantwortung des Bundestages für die Entscheidung des Bündnisfalles und von Krieg und Frieden eine tragfähige Verständigung erzielen könnten.
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Unsere ganze Aufmerksamkeit richtet sich heute auf die Golfregion. Wir dürfen aber nicht vergessen - wir vergessen es auch nicht - , daß vor wenigen Tagen auch in Litauen Menschen gestorben sind, weil sie gewaltlos für ihre demokratischen Institutionen und ihr Recht auf Selbstregierung eingetreten sind. Wir warnen diejenigen, die es angeht, vor der Versuchung, im Schatten der Golfkrise die Krise in diesem Teil unseres Kontinents mit gewaltsamen Mitteln zu lösen, statt den Reformkurs geduldig und zäh fortzusetzen.
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Wenn Kräfte dieser Versuchung erliegen, dann würde das die Gefahren, mit denen wir es jetzt zu tun haben, noch weiter verschärfen. Erfreulicherweise gibt es gerade in den letzten Stunden Anzeichen dafür, daß jedenfalls der sowjetische Staatspräsident dies ebenso sieht.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das sind Tage und Stunden, die uns alle wie die Menschen, mit denen wir leben, existentiell berühren. Es sind auch Tage und Stunden, in denen wir unsere Verantwortung spüren wie selten zuvor. Wir wollen
unseren Beitrag dazu leisten, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden.
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Das Wort hat Herr Dr. Dregger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Krieg hat nicht heute nacht begonnen. Er ist heute nacht in seine zweite Phase eingetreten. Begonnen wurde er am 2. August 1990 von Saddam Hussein. Anstatt die Verhandlungen mit seinem nahezu wehrlosen Nachbarn Kuwait über die von ihm erhobenen Ansprüche fortzusetzen, hat er dieses kleine arabische Land überfallen, besetzt und annektiert.
Das war ein eklatanter Bruch des internationalen Rechts, ein Verstoß gegen die Satzung der Vereinten Nationen, deren Mitglied der Irak ist. Die Vereinten Nationen konnten das nicht hinnehmen, wenn sie nicht weiterhin Aggressionen Tür und Tor öffnen wollten.
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Fast ein halbes Jahr lang haben sich die Vereinten Nationen mit unserer aktiven Unterstützung um eine Beendigung des Krieges bemüht, zum Schluß durch den dramatischen Besuch ihres Generalsekretärs bei dem Diktator im Irak. Zuvor hat der Sicherheitsrat zwölf Resolutionen verabschiedet, deren Zweck es war, mit den Mitteln der Diplomatie, des wirtschaftlichen Drucks, der Unterbrechung der See- und Luftverbindungen den Irak zu einem Rückzug aus dem annektierten Kuwait zu bewegen. Gleichzeitig erfolgte eine bisher nie dagewesene militärische Gegenkonzentration unter dem Dach der Vereinten Nationen, an der nicht weniger als 28 verschiedene Nationen aus Asien, aus Europa und Amerika beteiligt sind.
Die schon im November verabschiedete Resolution 678 sollte deutlich machen, daß der Irak bis zum 15. Januar 1991 noch Gelegenheit haben würde, den Krieg zu beenden, bevor diese Kräfte militärisch gegen ihn eingesetzt würden.
Das alles hat der Aggressor ignoriert, möglicherweise unterschätzt, jedenfalls nicht beachtet. Deshalb stelle ich fest: Dies ist kein Krieg zwischen den USA und dem Irak; dies ist ein Krieg, der Wahnsinnskrieg eines Diktators gegen die Weltgemeinschaft,
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gegen die kollektive Sicherheitsgemeinschaft der Vereinten Nationen und gegen die von dieser Weltorganisation repräsentierte Ordnung des Rechts und des Friedens. Dieser Krieg ist auch nicht Teil jenes überkommenen und die Region belastenden bisher ungelösten Palästinakonflikts. Das war das billige Argument, das der Aggressor nach dem Überfall auf Kuwait nachgeschoben hatte, als er erkennen mußte, daß auch die meisten arabischen Staaten seinen Gewaltakt verurteilten und die Vereinten Nationen gegen ihn unterstützten.
Meine Damen und Herren, wer versucht, diese Tatsache zu verwischen, bastelt an einer Legende, die allein dem Aggressor und nicht dem Frieden dient. Davor warne ich.
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Wir Deutschen sind an der militärischen Operation am Golf nicht beteiligt. Der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung eben unterstrichen.
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Beteiligt sind wir nur an den Sicherheitsvorkehrungen der westlichen Allianz zugunsten eines unserer Verbündeten, der Türkei. Meine Damen und Herren, wir Deutsche haben dazu auch allen Grund. Denn schließlich haben wir vierzig Jahre lang die Solidarität unserer Allianzpartner im Ost-West-Konflikt erfahren. Ohne diese Solidarität hätten wir die Berlin-Krisen und die anderen Krisen nicht meistern können.
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Ohne diese Solidarität werden wir auch für die Zukunft den Frieden in Europa nicht sichern können. Dieser Solidaritätsakt der Bundesregierung, Herr Kollege Brandt, war daher keine Fehlentscheidung, sondern eine dringend notwendige solidarische Entscheidung für den Frieden der Welt.
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Meine Damen und Herren, unsere Hauptverbündeten, die USA, Großbritannien und Frankreich, haben für diese Aktion gegen den Aggressor ebenso Truppen bereitgestellt wie mehrere muslimische Länder. Bemerkenswert finde ich es, daß sich auch unser Nachbar, die Tschechoslowakische Republik, kurz nachdem sie die Freiheit errungen hat, mit Soldaten an dieser Gemeinschaftsoperation beteiligt und zwar mit Truppen, die auf Grund ihrer Ausbildung in der Lage sind, der Bevölkerung gegen chemische und biologische Angriffe, mit denen Saddam Hussein gedroht hat, zu helfen. Ich bewundere die Tschechen und Slowaken und danke ihnen für diese solidarische Haltung.
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Die demokratischen Institutionen, also vor allem die Parlamente, unserer Verbündeten haben mit großen Mehrheiten und parteiübergreifend die nunmehr notwendig gewordenen militärischen Aktionen und den Einsatz ihrer Truppen für diese Aufgabe gebilligt. Der britische Oppositionsführer Kinnock, der dem militärischen Einsatz britischer Truppen am Golf zustimmt, hat erklärt - ich zitiere ihn - : Wir hoffen, daß der Krieg so kurz wie möglich ist und möglichst wenig Opfer fordert. Die Welt wäre erleichtert, wenn Saddam begreifen würde, daß er Tod und Zerstörung vermeiden könnte, wenn er nachgäbe. - Meine Damen und Herren, ich schließe mich dem britischen Oppositionsführer ausdrücklich an, sowohl in der Billigung
des Einsatzes der Truppen, die unter dem Kommando der UNO eingesetzt sind,
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als auch in dem Appell an Saddam Hussein, nachzugeben und damit den Frieden wieder herzustellen. Ich wäre dankbar, wenn auch der Oppositionsführer in diesem Hause beides in gleicher Deutlichkeit billigen würde.
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Ich meine, es wäre die schlechteste Politik, die wir jetzt machen könnten, wenn wir Deutschland aus dem demokratischen Konsens und der Solidarität der UNO heraushalten würden.
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Der amerikanische Präsident hat nach Beginn der Angriffe dieser Nacht auf die irakischen militärischen Einrichtungen erklärt, ihm gehe es nicht um die Vernichtung des Irak. Dies gilt auch für alle anderen Staaten, die sich an der Gemeinschaftsoperation der Vereinten Nationen unter dem militärischen Kommando der USA beteiligen. Niemand will den Irak vernichten, alle wollen nur eines: die Wiederherstellung des Rechts, d. h. den Rückzug der irakischen Truppen aus dem besetzten Kuwait.
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Der Einsatz westlicher Truppen wird sofort eingestellt, wenn der Aggressor dazu die Möglichkeit bietet.
Deshalb rufe ich im Interesse der Menschen, die durch diesen Krieg in schweres Leid gestürzt werden, also auch und vor allem im Interesse der irakischen Bevölkerung, namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Beugen Sie sich dem Recht! Beenden Sie den von Ihnen begonnenen Krieg! Ziehen Sie sich aus Kuwait zurück!
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Meine Damen und Herren, wir Deutsche, die an den Operationen nicht beteiligt sind, drücken den Opfern des Krieges, für den Saddam Hussein und seine Komplizen die alleinige Verantwortung tragen, unser Mitgefühl aus. Wir erklären uns bereit, an der Überwindung der Folgen dieses Krieges mitzuwirken.
Meine Damen und Herren, wir brauchen im Nahen Osten eine Friedensordnung, die allen Staaten und Völkern in dieser Region das Lebensrecht sichert und ihre soziale und kulturelle Entwicklung fördert. In dieser Region, in der die Entstehung der Menschheit ihren Platz gefunden hat, müssen Juden, Christen und Moslems ihren Platz finden. Nur so können sie den Auftrag und den Sinn ihrer religiösen Überzeugung erfüllen. Ich rufe sie dazu auf, durch ein gemeinschaftliches Eintreten für Toleranz und Achtung des anderen und für Zusammenleben der Welt ein Beispiel zu geben für den Frieden und die Zukunft, die nur durch den Frieden gesichert werden kann.
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Das Wort hat Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Freie Demokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion sind gemeinsam mit allen friedliebenden Menschen in Deutschland und in der Welt erschrocken, bestürzt und betroffen über den leider unvermeidlich gewordenen militärischen Einsatz der alliierten Streitkräfte am Golf. Wir sind traurig darüber, daß diplomatische und politische Bemühungen erfolglos geblieben sind, und wir denken in diesen Stunden an die unschuldigen Menschen, die Leiden und Last dieser Entwicklung zu ertragen haben.
Herr Vogel hat es erwähnt: Herr Dregger und ich, wir alle gehören zu denen, die den letzten Krieg noch persönlich erlebt haben. Wir wissen, wovon wir sprechen. Niemand von uns wünscht den Jüngeren, diese Erfahrung zu machen: Der Krieg ist nicht der Vater aller Dinge, er ist der Vater allen Schreckens.
({0})
Aber, meine Damen und Herren, es gibt für die jetzt entstandene Lage nur einen wirklich Verantwortlichen: den irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein.
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Wieviel unendliche und geduldige Bemühungen hat es in den letzten Wochen gegeben? Die Weltöffentlichkeit kennt sie, wir kennen sie; ich brauche sie nicht aufzuzählen. Bis zuletzt hat sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Pérez de Cuéllar, darum bemüht, den Irak zur Befolgung der Resolutionen des Weltsicherheitsrats zu bewegen. Wir haben über die Ergebnisse seines Besuches in Bagdad in dieser Woche in diesem Hause gesprochen. Er kam mit der Erkenntnis zurück, der irakische Diktator sei zum Krieg entschlossen, es gebe keine Einsicht. Wörtlich sagte Pérez de Cuéllar: „Ich habe Ihnen nichts mitzubringen; er hat nicht auf mich gehört. " Seine, des Generalsekretärs Argumente wurden nicht einmal richtig angehört.
Trotz aller Enttäuschung, meine Damen und Herren, trotz aller Erbitterung und Verbitterung dürfen Politik und Diplomatie jetzt nicht aufgeben. Es muß auch nach der letzten Nacht - in diesen Stunden gehen die Angriffe weiter, wie wir alle wissen - darum gerungen werden, doch noch eine diplomatische, eine politische Lösung zu finden, und das so bald wie möglich.
({2})
Ich widerspreche aber, Herr Kollege Vogel, der Formulierung in Ihrem Entschließungsantrag, daß „die Diplomatie ... keine ausreichende Chance erhalten" habe, den Krieg zu verhindern.
({3})
Wenn Sie damit den Weltsicherheitsrat, die Vereinten
Nationen und die Verbündeten meinen, widerspreche
ich dem. Wenn Sie Saddam Hussein meinen, dann haben Sie recht.
({4})
Meine Damen und Herren, die Freie Demokratische Partei begrüßt das Zusammentreffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft und der Westeuropäischen Union zur Stunde und heute nachmittag in Paris. Wir regen an, daß von dort aus erneut eine Initiative unternommen wird. Sie muß zum einen die Aufforderung an Saddam Hussein zum Inhalt haben, die Bedingungen des Weltsicherheitsrats endlich zu erfüllen. Sie muß zum anderen die Bereitschaft wiederholen - insofern stimmen wir mit der Initiative des französischen Staatspräsidenten überein - , eine internationale Sicherheitskonferenz einzuberufen, die sich mit den Problemen des Nahen Ostens, einschließlich des Existenzrechts des Staates Israel und der Palästinenserfrage, beschäftigt. Eines ist sicher richtig: Dieses Thema ist zu lange nicht behandelt und nicht entschieden worden.
({5})
Wir warnen, meine Damen und Herren, davor, einer solchen erneuten Bemühung von vornherein den Stempel der Aussichtslosigkeit aufzudrücken. Sicher, es wäre eine Wiederholung früherer, leider vergeblicher Anstrengungen. Aber sie kann unter einem neuen Vorzeichen stehen, wenn der irakische Präsident endlich erkannt hat, daß er - entgegen all seinen Erwartungen und Reden - die militärische Auseinandersetzung nicht gewinnen kann. Wenn die vergangenen Stunden wenigstens zu dieser Einsicht geführt hätten, dann wäre wenigstens etwas gewonnen. Dann wäre trotz Entsetzens und Bestürzung vielleicht Aussicht auf ein schnelles Ende der militärischen Auseinandersetzungen.
Es wird niemanden wundern, wenn ich frage, ob der Irak nach aller erlebten Irrationalität zu solchen Einsichten und daraus folgenden Handlungen eigentlich fähig ist; aber es muß versucht werden. Ich erinnere daran, wie Saddam Hussein von einem Tag zum anderen zum Waffenstillstand im Irak-Iran-Krieg bereit war, als er auf die Verliererstraße geriet - entgegen allen früheren Ankündigungen und Erwartungen.
Meine Damen und Herren, Deutschland steht an der Seite der internationalen Staatengemeinschaft. Wir wollen eine internationale Rechtsordnung, die die Menschenrechte achtet und dem Frieden dient. Die Welt kann die gewaltsame Annektierung eines kleinen, souveränen Landes durch seinen gewalttätigen, militärisch starken Nachbarn nicht hinnehmen. Für die Freie Demokratische Partei sage ich noch einmal: Gerade wir Deutschen dürfen wegen unserer historischen Erfahrungen nicht vergessen, wohin das Gewährenlassen eines Diktators führt.
({6})
Meine Damen und Herren, wir erleben und verstehen Demonstrationen - Proteste, die ja Friedenssehnsucht zum Ausdruck bringen - auf unseren Straßen. Wir wissen, daß viele Menschen im Lande für den
Frieden beten. Wer an die Kraft des Gebets glaubt - und ich tue das - , wird das begrüßen und sich darüber freuen.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, die jetzt bei manchen dieser Zusammenkünfte verwandte Formulierung „Kein Blut für Öl"
({8}) ist eine ungerechtfertigte Verkürzung.
({9})
Es geht auch um Wirtschaft oder Öl. Aber es geht eindeutig und in allererster Linie um die Wahrung des Rechts.
({10})
Wir verstehen Proteste und Demonstrationen für den Frieden, aber es ist Saddam Hussein, der den Frieden gebrochen hat. Krieg am Golf gibt es seit dem 2. August 1990, nicht erst seit der letzten Nacht.
({11})
Wir denken mit vielen unserer Landsleute - aber auch über Deutschland hinaus ist das ja so - an die unschuldigen Opfer dieser Tage. Für uns Liberale will ich darüber hinaus deutlich hinzufügen: Wir denken auch an die anderen, an die früheren Opfer Saddam Husseins, an die Ermordeten im Irak, an Gefolterte, Vergewaltigte, Verschleppte in Kuwait. Dieser Mann hat die Menschenrechte in geradezu monströser Weise verletzt. Auch dem muß Einhalt geboten werden.
({12})
Meine Damen und Herren, in diesen Stunden verstärken sich die Fragen unserer Verbündeten nach dem Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Durchsetzung der Ziele der Vereinten Nationen. Gegen Fragen ist nichts einzuwenden, Kritik ist aber nicht gerechtfertigt. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Beschlüsse der Vereinten Nationen vorbehaltlos unterstützt. Wir haben mit allen Verbündeten bei der Durchsetzung des Embargos gegen den Irak eng zusammengearbeitet. Ich füge in diesem Zusammenhang hinzu - das darf ich vielleicht - : Auch eine so freihändlerisch gesonnene Partei wie die Freie Demokratische Partei hat nicht den Bruchteil einer Sekunde gezögert, hier ein Embargo zu bejahen.
Ich wiederhole aber auch unsere Erklärung: Jeden, der dieses Embargo umgangen hat, muß die Schärfe des Gesetzes mit voller Wucht treffen.
({13})
Die Bundesrepublik unterstützt die Vereinigten Staaten und die Staaten der Golfregion, insbesondere Ägypten und Jordanien, politisch, materiell und finanziell in erheblichem Ausmaß. Wir stehen auch in diesen schweren Tagen zu den Vereinten Nationen, zu unseren Verbündeten in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und in Großbritannien. Das vereinte
Deutschland steht zu internationaler Solidarität. Es steht zu seiner Verantwortung.
Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, wie sehr wir bei vielen Gelegenheiten nach dem Zweiten Weltkrieg auf diese internationale Solidarität, auf die Hilfe unserer Partner, unserer Verbündeten bauen konnten. Es gerät manches schnell in Vergessenheit, was nicht vergessen werden darf. Vor allem amerikanische, französische und britische Garantien waren es, die die Sicherheit der alten Bundesrepublik und West-Berlins in vielen kritischen Situationen nach dem Zweiten Weltkrieg bewahrt haben.
({14})
Ich nenne nur die Berliner Blockade 1948, Ungarn 1956 und den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag im Frühling 1968.
Deshalb fällt es mir auch schwer, mit der angemessenen Gemütsruhe Zwischenrufen zuzuhören, die von einem Abgeordneten dieses Hauses gemacht werden, der die Politik und die Partei vertreten hat, die den Einmarsch in die Tschechoslowakei mitgetragen hat.
({15})
Erinnern wir uns alle daran, daß die Freiheit anderer Nationen auch unsere Freiheit ist, daß Demokratie unteilbar ist und daß Menschenrechtsverletzungen nie und nirgendwo geduldet werden dürfen! Arbeiten wir weiter für eine friedliche Lösung! Unterstützen wir die Bundesregierung und die Regierungen der verbündeten Nationen in ihren Bemühungen, doch noch eine politische und diplomatische Lösung zu erreichen!
Und noch einmal rufen wir dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein zu: Kommen Sie endlich zur Einsicht, beenden Sie die Besetzung Kuwaits! Ein erlösendes Wort von Ihnen, und der Friede ist wiederhergestellt, und die militärische Aktion ist beendet!
({16})
Das Wort hat Herr Dr. Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
({0})
- Nicht gerade Sie!
Es ist Krieg, und Sie, Herr Kanzler, sagen es nicht einmal so deutlich, ehrlich und offen der gesamten Bevölkerung; Sie beschwichtigen. Herr Kanzler, Ihre Erklärung ist entweder Ausdruck von Heuchelei oder
Ausdruck von völligem Unverständnis dessen, was da am Golf losgegangen ist.
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In einer Welt, die so miteinander verbunden ist wie unsere, gibt es keine gerechten, sondern nur noch verbrecherische Kriege.
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Herr Dr. Gysi, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf und denke, daß in dieser Debatte das so nicht stehenbleiben kann.
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Bevor ich Sie, Herr Dr. Gysi, weitersprechen lasse, möchte ich auch angesichts der Zwischenrufe sagen: Niemand in diesem Hause sollte dem anderen den Friedenswillen absprechen.
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Ich nehme das zur Kenntnis, habe aber natürlich das Recht auf meine eigene Meinung.
In einer Welt - ich wiederhole das -, die so miteinander verbunden ist wie unsere, gibt es keine gerechten, sondern nur noch verbrecherische Kriege.
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Ich hoffe, daß niemand, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, so naiv ist, Ihnen zu glauben, daß es um die Durchsetzung des Völkerrechts geht, das bekanntlich seit Jahren und täglich mit Füßen getreten wird, gerade auch durch die USA, gerade auch im Nahen Osten.
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- Dann bin ich ja zuständig. Dort gibt es fast mehr besetzte als unbesetzte Gebiete.
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- Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt, Wahrheiten zu ertragen, aber Sie sollten trotzdem mal zuhören.
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Saddam Hussein und George Bush und seinen Verbündeten geht es um nichts anderes als um nackte Machtpolitik und um imperiale Politik, um politische und vor allem um ökonomische Einflußsphären. Für diese Machtpolitik wird die gesamte Menschheit gefährdet, mit ökologischen und ökonomischen Langzeitwirkungen, die in ihrem vollen Ausmaß erst in Jahren zutage treten werden.
Wenn es um Recht geht, dann frage ich: Wer hat das Recht, einen solchen Krieg zu beginnen, der die ganze Menschheit in eine Katastrophe führen kann?
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Deutschland hatte gerade im letzten Jahr große historische Chancen, die sämtlich vertan wurden: statt Vereinigung mit der DDR ihr Anschluß mit einer sich in allen Bereichen verbreitenden Besatzermentalität;
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statt Austritt aus beiden Militärblöcken das Klammern an die NATO, um jetzt den Bündnisfall heraufbeschwören zu können.
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Erstens möchte ich Sie bitten, Herr Dr. Gysi, daß Sie Ihre Worte angemessener wählen, und zweitens möchte ich bitten, daß wir so lange zuhören, bis das beendet ist.
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Wäre Deutschland heute neutral, könnte die Bundesregierung friedensvermittelnd wirken. So aber wird dieses Deutschland kriegsbeteiligt sein. Dies ist es sowieso schon durch die Giftgasfabriken, die Rüstungsexporte und ähnliches. Es ist ein Krieg gegen die Dritte Welt, der die unvorstellbare Ausbeutung der Dritten Welt durch die Industriestaaten sichern soll.
Die Bundesregierung hat dieser gesamten Politik der Drohung, der Eskalation und auch des Beginns der Kriegshandlungen heute nacht zugestimmt. Sie hat damit schwere Schuld und Verantwortung auf sich geladen.
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45 Jahre nach Beendigung des von Deutschland verbrecherisch begonnenen und geführten Zweiten Weltkriegs, aber nur drei Monate nach der Herstellung der deutschen Einheit ist dieses Deutschland dabei, wieder in einen Krieg verwickelt zu werden.
Jeder Bürger dieses Landes sollte jetzt den Kriegs- und Wehrdienst verweigern.
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Kein amerikanischer Soldat darf von deutschem Boden aus in die Golfregion starten. Beteiligen wir uns alle an Friedensaktionen, an Mahnwachen der verschiedensten Art, auch heute in allen Großstädten! Unser Platz kann heute nur bei diesen Friedensdemonstrationen sein!
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Herr Kanzler, Sie haben heute geschworen, Schaden vom deutschen Volk zu wenden, und sind doch
gerade dabei, großen Schaden für unser Volk mit anzurichten.
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Ziehen Sie die deutschen Truppen und das deutsche Gerät aus dem Kriegsgebiet zurück!
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Erklären Sie verbindlich für die Bundesrepublik Deutschland, daß sie sich an diesem Krieg auf keinen Fall beteiligen wird! Setzen Sie sich für eine baldige Nahost-Friedenskonferenz ein! Stiften Sie Frieden! Verhindern Sie, daß Sie zum Kanzler des Krieges werden!
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Ich erteile zuletzt Frau Wollenberger das Wort.
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Mir hört ja keiner zu.
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Sobald Sie bereit sind, mir zuzuhören, fange ich gerne an.
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- Nein, aber auch nicht auf dem Fußballplatz.
Frau Wollenberger, die Situation im Raum ist so, daß Sie sprechen können. Ich bitte Sie, zu beginnen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist heute ein ernster Tag. Mit seiner Entscheidung, den Irak militärisch anzugreifen, hat Präsident Bush heute nacht die Schwelle zu einem möglichen Dritten Weltkrieg überschritten.
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Wenn man den Medien trauen darf, hat er diese Entscheidung ganz allein getroffen. Es ist unerträglich, daß ein Mann allein über Krieg und Frieden in der Welt entscheidet.
({1})
Solch eine Entscheidung darf nicht einmal von den Parlamenten allein getroffen werden, sondern müßte von denen getroffen werden, die betroffen sind, von der Bevölkerung.
Gleich in der ersten Angriffswelle wurde Bagdad bombardiert und wurden neben militärischen Einrichtungen auch Wohngebiete getroffen. Damit hat Präsident Bush den Boden der UN-Resolution verlassen. Diese Angriffe waren keine notwendigen Mittel, um Kuwait zu befreien. Bereits in den ersten Stunden hat dieser Krieg sein Gesicht gezeigt. Es ist ein Feldzug gegen die irakischen Menschen, der, wenn er nicht sofort eingedämmt wird, ein Feldzug gegen die gesamte Erde werden könnte. Es gibt weder eine militärische noch eine politische noch eine moralische Rechtfertigung für diesen Krieg. Er ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und er muß deshalb sofort beendet werden.
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Die Lösung aller Probleme kann allein durch eine Nahost-Friedenskonferenz gefunden werden, die wir hier noch einmal nachdrücklich fordern und unterstützen.
Meine Damen und Herren, dieser Krieg ist begonnen worden, ohne daß die Mittel des Embargos gegen den Irak ausgeschöpft worden wären
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und ohne daß die politischen Mittel zur friedlichen Beendigung dieses Konflikts ausgeschöpft worden wären. Er ist begonnen worden, ohne daß über die verheerenden globalen Folgen dieses Krieges ausreichend nachgedacht worden wäre; jedenfalls sind sie in die politischen Entscheidungen offenbar nicht einbezogen worden. Ich meine solche Fragen wie: Was geschieht, wenn die Giftgasfabriken bombardiert werden? Was geschieht, wenn Irak wirklich Produktionsanlagen für Atomwaffen hat und diese bombardiert werden? Was geschieht, wenn die Erdölfelder in Brand geraten? Was geschieht mit den Menschen, die im Kriegsgebiet leben und die diesen Krieg erleiden müssen, die vielleicht in diesem Augenblick, in dem wir hier sitzen und es so schwer haben, einander zuzuhören, getötet werden? Was geschieht mit uns allen, wenn es in Folge dieses Krieges einen nuklearen Winter gibt? Wie viele Opfer wird dieser Krieg fordern? Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren Abgeordneten, in den verbleibenden Minuten meiner Redezeit mit mir gemeinsam über diese Fragen nachzudenken.
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Frau Wollenberger, Ihre Redezeit läuft. ({0})
Präsidentin Dr. Süssmuth
Ich fordere Sie dann auf, das Mikrophon jetzt zu verlassen.
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- Frau Wollenberger, wir sind dem gefolgt, wenn auch nicht mit Zustimmung. Ihre Redezeit ist jetzt beendet.
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Meine Damen und Herren, bevor wir zur Abstimmung über die Entschließungsanträge kommen, gibt es noch den Wunsch zu einer persönlichen Erklärung nach § 30. Herr Ganschow von der FDP, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe eine ganz kurze Erklärung abzugeben zu der Erklärung des Herrn Dr. Gysi: Ich bin im November 1979 zur NVA gezogen worden. Im Dezember ist der Afghanistankonflikt ausgebrochen. Mir hat man damals gesagt, ich müsse bereit sein, für die Sache des Sozialismus auch in Afghanistan zu kämpfen. Hätte ich damals gesagt: Ich verweigere den Wehrdienst, wäre ich erst 1989 aus dem Knast herausgekommen.
Danke.
({0})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/35 auf.
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- Ich bleibe jetzt bei der Abstimmung. Sie können danach noch eine abgeben.
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Wir sind in der Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD, und ich frage: Wer stimmt diesem Antrag zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion ohne Enthaltungen abgelehnt.
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- Mit Enthaltung der PDS.
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- Ich wiederhole: bei einigen Enthaltungen. ({4})
- Bei einigen Enthaltungen der CDU.
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- Wenn es nicht anders geht, wiederhole ich die Abstimmung. Das ist das Eindeutigste. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? ({6})
Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion bei Enthaltungen aus der Gruppe der PDS und wenigen Enthaltungen
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- nein, es waren mehrere - aus der CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/37 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ GRÜNE und der PDS angenommen; keine Enthaltungen.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE auf Drucksache 12/36. Wer stimmt für diesen Antrag? ({8})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({9})
Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie einer großen Mehrheit der SPD mit Stimmenthaltungen aus der SPD abgelehnt.
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Zugestimmt haben die PDS, Bündnis 90/GRÜNE und einige aus der SPD.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für folgenden Punkt: Interfraktionell ist vereinbart worden, daß der Auswärtige Ausschuß, der Innenausschuß und der Verteidigungsausschuß ihre Arbeit, soweit erforderlich, bereits aufnehmen können. Die Benennung der Mitglieder ist lediglich vorläufig. Aber es erschien uns wichtig, daß in dieser Situation Arbeitsfähigkeit gerade dieser Ausschüsse gewährleistet ist. Ich gehe davon aus, daß Sie einverstanden sind. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 18. Januar, 10.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.