Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/7/1991

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. ({0}) - Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kollege; der Rest ist im Anmarsch. Das haben wir von hier aus alles im Auge. Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes scheidet Herr Kollege Lowack als stellvertretendes Mitglied aus. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als Nachfolger Herrn Kollegen Dr. Wittmann vor. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? ({1}) - Ich hoffe, die Formel des Präsidenten „Es erhebt sich kein Widerspruch" ist durch das Gemurmel nicht ad absurdum geführt. Es erhebt sich also kein Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Wittmann als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt. Aus dem Kontrollausschuß des Bundesausgleichsamts scheidet Herr Kollege Lowack als ordentliches Mitglied aus. Als seinen Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU Herrn Kollegen Koschyk vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. Als stellvertretendes Mitglied wird Herr Kollege Hinsken vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Damit sind Herr Kollege Koschyk als ordentliches Mitglied und Herr Kollege Hinsken als stellvertretendes Mitglied in den Kontrollausschuß des Bundesausgleichsamts gewählt. Aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt scheidet der Kollege Wolfgramm ({2}) als ordentliches Mitglied aus. Die Fraktion der FDP schlägt für den Rest der Amtszeit des Verwaltungsrats als Nachfolgerin die Kollegin Frau Würfel vor. Ebenfalls aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt scheidet die Kollegin Frau Geiger als stellvertretendes Mitglied aus. Die Fraktion der CDU/ CSU schlägt Herrn Kollegen Dr. Probst als Nachfolger vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Damit sind die Kollegin Würfel als ordentliches Mitglied und der Kollege Dr. Probst als stellvertretendes Mitglied für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt benannt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt III auf: Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 ({3}) - Drucksachen 12/100, 12/494, 12/501 bis 12/531 Dazu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 12/668 und 12/669 sowie ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/663 vor. Ich weise darauf hin, daß über den Gesetzentwurf gegen 12.30 Uhr namentlich abgestimmt wird. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel das Wort.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße sehr herzlich die erlesene Schar, die sich schon am frühen Morgen hier eingefunden hat, ({0}) und konstatiere mit Blick auf die Zukunft eine eindrucksvolle Mehrheit auf der linken Seite des Hauses. ({1}) Kollege Struck als Geschäftsführer wird sich überlegen, ob wir nicht eine kleine Abstimmung zwischendrin veranstalten sollen; ({2}) aber das bleibt abzuwarten. ({3}) - Ja, wenn die Hammel springen, haben Sie die Mehrheit; das ist wahr, Herr Kollege. ({4}) Wenn hier nur die Stimmen gezählt werden, dann sieht es manchmal anders aus. Wir stehen am Ende der Haushaltsberatungen. Diese Beratungen haben gezeigt: Die Koalition befindet sich mit ihrer Haushaltspolitik in großen Schwierigkeiten. ({5}) Der Haushaltsentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, ist in wesentlichen Punkten schon überholt, bevor er überhaupt verabschiedet wird. Kollege Walther wird das nachher noch im einzelnen darlegen. Ich beschränke mich insoweit auf drei Feststellungen. Erstens. Dieser Haushalt gibt keine ausreichende Antwort auf die gewaltigen Probleme in den neuen Bundesländern. Zweitens. Dieser Haushalt vernachlässigt auch in den alten Bundesländern den ökologischen Umbau ebenso wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Wohnungsnot, während er bei den Rüstungsausgaben mögliche und notwendige Kürzungen unterläßt. So wird der Jäger 90 unverständlicherweise noch immer in diesem Haushaltsplan mitgeschleppt und weitergeführt. ({6}) Drittens. Dieser Haushalt verschleiert die Tatsache einer extremen Neuverschuldung des öffentlichen Sektors von über 200 Milliarden DM durch die Aufteilung der Verschuldung auf eine Vielzahl von Schattenhaushalten, die fast ebensoviel Kredite aufnehmen wie der Haushalt selbst. ({7}) Erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik nimmt der öffentliche Sektor damit fast die gesamte Ersparnisbildung in der Bundesrepublik für sich allein in Anspruch. Das war früher nie so, und das ist ein Alarmzeichen ersten Ranges. ({8}) Aber die Koalition ist nicht nur auf diesem Gebiet in großen Schwierigkeiten; sie hat auch sonst ihre Handlungsfähigkeit weitgehend verloren. Sie ist deshalb den Aufgaben, die jetzt zu bewältigen sind, nicht gewachsen. Was ihr an Kraft verblieben ist, verbraucht die Koalition in erster Linie in inneren Streitigkeiten. CDU und FDP belauern sich, wenn sie nicht, wie zumeist, aufeinander einschlagen. ({9}) - Wenn das, was Sie gegenwärtig aufführen, noch kein Einschlagen ist, dann haben wir ja schöne Aussichten für die Zukunft. ({10}) Da hört und liest man dann beispielsweise bei der CSU, daß Herr Möllemann an maßloser Selbstüberschätzung leide und jeden Tag an der Koalition zündle, daß Frau Adam-Schwaetzer mit unwahren Vorwürfen gegen Herrn Stoltenberg jedes vertretbare Maß sprenge - auf die Person kann es sich nicht beziehen, aber anscheinend auf die Vorwürfe ({11}) und daß Graf Lambsdorff - man höre und staune - nur noch auf dem Papier FDP-Vorsitzender sei. ({12}) - Ja, ist er es denn noch auf dem Papier? ({13}) Umgekehrt bescheinigt die FDP der CSU, sie trage durch ihre Rempeleien - da ist Herr Bötsch gefragt - ständig Unfrieden in die Koalition. Das stimmt auch, nicht? ({14}) Herr Bötsch, warum stimmen Sie mir nicht einmal bei dieser Bemerkung zu? ({15}) Gleichzeitig diskutiert die FDP darüber, ob und wann und mit welcher Begründung sie die Koalition verlassen soll. ({16}) - Ach, gehören Herr Kubicki oder Herr Möllemann gar nicht mehr zu Ihnen? ({17}) Kollege Solms hat einige Mühe, diese Diskussion zu moderieren - ich kann das verstehen - und uns darüber auf dem laufenden zu halten, was jeweils gelten soll, ob beispielsweise Herr Möllemann in Juli allein zurücktritt oder ob sich auch die übrigen FDP-Minister dem anschließen. ({18}) Außerdem - das ist bemerkenswert - zerbricht sich Herr Kollege Möllemann schon jetzt öffentlich den Kopf darüber, zu welchen Bedingungen die FDP unter seinem Vorsitz eine neue Koalition eingehen kann. Er hat also Prüfsteine entwickelt. Daß Herr Möllemann über Koalitionswechsel nachdenkt, ist löblich, ob er und seine Partei allerdings diejenigen sein werden, die im gegebenen Zeitpunkt Prüfsteine zu präsentieren haben, sollte in Ruhe abgewartet werden. Da gibt es aus jüngster Zeit in Mainz ein Beispiel, da ist das gerade umgekehrt gelaufen. ({19}) Die CSU droht originellerweise mit ihrer eigenen Entbehrlichkeit für die Fortsetzung der Koalition. ({20}) Es gehe notfalls auch ohne sie, sagt Herr Streibl, immerhin bayerischer Ministerpräsident. Das ist im Sortiment der politischen Drohungen eine neue Variante. Franz Josef Strauß hat oft und gern gedroht, mit seiner eigenen Entbehrlichkeit hat er niemals gedroht. ({21}) Was sich die Koalitionsparteien da gegenseitig vorwerfen, mag ja jeweils einen wahren Kern haben und man könnte es mit dem Amüsement des heutigen Morgens zur Kenntnis nehmen, wenn unter diesem wechselseitigen Zanken nicht zunehmend auch Interessen unseres Landes litten. ({22}) So ist es schlechthin unverantwortlich, daß die CSU ausgerechnet das deutsch-polnische Verhältnis und neuerdings auch unser Verhältnis zur Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik zum Gegenstand von Hubereien, von Krafthubereien und ihrer Angriffe auf den Bundesaußenminister macht. ({23}) Sie tun damit übrigens auch den Vertriebenen - deren realistische Haltung, insbesondere die der Sudetendeutschen, wir durchaus würdigen - keinen Dienst und keinen Gefallen. Die CDU ihrerseits spürt - so liest man es in den Veröffentlichungen - von Tag zu Tag deutlicher, daß sie inhaltlich und personell in großen Schwierigkeiten ist, daß sie den Generationswechsel versäumt hat, daß die Fundamente ihrer Macht in den alten Bundesländern geborsten sind und in den neuen Bundesländern bröckeln. Der Regierungsverlust in Rheinland-Pfalz - das, Herr Bundeskanzler, ist immerhin Ihr Stammland - war dafür nur der vorläufig letzte Beweis, ein Beweis, den die starken Verluste der Union bei der Hamburger Bürgerschaftswahl noch erhärtet haben. Es ist offensichtlich: Die Union befindet sich in einer ernsten Krise. Zu Recht betonen die Herren Geißler und Töpfer ein um das andere Mal, daß es sich dabei um eine Glaubwürdigkeitskrise handelt. Daß Herr Geißler das feststellt und die Ursache dieser Krise vor allem im Bruch des Wahlversprechens sieht, die Steuern nicht zu erhöhen, ist nicht sehr überraschend. Herr Geißler ist Ihnen ja in besonderer Weise verbunden. Überraschend ist aber, daß in Person des Herrn Töpfer auch ein Kabinettsmitglied seinem Parteivorsitzenden und Kanzler in aller Öffentlichkeit, nämlich auf dem saarländischen Parteitag der CDU, einen solchen Vorwurf macht. Das ist nicht alltäglich und verdient Aufmerksamkeit. Dieser Zustand der Koalition ist um so gravierender, als seit ihrem Wahlerfolg vom 2. Dezember 1990 nur ein halbes Jahr vergangen ist. Wir sehen für ihren raschen Abstieg in diesen Monaten, der übrigens nur eine frühere, am 2. Dezember 1990 unterbrochene Tendenz fortsetzt, im wesentlichen drei Ursachen: Erstens. Die Koalition - ({24}) - Sie in Hessen sind ja Experten. Sie können da auch mitreden, was das Bröckeln und das Zerbrechen angeht. ({25}) Seitdem ist er auch ein klein bißchen leiser, aber nur ein klein bißchen. ({26}) - Ich verstehe ja, daß Sie sich auf diese Weise ein bißchen zu stabilisieren versuchen. ({27}) Ich bin auch ganz damit einverstanden; denn wenn Sie alles so lassen, wie es ist, dann werden Sie halt bei den kommenden Wahlen weiter verlieren. Sie haben ja nur eine Chance, wenn Sie wirklich beginnen, zu ändern, zu reformieren und das zu tun, was wir zu einem gewissen Teil bei uns schon getan haben. ({28}) - Wahlen verlieren können Sie selber, da haben Sie recht. Da brauchen Sie nicht unsere Ratschläge. ({29}) Es sind also im wesentlichen drei Ursachen. Erstens. Die Koalition hat die Größe der jetzt zu bewältigenden Aufgaben sträflich unterschätzt. - Es ist wahr - ich habe das hier schon wiederholt anerkannt und tue es heute erneut, Herr Bundeskanzler - , Sie haben hinsichtlich der staatlichen Einigung in entscheidenden Wochen und Monaten die Gunst der Stunde genutzt. Es wäre unfair, dies in Abrede zu stellen. Aber Herr Bundeskanzler, Sie haben zu lange geglaubt - und Sie natürlich mit ihm - , mit der staatlichen Einigung Deutschlands sei das Wesentliche schon geleistet, für die wirtschaftliche und soziale Einigung genüge es im Grunde, den neuen Bundesländern die Regeln der Marktwirtschaft zur Verfügung zu stellen, und die bewußtseinsmäßige Einigung - so meinten die meisten von Ihnen - vollziehe sich ohnehin mehr oder weniger von selbst. Erst unter dem Druck der tatsächlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern und nach den dramatischen Appellen der Kollegen Kühbacher, Stolpe und Biedenkopf hier an diesem Pult haben Sie allmählich erkannt, daß beispiellose Anstrengungen notwendig sind, und haben dann mehr und mehr auf unsere Vorschläge zurückgegriffen. Ich bringe es auf die Formel: Sie hatten, aus welchen Gründen auch immer, die Meinungsführerschaft bei der staatlichen Einigung. Aber die Meinungsführerschaft bei der so2210 zialen, wirtschaftlichen und bewußtseinsmäßigen Einigung liegt bei der deutschen Sozialdemokratie. ({30}) Sie haben auf Vorschläge zurückgegriffen, wie sie Kollege Engholm im nationalen Aufbauplan vorgeschlagen hat und gestern noch einmal im einzelnen erläutert hat, Anstrengungen, wie sie nach unserer Auffassung auch im gesellschaftlich-geistigen Bereich jetzt durch die gemeinsame Fortentwicklung des Grundgesetzes zur endgültigen Verfassung der Deutschen erbracht werden müssen. Immer wieder kommt von Ihnen die Frage: Wollen Sie eine andere Republik? Wollen Sie das Grundgesetz über den Haufen werfen? Nein, wir wollen es nicht. Aber wir nehmen ernst, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes in den Art. 146 des Grundgesetzes geschrieben haben: Daß unter Beteiligung der Deutschen aus der anderen Hälfte unseres Landes die endgültige Ordnung aus dem Grundgesetz entwickelt wird. ({31}) Erst jetzt - da ließ Ihre gestrige Rede hoffen - erkennen Sie auch, welch gravierender Fehler es war, unser Angebot zur Kooperation in Fragen der deutschen Einheit so lange und am Anfang auch brüsk zurückgewiesen zu haben. Ich freue mich und konstatiere, daß sich hier eine Veränderung abgezeichnet hat. Unterschätzt wird von der Koalition auch das Ausmaß dessen, was uns der ökologische Umbau und die Bewältigung der sozialen Probleme abverlangen, die auch in den alten Bundesländern fortbestehen. Denn solche Probleme und reale Not gibt es trotz aller günstigen Wirtschaftsdaten auch hier. Es ist kein Egoismus der alten Bundesländer gegenüber den neuen Bundesländern, wenn wir bei aller Anerkennung der Dringlichkeit der drüben zu lösenden Aufgaben auch - jedenfalls als Fußnote - daran erinnern, daß es auch hier Notstände gibt, die überwunden werden müssen, beispielsweise eine Wohnungsnot, die wir nicht völlig aus den Augen verlieren dürfen. ({32}) Gemeinsam sollten wir die Pflegefallproblematik lösen. Was sich hier entwickelt hat, schreit geradezu nach einer gemeinsamen Anstrengung. Zweitens. Die Koalition verstößt immer öfter und stärker gegen die Gebote der sozialen Gerechtigkeit. Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen, es ist grob ungerecht, daß zur Finanzierung der mit dem Strukturwandel in den neuen Bundesländern verbundenen Arbeitslosigkeit nur die Arbeitnehmer und die Unternehmen, nicht aber die Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete, Beamte und Selbständige herangezogen werden. ({33}) Den einen muten Sie eine Steigerung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 58 % zu, die nur deshalb notwendig geworden ist. Die anderen lassen Sie im Grunde ungeschoren. Warum eigentlich? Wir wollen, daß alle nach dem Maß ihrer Leistungsfähigkeit beitragen und behandelt werden. Es ist grob ungerecht, daß Sie zu Ihrer Ergänzungsabgabe - und jetzt verwenden Sie das früher polemisch bekämpfte Wort, das wir in die Debatte eingeführt haben; „Folterinstrument" hat Graf Lambsdorff immer gesagt; es ist ein Fall von Eigenfolterung, der hier offenbar stattfindet ({34}) auch diejenigen heranziehen, deren Einkommen am untersten Rand der Steuerpflicht liegt. Also beispielsweise auch den Hilfsarbeiter in Leipzig, der im Monat knapp 840 DM verdient. Ein Hilfsarbeiter in Leipzig mit 840 DM im Monat wird von Ihnen zur Ergänzungsabgabe herangezogen. Warum eigentlich? Wir wollen alle Alleinstehenden mit einem Einkommen bis 60 000 DM und alle Verheirateten bis zu einem Einkommen von 120 000 DM im Jahr von der Ergänzungsabgabe freistellen, diese aber vier Jahre lang, also auf mittlere Frist, erheben. Noch ungerechter aber ist es, daß Sie in der gleichen Zeit, in der Sie die Arbeitnehmerhaushalte mit durchschnittlich 1 300 DM pro Jahr zusätzlich belasten, die Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer abschaffen wollen. ({35}) Das - das kann man den Menschen nicht oft und deutlich genug sagen - bringt einem, der über ein Vermögen von 100 Millionen DM verfügt, allein durch die Abschaffung der Vermögensteuer eine Entlastung von rund einer halben Millionen DM im Jahr, im gleichen Jahr, in dem der Arbeitnehmerhaushalt 1 300 DM mehr zahlen muß. ({36}) Die Parallele zum Flugbenzinskandal drängt sich doch geradezu auf und ist mit Händen zu greifen. Gestern klang es erstmals so, als ob Sie das allmählich ähnlich sehen. Wenn das so ist, dann nehmen Sie doch die Sache endlich vom Tisch. ({37}) Daß die deutsche Wirtschaft im gemeinsamen Markt ausgerechnet wegen der Vermögensteuer oder der Gewerbekapitalsteuer ins Hintertreffen geraten würde, glauben ja noch nicht einmal die Repräsentanten der Wirtschaft, geschweige denn Sie oder wir. ({38}) - Lieber Herr Grünbeck, darf ich Sie an diese unsägliche Standortdebatte erinnern, als 1987/88 die Behauptung ausgestreut wurde - da habe ich den Bundeskanzler gut verstanden, als er der Industrie widersprochen hat - , daß der Standort Bundesrepublik dem Wettbewerb mit den anderen Europäern nicht mehr gewachsen sei? ({39}) Seitdem sind die Zahlen von Jahr zu Jahr besser geworden. ({40}) - Aber bitte!

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Grünbeck, der Abgeordnete Vogel gestattet die Zwischenfrage.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Vogel, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß im Augenblick bei den Investoren zu den Investitionen nach dem 1. Januar 1993, nämlich nach der Einführung des europäischen Binnenmarkts, Überlegungen stattfinden, dahin gehend, daß wir im Augenblick die höchste Steuerbelastung, die höchste Belastung mit Lohnnebenkosten und die niedrigsten Arbeitszeiten haben? ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Entschuldigung, lieber Herr Grünbeck! Wir haben jedenfalls die höchste Produktivität. Wir haben die bestausgebildete Facharbeiterschaft. Wir haben einen Wettbewerbsvorsprung, um den uns alle anderen Europäer beneiden. ({0}) Daß die Industrie und die Wirtschaft versuchen, mit solchen Argumenten Steuerbelastungen zu reduzieren, nehme ich ihnen ja gar nicht übel. Aber Ihnen nehme ich übel, daß Sie die Sache mit der Vermögensteuer nicht endgültig vom Tisch nehmen. ({1}) Im übrigen frage ich: Wäre es, statt diejenigen zu entlasten, die großes Vermögen besitzen, nicht viel dringlicher, endlich etwas Durchgreifendes für die Vermögensbildung der breiten Schichten zu tun? Kollege Leber hat dazu erst dieser Tage wieder einen bemerkenswerten Vorschlag unterbreitet. Ich lade das ganze Haus ein, sich mit diesem Vorschlag zu beschäftigen. Wir reden seit Jahren und Jahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Es ist Zeit, daß endlich etwas Konkretes auf diesem Gebiet getan wird. ({2}) Die Menschen sind nicht mehr geneigt, diese Ungerechtigkeiten hinzunehmen. Sie wehren sich, auch mit dem Stimmzettel. Wohlgemerkt: Zu solidarischer Anstrengung sind die Menschen durchaus bereit, notfalls auch zu Opfern. Die Menschen verstehen auch, daß unser Gemeinwesen jetzt zusätzliche Einnahmen braucht. Aber sie sind zu Recht empört, wenn es dabei ungerecht zugeht, wenn ihnen genommen, denen, die im Überfluß leben, aber noch gegeben wird. Sie tun das in der Regel alles als Äußerungen eines Neidgefühls ab und sprechen vom sogenannten Sozialneid. Ist Ihnen eigentlich bewußt, wie weit Sie sich damit von den Grundlagen der evangelischen Sozialethik und der katholischen Soziallehre entfernen? ({3}) Folgerichtig müßten Sie dann auch die letzte Sozialenzyklika Centesimus annus als ein Dokument des Sozialneids denunzieren, weil dort ununterbrochen von Gerechtigkeit die Rede ist. ({4}) Übrigens sagen ganz unbefangene Beobachter, daß schon heute die Übereinstimmung zwischen dieser Enzyklika und unserer Programmatik um ein Vielfaches größer ist als die zwischen der Enzyklika und Ihrer politischen Praxis. ({5}) Ich verstehe, daß Herr Geißler und andere beunruhigt sind und verlangen, daß sich die Programmatik der CDU wieder stärker diesen Grundlagen annähert. Drittens. Hier liegt die wichtigste Ursache für den rapiden Ansehensverlust der Koalition in den letzten Monaten: Die Koalition handelt anders, als sie es vorher verspricht. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit schwer beschädigt. Inzwischen bestreiten Sie das ja auch gar nicht mehr und versuchen, sich mit Erklärungen herauszureden, die die Sache nicht besser machen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben gesagt, die deutsche Einigung erfordere keine Steuererhöhung, und reden sich jetzt auf den Golfkrieg heraus; er, nicht der Einigungsprozeß habe die Steuererhöhung notwendig gemacht, abgesehen davon, ob die Notwendigkeit von Steuererhöhungen den Menschen mit der Begründung deutsche Einigung und deutsche Solidarität nicht eher eingeleuchtet hätte als die andere Begründung. Aber da habe ich Sie nicht zu belehren. ({6}) Unabhängig davon bitte ich doch, mit mir eine einfache Rechnung vorzunehmen. Für den Golfkrieg haben Sie in diesem Jahr - ich setze es in Anführungszeichen, damit kein Mißverständnis entsteht - „nur" knapp 11 Milliarden DM gezahlt, während Ihre Steuererhöhungen allein 1991 und 1992 rund 45 Milliarden DM erbringen. Merken Sie denn nicht, daß Sie die Menschen, die Sie zunächst getäuscht haben, damit jetzt auch noch an der Nase herumführen und sie behandeln, als ob sie die Grundrechenarten nicht beherrschten? ({7}) Natürlich werden die Steuern wegen der deutschen Einheit erhöht. Das ist grundsätzlich auch so in Ordnung. Dafür bekommen Sie auch die Zustimmung des ganzen Hauses. Aber dann sagen Sie es doch endlich und suchen Sie nicht immer neue Ausflüchte! ({8}) Den Menschen in der damaligen DDR haben Sie gesagt, keinem werde es schlechtergehen und vielen bald besser. - In Wahrheit aber hätte es heißen müssen: Vielen, ja, den meisten wird zunächst einmal eine völlige Umstellung und eine Erschütterung ihrer gewohnten Lebensverhältnisse zugemutet werden müs2212 sen, damit es später allen bessergehen kann. Das wäre die wahrheitsgemäße Botschaft gewesen. ({9}) - Ich verstehe ja Ihre Unruhe, aber ich bitte, mir zu glauben; mein Gedächtnis ist einigermaßen intakt, und die einschlägigen Stellen aus den Reden des Herrn Bundeskanzlers sind mir völlig präsent. Der Satz lautet: Keinem wird es schlechter und vielen sehr bald bessergehen. ({10}) - Die Bevölkerung erkennt auf diese Weise, daß das der Punkt ist, der den Herrschaften ganz besonders zu schaffen macht. ({11}) Übrigens, um mich freundschaftlich auch der FDP zuzuwenden: Zwischen den Koalitionsparteien gibt es in dieser Frage kaum einen Unterschied. Im Gegenteil, wahrheitsgemäß muß man sagen: Graf Lambsdorff hat an dem Steuermärchen noch im Februar dieses Jahres festgehalten, als die ersten Sprecher der Union immerhin schon über Ausreden nachdachten. ({12}) - Dokumente sind immer verfügbar, Herr Solms. - Die Menschen haben dieses Spiel durchschaut. Leider nehmen nicht wenige das zum Anlaß, sich von der Politik überhaupt abzuwenden und an Wahlen nicht mehr teilzunehmen. Hamburg ist da ein Warnzeichen für uns alle, für alle Demokraten, und ein Beweis dafür, daß mit solchen Täuschungsmanövern nicht nur die jeweilige Partei, sondern der Parlamentarismus insgesamt beschädigt wird. Darum müssen wir das auch insgesamt aufarbeiten. ({13}) Erfreulicherweise hat jedoch eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern erkannt, daß wir die Wahrheit gesagt, daß wir niemandem etwas vorgemacht und Steuererhöhungen vor den Wahlen als unvermeidbar angekündigt, ja, gefordert haben. Die alte Volksweisheit, liebe Kolleginnen und Kollegen: „Ehrlich währt am längsten" gilt eben auch heute noch. Wenn ich den saarländischen Ministerpräsidenten Herrn Kollegen Lafontaine, in diesem Zusammenhang noch einmal namentlich nenne, ({14}) dann deshalb, weil er bei der Wahrheit geblieben ist und Sie ihn gerade deswegen auch hier in diesem Hause im letzten Jahr in schlimmer Weise angegriffen haben. ({15}) Jetzt klagt Herr Rühe - also Sie - , Sie trügen die Last der Einheit und verlören deshalb Wahl auf Wahl. ({16}) Abgesehen davon, daß wir alle - ich hoffe, hier stimmen wir überein - die deutsche Einigung nicht als Last, sondern als eine der größten, aber auch als eine der schönsten Aufgaben dieses Jahrhunderts empfinden, ({17}) sage ich Ihnen: Sie leiden nicht unter der Last der Einheit, sondern Sie leiden unter der Last leichtfertig abgegebener und dann gebrochener Versprechungen. Unter dieser Last leiden Sie! ({18}) Ich wundere mich, warum Sie eigentlich nicht die Kraft haben, sich von dieser Last durch eine offene und ehrliche Entschuldigung zu befreien. Solange Sie dazu nicht in der Lage sind, wird diese Last Sie auch bei den kommenden Wahlen begleiten. Dafür haben Sie inzwischen Lehrgeld gezahlt. Aber ob Sie in Sachen Glaubwürdigkeit etwas dazugelernt haben, ist überaus zweifelhaft. Manches deutet darauf hin, daß neue Wortbrüche in Vorbereitung sind. So versprechen Sie immer wieder, die Ergänzungsabgabe werde nur bis zum 30. Juni 1992 erhoben. Sagen Sie bitte klipp und klar, was Sie dann vorhaben und was das für die Betroffenen bedeutet. Denn daß wir dann weniger Geld brauchen, das glauben Sie doch selbst nicht. Offenbar - Herr Kollege Waigel hat das am Mittwoch angedeutet - wollen Sie dann mit der Begründung, die EG verlange das - während Sie es erst einmal bei der EG verlangen - , die Mehrwertsteuer erhöhen. ({19}) - Ich freue mich, daß Sie so rasch lernen und jetzt auf Ehrlichkeit einen solch großen Wert legen. ({20}) - Fangen Sie erst einmal bei sich selber an! Auch wir können mit den Leuten in Brüssel reden. Die Behauptung, daß dem widerstrebenden Finanzminister Waigel und der widerstrebenden Bundesregierung die Erhöhung der Mehrwertsteuer von den Europäern gewaltsam aufgedrückt werde, werden doch nicht einmal Sie aufstellen. ({21}) Schon eine Erhöhung um nur einen Prozentpunkt würde bedeuten, daß die zusätzliche Steuerbelastung von 10,7 Milliarden DM - das ist das Aufkommen der Ergänzungsabgabe im Jahre 1992 - nicht sinken, sondern auf 14 Milliarden DM steigen würde. Bei zwei Prozentpunkten wären das 28 Milliarden DM. Davon wären dann aber auch diejenigen betroffen, die wegen ihres geringen Einkommens weder Lohnnoch Einkommensteuer zu entrichten haben, also die Sozialhilfeempfänger, die Studenten, die Arbeitslosen und die meisten Rentner. Damit wir uns recht verstehen: Wir schließen unsererseits weitere steuerliche Maßnahmen für die Zukunft keineswegs aus. Sie können im Hinblick auf die Entwicklung in den neuen Bundesländern, aber auch im Zuge der dringend erforderlichen Finanzreform zugunsten aller Bundesländer durchaus notwendig werden. Aber Sie müssen den Menschen reinen Wein einschenken. Vor allem aber müssen die steuerlichen Maßnahmen sozial gerecht sein. Sonst können Sie mit unserer Zustimmung und der des Bundesrates nicht rechnen. ({22}) Es besteht auch Anlaß, Sie, Herr Bundeskanzler, an das Versprechen zu erinnern, das Sie den Bergleuten wiederholt gegeben und zuletzt noch am 17. Mai dieses Jahres vor der Bundespressekonferenz wörtlich so erneuert haben: Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der kohlefördernden Länder, also Nordrhein-Westfalen und das Saarland, haben im August 1989 unter meinem Vorsitz erklärt, daß die sogenannte Verstromungsmenge, also die jährliche Menge an heimischer Steinkohle, für den Einsatz von Stromerzeugung bis 1995 bei 40,9 Millionen t liegen soll. Jetzt sagt Herr Möllemann, das gelte nicht mehr. Die entsprechende Kohlemenge müsse schon vorher reduziert werden. Es ist von 5 Millionen oder 10 Millionen t die Rede. Herr Bundeskanzler, wir können nur warnen. Ein solcher Wortbruch würde Ihnen persönlich angelastet werden. Ich weiß, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Bergleute bisher immer ernstgenommen haben; ich leugne das nicht. Gerade deshalb wäre die Enttäuschung besonders groß. Ich sage Ihnen: Das wäre schlimmer, als wenn Herr Möllemann sein Versprechen bräche und über den 10. Juli hinaus im Amt bliebe. Das würde man leichter ertragen als den Wortbruch gegenüber den Bergleuten. ({23}) Mit großem Ernst sage ich: Meine Damen und Herren von der Union, mit Glaubwürdigkeit hat es übrigens auch zu tun, ob ein Regierungsmitglied im Amt bleibt, das ausgerechnet am Jahrestag des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens den dafür Hauptverantwortlichen öffentlich umarmt. Ich kann Sie nur bitten, die Sache möglichst rasch aus der Welt zu schaffen. ({24}) Wenn der betreffende Herr so starke Sympathie für die gegenwärtige Situation in China hat, dann versetzen Sie ihn in den Ruhestand, dann kann er als Privatberater des Umarmten tätig werden, aber bitte nicht im Namen einer deutschen Bundesregierung. ({25}) Noch auf einem weiteren Feld ist die Glaubwürdigkeit berührt. Das betrifft die Reform des Schwangerschaftsrechts. In Art. 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages heißt es dazu: Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, spätestens bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Hilfen besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist. Allen, die dem zugestimmt haben - und das waren wir alle - , war klar, daß die Verwirklichung dieser Absicht erhebliche finanzielle Mittel erfordert. Es fällt auf - aber das mag noch haushaltstechnisch zu erklären sein - , daß die mittelfristige Finanzplanung dafür keine Ansätze enthält. Auch hier kann ich nur warnen. Alle Erfahrungen zeigen, daß der Schutz des vorgeburtlich wachsenden Lebens insbesondere vom Ausmaß der Hilfen und der Rechtsansprüche für die Frauen und nicht von Strafdrohungen abhängt. ({26}) Wer trotzdem in erster Linie über die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit und nicht über die Hilfen und ihre Finanzierung diskutiert, der muß sich fragen lassen, ob er wirklich den Kern des Problems erkannt hat. Ich sage klipp und klar - man wird dies immer wieder zitieren können - : Hier geht es - sowohl im Entwurf der FDP als auch in unserem Entwurf - um Milliarden. Ich wiederhole: Es geht um Milliarden. Ich füge hinzu: Wer innerhalb kürzester Zeit - ich will hier nicht so tun, als wenn es nur eine Schwarzweißmalerei gebe - unter erheblichem internationalen Druck - das war ja alles gar nicht so freiwillig; das darf man ja ruhig einmal sagen - innerhalb von Wochen Milliarden für kriegerische Operationen zur Verfügung gestellt hat, der sollte hier unter dem Druck des Schutzes des vorgeburtlichen Lebens, ebenfalls diese Milliarden zur Verfügung stellen. ({27}) Jetzt sage ich etwas - das haben wir in der Fraktion noch nicht erörtert - nur für meine Person: Herr Bundesfinanzminister, wenn diese Milliarden für den Schutz des vorgeburtlichen Lebens nur durch steuerliche Maßnahmen gesichert werden können, dann bin ich für meine Person bereit, auch über solche steuerlichen Maßnahmen zu reden, weil es mir mit dem Schutz des vorgeburtlichen Lebens bitter ernst ist. ({28})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitz?

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern!

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Vogel, können Sie dem Hohen Hause erklären, warum die SPD-geführten Bundesländer in der Hans Peter Schmitz ({0}) Vergangenheit nicht bereit waren, der Stiftung Mutter und Kind irgendeine müde Mark zur Verfügung zu stellen? ({1})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen gern erklären, Herr Kollege. Dies geschah deswegen, weil es sich dort nicht um Rechtsansprüche, sondern um Ermessenszuwendungen gehandelt hat und weil es in meinen etwas älteren Kopf nicht hineingeht, daß Frauen nur dann Hilfe bekommen, wenn sie vorher bei der Stiftung behaupten, sie erwägen ernsthaft den Abbruch der Schwangerschaft. Das kann doch nicht in Ordnung sein. ({0}) Jetzt, suchen Sie von der Krise, in dei Sie sich befinden, durch Scheingefechte abzulenken. Besonders gern - das war auch gestern zu hören - operieren Sie mit dem Vorwurf, unser Beschluß - ich will das ausdrücklich hier zum Gegenstand machen - , Blauhelm-Missionen zuzustimmen, alle anderen militärischen Einsätze außerhalb bestehender Bündnisverpflichtungen jedoch abzulehnen, mache - so lesen und so hören wir immer wieder - die Bundesrepublik außenpolitisch handlungsunfähig. ({1}) Das ist nicht richtig. Herr Lummer, Sie sind ja Experte in diesen Fragen. Ich nenne nur die Stichworte Libanon - Sie kennen sich aus - , Pullach-Connection usw. ({2}) - Jawohl, das ist abwegig. ({3}) - Entschuldigung, wir sind alte Bekannte. Wir haben eine gemeinsame Erinnerung an „schöne" Zeiten. ({4}) - Das will ich Ihnen gern erklären. Das ist der Mann, der es gewagt hat, mir in Berlin zu erklären, ich stünde nicht auf dem Boden des Rechtsstaats. Ich bin ein guter Kerl und kann viel verdauen. Aber diese Äußerung werde ich ihm sein Leben lang nicht vergessen. ({5}) Wollen Sie noch mehr Erklärungen? Zunächst einmal entspricht es doch einfach unseren geschichtlichen Erfahrungen, wenn wir uns nicht nach militärischen Einsätzen drängen - ich glaube, diese Einsicht haben auch Sie, jedenfalls die meisten von Ihnen - , sondern uns gerade hier äußerste Zurückhaltung auferlegen. ({6}) Unter deutscher Friedenssehnsucht haben unsere Nachbarn und die Welt selten zu leiden gehabt. Da gab es in diesem Jahrhundert weiß Gott Schlimmeres. ({7}) Ich bin sicher, daß Kollege Genscher das nicht anders sieht. Unsere internationale Handlungsfähigkeit, hängt doch nicht davon ab, ob wir Brigaden oder Luftgeschwader zum Einsatz in fremden Kontinenten zur Verfügung stellen können. Das wäre eine gänzlich unzulässige Verengung von Politik und insbesondere des Begriffs der Sicherheit und der Sicherheitspolitik. Die Gefahren für uns und die Menschheit gehen doch heute in erster Linie gar nicht mehr von militärischen Bedrohungen, sondern von Umweltbedrohungen und von sozialen Explosionen aus, weil Milliarden von Menschen ihr Elend nicht mehr aushalten. ({8}) - Ich begleite Sie mal nach Afghanistan; Sie sind ja öfters dort. Handlungsfähig sind wir, wenn wir die europäische Einigung voranbringen und die Gemeinschaft auch für die osteuropäischen Staaten offenhalten. Ich hoffe, wir stimmen hier überein. Handlungsfähig sind wir, wenn wir - ich muß bestätigen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich dazu auch gestern wieder erfreulich präzise geäußert haben - Gorbatschow und den Völkern der Sowjetunion helfen, einen Umbruch zu meistern, dessen Dimensionen in der Tat ohne Beispiel sind, und dabei auch - und Sie tun das erfreulicherweise - auf das Ansehen und die Würde einer Weltmacht Bedacht nehmen. Daß der 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion bevorsteht, sollte in unserem Bewußtsein gerade in diesen Wochen und Monaten deutlich sein. Wir sind handlungsfähig - ich bitte, das in allem Ernst zur Kenntnis zu nehmen - , wenn wir nicht schon wieder an NATO-Strategien mitwirken, die eine Modernisierung von taktischen Atomwaffen zum Gegenstand haben, statt sie endlich abzuschaffen. ({9}) Sprechen Sie mit dem Bundesverteidigungsminister, Herr Bundeskanzler. Wir sind handlungsfähig, wenn wir unseren israelischen Freunden - bei aller Würdigung der schicksalhaften Verkettung zwischen beiden Völkern - deutlich machen, daß ihre Siedlungsaktivität in den besetzten Gebieten die Friedensbemühungen der Vereinigten Staaten, von Bush und Baker, geradezu torpediert und behindert. ({10}) Wir sind handlungsfähig, wenn wir dafür sorgen, daß die Uruguay-Runde des GATT erfolgreich abgeschlossen wird, wenn wir - das ist eine Jahrhundertaufgabe - unser Gewicht in die Waagschale werfen, damit aus den Vereinten Nationen schrittweise eine Völkerdemokratie und eine Weltregierung wird, die sich nicht nur um militärische Sicherheit, sondern um Weltentwicklung und um eine Weltfriedensordnung kümmert. Handlungsfähigkeit beweisen wir insbesondere, wenn wir uns noch stärker engagieren, um Not und Elend in der Welt zu überwinden, wenn wir noch mehr gegen Hunger, Seuchen und Umweltkatastrophen tun, wenn wir statt Waffen und Tod Hilfe und damit Leben exportieren, ({11}) wenn wir der Ansicht entgegenwirken, Kriege seien wieder führbar geworden und Machtpolitik könne wieder zur Lösung der Probleme beitragen. Nicht Machtpolitik, sondern Verantwortungspolitik ist die Orientierung für die Handlungsfähigkeit dieser Bundesrepublik in den internationalen Beziehungen. ({12}) Wir wissen: Unsere eigene Verantwortung als Opposition ist durch die politischen Veränderungen der letzten Monate weiter gewachsen. Zustimmungspflichtige Gesetze können künftig gegen unseren Willen nicht mehr in Kraft treten, wobei es gleich ist, ob sich die betreffenden Länder der Stimme enthalten oder ob sie mit Nein stimmen; denn die 35 Stimmen kommen eben nicht zustande. Gewachsen ist unser Gewicht aber auch dadurch, daß wir im Wettbewerb der Parteien bei weitem nicht alles, aber einiges besser vorangebracht haben als die mit uns demokratisch konkurrierenden Kräfte. Wir haben vor kurzem ein modernes Grundsatzprogramm verabschiedet. Wir haben unsere Basis in den Städten und Gemeinden und in den Ländern verbreitert. Wir haben mit der Gleichstellung der Frauen in den Mandaten und Funktionen, über die Sie zunächst gelächelt haben, während Sie jetzt erkennen, daß wir auf dem richtigen Weg sind, ebenso Ernst gemacht wie mit dem Generationswechsel in Führungspositionen und -gremien. Das meiste davon steht Ihnen noch bevor. Unser Ziel ist natürlich unverändert die Übernahme der Regierungsverantwortung auch im Bund. Diesem Ziel sind wir in den letzten Monaten ein Stück nähergekommen. ({13}) Wir sind bereit, eine Regierung abzulösen, deren politische Reserven - ich habe die Zeit ja miterlebt - ähnlich erschöpft sind, wie es diejenigen unserer Regierung in den Jahren 1981 und 1982 waren. ({14}) - Herr Vogel, auch einer dieses Namens kann irren. ({15}) Das gilt für alle Namensträger. Es ist ja der gute Sinn unserer demokratisch-parlamentarischen Ordnung und einer ihrer großen Vorzüge, daß sie weder erstarrt noch verfällt, wenn eine Regierung den Boden unter den Füßen verliert, sondern daß dann eine Ablösung stattfinden kann. Herr Genscher sagt immer - wo er recht hat, hat er recht -, daß sich die Probleme eine andere Mehrheit suchen, wenn die bisherige Mehrheit die Probleme nicht mehr lösen kann. ({16}) - Das stimmt ja. Das hat er damals gesagt, und das fängt er jetzt schon wieder zu sagen an. So ist das zunächst im Saarland, dann in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, in Hessen und zuletzt in Rheinland-Pfalz geschehen. Ich würde es auch umgekehrt zu unseren Lasten akzeptieren, wenn eine von uns gestellte Regierung nicht mehr weiterwüßte. Bis zum Zeitpunkt Ihrer Ablösung werden wir alles tun, damit unser Volk keinen Schaden leidet, damit das Siechtum - ({17}) - Ich finde es wirklich ruhend, womit Sie in Ihrer gegenwärtigen Lage zur Heiterkeit zu bringen sind. ({18}) Das erfordert weiß Gott geringe Kosten. Wir werden alles tun, damit das Siechtum der Koalition nicht zu einem Siechtum unseres Landes wird. Dabei haben wir keine Berührungsängste und auch keine Sorge davor, daß Sie sich unseren Positionen nähern und sie schließlich als die Ihren ausgeben, wie das in immer kürzeren Abständen geschieht. Ich nenne nur die Stichworte Abrüstung, Entspannung, Angriffsunfähigkeit - das ist jetzt allgemeiner Sprachschatz; früher war es ein böses Wort, schrecklich! -, Pflegeversicherung - ein Wettbewerb um die beste Lösung des Problems der Pflegeversicherung ist ausgebrochen - und, besonders eindrucksvoll in der letzten Zeit, den Begriff der Beschäftigungsgesellschaft. Letzteres war ebenfalls ein Folterinstrument der Sozialdemokraten, während jetzt alle, auch die verehrte FDP - sie nennen es Arbeitsförderungsgesellschaft, aber immerhin - , davon reden. Im Gegenteil: Wir begrüßen, wenn Sie entsprechend handeln und wir wissen, daß sich die Menschen nicht so leicht darüber täuschen lassen, von wem die Anstöße, die Vorschläge und Konzepte gekommen sind. Unsere Strategie ist nicht die von Franz Josef Strauß, weiland in Sonthofen entwickelt: Wir wollen nicht, daß alles schlechter wird, damit unsere Chancen steigen. Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Opposition, der Regierung zu helfen. Aber es ist ihre Aufgabe, den Menschen zu helfen - das wollen wir -, insbesondere auch denen in den neuen Bundesländern. Darum kooperieren wir da, wo es die Situation der Menschen erfordert. ({19}) Unsere Konzepte haben wir im Verlauf dieser Debatte deutlich gemacht. Sie sind gut beraten, sich mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzen. Das gilt übrigens auch für das aktuelle Thema des Parlaments-und Regierungssitzes, das uns alle in diesen Tagen besonders umtreibt. Im übrigen: Die manchmal etwas höhnischen Kommentare, daß wir uns als Politiker mit dieser Frage schwertun, kann ich nicht nachvollziehen und nicht verstehen. Mir ist es lieber, es wird über diese Entscheidung gründlich und sorgfältig - noch in der Nacht vom 18. auf den 19. und vom 19. auf den 20. Juni - diskutiert, als daß auf Kommando dieses oder jenes ohne entsprechende vorbereitende Diskussionen geschieht. ({20}) Der Bundestag soll selbstverständlich seinen Willen bekunden. ({21}) - Sie behaupten immer, mit dem von uns gewünschten Volksentscheid würde der Bundestag außer Obligo gestellt. Das ist auch wieder falsch. ({22}) - Sie sollen immer im Wasserwerk entscheiden, nicht irgendwo in Hinterzimmern. Hier sollen Sie entscheiden, klar! ({23}) Das kann, wie vorgesehen, am 20. Juni geschehen. Aber ich frage nur: Spricht denn nicht sehr vieles dafür, die endgültige Entscheidung durch unser Volk treffen zu lassen, und zwar noch in diesem Jahr - keine Verzögerung! - an einem dafür besonders geeigneten - es gibt mehrere - Sonn- oder Feiertag? Schließlich geht es ja nicht nur um die Hauptstadt der Verfassungsorgane, sondern um die Hauptstadt aller Deutschen. Wäre es denn so schlecht, wenn sich unser Volk durch diesen Entscheid mit seiner Hauptstadt in besonderem Maße identifizieren würde? ({24}) Außerdem: Wenn ein Landkreis von einem Land in ein anderes umgegliedert werden soll, bedarf es nach Art. 29 des Grundgesetzes eines Volksentscheides. Ist die Frage, die hier zur Entscheidung steht, für die Identifizierung und Identifikation nicht wichtiger als die Umgliederung eines Landkreises; übrigens auch als ein Schritt zur gesellschaftlichen Einigung der Deutschen, an dem die Deutschen in den alten und neuen Bundesländern gemeinsam teilnehmen? ({25}) Die Gesellschaftsordnung, in der wir leben, ist das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen. Sie wird in ihren Grundzügen von einem breiten Konsens getragen. Wie breit der Konsens ist, ist übrigens jedem, der ein bißchen geschichtlich zu denken vermag, bei der Hundertjahrfeier der IG Metall durch den Ablauf, durch die Redner und die Reden, die dort gehalten worden sind, sehr deutlich geworden. Die Überlegenheit und die Anziehungskraft dieser Ordnung im Vergleich zu anderen Ordnungen und insbesondere zu den Systemen, die in der ehemaligen DDR und in den anderen Staaten des Warschauer Pakts zusammengebrochen sind, beruhen - ich sagte das - auf gemeinsamen Anstrengungen. Sie beruhen aber gewiß nicht auf frühkapitalistischen und hierarchisch-autoritären Traditionen. Sie beruhen in stärkstem Maße auf den Elementen der Freiheit, der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit, die wir im Laufe der Jahrzehnte und über eines Jahrhunderts in diese Ordnung oft genug gegen den Widerstand konservativer Kräfte eingefügt und mit denen wir diese Ordnung immer wieder aufs neue reformiert haben und auch in Zukunft reformieren wollen; ({26}) denn diese Ordnung ist kein statischer Endzustand, sondern ein dynamischer Orientierungsrahmen, in dem sich Kontinuität und Erneuerung miteinander verbinden und der immer wieder starker und neuer Impulse bedarf. Wir sind uns dessen bewußt und werden nach dieser Einsicht handeln. Ich danke Ihnen. ({27})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Hans Peter Schmitz.

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Vogel, nachdem Sie im ersten Teil Ihrer Rede überall Zensuren verteilt haben - Sie haben von der Koalition fast keinen ausgelassen -, ({0}) nachdem Sie im Schlußteil Ihrer Rede das Prinzip Hoffnung in bezug auf Ihre Regierungsfähigkeit eingeführt haben, habe ich mir überlegt: Wo sind denn eigentlich Ihre kreativen Ansatzpunkte für die Neugestaltung der Dinge? Ich habe auch den Antrag durchgelesen, den Sie gestellt haben. Ich stelle fest, daß es einen Widerspruch gibt. Auf der einen Seite sagen Sie: Die Regierung hat nicht das Notwendige getan. Sie beklagen die Ausgaben. Auf der anderen Seite fordern Sie in diesem Antrag immer wieder neue Ausgaben. Ich meine, irgendwie paßt das nicht zusammen. Ich habe mir auch überlegt, ob unter diesen Voraussetzungen vielleicht die Suche nach einem neuen Spitzenkandidaten und neuen Vorsitzenden in der SPD diese Kreativität bei Ihnen, die ich vermißt habe, verschüttet hat. Ich habe den Eindruck: Das ist so. ({1}) - Ich lese das Programm sehr genau. Darauf können Sie sich verlassen. Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen - wir sollten uns das noch einmal, meine ich, ins Bewußtsein rufen - , daß wir den ersten gemeinsamen Haushalt für Gesamtdeutschland beraten. Dies ist ein historisches Datum. Ich meine, darauf sollten wir hier noch einmal hinweisen, meine Damen und Herren. ({2}) Hans Peter Schmitz ({3}) Wenn wir die Beiträge der SPD einmal untersuchen, werden wir feststellen, daß wir hier nichts anderes finden als Schwarzmalerei und Pessimismus. ({4}) Das ist einzig und allein ein Beitrag, von dem ich glaube, daß er den Menschen in den neuen Bundesländern nicht hilft. ({5}) Das ist durchgängig; wenn Sie die Rede von Engholm lesen und wenn Sie sich heute die Rede von Vogel angehört haben, können Sie das sehr genau feststellen. Wir als Union verkennen nicht die großen Probleme. Herr Vogel, ich habe Sie eben in einem Zwischenruf darauf hingewiesen. Wenn Sie die Reden des Bundeskanzlers einmal ehrlich analysieren und festhalten, was er vor der Wahl gesagt hat, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß er in seinen Reden immer deutlich darauf hingewiesen hat, wie schwer diese Aufgabe werden wird. ({6}) Sie haben es jetzt geschafft, meine Damen und Herren, das, was in der Politik immer vorkommen kann, nämlich daß man sich verschätzt, in eine Lüge umzuformulieren. ({7}) Bei diesem Punkt, meine ich, sollten Sie sich manchmal selber an Ihre eigene Nase fassen. ({8}) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben es mit der Treuhand bis zum jetzigen Zeitpunkt geschafft, monatlich 300 Unternehmen neu zu gestalten. Von privater Seite, von privaten Investoren stehen in den nächsten Jahren insgesamt 60 Milliarden DM zur Verfügung. ({9}) Wir haben 300 000 Gewerbeanmeldungen seit Beginn des Jahres. Allein in diesem Haushaltsjahr haben wir darüber hinaus ein Investitionsvolumen von insgesamt 65 Milliarden DM. Dazu sagen Sie nichts; dazu habe ich keinen einzigen Beitrag gehört. Frau Kollegin Matthäus-Maier, lassen Sie mich zu Ihrem Beitrag am Mittwoch folgendes sagen. Sie haben davon gesprochen - dies läßt mich auf Ihre Lernfähigkeit hoffen - : Soviel Markt wie möglich und soviel Staat wie nötig. - Ich habe zweimal hinhören-müssen; ich habe es nachher nachgelesen. - Ich kann dies nur unterstreichen. Das ist die Politik, die wir seit 42 Jahren machen. Genau das machen wir, nämlich Soziale Marktwirtschaft. ({10}) Wie aber hat sich die Politik unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung dargestellt? Derjenige, der sich jetzt hier hinstellt und diesen Haushaltsentwurf wegen der Nettokreditaufnahme kritisiert, der sollte sich doch einmal fragen: Was war denn damals, 1982? Da wollten Sie eine Nettokreditaufnahme von über 50 Milliarden DM, ohne deutsche Einigung. Ohne deutsche Einigung 50 Milliarden DM und mehr! Ich denke, wir sollten uns darüber einig sein: Derjenige, der so etwas machen wollte, ist nicht der richtige Ratgeber für uns. ({11}) Neun Jahre haben wir Aufschwung. Neun Jahre, Frau Matthäus-Maier, haben wir nicht mehr Staat als nötig gemacht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schmitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne, bei dem Kollegen Wieczorek immer.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schmitz, Sie überraschen das Haus regelmäßig mit dieser Horrorzahl von 50 Milliarden DM. Sie beziehen sich dabei auf interne Planungen des Finanzministeriums, die niemals in einen Haushaltsplan Eingang gefunden haben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Wieczorek, keinen Debattenbeitrag, sondern eine Frage!

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage ihn, ob es ihm bekannt ist, daß er regelmäßig die Unwahrheit sagt. ({0})

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wieczorek, beim letztenmal haben Sie sich persönlich wegen des Vorwurfs der Lüge bei mir entschuldigt. ({0}) Wenn Sie es jetzt in der Form machen, wie Sie es auch schon beim Kollegen Borchert getan haben, finde ich das, offen gesagt, unter Kollegen nicht sehr anständig. Das ist mein Urteil über Sie. ({1}) - Gerne. Warum sind die Freien Demokraten damals ausgestiegen? Weil sie die Gefahr erkannt hatten, daß es so nicht mehr weitergehen konnte. Sie wissen ge2218 Hans Peter Schmitz ({2}) nau, daß diese fast 53 Milliarden DM nicht allein aus dem Entwurf des Finanzministers stammen. Wenn Sie sich heute noch in dieser Form an den Beamten aufhängen wollen und sagen, das waren nur die Beamten, dann muß ich Sie fragen: Wo war denn die politische Leitung? Damit ist die Frage beantwortet. ({3}) Darf ich fortfahren, Herr Präsident? Die Staatsquote - auch diesen Punkt, Herr Vogel, sollten Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - betrug 1975 48,9 %. Wir haben sie 1989 auf 45,1 % zurückgeführt. Selbst angesichts der Übernahme der maroden Wirtschaft, die wir drüben vorgefunden haben, liegen wir heute noch unter der Staatsquote, die Sie damals in diese Höhe getrieben haben, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich aber auch ein Wort zu dem sagen, was Herr Engholm in den letzten Tagen von sich gegeben hat. Er hat gestern erklärt - auch das war ein Horrorgemälde - , daß der Bund die Länder und Gemeinden ausbluten lasse. Er hat weiter wortwörtlich gesagt - ich darf das zitieren - : Wenn sie - gemeint sind die Menschen zugleich sehen, daß in den schwachen Ländern und den ausgebluteten Kommunen in den Kindergärten der Putz von den Wänden herunterrieseit, . . . Meine Damen und Herren, wo lebt denn dieser Ministerpräsident und Vorsitzende der SPD? Er hätte sich einmal bei seiner Finanzministerin richtig erkundigen sollen. ({4}) Ich darf Ihnen einmal die entsprechenden Zahlen nennen: 1991 werden die Bundeseinnahmen aus den Steuermehreinnahmen insgesamt 12,9 % betragen, die Einnahmen der Länder 15,4 %. 1992 und 1993 ist die Erwartung ähnlich. Das alles sind Steuerschätzungen, an denen auch die Finanzminister der SPD-regierten Länder mitgewirkt haben. Wenn Sie sich einmal die Vergangenheit vor Augen führen, werden Sie feststellen, daß die Länder versucht haben, sich zu Lasten des Bundes zu bedienen. ({5}) Das ist der entscheidende Punkt. Wir werden, Herr Vogel, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten fünf Jahren - das steht im Einigungsvertrag - auf diese Frage zurückkommen. Da werden wir die Fragen des BundLänder-Finanzausgleichs - unter Beteiligung der Kommunen - regeln müssen. Und da bin ich sehr gespannt darauf, da sind wir sehr neugierig, wie Sie von Ihrer neuen Mehrheit im Bundesrat Gebrauch machen. ({6}) Da werden wir auch klar festhalten, meine Damen und Herren, daß wir an dieser Stelle - lassen Sie mich Ihnen das auch einmal sagen - in dieser Woche feststellen können, ob das Verantwortungsbewußtsein bei Ihnen so groß ist, diese Gesetze, wie wir sie vorgelegt haben, die zur Finanzierung der deutschen Einheit dringend erforderlich sind, in einem Kompromißverfahren so passieren zu lassen, daß sie den Menschen drüben dienen. Die Verantwortung dafür kann Ihnen jetzt niemand abnehmen. Mit der Bundesratsmehrheit, die Sie jetzt haben, können Sie nicht allein spielen, sondern mit der müssen Sie verantwortlich umgehen. ({7}) Wenn Sie das strikt ablehnen, meine Damen und Herren, werden wir der Bevölkerung sagen, daß diese Gesetze daran gescheitert sind, daß Sie nicht mitgemacht haben. ({8}) - Herr Diepgen hat wegen eines einzigen Punktes - das wissen Sie auch - , nämlich wegen der Arbeitnehmerzulage in Berlin, der Anrufung zugestimmt. Das betrifft Berlin, darüber können wir reden. ({9}) Meine Damen und Herren, die Finanzierung der deutschen Einheit wird sicherlich eine große Aufgabe sein, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben. Nun kritisieren Sie hier, daß z. B. die Frage der Mehrwertsteuer hier mit hineingebracht worden ist. Dabei wissen Sie sehr genau, daß die Finanzminister der SPD-regierten Länder jubeln, während Sie hier Horrorgemälde malen. Sie wissen sehr genau, daß die Finanzminister der von Ihnen regierten Bundesländer damit bereits rechnen. ({10}) Sie sind - darauf deutet Ihr Antrag hin - so siegesbewußt, daß Sie glauben, Sie könnten die Regierungsverantwortung bereits in allernächster Zeit übernehmen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen eines sagen: Diese Koalition steht stabil zueinander. Diese Koalition hat vereinbart, diese Politik der Vernunft vier Jahre fortzusetzen. ({11}) Wir sind stolz darauf, meine Damen und Herren, daß wir - mit dem Bundeskanzler, dieser Bundesregierung, mit dem Bundesfinanzminister - jetzt einen Haushalt haben vorlegen können, der in sich solide Hans Peter Schmitz ({12}) ist, der vernünftig finanziert ist, zu dem es keine Alternative gibt. ({13}) Deshalb glaube ich, die Menschen drüben haben richtig gehandelt, als sie der Union die Verantwortung in den Ländern und im Dezember uns die Verantwortung im Bund übertragen haben. Wir stimmen diesem Bundeshaushalt, dem ersten gesamtdeutschen, zu. ({14})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle in diesem Hause wissen, daß dies ein historischer Tag ist, ({0}) nämlich der Tag, an dem der erste gesamtdeutsche Haushalt verabschiedet wird. Darin stimmen wir überein; und das ist gut. Ich stimme ausdrücklich der Frau Kollegin Matthäus-Maier zu, die in ihrer Rede gesagt hat, daß es eine Freude ist, daß wir diesen gesamtdeutschen Haushalt beraten und verabschieden dürfen. ({1}) Ich meine, es ist ein wichtiges Beispiel für das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands, daß es, wenn es um die Fragen Deutschlands geht, eine Grundübereinstimmung im gesamtdeutschen Parlament gibt. Herr Kollege Vogel, am Beginn Ihrer Rede hatte ich bei Ihren launigen Ausführungen den Eindruck: Es muß eine große Last von Ihren Schultern gefallen sein. Ich kann das verstehen. ({2}) - Sicher, es bleibt etwas. Ich glaube, es ist gewiß eine größere Freude, die Fraktion im Deutschen Bundestag zu führen als die große Partei mit ihren auseinanderstrebenden Gruppierungen. ({3}) Das zeigt natürlich auch, daß Sie sehen und wissen, wie schwierig es ist, die SPD als große und nicht sehr leicht einigungsfähige Partei zu der Verantwortung hinzuführen, die sie übernehmen muß, wenn sie Regierungsfähigkeit im Bund erlangen will. Der Parteitag in Bremen hat keine Aussagen gebracht, die den Eindruck erwecken könnten, sie sei auf diesem Weg. ({4}) Der Ministerpräsident Engholm, der nun neuer Parteivorsitzender ist, hat in seiner gestrigen Rede - die sich stilistisch deutlich von dem abgehoben hat, was der frühere Kanzlerkandidat Lafontaine hier geboten hat - inhaltlich diese Signale nicht deutlich machen können. Deshalb, Herr Vogel, will ich nur warnend sagen: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. ({5}) Zu Adenauers Zeiten war es immer so, daß zur Mitte der Wahlperiode 011enhauer Bundeskanzler gewesen wäre; aber am Wahltag war es dann halt anders. ({6}) Wenn Sie jetzt jubilieren, müssen Sie die Gefahr sehen, daß es sich diesmal genauso entwickeln wird. Ich darf namens der Bundestagsfraktion der FDP dem Bundeskanzler sehr herzlich für seine gestrige beachtliche Rede danken. ({7}) Die FDP-Fraktion konnte sich in dieser Rede voll wiederfinden. Die Rede zeigt den Weg, den die Koalition bis zur nächsten Bundestagswahl gehen wird. Sie wird sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Und die zentralen Aufgaben deutscher Politik sind nun einmal die Zusammenführung beider Teile Deutschlands, das Schaffen gemeinsamer und gleicher Lebensverhältnisse und die Einbringung Gesamtdeutschlands als eines souveränen Staates in die Zusammenarbeit der Völkergemeinschaft. Diesen Aufgaben werden wir unsere Arbeit widmen. Herr Vogel hat eine Reihe von Punkten behandelt, die in den nächsten Monaten und Jahren die Politik intensiv beschäftigen werden. Im Zentrum einer Haushaltsberatung stehen immer die finanziellen Zusammenhänge. Wir wissen natürlich, daß der Bundeshaushalt und die Staatsfinanzen durch diese Aufgaben über alle Maßen beansprucht werden, und wir wissen, daß dahinter große Risiken stehen. Trotzdem sind wir der Meinung, daß der Staatshaushalt verantwortlich geführt wird und daß die Risiken zwar gefährlich, aber doch noch im Rahmen des Verantwortbaren sind. Deshalb sollte diese Politik auf der Basis dieser Vorsicht weitergeführt werden. ({8}) Wir sind der Meinung, daß das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und die auch dafür notwendigen Steuererhöhungen, die ja die Zustimmung der Tarifvertragsparteien gefunden haben, eben auch sozial ausgewogen und gerecht sind. Sie haben darauf hingewiesen und kritisiert, Herr Vogel, daß die Maßnahmen richtig seien, sie müßten aber sozial gerecht sein, und daran fehle es, und dazu bedürfe es einer Korrektur. Die Tarifvertragsparteien jedenfalls sehen das nicht so. Es hat die Zustimmung der Tarifvertragspar2220 teien zu dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost gegeben. ({9}) Natürlich hat es die Zustimmung dazu gegeben, daß Steuererhöhungen notwendig seien. ({10}) Gerade deswegen haben wir den Solidaritätsbeitrag eingeführt, denn der belastet die Bürger entsprechend ihrer steuerlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit. ({11}) - Jeder nach seiner Leistungsfähigkeit, d. h. bei einem progressiven Steuertarif nach seinem Einkommen. - Damit ist die soziale Gerechtigkeit garantiert. Ich muß mich dagegen verwahren, Herr Vogel, daß Sie behaupten, die zeitliche Begrenzung dieses Solidaritätsbeitrags sei in irgendeiner Weise in Frage gestellt. Das Gesetz sagt eindeutig: Das gilt für ein Jahr. ({12}) Wir haben, Herr Vogel, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auch öffentlich deutlich gemacht, daß bei einer Weiterbeanspruchung der Steuerzahler ab 1993 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in Frage kommt. ({13}) - Ob das ungerechter wird, wird davon abhängen, wie diese Erhöhung durchgeführt wird. ({14}) Ich darf jetzt schon darauf hinweisen, daß die regressive Wirkung einer Umsatzsteuer in der Wissenschaft durchaus umstritten ist. ({15}) Natürlich gibt es auch Möglichkeiten, einer solchen regressiven Wirkung entgegenzuwirken, beispielsweise indem man den ermäßigten Steuersatz in einer anderen Weise behandelt als den normalen Satz. ({16}) Sie werden es erwarten können, denn in wenigen Wochen wird die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister, einen Referentenentwurf eines Steueränderungsgesetzes 1992 zur Begutachtung bei den Verbänden und Betroffenen versenden, und dann wird die öffentliche Diskussion darüber beginnen können. Sie können aber von einem, von dem Sie auch wieder das Gegenteil behauptet haben, ausgehen, nämlich daß die Abschaffung der Vermögensteuer nicht ein Element dieses Gesetzentwurfs sein wird. Dies ist auch vom Bundesfinanzminister und anderen mehrfach öffentlich bestätigt worden. Dieser Angriff ist also überholt und sollte nicht wieder aufgenommen werden. ({17}) Meine Damen und Herren, uns wird nun vorgeworfen, wir würden eine unehrliche Politik betreiben. Wer behauptet, er hätte die ökonomische Entwicklung des gesamtdeutschen Prozesses voraussehen können, der muß schon ein Hellseher sein. Wenn man nicht in der Verantwortung steht, muß man ja nicht die Probe aufs Exempel machen. ({18}) Wir waren Fehleinschätzungen unterlegen, wir haben Irrtümer gemacht, Wir werden auch in Zukunft Fehler machen, ({19}) das ist völlig unausweichlich, weil dies ein Prozeß des Versuchs und des Irrtums und der anschließenden Korrektur ist und auch sein muß. Anders kann es gar nicht sein. Wichtig ist aber, daß wir aus diesem Prozeß immer die richtigen Schlußfolgerungen ziehen und dann die notwendigen Rezepte einsetzen. Denn Patentrezepte gibt es nicht. Hier muß immer wieder von Fall zu Fall, von Vorgang zu Vorgang neu entschieden werden, und man muß bereit sein, diese Korrekturen durchzuführen. Aber ich vertraue der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mehr, die notwendigen Entscheidungen durchzuführen, als beispielsweise einem Kanzlerkandidaten Lafontaine, der nach vielen Jahren der Ministerpräsidentenschaft in dem kleinen Saarland nicht in der Lage war, die Staatsfinanzen dieses kleinen Landes ordentlich zu gestalten. ({20}) Wenn man den Haushalt des Saarlands auf den Prüfstand legt, dann muß man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, es wäre angemessen, das Land unter kommissarische Verwaltung zu stellen. ({21}) Bei den Stellungnahmen aus den Reihen der Opposition vermisse ich etwas. Frau Matthäus-Maier, ich meine auch Sie, obwohl Sie - dies muß ich mit einem gewissen Kompliment sagen - symbolische Zeichen setzen. Erlauben Sie mir diese Bemerkung: Ich sehe, daß Sie heute hübsch blau gekleidet sind. Gestern hatten Sie ein sehr schmuckes gelbes Kleid an. ({22}) Trotzdem meine ich: Das rote Kleid vom Mittwoch paßt besser zu Ihnen. ({23}) Aber auch da gibt es natürlich Sorgen und Bedenken, denn es ist vielen nicht verborgen geblieben: Es war Dr. Hermann Otto So1ms schwarz eingerahmt. Aus dieser symbolischen Sprache kann man vieles herauslesen. ({24}) Trotzdem meine ich, Frau Matthäus: Es muß irgendwann einmal Schluß damit sein, daß die Opposition bezüglich der Finanzpolitik immer wieder dieselben Vorwürfe, die wir seit zehn Jahren kennen, vorbringt und sich nicht bereit erklärt, zu einer verantwortlichen Finanzpolitik ihren eigenen Beitrag zu leisten. Das muß eine Partei, die von sich behauptet, regierungsfähig zu sein, doch bringen. Sonst kann der Bürger im Lande nicht das Zutrauen gewinnen, daß dort die Bereitschaft zur Verantwortung, d. h: die Bereitschaft zu gelegentlichen unpopulären Maßnahmen, besteht.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Solms, nachdem einer unserer Hauptvorwürfe ist, daß Sie in der Finanzpolitik tricksen und täuschen und die Unwahrheit sagen, und wenn Sie es uns nicht glauben, bitte denken Sie daran, daß nach der letzten Infas-Umfrage -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frage, Frau Kollegin!

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich habe gesagt: „nachdem", und dann kommt ein Komma.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das ist doch keine Frageform, das ist eine Konditionalform.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist keine Konditionalform, sondern es ist ein Konsekutivsatz, Herr Kollege. ({0}) Nachdem 72 % der Befragten den Vorwurf der Steuerlüge für korrekt halten, frage ich Sie, weil es um Ehrlichkeit geht: Wollen denn wenigstens Sie, Herr Solms, der Sie sich ja in den Finanzen auskennen, heute morgen einfach zugeben, daß die Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte inklusive der verschiedenen Schattenhaushalte in diesem Jahr über 200 Milliarden DM beträgt? Danach können wir diskutieren, wie wir Sie abbauen. Wollen Sie das endlich einmal zugeben, damit dieser Streitpunkt vom Tisch kommt?

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Solms, gestatten Sie gleich eine weitere Zwischenfrage oder anschließend?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Hans Peter Schmitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Solms, würden Sie der Frau Kollegin Matthäus-Maier auch sagen, ({0}) daß sie bei ihrer Rechnung die Schulden der SPDLänder und SPD-Kommunen mit einbezogen hat? ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich will folgendes sagen. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, insbesondere des Bundes, ist durch die gesamtdeutschen Belange, aber auch durch die internationalen Verpflichtungen vielseitiger Art - in Osteuropa genauso wie im Vorderen Orient - sehr stark angewachsen, und zwar in einer Art und Weise, wie sie in einer normalen Situation nicht verantwortbar wäre. ({0}) Aber wir sind eben nicht in einer normalen Situation, sondern wir haben die Verantwortung - wir übernehmen sie gern - , diese Leistungen zu erbringen, weil wir wissen, daß sie für die Vereinigung Europas genauso wie für die Vereinigung Deutschlands notwendig sind. Deswegen müssen wir, wie ich vorhin sagte, diesen Weg gehen. Die Grenze ist dort, wo wir die Solidität unserer Volkswirtschaft, verletzen würden. ({1}) Dort, wo die Solidität der deutschen Volkswirtschaft durch steigende Zinsen, durch eine wachsende Inflationsrate und ähnliches angegriffen wird, beginnt ein Prozeß, der uns die Chance nimmt, in Zukunft weiterhin solche Leistungen erbringen zu können. ({2}) Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir haben zwar in einem sehr hohen Maße Schulden aufgenommen, aber ich glaube, daß wir dieses gerade noch verantworten können. ({3}) - Legen Sie mich nicht auf einen Betrag fest. Wenn es 203 Milliarden DM sind, sagen Sie, ich hätte die Unwahrheit gesagt; vielleicht sind es 150 Milliarden DM oder wieviel auch immer. Jedenfalls werden wir in diesem Jahr nahezu ein Viertel der Haushaltsmittel für die Entwicklung in Ostdeutschland bereitstellen, also rund 100 Milliarden DM. Das ist ein enormer Betrag. ({4}) Herr Ministerpräsident Biedenkopf hat dieses eingefordert, meinend, er würde einen sehr hohen Betrag nennen. Er wußte gar nicht, daß dieser Betrag sowieso schon in der Planung war. Meine Damen und Herren, wichtig ist aber auch - das haben Sie angesprochen, Herr Vogel - die Standortfrage. Natürlich erweckt die Wirtschaft in Westdeutschland, wenn man sie heute betrachtet, nicht den Eindruck, als müsse sie irgendeine zusätzliche Förderung erhalten. Aber Wirtschaft ist eben ein dynamischer Prozeß. Dr. Hermann Otto So1ms Auf uns kommen zwei Dinge zu. Einmal kommt der europäische Binnenmarkt ab 1993 mit erheblich verschärften Wettbewerbsbedingungen auf uns zu. Zum zweiten kommt auf uns zu, daß der deutsche Arbeitsplatz weiterhin und zunehmend mit Lasten belegt wird, die diesen natürlich teurer machen und die Wettbewerbsverhältnisse zusätzlich verschärfen. Ich will Beispiele nennen. Es wird über eine Pflegeversicherung diskutiert. Inhaltlich liegen Sie von der SPD nahe bei dem Vorschlag von Herrn Blüm. Diese wird dazu führen, daß die Belastung in bezug auf den Arbeitsplatz beim Arbeitgeber wie beim Arbeitnehmer dynamisch steigend wächst. Nehmen Sie das Beispiel Holland. Dort ergibt sich eine zusätzliche Belastung von 5,8 %. Herr Blüm geht ja jetzt von 2 % aus; dabei wird es aber nicht bleiben. ({5}) Hinzu kommen zusätzliche Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, Umweltabgaben, die die Firmen bezahlen müssen, die CO2-Abgabe, die Abfallabgabe und was alles in der Diskussion ist, Energiesteuern, Tarifsteigerungen über ein normales Maß hinaus, insbesondere die bedenkliche Anhebung der Sockellöhne, die dazu führt, daß die weniger leistungskräftigen Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz mehr finden, weil diese Arbeitsplätze dann für die Arbeitgeber zu teuer sind, und schließlich eine Ergänzungsabgabe, wie Sie sie fordern. Meine Damen und Herren, dieser Prozeß stellt eine Gefahr dar. Wenn das so weitergeht - teilweise ist es ja unvermeidlich -, dann müssen wir eben die Unternehmen an anderer Stelle entlasten. Deswegen bieten wir Ihnen ja an, über eine Unternehmensteuerreform zu reden, die diesen dringend gebotenen Ausgleich bewirkt. Im übrigen sehen unsere Pläne vor, daß die Unternehmensteuerreform durch Korrektur der Abschreibungsvorschriften teilweise selbstfinanziert wird. Meine Damen und Herren, noch eine abschließende Bemerkung zur Diskussion über den § 218. Sie wissen, die FDP-Fraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, von dem wir meinen, daß er im Rahmen dessen bleibt, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil dargelegt hat, daß er also verfassungskonform ist, der aber gleichwohl die Freiheit der Entscheidung der Frau in die Hand gibt. Der Gesetzentwurf beinhaltet eine Fristenlösung mit einer obligatorischen Beratung, die aber die freie Entscheidung in die Hand der Frau und Mutter legt und ihr nicht eine Entscheidung vorschreibt. Dies ist mit einem großen Paket sozial flankierender Maßnahmen verbunden, die natürlich dazugehören, damit die Frauen in die Lage versetzt werden, sich trotz sozialer Schwierigkeiten für das Kind zu entscheiden. ({6}) Ich hoffe und bitte darum, daß es in diesem Hause eine Mehrheit für diesen Vorschlag geben wird, weil wir glauben, daß das die Kompromißlinie ist, auf die wir uns alle einigen können. Abschließend möchte ich sagen: Die FDP-Fraktion widmet sich mit aller Energie der Aufgabe, die deutsche Einheit herbeizuführen. Wir tun das in dem Bewußtsein - die Mitglieder der anderen Fraktionen mögen das entschuldigen -, daß wir die einzige gesamtdeutsche Partei sind. Wir haben im Gegensatz zur SPD mehr Mitglieder im Osten als im Westen. ({7}) Die SPD hat im Osten 22 000 Mitglieder und im Westen 900 000. Wir haben nicht nur zwei Vorzeigepolitiker. ({8}) - Nein, Herr Wünsche ist ausgetreten. Ich möchte Sie bitten, sich zurückzuhalten und über die 100 000 Mitglieder kein Pauschalurteil abzugeben. Meine Damen und Herren, das sind 100 000 Einzelschicksale. Sie müssen die Leute fragen, warum sie in die LDP gegangen sind, und Sie müssen sich einmal das Schicksal der Menschen erklären lassen, die ja am Anfang der Entwicklung verfolgt wurden und von denen zahlreiche viele Jahre im Zuchthaus zugebracht haben. ({9}) - Das ist nicht mein Verdienst. Aber weil diese Partei auf beiden Seiten so ausgewogen ist - im Osten 100 000 Mitglieder, im Westen 70 000 - , ist sie zur Integration, zum Konsens, zur Diskussion miteinander und zur Übereinstimmung verpflichtet. Deswegen, glaube ich, ist die FDP in besonderem Maße aufgefordert - und wir haben diese Aufgabe voll angenommen - , die deutsche Einheit zu verwirklichen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend über den Bundeshaushalt für 1991. ({0}) Aber in welcher Situation beraten wir über diesen Haushalt? - Die Situation ist vor allem geprägt durch die größte Beschäftigungskatastrophe seit der Massenarbeitslosigkeit der 30er Jahre. 3 Millionen Menschen im Osten des neuen Deutschlands sind inzwischen arbeitslos oder in Kurzarbeit, 3 Millionen! Leider nur allzu fundierte Prognosen sagen: Es werden bald 4 oder 5 Millionen sein. In Sachsen z. B. wird geschätzt, daß es bald nur noch ein Viertel der Arbeitsplätze von 1989 in der Industrie geben wird. Wie wäre wohl die Reaktion der Menschen im Osten gewesen, wenn man sie in bezug auf diese Frage nicht eingelullt hätte? Wie wäre ihre Reaktion gewesen, z. B. bei den Wahlen am 18. März, am 14. Oktober und am 2. Dezember 1990, wenn man ihnen gesagt hätte: Ihr müßt aber nach dem Anschluß mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, mit der ZerstöDr. Ulrich Briefs rung der Lebensperspektive, mit dem Zurück in die Dumpfheit der reinen Hausfrauenarbeit rechnen? ({1}) Was ist die Steuerlüge - die Steuerlüge, die uns lediglich Geld kostet - gegen diese Anschlußlüge, gegen das bewußte Verschweigen und Verharmlosen der Folgen dieser Art des Anschlusses?! Vor diesem Hintergrund müssen wir auch sagen: Der Bundeshaushalt 1991 ist Bestandteil dieser Anschlußlüge. Er ist zumindest ein Haushalt der bewußt vergebenen Möglichkeiten des Ankämpfens gegen die Beschäftigungskatastrophe im Osten. Aber auch die Linke in Ost und West hat hier versagt. Wir hätten sagen müssen: Es gibt keinen Kapitalismus ohne Massenarbeitslosigkeit, ohne soziale Not. Es gibt ihn nicht! Die Jahre von Ende der 50er Jahre bis 1972 in der alten Bundesrepublik mit Vollbeschäftigung waren eben eine Ausnahme. Im reichen Westen haben wir seit Anfang der 80er Jahre eine Massenarbeitslosigkeit in der Größenordnung von 2 Millionen bis 3 Millionen einschließlich der stillen Reserve. Wir haben ca. 800 000 Kinder, die in Arbeitslosenhaushalten aufwachsen. Wir haben mehr als 6 Millionen Arme, und zwar nach Schätzung des konservativen Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Wir haben zwischen 400 000 und 1 Million Obdachlose. Das sind zum Teil einfach Menschen, die mit ihrem Einkommen keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Die Zahl der Arbeitslosen, der Obdachlosen, der Sozialhilfeempfänger, der Empfänger einer Kleinstrente - übrigens wieder vor allem Frauen, Witwen von ungelernten oder angelernten Arbeitern, die z. B. längere Zeit arbeitslos waren - ist trotz der längsten Wachstumsperiode, trotz eines gerade in den letzten Jahren in riesigen Dimensionen zusätzlich produzierten Reichtums in der Wirtschaft gerade in dieser Zeit weiter angestiegen, weiter angestiegen im reichen Westen. Da sollen die Menschen im Osten glauben, bei ihnen wird es anders sein? Es wird nicht anders sein! Eine Bestätigung dafür ist die Tatsache, daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen außer vagen Hoffnungen und Versprechungen keine konkreten Zahlen, geschweige denn Konzepte oder Pläne, vorlegen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Briefs gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, kennen Sie sich vielleicht deshalb so gut aus, weil Sie Ihren Wohnsitz in Holland haben?

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wissen Sie, das ist einfach primitiv, und es zeugt von einer unterschwelligen Abneigung gegen Ausländer. ({0}) Also: Selbstverständlich, ich lebe ganz bewußt seit einer Reihe von Jahren in den Niederlanden, übrigens mit der Erfahrung - das sage ich Ihnen deutlich dazu - , daß in bezug auf viele politische Traditionen und auch in bezug auf die Regelung ganz elementarer materieller Gegebenheiten die Niederlande als kapitalistisch-westliches Land vorexerzieren, daß man auch unter diesen Bedingungen durchaus etwas humaner verfahren kann. ({1}) Im übrigen habe ich in Sachsen kandidiert und bin in Sachsen gewählt worden. Außerdem habe ich meine ersten fünf Schuljahre in Sachsen verbracht. Ich fahre fort. - Die Menschen im Osten wie im Westen haben aber einen Anspruch darauf, daß die Mittel dieser reichen Gesellschaft zur Bekämpfung der Pest des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der Massenarbeitslosigkeit, genutzt werden. Die Bundesregierung dagegen läßt das, was eine Jahrhundertaufgabe war, nämlich die Zusammenführung zweier unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme und Volkswirtschaften, zu einer sozialen Tragödie bisher nicht gekannten Ausmaßes geraten. ({2}) - Ich weiß, jetzt kommt das mit den neuesten Arbeitsmarktzahlen. An die dauerhafte Verbesserung der Arbeitsmarktsituation oder auch nur an ein Stillhalten auf dem Arbeitsmarkt im Osten glauben Sie doch wohl selbst nicht. In den Sommermonaten hat es immer einen leichten Abbau der Arbeitslosigkeit gegeben, und der große Kündigungstermin 30. Juni steht noch bevor. Nein, die Statistik schafft Ihnen und uns diese Beschäftigungskatastrophe nicht weg. Die Haushaltspolitik dieser Bundesregierung ist gefordert. Sie ist gefordert, endlich auf wirksame Expansion gerade im Osten umzuschalten. Der Osten Deutschlands darf nicht zum beschäftigungspolitischen Hinterhof, darf nicht zu einem riesigen Elendsviertel an der Peripherie des reichen Westdeutschlands werden. Wir fordern Sie, auch mit Blick auf die jetzt beginnende Runde für den nächsten Haushalt, für den Haushalt 1992, deshalb noch einmal auf: Schaffen Sie mit einem Soforthilfeprogramm, mit einem Notprogramm im Osten ökologisch und sozial sinnvolle Arbeitsplätze, z. B. beim Infrastrukturausbau einschließlich der Telekommunikation, z. B. in der Modernisierung und im Ausbau der Eisenbahnnetze und des öffentlichen Personennahverkehrs, z. B. beim Aufbau einer dezentralisierten, kommunalisierten Energieerzeugung, verbunden mit vielfältigen Maßnahmen zur Energieeinsparung, z. B. bei der Alt- und Neubaumodernisierung in Verbindung mit Wohnumfeldverbesserung und Wärmedämmungsmaßnahmen. Sichern Sie soziale Dienstleistungen gerade für berufstätige Frauen und Mütter, statt sie zu liquidieren. Dazu müssen sie allerdings - und das wollen Sie nicht - vor allem den Reichtum dort abschöpfen, wo er ist. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Verzeihung, Herr Kollege Briefs. Dies ist kein Ordnungsruf, sondern nur eine Ermahnung: Das Wort „liquidieren" hat in der deutschen Geschichte eine ganz schreckliche Bedeutung gewonnen. Es täte dem Hause gut, wenn dieses Wort nicht in einem falschen Zusammenhang benutzt würde. ({0})

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mit Verlaub, Herr Präsident, das weise ich zurück, und zwar schlicht und einfach deswegen, weil ich davon gesprochen habe, daß soziale Dienstleistungen liquidiert werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich habe nur von dem Wort gesprochen, Herr Briefs. Sie brauchen es auch nicht zu kommentieren, wenn ich Ihnen das sage.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gut. Ich habe es ja richtiggestellt. ({0}) - Die Wirtschaft schwimmt im Geld. ({1}) Sie lenkt jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge in Form direkter Auslandsinvestitionen ins Ausland, vor allem in die reichen Industrieländer des Westens. ({2}) - Sie von den Blockparteien seien einmal ganz ruhig. Sie waren daran von vorn bis hinten, von oben bis unten beteiligt. ({3}) - Das haben Sie nicht. Sie reißen sich doch gegenwärtig neue Objekte unter den Nagel; das weiß doch jeder. Noch mehr Mittel werden jährlich als vagabundierendes Kapital an die internationalen Geld- und Kapitalmärkte gelenkt. Der volkswirtschaftliche NettoCash-Flow, der Mittelzufluß, übersteigt mit ca. 650 Milliarden DM in den klingelnden Kassen der Wirtschaft bei weitem die für Anlage- und Ausrüstungsinvestitionen benötigten Mittel. Das sind nur ca. 450 Milliarden DM. Sie aber greifen nicht dorthin, sondern in der Tasche der Gering- und Mittelverdienenden. Damit nicht genug. Statt den Solidarbeitrag der reichen Wirtschaft einzufordern, wollen Sie, wie Herr Solms ausgeführt hat, ausgerechnet die Unternehmensteuern noch weiter senken. Erheben Sie z. B. - ganz konkrete Vorschläge; wenn Sie wollen, können Sie es machen - wie Anfang der 50er Jahre eine Investitionshilfeabgabe für den Osten. Führen Sie eine Zwangsanleihe für den Aufbau im Osten ein. Dann brauchten Sie auch nicht die Verschuldungsorgie zu praktizieren, die diesem Bundeshaushalt und Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik zugrunde liegt. ({4}) Frau Kollegin Matthäus-Maier hat das schon mehrfach angesprochen, völlig zu Recht. Über 200 Milliarden DM - das sind über 7 % des Bruttosozialprodukts - werden in diesem Jahr von Bund, Ländern und Gemeinden und von den Schattenhaushalten gepumpt. Auf über 100 Milliarden DM steigt allein die Zinslast der öffentlichen Hände. Das ist unsolide. Das belastet die Zukunft. Senken Sie nicht die Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer, sondern erhöhen Sie sie. Erheben Sie endlich einmal die Erbschaftsteuern, die denen in anderen westeuropäischen Ländern in etwa entsprechen. Streichen Sie Subventionen, Herr Möllemann, aber an den richtigen Stellen. Die Weltraumfahrt z. B. droht bereits den Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie zu strangulieren. Sie kommt mit nur drei Projekten, typischen Großtechnologieprojekten mit gefährlichen umweltgefährdenden Auswirkungen, zuallererst einer kleinen Zahl großer und sehr großer Konzerne zugute. Bei den Subventionen, die im Rahmen der Militärforschung anfallen, bei den offenen und verdeckten Subventionen für die Rüstungsindustrie mit Daimler-Benz, Siemens und anderen deutschen Weltunternehmen an der Spitze können Sie, da sollten Sie sparen. Oder senken Sie, wie wir fordern, den Militärhaushalt um 10 Milliarden DM. Als Einstieg; das muß dann weitergehen. Sehr bald muß der Militärhaushalt völlig weg sein. Stellen Sie 5 Milliarden DM von diesen gestrichenen 10 Milliarden DM für Konversionsprojekte zur Verfügung. Damit könnten Sie, Herr Möllemann, das selbstgesteckte Ziel von 10 Milliarden DM Subventionsstreichungen im Handumdrehen erreichen. Eine solche Politik der Umlenkung von Geldern, die für mögliche Kriegs- und Zerstörungsakte zur Verfügung gestellt werden, für eine friedliche, ökologisch und sozial nützliche Verwendung ist notwendig. Das paßt jedoch nicht zu den neuen, alten Großmachtträumen, die gerade auch in Ihren Rängen geträumt werden. ({5}) Nur so ist es auch zu verstehen, daß die Bundesregierung in geradezu vorauseilendem Gehorsam bei der deutschen Beteiligung an der Finanzierung des unseligen Golfkriegs sofort geklotzt hat, während beim Aufbau im Osten nach wie vor nur gekleckert wird. Vor allem: Trocknen Sie durch Auftrags- und Subventionsabbau den Sumpf der deutschen Rüstungsproduktion und Rüstungsexportproduktion aus. ({6}) Vergessen Sie nicht: Rüstung tötet auch schon im Frieden. Die Mittel, die wir hier für immer raffiniertere Waffensysteme ausgeben, mit denen sich inzwischen - geradezu aseptisch dargereicht - Völkermord als cleanes Medienspektakel inszenieren läßt - die Medien, der Menschheit sei es geklagt, machen es mit -, fehlen z. B. bei der Hilfe für die sogenannten Dritte Welt, fehlen bei der Aids-Bekämpfung, fehlen bei anDr. Ulrich Briefs deren humanitären Aufgaben, fehlen für die Versorgung von Asylanten und Asylantinnen. Die Rüstungswahnausgaben sind z. B. in diesem Bundeshaushalt 1991 in gegenüber dem Jahr 1990 unveränderter Höhe enthalten. Aber das ist ja noch nicht alles. Im BMFT-Haushalt z. B. ist auch noch einiges drin: Stichwort Dual-use-Technologien, also Technologien, die für militärische und andere Zwecke einsetzbar sind. Sie tragen auch dazu bei, daß täglich hunderttausend Kinder Hungers sterben. Sichern Sie die ökologische Sanierung in Ost und West. Auch dabei kommen Sie nicht voran. Es liegt nicht nur daran, daß wir einen Bundesumweltminister haben, der ein fähiger Ankündigungsminister ist, allerdings nicht viel mehr. Es liegt auch daran, daß Sie mit Ihrem Marktcredo, dem Credo von den Kräften des freien Unternehmertums, die Umweltprobleme weiter verschärfen bis zur drohenden Klimakatastrophe, bis zum Müllinfarkt, bis zum ersten richtigen GAU bei einem der derzeit in Betrieb befindlichen AKWs im Westen. Sie arbeiten einer undifferenzierten Wachstumsdynamik nach dem Motto zu „Hauptsache, immer mehr". Was kümmert uns die Welt, die wir doch bekanntlich von unseren Kinder nur geborgt haben? Die Aufwendungen für den Umweltschutz und für den Naturschutz sowie auch für entsprechende Forschungsaktivitäten sind z. B. nach wie vor minimal im Verhältnis zum Gesamtetat und zu seinen großen Blöcken Militär, Verkehr, Soziales, Schuldendienst. Sie erhöhen die Mineralölsteuer, verteuern damit das Benzin, aber nicht, um die Mittel gezielt z. B. für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs gerade im ländlichen Raum auszugeben, sondern um damit Ihre Kasse wieder zu füllen, die Sie zuvor durch Steuersenkungen für die reiche Wirtschaft geleert haben. Sie sind den Reichen und Superreichen verpflichtet sowie auch den neuen und alten Ewiggestrigen, die von einer neuen Weltmachtrolle Deutschlands träumen und die dafür auch den starken Staat nach innen haben wollen, der aufräumt mit Ausländern und Ausländerinnen, mit politischen Dissidenten, mit Randgruppen in der Gesellschaft. Dafür brauchen Sie ein immer kostspieligeres Sicherungssystem, das sich auch zunehmend neuer technischer Systeme bedient. Gleichzeitig bröckelnder Datenschutz weg, werden notwendige Vorkehrungen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur zum Schutz des verfassungsmäßig garantierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unterlassen oder nur zögernd betrieben. Dafür werden aber z. B. für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erhebliche und in der Zukunft weiter wachsende Mittel zur Verfügung gestellt. Um zusammenzufassen: Ihre Haushaltspolitik ist, für jedermann und jede Frau nachvollziehbar, unsolide, konzeptionslos, perspektivlos. Sie ist unsozial und den Aufgaben des Staates in dieser Situation nicht angemessen. Sie ist das Ergebnis einer falschen wirtschaftspolitischen Grundkonzeption. Der Haushalt 1991 ist ein Dokument der vergebenen Chancen für eine sozial und ökologisch verantwortbare Zukunftsentwicklung. Der Etat 1991 wird deshalb, von der PDS/Linke Liste, abgelehnt. Danke. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Dr. Klaus Rose, ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht erwartet, daß ich schon dran sein würde, aber die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ist heute offensichtlich überhaupt nicht anwesend. Ich freue mich, daß ich in der dritten Lesung des Bundeshaushalts noch einmal sprechen darf. Ich bin der Meinung, wir haben zwar schon oft das Wort vom „Schicksalsbuch der Nation" gebraucht, ({0}) aber dieser Begriff war noch nie so sinnfällig wie dieses Mal, weil wir im Jahre 1991 zum erstenmal einen gesamtdeutschen Haushalt, also den Haushalt einer Nation haben. Allein schon darauf können wir stolz sein. ({1}) Die Bewertung des Haushalts muß daher auch im Zusammenhang mit dieser einmaligen historischen Situation erfolgen. Ein knappes Viertel des Gesamtvolumens des Bundeshaushalts in Höhe von 410 Milliarden DM sind einigungsbedingte Ausgaben. Daran wird deutlich, daß sich die Koalition, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung, einheitliche Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland zu erreichen, in eindrucksvoller Weise gestellt hat. Bereits im Jahre 1990 mußte der damals geltende Haushalt jeweils durch drei Nachtragshaushalte der gesamtdeutschen Entwicklung angepaßt werden. Als sich im Sommer 1990 die baldige deutsche Einheit abzeichnete, war es die einzig sinnvolle Entscheidung, den endgültigen Haushalt erst nach dem Vollzug der Einheit aufzustellen, um damit eine realistische Basis für die künftige Haushaltspolitik zu gewinnen. Die Bundesregierung hat - anders als es von der Opposition auch in dieser Woche wieder behauptet wurde - rechtzeitig vor der Wahl die Eckpunkte für diesen Haushalt und für die Finanzplanung der kommenden Jahre vorgelegt. Die Rahmendaten zur Begrenzung der Nettokreditaufnahme und zur Entlastung des Bundeshaushalts wurden konsequent umgesetzt und sogar noch verbessert. Es wäre sicherlich möglich gewesen, den Bundeshaushalt 1991 auch schon früher zu beschließen, näm2226 lich wenn die Opposition einer früheren Bundestagswahl zugestimmt hätte. ({2}) So gesehen ist auch die Kritik der Kollegin Matthäus-Maier, die sie immer wieder äußert und die darauf hinausläuft, dieser Haushalt werde zu spät verabschiedet, völlig unverständlich. Wir erinnern uns ja auch daran, daß die SPD früher immer nur in der Sommerzeit dazu gekommen ist, den Haushalt des laufenden Jahres zu verabschieden. Ebenso unzutreffend ist die Behauptung der Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß sich die Aufbau- und Beschäftigungschancen in den neuen Bundesländern auf Grund der verspäteten Verabschiedung erheblich verzögert hätten. Alle notwendigen Mittel, vor allem solche für Investitionen, sind von Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung großzügig bereitstellt worden. Das gilt insbesondere für die im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost enthaltenen Mittel. Nur durch äußerste Haushaltsdisziplin, durch eine vertretbare Erhöhung der Nettokreditaufnahme und durch eine sozial verträgliche und angemessene Steuererhöhung ist es gelungen, die im Frühjahr entstandenen Mehranforderungen an den Bundeshaushalt aufzufangen. Im Bundeshaushalt 1991 ist ein Entlastungsvolumen von rund 37 Milliarden DM realisiert worden, davon alleine im Verteidigungsbereich 7,7 Milliarden DM. Das im Eckwertebeschluß vom 14. November 1990 vorgesehene Konsolidierungsziel von mindestens 35 Milliarden DM - das sind gewaltige Beträge, und das muß man ja schaffen - ist damit sogar übertroffen worden. Außerdem wird die Koalition die künftigen Bundeshaushalte durch den geplanten Subventionsabbau von rund 10 Milliarden DM weiter entlasten. Die Nettokreditaufnahme wurde durch die Beschlüsse des Haushaltsausschusses ebenfalls noch deutlich unter den im Eckwertebeschluß festgelegten Betrag von 70 Milliarden DM abgesenkt, und zwar auf 66,4 Milliarden DM. Mit diesem Betrag konnte jetzt schon fast die Grenze für Investitionen nach Art. 115 des Grundgesetzes erreicht werden. Beim Haushaltsvollzug wird nach aller Erfahrung noch Besseres zu erwarten sein. Mit diesem Betrag wird in einer unbestritten einmaligen historischen Situation ein geringerer Anteil der Ausgaben des Bundes kreditfinanziert als z. B. zur Zeit der Ölkrise im Jahre 1975. Es ist einfach falsch, daß die Nettokreditaufnahme des Bundes eine Absenkung des Zinsniveaus verhindert, wie von der SPD behauptet wird. Im Gegenteil: Das durchschnittliche Zinsniveau ist von 9,1 % im Januar dieses Jahres auf zur Zeit 8,4 % gesunken. Man sieht hieran, daß die Haushalts- und Finanzpolitik dieses Staates in Ordnung ist. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Worte zu den Steuererhöhungen sagen. Ich will natürlich nicht die unselige Diskussion wieder eröffnen; es wird von allen Seiten zuviel gesagt. Hauptsächlich deshalb ist der Bürger verunsichert. Wahlergebnisse in Hamburg oder anderswo kommen ja daher, daß man jeden Tag etwas anderes liest, obwohl gar nichts beschlossen wird. Mir drängt sich der Eindruck auf, daß die stärksten Kritiker aus den Reihen der Opposition die Wiedervereinigung gar nicht gewollt haben und nun glauben, auf einem Nebenkriegsschauplatz verlorenes Terrain wiedergewinnen zu müssen. ({4}) Die Wiedervereinigung war und ist nicht allein eine Frage der Kosten; selbst wenn sie das Doppelte gekostet hätte. Wer angesichts dieses Sachverhalts von unsolider Haushaltspolitik spricht, diskreditiert sich selbst als finanzpolitischer Ignorant oder Träumer. ({5}) Der Wähler wird solche falschen Unterstellungen und Halbwahrheiten auf die Dauer auch nicht honorieren. ({6}) Meine Damen und Herren von der Opposition, der Aufschwung in den neuen Bundesländern wird schneller kommen, als Ihnen politisch lieb ist. Sie setzen ja nur darauf, daß es so bleibt, wie es nach der Wende notwendigerweise sein mußte. ({7}) Damit wird Ihrer verfehlten Kritik rasch der Boden entzogen. Schauen Sie in den historischen Spiegel, dann werden Sie den finanz- und haushaltspolitischen Scherbenhaufen noch erkennen, den Sie 1982 hinterlassen haben. ({8}) Ihr ständiges Katastrophengemälde stimmt heute weder in bezug auf die alten Bundesländer noch in bezug auf die neuen Bundesländer. ({9}) Die Aussage, daß es in den neuen Ländern deutlich aufwärtsgeht, wurde gerade in dieser Woche einmütig von der Wirtschaft und von den Gewerkschaften getroffen. Die Schlagzeile in der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. Juni 1991 war, daß sich Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften einig sind, daß es deutlich aufwärtsgeht. ({10}) Was wollen Sie denn sonst? Natürlich gibt es noch Regionen, in denen es besonders schlimm aussieht, in denen weder die Arbeitsmarkt- noch die Ausbildungsstellensituation zufrieden machen können. Gerade weil auch wir in den alten Bundesländern immer wieder mit derartigen Sorgen belastet waren oder sind, nehmen wir sie ernst. Ich habe z. B. in meiner eigenen Arbeitsregion Passau, die vor allem im Winter zu den schwierigsten in ganz Deutschland gehört, zur Zeit Firmenzusammenbrüche zu beklagen, die zusammen mit der drohenden Garnisonsauflösung Tausende von Arbeitsplätzen kosten. Ich möchte die heutige Gelegenheit wahrnehmen, um auch einmal die Sorgen in den alten Bundesländern aufzuzeigen. Ich bitte die Bundesregierung, den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundesfinanzminister, Instrumente zu finden, durch die die drohenden Firmenzusammenbrüche verhindert oder aufgefangen werden können. 1 000 Arbeitsplätze weniger bei Roederstein, 1 200 Arbeitsplätze weniger bei Optyl-Hutthurm und mehrere Hundert Arbeitsplätze weniger bei der Bundeswehr, und das alles in einem Jahr - das ist nicht zu verkraften. Auch Ostbayern braucht also Hilfe. ({11}) Daß sich Firmeneigner dabei - das möchte ich auch sagen - nicht immer in die Reihe der großen, verantwortungsbewußten deutschen Unternehmer stellen, ist ein besonders trauriges Kapitel. ({12}) - Ich bin davon überzeugt, daß es auch in Nordhessen noch einiges zu tun gibt, obwohl der Abgeordnete Walther seit vielen Jahren Gelegenheit hat, dort gut zu arbeiten. ({13}) Ich möchte auch die guten Leistungen der Treuhandanstalt erwähnen; denn hieran zeigt sich, daß die ursprüngliche Konzeption richtig war. Hauptaufgabe der Berliner Anstalt muß die Privatisierung bleiben, damit das Entstehen marktwirtschaftlicher Strukturen ermöglicht wird und kein dauerhafter und unfinanzierbarer Subventionstopf aufgemacht wird. ({14}) Theo Waigel hat bereits darauf hingewiesen, daß der Verlust von Arbeitsplätzen dort begrenzt werden kann, wo die Sanierung von Betrieben sinnvoll und vertretbar ist. An dieser Stelle möchte ich die SPD und - trotz ihres freundlichen Beifalls - auch die FDP nachhaltig auffordern, die Diskussion über einen Wechsel der Aufsicht vom Bundesfinanzministerium zum Bundeswirtschaftsministerium jetzt endlich zu beenden. Es ist nicht erkennbar, welche aufsichtsrechtlichen Aufgaben vom Bundeswirtschaftsministerium besser erfüllt werden sollten. Das Bundeswirtschaftsministerium ist keine Superwirtschaftslenkungsbehörde und kann dies auch nicht werden. Nach dem Grundgesetz sind die neuen Länder sowieso grundsätzlich für die Wirtschaftspolitik zuständig. Die dem Bund nach dem Grundgesetz zustehenden Kompetenzen im Wirtschaftsbereich, z. B. bei den Gemeinschaftsaufgaben und bei der sektoralen Wirtschaftsförderung, werden ja bereits vom Wirtschaftsministerium wahrgenommen. Manche Koalitionsstreitigkeiten, die man aus irgendwelchen Gründen gerne pflegt, könnte man sich also in Zukunft sparen. ({15}) Meine Damen und Herren, an besonderen Ausgabeblöcken sind ferner die Ausgaben 1991 im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt in Höhe von knapp 12 Milliarden DM, die Leistungen an die Sowjetunion in Höhe von 6,2 Milliarden DM sowie die sonstigen Leistungen an die mittel- und osteuropäischen Länder, an die seit 1989 24,5 Milliarden DM gezahlt wurden, um dort zum Aufschwung beizutragen, zu nennen. Ich erwähne diese Leistungen deshalb besonders gern, weil die Kollegin Matthäus-Maier diese in ihrer Presseerklärung vom 3. Juni 1991 als besonders ausgabeträchtig erwähnt hat. Mit Genugtuung kann ich feststellen, daß die finanzpolitische Sprecherin der SPD diese Mehrbelastungen nunmehr anerkennt und damit ihrer eigenen Legendenbildung in Bonn den Boden entzieht. Trotz der gewaltigen finanziellen Anstrengungen für die neuen Bundesländer sind die alten Bundesländer nicht vergessen worden. Das Maß an Umschichtungen zugunsten der neuen Länder ist vertretbar. Im Verkehrshaushalt hat der Haushaltsausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf ohne Beeinträchtigung der neuen Länder Korrekturen vorgenommen, die es den alten Ländern ermöglichen, praktisch alle für 1991 geplanten Vorhaben fortzusetzen. Außerdem hat der Haushaltsausschuß die Ermächtigung erteilt, nicht benötigte Straßenbaumittel in die alten Länder zurückzugeben. Ähnliche Rückumschichtungen sind im sozialen Wohnungsbau und Städtebau möglich, wenn die Mittel aus tatsächlichen Gründen in den neuen Ländern noch nicht voll eingesetzt werden können. Damit haben wir sicher auch im Interesse der alten Länder gehandelt. So manche Maßnahme, deren Ende sich schon bedrohlich abzeichnete, kann jetzt wieder durchgeführt werden. ({16}) Mit dem Bundeshaushalt 1991 ist ein erster richtiger gesamtdeutscher Haushalt erstellt worden, der die Basis für eine Fortsetzung der 1982 begonnenen soliden Haushalts- und Finanzpolitik darstellt. ({17}) Der schon in einem Monat zu erwartende Regierungsentwurf zum Haushalt 1992 wird die Rückkehr zur haushaltspolitischen Stetigkeit nachdrücklich bekräftigen. Mit dem vorgesehenen Ausgabenanstieg von weniger als 2 % im Planungszeitraum 1992 bis 1994 hat sich die Koalition weiterhin zu strikter Ausgabendisziplin verpflichtet. Die Nettokreditaufnahme wird in den folgenden Jahren stufenweise auf 30 Milliarden DM zurückgeführt. Der geplante Subventionsabbau spielt hier eine wichtige Rolle. Die Koalition wird insoweit ihren konsequenten Weg fortführen. Ich erinnere auch daran - auch das ist gestern schon angedeutet worden - , daß im Zeitraum von 1982 bis 1990 der Anteil der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, gemessen am Bruttosozialprodukt, von 1,5 % auf 1,2 % zurückgeführt wurde. Die Koalition hält mittel- und langfristig an ihrer erfolgreichen Politik der Konsolidierung und steuerlichen Entlastung fest, die die Grundlage für private Leistungsbereitschaft und hohes Wirtschaftswachsturn ist. Wichtigste steuerpolitische Aufgabe in der nahen Zukunft ist das anstehende Steueränderungsgesetz 1992, in dem neben dem Subventionsabbau vor allem der Familienlastenausgleich deutlich verbessert wird. Vorgesehen ist ferner die erste Stufe der Unternehmenssteuerreform. Auch in Europa stehen viele wichtige Fragen zur Entscheidung an, die bald geklärt werden müssen. Ich greife hier nur die Harmonisierung der indirekten Steuern und die Errichtung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auf. Der Deutsche Bundestag wird zur Steuerharmonisierung heute eine Entschließung fassen, die die deutschen Anliegen nochmals bekräftigt. Erfreulich ist aus bayerischer Sicht insbesondere das Votum für die Beibehaltung der Biersteuermengenstaffel. Damit kann ich auch einmal etwas schönes Bayerisches sagen. ({18}) Wir bejahen die europäische Wirtschafts- und Währungsunion als Endziel mit allen Konsequenzen. Mit unseren Partnern müssen aber noch eine Reihe wichtiger Vorfragen geklärt werden. Die Stabilität der Währung und damit die Stetigkeit der Wirtschaftsentwicklung darf durch die europäische Währungsintegration keinen Schaden nehmen. Meine Damen und Herren, ich kann am Ende der Beratungen des Haushalts 1991 ebenfalls feststellen, daß der Haushaltsausschuß mit all seinen Damen und Herren Abgeordneten und den Mitarbeitern wieder recht gut gearbeitet hat und daß wir uns schon freuen, bald wieder den Haushalt 1992 beraten zu dürfen. ({19})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In abschließender Beratung zum Etat 1991 gibt es heute in dritter Lesung die Möglichkeit zum Rückblick auf die abgelaufene Haushaltswoche und zum Ausblick. Mit Blick auf die Tatsache, daß die Koalition bei Landtagswahlen der vergangenen Wochen ihre Wähler nicht überzeugen konnte, sind wir aufgefordert, hier nicht nur gute Politik zu gestalten, sondern diese den Bürgern auch bestmöglich zu verdeutlichen. Vom umfassend informierten Bürger darf die Koalition sicherlich wieder stärkeren Zuspruch erwarten. ({0}) Eine Haushaltsdebatte soll nicht nur Generaldebatte über die gesamte Regierungspolitik sein; sie bietet der Opposition eigentlich auch die Chance zum Generalangriff. Ein solcher geht natürlich nicht ohne eigene Positionen. Was haben wir auch in dieser Woche erlebt? Es ist kein Wunder, daß die Opposition mehr ein Klagelied dargeboten hat, als daß sie echte politische Alternativen dargestellt hätte. ({1}) In einer weltpolitisch einmaligen, außerordentlich schwierigen Situation zeigen wir mit klarem Kurs in der Finanz- und Haushaltspolitik den einzig möglichen Weg auf. Der Haushalt 1991 bietet die realistische Chance, den Start des geeinten Deutschlands in eine erstrebenswerte Zukunft für unsere Menschen zu flankieren. Die notwendigen Gelder für den Beginn des Aufbaus im Osten stehen zur Verfügung. Die Menschen beginnen, ihre neuen Chancen trotz aller Probleme zu begreifen. Die Beanspruchung des Kapitalmarkts durch die öffentliche Hand hält sich in den Grenzen, die in dieser Sondersituation des Jahres 1991 politisch vorgegeben und erträglich sind. Mit Blick auf die weiterhin bestehende niedrige Inflationsrate, ({2}) aber auch mit Blick auf die Stabilität der D-Mark gegenüber anderen Währungen stelle ich fest: Wir sind auf dem richtigen Weg. ({3}) Die FDP-Fraktion hat auf die Position der Deutschen Bundesbank immer großen Wert gelegt. Die Personalentscheidung der Bundesregierung garantiert von dort eine Fortsetzung der klaren Geldpolitik für die Bürger unseres Landes. Sosehr wir den Rücktritt des Bundesbankpräsidenten Pöhl zu diesem Zeitpunkt bedauern ({4}) ich sage heute von dieser Stelle nochmals herzlichen Dank der Liberalen für seine hervorragende Leistung - , so gut wissen wir auch, daß der neue Präsident Schlesinger, dem ich zu seiner Ernennung herzlich gratulieren möchte, ein Garant der Kontinuität der Politik der Deutschen Bundesbank ist. ({5}) ({6}) Unser Haushalt 1991 überlastet die Volkswirtschaft nicht; denn ein Bruch im Westen wäre dem Aufbau, wäre den Bürgern im Osten natürlich keine Hilfe. Deshalb ist es auch durchaus in Ordnung - mit Blick auf die großen Risiken der nächsten Zeit, die wir natürlich nicht verschweigen wollen - , von einer Gratwanderung zu sprechen. Aber ich sage nochmals: Daß die SPD in dieser Woche so außerordentlich farblos geblieben ist, zeigt, daß sie keine Alternativen bietet, zeigt, daß es auch keine tatsächliche Alternative zu diesem Weg gibt. ({7}) Der Etat bewältigt nicht nur die ersten Finanzierungsschritte für die Entwicklung der neuen Bundesländer, er finanziert auch einen ersten Teil der aus den Verträgen mit den früheren Siegermächten resultieDr. Wolfgang Weng ({8}) renden Kosten, und er bewältigt die hohen Leistungen, die wir im Zusammenhang mit dem Golfkrieg für unsere Verbündeten erbracht haben. Lassen Sie mich hierzu ein einziges Beispiel nennen, mit dem der Haushaltsausschuß seine Aufmerksamkeit unter Beweis gestellt und der Bundesregierung Hausaufgaben durch die Beschlüsse gegeben hat. Der Deutsche Bundestag wird mit diesem Haushalt auch die Lieferung zweier Unterseebote an den Staat Israel als Ersatz für ältere Modelle beschließen, ({9}) wie dies während der Auseinandersetzung am Golf von der Bundesregierung zugesagt wurde. Da diese Angelegenheit aber einen längeren Vorlauf hatte und da zu einem früheren Zeitpunkt die Vereinigten Staaten für diese Lieferung eine erhebliche Finanzierungszusage in Höhe von rund 500 Millionen DM gemacht hatten, haben wir die Bundesregierung zu folgender Bemühung aufgefordert: Es soll versucht werden, diese ursprüngliche Finanzzusage der Vereinigten Staaten in Zusammenhang mit der Endabrechnung unserer Beteiligung an den Kosten des Militäreinsatzes unserer Verbündeten am Golf zu verrechnen. Ich meine, daß dies eine begründete Forderung ist und daß das ein Finanzierungsteil in diesem Zusammenhang ist. Die Bundesregierung sollte sich hier wirklich ernsthaft bemühen. Bei der Enge unseres Haushalts ist es sicher gut, wenn hier auch die Vereinigten Staaten stärker in die Pflicht genommen werden können. ({10}) Bei all den zusätzlichen Kosten, die die Bundesrepublik Deutschland innerdeutsch, aber auch mit Blick auf den Osten Europas leistet, muß ein Hinweis erlaubt sein: Wir können nicht alle Lasten alleine schultern. Insbesondere im Hinblick auf die Situation in der Sowjetunion stelle ich fest: Zur Sicherung der dortigen wirtschaftlichen Entwicklung sind alle Staaten der westlichen Wirtschaftsordnung aufgefordert; dies kann ein einzelner Staat nicht leisten. Die Bundesrepublik Deutschland trägt schon wegen ihrer Zusagen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit große Lasten und große Risiken. Die gestrige Äußerung des Grafen Lambsdorff, eigentlich sei Schenken besser als Bürgen, drückt ja auch aus, daß wir mit zukünftigen Belastungen aus diesen Risiken rechnen müssen. Aber auch mit Blick auf die Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern sind die vom Bundeswirtschaftsminister in der Sowjetunion verhandelten Aufträge eine Notwendigkeit; es gibt Situationen, in denen es geboten ist, dem Käufer Geld zur Bezahlung mitzuliefern. Der FDP-Fraktion jedenfalls ist eine stabile Entwicklung bei den östlichen Nachbarn, insbesondere in der Sowjetunion, wichtig genug, die genannten Risiken einzugehen und sie mitzutragen. Diese Politik dient zusätzlich ganz wesentlich auch den Menschen in unserem eigenen Land und, wie vorhin gesagt, insbesondere den Menschen in den neuen Bundesländern. Eine richtige Politik öffentlichen Haushaltens ist eine Politik sparsamer Ausgaben. In der Finanzplanung der Bundesregierung, gleichzeitig mit dem Etat vorgelegt, wird verdeutlicht, daß die Koalition aus CDU/CSU und FDP die richtige Politik der vergangenen Jahre weiter fortsetzen will; Kollege Rose hat dies ausgeführt und klargemacht. Die künftigen Haushalte sollen in ihren Ausgabensteigerungen wieder weit unter der allgemeinen Wachstumserwartung bleiben. Die in diesem Jahr zwangsläufig, politisch gewollt und beschlossen, außerordentlich hohe Nettoneuverschuldung wird wieder radikal zurückgeführt. Eine solche Politik ist nicht leicht; die Koalition wird sie aber alleine leisten müssen; denn aus der Erfahrung der Vergangenheit wissen wir, daß hier von der Oppositionsseite keine Hilfe zu erwarten ist. ({11}) - Ja, Herr Kollege Schmitz, es ist bedauerlich, daß das so ist, weil es gerade in dieser Phase besonderer nationaler Herausforderungen wünschenswert wäre, wenn das übliche Rollenspiel von seiten der Opposition unterlassen würde. Diese Woche hat aber auch wieder gezeigt, daß damit nicht zu rechnen ist. Ich sage auch: Die meisten Bürger haben erkannt, daß die Kosten für die deutsche Einheit ihren Preis haben und daß Wohlstandszuwächse deshalb für eine Zeit geringer als in der Vergangenheit sein werden. Aber viele Politiker - das gilt ganz besonders für Oppositionspolitiker - sind offensichtlich noch nicht so weit, dieser Bereitschaft der Bürger tatsächlich Rechnung zu tragen. Das Orchester der Subventionsempfänger und ihrer Sprachrohre im politischen Raum hat ja schon bei der realtiv bescheidenen Ankündigung der Koalition, im kommenden Jahr 10 Milliarden DM Subventionen abzubauen, massiv eingesetzt. Meine Bitte geht von hier aus an die Bürger im Land, sich nicht von Politikern aufschwätzen zu lassen, daß gerade sie, daß jeder einzelne Sonderopfer leisten müsse, daß er ungerecht behandelt werde oder ähnliches. Vergleichen Sie Ihre Lebensumstände mit denen in anderen Ländern; halten Sie sich unsere besonderen Verpflichtungen in dieser nationalen Sondersituation vor Augen, dann werden Sie eine gute und den Interessen aller Bürger bestmöglich gerecht werdende Politik erkennen. ({12}) Wir wollen und müssen auch die Schulden des Bundes wieder zurückführen. Die Finanzplanung geht für das Jahr 1992 schon von über 20 Milliarden DM weniger Nettokreditaufnahme aus, und die richtige Politik zur Eingrenzung des Staatsanteils und einer verstärkten Motivation der Bürger durch Entbürokratisierung und Privatisierung wird fortgesetzt. Natürlich war das Haushalten der Vergangenheit, in der Zuwächse möglichst gerecht verteilt werden mußten, leichter als die jetzt notwendig gewordene Politik, bei der mit Blick auf die Erfordernisse im Dr. Wolfgang Weng ({13}) Osten in gewissem Maße Umverteilung stattfinden muß. Wir sehen ja schon an der Verhaltensweise der Gebietskörperschaften, wie sehr Länder und Gemeinden im Vorfeld neuer bundesweiter Finanzstrukturierung an die Klagemauer gehen, dies, meine Damen und Herren, obwohl die tatsächliche Finanzsituation in den meisten alten Bundesländern und bei einem Teil der Kommunen im Westen eher zum Jubeln als zum Klagen Anlaß gibt. Der Herr Bundeskanzler hat gestern verdeutlicht, welchen schweren Weg der neue SPD-Vorsitzende beschreitet, der einerseits Oppositionsführer ist - zwar nicht hier im Parlament, aber in den Augen der Öffentlichkeit gilt der SPD-Vorsitzende als Oppositionsführer - , der aber andererseits als Ministerpräsident Landes- und damit Partitialinteressen vertritt und der zusätzlich als Bundesratsmitglied in der Verantwortung ist, parteipolitische Destruktion des Bundesrates zu verhindern. Meine Damen und Herren, mein erneuter Appell an den Bundesrat: Lassen Sie die notwendigen Gesetze und auch diesen Bundeshaushalt 1991 schnellstens passieren, damit all die vielfältigen Hilfen gerade für die Menschen in den neuen Bundesländern umgehend einsetzen können. ({14}) Ich rufe von hier aus nochmals alle Bürger in unserem Land auf, in persönlichem Einsatz ({15}) nach der politischen Einheit und mit dem Start zur wirtschaftlichen Einheit, den wir im Haushalt darstellen, jetzt auch die menschliche Einheit in Deutschland herzustellen. Erst dann kann der unter Helmut Kohls und Hans-Dietrich Genschers Führung beschrittene Weg der Koalition zur deutschen Einheit als abschließend gelungen gelten. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion ist der festen Überzeugung, daß die Koalition mit diesem Haushalt 1991 auf dem richtigen Weg für unser Land und seine Menschen ist, aber auch, daß der künftigen internationalen Entwicklung hier richtig Rechnung getragen wird. Wir stimmen dem Haushalt in dritter Lesung zu und fordern die Bundesregierung damit auf, den Kurs einer soliden Politik öffentlichen Haushaltens fortzusetzen. Vielen Dank. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Johannes Nitsch das Wort.

Johannes Nitsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die Haushaltsdebatte nun in ruhigere Gewässer gekommen ist, sind sicherlich einige Fragen erlaubt. Hat diese Debatte außer einer Flut von Zahlen den Menschen in Ost und West etwas von der historischen Dimension des ersten Haushalts im vereinten Deutschland vermittelt? ({0}) - Ich frage ja. Das können Sie dann beantworten. Ist deutlich geworden, daß Politik und Gesellschaft die Teilung durch Teilen überwinden wollen, dazu an einem gemeinsamen Strang ziehen und vielleicht auch eine Zeitlang gemeinsam die Holzklasse benutzen, um ein Bild des Ministerpräsidenten Engholm von gestern aufzugreifen, das er nach meiner Meinung jedoch nicht so ausgemalt hat, wie es dienlich gewesen wäre, um den Sozialneid zu vermeiden? Geht von dieser Debatte die Zuversicht aus, die wir brauchen, um den Wiederaufbau psychologisch zu begleiten? Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich dazu zunächst aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitieren ({1}) - auch Frau Matthäus-Maier hat gestern daraus zitiert -: Mehr denn je wird der Bundeshaushalt in diesem Jahr zum Schicksalsbuch der Nation. Der erste Etat des vereinten Deutschland hätte einen guten Anlaß geboten, rethorisch an die Tradition früherer großer Haushaltsdebatten anzuknüpfen, ({2}) deren Polemik immer dann gedämpft wurde, wenn es um Soll und Haben, um Steuern und Staatsschulden, um Stabilität und Wachstum ging. Frau Matthäus-Maier, die nun seit vielen Jahren die Sache der Opposition vertritt, läßt solche Sachlichkeit schmerzlich vermissen. Sie hantiert bevorzugt mit Vokabeln wie „tricksen", „schummeln" und „mogeln" , mit der abgedroschenen „Steuerlüge" oder dem törichten Vorwurf, der Haushalt 1991 komme viel zu spät. Dazu vier Anmerkungen, die mir angebracht erscheinen: Erstens. Die Bürger in den alten Ländern haben gelernt oder sich einfach daran gewöhnt, mit dieser Art politisch-polemischer Disqualifikation umzugehen, oder sie haben sie auch nur zu ertragen gelernt. Die Bürger in den neuen Bundesländern jedoch nehmen solche Vokabeln sehr ernst und sind entsetzt, was in diesem Hause so gesprochen wird. ({3}) - Wenn Sie Ihre Privatdebatten beendet haben, möchte ich fortfahren. ({4}) - Ich finde mich damit nicht ab; das sage ich Ihnen. ({5}) Mit jeder dieser Beschimpfungen wird ihnen ein Stück Vertrauen und Hoffnung genommen, das aber gerade jetzt aufgebaut werden muß. Deshalb rufe ich meinen Mitbürgern in den neuen Bundesländern von hier aus zu: Es stimmt nicht, was die SozialdemokraJohannes Nitsch ten Ihnen glauben machen wollen. Der Haushaltsplan ist solide und von historischer Dimension. ({6}) Zweitens. Viele meiner Parteifreunde waren sich in ihren Beiträgen dieser früheren guten Tradition bewußt und sind ihr gefolgt. Insbesondere hat unser Bundeskanzler mit seiner gestrigen großen Rede diese Tradition bereichert. ({7}) Auch das zählt, nicht nur die Bilanz der Milliarden. Drittens. Von einer ganz anderen Tradition kündet die unsachliche Rede der Frau Matthäus-Maier mit ihrem verletzenden Vorwurf der Steuerlüge. Indem Frau Matthäus-Maier den Vorwurf der Lüge pflegt, erinnert sie uns an einen anderen Beitrag, den wir besonders im Osten Deutschlands sehr schmerzhaft empfunden haben. Das war der sozialdemokratische Satz, daß der Glaube an die Wiedervereinigung zur Lebenslüge westdeutscher Politiker verkommen sei. ({8}) Die Union in Deutschland darf stolz darauf sein, daß sie diesem Vorwurf standgehalten hat. Auch das steht im Schicksalsbuch unseres Volkes, ({9}) und zwar auf der Habenseite einer verantwortlichen Unionspolitik unter unserem Bundeskanzler. ({10}) Auf der Soll-Seite steht, daß die SPD von Frau Matthäus-Maier es in dieser Zeit vorzog, die SED zu hofieren. ({11}) Die Bilanz Ihrer Partei hat hier noch einen schwerwiegenden offenen Saldo, den sie ausgleichen muß. ({12}) Der Haushalt 1991 kommt nicht zu spät, schon allein deshalb nicht, weil er eine Folge der Vereinigung ist. Die Vereinigung hat tatsächlich lange gedauert. Sie kommt spät; aber sie ist endlich gekommen, und dies allein zählt. ({13}) Der erste gesamtdeutsche Haushalt kann nach intensiven Beratungen verabschiedet werden. Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten, besonders aber dem Bundeskanzler, für ihren Einsatz danken. ({14}) Für die schwierige Phase, die die Menschen in den neuen Bundesländern derzeit durchleben, ({15}) werden mit dem Bundeshaushalt 1991 deutliche Signale der Hoffnung und des Weiterkommens gesetzt. ({16}) - Sie müssen einmal herüberkommen, um festzustellen, daß der Gradient der Entwicklung doch positiv und nicht negativ ist. Es kommt doch auf den Gradienten an; wenn Sie wissen, was das ist. Nach 40 Jahren sozialistischer Mißwirtschaft sind gerade große Anstrengungen erforderlich, um das Ungleichgewicht der Lebensverhältnisse in Deutschland zu überwinden. Der Bundeshaushalt 1991 setzt dafür die richtigen Zeichen. Durch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost wird das Ausgabevolumen zwar auf 410 Milliarden DM steigen, die Mittel sind jedoch gut angelegt, da sie Investitionen, Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern nachhaltig fördern. Schwerpunkte sind die kommunalen Investitionen, regionale Wirtschaftsförderung, Umweltschutzmaßnahmen, Wohnungs- und Städtebau sowie die Investitionen in den Bereichen Verkehr, Post/Telekom und Hochschulen. Allerdings ist die Konjunktur in Deutschland gespalten: In Westdeutschland herrscht Hochkonjunktur ({17}) und im Osten noch Talfahrt. Daraus dürfen jedoch keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Zu schnell wird vergessen, daß es sich in den neuen Ländern um einen strukturellen Anpassungsprozeß von historisch einmaliger Dimension handelt. Bei diesem einzigartigen Umstellungsprozeß kann nicht sofort zur Tagesordnung übergegangen werden. Die jahrzehntelange Abschottung gegen jede internationale Konkurrenz, die Vernachlässigung der Infrastruktur und das Leben von der Substanz unserer Urgroßväter machen den Bankrott der sozialistischen Planwirtschaft nun unter Wettbewerbsbedingungen drastisch deutlich. Das hat unübersehbare Konsequenzen für alle Zweige der Wirtschaft. Die Bundesregierung hat in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 1991 jedoch ausführlich dokumentiert, wie die Strukturanpassung bewältigt werden kann. Wir verfügen über eine zusammenhängende wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Strategie. ({18}) Die Privatisierung der ehemals staatlichen Betriebe muß zügiger vorangetrieben werden. Bis jetzt sind bereits fast 2 000 gewerbliche Unternehmen veräußert worden. Dadurch sind mindestens 400 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen in Höhe von 60 Milliarden DM zugesagt. Monatlich werden zur Zeit weitere 300 Unternehmen privatisiert. Nach den ersten Anlaufschwierigkeiten hat die Treuhand jetzt voll Tritt gefaßt und arbeitet in der richtigen Richtung. Die Arbeitsmarktzahlen von gestern zeigen deutlich, wie wirksam ihre Arbeit ist. Der Verwaltungsaufbau in den Gemeinden, Städten und Landkreisen muß vehement beschleunigt werden. Jedoch wird noch eine große Zahl erfahrener Verwaltungsfachleute benötigt, um uns bei der Bewältigung der Genehmigungsarbeit, die sehr nachhinkt, zu helfen. Im Bundeshaushalt 1991 sind zusätzliche Anreize wie Personalkostenzuschüsse zur Entsendung von Beamten und Angestellten geschaffen worden. Qualifizierte und motivierte Verwaltungsfachleute können beim Verwaltungsaufbau helfen. Besonderes Augenmerk gilt dem Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der Qualifizierung und Weiterbildung. Die soziale Sicherheit ist Grundvoraussetzung für den sozialen Frieden. Deshalb sind im Bereich der Arbeitslosenhilfe, der Qualifizierungsmaßnahmen, der Fortbildung, der Umschulung, des Vorruhestands insgesamt 20 Milliarden DM für die neuen Länder vorgesehen. Arbeit gibt es in den neuen Ländern genug; sie muß organisiert werden. Die Infrastruktur muß neu aufgebaut und modernisiert werden. Allein 1991 stehen für öffentliche Investitionen 50 Milliarden DM zur Verfügung. So verzeichnet z. B. die Bauwirtschaft im Mai einen Auftragseingang von 48 %. Die Investitionspauschale für kommunale Investitionen in Höhe von 5 Milliarden DM für 1991 beginnt zu greifen. Noch 1991 werden rund 500 000 neue Telefonanschlüsse gelegt. Bis 1997 werden allein durch die Post 55 Milliarden DM in den Aufbau des Kommunikationsnetzes investiert. Wer wie ich aus einem der neuen Bundesländer kommt, merkt, daß es beim Telefonieren nun langsam besser wird, obwohl das Westniveau noch längst nicht erreicht ist. Für die Verkehrsinfrastruktur werden 17 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 56 Milliarden DM in Angriff genommen. Die westdeutsche Industrie wird sich mit ca. 35 Milliarden DM im Investitionsbereich betätigen. Handel, Banken und Dienstleistungen bauen flächendeckend Zweigstellen auf. Der Wiederaufbau in den neuen Bundesländern wird in allen entscheidenden wirtschaftlichen und sozialen Bereichen durch ausreichende öffentliche und private Finanzierungsmittel gestützt. Wir nehmen uns vor, beim Vollzug dieses Haushalts aufzupassen, daß dieser gewaltige Aufwand sinnvoll genutzt wird. Erlauben Sie mir einen Hinweis auf das Beispiel der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Sie sind nach aller Erkenntnis innerhalb eines Jahres bereits so weit abgeschmolzen, daß ein weiterer Rückgang nicht mehr hingenommen werden kann. Hier warnt uns die Wirtschaft zu Recht vor den Folgen. Die Rückgewinnung dieser Kapazitäten wäre zu teuer, zu langwierig und für unsere weitere Entwicklung hemmend. ({19}) Es ist deshalb richtig und wahrscheinlich die einzige erfolgversprechende Methode, daß wir im Vollzug des Haushalts in den neuen Bundesländern zu besonderen Mitteln greifen. Ausdrücklich begrüße ich hier die beispielhafte Absicht der Bundesregierung, die sie mit dem Beschleunigungsgesetz und insbesondere dem Maßnahmengesetz im Verkehrsressort hat. Diesen Weg wollen wir aus zwei Gründen unterstützen. Wir müssen Zeit sparen. Wenn wir Zeit sparen, sparen wir Geld und Steuermittel, die wir woanders besser einsetzen können. ({20}) Wir können das Filigranwerk der Genehmigungsverfahren einer hochtechnologischen Industriekultur nicht ohne weiteres auf die östliche Region übertragen, in der alles verrottet und verrostet ist. Dort brauchen wir besondere Bedingungen. Dieser Wiedervereinigungshaushalt bietet dafür die besten Chancen. Nutzen wir sie! Ich danke Ihnen. ({21})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Rudi Walther das Wort. ({0})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nitsch, zu Beginn möchte ich meiner und unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß Sie mit den 139 anderen Abgeordneten aus den neuen Bundesländern zum erstenmal an einer Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestags teilnehmen können. ({0}) Sie haben mit nachdenklichen Fragen begonnen. Ich habe gedacht: Donnerwetter, jetzt mußt du deinen Einstieg ganz umschreiben. Aber dann sind Sie leider in all das verfallen, was wir hier schon die ganzen Tage gehört haben. Zum Einstieg möchte ich dort anfangen, wo der Kollege Esters am Dienstag aufgehört hat. ({1}) Er hat uns darüber aufgeklärt, daß es hier im Parlament Abgeordnete zu Pferde und Abgeordnete zu Fuß gebe. ({2}) Das Protokoll verzeichnet: „Lebhafter Beifall" .

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Walther, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Parteifreunds, des Abgeordneten Esters?

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Da ich mich auf ihn berufen habe, muß ich sie ihm gestatten. ({0})

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Walther, da Sie offensichtlich intensive Nachforschungen über den Teil der Reiterei angestellt haben, den ich genannt habe, frage ich: Sind Sie dabei darauf gestoßen, wohin das Pferd unseres früheren Kollegen Hans Apel abhanden gekommen ist? ({0})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Esters, ich vermute, daß es sich dabei um ein Dienstpferd des Bundesfinanzministers handelt und daß dieses Pferd jetzt im Stall von Theo Waigel steht. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, nämlich des Abgeordneten Klein? ({0})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Walther, nur zur Präzisierung: Ich darf doch unterstellen, daß der Kollege Esters das Pferd gemeint hat, das den Kollegen Apel seinerzeit getreten hat? ({0})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber, lieber Herr Vizepräsident, dieses Pferd hat sich so an das Treten gewöhnt, daß der Theo Waigel auch schon einen Schlag abbekommen hat. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Walther, ich habe eine Frage, die mir schon länger unter den Nägeln brennt. Ich halte mir vor Augen, daß Sie einerseits, wie jetzt begonnen, als Oppositionsabgeordneter immer antreten und die Politik der Regierung kritisieren, daß Sie auch den Haushalt ablehnen, daß Sie auf der anderen Seite aber in diesem Land und auch in anderen Ländern von den Bürgern als Vorsitzender des Ausschusses für den guten Haushalt immer gelobt werden und dies natürlich auch gern entgegennehmen. Das ist so eine Doppelrolle, die so ähnlich ist, als wenn man gleichzeitig auf zwei Pferden reitet. ({0}) Zerreißt Ihnen diese Doppelrolle nicht manchmal das Herz? ({1})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Weng, das kann man natürlich nur dann, wenn die eigene Fraktion einen für diese Rolle als besonders geeignet ansieht, und das ehrt mich. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine weitere Zwischenfrage von Herrn Kriedner.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Debatte reizt zu weiteren Fragen. Herr Kollege Walther, es gibt, wie Kollege Esters festgestellt hat, Abgeordnete zu Pferde und zu Fuß. Sind Sie mit mir der Meinung, daß man wesentlich mehr Dienstpferde für Abgeordnete anschaffen sollte, weil Pferde besonders wertvollen Abfall absondern, der unter dem Namen „Pferdeäpfel" bekannt ist und als Düngergut geeignet ist?

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, wir werden bei der Frau Präsidentin anfangen und einmal ein Pilotprojekt durchführen. ({0}) Am besten, denke ich, werden wir ihr dafür einen weißen Rappen zur Verfügung stellen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Austermann?

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann ist es aber gut.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Walther, ich habe ein Problem ({0}) - ich habe nur eins -, und zwar bin ich gestern informiert worden, daß der Ausspruch „Ein Königreich für ein Pferd" nicht aus der klassischen Literatur stammen soll, sondern gestern vom Kollegen Vogel ausgesprochen worden sein soll, als er die Rede von Herrn Engholm gehört hat. ({1})

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich diesen Zusammenhang, Kollege Austermann, hier vorne auf die Schnelle nicht herstellen kann, fällt es mir besonders schwer, auf diese Frage zu antworten, obwohl, wie Sie wissen, ich das sonst sehr gern tue. ({0}) - Ja gut. Wir überweisen diese Frage an den Haushaltsausschuß und mitberatend an den Verteidigungsausschuß. ({1}) Meine Damen und Herren, ich hätte nun gerne noch etwas zum Pferdethema gesagt, aber das ist nun ausgereizt. Ich möchte gern noch ein paar allgemeine Bemerkungen machen, auch, Herr Kollege Dr. Weng, um Ihrer Frage gerecht zu werden. Hinter uns liegen Wochen, die für alle Mitglieder des Ausschusses ein Höchstmaß an Arbeit bereitgehalten hatten. Wir hatten nämlich innerhalb eines sehr knapp bemessenen Zeitrahmens, was nicht zu beanstanden ist - denn der Kalender ist eben so, wie er ist - , nicht nur den ersten gesamtdeutschen Haushalt zu beraten, sondern zugleich auch das Haushaltsbegleitgesetz, das sogenannte Solidaritätsgesetz, das Steueränderungsgesetz und weitere Gesetze im Zusammenhang mit dem Haushalt 1991 zu beraten. Der Schwerpunkt unserer Beratungen - das hat diese Woche gezeigt - lag auf den gegenwärtig alles entscheidenden Fragen, nämlich wie wir die großen Herausforderungen, die mit dem Prozeß der deutschen Vereinigung verbunden sind, bewältigen können und wie wir den Problemen und Sorgen gerecht werden, die vor allem die Menschen in den neuen Ländern bedrängen. Mit der Routine der vergangenen Jahre war dies nicht zu leisten. Allen Mitgliedern des Ausschusses war bewußt, daß auf den eingefahrenen Gleisen, die unsere bisherigen Haushaltsverfahren bestimmt haben, Lösungen nicht zu erreichen waren. Wir haben uns deshalb zum einen bemüht, die Beratungen auf die neuen Fragestellungen zu konzentrieren - das hat die Debatte dieser Woche auch gezeigt -, zum anderen uns aber auch der Aufgabe gestellt, den Regierungsentwurf in gewohnter Weise penibel - wenn man so will: erbsenzählerisch - zu durchforsten und zu beraten. Daß beides möglich war, ist vor allem den Obleuten zu verdanken, denen ich auch an dieser Stelle herzlichen Dank für die Zusammenarbeit sage. ({2}) Ich sage auch herzlichen Dank allen Berichterstatterinnen und Berichterstattern. - Den Begriff „Berichterstatterinnen" möchte ich nicht verwenden, da man das „I" nicht aussprechen kann, Herr Kollege Vogel, ({3}) - Das ist Beschlußlage. Darüber hinaus haben alle Mitglieder des Ausschusses als Berichterstatterinnen und Berichterstatter zu den jeweiligen Einzelplänen die Beratungen sorgfältig, gründlich und mit hohem Sachverstand vorbereitet. Die Ausschußarbeit ist hierdurch von vielem unnötigen Ballast befreit worden, so daß die Beratungen straff und auf die wesentlichen Aspekte konzentriert geführt werden konnten. Dabei hat uns auch geholfen, daß in diesem Jahr einige Kolleginnen und Kollegen nicht mehr bei uns sein durften, die früher dazu beigetragen haben, daß die Debatten ausführlicher waren. ({4}) Für diese gute Vorbereitung sage ich allen Ausschußmitgliedern herzlichen Dank. Besonders erwähnen möchte ich die zahlreichen neuen Mitglieder des Ausschusses, vor allem auch die neuen aus den neuen Bundesländern, die sich, wie ich meine, erstaunlich schnell bei uns eingearbeitet haben. ({5}) In diesen Dank, meine Damen und Herren, schließe ich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien, insonderheit, Herr Bundesfinanzminister, Ihres Hauses, und vor allem des Ausschußsekretariats ein, ({6}) die in aufopferungsvoller Arbeit und bisweilen unter Außerachtlassung aller Arbeitszeitvorschriften mit dazu beigetragen haben, daß wir heute den Haushalt abschließend beraten können. Mein Dank geht auch an den Bundesrechnungshof, der uns in gewohnter Weise qualitativ sehr gut und sehr ernsthaft beraten hat. ({7}) Daß mein Dank an die Mitglieder des Ausschusses heute umfänglicher als in den Vorjahren ausfällt, hat seinen guten Grund, denn sie mußten diejenigen Hausaufgaben nachholen, die zu erledigen die Bundesregierung versäumt hatte. Damit komme ich zu dem Teil meiner Ausführungen, die ich hier für meine Fraktion machen darf. ({8}) - Es muß natürlich nicht sein, Herr Bundesfinanzminister. Aber wenn schon einmal ein Abgeordneter zu Fuß hier ausnahmsweise das Rednerpult betreten darf, dann lassen Sie ihn ruhig einmal ausreden. ({9}) Die Bundesregierung hat uns erstens zugemutet, einen Haushaltsentwurf beraten zu müssen, der schon bei seiner Vorlage weitgehend Makulatur war. So waren in dem uns im März vorgelegten Entwurf die Steuererhöhungen nicht berücksichtigt, obwohl diese bereits damals beschlossene Sache waren. Die Verheimlichung des Steuerschwindels war dieser Bundesregierung wichtiger als ein ordnungsgemäßes Haushaltsverfahren. ({10}) Die Quittung für die Mißachtung des Satzes, daß Lügen bekanntlich ganz kurze Beine haben, haben Sie ja postwendend bekommen. ({11}) Die Bundesregierung hat uns zweitens zugemutet, den Haushalt 1991 mit einer erheblichen Verspätung zu beraten, die ihren Grund letztlich ebenfalls darin hat, daß sich die Koalition vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr davor gescheut hat, zuzugeben, daß Oskar Lafontaine mit seinen Diagnosen und Prognosen recht hatte. Kollege Klaus Rose, wenn Sie wie andere Redner immer wieder darauf abheben, daran seien wir schuld, weil wir einem früheren Wahltermin nicht zugestimmt hätten, dann ist das, wie Sie und ich genau wissen, eine vorgeschobene Behauptung. Wenn einem nichts Besseres einfällt, sagt man so etwas eben. ({12}) Wir Sozialdemokraten hätten - das merke ich ausdrücklich an - die Verschiebung der Haushaltsberatungen auf dieses Jahr akzeptiert, wenn zugetroffen hätte, was die Bundesregierung immer wieder als Grund angeführt hat, nämlich daß die Erstellung des ersten gesamtdeutschen Haushalts Zeit brauche, um der neuen Situation nach der Einigung gerecht zu werden. Wir haben Ihnen dieses Argument schon im Herbst 1990 nicht abnehmen können - wie sich herausgestellt hat: mit Recht -; denn die Bundesregierung hatte uns drittens einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der in seinen grundlegenden Strukturen in keiner Weise den neuen Herausforderungen nach der Wiedervereinigung angepaßt war. Der Haushalt 1991 hält vielmehr an den überkommenen westdeutschen Haushaltsstrukturen fest. Er ergänzt diese zwar hier und da um sogenannte einigungsbedingte Ausgaben, läßt aber das versprochene neue Konzept kaum erkennen, im Gegenteil: Die Lektüre mancher Einzelpläne vermittelt den Eindruck, die deutsche Einigung habe noch gar nicht stattgefunden. ({13}) Ich nenne als Beispiel - den Berichterstattern über den Forschungshaushalt sei dafür Dank, daß sie dies gemerkt und geändert haben - den Haushalt des Ministers für Forschung und Technologie. Dieser hatte die gesamte Forschungslandschaft der neuen Länder nämlich schlichtweg vergessen. Nur den Bemühungen des Haushaltsausschusses, insonderheit der Berichterstatter, sind Nachbesserungen in letzter Minute zu verdanken, indem auf die Initiative der Kollegen zum Einzelplan 30 in einem fraktionsübergreifenden Konsens sichergestellt worden ist, daß nunmehr für Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern Projektmittel in Höhe von rund 600 Millionen DM verfügbar sind. Ich sage noch einmal: Das haben die Berichterstatter Gott sei Dank gemerkt, und sie haben für eine Änderung gesorgt. ({14}) Wie gesagt, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hatte die von der Bundesregierung versäumten Hausaufgaben nachzuholen. Große Unterstützung hat der Haushaltsausschuß von seiten der Regierung nicht immer erfahren. Dies gilt namentlich für den Bundesverkehrsminister Professor Dr. Krause, der weder an der Beratung der Sachtitel seines Einzelplans teilgenommen hat noch es für wert befunden hat, zur Beratung seines Personalhaushalts zu erscheinen. ({15}) Er hat - was nicht zu beanstanden ist - seinen qualifizierten Haushaltsreferenten geschickt ({16}) und hat sich erst dann zu uns bequemt, nachdem wir ihn ausdrücklich nach Art. 43 des Grundgesetzes in den Ausschuß zitiert hatten. ({17}) - Er kommt jetzt gerade, wie auf Befehl. - So, Herr Krause, wie Sie sich verhalten haben, verfährt man nicht mit einem deutschen Parlament. ({18}) Herr Krause, der im übrigen die zentralen Mängel des Einigungsvertrages für die damalige DDR entscheidend mit zu verantworten hat, ({19}) wird bald umlernen ({20}) und seine, wie ich glaube, Blockparteienmentalität endlich aufgeben müssen, ({21}) eine Mentalität, die sich auch durch die Art, wie er rechtsstaatliche Grundsätze bei wichtigen Gesetzesvorhaben zu mißachten scheint, und durch den brutalen Rausschmiß bewährter Beamter dokumentiert. ({22}) Abgesehen hiervon haben die von der Bundesregierung zu verantwortenden drei Geburtsfehler des Haushalts, nämlich seine Unvollständigkeit, seine verspätete Vorlage und seine verfehlten Strukturen, eine erfolgreiche Nachbesserung in allen Bereichen von vornherein sehr behindert. So hat erstens die späte Vorlage dazu geführt, daß im Vorgriff auf den noch nicht verabschiedeten Haushalt bereits Ausgaben in beträchtlichem Umfang getätigt worden sind, die weder rückgängig zu machen noch auf eine andere Art und Weise vom Parlament zu beeinflussen waren. Diese Politik der Bundesregierung, nämlich das Parlament vor vollendete und damit nicht mehr revidierbare Tatsachen zu stellen, hat zweitens in fataler Weise die parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten eingeengt und uns weitgehend die Möglichkeit genommen, dem Haushalt durch Umschichtun2236 gen doch noch diejenigen Strukturen zu geben, die nach der Einigung sachgerecht gewesen wären. ({23}) Drittens, meine Damen und Herren - hiermit zusammenhängend -, hat die verspätete Vorlage zu einer unerträglichen Beeinträchtigung des parlamentarischen Budget- und Kontrollrechts geführt. ({24}) Ein besonders eklatantes Beispiel hierfür bieten die deutschen Beiträge im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt, die ohne jede parlamentarische Beteiligung, ohne jede Information des Bundestages und ohne jede sorgfältige Kalkulation von der Bundesregierung zugesagt und bereitgestellt worden sind. ({25}) Ich kritisiere ausdrücklich nicht, daß sich die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit den Kosten der Auseinandersetzung am Golf engagiert hat. Insbesondere kritisiere ich nicht, daß sie humanitäre Hilfen geleistet hat. Aber ich halte die Art und Weise, wie die Bundesregierung hierbei mit dem Parlament verfahren ist, für empörend, ({26}) weil Geist und Buchstaben der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes sowie der einschlägigen Vorschriften der Haushaltsordnung gerade bei der vorläufigen Haushaltsführung verlangt hätten, daß die Bundesregierung den Bundestag über Umfang und Notwendigkeit der Ausgaben vorher eingehend unterrichtet hätte. ({27}) Nichts dergleichen ist geschehen. Nach wie vor harren wir vergeblich der seit Wochen angeforderten Vorlagen, die uns wenigstens nachträglich über die Kostenberechnungen detailliert informieren. Mit einem geordneten Haushaltsverfahren hat all dies nichts mehr gemein. Ich wundere mich manchmal schon, daß sich die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß widerspruchslos in die Rolle drängen lassen, bloß vorgreifende Entscheidungen der Bundesregierung nachträglich haushaltsmäßig absegnen zu dürfen. ({28}) Meine Damen und Herren, ich würde diese Geburtsfehler des Haushalts nicht anprangern, wenn sie sich nicht in verheerender Weise auf die Startchancen der neuen Länder und auf das Gelingen unseres Einigungsprozesse auswirken könnten. ({29}) Ich meine damit nicht nur die haushaltspolitische Dimension. Der Schaden, der dadurch angerichtet worden ist, daß die Menschen in den neuen Ländern den Eindruck gewinnen mußten, für den Golf-Krieg seien Steuererhöhungen sachgerecht, nicht aber für sie, wird kaum wiedergutzumachen sein. ({30}) Den neuen Ländern wird auch nicht entgehen, daß die weiteren Geburtsfehler dieses Haushalts, nämlich seine verspätete Vorlage und seine verfehlten Strukturen, ihren Interessen in sträflicher Weise schaden, die verspätete Vorlage deshalb, weil Grund zu der Annahme besteht, daß bereitgestellte Mittel in der verbleibenden kurzen Zeitspanne bis zum Jahresende schon aus verwaltungstechnischen Gründen nicht in vollem Umfang in die neuen Länder abfließen können, die Haushaltsstrukturen deshalb, weil das Prinzip „Teilung durch Teilen überwinden" durchgängig nicht verwirklicht ist und dort, wo es, wie im Bereich des Straßen- und des Wohnungsbaus, ansatzweise vorgesehen war, durch Beschlüsse der Koalitionsfraktionen verwässert wurde. In diesen Tagen ist hier von seiten der Koalition das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost sehr gelobt worden. ({31}) - Ich habe das Werk als solches nicht erheblich zu kritisieren. Allerdings ändert das an dem, was ich gesagt habe, nicht viel, da es, wie Sie wissen, im Regierungsentwurf noch nicht enthalten war und erst nachträglich in das laufende Haushaltsverfahren eingeführt worden ist. Trotz seines bombastischen Namens wird das Gemeinschaftswerk die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den neuen Ländern nicht verhindern. Das Gemeinschaftswerk ist ein erster Schritt in die richtige Richtung - das wird akzeptiert -, ({32}) es vermag aber nicht zu überdecken, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien nicht über ein geschlossenes Konzept verfügen, die gravierenden strukturellen Probleme in den neuen Ländern auf Dauer zu lösen. Erstens ist das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost nämlich ein Konglomerat aus unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen investiver, strukturpolitischer und sozialer Zielsetzungen, die eine in sich geschlossene Gesamtkonzeption nicht erkennen lassen. ({33}) Zweitens ist es das späte Eingeständnis, daß in den Einzelplänen keine Vorkehrungen zur Lösung der Probleme der neuen Länder getroffen worden sind; denn wäre dies geschehen, so wäre das Gemeinschaftswerk überflüssig gewesen. Drittens ist es zu spät vorgelegt worden und teilt deshalb mit dem Haushalt den grundlegenden Mangel, daß die Hilfen, so gut sie gemeint sind, in diesem Jahr nicht mehr in dem vorgestellten Umfang wirksam werden können, weil insbesondere die für investive Maßnahmen bereitgestellten Mittel innerhalb des knappen Zeitraums bis zum Jahresende wahrscheinlich nicht abgerufen werden können. ({34}) Viertens ist das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost in seinen sozialpolitischen Komponenten viel zu knapp ausgestattet, um einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der sich abzeichnenden Massenarbeitslosigkeit in den neuen Ländern zu leisten. ({35}) - Natürlich ist das Sozialpolitik. Das bestreite ich ja gar nicht. Nur sage ich: Es wird nicht ausreichen. Rein rechnerisch reichen die Mittel des Gemeinschaftswerks für 150 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Auch unter Berücksichtigung anderweitig bereitgestellter Mittel der Bundesanstalt für Arbeit ist dies allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, ({36}) weil wir schon heute in den neuen Ländern eine Arbeitslosigkeit - wenn wir die Kurzarbeit mit Null einrechnen - von mindestens 2,5 Millionen haben. Jedermann weiß, daß sich die Situation im Laufe der nächsten Wochen schon deshalb dramatisch verschärfen wird, weil am 30. Juni für viele weitere Betriebe das Aus kommen wird, und daß zudem die Warteschleife endet und hunderttausende früherer Mitarbeiter der DDR-Verwaltungen das Heer der Arbeitslosen vergrößern werden. Wir werden noch in diesem Jahr erleben, daß sich in den neuen Ländern die Zahl der Arbeitslosen auf rund 4 Millionen einpendeln wird. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern die Prognose des Mannes, der es eigentlich am besten wissen müßte. Der Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm hat diese Zahlen im „Handelsblatt" am 11. Februar 1991 selber so dargestellt. Ich zitiere nur ihn. Ich nehme den Mitgliedern der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen nicht übel, daß sie nicht jeden Artikel von Norbert Blüm lesen, wohl aber, daß sie seine Diagnosen ignorieren und über kein Konzept verfügen, um die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den neuen Ländern aufzuhalten, ({37}) und suggerieren, mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost allein sei der Stein der Weisen gefunden. Aber täuschen Sie sich bitte nicht. Das Gemeinschaftswerk hat lediglich eine Laufzeit von zwei Jahren und verschafft - so wie mein Freund Helmut Wieczorek richtig gesagt hat - der Bundesregierung allenfalls eine kurze Atempause, gibt aber den neuen Ländern nicht die Perspektive einer mittelfristigen, kontinuierlichen, soliden Finanzierung. Im Gegenteil, da auch ihre Einnahmen aus dem Fonds Deutsche Einheit in den kommenden Jahren zurückgehen werden und die neuen Länder nicht über ausreichende Steuereinnahmen verfügen, kann sich jeder die verhängnisvolle Spirale ausmalen, in die sie hineingeraten: die Länder werden sich hoch verschulden, ihre Kredite für die laufenden Personal- und Verwaltungskosten verwenden müssen und kaum Mittel in den Aufbau der Infrastruktur stecken können. Damit fehlen entscheidende Voraussetzungen und Impulse für einen dauerhaft wirkenden wirtschaftlichen Aufschwung. Ihn erreichen wir nicht, wie diese Bundesregierung meint, durch Tatenarmut und durch das Vertrauen auf die Therapiekonzepte der Treuhandanstalt. Wir erreichen ihn auch nicht durch hektisch zusammengebastelte Programme eines Gemeinschaftswerks, auch nicht durch gesetzgeberische Schnellschüsse, die wie das sogenannte Hemmnisbeseitigungsgesetz an den Problemen vorbeizielen. Erforderlich ist vielmehr ein Gesamtkonzept, das meine Fraktion mit dem Nationalen Aufbauplan für die neuen Länder vorgelegt hat, und das die Eckpfeiler für den industriellen Umbau, für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und die Behebung der ökonomischen und ökologischen Altlasten enthält. Wenn Sie sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, schon nicht dazu entschließen können, einem solchen Gesamtkonzept zuzustimmen, und statt dessen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen, so müßten Sie doch wenigstens einsehen, daß für eine Übergangszeit die neuen Länder einer stärkeren Hilfe des Bundes durch eine Politik des Teilens bedürfen, als Sie dies bislang wahrhaben wollten. Statt dessen sehen Sie tatenlos zu, wie in den neuen Ländern auch solche Einrichtungen - wie dies auf neudeutsch und zynisch heißt - „abgewickelt" werden müssen, für deren Erhalt zu kämpfen sich lohnen würde. Ich greife als ein Beispiel die Tagesbetreuungsstätten für Kinder heraus, die in dieser Woche in der Debatte zu dem entsprechenden Einzelplan dieser Woche eine Rolle gespielt haben. Es ist richtig, daß sich der Bund im Einigungsvertrag verpflichtet hat, sie nur bis zum 30. Juni 1991 zu fördern, und für die Zeit danach aus dieser Verpflichtung rechtlich gesehen entlassen ist. Aber was rechtlich in Ordnung sein mag, muß noch lange nicht unter sozialen und politischen Aspekten richtig sein. ({38}) Ich halte es für einen gravierenden Fehler, die Chancen zu verspielen, solche und ähnliche Einrichtungen, gegebenenfalls auch mit veränderten Strukturen, zu erhalten. (Beifall bei der SPD] Aber hierzu ist zumindest für eine Übergangszeit die Hilfe des Bundes nötig, weil die neuen Länder auf Grund ihrer knappen Finanzausstattung aus eigener Kraft hierzu nicht in der Lage sind. Die Koalition aber sperrt sich, diese Übergangshilfen des Bundes zu geben, und zwar mit dem stereotypen Hinweis, der Bund sei nicht zuständig. Dieses Argument, Kollege Wieczorek, haben wir in fast jeder Sitzung des Haushaltsausschusses gehört, sei es bei der Förderung sozialer Einrichtungen, sei es bei der Sportförderung, sei es bei kulturellen Angelegenheiten usw. Formaljuristisch ist diese Argumentation richtig. Aber sie ist doch unpolitisch, weil, wie Sie genau wissen, der Bund sich um seine Verantwortung drückt, sie den neuen Ländern zuschiebt, sie mit den Problemen allein und ihnen damit keine andere Wahl läßt als die sogenannte Abwicklung. Die sozial-psychischen Auswirkungen dieser Politik sind katastrophal. Ich brauche Ihnen nicht auszumalen, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die „abgewickelt" werden, und was die Mütter und Väter bewegt, die hautnah erleben, daß ihre Kindertagesstätten geschlossen werden. Ich habe dieses Beispiel gewählt, meine Damen und Herren, um Ihnen zu demonstrieren, daß wir weit entfernt sind von dem Prinzip, Teilung durch Teilen zu überwinden. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, werden einwenden, die Möglichkeiten des Haushalts, noch mehr Solidarität zu zeigen, seien ausgereizt. ({39}) Aber Sie wissen genau, daß dies nicht richtig ist. Die Möglichkeiten, an anderer Stelle des Haushalts zu sparen, bestehen und sind nicht genutzt worden. Das hängt auch damit zusammen, daß der Entwurf des Haushalts unzulänglich vorbereitet wurde, daß die Einzelpläne nicht auf entbehrliche Ausgaben hin abgeklopft worden sind, sondern so fortgeschrieben wurden, als hätte es den 3. Oktober 1990 nicht gegeben. Sie haben sich nicht einmal der Mühe unterzogen, Ihre eigenen Zielvorgaben zu erreichen, die Sie im sogenannten Eckwertebeschluß vom November letzten Jahres festgelegt haben. Damals war die Rede davon - Klaus Rose hat es heute hier wiederholt -, daß mindestens 35 Milliarden DM eingespart werden können. Dieses Ziel, meine Damen und Herren, ist im Haushalt 1991 nicht einmal annähernd erreicht, ({40}) weil die notwendige Durchforstung des bisherigen Bundeshaushalts und die Anpassung der Einzelpläne nicht stattgefunden haben. Das Ziel der 35-Milliarden-DM-Marke haben Sie auch nicht über Einsparungen zu realisieren versucht, sondern im wesentlichen durch zusätzliche Einnahmen, nämlich durch das Sonderopfer der Beitragszahler zur Bundesanstalt für Arbeit, ({41}) das mit 18,3 Milliarden DM zu Buche schlägt und jeden Arbeitnehmer mit rund 26 DM im Monat belastet, durch eine Vorauszahlung der Deutschen Bundespost/Telekom in Höhe von 2 Milliarden DM, die die dringend durchzuführenden Investitionen der Telekom behindern wird und die letztlich die Telefonkunden durch höhere Tarife zu bezahlen haben. All dies, meine Damen und Herren, ist Ausdruck eines hektischen Zusammenkratzens, nicht Ausdruck einer Gesamtkonzeption. ({42}) Eine solche hätte vielmehr verlangt, alle Positionen auf der Ausgabenseite zu überprüfen. Hierbei hätte sich sehr schnell herausgestellt, daß mit dem spitzen Stift zu rechnen sich lohnt. So bietet der Verteidigungsetat, der - zugegebenermaßen - auch von der Koalition auf den Prüfstand gestellt wurde, weitere erhebliche Einsparungsmöglichkeiten; denn die Entwicklungen, über die wir in dieser Woche hier geredet haben, würden es jetzt ermöglichen, auf den Jäger 90 endlich zu verzichten, ({43}) würden es uns ermöglichen, die Entwicklung und Beschaffung von Großwaffensystemen zumindest für eine Reihe von Jahren zurückzustellen, ({44}) die Mittel für die Kriegsreserve bei der Munitionsbevorratung weiter zurückzufahren ({45}) und die Mittel für Wehrforschung und wehrtechnische Entwicklung zu reduzieren. ({46}) Wir Sozialdemokraten haben hierzu klare Vorschläge unterbreitet. Sparen an dieser Stelle wäre die richtige Konsequenz aus den tiefgreifenden Veränderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik gewesen. Daß die Koalition diese Chance nicht nutzt, vielmehr einer wahnsinnig teuren mobilen Einsatztruppe der NATO zugestimmt hat, ({47}) ist ein Beleg für Ihr vorsätzliches oder fahrlässiges Unterlassen, den Haushalt neu zu strukturieren und den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. ({48}) Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, setzt den Weg in die Verschuldung unbesehen fort. Ich kann beim besten Willen den Stolz der Koalition - auch in dieser Woche hier vorgetragen - nicht teilen, ({49}) daß die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr „nur" 67 Milliarden DM beträgt. ({50}) Es sind riesige Schuldenberge, die Sie da auftürmen und deren wahres Ausmaß dadurch verschleiert wird, daß weitere Milliardenschulden in Schattenhaushalten und damit vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt werden. ({51}) Ich erinnere nur an die immensen Schulden des Fonds Deutsche Einheit, der bis 1994 Kredite in Höhe von 95 Milliarden DM aufnehmen wird. Ich erinnere an den Kreditabwicklungsfonds mit Verbindlichkeiten von mindestens 52 Milliarden DM, die sich - so genau weiß das kein Mensch - auch noch leicht verdoppeln können, an die Treuhandanstalt, die schon jetzt 28 Milliarden DM Schulden gemacht hat und ihren diesjährigen Kreditrahmen schon fast vollständig ausgeschöpft hat, an die Reichs- und die Bundesbahn, deren Schulden sich auf mehr als 39 Milliarden DM - mit zunehmender Tendenz - summieren, und an die Bundespost, deren Gesamtverschuldung sich derzeit auf 70 Milliarden DM beläuft. Diese Schuldenberge werden noch unsere Kinder und Enkel belasten und unsere zukünftigen Gestaltungsspielräume empfindlich beeinträchtigen, weil uns Zins und Zinseszins erdrücken können. Bereits 1992 werden wir aus dem Bundeshaushalt die riesige Summe von mehr als 42 Milliarden DM an Zinsen zahlen müssen. Zur Verdeutlichung: Dieser Betrag ist viermal so hoch wie der gesamte Haushalt 1991 des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Diese fatale Entwicklung hat die Bundesregierung zu verantworten, weil sie eineinhalb Jahre nach Öffnung der Mauer immer noch in den überkommenen Haushaltsstrukturen denkt und über kein Konzept der Einigung und Umschichtung verfügt. ({52}) Der Ausweg, den diese Bundesregierung eingeschlagen hat und den sie weitergehen will, besteht in der Erhöhung vieler Steuern und Abgaben. Diese Politik hat verheerende Auswirkungen auf das neue Miteinander in der neuen Bundesrepublik. Ich sage dies, obwohl Geld zwar eine entscheidende, aber doch nicht die alleinige Voraussetzung für das Gelingen des Einigungsprozesses ist. Hierzu ist mehr erforderlich, nämlich die Bereitschaft, die Probleme gemeinsam und in sozial verträglicher Form anzugehen. Genau hierfür sind wir durch die Politik dieser Bundesregierung nicht gerüstet. Im Gegenteil, noch in diesem Jahr werden wir auf der einen Seite die massive Enttäuschung der von Massenarbeitslosigkeit betroffenen Menschen erleben, die sich ihrer beruflichen Perspektiven beraubt fühlen, und auf der anderen Seite werden wir die Verdrossenheit der Menschen erfahren, die sich durch die Wahlversprechen dieser Bundesregierung getäuscht sehen und die die Kosten der deutschen Einheit, die angeblich zum Nulltarif zu haben war, in ihren Geldbörsen spüren. Diese von der Bundesregierung mit zu verantwortende Situation wird zu neuen sozialen Konflikten führen, die Herzen verhärten und die Hoffnungen beeinträchtigen, die wir in die vor uns liegende gemeinsame Zukunft gesetzt hatten. Für diese Entwicklung ist der heute zu verabschiedende Haushalt sicherlich nicht allein ursächlich; aber das seinen Zahlen zugrunde liegende politische Verhalten der Koalition wird mit dazu beitragen, daß der Weg zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen in allen Regionen der neuen Bundesrepublik steiniger wird als nötig. ({53}) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, lehnen wir Ihren Haushalt ab. Unsere Alternative können Sie aus dem von uns vorgelegten Entschließungsantrag ersehen. ({54}) Meine herzliche Bitte ist, daß möglichst viele unserem Entschließungsantrag zustimmen mögen. Herzlichen Dank. ({55})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen zunächst noch eine sehr erfreuliche Mitteilung machen: Dem Pferd von Hans Apel geht es ausgezeichnet. ({0}) Es hat den Besitzerwechsel gut überstanden; es ist dankbar für das Gnadenbrot, das es im BMF nun gemeinsam mit den Zollpferden einnehmen darf. Daß der Bundesminister der Finanzen nicht nur ein Herz für Menschen, sondern auch für Tiere hat, hat er auch dadurch bewiesen, daß er den arbeitslos gewordenen Zollpferden in Dannenberg eine neue Arbeitsmöglichkeit bei der niedersächsischen Landespolizei eröffnet hat, wo sie nun Streifentätigkeit im Naturpark Wilseder Berg, im Waldgebiet der Göhrde, in der Lüneburger Heide und außerdem im Bereich des Naturschutzparks verrichten. Sie sind dort sehr vernünftig tätig. Ich habe einen dankbaren Brief der Pferde bekommen. ({1}) Ich leite ihn Ihnen zu, natürlich auch mit Antwort von mir. ({2}) Man weiß ja, wie man damit umgeht: Meine lieben Zollpferde! - An die Zollpferde der Grenzaufsichtsstelle Gartow, Prezeller Weg. - Die Sachen sind also befriedigend gelöst. ({3}) Lieber Kollege Walther, die Verschiebung des Haushalts - das hat diese Debatte doch sehr klar gezeigt - war notwendig und sinnvoll. Wir säßen doch sonst heute bereits wieder vor dem ersten Nachtragshaushalt. Niemand hätte doch im Oktober, November all das voraussehen können, was wir heute relativ wirklichkeitsnah und situationsgerecht vornehmen können. Dennoch, am Geld und an den Möglichkeiten, zu investieren, hat es zu keinem Zeitpunkt gefehlt. ({4}) Das beweist ja auch der Mittelabfluß im vergangenen Jahr. Sie wissen sehr wohl, daß wir über das Instrument der Verpflichtungsermächtigung jede Möglichkeit gegeben haben, um im Bereich der Infrastruktur - Verkehr, Städtebau, Wohnungsbau - für diesen Zeitraum das Notwendige tun zu können. Ich habe es nicht als fair empfunden, Kollege Walther, was Sie hier an Angriffen gegen den Kollegen Krause gefahren haben. Das übersteigt eigentlich das Normalmaß dessen, wie wir miteinander umgehen. ({5}) Niemand verlangt von Ihnen, daß Sie uns loben. Kritik, auch in der Schärfe, ist berechtigt, obwohl ich eigentlich Lob von Ihrer Seite verdient hätte; Sie haben es nur vergessen. ({6}) Aber ich halte es nicht für fair, jemanden ganz bewußt herauszugreifen und ihn in dieser Weise anzugreifen. Lieber Herr Kollege Walther, Sie werden doch nicht den großartigen Beitrag vergessen haben, den der Kollege Krause zur deutschen Einheit geleistet hat. ({7}) Er hat zu einem Zeitpunkt für eine möglichst schnelle Wiedervereinigung gekämpft, als der eine oder andere durchaus noch mit dem Gedanken gespielt hat, etwas länger auf DDR zu machen, und als der damalige Außenminister der DDR an der Außenpolitik der DDR beachtlichen Gefallen gefunden hatte. Ich glaube schon, daß sich der Kollege Krause da durch den Weg zur schnellen Einheit um Deutschland und um die Einheit verdient gemacht hat und die gehässigen Angriffe nicht verdient, die ihm heute zugefügt wurden. ({8}) Sie haben die Golfhilfe kritisiert. Wenn es je eine Ausgabe gegeben hat, die außerplanmäßig, unvorhergesehen und unabweisbar genannt werden kann, dann sind es die Ausgaben hierfür. Meine Damen und Herren, was hätte eigentlich die Öffentlichkeit oder was hätten Sie gesagt, wenn wir Ihnen im Sommer oder im Herbst des vergangenen Jahres einen Nachtragshaushalt mit einem Ansatz für militärische Hilfe oder für einen Beitrag zu militärischen Aktionen im Golf vorgelegt hätten? Dann hätten Sie uns doch als Kriegstreiber und -vorbereiter beschimpft. Insofern blieb doch bis zum letzten Augenblick unsere Hoffnung, daß es nicht zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung kommen würde. Aber als es dann doch dazu kam, mußten wir handeln. Soweit wie möglich ist auch der Haushaltsausschuß informiert worden. Ich stehe zu der Hilfe für den Golf. Wir haben im letzten Jahr in der internationalen Welt Freunde gehabt und Freunde gebraucht. Wenn sie uns brauchen, dann können wir sie auch nicht allein lassen. ({9}) Lieber Herr Kollege Vogel, eigentlich hätte ich zur „Sonthofen-Strategie" nicht mehr Stellung genommen. Sie wissen ganz genau, daß ein Politiker wie Strauß bei allen Gegensätzen nie daran interessiert war, daß es Deutschland schlechter ginge. ({10}) - Nein, das hat er so nicht gesagt! ({11}) Die Frage, die damals strategisch erörtert wurde und die auch Sie bei sich erörtern, ist die Frage, wann eine Opposition eine Chance hat und wann nicht. Sie hat nicht nur eine Chance auf Grund eigener Tüchtigkeit - das wissen Sie - , sondern sie lebt auch von Fehlern der Regierung. Auf nichts anderes hat Strauß damals hingewiesen. ({12}) Aber zu sagen, er wollte bewußt herbeiführen, daß es Deutschland schlechter geht, ist eine Unterstellung, die nicht richtig ist und die ich zurückweise. ({13}) Außerdem sollten Sie, Kollege Vogel, mit dem Begriff und Vorwurf der Lüge ganz vorsichtig und behutsam umgehen; denn Sie sollten nachdenken und sich besinnen: Sie waren doch 1976 in der Regierung. Hans Apel geht in seinem Buch im einzelnen darauf ein. ({14}) Er schreibt, er und der Bundeskanzler - sicherlich doch auch Sie - hätten ganz genau gewußt, daß die Daten und Fakten zur Rentenfinanzierung und zur Rentensituation nicht übereinstimmten. Trotzdem sind Sie damals bei den Behauptungen geblieben. Sie, Herr Vogel, haben 1982/83 im Wahlkampf gesagt: Es gibt zwei Möglichkeiten der Wahl. Wer uns wählt, wählt keine Raketen auf deutschem Boden. Wer die CDU/CSU wählt, der wählt Raketen. ({15}) Die Mehrheit hat uns gewählt, und es hat keine Raketen gegeben. Durch unsere Politik sind die Raketen weggekommen. ({16}) Wer mit solch groben Klötzen in der Politik arbeitet und schon gearbeitet hat, der sollte sich hier nicht als der große Moralist hinstellen und anderen unterstellen, sie würden nicht die Wahrheit sagen. 1990/91 bestand eine völlig veränderte Situation gegenüber der, die Sie 1976 und auch 1980 in der Finanzpolitik hatten. Wir haben im letzten Jahr zu jedem Zeitpunkt die Finanzprobleme ernsthaft erörtert und uns überlegt, wie wir sie am besten bewältigen. Wir haben uns immer wieder im Bundesfinanzministerium, in der Koalition und auch hier im Bundestag darüber unterhalten, welches der beste Weg ist. Angesichts der konjunkturellen Situation bei uns und angesichts der Weltkonjunktursituation haben wir Steuererhöhungen - damals, wie ich meine, zu Recht - nicht in Angriff genommen. Sie wären nämlich falsch gewesen. Ich sage es nochmals: Hätten wir damals im Frühling oder im Sommer Steuererhöhungen beschlossen, dann stünden wir heute wieder vor der gleichen Frage. ({17}) Die Erhöhungen wären längst konsumiert, und ein Einsparungs- und Umschichtungsprogramm von 50 Milliarden DM in zwei Jahren wäre nicht zustande gekommen. Diese Politik war richtig. ({18}) Wir haben wenige Wochen vor der Bundestagswahl die Opfer und die Belastungen, die auf uns zukommen würden, nicht verschwiegen. Wir haben die Erhöhung von Beiträgen und von Gebühren angesprochen und angekündigt. Ich habe damals in diesem ZusammenBundesminister Dr. Theodor Waigel hang in einem Interview auch von der Möglichkeit einer Autobahngebühr und von dem Opfer, das alle bringen müssen, auch die Beamten, gesprochen. ({19}) Niemand, meine Damen und Herren - auch das habe ich damals gesagt - , konnte die Kosten voraussehen. Auch heute kann niemand voraussehen, was im Jahre 1993 und 1994 an Kosten, an Altlasten und an ähnlichem anfällt. Auch die Wissenschaftler konnten nicht voraussehen und haben in ihren Instituten nicht vorausgesehen, wie es um die Produktivität steht. Uns wurde von allen gesagt: Die Produktivität der DDR-Volkswirtschaft beträgt etwa die Hälfte der Produktivität in der alten Bundesrepublik Deutschland. Daß es weniger als ein Drittel sein würde, konnte niemand voraussehen. Die Altlasten der Ökologie und des Umweltschutzes sind so schwierig, daß sie auch heute noch nicht voll erkennbar sind. Dies betrifft nicht nur die Kasernen, die uns die russischen Soldaten hinterlassen. Ich nenne den RGW-Handel, den Transferrubel und all die Dinge. Da kann doch niemand voraussehen, was alles passiert. Ich räume auch gern ein, daß ich die mentalen Schäden, die 40 oder 50 Jahre Diktatur bei Menschen hinterlassen, in diesem gravierenden Ausmaß nicht vorausgesehen habe. Ich habe nicht vorausgesehen, was hier an Menschen passierte und wie Menschen in ihrem Denken beeinträchtigt wurden und wie lange es wieder braucht, bis man zu einem normalen, freien und selbstverantwortlichen Leben kommt. Meine Damen und Herren, wir haben übrigens in dieser Legislaturperiode nicht nur Steuererhöhungen vorgesehen, sondern auch Steuersenkungen. Die ersten Steuersenkungen finden zum 1. Januar 1992 über den Familienlastenausgleich statt. Auch das muß hier gesehen werden. Was die Mehrwertsteuer in der EG anbelangt, Herr Kollege Vogel, so sind Sie einfach falsch informiert. ({20}) - Sie sind einfach falsch informiert. Deshalb ist es ganz normal, daß Sie sich erst hier informieren. Die 15 % oder der Antrag, auf 16 % zu gehen, sind doch nicht auf uns zurückzuführen. Das ist von uns nicht veranlaßt worden. ({21}) Da gab und gibt es auch nichts zu verheimlichen oder zu verstecken, sondern der Druck der ganz großen Mehrheit und vor allen Dingen der sozialdemokratisch geführten Länder in Europa - ich kritisiere das gar nicht - ist hier vorhanden. ({22}) Meine Damen und Herren, es waren doch nur noch Luxemburg und Spanien dafür, unter dem von uns avisierten und eigentlich gewollten Mindeststeuersatz von 14 % zu bleiben. Sie wissen das ganz genau. Sie behaupten hier das Gegenteil, weil Sie damit Stimmung machen wollen. Das ist unwahrhaftig, Herr Kollege Vogel. ({23}) Sie brauchen mir und meiner Partei auch gar keine Vorschriften zu machen, wie wir mit dem Verhältnis zu Polen und der Tschechoslowakei umgehen. Wir wissen, wie wir das verantwortungsvoll gestalten. ({24}) Wir haben beim außenpolitischen Kongreß am vergangenen Samstag Vertreter dieser Länder mit am Podium gehabt; wir haben einen fruchtbaren Dialog geführt. ({25}) Ich glaube, es ist unsere Pflicht, jetzt dafür einzutreten, daß für die deutschen Minderheiten in Polen und sonstwo das Bestmögliche durch eine solche Resolution - möglichst auch im Vertrag oder in einem Briefwechsel - erreicht wird. ({26}) Wir sind hier auf einem guten Wege. Meine Damen und Herren,. der Kollege Dr. Diederich hat uns gestern aufgefordert, beim Aufbau der Finanzverwaltung rascher voranzugehen, damit das Finanzministerium nicht zum Investitionshemmnis wird. Bereits seit dem Frühjahr 1990, ein halbes Jahr vor der Wiedervereinigung, haben wir uns umfassend beim Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung in der früheren DDR engagiert. Im Zusammenhang mit der Einführung der Umsatzsteuer waren ab Frühjahr 1990 350 Dozenten aus westdeutschen Fachhochschulen in der früheren DDR und haben 4 000 Beschäftigte der neuen Steuerverwaltung unterrichtet. Ebenfalls im Frühjahr 1990 wurde der Arbeitskreis „Aufbau einer Steuerverwaltung im Beitrittsgebiet" gegründet, der die Dinge vorangebracht hat. Inzwischen sind wir mit dem Aufbau der Bundesfinanzverwaltung im Beitrittsgebiet weit vorangekommen. Der strukturelle Verwaltungsaufbau beim Zoll ist praktisch abgeschlossen. 400 Zollbeamte aus dem Westen helfen dabei, die neuen Kollegen an die veränderten Aufgaben des Zolls heranzuführen. Im Beitrittsgebiet wurden fünf Oberfinanzdirektionen und bisher 120 Finanzämter errichtet. Rund 600 westdeutsche Finanzbeamte helfen, die Arbeitsfähigkeit dieser Behörden herzustellen. Die Bundesvermögensverwaltung mußte praktisch bei null anfangen. Dennoch sollen die Bundesvermögensverwaltungsabteilungen bei den Oberfinanzdirektionen bis zum 1. Juli 1991 errichtet werden. Rund 170 Beamte aus dem Westen helften bei dieser schwierigen Aufbauarbeit. Ich möchte mich beim Haushaltsausschuß bedanken, daß Sie uns hier entgegengekommen sind und dieses Problem trotz einer verständlicherweise restriktiven Personalpolitik gesehen haben. ({27}) - Einen kleinen Moment. Ich wollte eben auf Sie, Herr Kollege Diederich, eingehen. Neue Grenzabfertigungsanlagen können nur gemeinsam mit den Nachbarstaaten geplant und errichtet werden. Durch provisorische Abfertigungsanlagen, mit deren Einrichtung noch 1991 begonnen werden soll, kann das Problem der Stauungen im Grenzverkehr jedoch rasch angegangen werden. Ich werde Ihrem Hinweis von vorgestern nochmals gesondert nachgehen und Sie dann auch darüber informieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Diederich?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Bitte schön.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, haben Sie mitbekommen, daß sich meine Bemerkung über das Investitionshemmnis ausschließlich auf den Aufbau der Bundesvermögensverwaltung bezog? Können Sie bestätigen, daß der von Ihnen vorgelegte Antrag im Haushaltsausschuß auf mehr Stellen von der Koalition auf weniger als ein Drittel der von Ihnen beantragten Stellen gekürzt worden ist? Würden Sie nicht auch die Meinung teilen, daß hier sehr leicht ein Engpaß entstehen kann?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Herr Kollege Diederich, ich bin hier für jede Unterstützung dankbar, von wem auch immer sie kommt. Und Sie sehen, ich habe das, was Sie gesagt haben, nicht kritisiert, sondern positiv aufgenommen. Meine Damen und Herren, wie ich vorgestern bereits angekündigt habe, wollen wir die Bereitstellung von Grundstücken und Gebäuden für Investitionen, Wohnungen und Gewerbebetriebe sowie für staatliche Einrichtungen noch weiter verbessern. Ich will diese Maßnahmen nochmals kurz wiederholen: 15 Preisnachlaß im gesamten Bundesgebiet für Zwecke des sozialen Wohnungsbaues, Preisnachlaß von 25 bis 75 % für Gebietskörperschaften im Beitrittsgebiet und eine Verdoppelung der Vergünstigung für den sozialen Wohnungsbau bei der Abgabe von bisher militärisch genutzten Liegenschaften auf 30 % ab 1992. ({0}) Ich meine, das ist ein wichtiger Beitrag für die betroffenen Kommunen, aber auch für die Verbesserung des sozialen Wohnungsbaus. Wir haben im April 1991 eine Sonderaktion zur Übertragung kommunalen Grundvermögens gestartet, mit der wir vor allen Dingen die unmittelbare Bearbeitung von Vermögensanträgen auf die 15 Bundesvermögensämter in den neuen Bundesländern übergeleitet haben und mit der wir gezielt versuchen, die Probleme -zu bereinigen. Für ganz wichtig halte ich beim Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, daß wir durch die gegenseitige Dekkungsfähigkeit für einen vollständigen Abfluß der Mittel sorgen, und zwar durch Flexibilität. Ich appelliere in diesem Zusammenhang allerdings an die neuen Bundesländer, trotz aller Probleme, trotz des Personalmangels doch für eine gewisse regelmäßige Unterrichtung zu sorgen. Nur dann sind auch wir in der Lage, die Umschichtung durchzuführen und dafür zu sorgen, daß Geld dort, wo es nicht abfließt, umgeschichtet werden kann, z. B. in Umweltschutzmaßnahmen oder manches andere mehr. ({1}) Ich möchte noch einmal mein Angebot von Mittwoch unterstreichen, künftig den Ländern und Gemeinden zusätzlich 3 Milliarden DM jährlich für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen. ({2}) Ich glaube, daß durch die verstärkten Zuwendungen für den öffentlichen Personennahverkehr die Voraussetzungen für verstärkte Investitionen in den U- und S-Bahn-Ausbau erheblich verbessert werden. Wir erreichen vor allen Dingen auch wichtige umweltpolitische Ziele, wenn die Kernstädte von der fast erdrückenden Last des Individualverkehrs zunehmend befreit werden. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, wir haben heute zwar viel von den Pferden gesprochen. Aber im Augenblick sind zu viele scharrende Pferde im Königspferdestall. ({0}) Der Abgeordnete zu Pferd ist gar nicht mehr zu hören. ({1})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat in seiner Sitzung heute vormittag den Vermittlungsausschuß u. a. auch wegen der Themen angerufen, über die wir heute beraten. ({0}) Wir stellen uns selbstverstädlich diesem Vermittlungsverfahren. Es muß sich aber auch jeder der Verantwortung bewußt sein, die er für eine rechtzeitige Einigung trägt; denn den Schaden, wenn es nicht zu einer Einigung käme, hätten nicht diese Regierung und diese Koalition, sondern die Menschen in Deutschland und vor allen Dingen die Menschen in Ostdeutschland. ({1}) Wenn es zur rechtzeitigen Beschlußfassung und Verabschiedung nicht käme, könnte der SolidaritätsBundesminister Dr. Theodor Waigel zuschlag nicht rechtzeitig zum 1. Juli erhoben werden. Ähnliches gilt für die Mineralölsteuer. Ab 1. Juli 1991 tritt bei Ausbleiben des Solidaritätsgesetzes die Absenkung der Investionszulage von 12 auf 8 % in Kraft. Man muß sich gut überlegen und gut bedenken, was das für die Investitionen in den neuen Bundesländern bedeuten würde. Es gäbe keine sichere Grundlage für die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen. Und der Verzicht des Bundes auf seine Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit zugunsten der neuen Bundesländer könnte nicht wirksam werden. Das heißt, jede Verzögerung oder jede Verneinungshaltung würde sich negativ für die Menschen, für die neuen Länder und für die Kommunen in den neuen Bundesländern auswirken. ({2}) Meine Damen und Herren, mit äußerster Sparsamkeit haben wir diesen Haushalt zusammengefügt, und äußerste Sparsamkeit bleibt auch die Richtschnur und die Leitlinie unserer Finanzpolitik. ({3}) Wir haben das größte Einsparpaket in der Haushaltsgeschichte des Bundes geschnürt. ({4}) Nach 5 Milliarden DM im Bundeshaushalt 1990 und nach knapp 8 Milliarden DM im ersten Regierungsentwurf 1991 vom Juli 1990 ist jetzt unter Berücksichtigung der Koalitionsvereinbarungen von Januar und Februar insgesamt in nur zwei Haushaltsjahren ein Entlastungsvolumen von über 50 Milliarden DM erreicht. Meine Damen und Herren, wir haben zusätzliche Einsparungen bei den Finanzhilfen von 500 Millionen DM, ansteigend auf 1,5 Milliarden DM bis 1991, bereits im Finanzplan berücksichtigt. Die Steuergruppe innerhalb der Koalition hat sich, wie ich meine, in einer sehr guten, klugen Arbeit für etwa 5 Milliarden DM zusätzliche Subventionskürzung im Steuerbereich ausgesprochen. Wir werden darüber noch zu sprechen haben. Ich glaube, wir werden weitere Einsparungen und weiteren Subventionsabbau auch ohne Subventionsbeauftragten erreichen. Je weniger das mit Getöse, je weniger das mit Begleitmusik versehen ist, um so erfolgreicher werden wir sein. ({5}) - Ich bedanke mich für den Beifal bei allen Parteien der Koalition, vor allem bei Ihnen, Graf Lambsdorff. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen unabhängig vom Subventionsabbau Haushaltsentlastungen in der Größenordnung von 10 Milliarden DM gegenüber den laufenden Haushaltsansätzen erreichen. Dies zeigt sehr deutlich, daß wir unsere solide Finanzpolitik fortsetzen und daß wir genau wissen, was es bedeutet, welche Belastung es für die Kapitalmärkte in sich birgt, wenn die Schulden hoch sind. Darum auch unsere Zielorientierung: Nach den 64 Milliarden DM Nettokreditaufnahme heuer Zurückführung auf etwa 50 Milliarden DM im nächsten Jahr und auf 30 Milliarden DM in 1994. Damit setzen wir die Zielvorgaben und die Zeichen für eine solide Finanzpolitik, die im Innern und nach außen verläßlich und kalkulierbar ist und die zeigen, wie sehr wir uns der Aufgabe der Konsolidierung der Finanzpolitik bewußt sind. ({7}) Im Streit um Zahlen, Fakten und Maßnahmen sollten wir aber wesentliche andere Dinge nicht vergessen, die uns die deutsche Einheit gebracht hat. Noch vor zwei Jahren erschien uns die deutsche Einheit als eine ferne Utopie, manchem auch als Illusion. Es zählten die graue Realität, die schrille Polemik der kommunistischen Herrscher, die Schüsse an der Mauer, die Zurückweisungen an der Grenze und der allenfalls in Millimetern zu messende Fortschritt bei menschlichen Erleichterungen. ({8}) Wer hätte es für möglich gehalten, daß ich in der vorigen Woche bei der ersten Amtseinführung eines Oberfinanzpräsidenten in den neuen Bundesländern, in Magdeburg, einem Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, der 1937 in Magdeburg geboren war und dessen Vater schon beim Zoll dort tätig war, die Geschäfte übergeben konnte? Mich hat das tief angerührt. Ich habe dabei an ein Wort von Ernst Bloch gedacht, das er wenige Wochen vor seinem Tod in einem Interview ausgesprochen hat, zu seinem Prinzip Hoffnung gehöre auch die Heimat. Der Mensch entstamme der Heimat und kehre wieder zu ihr zurück. Ich meine, daß wir Menschen wieder Heimat geben, daß wir auch denen, die ihre Heimat verlassen mußten, wieder die Chance geben, in ihre Heimat zurückkehren zu können, das ist etwas jenseits von Angebot und Nachfrage, jenseits der Zahlen, aber ein zutiefst beglückendes Erlebnis. ({9}) Wir setzen uns dafür ein, daß alle Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Indem wir zum raschen wirtschaftlichen Aufschwung im Beitrittsgebiet beitragen, geben wir den Menschen die Chance, in ihrer Heimat zu bleiben und dort Freiheit und Demokratie aufzubauen. Ich danke allen, die in dieser Debatte der letzten Tage dazu ihren Beitrag geleistet haben. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache dieser Haushaltswoche. Bevor wir in die Abstimmungen eintreten, möchte ich bekanntgeben, daß der Abgeordnete Augustinowitz eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben hat. *) *) Anlage 2 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wir kommen zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1991 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. - Meine Damen und Herren, es gibt nach der namentlichen Abstimmung noch Abstimmungen über Entschließungsanträge. - Ist noch ein Mitglied im Hause, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. * ) Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, damit wir zur Abstimmung über die Entschließungsanträge kommen können. Denn es ist zwischen den Fraktionen vereinbart, daß wir darüber abstimmen können, bevor das Auszählungsergebnis bekanntgegeben werden kann. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab, und zwar zuerst über die der Fraktion der SPD. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/668? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/669? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag auf Drucksache 12/669 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP ebenfalls abgelehnt. Wir stimmen jetzt noch über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/663 ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag der PDS/Linke Liste ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD bei einer Enthaltung des Bündnisses 90/GRÜNE abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung 1. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG - Annäherung der MwStSätze -- Drucksachen 11/1181 Nr. 2.3, 11/1322, 12/210 Nr. 53 -a) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG - Beseitigung der Steuergrenzen - - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.4, 11/1323, 12/210 Nr. 54 - *) Ergebnis Seite 2247 B b) Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des gemeinsamen MwSt-Systems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG - Steuerliche Übergangsregelung im Hinblick auf die Errichtung des Binnenmarktes -- Drucksachen 12/458 Nr. 2.2, 12/486 - 3. Neuer Ansatz der Kommission im Bereich der Verbrauchsteuern - Drucksachen 11/7609 Nr. 4, 12/210 Nr. 64, 12/325 - 4. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten und auf andere Tabakwaren als Zigaretten - Drucksachen 11/7609 Nr. 5, 12/210 Nr. 65, 12/326 - 5. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf alkoholische Getränke und in anderen Erzeugnissen enthaltenen Alkohol - Drucksachen 11/7609 Nr. 7, 12/210 Nr. 67, 12/328 - 6. a) Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Mineralöl - Drucksachen 11/7609 Nr. 6, 12/210 Nr. 66, 12/327 - b) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festsetzung bestimmter Sätze bzw. Zielsätze der Verbrauchsteuer auf Mineralöle - Drucksachen 12/350 Nr. 5, 12/359 7. Mitteilung: Die allgemeine Regelung und Struktur der Verbrauchsteuern im Gemeinsamen Markt - Drucksachen 12/269 Nr. 2.8, 12/329 8. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das allgemeine Verbrauchsteuersystem sowie über den Besitz und die Beförderung ver-brauchsteuerpflichtiger Waren - Drucksachen 12/269 Nr. 2.9, 12/346 9. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anderung der Richtlinien 72/464/EWG und 79/32/EWG über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer - Drucksachen 12/350 Nr. 3, 12/361 10. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke und auf in anderen Erzeugnissen enthaltenen Alkohol - Drucksachen 12/350 Nr. 2, 12/360 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 11. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle - Drucksachen 12/350 Nr. 4, 12/362 -12. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einführung eines Annäherungsprozesses der Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuersätze - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.6, 11/1325, 12/210 Nr. 56 -13. Vorschlag für eine Verordnung ({1}) des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung - Drucksachen 12/458 Nr. 2.3, 12/485 -14. Vollendung des Binnenmarktes: Annäherung der Sätze und Harmonisierung der Strukturen der indirekten Steuern - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.2, 11/1321, 12/210 Nr. 52 -15. Vorschlag für eine Vollendung des Binnenmarktes: Einführung eines Clearingmechanismus für die Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr - Drucksachen 11/1181 Nr.2.5, 11/1324, 12/210 Nr.55 -16. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf Zigaretten - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.7, 11/1326, 12/210 Nr. 57 -17. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.8, 11/1327, 12/210 Nr. 58 -18. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Mineralöle - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.9, 11/1328, 12/210 Nr. 59 -19. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf alkoholische Getränke und in anderen Erzeugnissen enthaltenen Alkohol - Drucksachen 11/1181 Nr. 2.10, 11/1329, 12/210 Nr. 60 -20. Die Vollendung des Binnenmarktes und die Annäherung der indirekten Steuern - Drucksachen 11/5197 Nr. 2.2, 12/210 Nr. 63, 12/411 -21. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren - Drucksachen 11/779 Nr. 2.4, 12/210 Nr. 62, 12/410 zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Legislative Entschließung mit der Stellung- nahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag und zu dem geänderten Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Richtlinie zur Ergänzung des gemeinsamen MwSt-Systems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/ EWG - Drucksachen 11/8536, 12/458 Nr. 1.3, 12/688 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dr. Norbert Wieczorek Zur Vorlage bezüglich der Annäherung der Mehrwertsteuersätze liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/674 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Renate Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Voraussetzung für den europäischen Binnenmarkt ist die Abschaffung der innergemeinschaftlichen Grenzen. Das bedeutet: Die heute üblichen Grenzabfertigungen des Warenverkehrs aus Gründen der Erhebung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern müssen entfallen. Die Formel ist einfach: Kein Inkrafttreten des EGBinnenmarktes zum 1. Januar 1993 ohne die Neuregelung der indirekten Steuern. Wer allerdings die Geschichte der EG-Steuerharmonisierung verfolgt - sie begann übrigens im Juni 1966, also vor 25 Jahren, mit einer Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zur Frage der Mehrwertsteuerharmonisierung - , weiß, daß nur der ungeheure Zeit- und Erfolgsdruck es überhaupt möglich macht, daß diese EG-Finanzminister sich trotz des in diesem Bereich immer noch geltenden Einstimmigkeitsprinzips auf eine Neuregelung einigen werden, die die Abschaffung der Grenzkontrollen ermöglicht. Wir in Deutschland - das hat auch die Anhörung am vorigen Dienstag gezeigt - beschäftigen uns nur mit den Problemen unserer Nation bei der notwendigen europäischen Steuerharmonisierung. Ich konzentriere mich auf folgende Frage, die unsere öffentliche Diskussion beherrscht. Die Opposition vertritt den Standpunkt, unser Mehrwertsteuersatz von 14 % reiche als Kompromißangebot am Tisch des EG-Ministerrats aus; wenn demnächst 15 oder gar 16 % als verbindlicher Mindestsatz beschlossen würden, habe der deutsche Finanzminister nicht hart genug verhandelt. ({0}) Sind wir uns bewußt - jetzt meine ich alle Kollegen von Regierung und Opposition -, wie eine solche Debatte auf unsere Nachbarn wirken muß? In Irland wurde der Mehrwertsteuersatz in diesem Jahr von 25 auf 23 % gesenkt; in Dänemark beträgt er 22 %, in Italien und Belgien 19 %, in Frankreich 18,6 %, in den Niederlanden 18,5 %, in Portugal 17 %, in Griechenland 16 %, in Großbritannien 15 %. Das sind von zwölf Staaten neun, deren Mehrwertsteuersatz heute schon - zum Teil ganz erheblich - über oder bei dem angestrebten Mindeststeuersatz von 15 oder 16 % liegt. Nur Spanien und Luxemburg mit jeweils 12 % liegen wie wir unter diesem möglichen Kompromiß. Wir sollten uns angesichts unserer eigenen Steuerauseinandersetzungen wenigstens vorstellen können, was es für einen Staat wie z. B. Dänemark bedeuten muß, bei einer in den nächsten Jahren unausweichlich werdenden Senkung von 22 auf 16 % ein Finanzierungsloch im öffentlichen Haushalt von schätzungsweise 30 % des Steueraufkommens aus der Mehrwertsteuer und damit fast 15 % des Gesamthaushalts zu haben, das durch andere Steuern oder durch neu einzuführende Versicherungsbeiträge gestopft werden muß. Ehrlicherweise müssen wir uns fragen, ob wir angesichts der Weltuntergangsstimmung, die die Opposition zusammen mit Interessengruppen aller Art, von den Gewerkschaften über den Bund der Steuerzahler bis hin zu den Handwerks- und Industrieverbänden, im Falle einer Anhebung der Mehrwertsteuer bei uns voraussehbar verbreiten wird, zu den viel größeren politischen Kraftakten, vor denen unsere Nachbarn stehen, überhaupt in der Lage wären. ({1}) Ich sage Ihnen voraus, meine Damen und Herren: Die Niedrigsteuerländer wie Luxemburg und Deutschland, mitten in der EG, werden bei Öffnung der Grenzen am 1. Januar 1993 und der Möglichkeit aller privater Verbraucher, dort einzukaufen, ohne an der Grenze Steuern auferlegt zu bekommen, einen großen Zulauf erfahren. Wir werden eine Sogwirkung wie das Niedrigwasser bei Wegfall eines Dammes oder einer Schleuse entfalten. Wir gehen in diese Grenzöffnung mit einem ungeheuerlichen Steuervorteil für Konsumwaren, und uns fällt hier nichts Besseres ein, als lauthals zu klagen, welch schreckliche Zumutungen uns mit der Umstellung aufgebürdet würden. Ich persönlich vermute, daß der Druck auf die Bundesregierung nach der Grenzöffung erheblich zunehmen wird, einer weiteren Anhebung des Mindeststeuersatzes zuzustimmen, weil die anderen mit den politischen Kraftakten, die bei ihnen notwendig sind, gar nicht fertigwerden werden. Wer sich - noch einmal - die heutigen Mehrwertsteuersätze ansieht, der muß feststellen, daß ein Kompromiß von 14 % die gesamten Anpassungslasten in unfairer Weise den anderen auferlegt hätte. Einer gegen alle, das geht nicht. Die Engländer haben es schon ein paarmal probiert; sie sind von dem großen EG-Schiff immer über den Tisch gezogen worden. Ich sage Ihnen voraus, auch wir würden über den Tisch gezogen werden, wenn wir, meine Damen und Herren von der Opposition, so kompromißunfähig bleiben würden, wie Sie es im Protokoll des Finanzausschusses ausdrücklich festgeschrieben haben wollten. Sie haben gesagt: Keinen Kompromiß über 14 %. - Kompromißunfähig! Haben Sie sich wirklich mit den SPD-Ländern abgestimmt? ({2}) Wenn es zu einer Mehrwertsteuererhöhung kommt - ich erlaube mir, das hier zu sagen: ich persönlich vermute, daß es im nächsten Jahr zu einer Mehrwertsteuererhöhung kommt - , so sage ich zwei Dinge voraus: Erstens. Die SPD-Länder werden diese Erhöhung nicht zum Scheitern bringen. Sie könnten es mit ihrer Bundesratsmehrheit, sie werden es nicht tun. Zweitens wird dann offensichtlich werden, was wir auch schon einmal erleben mußten, als unsere Länder die Mehrheit im Bundesrat hatten, daß die eigentliche Opposition dann nicht mehr von der Fraktion im Bundestag, sondern von den Ländern am Bundesratstisch ausgeübt wird. ({3}) Bei den Verbrauchsteuern betrachten wir es als einen großen politischen Erfolg, daß es gelungen ist, den Zwang zur Einführung einer Weinsteuer zu verhindern. Wein kann bei uns alkoholsteuerfrei bleiben, da ein Null-Satz als Mindeststeuersatz vorgesehen ist. Wer einen Wahlkreis in einem Hauptweinanbaugebiet hat wie ich, weiß dies zu schätzen. Auch die Abfindungsbrennereien, die Kleinbrennereien in BadenWürttemberg, können beruhigt sein, sie bleiben steuerbefreit. ({4}) Wir Deutschen haben bei den von der EG vorgesehenen Mineralölsteuersätzen das Problem, daß wir die vorgesehene Dieselbesteuerung als zu gering ansehen. Während die Südeuropäer Diesel sehr gering besteuern, um das Gewerbe zu fördern, steht bei uns der Umweltgesichtspunkt im Vordergrund. Bei dem von uns als zu gering angesehenen geplanten EGeinheitlichen Dieselsteuersatz werden die Südeuropäer ihre Dieselsteuern allerdings kräftig anheben müssen, um ihn überhaupt zu erreichen. Ganz markig gibt sich die SPD in ihrem Entschließungsantrag für heute. Sie fordert - hören Sie zu! - die deutliche Anhebung der Zielsätze für die Mineralölsteuer - ganz schlicht: die deutliche Anhebung! ({5}) Wer dies EG-weit fordert, der sollte nicht national dagegen stimmen, nur weil es die ungeliebte Regierungskoalition beschließt. Wenn wir also demnächst im Vermittlungsausschuß eine Anhebung der Mineralölsteuer ab 1. Juli beschließen, können Sie nach draußen immer noch sagen, die SPD sei mit Nachdruck dafür, allerdings nur in der EG. ({6}) Wir sind uns mit der EG allerdings einig, daß bei biologischen Treibstoffen die Möglichkeit der Steuerbefreiung geschaffen werden sollte, um den Einsatz nachwachsender Rohstoffe fördern zu können. Da sind wir über die Fraktionen hinaus einig. Wir sind übrigens auch einig, die Steuerbefreiung für den gewerblichen Luftverkehr EG-weit aufzuheben. Das ist die bekannte Flugbenzindebatte, diesmal nur in umgekehrter Form: Wir sind der Meinung, daß die Befreiung des Flugbenzins von der Steuer EG-weit aufgehoben werden soll. ({7}) Wenn es zur Realisierung der jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschläge der Kommission zur Harmonisierung der Verbrauchsteuern kommt, meine Damen und Herren, dann müssen wir feststellen, daß wir nicht nur im Mehrwertsteuerbereich, sondern auch im Verbrauchsteuerbereich gut in der Mitte liegen, d. h. im Verhältnis zu unseren Nachbarn geringe Anpassungsschwierigkeiten haben werden. Deswegen sollten wir mit der nötigen Flexibilität dem Finanzminister unser Wunschpaket zu den Verhandlungen mitgeben. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich die Debatte fortsetze, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Schlußabstimmung zum Haushaltsgesetz 1991 bekannt. Abgegebene Stimmen: 560, ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt 346, mit Nein haben gestimmt 214. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558 ja: 344 nein: 214 Ja CDU/CSU Adam Dr. Altherr Frau Augustin Augustinowitz Austermann Bargfrede Dr. Bauer Frau Baumeister Bayha Belle Frau Dr. Bergmann-Pohl Bierling Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Bleser Dr, Blüm Frau Dr. Böhmer Börnsen ({0}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Brähmig Breuer Frau Brudlewsky Brunnhuber Büttner ({1}) Buwitt Carstens ({2}) Carstensen ({3}) Clemens Dehnel Frau Dempwolf Deres Deß Frau Diemers Dörflinger Doppmeier Dr. Dregger Echternach Ehlers Ehrbar Frau Eichhorn Engelmann Eppelmann Frau Eymer Frau Falk Dr. Faltlhauser Feilcke Dr. Fell Fischer ({4}) Frau Fischer ({5}) Francke ({6}) Frankenhauser Dr. Friedrich Fritz Fuchtel Ganz ({7}) Frau Geiger Geis Dr. Geißler Gerster ({8}) Gibtner Glos Dr. Göhner Göttsching Götz Dr. Götzer Gres Gröbl Grotz Dr. Grünewald Günther ({9}) Frhr. von Hammerstein Harries Haschke ({10}) Frau Hasselfeldt Haungs Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich Heise Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Dr. h. c. Herkenrath Hinsken Hintze Hörsken Hörster Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung Hüppe Jäger Frau Jaffke Jagoda Dr. Jahn ({13}) Janovsky Frau Jeltsch Dr. Jobst Jung ({14}) Junghanns Dr. Kahl Kalb Kampeter Dr.-Ing. Kansy Dr. Kappes Frau Karwatzki Kauder Keller Kiechle Klein ({15}) Klein ({16}) Klinkert Köhler ({17}) Dr. Köhler ({18}) Dr. Kohl Frau Kors Koschyk Kossendey Kraus Dr. Krause ({19}) Dr. Krause ({20}) Krause ({21}) Krey Kriedner Kronberg Krziskewitz Lamers Dr. Lammert Lamp Lattmann Dr. Laufs Laumann Frau Dr. Lehr Lenzer Dr. Lieberoth Frau Limbach Link ({22}) Lintner Dr. Lippold ({23}) Dr. sc. Lischewski Louven Lummer Dr. Luther Maaß ({24}) Frau Männle Magin de Maizière Marschewski Dr. Mayer ({25}) Meckelburg Meinl Frau Dr. Meseke Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk Dr. Mildner Dr. Möller Molnar Müller ({26}) Müller ({27}) Nelle Dr. Neuling Neumann ({28}) Nitsch Frau Nolte Dr. Olderog Ost Oswald Otto ({29}) Dr. Päselt Dr. Paziorek Pesch Petzold Pfeffermann Pfeifer Frau Pfeiffer Dr. Pfennig Dr. Pflüger Pofalla Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Probst Dr. Protzner Pützhofen Frau Rahardt-Vahldieck Raidel Dr. Ramsauer Rau Rauen Rawe Reddemann Reichenbach Dr. Reinartz Frau Reinhardt Repnik Dr. Rieder Rode ({30}) Frau Rönsch ({31}) Frau Roitzsch ({32}) Romer Dr. Rose Rossmanith Roth ({33}) Rother Dr. Ruck Dr. Rüttgers Sauer ({34}) Sauer ({35}) Frau Schätzle Schartz ({36}) Schemken Scheu Schmalz Schmidbauer Schmidt ({37}) Dr. Schmidt ({38}) Schmidt ({39}) Frau Schmidt ({40}) Schmitz ({41}) Dr. Schockenhoff Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Scholz Dr. Schreiber Dr. Schroeder ({42}) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Schulhoff Dr. Schulte ({43}) Schwalbe Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seibel Seiters Skowron Dr. Sopart Frau Sothmann Spranger Dr. Sprung Dr. Stavenhagen Frau Steinbach-Hermann Dr. Stercken Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stübgen Frau Dr. Süssmuth Susset Tillmann Dr. Töpfer Dr. Uelhoff Frau Verhülsdonk Vogel ({44}) Vogt ({45}) Dr. Voigt ({46}) Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Werner ({47}) Wetzel Frau Wiechatzek Dr. Wieczorek ({48}) Frau Dr. Wilms Wilz Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wittmann ({49}) Wonneberger Frau Wülfing Würzbach Frau Yzer Zeitlmann Zierer Zöller FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Frau Albowitz Frau Dr. Babel Baum Beckmann Bredehorn Eimer ({50}) Engelhard van Essen Dr. Feldmann Friedhoff Friedrich Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Ganschow Gattermann Gries Grünbeck Grüner Dr. Guttmacher Hackel Hansen Heinrich Dr. Hirsch Dr. Hitschler Frau Homburger Frau Dr. Hoth Dr. Hoyer Hübner Irmer Kleinert ({51}) Dr. Kolb Koppelin Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Frau LeutheusserSchnarrenberger Lüder Lühr Dr. Menzel Möllemann Nolting Dr. Ortleb Otto ({52}) Frau Peters Frau Dr. Pohl Richter ({53}) Rind Dr. Röhl Schäfer ({54}) Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt ({55}) Dr. Schmieder Schüßler Schuster Frau Sehn Frau Seiler-Albring Frau Dr. Semper Dr. Solms Frau Dr. von Teichman und Logischen Thiele Dr. Thomae Timm Türk Frau Walz Dr. Weng ({56}) Wolfgramm ({57}) Zurheide Zywietz Nein SPD Frau Adler Andres Bachmaier Frau Barbe Bartsch Becker ({58}) Frau Becker-Inglau Berger Bernrath Beucher Bindig Frau Blunck Dr. Böhme ({59}) Börnsen ({60}) Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht Büchler ({61}) Dr. von Bülow Büttner ({62}) Frau Bulmahn Frau Burchardt Bury Frau Caspers-Merk Catenhusen Conradi Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Diederich ({63}) Diller Frau Dr. Dobberthien Dreßler Ebert Dr. Ehmke ({64}) Eich Dr. Elmer Erler Esters Ewen Frau Ferner Frau Fischer ({65}) Fischer ({66}) Formanski Frau Fuchs ({67}) Frau Fuchs ({68}) Fuhrmann Frau Ganseforth Gansel Dr. Gautier Gilges Frau Gleicke Großmann Habermann Hacker Frau Hämmerle Hampel Frau Hanewinckel Frau Dr. Hartenstein Hasenfratz Heistermann Heyenn Hiller ({69}) Hilsberg Dr. Holtz Huonker Ibrügger Frau Iwersen Frau Jäger Dr. Janzen Dr. Jens Jung ({70}) Frau Kastner Kastning Kirschner Frau Klappert Frau Klemmer Klose Dr. sc. Knaape Frau Kolbe Kolbow Koschnick Kretkowski Kubatschka Dr. Kübler Kuessner Dr. Küster Kuhlwein Lambinus Frau Lange von Larcher Leidinger Frau Dr. Leonhard-Schmid Lohmann ({71}) Frau Dr. Lucyga Maaß ({72}) Frau Marx Matschie Dr. Matterne Frau Matthäus-Maier Frau Mattischeck Meckel Frau Mehl Dr. Mertens ({73}) Dr. Meyer ({74}) Mosdorf Müller ({75}) Müller ({76}) Frau Müller ({77}) Müller ({78}) Müntefering Neumann ({79}) Neumann ({80}) Dr. Niese Niggemeier Frau Odendahl Oesinghaus Oostergetelo Opel Ostertag Frau Dr. Otto Paterna Dr. Penner Dr. Pfaff Dr. Pick Purps Reimann Rempe Frau von Renesse Frau Rennebach Reuschenbach Reuter Rixe Schäfer ({81}) Schanz Schily Schloten Schluckebier Schmidbauer ({82}) Frau Schmidt ({83}) Frau Schmidt ({84}) Schmidt ({85}) Frau Schmidt-Zadel Dr. Schmude Dr. Schnell Schreiner Frau Schröter Schröter Schütz Dr. Schuster Schwanhold Frau Seuster Sielaff Frau Simm Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge Dr. Sperling Frau Steen Dr. Struck Tappe Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse Tietjen Frau Titze Toetemeyer Urbaniak Vergin Verheugen Dr. Vogel Voigt ({86}) Wallow Walther Wartenberg ({87}) Weiermann Frau Weiler Weis ({88}) Weißgerber Weisskirchen ({89}) Welt Dr. Wernitz Frau Wester Frau Westrich Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel Frau Weyel Wieczorek ({90}) Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz Wimmer ({91}) Dr. de With Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wittich Frau Wohlleben Dr. Zöpel Zumkley PDS/LL Frau Bläss Frau Braband Dr. Briefs Frau Dr. Enkelmann Frau Dr. Fischer Henn Dr. Heuer Dr. Keller Frau Lederer Dr. Modrow Dr. Schumann ({92}) Dr. Seifert Frau Stachowa Bündnis 90/GRÜNE Dr. Feige Frau Köppe Poppe Schulz ({93}) Dr. Ullmann Weiß ({94}) Frau Wollenberger Fraktionslos Lowack Damit ist das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991 angenommen. ({95}) Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eike Ebert.

Eike Ebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als diese Debate im Finanzausschuß vorbereitet wurde, hat der Vorsitzende, Herr Gattermann, gefragt, ob wir nicht auf sie verzichten wollten, denn das interessiere eh niemanden. Ich freue mich, daß Ihre Anwesenheit das Gegenteil beweist. Es ist ganz toll, daß sogar der Herr Bundeskanzler bei dieser Debatte anwesend ist; denn es wird hier in der Tat über eine ganze Menge Zukunft in Europa entschieden. ({0}) - Seien Sie doch froh, daß ich mich darüber freue, daß Sie da sind. Es geht ja um die Gesamtpräsenz und um die Frage, ob es richtig war, eine Debatte anzusetzen oder nicht. ({1}) - Das ist erfreulich. Dann interessieren wir uns zusammen dafür. Meine Damen und Herren, vor uns liegen entscheidende Etappen auf dem Weg zu einem vereinten Europa. Ab 1. Januar 1993 soll es innerhalb der EG einen Wirtschaftsraum ohne nationale Grenzen geben. Die Zöllner sollen innerhalb dieses Gebiets endgültig der Vergangenheit angehören. Dies ist ein ehrgeiziges Ziel, dies ist ein schönes Ziel. In Europa schauen Bevölkerung und Wirtschaft seit langem mit hohen Erwartungen auf dieses Datum. Es ist das gemeinsame Verdienst der Bundesregierung und der EG-Kommission, daß die freudigen Erwartungen im Hinblick auf dieses Datum nunmehr verschwunden sind und daß sich mehr und mehr Sorgen breitmachen. Woran liegt das? Warum läßt man es zu, daß ein weiteres Mal Europa, diese schöne Hoffnung für unsere Völker, sich als ein Europa der bürokratischen Hindernisläufe und vor allem als ein Europa darstellt, das alles nur teurer macht? Hier, Frau Hellwig, unterscheiden wir uns in der Tat. Ich begreife Ihre Argumente nicht, wenn ich Ihren Antrag, den Sie im Finanzausschuß unterstützt haben, dagegenhalte; dazu kommen wir noch. Wir Sozialdemokraten haben uns Europa als eine Möglichkeit vorgestellt, für die Menschen in Europa insgesamt etwas zu erreichen und zu tun. ({2}) Dies bedeutet nicht, daß alles stets und ständig teurer wird. Sie halten das offensichtlich für normal, wir nicht. Woran liegt es, daß sich diese freudigen Erwartungen verändert haben? ({3}) Die Antwort ist ganz einfach: Es ist die Fortführung der Tradition dieser Bundesregierung, nämlich ihrer Tradition des Täuschens, des Leugnens und des ungezielten und unkoordinierten Herumwurstelns, die uns dies jetzt beschert. ({4}) Meine Damen und Herren, ich spreche vom Hauptkomplex dieser Steuerharmonisierung, dem traurigen Kapitel der Mehrwertsteuer. Oder sollte ich besser sagen: von dem, wozu die Steuerharmonisierung jetzt mißbraucht werden soll? Wir haben am Dienstag alle mit Verwunderung den Pressemeldungen entnommen, daß sich die Finanzminister der EG in einer Vorbereitungsrunde für die ECOFIN-Sitzung in der nächsten Woche darauf geeinigt haben, daß für die Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 ein Mindestsatz von 15 % in der Gemeinschaft eingeführt werden soll. Für Sie von der Koalition ist das möglicherweise nicht verwunderlich gewesen. Denn in der Vorwoche haben die Parlamentarier von CDU und CSU im Europaparlament bereits einer Erhöhung auf 16 % zugestimmt. Das ist dort im Währungs- und Wirtschaftsausschuß gelaufen. Die Bundesregierung hat ihre Zustimmung zu dieser Regelung formal zurückgestellt. Sie hat darauf hingewiesen, daß in dieser Woche der Bundestag über diese Frage debattiert und daß sie sich vorher nicht äußern will. Aber sie hat schon im Vorfeld gesagt, die 15 % seien ein Verhandlungserfolg. Was bedeutet das anderes, als daß diese 15 % bereits akzeptiert sind? Frau Hellwig hat das bestätigt. ({5}) Im Gegenzug habe man erreicht - das ist die Argumentation in diesem Zusammenhang gewesen - , daß spätestens ab 1997 die Mehrwertsteuer in der EG nach dem Ursprungslandprinzip erhoben werden solle.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Ebert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Faltlhauser?

Eike Ebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn mir das nicht angerechnet wird.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie den übrigen Kollegen mitteilen, erstens, daß die entsprechende Abstimmung erst am Montag stattfindet, und zweitens, daß sich die Bundesregierung bisher entsprechend ihren Aussagen konsequent und strikt immer zu 14 % bekannt und auch entsprechend gestimmt hat und daß Frau Scrivener vor dem Finanzausschuß des Bundestages genau dies bestätigt hat?

Eike Ebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Faltlhauser, dann freue ich mich darüber, daß Sie nachher unserem Antrag zustimmen werden. Meine Damen und Herren, wenn das alles, was uns hier über die Verhandlungen und über die Gespräche, die in Brüssel gelaufen sind, vorgestellt wird, stimmt, dann könnten wir erleichtert aufatmen, dann müßten wir erleichtert aufatmen - das will uns ja die Bundesregierung damit suggerieren - und müßten sagen: Gottlob ist uns Schlimmeres erspart geblieben. Aber die Wirklichkeit sieht ja leider ganz anders aus. Noch im März dieses Jahres hat Bundesfinanzminister Waigel dargelegt, daß er den Vorschlag der EGKommission für sachgerecht hält, innerhalb der Grenzen von 14 bis 20 % eine Bandbreite für den allgemeinen Mehrwertsteuersatz festzulegen. Wir waren uns bisher alle in diesem Hause zusammen mit der Bundesregierung einig, daß eine Harmonisierung der Mehrwertsteuer in Europa auf möglichst niedrigem Niveau erfolgen muß. Dies ist, wie wir am Dienstag im Finanzausschuß von der Bundesregierung gehört haben, angeblich auch weiterhin ihr Ziel. Nur, wenn man dem Herrn Bundesfinanzminister in der abschließenden Runde der Haushaltsdebatte vorhin zugehört hat, kann man realistischerweise nicht mehr davon ausgehen, daß er sich in Brüssel für ein solches Verhandlungsergebnis einsetzen wird. Es ist einiges in diesem Zusammenhang ohnehin nicht miteinander in Einklang zu bringen. Meine Damen und Herren, ich will die Debatte über die Steuerlüge hier jetzt nicht wieder eröffnen. Ich denke, dazu ist in den letzten Tagen genug gesagt worden. Aber an den Anfang auch dieser Mehrwertsteuerdiskussion gehört einfach die Feststellung, daß der Ausgangspunkt Ihrer Situation in der CDU/CSU durch eine finanzpolitische und steuerpolitische Konfusion par excellence gekennzeichnet ist. ({0}) In diesem finanzpolitischen Durcheinander, meine Damen und Herren, hat man ja bereits im vergangenen Jahr Feststellungen gehört, wie: Man brauche national eine Mehrwertsteuererhöhung für die Darstellung des Finanzbedarfs des Bundes. Wir haben ja alle, auch als SPD-Mitglieder, inzwischen gelernt, daß das kein Finanzbedarf für die deutsche Einheit, sondern ein Finanzbedarf für den Golfkrieg ist. Aber ich will das nicht vertiefen. ({1}) Das hat mit Aussagen gewechselt, man brauche sie nicht; man brauche überhaupt keine Steuererhöhung. Das war damals die Richtung. Hinter allem ist dann immer wieder am Horizont erschienen: Ja, aber die EG wird uns möglicherweise ab 1993 dann doch in diese Richtung zwingen. Das ist der gleiche Tenor. Finanzminister Waigel hat dies vorhin in der Debatte erneut so vorgetragen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß nicht das noch kommt, was die CDU/CSU-Vertreter bereits im Wirtschafts- und Währungsausschuß des Europäischen Parlaments beschlossen haben, nämlich daß sie hier einer Mehrwertsteuererhöhung auf 16 % zustimmen. Was hier wirklich gespielt wird, meine Damen und Herren, kann man auch erkennen, wenn man sich die Anhörung, die am Dienstag im Finanzausschuß gelaufen ist, einmal anschaut.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Ebert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Eike Ebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte. Aber es wird mir nicht angerechnet.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, die Zeit wird Ihnen nicht angerechnet.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ebert, ist Ihnen bisher entgangen, daß in der gesamten EG die steuerpolitische Tendenz besteht, die Besteuerung der Leistung deutlich zu senken und dafür zur Dekkung des staatlichen Finanzbedarfs die Steuern auf den Verbrauch eher anzuheben, und daß die deutsche Steuerpolitik, abgesehen davon, daß sie es gar nicht könnte, ebenfalls auf dieser Linie liegt, und zwar aus der gleichen richtigen Erkenntnis heraus?

Eike Ebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000428, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich kann sie das. Aber ich sage Ihnen dasselbe wie Herrn Dr. Faltlhauser: Dann verstehe ich Ihren Antrag nicht, in dem Sie die 14 % formal noch drin haben. ({0}) Dann hätten Sie diese 14 % dort streichen müssen. Gedanklich haben Sie sie ja schon gestrichen. Nur um nach außen beim deutschen Publikum noch den Eindruck zu erwecken, Sie seien auch gegen eine Mehrwertsteuererhöhung, haben Sie das dringelassen. ({1}) - Die europäischen Realitäten bestehen für uns nicht in permanentem Teurerwerden. Wir wollen etwas für die Menschen erreichen. ({2}) Wir wollen nichts für die EG-Administration und für den Ausgabenzwang, der dort immer mehr produziert wird. Schauen Sie sich einmal an, was heute in der „FAZ" vom Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaften steht! ({3}) Ich meine, wir müssen uns auch als nationale Parlamentarier sehr deutlich dagegen wenden. ({4}) Meine Damen und Herren, was hier gespielt wird, kann man sehr deutlich erkennen, wenn man sich an die Anhörungen erinnert. Sie alle waren dabei, und es hat Ihnen ja auch nicht gepaßt. Das Ganze läuft so ab - das kann man sehr gut an dieser Anhörung klarmachen - , daß das, was die SPD seit langem sagt, in der Tat Fakt ist, nämlich daß Sie nach Brüssel gehen, daß Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, daß Sie gezwungen werden, eine Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren, und dann kommen Sie hierher: Es tut uns schrecklich leid, das machen die bösen Europäer. Die zuständige EG-Kommissarin, Frau Scrivener, hat dort nicht mitgemacht. Sie hat am Dienstag im Finanzausschuß deutlich folgendes formuliert - ich zitiere aus ihrem Sprechzettel - : Und da Deutschland eine Mehrwertsteuererhöhung angekündigt hat, ist denkbar, daß wir wenigstens auf 15 % kommen. ({5}) Meine Damen und Herren, was heißt das? - Es ist hier angekündigt worden - dabei kann man sich auf X Reden von Herrn Waigel beziehen - , daß 15 % irgendwo auch im Interesse des deutschen Fiskus wären. Jetzt sagt die EG: Weil das so ist, können wir davon ausgehen, daß wir auf diese Zahl kommen. - Sie versuchen dann, das hier wieder als den Zwang auszugeben, der dort ausgeübt werde. ({6}) - Das ist keine Argumentationsakrobatik, sondern das ist Fakt. Sie werden es nicht widerlegen können; denn wir haben ja gemeinsam diese Papiere zur Grundlage der weiteren Beratungen gemacht. Meine Damen und Herren von der Regierung, für wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölkerung in diesem Lande, für wie dumm halten Sie eigentlich dieses Parlament, daß Sie sich nicht schämen, solch durchsichtige Manöver hier darzubieten? ({7}) Die CDU/CSU ist nicht nur die Partei der ständigen Steuerlügerei, sondern sie ist, was durch dieses Faktum bewiesen ist, auch noch eine feige Partei. Sie sind so feige, daß Sie noch nicht einmal hinter Ihren Forderungen stehen wollen. ({8}) Meine Damen und Herren, natürlich - das verstehen wir - wollen Sie sich nicht mit den Folgen einer Mehrwertsteuererhöhung identifizieren; denn natürlich wissen Sie, daß die Mehrwertsteuer eine der unsozialsten Steuern ist, die es gibt. Sie trifft die Menschen mit einem geringeren Einkommen viel mehr als die Besserverdienenden. Sie trifft die Menschen in den neuen Bundesländern schlimmer als die in den bisherigen Bundesländern. Sie trifft vor allem diejenigen doppelt, die Sie bei Ihrer unsozialen Steuererhöhung 1991 bereits abkassiert haben. Natürlich wissen Sie auch, daß Sie durch Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik ohnehin schon auf eine auf bald 4 % jährlich angestiegene Geldentwertungsrate gekommen sind, und Sie wissen, daß Sie die damit weiter anheizen. Natürlich wissen Sie auch, daß damit unser ohnehin hoher Kapitalmarktzins weiter in die Höhe getrieben wird. Sie brauchen sich nur einmal die Entwicklung an den Rentenmärkten in den vergangenen Tagen anzuschauen. ({9}) Meine Damen und Herren, dies alles veranlassen Sie zu einem Zeitpunkt, zu dem wir uns zwar noch über statistisch hohe Zuwachsraten freuen können - Sie können glücklich darüber sein, daß die Haushaltsdebatte jetzt abgeschlossen ist; denn das wird sehr bald anders werden - , zu dem die Frühindikatoren aber bereits deutlich machen, daß auch hier im Westen die Rezession begonnen hat. Glauben Sie doch nicht, daß sich die Unempfindlichkeit unserer Konjunktur in 1990 im Jahre 1991 so halten lassen wird! Wir konnten uns im Jahre 1990 von der weltwirtschaftlichen Entwicklung nur deshalb abkoppeln, weil der Umsatz aus den neuen Bundesländern die Auftragsbücher im Westen gefüllt hielt. ({10}) Dies ist, weil der Aufschwung Ost nicht stattfindet, heute anders. Sie wissen auch so gut wie wir, daß eine Mehrwertsteuererhöhung bei einer solchen Entwicklung Gift ist. Meine Damen und Herren, geben Sie das unwürdige Versteckspiel auf, und geben Sie zu, daß Sie nach wie vor nicht wissen, wie Sie die deutsche Einheit finanzieren sollen und deshalb eine höhere Mehrwertsteuer eher früher als später notwendig haben. Nun werden Sie das alles wieder als Miesmacherei der Opposition abtun und weiterhin bei Ihren Behauptungen bleiben. ({11}) - Vielen Dank. Wenn es so wäre, daß die Mehrwertsteuererhöhung ausschließlich wegen der EG stattfinden muß, dann sollten wir uns gemeinsam dagegen wehren. ({12}) Gestern ist im Finanzausschuß zur EG-Steuerharmonisierung ein Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP, weitgehend auch mit unseren Stimmen, angenommen worden. Er steht hier heute neben dem Antrag der SPD zur Abstimmung. In diesem Antrag hatten Sie erneut den Eindruck zu erwecken versucht, als seien Sie eigentlich - ich habe davon schon gesprochen - für einen Steuersatz von 14 %. So exakt wollten Sie sich aber nicht festlegen. Deshalb formulierten Sie verschwommen, Sie würden bei der Mehrwertsteuer einen Mindestsatz von 14 oder - ich zitiere - 15 % für sachgerecht halten. Ja, was wollen Sie denn nun, 14 oder 15 %, oder wollen Sie von An- fang an signalisieren, daß es bei der Absprache in Brüssel bleiben soll, daß Sie gezwungen werden, auf die 15 % zu gehen? Wenn Sie wirklich den niedrigeren Satz wollen, dann stimmen Sie dem Teil unseres Entschließungsantrages zu, in dem wir die Bundesregierung auffordern, alles daranzusetzen, daß es für die Bundesrepublik auch nach dem 1. Januar 1993 bei dem allgemeinen Mehrwertsteuersatz von 14 % bleibt. ({13}) Wenn wir diesen Steuersatz hier mit der Mehrheit der Stimmen der Regierungsfraktionen und der Opposition gemeinsam beschließen, können wir davon ausgehen, daß das auch in Brüssel Realität wird. Ich bedaure es, daß Frau Hellwig nichts dazu gesagt hat, was in den letzten Wochen deutliche Unruhe in der Wirtschaft hervorgerufen hat, nämlich zu dem formellen Verfahren, was hinter der Steuerveränderung steht.Wir sind uns im Finanzausschuß alle einig gewesen, daß Steuergrenzen innerhalb der Gemeinschaft real nur dann verschwinden - wir begrüßen das als SPD - , wenn in Zukunft die Erhebung der Mehrwertsteuer ausschließlich in einem Land erfolgt. Das kann bei der Mehrwertsteuer nur das Ursprungsland sein. Dafür hat sich auf EG-Ebene auch die Bundesregierung eingesetzt. Dies müssen wir anerkennen, und dies ist gut so. ({14}) Leider sind die Interessen anderer EG-Partner anders gelagert, und so konnte eine Einigung über dieses Erhebungsverfahren nicht erreicht werden. Der am Montag im ECOFIN-Rat vorbeschlossene Kompromiß sieht die Einführung des Ursprungslandprinzips bei der Mehrwertsteuer ab 1997 vor. In der Zwischenzeit soll im grenzüberschreitenden Handel zwischen Steuerpflichtigen ab 1. Januar 1993 ein Provisorium Anwendung finden. An die Stelle des Zollstempels an der Grenze, der nach bisherigem Recht die mehrwertsteuerlichen Tatbestände für Exporteur und Importeur klärt, soll ein Kontrollsystem für die grenzüberschreitenden Transaktionen treten. Ein Informationssystem wird ergänzt, das nicht nur zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Privatwirtschaft und in noch erheblicherem Umfang Aufwand für die Steuerverwaltung produziert, ein Verfahren, das darüber hinaus ganz erhebliche Risiken für die Steuerpflichtigen beinhaltet. Dies ist bei der Anhörung im Finanzausschuß am Dienstag sehr deutlich geworden. Verbände und Wirtschaft sind sich völlig einig, daß es sich hier um eine nur schwer zu praktizierende Regelung handelt, die eine erhebliche Verschlechterung gegenüber dem jetzt geltenden Recht bedeutet. Dies alles geschieht ausschließlich zu dem Zweck, ab 1. Januar 1993 die Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes zu suggerieren, eines Marktes, den es in Wirklichkeit auch nach diesem Datum nicht geben wird. Man hat sich mit dem Datum in politischen Handlungszwang begeben. Da man jetzt das Gesicht nicht verlieren will, wird eine unpraktikable, unüberlegte und in jeder Hinsicht mangelhafte Erhebungsmethode als Übergangslösung eingeführt. Meine Damen und Herren, es ist traurig, daß in den langen Jahren, die seit dem Grundsatzbeschluß für das Datum 1. Januar 1993 vergangen sind, nicht mehr als dieses klägliche Provisorium zustande gekommen ist. Insoweit müssen wir die EG-Kommission kritisieren. Kritik verdient aber auch die Bundesregierung, daß sie im Hinblick auf den näherrückenden Termin nicht rechtzeitig entsprechende Beschlußfassungen angemahnt hat. Im Prinzip möchte man mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag sagen, daß die jetzige Lösung die bessere ist und daß wir eine Übergangslösung nicht brauchen. Aber wir wissen, meine Damen und Herren, daß man im EG-Bereich schon so manche Kröte schlucken mußte, um überhaupt etwas voranzubringen. Deshalb sind wir bereit, dies, was nunmehr auf den Weg gebracht werden soll, zu akzeptieren, aber erst, nachdem ergänzende Erklärungen von Frau Scrivener in diesem Schreiben an den Vorsitzenden des Finanzausschusses, was Grundlage unserer Beschlußfassung im Finanzausschuß gewesen ist, gekommen sind, Erklärungen was die Absicherung gegenüber unangemessenen Forderungen und unangemessenen Kontrollobliegenheiten für die exportierende und die importierende Wirtschaft betrifft. Meine Damen und Herren, was den Bereich der übrigen Steuerharmonisierung anbelangt, die Gegenstand unserer Beratungen ist, so sind wir der Auffassung, daß eine Harmonisierung im europäischen Rahmen grundsätzlich nur in solchen Fällen notwendig und sinnvoll ist, in denen der grenzüberschreitende Verkehr betroffen wird und Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten sind. Wir sind gegen jeden unnötigen Perfektionismus in der EG. Es gibt daher keinerlei Veranlassung, verschiedene kleinere, bei uns auch von Ländern und Kommunen erhobene Steuern durch EG-Verordnung oder EG-Richtlinie auszuschließen. Es gibt auch keine Veranlassung, irgendwann einmal Mehrwertsteuer auf Grundstücke oder grundstücksgleiche Rechte einzuführen. Stellen Sie sich die katastrophalen Auswirkungen auf unserem Grundstücksmarkt vor. Dies ist nun dank unserer Initiative in das gemeinsame Papier von CDU/CSU und FDP eingebaut worden. Meine Damen und Herren, was die Mineralölsteuer anbelangt, so hat Frau Hellwig recht, wenn sie sagt, daß wir für höhere Sätze sind. Ich will Sie in dem fortgeschrittenen Stadium nicht mit einer Umweltdebatte belasten. Sie wissen, daß wir der Auffassung sind, daß wir durch höhere Besteuerung zum Energiesparen anregen müssen, daß wir Umstrukturierungen in diesem Bereich fördern müssen. Da das, im internationalen Rahmen betrieben, zu Verzerrungen im EG-Bereich führen würde, muß auch dies, so meinen wir, auf der EG-Ebene erfolgen. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß - leider hat sich das im Finanzausschuß nicht durchsetzen lassen - in diesen Komplex der Mineralölsteuer auch die künftige Befreiung für den öffentlichen Personennahverkehr hineingehört. Aber da haben Sie Angst gehabt, daß Sie das zuviel Geld aus dem Steuersäckel kostet. Mit den übrigen hier zu beratenden Steuerharmonisierungsvorschlägen können wir uns im Rahmen der Formulierungen, die auf der Basis des Entschließungsantrags der Regierungskoalition im Finanzausschuß zustande gekommen sind, einverstanden erklären. Damit können wir leben. Nicht leben können wir mit Ihrer neuerlichen Steuerlüge, ({15}) daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 ausschließlich durch die EG bedingt ist. Das, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, müssen Sie allein buckeln und allein mit dem Wähler ausmachen. Vielen Dank. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hans Gattermann. ({0})

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Ebert, es ist erstaunlich, wie schnell man sich in einer Fraktion sprachlich einschleift und Begriffe wie „feige" und „Lüge" verwendet. ({0}) Ich weiß nicht, wie sich das unter PR-Gesichtspunkten auswirkt - möglicherweise sogar positiv - , aber denken Sie einmal darüber nach, daß Sie damit mit Sicherheit den Anspruch auf Niveau und Qualität preisgeben. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Gattermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier? ({0})

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön, Frau Kollegin.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gattermann, würden Sie mir nicht zustimmen, daß es der Glaubwürdigkeit dieses Parlaments und der Politiker insgesamt viel mehr dienen würde, wenn Sie nicht die Verwendung des Wortes „Steuerlüge" kritisierten, sondern wenn Sie den Tatbestand kritisierten, daß die Mehrheit in diesem Hause vor der Wahl gesagt hat „Keine Steuererhöhungen!" und nach der Wahl das Gegenteil gemacht hat? ({0})

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Kollegin, es gibt ein Buch - ich glaube, es ist das mit der höchsten Auflage in der Welt -, das beginnt mit den Worten: Am Anfang war das Wort. Es gibt einen Sachverhalt, der beinhaltet, daß eine Seite dieses Hauses lange Zeit geglaubt hat, man könne die unterschätzten Probleme der realen Herstellung der deutschen Einheit ohne Steuererhöhungen lösen, und in einem späteren Zeitpunkt hat sie sich anders entschieden, wie sich das dann gehört, wenn man merkt, daß sich etwas anders darstellt. Das ist ein Sachverhalt, und diesen Sachverhalt kann man erklären. Es mag sogar sein, daß der eine oder andere auf dieser Seite des Hauses ernsthafte Zweifel daran gehabt haben könnte, ({0}) ob diese Aussage zutreffend ist oder nicht. Aber zu einem totalen Glaubwürdigkeitsverlust von Politik und zu entsprechenden gesellschaftlichen Prozessen - damit komme ich auf den Anfang meiner Bernerkung zurück - kommt es durch die Wirkung des Wortes, ({1}) die ständige Wiederholung einer solchen diffamierenden und wirklich nicht zutreffenden Vokabel. Darüber bitte ich Sie nachzudenken. ({2}) Deshalb, Herr Kollege Ebert, weise ich das, was Sie über die Rezession in den westlichen Ländern gesagt haben, auch nicht als Miesmacherei zurück. Das ist nämlich auch wieder so ein Begriff. Ich bitte Sie nur herzlich: Lesen Sie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das erste Quartal 1991, und lesen Sie vor allen Dingen die Prognose der OECD über die Entwicklung. ({3}) Dann werden Sie feststellen, daß das, was Sie gesagt haben, unzutreffend ist. Aber das ändert nichts daran, daß wir alle gemeinsam eine Riesenaufgabe zu bewältigen haben, denn es gibt diese positiven Faktoren und diese positiven Entwicklungen mit hinreichender Sicherheit tatsächlich nur in den alten Bundesländern. Es besteht eine Riesendiskrepanz zu den ökonomischen Entwicklungsprozessen in den neuen Bundesländern. Dieses Gefälle müssen wir ausgleichen, wir müssen es überwinden. Versuchen wir doch wenigstens, uns sachlich und inhaltlich über die anstehenden Fragen auseinanderzusetzen. Mit dem Beschlußvorschlag, der jetzt hier auf dem Tische liegt, wollen wir der Bundesregierung die Position des Deutschen Bundestages in die entscheidende Verhandlungsrunde, die am Montag im ECOFIN-Rat stattfindet, mitgeben. Sie wissen es, wir haben am Dienstag noch ein besonderes Hearing zu diesen Vorlagen durchgeführt. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß die beiden europäischen Persönlichkeiten, die sich uns zur Verfügung gestellt haben, die Kommissarin Scrivener und der Vorsitzende des Ausschusses im Ministerrat, Herr Romain Bausch, überzeugende Persönlichkeiten sind, bei denen diese Aufgabe in guten Händen ist. Wir kommen dem europäischen Binnenmarkt Schritt für Schritt näher. Über unsere nationalen Probleme mit der materiellen Herstellung der deutschen Einheit wird gelegentlich vergessen, daß diese Bundesregierung kontinuierlich viel für die Entwicklung Europas tut und dabei auch vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckt. Im Laufe der letzten Jahre hat sich ein ganz interessanter Entwicklungsprozeß zur Steuerharmonisierung - insbesondere der indirekten Steuern - gezeigt. Schon der erste Ansatz, nämlich bei der Mehrwertsteuer und bei den Verbrauchsteuern mit Bandbreiten zu operieren, machte deutlich, daß man die ehrgeizige Punkt-Harmonisierung, von der ursprünglich einmal die Rede war, preisgegeben hat. Die letzten Entwicklungen - man gibt sich mit Mindestsätzen zufrieden und erhält die ursprünglichen Zielvorgaben nur mehr als Orientierungshilfen aufrecht - zeigen dies noch deutlicher. Dahinter steckt eine Erkenntnis, die im Finanzausschuß schon bei der Anhörung im Jahre 1988 offenkundig war und dort auch artikuliert worden ist, nämlich daß man den Harmonisierungsprozeß guten Gewissens dem Wettbewerb der Steuersysteme auf einem bestimmten Mindestlevel anvertrauen kann. Meine Damen und Herren, das heißt dann z. B., daß wir uns in Kürze ernsthaft werden überlegen müssen, ob wir uns weiter den Luxus leisten können, für eine Flasche Schaumwein 2 DM zu kassieren, was dem Achtfachen des derzeitigen Mindestsatzes entspricht. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Deswegen haben wir der Bundesregierung empfohlen, mit dem Ziel einer Anhebung der Mindestsätze zu verhandeln. Umgekehrt gilt: Es gibt keinerlei Harmonisierungsbedarf bei der Kaffeesteuer. Ich sehe jedenfalls keine Argumente dafür, daß wir sie etwa abschaffen müßten. Meine Kolleginnen und Kollegen, was Sie bei dem Thema Mehrwertsteuer einschließlich des Antrags hier veranstalten, erscheint mir doppelzüngig. ({4}) Es erscheint mir europafeindlich. ({5}) - In der Tat. - Es erscheint mir auch unglaubhaft. Es scheint mir deshalb doppelzüngig zu sein, weil die SPD-geführten Bundesländer - offen oder verdeckt - für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer plädieren. Das kann man auch sehr gut verstehen; denn an der Mehrwertsteuer partizipieren sie mit gut einem Drittel, während sie von der hier im Hause offen propagierten mittelfristigen Ergänzungsabgabe nicht profitieren. Europafeindlich ist es auch deshalb, weil sie natürlich ganz genau wissen, daß wir, aus welcher Motivationskiste heraus auch immer, mit einer Zustimmung zu einem Mindestsatz von 15% einen ganz entscheidenden Beitrag für den europäischen Durchbruch leisten werden. Sie wissen, daß alle Länder, mit Ausnahme von Spanien, Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland, die für 14 % plädiert haben, für 16 % sind. ({6}) - Es geht überhaupt nicht um Ausreden. Ich komme gleich noch einmal auf das Thema Ausreden zurück. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir von den Koalitionsfraktionen können nicht ausschließen, daß in Europa dieser Mindestsatz festgesetzt werden wird. Wir verstecken uns aber dann nicht hinter dieser Situation, wenn wir national glauben, die Mehrwertsteuer erhöhen zu müssen. Die beiden Dinge laufen parallel nebeneinander. Ich benutzte das Wort „unglaubhaft" . Meine Damen und Herren, die SPD ist doch nicht jungfräulich, was Mehrwertsteuererhöhungen betrifft. ({7}) - Ganz sicherlich nicht! Es begann in der Großen Koalition damit, daß 1968 die Mehrwertsteuer, obwohl die bereits fertigen Gesetzestexte 10 % vorsahen, gleich auf 11 % festgesetzt wurde. Am 1. Januar 1978 war es Hans Apel, der die Mehrwertsteuer von 11 auf 12 % erhöhte. Am 1. Juli 1979, also nur anderthalb Jahre später, war es Hans Matthöfer, der die Mehrwertsteuer von 12 auf 13 % heraufsetzte. ({8}) Lassen Sie mich einmal den wirklich geschätzten Kollegen Apel aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages vom 21. April 1977 zitieren. Da heißt es: Eines akzeptiere ich allerdings keineswegs, nämlich daß die Mehrwertsteuer eine unsoziale Steuer sei. Die Mehrwertsteuer trifft alle Bürger . . ., soweit sie kaufen. Dabei wird der Bedarf des täglichen Lebens, insbesondere die Nahrungsmittel, wesentlich geringer belastet als die Güter, die zum gehobenen Bedarf gehören. Wenn tatsächlich über eine Mehrwertsteuererhöhung im Europakorsett gesprochen werden müßte, dann zwingt uns doch niemand, z. B. die ermäßigten Sätze gleich mit zu erhöhen. Die Formel vom halben Steuersatz hat doch keinen Ewigkeitswert. ({9}) - Ich will noch weitergehen, Herr Kollege Müntefering. Die Freie Demokratische Partei ist im Zuge einer solchen Operation sogar bereit, darüber nachzudenHans H. Gattermann ken, ob der ermäßigte Satz nicht gar noch etwas geringer sein könnte. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Gattermann, da Sie gerade die Frage der sozialen Wirkung der Mehrwertsteuer angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob ich Sie richtig verstehe, daß Sie hier ankündigen, den ermäßigten Steuersatz fallenlassen zu wollen. Wie würden Sie dieses den Bürgerinnen und Bürgern in Ostdeutschland erklären, die auf Grund des außerordentlich niedrigen Einkommensniveaus einen erheblichen Teil ihres Einkommens, wenn nicht das gesamte Einkommen, gerade zur Deckung des täglichen Bedarfs ausgeben müssen und daher davon in besonderer Weise betroffen wären? ({0})

Hans H. Gattermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000637, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Kollege Wieczorek, zunächst eine Klarstellung: Ich habe hier nichts angekündigt. ({0}) Vielmehr habe ich lediglich gesagt, daß uns das europäische Korsett, über das wir uns im Moment unterhalten, die Möglichkeit eröffnet, den ermäßigten Satz im Hinblick auf die sozialen Wirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung nicht nur beizubehalten, sondern ihn möglicherweise sogar noch zu senken. Wenn das so ist, dann haben Sie gerade eine besonders gute Begründung für eine solche Maßnahme gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern geliefert. Herzlichen Dank! ({1}) Lassen Sie mich, was die Doppelzüngigkeit und unsere angebliche Unglaubwürdigkeit betrifft, weiter Hans Apel zitieren: Im übrigen bedeutet diese Mehrwertsteueranhebung auch einen Schritt in Richtung Europa, indem ... die in der Bundesrepublik geltenden Steuersätze bei der Mehrwertsteuer schrittweise dem Durchschnitt der höheren Besteuerung bei der Mehrwertsteuer in den anderen EG-Staaten angeglichen werden. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist doch nicht das erste Mal im Leben irgendeines Menschen oder Politikers, daß es für bestimmte Maßnahmen mehrere Argumentationsebenen gibt. Niemand versteckt sich hinter Europa, wenn wir denn wirklich die Mehrwertsteuer erhöhen werden. ({3}) Denn es gibt hervorragende Begründungen dafür, wenn eine Erhöhung wirklich notwendig werden sollte. ({4}) Es entbehrt doch nicht einer gewissen Lächerlichkeit, sich hier hin und her darüber zu unterhalten, ob hier wegen Europa dieses oder jenes geschehen muß. Wenn wir im Zuge unseres Aufbauwerkes Ost, wenn wir bei unseren Hilfen für Südost- und Osteuropa, wenn wir für die sonstigen zusätzlichen Aufgaben nach Auslaufen der Ergänzungsabgabe weiterhin Geld brauchen und in dem Kontext die Mehrwertsteuer erhöhen, dann werden wir das begründen. Wir haben dies dem Bürger gesagt. Wir werden uns ganz sicher nicht hinter Europa verstecken. Wenn bei dieser Gelegenheit zugleich ein Beitrag für Europa erbracht wird, dann ist das eine hervorragende freundliche Zugabe. ({5}) Meine Damen und Herren, ich wollte wirklich noch einiges zu den entscheidenden Fragen, die uns im Ausschuß bezüglich des Erhebungsverfahrens für die Mehrwertsteuer usw. umgetrieben haben, sagen. Das kann ich jetzt im Zweifel aus Zeitgründen nicht mehr. Ich will nur darauf hinweisen: Wir haben gute Aussichten, daß die Regelung, so wie sie am Ende im Gesetz stehen wird, noch einfacher, als das zur Zeit der Fall ist, werden wird und daß sie vor allen Dingen den nationalen Handlungsspielraum eröffnet, um das Haftungsrisiko für den deutschen Exporteur in einer fairen Weise zu regeln. Lassen Sie mich abschließend sagen: Bis auf den Punkt der Mehrwertsteuererhöhung und der Mineralölsteuererhöhung wurde das alles im Finanzausschuß einstimmig beschlossen. Insofern ist das eine nützliche Hilfe und Stärkung der Bundesregierung in den weiteren Verhandlungen. Daß Sie diese beiden Ausnahmen gemacht haben, verstehe ich. Im Fall der Mineralölsteuer geschah dies deshalb, weil es sonst einen Widerspruch zu Ihrem grundsätzlichen nationalen steuerpolitischen Konzept für einen ökologischen Umbau gegeben hätte. Ich verstehe dies in etwas begrenzterem Maße auch auf die Mehrwertsteuer bezogen, weil Sie ja glauben, daß Sie hier das Thema „Steuerlüge" - das ist jetzt ein Zitat, nicht mein eigenes Wort - fortsetzen können. Meine Damen und Herren, ich wünsche der Bundesregierung bei ihren abschließenden Beratungen guten Erfolg. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich, der ich mit diesen Fragen erst neu konfrontiert bin, einige Aussagen zu dem vorliegenden Problem mache. Nach meiner Meinung muß man bei der Frage der Harmonisierung der Mehrwertsteuern im Zusammenhang mit dem europäischen Binnenmarkt zwei Seiten unterscheiden. Einerseits geht es um die Harmonisierung von Steuervorschriften im Zusammenhang mit dem europäischen Binnenmarkt und damit um einen entscheidenden Schritt in Richtung eines geeinten Europas. So fand auch der Punkt 1 der vorliegenden Beschlußempfehlung unsere ungeteilte Zustimmung. Das wird auch weiterhin der Fall sein. Ich darf aber an dieser Stelle auch einflechten, daß sich für uns die Vereinigung Europas nicht nur auf die Fragen des Binnenmarktes beschränkt. Sie ist für uns mit einer umfassenden Demokratisierung, vor allem mit demokratischer Kontrolle wirtschaftlicher Macht, mit Fragen des sozialen Schutzes und der Garantie sozialer Sicherheiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und mit der Gleichstellung von Frauen und Männern verbunden. Bei der Vollendung des europäischen Binnenmarktes geht es uns um die Festlegung der jeweils bestmöglichen Gesundheitsvorschriften und Normen für die Umwelt sowie um Verbraucherschutz für alle Europäer. Das ist die Seite, die Europa betrifft. Andererseits - das möchte ich deutlich abheben - geht es um eine weitere Erhöhung der Steuern für Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die ja die Koalitionsparteien bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung langfristig anvisiert haben und die in jedem Fall unsere Ablehnung erfahren werden, weil sie einen weiteren Schritt in Richtung Steuerungerechtigkeit bedeuten. Die Erhöhung der Mehrwertsteuern belastet die Einkommensschwachen stärker, da bei Ihnen der Anteil der konsumtiven Ausgaben, die ja mit einer Mehrwertsteuer belegt sind, erheblich höher als bei Einkommensstarken ausfällt. Sie wissen selbst, wie hoch der Anteil ist, den man zum Leben braucht, wenn man nur 1 000 DM im Monat verdient. Wo sind also Gedanken, all diejenigen starker an der Staatsfinanzierung zu beteiligen, die die Vorteile der gegenwärtigen Politik in vollen Zügen genießen? Es geht also vor allem um die sozialen Wirkungen der Mehrwertsteuererhöhung, nicht schlechthin um Mehrwertsteuererhöhung. Darüber hinaus gibt es weitere Gründe, über eine Mehrwertsteuererhöhung nachzudenken. Es gibt Berechnungen der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaft" , daß bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auch die Inflationsrate ansteigt. Für dieses Jahr ist bei einer fiktiven Anhebung der Mehrwertsteuer um 1 % eine zusätzliche Inflationsrate von 0,9 % berechnet worden. Der entsprechende Anstieg der Lebenshaltungskosten müßte in den Tarifverhandlungen berücksichtigt werden. Die Gefahr, daß gegen diese Entwicklung eine restriktive Geldpoliltik mit belastenden Produktions- und Beschäftigungswirkungen gerichtet wird, wäre groß. Sie wäre besonders groß für die neuen Bundesländer. Zugleich werden weitere Zinserhöhungen provoziert, was Investitionen zusätzlich verteuert und den Umbau in den neuen Bundesländern erschwert. Für den Bürger bedeutet das u. a. weitere Mietsteigerungen, die Erschwerung von Verbesserungen im Wohnbereich durch Neubau oder die Modernisierung von Wohnungen. Aus diesen Gründen lehnen wir im Interesse der Bürgerinnen und Bürger eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik ab. Wir fordern die Bundesregierung auf, in der EG gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer über die jetzt geltende Mindestspanne von 14 % hinaus einzutreten. Falls die Bundesregierung über die Zustimmung zu den sich auf der EG-Ebene abzeichnenden Bestrebungen, die Mehrwertsteuer auf mindestens 15 % festzulegen, nachdenkt, fordern wir im Interesse der Bürger, daß in gleichem Maße über Erleichterungen für sozial Schwache nachgedacht wird und konkrete Entlastungen von Steuern und Abgaben erfolgen. Wir sehen Handlungsbedarf insbesondere bei der Erhöhung von Steuerfreibeträgen, bei der Erhöhung von Kindergeld oder Kinderfreibeträgen, besonders für Alleinerziehende. Dringend darüber nachgedacht werden sollte, die Bürgerinnen und Bürger von der angekündigten Pflegeversicherung durch die Übernahme des Pflegerisikos durch den Bund zu entlasten. Zugleich sollten aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer folgende Wirkungen auf die Existenz der Unternehmen in den neuen Bundesländern durch die Bundesregierung konkret untersucht und Maßnahmen getroffen werden, die eine Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht wieder abbremsen. Zur Finanzierung der Steuerentlastungen und des Ausgleichs der Wirkungen auf die Unternehmen in den neuen Bundesländern sollten die unmittelbaren Gewinner am europäischen Binnenmarkt angemessen zur Kasse gebeten werden. Das sind die Unternehmen, die schon jetzt nicht in den neuen Bundesländern investieren, sondern in Ländern des künftigen europäischen Binnenmarktes, um sich Marktpositionen zu sichern. Das richtet sich nicht gegen die Unternehmen, sondern zielt nur auf eine sozial gerechtere Verteilung und eine Korrektur angesichts des wachsenden Reichtums auf der einen Seite und sozialer Bedürftigkeit auf der anderen. Wir erwarten sozial gerechte Lösungen bei der Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Danke. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Wilfried Seibel.

Wilfried Seibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002147, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag ist am Ende dieser Debatte aufgefordert, eine Beschlußempfehlung an die Bundesregierung zu verabschieden, mit der das Parlament seine Meinung zum Ausdruck bringt und damit die Verhandlungen der Bundesregierung konditioniert. Diese Materie ist nicht nur außerordentlich kompliziert, sondern hinsichtlich ihrer Wirkung derartig vielfältig, daß höchste Aufmerksamkeit geboten ist. Mit Akribie haben sich die Fraktionen des Parlaments dieser Aufgabe gewidmet und dabei dem wichtigen Aspekt z. B. der Stofflieferanten für kleinere Brennereien ebenso Rechnung getragen wie dem bedeutsamen Anliegen der Umweltschützer und Landwirte, die es nicht hinnehmen wollen, daß bei der Harmonisierung der europäischen Verbrauchsteuern am Ende ein einheitlicher Steuersatz für alle Treibstoffe, also auch die aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnenen Treibstoffe, herauskommen würde. ({0}) Der steuerfreie Haustrunk von Mitarbeitern der Brauereien wird in den vorgelegten Entschließungsanträgen ebenso gewürdigt wie die zu einem eigenständigen Forderungspunkt erhobene Berücksichtigung der besonderen Probleme bei der Besteuerung von Schaumweinen. ({1}) Aus der öffentlichen Anhörung in dieser Woche sowie aus den Beratungen des Finanzausschusses ist vor dem Plenum deutlich darauf hinzuweisen, daß sich bei allen Mitgliedern des Finanzausschusses tiefe Sorgenfalten auf der Stirn zeigten, als die administrativen Feinheiten der geplanten Übergangsregelung auf dem Wege zu einer endgültigen Harmonisierung deutlicher wurden. ({2}) Es ist daher erfreulich festzustellen, daß sich mit überwiegender Mehrheit alle Fraktionen im Finanzausschuß darauf verständigt haben, die Bundesregierung nachhaltig zu bitten, in den Verhandlungen für eine klare zeitliche Befristung der Übergangsregelung bis 1995 Sorge zu tragen. ({3}) Mit großer Zufriedenheit ist festzustellen, daß nach der Anhörung die europäische Kommissarin, Madame Scrivener, in einem Schreiben an den Finanzausschuß des Deutschen Bundestages erfreuliche Klarstellungen vorgenommen hat, die es ermöglichen, bei der Umsetzung der europäischen Richtlinien in nationales Recht die Ursachen für diesen begründeten Unmut zu beseitigen. Diese Feststellungen Madame Sriveners haben in den vorliegenden Entschließungsantrag Eingang gefunden. Wir bitten die Bundesregierung, in diesen Punkten standhaft zu bleiben. Es kann nicht Sinn der Harmonisierung des europäischen Steuerrechts sein, neue Bürokratien bei den öffentlichen Händen und bei den Privaten in großem Umfang notwendig zu machen. So würde der Abbau der bisherigen Zollhemmnisse nur verlagert und nicht beseitigt, was wir alle wollen. In der Intention meiner Rede war es ursprünglich angelegt, diese Umstände, Besorgnisse und notwendigen Klarheiten näher zu beschreiben und ihre Aufhebung deutlicher einzufordern. Die Einlassungen der Vorredner aus der Fraktion der SPD veranlassen mich jedoch, mich näher mit dem Argument auseinanderzusetzen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien die Harmonisierung des europäischen Steuerrechts nur als Vorwand gebrauchten, um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer hinter diesem Schritt europäischer Integration wohlfeil verstecken zu können. ({4}) - Geduld! Ohne Zweifel ist die Mehrwertsteuer eine Steuer, die breiteste Kreise von Steuerpflichtigen berührt. Daher ist im Umgang mit ihr besondere Sensibiltität geboten. Da sie aber breiteste Kreise der Bevölkerung berührt, verlockt sie offensichtlich immer wieder dazu, sie zum Gegenstand der Spekulation und leider, wie auch heute hier erlebt, der Agitation zu machen. ({5}) Wie ließe sich der politische Gegner besser diskriminieren als damit, daß man ihn verdächtigt, ständig zu Lasten aller Steuerbürger die finstersten Absichten und Pläne zu hegen, und in wie glänzendem Lichte kann man seine eigene politische Position darstellen, wenn man sich selbt quasi zum Robin Hood, dem Beschützer der Witwen und Waisen gegen den bösen Herzog, macht, der dem Mitbürger das gerade im Schweiße seines Angesichts Gewonnene wieder wegnehmen will und sich dabei aller Listen und Täuschungen bedient! ({6}) Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sind Sie eigentlich sicher, daß dieser grobe Keil das richtige Werkzeug für die hier zu behandelnden Fragen ist? Die Logik - wenn es denn da eine gibt - des von Ihnen geschürten Verdachts konsequent zu Ende gedacht, heißt doch nichts anders, als daß der Finanzminister den Plan hegt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und in den von Ihnen unterstellten Bemühungen, das Wählervolk zu täuschen oder gar zu belügen, so weit geht, daß er eine Ausrede erfindet, die da lautet: Wir wollen 1993 einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt errichten; zu dessen unabdingbarer Funktion gehört es, die in ihren Sätzen sehr weit auseinanderklaffende Steuer zu harmonisieren, für ihre Anwendung praktikable Verwaltungsvorschriften zu erlassen, und dies alles nur, um nationalen Egoismus zur Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verschleiern. Kollege Ebert, mir ist bei Ihren Worten sinngemäß Schopenhauer eingefallen, der gesagt hat: „Erlebe die Welt als Wille der Vorstellung." ({7}) Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie mit einer solch aberwitzigen Argumentation ({8}) niemanden überzeugen können, der bereit ist, sich mit diesen Dingen sachlich auseinanderzusetzen. Ich glaube, Ihre Argumentation wird nur aufgebaut, um sich selbst einen Erfolgsrausch zu verschaffen, den Ihnen die reale Politik nicht ermöglicht. ({9}) Die Lust an der abstrusen Taktik ist mit Ihnen durchgegangen. Wie anders wäre es zu erklären, daß die Äußerungen des Hamburger Bürgermeisters Voscherau, des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder und, last not least, des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm von Ihnen in die unterste Schublade verbannt wurden? Alle drei haben im Zeitraum zwischen August und September 1990 massiv dafür gestritten, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Björn Engholm argumentierte noch gegen Oskar Lafontaine, „daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer ein klar kalkulierbarer Weg mit geringem Aufwand sei und viel vorteilhafter als die Einführung einer von Lafontaine geforderten Ergänzungsabgabe. " ({10}) In Wahrheit haben alle drei Ministerpräsidenten vor knapp einem Jahr die Mehrwertsteuererhöhung gefordert, weil ihre Länderhaushalte derart defizitär waren, daß nur über den Anteil einer höheren Mehrwertsteuer ausreichend Geld in die Kassen geflossen wäre. Ich habe etwas Schwierigkeit mit meiner Redezeit. Ich will deshalb zu einem vorzeitigen Ende kommen. Wer zu dem klaren politischen Bekenntnis steht, die europäische Einheit zu wollen, muß auch bereit sein, die verstärkte Integration zu tragen. Zu den Folgen gehören nun einmal harmonisierte Steuersätze und Steuerverfahren. Ein letzter Satz. Die Kollegin Renate Hellwig hat zu Recht darauf hingewiesen, was wir unseren europäischen Partnern eigentlich abverlangen, wenn wir die Harmonisierung im Mittelmaß der Prozentsätze verweigern. Dieser Gegenstand ist nicht geeignet, nationale Egoismen durchzusetzen. Wer dies versucht, wird durch die später einsetzende wirtschaftliche Entwicklung so oder so bestraft werden. Dieser Gegenstand ist nicht geeignet, parteipolitische Spielchen daran zu knüpfen. ({11}) Die nationale Verantwortung und insbesondere die nationale Verantwortung in einem größeren Europa verbietet es eigentlich, so zu argumentieren und so vorzugehen. Schützen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, davor, der Lust, Robin Hood spielen zu wollen, wieder einmal zu erliegen, ({12}) und seien Sie bereit, Ihrer Verantwortung für einen gemeinsamen Binnenmarkt in einem freien Europa gerecht zu werden! Ich habe insbesondere der Präsidentin zu danken, daß sie mich so lange hat reden lassen. Danke schön. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Grünewald.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der 1. Januar 1993 rückt immer näher, der Druck wird immer größer, und wie die Diskussion hier heute Mittag zeigt, wächst auch die Nervosität über dieses Problem stetig an. Wir müssen beklagen, daß wir für die Harmonisierung von Umsatzsteuern und Verbrauchsteuern noch keineswegs hinreichend gerüstet sind. Wir wissen auch, daß noch sehr gewichtige Grundsatzentscheidungen ausstehen. Aber, Herr Kollege Ebert, das der Bundesregierung anzulasten entbehrt dann doch jedweder Seriosität. Einer der offenen Punkte ist zweifellos die hinreichende Annäherung der Steuersätze. Nur um der Legendenbildung vorzubeugen: Die Bundesregierung hat sich, wie Sie alle wissen, konsequent und immer für eine Harmonisierung auf möglichst niedrigem Niveau eingesetzt. ({0}) Sie hat sich auch immer für die Bandbreiten von 14 bis 20 % beim Normalsatz und von 4 bis 9 % beim ermäßigten Steuersatz ausgesprochen. Dies haben die anderen Länder aus wohlerwogenen Gründen nicht gewollt, und sie wollen jetzt Mindestsätze. Sie möchten ganz mehrheitlich einen Mindestsatz von 16 %, wie uns Frau Scrivener in dieser Woche gesagt hat. Wir haben, auch unser Finanzminister Theo Waigel, bis zuletzt an unserer Vorstellung einer Bandbreite mit einem Mindestsatz von 14 % festgehalten. Aber wir waren neben Luxemburg und Spanien allein. Da kann man sich halt nicht immer durchsetzen. Wenn es nun so kommt, wie zu erwarten ist, daß wir uns auf den Kompromiß von 15 % werden einigen müssen, dann müssen wir mit dem Kollegen Gattermann doch wirklich einmal sagen dürfen: Wer eine Annäherung der Steuersätze wirklich will, der muß diesem Kompromiß zustimmen, ({1}) der muß sich zu Europa bekennen, oder wir müssen unseren gemeinsamen europäischen Weg und Gedanken aufkündigen. Beim ermäßigtem Umsatzsteuersatz ist ein Mindestsatz von 5 % ganz unstreitig. Jetzt müssen wir natürlich noch den Anwendungsbereich ausfüllen. Da haben wir viele Möglichkeiten, auch sehr viele Möglichkeiten zu einer sozialverträglichen Ausgestaltung. Einer befristeten Beibehaltung von sogenannten superermäßigten oder gar Nullsteuersätzen wird die Bundesregierung nur dann zustimmen, wenn WettbeParl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald werbsverzerrungen so gut wie ausgeschlossen werden können. Ziel der Umsatzsteuerharmonisierung in einem Binnenmarkt ist der Wegfall des heutigen Grenzausgleichs. Dieses Endziel erscheint derzeit aber noch nicht erreichbar. Die anderen Mitgliedstaaten möchten deshalb für eine Übergangszeit ein System, das sich am Bestimmungsland orientiert. Diesem System, das 1989 im Rat beschlossen worden ist, dem wir aber immer widersprochen haben, kann die Bundesregierung überhaupt nur dann zustimmen, wenn gewährleistet ist, daß die Grenzkontrollen fortfallen und daß das Ganze mit geringerem Verwaltungsaufwand verbunden ist. Aber selbst wenn das so kommt, ist das aus der Sicht der Bundesregierung nur eine Notlösung, die uns unserem Endziel, das wir doch gemeinsam tragen, nämlich dem Ursprungslandprinzip, nicht viel näherbringt. Der erst jetzt, erst seit dieser Woche im Entwurf vorliegende Rechtstext zeigt, daß die Übergangslösung ohne Mehraufwand für Wirtschaft und Verwaltung nicht zu verwirklichen sein dürfte. Wir haben das auch in der Anhörung erfahren, und die Bedenken der Wirtschaft nehmen wir außerordentlich ernst. Deshalb ist auch für uns der vorliegende Rechtstext so nicht akzeptabel. Die Bundesregierung wird sich daher mit allen Mitteln für Regelungen einsetzen, die praktikabel und möglichst einfach anzuwenden sind. Gleichzeitig müssen wir auf eine baldige Verabschiedung drängen, denn wir müssen diese Rechtstexte noch rechtzeitig in nationales Recht umsetzen können. Unter diesen Bedingungen sind wir grundsätzlich bereit, die Übergangslösung zu akzeptieren. Wir müssen aber auch eine Perspektive für das endgültige System sehen. Deswegen müssen wir auf eine Begrenzung der Zeit drängen und zugleich auf einen Grundsatzbeschluß bestehen, der sich zum Ursprungslandprinzip bekennt. ({2}) Die Harmonisierung der Verbrauchsteuern ist besonders schwierig, nicht nur weil in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche Waren besteuert werden, sondern auch weil wir in den Ländern ganz extrem unterschiedliche Steuersätze zu verzeichnen haben. Daher ist der Ansatz richtig, nur die wichtigsten, grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten bekannten Verbrauchsteuern zu harmonisieren, also die Steuern auf Mineralöl, Tabak und alkoholische Getränke. Nach verschiedenen Harmonisierungsansätzen der EG geht die Tendenz jetzt dahin, auch dort nur Mindestsätze vorzusehen. Dazu muß man ganz offen und ehrlich sagen: Das ist keineswegs ein idealer Harmonisierungsstandard, aber nur er ist offenbar zu dieser Zeit allein konsensfähig. Bei den Mindestsätzen für Kraftstoffe besteht Übereinstimmung aus umweltpolitischen Gründen, daß wir diesen Ansatz möglichst hoch ansiedeln müssen. Wir Deutschen müssen Wert darauf legen, daß die Sätze für Benzin und Diesel näher angeglichen werden. Wir müssen auch auf ein ausgewogenes Verhältnis Wert legen, damit wir an unserer gerechten Erdgasbesteuerung festhalten können. Deswegen sind wir auch da mit einem Nullsatz einverstanden. Bei den alkoholischen Getränken liegt das Hauptproblem bei dem nichtschäumenden Wein, bei dem sogenannten Stillwein. Über einen Nullsatz wird diskutiert; wir könnten damit leben. Aber ein Nullsatz in diesem Bereich darf nicht dazu führen, daß wir für den Wein umfängliche Steuergesetze verabschieden müssen oder sogar noch Steueranmeldungen vorschreiben müssen. Bei der Biersteuer kämpfen wir um unsere bewährte Biersteuermengenstaffel, auch im Sinne unserer kleineren Brauereien. Wir haben beim Alkohol noch das große Problem der etwa 30 000 Abfindungsbrennereien, hinter denen sich über 400 000 Stoffzulieferer verbergen. Auch hier müssen wir dafür sorgen, daß dieses Problem Aufnahme in die Harmonisierungsrichtlinien findet. Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Entschließungsantrag wird von uns ganz ausdrücklich begrüßt. Er wird der Regierung zweifellos eine sehr wertvolle Hilfe für die weiteren und sicher sehr schwierigen Verhandlungen in der EG sein. Herr Gattermann, wir als Regierung danken Ihnen ganz ausdrücklich für Ihre guten Wünsche zu dem Erfolg dieser Beratungen. Wir danken aber auch der Opposition, daß sie in den meisten und wichtigsten Punkten - das ist für die Durchsetzbarkeit in der EG von größter Bedeutung - mit uns übereinstimmt. ({3}) Daß dieses Thema aus innenpolitischen Gründen mit der sachfremden Diskussion um den Mindeststeuersatz bei der Mehrwertsteuer ein wenig verwässert wird, bedauern wir, sehen wir Ihnen aber nach. Schönen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/688 zu den in der Tagesordnung unter Nr. 1 bis 13 aufgeführten Vorlagen die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der SPD verlangt zu einzelnen Punkten der Entschließung getrennte Abstimmung. Wir stimmen zunächst über Nr. 1 der Entschließung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Nr. 1 bei drei Enthaltungen angenommen. Wer stimmt für Nr. 2.1 der Entschließung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist Nr. 2.1 der Entschließung gegen die Stimmen der SPD, der PDS und des Bündnisses 90/GRÜNE angenommen. Wer stimmt für die Nr. 2.2 bis 3.3 der Entschließung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Nr. 2.2 bis 3.3 sind bei einer Enthaltung angenommen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Wer stimmt für die Nr. 3.4.1 bis 3.4.3 der Entschließung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit sind die Nr. 3.4.1 bis 3.4.3 gegen die Stimmen der Fraktion der SPD, des Bündnisses 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste angenommen. Wer stimmt für die Nr. 3.4.4 bis 3.6.2 der Entschließung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist auch dieser Teil der Entschließung bei drei Enthaltungen angenommen. Damit ist die Nr. I der Beschlußempfehlung insgesamt angenommen. Des weiteren empfiehlt der Finanzausschuß unter II und III, die übrigen in der Tagesordnung aufgeführten EG-Vorlagen für erledigt zu erklären und eine Unterrichtung durch das Europäische Parlament zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei 1 Enthaltung angenommen. Wir stimmen jetzt noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/674 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag der SPD ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP abgelehnt. Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: ZP3 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 12/656 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Innenausschuß Haushaltsausschuß ZP4 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren zur Durchführung des Volksentscheides nach Artikel 146 Absatz 2 des Grundgesetzes ({2}) - Drucksache 12/657 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Innenausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht erst seit unserem Bremer Parteitag wissen Sie, daß wir für die Einführung plebiszitärer Elemente in die Verfassung eintreten. Ich glaube, es gäbe wohl keinen besseren Zeitpunkt für diese Einführung als den jetzigen, in dem es gilt, die Frage des künftigen Regierungs- und Parlamentssitzes mit Hilfe einer Volksabstimmung zu klären. ({0}) Selten hat eine politische Diskussion, wie wir sie zur Zeit erleben und selber führen, nach einer Entscheidung durch die Menschen selbst, durch die Bürger in Deutschland geradezu geschrien; denn die Argumente liegen auf dem Tisch. Die Diskussion wurde zur Unzeit begonnen, und über sie wurde unglücklich entschieden im Einigungsvertrag. Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß sich Herr de Maizière mehr um die Einheit von Regierungssitz und Hauptstadt als um die Weiterführung der ersten Strophe der alten DDR-Nationalhymne hätte kümmern sollen. ({1}) - Das ist ja nicht der einzige Punkt, wo die DDR über den Tisch gezogen wurde. Ich denke hier bloß an den Länderfinanzausgleich, der ebenfalls nicht zustande kam. ({2}) Die Argumente liegen auf dem Tisch. Die Diskussion geht quer durch alle Fraktionen. Die Diskussion über die Hauptstadtfrage hatte ihre Höhen und Tiefen. Neue Argumente kommen nicht hinzu. Man hat, wenn man auf der Tribüne sitzt, manchmal den Eindruck, daß sich die Politiker bei dieser Frage in eine Sackgasse begeben haben. Die Menschen - das wissen Sie nach den letzten Veröffentlichungen - wünschen eine Volksabstimmung. Die Zahl von 80 % ist nicht gerade klein. Wenn auch wir jetzt eine Volksabstimmung fordern, hat das mit Populismus überhaupt nichts zu tun; sondern wir sind bereit, auf die neue Situation in Deutschland einzugehen. ({3}) Wir schämen uns der Diskussion, die in unserer Partei über diese Frage geführt wird, nicht. Ganz im Gegenteil. Wir wünschen uns, daß noch mehr über wirklich existentielle Fragen in einer solchen Breite diskutiert wird ({4}) wie bei der Frage der Hauptstadt, öffentlich, unter Wahrung aller Rechte und Anhörung aller Stimmen. Man muß die Frage stellen: Wäre das, was sich jetzt als mögliche „Kompromißvariante" abzeichnet, zustande gekommen, wenn wir nicht in Bremen mit überwältigender Mehrheit eine Volksabstimmung gewünscht hätten? ({5}) Dadurch entsteht doch der Druck an dieser Stelle. Vorher hat sich überhaupt nichts bewegt. ({6}) Ich denke, das sind Gründe, auf die man eingehen müßte. ({7}) Doch auch wenn in der Berlin-Diskussion alle Argumente auf dem Tisch liegen, gibt es gegen eine Volksabstimmung ausgesprochen große prinzipielle Bedenken. Wenn ich es richtig verstanden habe, will man hier einen Modellfall ablehnen, weil man generell gegen die Einführung plebiszitärer Elemente ist. Deswegen sei es mir gestattet, auf Punkte einzugehen, die für meine Begriffe die veränderte Situation in Deutschland belegen. Wer, wenn nicht die Menschen in der DDR selber, hat das posttotalitäre System, das sich fälschlicherweise Sozialismus nannte, geändert? Wer hat dieses DDR-System gestürzt? Ist hier irgendeine Kontrolle von außen vorgenommen worden, oder ist das von allein gekommen? Dieses Stürzen geschah ohne Gewalt. Ganz im Gegenteil; ich kann mich gut erinnern, daß der Ruf lautete: Ohne Gewalt! Da wurden sogar Staatssicherheitseinrichtungen geschützt. Das ist ein Zeichen von Reife, das hier und von anderen europäischen Ländern nicht erwartet worden war. Die Menschen hatten sich für eine friedliche Revolution in der DDR entschieden. Eine Demokratisierung - das ist der Gang der Dinge - kann nur auf evolutionärem Weg stattfinden. Ich wiederhole: Es ist ein Zeichen der Reife, daß man sich dafür entschieden hat. Demokratisierung steht jetzt an. Es war ein schwieriger Weg, zur Demokratisierung zu kommen! Es bleibt ein schwieriger Weg für die nächsten Jahre. Er hört nicht auf, aber er ist gangbar und erfolgreich. Ich frage Sie: Wollen Sie diesen Menschen eine Volksabstimmung in einer so elementaren Frage wie der des Regierungssitzes allen Ernstes verweigern? ({8}) Ist nach der Vereinigung denn nicht eine neue Situation entstanden? Es sind ja nicht schlichtweg zwei Staaten aneinandergepackt worden. Es ist der Provinzialismus beider Staaten überwunden worden. ({9}) - Ich denke, das können Sie aus den alten Ländern sich ruhig sagen lassen! ({10}) Manchmal hat man den Eindruck: Viele Menschen in den alten Ländern haben sich mit der alten Bundesrepublik sehr gut abfinden können und tun sich jetzt schwer, wenn es zu Veränderungen kommt. Denn sie bleibt nicht so. Das, was wir jetzt haben, ist nicht eine vergrößerte Bundesrepublik; es ist dem Charakter nach ein anderer Staat. Wenn es nicht so wäre, dann wäre das, was zur Zeit stattfindet, wirklich nur eine Kolonialisierung. ({11}) Und das wollen wir doch alle nicht annehmen. ({12}) Haben die vier großen Mächte einer Vereinigung nicht auch deshalb zugestimmt, weil sie unter dem Eindruck der friedlichen Revolution in der DDR gestanden sind? Wir haben doch mit Diplomaten der sowjetischen Botschaft gesprochen, die immerfort ängstlich fragten: Seid ihr denn auch sicher, daß die sowjetischen Kasernen nicht angegriffen werden? Seit ihr denn auch sicher, daß niemand an Laternen gehängt wird? - Dies war in dieser Weise nicht zu erwarten. Nach dem Trauma des Zweiten Weltkrieges hatten die übrigen Völker Europas immer noch unter dem Trauma der schlechten Erfahrungen mit dem deutschen Volk gestanden. Genau dies wurde vor der Vereinigung überwunden, und genau dies erklärt auch, warum wir jetzt die vollen souveränen Rechte haben. ({13}) - Ich bin weiter bei der Sache. - Das, was dieses unser Land jetzt nach außen hin hat - die vollen souveränen Rechte - , sollte es mit Kraft und Bewußtsein auch nach innen hin auszuüben in der Lage sein. Wir sind in einem neuen Status, und wir können ihn wahrnehmen. Muß denn jemand in diesem Land allen Ernstes Angst davor haben, daß durch das Volk eine Aufweichung des Grundgesetzes droht? ({14}) Muß denn nach 40 Jahren guter Erfahrungen mit dem Grundgesetz und nachdem die Menschen in der DDR in ihrer überwiegenden Mehrheit den Anschluß an dieses Grundgesetz nach Art. 23 gewünscht haben, jemand allen Ernstes fürchten, daß genau durch diese Menschen das Grundgesetz in irgendeiner Weise bedroht ist? Wenn das der Fall wäre, dann sollte man auf diese Menschen zugehen. Nehmen wir diese Volksabstimmung als einen Einstieg in den Ausstieg aus der Arroganz der Macht, ({15}) als eine Möglichkeit, den Menschen über die Wahlen hinaus mehr Rechte zu geben! Über die Art und Weise, wie man das machen kann, kann man sich in der Tat auseinandersetzen. Aber es wäre in der jetzigen Situation fatal, den Menschen das Recht, darüber zu entscheiden, grundsätzlich zu verweigern. Denn wie anders als zufällig soll man die Entscheidung werten können, die in dieser Frage durch das Parlament nach dieser Diskussion noch möglich ist?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Hilsberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, man kann über Volksabstimmungen ganz unterschiedlicher Meinung sein, aber könnten Sie uns bitte einmal sagen, ob Sie das Beharren auf einer parlamentarischen Entscheidung als „Arroganz der Macht" bezeichnen. Oder was wollten Sie mit dieser Formel eigentlich sagen?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich - das haben Sie auch erlebt - Revue passieren lasse, was in Fragen des Regierungssitzes vom Parlament her geschehen ist, so haben wir bisher nur den Weg in eine Sackgasse erlebt, und erst jetzt wird ein Kompromißvorschlag diskutiert, der uns in der Sache überhaupt nicht weiterbringt. Ich kann es nicht gut finden, wenn Parlament und Regierung auseinandergerissen werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können Sie denn etwas zu dem Punkt „Arroganz der Macht" sagen? ({0}) Ich frage Sie gar nicht nach dem Inhalt einer Entscheidung, sondern ich frage Sie doch nur, ob Sie das Beharren auf einer parlamentarischen Entscheidung als „Arroganz der Macht" bezeichnen, oder was wollten Sie uns damit eigentlich sagen? ({1})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie die Arroganz der Macht bestreiten, dann können Sie ja ruhigen Gewissens einer Volksabstimmung zustimmen. ({0}) Ich möchte abschließend gegen alle diese Stimmen sagen: Geben Sie grünes Licht für eine Volksabstimmung! Stimmen Sie einer Verfassungsänderung und dem Gesetz zur Volksabstimmung in der Frage „Berlin oder Bonn als Regierungssitz" zu! Ich bedanke mich. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Rupert Scholz.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Art. 2 des Einigungsvertrags haben wir die Entscheidung zu treffen, wo Regierungs- und Parlamentssitz sind. Das ist unbestritten. Wir alle in diesem Haus spüren, daß diese Frage schwer ist. Ich will die Gründe nicht diskutieren. Ich möchte nur auf eines hinweisen. Wir diskutieren diese Frage im Sinne eines Entweder-Oder. Wo mein Herz schlägt, weiß jeder. ({0}) Aber jemand, der anders denkt, hat genauso sein gutes Recht, und wir müssen die Argumente austragen. Es gibt, wie wir wissen, Kompromißüberlegungen. Schon diese Kompromißüberlegungen machen ganz deutlich, meine Damen und Herren von der SPD, daß Ihr Antrag auch in der Sache nicht hilfreich ist. Eine Volksabstimmung ist wesensgemäß ein Verfahren des Ja oder Nein, des Entweder-Oder. So ist auch genau Ihr Ausführungsgesetz formuliert. Ich könnte mich persönlich sehr rasch mit einer Entscheidung anfreunden, daß alles nach Berlin geht. Das ist meine Meinung. Aber ich habe zu respektieren, daß es auch andere Meinungen und daß es auch andere Interessen gibt. Dieses Parlament muß diese Entscheidung hier treffen. Man kann einer Entscheidung nicht aus dem Weg gehen, wenn sie unbequem wird. ({1}) Ein Parlament, das dieses nicht weiß und beherzigt, entmündigt sich in der Konsequenz selbst. ({2}) Wenn ich es aus dem Gedächtnis richtig zitiere, hat Ihr Parteivorsitzender Björn Engholm Ihre Parteitagsentscheidung, eine Volksabstimmung anzustreben, etwa in dem Sinne begründet, daß die Volksabstimmung in dem akuten Streit über Berlin oder Bonn sozusagen ein Schiedsrichterverfahren sein soll. Berichtigen Sie mich bitte, wenn ich es falsch zitiere. ({3}) - Vielen Dank. Ich bin dankbar, daß Sie meinem Gedächtnis so auf den Weg helfen. Was bedeutet das eigentlich? Sie haben die Zerreißprobe in Ihrer Partei ganz offenkundig nicht bestanden. ({4}) Man kann nicht, wenn man in einer Partei oder in einem Parlament eine Zerreißprobe nicht bestehen kann, sagen: Fragen wir doch das Volk. Wer Volksabstimmungen, wer plebiszitäre Elemente wirklich ernst nimmt, muß dann auch dazu stehen, daß das Volk plebiszitäre Elemente ernst nimmt, d. h. er darf es nicht nur dann anrufen, wenn man selbst nicht klarkommt. ({5}) Die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz stellt den Abschluß der staatlichen Einheit Deutschlands dar. Dieser Abschluß muß von denselben gesetzgebenden Körperschaften, von Bundestag und Bundesrat, ebenso wie der Prozeß der deutschen Einheit insgesamt verantwortlich und fair in der Auseinandersetzung zu Ende geführt werden. Es ist nicht richtig zu sagen, daß dies jetzt eine so wichtige Frage ist, für die das Parlament etwa nicht mehr zuständig sein könnte. Ein letzter Aspekt. Ich halte es für wenig glücklich, daß Sie im Vorfeld unserer Beratungen im Verfassungsausschuß, in dem wir natürlich kontrovers diskutieren werden, wie es mit plebiszitären Elementen zu halten ist, ob wir diese haben wollen oder nicht, den Einstieg mit dieser schwierigen Einzelfrage sozusagen im Schnellverfahren finden wollen. Es ist ja bezeichnend, daß Sie diese Frage bei Art. 146 des Grundgesetzes ansiedeln wollen. Das ist sehr bemerkenswert. Das zeigt, was Sie eigentlich wollen. Ich glaube, daß Sie Ihrer eigenen Sache - wenn Sie mir diesen Kommentar abschließend gestatten - , Ihrer eigenen Zielsetzung im Grunde damit keinen Gefallen getan haben. ({6}) Wir werden uns in diesem Hause und zuvor im Verfassungsausschuß sehr ernsthaft und verantwortlich mit der Frage nach plebiszitären Elementen auseinanderzusetzen haben. Bis zu dem Tag aber, an dem die Entscheidung auch darüber fällt, hat die parlamentarische Demokratie ihre Aufgabe zu erfüllen und ihre Verantwortung wahrzunehmen. Sie kann nicht im Grunde dem Volk etwas vortäuschen. ({7}) Dies gehört auch zu einer Demokratie. Deshalb sage ich nein zu Ihrem Antrag. Deshalb sagen wir: Wir haben auch die Diskussion und Entscheidung über diese schwierige Frage Berlin oder Bonn in diesem Hause auszutragen. Wir haben möglicherweise die Chance, einen richtigen Kompromiß zu finden. Ihr Antrag wirft die Debatte genaugenommen zurück. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Feststellung treffen und einen Appell vortragen. Die Feststellung: Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE hatte vor, in dieser Sache einen eigenen Antrag einzubringen und die Lösung Volksentscheid über die einfache Gesetzgebung vorzuschlagen. Im Interesse einer einfacheren Beschlußfassung und in Würdigung des Art. 146 des Grundgesetzes - das haben Sie richtig verstanden, Herr Scholz - schließen wir uns dem Antrag der SPD an. Nun ein Appell, meine Damen und Herren von der Rechten, an Sie - nicht weil ich Beifall einfordern möchte, wie das einige Herren von der Regierung neuerdings zu tun pflegen; im übrigen müssen die Einbringer des Antrages und ich natürlich nicht überzeugt werden - : Wir haben während dieser Haushaltsdebatte gemerkt, in welch schwieriger Phase sich der Vereinigungsprozeß befindet. Er droht in einen Verteilungskampf auszuarten. Wollen Sie das? Nein, das können Sie nicht wollen. Die Frage der deutschen Vereinigung ist nicht nur eine Geldfrage. Sie ist eine politische Frage, und auf die Entscheidung dieser Frage gehen wir jetzt zu. Ich hoffe, wir tun das gemeinsam. Wie kann das deutlicher geschehen, als dadurch, daß sich das Parlament - es wird sich dabei nicht entmündigen, Herr Scholz, wenn es sich wie am Reichstagsgebäude steht, dem deutschen Volke zuwendet - dem ganzen deutschen Volk zuwendet und dieses deutsche Volk, vor allen Dingen diejenigen, von denen es in der Präambel heißt, daß es ihnen 1949 mitzuwirken versagt war, jetzt in die gemeinsame Willensbildung des Souveräns einbezieht, um dessentwillen wir ja hier sind. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Ullmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hirsch?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ullmann, liegt denn das eigentliche politische Problem von Volksabstimmungen, über die wir reden - wir reden ja nicht über Berlin oder Bonn, sondern wir reden über Volksabstimmungen -, nicht darin, daß wir einmal dadurch die Verantwortung für Entscheidungen anonymisieren? Wenn alle sie treffen, ist kein einzelner mehr dafür verantwortlich? Liegt das Problem nicht ferner darin, daß Sie bei einer Volksabstimmung nur mit Ja oder Nein antworten können, d. h. daß die Möglichkeiten eines Kompromisses, der hier notwendig zu sein scheint, nicht mehr gegeben sind? ({0})

Dr. Wolfgang Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hinsichtlich des letzten Teils der Frage muß ich das anders sehen. Das Gesetz sieht ja anders aus, Herr Hirsch. Über den ersten Teil Ihrer Frage, der mich sehr beeindruckt, möchte ich noch lange mit Ihnen debattieren. Aber jetzt nur eines: Ich wundere mich immer, bei gestandenen Demokraten wie Burkhard Hirsch Argumente zu hören, die im Grunde genommen Argumente gegen die Demokratie sind. ({0}) Ich wollte gerade zum Schluß kommen, als die Zwischenfrage gestellt wurde. Ich möchte nur noch sagen, meine Damen und Herren: Bitte treten Sie mit uns wenigstens erst einmal in die Debatte ein, und kommen Sie bitte nicht bloß zur Abstimmung. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Abgeordnete Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie machen es einem ganz geschickt schwer mit Ihren Vorlagen. Ich hätte nämlich, wenn ich gewissen opportunistischen oder auch Zweckmäßigkeitserwägungen, Detlef Kleinert ({0}) die mir am Herzen liegen, nachgeben würde, große Sympathie für eine Volksabstimmung, weil ich mir davon erwarten würde, daß die von mir erhoffte Entscheidung in der Frage Bonn oder Berlin in meinem Sinne fallen würde. ({1}) Darauf weisen jedenfalls erhebliche Anzeichen bei bisherigen Umfragen mit Deutlichkeit hin. Das soll mich aber überhaupt nicht davon abbringen - wie es heute mittag auch Herr Hirsch schon mit seinen Zwischenfragen getan hat - , bei dieser Gelegenheit eben nicht über die Frage Bonn oder Berlin, sondern über die Frage, ob und, wenn ja, in welchen Fällen es sinnvoll ist, eine Volksentscheidung durchzuführen, einige Argumente mit Ihnen auszutauschen. Die ungewöhnliche Auffaserung, die ungewöhnliche Vielschichtigkeit und die Materialfülle, die auch bei einer nur scheinbar, oberflächlich betrachtet so einfachen Frage wie die nach Bonn oder Berlin zu bewältigen ist, wenn man erstens dem Problem gerecht werden will und wenn man sich zweitens - auch das ist schon gesagt worden - die Möglichkeit zum Kompromiß erschließen will - das ist wahrscheinlich nur aus der Betrachtung aller Einzelfaktoren heraus möglich -, werden an diesem Beispiel ganz schön deutlich. Wenn Sie einmal schauen, was allein über die Kostenfrage in den Gazetten herumgeistert, dann stellen Sie fest: Von 1,5 Milliarden DM bis 60 Milliarden DM können Sie an Umzugskosten und an volkswirtschaftlichen Kosten alles haben, was es so gibt. Hinsichtlich der Zahl der Quadratmeter - das müßte man eigentlich messen können; dafür haben wir tadellos ausgerüstete Behörden - von Büroflächen und Wohnflächen, die in Bonn einerseits und in Berlin andererseits zur Verfügung stehen sollen -„sollen" kann man da nur noch sagen - , verhält sich die Sache so ähnlich, ganz zu schweigen von der mir besonders am Herzen liegenden Frage, wie man mit den beiden Städten vielleicht zurechtkommen könnte über mehr Gemeinsamkeiten, Übereinstimmungen in den Fragen einer Bauplanung, die parlamentarischen Bedürfnissen besser gerecht werden könnte als das, was wir in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit erlebt haben. Über diese Fragen kann man sich Gewißheit verschaffen, kann man sich das Material besorgen. Man kann sich darüber unterhalten, und zwar nicht nur im eigenen Kreise, sondern genauso mit dem politischen Gegner - ganz abgesehen davon, daß der Streit ja quer durch die Fraktionen geht -, und man kann versuchen, ein Stück weiter zu kommen. Kommen Sie jetzt aber zur Volksabstimmung, dann kommen Sie auch zum Wahlkampf. Dann müssen Sie auch Erfolg haben mit dem, was Sie in Gang gesetzt haben. Dann höre ich schon die Umzugskostenlüge, die Quadratmeterzahllüge, die Bauplanungslüge ({2}) und all diese anderen Lügen, die man sich gegenseitig um die Ohren schlägt, um auf diese Weise den Sachverhalt zu erhellen. So wird es dann ja wohl dargestellt werden. Von einer Erhellung des Sachverhalts wird dann aber nicht sehr viel übrigbleiben. Darum ist auch dieses Beispiel durchaus geeignet, unsere Skepsis, die die Diskussion über das Thema nicht grundsätzlich ausschließen soll, zu erhellen oder jedenfalls von Teilaspekten her anzuleuchten. Aufgekommen ist die Frage bei Ihnen doch, als Sie mit einer Stimme Mehrheit praktisch im Patt gestanden haben ({3}) und keine Seite der anderen zumuten wollte zurückzuweichen. ({4}) Das kann man noch fortsetzen, bis man zu einem Ergebnis kommt, das einen mehr befriedigt, oder bis man das macht, was in dieser Frage wohl ohnehin schon vorgesehen war, nämlich den einzelnen nach seiner Erkenntnis und Erkenntnisfähigkeit abstimmen zu lassen. Die Sache mit der politischen Verantwortung, dem engen Zusammenhang zwischen politischer und parteilicher Handlungsfähigkeit und dem plötzlich auftretenden Begehren nach Volksentscheiden ({5}) läßt sich auch bei uns in Hannover sehr interessant belegen. Der Unterbezirk der SPD in Hannover hat kürzlich beschlossen, einen Volksentscheid zu der Frage herbeizuführen, ob die Expo 2000 dort abgehalten werden soll oder nicht. Im Unterbezirk ist offensichtlich eine Mehrheit gewesen, die sich gegen den niedersächsischen Ministerpräsidenten ({6}), gegen den hannoverschen Oberbürgermeister ({7}), gegen den hannoverschen Oberstadtdirektor ({8}) wenden will, ({9}) dies aber nicht innerparteilich austrägt, sondern auf dem Umweg über einen Volksentscheid noch recht bekommen will dort, wo sie gegenüber ihren eigenen Parteispitzen das Recht schon verloren hatte. ({10}) Dafür sollen dann Steuergelder gebraucht werden in einer Situation, in der weder die niedersächsische Verfassung noch die niedersächsische Kommunalordnung noch sonst irgendein Gesetz eine solche Entscheidung des Volkes vorsieht. ({11}) Das ist ein Vorgang, der zeigt, wie leicht und wie schnell man, wenn man nicht die Kraft zur politischen und demokratisch-parlamentarischen Entscheidung aufbringt, ({12}) Detlef Kleinert ({13}) in die Sackgasse kommt, von der hier heute so oft die Rede war.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn dafür diese Beleuchtung hier wieder geändert werden könnte, dann wäre das ein tadelloses Geschäft. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die Beleuchtung wird gleich abgeschaltet.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, damit wir alle beurteilen können, ob Ihre Einschätzung richtig ist, würden Sie so freundlich sein, uns vorzulesen, über welche Frage in Hannover eine Bürgerbefragung stattfinden soll?

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe jetzt nicht alle Dokumente zur Hand. Ich habe aber wohl zur Kenntnis genommen, daß nach der Entscheidung des Unterbezirks die Fragestellung zu einer Volksentscheidung auch mit Fragen angereichert werden soll, wie eine solche Expo etwa abgehalten werden könnte. ({0}) Nach dem, was ich vorhin über den erfahrungsgemäßen Ablauf von Wahlkämpfen und Entscheidungsvorbereitungen gesagt habe, bin ich aber überzeugt, daß diese feinsinnigeren Elemente der Entscheidung entschieden auf der Strecke bleiben werden, wenn die Genossen erst einmal versuchen, sich auf diesem Wege zu bekriegen. ({1}) Und das alles - muß man noch dazusagen -, obwohl am 10. Oktober 1991 in Hannover die Kommunalwahl stattfindet. Die Bürger haben dann ohnehin die Möglichkeit, der einen oder anderen Seite mitzuteilen, wie sie es mit der Expo halten wollen. ({2}) Die Gegner dieser Entscheidung in der SPD werden der SPD in der Sache eine große Freude machen. ({3}) Wenn dann - und wie so etwas in Ihren Reihen weitergeht, wollte ich zum Schluß sagen - die Bundesregierung durch den dafür zuständigen Staatssekretär Herrn Beckmann erklärt, bei einer solch anhaltenden Ungewißheit über die Frage, ob und wie die Weltausstellung überhaupt stattfinden solle, könne von der Bundesregierung schlecht verlangt werden, für die Kosten aufzukommen, ({4}) tritt der Unterbezirksvorsitzende, Herr Jüttner, vor die staunende Öffentlichkeit und erklärt, die Bundesregierung würde die Sache weit übergewichten; ({5}) denn der Unterbezirk Hannover habe ja soviel auch wieder nicht zu sagen. ({6}) Das ist schon eine bedeutende Äußerung des politisch zuständigen und verantwortlichen Vorsitzenden Ihrer Partei.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Kleinert, wir würden Sie ja gern weiter hören, aber ich glaube nicht, daß Ihnen der Abgeordnete Schumann noch drei Minuten gibt.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dieser Beitrag zeigt deutlich, warum wir zwar an der vorgesehenen Stelle, nämlich im Verfassungsausschuß, die Frage in möglichst großer Ruhe weiter behandeln wollen, warum wir aber andererseits gerade bei dieser Vorlage überhaupt keine Veranlassung sehen, von unserer durchgängigen Skepsis abzuweichen. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind prinzipiell für plebiszitäre Elemente. ({0}) - Ich sage Ihnen auch gleich ein paar Gründe dazu, bevor Sie weiter lachen. Vielleicht hören Sie sie sich erst einmal an. ({1}) Wir haben unseren Standpunkt dazu übrigens auch schon in der Debatte um die Verfassungsänderung zum Ausdruck gebracht. Ich sage Ihnen also kurz drei Gründe. Erstens sind wir der Auffassung, daß die Väter des Grundgesetzes mit dem Art. 146 schon einen Auftrag hinterlassen haben, darüber nachzudenken, wie man, wenn die Einheit Deutschlands vollzogen ist, auch in der Verfassungsentwicklung weiter vorankommen kann. Ich glaube, darüber ist hier schon ausreichend debattiert worden. Dr. Fritz Schumann ({2}) Zweitens gehe ich davon aus, daß sich in den letzten 40 oder 45 Jahre nicht nur die parlamentarische Demokratie weiterentwickelt hat, sondern auch die Menschen, und daß sie durchaus in der Lage sind, zu bestimmten Themen an bestimmter Stelle auch direkt abstimmen zu dürfen; nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei anderen schwerwiegenden Themen. Drittens lassen Sie mich die Feststellung machen - jetzt werden Sie sicher gleich wieder aufbrausen -: ({3}) Wir insbesondere haben auch Erfahrungen mit mächtigen Parteien. ({4}) In dieser Beziehung kann eine Volksabstimmung schon ein regulatives Element sein. Vielleicht können wir uns einmal in Ruhe über diese Problematik unterhalten. Ich bin zu solchen Diskussionen gern bereit. ({5}) Meine letzte Bemerkung dazu ist, daß ich gerade die Frage um den Sitz der Verfassungsorgane für eine Frage halte, die wir durch eine Volksabstimmung entscheiden können. Ich möchte im übrigen das Argument zurückweisen, daß an dieser Stelle vielleicht ein Kompromiß notwendig wäre. Ich bin der Meinung, man kann nicht sagen, beim Volksentscheid gibt es nur Ja oder Nein und hier im Parlament gibt es etwas anderes. Das richtet sich immer sehr danach, welche Frage man stellt. Danach wird die Entscheidung gefällt. Man kann mit jeder Fragestellung jede Entscheidung herbeiführen. Ich bedanke mich. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Damit, meine Damen und Herren, schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/656 und 12/657 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 12. Juni 1991, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.